Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 271. Sitzung des Deutschen Bundestages. Vor Eintritt in die Tagesordnung bitte ich den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Müller , Schriftführer: Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. von Brentano, Neuburger, Scharnberg, Jacobi, Frau Dr. Ilk, Dirscherl, Brese, Morgenthaler, Richter (Frankfurt), Loritz, Dr. Henle, Müller (Worms), Meyer (Bremen), Dr. Friedensburg, Dr. Luetkens, Dr. Hoffmann (Schönau), Revenstorff Dr. Gülich, Dr. Besold, Lampl und Dr. Weber (Koblenz).
Ich danke dem Herrn Schriftführer.
Meine Damen und Herren! Es erscheint notwendig, einen weiteren Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, nämlich eine Immunitätssache. Es ist beantragt, die Immunität des Abgeordneten Professor Dr. Brill aufzuheben, der als Zeuge vernommen werden soll. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist, daß die Tagesordnung entsprechend ergänzt wird. — Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Bitte, Herr Abgeordneter Horlacher! Zur Tagesordnung?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier nur den Wunsch vorzutragen, daß der Entwurf eines Getreidepreisgesetzes — es handelt sich hier um eine Bestimmung, die den Haushalt betrifft — auch dem Haushaltsausschuß überwiesen wird.
Hätten Sie das nicht besser nach Aufruf dieses Punktes der Tagesordnung beantragt?
— Er steht nicht drauf? Dann können wir auch nicht gut etwas überweisen! Wir müßten zunächst Erweiterung der Tagesordnung beschließen.
— Herr Abgeordneter Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sache hätte einfacher gemacht werden können, wenn Herr Kollege Horlacher sich
mit mir unterhalten hätte. Ich habe bereits einen Brief des Vorsitzenden des Ernährungsausschusses, der uns bittet, daß wir uns mit der Sache beschäftigen.
Ich glaube, wir können die Sache damit als erledigt betrachten.
Die gestrige Tagesordnung ist nur bis zu Punkt 7 gediehen; sie ist vor Eintritt in die heutige Tagesordnung zu erledigen. Ich rufe Punkt 8 der gestrigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes .
Der Ältestenrat schlägt vor, das Haus möge auf eine besondere Aussprache verzichten und die Angelegenheit unverzüglich dem Ausschuß für Beamtenrecht überweisen. Wird Wert darauf gelegt, den Antrag zu begründen?
— Das ist nicht der Fall. Das Haus verzichtet auf die Entgegennahme einer Begründung. Kein Widerspruch gegen den Überweisungsantrag? — Dann ist die Vorlage an den Ausschuß für Beamtenrecht überwiesen.
Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste, zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Dr. Steinbiß, Pohle, Dr. Hammer, Frau Kalinke und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Fragen des Hebammenwesens
.
Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Mulert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie finden auf der Drucksache Nr. 4351 einen gemeinschaftlichen Antrag von Mitgliedern verschiedener Fraktionen dieses Hauses, Frau Dr. Steinbiß, Pohle, Dr. Hammer, Frau Kalinke und Genossen. Er bezieht sich auf einen Initiativentwurf eines Gesetzes zur Regelung von Fragen des Hebammenwesens. Sie haben gestern dem Antrag meines Kollegen Dr. Hammer zugestimmt, den Entwurf ohne Verzug in allen drei Lesungen in diesem Hohen Haus zu behandeln.
Zu Ihrer Information das Folgende: Auf Grund eines Antrags Frau Dr. Steinbiß und Genossen vom 17. Oktober 1952 Drucksache Nr. 3777 und der anschließenden Behandlung im Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens ersuchte der Bundestag in seiner 248. Sitzung am 29. Januar dieses Jahres die Bundesregierung, „die zur Ordnung des Hebammenwesens notwendigen Gesetze unverzüglich vorzulegen". Obwohl diese Gesetze inzwischen fertiggestellt sind, wie uns der Herr Bundesminister des Innern mitgeteilt hat, besteht aus begreiflichen Gründen keine Möglichkeit mehr, sie noch in dieser Legislaturperiode vorzulegen und zu verabschieden.
