Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Erlauben Sie mir zu Beginn dieser Sitzung einigeWorte zum heutigen Tag. Wir gedenken heute, am 9. No-vember 2000, der Pogromnacht vom 9. November 1938und wir erinnern uns zugleich an den 9. November 1989,die Nacht, in der die Mauer fiel. Die beiden Ereignisse,die die größten Gegensätze unserer Geschichte symboli-sieren, machen den 9. November zu einem wider-sprüchlichen Gedenktag. Bei all der tiefen Freude, die wirüber den Mauerfall und die Wiedervereinigung empfin-den, sind wir uns doch zugleich bewusst, dass dies nur einTeil – der glücklichere – unserer Geschichte ist. SeineDimension können wir aber nur erfassen, wenn wir unsauch des anderen Teils bewusst sind, der unvorstellbaresElend und Barbarei bedeutete.Als am 9. November 1938 in Deutschland die Synago-gen brannten, Menschen in aller Öffentlichkeit gedemütigt,verhaftet und ermordet wurden, hatte die Entrechtung undVerfolgung der Juden bereits mit einer Reihe von Verord-nungen und Gesetzen, vor allem den so genannten Nürn-berger Gesetzen, begonnen, die schließlich zu der Vernich-tung der Juden in Europa führen sollten. Doch diese Nachtwar der Moment, in dem man die Absichten der National-sozialisten nicht mehr verkennen konnte, weil die Verbre-chen in aller Öffentlichkeit geschahen.Dennoch wurde weggesehen, nicht nur aus Angst, son-dern auch aus Gleichgültigkeit. Mehr noch: Viele sahenzu, als Juden gedemütigt, misshandelt und abtransportiertwurden, oder beteiligten sich sogar an den Verwüstungender Reichspogromnacht, die keineswegs nur in der Nacht,sondern vielfach auch am helllichten Tag stattfanden. Jü-dische Nachbarn wurden denunziert. Es gab Deutsche, diesich am Vermögen der Entrechteten bereicherten. Imallgemeinen Sprachgebrauch wurden die Juden nicht ver-haftet oder vertrieben, sondern sie waren „plötzlich weg“.Die Sprache offenbart, dass der 9. November 1938 fürviele Deutsche keineswegs einen tiefen, schmerzhaftenEinschnitt bedeutete. Der Erinnerung an jüdische Nach-barn, Kollegen und Bekannte ließ man keinen Raum.Auch nach dem Ende des nationalsozialistischen Re-gimes taten wir Deutsche in Ost und West uns mit der Er-innerung schwer. Immer wieder taucht die Forderung auf,nun doch endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Doch wirmüssen uns wehren gegen die Gleichgültigkeit und Angstin uns selber und die Gewalt, die vor unseren Augen ge-schieht.Wir befinden uns in einer Zeit tief gehender Verände-rungen. Auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigungwird es keinen Stillstand geben. Es liegt an uns, welchesGesicht diese Gesellschaft für uns und für unsere Kinderhaben wird. Heute, am 9. November 2000, findet hier inBerlin eine Demonstration statt unter dem Motto „Wirstehen auf für Menschlichkeit und Toleranz“, die vonzahlreichen Einzelpersonen, Initiativen und allen imDeutschen Bundestag vertretenen Parteien unterstütztwird. Das Leitthema der Abschlusskundgebung am Bran-denburger Tor wird der Kernsatz unserer Verfassung sein:„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“Toleranz und Menschlichkeit waren auch das Leitmo-tiv der DDR-Bürgerrechtsbewegung, die am 9. November1989, dem Tag der Maueröffnung, ihren großen Sieg fei-ern konnte. Wie kein anderer Tag symbolisiert der 9. No-vember 1989 das Streben nach Freiheit, Demokratie,Rechtsstaatlichkeit und staatlicher Einheit. Dieser Tagsteht für die Überwindung der über 40 Jahre währendenTeilung Deutschlands und für das Ende des vielfachenLeides der voneinander getrennten Menschen. Für unsDeutsche ist der 9. November 1989 daher ein bewegenderund wahrhaft historischer Tag, auf den wir mit Freude undDankbarkeit zurückblicken.Die aktuellen Entwicklungen in unserem Lande zeigenaber, dass Demokratie und Rechtsstaat nicht vorausset-zungslos garantiert sind, sondern immer wieder Gefähr-dungen unterliegen. Ein freiheitliches Gemeinwesenbraucht die aktive Unterstützung couragierter Bürgerin-nen und Bürger, um fortexistieren zu können. Zivilcou-rage ist das Rückgrat unserer auf Humanität und Freiheitgründenden Gesellschaftsordnung. Gerade jetzt, wo Ju-den, Andersdenkende, Minderheiten und Ausländer wie-der bedroht werden und in vielfacher Weise Formen derAusgrenzung erfahren müssen, benötigen wir ein mutigesund sichtbares Zeichen der wachsamen und zum aktivenWiderspruch bereiten Demokraten.12511
130. SitzungBerlin, Donnerstag, den 9. November 2000Beginn: 9.00 UhrNur wenn wir begreifen, was geschehen ist und warumes geschehen ist, sind wir imstande, die richtigen Lehrenaus unserer eigenen Vergangenheit zu ziehen. Die Erinne-rungen an die unterschiedlichen historischen Ereignisse,die mit dem Tag des 9. November verbunden sind, sind soverstanden auch ein wichtiger Beitrag zur Festigung undStärkung unseres freiheitlichen demokratischen Gemein-wesens.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich habe das Vergnügen, zu Beginn unserer Ta-gesordnung auf der Ehrentribüne die Präsidentin des Eu-ropäischen Parlaments, Frau Nicole Fontaine, be-grüßen zu können, die dort mit ihrer Delegation Platzgenommen hat.
Liebe Frau Präsidentin, ich begrüße Sie auch von die-sem Platz aus noch einmal sehr herzlich im Namen allerKolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages,von denen einige Ihnen schon gestern begegnet sind. Esist uns eine große Freude, Sie und Ihre Begleitung zu ei-nem offiziellen Besuch zu Gast zu haben.Die Europäische Union steht vor großen Herausforde-rungen, die ohne die aktive Mitwirkung des EuropäischenParlaments nicht zu bewältigen sind. Der Deutsche Bun-destag – Sie wissen es – misst der Zusammenarbeit unse-rer beiden Parlamente sehr große Bedeutung bei.Ich freue mich zu hören, dass die Begegnungen in Ber-lin wie auch in Sachsen informativ und ergebnisreich fürbeide Seiten waren und Ihr heute ausklingender Besuch infreundlicher Atmosphäre verlaufen ist, und wünsche Ih-nen, dass Sie ihn in guter Erinnerung behalten. Fühlen Siesich sehr, sehr herzlich willkommen!
Noch eine Vorbemerkung vor dem Eintritt in die ei-gentliche Tagesordnung: Der Kollege Bernd Reuter fei-ert heute nämlich seinen 60. Geburtstag. Ich möchte ihmim Namen des ganzen Hauses unsere Glückwünscheaussprechen.
Nachträglich gratuliere ich auch dem Kollegen MeinolfMichels, der am 2. November seinen 65. Geburtstag be-gehen konnte, ebenfalls im Namen des Hauses ganz herz-lich.
Die Fraktion der PDS teilt mit, dass der Kollege GregorGysi als ordentliches Mitglied aus dem GemeinsamenAusschuss nach Art. 53 a ausscheidet. Als Nachfolgerschlägt sie den Kollegen Roland Claus vor. Sind Sie da-mit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Damitist der Kollege Claus als ordentliches Mitglied im Ge-meinsamen Ausschuss bestimmt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnenvorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Erkenntnisse der Verfas-sungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfas-sungswidrigkeit der Nationaldemokratischen ParteiDeutschlands – Drucksache 14/4500 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Rechtsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, EvaBulling-Schröter, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der PDS: Gesellschaftliche Debatte zu den En-ergiepreisen für eine ökologische verkehrspolitische Wendenutzen – Drucksache 14/4534 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
FinanzausschussAusschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuss
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Kernfusionsforschung für eine zukünftige Energie-versorgung – Drucksache 14/4498 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie5. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-nes Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahl-gesetzes – Drucksache 14/4497 –Überweisungsvorschlag:InnenausschussVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll – so-weit erforderlich – abgewichen werden.Außerdem mache ich auf eine nachträgliche und einegeänderte Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktlisteaufmerksam:Der in der 118. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträg-lich dem Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO-BT über-wiesen werden.Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Regelungder Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern– Drucksache 14/3762 –überwiesen:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussHaushaltsausschuss gemäß § 96 GODer in der 124. Sitzung des Deutschen Bundestagesdem Innenausschuss federführend überwiesene nachfol-gende Gesetzentwurf soll nunmehr federführend demAusschuss für Kultur und Medien und dem Innenaus-schuss zur Mitberatung überwiesen werden.Gesetzentwurf des Bundesrates zurÄnderung desBundesarchivgesetzes– Drucksache 14/3830 –überwiesen:Ausschuss für Kultur und Medien
Innenausschuss
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Präsident Wolfgang Thierse12512
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 12 a bis12 c auf:12a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zurSechsten Weltklimakonferenz – Verpflichtungund Chanceb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit
– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNENKlimaschutz durch ökologische Modernisie-rung und Verbesserung der internationalenZusammenarbeit– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus-JürgenHedrich, Dr. Klaus W. Lippold ,Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSUVertragsstaatenkonferenz zurKlimarahmen-konvention in Bonn: Neue Impulse zur globa-
– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-ten Birgit Homburger, Ulrike Flach, HorstFriedrich , Dr. Wolfgang Gerhardtund der Fraktion der F.D.P. zur Abgabe einerErklärung der Bundesregierung zu den Er-gebnissen der 5. Vertragsstaatenkonferenzder Klimarahmenkonvention in Bonn– zu dem Entschließungsantrag der Abgeord-neten Eva Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser,Dr. Winfried Wolf, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der PDS zur Erklärung der Bun-desregierung zu den Ergebnissen der 5. Ver-tragsstaatenkonferenz derKlimarahmenkon-vention in Bonn– Drucksachen 14/1956, 14/1853, 14/1998,14/1992, 14/3835 –Berichterstattung:Abgeordnete Monika GanseforthDr. Peter PaziorekDr. Reinhard LoskeBirgit HomburgerEva Bulling-Schröterc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. ChristianRuck, Dr. Peter Paziorek, Dagmar Wöhrl, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUOffensive zur Reduktion von CO2-Emissionenim Gebäudebestand starten– Drucksache 14/4379 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHaushaltsausschussZur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsan-trag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünenund ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSUvor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache im Anschluss an die Regierungserklärung an-derthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-spruch. Dann ist so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hatder Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-torsicherheit, Jürgen Trittin.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Wieder einmal schrecken uns Berichtevon Überschwemmungen, von Erdrutschen und vonSturmkatastrophen auf, sei es im Aostatal oder – erinnertsei an die jüngsten Hochwasser – in Yorkshire. Auch inEuropa, so die Anmerkungen von Experten, zeigen sichdie Auswirkungen des Klimawandels. Der neue Berichts-entwurf des zwischenstaatlichen Expertengremiums fürKlimafragen der Vereinten Nationen lässt keinen Zweifelmehr: Es ist von einer beschleunigten Erderwärmung aus-zugehen.Doch während sich Unwetter und Katastrophen häu-fen, die Schadenslisten länger werden, insbesondere auchund gerade in den besonders verwundbaren Entwick-lungsländern, setzt sich fast überall auf der Welt der Trendzu steigenden Emissionen fort. Wenn es ein Gebot gibt,dann lautet es schlicht: Die Zeit ist überfällig; wir müssenendlich Konsequenzen aus diesen Warnsignalen ziehen;der Klimawechsel muss gebremst werden.Das Protokoll von Kioto war dafür ein Meilenstein.Zum ersten Mal haben sich die Industrienationen gemein-sam verbindlich zu absoluten Reduktionen ihrer Treib-hausgasemissionen verpflichtet. Es war ein Durchbruchauf dem Weg zu einer neuen Energiepolitik, zu einer In-dustriegesellschaft, in der der Verbrauch fossiler Brenn-stoffe tatsächlich zurückgeführt wird. Seitdem geht es da-rum, Kioto mit Leben zu füllen, das Protokoll ratifizierbarzu machen und in Kraft treten zu lassen. Doch es scheint,als wollten sich gerade jetzt viele der großen Industrie-staaten vor verantwortlichem Handeln drücken.Lassen Sie es mich offen aussprechen: Mit der bevor-stehenden Konferenz in Den Haag erreicht der Klima-prozess eine kritische Phase. Auf dem Spiel steht nicht nurdie Integrität des Protokolls, sondern auch die Glaubwür-digkeit eines großen internationalen Klimaprozesses, ei-nes Prozesses, der über 20 Jahre langsame, aber stetigeFortschritte gemacht hat.Dieses treibende Moment des Klimaprozesses ist ge-fährdet. Von einigen Seiten droht faktisch eine Rückver-handlung des Kioto-Protokolls, bevor es überhaupt inKraft getreten ist. Wir müssen verhindern, dass sich in denkommenden zwei Wochen in Den Haag diejenigen Kräftedurchsetzen, die die Verhandlungen dazu nutzen wollen,um Hintertüren und Schlupflöcher zu öffnen, die die
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Präsident Wolfgang Thierse12513
klaren Verpflichtungen des Protokolls zu Appellen undKonferenzlyrik zurückdrehen wollen.
Ich weiß, die Positionen in den zentralen Fragen liegennoch weit auseinander. Es wird außerordentlich schwierigwerden, umweltpolitisch tragfähige Brücken zu schlagen.Wir brauchen, wie Sie wissen, zum Schluss die Einstim-migkeit von circa 180 souveränen Staaten. Ich habe michseit Anbeginn meiner Amtstätigkeit dafür eingesetzt, ge-rade die Umweltintegrität des Protokolls zu wahren.Diese ist an mehreren wirklich neuralgischen Punkten ge-fährdet. Lassen Sie mich das an drei konkreten Beispielenbeleuchten:Erstes Problem: Die Anrechnung von so genanntenSenken auf die Reduktionsverpflichtung. Wenn SieÄcker flacher pflügen, wenn Sie Brandschutzkorridore inWäldern oder Windschutzhecken gegen Bodenerosionenanlegen, dann kann dies unter bestimmten Annahmen zuerheblichen Einbindungen von Kohlendioxid aus der At-mosphäre führen. Das kann in vielen großen Staaten, etwain den USA oder in Kanada, so viel sein, dass diese ihreEmissionen aus Industrie, Verkehr und allen anderen Sek-toren zusammen noch einmal erheblich steigern könnten,anstatt sie zu reduzieren. Dennoch hätten sie, würde mandiese Senken anrechnen, ihr Protokollziel erfüllt.Die Anrechnung von Senken hat aber gleich mehrereHaken.Erstens hätten wir die Senken großenteils ohnehin;denn, „gedüngt“ durch die vielen Kohlendioxidemissio-nen, wächst gerade auf der Nordhalbkugel die Vegetationderzeit stark an.Zweitens ist schon jetzt absehbar, dass sich die Sen-kenspeicher in wenigen Jahren wieder entleeren werden.Ich erinnere nur an die diesjährigen Waldbrände in denUSA. Dabei ist in einem Sommer eine Fläche abgebrannt,die ungefähr der Fläche von Baden-Württemberg ent-spricht.Drittens frage ich mich: Wie viele Emissionsgut-schriften wollen Sie eigentlich jemandem dafür geben,dass er durch das Anlegen eines Brandschutzkorridorsseinen Wald jetzt nicht mehr abbrennen lässt? Emissions-gutschriften womöglich für den gesamten Wald, da dieserja komplett hätte abbrennen können? Ist dies nicht viel-mehr eine Regelung, von der nun gerade und ausschließ-lich diejenigen profitieren, die bisher besonders rück-sichtslos gewirtschaftet haben?Meine Antwort ist knapp: Senken können das Klima-schutzproblem nicht lösen. Sie drohen vielmehr selber zutickenden Kohlenstoffbomben zu werden. Jede zweifel-hafte Senkenaktivität bindet Ressourcen, die dann fürMaßnahmen echter Emissionsminderungen fehlen.
Wir haben uns deshalb mit den europäischen Kollegenauf die Linie verständigt, dass diese Art der Senkenakti-vitäten, das heißt, Senkenaktivitäten, die über die Auffors-tung in Annex-1-Staaten hinaus gehen, bis auf weiteresnicht angerechnet werden sollten. Frühestens ab der zwei-ten Verpflichtungsperiode kann man über jenes reden.Dann hat man auch ein paar methodologische Fragen ge-klärt.Das zweite Problem ist der Mechanismus für umwelt-verträgliche Entwicklung, eine Idee zur Förderung dernachhaltigen Entwicklung in Entwicklungsländern. EinBeispiel: Ein Industrieland baut ein Solarkraftwerk inAfrika. Das spart dort Emissionen, die das Industrielandschließlich mehr emittieren darf. Dieser Ansatz ist nach-drücklich zu unterstützen, gerade weil er das Interesse derEntwicklungsländer an einer Entwicklung und am Trans-fer von Technologie hin zu einer sauberen Entwicklungbegünstigt.Unter diesen Mechanismus kann man natürlich auchandere Dinge als das erwähnte Solarkraftwerk fassen.Vorschläge gibt es zuhauf: konventionelle Kohlekraft-werke, Atommeiler, Riesenstaudämme. Damit kann die-ses Instrument auch für Technologien gebraucht und – ichsage – missbraucht werden, die in den Industrieländernselber längst Ladenhüter sind und dort nicht mehr ak-zeptiert werden. Konventionelle Kohlekraftwerke inChina sind doch das Problem und nicht die Lösung desProblems.
Atomkraftwerke in Indien, importiert von Japan unterdem Gütesiegel der umweltverträglichen Entwicklungund jenseits aller Regelungen über die Nichtweiterver-breitung und Proliferation von nuklearen Waren – soll dasetwa die versprochene Nachhaltigkeit im Klimaschutzsein? Es wäre absurd, wenn dieser vorgeblich umweltver-trägliche Mechanismus Anreiz dafür böte, dass die Ent-wicklungsländer noch einmal all die Fehler durchlaufen,die wir in den Industrieländern gemacht haben, etwa ineine Technologie einzusteigen, deren Müllproblem nochin keinem Industrieland gelöst wurde. Ich sage Ihnen mitNachdruck: Das wollen wir nicht, jetzt nicht und in Zu-kunft nicht.
Deswegen finde ich es erfreulich, dass wir uns in Eu-ropa, mit Großbritannien, mit Frankreich zusammen,darauf verständigt haben, dass eine Positivliste der zuläs-sigen Projektkategorien für diesen Mechanismusumweltverträglicher Entwicklung bestimmt werden soll.Damit soll garantiert werden, dass nur hoch effiziente undwirklich nachhaltige Technologien zum Zuge kommen.Wir wollen sicherstellen, dass im Rahmen dieses Mecha-nismus eben keine Nuklearprojekte zugelassen werden.Diese gemeinsame Position der EU ist, wie Sie vermu-ten werden, noch weit davon entfernt, die ungeteilte Zu-stimmung aller Staaten zu finden. Aber die Diskussionzeigt, dass viele Entwicklungsländer nachdrücklich ins-besondere an hoch effizienten und, was die Stromversor-gung angeht, vor allem an dezentralen Technologien in-teressiert sind, weil sie in ihren Ländern in der Regel nicht
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über das verfügen, was wir haben, nämlich ein entspre-chendes Netz, über das Elektrizität auch in dünn besie-delten Gebieten verbreitet werden kann.Drittens. Es geht um die Frage der Zusätzlichkeit: Wel-chen Teil meiner angestrebten Reduktionen darf ich imAusland einkaufen und wie viel muss ich im eigenenLande erbringen? Das ist eine Diskussion, die wir in derBundesrepublik mit ziemlicher Eindeutigkeit bei der Ver-abschiedung des Klimaschutzprogramms geklärt haben.Ich frage Sie allerdings – ich frage auch in Richtung an-derer Industriestaaten –: Wie glaubwürdig ist ein Proto-koll, bei dem die größten Verschmutzer im eigenen Landuntätig sein können? Kann es sein, dass sich Länder wieetwa die USA, die allein mehr als ein Drittel der Emissio-nen der Industrieländer aufweisen, fast ausschließlichüber eingekaufte Emissionsreduktionen aus anderen Län-dern Klimaschutzmaßnahmen im eigenen Lande erspa-ren? Kann das Treibhausproblem so gelöst werden?Kioto – darüber sind sich die Wissenschaftler einig –kann mit dem 5-Prozent-Reduktionserfordernis für die In-dustrieländer nur ein erster Schritt sein. Bis zur Mitte desJahrhunderts müssen die Industriestaaten ihre Emissionennoch einmal um gut die Hälfte senken, um den Treibhaus-effekt wenigstens einigermaßen wirkungsvoll einzudäm-men. Das bedeutet eine drastische Kehrtwende in denmeisten Industriestaaten. Um diese überhaupt vollziehenzu können, brauchen wir permanente und weit reichendetechnische Innovationen.Genau hier liegt das Problem des unbeschränkten grenz-überschreitenden Emissionshandels und anderer Kioto-Me-chanismen: Wenn Treibhausgase im Ausland immer nur dareduziert werden, wo es am billigsten ist, dann drosselt diesdie frühe Entwicklung von Zukunftstechnologien; es för-dert nicht die notwendigen technischen Quantensprünge. Eswird dann unmöglich werden, die notwendigen Ziele für diekommenden Dekaden zu vereinbaren.
Deswegen hat sich die EU bereits unter der deutschenRatspräsidentschaft auf eine Position zur Zusätzlichkeitgeeinigt, wonach höchstens die Hälfte der Reduktionenim Ausland erbracht werden darf. Diese Regelung be-grenzt wirkungsvoll auch den Verkauf von nicht benötig-ten Emissionsrechten, etwa in einer Reihe von osteu-ropäischen Ländern, die so genannte heiße Luft. Auchdies wird sicherlich ein zentrales Verhandlungsthema inDen Haag.Nachdem die EU anfänglich mit dieser Position kaumGehör fand, werden wir nach intensiven Gesprächen mitt-lerweile von Ländern wie Indien, China, von der Gruppeder afrikanischen Staaten und von der Gruppe der kleinenInselstaaten unterstützt. Südafrika fordert sogar einen 70-prozentigen Anteil für Maßnahmen im eigenen Land, wasdie Verpflichtung der Industriestaaten angeht.Die Bundesregierung will in Den Haag ein Ergebnis er-reichen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass wirnachdrücklich an der Bildung der EU-Verhandlungsposi-tion beteiligt waren und sind. Nun geht es darum, dieseabschließend zu verhandeln. Ich will aber auch sagen: So-sehr wir uns ein In-Kraft-Treten des Protokolls im Jahre2002 wünschen – nicht jedes Ergebnis ist ein gutes Er-gebnis. Wir suchen einen Kompromiss, aber wir suchenkeinen Kompromiss um jeden Preis. Wir wollen – wirgreifen damit eine Forderung des Bundeskanzlers auf der5. Klimakonferenz auf – die Ratifikation des Protokollsim Jahre 2002, zehn Jahre nach dem Erdgipfel in Rio.Zu diesem Ziel haben sich inzwischen viele Staaten be-kannt – neben Europa Japan, Norwegen und Russland so-wie viele Entwicklungsländer.Ungeachtet der unterschiedlichen klimapolitischen Po-sitionen treffen bei der Frage des In-Kraft-Tretens desProtokolls sehr unterschiedliche Interessen zusammen:Nur mit einem verbindlichen Protokoll wird es für dieEntwicklungsländer zusätzliche Maßnahmen für eine sau-bere Entwicklung geben. Nur mit einem ratifizierten Pro-tokoll wird ein internationaler Emissionshandel möglichsein. Deshalb halte ich einen Kompromiss zwischen Eu-ropa, den konstruktiven Staaten der so genannten Um-brella-Group und Schlüsselländern der G 77, also denEntwicklungsländern, für möglich.
Die Messlatte für einen solchen Kompromiss liegtheute schon auf: Die Umsetzung des Kioto-Protokollsmuss zu echten, signifikanten Minderungen von Treib-hausgasemissionen in Industrieländern führen. Die Indus-trienationen haben mit ihren Emissionen die Hauptver-antwortung für den Treibhauseffekt; deswegen müssen siesie mindern. Nur wenn unter dem Strich der Einstieg ineine solche Entwicklung sichergestellt ist, können wir be-haupten, dass Den Haag ein Erfolg war.
Ich habe das Thema Klima bei allen Gesprächen mit in-ner- und außereuropäischen Kollegen zu einem meinerHauptpunkte gemacht. Immer wieder habe ich das Ge-spräch gerade mit schwierigen Verhandlungspartnern ge-sucht, um sie besser zu verstehen, unsere Sicht darzulegenund für unsere Position zu werben. Den USA und den sieunterstützenden Industrieländern sage ich Folgendes: Sosehr ich mit den USA über die von ihnen angestrebtenSchlupflöcher streite, so sehr verstehe ich eine der Haupt-forderungen der USA. Der Treibhauseffekt ist ein globa-les Problem und er verlangt nach globalen Lösungen.Deshalb wird immer wieder eine frühzeitige Verpflich-tung auch von Schwellenländern gefordert.Es ist aber gleichzeitig wahr, dass 80 Prozent allerTreibhausgase in der Atmosphäre von den Industrienatio-nen stammen, die auch heute noch pro Einwohner etwafünfmal so viel Treibhausgase emittieren wie die Ent-wicklungsländer; die USAemittieren sogar etwa zehnmalmehr. Deswegen spreche ich mich nicht gegen Emissi-onsreduktionen in Entwicklungsländern aus, sondernsetze mich dafür ein, dass die Industrieländer voran-schreiten müssen.
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Nur so werden wir das Problem langfristig in den Griff be-kommen.Den Entwicklungsländern möchte ich sagen: Ich sehemit Sorge, dass im Zusammenhang mit der globalen Er-wärmung die Entwicklungsländer besonders verwundbarsind. Die verstärkte Ausbreitung von Epidemien, dieVersalzung von Böden bis hin zu extremen Sturmschädenoder der schiere Existenzkampf kleiner Inselstaaten, dieim wahrsten Sinne des Wortes abzusaufen drohen, sindbereits heute schwerwiegende Probleme; sie werden nichterst in der Zukunft sichtbar werden. Deswegen müssenwir die Entwicklungsländer dabei unterstützen, dem Kli-mawandel wirkungsvoll zu begegnen.
Hierzu gehören institutionelle Kapazitäten, hierzugehören aber schlicht und ergreifend auch Gelder fürDeichbau und ähnliche Maßnahmen, die die Anpassungs-fähigkeit dieser Länder verstärken. Ich habe deshalb imRahmen des Mechanismus für umweltverträgliche Ent-wicklung Regelungen vorgeschlagen, die die Nachhaltig-keit der Projekte unterstützen sollen. Hierzu gehört insbe-sondere die Bevorzugung kleiner Projekte. Hierzu gehörtin meinen Augen auch ganz dringend, dass wir Sorgedafür tragen müssen, diesen so genannten Clean Deve-lopment Mechanism möglichst frühzeitig in Bewegungzu bringen, bevor im Jahre 2002 das Protokoll in Kraft tre-ten wird.Wir sind Teil des Problems und deswegen haben wireine Verantwortung. Die Bundesrepublik will internatio-nal eine Vorreiterrolle einnehmen; denn nur wenn wir vor-machen, dass sich Klimaschutz lohnen kann, dass erArbeitsplätze schafft und technologische Zukunft sichert,nur wenn wir vorleben, dass wir zu unseren Prinzipienstehen und dabei Spitzenpositionen in der Wirtschaft be-legen können, können wir erreichen, dass auch anderediesen Weg einschlagen und aktive Klimaschutzpolitikbetreiben.
Das ist unser Beitrag, um den Prozess des Klimaschutzesam laufen zu halten und vorwärts zu bringen.Deswegen ist es so wichtig, dass die Bundesregierungein Klimaschutzprogramm vorgelegt hat, das die an-spruchsvollen Ziele der Bundesrepublik zu einer Emissi-onsreduktion – die übrigens in einem breiten Konsens vonallen Kräften in der Bundesrepublik getragen werden –durch rein nationale Maßnahmen verwirklicht. Die Bun-desrepublik setzt damit um, was auch BundeskanzlerSchröder bekräftigt hat: Reduktion der CO2-Emissionenum 25 Prozent bis zum Jahre 2005.Deutschland hat heute mit 180 Millionen Tonnen mehrCO2 reduziert als ganz Europa zusammen. Wir wollen denEmissionsausstoß noch einmal um 50 Millionen bis70 Millionen Tonnen bis 2005 mindern. Das verpflichtetallerdings auch, wie eine philippinische Delegierte auf der5. Vertragsstaatenkonferenz 1999 in Bonn unterstrich.Wenn aber Deutschland, sagte sie, von seinem bisherigenPfad abweicht und seine Klimaschutzziele verfehlt, dannwird auch das Signalcharakter haben. Die Staaten derWelt schauen nach Deutschland und sie schauen genauhin.Die Bundesregierung ist für die Klimaschutzkonferenzin Den Haag gewappnet. Wir freuen uns, mit einer Dele-gation aus Mitgliedern dieses Hauses sowie Vertretern derBundesländer und der Nichtregierungsorganisationendort verhandeln zu können. Ich glaube, wir haben in derPhase der Vorbereitung auf diese Verhandlungen unsereHausaufgaben gemacht und unsere Verhandlungslinie zu-sammen mit unseren europäischen Partnern festgelegt.Wir werden auf dieser Konferenz eine konstruktive, aberauch eine feste Haltung einnehmen, und zwar sowohl in-nerhalb der Europäischen Union als auch gegenüber un-seren Vertragspartnern aus Nord und Süd. Wir wissen,was wir erreichen wollen. Wir sind uns allerdings auch da-rüber im Klaren, dass es Grenzen der Akzeptanz gibt.Die Bundesrepublik steht zu ihrer Vorreiterrolle imKlimaschutzprozess und wird sie weiter aktiv gestalten;denn wir haben nur eine Erde und der Erhalt ihrer natür-lichen Lebensgrundlagen sollte für uns alle oberstes Ge-bot sein.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.
HerrPräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Trittin,wir wünschen Ihnen viel Erfolg auf der Konferenz in DenHaag. Wir wollen, dass Sie dort erfolgreich sind, weil wirder Meinung sind, dass das Problem, um das es geht, großgenug ist, um über Differenzen in Einzelheiten hinweg-zusehen. Es gibt sicherlich die eine oder andere Position,bei der wir nicht einer Meinung sind. Aber das wird unsnicht davon abhalten, für die Positionen, wie Sie sie in denGrundzügen beschrieben haben, zu werben und zu derenerfolgreicher Durchsetzung beizutragen.
Wir können es uns nicht erlauben, in einer so zentralenFrage wie der des Klimaschutzes weltweit keinen Erfolgzu erzielen. Klimaschutz ist kein Randthema für Ökofeti-schisten. Vielmehr ist es eine der größten Herausforde-rungen unserer Zeit. Wir arbeiten in der Bundesrepublikschon sehr lange an Strategien zur Beantwortung derFrage, wie die Probleme des Klimaschutzes erfolgreichangegangen werden können. Dass der Erfolg auf diesemGebiet notwendig ist, wird deutlich, wenn man sich dieKatastrophen anschaut, die es schon zurzeit gibt: Flutka-tastrophen, Überschwemmungen und Erdrutsche. Im Ver-gleich zu dem, was uns noch erwarten wird, ist dies nochwenig. Wenn erst große Teile der Welt versteppt und ver-ödet sind und wenn Völkerwanderungen wegen Hungers-nöten einsetzen, dann werden wir vor ganz anderen Pro-blemen stehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir handeln,
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Bundesminister Jürgen Trittin12516
und zwar umgehend, dass wir uns die Ergebnisse der Wis-senschaftler und Experten zu Eigen machen und so zu ent-scheidenden Resultaten kommen.Ein Ansatz zur Kritik, Herr Minister: Ich glaube, wirhätten wesentlich früher – das ist unter der damaligenUmweltministerin Merkel schon angegangen worden –die Wissenschaft bei den essenziellen Fragen, um die esin diesem Protokoll geht, zurate ziehen müssen und dieErgebnisse der Wissenschaft früher instrumentalisierenmüssen, als Sie es getan haben. Vielleicht hätten wir danneinen besseren Beitrag zur Beantwortung der Frage leis-ten können, wie wir mit dem Problem des Emissions Tra-ding auf der einen Seite und mit den Problemen der CleanDevelopment Mechanism und der Senken auf der anderenSeite umgehen sollen.
Wir hatten diese Probleme auf der Konferenz in Kioto da-mals direkt angesprochen. Daher, so meine ich, hätte hierfrüher etwas geschehen können.Wenn wir wollen, dass nach den – man muss dies un-geschminkt sagen – erfolglosen Konferenzen in BuenosAires und in Bonn jetzt kein dritter Flop folgen soll, dannwerden wir mit Klarheit – auch in diesem Punkt folgenwir Ihnen, Herr Trittin –, aber auch, so will ich hinzufü-gen, mit einer gewissen Flexibilität argumentieren müs-sen, ohne das Leitziel aus den Augen zu verlieren. Ichsage das auch vor dem Hintergrund, dass wir ansonstenscheitern werden, das große Ziel, die Ratifikation desKioto-Protokolls bis 2002, zu erreichen. Ein solchesScheitern wäre katastrophal.Unser Wille, Flexibilität zu zeigen, beruht auch auf derEinsicht, dass wir als Europäer – ich sage ganz deutlich:als Europäer – keine falsche Selbstgerechtigkeit an denTag legen dürfen. Völlig zu Recht haben Sie hervor-gehoben, dass die Erfolge im Klimaschutz in Europa nichteuropäische, sondern deutsche Erfolge sind. Wenn jetztanlässlich des Umweltministerrates gesagt wird, die Staa-ten der EU haben ihre Emissionen reduziert, dann mussman feststellen, dass dies nur möglich war, weil die Bun-desrepublik Deutschland ihre Emissionen entsprechendreduziert hat. Wenn man sieht, dass viele, die den Mundvoll genommen haben – zum Beispiel die nordischenStaaten und Dänemark –, weiterhin eine Erhöhung undnicht Reduktion ihrer Emissionen anmelden, dann mussman den Finger in die Wunde legen und deutlich sagen,worauf es ankommt.
Es hilft in diesem Zusammenhang dann auch nicht,wenn von einem Teil dieser Staaten die Forderung nachAusstieg aus der Kernenergie unterstützt wird. Ichglaube, wir können die notwendigen Emissionsreduktio-nen im Durchschnitt auf Dauer nicht erreichen, wenn wiraus der Kernenergie aussteigen. Ich fordere Sie, HerrMinister, deshalb auf, Ihren Weg bezüglich dieser Fragezu überdenken. Es geht dabei nicht um die Lösung desProblems bis 2005. Diesen Zeitpunkt hat Ihr Koalitions-partner Ihnen ohnehin schon ausgetrieben. Aber gerade inder entscheidenden Phase, von 2020 bis 2050, werden wirdarauf angewiesen sein, einen Durchbruch in dieser Fragezu erzielen.
Herr Minister, Sie haben mit einem warnenden Unter-ton die Mechanismen angesprochen, die wir brauchen.Ich habe festgestellt, dass Sie diese Mechanismen trotz-dem nicht so einseitig dargestellt haben, wie ich das eineZeit lang befürchtet habe. Ich sehe zum Beispiel im CleanDevelopment Mechanism durchaus eine Chance, wäh-rend ein internes Papier Ihres Hauses zu dem Schlusskommt, dieses Instrument sei kein geeignetes Instrumentzur Armutsbekämpfung. Ich glaube schon, dass man dieSynergieeffekte, die sich aus diesem Instrument ergeben,nutzen sollte, nämlich auf der einen Seite Fortschritte imKlimaschutz zu erreichen und auf der anderen Seite damitdie Armut zu bekämpfen.Wenn man sich anschaut, was Sie bei früheren interna-tionalen Verhandlungen in Sachen Technologietransferund Entwicklungshilfe zugesagt haben – ich will Sie garnicht an Ihre Versprechen erinnern, die Sie zu früherenZeiten in diesem Hause abgegeben hatten –, dann mussman eindeutig konstatieren, dass das alles nicht eingetre-ten ist. Ich bin sehr dafür, mithilfe dieses Instruments denKlimaschutz mit der Entwicklungshilfe und Armutsbe-kämpfung zu verbinden. Dies ist ein ganz entscheidenderPunkt.Ein zweiter Punkt. Wenn wir über die Senken diskutie-ren – ich habe gerade schon gesagt, wir hätten den wis-senschaftlichen Sachverstand schneller nutzen sollen, sowie wir das vorgeschlagen haben –, dann muss man auchdie Aufforstung als Möglichkeit in Betracht ziehen. Auchhier, so habe ich gerade festgestellt, besteht zwischen unskein Widerspruch. Es gibt eine Reihe von Schwellenlän-dern, bei denen demonstriert werden kann, dass schädli-che Entwicklungen wie Versteppung und Erosion vonBöden mit Aufforstung unter Einsatz des Klimaschutzin-strumentariums wieder rückgängig gemacht werden kön-nen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat früher neben die-sem Mechanismus das Instrument Joint Implementationvorangetrieben. Angesichts der Tatsache, dass andereLänder dieses Instrument viel stärker nutzen als wir, seheich in diesem wichtigen Bereich einen ganz großen Nach-holbedarf.Der Minister hat nicht zu Unrecht darüber gesprochen,dass derjenige, der im Ausland etwas bewirken will, zuHause etwas tun muss. Wir haben in der BundesrepublikDeutschland in der Vergangenheit viel erreicht. HerrMinister, ich möchte aber dennoch darum bitten – in an-deren Debatten habe ich dies anders formuliert –, dass Siedas Tempo, mit dem wir im Klimaschutz voranschreiten,endlich verschärfen.Ich möchte in diesem Zusammenhang ein ganz klassi-sches Beispiel anführen: Im Klimaschutzprogramm nen-nen Sie Ziele. Aber die meisten dieser Maßnahmen haben
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Sie noch nicht einmal eingeleitet. Da liegen noch garkeine konkreten Aussagen vor. Arbeiten Sie daran! Be-schleunigen Sie dies!Wir haben Ihnen vor gut zwei Jahren eine nahezu fer-tige Energieeinsparverordnung hinterlassen, mit derwir im Gebäudebereich in wesentlichen Teilen Verbesse-rungen erreichen wollten. Nutzen Sie diese doch! ZweiJahre haben Sie vertan. Sie diskutieren intern immer nochüber Dinge, die ich für Kleinigkeiten halte. Es ist viel zuschade, dieses Instrument ungenutzt zu lassen. Sie vertunZeit, die dringend erforderlich wäre.
Herr Minister, springen Sie doch einmal über IhrenSchatten! Nutzen Sie nicht nur das Instrument der Zins-bezuschussung, das im Rahmen der KfW-Programme be-steht, die wir seinerzeit eingeführt haben und die Sieerfreulicherweise fortführen. – Ich akzeptiere auch, dassSie auf diesem Gebiet mehr investieren wollen. – RingenSie sich vielmehr dazu durch, auch auf eine steuerlicheFörderung zu setzen, damit wir das in diesem Bereich be-stehende Potenzial wirklich ausschöpfen können!Auch in meiner Fraktion waren in diesem Zusammen-hang lange Diskussionen nötig. Aber wir haben uns jetztentgegen allen steuersystematischen Bedenken, die esauch bei uns gab, dazu durchgerungen, zu sagen: Damit wirdieses Instrument voll ausreizen können, fordern wireine steuerliche Förderung gerade im Altbaubestand. –Schließen Sie sich dem doch an! Dann haben Sie sogar dieChance, das für 2005 vorgesehene Klimaschutzziel zu er-reichen. Das sollten Sie tun.
Herr Minister, diese Maßnahmen sollten Sie damit ver-binden, Ihren falschen Weg in Bezug auf die Erhebung derÖkosteuer und den Kernenergieausstieg – das sage ichganz deutlich – aufzugeben.Im Hinblick auf das Instrument der Selbstverpflich-tungen haben Sie hinzugelernt. Ich akzeptiere das und binsehr zufrieden. Früher haben Sie Selbstverpflichtungenabgelehnt; heute praktizieren Sie sie. Wenden Sie diesesInstrument nicht nur im Hinblick auf die Wirtschaft ins-gesamt an, sondern treffen Sie Vereinbarungen zum Bei-spiel konkret mit der Automobilindustrie. Wir müssen dasInstrument der Selbstverpflichtung im Bereich der Auto-mobilindustrie verstärken. Dazu höre ich von Ihnennichts. Es kann nicht sein, dass der Fraktionsvorsitzendeder Grünen hier positiv über die durch das Auto beste-hende Mobilität spricht und zusammen mit der Automo-bilindustrie eine entsprechende Strategie fordert, währendSie diesen Punkt völlig unerwähnt lassen und ihn nichtaufgreifen. Ich meine, auch hier besteht Handlungsbedarf,damit wir die wesentlichen Felder, um die es geht, ab-decken.Mein Appell am heutigen Tag geht dahin, dass auch deramerikanische Präsident – wie auch immer er heißenwird – die in seinem Land gegen den Klimaschutz beste-hende Blockade lockert. Ich hatte mir früher von Al Goremehr versprochen. Ich hoffe, er wird, wenn er denn Präsi-dent werden wird, diese Blockade beenden. Ich hoffe,dass Bush, wenn er denn Präsident werden sollte, ähnli-che Initiativen in diese Richtung ergreift.
In vielen Gesprächen mit amerikanischen Politikernhabe ich immer wieder deutlich gemacht, dass dies nichtzu einer Wettbewerbsverzerrung und zu einer Benachtei-ligung der USA führen wird: Wenn wir gemeinsam Maß-nahmen ergreifen, dann ändern sich die zwischen denUSA und der Bundesrepublik Deutschland bestehendenWettbewerbsbedingungen nicht. Die „Denke“ der USAhatten auch wir vor 15 Jahren. Lassen Sie uns durch Dis-kussionen und mit viel Überzeugungsarbeit erreichen,dass auch andere Länder hier in Bewegung kommen.Denn ohne die USA werden wir den Weg des Klima-schutzes nur schwer mit Erfolg beschreiten können.Noch einmal, Herr Trittin: Wir wünschen Ihnen für dieanstehenden Verhandlungen viel Erfolg im Sinne der ge-meinsamen Anstrengung, das Klimaschutzziel zu errei-chen.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Ulrike Mehl, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Herr Lippold, ich habe noch nie hierim Plenum von Ihnen eine so moderate Rede gehört. Ichbin ganz überrascht.
Ich dachte, jetzt kommt wieder unser aller Blutdruck inWallung. Ich war vorher schon wach; deswegen störteIhre moderate Rede dann nicht. Ich freue mich, dass Siemit uns an einem Strang ziehen wollen. Dieses internatio-nale Thema ist in der Tat nicht für innenpolitische Aus-einandersetzungen, wie sie üblicherweise ablaufen, ge-eignet.
Aber lassen Sie mich eines anmerken: Ich finde eshochspannend, dass Sie sagen, steuerliche Anreizinstru-mente hätten Sie während Ihrer Oppositionszeit als rich-tig erkannt, und dass Sie nun in eine Richtung gehen wol-len, die Sie vorher, wie Sie sagten, nicht bzw. in zugeringem Umfang gegangen seien.
Wäre Ihnen das ein bisschen früher aufgegangen, hättenwir beim Klimaschutz einige Probleme weniger. – Dabeiwill ich es zu diesem Thema belassen.
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Klar ist – hierin sind sich die Forscher weitgehend ei-nig –, dass der Klimawandel bereits begonnen hat undein Vorgeschmack durchaus schon zu spüren ist. So ist– wie wir wissen – zum Beispiel eine drastische Zunahmeschwerer Stürme zu verzeichnen. Die sieben der zehnheißesten Jahre seit der Messung und Aufzeichnung vonWetter, nämlich seit der Mitte des letzten Jahrhunderts,waren in den 90er-Jahren. Dies ist kein Zufall. Das deut-liche Abschmelzen von Gletschern auch in den Alpen istein Beleg dafür, dass es hier einen Wandel gegeben hatund wir handeln müssen, und zwar sehr schnell.Deshalb halte ich es für besonders wichtig und richtig,dass die Bundesregierung das nationale Klimaschutzpro-gramm bereits beschlossen hat, und zwar unabhängig vonden Ergebnissen der bevorstehenden Klimaschutzkonfe-renz in Den Haag. Damit werden wir Lücken im Klima-schutz schließen. Wir können es noch schaffen, das Ziel,das sich schon die alte Regierung gesteckt hat und das dieneue Regierung aufrechterhält, nämlich eine 25-prozen-tige CO2-Minderung gegenüber dem Stand von 1990, zuerreichen.Ich will mich nicht so sehr mit der Vergangenheit undder Frage beschäftigen, was in den letzten Legislaturperi-oden alles hätte erreicht werden können, wenn man esrechtzeitig angepackt hätte, denn damit kommen wir demKlimaschutzziel keinen Millimeter näher. Vielmehr wirdes neben der Umsetzung des vorhandenen Wissens fürden innenpolitischen Erfolg der Klimaschutzpolitik ent-scheidend sein, die Akzeptanz für diese lebensnotwendigepolitische Weichenstellung zu fördern. Wir müssen denvon der Rio-Konferenz 1992 ausgesandten Impuls für dieinternationale und nationale Umwelt- und Klimapolitikaufgreifen und verstärken. Wir müssen es schaffen, dieBegriffe „Nachhaltigkeit“, „Klimaschutz“ und „Erhal-tung der biologischen Vielfalt“ mit klaren politischen In-halten zu untermauern.Eines der Probleme ist – auch in der internen Diskus-sion –, dass es viele unterschiedliche Vorstellungen überden Inhalt und die Bedeutung dieser Begriffe gibt undman uneins ist, welche Konsequenzen daraus zu ziehensind. Umso wichtiger ist es, über sie zu kommunizierenund klarzumachen, welche Ziele und welche Wege zumErreichen dieser Ziele hinter diesen Begriffen stehen. Wirwerden das unter anderem mit der Einrichtung des Ratesfür Nachhaltigkeit umsetzen.Immerhin haben in Rio 150 Staaten die Klimarahmen-konvention unterzeichnet und damit das Ziel der Konven-tion, nämlich die Stabilisierung der Treibhausgaskonzen-tration in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen,auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Kli-masystems verhindert wird, anerkannt. Im Dezember1997 verpflichteten sich die Industrieländer mit demschon mehrfach genannten Kioto-Protokoll, die Emissio-nen der sechs festgelegten Treibhausgase um mindestens5 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 in einem be-stimmten Zeitrahmen zu reduzieren.Jetzt steht die 6. Vertragsstaatenkonferenz in DenHaag unmittelbar vor der Tür. Dort wird es um die For-mulierung und Festlegung der flexiblen Mechanismen,um Emissionshandel, um die gemeinsame Umsetzungvon Reduktionsverpflichtungen und um Mechanismen füreine umweltverträgliche Entwicklung gehen. Dies wirdein entscheidender Schritt sein. Wenn diese Konferenzscheitert, dann wird dies – dafür gibt es viele Gründe – einherber Rückschlag für die internationalen Bemühungenum den Klimaschutz sein. Aber eines ist für mich klar:Das kann nicht heißen, dass etwa Deutschland oder Eu-ropa von den selbst gesteckten Zielen, die spätestens mitKioto noch einmal festgelegt worden sind, abrückt. DieBemühungen müssen auf jeden Fall weitergehen.
Auf der Konferenz muss erstens sichergestellt werden,dass es global zu echten überprüfbaren Emissionsreduk-tionen kommt, die durch ein durchschaubares Kontroll-und Sanktionssystem gesteuert werden können. Es nütztüberhaupt nichts, nur Zahlen hinzuschreiben und zu for-mulieren, was man erreichen möchte, wenn man nichtkontrollieren kann, ob diese Ziele tatsächlich erreichtwerden, und wenn es nicht sanktioniert wird, sofern dieseZiele nicht ernsthaft angegangen, sondern nur auf dem Pa-pier festgelegt werden.Zweitens. Die Kioto-Mechanismen dürfen nationaleKlimaschutzmaßnahmen nicht ersetzen, sondern nur er-gänzen. Mindestens 50 Prozent der Treibhausgasminde-rungen müssen im eigenen Land erreicht werden.Drittens. Im Rahmen des Clean Development Mecha-nism und der gemeinsamen Umsetzung dürfen ausschließ-lich modernste, hoch effiziente, umweltfreundliche undsozialverträgliche Technologien von den westlichen In-dustrieländern in die Entwicklungsländer und in die Staa-ten Mittel- und Osteuropas transferiert werden. Projektemit zweifelhafter Umwelt- und Sozialauswirkung darf esnicht geben.
Viertens. Der Einbeziehung der CO2-Senken in dieEmissionsbilanzen stehen wir durchaus skeptisch gegen-über. Aufforstung und Wiederaufforstung sind zwar sinn-volle Maßnahmen des Klimaschutzes, können aber nursehr schwer eingerechnet werden. Wir wissen aus den bis-herigen Diskussionen, dass gerade in diesem Instrumentder Senken das höchste Missbrauchspotenzial steckt, weildie Möglichkeiten, abzugrenzen – Minister Trittin hatBeispiele dafür genannt –, was tatsächlich klimaschutzre-levant ist, sehr vage sind. Deshalb muss mit diesem In-strument mit allergrößter Skepsis umgegangen werden.Würden sich die USA mit ihren sehr weit gehendenVorstellungen hinsichtlich der flexiblen Mechanismenund der Anrechnung von CO2-Senken durchsetzen, dannkönnten sie ihren CO2-Ausstoß sogar steigern – aus-gerechnet die USA! Das – ich denke, da sollten wir uns ei-nig sein – gilt es zu verhindern, wenn wir acht Jahre nachRio wirklich ernsthafte Schritte in der Klimaschutzpolitikvorankommen wollen.Wie auch immer die Präsidentenwahl in den USA aus-gehen wird: Das Verhältnis der USA zum Klimaschutz-prozess und zum Kioto-Protokoll wird immer schwierig
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sein. Aber es kann nicht sein, dass dieses Thema weltweitins Stocken gerät oder sogar rückwärts geht, weil eine Na-tion nicht in der Lage oder nicht willens ist, diese Schrittezu gehen. Wir sollten uns als Europa und als Deutschlanddadurch überhaupt nicht davon abbringen lassen, dieZiele, die wir bisher gesteckt haben, forsch anzugehen.
