Ich erteile Minister
Hans Eichel das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Punkt
besteht Einigkeit – darüber bin ich froh –: Den Menschen,
die in den Hochwassergebieten an der Elbe und insbeson-
dere an der Mulde so furchtbar betroffen sind, muss sofort
geholfen werden; ihnen muss sofort die Gewissheit gege-
ben werden, dass der Wiederaufbau finanziert wird.
Sie dürfen nicht resignieren, sondern sie müssen mit un-
ser aller Beistand ihre eigenen Kräfte mobilisieren kön-
nen, um den Wiederaufbau sofort zu beginnen. Genau da-
rauf haben wir uns eingestellt.
Mittlerweile sind die Unterschiede offenkundig. Herr
Kollege Stoiber, ich weiß nicht, wer Ihnen den Satz, der
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Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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besagt, höhere Zinsen seien besser als höhere Steuern,
aufgeschrieben hat. Das ist ökonomischer Unsinn.
Höhere Zinsen, verehrter Herr Kollege Stoiber, sind
nichts weiter – das ist der ganze Unterschied – als höhere
Steuern in der Zukunft.
Daran, dass Sie das nicht erkannt haben, hat der Bundes-
haushalt gekrankt, den wir 1998 übernommen haben.
Der ganze Unterschied zwischen Ihren Finanzie-
rungsvorschlägen und unseren besteht darin, dass wir so-
fort bezahlen, während Sie die Finanzierung über die Ban-
ken vornehmen und die Rechnung unseren Kindern und
Enkeln zukommen lassen wollen.
Was diesen Unterschied angeht, ist die Opposition al-
lerdings verlässlich;
denn genau denselben Fehler – übrigens, die Geschichte
wiederholt sich wirklich manchmal – haben Sie zu Beginn
der Wiedervereinigung gemacht.
Damals, zum 1. Januar 1991, stand die dritte Stufe der
Steuerreform an, die Gerhard Stoltenberg auf den Weg ge-
bracht hatte; es ging um eine Entlastung in Höhe von
25Milliarden DM. Damals haben Ihnen die seinerzeit op-
positionellen Sozialdemokraten – daran erkennt man den
Unterschied im Hinblick auf das Oppositionsverständnis
zwischen CDU/CSU heute und SPD damals –, die Ge-
werkschaften und auch viele Vertreter der Wirtschaft ge-
sagt: Jetzt ist kein Raum für Steuersenkungen; jetzt brau-
chen wir das ganze Geld, um den Osten aufzubauen.
Es tut mir Leid, sagen zu müssen, dass Herr Kohl da-
mals die Mär geboren hat, die Wiedervereinigung könne
aus der Portokasse finanziert werden und im Osten habe
man in wenigen Jahren blühende Landschaften. Die Men-
schen haben anschließend die größte Enttäuschung erlebt.
Die Lage heute ist so ähnlich wie damals. Die Men-
schen waren seinerzeit bereit, das Opfer zu bringen, auf
die Steuersenkung zu verzichten. Dem hätte die Opposi-
tion zugestimmt. Wir haben heute dieselbe Situation. In
allen Versammlungen, die ich besuche, erlebe ich, dass
die Menschen ganz selbstverständlich Ja sagen: Da diese
große Katastrophe jetzt da ist, sind wir bereit, ein Jahr auf
Steuersenkungen zu verzichten, damit solide wiederauf-
gebaut werden kann und nicht unsere Kinder das bezah-
len müssen.
Herr Kollege Stoiber, Sie machen einen schwerwie-
genden und lang nachwirkenden Fehler, wenn Sie die Be-
reitschaft der Menschen zur solidarischen Finanzierung
nicht abrufen. Dieser Fehler würde uns, wenn er gemacht
würde, später auf die Füße fallen.
Das entspräche übrigens exakt dem Problem, das wir von
Ihnen übernommen haben: Ein solcher Schuldenberg ist
durch die Kosten für die Wiedervereinigung nicht zu
rechtfertigen. Eine solide Finanzierung hätte man anmah-
nen können. Das gilt auch in diesem Fall.
Im Übrigen führt das nur dazu, dass es immer teurer
wird. Verehrter Herr Kollege Stoiber, Sollzinsen sind im-
mer höher als Habenzinsen;
davon leben doch die Banken. Was Sie vorschlagen, be-
deutet doch, dass 4,4Milliarden Euro an Zinsausgaben im
Laufe der nächsten elf Jahre dazukommen, weil im Erb-
lastentilgungsfonds nicht getilgt wird.
Was für ein Unsinn das ist, sehen Sie an den folgenden
Zahlen, die ich für Deutschland habe hochrechnen lassen:
Die Bundesrepublik Deutschland hat im Laufe ihrer Ge-
schichte mehr Geld für Zinsen ausgegeben, als sie Kredite
aufgenommen hat. Dieser Zusammenhang ist völlig lo-
gisch. Lassen wir den Unsinn also! Fangen wir endlich an,
solide zu finanzieren!
Wer von Umschichtungen redet und meint, damit das
Größenordnungsthema zu bewältigen, der ist auch be-
weispflichtig und muss das hier sagen.
Ich habe immer gesagt, dass der Haushalt auf Kante
genäht ist. In dieser Situation eine Debatte darüber zu
führen – wäre sie denn ernst gemeint –, wie ich das Kin-
dergeld kürze, wie ich die Rente kürze oder in großem
Umfang Investitionen in den alten Bundesländern zusam-
menstreiche, fördert nicht die Solidarität in Deutschland.
Man muss sagen, dass es besser ist, ein Jahr länger auf
Steuersenkungen zu warten.
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Bundesminister Hans Eichel
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Das ist im Übrigen auch gerecht.