Zwei Probleme dulden allerdings keinen Aufschub: die durch die amerikanische Militärregierung angeordnete Niederlassungsfreiheit in der amerikanischen Besatzungszone und die bundeseinheitliche Festsetzung der an die Hebammen von den Krankenkassen zu zahlenden Gebühren. Die
Niederlassungsfreiheit führte in der amerikanischen Besatzungszone dazu, daß die Hebammen entweder in finanzielle Notlage gerieten und sich Nebenbeschäftigung suchen mußten — eine Sachlage, die gerade für diesen Beruf außerordentliche Gefahren in sich birgt — oder aber umgekehrt, daß — vor allen Dingen in den ländlichen Kreisen und Gemeinden — die Versorgung mit einer Hebamme nicht immer sichergestellt war.
§ 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs macht dem Zustand mit der Bestimmung ein Ende, daß die Erlaubnis zur Berufsausübung nur nach Maßgabe der am 1. Oktober 1945 geltenden Bestimmungen erteilt werden darf. Damit wäre für die Hebammen in der amerikanischen Zone das gleiche erreicht, wie für die Apotheker durch das Apothekerstoppgesetz und für die Handwerker durch die Handwerksordnung.
§ 2 Abs. 1 des vorliegenden Entwurfs ändert die bisherige Fassung des § 376 a Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung so, daß die bisher bestehende unklare Rechtslage entfällt. Die neue Fassung gibt dem Herrn Bundesminister des Innern die Möglichkeit, im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Arbeit und unter Mitwirkung der Verbände der Krankenkassen, der Ersatzkassen und der Hebammen die Gebühren für alle Verrichtungen und Aufwendungen der Hebammen für beide Teile verbindlich festzusetzen.
Damit findet ein monatelanges Bemühen seinen Abschluß, das die Berufsverbände der Hebammen einerseits und die Spitzenverbände der Krankenkassen andererseits in völligem Einvernehmen verfolgt haben. Es ist jetzt der Weg freigemacht, um die viel zu niedrigen Gebühren für die Hebammenhilfe bundeseinheitlich anzuheben, und zwar auf das Niveau von Nordrhein-Westfalen anzuheben, wie es vorerst geplant ist.
Meine Damen und Herren, das Gesetz, das Sie heute beschließen sollen, geht zugunsten einer zahlenmäßig kleinen, aber bedeutsamen Berufsgruppe. Den treuen und geschickten Händen einer Hebamme sind wir alle am Anfang unseres Weges anvertraut gewesen, und wer aus eigener Erfahrung weiß, welch hohe Anforderungen an Zuverlässigkeit und Sauberkeit, an Intelligenz und Beherztheit, an psychologischem Einfühlungsvermögen und Hingabefähigkeit an eine Hebamme gestellt werden, der wird mit mir glücklich darüber sein, daß nunmehr der Weg frei gemacht ist, um der echten, teilweise schweren Notlage eines Berufstandes wirksam zu begegnen, der mit soviel Aufopferung und Selbstentäußerung und mit soviel Verzicht auf eigene Bequemlichkeit zu arbeiten pflegt, wie das die Hebammen tun.
Ich habe die Ehre, Sie im Namen aller Antragsteller zu bitten, dem vorliegenden Gesetzentwurf ohne Aussprache — es sind keine Meinungsverschiedenheiten zu erwarten — in allen drei Lesungen Ihre Zustimmung zu geben.
Ich muß aber noch bitten, zwei Druckfehler zu berichtigen. Der eine hat sich in § 1 eingeschlichen. Dort muß es in Zeile 2 heißen: „nach Maßgabe der a m 1. Oktober 1945 geltenden . . ." statt „nach Maßgabe der vom 1. Oktober 1945 geltenden ...". Der andere findet sich in § 2 Abs. 1. Hier muß in Zeile 5 das Wort „sowie" durch das Wort „und" ersetzt werden. Dafür ist in Zeile 4 das Wort „und" durch das Wort „der" zu ersetzen. Vor dem Wort „der" muß ein Komma stehen.