Im Zusammenhang mit der Überlegung, welche Dingeman einrechnen kann und welche nicht, will ich nicht un-erwähnt lassen, dass wir es nicht für verantwortbar halten,Kernkraftwerke oder die Kernkraft insgesamt im Rah-men von CDM anrechenbar zu machen. Wir brauchen denAusstieg aus dieser Risikotechnologie und wir brauchenihn nicht nur in Deutschland; denn das ist keine ideologi-sche Debatte, sondern das ist eine Frage von Zukunfts-technologien und von Sicherheit und damit eine interna-tionale Frage. Deswegen sind wir der Meinung, dass dieKernkraft auf keinen Fall einem dieser Mechanismenangerechnet werden darf.
Ich will es deutlich sagen: Es wäre eine große Gefahr,wenn die führenden Industrienationen allein durch dieflexiblen Mechanismen rechnerisch in der Lage wären,ihre Emissionsverpflichtungen einzuhalten. Dann gäbe esnämlich keinen Anreiz für mehr entsprechende Technolo-gien, für Energiesparmaßnahmen oder für regenerativeEnergien, die über den derzeitigen Stand der Technik hi-nausgehen. Es geht nicht darum, nur die Entwicklung, diewir bisher hatten, fortzusetzen, sondern wir brauchen ei-nen besonderen Schwung – den haben wir jetzt in den An-fängen – für eine Effizienzrevolution und für die erneuer-baren Energien. Wir wollen nicht, dass dieser Trend einenempfindlichen Dämpfer bekommt. Deswegen dürfen wir,auch auf internationaler Ebene, nicht bestrebt sein, mitfossilen Energien, mit alten Technologien voranzukom-men, sondern müssen die Klimaschutzziele überwiegendim eigenen Land erreichen und die neuen Technologien,auch im Interesse der Entwicklungsländer, hier voran-bringen.
Deshalb ist es wichtig, dass die deutsche Bundesregie-rung mit solchen Vorgaben nach Den Haag geht. DennDeutschland verhandelt in Den Haag ja nicht alleine, son-dern die Staaten der Europäischen Union verhandeln ge-meinsam und haben auch schon ein gemeinsames, bishergutes Fundament gefunden. Die Devise muss lauten: wegvon der Energieverschwendung, hin zu regenerativenEnergien und zu optimaler Ressourcennutzung, hin zuKreislaufwirtschaft und Produktverantwortung. Das be-deutet nämlich auch ein Stück Unabhängigkeit von Ölim-porten und Dollarkursschwankungen. Wir müssen imSinne der nachhaltigen Entwicklung und der Agenda-21-Prozesse, die ja auch in Rio beschlossen worden sind,weiterdenken und an neuen Lebensstilen arbeiten und for-schen.Ich denke, das Spektakel um Benzinpreise und Öko-steuer ist der beste Beweis dafür, dass wir weltweit einetechnologische und energiepolitische Revolution brau-chen. Wenn wir heute schon das Zwei- oder Dreiliterautohätten oder gar Brennstoffzellen als Antrieb genutzt wer-den könnten, wenn die überwiegende Zahl der Häuser aufder Grundlage von Niedrigenergiestandards gebautwürden, dann würde sich doch heute kein Mensch da-rüber aufregen, dass Energiepreise von Rohöl steigen.
Wenn diese Schritte schon sehr viel früher eingeleitet undkonsequenter gegangen worden wären, dann hätten wirheute eine ganz andere Diskussion.
Diese Bundesregierung und diese Koalitionsfraktionenhaben in den zwei Jahren, in denen sie jetzt die Mehrhei-ten haben und die Regierung stellen, schon eine ganzeReihe von Projekten in Marsch gesetzt. Diese Chance hät-ten auch Sie vorher gehabt,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Siehaben sie leider nicht nutzen können; aber wir haben siegenutzt, insbesondere im Energiebereich.Wir werden auf diesem Weg weitergehen, und wir wer-den diese Bundesregierung weiterhin intensiv dabei be-gleiten, damit wir unsere Klimaschutzziele auch zukünf-tig erfüllen können.
Ich erteile Kollegin
Birgit Homburger, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst anHerrn Minister Trittin wenden und auf seine Rede einge-hen. Ich muss sagen, es ist bemerkenswert: Es war einerichtige Energiesparrede, die Sie hier gehalten haben.
Da geht es um die Zukunft des internationalen Klima-schutzes, und Sie halten hier im deutschen Parlament einelustlose Vorlesung, die aller Welt noch einmal deutlichmacht, dass Sie überhaupt kein Interesse an diesem Pro-zess des internationalen Klimaschutzes haben.
Die Zeit für salbungsvolle Worte ist wirklich allmäh-lich vorbei. Es geht in Den Haag um sehr viel; es geht da-rum, ob der Prozess des internationalen Klimaschutzesendlich zu Ergebnissen führt. Werden die Verhandlungs-ergebnisse zu weich, dann nützt es dem Klima nichts.Werden die Bedingungen zu hart, steigen die wichtigenIndustrieländer aus.Natürlich ist auch uns klar, dass es bei den so genann-ten Senken Mess- und Umrechnungsprobleme gibt, dass
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Waldprojekte keinen großen Beitrag leisten und auch nurlangfristig wirken. Und auch wir wollen, dass es in den In-dustrieländern nationale Maßnahmen zur Reduzierungvon Emissionen gibt.
Aber hier nur zu sagen und im Antrag nur zu schreiben,was Sie nicht wollen und dass Sie da und dort skeptischsind, das reicht meines Erachtens für einen Auftritt auf derinternationalen Bühne absolut nicht aus.
Was jetzt zählt, sind Taten. Was haben Sie denn dazubeigetragen, dass es in Den Haag zu Ergebnissen kommt?Das ist die Frage, die wir uns hier stellen müssen. Selbst-verständlich hat sich Deutschland an den Koordinations-sitzungen beteiligt. Selbstverständlich haben Sie dieseWoche am Umweltministerrat teilgenommen. Aber glau-ben Sie denn wirklich, dass das reicht?Die bisherigen Fortschritte beim internationalen Kli-maschutz wurden alle dadurch erreicht, dass man nichtnur das Pflichtprogramm abgespult hat. Es waren immerdie besonderen, zusätzlichen Initiativen, die dazu beige-tragen haben, andere Länder zu überzeugen – und da istbei Ihnen absolute Fehlanzeige.
Auch diese Woche beim Ministerrat kam von Ihnen nurBedenkenträgerei. Konstruktive Vorschläge, wie man inDen Haag zum Erfolg kommen kann, hat man von Ihnennicht vernommen. Sie stressen lediglich den Begriff derVorbildfunktion Deutschlands. Diese Vorbildfunktion, dieuns in den internationalen Verhandlungen tatsächlich Ge-wicht verleihen könnte, haben wir längst nicht mehr.Die F.D.P. fordert Sie jetzt seit Monaten dazu auf, inDeutschland endlich die Voraussetzungen zur Ein-führung des Zertifikatehandels zu schaffen – wir habenerst in der letzten Umweltdebatte auch über den entspre-chenden F.D.P.-Antrag beraten –, aber Sie haben hoch-mütig während der ganzen Legislaturperiode nichtsunternommen, um Deutschland konkret auf den Börsen-handel mit Emissionszertifikaten vorzubereiten.
Wenn man international einen solchen Zertifikate-handel will, muss man schlichtweg die Hausaufgaben ma-chen und das eigene Land darauf vorbereiten.
Während andere Länder den Börsenhandel mit Emissi-onsrechten längst vorbereitet haben und ein solcher Han-del im Übrigen in Dänemark in wenigen Wochen tatsäch-lich beginnen wird, verlautet jetzt immerhin, dass dieBundesregierung der Einführung eines Emissionshan-dels aufgeschlossen gegenübersteht. Sie haben das auchheute in Ihrer Rede so gesagt. Da sind wir aber beruhigt.Gratulation, Herr Minister! Immerhin beobachten Sie,was auf der internationalen Bühne passiert, auf derBühne, die im Augenblick im internationalen Klima-schutz die Welt bewegt. Aber die Bühne beherrschen jetztandere. Das war früher anders. Die alte Bundesregierungwar noch ein maßgeblicher Impulsgeber für die interna-tionale Klimapolitik. Grün war für manchen die Hoff-nung, aber sie wurde bitter enttäuscht.
Auch mit der heutigen Rede haben Sie sich wieder öf-fentlich in Schweigen gehüllt. Anders kann man das nichtdeuten. Ihr Fraktionskollege und Parteifreund Loske hatan dieser Stelle vor einigen Tagen zu Ihrer Verteidigungstolz eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema im Bundes-umweltministerium erwähnt. Aber welche Ergebnissehat denn diese Arbeitsgruppe erzielt? Ich bin der Mei-nung, dass der Vorabend der 6. Vertragsstaatenkonferenzder Klimarahmenkonvention kein schlechter Zeitpunktwäre, um der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundes-tag konkrete Resultate zu präsentieren.
Wie wollen Sie denn Emissionszertifikate einführen?An welche Maßnahmen haben Sie gedacht? Wie sieht derZeitplan aus? Befürwortet die Bundesregierung ein Han-delssystem auf Staatenebene, wie im Kioto-Protokoll vor-gesehen, oder eines auf Unternehmensebene, wie imGrünbuch der EU-Kommission vorgesehen? An welcheVerfahren zur Überwachung, Durchsetzung und Sanktio-nierung denkt die Bundesregierung dabei, zumal Sie derIndustrie – letzte Sitzungswoche haben wir das diskutiert –versprochen haben, auf ordnungsrechtliche Eingriffe zuverzichten? Zu alldem hört man von Ihnen nichts. Ichmuss sagen, das ist wirklich eine ganz famose Arbeits-gruppe.
Dann hat Ihr Fraktionskollege uns letzte Woche auchnoch bestätigt, was wir längst wussten: Es existiert unterIhrer Mitwirkung und hinter verschlossenen Türen eineArbeitsgruppe zum Thema Emissionsrechtehandel bei derDeutschen Börse, im Übrigen die einzige ernst zu neh-mende Initiative zu einem Börsenhandel mit Emissions-zertifikaten in Deutschland. Sie wurde von privater Seiteergriffen. Private Unternehmen, Verbände, Wissenschaft-ler haben den Stillstand nicht länger ertragen, haben sichzusammengetan, sind aktiv geworden, und Sie haben sichdrangehängt. Wirklich eine Glanzleistung, Herr Minister!
Aber mit dieser Peinlichkeit noch nicht genug: Da exis-tiert diese Expertengruppe, die sich unter Beteiligungaller einschlägigen Bundesministerien um diese Fragekümmert, und sie ist offenbar ein Geheimklub. Wer istdenn daran beteiligt? Man weiß es nicht genau. Es ist auchkaum zu fassen: Die Vertreter der Bundesregierung in die-ser Runde haben eine Verschwiegenheitserklärung unter-schrieben. Alle Vorlagen und Gesprächsinhalte sind ver-traulich – Klimapolitik also hinter verschlossenen Türenmit anschließender Verkündigung. Das ist Umweltpolitiknach Gutsherrenart.
Ich kann nur bestätigen, was Herr Loske von den Grü-nen in der letzten Sitzungswoche hier gesagt hat. Es wirdimmer deutlicher und immer offensichtlicher, dass
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Absprachen außerhalb des Parlaments stattfinden, dassdem Parlament gewissermaßen nur noch ein Beobachter-status eingeräumt wird. Eine Frechheit, Herr Trittin, wieSie mit dem Parlament umgehen!
Die F.D.P. fordert Sie auf, dem Deutschen Bundestagbei der internationalen Klimapolitik endlich Rede undAntwort zu stehen. Wir haben genug von salbungsvollenWorten und Kaffeekränzchen hinter verschlossenenTüren. Die F.D.P. will den Erfolg von Den Haag, und ichmöchte, dass Sie endlich etwas dafür tun.Danke.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Reinhard Loske, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ver-ehrte Kollegin Homburger, ich will erstens gerne nocheinmal darauf verweisen, dass das Instrument des Emis-sionshandels ein Mittel und kein Zweck ist. Die Art undWeise, wie Sie das Ganze hier idealisieren, geht wirklichvöllig an der Sache vorbei.
Das Zweite. Wenn Sie wollen, dass Emissionshandeltatsächlich stattfindet, müssen Sie sich im Wesentlichendafür einsetzen, dass das Kioto-Protokoll ratifiziert wird;
denn ohne Kioto-Protokoll wird es keinen Emissionshan-del geben. Setzen Sie sich dafür ein, dann tun Sie etwasGutes.Nächster Punkt. Emissionshandel ist vom Kioto-Proto-koll ohnehin erst ab dem Jahr 2007 vorgesehen.
Wir brauchen hier überhaupt nichts übers Knie zu bre-chen, wir haben nämlich noch ein paar Jahre Zeit. Wirsollten hier mit dem Instrument Erfahrungen sammeln,Pilotprojekte durchführen.
Aber jetzt unsere gesamte Klimapolitik daran auszurich-ten, dass Sie so gern Emissionshandel haben möchten, damüssten wir völlig verrückt sein. Das sind wir aber nicht.
Jetzt zu dem Thema Klimaproblematik. Erstens. Vonmehreren Vorrednern wurde schon gesagt: Die wissen-schaftlichen Fakten verdichten sich. Durch den neuenBericht des Wissenschaftlergremiums der Vereinten Na-tionen werden sie noch einmal bestätigt. Sie sind besorg-niserregender als das, was wir bisher wussten. Die Wet-terextreme nehmen zu, Klimazonen verschieben sich.Ein zweites Indiz, das wir zur Kenntnis nehmen müs-sen, ist, dass die Rückversicherer uns mit immer größererSorge sagen, die Klimaschäden seien demnächst nichtmehr zu versichern, wenn wir so fortfahren wie bislang.Das ist ein deutliches Indiz dafür, dass Klimaschutz diebeste Langzeitökonomie ist. Je länger wir mit dem Kli-maschutz warten, desto teuerer wird das Ganze später.Das darf nicht sein.Drittens – auf diesen Punkt möchte ich mit allem Nach-druck verweisen –: Es besteht ein elementarer Zusam-menhang zwischen nationaler Glaubwürdigkeit und derArt und Weise, wie man auf internationaler Ebene agierenkann. Sie müssen doch zugeben, dass das Problem in derVergangenheit in hohem Maße darin lag, dass man zuHause so getan hat, als sei man der große Klimaschützer,und international die Leute gefragt haben: Ja, was machtihr denn wirklich? – Da sah die Bilanz dann doch sehrdünn aus. Sie haben früher Herrn Töpfer und Frau Merkelauf die großen Konferenzen geschickt und zu Hause ha-ben dann Rexrodt und Waigel sozusagen obstruiert, so gutes eben ging, und wir sind nicht weitergekommen. DieseGlaubwürdigkeitslücke ist jetzt dadurch geschlossen,dass wir das nationale Klimaschutzprogramm verabschie-det haben.
Zu den Konferenzen. Man muss vielleicht die Ge-schichte der Konferenzen noch einmal rekapitulieren. Wirhatten 1992 in Rio die Konferenz über Umwelt und Ent-wicklung. Man darf nicht vergessen: Es ging um beideThemen. Dort lag die Konvention zur Unterzeichnungaus. Sie ist 1994 in Kraft getreten. 1995 war hier in Ber-lin die erste große Vertragsstaatenkonferenz. 1997 sind inKioto erstmalig klare Reduktionsziele festgeschriebenworden. Jetzt, 2000, werden hoffentlich alle Hindernisseaus dem Weg geräumt, damit das Protokoll ratifiziert wer-den kann. Idealerweise wird es so sein, dass wir im Jahr2002 – also Rio plus zehn Jahre – das Kioto-Protokoll inKraft setzen können. Das wäre ein schöner Erfolg. Daraufsollten wir hinarbeiten.
Dennoch muss man sagen: Wir haben es hier mit einerschwierigen Balance zu tun. Auf der einen Seite müssenwir ein Interesse daran haben – auch, um sozusagen dasMomentum im Prozess zu halten –, dass das Kioto-Proto-koll bis 2002 in Kraft tritt. Auf der anderen Seite könnenwir jetzt in Den Haag auf keinen Fall einem Kompromisszustimmen, der die Substanz aushöhlt und zu vieleSchlupflöcher zulässt. Denn dann hätten wir 2002 zwarein Protokoll, das ratifiziert werden könnte, aber es würdenichts für den Klimaschutz bringen. Wenn wir vordieser Wahl stehen, entscheiden wir uns ganz klar für die
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Priorität Substanzerhaltung beim Kioto-Protokoll. Dashat für uns absoluten Vorrang.Jetzt zu den Fragen: Vor welcher Situation stehen wiraktuell? Wie ist die Konfliktlandschaft? Wo liegen dieProbleme? Vor welcher Situation stehen wir?Wenngleich wir Klimaschützer der Meinung sind, esist nicht hinreichend, haben wir es erstmalig geschafft,dass im Kioto-Protokoll Reduktionsziele vereinbart wor-den sind: bis 2010 für die Europäische Union minus 8 Pro-zent, für die Vereinigten Staaten minus 7 Prozent, fürJapan minus 6 Prozent, die Russen müssen auf dem Ni-veau von 1990 stabilisieren.Wir sind der Meinung: Das ist nicht ausreichend, aberes ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Inso-fern ist diese Vereinbarung positiv. Wir schwenken auf ei-nen Pfad ein, der tendenziell zukunftsfähig ist. Aber manmuss auch hinzufügen, dass in Kioto weitere Dinge ver-abredet worden sind, die die Sache nicht gerade einfachermachen, nämlich zum einen die so genannten flexiblenMechanismen und zum anderen die Einbeziehung derSenken, also quasi des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs,des Kohlenstoffs, der in den Böden und in den Wälderngespeichert ist.Was die flexiblen Mechanismen Emissionshandel,Joint Implementation und Clean-Development-Mecha-nismus betrifft, so haben sie sicherlich theoretische Vor-züge, aber sie haben natürlich auch enorme praktischeProbleme. Man muss ganz klar erkennen: Wenn man diekonkrete Ausgestaltung dieser Instrumente falsch vor-nimmt, werden sich nicht die Emissionen reduzieren, son-dern die Verpflichtungen der Staaten. Das werden wirnicht akzeptieren.
Welche Konfliktfelder gibt es? Die EuropäischeUnion ist – das darf man sagen – bei der Klimapolitik Vor-reiter. Sie hat das höchste Ziel übernommen, nämlich dieReduktion der Emissionen um 8 Prozent bis 2010. Inner-halb der Europäischen Union haben wir Deutsche und dieBriten sehr anspruchsvolle Ziele übernommen. Man mussaber feststellen – das sage ich versehen mit einem „leider“ –,dass sich nicht alle Staaten an ihre Zusagen halten. Außerder Bundesrepublik Deutschland, dem VereinigtenKönigreich und Luxemburg hat bislang kein Staat Emis-sionen gemindert. Das ist problematisch und kann aufDauer nicht akzeptiert werden.Auch folgender Punkt ist nicht unproblematisch: Ei-nige Mitgliedstaaten der Europäischen Union geben Posi-tionen, die im Ministerrat verabredet wurden, gegenüberden Amerikanern hinter vorgehaltener Hand wieder preis,vor allen Dingen in Bezug auf die Senken und in Bezugdarauf, dass man die flexiblen Mechanismen in Grenzenhält. Ich glaube, die EU hat nur dann eine Chance, sich inDen Haag durchzusetzen, wenn sie mit einer Stimmespricht und wenn sie eine Allianz mit den Entwicklungs-ländern schließt, wie das schon in Kioto der Fall war.Die Russen – der zweite große Akteur – haben bis zumJahr 2010 im Prinzip keine Reduktionsverpflichtungen;sie müssen ihre Emissionen nur auf dem Niveau von 1990stabilisieren. Die Höhe ihre Emissionen ist heute gegen-über 1990 aber um etwa ein Drittel geringer, weil ihre In-dustrie kollabiert ist. Deswegen haben die Russen natür-lich ein Interesse daran, diese Differenz – wir bezeichnendas gemeinhin als „heiße Luft“ – zu verkaufen. Solch einSchlupfloch ist nicht unproblematisch.Die Russen haben aber auch ein Interesse an Investi-tionen. Sie wollen einen Technologietransfer. Joint Im-plementation als einer der Mechanismen schafft die Mög-lichkeit, Technologie zu transferieren. Wenn es unsgelänge, dass dieser Handel mit „heißer Luft“ wenigstensdazu führen würde, dass die Einnahmen der Russen in dieModernisierung des Energiesystems fließen, dann, glaubeich, wäre das ein akzeptabler Kompromiss zugunsten desKlimaschutzes.
Zu den Entwicklungsländern. Die Entwicklungslän-der haben in der ersten Verpflichtungsperiode bis zumJahr 2010 keinerlei spezifische Reduktionsverpflichtun-gen. Das ist auch gut so, vor allem dann, wenn man sichdie historische Verantwortung vor Augen führt. Es istrichtig: Langfristig wird Klimaschutz ohne China, ohneIndien und ohne Brasilien nicht möglich sein. Wer aberjetzt quasi den dritten Schritt vor dem ersten fordert, derwill in Wahrheit gar keinen Klimaschutz. Die Hausaufga-ben müssen also wir machen. Wir müssen zeigen, dassKlimaschutz möglich ist.Die Position der Entwicklungsländer lässt sich im Prin-zip in zwei Punkten zusammenfassen. Sie sagen erstens:Wenn ihr wollt, dass wir in unserem Entwicklungsprozessnicht die gleichen Fehler machen wir ihr in der Vergan-genheit, wenn wir uns also nicht mit der gleichen Ener-gieintensität entwickeln sollen, dann müsst ihr uns helfen.Ihr müsst den Finanz- und Technologietransfer sicherstel-len. Sie sagen zweitens: Ihr müsst eure Hausaufgaben er-ledigen, um uns zu zeigen, dass sich Klimaschutz undwirtschaftliche Entwicklung vereinbaren lassen. Nurwenn diese Dinge realisiert werden, dann können wir demKioto-Protokoll zustimmen. – Ich glaube, diese Positionist legitim. Es ist jetzt an uns, klar zu machen, dass sichKlimaschutz sowie wirtschaftliche und soziale Entwick-lung vertragen; und außerdem müssen wir klar machen,dass wir die Mechanismen des Kioto-Protokolls, vor al-lem den Clean-Development-Mechanismus, dazu nutzenwerden, moderne Technologien in die Entwicklungslän-der zu transferieren. Wir brauchen dezentrale Technolo-gien, die zu diesen Ländern passen. Dort brauchen wirgerade keine großen Kohlekraftwerke, keine großenStaudämme oder gar, was völlig absurd ist, Atomkraft-werke.
Zu der Rolle der Vereinigten Staaten.Wir tun gut da-ran, die Ratifizierung des Protokolls bis zum Jahr 2002durch die Europäische Union, durch die beitrittswilligenLänder, durch einen Kompromiss mit den Russen unddurch die Einbeziehung der Japaner zu realisieren. Die
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Japaner haben, auch weil das Kioto-Protokoll mit demNamen ihrer Stadt Kioto verbunden ist, ein essenziellesInteresse daran, dass es in Kraft tritt. Das In-Kraft-Tretenbis 2002 könnte also gelingen. Wir sollten natürlichgroßes Interesse daran haben, dass die Vereinigten Staa-ten früher oder später beitreten. Aber wir müssen auch zurKenntnis nehmen, dass die Situation in Amerika sehrschwierig ist: Der Senat muss mit einer Zweidrittelmehr-heit zustimmen. Aber der Senat hat bereits eine Resolu-tion verabschiedet, in der es heißt: Erstens. Wir ratifizie-ren nur dann, wenn die Entwicklungsländer schon jetztVerpflichtungen übernehmen. Zweitens. Wir ratifizierennur dann, wenn totale Flexibilität bei den Mechanismensichergestellt ist. – Das beides sind Forderungen, die wirals Europäer in dieser Situation nicht unterstützen kön-nen.Wir haben mit dem Senat Erfahrungen. Der Senat hatbeim Atomteststoppvertrag, beim Landminenvertrag undbei der Errichtung des Internationalen StrafgerichtshofesSchwierigkeiten gemacht. Es ist unrealistisch zu glauben,dass die Amerikaner das Protokoll bis zum Jahr 2002 ra-tifizieren. Deswegen sollten wir alles daransetzen, die an-deren – die Europäer, die Russen und die Japaner – dazuzu bewegen, das Protokoll 2002 zusammen mit den Ent-wicklungsländern in Kraft zu setzen. Das wäre ein gutesErgebnis. Damit würde dann eine Dynamik entstehen, dieerkennen lässt, dass das Ganze auch technologisch inte-ressant und attraktiv sein kann, sodass früher oder späterauch die Vereinigten Staaten beitreten werden. Ich glaube,das ist der richtige Weg.
Zum Thema Emissionshandel. Hier liegen Gefahren.Die Aufgabe ist klar definiert: Wir müssen den Handel mit„heißer Luft“ in engen Grenzen halten. Ich glaube, für dieEntwicklungsländer liegt im Clean-Development-Mecha-nismus eine große Chance, wenn er richtig ausgestaltetwird. Deshalb brauchen wir eine Positivliste, die klarmacht, welche Projekte wir unterstützen wollen. Das sindim Wesentlichen erneuerbare Energien, Energieeffizienzund die Nachrüstung alter Kraftwerke. Wir müssen denEntwicklungsländern die Möglichkeit geben, mit demKlimaschutz Erfahrungen zu sammeln, sodass sie in dernächsten Verpflichtungsperiode ab 2010 ein wirklichesmaterielles Interesse daran haben, dem Protokoll beizu-treten, um in den Genuss von technologischen Entwick-lungen zu kommen. Die Entwicklungsländer können undmüssen in diesem Prozess unsere Verbündeten sein.Als Letztes zum Thema „cap“, zu der Frage, ob mandie flexiblen Mechanismen begrenzen, ihnen also einenDeckel auflegen soll. Die Position der EuropäischenUnion, maßgeblich durch die Bundesregierung bestimmt,ist Folgende: Wir wollen, dass der Löwenanteil zu Hauseerledigt wird, Domestic Action, wie es so schön heißt.Dafür gibt es einen wichtigen technologiepolitischenGrund. Innovationen kommen dadurch zustande, dassman einen gewissen Druck in eine bestimmte Entwick-lungsrichtung hat. Wenn wir Druck aus dem Kessel lassenund es nur darum geht, unsere State-of-the-Art-Technolo-gie auf den Rest der Welt zu übertragen, dann würde daszwar in der Tat dazu führen, dass in China die Wirkungs-grade der Kraftwerke steigen, was in Ordnung ist, aberdas würde keine weiteren technischen Innovationen in un-serem eigenen Lande stimulieren. Wir wissen: Wenn wirden Klimaschutz ernst nehmen wollen, dann brauchen wirtechnologische Quantensprünge und nicht nur die einfa-che Verbreiterung des heutigen technologischen Niveausder Bundesrepublik auf den Rest der Welt.Zusammengefasst möchte ich sagen: Wir ermutigendie Bundesregierung auf der Basis dessen, was hier vor-getragen worden ist und was der Ministerrat vorgesternbeschlossen hat, in Den Haag zu agieren und auf derGrundlage einer klaren gemeinsamen Position zusammenmit den Entwicklungsländern für das In-Kraft-Treten desKioto-Protokolls zu streiten.Danke schön.
Ich erteile der Kolle-
gin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Prä-sident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als drohendeGeiselnahme der EU-Staaten und vieler anderer Länderdurch die USA beschreibt dpa das Kräfteverhältnis fürDen Haag. Ein interessantes Bild! In einer der wichtigstenFragen der Menschheit, dem internationalen Klima-schutz, droht wieder einmal der Weltpolizist Nummereins: Entweder ihr lasst uns weiter die Umwelt verpestenoder wir sprengen die Konferenz. Vielleicht sollte dieBundesregierung einmal ihr Verhältnis zum brüderlichenBündnispartner überprüfen, und zwar nicht nur beim Kli-maschutz; es gibt noch einige andere Themen.Doch zurück zur Politik im eigenen Land.
Die Bundesregierung hat ein Klimaschutzprogrammverabschiedet. Das war höchste Zeit; denn die verblei-bende Deckungslücke für das deutsche Klimaschutzziel,wie die Bundesregierung die klimapolitische Altlast ausder Kohl-Ära nennt, beträgt 7 Prozent. Nun scheint das bis2005 nicht viel zu sein. Doch der Eindruck trügt. Das ver-einigte Deutschland zehrt diesbezüglich noch immer vomZusammenbruch der ostdeutschen Industrie. Ohne diesenSondereffekt hätten die produzierenden Bereiche seit1990 niemals eine CO2-Reduktion von 18 Prozent er-reicht. Im Westen kommt unter dem Strich sogar eineleichte Erhöhung des Ausstoßes heraus.Die Vereinigungsrendite hat allerdings auch etwas ge-kostet, beispielsweise die Steuerzahler, die die Subven-tionen für westdeutsche Investoren bezahlt haben, und dieBeschäftigten in Ostdeutschland, die auf die Straße flo-gen. Nun gut, seien wir ein wenig zynisch, indem wir dieklimapolitische Dimension dieses Markterschließungs-programmes gutwillig zur Kenntnis nehmen. Doch lässtsich diese Entwicklung langfristig fortschreiben? Neh-men wir für die Analyse einmal die umweltökonomische
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Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes zurHand. Dessen Präsident gab vor einem Monat zu beden-ken, dass mehr als die Hälfte des gesamten Rückgangs desCO2-Ausstoßes in Deutschland zwischen 1990 und 1999in den ersten zwei Jahren nach der Vereinigung realisiertwurde. Seitdem verlangsamte sich die Reduktion dras-tisch. Dazu kommt ein internationaler Aspekt: Die Im-porte von Energieträgern wie Kohle, Gas, Öl stiegen von1991 bis 1997 um fast 16 Prozent an, während die Ge-winnung von einheimischen Energieträgern um 26 Pro-zent zurückgefahren wurde. So werden Umweltproblemeins Ausland verlagert. Vor dem Hintergrund dieser Ge-sichtspunkte relativiert sich die Zahl von 16,2 ProzentCO2-Gesamtreduktion in der Bundesrepublik Deutsch-land sowohl im Umfang als auch im Trend schon erheb-lich.Die Frage lautet also: Sind wir für die anspruchsvollenZiele der Bundesregierung gerüstet? Schließlich geht es janicht nur um eine 25-prozentige Reduktion bis 2005. Esgeht um 45 Prozent bis 2020. Als Kernprobleme identifi-ziert die Bundesregierung den Verkehr und die Wärme-dämmung. Im Verkehrsbereich wachsen die Emissionenunvermindert an. Nun soll bis 2003 eine entfernungs-abhängige Schwerlastabgabe eingeführt werden. Dies istsicher zu begrüßen. Doch wo bleibt das Tempolimit? Wirsind da in der EU völlig isoliert. Freie Fahrt für freie Bür-ger – dies scheint jetzt auch der Schlachtruf von Rot-Grünzu sein.
Ich habe schon mehrmals in diesem Hause folgendeAussage aus einer Studie des Wuppertal-Instituts zitiert:Ohne wirksame Gegenmaßnahmen wird das Wachstumdes Verkehrs bis zum Jahre 2020 sämtliche Einsparungenvon Klimagasen in den anderen Bereichen zunichte ma-chen. Die LKW-Emissionen werden drastisch, um 38 Pro-zent, wachsen und der Flugverkehr wird im Jahr 2020 dasKlima genauso stark belasten wie der PKW-Verkehr.Herr Mehdorn hat ja beim Kassensturz seines Unter-nehmens graue Haare bekommen. Verdeckte Altlasten ausZeiten ausgedienter CDU-Parteifreunde an der Spitze derBahn AG, so wird jetzt das Milliardendefizit um-schrieben.
– Wer brüllt, fühlt sich betroffen. – Da ist zwar etwas dran,aber es ist nur die halbe Wahrheit. Die Streckenstilllegun-gen gehen weiter und der Interregio steht zur Disposition.
Damit würden aber ganze Regionen von einem Zugver-kehr abgekoppelt werden, der größere Strecken auch invertretbarer Zeit zurücklegt. Wo soll eine solche Ver-kehrspolitik hinführen?Wieder einmal wird eine Energiesparverordnung an-gekündigt. Auch wir sind wie die Bundesregierung derAuffassung, dass gerade die möglichen Energieein-sparungen im Gebäudebereich große Potenziale für denKlimaschutz enthalten. Die Summe von 400 MillionenDM pro Jahr aus dem Bundeshaushalt dafür macht abernicht einmal ein Fünftel des Betrages aus, den die Bun-desregierung im Zuge der Entlastungen dank der Öko-steuer den Unternehmen schenkt.
Ich möchte noch einmal wiederholen, dass die Nettoent-lastung der Wirtschaft in Höhe von 2,2 Milliarden DMnicht nur von den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt wer-den muss, sondern auch zulasten der Umwelt geht. Wenngerade die Energiegroßverbraucher außen vor bleiben, istdas Wort „Ökosteuer“ eher ein Witz.
Das Ganze ist nicht nur politisch – wegen der Protestean der Zapfsäule, denen man sich stellen könnte, wennman vernünftige und gerechte Konzepte hätte –, sondernauch volkswirtschaftlich ein teures Vergnügen. Denn dieRessourcen für den Klimaschutz sind ja nicht uner-schöpflich. Aus volkswirtschaftlicher Sicht geht es letzt-lich auch darum, Klimaschutzpolitik effizient zu gestal-ten. Jetzt springt leider niemand von der F.D.P. auf undschreit nach flexiblen Instrumenten. Deshalb zum Ab-schluss noch einmal zurück zu Den Haag.Der Klimaschutz soll laut Modell mittels Emissions-handels für alle Beteiligten bei gleichen umweltpoliti-schen Ergebnissen billiger werden. Abgesehen von derTatsache, dass die als umweltpolitisches Ziel dienendenKioto-Vorgaben für die Gemeinschaft von 8 Prozent Re-duktion aus naturwissenschaftlicher Sicht völlig unzurei-chend sind, ist eine solche Überlegung natürlich sinnvoll.Doch ist der Emissionshandel auch zielführend undpraktikabel vollzugsfähig? Wir haben bezüglich des Han-dels innerhalb Europas starke Zweifel. Für den Handel ingrößerem Maßstab, beispielsweise zwischen den USAund Osteuropa, lehnen wir ihn, Stichwort „heiße Luft“,schlichtweg ab.Das Grünbuch der EU stellt wirklich kluge Fragen, dienoch nicht beantwortet sind: Wie und zu welchem Preiswerden die Emissionsmengen verteilt? Wie wird das Ver-hältnis zwischen am Handel teilnehmenden und am Han-del nicht teilnehmenden Staaten bzw. Unternehmen unterWettbewerbsgesichtspunkten organisiert? Vor allem: Wielässt sich ein so gewaltiges System mit vertretbarem Auf-wand tatsächlich kontrollieren? Es geht nicht um die über-schlägige Abschätzung der CO2-Emissionen einzelnerBereiche der Volkswirtschaft. Es geht um die genaue Er-fassung des CO2-Ausstoßes jedes einzelnen beteiligtenUnternehmens.Das Problem der Schlupflöcher ist bekannt; es wurdeschon angesprochen. Wir haben den Verdacht, dass derglobale Klimaschutz mit den flexiblen Instrumenten auf
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eine falsche Fährte gelenkt werden soll, zugunsten cleve-rer Unternehmen und zulasten wirksamer Klimaschutz-programme – letztlich gerade zulasten der ärmeren Teiledieser Welt. Das, Herr Minister Trittin, muss verhindertwerden. Wir werden das auf keinen Fall mittragen.Danke.
Ich erteile dem Kolle-
gen Michael Müller, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Der Kollege Lippold hat zuRecht darauf hingewiesen, dass dieses Haus nicht nur we-gen der anstehenden Konferenz in Den Haag, sondernauch weil es ebenfalls in der Vergangenheit zum ThemaKlimaschutz wirklich wichtige Beiträge geleistet hat, beidieser Debatte eine besondere Verpflichtung hat. Das istrichtig. Das, was wir nach 1987, nach der Einsetzung derEnquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“,an wissenschaftlichen und politischen Arbeiten geleistethaben, ist etwas, worauf dieses Haus stolz sein kann.
Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass diese Arbeitennicht kleingeredet werden. Sie sind ein Schwerpunkt desökologischen und politischen Profils des Bundestages,das wir nicht verspielen und das sich jetzt bestätigenmuss.Es ist völlig richtig: Vor dem Hintergrund dieser Ar-beiten stellten wir uns die Frage, wie es sein kann, dassnoch immer ein so eklatanter Widerspruch zwischen un-serem weitgehend gesicherten Wissen und den nach wievor in vielen Bereichen halbherzigen Konsequenzen be-steht: Die Klimaveränderungen und die damit für dieMenschheit verbundenen Herausforderungen sind offen-kundig eine Schlüsselfrage der Menschheit; trotzdem be-wegt sich nur so wenig. Diese Problematik gehört insZentrum unserer politischen Diskussion.Ich möchte zu den Chancen und zu den Risiken spre-chen.Der erste Grund, warum der Klimaschutz wichtig ist,liegt darin, dass wir wissen: In der Zukunft wird es ohneökologische Stabilität auf der Erde keinen Frieden geben.
Ökologische Stabilität ist ein zentraler Punkt einer nachvorne gerichteten Politik. So wie in der Vergangenheit dieFrage der sozialen Gerechtigkeit wichtig war – und blei-ben wird –, so wird in der Zukunft die Behandlung derFrage der ökologischen Stabilität darüber entscheiden, obwir zu einer partnerschaftlichen, friedlichen Welt kom-men oder ob Spannungen und Konflikte zunehmen. Des-halb ist diese Angelegenheit kein Randthema. Wir tragenhier große Verantwortung in einer immer mehr zusam-menwachsenden Welt.
Der zweite Grund, warum wir auf den Klimaschutz soviel Wert legen: Die Klimafrage ist wie kaum ein anderesThema mit der Nachhaltigkeitsdebatte verbunden. Wirwerden, was die Herstellung von Nachhaltigkeit angeht,nicht weiterkommen, wenn wir nicht koordinierte Schrittehin zu mehr Klimaschutz machen. Klimaschutz ist daszentrale Thema. Darin bündelt sich alles, was an ökologi-schen, an technologischen, an sozialen und an umweltpo-litischen Herausforderungen der Zukunft zu sehen ist. In-sofern bedeuten Fortschritte beim Klimaschutz auchFortschritte bei der Nachhaltigkeit.Der dritte wichtige Punkt ist: Wir erleben, dass dielange Phase der Industriegesellschaft, die vor allem mitder Erwerbsarbeit verbunden war, also mit einer Arbeit,die in hohem Maße auch auf Kosten des Naturkapitals ge-lebt hat, zu Ende geht. Die Zukunft wird andere Formenvon Arbeit brauchen und es wird sich vor allem in den In-dustriestaaten entscheiden, ob die Erwerbsgesellschaft inZukunft eine Organisationsform findet, die Frieden mitder Natur schließt, oder ob wir künftig weiter auf Kostenkommender Generationen leben. Der Klimaschutz ist füruns eine Chance, Arbeit und Umwelt miteinander zu ver-binden. Diese Chance müssen wir nutzen. Deshalb istübrigens auch die ökologische Steuerreform so wichtig.Es gibt weltweit kein Dokument zum Klimaschutz, indem sich nicht die Forderung nach mehr ökologischerSteuerreform findet.
Und natürlich ist der Klimaschutz auch eine Heraus-forderung an die Effizienzrevolution. Wir haben die großeChance, die höhere Produktivität zu nutzen, die wir durchEnergieeinsparung und rationelle Ressourcenverwen-dung ermöglichen können.Sosehr wir es akzeptieren und auch stolz darauf sind,dass wir in der Bundesrepublik die CO2-Emissionen ge-genüber 1990 erheblich verringert haben – wir wissenauch, dass ein Großteil auf den Strukturwandel in denneuen Bundesländern zurückzuführen ist –, ist es dochalarmierend, dass das Wachstum der Energieprodukti-vität in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist.Wir hatten in den 70er-Jahren nach der ersten Energie-preiskrise ein Wachstum von rund 2,5 Prozent. In dem da-rauf folgenden Jahrzehnt hatten wir einen Schnitt von et-was über 2 Prozent zu verzeichnen und heute liegen wirjetzt nur noch bei 1,5 Prozent im Wachstum der Energie-produktivität. Wir nutzen bei weitem nicht das, was wirkönnten. Insofern müssen wir zugeben, dass ein Großteilder CO2-Reduktion auf den Strukturwandel und – leider –nicht auf eine aktive Energie- und Umweltpolitik zurück-zuführen ist. Hier hätte unser Land mehr tun können; dennwir haben erhebliche Produktivitätsreserven, die bisheraber nicht genutzt worden sind.
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Meine Damen und Herren, ich will auch über die Risi-ken sprechen. Das größte Risiko – und auch eine gewal-tige Herausforderung an unser Denken – ist der zeitlicheDruck, die große Beschleunigung und Hektik, unter derdie moderne Zivilisation steht. Wir wissen: Klimaände-rungen haben einen zeitlichen Vorlauf von vier bis fünfJahrzehnten. Das heißt: Das, was in den letzten 40 bis50 Jahren an Wärme stauenden Gasen freigesetzt wurde,werden wir erst in der Zukunft zu spüren bekommen. EinTeil der Zukunft ist also schon nicht mehr veränderbar.Das ist für uns, die wir immer sehr auf die Gegenwart, aufdie Aktualität bezogen sind, eine gewichtige Herausfor-derung an unsere Verantwortung und unser Handeln. Diesfällt in einer Phase, in der wir durch die Globalisierungwie noch nie zuvor nur auf eine kurzfristige Verwertungs-logik ausgerichtet sind, umso schwerer. Um es deutlich zusagen: Die heutigen Mechanismen der Globalisierungsind mit ökologischer Verantwortung nicht vereinbar.Hier brauchen wir eine ökologische Gestaltung.
Wir müssen auch wissen, dass wir in der Klimaproble-matik unterschiedliche Betroffenheiten haben. Auch dasmacht einen Teil der Problematik aus, dass zu wenig ge-tan wird. Ein Teil dieser Welt wird weitaus später und ge-ringer von ökologischen Katastrophen betroffen sein alsinsbesondere die instabilen Länder in den tropischen undsubtropischen Zonen. Auch dies ist eine Herausforderungan unsere Verantwortung, an unser Denken in globalenZusammenhängen und an unser Handeln für eine friedli-che Welt.Ich will einen weiteren Aspekt nennen. In vielen Fra-gen haben wir es mit einem hohen Maß an Nichtwissen zutun. Ein Beispiel: Das vielleicht aktivste Treibhausgas istWasserdampf.Wir reden fast nur über den so genanntentrockenen Treibhauseffekt, also über Kohlendioxid, Me-than und andere Wärme stauende Gase. Wir wissen nicht,welche Folgen beispielsweise die Erwärmung der Erdeund die hierdurch verstärkte Verdunstung in die Atmo-sphäre haben kann. Wir wissen aber, dass sich durch diebisherige Erwärmung bereits etwa 5 Prozent mehr Was-serdampf in der Atmosphäre befinden und sich insoferndie Wärmebilanz und der Energiehaushalt der Atmo-sphäre verändern. Das kann auch schon kurzfristig zusehr gravierenden Wetterextremen und -veränderungenführen. Wir wissen zu wenig über diese Prozesse. Umsowichtiger ist es, vorsorgend zu handeln und nicht zu war-ten, bis wir durch Ereignisse gezwungen werden, tätig zuwerden.
Als letzter Punkt kommt hinzu – er ist noch nicht oftgenug angesprochen worden –: Wenn wir das heutige Ni-veau der Industrieländer beibehalten, müsste die Ressour-cenmenge für die Erde etwa zehn Mal höher sein, als sietatsächlich ist, um die Bedürfnisse der wachsenden Welt-bevölkerung zu befriedigen. Das ist nicht machbar. Inso-fern bringe ich es auf den Punkt: Klimaschutz bedeutet imKern ein radikales Umdenken in den Industriestaaten. Siemüssen die Fähigkeit zeigen, mit den begrenzten Res-sourcen der Erde umzugehen. Das ist der entscheidendePunkt. An dem werden wir gemessen.
Wir haben heute bereits eine Situation, dass die Tem-peraturen etwa ein Grad Celsius über dem natürlichenTreibhauseffekt liegen. Wenn der Trend anhält, werdenwir Ende dieses Jahrhunderts mit einem weiteren Anstei-gen derTemperatur um 1,5 bis 3,0 Grad Celsius rechnenmüssen. Die kritische Erwärmungsobergrenze, die imäußersten Fall noch vertretbar ist, liegt bei etwa 1,5 GradCelsius. Das heißt: Wir liegen heute schon knapp an derGrenze dessen, was die Erde verkraften kann – und dasvor dem Hintergrund der Zeitverzögerung, die Klimapro-zesse haben.Die Klimaänderungen sind sehr viel dramatischer, alswir es uns in der Regel eingestehen. Das Schlimme ist:Durch die alltägliche Berichterstattung haben wir unsso an diese Meldungen gewöhnt, dass wir die Tragweiteder Informationen scheinbar gar nicht mehr richtig wahr-nehmen können. Umso mehr stellt sich die politische Ver-antwortung. Wir, die politisch Verantwortlichen, könnennicht sagen, dass wir die Fakten nicht gewusst haben.Insofern wünschen wir uns, dass der Umweltministerin Den Haag Erfolg hat. Die Grundlinie heißt: Wir müs-sen in Europa und in Deutschland ein Beispiel dafür lie-fern, dass Ökologie und Ökonomie dauerhaft miteinanderverbunden werden können und dass dieses vor allem so-zial verträglich organisiert werden kann. Das sind die bei-den Herausforderungen an uns.Erste wichtige Schritte haben wir gemacht, beispiels-weise durch die Einleitung der Energiewende und durcheine Reihe von anderen Programmen, wozu auch dieÖkosteuer gehört. Natürlich ist die Ökosteuer unbequem,aber es ist viel schlimmer, sich am Ende, wenn große Ver-änderungen eintreten, vorwerfen zu lassen, dass nicht ge-handelt hätten. Wir müssen die Verantwortung der Politikauch wirklich wahrnehmen. Deshalb werden wir an derÖkosteuer festhalten.
Die Wissenschaft sagt – ich zitiere Professor Hasselmannvom Max-Planck-Institut –: Wir haben beim Klimawechselvon einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent auszugehen.Das ist eine Herausforderung, aus der man sich nichtdurch parteipolitische Tricks herausstehlen kann. Hiersind wir alle gefordert, auch unbequeme Wahrheiten zusagen, aber auch die Chancen einer Klimapolitik zu er-greifen. Die Chancen habe ich genauso aufgezeigt wie dieRisiken. Wir müssen beides sehen und handeln.Vielen Dank.
Ich erteile das Wortdem Kollegen Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.
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Michael Müller
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Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Die Konferenz in Den Haagdarf nur ein Ergebnis haben: Es muss eine Einigung er-zielt werden, wie das weltweite Wirtschaftswachstumendlich einen klimafreundlichen Weg einschlagen kann.Herr Müller, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: ImVorfeld dieser Konferenz müssen wir über den Tellerrandunserer nationalen Klimaschutzpolitik hinwegschauen.Es kann heute nicht nur darum gehen, darüber zur reden,wie gut wir sind und was wir noch besser machen müssen.Vielmehr müssen wir heute auch darüber reden, dass dieIndustrieländer handeln müssen, damit es anderen auf die-ser Erde nicht schlechter geht. Das müssen wir – das istdas große politische Problem – auch der Bevölkerung inunserem Land verdeutlichen. Aber ich sage: Wenn mandas so lustlos macht, wie das der Bundesumweltministerheute Morgen hier getan hat, dann frage ich mich: Wo istdie Begeisterungsfähigkeit, um die Menschen von die-sem Weg zu überzeugen und sie auf diesem Weg mitzu-nehmen?
Herr Minister, ich muss deutlich sagen: Ihr Redebei-trag heute Morgen war eine personifizierte Energieein-sparverordnung. Es war falsch, sich bei diesem Punkt sozurückhaltend zu verhalten.
Ich kann dafür nur einen Grund finden: Sie haben die Be-fürchtung, dass Den Haag scheitern könnte, und wollenwahrscheinlich nicht mit einem Misserfolg identifiziertwerden. Ich kann nur sagen: Nehmen Sie sich ein Vorbildan Töpfer und Frau Merkel. Diese standen Jahr für Jahrvor schwierigen Klimaschutzkonferenzen – die immerauf der Kippe standen – und haben sich sowohl inDeutschland als auch international bei den Vorbereitun-gen persönlich engagiert, um durch ihren persönlichenEinsatz die Fronten aufzuweichen und trotz unterschied-licher Interessen zu einem Ergebnis zu kommen. Man hatpersönlich gespürt – ich war bei verschiedenen Konferen-zen, zum Beispiel in Rio, dabei –, wie beide versucht ha-ben, zu einem vernünftigen Kompromiss zu kommen. Siesind aber niemals hier so aufgetreten, wie Sie es eben ge-macht haben. Wer von einer Sache nicht selbst begeistertist, kann andere Menschen nicht mitnehmen.
– Eben.
Wenn ich mir ansehe, wie Sie in der letzten Zeit beimanchen Talkrunden – auch bei Angriffen gegen dieUnion – ganz massiv, teilweise überaus engagiert undstark polemisch an die Sache herangegangen sind, mussich sagen: Sie können es auch anders. Deshalb stelle ichmir die Frage: Warum waren Sie heute Morgen so zurück-haltend?
Im Rahmen der globalen Umweltpolitik ist es natürlichauch richtig, dass wir über unsere nationalen Maßnahmenreden. Das können wir aber nur mit einem klaren Konzeptund großer Begeisterungsfähigkeit; an beiden Punkten hates heute gefehlt.
