Rede von
Anke
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Jürgen Trittin.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das, was wir zu bewältigen haben, ist
die Folge von etwas, was es in dieser Form im Sommer
noch nie gegeben hat: Das Jahrtausendhochwasser in
Dresden war das Ergebnis von Regenfällen, die so stark
waren, dass in einzelnen Orten in einem 24-Stunden-Zy-
klus dreimal so viel Regen wie sonst im ganzen August
fiel. Der damit verbundenen Herausforderung haben wir
uns gemeinsam zu stellen.
Zu dieser Herausforderung zählt, dass wir jetzt daran-
gehen müssen, aufzuräumen und wieder aufzubauen.
Wenn wir wissen, dass es zwischen der globalen Erwär-
mung und dem Auftreten solcher Wetterphänomene einen
Zusammenhang gibt, dann bedeutet das für uns, in Zu-
kunft aktiv Gefahrenvorsorge zu betreiben. Gefahren-
vorsorge gilt es deshalb zu betreiben, weil uns alle Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler, egal wie hoch sie
den Anteil menschlichen Handelns an der globalen Er-
wärmung veranschlagen, sagen, dass in den nächsten Jah-
ren noch mit einem Anstieg der Temperaturen um mindes-
tens 1 Grad Celsius zu rechnen ist.
Wir müssen uns hier, im Deutschen Bundestag, auch
klar machen: Ein Anstieg von 0,7 Grad Celsius in den
letzten 100 Jahren hat zu einem Anstieg des Wassers um
20 Zentimeter geführt. Was ein Anstieg um 1 Grad be-
deutet, können Sie an Folgendem sehen: Schleswig-Hol-
stein erhöht zurzeit die Deiche um 50 Zentimeter. Ange-
sichts all des Leids, das wir in diesen Tagen in Sachsen
und insbesondere in Sachsen-Anhalt erfahren haben, soll-
ten wir uns klar machen, dass ein Land wie Bangladesch
– man bedenke seine Küstenlinie – die angesichts einer
möglichen Flutkatastrophe notwendigen Leistungen al-
lein überhaupt nicht finanzieren kann. Die Menschen dort
werden das, was wir mit angerichtet haben, im wahrsten
Sinne des Wortes auszubaden haben.
Deswegen bin ich so daran interessiert, dass das Kioto-
Protokoll, das wir gegen den Widerstand der USAso weit
gebracht haben, dass es ratifiziert werden konnte, nun
endlich in Kraft tritt. Dieses Protokoll dient nicht nur der
Senkung der Treibhausgasemissionen, sondern es stellt
auch Mittel bereit, mit denen wir Ländern wie Bangla-
desch, Inseln wie Tuvalu und anderen bei der drin-
gendsten Gefahrenvorsorge, zum Beispiel beim Damm-
bau, helfen können.
Ich kann nicht verstehen, dass sich der größte Verursacher
an dieser Stelle heraushält.
Zur Gefahrenvorsorge. Wir müssen auch hier in
Deutschland Gefahrenvorsorge betreiben. Wir haben das
Problem, dass selbst an dem letzten frei fließenden Fluss
Europas, der Elbe, nur noch 14 Prozent der früheren Über-
schwemmungsfläche, also 14 Prozent des ursprünglichen
Flussbettes, zur Verfügung stehen. Wenn das aber richtig
ist, dann muss die Diskussion über neue Staustufen an der
Saale, über die Ausweisung neuer Gewerbegebiete und
über weitere flussbauliche Maßnahmen, die lediglich dem
Ziel der Verbesserung der Schifffahrtstiefe dienen, aber
nicht dem Gebot der Hochwasservorsorge und des Hoch-
wasserschutzes genügen, endlich ein Ende haben.
Wir haben 7Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um
am „bösen Ort“, wo die Menschen in der Prignitz in den
letzten Wochen gekämpft haben, damit das Wasser nicht
über die Ufer tritt, nun umgehend das zu tun, was erfor-
derlich ist, damit der Druck gemindert wird. Zusammen
mit dem Land Brandenburg werden wir dort eine
Deichrückverlegung vornehmen und so 400 Hektar neue
Überschwemmungsflächen schaffen, und zwar aus Natur-
schutzmitteln und nicht aus Hochwasserschutzmitteln.