Außerdem bitte ich Sie um die Genehmigung dazu, daß die in der Drucksache vorliegende Fassung des § 3, die sich auf die Berlin-Klausel bezieht, in die augenblicklich allgemein übliche Fassung der Berlin-Klausel geändert wird. Sie lautet:
Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 des Dritten Überleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952 auch im Lande Berlin.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache erster Lesung. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Ich eröffne die
zweite Beratung
und rufe auf die §§ 1, — 2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift. — Wer für Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Die zweite Beratung ist geschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
— Keine Wortmeldungen. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf Punkt 10 der gestrigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge (Nr. 4371 der Drucksachen; Antrag Umdruck Nr. 956).
Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Frau Niggemeyer , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der 226. Sitzung des Bundestages vom 18: Juli 1952 wurde dieser Gesetzentwurf ohne Begründung durch die Regierung und ohne Debatte in der ersten Lesung dem Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge überwiesen. Darum scheint es mir notwendig zu sein, zu den Grundzügen des Gesetzes einiges zu sagen.
Das Gesetz, Drucksache Nr. 3440, bringt keine umfassende Reform des Fürsorgerechts, die an sich geboten gewesen wäre. Es bezieht z. B. nicht den § 20 der Fürsorgepflichtverordnung ein, der besagt, daß Arbeitsunwillige und Hilfsbedürftige unter Umständen in ein Arbeitshaus überwiesen werden können. Besonders das Land Bayern hatte gewünscht, daß diese Änderung einbezogen werden möchte. Auch der § 12 der Fürsorgepflichtverordnung, der das Verhältnis der Fürsorgeleistungen zum Ausland regelt, ist nicht berücksichtigt worden, weil man glaubt, daß durch Verhandlungen zwischen einzelnen Ländern, wie es vor kurzem z. B. auch mit der Schweiz geschehen ist, die Regelung dieser Frage nicht so vordringlich ist.
Die Änderungen fürsorgerechtlicher Richtlinien erstrecken sich zunächst auf die Regelung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf Leistungen der öffentlichen Fürsorge. Auf diesem Gebiet war eine bundeseinheitliche Regelung dringend notwendig, weil in den verschiedenen Bundesländern verschiedenartige Nichtanrechnungssätze sowohl des Einkommens wie der Versorgungsbezüge gelten, ebenso verschiedenartige Anrechnungen der Invaliden-, Alters- und Unfallrenten stattfinden. In manchen Ländern erfolgt volle Anrechnung dieser Renten und Bezüge — z. B. in der amerikanischen Besatzungszone —, in anderen Ländern bleiben unterschiedliche Beträge von 6 bis 21 DM anrechnungsfrei. Die Folgen derart verschiedenartiger Handhabungen haben ein soziales Gefälle zwischen den Ländern entwickelt und haben dazu eine vergleichende Richtsatzpolitik in den Ländern sehr erschwert.
Die Ergänzung der fürsorgerechtlichen Richtlinien bezieht sich vor allem auf die Hereinnähme eines Blindenpflegegeldes, weiterhin auf die Möglichkeit, außer für die Berufsförderung und -erziehung auch für die Berufsausbildung der Jugendlichen Beihilfen zu gewähren. Auf diese Punkte möchte ich schon eingangs besonders hinweisen.
Der vorliegende Gesetzentwurf will die Grundsätze der Fürsorge sichern. Mit den einzelnen Abschnitten des Gesetzes hat sich der Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge in 17 Sitzungen befaßt. Er sah sich veranlaßt und verpflichtet, zu einzelnen Fragen Sachverständige zu hören. So kamen im Laufe verschiedener Sitzungen zu Wort: Herr Prof. Muthesius als Vertreter des Städtetags und als Vorsitzender des Vereins für öffentliche und private Fürsorge, ein Vertreter des Landkreistages, ein Vertreter des Reichsbundes der Kriegs- und Zivilbeschädigten sowie der Vorsitzende des Deutschen Blindenvereins. Die Anhörung dieser Sachverständigen sollte einerseits rechtliche Fragen klären, andererseits uns die Stellungnahmen der verschiedenen Verbände und Institutionen zum Entwurf nahebringen.