Ich möchte hinsichtlich der Frage eines klaren interna-tionalen Konzeptes einige Zahlen nennen: Die Volksrepu-blik China hat 1995 3,3Milliarden Tonnen CO2 emittiert,1997 3,1 Milliarden Tonnen; mittlerweile – nach einemkurzzeitigen Rückgang durch eine Änderung der Wirt-schaftspolitik – hat man wieder 3,3 Milliarden Tonnen er-reicht. Damit liegen in absoluten Zahlen gemessen vieleStaaten in Südostasien vor den Staaten der Industrielän-der. Stellt man einen Pro-Kopf-Vergleich an, wird man er-kennen, dass pro Kopf die USA etwa achtmal so viel CO2ausstoßen wie China. Die neuesten Forschungsergeb-nisse, die am Wochenende in der Presse veröffentlichtworden sind, machen deutlich: Es muss schnell gehandeltwerden, es muss nicht nur national, sondern auch globalsinnvoll gehandelt werden. Es ist nicht länger zu leug-nen, dass Klimaschutzpolitik auch Wirtschafts- und Ent-wicklungshilfepolitik ist. Die rasante IndustrialisierungAsiens, der Hunger nach immer mehr Energie und das Be-dürfnis der Länder Asiens, Konsum nachzuholen, stellenuns in dem Bemühen, die globalen CO2-Emissionen zureduzieren, vor gewaltige Herausforderungen.Diese Herausforderungen können nicht allein nationalbewältigt werden; auch für die Europäische Union ist da-bei unter realistischer Sichtweise der Rahmen zu klein. Eshilft nur eine globale Sichtweise und hinsichtlich des glo-balen Klimaschutzes hat – das muss man leider feststel-len – die Bundesregierung in den letzten Monaten kon-zeptionell versagt. Das von Ihnen, Herr UmweltministerTrittin, kürzlich vorgestellte Programm zum Klimaschutzenthält gute Ansätze – ich will das gar nicht leugnen –, be-zeichnet aber die vorgesehenen Maßnahmen nicht kon-kret genug und kommt zeitlich eindeutig zu spät.
Die Maßnahmen hätten schon vor zwei Jahren in Angriffgenommen werden müssen.Weiterhin weisen Sie voller Stolz darauf hin, Sie hätteneine Vereinbarung mit der deutschen Industrie hinsichtlicheiner Selbstverpflichtung erzielt. Zunächst einmal, FrauBulling-Schröter, muss ich Ihnen sagen: Ihre Zahl stimmtnicht; der Fortschritt im gewerblichen Bereich der Indus-trie bei dem Bemühen, die CO2-Emissionen zu reduzieren,liegt seit 1990 bei minus 31 Prozent. Herr Trittin, Sie wei-sen auf die neue Vereinbarung zur Selbstverpflichtung hin.Ich kann mich noch daran erinnern, dass dieses Instrumentder Selbstverpflichtung, das wir 1995 in die deutsche
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Umweltpolitik eingeführt haben, vor wenigen Jahren vonIhnen massiv bekämpft worden ist.
Sie haben es als ein Instrument bezeichnet, das zeigt,dass wir nicht den Mut hätten, gegen den CO2-Ausstoßwirklich engagiert vorzugehen. Nun gehen Sie hin und sa-gen: Das ist ein erfolgreiches Instrument.
Sie kopieren das, was unter Töpfer und Merkel bahnbre-chend entwickelt worden ist.
Wir geben natürlich zu: Die Situation ist sehr schwierig.Die Bereitschaft einiger internationaler Partner zu Kom-promissen in der Klimaschutzpolitik hat – ich will das malso formulieren – nicht zugenommen. Staaten wie USAund Japan versuchen in den angestrebten rechtlichen Ver-einbarungen Schlupflöcher abzusichern; dies können wirnicht akzeptieren. In diesem Punkt haben Sie die aus-drückliche Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion.Wer bei der Bekämpfung der Folgen des Klimawan-dels auf Schlupflöcher setzt, ist für die negativen Folgeneiner solchen Politik mitverantwortlich. Wir müssen da-mit an die USA appellieren: Macht bei glaubwürdigenVereinbarungen und effektiven Reduktionen mit undsetzt euch nicht immer von einer sinnvollen Klimaschutz-politik ab.
Wir werden heute Zeugen einer Verschiebung desSchwergewichts an Emissionen vom Nordatlantikraumnach Asien. Die Reduktionserfolge in Deutschland und inganz Europa werden binnen kürzester Zeit durch dasWirtschaftswachstum in Asien aufgezehrt werden.Um nicht missverstanden zu werden: Auch dieCDU/CSU-Fraktion steht eindeutig zu dem Ziel, den na-tionalen CO2-Ausstoß um 25 Prozent bis zum Jahre 2005zu reduzieren. Das mag im globalen Vergleich zwar nurein geringer Beitrag sein. Aber er ist notwendig, um beiden anstehenden internationalen Verhandlungen glaub-würdig auftreten zu können. Wir können mit den Ent-wicklungsländern nur glaubwürdig verhandeln, wenn wirselbst unsere Hausaufgaben machen und Lösungen ent-wickeln und anbieten, die im globalen Rahmen effektivund auch finanziell sinnvoll sind.Ich glaube, dass wir in diesem Hause in vielen Punktendes Klimaschutzes übereinstimmen. Es ist im Interesseder Klimaschutzpolitik, dass wir gemeinsam agieren.Deshalb sage ich ganz deutlich: Es ist sehr schade, dass esnicht gelungen ist, in Vorbereitung auf Den Haag nochkurzfristig, wie ich es erst gestern noch im Umweltaus-schuss angeregt habe, einen fraktionsübergreifenden Ent-schließungsantrag zu verabschieden. Das hätte die deut-sche Verhandlungsposition enorm verbessert.
– Nein, Frau Ganseforth, Sie hätten mit Ihrer Regierungs-mehrheit die Aufgabe gehabt, auf die Opposition zuzuge-hen, und zwar so, wie wir es 1992 auch getan haben.
– Doch, das ist wahr. Am 6. Mai 1992 haben die Frak-tionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. – die Grü-nen waren damals nur durch das Bündnis 90 in diesemHause vertreten, weil sie bei den Bundestagswahlen 1990die Fünfprozenthürde nicht überwunden hatten – einengemeinsamen, also einen fraktionsübergreifenden, An-trag – er trägt die Unterschriften von Schäuble, Klose undSolms – verabschiedet, in dem es heißt:Der Deutsche Bundestag begrüßt den jetzt vorgeleg-ten Bericht der Enquete-Kommission und fordert dieBundesregierung auf, die Empfehlung des Berichtsauf nationaler und internationaler Ebene bei ihrenInitiativen und Entscheidungen zu berücksichtigen.
So lautet der gemeinsame Beschluss der Fraktionen vorder Rio-Konferenz 1992. Sie hatten überhaupt kein Inte-resse an einer gemeinsamen Position. Ich finde es schade,dass es jetzt keinen fraktionsübergreifenden Antrag gibt.Ich habe schon gestern gesagt, wir hätten einen solchenAntrag mitgetragen.
Ich darf Sie, Herr Trittin, daran erinnern: Es wird jetztdarauf ankommen, eine Strategie zu entwickeln, die Ant-wort auf die Fragen gibt
– Frau Ganseforth, es hat Sie wohl ziemlich getroffen,dass ich mich daran erinnern konnte, was wir 1992 ge-meinsam verabschiedet haben; tut mir Leid! –:
Wie können flexible Instrumente auf globaler Ebene mög-lichst effektiv eingesetzt werden? Wie kann ein Techno-logietransfer zwischen den Schwellenländern und Europaorganisiert werden? Wie kann das berechtigte Streben derLänder Asiens nach mehr Wohlstand mit der Sorge um dasWeltklima in Einklang gebracht werden? Es wird nichtausreichen, dass man sich in Deutschland und in Europagegenseitig Erfolge bescheinigt; vielmehr wird es daraufankommen, dass wir in einen echten Dialog mit dengroßen Emittenten von morgen treten und mit diesen einePartnerschaft zum Schutze des Weltklimas begründen.Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, Vor-schläge für eine Strategie, die zu einer echten Partner-schaft zugunsten des Weltklimas führt, vorzulegen, die es
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den anderen Staaten ermöglicht, das Kioto-Protokoll zuratifizieren, damit es endlich verbindlich wird, eine Stra-tegie zu entwickeln, die Ökonomie und Ökologie ver-söhnt, den Belangen der Schwellenländer und der Ent-wicklungsländer Rechnung trägt und auch die zauderndeneuropäischen Partner motiviert, sich an ihre Reduktions-verpflichtungen zu halten.Herr Trittin, machen Sie die deutsche Klimaschutzpo-litik wieder glaubwürdiger in der Welt; engagieren Siesich auch persönlich stärker für eine solche Politik undverpassen Sie nicht die Chance, Den Haag zu einem Er-folg für den Klimaschutz zu machen! Wenn Sie diesePunkte berücksichtigen, aber nur dann, wird Ihnen dieUnterstützung der Umweltpolitiker der CDU/CSU sichersein.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Wenn man mit einer gewissen Distanz die internationalenVerhandlungen betrachtet und sie einmal ins Verhältnis zudem setzt, was viele Rednerinnen und Redner in der heu-tigen Debatte unter den großen Herausforderungen ver-stehen, dann muss man festhalten, dass es eigentlichschier unerträglich ist, wie langsam der Prozess des Kli-maschutzes vorangeht.
Ich finde es nur schwer erträglich, dass die Ziele nurminimal und – gemessen an den großen Herausforderun-gen – nicht ambitioniert genug sind. Schließlich ärgertmich – das finde ich gar nicht mehr erträglich –, dass inmanchen Ländern offenbar die Mentalität vorherrscht, zufragen, wie man es vermeiden kann, etwas zu tun. Das isteine grundlegend falsche Haltung. Wir brauchen vielmehrdie Einsicht, dass wir etwas tun müssen. Wir müssen unsfragen, auf welchem Wege wir etwas erreichen können.
Ich beklage diesen schleppenden internationalen Pro-zess – ich habe bei Ihnen durchaus ähnliche Tendenzenausgemacht – und bin der Meinung, dass es notwendig ist,dass wir auf nationaler Ebene alles in unserer Verantwor-tung Stehende tun und dass wir nicht länger auf die ande-ren starren und sagen: Erst wenn die etwas machen, tunwir etwas. Wir müssen vielmehr sagen: Lasst uns ge-meinsam voranschreiten! Das ist unsere Verpflichtung.Es kommt jetzt darauf an, im eigenen Land sinnvolleProjekte und Strategien für den Klimaschutz zu ent-wickeln. Ich bin froh, dass wir heute darüber diskutierenkönnen, nachdem eine Klimaschutzstrategie der Regie-rung bereits vorgelegt wurde und nachdem wir in vielenBereichen einiges erreicht haben. Beispielsweise konntenwir im Bereich der Energiepolitik die Wende einleiten.Was müssen wir tun? Was ist die neue Maxime? Mankann unsere Ziele als einen neuen Dreiklang formulieren:weniger Energieverbrauch und CO2-Emissionen, effi-zienterer Einsatz von Energie sowie intelligentere Nut-zung der Energie, was eine Nutzung regenerativer Ener-gien beinhaltet.Die Politik der Koalition hat auf diesem Gebiet zwei-fellos große Fortschritte erzielt. Ich will Ihnen jetzt nichtvorwerfen – das ist ja ansonsten ein beliebtes Spiel in die-sem Hause –, was Sie nicht gemacht haben. Ich denke, wirsind heute an einem Punkt angelangt, an dem wir nichtmehr zurückschauen sollten, sondern an dem sich allebemühen sollten, neue Konzepte in die öffentliche De-batte einzubringen. Ich freue mich, dass die CDU/CSU ei-nen Vorschlag hinsichtlich eines Altbauprogramms vor-gelegt hat.
– Ja, das haben Sie schon öfter getan. Ich finde es gut, dassSie jetzt einen systematischen Katalog vorlegen.Sie haben sich immer wieder darüber beklagt, dass wirbei der Energieeinsparverordnung nicht schnell genugvorankommen. Wir werden in den nächsten Monaten ei-nen Vorschlag vorlegen, der in Richtung Ihres Antragsgeht.
Natürlich sehen wir Energiekennzahlen sowohl für dieNeubauten als auch für die Altbauten vor, damit transpa-rent wird, wie viel Energie in den Häusern verbrauchtwird. So werden wir sowohl im Neubaubereich als auchim Altbaubereich die Wende einleiten.
– Warten Sie es ab und seien Sie nicht gleich so skeptisch!Wir haben eine Reihe von Ihren Vorschlägen aufgegriffen.Im Übrigen kann ich Sie nur dazu auffordern, dass die vonIhnen regierten Bundesländer dazu beitragen, eine ambi-tionierte und anspruchsvolle Energieeinsparverord-nung durch den Bundesrat zu bringen. Man sollte hiernicht starke Reden halten und auf Landesebene das Vor-haben ausbremsen. Ich bitte in diesem Punkt um Ihre Un-terstützung.
Herr Paziorek, Sie haben zu Recht darauf verwiesen,dass im Bereich des Klimaschutzes die Selbstverpflich-tung für uns inzwischen eine andere Rolle spielt alsfrüher. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Die ersten Selbst-verpflichtungen haben darunter gelitten, dass sie relativzahnlos,
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nicht präzise genug und nicht überprüfbar waren, sodasssie relativ wirkungslos waren. Wir haben daraus gelerntund in unser Klimaschutzprogramm die Selbstverpflich-tung nur zu einem kleinen Teil – für den größeren Teil ha-ben wir härtere Maßnahmen vorgesehen, dazu haben Siegeschwiegen – aufgenommen. Aber diese Selbstver-pflichtung haben wir sozusagen so scharf gemacht, damitetwas Wirkungsvolles dabei herauskommt. Ich glaube,das ist ein wichtiges Element einer neuen Umweltpolitik.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur PDS. Ichamüsiere mich manchmal darüber, dass Sie von der PDSim Umweltausschuss und auch hier in Ihren Reden immereins draufsetzen und sagen: Macht endlich mehr! Ihr habtdoch früher mehr gefordert! Immer dann, wenn eineMaßnahme greift, seid ihr die Ersten, die larmoyant rufen,dass es irgendwie die Falschen trifft.
– Beispielsweise Ökosteuer.
Ihr sagt andersrum: Bei der Ökosteuer werden die größ-ten Verbraucher ausgenommen.
Das ist banal gedacht. Wir haben diese Regelung dochnicht eingeführt, weil wir die Großverbraucher schonenwollen, sondern weil Arbeitsplätze dort gefährdet werdenwürden, wo die Energie eine große Rolle bei der Produk-tion spielt. Nachhaltige Politik heißt, soziales Denken mitökologischem Denken zu verbinden und in diesem Sinnezu sagen: Wir brauchen eine Übergangsregelung.
Man ist auch deswegen so vorgegangen, um nicht Arbeits-plätze zu gefährden. Das müssen Sie doch verstehen.Denn an anderer Stelle sind Sie immer diejenigen, die so-fort nach der – aus meiner Sicht nicht ausgeklügelten –Strategie des sozialen Ausgleichs rufen.
Das alles sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Ichwarte auf eine Kampagne der PDS, wie man in besonde-rer Weise in den neuen Bundesländern etwas zum Klima-schutz beitragen kann.
Denn dort gibt es sowohl bei den Strukturen als auch beiden Menschen besondere Ansatzpunkte.Was wir heute wirklich brauchen, ist nicht das Rufennach dem Staat und der Politik; denn an den Rahmenbe-dingungen haben wir viel geändert. Was wir vielmehrbrauchen, ist, dass auf allen Ebenen gesellschaftlicheGruppen, Organisationen, ja Bündnisse entstehen, diesich für den Klimaschutz einsetzen. Das, was vor Jahrenauf kommunaler Ebene begonnen hat, muss in allen an-deren Bereichen der Gesellschaft fortgesetzt werden, zumBeispiel bei den Verbrauchern. Auch der ADAC solltenicht nur zum Spritsparen aufrufen, sondern in diesemZusammenhang eine richtige Kampagne durchführen.
Auch die Bauindustrie und die Eigentümer von Wohn-häusern und Eigentumswohnungen sollte eine Kampagnedahin gehend durchführen, dass sie in ihrem Eigentumden Klimaschutz beachten, da es zukünftig für alle sinn-voll ist, dem Klima etwas Gutes zu tun. Wir brauchenauch in der Wirtschaft, dort, wo viel Energie verbrauchtwird, Impulse bzw. Bündnisse, die dafür sorgen, dass inallen Bereichen möglichst wenig Energie verbrauchtwird.Wenn wir es nicht schaffen, dass sich neben der Politikviele Bürgerinnen und Bürger sowie Organisationen, alsodas, was man Zivilgesellschaft nennt, für den Klima-schutz stark machen und sich für ihn einsetzen, werdenwir all die ambitionierten Ziele, die wir haben, nicht er-füllen können. Ich bitte sehr darum, dass Sie in Ihren Krei-sen und in Ihren Bereichen, in denen Sie tätig sind, dafürwerben, ein Bündnis für den Klimaschutz zu schaffen.Vielen Dank.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich das Wort der Kollegin Eva Bulling-
Schröter.
Kollege WinfriedHermann hat festgestellt, die PDS beziehe eine unglaub-würdige Position zur Ökosteuer. Ich möchte kurz diePosition der PDS zur Ökosteuer darlegen – vielleicht istsie Ihnen nicht mehr im Gedächtnis –:Erstens. Wir lehnen Ihre Ökosteuer ab. Wir sind nichtgegen eine Ökosteuer, sondern gegen Ihre Ökosteuer, weilwir sie für sozial ungerecht halten.
Denn mit dem Aufkommen aus dieser Ökosteuer werdenLohnnebenkosten kompensiert. Alle diejenigen, diekeine Lohnnebenkosten zahlen, erfahren keinen sozialenAusgleich. Das betrifft Sozialhilfeempfänger, BAföG-Empfänger sowie Rentnerinnen und Rentner, also eineganze Reihe von Menschen.
– Sie sind zum Teil auch schwer belastet. Es gibt Rentne-rinnen und Rentner, die sehr hohe Renten haben; aber esgibt auch andere. – Wir meinen, auch Sozialhilfeempfän-ger sollten ökologisch leben können. Durch den Umver-teilungsprozess werden laut Herrn Minister Trittin
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2,2 Milliarden DM von unten nach oben verschoben. Dasheißt, die Unternehmen erzielen dadurch Gewinne.Dass man das Ganze vielleicht stufenweise einführenkönnte, darüber haben Sie offensichtlich nicht nachge-dacht.
Natürlich muss auch die Frage der Arbeitsplätze eine Rollespielen; aber nicht nur diese Frage ist hierbei wichtig.Zweitens zur ökologischen Lenkungswirkung. Siekönnte wesentlich größer sein. Dies wäre dann der Fall,wenn man bei der Primärenergie ansetzen würde, wie dieUmweltverbände das immer wieder fordern.
– Sie können gerne später darauf eingehen.Drittens zum ökologischen Umbau.Wir meinen, dassdas Aufkommen aus der Ökosteuer komplett in den öko-logischen Umbau fließen sollte.
Das hieße dann, dass zum Beispiel der öffentliche Nah-verkehr ausgebaut werden müsste. Auch im Gebäudebe-reich wären Maßnahmen nötig.
Zu Ostdeutschland nur eine Zahl: Zu Zeiten der DDRwurden 80 Prozent der Güter auf der Schiene transpor-tiert. Jetzt hat sich diese Zahl an die im Westen angegli-chen. Natürlich wird jetzt mehr Verkehr erzeugt. Manhätte das frühere Transportsystem belassen können. DieBinnenschifffahrt der DDR war zu 80 Prozent ausgelastet.Die Auslastung liegt in den neuen Bundesländern jetzt bei30 Prozent. Hier wären Kapazitäten frei. Dies würde auchzur CO2-Reduzierung beitragen.
Zu einer Antwort er-
teile ich dem Kollegen Winfried Hermann das Wort.
Frau Kollegin, worauf es mir ankam und was ich jetzt in
Ihrer Antwort wieder nicht gehört habe, ist Folgendes: Sie
müssen das Grundlegende zur Kenntnis nehmen. Wenn
Sie eine ökologische Steuerreform machen, also eine in-
direkte Steuer erheben, treffen Sie zunächst alle gleich.
Eine indirekte Steuer können Sie nicht sozial ausgewogen
erheben; sie trifft eben diejenigen, die wenig haben, här-
ter als diejenigen, die viel haben.
Parallel dazu müssen Sie etwas Zweites tun. Das hat
diese Koalition gemacht. Parallel dazu haben wir eine
sozial orientierte Steuerreform gemacht, die zu einer deut-
lichen Entlastung der unteren und mittleren Einkom-
mensgruppen geführt hat, und wir haben eine Reihe von
Ersatz- und Stützmaßnahmen zum Beispiel für Sozialhil-
feempfänger, für Wohngeldempfänger oder auch für
Rentner ergriffen. Wir haben uns darüber Gedanken ge-
macht, wie man die Rentner dauerhaft auf einem hohen
Niveau absichern kann. Dies muss man zusammenzählen
und darf es nicht auseinander dividieren.
Dasselbe gilt für die Investitionen. Wir haben zwar
nicht die Einnahmen aus der Ökosteuer – wie Sie das wol-
len – für Investitionen genommen, aber wir haben in den
letzten zwei Jahren in erheblichem Umfang aus allgemei-
nen Steuereinnahmen im Sinne einer nachhaltigen Ent-
wicklung in die Infrastruktur und die Modernisierung in-
vestiert, gerade im Bereich der Bahn, und zwar vom
Volumen her in einer Höhe, die sich auch im internatio-
nalen Vergleich wirklich sehen lassen kann.
Jetzt hat der Ab-
geordnete Michael Goldmann das Wort.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige von uns sitzenjetzt seit zwei Stunden hier und beschäftigen sich mit demThema „Klimaschutz“. Wenn wir ein Fazit ziehen, kannman zu dem Ergebnis kommen: Wir haben viele schöneWorte gehört, aber es fehlt an vielen Stellen an den ganzkonkreten Taten. Schon früher habe ich den Slogan „Glo-bal denken und lokal handeln“ ganz gut gefunden. Vorhinhabe ich die Worte von Herrn Müller gehört, der gesagthat, die ökologische Herausforderung habe ganz ent-schieden etwas mit Friedensbildung in der Welt insgesamtzu tun. Dies kann man nur unterstreichen. Herr Hermannhat gesagt: Wir stehen vor großen Herausforderungen, eshandelt sich um einen schleppenden internationalen Pro-zess, der aber vor Ort mit Taten aufgefüllt werden muss.Wenn das alles so ist, sollten wir uns mit einem Bereicheinmal ganz konkret befassen. Ich meine die Wohnungs-baupolitik und die dort vorhandenen CO2-Einsparpoten-ziale. Herr Hermann, ich bin sehr gespannt auf das, wasSie vorlegen. Aber bis jetzt haben Sie nichts vorgelegt. Siehaben in diesem Bereich bis jetzt nichts auf den Weg ge-bracht. Sie haben Ihre umweltpolitischen Hausaufgabenschlicht und ergreifend nicht gemacht. Sie werden dieCO2-Minderungsziele im Gebäudesektor durch IhrNichtstun verfehlen. Das ist bedauerlich.Sie haben eine Energieeinsparverordnung nicht zu-stande gebracht, weil Sie sich in technischen Details ver-loren haben, weil Sie sich von Interessenvertretern habenbeeinflussen lassen. Jetzt zum Schluss haben Sie auchnoch Ärger in der eigenen Regierung, denn endlich ist derMinister in dieser Hinsicht aufgewacht – auch wenn ichihn heute Morgen eher müde und einschläfernd erlebthabe – und nimmt auch noch Einfluss. Das führt dazu,dass wir hier nicht weiterkommen.
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Eva Bulling-Schröter12532
Die Folgen Ihrer Untätigkeit, meine Damen und Her-ren von den Koalitionsfraktionen, sind schon schlimm.Dieses ökologische Durchwursteln
– ja, so ist das – führt zu einer massiven Verunsicherungbeim Mittelstand und beim Handwerk,
bei den Investoren, bei den Bauherren und den Energie-versorgern. Ein großer Bereich, ein volkswirtschaftlichwichtiger Sektor mit Arbeitsplätzen und Investitionschan-cen, weiß nicht, wie es weitergehen soll, welche Stan-dards, wann und mit welcher Ausgestaltung sie kommen.Es ist alles unklar.Herr Hermann, dass es nicht ganz so ist, wie Sie es dar-stellen, will ich anhand eines Beispiels belegen: In derletzten oder vorletzten Ausschusssitzung und auch hier imPlenum haben wir klammheimlich eine Verlängerung desÖkobonus für einen langen Zeitraum, nämlich über dieLegislaturperiode hinausgehend, beschlossen. Sie habendas klammheimlich gemacht, weil Sie wussten, dass die-ses Thema Ihnen, der Bundesregierung und auch den sietragenden Fraktionen, nicht gerade zur Ehre gereicht.Aber es ist Beweis dafür, dass in dieser Wahlperiodenichts mehr passieren wird.Ich glaube, wir reden hier nicht nur über eine Kleinig-keit. Im Rahmen der globalen Herausforderung ist das,was in diesem Bereich zu leisten ist, sicherlich nur einunwesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Gesamtsi-tuation. Aber wenn man nicht in den kleinen, vor Ortwichtigen Dingen anfängt, wird man bei den großen Wei-chenstellungen keinen Erfolg haben.Das Scheitern in dieser Frage wirft uns in genau denBereichen zurück, in Bezug auf die das vorhin beklagtworden ist. Während wir früher, bei aller Auseinanderset-zung in der Sache, ökologische Vorreiter waren, laufenwir, läuft in besonderer Weise die Bundesregierung jetztGefahr, sich vor der gesamten Ökogemeinde zu blamieren.
– Nein, das ist leider nicht albern. Sie werden bei Ge-sprächen mit Umweltinteressierten sehr genau erleben,dass das so eingeschätzt wird.
Wir sollten die Situation hier nicht durch schöne Redenund viele Worte wie Ökofrieden ganz generell übertün-chen, sondern wir sollten uns wirklich ganz konkret daranbegeben, unsere Hausaufgaben vor Ort zu machen. Wirsind dazu sehr bereit. Wir haben im Ausschuss zu dieserThematik mehrere Vorstöße unternommen. Wir haben imAusschuss ein eigenes Modell vorgestellt, das wesentlicheffektiver wäre als das, was jetzt seitens der Bundesregie-rung angedacht wird. Denn das Modell der Bundesregie-rung wird die Probleme, die wir haben, nicht lösen, weildie Standards sehr unterschiedlich sind und weil das Ver-halten der Menschen sehr unterschiedlich ist. Sie werdenin diesen Bereichen nicht von oben einen Umerziehungs-prozess verordnen können, sondern Sie müssen Weichen-stellungen vornehmen, die dazu führen, dass die Men-schen das von sich aus machen.
In diesen Bereichen haben Sie riesige Chancen ver-passt. Wer Ökologie gestalten will, muss die Menschendabei mitnehmen. Das darf er nicht nur global machen,nicht nur in Den Haag, sondern das muss er durch prakti-sches Tun in der Politik machen.
Was Herr Trittin sich heute Morgen hier geleistet hat,war in meinen Augen so verletzend gegenüber denje-nigen, die umweltpolitische Interessen haben, dass ichdarüber nur noch erschüttert bin. Ich will hier ganz per-sönlich sagen: Ich habe Herrn Trittin auch im nieder-sächsischen Landtag schon erlebt. Da war er zumindestkämpferisch. Heute Morgen war er dilettantisch in allenFragen, in allen Herausforderungen, die an einen Minis-ter zu stellen sind. Das ist eine für die ökologische He-rausforderung betrübliche Entwicklung, die wir hier zubeklagen haben.Herzlichen Dank.
Das Wort hatjetzt die Frau Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! HeuteMorgen ist mehrfach angesprochen worden, in welchemdramatischen Umfang auch europäische Länder bereitsheute vom Klimawandel betroffen sind. Ich möchte andieser Stelle einmal deutlich machen, was der Anstieg derDurchschnittstemperatur, die Häufung von Klimakata-strophen – Stürme, Regen, aber auch Dürre, häufig in dengleichen Regionen – und der Anstieg des Meeresspiegelsbedeuten würden: nämlich dass Millionen von Menschenin den Küstengebieten von Bangladesch oder China ihrLand verlieren, dass trockenheitsbedingte Missernten inAfrika noch häufiger und bedrohlicher werden, als sie esheute schon sind, dass die Anbaugebiete für Kaffee, zumBeispiel in Zentralamerika, bedroht sind und dass sichMalaria etwa in Brasilien oder auch Pakistan rapide aus-breiten würde.Wir können so viel über Entwicklungszusammenarbeitreden, wie wir wollen: Wir müssen in dem Bereich desKlimaschutzes alles tun, um eine solche Entwicklung zuverhindern. Dabei müssen wir in unseren eigenen Län-dern beginnen. Deshalb ist zum Beispiel das ökologischeUmsteuern durch die ökologische Steuerreform
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Hans-Michael Goldmann12533
ein wichtiges Signal, auch an die Partnerländer, dass wires mit diesen Fragen ernst meinen.
Ausgerechnet diejenigen Staaten – das wäre die Dra-matik der Entwicklung –, deren Treibhausgasemissionenpro Kopf der Bevölkerung am niedrigsten sind, nämlichdie Entwicklungsländer, würden am meisten unter denFolgen des Klimawandels leiden, denn sie liegen in denRegionen, die besonders betroffen sind, etwa was denMonsun anlangt, und sie haben häufig nicht dieFinanzmittel, um sich frühzeitig zu schützen.Wir wissen, dass die Schäden, von denen alle Länderbetroffen wären, in Milliardenhöhe lägen, und es ist ganzsicher, dass der Wohlfahrtsverlust in Entwicklungslän-dern mindestens etwa 10 Prozent des Bruttosozialproduk-tes betragen würde. Das ist eine dramatische Perspektive,der wir entgegenwirken müssen.
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen. Hinsicht-lich der Entwicklung der Energienachfrage geht man jenach Szenario davon aus, dass der Primärenergiever-brauch in den nächsten Jahren jedenfalls drastisch anstei-gen wird, schon allein deshalb, weil es einen berechtigtenNachholbedarf der Entwicklungsländer gibt. Wenn wir esalso tatsächlich schaffen wollen, den Anteil fossilerBrennstoffe signifikant zu senken, dann müssen wir sehrgroße Anstrengungen zur Energieeinsparung, zur ratio-nellen Energieanwendung und zur Verbreitung erneuerba-rer Energien auch in den Ländern des Südens unter-nehmen und fördern. Auch das ist Aufgabe unsererEntwicklungszusammenarbeit.
Es ist an den Industrieländern als den Hauptverursa-chern von Treibhausgasemissionen, beim Klimaschutzdie Führungsrolle zu übernehmen. In einer späteren Phase– das sage ich allerdings ausdrücklich dazu – wird es auchdarum gehen, Entwicklungsländer mit in verbindlicheVerpflichtungen einzubeziehen, vor allem diejenigen, diehohe, stark anwachsende Treibhausgasemissionen haben.Das gebietet die globale Verantwortungsgemeinschaft, inder wir stehen.Was tut entwicklungspolitische Zusammenarbeit fürden globalen Klimaschutz, und was kann sie dafür tun? –Das sind häufig schwierige bilaterale Verhandlungen mitden Partnerländern, aber ich will an dieser Stelle einfacheinmal sagen, welche praktischen Aktionen bisher statt-gefunden haben.Erstens ist die Bundesrepublik Deutschland der welt-weit größte Geber beim Programm für den Tropenwald-schutz, und das ist eine wichtige Leistung. Dieser Ver-pflichtung kommen viele andere G-7-Länder nach wievor nicht ausreichend nach.
Wir stehen zu diesen Verpflichtungen und finanzieren dasauch, und zwar in vollem Umfang.Zweitens. Wir fördern Photovoltaikanlagen in be-stimmten Partnerländern, solare Systeme, die dazu beitra-gen, die Stromerzeugung weiter zu entwickeln. Wir un-terstützen auch andere erneuerbare Energien, etwaWindkraftwerke in Indien und China oder auch die Nut-zung von Biogas in Nepal.Ein Ziel der Bundesregierung ist es – das habe ich ebenangesprochen; ich betone es an dieser Stelle noch einmal –,die Erfüllung der Aufgaben in den Bereichen erneuerbareEnergien, Klimaschutz und Schutz des Tropenwaldes aufhohem finanziellen Niveau zu stabilisieren. Ich bin über-zeugt, dass uns dies selbst in den laufenden Haushaltsver-handlungen gelingen wird.Im multilateralen Bereich – das ist öffentlich viel zuwenig bekannt – ist die Bundesrepublik Deutschland nachden USA und Japan der drittgrößte Geber der so genann-ten Global Environment Facility, das heißt der GlobalenUmweltfazilität. Das ist eine Initiative, bei der es um dieFinanzierung von Know-how etwa im Bereich des Trans-fers von konkreten Maßnahmen zur Minderung der Emis-sion von CO2 und auch bei der Hilfe für die Entwick-lungsländer geht, sie dabei zu beraten, damit sieüberhaupt Klimaschutz in Gang bringen und in diesenFragen einen Schwerpunkt setzen können.Die Global Environment Facility ist das Finanzie-rungsinstrument der Klimarahmenkonvention, und siefinanziert auch andere Bereiche – Biodiversität, interna-tionalen Gewässerschutz und dergleichen. Unsere finan-ziellen Beiträge zur Global Environment Facility stelleneinen Beitrag dazu dar, die Verpflichtungen zu erfüllen,die wir bei dem Erdgipfel 1992 in Rio eingegangen sind.Wir sind jetzt in die Neuverhandlungen zur Wiederauffül-lung dieser entsprechenden Finanzen eingetreten. Wirwerden auch unseren laufenden Verpflichtungen in Höhevon 420 Millionen DM in vollem Umfang nachkommenund damit bei den Verhandlungen unsere Entschlossen-heit unterstreichen.
Ich möchte an dieser Stelle, bezogen auf die anste-hende Konferenz, sagen: Wir halten nichts davon, neueTöpfe neben dieser Global Environmental Facility zu ma-chen. Das könnte nur zu mangelnder Kohärenz führen.Das ist eine Orientierung, die manche Entwicklungslän-der gerne möchten. Aber wir halten es für richtig, die Mit-tel in diesem Bereich zu konzentrieren.Zum Schluss: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht– ich glaube, das ist heute Morgen deutlich geworden;vielleicht sollten wir das hier im Plenum dann auch un-termauern – um neue Partnerschaften im Klimaschutz.Denn Klimaschutz liegt im Interesse aller Staaten. Wirsind in einer Verantwortungsgemeinschaft. Wir sitzen imwahrsten Sinne des Wortes in einem Boot.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul12534
Er liegt also im Interesse der Industrie- und der Entwick-lungsländer. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dassdie Konferenz in Den Haag glaubwürdig und wirksam dasgesamte Kioto-Protokoll stärkt und wir dann die entspre-chenden Konsequenzen ziehen können.
Ich möchte an dieser Stelle auf den Zusammenhangvon Klimaschutz und Armutsbekämpfung hinweisen.Das hat vorhin der Kollege Lippold angesprochen. Es istrichtig: Wir koppeln die Fragen Armutsbekämpfung undKlimaschutz. Es ist doch logisch, dass es Sinn macht,auch durch die Bekämpfung der Armut in den Partnerlän-dern dem Raubbau an der Natur, dem Raubbau an denRessourcen entgegenzuarbeiten. Das tun wir zum Bei-spiel, indem die Armutsbekämpfungsstrategien ab demJahr 2000 für alle ärmsten Entwicklungsländer verpflich-tend werden. Das ist ein Ergebnis, das mancher noch garnicht zur Kenntnis genommen hat.Wir müssen bei diesen Armutsbekämpfungsstrategiendarauf aufpassen, dass sie auf Energie sparende Technikund erneuerbare Energien setzen. Denn bei der wirt-schaftlichen Entwicklung dieser Länder brauchen wirTechnologien, die verhindern, dass das wirtschaftlicheWachstum dieser Länder sich weiter in dramatischen Um-welt- und Klimabelastungen auswirkt. So integriert müs-sen wir diese Bereiche sehen.
Ich möchte, wenn es um ein neues Bündnis und neuePartnerschaft für Klimaschutz geht, einen weiteren Punktansprechen. Wenn wir im Verhältnis zu den Partnerlän-dern auf erneuerbare Energien setzen, dann leisten wirauch einen Beitrag zu einer Entwicklung weg vom Öl.Ein Land wie Bangladesch gibt in diesem Jahr doppelt soviel für seine Ölrechnung aus wie im letzten Jahr. Wennwir dazu beitragen, dass die Entwicklungsländer beierneuerbaren Energien einen Schwerpunkt setzen können– das wollen wir –, dann haben wir einen dramatischenBeitrag dazu geleistet, vom Öl wegzukommen, abergleichzeitig auch Klimaschutz und eine sinnvolle, dezen-trale Energieversorgung in den betroffenen Entwick-lungsländern voranzubringen, und darum geht es.
Wir reden aber nicht nur von solchen Ansätzen. Viel-mehr propagieren wir als Bundesregierung – das hat dieseBundesregierung in Gang gesetzt – das Konzept Ent-wicklungspartnerschaft mit derWirtschaft.Wir sagennämlich: Nur staatliche Investitionen werden in diesemBereich nicht ausreichen.
– Darf ich das als Zwischenfrage verstehen, Frau Präsi-dentin? Ich bin auch gleich fertig.
Das bringt Ihnenkeinen Vorteil.Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Dannwird es eben auf meine Zeit angerechnet.Herr Repnik, das ist in Ordnung. Sie haben es gesagt.
Aber was ich im Amt vorgefunden habe, war ein klitze-kleines Pilotprojektchen „Entwicklungspartnerschaft mitder Wirtschaft“. Was bei uns neu ist – das wundert viel-leicht immer noch manchen der Konservativen –, ist, dasswir sagen: Wir wollen bei jeder Aktion prüfen, was dieprivate Wirtschaft besser finanzieren und leisten kann undwas die öffentliche Hand machen muss. Das tun wir beiall unseren Projekten.Bei der Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaftgeht es darum, dass wir erneuerbare Energien und neueTechnologien fördern und dass wir dies als einen Schwer-punkt betrachten. Wir arbeiten heute schon mit etwa 300Unternehmen auch in anderen Wirtschaftsbereichen zu-sammen. Das wollen wir ausweiten. Wenn der Clean De-velopment Mechanism in all seinen Details entwickeltist, wie der Kollege Trittin das heute Morgen dargestellthat, dann können wir bereits ab diesem Jahr erreichen,dass dieser Clean Development Mechanism so eingesetztwird, dass die Entwicklungsländer die Möglichkeit ha-ben, mit den Investitionen, die aus den Industrieländernkommen, eine neue Energieversorgung aufzubauen. Dasist eine wichtige Voraussetzung für die Länder, damit sieneue Technologien, erneuerbare Energien bekommen undgroße Potenziale erhalten. Es ist aber auch ein großes Po-tenzial der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und öf-fentlicher Hand und Entwicklungszusammenarbeit.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wollte damitdeutlich machen – jetzt stört den einen oder anderen wahr-scheinlich wieder die Leidenschaft –:
Es ist immer gut, in Diskussionen abstrakt darüber zusprechen, wofür man eintritt. Aber es kommt darauf an– auch wenn das in der Bevölkerung manchmal schwierigist –, zu diesen Fragen zu stehen und keine widerwärtigenKampagnen, zum Beispiel in Sachen Ökosteuer, durchzu-führen. Ich halte es nämlich für konsequent und richtig,dass man, wenn man für Klimaschutz weltweit und für dieZiele, die in Den Haag anstehen, eintritt, auch hier zuHause dafür einsteht und nicht an der einen Stelle so undder anderen Stelle so spricht.Ich danke Ihnen sehr.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul12535
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als letzter Red-ner in dieser Debatte kann ich festhalten, dass wir uns we-nigstens in der Ausgangsposition einig sind. Einig sindwir uns, dass der Treibhauseffekt seine dramatischen Vor-boten schickt. Einig sind wir uns auch, dass die interna-tionalen Klimaschutzbemühungen an einer sehr kriti-schen Stelle stehen und dass in Den Haag sehr viel aufdem Spiel steht. Einig sind wir uns auch, dass sich einigeLänder wirklich noch weit bewegen müssen, zum Bei-spiel auch die Vereinigten Staaten, auf deren Verhand-lungsführer eine große Verantwortung liegt.Als CSU-Abgeordneter möchte ich ausdrücklich demgrünen Umweltminister Glück und Verhandlungserfolgbei dieser Konferenz wünschen. Es ist unser gemeinsamesZiel, dass Den Haag ein positives Datum im Kampf gegenKlimarisiken wird. Allerdings bin ich auch der Meinung,dass er dann schon mehr Überzeugungskraft und Begei-sterung entwickeln müsste als heute Morgen bei seinereinschläfernden Rede.
Ich bin auch der Überzeugung, dass die rot-grüne Bun-desregierung inzwischen die internationale Führungs-rolle, die die frühere Bundesregierung übernommen hatte,verspielt hat und dass sie deswegen mit einer schwäche-ren Verhandlungsposition nach Den Haag fährt, als eseigentlich sein könnte.An dieser Stelle möchte ich noch einmal Folgendeszum Ausdruck bringen: Wenn sogar Rot-Grün zugibt,dass Deutschland bisher mehr an Reduktionsverpflich-tungen eingelöst hat als alle anderen europäischen Staatenzusammen, dann ist das sicherlich nicht das Resultat Ihrerzweijährigen Amtszeit,
sondern das Resultat der Politik Ihrer Vorgänger.Dass es Kioto, dass es Rio, dass es Den Haag überhauptgibt, ist auch das Resultat der Politik von HelmutKohl & Co.
Ich glaube, das muss man immer wieder klarstellen. Siebehaupten nämlich immer wieder das Gegenteil, und dasGegenteil ist falsch.
– Herr Müller, ich glaube, das ist eine seriöse Debatte. Dakann man auch seriöse Argumente austauschen.
Sie sind zum Beispiel damit angetreten, dass Sie dieWelt ökologischer gestalten wollten. Aber davon ist dochüberhaupt nichts zu spüren. Das beginnt schon damit, dassSie Ihre nationalen Hausaufgaben im Klimaschutz ebennicht gemacht haben, dass Sie zwei Jahre gebraucht ha-ben, um überhaupt ein Klimaschutzprogramm auf dieBeine zu stellen.
– Herr Müller, dass in diesem Programm vieles drinsteht,was richtig ist, auch Vorschläge, die von uns mitgetragenwerden, bleibt Ihnen ja unbenommen. Aber selbst derWirtschaftsminister, Ihr Namenskollege Müller, und diegroßen Naturschutz- und Umweltorganisationen inDeutschland sagen,
dass Sie mit diesem Programm zu kurz springen, weil eslöchrig ist wie Schweizer Käse.Was wir Ihnen bei der Ökosteuer vorwerfen, ist dochnicht, dass Sie der Bevölkerung schmerzhafte Schritte ab-verlangen, sondern dass Sie Maßnahmen ergreifen, dieökologisch inkonsistent sind und darüber hinaus wahn-sinnig viel Geld kosten. Das fällt im Endeffekt auf denUmweltschutz zurück.Ein gutes Beispiel ist das 100 000-Dächer-Pro-gramm. Sie freuen sich, dass es gut läuft. Letzten Endeskostet es aber etwa 1Milliarde DM und bringt für den Kli-maschutz zumindest bei uns überhaupt nichts.
Sie verpassen also, was die eigenen Ziele anlangt, inter-national den Anschluss beim Klimaschutz. Das wird vonden anderen Staaten natürlich registriert. Das ist einPunkt, weshalb Ihre Verhandlungsposition in Den Haagnicht so stark ist, wie sie sein könnte.Auch wir wollen Geld in die Hand nehmen. Sie, HerrKollege Hermann, haben schon darauf hingewiesen.
Wir glauben, dass es volkswirtschaftlich günstiger ist,wenn man eine Komplettsanierung des deutschen Ge-bäudebestandes macht. Dazu ist das, was Sie vorgelegthaben, zu kurz gesprungen.
Wir wollen zum Beispiel eine massive Festbetragsför-derung, weil damit auch die Hauseigentümer erreicht wer-den, die nichts von der Steuer absetzen können. Dasbetrifft oft gerade die Häuser, die dringend sanierungsbe-dürftig sind. Außerdem wollen wir dadurch verhindern,dass es zu weiteren Preissteigerungsspiralen kommt, ohnedass sich klimapolitisch etwas ändert.Wir sind uns doch alle darüber einig, dass sich geradeim Bereich der Gebäude sehr viel Einsparungspotenzialbefindet. Wir könnten 50 Prozent der Energie, die im
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Gebäudebereich verbraucht wird – dort werden immerhin40 Prozent der Gesamtenergie verbraucht –, einsparen.Allein für Bayern ergäbe sich dadurch eine Reduzierungum bis zu 25Millionen Tonnen CO2. Ich glaube, dass die-ser Ansatz über zehn oder fünfzehn Jahre verfolgt werdenmuss. Dadurch könnten die Klimaschutzziele wesentlichbilliger und wesentlich kosteneffizienter erreicht werdenals mit Ökosteuer, erneuerbaren Energien und KWK.Es gibt aber leider noch einige andere Gründe, warumunsere Verhandlungsposition in Den Haag nicht zu den al-lerstärksten gehört. Einer dieser Gründe ist die Entwick-lungspolitik. Die Entwicklungspolitik befindet sich imfreien Fall. Entgegen allen Ankündigungen im Koaliti-onsvertrag und allen Regierungserklärungen auch vonBundeskanzler Schröder verliert der Haushalt des BMZinnerhalb weniger Jahre über 1 Milliarde DM.
Davon massiv betroffen sind gerade die Sektoren Um-welt- und Ressourcenschutz sowie Bevölkerungspolitik.Der Anteil des Entwicklungshaushalts am Gesamthaus-halt wird von 1,7 Prozent im Jahr 1998 auf 1,3 Prozent imJahr 2003 sinken.
Das hat natürlich auch Folgen für die Verhandlungsposi-tion gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern.Wir waren uns alle doch darüber einig, dass wir geradeauch diese Länder ins Boot holen müssen, zum BeispielMexiko. Mexiko steht bei den globalen CO2-Emittentenschon an 14. Stelle. Die entscheidende Frage ist, wie dieMenschen in China, in Indien, in Brasilien oder in Mexikoauch nur annähernd auf unser Wohlstandsniveau kom-men, ohne dass das Klima endgültig kippt. Wenn wir alsDeutsche darauf Einfluss nehmen wollen, dann dürfen wirdie Entwicklungspolitik nicht zum Steinbruch machen,sondern müssen unsere Entwicklungszusammenarbeitfinanziell und konzeptionell deutlich verbessern.
Ein Hearing unserer Arbeitsgruppe Entwicklungspoli-tik hat ergeben, dass hochnäsige Besserwisserei, gepaartmit einer Einschränkung der Entwicklungshilfe, keinAusgangspunkt für einen Dialog mit Entwicklungs- undSchwellenländern ist. Das gilt im Übrigen auch für derenWahl ihrer zukünftigen Energietechnologie. Kohlekraft-werke mit niedrigen Umweltstandards sind inzwischenauch aus Sicht vieler Entwicklungsländer in der Tat keineLösung mehr. Deswegen werden, ob uns das passt odernicht, Länder wie China, Indien, Brasilien und anderezukünftig noch erheblich mehr in Kernenergie investie-ren. Eine gute deutsche Politik wäre es, in diesem Bereich,gerade im Sicherheitsbereich, technologische Hilfe undBeratung anzubieten, statt erfolglos den moralischen Zei-gefinger zu heben.
Ein anderes entscheidendes Ergebnis des Hearingswar, dass Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in den In-dustrieländern, auch in Deutschland, noch immer zu sehrNabelschau betreiben, auf Absatzmärkte im eigenen Landstarren und die gewaltigen Anwendungsbereiche für ihrewissenschaftlichen und technischen Kapazitäten in Ent-wicklungs- und Schwellenländern übersehen. Beispieledafür sind die Brennstoffzelle, die Wasserstofftechnologieoder die Photovoltaik, deren natürliche Voraussetzungen invielen Entwicklungs- und Schwellenländern weit günstigersind als bei uns. Vielfach ist jede eingesetzte Mark in Ener-gieeffizienz, Energieeinsparungs-technik oder CO2-Minderungstechnologien in China und Indien um ein Viel-faches mehr wert, als wenn sie in Deutschland, zumBeispiel bei BASF oder BP, eingesetzt würde.Dazu bedarf es aber auch vonseiten der Politik größe-rer Anstrengungen, Wirtschaft, Forschung und alle be-troffenen Bundesministerien auf einen massiven Techno-logietransfer einzuschwören. Die Kioto-Instrumente,insbesondere der Clean Development Mechanism, bötendazu die Grundlage. Deswegen halten wir es für ganz ent-scheidend, dass wir gerade in diesem Punkt in Den Haageinen Durchbruch erzielen und die Verhandlungen nichtzum Beispiel an starren 50-Prozent-Grenzen scheitern.Ich möchte abschließend noch das Problem der CO2-Senken ansprechen. Auch ich habe dafür keine Patentlö-sung. Aber es ist unbestritten, dass die Zerstörung, dassdas Abbrennen der Wälder, insbesondere in den Tropen,den Treibhauseffekt zu einem erheblichen Teil mit be-wirkt. Es ist auch unbestritten, dass die Zerstörung unge-brochen voranschreitet, dass in einigen Ländern der Waldauf ein Minimum geschrumpft ist, zum Beispiel in vielenLändern Südostasiens oder Westafrikas, und dass uns dieZeit davonläuft. Zudem sind gerade diese Ökosystemegleichzeitig die Orte mit der höchsten Artenvielfalt derErde.Würde den Tropenwaldländern zumindest teilweiseoder in irgendeiner anderen Form die Bewahrung desWaldes als CO2-Senken gutgeschrieben und so zu Ein-nahmen führen, hätten diese ein größeres Eigeninteressean der Erhaltung des Waldes und einen größeren finanzi-ellen Spielraum. Ich trete deshalb – trotz aller Schwierig-keiten und aller möglichen Missbräuche, die natürlichauch ich kenne – dafür ein, die Bemühungen um eine Ver-knüpfung der Kioto-Mechanismen mit dem Schutz be-drohter Ökosysteme nicht aufzugeben, sondern mit Nach-druck weiter zu betreiben.
Lippenbekenntnisse wie in der Entwicklungspolitikoder Ideologien wie in der Energiepolitik der Bundesre-gierung bringen uns national nicht weiter und kosten unsunsere internationale Überzeugungsfähigkeit. Kehren Siedeshalb, liebe Kollegen von Rot-Grün, zu einer ergeb-nisorientierten Umwelt- und Klimaschutzpolitik zurück,die mit pragmatischen Instrumenten den Erfolg sucht.
Einen Erfolg auf der Klimakonferenz in der nächsten Wo-che in Den Haag wünschen wir uns alle.
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Dr. Christian Ruck12537
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge zur Regierungserklärung. Zunächst stimmen
wir über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache
14/4532 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der F.D.P. und eines Teils der CDU/CSU bei
Enthaltung der PDS und eines Teils der CDU/CSU an-
genommen worden.
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/4533. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen?
– Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der F.D.P. 1) und der PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU abgelehnt worden.