Dasselbe haben wir bereits an der Mittleren Elbe, bei
Dessau, an der Saalemündung getan.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich rate
Ihnen, mit den Leuten, die mit Sandsäcken am Deich ge-
standen haben, einmal folgenden Satz aus Ihrem FDP-
Bundestagswahlprogramm zu diskutieren:
In der Schifffahrt müssen Maßnahmen gegen den
niedrigen Wasserstand auf den Bundeswasserstraßen
ergriffen werden.
Diskutieren Sie das einmal an der Bundeswasserstraße
Elbe in diesen Tagen.
Wir haben gesagt, dass wir zu mehr Fläche und zu mehr
Überschwemmungsgebieten kommen müssen. Das ist
eines der Themen, die wir in der kommenden Woche mit
den Elbanliegerstaaten diskutieren. Der Hochwasserak-
tionsplan Elbe, der vorliegt, muss jetzt in Kraft gesetzt
werden. Alle Elbanliegerstaaten, darunter Sachsen-An-
halt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg
– also auch die Länder, die Herr Stoiber nicht eingeladen
hat –, müssen an einem Strang ziehen, damit wir auf die-
sem Gebiet endlich gemeinsam mit der Tschechischen
Republik zu einem Ergebnis kommen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Eva Bulling-Schröter
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Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Wir
brauchen eine Politik der Ursachenbekämpfung. Herr Kol-
lege Müller war mit seinem Hinweis sehr zurückhaltend.
Herr Stoiber hat gestern in Alzenau eine Solarfabrik eröff-
net, von der er behauptet, sie sei die größte in Deutschland.
Wenn es nach Edmund Stoiber und dem Freistaat Bayern
gegangen wäre, hätte diese Solarfabrik in Deutschland
überhaupt nichts verkaufen können, denn er hat die Rah-
menbedingungen für diese Industrie bekämpft.
Wer war denn gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz,
das dazu geführt hat, dass Deutschland von einem Im-
portland für Photovoltaikmodule zu einem Exportland
geworden ist und dass sich der Umfang dieser Branche
versechsfacht hat? Wer war gegen das Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz, das dazu geführt hat, dass die Anzahl der
Beschäftigten in der Windbranche von 17 000 im Jahre
1998 auf heute 40 000 gestiegen ist?
Die Windbranche in Deutschland ist heute der zweit-
größte Nachfrager nach Stahl. Wo kriegen Sie garantiert
kein Windrad genehmigt? – Nicht in Hessen; die wissen,
wie das geht. Nicht in einem Binnenland wie Nordrhein-
Westfalen; dort steht der größte Windpark. Im Freistaat
des Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten wird eine
aktive Verhinderungspolitik betrieben.
– Auch in Baden-Württemberg, das stimmt. – Nur in die-
sen Ländern wird eine Politik betrieben, die dazu führt,
dass von einer Verbesserung im Bereich der erneuerbaren
Energien keine Spur ist.
Ich habe heute gehört, man wolle für das Energiesparen
eintreten. Warum waren Sie dann gegen die Energieeinspar-
verordnung? Warum waren Sie gegen das Marktanreizpro-
gramm, gegen all die praktischen Maßnahmen im Klima-
schutz? Ich glaube, dass in dieser Debatte eines klar
geworden ist: Es gibt in Deutschland auch eine Auseinan-
dersetzung darüber, ob wir mit einer vorsorgenden Umwelt-
politik weitermachen, einer Politik, die Hochwasserschutz
nicht nur als Deichbau begreift, sondern als Möglichkeit,
Flüssen Raum zu geben, einer Politik, die durch eine aktive
Klimaschutzpolitik für kommende Generationen vorsorgt.
Ansonsten tritt das ein, weswegen man die Konservativen
gelegentlich auch als Schwarze bezeichnet, nämlich um-
weltpolitisch ein großes schwarzes Loch.