Zu den verschiedenen Stellungnahmen läßt sich kurz folgendes sagen. Der Landkreistag billigt die Grundlagen des Gesetzes. Er unterstreicht, daß sich die durch die verschiedenen Länderregelungen herbeigeführte Verschiedenartigkeit der Behandlung der Hilfsbedürftigen unerfreulich ausgewirkt hat. Er wünscht die Verabschiedung dieses Gesetzes. Herr Dr. Gottwald vom Blindenverband anerkennt, daß der Bundestag nicht ohne Änderung der Verfassung zu einem Versorgungsgesetz für Zivilblinde kommen könne. Er vertritt den Standpunkt möglichst weitgehender fürsorgerischer Betreuung durch Festsetzung eines Blindenpflegegeldes in Höhe des Blindenpflegegeldes der Kriegsopfer und Unfallgeschädigten. Der Städtetag und der Verein für öffentliche und private Fürsorge betonen, daß dieses Gesetz notwendig ist. Gefordert wird die Anrechnung des vorhandenen Einkommens, d. h. die Beseitigung der Nichtanrechnung. Die Novelle habe nur dann einen Sinn, wenn das Wort „Nichtanrechnung" jetzt und in Zukunft aus ihr verschwinde. Er ist weiterhin der Ansicht, daß die Fürsorgeleistungen auf gewisse Mindestsätze gebracht werden müssen. Es sei richtig, den Kriegsbeschädigten in § 11 c einen Mehrbedarf in Höhe einer halben Grundrente zuzubilligen; aber die Nichtanrechnung der vollen Grundrente würde zu weit führen. Für Zivilblinde sei eine versorgungsähnliche Fürsorge. möglich, da das Grundgesetz eine Versorgungsregelung auf Bundesebene nicht zulasse. Wissenschaft und Fachwelt begrüßen die Novelle, vor allem weil das System der Nichtanrechnung im Verhältnis öffentlicher Fürsorge und
anderer Sozialleistungen aufgegeben werde. Der Ausschuß hat sich in seiner Arbeit bemüht, den Anregungen und Wünschen der verschiedenen Sachverständigen nach Möglichkeit Rechnung zu tragen. Er sah sich aber gehalten, an dem Charakter eines Fürsorgegesetzes festzuhalten. Darüber hinaus war sich der Ausschuß einig in dem Wunsch, durch die Änderung fürsorgerechtlicher Richtlinien nicht eine Einengung, sondern eine Ausweitung der Hilfemöglichkeiten für Bedürftige zu schaffen, und diese einmütige Auffassung ermöglichte — trotz in einigen Punkten auftretender verschiedenartiger Auffassung — letztlich eine einstimmige Letztfassung des Gesetzes. Nur zu zwei Punkten — das möchte ich hier schon sagen erfolgte eine nicht einstimmige Entscheidung. Bei einem Paragraphen enthielt sich eine Minderheit der Stimme; in einem Punkt wurde ein Paragraph gegen eine Minderheit angenommen.
Der Entwurf schafft nun Klarheit über die Frage, inwieweit Einkommen und inwieweit Vermögen anzurechnen sind. Er bricht mit dem früheren Grundsatz, daß bei bestimmten Kategorien, wie z. B. bei Sozialrentnern, Kleinrentnern und Kriegsbeschädigten, ein bestimmter Teil des Einkommens nicht anzurechnen sei. Die im Entwurf vertretene Auffassung ist: Maßgebend für den Maßstab der Hilfeleistung kann nicht sein, aus welchem Kreis der Betreffende kommt, sondern in welchem persönlichen Zustand er sich befindet. Für solche bestimmte Tatbestände sieht der Entwurf die Anerkennung eines Mehrbedarfs als verpflichtend gegeben an. Hierdurch wird die verschiedenartige Behandlung verschiedener Personengruppen beseitigt; eine gleichmäßige gerechte Hilfeleistung kann Platz greifen. Trotzdem bleibt aber bestehen, daß über den im Gesetz mit 20 % Mehrbedarf festgesetzten Betrag im Wege individueller Prüfung hinausgegangen werden kann. Der Ausschuß in seiner Gesamtheit legt Wert auf die Feststellung, daß durch die generelle Anerkennung eines Mehrbedarfs für bestimmte Personengruppen die individuelle Fürsorge nicht berührt werden soll.