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 14/3835. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des An-
trages der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zum Klimaschutz durch ökologische Modernisie-
rung und Verbesserung der internationalen Zusammenar-
beit auf Drucksache 14/1956. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten
Opposition1) angenommen worden.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der
CDU/CSU zur Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarah-
menkonvention in Bonn auf Drucksache 14/1853. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men von CDU/CSU und F.D.P. bei einigen Enthaltungen
aus der PDS angenommen worden.2)
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrages der
Fraktion der F.D.P. zur Abgabe einer Erklärung der Bun-
desregierung zu den Ergebnissen der 5. Vertragsstaaten-
konferenz der Klimarahmenkonvention in Bonn auf
Drucksache 14/1998. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Entschlie-
ßungsantrages der Fraktion der PDS zur Abgabe einer
Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der
5. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention
in Bonn auf Drucksache 14/1992. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses bis auf die Stimmen der PDS, die dagegen
gestimmt hat, angenommen worden.2)
Tagesordnungspunkt 12 c: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 14/4379 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fall zu
sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Norbert Geis, Ronald Pofalla, Dr. Jürgen Rüttgers,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Erfolgreiche Verbrechensbekämpfung in
Deutschland
– Drucksachen 14/2592, 14/4113 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierungstellt in ihrer Antwort vom 20. September dieses Jahresfest, dass die Bekämpfung der Kriminalität eine der wich-tigsten Aufgaben der Innen- und Rechtspolitik ist. Dies isteine richtige Feststellung.Wenn Menschen in ihren Wohnungen nicht mehr vorEinbruch sicher sind, wenn sie sich nicht mehr trauen,spätabends auf öffentlichen Straßen und Wegen zu gehen,
wenn sie nachts nicht mehr in Ruhe und ohne Angst mitder U-Bahn fahren können und diese Fahrt zu einem Alb-traum wird oder wenn eine Frau nicht mehr ungefährdetvon der Bushaltestelle zu ihrer Wohnung gehen kann,dann müssen bei uns die Alarmglocken läuten. Wenn Un-sicherheit und Angst in der Bevölkerung herrschen, kanneine ganze Gesellschaft aus den Fugen geraten. Deshalbist es richtig: Die Kriminalitätsbekämpfung ist die wich-tigste Aufgabe der Innen- und Rechtspolitik. Das Zusam-menleben in unserer Gesellschaft und auch unser wirt-schaftlicher Fortschritt hängen davon ab.
Dies ist nicht nur eine Aufgabe des Bundes allein, son-dern gleichermaßen auch eine der Länder. Der Bund hatdie Gesetze zu erlassen, die Länder aber haben mithilfe ih-rer Polizei die Verbrechen zu verfolgen, die Staats-anwaltschaften haben zu ermitteln und die Gerichte habenentsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu urteilen. Siehaben dann auch entsprechend dem Urteil den Strafvoll-zug durchzusetzen. Hier ist mittlerweile eine Mangel-situation zu beklagen: In vielen Ländern wird der Straf-vollzug, wie wir leider feststellen müssen, zu lässig
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1) Anlage 22) Anlage 3gehandhabt. Der Strafvollzug ist niemals eine Freizeit-veranstaltung. Es geht darum, dass der Täter die Konse-quenzen seiner Tat tragen muss und dass der Öffentlich-keit klargemacht wird: Unser Staat wehrt sich, wenn seineRechtsordnung verletzt wird.Aus dieser Antwort geht hervor, dass die Häufigkeits-zahlen in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlichsind.
Herr Kollege
Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Marschewski?
Bitte sehr.
Herr Kollege Geis, können Sie mir bestätigen, dass es sich
heute um eine wichtige Debatte über Kriminalität und in-
nere Sicherheit handelt? Können Sie mir vielleicht sagen,
wo eigentlich die Bundesjustizministerin ist?
Unsere Große Anfrage hatsich an das Innenministerium und an das Justizministe-rium gerichtet. Ich habe keine Erklärung dafür, weshalbdas Justizministerium heute hier nicht vertreten ist.Vor allem geben die zum Teil sehr unterschiedlichenHäufigkeitszahlen in den verschiedenen BundesländernAnlass zur Besorgnis. Zwar ist die Kriminalität in Groß-städten schon immer stärker ausgeprägt gewesen; dasliegt wohl in der Natur solcher Städte. Aber der Unter-schied zwischen den Großstädten im Norden, vor allemzwischen denen in SPD-regierten Bundesländern, undden Großstädten in südlichen Bundesländern wie Bayernund Baden-Württemberg ist exorbitant. Das kann derBundesregierung nicht gleichgültig sein; denn sie trägtdie Verantwortung für das ganze Land.
Es fällt schon auf, dass in Bayern und Baden-Würt-temberg die Häufigkeitszahlen gering sind und die Auf-klärungsquote sehr hoch ist.
In Bayern liegt die Aufklärungsquote bei 60 Prozent. Diebundesweite Aufklärungsquote lag bei 46 Prozent; inzwi-schen liegt sie bei 50 Prozent. Es hat sich gebessert; dasist wahr. Dennoch ist die Aufklärungsquote in den südli-chen Ländern, die von der CDU oder von der CSU regiertwerden, noch immer viel höher als in den übrigen Bun-desländern. Das ergibt die Antwort der Bundesregierungganz eindeutig.Darüber muss man sich ein paar Gedanken machen.Wir können ohne weiteres feststellen, dass Verbrechen inden südlichen Ländern, in Bayern und in Baden-Würt-temberg, in der Tat konsequenter bekämpft werden.
Die Polizeien dort verfolgen Verbrechen energischer. DieStaatsanwaltschaften ermitteln intensiver. Es wird ange-klagt und es wird, entsprechend dem gesetzlichen Rah-men, im Einzelfall geurteilt. Vor allem ist der Strafvollzugdort stärker. Damit wird dem potenziellen Täter schonklargemacht, dass er, wenn er entdeckt wird, mit einer har-ten Strafe rechnen muss – ich erinnere an die hohe Auf-klärungsquote von 60 Prozent in Bayern –, die er – imBundesjustizministerium wird in Bezug auf schwereStraftaten im Erstfall überlegt, nach der Hälfte der Straf-zeit die Reststrafe auf Bewährung auszusetzen – komplettverbüßen muss. Vor diesem Hintergrund wird er sich viel-leicht überlegen, ob er die Straftat begeht. Die general-präventive Kraft des Strafrechts würde dann seine Wir-kung entfalten.
Die konsequentere Bekämpfung von Straftaten halte ichfür den wesentlichen Grund dafür, dass wir in Bayern undin Baden-Württemberg niedrigere Häufigkeitszahlen undeine höhere Aufklärungsquote als in allen anderen Bun-desländern haben.Das muss in der Öffentlichkeit endlich einmal disku-tiert werden. Diese Frage muss uns alle angehen; denn esmuss festgestellt werden, wo die Schuldigen für so exor-bitante Unterschiede sitzen.
Aus den gewonnenen Erkenntnissen müssen entspre-chende Schlussfolgerungen gezogen werden.Die Antwort der Bundesregierung vom 20. Septemberlässt keinen Zweifel daran, dass die Vorgängerregierungder Koalitionsparteien CDU/CSU und F.D.P. unterHelmut Kohl ihre Hausaufgaben gemacht hat. Die Ant-wort besagt nämlich ganz eindeutig, dass die jetzt beste-henden gesetzlichen Maßnahmen eigentlich ausrei-chend sind, um Verbrechen wirksam zu bekämpfen.Denken Sie an das Gesetz zur Bekämpfung der organi-sierten Kriminalität aus dem Jahre 1992, an das Verbre-chensbekämpfungsgesetz aus dem Jahre 1994, an dasneue Gesetz für den Bundesgrenzschutz, ebenfalls ausdem Jahre 1994, und an die große Strafrechtsreform ausdem Jahre 1996 mit einer Neuformulierung der Sexual-straftaten und einer Erleichterung der Möglichkeit, einenTäter in die Sicherungsverwahrung zu geben, wenn feststeht, dass er sich voraussichtlich nach wie vor straffälligverhalten wird. Wir haben im Jahre 1997 das Antikorrup-tionsgesetz beschlossen.
1998 haben wir ein weiteres Gesetz gegen die organisierteKriminalität verabschiedet, und zwar mit Änderung desArt. 13 Grundgesetz und der Einführung der Möglichkeitder akustischen Wohnraumüberwachung. Dies haben wirdamals zusammen mit der F.D.P. und auch der SPD ge-macht, die an diesen Verhandlungen auch in Person desheutigen Bundesinnenministers beteiligt gewesen ist.
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Norbert Geis12539
Ich glaube also schon, dass eine gute gesetzlicheGrundlage für den Bund besteht, um Verbrechen erfolg-reich bekämpfen zu können. Aber damit können wir unsnicht zufrieden geben. Im Augenblick stagniert zwar dieKriminalitätsrate, aber – das sagt die Bundesregierungselbst – kein Mensch kann sich jetzt ruhig zurücklehnenund sagen: Jetzt haben wir es geschafft. Vielmehr geht esweiter im Kampf gegen das Verbrechen. Deswegen brau-chen wir nach unserer Meinung neben der akustischenÜberwachung auch die Videoüberwachung. Wir brauchenauch die Kronzeugenregelung. Wir halten es für einenganz großen Fehler, dass die jetzige Regierungskoalitiondie Kronzeugenregelung abgeschafft hat. Wir könnten sievielleicht gerade jetzt im Kampf gegen den Rechtsextre-mismus gebrauchen, auch im Kampf gegen die Korrup-tion. Zudem brauchen wir nach wie vor, obwohl dies inder Verbrechensskala tiefer angesiedelt und nur ein Ver-gehen ist, ein Gesetz gegen das Graffitiunwesen, weil ge-rade von diesem Milieu Verbrechen ausgehen, wie wir ausder Erfahrung wissen.
Der Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalitätmuss uns Sorge machen. 30 Prozent aller Tatverdäch-tigten sind jünger als 21 Jahre. Bei den Jugendlichenhaben wir insbesondere einen starken Anstieg der Ge-waltkriminalität zu verzeichnen. Das kann uns nichtgleichgültig sein.Christian Pfeiffer, der Spezialist aus Hannover, wo er,wie ich gehört habe, als möglicher Justizminister im Ge-spräch ist – er ist ein guter Mann; ich würde ihm gratulie-ren –, sagt, dass das Nord-Süd-Gefälle gerade bei der Ju-gendkriminalität vielschichtige Gründe habe. Er findetdie Gründe vor allem darin, dass nicht so gute familiäreBindungen bestehen, dass nicht so gute Bindungen anchristliche Gemeinden bestehen – das sagt Pfeiffer, dassage nicht ich –,
dass weniger Bindungen an Vereine und Jugendverbändebestehen. Er zieht daraus den Schluss, dass dies alles– auch die höhere Jugendarbeitslosigkeit – mit dazubeiträgt, dass im Norden eine stärkere Jugendkriminalität,vor allen Dingen auch Gewaltkriminalität, als im Südenzu verzeichnen ist. Das gilt auch für die rechtsextremis-tisch motivierte Jugendkriminalität. Rechtsextremismuswird ja vor allem von Skinheads, die im heranwachsendenAlter sind, verübt. Das alles führt Christian Pfeiffer aufdie Gründe zurück, die ich angeführt habe. Ich meine,auch der Bund müsste mehr dafür werben, dass solcheVoraussetzungen, wie sie im Süden bestehen, auch imNorden geschaffen werden.Ich glaube überhaupt, dass vor allem die Familie einewichtige Aufgabe bei der Kriminalitätsbekämpfung hat.Dort, wo intakte Familien bestehen, geraten die Kinderund Jugendlichen nicht so leicht auf die schiefe Bahn.Deswegen geht es bei den Familien nicht um konservativoder progressiv, nicht um christlich oder unchristlich,sondern um die Menschlichkeit der Menschen. Deswegenmüssen wir vor allen Dingen die Familien stützen. Inso-fern ist das morgen zu verabschiedende Gesetz in unserenAugen destruktiv.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die Flutder Drogen, die nach Angabe der Bundesregierung längstnicht abgeebbt ist, sondern ansteigt, und die insbesondereüber Kinder und Jugendliche hinweggeht, kann am bestenin den Familien bekämpft werden. Es hat aber keinenSinn, dass sich Familie und Schule gegen die Drogenwenden, wenn selbst ernannte Drogenspezialistendraußen im Lande
von der Entkriminalisierung von Einstiegsdrogen und vonder Freiheit des Drogenkonsums reden, wie dies leider oftgeschehen ist. Das halte ich für kontraproduktiv.
Den Menschen, die so etwas verkünden, müssen wir mitaller Entschiedenheit entgegentreten.Ein Wort noch zu den rechtsextremistisch motiviertenGewalttaten, die zu 90 Prozent von jugendlichenSkinheads verübt werden. Ich glaube, dass Demonstratio-nen allein nicht ausreichen. Sie sind wichtig – das will ichnicht herabspielen –, aber sie reichen nicht aus. Es mussein stärkerer polizeilicher Schutz bestehen. Es ist für michnicht zu erklären, weshalb Synagogen – obwohl bekanntwar, dass sie Angriffsobjekte für solche Wahnsinnstätersind – so wenig geschützt werden. Hier kann vieles imVorfeld verhindert werden, wenn die Polizei stärker prä-sent ist. Ich möchte noch einmal das Beispiel Bayern her-vorheben. Dort gab es im ersten Halbjahr dieses Jahres dieniedrigsten Häufigkeitszahlen pro 100 000 Einwohner imrechtsextremistischen Bereich.Im Juli und August ist die Situation in unserem Landumgeschlagen; die Kriminalität ist im ganzen Land außerKontrolle geraten. Aber sie muss wieder auf normale Ver-hältnisse zurückgeführt werden. Wir dürfen uns mit die-sen Straftaten nie abfinden. Ausländerfeindliche Strafta-ten sind besonders hässliche Straftaten, die wir mit allerEntschiedenheit bekämpfen müssen. Wir müssen im Vor-feld mehr tun, als dies vielleicht in manchen Ländern derFall ist.Wir müssen überlegen – wir haben den Gesetzentwurfbereits im April dieses Jahres eingebracht –, ob wir nichtbei Heranwachsenden das Erwachsenenstrafrecht stärkerheranziehen. Bei ganz schweren Delikten Jugendlicherwie Mord und Totschlag, bei denen das Jugendstrafrechtherangezogen wird, weil das Verbrechen noch als jugend-liche Straftat zu werten ist, müssen wir die Möglichkeitschaffen, das Strafmaß von 10 Jahren auf 15 Jahre zu er-weitern. Das halte ich für dringend erforderlich. Ich sehenicht ein, dass ein 20-Jähriger, auf den das Jugendstraf-recht angewendet wird, bei einer schweren Straftatmit nur 10 Jahren bestraft wird, ein 21-Jähriger aber im
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Norbert Geis12540
gleichen Fall mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rech-nen muss. Hier müssen wir zu einer Änderung kommen.
Vor allem glaube ich, dass wir insgesamt vor der Auf-gabe stehen, stärker Jugendarbeit zu betreiben. Impräventiven Bereich ist sehr viel möglich. Dies ist einegroße Anstrengung, die die ganze Gesellschaft zu leistenhat. Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind gerne bereit,hierbei mitzuhelfen.Danke schön.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Kemper.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Lassen Sie mich zu Anfang einigeBemerkungen zum Thema und zum Vorredner machen.Zunächst einmal finde ich es sehr gut, dass wir das Pro-blem der Kriminalitätsbekämpfung und der inneren Si-cherheit heute bei Tageslicht diskutieren. Das ist nicht im-mer so. Kriminalität findet oft im Dunkeln statt undunsere Diskussionen darüber auch oft zur Nachtstunde.Wichtig ist, dass wir dieses Thema heute in der Kernzeitdiskutieren; denn es bewegt die Menschen. Herr Geis, Siehaben völlig Recht: Viele Menschen sind unsicher undhaben Angst. Das ist nach 16 Jahren Kohl-Regierung auchkein Wunder.
Ein angstfreies Leben ist ein Stück Lebensqualität und dieMenschen haben einen Anspruch darauf.Sie haben die Vorgänge um Kohl angesprochen und aufdas Gesetz zur Verbrechensbekämpfung und andere Ge-setze hingewiesen. Ich sage Ihnen: Die Vorgänge um Kohlhaben auf die innere Sicherheit eine verheerende Wirkunggehabt. Sie haben das Vertrauen der Menschen in denRechtsstaat erschüttert.
– Wir haben das nicht aufgebauscht.Sie haben eine Große Anfrage zur erfolgreichen Ver-brechensbekämpfung in Deutschland gestellt. Ich sage Ih-nen: Sie haben Recht. Nomen est omen. Die Verbre-chensbekämpfung der Bundesregierung ist erfolgreich. –Herr Marschewski, ich habe gesehen, dass Sie als Nächs-ter für die CDU/CSU sprechen.
Es war lange guter Brauch, dass Sie der Bundesregierungfür die hervorragenden Leistungen gedankt haben. Dashaben Sie oft unberechtigterweise getan. Aber heute ha-ben Sie einen Grund, der Bundesregierung zu danken, dasie auf diesem Gebiet eine hervorragende Leistung voll-bracht hat.
Das Ergebnis der Großen Anfrage liegt vor und es isterfreulich. Dennoch – insofern haben Sie Recht, HerrGeis – können wir uns nicht zufrieden zurücklehnen undsagen, wir hätten alles geschafft. Ich will nur einigePunkte aufgreifen: Erstens. Seit 1993 haben wir beimStraftatenaufkommen stagnierende bzw. rückläufigeZahlen; die Häufigkeitsziffern machen das deutlich. Jedeverhinderte Straftat bedeutet mindestens ein Opfer weni-ger. Ich denke, das ist ein ganz wichtiges Signal. Zwei-tens. Wir haben steigende Aufklärungsquoten.Auch dasist ein wichtiges Signal: Straftaten werden schneller undhäufiger aufgeklärt. Beide Entwicklungen wirken sich po-sitiv auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung aus.Ich will noch eines sagen, weil Sie die Regierung an-gesprochen haben: Die Häufigkeit der Straftaten ist seitdem Amtsantritt der rot-grünen Regierung in besondererWeise zurückgegangen, während gleichzeitig dieAufklärungsquote auf über 50 Prozent angestiegen ist.
Sie hätten Ihre Sache damals besser machen sollen, anstattheute das Ergebnis Ihrer 16-jährigen Politik zu kritisieren.
Sie haben Recht: Die Menschen haben Angst – oft eineirreale Angst –, denn das Sicherheitsgefühl der Bevölke-rung hat sich sehr stark abweichend vom tatsächlichenStraftatenaufkommen und von der Aufklärungsquote ver-ändert. Die Menschen haben Angst, Opfer einer Straftatzu werden und das hat zu Verhaltensänderungen geführt:Viele, besonders ältere Menschen trauen sich nach Ein-bruch der Dunkelheit nicht mehr, ihre Wohnung zu ver-lassen; sie vermeiden bestimmte Stadtteile, bestimmteParks und öffentliche Verkehrsmittel. Sie geben ein Stückihrer persönlichen Freiheit auf, weil sie ihre Verwandtenund Bekannten abends nicht mehr besuchen und auch kei-nen Besuch mehr bekommen. Sie geben damit ein StückLebensqualität preis und soziale Bindungen gehen ver-loren. Deswegen ist es gut, dass wir dieses Thema heutediskutieren und dass wir diese positive Entwicklung deut-lich machen können. Das wirkt sich letztlich positiv aufdas Sicherheitsgefühl der Bevölkerung aus.Sie haben die Kinder- und Jugendkriminalität ange-sprochen. Ich greife diesen Bereich heraus, weil er für dieZukunft besonders wichtig ist. Hier entscheidet sich, wiedie Kriminalitätsbekämpfung zukünftig aussehen wird,ob wir Dauerstraftäter bekommen oder ob Straftaten pu-bertierender Jugendlicher nur ein episodenhaftes Verhal-ten darstellen. Es hat – auch insofern haben Sie Recht –einen explosionsartigen Anstieg der Kinder- undJugendkriminalität gegeben; aber im Wesentlichen nur bis1997. Die Kinder- und Jugendkriminalität ist seit dem
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Wechsel der Bundesregierung zurückgegangen. Das hatetwas mit Prävention zu tun.Sie haben die Familien und die Perspektiven, die Kin-der und Jugendliche brauchen, angesprochen. Die jetzigeRegierung ist in diesem Bereich massiv tätig geworden:Wir haben die Situation der Familien durch die Erhöhungdes Kindergeldes und die Ausweitung des Familienein-kommens stark verbessert.
Wir haben auch im Bildungs- und Ausbildungsbereicheine Menge getan. So haben wir das BAföG erhöht unddie Jugendarbeitslosigkeit massiv bekämpft. Das sindpräventive Maßnahmen, die sich positiv auf die Jugend-kriminalität auswirken. Das haben Sie in den vergangenen16 Jahren versäumt.
– Die Kinder- und Jugendkriminalität steigt längst nichtmehr in dem Maße, wie wir das unter Ihrer Regierung be-obachten konnten; in einigen Bereichen ist sie sogar rück-gängig.Ich will noch einen wichtigen Bereich ansprechen,nämlich die ausländischen Jugendlichen.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Ja, bitte.
Ist Ihnen bekannt, dass
der vorhin von mir zitierte Christian Pfeiffer in der von
mir genannten Studie festgestellt hat, dass der Höhepunkt
der Jugend- und Kinderkriminalität 1997 gewesen ist und
dass danach eine konsequente Abflachung zu verspüren
war, also zu einer Zeit, als ganz offensichtlich noch die
Kohl-Regierung noch im Amt war?
Sie haben völlig Recht.
Ich sehe allerdings keinen Unterschied zu dem, was ich
gesagt habe. Den Höhepunkt der Kinder- und Jugendkri-
minalität, die seit 1993 zunahm, gab es im Jahre 1997. Da
haben Sie Recht. Es ist klar, wer damals regiert hat. Erst
danach flachte sie ab. Auch da ist klar, wer regiert hat.
Ich möchte noch etwas zur Entwicklung der Krimina-
lität bei ausländischen Kindern und Jugendlichen sagen;
denn über dieses Problem streiten wir uns ständig. Auch
hier gab es bis 1997 einen Anstieg. Aber selbst während
Ihrer Regierungszeit nahm die Kriminalität bei ausländi-
schen Kindern und Jugendlichen nicht so stark zu wie bei
den deutschen. Seitdem die SPD mit den Grünen regiert,
ist die Kriminalität bei ausländischen Kindern und Ju-
gendlichen zurückgegangen. Das steht im krassen Gegen-
satz zu dem, was Sie über Jahre hinweg über Ausländer-
kriminalität und die Gefährlichkeit von ausländischen
Kindern und Jugendlichen verbreitet haben. Wir haben
dagegen immer betont: Die ausländische Wohnbevölke-
rung ist zum Teil gesetzestreuer als die deutsche. Sie ha-
ben allen Grund, sich bei unseren ausländischen
Mitbürgerinnen und Mitbürgern für das zu entschuldigen,
was Sie in den letzten Jahren über sie gesagt haben.
Ich möchte noch auf ein anderes Problem zu sprechen
kommen, das hier auch angesprochen worden ist, nämlich
die Drogen. Dies ist in der Tat ein großes Problem, sowohl
im Gesundheitsbereich als auch im Bereich der Krimina-
litätsbekämpfung. Ich nehme letzteren Bereich als Bei-
spiel heraus, weil es hier um die Dealerproblematik und
die Beschaffungskriminalität geht. Die Aufklärungsquote
ist sehr hoch. Sie liegt bei etwa 95 Prozent. Dabei liegt
Deutschland im europäischen Vergleich hinsichtlich der
Zahl jener Straftaten, die im Zusammenhang mit Drogen
begangen worden sind, eher in der unteren Hälfte.
Nun muss man wissen, dass sowohl die Entwicklung
der Drogenkriminalität als auch die Höhe der Auf-
klärungsquote sehr stark von der Ermittlungsintensität der
Polizei abhängen. Drogenkriminalität ist immer auch
Dunkelfeldkriminalität. Je mehr die Polizei ermittelt, des-
to mehr Licht wird in das Dunkel der Drogenkriminalität
gebracht. Fast immer wird der Täter ermittelt. Die Fälle,
in denen kein Täter ermittelt werden kann, sind eher die
Ausnahme. Ein Beispiel für einen solchen Fall – Stich-
wort: Schneegestöber – ist der Bundestag: Es gibt zwar
den Verdacht einer Straftat, aber es gibt keine Täter, zu-
mindestens keine, die man benennen könnte. Aber das ist,
wie gesagt, eher der Ausnahmefall. Man wird sehen, wie
sich das entwickeln und was dabei herauskommen wird.
Meine Redezeit ist weitestgehend abgelaufen. Deshalb
möchte ich das Ergebnis zusammenfassen: Die Große An-
frage hat gezeigt: Es gibt noch viel zu tun. Es gibt keinen
Grund, dass wir uns zurücklehnen. Die Bekämpfung der
Internetkriminalität und die Kooperation auf europäischer
Ebene – Stichwort: Eurodac – müssen deutlich verbessert
werden. Hier sind wir erst am Anfang. Die Große Anfrage
hat aber auch gezeigt, dass Kriminalität und eine hohe
Kriminalitätsrate nicht gottgegeben sind. Man kann etwas
dagegen machen. Die rot-grüne Koalition und die Regie-
rung haben etwas dagegen getan. Wir sind auf einem
guten Weg, den wir fortsetzen werden.
Das Wort hat
jetzt der Kollege Guido Westerwelle.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Esmuss zunächst einmal festgehalten werden, dass sowohl
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Hans-Peter Kemper12542
die Große Anfrage als auch die Antwort der Bundesregie-rung auf diese Anfrage in bemerkenswerter Weise geeig-net sind, einen Beitrag zur Versachlichung der öffentli-chen Diskussion zu leisten. Als ich die Anfrage gelesenhabe, fand ich es bemerkenswert, wie zielführend die Fra-gen gestellt worden sind. Ich muss ausdrücklich anerken-nen, dass die Antwort der Bundesregierung für die Arbeitder Parlamentarier wirklich weiterführend ist und erheb-liches Material beinhaltet, das geeignet ist, die Diskussionzu versachlichen.
Man muss im Grunde genommen feststellen, dassmanche in der Öffentlichkeit hysterisch geführte Diskus-sion im Lichte der Großen Anfrage und der Antwort derBundesregierung wirklich lächerlich erscheint. Es gibtPersonen in der Öffentlichkeit – ich denke da an einenspeziellen Fall in Hamburg –, die meinen, sie könnten mithysterischen Bemerkungen Menschen hinter sich brin-gen. Wir erleben immer wieder, wie bestimmte Personendie Durchsetzung ihrer politischen Interessen überKatastrophenmeldungen versuchen. Die Große Anfrageund die Antwort darauf zeigen – und zwar jenseits der Par-teigrenzen –, dass die innere Sicherheit in Deutschland ineinigen Bereichen ausgesprochen problematisch ist, aberüberwiegend im Griff ist. Das muss man einmal festhal-ten dürfen.
Ich möchte davon abraten, dass man eine so klugeDiskussionsgrundlage dafür nutzt, sozusagen das partei-politisch kleine Karo zu fahren. Die Spekulation darüber,ob Helmut Kohl das Problem der Jugendkriminalitätschon 1997 gelöst hat oder ob die Jugendkriminalität an-gesichts der frohen Erwartung auf einen Regierungs-wechsel zurückgegangen ist, sollten wir den Kabarettistenüberlassen. Die Regel ist – das wissen diejenigen, die sichdamit befassen –, dass kriminologische Entwicklungen inunserer Gesellschaft viel längerfristig angelegt sind. Wirwollen doch nicht ernsthaft den Eindruck hier erwecken:Es gab einen Regierungswechsel 1998 und plötzlich istdie Kriminalität weg von den Straßen.
– Ich glaube Ihnen vieles. Ich glaube auch, dass Sie dasmeiste, das Sie sagen, ernst meinen. Aber ich glaube nicht,dass Sie das ernst gemeint haben. Dafür kenne ich Sie zugut.
Wir haben in Deutschland kein Gesetzesdefizit, son-dern ein Vollzugsdefizit.
Wir diskutieren im Deutschen Bundestag regelmäßig überdie Gesetze. Wir sind auf Bundesebene in erster Linie– wenn ich einmal vom BGS und anderen Bundesbehör-den für die Bekämpfung von bestimmten Kriminalitäts-strukturen absehe – für die Gesetze zuständig. Man mussaber kritisch sehen, dass in weiten Teilen ein Vollzugsde-fizit besteht. Dieses Defizit besteht insbesondere im Be-reich der Länder. Ich will in diesem Zusammenhang nichtdie spektakulären Fälle ansprechen. Aber trotzdem mussich sagen, die Tatsache, dass ein Gewalttäter wie FrankSchmökel zum x-ten Male entkommen konnte, zeigt, dasses kein Gesetzesdefizit, sondern ein klar erkennbaresVollzugsdefizit gibt. Ich wundere mich darüber, dass einStaatssekretär zurücktreten muss, aber nicht diejenigen,die diese Sache verbockt haben.
Der zurückgetretene Staatssekretär gehört nicht meinerPartei an; ich habe mit ihm auch nichts zu tun. Aber den-noch muss ich sagen, dass uns diese Art und Weise derDiskussion nicht weiterführt.Es ist auch viel zu kurz gegriffen, wenn man sagt, diePolitik habe eine Vorbildfunktion. Die Politiker solltensich diesbezüglich nicht überschätzen.Bei allem Respekt, Herr Kollege, muss ich Ihnen sagen– obwohl ich der Einschätzung in weiten Teilen zustim-men kann, der Fall Kohl habe Auswirkungen auf dasRechtsbewusstsein –: Meine Mitarbeiter haben mir ge-rade telefonisch durchgegeben, dass gegen einen amtie-renden Bundesminister, nämlich gegen Herrn Klimmt, amheutigen Tage ein Strafbefehl von der Staatsanwaltschaftbeantragt worden ist. Wer mit Steinen wirft, der sitzt in derRegel im Glashaus.
Aus meiner Sicht haben die unzureichenden Schutz-maßnahmen auf das Rechtsbewusstsein der Bevölkerungeine größere Auswirkung als manche theoretische politi-sche Diskussion, die wir führen. Ich frage mich – das fra-gen sich sicherlich viele Kolleginnen und Kollegen –: Wiemuss sich eine junge Frau fühlen, wenn ihr Schänder zumfünften Mal wieder auf freiem Fuß ist und zum fünftenMal versucht, zu seinem früheren Opfer zu gelangen?Welches Martyrium muss diese junge Frau über Jahre hin-weg durchgemacht haben? Ein Staat, der ein solches Pro-blem nicht mit Schloss und Riegel lösen kann, der versagt.Dabei ist es für mich nicht entscheidend, auf welcherEbene dies passiert.
Es geht selbstverständlich nicht darum, dass man demWegsperren das Wort reden sollte. Jeder weiß, dass dieResozialisierung und das Zurückführen der Straftäter aufden rechten Weg die beste Maßnahme ist. Wenn ein ehe-maliger Straftäter nicht erneut straffällig wird, ist das derbeste Opferschutz. Aber es gibt – das liegt in der Natur derSache – Straftäter, die nicht auf den rechten Weg zurück-zuführen sind. Wir sollten also unter dem Eindruck einervöllig überholten Diskussion, die einer bestimmten Phaseunserer Republik entstammt, uns nicht davon abbringenlassen, die Härte des Gesetzes anzuwenden.
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Dr. Guido Westerwelle12543
Herr Abgeord-
neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen
Irmer?
Ja. Aber Sie meinen:
unseres Kollegen Irmer; denn er ist Kollege von uns allen.
Herr Kollege Westerwelle, ich
habe heute früh zu meiner Verblüffung Folgendes in der
Zeitung gelesen:
Der brandenburgische Gesundheitsminister Alwin
Ziel, SPD, hat gestern nicht ausgeschlossen, dass der
am Dienstag gefasste Gewaltverbrecher Frank
Schmökel wieder in den Maßregelvollzug überstellt
wird und dass er dann einen erneuten Freigang be-
kommt.
Ich frage Sie, was Sie davon halten. Ich frage Sie auch,
ob solche Meldungen nicht Wasser auf die Mühlen derje-
nigen sind, die sich für die Todesstrafe einsetzen.
Das ist eine sehr ge-fährliche Diskussion. Sie sprechen etwas an, hinsichtlichdessen es in diesem Hause zu Recht ein Tabu gibt, worü-ber in der Bevölkerung aber diskutiert wird. Nur, einesmuss ich genauso klar feststellen: Ich verstehe nicht, wieman als Verantwortlicher – hierbei geht es mir wirklichnicht um die Parteizugehörigkeit – eine solche Erklärungzu einem solchen Zeitpunkt in die Presse setzen kann. Dasist mir, ehrlich gesagt, unbegreiflich.
Die Menschen müssen doch kirre werden, wenn sie so et-was lesen. Genauso klar muss ich Ihnen sagen: Wer be-hauptet, dass die bestehende Gesetzeslage nicht das le-benslange Wegsperren von solchen pathologischenTätern erlaube, der kennt die Gesetzeslage nicht. DieseMenschen können und müssen weggesperrt werden.
Denn es gibt auf solche Menschen keine andere Antwort.Das sind, wie wir alle aus der Kriminologie wissen, Men-schen, die nicht auf den rechten Weg zurückzuführen sind,weil sie bestimmte Fehlschaltungen nicht nur in ihrer Psy-che haben. Deswegen ist hier meiner Einschätzung nachnur die Härte des Rechtsstaates geboten.Bei der Kriminalitätsbekämpfung geht es um weitmehr. Ich finde sehr bemerkenswert, was in der Antwortder Bundesregierung zu den jugendlichen und heran-wachsenden Straftätern ausgeführt wird. Das ist eine Be-sorgnis erregende Entwicklung. Nur, ich empfehle allenhier, nicht sofort aus der Hüfte zu schießen und zu glau-ben, das Problem werde dadurch gelöst.Wer sich von Berufs wegen ein bisschen mit dem Ju-gendstrafrecht befasst hat, der weiß eines ganz genau: Esgibt in unserer gesamten Strafrechtskultur und -strukturkaum einen Bereich, in dem so erfolgreich gearbeitet wirdwie im Jugendstrafrecht. In kaum einem anderen Bereichist man so erfolgreich, Menschen wieder auf den rechtenWeg zurückzuführen. Man muss eben auch hier vorsich-tig sein, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüt-tet. Das wird regelmäßig vergessen.Ich will Ihnen sagen, wo aus meiner Sicht das größteDefizit bei der Bekämpfung von Kriminalität im Bereichder Jugendlichen und Heranwachsenden besteht: Es be-steht darin, dass zwischen dem Zeitpunkt der Tat, demZeitpunkt der Festnahme und dem Zeitpunkt der Verur-teilung eine zu große Zeitspanne liegt.
Gerade in diesen Bereichen muss wieder folgender Satzgelten – das ist nicht konservativ; das ist nicht „law andorder“ –: Die Strafe muss der Tat auf dem Fuße folgen;denn nur dann ist eine entsprechende Wirkung auf einenjugendlichen Straftäter zu erwarten.
Ich finde die Bemühungen – Sie werden mir gestatten,dass ich das ausdrücklich erwähne – von Herrn ProfessorGoll in Baden-Württemberg und von Herrn Mertin inRheinland-Pfalz, um bewusst zwei Landesregierungenunterschiedlicher Färbung zu nennen, ausgesprochen loh-nend.
– Herr Beck, Sie haben völlig Recht: Die besten Landes-regierungen werden mit von der F.D.P. gestellt.
Ich erkenne an, dass dies auch Sie so wie mich stets zurFreude veranlasst. Man könnte so etwas – bei allem Res-pekt – von den Landesregierungen, an denen Sie beteiligtsind, wirklich nicht behaupten, auch wenn Sie sich Mühegeben.
– Sie sind jetzt ruhig; Sie wurden gerade gelobt.Gerade der Jugendbereich zeigt aus meiner Sicht, dasswir in der Lage sein müssen, Jugendlichen eine zweiteChance zu geben. Ich selber habe im Gerichtssaal gestan-den und erlebt, wie jemand verurteilt worden ist, dessenBruder – in bestimmten Verfahren sind ja nur Verwandtezugelassen – anwesend war, und wie der Richter sagte:„Sie kenne ich doch auch“, worauf der Bruder antwortete:Ja, von vor sechs Jahren. Der Richter fragte ihn: Was ma-chen Sie jetzt? – Mittlerweile ist aus ihm ein anständigerKerl geworden, der in der Mitte der Gesellschaft lebt.Man muss zur Kenntnis nehmen, dass sich Jugendlichein einem bestimmten Alter auch einmal verirren. Es ist ein
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Fehler, dann lebenslang den Stab über diese Jugendlichenzu brechen.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode viele Geset-zesdefizite in der Regel nicht streitig, sondern einver-nehmlich – Herr Kollege Geis, Sie haben auf überpartei-liche Maßnahmen im Deutschen Bundestag hingewie-sen – beseitigt. Mittlerweile geht es aber nicht mehr umGesetzesdefizite, sondern ausdrücklich um Vollzugsdefi-zite.Es ist eine Katastrophe, wenn die Einsatzfahrzeuge derPolizei eigentlich in das Polizeimuseum gehören. Es isteine Katastrophe, wenn sich Polizeibeamte auf eigeneRechnung Computer im Sonderangebot kaufen, damit siewenigstens halbwegs auf dem neueren technischen Standsind.
Aus meiner Sicht ist es eine Katastrophe, dass in einemdeutschen Bundesland Computer, die von Amts wegenzur Verfügung gestellt werden, faktisch nicht genutzt wer-den können, weil die Programme nicht funktionieren. Esist eine Katastrophe, wenn das Budget für den Unterhalt,für Benzin und die Reparatur von Fahrzeugen zu knappbemessen ist und dies zur Folge hat, dass Streifenfahrtennicht oder nicht in dem erforderlichen Umfang durchge-führt werden.Heute Morgen habe ich mit einem Abgeordnetenkolle-gen aus dem nordrhein-westfälischen Landtag, der selbstPolizeibeamter ist, Herrn Engel, telefoniert. Er berichtetemir – in einer solchen Diskussion hört man sich ja ein we-nig um – von einem Erlass der nordrhein-westfälischenLandesregierung aus dem April 2000, in diesem Fall vonInnenminister Behrens, in dem steht, dass ein 400-DM-Zuschuss gewährt wird, damit sich Polizeibeamte eine ei-gene schusssichere Weste kaufen können. Dieser Betragreicht natürlich nicht aus, wie wir wissen,
weil Schusswesten in der Regel an den Körper angepasstwerden müssen, damit sie funktionieren können.
Gleichzeitig wird in diesem Erlass hinzugefügt: Ihr be-kommt zwar den Zuschuss in Höhe von 400 DM für dieschusssichere Weste, aber, wenn ihr die Weste verwendetund sie nicht in Ordnung war, übernimmt der Dienstherrkeine Haftung, wenn euch Polizeibeamten etwas passiert.Dies zeigt in meinen Augen das Versagen des Staates ineinem Kernbereich, nämlich bei der inneren Sicherheit.
Deswegen appelliere ich an Sie, dass wir uns auf dieKernaufgaben des Staates konzentrieren und dass dieKernaufgabe des Staates in den Mittelpunkt gerückt wird.Warum organisieren Menschen Staat? Geschichtlich ge-sehen zunächst einmal für die äußere und innere Sicher-heit, für ein gedeihliches Zusammenleben.Ich habe die Nase voll, dass jedes Mal nach einerStraftat nach einem neuen Gesetz gerufen wird, auch indiesem Hause.
Wir müssen endlich begreifen: Wir brauchen nicht mehrGesetze. Wir brauchen mehr und besser ausgestatteteVollzugs- und Polizeibeamte, die in der Lage sind, dieStraftäter zu fassen. Man kann einen Straftäter nicht ver-urteilen, wenn man ihn nicht vorher fasst.
Deswegen ist das Vollzugsdefizit der entscheidendePunkt, über den wir gerade nach dieser bemerkenswertenAntwort der Bundesregierung reden müssen.
Jetzt hat der Ab-
geordnete Volker Beck das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rednerder Opposition haben versucht, bestimmte Länder gegen-einander auszuspielen.
Ich denke, die Antwort der Bundesregierung auf dieGroße Anfrage gibt das einfach nicht her. Die Antwort legtdar: Bei der Kriminalitätsentwicklung gibt es zwischenStadt und Land eine viel stärkere Differenzierung als zwi-schen den einzelnen Bundesländern. Wenn wir hier keineWahlkampfdebatte machen, sondern ernsthaft darüber re-den wollen, was wir tun müssen, um die Verbrechens-bekämpfung voranzubringen – was wir alle wollen, weiles eine zentrale Frage für das Lebensgefühl der Menschenim Lande ist –, sollten wir solche sachfremden Argumen-tationen mit billiger parteipolitischer Polemik hintenanstellen.
– Das gefällt Ihnen nicht. Da Sie aber fordern, dass wir dieLänder miteinander vergleichen, will ich Ihnen zur War-nung eine statistische Größe entgegenhalten. Sie führendiese Debatte ja wegen des baden-württembergischenLandtagswahlkampfs. Bei den Fragen, die Sie nicht ge-stellt haben, sieht Baden-Württemberg nicht mehr so gutaus. Im letzten Jahr gab es nach einer AP-Meldung 291antisemitisch motivierte Straftaten. Davon fand mehr alsjede sechste, nämlich 50, in Baden-Württemberg statt.Dieses Thema war Ihnen in der Anfrage keiner Erwäh-nung wert. Das, finde ich, ist bezeichnend für den Fra-gesteller.Wir sollten hier ernsthaft über die Strategien zurKriminalitätsbekämpfung reden und solche Vergleichebesser lassen. Wir alle könnten uns solche Zahlen um die
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Dr. Guido Westerwelle12545
Ohren schlagen; ich habe noch andere dabei. Aber ichdenke, wir sollten uns das ersparen. Auch die Menschendraußen im Land sind es müde, anzusehen, wie wir ein soernsthaftes Problem auf diesem Niveau diskutieren.
Rot-grüne Kriminalpolitik ist eine Trias von Präven-tion, Repression und Maßnahmen der Resozialisierung.Das heißt, wir wollen die Ursachen der Kriminalitätbekämpfen, auf Kriminalität deutlich und angemessenreagieren. Dabei müssen die Sanktionen so ausfallen, dasssie dem Täter das Unrecht der Tat vor Augen führen undihn möglichst von der Begehung weiterer Straftaten ab-halten.Eine Schwäche unseres heutigen Strafrechts ist, dasswir dem Richter nicht die Möglichkeit geben, auf die Per-sönlichkeit des Täters und die Umstände der Tat im Ein-zelfall angemessen und differenziert zu reagieren. DieseKoalition wird deshalb sehr bald eine Sanktionenrechts-reform auf den Weg bringen. Für die Bürgerinnen undBürger wird diese Reform am Ende auch mehr Schutz vorStraftätern bedeuten; denn eine erfolgreiche Resozialisie-rung bedeutet noch immer den besten Schutz vor Rück-falltätern. Das hat die Bundesregierung auch in ihrer Ant-wort ganz deutlich gemacht.Mit einem ausdifferenzierten Instrumentarium vonSanktionen werden wir den Gerichten die Mittel in dieHand geben, mit denen angemessen und nachhaltig aufbegangenes Unrecht reagiert werden kann. Wer eine sol-che Reform, wie kürzlich der bayerische JustizministerWeiß, mit den Worten „Freiheit für Schwerverbrecher“ ti-tuliert, will offensichtlich die Probleme, die wir haben,nicht verstehen und mag sich auch an einer Lösungsdis-kussion nicht beteiligen.Selbstverständlich sind Sanktionen wie gemeinnützigeArbeit oder Ausweitung des Fahrverbots zur selbstständi-gen Hauptstrafe nicht für den Bereich der Schwerkrimi-nalität gedacht. Aber es ist wichtig, dass wir gerade beiden kleineren kriminellen Handlungen reagieren. Gegen-wärtig ist es so, dass der Richter da im Erwachsenenstraf-recht nur die Möglichkeit der Geldstrafe oder der Be-währungsstrafe hat. Das beeindruckt oftmals nicht.Deshalb ist es ein wesentlicher Gewinn für die Krimina-litätsdebatte, wenn wir angemessen reagieren und beikleinen Delikten sagen: Wir schauen nicht weg, aber wirholen auch nicht jedes Mal sozusagen die ganz großeKeule des Justizvollzugs heraus,
weil wir genau wissen, dass dort kriminelle Karrieren oft-mals erst begonnen werden. Deshalb sind solche differen-zierten Maßnahmen notwendig.Das sollten wir auch den Menschen draußen erklären.Wir sollten ihnen nicht an den Stammtischen nach demMund reden, aber wir sollten an den Stammtischen darü-ber reden. Ich habe erlebt, dass die Menschen das verste-hen, wenn man es ihnen erklärt. Da ist Rot-Grün auf demrichtigen Weg.
Wenn hier im Zusammenhang mit der Bewährungs-strafe denunziert wird, dass wir – Sie werden es sichernoch ansprechen – dem Richter künftig ermöglichen,auch jenseits der Zweijahresgrenze, nämlich zwischenzwei und drei Jahren, eine Straftat zur Bewährung auszu-setzen, dann sage ich: Das bedeutet nicht unbedingt mehrLiberalität, sondern wir bringen das Spannungsverhältniszwischen Schuldstrafrecht und dem Resozialisierungsge-danken wieder ins Lot. Wir wissen doch alle, dass dieRichter oftmals bei Ersttätern, die eine schwerere Straftatbegangen haben und eigentlich eine Strafe von mehr alszwei Jahren verdient hätten, versuchen, unter die Zwei-jahresgrenze zu kommen, damit sie noch eine Be-währungsstrafe verhängen können, weil sie denken, dassdas noch am ehesten zu dem Ergebnis der Reintegrationdes Täters in die Gesellschaft führen wird.Herr Westerwelle hat es gerade gesagt: Man kann sicheinmal verirren und die Irrungen können sehr schlimmausfallen. Dann ist es besser, wir schaffen hier oberhalbder Zweijahresgrenze – unter engeren Voraussetzungenals unterhalb der Zweijahresgrenze – eine Bewährungs-möglichkeit, mit Auflagen, mit gemeinnütziger Arbeit,mit Wiedergutmachungsmaßnahmen. Das heißt nicht ein-fach Wegschauen, sondern das ist eine konkrete Reaktion,die vielleicht dazu führt, dass ein solcher Mensch reinte-griert wird; denn das ist das Beste für die Gesellschaft.Wir werden auch die Qualität des Strafvollzuges ver-bessern. Wir haben alle nicht mehr Geld zu verteilen. Des-halb ist es ein ganz entscheidender Schritt, dass wir in Zu-kunft damit Schluss machen, dass Ersatzfreiheitsstrafenabgesessen werden, also solche Strafen, die verhängt wer-den, weil jemand eine Geldstrafe nicht bezahlen will oderkann. Sie sollen durch gemeinnützige Arbeit ersetzt wer-den. Das schafft Platz im Strafvollzug, und es wird auchvon Beamten geäußert. – Herr Geis, ich würde mir wün-schen, dass Sie öfter einmal eine Justizvollzugsanstalt be-suchen.
In Diskussionen mit den Beamten ist immer wieder zuhören, es belaste sie in ihrer Arbeit mit den Mittel- undLangstraflern ungeheuer, dass Leute für eine Woche inden Strafvollzug kommen, eingecheckt werden müssen,ausgecheckt werden müssen; sie machen nur Arbeit.
Das führt dazu, dass man für die Täter, mit denen man ar-beiten muss, keine Zeit hat.Wir haben festgestellt, dass sich die Jugendkrimina-lität in bestimmten Deliktbereichen in der letzten Zeiteher rückläufig entwickelt hat. Die Statistik hat ergeben,dass 1999 die Delikte in diesem Bereich um 2 Prozentgesunken sind. Ich denke, das ist in der Tat nicht ganz un-beeinflusst von den Maßnahmen, die wir vonseiten derneuen Koalition getroffen haben, geschehen. Mit demJUMP-Programm haben wir vielen Jugendlichen, die am
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Volker Beck
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Rande der Gesellschaft standen, die perspektivlos waren,eine neue Perspektive gegeben.Das Gleiche gilt übrigens auch für ein Thema, das Ih-nen in der Anfrage schon wieder sehr viel Platz wert war,für die Ausländerkriminalität.Auch diese ist 1999 wei-ter gesunken. Ich glaube, dass die Staatsbürgerschafts-reform dazu einen Beitrag leistet,
weil wir sagen: Ihr gehört zu unserer Gesellschaft, ihr be-kommt ein Eintrittsrecht mit gleichen Rechten und glei-chen Pflichten, aber dann müsst ihr euch auch an die Re-geln halten. – Das ist gerade bei denjenigen, die ein weniggefährdet sind, ein neues Angebot zur Integration und Er-mutigung.
An diesem Kurs der Prävention durch mehr Integrationwerden wir festhalten.
Prävention ist bei uns ein ganz entscheidender Punkt. Dashaben der Innenminister und die Justizministerin auch mitder Gründung des Forums Kriminalprävention deutlichgemacht. Wir sind da auf einem guten Kurs.Repression und Prävention darf man nicht als Gegen-sätze sehen, sondern man muss hier einen Policymix ha-ben, mit dem das aufeinander abgestimmt wird. Ichglaube, da sind wir auf einem guten Weg. Das tut Ihnennatürlich Leid, denn eigentlich hätten Sie vonseiten derkonservativen Opposition dieses Thema gern abonniert.Die Menschen draußen werden sehen, dass unsere Politikdieses Land sicherer macht,
ohne dass an der Rechtsstaatlichkeit Abstriche gemachtwerden müssen.
Es spricht jetzt
die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Auch wir sind der Meinung, dass eine wirk-same und erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung nurdurch eine wirklich effiziente soziale Prävention erreichtwerden kann. Gerade weil wir die Sorgen der Bürgerinnenund Bürger ernst nehmen und keine populistischen Spiel-chen treiben wollen, sagen wir ihnen – das sage ich heutezum wiederholten Male –, dass ohne die Bekämpfung undKorrektur der gesellschaftlichen und sozialen Ursachenalle Versuche, Kriminalität durch immer mehr Polizei, im-mer schärfere Gesetze, immer längere Strafen zurück-drängen zu wollen, zum Scheitern verurteilt sind.
Ich möchte sehr deutlich wiederholen, was Herr Beck hierauch schon gesagt hat.Ursachenbekämpfung ist einer der wichtigsten Punkte,die in der Kriminalitätsbekämpfung beachtet werden sol-len. Dabei möchte ich auf die Ausführungen von HerrnWesterwelle eingehen. Ich gebe Ihnen in allem Recht.