Eine der „tollsten“ Sachen, die Sie machen, ist, dass
Sie, der Sie die Senkung des Spitzensteuersatzes auf un-
ter 40 Prozent zum obersten Staatsziel erklärt haben, uns
etwas von gerechter Steuerpolitik erzählen wollen.
Das läuft mit uns nicht. Herr Kollege Stoiber, vielleicht
sollten Sie Herrn Faltlhauser einmal befragen, wenn er
nicht als Propagandaredner, sondern als Finanzminister
unterwegs ist. Es gibt keine gerechtere Finanzierung als
über die Einkommensteuer, weil sie nämlich im Unter-
schied zu jeder anderen Finanzierung bedeutet, dass die-
jenigen, die über kleine Einkommen verfügen – Sie haben
diese Menschen früher verfassungswidrig hoch besteuert –,
nicht zahlen müssen, während der Beitrag mit steigendem
Einkommen immer stärker wächst. Das ist nämlich der
Sinn des progressiven Steuertarifs, sehr verehrter Herr
Kollege Stoiber.
Es zahlen alle, die steuerpflichtig sind. Natürlich zahlen
auch der Chef von Daimler-Chrysler und der Chef der
Deutschen Bank. Wir haben mit den Steuerschlupf-
löchern Schluss gemacht, die denjenigen, die große Ein-
kommen hatten, die Möglichkeit gaben, sich steuerfrei zu
stellen.
Die Solidarität derWirtschaftsverbände erkenne ich
ausdrücklich an. Man wird zwischen den Wirtschaftsver-
bänden sehr genau unterscheiden müssen. Die Solidarität
des BDI und insbesondere des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages war angesichts einer solcher He-
rausforderung vorhanden. Sie haben gesagt: Wir tragen
das mit. Es war deutlich erkennbar, dass sie auch bereit
sind, zusätzlich eine Erhöhung der Körperschaftsteuer um
1,5 Prozentpunkte hinzunehmen. Das will ich ausdrück-
lich anerkennen.
Herr Kollege Stoiber, Sie haben nicht damit gerechnet,
dass Sie vor der Wahl für Ihre Kampagne, dass der Mit-
telstand benachteiligt sei und die Großen begünstigt wür-
den, den Wahrheitsbeweis für diese – wahrheitswidrige –
Behauptung antreten müssen.
Zunächst haben Sie gesagt – ich habe das im Fernsehen
verfolgt –, der Vorschlag sei nicht gerecht, die Zahler von
Körperschaftsteuer müssten auch beteiligt werden –
auch Herr Merz hat das gesagt; er hat auf unseren Vor-
schlag hin seine Position in einer Nacht übrigens dreimal
gewechselt.
Wir haben Sie eingeladen, Vorschläge zu machen. Wir
hätten die auch akzeptiert, verehrter Herr Kollege Stoiber,
wenn da nur irgendein vernünftiger Vorschlag auf den
Tisch gekommen wäre. Es ist aber kein Vorschlag auf den
Tisch gekommen.
Alleine das Thema Körperschaftsteuer ist ein Stück aus
dem Tollhaus. Ihre Fraktion kannte bei der ganzen Dis-
kussion um die Steuerreform nur zwei Begriffe: Spitzen-
steuersatz und körperschaftsteuerliches Vollanrechnungs-
verfahren. Im Moment wird das alte Steuerrecht, das Sie
behalten wollten, abgewickelt. Das, was da passiert, hat
mit unserem nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Im Übrigen geht dieser Teil des Geldes ja nicht verloren;
den zahlen auf der anderen Seite – das wissen Sie doch
ganz genau, wenn Sie nur ein bisschen Ahnung davon ha-
ben – die Aktionäre. Deswegen ist ja das Aufkommen aus
der Kapitalertragsteuer im vergangenen Jahr um 7 Mil-
liarden Euro gestiegen. Diese ist nämlich das Pendant zur
ausgefallenen Körperschaftsteuer, die nach Ihrem System
zurückgezahlt werden musste, nach unserem jetzt aber
nicht mehr. All das, was Sie da erzählen, ist ja nicht wahr.
Weil es nicht wahr ist, waren Sie ja auch vor dem Hinter-
grund Ihrer eigenen Propaganda nicht in der Lage, einen
einzigen Abänderungsvorschlag zu unseren Vorschlägen
zu machen. So schnell ist solch ein falsches Propaganda-
gebäude noch nie zusammengebrochen, wie wir es in die-
sen Tagen erlebt haben.
Nun zu dem, was den Mittelstand betrifft; auch das ist
eine spannende Veranstaltung, auch in Bezug auf Sie und
Herrn Philipp. Ich habe ja gar nicht gewusst, wie viele
Fans meiner Steuerreform es gibt, bevor wir sagten, wir
verschieben sie um ein Jahr. Ich habe nicht gemerkt, wie
viele Fans der Steuerreform wir haben.
Sie und viele andere haben uns doch die ganze Zeit erzählt,
dass sie ungerecht sei und eine hohe Belastung für den
Mittelstand mit sich bringe. Nun verschieben wir diese Be-
lastung, aber es sollen 200 000 Arbeitsplätze verloren und
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Bundesminister Hans Eichel
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25 000 Betriebe Pleite gehen. Dass an dieser Behauptung
nichts stimmt, sieht jeder Mensch in diesem Lande.
Deswegen möchte ich Ihnen eines sagen, dabei unter-
scheide ich auch: Herr Philipp sollte endlich einmal seine
Funktion als Präsident des Zentralverbandes des Deut-
schen Handwerks ernst nehmen und sich nicht immer wie
ein ehemaliger Aachener CDU-Stadtrat verhalten. Dann
kämen wir bei der Vertretung der Interessen des Mittel-
standes weiter.