Zu der Überschrift des Gesetzes hatte der Bundesrat gegenüber der Vorlage des Regierungsentwurfs eine Änderung vorgeschlagen. Er wünschte hinter dem Wort „fürsorgerechtlicher" die Einfügung der Worte „und sozialversicherungsrechtlicher". Der Ausschuß konnte sich der Ansicht des Bundesrats, daß es sich hier um eine redaktionelle Änderung handle, nicht anschließen, um nicht schon in der Überschrift den Charakter eines Fürsorgegesetzes zu verwischen. Der Ausschuß beschloß einmütig die Hereinnahme eines neuen Absatzes 1, weil er der Ansicht war, in diesem Änderungsgesetz die Miteinschaltung der Hilfsbedürftigen bei der Festsetzung der Richtlinien und Richtsätze zu sichern. In der Änderung des § 3 a der Fürsorgepflichtverordnung vom 13. Februar 1924 in der Fassung der Zweiten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 5. Juni 1931 und der Verordnung zur Vereinfachung des Fürsorgerechts vom 7. Oktober 1939 ist in Abs. 1 in seiner neuen Fassung die Beteiligung der Hilfsbedürftigen bei der Aufstellung von Richtlinien gesichert, in Abs. 2 sind die Rechtsmittel im Falle der Ablehnung der Fürsorge oder deren Festsetzung geregelt und im Abs. 3 ist die Möglichkeit festgelegt, daß an Stelle von Personen aus den Kreisen Hilfsbedürftiger auch Vertreter derselben, insbesondere ihrer Vereinigungen, herangezogen werden können. Auch ist die Heranziehung von Vertretern von Vereinen zulässig, die Hilfsbedürftige betreuen.
Der ursprüngliche Art. I des Regierungsentwurfs wurde vom Ausschuß in der Fassung des Regierungsentwurfs angenommen. Er ändert den § 6 Abs. 2 der Reichsfürsorgepflichtverordnung und legt fest, daß für die Bemessung des laufenden notwendigen Lebensunterhalts der Hilfsbedürftigen in der offenen Fürsorge den örtlichen Verhältnissen angepaßte Richtsätze festzusetzen sind. Zur Frage der Richtsätze wurde in der Diskussion erörtert, ob die Fassung des Regierungsentwurfs, daß die Bemessung der Richtsätze sich den örtlichen Verhältnissen anzupassen habe, genüge oder durch die Hinzufügung der Worte „jeweiligen Lebenshaltungskosten" die Möglichkeit einer gleitenden Skala der Fürsorgerichtsätze einzubauen sei. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Reichsgrundsätze festlegen, was unter notwendigem Lebensbedarf zu verstehen ist, und unter Würdigung des Umstands, daß auch nach der vorliegenden Formulierung eine Änderung der Richtsätze gegeben sei, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse eine solche notwendig machen, kam die einmütige Auffassung des Ausschusses zustande, dem Regierungsentwurf in seiner Fassung zuzustimmen.
Art. I a nimmt § 25 Abs. 4 neugefaßt in das Gesetz herein. Dieser § 25 Abs. 4 regelt die Erstattungspflicht von Fürsorgeleistungen, soweit sie nach diesem Gesetz notwendig sind. Buchstabe b regelt die Nichterstattungspflicht und bezieht außer den Kosten der Berufsförderung auch die Kosten der Berufsausbildung sowie die Lebenshaltungskosten ein. Der Ausschuß sah sich zu dieser Entscheidung vor allem darum verpflichtet, weil die Entwicklung der letzten Jahre im Jugendfürsorgewesen die verschiedenen Möglichkeiten der Erziehungs- und Berufsausbildungsbeihilfen geschaffen hat, und er wollte sichern, daß auch der Kreis jugendlicher Hilfsbedürftiger von solchen Möglichkeiten nicht ausgeschlossen sein sollte. § 25 Abs. 4 erfuhr eine Ergänzung durch die Hinzufügung eines Buchstaben e, der die Kosten der Erziehung denen der Berufsausbildung und Erwerbsbefähigung gleichstellt. Buchstabe f bezieht die Kosten der Pflege Zivilblinder ein.