– In fast allem.Wir führen bei jedem Fall wie dem Fall Schmökel im-mer wieder solche Debatten, aber wir führen keine Dis-kussion über die wirklichen Ursachen und darüber, waswir bekämpfen müssen.Ich bin seit 20 Jahren Strafvollzugshelferin. Seit20 Jahren steht in den Urteilen der Richter, dass Therapiegemacht werden muss, dass es bestimmte Auflagen gibt.Ich habe gerade wieder eine Tour durch nordrhein-west-fälische Gefängnisse hinter mir und die Anstaltsleiter ge-fragt. Sie haben alle gesagt, dass diese Therapieauflagennicht eingehalten werden können, weil man das dafür qua-lifizierte Personal im Gefängnis nicht hat, weil es keineentsprechende Forschung gibt, weil es keine Ursachen-bekämpfung gibt.Ich sage Ihnen: Solange dieses nicht möglich gemachtwird, wird man in den Gefängnissen weiter Zeitbombenwie Schmökel produzieren.
– Es mag sein, dass Sie in Bayern da ein Stück weiter sind.Ich würde auch das gern untersuchen, Herr Geis.Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, zur Dro-genpolitik. Sie haben das angesprochen und haben heutehier wieder gefordert, dass Drogenabhängige kriminali-siert werden sollen.Sie haben hier vor allen Dingen sehr populistisch dar-gestellt, dass die Drogenkriminalität weiter ansteigt. Siehaben Recht. Auch Wissenschaftler und Forscher vertre-ten diese Auffassung und wir sind in den Anhörungen, diewir im Bundestag durchgeführt haben, ebenfalls immerwieder zu dieser Erkenntnis gekommen. Immerhin hat dieneue Bundesregierung die Verantwortlichkeit für die Dro-genpolitik endlich vom innenpolitischen und Rechtsbe-reich in den eigentlich zuständigen Gesundheitsbereichgelegt.Deswegen appelliere ich an Sie: DrogenabhängigeMenschen sind kranke Menschen. Sie müssen entkrimi-nalisiert werden. Deswegen müssen auch Drogen ent-kriminalisiert werden. Sie würden in Bezug auf die
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Volker Beck
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Kriminalitätsbekämpfung eine Menge mehr erreichen,wenn in diesem Bereich endlich Maßnahmen ergriffenwürden.Das nächste Thema: Videoüberwachung. Zu diesemThema hat die CDU/CSU in Ihrer Großen Anfrage eben-falls Fragen gestellt. Auch hier wollen Sie jetzt verstärktIhrem Vorbild Großbritannien nacheifern. Meine Damenund Herren, wer sich genau anschaut, was in Großbritan-nien, aber auch in den Teilen Deutschlands, in denen Vi-deokameras aufgestellt werden, stattfindet, wird feststel-len: Mit Videokameras wird die Kriminalität imWesentlichen vom Zentrum in die Randgebiete verlagert.Ich glaube nicht, dass dies die angestrebte Wirkung seinkann. Ganz im Gegenteil muss man sagen, dass mit Vi-deoüberwachung – wir werden in diesem Hause noch dieDebatte über das Datenschutzgesetz führen – Bürger-rechte eingeengt und abgebaut werden. Das findet auf garkeinen Fall unsere Zustimmung.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Folgendeshinweisen: Die Mitglieder des Innenausschusses waren inGroßbritannien. Es gibt genügend Analysen, die aufzei-gen, dass die Kriminalität dort eher gestiegen als gesun-ken ist. Von daher muss diese Diskussion auch hier bei unssehr sorgfältig geführt werden. Der Ruf nach mehr Ka-meras reicht nicht aus.
Bisher war es so, dass vor allen Dingen die Kameraindus-trie profitiert hat, die Bürgerrechte aber abgebaut wurden.Im Übrigen gibt es ein Beispiel für die Wirkungslo-sigkeit von Videokameras aus den letzten Wochen: denBrandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge. Dort gabes Kameras. Diese haben aber nicht die Täter aufgenom-men – sie sind bis heute nicht gefasst –, sondern auf denBildern hat man die mutige Nachbarin, die über einenZaun gestiegen ist und die Brandsätze gelöscht hat, gese-hen. Das zeigt, wie unsinnig die Überwachung mit Vi-deokameras ist.Stichwort: Kinder- und Jugendkriminalität. Ich ver-stehe nicht, warum der CDU/CSU seit Jahren nichts an-deres einfällt, als noch mehr geschlossene Heime zu for-dern. Wenn Sie sich einmal anschauen, um welche Kinderund Jugendliche es sich handelt, werden Sie feststellen:Es sind meistens Kinder, die von Sozialhilfe abhängigsind und aus armen Familien kommen. Auch hier fordernwir soziale Maßnahmen für Kinder und kinderreiche Fa-milien, damit Kriminalität abgebaut bzw. entsprechendePrävention betrieben werden kann.Ein weiteres Thema: Eurodac. Die Bundesregierungspricht gar nicht mehr davon, was Eurodac eigentlich ist.Demnächst werden Ausländern zum Beispiel an denGrenzen ihre Fingerabdrücke abgenommen, egal, ob sieetwas getan haben oder nicht. Auch Kindern soll ihr Fin-gerabdruck abgenommen werden. Ich möchte ganz deut-lich sagen: Ich finde es sehr unmenschlich, mit Flüchtlin-gen an der Grenze so umzugehen. Kein Steuerbetrüger,kein Parteispendenbetrüger und niemand anders würdesolch eine Behandlung erfahren, bevor überhaupt ein Er-mittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Auch hier sindBürger- und Menschenrechte gegenüber den Flüchtligeneinzuhalten. Diese Maßnahme, die im Übrigen noch nichtbeschlossen ist, darf auf gar keinen Fall durchgesetzt wer-den.
Ein letzter Punkt. Auch heute ist hier angesprochenworden, dass die CDU/CSU in denjenigen Bundesländern,in denen sie mitregiert bzw. regiert, im Zusammenhangmit rechtsextremistischen Straftätern eine Strafverschär-fung plant. Sie wollen einen § 224 a im Strafgesetzbucheinführen mit dem Ziel, dass die Körperverletzung aus nie-derer Gesinnung mit schärferen Strafen belegt wird.Einmal abgesehen davon, dass das ein alter Hut ist, dendie CDU/CSU hier wieder auf die Tagesordnung setzt,möchte ich Sie daran erinnern: Juristen, Kriminologen,aber auch wir sagen ganz klar, dass wir dagegen sind, dasTatprinzip zum Täterprinzip zu machen und zu einem Ge-sinnungsstrafrecht zu kommen. Das werden wir auf garkeinen Fall mitmachen.
– Ja, wir haben die Gesetzesvorlage schon gesehen.
– Im Bundesrat wird sie über die Länder bereits einge-bracht.
Ich sage Ihnen: Gesinnungsstrafrecht machen wir nichtmit. Es ist höchste Zeit, § 129 a StGB abzuschaffen;
denn dieser hat demokratische Rechte in diesem Landmassiv abgebaut. In diesem Zusammenhang kann ich Ih-nen nur sagen: Ich bin froh, dass wir die Kronzeugenre-gelung nicht mehr haben. Sie wissen ganz genau, dass eseine Maßnahme war, bei der man Prozesse auf Denunzia-tion aufgebaut hat. Das darf in einem demokratischenStaat nicht passieren.Zum Schluss. Ich bin der Meinung, hier kann und mussfür alle Parteien die alte Parole gelten: Die beste Krimi-nalitätsbekämpfung sind immer noch die soziale Präven-tion und eine gute Sozialpolitik. Ich hoffe, dass wir dasmit Ihrer Großen Anfrage ein Stückchen erreichen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jürgen Meyer.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattierenheute über eine Große Anfrage, die nützlich ist, und dieAntwort der Bundesregierung, die informativ ist. Sie,liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion,haben dem Ganzen die zutreffende Überschrift „Er-folgreiche Verbrechensbekämpfung in Deutschland“gegeben. Insofern hätte es Ihnen gut angestanden, der
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Ulla Jelpke12548
Bundesregierung für ihre Arbeit zu danken. Wir tun dasjedenfalls.
Herr Kollege Geis, was mir an Ihrer Rede nicht gefal-len hat, ist, dass Sie erneut zu weit mehr als 90 Prozentüber Repression gesprochen haben. Das entspricht der Po-litik
der früheren Regierung. Auch die Anfrage richtet sich we-sentlich auf die Thematik Repression.
Es ist schon so – das unterstütze ich mit großem Nach-druck –, dass die neue Bundesregierung einen behutsa-men Paradigmenwechsel eingeleitet hat. Es soll nämlichneben der notwendigen Repression zunehmend auchPrävention zur Verhinderung von Straftaten versuchtwerden.
Ich weise Sie auf ein kleines Beispiel hin, nämlich dassseit dem Regierungswechsel das Forum für Kriminal-prävention
gemeinsam von Innen- und Justizressort, gemeinsam vonBund und Ländern und gemeinsam mit unabhängigenWissenschaftlern und Initiativen engagiert aufgebautwird. Ich finde, das ist ein wichtiges Signal, dass wir esmit der Prävention sehr ernst nehmen.Weil dies in der bisherigen Debatte noch keine Rollespielte, will ich das Thema ansprechen, das Sie nur ge-streift haben, das uns aber in den vergangenen Jahren sehrbeschäftigt hat, nämlich organisierte Kriminalität.Ich möchte dazu drei Anmerkungen machen.Erste Anmerkung. Herr Innenminister, Sie werden sichgenau erinnern, wie sorgfältig wir Art. 13 des Grundge-setztes, der eine bessere Kontrolle der technischenWohnraumüberwachung ermöglichen sollte, formulierthaben. Ich freue mich, dass das Gremium zur Kontrolleder technischen Wohnraumüberwachung im Bundestag indieser Woche erneut getagt hat. Ich meine, wir sind hierauf einem guten Weg.Erstaunlich war für uns alle fraktionsübergreifend indiesem Gremium aber, dass wir in der Mitteilung der Bun-desregierung, die allgemein zugänglich ist, nämlich in derDrucksache 14/3998, Anlage 3, lesen mussten: „Baden-Württemberg, Berlin, Sachsen und Thüringen haben mit-geteilt, das Landesparlament werde nicht unterrichtet.“Das ist nach meiner Auffassung ein klarer Verfassungs-verstoß; denn wir haben gemeinsam in Art. 13 des Grund-gesetzes im Anschluss an die vorgesehene Einrichtungdes Gremiums im Bundestag festgelegt: „Die Länder ge-währleisten eine gleichwertige parlamentarische Kon-trolle.“ Wir haben deshalb übereinstimmend beschlossen,die vier betroffenen Landesregierungen bis zum 31. De-zember zur Abgabe einer Stellungnahme aufzufordern.Ich hoffe, dass dieser Verfassungsverstoß, mit dem wir eshier zu tun haben, in Ordnung gebracht wird.
Zweite Anmerkung. Wir sind ja schon seit einigen Jah-ren einig darüber, dass es eine Novellierung der Tele-fonüberwachung in § 100 a StPO geben sollte,
zum einen hinsichtlich der Delikte, deretwegen über-wacht werden kann, zum anderen hinsichtlich der Kon-trolle. Leider hat der Bundesrat die mehrfach angekün-digte Vorlage nicht geliefert.
Deshalb, finde ich – da sind wir wahrscheinlich über-einstimmender Auffassung –, ist jetzt die Bundesregie-rung am Zug. Denn inzwischen gibt es Staatsanwalt-schaften, die sehr viel mit typischen Delikten derorganisierten Kriminalität zu tun haben, nämlich Beste-chung und Bestechlichkeit. Beide Tatbestände sind in§ 100 a StPO nicht aufgeführt. Das führt in der Praxis nachmeiner Information dazu, dass man sagt: Dann müssenwir eben eine technische Wohnraumüberwachung durch-führen; denn eine derartige Maßnahme ist auch wegenBestechung und Bestechlichkeit möglich.Ich halte das für nicht vertretbar, weil wir in der Ver-fassung festgelegt haben, dass die Wohnraumüberwa-chung nur Ultima Ratio ist, also im äußersten Fall als letz-tes Mittel durchgeführt werden darf. Diese Praxis desAusweichens auf § 100 c müssen wir ändern und deshalbeine Reform des § 100 a StPO durchführen.Jetzt möchte ich als dritten Punkt auf das eingehen, wasmir im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalitätam wichtigsten ist. Ich fordere in aller Freundlichkeit dieBundesregierung auf,
sich mit dem Vorschlag auseinander zu setzen, der ein Vor-schlag der SPD-Rechtspolitiker ist, nämlich die schwereSteuerhinterziehung als Vortat in den Geldwäschetatbe-stand, § 261 StGB, aufzunehmen. Schwere Steuerhinter-ziehung ist in der Abgabenordnung definiert. Da geht esum Steuerhinterziehung in großem Ausmaß, also in Mil-lionenhöhe, oder auch um Steuerhinterziehung unter Ver-wendung nachgemachter oder verfälschter Belege.Ich erinnere an die Debatte im Fall Kanther zum Stich-wort „jüdische Vermächtnisse“.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Dr. Jürgen Meyer
12549
Mein Vorschlag zum Thema schwere Steuerhinterziehungist vor drei Jahren von Herrn Innenminister Kanther ab-gelehnt worden.
Dies muss jetzt in Ordnung gebracht werden.
– Ich habe dazu einen Vorschlag vorgelegt, der zurzeit vonder Bundesregierung geprüft wird.
Organisierte Kriminalität ist auf Geldwäsche ange-wiesen. Welcher Kriminelle wird denn seinen Millionen-gewinn steuerlich deklarieren, was er wegen der Wert-neutralität des Steuerrechtes eigentlich tun müsste? Erwürde sich dann ja den Ermittlungsbehörden geradezuausliefern. Es gibt also keine organisierte Kriminalitätohne schwere Steuerhinterziehung, wenn auch nicht jedeschwere Steuerhinterziehung organisierte Kriminalität ist.
Deshalb sage ich, Herr Kollege Geis: Es ist eine Frageder Gerechtigkeit, dass wir sowohl die bekannte Eigen-tums- und Vermögenskriminalität mit einem jährlichenSchaden im einstelligen Milliardenbereich zum Gegen-stand von Strafverfahren und gegebenenfalls von Geld-wäscheverfahren machen – für sich genommen ist das inOrdnung – als auch die Schäden durch Steuerhinterzie-hung und schwere Steuerhinterziehung in dreifacher Mil-liardenhöhe mit aller Energie, also auch mit Geldwäsche-verfahren, bekämpfen. Meine Überzeugung ist imÜbrigen, dass sich seriöse Kreditinstitute nicht dafür her-geben dürfen, die durch schwere Steuerhinterziehung er-gaunerten Gelder auch noch zu waschen.Schönen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ronald Pofalla.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Was tut die Bundesregierungin Sachen Verbrechensbekämpfung? Diese Frage beschäf-tigt die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ganzbesonders. Die Antwort lautet kurz und bündig: nichtsBesonderes. Noch immer setzt die Bundesregierung aufdieselben alten Hausmittelchen, obwohl sich das Krank-heitsbild verändert hat.Die Kriminalität in Deutschland ist zwar insgesamtrückläufig. Doch gerade im Bereich der Kinder- und Ju-gendkriminalität sowie vor allem bei Gewaltdeliktenund im Rahmen von Rauschgiftdelikten gibt es erschre-ckende Zuwachsraten. Eine Antwort auf die Frage, wiedieser veränderten Situation begegnet werden kann, hatdie Bundesregierung nicht gegeben.Anhand des Besorgnis erregenden Beispiels der Kin-der- und Jugendkriminalität möchte ich zunächst die In-effizienz rot-grüner Kriminalpolitik verdeutlichen. Nachder polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 1999 istein Drittel aller Tatverdächtigen – ich betone: über 30 Pro-zent – jünger als 21 Jahre. Mit den herkömmlichen Me-thoden ist diese Entwicklung nach meiner festen Über-zeugung nicht in den Griff zu bekommen. Doch was tutdie Bundesregierung? Nichts! Die Bedenken derCDU/CSU-Bundestagsfraktion hinsichtlich der von dergesetzlichen Regelung abweichenden Anwendung des§ 105 des Jugendgerichtsgesetzes durch die Justiz werdenvon der Bundesregierung ignoriert.
Der von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einge-brachte Gesetzentwurf zur Verbesserung der gesetzlichenMaßnahmen gegenüber Kinder- und Jugenddelinquenzkönnte bestehende Unklarheiten beseitigen. Durch die indem Entwurf beabsichtigte Änderung des § 105 des Ju-gendgerichtsgesetzes könnte die Regel-Ausnahme-An-wendung wieder hergestellt werden.Heutzutage wird der Heranwachsende im Alter zwi-schen 18 und 21 Jahren entgegen dem Regelungsziel des§ 105 des Jugendgerichtsgesetzes in den allermeisten Fäl-len nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, obwohl diegesetzliche Regelung die Verurteilung nach dem Erwach-senenstrafrecht als Regelfall vorsieht. Diese Entwicklunghält die CDU/CSU-Bundestagsfraktion für völlig inak-zeptabel.
Die Anwendung des Jugendstrafrechts auf heranwach-sende Schwer- und Schwerstkriminelle führt zu himmel-schreiendem Unrecht und schädigt den Ruf der Justiz.Ich will jetzt auf das eingehen, was Herr Westerwellegesagt hat. Herr Westerwelle hat einen Punkt genannt, denich unterstütze. Er hat dabei aber nach meiner Überzeu-gung einen ganz wesentlichen Teil nicht angesprochen.Er hat richtigerweise gesagt, dass Heranwachsende,also die 18- bis 21-Jährigen, die das erste Mal straffälligwerden oder bei denen es sich um eine jugendspezifischeTat handelt, mit der Nachsicht, die das Jugendstrafrechtzulässt, verurteilt werden sollen. Hierbei werden Sie dietotale Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktionfinden.Zu dem Teil, den Sie nicht angesprochen haben. Ichselber habe in Dutzenden von Verfahren, bei denen eseine entsprechende anwaltliche Vertretung gab, erlebt,dass bei schwerstkriminellen Wiederholungstätern imHeranwachsendenalter die Anwendung des Jugendstraf-rechts in der weitaus überwiegenden Anzahl der Fälletrotz des Regel-Ausnahme-Verhältnisses des § 105 JGG –entgegen jeglicher Vernunft – zum Regelfall und die des
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Dr. Jürgen Meyer
12550
Erwachsenenstrafrechts zur Ausnahme wurde. Diese Ent-wicklung, die auch von Praktikern bestätigt wird, mussgestoppt werden.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Bitte.
wiesen, dass sich aus der Antwort der Bundesregierung
ergibt, dass die Kinder- und Jugendlichendelinquenz, vor
allen Dingen bei deutschen Kindern und Jugendlichen,
sehr hoch ist. Sie haben aber nicht erwähnt, dass im Jahr
1999 – nach einer Antwort der Bundesregierung – die
Zahlen straffälliger deutscher Kinder um 1,9 Prozent
zurückgegangen und auch die für jugendliche Straftäter
rückläufig sind. Dagegen sind in den Jahren 1993 bis
1997 Zuwachsraten festzustellen, die teilweise im zwei-
stelligen Bereich liegen. Wenn ich mich recht erinnere,
gab es damals eine Bundesregierung, die von anderen
Fraktionen getragen wurde als das heute der Fall ist. Ich
möchte mir gerne Ihr Konzept anhören, das Sie damals
umgesetzt oder auch nur vorgeschlagen haben.
Unter der neuen Bundesregierung – ich will nicht sa-
gen, dass das ihr Verdienst ist – sind die Zahlen rückläu-
fig. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen – oder
nicht?
Herr Ströbele, wenn Sie
es beruhigend finden, dass wir in dem Berichtszeitraum
von 1993 bis 1999 im Bereich der Kinder- und Jugend-
kriminalität einen Anstieg von über 140 Prozent und im
letzten Jahr einen geringfügigen Rückgang hatten, dann
muss ich sagen, dass mich das nicht beruhigt.
Ich will Ihnen eine zweite Zahl nennen: Die Krimi-
nalstatistik des Jahres 1999 – wenn ich es richtig sehe,
haben doch die Vertreter der Bundesregierung ihre Ämter
in diesem Jahr über volle 365 Tage ausgeübt – weist aus,
dass über ein Drittel aller Tatverdächtigen in Deutschland
jünger als 21 Jahre ist. Das muss uns doch alle gemeinsam
beunruhigen. Ansonsten verstehe ich die Debatten, die
wir hier führen, nicht mehr.
– Auf die Position der Grünen werde ich gleich noch näher
eingehen.
Gestatten Sie
auch eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
Ja, gerne.
Herr Kollege – in
diesem Falle trifft das ja sowohl auf unsere Tätigkeit als
Abgeordnete als auch auf die als Anwälte zu –, ich möchte
bei dem nachhaken, was Sie zum Veränderungsbedarf bei
der Anwendung des Heranwachsendenstrafrechtes gesagt
haben. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie bei Mehr-
fachtätern öfter das Erwachsenenstrafrecht angewendet
sehen möchten? – Ich entnehme Ihrem Nicken, dass ich
Sie richtig verstanden habe.
Ich bitte Sie, hierbei Folgendes zu bedenken:
Erstens. Über die Zunahme der Jugendkriminalität brau-
chen wir uns hier nicht zu streiten. Aber die Verantwor-
tungsreife eines Täters – darum geht es ja hier – kann nicht
per Gesetz definiert werden, sondern sie wird von einem
Richter festgestellt, der sich vor Ort ein Bild darüber
macht. Es kann doch nur ein Richter entscheiden, wie weit
die Persönlichkeit eines jungen Menschen entwickelt ist
und ob man ihn nach dem Jugendstrafrecht oder nach dem
Erwachsenenstrafrecht behandeln muss.
Zweitens. Teilen Sie nicht auch die Meinung, dass
die Frage, ob jemand die nötige Verantwortungsreife be-
sitzt, nichts damit zu tun hat, ob jemand Mehrfachtäter
oder Erst-täter ist? Hierbei geht es ausschließlich um die
Persönlichkeitsentwicklung. Man erlebt sogar oftmals,
dass gerade Mehrfachtäter eine geringere Verantwor-
tungsreife haben und weniger weit entwickelt sind.
Ich will Ihre Frage be-
antworten, indem ich von einem Fall berichte, mit dem ich
es als Anwalt selber zu tun hatte. Zu mir kam ein Heran-
wachsender, über 18 Jahre alt, der selber ein Unternehmen
mit drei Mitarbeitern hatte. Es ging damals um den Vor-
wurf, dass er eine Straftat mittlerer Schwere begangen
habe. Ich habe mit ihm gesprochen und ihn darüber in-
formiert, dass ich aufgrund des Eindrucks, den ich von
ihm hätte, keinen Antrag nach § 105 JGG stellen würde.
Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm, wenn er sich auf die-
sen Paragraphen berufen wollte, empfehlen würde, zu
einem Anwaltskollegen zu gehen, da ich aufgrund des
Eindrucks, den ich von ihm gewonnen hätte, diesen
Antrag nicht stellen würde. Im Rahmen der sich dann
anschließenden Gerichtsverhandlung erhielt ich mit dem
Hinweis auf das Anwaltshaftungsrecht die gerichtliche
Belehrung, doch den Antrag nach § 105 JGG zu stellen.
So sieht die Realität aus; das erleben wir in unseren Ge-
richten.
Nach der Regelung des § 105 JGG ist es natürlich rich-
tig, wie Sie formuliert haben, dass die Verantwortungs-
reife überprüft werden muss. Nur in der Realität prakti-
zieren unsere Gerichte – natürlich nach einer formalen
Prüfung – im Grunde genommen per se und kursorisch die
Anwendung von § 105 JGG. Die Praxis der Gerichte, so
wie sie heute praktiziert wird, halten wir für falsch.
Gestatten Sieeine weitere Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Ronald Pofalla12551
Bitte.
Da ich glaube, dass
sich diese Debatte lohnt und wir uns noch lange mit die-
sem Thema beschäftigen werden, erlaube ich mir, noch
einmal nachzufragen. Wir wissen ja auch, dass entspre-
chende Initiativen vorbereitet werden.
Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass ein Richter,
der, nachdem er im Gerichtssaal Ihren Mandanten kennen
gelernt hat, zu einer anderen Einschätzung bezüglich der
Verantwortungsreife des Angeklagten als Sie selbst ge-
kommen ist, gezwungen ist, Ihnen einen solchen Hinweis
zu geben?
Nein. Zumindest in die-
sem Fall wäre der Richter nicht gezwungen gewesen, ei-
nen solchen Hinweis zu geben. Um es noch einmal zu sa-
gen: In den Schriftsätzen wurde der § 105 JGG – das ist
das Absurde – offen angesprochen. Es ist darauf auf-
merksam gemacht worden, dass weder der Mandant noch
der Anwalt § 105 JGG anwenden will, weil es – um es
deutlich zu sagen – ein völlig eindeutiger Fall war. Den-
noch ergeht der richterliche Hinweis. – Das ist unsere Ge-
richtspraxis. Wir beanstanden sie und wir halten sie für
veränderungsbedürftig.
Herr Westerwelle, ich verstehe Ihre Einlassung auch
so, dass Sie sehr wohl bereit sind, auch über diese Praxis
des § 105 JGG zu reden. Das sollten wir im Rahmen der
Beratungen über den Gesetzentwurf der Bundestagsfrak-
tion von CDU und CSU, der in erster Lesung bereits be-
raten worden ist, gemeinsam besprechen.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ha-
ben sich im Rahmen der ersten Lesung unseres Gesetz-
entwurfs im Grunde genommen eher ablehnend zu einer
Veränderung des § 105 JGG geäußert. Die Bestrafung
nach Jugendstrafrecht erzeugt bei einem schwerkrimi-
nellen 18-, 19- oder 20-Jährigen doch nur Heiterkeit und
Verachtung gegenüber der Justiz. Über entsprechende
Fälle ist auch in der Öffentlichkeit an verschiedenen Stel-
len berichtet worden.
Ich würde mich freuen, wenn die Koalitionsfraktionen
im Rahmen der Beratungen über den Gesetzentwurf der
Unionsfraktion – Herr Professor Meyer, dies könnte im
Zusammenhang mit den Diskussionen über die Neuord-
nung des strafrechtlichen Sanktionensystems geschehen –
diese Frage einbeziehen. Wir sollten über – zumindest
graduelle – Veränderungen in der gesetzlichen Formulie-
rung des § 105 JGG sprechen.
Ein weiteres Beispiel macht deutlich, dass ein Krimi-
nalitätsbekämpfungskonzept der Bundesregierung über-
haupt nicht existiert. So wird in der Antwort der Bundes-
regierung auf die Große Anfrage unserer Fraktion die
Videoüberwachung gefährdeter Plätze eher abgelehnt.
In der Antwort ist etwas diffus von „Länderzuständigkeit“
und „Maßnahmen der Gefahrenabwehr“ die Rede, was ju-
ristisch zwar durchaus einleuchten mag, den Kern des
Problems jedoch nicht trifft.
Tatsache ist: Der Bürger fühlt sich sicherer, wenn be-
stimmte Orte durch Videokameras überwacht werden.
Straftäter werden abgeschreckt, Objekte können mit ge-
ringerem Aufwand als üblich bewacht werden und im
Falle der Rauschgiftkriminalität kann durch Videoüber-
wachung die Schaffung von Treffpunkten und Fixerplät-
zen verhindert werden. Ein klares Ja der Bundesregierung
zu einer Verstärkung dieser Art der Kriminalitätspräven-
tion und -aufklärung wäre auch ein Zeichen für die Ver-
antwortlichen in den Bundesländern. Doch auch hier wi-
dersetzt sich Rot-Grün jeder vernünftigen, zeitgemäßen
Lösung. Die Bundesregierung hat es im Rahmen der Be-
antwortung unserer Anfrage versäumt, ein klares und of-
fenes Bekenntnis zur Möglichkeit der Prävention abzule-
gen.
Ein letztes Beispiel für die Untätigkeit der Bundesre-
gierung und der sie tragenden Regierungskoalition ist die
Weigerung, wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des
Graffiti-Unwesens einer gesetzlichen Regelung zuzu-
führen. Ideologisches Scheuklappendenken hat einen Ge-
setzentwurf der Union scheitern lassen, der eine Neure-
gelung der §§ 303 und 304 StGB vorsah und der Klarheit
zu dem Thema Graffiti geschaffen hätte. Sie, meine Da-
men und Herren von der Sozialdemokratie, haben sich auf
Druck der Grünen dazu bringen lassen, eine solche Ge-
setzesinitiative abzulehnen.
Kriminalität fängt im Kleinen an, und zwar versteckt.
Wenn wir an dieser Stelle nicht genau hinsehen und zu
klaren gesetzlichen Regelungen kommen, dann dürfen
Sie sich nicht darüber wundern, dass gerade im Bereich
von Kindern und Jugendlichen der Kriminalitätszuwachs
so ist, wie er ist. Sie hätten einer Gesetzesinitiative der
Unionsfraktion zustimmen können.
Diesen entscheidenden Schritt haben Sie nicht getan.
Dafür tragen Sie die Verantwortung. Wir werden Sie im-
mer wieder daran erinnern.
Herzlichen Dank.
Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Christian Ströbele.
legen! Ich finde die Diskussion äußerst wichtig und fort-führenswert. Deshalb möchte ich dort anschließen, woSie, Herr Pofalla, aufgehört haben, und von dem abwei-chen, was ich eigentlich sagen wollte.
Das Problem des § 105 JGG verkennen Sie meiner An-sicht nach aus folgendem Grund: Selbst wenn es richtigwäre, dass die Gerichte in der Bundesrepublik Deutsch-land – in Berlin, überall – heutzutage Heranwachsende zuhäufig als Jugendliche behandeln, so unterstellt dies doch,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 200012552
dass sie damit günstiger behandelt werden, dass sie damitbesser wegkommen. Die Richter machen das aus ganz an-derem Grunde. Ich kenne genügend Beispiele, bei denendie Strafen, die verhängt worden sind, wesentlich gravie-render waren, als sie es gewesen wären, wenn die Heran-wachsenden nach dem Erwachsenenstrafrecht behan-delt worden wären. Die Richter machen das heutedeshalb – dies nehmen jetzt auch Gesetzesinitiativen derBundesregierung und der Koalitionsfraktionen auf –, weilsie damit viel flexibler auf Lebenstatbestände und auf dieVerwirklichung von Straftatbeständen reagieren können.Das Jugendstrafrecht gibt diesbezüglich sehr viel bes-sere, sehr viel modernere Möglichkeiten an die Hand.Deshalb ist auch – da gebe ich Ihnen Recht – in dieserHinsicht eine gewisse Tendenz zu spüren. Ich halte diesfür richtig und wichtig, solange das Erwachsenenstraf-recht noch so aussieht, wie es jetzt aussieht, und nichtgeändert wird, so wie wir es vorhaben.
Herr Kol-
lege Ströbele, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Geis?
Bitte sehr,
Herr Geis.
Können Sie mir dann er-
klären, weshalb gerade in den nördlichen Bundesländern
und in den Stadtstaaten das Jugendstrafrecht viel häufiger
angewendet wird als im südlichen Bereich, und sehen Sie
so wie ich einen Zusammenhang mit der weit geringeren
Jugendkriminalität in den südlichen Bundesländern im
Vergleich zu den nördlichen Bundesländern?
natürlich Unterschiede in der Kriminalitätshäufigkeit und
in der Straffälligkeit gerade von Kindern und Jugendli-
chen aus Großstädten – oder gar Weltstädten – und aus
kleineren Orten, und zwar nicht, weil die Menschen in den
kleineren Orten besser sind als in den Großstädten, son-
dern weil die soziale Kontrolle in kleineren Gemein-
schaften – auf dem Dorf, auf dem Land, in kleineren Städ-
ten – sehr viel größer ist als in Großstädten. Außerdem
gibt es – das dürfen wir auch nicht übersehen – in den grö-
ßeren Städten, beispielsweise in Berlin oder in Hamburg,
eine ganze Szene gerade von Kindern und Jugendlichen,
die aus den ländlichen Bereichen in die Großstädte kom-
men, weil sie dort nicht mehr verwurzelt sind, weil sie
sich dort nicht so entwickeln konnten, wie sie meinten,
sich entwickeln zu müssen. Das ist natürlich eine be-
stimmte Auswahl und das erklärt, warum die Kriminalität
anders zusammengesetzt ist. Gerade im Hinblick auf Dro-
gendelikte – ich komme nachher noch einmal darauf zu
sprechen – wird häufig die Erfahrung gemacht, dass viele
in die Städte gegangen sind bzw. gehen, weil es auf dem
Dorfe schwieriger ist – jedenfalls schwieriger war –, an il-
legale Drogen zu kommen. Dort werden sie dann erwischt
oder auch straffällig, wenn sie Beschaffungskriminalität
betreiben.
Das heißt, es hat etwas damit zu tun, dass die soziale
Kontrolle in den ländlichen Bereichen, in den kleineren,
überschaubaren Regionen größer ist und dass die Metro-
polen Kinder und Jugendliche und Heranwachsende
anziehen.
Herr Kol-
lege Ströbele, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage,
und zwar des Kollegen Beck?
Bitte sehr,
Herr Beck.
Herr Kollege Ströbele, stimmen Sie mir darin zu, dass derBefund, auf den Herr Geis gerade hingewiesen hat, garnicht den in der Antwort veröffentlichten statistischenAuswertungen des Bundesinnenministeriums entspricht,weil zum Beispiel im Jahre 1999 in der – nördlichen –Freien und Hansestadt Hamburg ein Rückgang derStraftaten bei deutschen Heranwachsenden von 19,6 Pro-zent zu verzeichnen war,
während Baden-Württemberg und Bayern Steigerungsra-ten von mehr als 3 Prozent bzw. mehr als 5 Prozent auf-wiesen, was auch gegenüber den nördlichen Bundeslän-dern eher im oberen Bereich liegt, und dass wir vielleichtdiese Debatte um Nord und Süd abbrechen sollten, weildies statistisch keine Bestätigung findet,
sodass wir versuchen könnten, über die Sache zu redenund vielleicht näher zu erläutern, dass das Jugendstraf-recht gerade durch die Diversifizierung, die auf die indi-viduelle Täterpersönlichkeit eingeht
– ich frage ja, ob Herr Ströbele dies auch so sieht –, eineResozialisierung in dieser Phase des Lebens leichter er-möglicht?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Hans-Christian Ströbele12553
Kollege
Ströbele, bevor Sie antworten, darf ich darauf hinweisen,
dass die Fragen ausweislich der Geschäftsordnung kurz
und präzise gestellt werden sollen;
Gleiches gilt für die Antworten.
Vertreter der CDU/CSU-Fraktion nicht nur die Antwort
der Bundesregierung ganz offensichtlich in vielen Punk-
ten nicht zu Ende gelesen haben, sondern dass sie auch
versuchen, die Statistik zu parteipolitischer Profilierung
zu missbrauchen.
Sie können mit diesen Zahlen alles beweisen. Es ist
zwar richtig, was Sie gesagt haben, aber Sie können ge-
nauso belegen, dass die Aufklärungsrate etwa in Sachsen-
Anhalt oder in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten
Jahren, seit 1993, um 15 Prozent, 18 Prozent oder 22 Pro-
zent gestiegen ist und dass die Zahlen in den letzten zwei
Jahren – also in der Zeit der SPD/PDS-Regierung in Sach-
sen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern – sogar we-
sentlich besser sind als die in Baden-Württemberg; da ha-
ben wir eine Steigerungsrate von 3 bzw. 4 Prozent. Also,
lassen wir das doch bitte! Wir wissen alle, dass man mit
solchen Statistiken alles und nichts beweisen kann. So et-
was bringt nichts, sondern es lenkt vom eigentlichen Pro-
blem ab.
Die wichtigen Probleme sind ja angesprochen worden.
Ich möchte zu drei Punkten Stellung nehmen.
Herr Kol-
lege Ströbele, erlauben Sie eine dritte Zwischenfrage,
eine des Kollegen Geis? – Das ist aber die letzte Zwi-
schenfrage, die ich zulasse. Bitte schön.
Herr Ströbele, können Siemir den Unterschied zwischen Prozentzahlen und Häu-figkeitszahlen nennen? Stimmen Sie mir zu, dass sich ausder Antwort der Bundesregierung ergibt, dass die Häufig-keitszahlen in den nördlichen Bundesländern weit höhersind als die in den südlichen Bundesländern? Stimmen Siemir auch zu, dass diese Feststellungen so nicht nur von derBundesregierung, sondern auch von dem kriminologi-schen Institut in Hannover, von Herr Professor Pfeiffer,getroffen worden sind?
Zahlen kannten Sie vorher. Deshalb haben Sie sie ja auchabgefragt, um Ihre Rede vorbereiten zu können. Aber Siehaben auch hier nicht weiter gelesen.Die Bundesregierung hat völlig zutreffend darauf hin-gewiesen, was die Gründe sein können. Die genauenGründe kennen wir alle nicht, auch nicht Herr ProfessorPfeiffer.Vielmehr können wir nur vermuten, dass die un-terschiedlichen Fallzahlen unter anderem damit zusam-menhängen, dass in Bayern oder Baden-Württembergeine größere Zurückhaltung bei der Anzeige von Strafta-ten besteht – aus welchen Gründen auch immer: weil manmeint, man regelt das anders; weil man meint, man regeltdas auf dem Zivilrechtsweg oder weil man meint, das re-gelt man so in der Dorfgemeinschaft oder Kleinstadt. Je-denfalls gibt es genügend Anhaltspunkte dafür, dass dieunterschiedlichen Fallzahlen auf solche Phänomenezurückzuführen sind und so erklärt werden können – soauch die Antwort der Bundesregierung.Nun darf ich fortfahren. Ich wollte zu drei Punktennoch etwas sagen. Bei den Rauschgiftdelikten haben Siebereits darauf hingewiesen, dass das, was wir hier an Zah-len haben, nur ein ganz kleiner Bodensatz ist. DennRauschgiftdelikte werden ja in der Regel nicht ange-zeigt. Nur wenige regen sich darüber auf und zeigen siean – hier im Deutschen Bundestag soll das ja anders sein.Diese Zahlen – deshalb auch die hohen Aufklärungsquo-ten – werden eigentlich nur aus den Fällen gespeist, wotatsächlich strafrechtliche Ermittlungsverfahren durchge-führt werden, die dann zu dem einen oder anderen Ergeb-nis führen.Für mich ist entscheidend, dass die Bundesregierungfestgestellt hat, dass sich die Bundesrepublik Deutschlandim Vergleich zu den anderen europäischen Staaten im un-teren Mittelfeld befindet. Und auch im Vergleich zu denUSA weisen wir in diesem Bereich eine deutlich günsti-gere Kriminalitätsrate auf. Alle Konzepte, die uns immerwieder aus New York, aus Chicago oder anderen Städtenzur Nachahmung angeboten werden, haben dort nichtdazu geführt, dass ein exorbitanter Abfall dieser Rate fest-zustellen ist. Das heißt, die Bundesrepublik Deutschlandliegt relativ gut.Lassen Sie mich einen Gedanken zur Frage hinzufü-gen, was man gegen den „abuse“, also den Gebrauch vonillegalen Drogen, tun soll. Bei dieser Frage kann man nurdann zu richtigen Antworten kommen, wenn man endlicheinmal zur Kenntnis nimmt, dass für Millionen von Bun-desbürgern – vor allen Dingen für Kinder, Jugendlicheund Heranwachsende – überhaupt nicht nachvollziehbarist, dass es auf der einen Seite legale Drogen gibt, mit de-nen man sich sein ganzes Leben, seine Gesundheit, seineFamilie, seine Umgebung, seinen Beruf und alles zer-stören und für die Gesellschaft unendlichen Schaden an-richten darf, während es auf der anderen Seite Drogen gibtwie zum Beispiel Haschisch, Hanf oder Marihuana, derenGebrauch in einer Weise verfolgt wird, die überhauptnicht nachvollziehbar ist.All das, was sich im Illegalen und Unkontrollierten ab-spielt, führt vermehrt zu Straftaten. Das bedeutet: Solangewir diese Gerechtigkeitslücke nicht erkennen und etwasdagegen tun, kommen wir auf diesem Feld nicht weiter.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 200012554
Sie haben auf die Kinder- und Jugendkriminalitäthingewiesen. Für mich ist an der Antwort der Bundesre-gierung das Wichtigste die Erkenntnis – in diesem Fall istdie Statistik so eindeutig, dass es daran nichts zu krittelngibt –, dass all das, was durch Zeitungsberichte, durchMedien allgemein und durch Wahlkampfslogans immerwieder versucht wird, der Bevölkerung einzuimpfen,nicht wahr ist: Es gibt keine erhöhte Kriminalität bei Kin-dern, Jugendlichen und Heranwachsenden nicht deut-scher Herkunft. Wir stellen für diese Gruppe vielmehreine vergleichsweise geringere Steigerung fest – sie liegtbei 20 bis 30 Prozent, bei Heranwachsenden sind die Zah-len sogar fallend –; im Gegensatz dazu gibt es in den letz-ten Jahren bei deutschen Kindern, Jugendlichen undHeranwachsenden eine Steigerung bis zu 163 Prozent.Die Realität steht somit in krassem Gegensatz zu all dem,was immer wieder behauptet wird, nämlich dass die Bür-gerinnen und Bürger in den Städten und Gemeinden vordieser drohenden Form der Kriminalität Angst habenmüssten. Das ist einfach nicht richtig und das sollte manan dieser Stelle deutlich betonen, weil Fehlvorstellungenauf diesem Feld auch eine Grundlage für Rassismus undFremdenhass sein können. Wir müssen uns einer solchenEntwicklung entgegenstemmen, indem wir die wahrenVerhältnisse darstellen.
Nun die Frage nach den Konzepten: Was macht man?Keiner freut sich über steigende Kriminalität, sei es Ju-gendkriminalität, sei es Kriminalität von Erwachsenen.Die Konzepte liegen auf dem Tisch. Es ist nicht das Mit-tel der Repression: Es gibt unendlich viele Untersuchun-gen darüber – auch im Bundestag wurde immer wiederüber dieses Thema diskutiert –, dass Repression, dassschärfere Gesetze, ein Ausschöpfen des Strafrahmens,was auch in Ihrer Anfrage angesprochen wurde, odermehr Stellen für Richter und Staatsanwälte nicht weiter-führten. Die entscheidenden Mittel sind Resozialisierungund Prävention. Resozialisierung muss bedeuten, dassjede Mark, die wir in ein Resozialisierungsprogrammstecken, durch das wir auch nur einen Jugendlichen oderHeranwachsenden davon abhalten, in Zukunft Straftatenzu begehen, nicht nur für den betroffenen Jugendlichenoder Heranwachsenden hervorragend angelegt ist, son-dern auch für die Gesellschaft weniger Gefahren bringtund letztlich bedeutend billiger ist, als den straffälligenJugendlichen oder Heranwachsenden mit einem Kosten-aufwand von täglich 200 bis 250 Mark ins Gefängnis zustecken.Zudem gibt es unendlich viele Möglichkeiten derPrävention; es wurden heute bereits eine Reihe von Mit-teln genannt. Ich möchte in diesem Zusammenhang auchauf technische Mittel der Prävention aufmerksam ma-chen. Sie haben darauf hingewiesen, dass wir bei der Aus-stattung der Ermittlungsbehörden, das heißt der Polizei,der Staatsanwaltschaften sowie der Gerichte, mit PCs,Faxgeräten – es gibt zum Beispiel bei der großen Justiz-verwaltung in Moabit nur ein Faxgerät – ungeheure Defi-zite zu verzeichnen haben.Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: In Berlin gab eseine hohe Zahl an Autodiebstählen. Diese große Zahl anAutodiebstählen ist nicht etwa durch drakonische Strafender Gerichte zurückgegangen, sie ist vielmehr dadurchzurückgegangen, dass man im Vorfeld bei den Fahrzeu-gen, vor allem den Luxuslimousinen, Nummern einge-brannt hat, die nicht mehr zu entfernen sind. Das hatte zurFolge, dass die Anzahl der in Berlin gestohlenen und da-nach verschobenen Autos exorbitant zurückgegangen ist,weil sie nicht mehr oder nur schwer zu verkaufen sind.Das bedeutet: Man muss durch alle, auch technischeMaßnahmen, dafür sorgen, dass Kriminalität erschwertwird. Das fängt im Kaufhaus an und hört bei der Luxusli-mousine auf.
Herr Kol-
lege Ströbele, kommen Sie bitte zum Schluss!
wäsche angesprochen. Die Verabschiedung des Gesetzes
zur Bekämpfung der Geldwäsche, das vorschreibt, dass
die Einzahlung von Summen über 20 000 DM von den
Banken
genauso gemeldet werden muss wie der Name des Ein-
zahlers, war gut und richtig. Der Bürgermeister von Pa-
lermo hat einmal gesagt: Am besten bekämpft man die or-
ganisierte Kriminalität dadurch, dass man rechtliche
Möglichkeiten zur Einsicht in Konten und zu deren Be-
schlagnahmung schafft, nicht durch die Vielzahl der an-
deren Maßnahmen, auch nicht durch die Kronzeugenre-
gelung.
Hier müssen wir weitermachen. Vor allem muss in Zu-
kunft sichergestellt werden, dass derartige Meldungen
von Einzahlern und Summen tatsächlich erfolgen. Wenn
der Kriminalpolizei gemeldet worden wäre, dass ein
CDU-Schatzmeister oder ein CDU-Steuerberater –
Herr Kol-
lege Ströbele, das ist bereits Ihr drittletzter Satz.
Bank eingezahlt hat, dann hätten wir uns und der Bun-
desrepublik Deutschland viel ersparen können.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Günter Graf
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die juristi-sche Debatte, die in der letzten halben Stunde geführtworden ist, so nicht fortsetzen. Ich bin kein Jurist. Ich bin
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in erster Linie Bürger dieses Landes. Ich war ehemals Po-lizeibeamter und bin nun Mitglied des Deutschen Bun-destages. Ich sehe meine Aufgabe darin, deutlich zu ma-chen, worum es eigentlich geht. Deswegen möchte ichmich nicht in Detailfragen, die juristischer Natur sind,verlieren; vielmehr möchte ich auf einige allgemeineDinge eingehen.Vorweg möchte ich Ihnen, Herr Westerwelle, für IhreEingangsbemerkung danken. Es hilft uns überhaupt nichtweiter, wenn hier, wie Sie es, Herr Geis – leider wider bes-seres Wissen –, und zum Teil auch Herr Pofalla getan ha-ben, der Eindruck erweckt wird, als ließe sich die Krimi-nalitätsbekämpfung in unserem Lande durch immer neueGesetze mit immer höheren Strafen verbessern, wie Sie esfordern. Wir alle – davon bin ich überzeugt – sind uns überFolgendes einig: Wenn es einen Mangel in Deutschlandgibt, dann sind es Defizite beim Strafvollzug. Zudemdauert es zu lange, bis Straftäter abgeurteilt werden. Dasist zwar ein Mangel, aber die Voraussetzungen, um diesenMangel zu beseitigen, sind vorhanden. Sie müssen nur ge-nutzt werden. Ich bin froh darüber – das konnten wir indiesem Jahr gerade erst feststellen –, dass es auch Ge-richte gibt, die schneller handeln und aburteilen. Das hatWirkung.Worum geht es uns, wenn wir über Verbrechens-bekämpfung reden? Unser Anliegen muss es doch sein,den Bürgern wieder das Gefühl zu geben, in einem Staatsicher leben zu können. Sie alle erinnern sich sicherlichnoch an die Diskussionen, die wir in den letzten Jahrengeführt haben, als Umfragen veröffentlicht wurden, diezum Ergebnis hatten, dass etwa 75 bis 80 Prozent der Be-völkerung befürchteten – es gab allerdings Unterschiedezwischen alten und den neuen Bundesländern –, Opfer ei-ner Straftat zu werden. Das war beängstigend.Wir haben heute zur Kenntnis zu nehmen, dass sich dieZahlen nicht mehr auf einem solch hohen Niveau bewe-gen. Sie sind rückläufig. Das ist gut so. Sie sind genausorückläufig wie die Gesamtzahl der Straftaten. Es ist auchgut, dass die Aufklärungsquoten gestiegen sind. Wennman dann wie Sie, Herr Geis, versucht, Vergleiche zwi-schen den süddeutschen und den norddeutschen Ländernanzustellen,
so ist das für mich ein Stück weit der Versuch, den Bür-gerinnen und Bürgern in unserem Land Sand in die Augenzu streuen.
Sie selber wissen genau, dass die Ursachen ganz woan-ders liegen.Ich will nicht verhehlen, dass das eine oder andereBundesland mehr Mittel für bestimmte Maßnahmen auf-wendet. Das mag zwar so sein. Aber letztlich kommt esdarauf an, dass wir uns als Bundesgesetzgeber an unsereeigenen Pflichten erinnern und daran, welche Sicherheits-organe uns in unserem Zuständigkeitsbereich zur Verfü-gung stehen. Das Stichwort Bundesgrenzschutz ist schonvorhin gefallen. In der letzten Sitzungswoche ist festge-stellt worden, dass die Bundesregierung eine Menge fürdiejenigen, die mit der Bewahrung von Recht und Ord-nung betraut sind – ich meine die Beamten des Bundes-grenzschutzes, die in Grenzbereichen und an den Bahn-höfen eingesetzt werden –, getan hat und damit auchanerkannt hat, dass diese Großartiges geleistet haben.Wir alle erinnern uns an die letzten beiden spekta-kulären Fälle, an den Fall Schmökel und an das so ge-nannte Balkonmonster, einen Sexualstraftäter, der die Be-völkerung in Niedersachsen und Hamburg über Wochenund Monate in Angst und Schrecken gehalten hatte, weiler über Balkone in Wohnungen eindrang und reihenweiseFrauen vergewaltigte. Diese Täter sind gefasst worden.Ich bin stolz darauf, dass es zwei junge Polizeibeamte, 22und 23 Jahre alt, aus meinem ehemaligen Dienststellenbe-reich Hannover-Langenhagen in Niedersachsen waren,die letzteren Täter stellen konnten, weil sie sehr aufmerk-sam und motiviert waren. Dieser Täter sitzt jetzt hinterSchloss und Riegel. Ich hoffe, dass er lange dort bleibt.Das heißt für mich: Wir als Bundesgesetzgeber könnendazu beitragen, die Motivation der Beamten des Bundes-grenzschutzes und des Bundeskriminalamtes zu erhöhen.Dort gibt es Anstrengungen, um verstärkt Verbrechen zuverhindern und Straftaten aufzuklären.Auf der anderen Seite sind in erster Linie – das sollteman immer wieder betonen – die Länder gefordert und istes nicht Aufgabe des Bundes, deren Verantwortung zuübernehmen. Wir haben aus gutem Grund ein föderativesSystem; die Zuständigkeiten sind klar verteilt. Wir habengenügend Gesetze; wir brauchen keine neuen. Wenn esmarginal etwas zu verändern gibt, dann muss man keinegroßen Debatten führen, sondern handeln. Mit der Ant-wort der Bundesregierung auf die Große Anfrage habenwir eine gute Grundlage, in aller Sachlichkeit der Fragenachzugehen, wo wir in Sachen Verbrechensbekämpfungetwas verändern können, um ein Stück mehr Sicherheit zugewährleisten.Ich will dem Kollegen Ströbele noch ausdrücklich fürseinen Hinweis bezüglich der Jugendkriminalität dan-ken, insbesondere was die ausländischen Jugendlichenangeht. Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme aus einerGegend, in der man mit diesem Phänomen viel zu tun hat.Die getroffene Feststellung kann ich nur mit Nachdruckunterstreichen: Wir sollten es tunlichst unterlassen – derheutige 9. November ist ein guter Anlass dafür –, der Öf-fentlichkeit mit fragwürdigen Stellungnahmen weisma-chen zu wollen – man spricht damit bestimmte Gefühlean –, dass einzelne Gruppen in unserem Land für die ge-genwärtige Situation verantwortlich sind. Das ist ein ge-fährliches Spiel, das Sie betreiben.