§ 25 a Abs. 2 legt fest, daß die in § 25 Abs. 4 a, b und d bis f genannten Leistungen keiner Rückerstattungspflicht unterliegen, auch nicht gegenüber den Eltern.
Der Art. I b ändert entsprechend Art. I a den § 6 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge. Ich sagte eingangs schon, daß der § 6 festlegt, was zum notwendigen Lebensunterhalt gehört. Die neuen Absätze des § 6 der Reichsgrundsätze verankern analog zu Art. I a die Hilfe auch zur Erziehung und zur Berufsausbildung und ändern in Buchstabe e das Wort „Taubstummen" in „Hör- und Sprachgeschädigten" mit Rücksicht darauf, daß auch die unter die Begriffe „Seelentaube" und „Hörtaube" fallenden Hilfsbedürftigen Anspruch auf Leistungen haben.
Art. II enthält eine Zusammenfassung der Vorschriften über die Anrechnung bzw. Nichtanrechnung von Einkommen und Vermögen auf die Leistungen der öffentlichen Fürsorge. In den im Entwurf vorgesehenen § 8 sind die früheren §§ 15, 15 a, 16 Satz 2 und 18 Abs. 2 der Reichsgrundsätze eingearbeitet. Im einzelnen enthält der § 8 Abs. 1 den Grundsatz der vollen Anrechnungspflicht des ge-
samten verwendbaren Vermögens und des gesamten Einkommens. Abs. 2 dient der Vereinheitlichung der bereits bestehenden Richtlinien der Länder bzw. der Fürsorgeverbände. Er legt fest, was im Sinne dieses Gesetzes nicht als Einkommen zu gelten hat, etwa Steuern, Beiträge zur Sozialversicherung oder zu privaten Krankenkassen sowie die zur Erzielung eines Einkommens notwendigen Ausgaben,.
§ 8 a Abs. 1 spezifiziert in seinen Buchstaben a bis g die Ausnahmen, bei deren Vorliegen Vermögenswerte nicht angerechnet oder verwertet werden dürfen: in a Vermögen zur Schaffung einer Existenz, der Berufsausbildung und der zur Berufsausbildung notwendigen Gegenstände, unter b Hausrat, unter c die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung notwendigen Gegenstände, unter d Familien- und Erbstücke, deren Verlust den Hilfsbedürftigen hart treffen würde, unter e die Gegenstände, die geistigen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bedürfnissen dienen und deren Besitz kein Luxus ist, unter f, was ich besonders hervorheben möchte, die Nichtanrechenbarkeit eines kleinen Hausgrundstücks, das der Hilfsbedürftige allein oder zusammen mit bedürftigen Angehörigen bewohnt, denen es nach seinem Tode weiter als Wohnung dienen soll; wir haben in dieser Bestimmung das Wort „bedürftigen" geändert in „minderbemittelten". In g ist die Bestimmung über die Freistellung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte von der Verwertbarkeit durch die Fürsorgebehörde enthalten. Der Regierungsentwurf sah eine Festlegung der Summe von 500 DM für den Hilfsbedürftigen selbst und von je 100 DM für den unterhaltsberechtigten Angehörigen vor. Der Ausschuß hält die starre Grenzziehung nicht für angemessen; er wünscht die Möglichkeit einer Entscheidung von Fall zu Fall, also Sicherung einer individuellen Betreuung und Hilfeleistung. Die in Buchstaben g gegebene Ermächtigung an den Bundesminister des Innern, im Einvernehmen mit dem Bundesrat Rechtsverordnungen über die Höhe des Betrages zu erlassen, soll die Möglichkeit einer höheren als im Regierungsentwurf festgesetzten Freigrenze offenlassen.
§ 8 a Abs. 2:
Der Verbrauch oder die Verwertung sonstigen oder darüber hinausgehenden Vermögens darf nicht verlangt werden, wenn dies eine besondere Härte für den Hilfsbedürftigen oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen, besonders bei alten, bei noch nicht erwerbsfähigen und bei erwerbsbeschränkten Personen, bedeuten, insbesondere die Hilfsbedürftigkeit zur dauernden machen würde.
Dieser Absatz soll unterstreichen, daß die besondere Notlage der alten und noch nicht erwerbsfähigen Personen vor allem berücksichtigt werden soll. § 8 Abs. 2 enthält über die in Abs. 1 Buchstaben a bis g genannten Ausnahmen hinaus eine weitere Schutzvorschrift für alle die in diesem Punkte nicht genannten Hilfsbedürftigen, bei denen ebenfalls ein Zwang zum Verbrauch oder zur Verwertung eines Vermögens eine Härte bedeuten würde, z. B. bei eigener Bewirtschaftung eines Kleingrundstücks.
§ 8 b klärt, wie sich die Leistungen nach diesem Gesetz zu Leistungen verhalten, die aus anderen öffentlichen Mitteln gewährt werden. Der Ausschuß änderte in Abs. 1 des § 8 b die Formulierung „die nach gesetzlicher Vorschrift gewährt werden" in „die nach bundes- oder landesgesetzlicher Vorschrift gewährt werden". Dies geschah auf besonderen Wunsch des Landes Bayern.
Buchstabe a des § 8 b Abs. 1 setzt fest, daß das Pflegegeld nach § 558 c der Reichsversicherungsordnung vorn 19. Juli 1911 in der Fassung des § 8 des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechtes im Lande Berlin vom 29. April 1952 zu regeln ist. Daß die Aufzählung der in § 8 b Abs. 1 unter den Buchstaben a bis d genannten Leistungen nicht erschöpfend sein soll, sondern sich erweitern läßt, bekundet der Satz 2 des Abs. 1, der besagt:
Solche Leistungen sind insbesondere:
Der Buchstabe d des § 8 b Abs. 1 erhielt durch den Ausschuß eine andere Fassung. Er dehnt die Nichtanrechnung von Leistungen für Kleider- und Wäscheverschleiß über den Rahmen der im Bundesversorgungsgesetz in § 13 enthaltenen Bestimmungen hinaus auch auf die Leistungen nach § 16 der Verordnung über Krankenbehandlung und Berufsfürsorge vom 14. November 1928 aus.
Die Nichtanrechnung von Leistungen zur Erziehung und Erwerbsbefähigung mußte analog den Änderungen in § 6 der Fürsorgepflichtverordnung eine Änderung erfahren. Dementsprechend bezieht der Abs. 3 des § 8 b auch die Buchstaben d und e des § 6 Abs. 1 der Fürsorgepflichtverordnung mit ein.
§ 8 c stellt fest, daß auch die Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege oder eines Dritten an Hilfsbedürftige nicht anzurechnen sind, es sei denn, daß durch solche Hilfe die wirtschaftliche Lage des Hilfsbedürftigen so beeinflußt wird, daß öffentliche Fürsorge ungerechtfertigt ist. Hier stand im Ausschuß der Vorschlag des Reichsbundes für Kriegs- und Zivilbeschädigte zur Diskussion, dem § 8 b Abs. 1 noch einen Buchstaben e anzufügen mit dem Wortlaut:
Die Buchstaben a bis d gelten im gleichen Umfang für Verfolgte des Nazi-Regimes, soweit sie Empfänger von Sonderhilfsrenten sind.
Dieser Vorschlag fand nicht die Zustimmung des Ausschusses. Der Ausschuß folgte den Argumenten der Bundesregierung, die erklärte, daß durch die Einfügung des Wortes „insbesondere" im Satz 2 des § 8 b Abs. 1 deutlich werde, daß die Aufzählung unter den Buchstaben a bis d keine erschöpfende sei.
Art. III regelt die Sicherstellung von vorhandenem Vermögen. Er sieht eine Änderung und Ergänzung des § 9 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vor und sagt, daß die Hilfe in der Regel nur dann von einer Sicherstellung abhängig gemacht werden kann, wenn die Rückzahlung voraussichtlich ohne besondere Härte möglich ist. Der Ausschuß beschloß hier die Streichung der Worte „in der Regel" und sprach sich dafür aus, daß von jeder Sicherstellung die in § 8 a Abs. 1 unter a Satz 1, b bis d und g genannten Vermögen auszunehmen seien.