– Ich will Ihnen darauf antworten: Wir haben in diesemHause eine Reihe von Maßnahmen debattiert, bei denenunterschwellig immer der Eindruck entstand, als sei fürdie Kriminalität eine Gruppe verantwortlich, die wir inunserem Land nicht wollen. Wir haben vor zwei Wochen
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über mehr Sicherheit an der Grenze zu Tschechien ge-sprochen. Es ging um Menschen, die in unser Land wol-len. Auch in dieser Debatte geht es wieder um Ausländer.
Man nutzt die Situation aus, um eine bestimmte Stim-mung im Land zu erzeugen, was nicht richtig ist.
– Das mache ich nicht.
Ich habe nur das ausdrücklich hervorgehoben, was HerrStröbele ausgeführt hat. Das halte ich für richtig und ver-nünftig.
Sie sollten sich überlegen, welche Anträge Sie einbringen.
– Manchen Kollegen aus Ihren Reihen würde ich dieseEntrüstung abnehmen, Ihnen aber nicht. Es tut mir Leid,ich hätte gerne etwas anderes gesagt.
Ich würde mich mit Ihnen jetzt gerne differenziert aus-einander setzen, wenn meine Redezeit nicht schon abge-laufen wäre. Ich danke, Herr Präsident, dass ich noch dieGelegenheit hatte, diese letzte Bemerkung zu machen.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Erwin Marschewski von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Diese Debatte hat viele Facetten. Aber ich meine, mankann an diesem 9. November nicht einfach zur Tagesord-nung übergehen. Ich jedenfalls will und werde das nichttun.Ich möchte in dieser Debatte daran erinnern, dass vor80 Jahren Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichs-tages den demokratischen Rechtsstaat gefordert hat.Diese Tatsache sollte man gerade in einer rechtspoliti-schen Debatte erwähnen. Man sollte auch daran erinnern,dass vor elf Jahren das Schandmal von Sowjet- und SED-Unrechtsherrschaft, die Mauer, gefallen ist, an der Men-schen gegen jedes Recht verbrecherisch ermordet wur-den. Und schließlich möchte ich den 9. November 1938 inErinnerung rufen, die wilden Pogrome gegen Deutschejüdischen Glaubens. Jüdische Geschäfte und Wohnungenwurden geplündert und zerstört, Synagogen wurden ver-brannt. Das waren Verbrechen gegen Menschen nachhasserfüllter Hetze. – Und heute, meine verehrten Damenund Herren? Ohne Untersagung und Bestrafung durfte derNPD-Pressesprecher vom „verjudeten Bonner System“,vom „jüdisch-amerikanischen Protektoratsregieren überdie Marionetten in Berlin“ faseln oder, genauso fatal, von„Rassenhygiene“ ein anderer.Darüber hinaus ist leider auch wahr: Menschen werdenbei uns durch Straftaten Einzelner oder kleiner GruppenOpfer von Gewalt, nur weil sie anders aussehen, weil sieeine andere Kultur haben, eine andere Sprache sprechen.Friedrich Merz hat Recht: Antisemitismus, Rassenhassund Fremdenhass bilden oft einen Zusammenhang imDenken und Handeln vor allem der Rechtsextremisten.Deswegen müssen wir dies alles zugleich bekämpfen.Wir als Rechtspolitiker haben die Aufgabe, Gesetze zuschaffen. – Es gibt weitere Aufgaben; darüber ist sehrlange diskutiert worden. – So haben wir in Zeiten der Re-gierungsverantwortung der Union den Straftatbestand derVolksverhetzung erweitert. Wir haben das Bekennenzur Auschwitzlüge bestraft. Wir haben vor allem dieTelekommunikationsüberwachung durch die Nach-richtendienste bei Verdacht verfassungsfeindlicher Tätig-keit eingeführt, um die Regierung und die Strafverfol-gungsbehörden zu informieren, um Abwehrmaßnahmenzu treffen. – Ich meine, das ist ein Ausdruck wehrhafterDemokratie. Denn nur die wehrhafte Demokratie und einwehrhafter Staat sorgen für die Sicherheit der Menschenund für demokratische Stabilität.Aber es ist kein Signum der Wehrhaftigkeit, wenn man,wie Herr Ströbele von den Grünen, den Verfassungs-schutz abschaffen will. Wer den Verfassungsschutz ab-schaffen will, Herr Kollege Ströbele, verzichtet auf einwirksames Mittel im Kampf gegen Extremisten.
Das hat gerade die Beschaffung von Material über dieNPD – Herr Minister Schily gibt mir da Recht – gezeigt.Wer den Verfassungsschutz abschaffen will, der schwächtden Rechtsstaat im Einsatz gegen aktiv kämpferischesund aggressives Verhalten der Rechtsextremisten, aberauch im Kampf gegen Linksextremisten. Denn auch Letz-tere haben ihre verfassungsfeindlichen Ziele nicht aufge-geben. Im Verfassungsschutzbericht steht – Zitat aus demUntergrundblatt „Radikal“ –:Wenn wir diese Gesellschaft umwälzen wollen, danngilt es, sie jetzt zu bekämpfen, mit allen Mitteln.Und weiter:Gezielte politische Aktionen gegen Personen und Sa-chen sind völlig legitim.Beide sind zu bekämpfen, auch die Linksextremen. DieStraftatenzahl von 3 000 im letzten Jahr – bei den Rech-ten ist sie dreimal so hoch; auch das ist wahr – spricht fürsich. Man darf also nicht auf einem Auge blind sein.
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Günter Graf
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Unsere Politik muss sich gegen Rechtsextremisten undgegen Linksextremisten richten.
Wehrhafte Demokratie heißt auch, Kriminalität zuverhindern bzw. zu bekämpfen. Raubüberfälle, Drogen-handel und Diebstahl sind kein unabänderliches Naturge-setz, auch nicht, dass Chaoten prügelnd durch die Straßenziehen, dass Dealer in Diskotheken immer mehr Pillenverkaufen und dass sich alte Menschen abends kaummehr auf die Straße trauen.Es war eben nicht gut, dass Sozialdemokraten undGrüne jahrelang die Entkriminalisierung propagiert ha-ben. Denn die Verharmlosung von Bagatelldelikten – daswissen doch wir alle – führt zu mehr Kriminalität, weilHemmschwellen gesenkt und Rechtsbrecher ermutigtwerden.
Auch nicht gut ist, dass die Staatsanwaltschaft einenStrafbefehl gegen einen amtierenden Bundesminister, ge-gen den Sozialdemokraten Klimmt, beantragen musste.Wehret den Anfängen und gebt ein gutes Beispiel, mussda die Parole lauten.
– Auch das ist vielleicht ein Problem. Aber der von mirGenannte ist ein besonderes Problem: Es geht um einenamtierenden Bundesminister. Das ist der Unterschied.
– In einem Punkt sind wir sicherlich einer Meinung: Wirwollen null Toleranz für jeden Rechtsbruch.Ich freue mich, dass die Deliktzahl gesunken ist, HerrBundesinnenminister, aber – hier sind wir einer Meinung –6 Millionen Straftaten sind noch zu viel. Ich freue michauch, dass die Aufklärungsquote gestiegen ist. Hier gehtder Dank an die Polizeibeamten, an meine Kollegen– auch an die der SPD – und selbstverständlich auch anIhre Kollegen, Herr Minister. Aber Sie können nicht leug-nen, dass dies auch die Früchte der Arbeit sind, die damalsCDU/CSU und F.D.P. geleistet haben, damit zum Beispieldie Strafe der Tat auf dem Fuß folgt.
Nach jahrelangem Ringen ist die Hauptverhand-lungshaft endlich durchgesetzt worden. Ich war im Ver-mittlungsausschuss dabei.
Ich weiß, wie sich damals die jetzt amtierende Bun-desjustizministerin mit allen Kräften gegen die Hauptver-handlungshaft gesträubt hat, die bedeutet, dass jemandunmittelbar nach einer Straftat festgenommen und ver-urteilt wird und er dann auch sofort die Strafe antretenmuss. Frau Däubler-Gmelin hat sich damals mit Händenund Füßen dagegen gewehrt. Das war nicht gut.Es ist auch nicht gut, dass die Bundesjustizministerinso wenig Interesse an der für sie entscheidenden und sehrwichtigen Debatte zeigt. Wenn sich eine Bundesjustizmi-nisterin nicht die Mühe macht, bei einer Debatte über Kri-minalitätsbekämpfung im Deutschen Bundestag zu sein– gut, dass Sie da sind, Herr Minister Schily –,
ist dies kein gutes Zeichen. Es zeigt ihr fehlendes Inte-resse an dieser Debatte.
Wir haben den genetischen Fingerabdruck ermög-licht. Das ist gut. Wir haben Schleppern und Schleusernihr schmutziges Handwerk erschwert. Letzten Endes ha-ben wir gemeinsam mit Ihnen den Einsatz technischerMittel in Gangsterwohnungen beschlossen. Das istwahr. Auch Herr Schily hat dabei Beträchtliches geleistet.Aber das hat alles viel zu lange gedauert. Wir hätten dasGesetz viel eher beschließen können. Dies zeigt, dass letz-ten Endes die Union die entscheidende politische Kraftist, die den Schutz des Bürgers vor Verbrechen gewähr-leistet, und nicht der Herr Ströbele und andere aus demgrün-linken Bereich.
Bevor Sie noch lauter rufen und schreien, sage ich Ih-nen Folgendes:
Es ist eigentlich gar nicht mehr zu ertragen, dass Sie inzwei Jahren Regierungsverantwortung keinen einzigenwirksamen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der organi-sierten Kriminalität vorgelegt haben – und dies, obwohldort Handlungsbedarf besteht.
Herr Kollege Westerwelle, natürlich gibt es Defizitebeim Vollzug, das ist wahr. Aber es gibt auch Gesetzesde-fizite. Dazu nenne ich nur einige Punkte. Mich fragen Po-lizeibeamte: Wollt ihr nicht endlich eine Korrektur derRegelungen für die akustische Überwachung vorneh-men? Dort gibt es zu viele Ausnahmen. Selbst der jetzigeBundesinnenminister war im ersten Gespräch und auch inden nachfolgenden Gesprächen anderer Meinung. Erwollte diese Ausnahmen gar nicht, die die Linken in derSPD letzten Endes durchgesetzt haben.
Es darf doch nicht sein, dass Schwerstverbrecher dieWohnung als Rückzugsraum missbrauchen können, umihr kriminelles Treiben fortzusetzen. Deswegen wollenwir auch die optische Überwachung, denn dadurch wird
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Erwin Marschewski
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die Identifizierung erleichtert. Deswegen wollen wir auchdie Verschärfung der Vorschriften gegen Geldwäsche.Wir sagen: Wer verdächtiges Geld hat, muss darlegen,woher das Geld kommt.
Wichtig ist insbesondere die Verstärkung der interna-tionalen Zusammenarbeit. Es ist gut, dass Europol ge-gründet worden ist. Meine Damen und Herren, Sie habendas, was wir vorbereitet haben, vollzogen. Dafür herzli-chen Dank. Aber warum dehnen Sie die Zuständigkeitenvon Europol nicht aus? Es ist eigentlich gar nicht einzu-sehen, dass bei länderübergreifenden Straftaten gegen dasLeben oder das Eigentum oder bei Computerdelikten Eu-ropol gerade nicht zuständig ist.
Ich denke an eine Aufgabenerweiterung im operativen,nicht im exekutiven Bereich, Herr Minister Schily.Warum soll sich Europol nicht an Ermittlungsteams be-teiligen dürfen? Warum soll es nicht um Einleitung oderKoordination von Ermittlungen ersuchen dürfen? In IhrerAntwort auf unsere Große Anfrage erklären Sie, im Hin-blick auf operative Aufgaben von Europol bestehe keinaktueller gesetzgeberischer Bedarf; man wolle zu gege-bener Zeit prüfen, ob Maßnahmen erforderlich sind und,wenn ja, welche. Dies ist, meine ich, kein Erfolg verspre-chender Kampf gegen die organisierte Kriminalität. DieBedingungen für internationale Kriminalität verändernsich ständig. Globalität ist gerade im Verbrechensbereichleider Realität.
Ich meine, es besteht Handlungsbedarf. Wenn Sienichts überzeugt, so doch dies: Wir sind uns einig darüber,dass insbesondere die Schwachen leiden, wenn der Staatund die Verantwortlichen Schwäche zeigen. Daher sindSie als Bundesregierung, Herr Bundesinnenminister, FrauBundesjustizministerin bzw. in Vertretung Herr Staatsse-kretär – etwas später angekommen, aber immerhin; herz-lichen Dank –, gefordert. Daher unsere Große Anfrage: inSorge um dieses Land, in Sorge darum, dass sich Bürgerin diesem Land frei bewegen können, ohne Kriminalität.Denn der Bürger hat ein Recht auf Sicherheit in diesemLande und wir als Politiker haben die Pflicht, ihm dies zugewährleisten.Herzlichen Dank.
Als letz-
ter Redner hat der Bundesinnenminister Otto Schily das
Wort.
Herr KollegeMarschewski, ich habe Verständnis dafür, dass Sie dieBundesjustizministerin heute vermissen. Aber ich glaube,wenn sie Ihre Rede im Protokoll nachliest, wird sie ihreAbwesenheit nicht bedauern.
Aber ich möchte auf den Ton eingehen, den Herr Kol-lege Westerwelle zu Beginn der Debatte angeschlagenhat. Ich finde, das war die angemessene Tonlage bei einemso ernsten Thema. Jenseits der Polemik, in der sich heuteeinige vergeblich geübt haben, gibt es eines, das uns mit-einander verbindet: dass die innere Sicherheit zu den erns-teren und wichtigeren Fragen gehört, weil nämlich einKernbestandteil der Lebensqualität von Menschen ist,angstfrei leben zu können.Wir können mit Stolz und Selbstbewusstsein sagen,dass Deutschland im internationalen Vergleich eines dersichersten Länder ist.
Das sollte man hier einmal an den Anfang stellen. Das istzuallererst das Ergebnis der engagierten, zuverlässigen,risikobereiten und kompetenten Arbeit unserer Sicher-heitskräfte, der Polizeibeamten und -beamtinnen in denLändern und im Bund, des Verfassungsschutzes undsolcher Institutionen wie etwa des Bundesamtes fürSicherheit in der Informationstechnik. Ich finde, es gehörtsich, dass wir diesen Beamtinnen und Beamten in ei-ner solchen Debatte einen ganz herzlichen Dank aus-sprechen.
Man kann diese günstige Diagnose anhand der Zahlenbelegen. Die Zahl der Straftaten geht deutlich zurück. Sieist im vergangenen Jahr zurückgegangen und sie geht indiesem Jahr zurück. Die Aufklärungsquote erhöht sich.
Auch das subjektive Sicherheitsempfinden der Menschenhat sich deutlich verbessert. 80 bis 90 Prozent, sowohl imOsten der Bundesrepublik Deutschland als auch imWesten – es ist interessant, dass sich das angleicht –,sagen, sie seien mit der Sicherheitslage einigermaßenzufrieden. Ich sage „einigermaßen“, weil natürlich an dereinen oder anderen Stelle noch etwas verbessert werdenkann. Ich bin nicht derjenige – da stimme ich HerrnMarschewski zu –, der meint: Weil wir diese Zahlenhaben, können wir uns zurücklehnen, uns ruhig verhaltenund sagen, es sei nichts mehr zu tun. Das ist nicht der Fall.Die absolute Zahl der Straftaten ist noch viel zu hoch.Ich glaube, es ist auch richtig, an dieser Stelle zu sagen,dass wir in Deutschland durch die Zusammenarbeitzwischen Bund und Ländern ein sehr gutes Systemder Sicherheitspolitik haben. Wir haben eine sehr engeund vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem
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Bundesinnenminister und den Länderinnenministern. Ichwill mich an dieser Stelle bei den Kollegen aus den Län-dern dafür herzlich bedanken.Außerdem haben wir aber auch die Sicherheitsarchi-tektur über die Strukturen in unserem Lande hinaus – imeuropäischen Rahmen, bilateral, multilateral, also überdie Grenzen unseres Landes hinweg – deutlich ausgebautund verstärkt. Ich will nur einige Beispiele dafür nennen.Wir haben im vergangenen Jahr mit der Schweiz – ei-nem kleinen, aber, wie ich finde, durchaus beachtlichenLand – einen Vertrag zur Bekämpfung der organisiertenKriminalität geschlossen. Ich glaube, das ist ein muster-gültiger Vertrag, das ist ein Modell für gute bilaterale Zu-sammenarbeit. Wir werden demnächst einen ähnlichenVertrag mit Österreich, mit meinem Kollegen Strasser,schließen.
Auch das ist eine vernünftige Zusammenarbeit, die wirzustande gebracht haben.Wir haben eine multilaterale Zusammenarbeit mit eini-gen Ländern, die der Alpenregion zuzurechnen sind. Wirhaben eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mitden Ländern, die Beitrittskandidaten sind; auch das istwichtig. Wir beteiligen uns an Programmen zur Errei-chung der Beitrittsfähigkeit, die ja auch im Bereich der in-neren Sicherheit, der Grenzsicherheit, der Bekämpfungvon Kriminalität notwendig ist.Es ist uns aber auch über die EU-Grenzen hinaus ge-lungen, gute Strukturen zustande zu bringen. Ich habekürzlich den FBI-Direktor Freeh getroffen, und wir habenverabredet, dass wir eine engere Kooperation zur Be-kämpfung einer Kriminalitätsform suchen, die uns neuer-dings Sorgen bereitet, nämlich der Kriminalität, die imInternet stattfindet. Wenn wir daran denken, dass die ab-scheulichsten rechtsextremen, nazistischen, antisemiti-schen Inhalte auf heute etwa 400 Websites unsere Jugendnegativ beeinflussen, dann müssen wir etwas dagegentun, und das tun wir in Zusammenarbeit auch mit den Ver-einigten Staaten von Amerika. Ich freue mich darüber,dass Herr Freeh diese Zusammenarbeit zugesagt hat.
Meine Damen, meine Herren, es gehört auch zurSicherheit, die wir nicht mehr borniert national definierenkönnen, wenn wir mit unseren Polizeikräften etwa dafürsorgen, dass im Kosovo Strukturen der Sicherheit aufge-baut werden. Auch hier möchte ich den jungen Kollegin-nen und Kollegen aus den Länderpolizeien und dem Bun-desgrenzschutz meinen ausdrücklichen Dank sagen, dasssie sich zu solchen Missionen bereit erklären.
Meine Damen und Herren, weiter möchte ich eineForm der Zusammenarbeit im Ostseebereich erwähnen,die Ostsee-Taskforce. Oder denken Sie an das Abkom-men, das ich im vergangenen Jahr mit Russland zurZusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisiertenKriminalität abgeschlossen habe. Es hat auch andere Ab-kommen internationaler Art gegeben.Meine Damen und Herren, wir können auch im euro-päischen Rahmen auf große Erfolge verweisen. Herr Kol-lege Marschewski, Sie haben behauptet, zu Europol seieneinige Vorarbeiten geleistet worden. Dass das so ist, willich gar nicht bestreiten.
Aber zu behaupten, so wie Sie es hier ein wenig lässigmeinten darstellen zu sollen, wir hätten das Ganze prak-tisch nur noch vollzogen, ist falsch. So war es nicht.Uns ist es gelungen – das wird nun gerade von den EU-Ländern positiv vermerkt; ich habe dafür sehr viel Lobund Anerkennung von den anderen europäischen Mit-gliedsländern erhalten, übrigens ausnahmslos, ganz egal,ob nun eher konservativ oder sozialdemokratisch regiert –,die großen Hindernisse, die hinsichtlich der Arbeitsfähig-keit von Europol noch bestanden, während der deutschenPräsidentschaft beiseite zu schaffen. Insofern bin ichdankbar dafür, dass uns das gelungen ist.Das, was Sie angesprochen haben, ist eine Perspektive,die man diskutieren muss, Herr Marschewski, wenn ichum Ihre Aufmerksamkeit bitten darf.
Sie haben mich darauf angesprochen; deshalb verdienenSie ja, dass ich darauf eingehe. Wenn Sie es nicht wün-schen, dann lassen wir es.
– Nein, nein, ist ja in Ordnung.Die Hindernisse, die noch bestehen, bestehen auf exe-kutiver Ebene.
– Entschuldigung, auf operativer Ebene. Ich weiß, dassSie operative Maßnahmen meinen. Sie müssen, wennSie sich ein bisschen in Europa auskennen, sehen, dassdas eine schwierige Frage ist. Nicht zufällig ist dieZusammenarbeit der Polizeien in der dritten Säule derVerträge geregelt, und die polizeilichen Zuständigkeitensind nun für das Verständnis mancher das Herzstück dernationalen Souveränität. Es ist ja schon schwierig, unsereMitgliedsländer dazu zu ermuntern, dass sie überhauptEuropol Daten liefern, damit Europol zunächst einmal– nach dem jetzigen Status – arbeitsfähig wird. Da beste-hen also viele Schwierigkeiten.Wichtig ist aber, dass wir auch dafür sorgen, HerrMarschewski, dass nicht Doppelarbeit zweier wichtigerInstitutionen, Interpol und Europol, entsteht. Gerade ges-tern war ich bei Interpol zu Besuch und habe dem neuen
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Generalsekretär Nobel, der übrigens fließend deutschspricht, was die Zusammenarbeit sicher fördern wird, gra-tuliert. Genau genommen spricht er bayrisch. Das ist jaauch ganz gut.
Das ist hervorragend.An dieser Stelle möchte ich übrigens auf den Erfolg zusprechen kommen, dass der Präsident des Bundeskrimi-nalamtes, Herr Dr. Kersten, in den Exekutivrat von Inter-pol gewählt worden ist. Auch ihm gratuliere ich von die-ser Stelle aus zu seiner Wahl.Meine Damen und Herren, wir müssen eine enge Zu-sammenarbeit zwischen Interpol und Europol zustandebringen.Am gleichen Tage haben wir in Lyon eine ganz wich-tige Eröffnung zusammen mit dem französischen Innen-ministerkollegen Vaillant und dem Justiz- und dem In-nenminister Schwedens – das die Präsidentschaft künftiginnehat – gefeiert.
Wir haben nämlich eine deutsche Initiative auf den Weggebracht, die in Tampere zum Beschluss geworden ist: dieSchaffung einer europäischen Polizeiakademie. DieseAkademie ist gestern eröffnet worden.
Das ist wichtig. Dort werden unsere Polizeibeamtinnenund Polizeibeamten lernen, sich von den nationalbegrenzten Denk- und Handlungsgewohnheiten zu lösenund europäisch zu denken. Denn die heutige Krimina-litätsbekämpfung kann nur noch europäisch gesichertwerden. Das müssen wir alle wissen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf den na-tionalen Rahmen zurückkommen. Herr Pofalla, Sie habendie Antworten der Bundesregierung – ich möchte das nurkurz erwähnen; es ist ja schön, dass Sie die Antworten we-nigstens lesen – auf die Fragen zum Thema Videoüber-wachung nicht ganz genau gelesen. Die Position der Bun-desregierung ist in diesem Punkt ganz klar: Wir sindgegen eine flächendeckende Videoüberwachung, die jedeEcke des privaten Lebens ausleuchtet.
Das halte ich für mit Art. 1 des Grundgesetzes nicht ver-einbar.Aber an Kriminalitätsschwerpunkten werden solcheMaßnahmen – gerade auf der Bundesebene – schon heutepraktiziert. Selbstverständlich ist es die Position der Bun-desregierung, in denjenigen Bereichen, in denen der Bun-desgrenzschutz zuständig ist – etwa im Bahnbereich –solche Maßnahmen zu ergreifen. Ich selbst habe mir daseinmal angesehen. Dagegen habe ich gar keine Einwände.Denn hier kann es sich um Kriminalitätsschwerpunktehandeln. Wenn man solche Installationen zur Verfügunghat, kann man für mehr Sicherheit sorgen. Dies hat sichals erfolgreich erwiesen.Ich möchte jetzt nicht auf die Diskussion über das Ver-hältnis zwischen Repression und Prävention eingehen.Dass die Prävention für uns eine herausgehobene Bedeu-tung hat, ist inzwischen wohl klar geworden. Ein Symboldafür – eigentlich ist es mehr als ein Symbol, weil es prak-tische Perspektiven bietet – ist das Deutsche Forum fürKriminalprävention, dessen Implementierung wir imBundeskabinett gerade beschlossen haben. Ich freue michsehr darüber. Wir haben es als eine Zusammenarbeit zwi-schen Staat, Wirtschaft und Wissenschaft angelegt. Dennman muss wissen, dass wir auf wissenschaftliche Er-kenntnisse angewiesen sind.Herr Geis, Sie haben Herrn Pfeiffer angesprochen, denich wie Sie sehr schätze. Dieser hat zum Beispiel auf ei-nen interessanten Zusammenhang bei der Gewaltkrimina-lität von Jugendlichen hingewiesen – hier hat er Feldfor-schung betrieben –,
dass nämlich diejenigen Jugendlichen, die gewalttätigwerden, in ihrer Kindheit Opfer von Gewalt waren. Auf-fälligerweise sind diejenigen Jugendlichen, die brutaleGewalt ausüben, in ihrer Kindheit Opfer von brutalerGewalt gewesen. Das ist ein Hinweis darauf, was man tunmuss: Man muss gewaltfreie Erziehung durchsetzen.Auch das ist Präventionsarbeit.
Hier ist viel Richtiges zum Thema technische Präven-tion gesagt worden. Es ist völlig richtig – Herr Ströbelehat es erwähnt –: In Bezug auf Kraftfahrzeuge bestehenzwei Möglichkeiten: nicht nur die Markierung, sondernauch die Wegfahrsperre. Diese ist das Entscheidende. Dashaben Sie wahrscheinlich auch gemeint.
Wir müssen dem Kreditkartenmissbrauch entgegentre-ten. Denn hier gibt es einen Aufwuchs der Straftaten.
Deshalb ist es wichtig, die technische Prävention vo-ranzutreiben. Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen.Ich freue mich darüber, dass ich kürzlich in einemKreis von hochrangigen Vertretern der Wirtschaft großenZuspruch für die Unterstützung unserer Initiative gefun-den habe, die in Zusammenarbeit gemeinsam von denbeiden Bundesministerien Justiz und Inneres sowie denLändern getragen wird. Davon verspreche ich mir sehrviel, weil beim Thema innere Sicherheit Ähnlichesgilt wie beim Umweltschutz: Vorsorge ist allemal besserund billiger als Nachsorge. Es ist besser, die Jugendlichenan kriminellen Handlungen zu hindern und sie gegen
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Kriminalität zu immunisieren, als Jugendgefängnisse zubauen. Das ist eindeutig.
Meine Damen und Herren, es fehlt mir die Zeit, zu al-len Bereichen einen Hinweis zu geben. Ich will deswegenzum Schluss nur Folgendes sagen: Wir müssen ein ausge-wogenes Verhältnis zwischen Repression und Präventionhaben! Es geht nie um ein Entweder-oder.Ich gebe übrigens all denjenigen Recht, die das sagen:Natürlich sind Resozialisierung, Therapie und Ähnlichesnotwendig. Aber in einem Punkt gibt es für mich über-haupt keinen Zweifel: Die Sicherheit potenzieller Opferhat absoluten Vorrang.
Wenn jemand seine Psyche und seinen Charakter nichtsteuern kann, muss die Sicherheit potenzieller Opferallerersten Rang haben. Wir haben schreckliche Fälle– ich habe sie noch in deutlicher Erinnerung – in Bayernerlebt, wo kleine Kinder Opfer von Sexualverbrecherngeworden sind und man den Sicherheitsgedanken ver-nachlässigt hat. Das können wir bei aller Humanität, dieauch im Strafvollzug und in der Therapie gelten muss,nicht zulassen. Das nur einmal vorweg.Prävention hat viele Seiten. Prävention hat eine techni-sche Seite, eine organisatorische Seite, eine soziale Seite.Natürlich stimmt es: Wenn Jugendliche keinen Ausbil-dungsplatz oder keinen Arbeitsplatz finden, wenn sie ineiner schlechten Stadtgegend leben, sind sie gefährdeter.Auch Städte können kriminalitätsfördernd sein, Stadtbil-der, alles das.
Die „broken windows“-Theorie ist richtig. Es gibt vieleverwahrloste Städte. Es gibt vieles, was dazu zu sagen ist;das ist ein ganz breites Feld. Mir fehlt die Zeit, das allesauszubreiten. Da müssen wir etwas tun. Das Projekt„Soziale Stadt“ ist ein gutes Projekt.
Urbanität ist ein gutes Projekt. Es gibt vieles, was wir tunkönnen und müssen. Natürlich ist das JUMP-Programmauch ein Programm gegen Jugendkriminalität.
Dafür müssen wir dankbar sein.Ich will jetzt nicht mit den Zahlen prunken. Aber es istin der Tat so: Das erste Mal, dass Jugend- und Kinderde-linquenz abnimmt, ist das Jahr 1999. Ich mache darauswirklich keine große Sache; aber es ist eine Tatsache.
Ich sage im Übrigen nicht, dass das alles ist. Zu glau-ben, dass Kriminalität nur aus der sozialen Umgebungentsteht, ist falsch. Deshalb sage ich – damit bin ich beimletzten Punkt –: Prävention hat auch eine kulturelle Di-mension. Das ist das, was ich immer sage: Wir brauchenauch so etwas wie eine kulturelle Prävention.Wenn ich mir vorstelle, in welcher Welt unsere Kinderund Jugendlichen eigentlich aufwachsen, mit welchenGewaltbildern, Bildern scheußlichster Brutalität sie jedenAbend in den Medien, im Fernsehen, in den Printmedien,in ihrer unmittelbaren Umgebung traktiert werden, dannmuss man sich nicht wundern, welche Handlungsweisen,welche Charaktere unsere Kinder und Jugendlichen ent-wickeln.
Wenn Sie merken, dass die Würde des Menschen in denMedien zum Teil nichts mehr gilt, dann muss man sichnicht über das wundern, was passiert.Ich gebe in einem Punkt auch Ihnen Recht, Herr Geis:Man muss etwas für die Familien tun. An dieser Stellekönnen wir uns alle selbst einmal fragen, welch ein kul-turelles Milieu wir den Kindern und Jugendlichen in un-seren Erziehungsformen und -inhalten eigentlich anbie-ten.Zum Schluss wiederhole ich, was ich auch schon zuBeginn meiner Amtszeit gesagt habe: Es ist notwendig,Jugendlichen in ihrer Entwicklung musische Erziehunganzubieten.
Man soll das nicht als Luxus betrachten. Yehudi Menuhinhat auf einen interessanten Zusammenhang hingewiesen.Es gibt einen Distrikt in London, in dem die Jugendkrimi-nalität vergleichsweise besonders niedrig ist. In diesemDistrikt ist das Angebot an musischer Betätigung für Ju-gendliche und Kinder besonders groß. Das ist eineBotschaft.
Ichschließe die Aussprache.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis e sowie Zu-satzpunkte 3 a und b auf:27 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zu-satzabkommen vom 19. Mai 1999 zum Euro-pipe-Abkommen vom 20. April 1993 zwischender Bundesrepublik Deutschland und dem Kö-nigreich Norwegen über den Transport von Gasdurch eine neue Rohrleitung vomKönigreich Norwegen in die BundesrepublikDeutschland– Drucksache 14/4300 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
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Bundesminister Otto Schily12562
b) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes,insbesondere zur Durchführung der EG-Richt-linie 98/78/EG vom 27. Oktober 1998 über diezusätzliche Beaufsichtigung der einer Versiche-rungsgruppe angehörenden Versicherungsun-ternehmen sowie zur Umstellung von Vor-schriften auf Euro– Drucksache 14/4453 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-führung einer Entfernungspauschale und zurZahlung eines einmaligen Heizkostenzuschus-ses– Drucksache 14/4435 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOd) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung desStrafvollzugsgesetzes– Drucksache 14/4452 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschusse) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nungTechnikfolgenabschätzunghier: Monitoring „Nachwachsende Roh-stoffe“ – Einsatz nachwachsender Roh-stoffe im Baubereich– Drucksache 14/2949 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lungZP3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahren
a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENErkenntnisse der Verfassungsschutzbehör-den von Bund und Ländern zur Verfas-sungswidrigkeit der „Nationaldemokrati-schen Partei Deutschlands“– Drucksache 14/4500 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Rechtsausschussb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter,Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der PDSGesellschaftliche Debatte zu den Energie-preisen für eine ökologische verkehrspoliti-sche Wende nutzen– Drucksache 14/4534 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
FinanzausschussAusschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heitHaushaltsausschussEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachtenVerfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Die Vorlage auf Drucksache 14/4435 soll zu-sätzlich an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit überwiesen werden. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-sungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b sowie28 d bis 28 j auf. Es handelt sich um Beschlussfassungenzu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 28 c ist abgesetzt.Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 28 a:28 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzesüber die Ausprägung einer 1-DM-Goldmünzeund die Errichtung der Stiftung „Geld undWährung“– Drucksache 14/4225 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-ausschusses
– Drucksache 14/4481 –Berichterstattung:Abgeordnete Jörg-Otto SpillerHeinz Seiffert
– Drucksache 14/4482 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans Jochen HenkeHans Georg WagnerOswald MetzgerDr. Günter RexrodtDr. Uwe-Jens Rössel
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms12563
Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksa-che 14/4481, den Gesetzentwurf unverändert anzuneh-men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiterBeratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen undder PDS-Fraktion gegen die Stimmen von CDU/CSU undF.D.P. angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istin dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnisangenommen.Tagesordnungspunkt 28 b:b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung der Grenze des FreihafensEmden– Drucksache 14/4223 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung der Grenze des Freihafens Bre-men– Drucksache 14/4224 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 14/4480 –Berichterstattung:Abgeordnete Detlev von LarcherJochen-Konrad FrommeDer Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksa-che 14/4480 unter Buchstabe a, den Entwurf eines Geset-zes zur Änderung der Grenze des Freihafens Emden un-verändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istin zweiter Beratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istin dritter Lesung einstimmig angenommen.Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksa-che 14/4480 unter Buchstabe b, den Entwurf eines Geset-zes zur Änderung der Grenze des Freihafens Bremen un-verändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istin dritter Lesung einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 28 d:d) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Alfred Hartenbach, Joachim Stüncker,Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten undder Fraktion der SPD sowie den AbgeordnetenVolker Beck , Christian Ströbele, IrmingardSchewe-Gerigk, weiteren Abgeordneten und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlänge-rung der Besetzungsreduktion bei Strafkam-mern– Drucksache 14/3370 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Norbert Geis, Ronald Pofalla, WolfgangBosbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines... Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ent-lastung der Rechtspflege und des Jugendge-richtsgesetzes– Drucksache 14/2992 –
– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Än-
– Drucksache 14/3831 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 14/4542 –Berichterstattung:Abgeordnete Joachim StünkerDr. Wolfgang Frhr. von StettenVolker Beck
Jörg van EssenDer Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksa-che 14/4542 unter Buchstabe a, den Entwurf eines Geset-zes zur Verlängerung der Besetzungsreduktion bei Straf-kammern anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Lesung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istin dritter Lesung einstimmig angenommen.Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksa-che 14/4542 unter Buchstabe b, den Entwurf eines Geset-zes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Rechts-pflege und des Jugendgerichtsgesetzes für erledigt zuerklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist einstimmig angenommen.
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms12564
Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksa-che 14/4542 unter Buchstabe c, den vom Bundesrat ein-gebrachten Entwurf eines Gesetzes zu Änderungen imGerichtsverfassungsgesetz für erledigt zu erklären. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung isteinstimmig angenommen.Jetzt kommen wir zu Tagesordnungspunkt 28 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-ausschusses
Übersicht 6 über die dem Deutschen Bundestagzugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesver-fassungsgericht– Drucksache 14/4355 –Der Ausschuss empfiehlt, von einer Äußerung oder ei-nem Verfahrensbeitritt abzusehen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-nommen worden.Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 28 f bis j:f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 207 zu Petitionen– Drucksache 14/4404 –g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 208 zu Petitionen– Drucksache 14/4405 –h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 209 zu Petitionen– Drucksache 14/4406 –i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 210 zu Petitionen– Drucksache 14/4407 –j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 211 zu Petitionen– Drucksache 14/4408 –Sammelübersicht 207 auf Drucksache 14/4404. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Die Sammelübersicht 207 ist mit den Stimmen aller Frak-tionen bei Gegenstimmen der PDS-Fraktion angenom-men.Sammelübersicht 208 auf Drucksache 14/4405. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Die Sammelübersicht 208 ist mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen gegen die Stimmen der anderen Fraktio-nen angenommen.Sammelübersicht 209 auf Drucksache 14/4406. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Die Sammelübersicht 209 ist mit den Stimmenaller Fraktionen bei Enthaltung der PDS-Fraktion ange-nommen.Sammelübersicht 210 auf Drucksache 14/4407.Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Die Sammelübersicht 210 ist mit den Stimmenaller Fraktionen bei Enthaltung der PDS angenommen.Sammelübersicht 211 auf Drucksache 14/4408. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Die Sammelübersicht 211 ist damit einstimmig angenom-men.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Zapf,Brigitte Adler, Rainer Arnold, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der SPD sowie der Abge-ordneten Winfried Nachtwei, Dr. Uschi Eid,Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFörderung der Handlungsfähigkeit zur zivilenKrisenprävention, zivilen Konfliktregelungund Friedenskonsolidierung– Drucksache 14/3862 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
InnenausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat dieKollegin Uta Zapf von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kollegin-nen und Kollegen! Wir haben gerade eben in einem ande-ren Bereich von Prävention gesprochen. Dazu passt dasSprichwort, das Herr Schily zitiert hat, sehr gut – ich hattees als Eingangssatz vorgesehen –: „Vorbeugen ist besserals heilen.“ Es gibt ein weiteres Sprichwort, das, wie ichmeine, sehr gut in diesen politischen Kontext passt. Viel-leicht klingt es ein bisschen makaberer: „Es ist leichter,Geld für den Sarg als für die Medizin einzusammeln.“Dies ist ein chinesisches Sprichwort.Krisenprävention – darüber sind wir uns alle im Klaren –ist eine zentrale Aufgabe der Außen-, Entwicklungs- undSicherheitspolitik. Aber sie reicht darüber hinaus. Dazugehören Abrüstung und Rüstungskontrolle, regionale Si-cherheit mit vertrauensbildenden Maßnahmen, Transpa-renz und Kooperation. Dazu gehören natürlich auch Rüs-tungsexportkontrolle und in zunehmendem MaßeMaßnahmen gegen Gewaltökonomien.Wir sind uns alle darüber einig, dass Krisenpräventiondie beste Friedenspolitik ist. Aber Erfolge von Prävention
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms12565
lassen sich leider schwer messen. Die Verhinderung vonGewalt ist nicht sichtbar. Der CNN-Faktor tritt nicht ein,weil kein Blut fließt. Dennoch sind dies Erfolge, die wirimmer wieder bemerken sollten, damit wir sehen, dass dieInstrumente, die wir nutzen, Erfolg haben.Eine Politik der Krisenprävention basiert auf einemerweiterten Sicherheitsbegriff. Er umfasst nicht nur mili-tärische Sicherheit, sondern auch die so genannte mensch-liche Sicherheit, also politische, ökonomische, ökologi-sche und soziale Sicherheit. Dieses beschreibt auch dieUrsachen, die Konflikten zugrunde liegen, die – das wis-sen wir doch – nicht militärisch bekämpft werden können.Vielmehr müssen die Konfliktursachen als solche ange-gangen werden.
Das beinhaltet Achtung der Menschenrechte, Demokratieund Rechtsstaatlichkeit sowie die Bewahrung der natürli-chen Ressourcen und Entwicklungschancen für alle Welt-regionen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist wahrlich einumfassender Politikansatz. Ich glaube, dass wir ihn ernstnehmen müssen. Wenn wir ihn umsetzen wollen, erfordertdas auch die Anwendung und die Nutzung friedlicher undgewaltfreier Konfliktregelungsmechanismen. DieseMechanismen sind vorhanden. Ganz sicher müssen sieausgebaut, gestärkt und weiterentwickelt werden. Esmuss aber auch – diese Erfahrung haben wir gemacht –bei den Konfliktparteien dafür gesorgt werden, dass siediese Instrumente akzeptieren und dann tatsächlich auchin Anspruch nehmen. Nur wenn sie in Anspruch ge-nommen werden, können sie auch wirken.
In der Koalitionsvereinbarung steht, dass wir eine In-frastruktur für präventive Konfliktbearbeitung schaffenwollen. Ich denke, dies ist nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes wichtiger denn je. Wir haben es mit innerenKonflikten zerfallender Staaten und den unterschiedli-chen Schwierigkeiten der Transformationsländer zutun. Allein 1999 hat es 34 Gewaltkonflikte gegeben, dasheißt Konflikte, bei denen Blut geflossen ist. Keiner vonuns könnte sie hier jetzt vollständig aufzählen, wie ichglaube. Wir haben in Bosnien und Kosovo zwei Konfliktevor unserer Haustür erlebt. Wir wissen inzwischen, dassdort Prävention versagt hat. Aus den Fehlern, die dort ge-macht wurden, müssen und wollen wir die Lehren ziehen.Wir fangen dabei ja nicht bei Null an, sondern stehenin der Tradition von Willy Brandts Entspannungspolitikund des Brandt-Reportes, der hervorgehoben hat – genaudasselbe hat Kofi Annan erst kürzlich wieder getan –, dassArmutsbekämpfung, Investitionen in Bildung und Ge-sundheit wichtiger Bestandteil von Friedenspolitik sind.Frieden braucht Entwicklung, liebe Kolleginnen und Kol-legen. Deshalb ist Präventionspolitik natürlich auchWeltwirtschaftspolitik und Entwicklungspolitik. Daraufwird nachher meine Kollegin Dagmar Schmidt intensivereingehen.In der Realität haben wir es leider nicht nur mit Fällenvon Prävention zu tun, sondern häufiger mit „post conflictpeace-building“, wie das so schön heißt.
– Ich wollte es gerade übersetzen, Herr Kollege Irmer, da-mit auch Sie es verstehen.
Dabei handelt es sich um Konflikte, bei denen das Kindschon in den Brunnen gefallen ist, Blut geflossen ist unddie ersten Schüsse gefallen sind. Außerdem haben wir esmit dem so genannten Peace-making zu tun – ich über-setze es jetzt gleich wieder –, nämlich mit der Frage, obdurch Interventionen Gewalt unterbunden werden kann.Ich denke, wir müssen dazu kommen, dass es gar nichterst so weit kommt. Wenn wir das, was wir heute als ei-nen ganz wichtigen Bestandteil unserer Präventionspoli-tik betrachten, nämlich den Stabilitätspakt, früher konzi-piert und in dieser Region eingesetzt hätten, dann müsstenwir diese Maßnahmen jetzt vielleicht nicht „post con-flict“, also nach dem Konflikt, anwenden, sondern hättensie vielleicht schon vor dem Konflikt mit Erfolg anwen-den können.
Es ist auch richtig – diese Tatsache darf man in diesemZusammenhang nicht verschweigen –, dass in der politi-schen Diskussion die Entwicklung der militärischen In-strumente zum Krisenmanagement viel größere Aufmerk-samkeit findet und viel größere Bedeutung hat. Wirmüssen aber auch den anderen Bereich sehen, obwohlnatürlich die Entwicklung der entsprechenden Reaktions-fähigkeit in Krisensituationen und die Möglichkeit, die sogenannten Petersberg-Aufgaben erfüllen zu können,wichtige Fragen in unserer Diskussion sind.Genauso richtig ist, dass wir den Übergang von einerKultur der Reaktion zu einer Kultur der Präventionschaffen müssen, wie es Kofi Annan 1999 gesagt hat.Dazu leistet die Bundesrepublik einen guten Beitrag.
Auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarungen ha-ben wir – natürlich nicht als Einzige – auf der nationalenEbene, auf der EU-Ebene und bei den internationalen Or-ganisationen OSZE und UNO Initiativen ergriffen. Manmuss hier einmal ganz deutlich sagen, dass die Bundesre-publik dort einen großen Anteil zur Förderung der präven-tiven Instrumente geleistet hat. Zum Beispiel haben wirim nationalen Rahmen einen zivilen Friedensdienst ein-gerichtet. Wir bilden Fachkräfte wie Rechtsexperten, Ju-risten, Diplomaten und andere Zivilexperten aus, die inFriedensmissionen eingesetzt werden können. Es gibt –Frau Schmidt wird das näher beleuchten – eine Neuaus-richtung der Entwicklungspolitik. Außerdem haben wireinen Sonderbeauftragten für Konfliktprävention einge-setzt, der auf allen Ebenen, also auch auf der der interna-tionalen Organisationen, die Aufgaben koordiniert.
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Uta Zapf12566
Wir haben auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999 be-schlossen – das war eine EU-Initiative zur Zeit der deut-schen Präsidentschaft –, zivile Krisenreaktionskräfte,die so genannten REACT-Kräfte – das heißt: Rapid Ex-pert Assistance and Cooperation Teams –, aufzustellen.
Es handelt sich also um Experten, die zur Beratung undzur Unterstützung da sind. Sie sollen helfen, Konflikte zulösen. Wir kommen auch auf dieser Ebene zu mehr Ver-bindlichkeit und zu einer schnelleren Reaktion auf Krisen.Dies ist ein wichtiger Punkt.Unsere Arbeit schlägt sich nicht nur auf nationalerEbene – Herr Schily hat das vorhin erwähnt –, sondernauch auf der Ebene der UNO und der EU nieder. Manweiß, dass wir mehr Polizei brauchen, weil wir die zivileOrdnungsmacht über Ausbildung, Schulungen für solcheEinsätze und über das Vorhalten von in Krisenfällen ein-satzbereiten Kontingenten stärken wollen.Nachdem wir zunächst über eine Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik diskutiert und in diesem Rahmeneine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitikbzw. eine Verteidigungsinitiative konzipiert haben, habenwir in der EU begriffen – ich finde das besonders erfreu-lich –, dass wir – das geht auf eine deutsche Initiativezurück; das muss man hier einmal ganz laut sagen – einezivile Komponente brauchen. Eine solche zivile Kompo-nente ist gleichrangig mit dem Militärischen eingebautworden, indem man für das zivile, nicht militärische Kri-senmanagement einen Ausschuss eingerichtet hat. Dieszeigt den Stellenwert, den wir der Prävention mittlerweileGott sei Dank beimessen. Ich halte das für wichtig.
Lassen Sie mich als Letztes die UNO erwähnen. DieUNO wurde in den letzten Jahren immer als ein Papierti-ger bezeichnet. Sie hat Missionen ausgeführt, die inSchwierigkeiten geraten sind. Sie hat keine ausreichendenMittel gehabt, um die Aufträge des Sicherheitsrates sach-gemäß zu erfüllen. Wer der UNO keine sachgemäßen Mit-tel, sowohl was Geld als auch was Personalstärke, Kapa-zitäten für Planung und Ähnliches angeht, an die Handgibt und sie nach einer misslungenen Mission als Papier-tiger bezeichnet, der argumentiert falsch. Nur wer hin-sichtlich seiner Mittel in der Lage ist, zu tun, was man ihmaufträgt, der kann so agieren, wie man es von ihm erwar-tet. Unter diesem Gesichtspunkt halte ich die Stärkung derUNO für ganz wichtig. Die Strukturen und die Fähigkei-ten der UNO für Friedensoperationen müssen dringendgestärkt werden.
Wir müssen den Brahimi-Bericht, der, glaube ich, imAugust erschienen ist, sehr ernst nehmen. Er beschreibtauf eine sehr offene und ungeschminkte Art und Weise dievorhandenen Defizite. An diesen Defiziten sind nicht dieUNO, sondern die Mitgliedstaaten schuld, die sich zu Re-formen nicht durchringen können und die immer auf-schreien, wenn etwas Geld kostet.Mit diesem Bahimi-Bericht sollten wir uns, denke ich,näher auseinander setzen. Ich möchte alle Fraktionen auf-fordern, unsere Regierung darin zu unterstützen, dassdiese Maßnahmen so gut wie möglich in der UNO veran-kert werden, sodass auch die Kapazitäten zur Planung vonFriedensmissionen geschaffen werden können, dass esStand-by-Kontingente gibt – die Bundesregierung hat jabereits ihre Kontingente zugesagt –, dass die Polizeimis-sionen gestärkt werden, dass eine Datenbasis vorhandenist, um einen Pool von Experten schnell abrufen zu kön-nen und wirklich zu „early warning“ und „early action“ zukommen, damit wir nicht erst mit militärischen KräftenFrieden stiften müssen.Krisenprävention kostet auch Geld. Aber ich erinneredaran, dass Kriege ein Stückchen teurer sind: alleine13 Milliarden DM für den Golfkrieg, einen Krieg, an demwir physisch gar nicht teilgenommen haben. Wenn mandies so betrachtet, ist Prävention im Verhältnis sicherlicheine billige Maßnahme. Wenn wir über Prävention reden– das tun wir alle seit vielen Jahren, ohne dass so viel ge-schehen ist, wie ich meine, dass hätte geschehen müssen –,dann sage ich – Herr Irmer, Sie werden es mir verzeihen:wieder in Englisch –: „Take your money where yourmouth is.“ Das heißt: Nimm das Geld in die Hand undmach keine großen Sprüche.
– Thank you.
Das heißt auch, dass wir die in den Haushalt 2000 einge-stellten Mittel, die die Bundesregierung für Krisen-prävention vorgesehen hat, in der Tat verstetigen müssen.Ich denke, alle Parteien werden unterstützend helfen, dassdiese Mittel in den Haushalten verstetigt werden. Präven-tion, meine Damen und Herren, ist eine Daueraufgabe undkeine Eintagsfliege.Deutschland hat großen Anteil daran – ich habe es ge-schildert –, dass die Krisenprävention in der internationa-len Diskussion wieder in den Vordergrund gerückt ist.Prävention kann aber nur greifen, wenn sich die beteilig-ten Konfliktparteien bereit erklären, die Hilfe anzuneh-men, die ihnen präventive Instrumente bieten können. In-soweit haben wir auch noch eine gewisse politische Arbeitvor uns, um es verbindlicher zu machen, Hilfe der UNO,Hilfe der OSZE oder auch Einzelhilfe von Beratungs-teams anzunehmen, wo Konflikte auftauchen.
Kom-
men Sie bitte zum Schluss.
Ich bin beim letzten Satz, HerrPräsident. – Wir wollen alle gemeinsam kein neuesBosnien, kein neues Kosovo, wir wollen aber auch keinemilitärische Interventionskultur, sondern wir wollen eine
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Uta Zapf12567
politische, zivile Präventionskultur. Lassen Sie uns ge-meinsam darauf hinarbeiten.Danke sehr.
Als
nächster Redner hat der Kollege Clemens Schwalbe von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Konflikteder letzten Jahre haben die internationale Staatenge-meinschaft massiv überfordert, seien es die Konflikte imehemaligen Jugoslawien, seien es die Konflikte in Afrikaoder Asien. Warum? Die herkömmlichen Konflikt- undPräventionsszenarien gingen zumeist von Konflikten zwi-schen zwei Staaten aus, bei denen die Vereinten Nationenals Vermittler und Schlichter dazwischentreten konnten.Heute dagegen sind Konflikte mehr und mehr innerstaat-lich, regional, religiös und ethnisch begründet, sodass diealthergebrachten Eingriffsmittel nicht mehr anwendbarsind. Die Konflikte entwickeln sich durch die innerstaat-liche Abgeschottetheit subtiler und langsamer, ehe sie derWeltöffentlichkeit auffallen. Dann ist es meist zu spät unddie Situation oftmals verfahren, weil die Ursachen vieltiefer liegen und für Außenstehende zunächst schwer zuanalysieren sind.Nach dem Ende des Kalten Krieges haben sich daherfür die Vereinten Nationen völlig neue Handlungserfor-dernisse, insbesondere bei der Bewältigung von Krisenund Konflikten, gestellt. Deshalb ist der Antrag von SPDund Bündnis 90/Die Grünen in der Analyse der Situationund der erforderlichen Maßnahmen im Grundsatz zutref-fend.
Präventionen, Eindämmungen und Beendigung derVielfalt von ethnischen, religiösen und bürgerkriegsähnli-chen Konflikten sind eine der gegenwärtig wichtigsten si-cherheitspolitischen Herausforderungen der internationa-len Politik.Dass die Vereinten Nationen ebenso wie die meistender regionalen Sicherheitseinrichtungen dieser Heraus-forderung in der gegenwärtigen Ausgestaltung nicht ge-wachsen sind, ist nach den zahlreichen Erfahrungen zumBeispiel in Somalia, Ruanda, Sudan oder Bosnien mehrals offensichtlich. Die Gründe hierfür sind verschieden.Erstens. Die Zahl derKonflikte ist überwältigend undnimmt nicht ab, sondern eher zu. Sie erstrecken sich vomSüden Afrikas über Nordafrika, den Nahen und MittlerenOsten, das südliche Europa bis in die asiatischen Gebieteder früheren Sowjetunion. Dabei geht es keineswegs umkleine Auseinandersetzungen, sondern um Dimensionen,bei denen Millionen von Menschen umgebracht oder ver-trieben werden. Dabei sind es meist Zivilisten, Frauen,Kinder und alte Menschen, die es am schwersten trifft.Zweitens. Weniger zwischenstaatliche, sondern meistinnerstaatliche Konflikte sind es, die den Frieden ge-fährden. Das frühere Jugoslawien hat es sehr deutlich ge-macht. In Somalia war es ähnlich; plötzlich wurden ausden innerstaatlichen Unruhen aufgrund der hohen Opfer-zahlen internationale Konflikte. Es geht also nicht mehrallein um die Sicherheit von Staaten vor Angriffen vonAggressoren von außen, sondern um die Sicherheit der inden Staaten lebenden zivilen Bevölkerungsgruppen, ins-besondere wenn deren physisches Überleben gefährdetund die allgemeinen Menschenrechte grundlegend und inmassiver Weise verletzt und missachtet werden.Waren früher Regierungen Ansprechpartner für Frie-denslösungen, die eventuell durch internationale VerträgeVerpflichtungen eingehen konnten, stellt sich heute fürdie internationale Gemeinschaft oft die Frage: Wer istüberhaupt Ansprechpartner für welche Verhandlung; werhat von wem welches Mandat?
Dies erfordert von den eingesetzten Vermittlern undvon dem Friedenspersonal umfassende Kenntnisse der re-gionalen und kulturellen Gegebenheiten, die meist nichtoder nur unzureichend vorhanden sind. Dies fängt bei derSprache an und geht bis hin zu der Frage – das habe ichim Gespräch mit deutschen Soldaten im Kosovo, die dorteingesetzt waren, selbst erlebt –: Wie unterscheide ich ei-gentlich Bosnier und Serben? Das sind schlichtweg unbe-antwortbare Fragen für Außenstehende, die eine Schlich-tung im Einzelfall ungemein erschweren.Drittens. Sanktionsmechanismen wie humanitäreHilfe und wirtschaftliche Embargos, deren sich die Ver-einten Nationen bedienten, haben sich weit wenigerdurchschlagskräftig erwiesen als vielfach angenommen.Vor allen Dingen treffen sie in erster Linie wieder die Zi-vilbevölkerung, wie zum Beispiel die Sanktionen gegenden Irak oder gegen Restjugoslawien. Wirtschaftssanktio-nen wirken in der Regel nur längerfristig und auch nur,wenn diese konsequent durchgeführt werden. Aber solange können bedrohte Menschen in den jeweiligen Län-dern nicht warten.Viertens. Das zivile und militärische Personal der Frie-denseinsätze ist oft durch die unkontrollierte Gewaltbe-reitschaft der lokalen, regionalen und nationalen Gruppenund Bürgerkriegsparteien gefährdet. Ohne militärischeAbsicherung bleibt bei diesen Einsatzkräften oft nur dieResignation und der Rückzug aus den Krisengebieten.Denn es besteht die Gefahr für die UN-Einsatzkräfte, ineinen Konflikt hineingezogen zu werden und die Unpar-teilichkeit zu verlieren. Die Einsatzgruppen müssen des-halb besser ausgebildet und besser ausgestattet werden.
Sie müssen diesen Herausforderungen gewachsen sein.Das führt bis zu der Tatsache, dass sie ein klares Mandatzum Selbstschutz haben müssen.All das zeigt: Die Aufgabe der internationalen Staaten-gemeinschaft des 21. Jahrhunderts ist in erster Linie dieKrisenprävention. Deshalb unterstützen wir die in Ihrem
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Uta Zapf12568
Antrag angemahnte Stärkung und Reform der VereintenNationen einschließlich des Sicherheitsrates. Ich weise indiesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass dieCDU seit langem ein umfangreiches Konzept zur Reformder Vereinten Nationen formuliert hat.Ich will auf diesen Fakt nicht näher eingehen, weil wirbereits gestern Abend in der Debatte zu den Vereinten Na-tionen ausgiebig darüber gesprochen haben.
– Oder besser gesagt: geschrieben haben; denn wir habendie Reden zu Protokoll gegeben. Aber sie sind ja für jedennachlesbar. Beide Anträge betreffen den Millenniumsgip-fel und wir werden beide Anträge mit Sicherheit gemein-sam behandeln.Allerdings halte ich es für nicht gut – Frau Zapf, Sie ha-ben es ja etwas korrigiert –, dass im Antrag so formuliertwird, als würden erst seit 1998 von der deutschen Bun-desregierung Konfliktprävention und Konfliktregelungbetrieben. Es gab schon vor der heutigen SPD-Regierungeine Zeit, in der maßgebliche Weichenstellungen erarbei-tet wurden.
– Dies war eine sehr gute Zeit.Dies trifft übrigens auch für die Einrichtung des Inter-nationalen Gerichtshofes zu, die nicht allein auf die Ver-dienste der jetzigen Regierung zurückgeht; sie findetihren Ursprung vielmehr in der erfolgreichen Kohl-Ära.
Die hehren Forderungen, die verschiedenen nationalenund internationalen Ansätze für die Einrichtung rasch ver-fügbarer ziviler Friedens- und Katastrophenhilfseinheitenzu überprüfen und weiter zu entwickeln, wie Sie sie inIhrem Antrag formuliert haben, sind aus unserer Sichtdurchaus lobenswert und finden auch unsere Unterstüt-zung.Dennoch sei die Frage erlaubt: Aus welchen Mittelnsollen diese Hilfseinheiten eigentlich bezahlt werden?Die Haushaltsansätze sind doch in all diesen Bereichengekürzt worden. Frühere Ausbildungshilfen der Bundes-republik für ausländische Polizeien, um vor Ort demo-kratische Strukturen bei den Sicherheitskräften zu schaf-fen, wurden von Ihrer Seite regelmäßig verurteilt. Heutefehlt uns auf diesem Feld entsprechendes Personal. Des-halb ist in Ihrem Antrag richtig erkannt worden, dass un-sere Polizeien kaum in der Lage sind, diese Lücke zu fül-len.Des Weiteren klingen Ihre Forderungen nach einer Er-höhung der freiwilligen Beiträge der Bundesrepublik zuden Organisationen des Wirtschafts- und Sozialbereichesder Vereinten Nationen, insbesondere zu dem Bevölke-rungsfonds und dem Entwicklungsprogramm, eben-falls sehr großzügig. Aber schauen wir den Tatsachen indie Augen: Von welchem Geld soll das bezahlt werden?Diese Frage
– das ist keine Gretchenfrage – beantworten Sie in IhremAntrag nicht. Wir haben Haushaltsrealitäten, die eine an-dere Sprache sprechen. Im Haushaltsausschuss werdenIhre Forderungen durch Ihre eigenen Kollegen wiederkassiert. Das ist eine Tatsache.
Ein weiteres Hauptproblem besteht ganz banal in denwährungspolitischen Realitäten. Schließlich werden dieBeiträge zu den Vereinten Nationen in Dollar gezahlt,wodurch sich aufgrund des sich ständig verschlechtern-den Kursverhältnisses zum Euro die Aufwendungen fürdie UNO-Beiträge erheblich erhöhen. Über dieses Pro-blem ist in der Haushaltsbereinigung noch kein Wort ge-sprochen worden.Die Forderung nach der Verankerung der Menschen-rechtskriterien im Rahmen einer restriktiven Rüstungs-exportpolitik halte ich für begrüßenswert; sie wird abervon Ihnen selbst – ich nenne als Beispiel die Türkei – kon-terkariert.
– Frau Zapf, es ist doch Realität, dass Sie das, was Siefrüher an der Kohl-Regierung bemängelt haben, heute inder eigenen Regierung umsetzen. Das betrifft besondersdie Türkei; die Türkei ist NATO-Partner und deshalb müs-sen Sie sie anders behandeln. Auf diesem Feld hat dieMacht des Faktischen auch Joschka Fischer eingeholt.Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dasses außerordentlich wichtig ist, das Personal, welches un-ter großen Entbehrungen, mit großem Elan und Enthusi-asmus an internationalen Einsätzen teilnimmt, entspre-chend vorzubereiten. Auch dürfen die Auslandseinsätzeden Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen. Es mussgewährleistet werden, dass ihr Auslandseinsatz respek-tiert und gewürdigt wird. Die Tatsache, dass dies heutenoch nicht der Fall ist, wird deutlich, wenn man sich dieFrage stellt: Warum gehen so wenige in die Auslands-einsätze? Dies liegt nicht zuletzt daran, dass den Betrof-fenen im Inland häufig nachgesagt wird, sie gingen aufVergnügungsreise.Die UNO-Einsätze sind auch im Hinblick auf Personalund Material noch unzureichend ausgestattet. Die Zusagevon Verteidigungsminister Scharping, mehr Material fürUNO-Einsätze zur Verfügung zu stellen, ist zwar sehrbegrüßenswert, allerdings darf darunter nicht die Vertei-digungsfähigkeit der Bundesrepublik als solches leiden.Wie die Bundesregierung in Anbetracht der massivenEinsparungen im Verteidigungshaushalt diesen Spagatbewerkstelligen will, muss ebenfalls noch geklärt werden.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Letzter Satz, HerrPräsident. – Der Tatsache, dass all diese genannten For-derungen Geld kosten, steht eine Haushaltspolitik gegen-über, die dem nicht gerecht wird. Die Entwicklungshilfe
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Clemens Schwalbe12569
wird gekürzt, und es werden – darauf wird mein KollegeWeiß noch eingehen – Botschaften in vielen Ländern ge-schlossen. Ich würde mich freuen, wenn wir die Detailsbei der Beratung des Antrages in den Ausschüssen klärenkönnten, damit die von mir eben genannten Ziele und For-derungen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auchumgesetzt werden.Vielen Dank.
Das
Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kolle-gin Zapf und Kollege Schwalbe haben sehr deutlich ge-macht: Gewalt- und Krisenprävention bei innerstaatli-chen Konflikten sind keine Modewörter, sondern einedringende Notwendigkeit.Die internationale Gemeinschaft hat seit geraumer ZeitErfahrungen mit innerstaatlichen Gewaltkonflikten. Da-raus ergeben sich sehr deutlich die Anforderungen an eineKrisenprävention. Erstens. Sie sollte möglichst früh an-setzen, vor allem auch strukturell. Hierzu hat die KolleginZapf deutliche Ausführungen gemacht.Zweitens. Es ist notwendig, dass die internationaleStaatengemeinschaft Kohärenz in ihrem Handeln beweistund dass die Akteure nicht gegeneinander arbeiten, dassalso die staatlichen und die nicht staatlichen Akteure ge-nauso wie die internationalen und die einheimischen Ak-teure möglichst kooperieren und nicht nebeneinander her-arbeiten oder sogar gegeneinander arbeiten, dassschließlich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen denverschiedenen Instrumenten der Krisenprävention bestehtund dass natürlich eine kontraproduktive Politik unterlas-sen wird.
Im Gegensatz zu diesen konkreten Anforderungen istin der Öffentlichkeit und in der Politik, auch in unsererPolitik, noch immer die Vorstellung verbreitet, Krisen-prävention und -verhütung wäre vornehmlich oder fastausschließlich eine militärische Aufgabe. Entsprechendunausgewogen ist bisher das Verhältnis zwischen denFähigkeiten militärischer Krisenreaktion und denen zivi-ler Krisenprävention, und zwar sowohl auf europäischerEbene als auch auf der weltweiten Bühne. Aus dieser Ein-sicht heraus vereinbarten SPD und Bündnisgrüne in ihremKoalitionsvertrag unter anderem den Aufbau einer Infra-struktur für zivile Krisenprävention und Konfliktverhü-tung.Die Bundesregierung machte sich sofort an die Umset-zung, wartete also nicht die schlimmen Erfahrungen desKosovo-Krieges ab. In der Entwicklungszusammenarbeitbekam die Krisenfrüherkennung einen deutlich höherenStellenwert. Endlich aufgenommen und gefördert wurdendie Initiativen der Kirchen und der Friedensbewegung füreinen zivilen Friedensdienst, deren Vertreter bei der al-ten Koalition – daran kann ich mich noch sehr deutlich er-innern – immer gegen eine Wand der Ignoranz gelaufensind.
In der nächsten Ausbaustufe sollten die Fachkräfte derFriedensdienste mit denen der anerkannten Entwick-lungsdienste gleichgestellt werden. Im Bereich des Aus-wärtigen Amtes wurde ein Training für Teilnehmer an in-ternationalen Friedensmissionen der Vereinten Nationenund der OSZE entwickelt. Das bedarf unbedingt einer„richtigen“ finanziellen und personellen Absicherung undder Weiterentwicklung um Einsatzbegleitung und -aus-wertung. Das Auswärtige Amt bestellt einen Krisenbeauf-tragten und unterstützt seit 2000 internationale Maßnah-men der Krisenprävention und Friedenskonsolidierung ineinem erheblich höheren Maße als vorher.Auf multilateraler Ebene, sowohl auf der Ebene derG-8-Staaten, also der bedeutendsten Industriestaaten, alsauch auf der Ebene der Europäischen Union, gehörte dieBundesregierung zu den tatsächlich treibenden Kräftenauf dem Feld der Krisenprävention und der Weiterent-wicklung der entsprechenden Fähigkeiten. Das Beispielder OSZE-React-Einheiten ist schon genannt worden.Wer weiß schon, dass im Rahmen der europäischenSicherheits- und Verteidigungspolitik nun auch Mecha-nismen und Fähigkeiten der nicht militärischen Krisen-bewältigung aufgebaut werden? Bis 2003 will die Euro-päische Union 5 000 Polizeibeamte für Kriseneinsätzezur Verfügung haben. Planziele werden zurzeit für Fach-personal entwickelt, das zur Stärkung des Rechtsstaats,beispielsweise im Justizwesen, eingesetzt werden soll. Eswurde inzwischen ein Sonderfonds zur schnellen Finan-zierung von kurzfristigen Maßnahmen der nicht militäri-schen Krisenbewältigung eingerichtet; ein entsprechen-der Koordinierungsausschuss wurde aufgebaut.Die bisherigen Leistungen der Bundesregierung zu-sammengefasst: Das Jahr 2000 markiert einen Durch-bruch beim Aufbau ziviler Krisenkräfte.
Dafür möchte ich den beiden Ministerien – hier vertretendurch die beiden Staatssekretäre, die diesen Politikbe-reich vorantreiben – ausdrücklich danken. Zu danken istaber auch den Nichtregierungsorganisationen und denFriedensforscherinnen und -forschern, die zu dem Durch-bruch beigetragen haben.
Durchbruch heißt aber nicht, das Ziel erreicht zu ha-ben. Wir sollten uns nichts vormachen: Wir stehen amAnfang eines längeren Weges. Ich will an zwei Aspekten
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verdeutlichen, was notwendig ist, um weiter voranzu-kommen.Erstens nenne ich die internationalen Polizeimissio-nen. In den letzten Jahren haben sie sich immer deutlicherzu ganz zentralen Instrumenten der Friedenskonsolidie-rung und der Gewalteindämmung herausgebildet. Hierzuleistet die Bundesrepublik quantitativ und qualitativ her-vorragende und vorbildliche Beiträge. Das wäre ohne dieMitwirkung der Länder nicht möglich gewesen. DenLändern ist für diesen Beitrag, der zum Teil auf eigenePersonalkosten ging, vom ganzen Bundestag ausdrück-lich zu danken.
Ich sagte vorhin schon, dass die Europäische Union biszum Jahr 2003 über 5 000 Polizisten für solche Einsätzezur Verfügung haben will. Das heißt aber für die Bundes-republik, dass wir dafür erheblich mehr Polizeibeamte zurVerfügung stellen müssen als die zurzeit im auswärtigenEinsatz befindlichen rund 600 Beamten. Im Klartext be-deutet das, dass wir in diesem Bereich ohne zusätzlicheStellen beim Bundesgrenzschutz und bei den Länderpoli-zeien wohl nicht auskommen werden; denn die Länder-polizeien werden die erheblichen zusätzlichen Aufgabenwohl kaum aus eigener Kraft bewältigen können.Zweitens. Notwendig ist eine ausgewogene Beteili-gung aller Länder und des Bundes bei der Entsendung,Ausbildung, Einsatzbegleitung und Reintegration derBeamten. Es ist vorbildlich, wie viele Beamte Nordrhein-Westfalen entsendet und was es mit dem Polizeifortbil-dungsinstitut „Carl Severing“ bei der Ausbildungsbeglei-tung leistet. Es ist aber zugleich wenig verantwortlich,wenn einige Länder kaum oder gar keine Polizisten ent-senden und wenn es weiterhin die Auffassung gibt, dassdie Betreuung und Reintegration überflüssig sind.Die Weiterentwicklung des deutschen Beitrags zu in-ternationalen nicht militärischen Polizeimissionen ist einegesamtstaatliche Aufgabe, die sich endlich auch in Berlinwiderspiegeln muss. Wenn sich der Verteidigungsaus-schuss in besonderem Maße mit dem Thema beschäftigthat, aber der Innenausschuss meines Wissens noch garnicht, dann muss man sagen, dass da etwas nicht stimmt.
Ein letzter Punkt: die Finanzen. Die Krisenpräventionist erheblich billiger als zu spätes Krisenmanagement;aber sie ist nicht zum Nulltarif zu haben und auch nichtaus der Portokasse zu bezahlen. Die neuen Aufgaben undneuen Instrumente brauchen ausreichende, verlässlicheund mittelfristig steigende Finanzmittel. Meiner Auffas-sung nach lassen sich diese aus den äußerst begrenztenHaushalten des Auswärtigen Amtes, des Ministeriums fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und der Innenministe-rien nicht mehr erwirtschaften. Die Größenordnungdieses Finanzbedarfs – es geht um einige Dutzend Milli-onen DM – dürfte und sollte aber unseren Finanzministernicht abschrecken.Wir Antragsteller sehen uns in der Pflicht, für den Kursder Bundesregierung zur Stärkung der zivilen Krisen-prävention die unbedingt notwendige Basis zu schaffen.Danke schön.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Ulrich Irmer
von der F.D.P.-Fraktion.
Sorry, Mrs. Zapf. I give my
speach in German. I hope you understand nevertheless. –
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rot-Grü-
nen haben uns hier wieder einen wunderschönen Antrag
vorgelegt.
Schon rein sprachlich ist er ein absoluter Genuss, wenn ich
zum Beispiel lese: „humanitäre und gewalttätige Krisen“.
Ich wandle einen Spruch aus dem Film „Sein oder
Nichtsein“ von Ernst Lubitsch geringfügig ab: Was Sie
mit der deutschen Sprache machen, das machen die Rus-
sen mit Tschetschenien.
– Ich bin liberal; ich darf das.
Meine Damen und Herren, zur Sache: Zivile Krisen-
prävention, ziviler Friedensdienst – wir haben das vorhin
schon gehört – sind die letzten „leftovers“ des Koaliti-
onsvertrages zur Bedienung der friedensbewegten rot-
grünen Stammklientel.
Der vorliegende Antrag beeindruckt besonders durch
seine Leistung, die Organigramme des Auswärtigen Am-
tes und des BMZ mit ihren Aufzählungen fachlicher Zu-
ständigkeiten zu einem literarischen Meisterwerk zu ver-
dichten. Unter Prävention gewalttätiger Krisen versteht
der Antrag das Zusammenwirken verschiedener staat-
licher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Akteure und
vermittelnder Kräfte zur Früherkennung und Behebung
von Krisensituationen.
Herr Kol-
lege Irmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Schuster?
Gerne.
HerrSchuster, bitte schön.
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Winfried Nachtwei12571
Ich kann ja verste-
hen, dass Sie mit dem sprachlichen Duktus dieses Antra-
ges nicht einverstanden sind. Aber halten Sie es in diesem
Hause für wirklich angemessen, einen Vergleich mit
Tschetschenien zu ziehen, wo Menschenrechte in einer
Form verletzt werden, die wirklich unerträglich ist?
Herr Kollege Schuster, ich habeden Film „Sein oder Nichtsein“ zitiert. Ich spiele ihn Ih-nen gerne vor. Das ist erlaubte Satire.
Zur Satire fordert Ihr Antrag nun weiß Gott heraus. Dazukann man nichts anderes sagen.Was Sie hier aufzählen, ist nichts anderes als das, wasdie klassische Diplomatie längst tut, nämlich das Zusam-menführen aller möglichen Kräfte. Das ist Querschnitts-aufgabe der Diplomatie als des klassischen Instrumentsgewaltfreier Konfliktlösung. Was Sie hier unterstellen, ist,dass ein Gegensatz zwischen der edlen zivilgesellschaft-lichen Friedensinitiative, der moralisch eher fragwürdi-gen klassischen Diplomatie und der moralisch geradezuverwerflichen Sicherheitspolitik besteht. Das finde ichdaran so bedenklich. Sie messen Ihren Dingen einen Edel-mut bzw. eine moralische Herausgehobenheit über allesandere zu, und in der Sache ist es ein Schmarren.
Allerdings wollen Sie ja nicht nur friedlich sein. Siewollen eine schnelle Einsatztruppe, die weltweit für Har-monie unter den Völkern sorgen soll. Wissen Sie, was Ihreschnelle Eingreiftruppe ist? Das ist eine Art Heilsarmee
von Gutmenschen und Fernethikern, die, mit guten Rat-schlägen bewaffnet, auf diversen Kontinenten zwischendie Kampfhähne laufen und dort für Friede, Freude, Eier-kuchen sorgen sollen.
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen, das ist die rot-grüne Leitkultur.
Wissen Sie, wie das in der Praxis aussieht? Das könnenSie nächsten Donnerstag erleben. Nächsten Donnerstagwird im Mitteldeutschen Rundfunk, der eine öffentlich-rechtliche Anstalt ist, ein von unseren Gebühren finan-ziertes Feature über die Ex-RAF-Terroristin Silke Maier-Witt gezeigt. Die macht nämlich zurzeit in der Krajinaein Praktikum im Rahmen ihrer Ausbildung zur staatlichalimentierten Friedensfachkraft. Ich halte das für einenSkandal.
Wir sind ja schon gewöhnt, dass mehr oder weniger ge-fährliche schwarze Schafe der Vergangenheit einer be-sonderen Resozialisierung unterzogen werden. Bei FrauMaier-Witt ist es jetzt die Krajina; auch am Kabinettstischgab es ja bereits einen Fall.
Insgesamt 17Millionen DM stellt die Bundesregierungin diesem Jahr für den zivilen Friedensdienst zur Verfü-gung. Sie bestreiten dann auch noch, dass hier ein krasserWiderspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft,wenn man auf der anderen Seite die Kürzungen im deut-schen Entwicklungsetat betrachtet. Wissen Sie, was das,was Sie hier machen, ist? Sie schmieren weiße Salbe aufdie grüne Seele.
Zynisch ist auch Ihre Forderung in dem Antrag auf Er-höhung der Beiträge der Bundesrepublik Deutschland zuden UNO-Organisationen des Wirtschafts- und Sozialbe-reichs. Dies verlangen Sie, aber was machen Sie in derPraxis? Sie haben die freiwilligen Beiträge Deutschlandszum Kinderhilfswerk UNICEF und zum Flüchtlingshilfs-werk UNHCR um circa 10 Prozent gekürzt. Jetzt sind Siedran.
Was macht es denn auf unsere Partner für einen Eindruck,wenn flächendeckend Botschaften geschlossen werdenund man dafür ein Heer von Friedensfachleuten in denBusch schickt?Sie verlangen den Einsatz deutscher Soldaten im Rah-men eines Stand-by-Abkommens. Haben Sie sich eigent-lich einmal darüber Gedanken gemacht, dass Sie damitdie verfassungsrechtliche Lage völlig aushebeln? DerDeutsche Bundestag ist der Einzige, der über Friedens-einsätze deutscher Soldaten zu entscheiden hat. Diesekann man doch nicht dem Kommando irgendeines UNO-Befehlshabers unterstellen. Die schnelle deutsche Ein-satztruppe, die Sie fordern, ist eine feine Sache. Aber da-rüber, dass wir vielleicht im Sicherheitsrat der VereintenNationen als ständiges Mitglied Verantwortung überneh-men dürfen, sagen Sie kein Wort.Nun will ich Ihnen am Schluss noch eines draufsetzen.
Als ich Ihren Antrag gelesen habe, ist mir spontan eineGeschichte von Heinrich Böll eingefallen. Wenn Sie dieseGeschichte gekannt hätten, hätten Sie Ihre Stiftung imZweifel nicht nach ihm benannt. Ich werde Ihnen einenTeil dieser Geschichte erzählen, denn ich habe noch einwenig Zeit, und für gute Literatur muss immer Zeit sein.Die Geschichte handelt von einem permanent gefeier-ten Weihnachtsfest. Dort ist von gläsernen Zwergendie Rede, die in ihren hoch erhobenen Armen einen
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Korkhammer hielten und zu deren Füßen glockenförmigeAmbosse hingen. Unter den Fußsohlen der Zwerge warenKerzen befestigt. Als ein gewisser Wärmegrad erreichtwar, geriet ein verborgener Mechanismus in Bewegung,eine hektische Unruhe teilte sich den Zwergenarmen mit,sie schlugen wie irr mit ihren Korkhämmern auf dieglockenförmigen Ambosse ein. Dann war dort der Engel,der immer flüsterte: Frieden, Frieden.
Am Schluss heißt es: Als die Lampen gelöscht, dieKerzen angezündet waren, als die – das ergänze jetzt ich:rot-grünen – Zwerge anfingen zu hämmern, der Engel„Frieden, Frieden“ flüsterte, fühlte ich mich lebhaftzurückversetzt in eine Zeit, von der ich angenommenhatte, sie sei vorbei. Liebe Rot-Grüne, herzlich willkom-men im Jahre 1968.
Jetzt hat
der Kollege Carsten Hübner von der PDS-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich feststellen,dass aus Sicht der PDS-Bundestagsfraktion die Förderungziviler Krisenprävention, des zivilen Konfliktmanage-ments und der Konfliktnachsorge das Gebot der Stunde,die einzig adäquate Antwort auf eine Welt der Bürger-kriege und der militärischen Bedrohungsszenarien ist.Hierzu habe ich eine gänzlich andere Einstellung als derKollege Irmer. Insoweit gehe ich mit dem Antrag der Ko-alitionsfraktionen durchaus mit.
Dennoch habe ich mich bei der Lektüre dieses Antragesernsthaft gefragt, was er eigentlich soll, welches Ziel er hat.Ich habe mich gefragt, ob er eher so etwas wie das Pfeifenim dunklen Walde ist, weil eigentlich nichts von dem, wasin diesem Antrag an Substanziellem enthalten ist, von derBundesregierung wirklich in Angriff genommen,
letztlich wohl nicht einmal wirklich ernst genommenwird, obwohl es auf den Vereinbarungen im Koalitions-vertrag fußt.Ist der Antrag also eine stille Revolte gegen die realexistierende Außen- und Militärpolitik von Fischer,Scharping und nicht zuletzt natürlich von GerhardSchröder? Oder ist er stattdessen eher so eine Art Nebel-wand, die durchaus im Einverständnis mit der Außen- undMilitärpolitik der Bundesregierung gezogen werden soll,um all das in Unkenntlichkeit zu hüllen, was dem Koali-tionsvertrag, den Ankündigungen aus der Oppositionszeitoder schlicht den offenkundigen tagespolitischen Not-wendigkeiten widerspricht? Die Länge des Antrages – erhat im Feststellungs- und Forderungsteil immerhin rund50 Anstriche –
und vor allem die Lobhudelei auf das, was die Bundesre-gierung bereits auf den Weg gebracht haben soll, könntenfür diese Variante sprechen.Wie dem auch sei, liebe Kolleginnen und Kollegen, er-lauben Sie mir anhand des Antrages an fünf Punkten zuverdeutlichen, welches strukturelle und nicht zuletzt perse politische Defizit bei dieser Bundesregierung inder Frage ziviler Konfliktvorbeugung, -bearbeitung und-nachsorge auszumachen ist:Erstens. Da wird etwa im sechsten und siebten Anstrichvon Punkt 1 des Feststellungsteils und in Punkt 3 des For-derungsteils ausgedrückt, welchen wichtigen Anteil dieEntwicklungspolitik und ihre angemessene Finanzie-rung beim zivilen Handling von Konflikten hat,
gerade was die strukturellen und sozialen Bedingungenbetrifft. Das ist wahr. Nur, was ist denn mit dem BMZ-Haushalt?
Er sinkt und sinkt und sinkt. Das ist die Realität. Er liegtnicht etwa, wie eigentlich international vereinbart, bei0,7 Prozent, sondern bei rund 0,2 Prozent des Bruttoin-landsprodukts und – so Leid es mir tut – unter Rosa-Grünniedriger als unter Schwarz-Gelb.
Schöne Worte ändern daran nichts.
– Das hoffe ich sehr.Zweitens. Im neunten Anstrich unter Punkt 1 wird her-vorgehoben, mit der Aufnahme des BMZ in den Bundes-sicherheitsrat sei eine Weichenstellung hin zu einem er-weiterten Sicherheitsbegriff vollzogen worden. Ichmöchte gern wissen, wo sich dieser erweiterte Sicher-heitsbegriff eigentlich ausdrückt. In der Teilnahme derBundeswehr an einem völkerrechtswidrigen Angriffs-krieg? In der Umgestaltung der Bundeswehr zu einer glo-bal handlungsfähigen Interventionsarmee? Oder in derEntsendung eines völlig unsinnigen militärischen Sa-nitätskontingents nach Osttimor, obwohl dort dringendum zivile Hilfe, nämlich um das THW, gebeten wordenwar? Mir ist deshalb bis heute völlig rätselhaft geblieben,was sich eigentlich dank des BMZ am Sicherheitsbegriff,an der Militärpolitik de facto geändert haben soll. Denn
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als Selbstzweck überzeugt die Teilnahme am rundenTisch der Sicherheit nicht.
Drittens nenne ich die Frage der Waffenlieferungen,des Geschäfts mit dem Tod, einer Säule der ausuferndenKonflikte überall auf der Welt. So hat die rosa-grüne Bun-desregierung 1999 Waffenexporte in Höhe von 5,92 Mil-liarden DM genehmigt, unter anderem in die Türkei undin die Vereinigten Arabischen Emirate. Allein Handfeuer-waffen wurden in einer Größenordnung von 461 Milli-onen DM exportiert. Die Kindersoldatenproblematikspreche ich bloß am Rande an. Lediglich 85Anträge, ins-gesamt in Höhe von 10,2 Millionen DM, wurden abge-lehnt.Das Ganze ging 2000 ungebremst weiter, zum Beispielmit der Munitionsfabrik für die Türkei. Auch der Leo 2 istja noch immer nicht endgültig vom Tisch. Der Punkt je-denfalls, in dem Sie in Ihrem Antrag auf die angeblichmenschenrechtsgeleitete restriktive Rüstungsexportpoli-tik verweisen, ist vor diesem Hintergrund wohl eher alsIrrläufer zu bezeichnen – oder als Trauerspiel, wie Siewollen.Viertens. Mit Blick auf die Stärkung und Reform derVereinten Nationen heißt es bei Ihnen unter Punkt 4, vier-ter Anstrich, des Forderungsteils, Sie fordern die Bundes-regierung dazu auf, „sich für effektivere, zielgenaue undflexible nicht militärische Sanktionen einzusetzen“. Sehrrichtig! Aber wie wäre es denn, wenn sich die Bundesre-gierung zunächst einmal offensiv gegen die völlig inak-zeptablen Sanktionen einsetzte, die zielgenau ganze Be-völkerungen an den Rand der Verelendung gedrängthaben, wie etwa im Falle Kubas oder des Iraks, wo bereitsHunderttausende Zivilisten ums Leben gekommen sind,zumeist Kinder und alte Menschen, ohne dass am Stuhlvon Saddam Hussein auch nur ernsthaft gerüttelt wordenwäre?
Womit ich bei Punkt fünf wäre: Im Begründungsteilhaben Sie unter Punkt 4 formuliert, dass originär zivileAufgaben in Krisenregionen auch zivil und nicht durchSoldaten wahrgenommen werden sollen. Aber fragen Siedoch einmal Ihren Verteidigungsminister und seine mi-litärischen Berater, ob sie das auch so sehen
oder ob sie sich diese Aufgabenfelder nicht geradezu alsFeigenblatt heranziehen. Die UN-Kommissarin fürFlüchtlinge, Ogata, hat vor einigen Monaten genau aufdiesen Umstand, auf die Militarisierung der humanitärenHilfe, verwiesen, und zwar sehr kritisch.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Jetzt mache ich „fast spea-
king“, okay?
Ich bin gleich am Ende.
Ein Satz zum Schluss. Sie schreiben im Forderungsteil,
Absatz 4, erster Anstrich, dass darauf zu achten sei, „dass
das Monopol der Vereinten Nationen zur Ermächtigung
von Einsätzen nach Kapitel VII der VN-Charta bewahrt“
bleiben soll. Nun wissen Sie, dass ich Kapitel-VII-
Einsätze, dass ich Kampfeinsätze aus prinzipiellen Erwä-
gungen ablehne. Aber ich kann mich durchaus in Ihre
Logik versetzen und frage mich – mit aufrichtigem Er-
staunen –, wer wohl mit dieser Formulierung gemeint ist,
wer wohl davon abgehalten werden soll, sich statt der VN
Kompetenzen anzueignen, etwa nach Kapitel VII. Da fällt
mir mit Blick auf die letzten Jahre eigentlich nur die
NATO ein, besonders natürlich die USA und Großbritan-
nien, aber nicht zuletzt auch die Bundesrepublik Deutsch-
land. Mit fällt da vor allem der Kosovo-Krieg ein, bei dem
offenkundig planmäßig die UNO ausgeschaltet worden
ist. Ein solches Verfahren hier derart zu kritisieren und für
die Zukunft ausschließen zu wollen begrüße ich aus-
drücklich; das möchte ich hier schon sagen.
Vielen Dank.
Als
nächste Rednerin hat Kollegin Dagmar Schmidt von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Entwicklungspoli-tikerin frage ich mich: Was hat sich in der Welt verändert,dass wir nach neuen Ansätzen im Umgang mit Krisen undKonflikten suchen? Weshalb wollen wir den Begriff derKrisenprävention einer Neubewertung unterziehen? Wel-che Folgerungen müssen wir in der Entwicklungspolitikziehen?Mit dem Fall der Mauer ist das 20. Jahrhundert zu Endegegangen. Wir haben lernen müssen, dass an die Stelle derwaffenstarrenden Konfrontation von Allianzen undBlöcken eine alles andere als friedliche Welt getreten ist.Ohne Frieden ist nachhaltige Entwicklung aber schwierig,wenn nicht sogar unmöglich.Das 21. Jahrhundert darf kein Jahrhundert zunehmen-der sozialer Unterschiede werden. Die ärmsten Länderund Regionen drohen mehr und mehr marginalisiert zuwerden. Armut, Umweltzerstörung, knappe Ressourcen,zerfallende Staaten – das alles birgt viel Konfliktstoff undbeeinträchtigt das Recht auf Entwicklung.Rot-grüne Regierungsverantwortung mit ihrem erwei-terten Sicherheitsbegriff schließt die entwicklungspoliti-sche Komponente ein. Die drei Kernbereiche der interna-tionalen Beziehungen, Außen-, Verteidigungs- undEntwicklungspolitik, bilden ein gleichschenkliges strate-gisches Dreieck. Wir in der Entwicklungspolitik gehennatürlich davon aus, dass unser Ressort die Basis diesesDreiecks bildet, auf der die beiden anderen Schenkel auf-bauen.
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Sicher, Entwicklungspolitik verspricht nicht blühendeLandschaften überall, sofort und gleichzeitig, aber siestößt Prozesse an, die in vielfältiger Weise Beiträge zu ei-genständiger Entwicklung leisten. Der zivile Friedens-dienst kann nicht oft genug genannt werden. Auch derStabilitätspakt für Südosteuropa ist in unserem Ressort inguten Händen.
Die Mitgliedschaft des Bundesministeriums für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung imBundessicherheitsrat und die Verankerung der Menschen-rechtskriterien im Rahmen einer restriktiven Rüstungsex-portpolitik gehören ebenfalls dazu.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie wis-sen, wir wollen eine weltweite Festlegung des Mindestal-ters für Soldaten auf 18 Jahre.
Wir wollen ein unabhängiges deutsches Menschenrechts-institut.Auswärtiges Amt, BMZ und andere Ressorts wirkenim Sinne einer globalen Strukturpolitik zusammen,um den neuen globalen Herausforderungen zu be-gegnen.Das hat Herr Kollege Hedrich vor vier Jahren gesagt,meine Damen und Herren von der Opposition, in IhrerZeit recht vernünftige Erkenntnisse, aber eben nur Er-kenntnisse. Heute wird es gemacht.
Globale Strukturpolitik, das ist rot-grüne Praxis. Glo-bale Strukturpolitik, das ist die Grundlage dieses Antrags.Was sind die Ziele und Maßstäbe einer Entwicklungs-politik, die sich in dieses Konzept des neuen Sicherheits-begriffs einfügt? – Menschenrechte, Demokratie, Gleich-berechtigung, Recht auf Entwicklung, Bekämpfung derArmut und ökologische Nachhaltigkeit, das alles gehörtzusammen. Entwicklung hat viele Dimensionen.
Deshalb bedarf es eines integrierten Ansatzes, der Ent-wicklung als Querschnittsaufgabe begreift. Friedenkann es nur geben, wo menschenwürdige Lebensbedin-gungen herrschen.
Zivile Kräfte zu stärken, das gehört seit Jahren zu denZielen sozialdemokratischer Entwicklungspolitik. ZivileKräfte bauen auf, wo militärische zerstören. Zivile Kräftesind unerlässlich für intakte demokratische Strukturen ei-nes jeden Staates.Es geht also um die Stärkung eigener Strukturen in denvon Konfliktszenarien bedrohten oder betroffenen Län-dern. Es geht um den Abbau struktureller Konfliktursa-chen. Es geht schlicht um Entwicklung.Vertrauensbildende Maßnahmen, Dialogprogrammeund Friedenserziehung, Versöhnungsarbeit und gesell-schaftlicher Wiederaufbau – das sind aus entwicklungs-politischer Sicht entscheidende präventive Maßnahmen,Maßnahmen der Friedenskonsolidierung.Ist es nicht ökonomischer und vor allem menschlicher,Konflikte im Vorfeld ohne den Einsatz militärischer Mit-tel zu entschärfen? Das Engagement der Bundesregierunggibt eine klare Antwort, auch auf der internationalenEbene. Die Beschlüsse des Europäischen Rates von Hel-sinki und Santa Maria da Feira zeigen: Europa insgesamtwill die Stärkung der nicht miliärischen Krisenpräven-tion. Die entwicklungspolitische Komponente muss daherbei der Ausgestaltung der Gemeinsamen Außen- undSicherheitspolitik unbedingt berücksichtigt werden.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, KofiAnnan, hat im vergangenen Jahr zu einer Kultur derPrävention aufgerufen. Das Problem ist also auf interna-tionaler Ebene erkannt. Es geht jetzt um die Umsetzungdes als richtig Erkannten. Es bedarf eines leistungsfähigenFrühwarnsystems, das es uns erlaubt, politische Maßnah-men krisenpräventiv auszurichten. Endlich wird es zudemwieder staatliche Unterstützung für die Friedens- undKonfliktforschung geben.
Sie dürfen mir glauben, dass mich das persönlich sehrfreut, weil ich dies in meiner allerersten Rede an der altenRegierung moniert habe.
Entwicklungspolitik verfügt über das Instrument derEvaluierung. Wir sind es gewohnt, die Mittel-Ziel-Rela-tionen zu bestimmen und die eingesetzten Instrumenteständig zu überprüfen.
Regionale Zusammenarbeit und Dialog – Wasser kann indiesem Zusammenhang eine Quelle des Friedens sein –sind entscheidend für die Kultur der Prävention, von derder Generalsekretär gesprochen hat. Eine Kultur derPrävention und der Konfliktvermeidung fängt beim Men-schen an. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklichfür das Engagement der Nichtregierungsorganisationenund der Kirchen bedanken.
Auch die Wirtschaft kann, wenn sie verantwortlichhandelt, in vielen Regionen der Welt zu größerer Stabilitätbeitragen. Noch vor wenigen Tagen hat unsere Ministerinauf dem Petersberg in Erinnerung gerufen, woran sich un-sere Politik orientiert. Sie hat die Friedenspolitik Willy
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Dagmar Schmidt
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Brandts zitiert, das Wort vom Frieden, der nicht alles, aberohne den alles nichts ist. Unsere Politik der zivilen Kri-senprävention steht in der Kontinuität der Friedenspolitikdes Nobelpreisträgers Willy Brandt. Wir halten daran fest,weil sie in ihrer damaligen Form zum Frieden in Europabeigetragen hat. Wir sind uns sicher, dass sie in ihrer heu-tigen Gestalt ihren Beitrag zum Frieden in der Welt leistet.Sie alle sind herzlich eingeladen, uns auf diesem Wege zubegleiten.Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Peter Weiß für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsi-dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Eine Politik, die sich zum Ziel setzt, internationaleGewaltursachen abzubauen, zivile Konfliktlösungenzu unterstützen und die Rahmenbedingungen für ei-nen selbsttragenden gerechten und stabilen Friedens-prozess zu schaffen, kann nur erfolgreich sein, wennschrittweise die notwendigen Ressourcen bereitge-stellt werden. Der Aufbau einer effektiven Infra-struktur und die Beseitigung struktureller Konflikt-ursachen benötigen nicht nur Zeit, sondern auchPersonal, Infrastruktureinrichtungen und Geld.Das sind zwei der letzten Sätze in der Begründung des An-trags von Rot-Grün, über den wir hier diskutieren.
Er ist voll und ganz zu unterstreichen. Nur eines stimmtnicht: Ihre Praxis.
Erstens. Sie von Rot-Grün schließen Botschaften,Konsulate und Goethe-Institute. Sie kürzen die Mittel fürdie deutschen Auslandsschulen und für die Wissen-schaftskooperation. Sie kürzen den politischen Stiftungendie Mittel, sodass sie ihre Auslandsbüros abbauen oderpersonell ausdünnen müssen. Indem Sie diese verschie-denen Formen deutscher außen-, sicherheits- und ent-wicklungspolitischer Präsenz und Fachkompetenz welt-weit abbauen und ausdünnen, beschädigen Sie daswichtigste, ja das zentrale Instrument ziviler Konflikt-prävention und Konfliktbearbeitung, nämlich die nur überkonkrete Personen wahrnehmbare und auf langjährige Ar-beit und auf Vertrauen begründete Vermittlung zwischenmöglichen Konfliktparteien. Auch Früherkennung vonund Frühwarnung vor möglichen Krisenherden ist nurüber persönliche Präsenz und Kenntnis vor Ort möglich.Die von Rot-Grün zu verantwortende schwere Beschädi-gung der deutschen Möglichkeiten, wirklich etwas zur zi-vilen Krisenprävention und zur zivilen Konfliktregelungbeizutragen, wird eben nicht dadurch ausgeglichen, dassSie nun ankündigen, dann, wenn es einmal irgendwokracht oder zu krachen droht, schnell einen Zivilen Frie-densdienst oder zivile Friedensfachkräfte, die wir ausge-bildet haben, entsenden zu wollen; denn dann ist es bereitszu spät.
Sie führen neue Instrumente ein. Die alten, bewährten In-strumente zerstören Sie.
Zweitens. Wie wissenschaftliche Untersuchungen be-legen, ist Armut die tief sitzende Ursache für vielfältigeKonflikte in der Welt. Ohne aktive Armutsbekämpfungsind alle anderen Maßnahmen der Krisenprävention ver-gebens. Deshalb ist die von Rot-Grün zu verantwortendeKürzung der Mittel für die deutsche Entwicklungszusam-menarbeit eine Katastrophe für all diejenigen, die wirk-lich zivile Friedensprävention betreiben wollen.
Auch die so genannte Konzentration der deutschen Ent-wicklungszusammenarbeit auf weniger Länder erweistsich als zusätzlicher Tiefschlag für die Armutsbekämp-fung.
– Doch, Frau Kollegin; denn von den 48 am wenigstenentwickelten Ländern der Welt werden 26 Staaten vonRot-Grün schlichtweg vor die Tür gesetzt.
Von 40 hoch verschuldeten armen Ländern der Welt wirdvor 18 Staaten von Rot-Grün die Tür schlichtweg zuge-schlagen. Wer bei den Kernaufgaben deutscher Entwick-lungszusammenarbeit so versagt wie Rot-Grün, derbraucht gar nicht erst zu versuchen, mit eilig gestricktenReparaturinstrumenten noch hinterherzukommen.
Drittens. Sie tun in dem Antrag so, als sei zivile Kri-senprävention eine Erfindung von Rot-Grün. Sie warschon immer – und sollte es auch bleiben – wesentlicherInhalt und grundlegende Zielsetzung deutscher Außen-,Sicherheits- und Entwicklungszusammenarbeit. Die inder Entwicklungszusammenarbeit aktiven kirchlichenHilfswerke haben im vergangenen Jahr gemeinsam unterdem Titel „Frieden muss von innen wachsen – Zivile Kon-fliktbearbeitung und Entwicklungszusammenarbeit“ ei-nen Bericht über ihre Tätigkeit vorgestellt, aus dem deut-lich hervorgeht, dass Krisenprävention gerade in dernicht staatlichen Entwicklungszusammenarbeit seitJahren durchgängig Zielsetzung und Aufgabe ist. ZuRecht stellen die kirchlichen Hilfswerke fest:Frieden muss von innen kommen. Erfolgreiche Kon-fliktbearbeitung und nachhaltiger Friedensaufbau
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Dagmar Schmidt
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muss in erster Linie von der lokalen Bevölkerung ge-tragen werden. Und deshalb ist Friedensförderungnicht als gesonderter Arbeitsbereich der Entwick-lungszusammenarbeit zu verstehen, sondern sie ent-steht aus der Art und Weise, wie Hilfsmaßnahmendurchgeführt werden.Wer jedoch wie Rot-Grün die Kernaufgaben der Ent-wicklungszusammenarbeit vernachlässigt, der beschädigtdiese Friedensförderung und rettet nichts, wenn er zur Be-seitigung seines schlechten Gewissens ein neues Wunder-mittel namens Ziviler Friedensdienst einführt.
– Der Zivile Friedensdienst ist sicherlich eine sinnvolleErgänzung der Entwicklungszusammenarbeit; demstimme ich gerne zu.
Sowohl die Friedensfachkräfte als auch der Zivile Frie-densdienst sind sinnvolle Ergänzungen der Entwick-lungszusammenarbeit. Es entsteht mit Ihnen aber nichtsNeues; denn wenn man sich das einmal genau anschaut,sieht man: Über 90 Prozent der Projekte, die bislang ausdem neuen Haushaltstitel des Bundesministeriums fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für ei-nen Zivilen Friedensdienst bedacht worden sind, hättenohne jeden Abstrich am Konzept auch durch die bisheri-gen entwicklungspolitischen Instrumente staatlicherseitsmit gefördert und mit finanziert werden können.Viertens. Die kirchlichen Hilfswerke stellen in ihrerDokumentation „Frieden muss von innen wachsen“ wei-ter fest – ich zitiere –:Konflikte entstehen aber heute – manchmal unbe-merkt – in vielen anderen Sektoren der Arbeit: beider Organisation von Basisgesundheitsdiensten,schon bei der Organisation von Grundbildung, beimZugang zur Grundbildung, bei der Frage der Finan-zierung der Grundbildung, beim Zugang zum Trink-wasser, zum Wasser, zum Wald, zum Markt, zur Aus-bildung. Alle natürlichen und sozialen Ressourcenwerden knapper, sind umkämpft.Diese Feststellung zeigt, wie notwendig es ist, Investitio-nen in soziale Grunddienste zu verstärken.Nun hat kürzlich die Arbeitsgruppe 20:20 des deut-schen Nichtregierungsforums „Weltsozialgipfel“ belegt,dass im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung ein dramatischerAbbau der bilateralen Zusagen für soziale Grunddienstestattfindet: von 18,9 Prozent im Jahr 1998 auf nunmehr13,5 Prozent in der Planung für 2001. Grundbildung istfür das Jahr 2001 nur noch mit 3,3 Prozent oder 80 Milli-onen DM ausgewiesen. Basisgesundheitsdienste kommengerade noch auf 2,1 Prozent oder 51,3 Millionen DM.Angesichts dieser Tatsachen ist Folgendes festzustel-len: Der Antrag von Rot-Grün beschwört vieles, was auchwir unterstreichen können; Herr Kollege Schwalbe hat esvorgetragen. Aber der Antrag muss einem schlichtweg alsder untaugliche Versuch von Rot-Grün erscheinen, das ei-gene schlechte Gewissen zu beruhigen.
Dieser Antrag ist kein Aufbruch zu neuen Ufern, sondernAusdruck schlechten Gewissens. Die CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion ist mit der Bundesregierung einig, dass einerPolitik ziviler Krisenprävention und ziviler Konfliktrege-lung höchste Priorität beizumessen ist. Aber Ihr schlech-tes Gewissen, meine Damen und Herren von Rot-Grün,können nicht wir von der Opposition beruhigen. Das kön-nen nur Sie, indem Sie die Fehler Ihrer Politik schnells-tens korrigieren.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Staatsminister im Auswärtigen Amt,
Ludger Vollmer.
D
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Bundesregierung knüpft ihre Politik der Krisenprä-vention an die schon von VN-Generalsekretär Boutros-Ghali 1992 in der „Agenda for Peace, Development andDemocracy“ getroffene Feststellung an, dass Konfliktezwar unvermeidlich und nötig seien, ihre Eskalation abersehr wohl vermeidbar sei. Obwohl die Politik seit Anfangder 90er-Jahre dies erkannt hatte, standen bei Regie-rungsübernahme 1998 die Mittel für militärische und dieMittel und Instrumente für nicht militärische, zivile Kon-fliktprävention in einem eklatanten Missverhältnis.
Als wir frisch in die Regierung gekommen sind und dieKosovo-Verifikationsmission mit 80 Personen be-schicken mussten, haben wir allergrößte Mühe gehabt,diese Personen zusammenzutrommeln, weil von der altenRegierung nicht die mindeste Vorkehrung getroffen war.Daraus haben wir jetzt die Konsequenzen gezogen.Heute, zehn Jahre nach Öffnung der Berliner Mauerund dem Ende des Ost-West-Konfliktes, machen die stei-gende Zahl mit großer Brutalität und Härte ausgetragenerinnerstaatlicher Konflikte und die im Zuge der Globali-sierung gewachsenen Interdependenzen ökonomischerund ökologischer, technologischer und medialer Art dieFörderung einer weltweiten Kultur der Prävention zumvordringlichen Politikfeld. Ein ganzheitlicher Ansatz, dieVerzahnung der Außen- und Sicherheitspolitik mit Ele-menten der Entwicklungs-, Wirtschafts-, Finanz-, Um-welt- und Rechtspolitik, ist ebenso vonnöten wie einestrukturelle, langfristig angelegte Krisenpräventionsstra-tegie und die Entwicklung geeigneter Instrumente. DieserAnsatz basiert auf einem erweiterten Sicherheitsbegriffund schließt Rüstungskontrolle und Abrüstung ein. Der
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PeterWeiß
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Antrag der Koalitionsfraktionen betont zu Recht, dassdieser Ansatz subsidiär, multilateral und multidimensio-nal angelegt sein muss.Unter Federführung des Auswärtigen Amtes wurde da-her in diesem Jahr mit dem ressortübergreifenden Ge-samtkonzept zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlö-sung und Friedenskonsolidierung eine politischeGesamtstrategie der Bundesregierung ausgearbeitet undverabschiedet. Im nationalen Bereich sind die hauptsäch-lich betroffenen Ministerien und die enge Zusammenar-beit mit Nichtregierungsorganisationen die tragendenSäulen dieses Konzeptes.Entscheidendes hat sich seitdem verbessert: Das Aus-wärtige Amt hat im Juli 1999 ein Ausbildungszentrum fürziviles Friedenspersonal geschaffen. Seitdem sind in 16Kursen 280 Teilnehmer ausgebildet worden. Dies istkeine weiße Salbe, verehrte Kolleginnen und Kollegen.60 von ihnen sind mittlerweile in Langzeitmissionen derVN und der OSZE tätig; 100 weitere sind in Kurzzeit-missionen eingesetzt. Diese Woche haben wir begonnen,international auszubilden und unser Konzept auch ande-ren Ländern zur Verfügung zu stellen.
Der erreichte Umfang und der Erfolg dieses Pro-gramms legen nahe, dass über eine strukturelle Sicherungauch in haushaltspolitischer Hinsicht entschieden werdenmuss. Wir werden eine Verstetigung der Mittel und eineinstitutionelle Förderung brauchen. Ich rechne wirklichmit Ihrer Unterstützung. Wir brauchen sie spätestens imJahr 2002.
Parallel zu diesem Ansatz hat das BMZ die ZivilenFriedensdienste als neues und zusätzliches Element derKrisenprävention und Konfliktbearbeitung in enger Ab-stimmung mit NGOs und dem AA ins Leben gerufen. Dasist keine Wunderwaffe, wie hier suggeriert worden ist,sondern ein weiteres Element der Infrastruktur, die wirausbauen.
Aus dem Bereich des BMI und der Landesinnenbehör-den haben sich Bundes- sowie auch Länderpolizeien in ih-rer substanziellen Beteiligung an internationalen Missio-nen einen hervorragenden Ruf erworben. Hier werden imBereich des nicht militärischen Krisenmanagements derEU wie auch der VN und der OSZE noch erhebliche wei-tere Anforderungen auf Deutschland zukommen. Ichdanke den Ländern ausdrücklich für ihr Engagement undmöchte sie herzlich bitten, damit fortzufahren.
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das Tech-nische Hilfswerk, das, in regionale Konzepte integriert,mit den anderen Institutionen zusammenarbeitet. Zu er-wähnen sind auch die friedenserhaltenden Einsätze derBundeswehr.Es geht auf die Initiative der Bundesregierung zurück,dass heute in der NATO wie auch in der EU verstärkt überdie nicht militärischen Elemente der Außen- und Sicher-heitspolitik nachgedacht wird.
Die prägnante deutsche Position im Kosovo-Konflikt, dieForderung, wirklich alle Möglichkeiten einer zivilen undpräventiven Konfliktlösung auszuloten und den militäri-schen Einsatz nur als Ultima Ratio zu verwenden, wieauch der deutsche Friedensplan, der letztlich zum Erfolgführte, haben sowohl unser Ansehen bei unseren Partnerngestärkt als auch auf internationaler Ebene einen nicht zuunterschätzenden Politikwechsel herbeigeführt.
Seit der deutschen G-8-Präsidentschaft 1999 und aufunsere Initiative hin ist Krisenprävention für die G 8 einzentrales Politikziel. Ich verweise hier beispielhaft aufdie Erklärung zur koreanischen Halbinsel und dieKleinwaffeninitiative. Die EU – darauf wurde hingewie-sen – hat sich zur Verbesserung ihrer außen- und sicher-heitspolitischen Handlungsfähigkeit als erstes Planziel imRahmen der ESVP vorgenommen, bis zum Jahre 2003bis zu 5 000 Polizisten für nicht militärische Auslands-einsätze zur Verfügung zu stellen. Auch dies trägt dieHandschrift der Bundesregierung.Der OSZE kommt eine zentrale Bedeutung für Kri-senprävention und Krisenmanagement in ihren Teilneh-merländern zu, wie der Antrag zu Recht betont. Die Spra-chengesetze in Lettland und Estland sind ein wunderbaresBeispiel für die Entschärfung eines Konfliktes um die rus-sische Minderheit. Wie auch viele andere verhütendeTätigkeiten findet ein solches Beispiel kaum die Auf-merksamkeit der Medien; denn es knallt nicht, es gibt kei-nen Rauch.
Die bei der OSZE konsequenterweise beschlosseneSchaffung von zivilen Krisenreaktionskräften wird seitJuli 2000 bereits schrittweise implementiert. Ziel ist derAusbau einer Personalreserve. Daher begrüßt die OSZEnachhaltig und nachdrücklich unser deutsches Ausbil-dungsprogramm und empfiehlt es anderen Ländern zurTeilnahme und Nachahmung.Die Bundesregierung hat den Ausbau des Instrumenta-riums der Konfliktbearbeitung zur außenpolitischen Prio-rität erklärt. Für ein weltumspannendes System eignetsich allerdings keiner so gut wie die VN, um diesen An-satz durchzusetzen. Daher unterstützt Deutschland die„peace building unit“ der VN und zahlt in den Treuhand-fonds für „Preventive Action“, der die frühzeitige Eva-luierung eines möglichen vorbeugenden VN-Engage-ments ermöglichen soll.Der jüngste „Brahimi-Bericht“ bestätigt mit dem Rufnach „early warning“, „early action“ und „post conflictpeace building“ die Richtigkeit der politischen Forderun-gen der Bundesregierung.
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Staatsminister Dr. Ludger Volmer12578
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister,
ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
D
Ich komme zu meinem letzten Satz, Frau Präsiden-
tin. – Deshalb wird die Bundesregierung ganz im Sinne
des vorliegenden Antrags die Bemühungen um dieses
Kernstück nicht militärischer Friedenspolitik unterstüt-
zen. Sie sieht sich dabei völlig einig mit der Politik des
Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan,
und der Hoffnung der Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes auf eine friedlichere Welt.
Ich danke Ihnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3862 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse sowie an den Innenausschuss und an
den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 sowie Zusatz-
punkt 4 auf:
15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Zukunftsorientierte Energieforschung – Fu-
sionsforschung
– Drucksache 14/3813 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Martin Mayer , Dr. Gerhard
Friedrich , Thomas Rachel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Kernfusionsforschung für eine zukünftige
Energieversorgung
– Drucksache 14/4498 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Ulrike Flach für die F.D.P.-Fraktion
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Lassen Sie mich mit einem Zitat begin-nen:Das Projekt Wendelstein 7-X ist die bedeutendsteExperimentier-Einrichtung des europäischen Fu-sionsprogramms.Dies sagte – das ist Ihnen wahrscheinlich besser bekanntals mir – Bundeskanzler Schröder bei seinem Besuch am7. Juli in Greifswald und fügte hinzu:Die Bundesrepublik steht zu dem Großexperiment,weil es Raum gibt für eine qualifizierte Grundlagen-forschung.Das BMBF beteiligt sich mit insgesamt 690 Millio-nen DM an Wendelstein 7-X. Liebe Kollegen, das gibt esnicht sehr oft, aber ich kann Ihnen versichern, dass es vonHerzen kommt: Die F.D.P. stimmt dem Bundeskanzlervoll zu.Wir brauchen diese zukunftsorientierte Grundlagen-forschung im Energiebereich mehr als dringend. Derweltweite Energiebedarf steigt an. Fossile Energieträgersind endlich. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Wind-und Solarenergie werden den wachsenden Bedarf nichtdecken können,
aus der Kernkraft jedoch steigen Sie aus. Kurz: Wir brau-chen Optionen. Vor diesem Hintergrund ist die Kernfu-sion eine wichtige Option für eine zukunftsfähige, sichereund umweltfreundliche Energieversorgung.
Bei Wendelstein 7-X soll die Kernfusion nach demStellarator-Prinzip erprobt werden. Dieses Prinzip steht inKonkurrenz zum so genannten Tokamak-Verfahren. Einesdieser Prinzipien soll Grundlage für den geplanten Ver-suchsreaktor ITER sein. In Greifswald, Jülich, Karls-ruhe und Garching laufen Forschungs- und Entwick-lungsvorhaben, um in internationaler Kooperation einenVersuchsreaktor zu bauen.Um den Standort von ITER konkurriert Europa mit Ja-pan, Russland und Kanada. Die Kanadier haben bereits imFrühjahr 2000 ihr Interesse an einem Standort in ihremLand angemeldet; in Japan werden seit 1998 Standort-erkundungen durchgeführt. Frankreich hat nun kürzlicheinen konkreten Standort, nämlich Cadarache, vor-geschlagen und wird diesen Vorschlag auf der EU-For-schungsministerkonferenz am 16. November durchzuset-zen versuchen. Liebe Kollegen, als wir unseren Antrageingebracht haben, war die französische Entscheidungnoch nicht gefallen. Wir halten den Standort Cadarachefür geeignet. Uns geht es vor allem darum, ITER in Eu-ropa zu realisieren. Das möchte ich deutlich und klar sa-gen. Wir werden also unseren Antrag in den Ausschuss-beratungen entsprechend modifizieren.Unsere Forderungen an die Bundesregierung sindallerdings ebenso klar: Deutschland soll sich an derEntwicklung von ITER beteiligen. Die Bundesregie-rung wird aufgefordert, die französische Bewerbung zu
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unterstützen. Die F.D.P. lehnt entschieden die Versuchevon Bündnis 90/Die Grünen ab, aus der Fusionsforschungauszusteigen, und setzt sich für einen ausreichenden An-satz im BMBF-Haushalt ein.
Herr Fell, ich spreche Sie ganz konkret an, weil es jagerade die Grünen sind, die bei modernen Technologienreflexartig zu Magenschmerzen neigen:
bei Kernenergie, Magnetschwebetechnik, Gentechnikund nun auch bei der Fusionsforschung. In Ihrem Eck-punktepapier Energieforschung fordern Sie:Die Bundesregierung sollte daher … offiziell denAusstieg aus dem Kernfusionsprojekt ITER erklä-ren.Für die Nuklearforschung sei nur noch der Erhalt der Min-destkompetenz zu berücksichtigen. Auch wenn Sie, HerrFell, Mindestkompetenz für ausreichend halten: Für einemoderne, zukunftsfähige Energieversorgung ist uns dasentschieden zu wenig.
Das kanadische Interesse wird von der RegierungKanadas, von der Provinzregierung Ontarios, von denGewerkschaften und von einer Unternehmensgruppe un-terstützt. Hier herrscht also ganz offensichtlich Gemein-samkeit. Ich appelliere deshalb an die Bundesregierung,dem zu folgen: Frau Bulmahn, machen Sie am 16. No-vember den Weg für eine gemeinsame Bewerbung der Eu-ropäer um den Standort in Frankreich frei. Ich bin ge-spannt, was Sie gleich dazu sagen.Spanien und Italien haben ihre Unterstützung bereitssignalisiert. Wenn Europa mit einer Stimme spricht, dannhaben wir gute Chancen, das Projekt zu realisieren. Esgeht hier nicht um Mindestkompetenz, sondern um For-schung zum Zwecke der Energieversorgung des 21. Jahr-hunderts. Frau Bulmahn, packen Sie es an!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Bun-desministerin für Bildung und Forschung, EdelgardBulmahn.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Herren und Damen! Eine zukunftsorien-tierte Energieforschung muss sich an den Leitbildern undan den Zielen orientieren, die auch für eine Energiepolitikder Zukunft gelten. Die Bundesregierung hat dies mitihrem Schlussdokument zum Energiedialog 2000 imSommer überzeugend dargelegt.
Die Ziele unserer Energiepolitik lassen sich mit denBegriffen Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit undUmweltverträglichkeit zusammenfassen.
Mit dem Klimaschutzprogramm, mit der Ökosteuer, mitdem 100 000-Dächer-Programm und vor allem mit demEinspeisungsgesetz für erneuerbare Energien haben wirdie Weichen bereits richtig gestellt.
Wir verringern mit diesen Maßnahmen, mit diesen Instru-menten den Energieverbrauch. Dies ist ein wichtigesZiel, das wir langfristig verfolgen. Mit den Mitteln für dieeingesparten Zinsausgaben aus den UMTS-Mitteln för-dern wir zum Beispiel bis zum Jahre 2003 Wärmeschutz-maßnahmen bei Altbauten mit 1,2 Milliarden DM. Aufdiesem Gebiet gibt es noch einen erheblichen Nachholbe-darf.Wir als Gesetzgeber schaffen Rahmenbedingungen,damit es sich für die Wirtschaft lohnt, auf die Ökologie zusetzen. Ziel der Bundesregierung ist eine kostengünstigeund sichere Energieversorgung ohne Subventionen undohne Kernenergie.
Mit unserer Energieforschung unterstützen wir dieseNeuorientierung.
Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung der Brenn-stoffzelle, auf die Solarforschung – dort gibt es noch er-hebliches Entwicklungs- und Forschungspotenzial –, aufdie Entwicklung von Speichertechnologien, die ein wich-tiges Instrument sind, um eine sichere Energieversorgungzu gewährleisten, und auch auf kostengünstige Photovol-taikanlagen. Es darf nicht vergessen werden, dass die In-formations- und Kommunikationstechnologien, zum Bei-spiel die Sensorik, neue Antriebstechnologien und neueMaterialien natürlich ebenfalls eine wichtige Rolle spie-len, um das Ziel einer ressourcenschonenden Energie-versorgung zu erreichen.Viele Diskussionen in unserem Land haben eines im-mer wieder deutlich gemacht: dass die Menschen in un-serem Land eine Politik wollen, die sich konsequentam Ziel der Zukunftsfähigkeit orientiert. Das heißt,sie wollen eine Energieforschung, die eine klare Strategie
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Ulrike Flach12580
verfolgt. Auf den Punkt gebracht: Sie wollen eineEnergieforschung, deren Ziel es ist, Innovationen, diewirtschaftlich und umweltverträglich sind und gleichzei-tig Versorgungssicherheit gewährleisten, zu beschleuni-gen.
Mit unseren Programmen, die im Ausschuss diskutiertwerden – wir haben darüber geredet; ich gehe davon aus,dass Sie sowohl ein Kurzzeit- als auch ein Langzeitge-dächtnis haben –, haben wir diese Ziele in Angriff ge-nommen.
Wir haben sowohl mit den Verkehrsforschungsprogram-men als auch mit dem Wohnforschungsprogramm zurEntwicklung einer neuen Methodik und neuer Materialienwichtige Weichenstellungen vorgenommen. Ich habe vor-hin ebenfalls die anderen Bereiche genannt. Man kannzum Beispiel keine optimale Energieverbrauchssteuerungohne Sensorik und ohne IuK-Technologien durchführen.Deshalb wäre es kurzsichtig, wenn man diese notwen-dige Querschnittsbetrachtung nicht ins Auge fasste unddurchführte.
Diese Bundesregierung räumt dem Klimaschutz end-lich Priorität ein. Wir werden die vereinbarten CO2-Re-duktionsziele erreichen
und aufgrund des besonderen Engagements der Wirt-schaft sogar übertreffen. Außerdem haben wir – das ist einwichtiger Schritt – endlich auch Chancengleichheit imWettbewerb der Energieträger hergestellt,
die es jahrelang nicht gab. Dahinter steht die Vision einerhoch entwickelten Industrienation, die für Europa undweltweit den Weg in eine postnukleare Wirtschaftsweiseweist. Das EEG hat eine Leuchtturmfunktion für andereIndustrieländer.
Unsere Energieforschung flankiert dies und setzt hierauch einen Schwerpunkt. Forschung in diesem Bereichzahlt sich nämlich heute und auch morgen unmittelbaraus. Deswegen wäre es geradezu widersinnig, wenn manhier Abstriche machte, um sich stärker auf eine Technolo-gie zu konzentrieren, die Ergebnisse erst in 40, 50 oder60 Jahren bringen wird, also nicht die Umweltproblemevon heute oder morgen löst.
Denn der Klimawandel und die Energieprobleme wartennicht 40, 50 oder 60 Jahre. Vielmehr entwickeln sie sichjetzt, sie sind jetzt schon vorhanden. Deshalb müssen wireben auch Technologien haben, die bereits heute und mor-gen wirksam sind. Daher verfolgen wir eine Politik desEnergiemix, des Mix von Technologien
und wir verfolgen eine Strategie, die gleichzeitig Optio-nen offen hält.
– In der Fusionsforschung haben wir eine ganz klarePosition. Deswegen gibt es auch gar keinen Grund zurAufregung. Sie ist jedoch – bei allem Stolz auf das in derBundesrepublik Erreichte – von Nüchternheit gekenn-zeichnet. Das halte ich auch für notwendig.Ich fasse in vier Punkten zusammen.Erstens. Die Bundesregierung wird die Fusionsfor-schung auch in den kommenden Jahren auf einem ange-messenen Niveau weiterführen. Für das Jahr 2001 sindProgrammförderungen in Höhe von 213 Millionen DMvorgesehen, so wie wir das gerade vor zwei Tagen im Aus-schuss diskutiert haben. Das brauchen wir, um die Aufga-ben angemessen durchzuführen.Zweitens. Die Bundesregierung steht zu dem Großex-periment Wendelstein 7-X des Max-Planck-Instituts fürPlasmaphysik in Greifswald, weil dies Raum gibt fürwichtige Grundlagenforschung.Drittens. Ich zitiere:Unter diesen Bedingungen können und wollenFrankreich und Deutschland sich nicht als ITER-Standorte bewerben.
– Das hat mein Amtsvorgänger Jürgen Rüttgers gemein-sam mit seinem französischen Kollegen vor ungefähr vierJahren, genau am 17. Juli 1996, in einer Presseerklärungfestgestellt. Die damalige Bundesregierung wurdevon CDU/CSU und F.D.P. getragen. Die jetzige Bundes-regierung setzt in diesem Punkt – ich betone: in diesemPunkt – die Politik ihrer Vorgängerin fort. Wenn also die
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn12581
Opposition meinen sollte, hier sei eine Chance verpasstworden, dann hätte sie dies in allererster Linie selbst zuverantworten.
Viertens. Die Bundesregierung hält das ITER-Projektnoch nicht für spruchreif. Deshalb bemühen wir uns indem Entscheidungsprozess um einen weitgehenden Ein-klang mit unseren europäischen Partnern. Wir sind unsmit Frankreich einig, dass zunächst eine Reihe von Fra-gen geklärt werden muss, so zum Beispiel die Frage derChancen und Risiken der Fusionstechnik, die wissen-schaftlich-technischen Fragen, die wir noch haben, woman beispielsweise in der Materialentwicklung und Ma-terialforschung Schwerpunkte setzt, welche Schritte manzuerst bzw. an zweiter oder dritter Stelle macht. Wir sinduns auch darin einig, dass wir eine wirtschaftliche Be-trachtung anstellen, dass die ökologischen Gesichts-punkte berücksichtigt werden und dass wir auch die Ver-sorgungsunternehmen in die Verantwortung einbeziehenmüssen, bevor weitreichende Beschlüsse gefasst werden.Dies ist die übereinstimmende Meinung von Frankreichund Deutschland und von vielen Partnern in Europa.Alle Forschungsminister sind sich ebenfalls einig, dassRahmenbedingungen wie Angebot und Nachfrage vonEnergie, Preise und Umweltbelastungen einzubeziehensind. Über eine Großtechnik kann ohne Kenntnis derMärkte und ohne Beteiligung der Industrie heute nichtentschieden werden. Das ist unsere gemeinsame Position.Was Sie, Frau Flach, gesagt haben, ist insofern nichtrichtig, als auf dem Forschungsministerrat kein Vorschlagüber einen Standort vorgebracht werden wird. Vielmehrwird in Frankreich intern darüber diskutiert, ob und mitwelchen Standorten man sich bewerben soll. Wir sind unsdarüber einig, dass wir die Kommission bitten, genaudiese Fragen zu beantworten, bevor wir Entscheidungentreffen. In der Politik ist nichts schlimmer, als wenn Ent-scheidungen ohne wirklich fundierte Kenntnisse aller re-levanten Aspekte und Faktoren getroffen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Frage der Kollegin Flach? – Ich bitte aber
um eine kurze Fassung. Wir wissen alle: Der Demonstra-
tionstermin steht bevor.
Ich bitte nur um Präzisierung.
Heißt das, dass sich Frankreich nicht weiter bewirbt?
Wenn es sich doch weiter bewirbt: in welchem Zeitraum,
Frau Bulmahn?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Frau Flach, dass heißt genau das, was ich
eben gesagt habe. Entscheidungen über ITER selbst und
über mögliche Standorte von ITER können erst dann
getroffen werden, wenn die Fragen, die ich Ihnen eben ge-
nannt habe, geklärt sind und wenn wir als Forschungs-
minister – ich hoffe, dass das Parlament genauso ent-
scheidet – über alle relevanten Informationen und Fakten
verfügen. Erst dann kann man eine solide, begründete
Entscheidung treffen. Darin sind wir uns einig. Ich halte
das für ein logisches, rationales und nachvollziehbares
Vorgehen. Es wäre falsch, wenn wir erst die Entscheidun-
gen treffen und hinterher die Fragen klären.
Angesichts dieser Aufgabe – damit lassen Sie mich
schließen – ist meine Begeisterung, offen gesagt, gering,
mich mit missglückten Versuchen parteipolitischen
Schaulaufens zu beschäftigen. Wir sollten uns der Sache
widmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Redner ist
Kollege Dr. Martin Mayer von der CDU/CSU-Fraktion.
FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Energie ist Lebenund letztlich von großer Bedeutung für all das, was in derPolitik geschieht. Wir hatten heute schon zwei Debatten– die Debatte zum Klimaschutz und die Debatte zu fried-lichen Konfliktlösungen –, bei denen es im Wesentlichenum die Energie ging. Wo Energie knapp wird, gibt es Kon-flikte. Was es für das Leben des Einzelnen bedeuten kann,haben wir schon in den 70er-Jahren gespürt. Auch jetzt ha-ben wir wieder eine Lektion gelernt. Beim Blick auf dieHeizkostenabrechnung wird uns mittlerweile schwindelig.
Die Frage der Energieversorgung ist eine der ent-scheidenden Zukunftsfragen. Die Statistik zeigt klar: Diewestlichen Industrienationen, Europa und die USA, ver-brauchen pro Kopf ein Vielfaches der Energiemenge dergroßen Nationen Indien, China und anderer Länder. Wenndiese Länder – was wir alle hoffen – einmal unserenWohlstand erreicht haben werden, dann wird es einenenormen Energiebedarf geben. Es entsteht eine riesigeEnergielücke, die mit den herkömmlichen Mitteln alleinnicht geschlossen werden kann – zumindest nicht ohneKernenergie und eine neue alternative Energie.
Gleichzeitig ist absehbar, dass die fossilen Energieträ-ger Öl, Gas und Kohle, die wir eigentlich künftigen Ge-nerationen als Rohstoffe erhalten sollten, zur Neige ge-hen. Deshalb ist die Energiefrage eine der größtenHerausforderungen unserer Zeit.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Bundesministerin Edelgard Bulmahn12582
Da die Beiträge von Solarenergie, Wind, Wasser undBiomasse sowie eine effizientere Energienutzung dasEnergieproblem allein nicht lösen können, muss eine ver-antwortungsvolle Energiepolitik, -forschung und -vor-sorge auch andere Energiequellen erkunden und erfor-schen. Eine der möglichen Optionen ist die kontrollierteKernfusion. Sie könnte die entscheidende Option für einenachhaltige, sichere und verträgliche Energieversorgungab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts sein – bei derFrage des Zeitpunktes stimme ich mit Ihnen überein, FrauMinisterin Bulmahn.Bei der Kernfusion wird der physikalische Vorgang desVerschmelzens von Atomkernen, der in der Sonne natür-lich abläuft, auf der Erde künstlich nachvollzogen undtechnisch zur Energieerzeugung genutzt. Für diese Ener-giequelle wird weltweit seit vier Jahrzehnten intensiveForschung betrieben. Dabei spielt Deutschland innerhalbEuropas eine führende Rolle. Zu nennen sind hier dasMax-Planck-Institut in Garching und in Greifswald sowiedie Forschungszentren Jülich und Karlsruhe. Die Eu-ropäer haben mit dem Fusionsreaktor JET – Joint Euro-pean Torus – in Culham bei Oxford in Großbritannienweltweit eine führende Rolle. Mit JETwurde bereits kurz-zeitig eine Fusionsleistung von 16Megawatt erreicht. Mitdiesem erfolgreichen Experiment haben die Europäer fastden „break even“ erreicht, das heißt, die Fusion liefertschon fast so viel Energie, wie man zum Ingangsetzen desProzesses braucht.
Zu diesem Erfolg beglückwünsche ich alle Beteiligten.Ich möchte an dieser Stelle auch allen Wissenschaftlernund Technikern aus Jülich, Karlsruhe, Greifswald undnatürlich auch aus Garching – meinem Heimatlandkreis –ein sehr herzliches Wort des Dankes sagen.
Ein wichtiger Schritt, nämlich der Schritt zu einemEnergie erzeugenden Plasma, ist nun nicht mehr groß. Iminternationalen Fusionsreaktor ITER – InternationalerThermonuklearer Experimental-Reaktor – wollen die Eu-ropäer gemeinsam mit Kanada, Russland und Japan die-sen Schritt gehen. Das Konzept für den ITER ist weitge-hend fertig; nunmehr geht es um Fragen des Standortes,der Rechtsform und der Finanzierung.Sehr geehrte Frau Bundesministerin, nach dem, wasmir der Wind zuträgt, ist es wohl Ihre Absicht, die Prü-fungen zu verzögern, um damit Ihren grünen Koalitions-partner zufrieden zu stellen.
Ich fordere Sie auf, alle diese Fragen einer zügigen Prü-fung zu unterziehen.
Es gab Überlegungen, Greifswald als Standort für ITERvorzuschlagen. Diese wurden aber bald wieder begraben.Aufgrund der sektiererischen Stimmungsmache der Grü-nen und von Teilen der SPD gegen die Atomkraft im All-gemeinen wäre eine Bewerbung Deutschlands schon imeigenen Land gescheitert.
Eine Chance für einen Standort in den neuen Bundeslän-dern wurde damit durch die Stimmungsmache der Grünenvertan. Ich halte das für schade, da mit ITER hoch quali-fizierte, neue Arbeitsplätze in Greifswald hätten entstehenkönnen.
Mecklenburg-Vorpommern hätte auf diese Weise ein zu-kunftsweisendes Forschungs- und Entwicklungsprojekterhalten. Doch das ist Vergangenheit.Nunmehr geht es um ein neues Projekt. Frau Ministe-rin Bulmahn, Sie haben vorhin eine Vereinbarung vonFrankreich mit der Bundesrepublik zitiert, die zur Amts-zeit von Minister Rüttgers getroffen wurde. Sie haben da-bei aber unterschlagen – das muss ich Ihnen vorwerfen –,dass es sich bei ITER um ein neues Projekt handelt.
Es ist sowohl von den Kosten als auch von den Leis-tungen ein wesentlich reduziertes Projekt, aber es ist nachwie vor ein Projekt, das die notwendigen Forderungen er-füllt. Es gibt inzwischen Überlegungen zur Standortbe-werbung aus Japan, Kanada und – neuerdings – auch ausFrankreich. Ein Standort in Frankreich wäre für ganz Eu-ropa eine einmalige Chance, die bisher erreichten Erfolgeweiterzuführen.
Ich habe gehofft und hoffe immer noch, dass die Bun-desregierung das auch so sieht und die Bewerbung Frank-reichs unterstützt. Ich gebe Ihnen insofern Recht, als manvor einer endgültigen Entscheidung viele Fragen – nichtzuletzt Rechtsfragen – prüfen muss.
Bei Ihnen aber hört sich das so an: Wir prüfen und prüfenund prüfen. Dazu sage ich: Wenn sie nicht gestorben sind,prüfen sie noch heute. Das ist eine reine Verzögerungs-taktik.
Die Entwicklung der Fusionsenergien muss deshalbvorangetrieben werden, weil sie gegenüber anderen Ener-gieträgern eine Reihe von Vorteilen hat: Die Grundstoffesind in nahezu unbegrenzter Menge verfügbar. Bei der Fu-sion entstehen – im Gegensatz zur Verbrennung vonKohle, Erdöl und Erdgas – keine Schadstoffe.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Dr. Martin Mayer
12583
Bei dem Fusionsreaktor haben wir eine inhärente Si-cherheit und wir haben – im Gegensatz zur Kernspal-tung – keine abgebrannten Kernelemente.
Ich streite allerdings nicht ab, dass es auch bei derKernfusion Probleme gibt. Die Bauelemente würden nachdem Abbau des Reaktors wahrscheinlich eine höhere Ra-dioaktivität aufweisen als die eines Spaltungskraftwerks.Aber das ist im Vergleich zu der radioaktiven Belastung,die von abgebrannten Brennelementen heutiger Kern-kraftwerke ausgeht, ein relativ geringes Problem. Ichmöchte auch nicht verschweigen, dass es bei der Fusions-forschung das Sonderproblem gibt, wie mit dem radioak-tiven Wasserstoff umgegangen werden soll. Aber auchdas ist begrenzbar.Die USA beschäftigen sich inzwischen mit vielenGrundsatzfragen der Kernfusion, zum Beispiel mit derTransmutation und mit der Trägheitsfusion. Sie habenmittlerweile andere Schwerpunkte als die Europäer ge-setzt. In den USAwird die Fusionsforschung wie auch diegesamte Atomforschung auch unter militärischen Ge-sichtspunkten gesehen.Außerdem beteiligen sich die USA kaum an Koopera-tionen und an strategisch bedeutsamen Projekten, wennsie nicht selbst die Führerschaft haben. Deshalb beteiligensich die USAnicht mehr an ITER. Aus der Sicht der USAmag das zwar richtig sein. Aber, Herr Fell, es ist abwegig,wenn die Grünen das Ausscheiden der USA aus ITERnunmehr als Argument gegen dieses Projekt verwenden;denn hinter dem Ausscheiden stecken ganz andereGründe, als Sie vermuten.
Eine der wichtigsten Fragen bei der Fusionsforschunglautet: Wann wird es so weit sein? Ich teile die Auffassungder Ministerin, dass es wohl noch ein halbes Jahrhundert
– 50 Jahre! – dauern wird. Umso wichtiger ist es, dass wirbald anfangen und keine Zeit verstreichen lassen.
Die Einschätzungen sind mittlerweile wesentlich sicherergeworden, weil es schon viele Erfahrungen und Faktengibt. Ich meine, dass wir letztlich mit der Fusionsfor-schung einen wichtigen Beitrag zur künftigen Energie-versorgung leisten können.
Die grüne Polemik gegen die Atomkraft hat übrigensauch dazu geführt, dass sich in Deutschland kaum noch je-mand mit der Kernkraft und der Ingenieurwissenschaftbefasst.
Der Kanzler wird wohl bald eine neue Green-Card-Initia-tive für Kernenergieingenieure ankündigen müssen. Wirsollten besser jetzt Zeichen setzen.
Die Erforschung und Entwicklung der Kernfusion zumZweck der Energieerzeugung sind eine große Herausfor-derung, für die wir gerade junge Menschen begeisternsollten. Die Kernfusion ist zwar keine Technik, die heuteoder morgen Nutzen bringt. Aber sie ist sehr wahrschein-lich die Technik, die es unseren Enkelkindern ermögli-chen wird, genauso gut wie wir zu leben. Ich rufe daherdie Regierung auf –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, kom-
men Sie bitte zum Schluss.
– nur
noch einen Satz –, die kurzfristige Strategie, die nur auf
die Tagespolitik abzielt, aufzugeben und auf das Zukunfts-
projekt ITER zu setzen. Geben Sie der Kernfusion in
Deutschland den notwendigen Rückhalt und kämpfen Sie
dafür, dass Europa der Standort für das ITER-Projekt
wird!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Hans-
Josef Fell.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Mich hat heute ein Zitat – Herr Mayer, hören Sie gutzu! – sehr erstaunt, das ich Ihnen jetzt vortragen möchte:Aus prinzipiellen physikalischen Gründen sind in derFusion keine Unfälle wie beim Kernspaltungsreaktorin Tschernobyl mit katastrophalen Folgen denkbar.
Ich denke, Sie würden dieses Zitat sicherlich als grüne Po-lemik bezeichnen; denn es wird behauptet, dass Kern-spaltung katastrophale Folgen habe. Wissen Sie, woherich das Zitat habe? Es stammt aus Ihrem der heutigen De-batte zugrunde liegenden Antrag. Ich begrüße es, dass Siezu der Erkenntnis gekommen sind, dass die Kernspal-tung ein katastrophal schlimmes Problem darstellt.
– Lesen Sie es doch in Ihrem Antrag nach.Auch Sie, Frau Flach, wollen den Grünen – das ist derGrundgedanke – schon wieder Technikfeindlichkeit un-terstellen.
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Dr. Martin Mayer
12584
Wir sind schon lange nicht mehr technikfeindlich. AuchSie erkennen allmählich, dass die Techniken, die nach un-serer Meinung schon immer verstärkt auf den Markt ge-bracht werden sollten, wichtig sind. Das sind die Techni-ken, mit denen sich die erneuerbaren Energien nutzenlassen, die so genannten Effizienztechnologien. Sie aberhaben 16 Jahre lang in der Bundesrepublik diese Techno-logien ganz massiv blockiert.
Jetzt kommen Sie angesichts der knapper werdenden Öl-vorräte darauf, dass die erneuerbaren Energien – aus IhrerSicht: möglicherweise – eine Ergänzung sein könnten. Siekönnen aber in einem weitaus größeren Umfang dieEnergielücke, von der Sie immer sprechen, schließen. Wirbrauchen nicht mehr die Energie aus fossilen Brennstof-fen und schon gar nicht die aus Fusions- und Kerntechno-logie gewonnene Energie.
Ich möchte auf diesen Punkt etwas näher eingehen: DieFusionstechnologie ist nämlich keine Zukunftsoption,wie Sie sagen. Wir haben schon jetzt ein Klimaproblemund auch ein Energieproblem. Mittelfristig werden auchdie zur Neige gehenden Ressourcen ein Energieproblemdarstellen.
Für uns muss die Frage wichtig sein, wann die Kernfu-sion überhaupt zur Verfügung steht. Vor 40 Jahren sagtenuns die Fusionsforscher, in 30 bis 40 Jahren werde die Fu-sion zur Verfügung stehen. Heute sagen die Kernfusions-forscher:
Vielleicht in 50 Jahren werden wir einen kommerziell be-triebenen Reaktor haben. Ich sage in aller Deutlichkeit:Dies ist keine Lösung, die zeitnah angestrebt werdenkann. Sie kommt für die drängenden Energieproblemedieser Welt zu spät
und sie blockiert die Gelder, die notwendig sind, um diewirklichen Alternativen voranzubringen.
– Herr Fischer, die Sintflut haben wir schon jetzt. SchauenSie nach England und auf andere Teile Europas, wo dieRegenfälle als Sintflut infolge des Klimaproblems massivüber uns hereinbrechen. Diese vorhandene Sintflut hatsich aufgrund der Nutzung der fossilen Energieträger unddes Ignorierens der Klimaprobleme immer mehr ver-stärkt.
Herr Mayer, Sie sagten, wir sollten einmal über denTellerrand hinaus nach den USA schauen.
Ich will Ihnen anhand der Debatte in den USA einigePunkte deutlich machen. Sie könnten auch Ihre Kollegenfragen. Herr Friedrich, Frau Flach und Frau Pieper – sieist nicht mehr anwesend – waren mit dem Forschungs-ausschuss im letzten Herbst in den USA. Wir haben unsdort über das Thema Fusion sachkundig gemacht. Wirhatten ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des For-schungsausschusses, Herrn Sensenbrener, einem Repu-blikaner. Wir haben ihn gefragt, was er von ITER hält. Erhat uns in deutlichen Worten gesagt: ITER ist ein Kind desKalten Krieges und sollte so schnell wie der Kalte Kriegselbst verschwinden.
Die USA haben sich längst aus der Technologie verab-schiedet, die Sie hier fordern. Es kommt immer das Argu-ment, die USA wollten weiterhin Forschung im Bereichder Fusion betreiben. Die USA, so heißt es, wollen wei-terhin in der Laserfusionsforschung vorankommen unddie Fusionstechnologie vorantreiben. Ich kann Ihnen sa-gen, was der Senat kürzlich bei den Haushaltsberatungenbeschlossen hat. Die Zweifel des Senats in Bezug auf NIF,das große Laserfusionsexperiment in Lawrence Liver-more, für das bis 2008 4 Milliarden US-Dollar investiertwerden sollten, sind inzwischen so groß geworden, dasser vor kurzem die im Haushalt bereitgestellten 95 Milli-onen US-Dollar Fusionsforschungsmittel blockiert hat. Erhat dies aus der Erkenntnis heraus getan, dass es noch zuviele offene Fragen gibt und dass die Laserfusionstechno-logie keine sinnvolle Perspektive hat.Die Zweifel in den USA sind groß. Ich rate Ihnen drin-gend: Beachten Sie die Ergebnisse aus den USA! Wirwerden dies tun. Wir werden keinerlei Schnellschüssemachen und schon jetzt einen ITER-Standort für Deutsch-land festlegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnenund Kollegen, wir hatten per Blickkontakt vereinbart,dass keine Fragen mehr zugelassen werden sollen. DieGroßdemonstration, die ein außergewöhnliches gesell-schaftliches Ereignis ist, beginnt um 16.30 Uhr. Ich denkedaher, dass wir die Debatte jetzt zu Ende führen sollten. –Herr Kollege, auch Sie müssten bitte zum Schluss kom-men.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 9. November 2000
Hans-Josef Fell12585
Dann komme ich zu meinem letzten Satz: Wir sind nicht
gegen die Fusionsenergie. Wir wollen den Fusionsreaktor
der Sonne massiv nutzen. Die Energien, die sie auf die
Erde strahlt, reichen dicke aus. Wir brauchen auf der Erde
kein Nachahmen dieser Fusionsenergie.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter.
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem Antrag
der CDU/CSU und in dem der F.D.P. werden keine Argu-
mente für die Entwicklung und den Bau des Internationa-
len Thermonuklearen Experimentierreaktors ITER gelie-
fert. Eine Weiterführung der Fusionsforschung wird durch
Aufzählung energiepolitischer Allgemeinplätze beschwo-
ren. In Form von Spiegelstrichen wird unter anderem ge-
nannt – ich zitiere –: „Energieversorgungssicherheit“,
„Erhaltung einer lebenswerten Umwelt“, „Erhaltung ei-
nes angemessenen Energie-Preis-Niveaus“ und die „Ver-
ringerung der ... energiebedingten Spannungspotenziale
angesichts der absehbaren Verknappung von Energieres-
sourcen“. – Das ist die eine Seite. Es ist klar, das ist ein
Problem; da stimmen wir alle überein.
Auf der anderen Seite sollen die sich langfristig ab-
zeichnenden „Herausforderungen des Weltenergiever-
brauchs und der Entwicklung in der Dritten Welt“ mit ei-
nem „Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien“ und
mit der „Weiterführung der Fusionsforschung“ beantwor-
tet werden.
Das in den Anträgen von F.D.P. und CDU/CSU skiz-
zierte Langfristszenario ist unserer Meinung nach falsch.
In diesen Anträgen wird ein entscheidender Schritt ausge-
lassen, nämlich der, dass am Anfang aller langfristigen
Überlegungen der Gedanke des Umbaus aller wirtschaft-
lichen Vorgänge hin zu einer Ressourcen schonenden
Produktion und Verteilung stehen muss. Dieser Schritt
ist unabdingbar und der wichtigste von allen daraus fol-
genden.
Denn auf ein Business-as-usual-Szenario mit unregu-
liertem Wachstum der Weltenergieverbräuche gibt es nach
allem, was wir heute im Hinblick auf die begleitenden
stofflichen Folgen des Anwachsens von Energieverbräu-
chen abschätzen können, schlicht keine Antwort. Darüber
diskutieren wir auch in der Enquete-Kommission „Ener-
gie“. Dabei sind Klimaveränderungen durch die Verfeue-
rung von Kohlenwasserstoffen nur ein Problem unter an-
deren.
Sie erhoffen sich von Kernfusionsreaktoren unerschöpf-
liche Energien. Optimisten rechnen frühestens in 30 Jahren
mit der Fertigstellung eines Prototyps eines leistungsstar-
ken Fusionsreaktors. Ein nennenswerter Beitrag zur
Stromerzeugung dürfte danach allerfrühestens in der zwei-
ten Hälfte dieses Jahrhunderts möglich sein.
– Doch, natürlich tun wir das. Ich bin ja Mitglied der
entsprechenden Enquete-Kommission. Wir diskutieren
darüber.
Nun stellen Sie sich einmal nur für einen kurzen Mo-
ment das Fortbestehen der heutigen Produktion in der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in seiner globalen Di-
mension vor: Die Reichtumsschere zwischen den Indus-
trienationen und der heutigen so genannten Dritten Welt
würde so extreme Ausmaße angenommen haben, dass bei
der Lösung von Energiefragen an gemeinsame Strategien
überhaupt nicht mehr zu denken wäre.
Nach heutigen Kenntnissen können allein die regene-
rativen Energien Sonne, Wind, Geothermie, etwas Was-
serkraft und Biomasse die Basis einer gemeinsamen welt-
weiten Energieerzeugung abgeben. Für den erfolgreichen
Ausbau dieser Technologien werden allenfalls lokale und
regionale Netze benötigt und keine Stromtrassen konti-
nentalen Ausmaßes. Das heißt, wir wollen dezentrale
Energien.
Wir lehnen – leider ist meine Redezeit fast abgelaufen;
ich kann das nicht mehr genauer ausführen – die Fortset-
zung der Fusionsforschung auf dem bestehenden Niveau
ab. Weder sollte sich die Bundesregierung weiterhin
am ITER-Projekt beteiligen noch seine Errichtung in
Deutschland anstreben.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Ulrich Kasparick für die SPD-
Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Flach, ich beziehemich auf die Begründung Ihres Antrages. Sie haben fest-gestellt, die Fusionsenergie sei eine zentrale Option zurEnergieversorgung des 21. Jahrhunderts. Als ich diese Be-gründung hörte, dachte ich an den schönen Spruch: Wenndie Katze ein Pferd wäre, dann könnte man die Bäumehinaufreiten.
Denn jeder, der etwas von der Materie versteht, weiß: ImHinblick auf die Energieversorgung ist diese Option dieteuerste und die ineffektivste Lösung überhaupt.
Deshalb hat diese Regierung, die Ihre Regierung abgelösthat, in der Koalitionsvereinbarung eine kleine Sensationfestgelegt. Diese kleine Sensation wird meist überlesen.In unserem Koalitionsvertrag steht: Diese Regierung
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räumt der Effizienzsteigerung Vorrang vor neuen Ener-giegewinnungstechniken ein.
In diese Richtung gehen wir. Diese Regierung sorgtdafür, dass wir das Geld intelligenter ausgeben, dass wirmit den erheblichen Mitteln, die der ITER kosten würde,vor allen Dingen auf dem Arbeitsmarkt erhebliche Effekteerzielen können. Deswegen ist die Linie der Regierungvöllig richtig.Wir sagen, wir machen mit der Grundlagenforschungbei der Kernfusion genauso wie in der Physik und der Ma-thematik weiter. Aber als Energieerzeugungs- und -ver-sorgungsoption ist diese zu teuer und zu ineffektiv, wes-halb die Franzosen und die Deutschen zusammen dieKommission bitten werden, diesen Sachverhalt noch ein-mal sehr genau zu prüfen. Auch der Kanzler hat in Greifs-wald noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass dieOption neu zu prüfen und zu bewerten sei. Genau diesmuss jetzt erfolgen.Ich möchte Ihnen noch eine Zahl mitgeben. In der Vor-gängerregierung wurde der Wirtschaftsminister von derF.D.P. gestellt. Es gibt ein Gutachten des Wirtschaftsmi-nisteriums von 1997. Darin steht, dass nach den vorlie-genden Untersuchungen die unausgenutzten Potenzialezur rationellen Energiewandlung und zum Einsatz er-neuerbaren Energien aus Sicht der Technik schon heuteausreichend sind, um die Energieversorgung Deutsch-lands sicherzustellen.
Das bedeutet, dass wir die Option Fusionsenergie zur Ener-gieversorgung überhaupt nicht benötigen.
Die jetzigen unausgenutzten Potenziale genügen, umdie Energieversorgung sicherzustellen. Allein die stärkereNutzung der rationellen Energiewandlung bringt uns50 bis 60 Prozent des gegenwärtigen Endenergiever-brauchs. In diese Richtung muss der Weg gehen.Wir haben in den eigenen Reihen führende Politiker,die die Energiedebatte weit vorangebracht haben. Ich er-innere an Ernst Ulrich von Weizsäcker mit dem Buch„Faktor 4“. Das Stichwort heißt „Effizienzsteigerung“,denn dadurch gibt es neue Jobs.Letzter Punkt: Neue Energietechnologien müssen sichauf den internationalen Märkten behaupten. Gerade dann,wenn man eine Technologie entwickeln möchte, die auchin der Dritten Welt angewendet werden kann, sieht manschon allein bei einem Blick auf die Kosten, dass derITER diese auf keinen Fall sein kann.
Wir brauchen vielmehr kleine, preiswerte Lösungen.Diese liegen im Bereich der Energiespartechnologien.Diesen Weg haben wir beschritten und den werden wirweiter gehen. Das Energieforschungsprogramm derneuen Bundesregierung geht genau in diese Richtung.Hierfür hat die Regierung die volle Unterstützung desParlaments.Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-
gen auf den Drucksachen 14/3813 und 14/4498 an die in
der Tagesordnung ausgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensicht-
lich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, die Mit-
glieder des Bundestages werden geschlossen an der heu-
tigen Großdemonstration zum Thema „Wir stehen auf für
Menschlichkeit und Toleranz“ teilnehmen. Deshalb sind
wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Dies war
interfraktionell vereinbart worden.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 10. November, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.