Der neue Abs. 5 von § 9 der Reichsgrundsätze enthält in seiner Endfassung im Verhältnis zum Regierungsentwurf eine Änderung dahingehend, daß bei dem Vorhandensein eines kleinen Hausgrundstücks nach dem Ableben des Hilfsbedürftigen eine Erstattung nicht verlangt werden kann, solange es von hilfsbedürftigen Angehörigen bewohnt ist. Der Zweck der Neuformulierung ist der Schutz des kleinen Eigentums, was ich hier noch besonders unterstreichen möchte.
Der Art. IV enthält in der Neufassung eine Ausweitung des § 11 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge und stellt eine wesentliche Ergänzung der ersten Fassung des § 11 dar. Sowohl Regierungsentwurf als auch Ausschußfassung fügen dem § 11 der Reichsgrundsätze die §§ 11 a bis 11 f an.
§ 11 a legt fest, in welcher Form der Lebensunterhalt an Hilfsbedürftige geleistet werden kann. Er enthält einen Katalog, um im Gegensatz zu der ersten Fassung des § 11 zu sagen, daß die Hilfe möglichst vielseitig gewährt werden soll. Satz 2 des § 11 a gibt dem Bundesinnenminister die Ermächtigung, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und dem Bundesminister für Arbeit die notwendigen Verwaltungsvorschriften über den Aufbau der Richtsätze einschließlich der Beihilfen für Unterkunft und über ihr Verhältnis zum Arbeitseinkommen zu erlassen.
Die §§ 11 b bis 11 f umfassen die Gruppen von Hilfsbedürftigen, bei denen über den Richtsatz hinaus ohne weiteres ein Mehrbedarf anzuerkennen ist. Das ist das wesentlich Neue des Gesetzes.
§ 11 b befaßt sich mit alten und Schwerbeschädigten Personen. Der Regierungsentwurf sah als Mehrbedarf für diese in b genannten Personengruppen wie für die bis § 11 f einen Mehrbedarf von „in der Regel 20 % des für sie maßgebenden Richtsatzes" an. Hier muß ich betonen, daß wir beschlossen haben, die Worte „in der Regel" zu streichen. Der Ausschuß legt Wert auf die Feststellung, daß nach seiner Ansicht die Bezirksfürsorgeverbände gehalten sind, die 20 % Mehrbedarf in allen Fällen anzuerkennen.
In § 11 b Abs. 2 des Regierungsentwurfs, der als Altersgrenze das 70. Lebensjahr vorsah, wurde durch einmütigen Beschluß des Ausschusses diese Altersgrenze auf 65 Jahre festgesetzt.
§ 11 b Abs. 3 hat im Ausschuß keine Änderung erfahren. Diese Bestimmung erklärt den Begriff „schwer erwerbsbeschränkt". Der Ausschuß konnte sich nicht entschließen, die Worte „schwer erwerbsbeschränkt" in „erwerbsbeschränkt" zu ändern. Erleichtert wurde ihm seine Stellungnahme dadurch, daß nach den Erklärungen der Regierung eine etwa in der Alfu anerkannte Erwerbsminderung von 66 2/3 % ohne Neuüberprüfung auch vom Bezirksfürsorgeverband zugrunde zu legen ist.
Der Regierungsentwurf anerkennt in § 11 b Abs. 4 den Mehrbedarf bei Müttern mit mindestens zwei Kindern unter zehn Jahren oder drei unter vierzehn Jahren. Diese Bestimmung ist geändert in:
Der im Absatz 1 genannte Mehrbedarf ist ferner bei Müttern anzuerkennen, die mit mindestens 2 Kindern, die das volksschulpflichtige Alter nicht überschritten haben, zusammen leben und allein für deren Pflege und Erziehung zu sorgen haben.
§ 11 c, Anerkennung eines Mehrbedarfs für Kriegsbeschädigte, war einer der schwierigsten Punkte des Gesetzes, der eine ausgedehnte und ins einzelne gehende Diskussion hervorrief. Der Regierungsentwurf sah die Anerkennung eines Mehrbedarfs in Höhe von 50 °/o der Grundrente — mindestens 10 DM — vor. Ergibt sich nach § 11 b, der den Begriff „schwer erwerbsbeschränkt" erklärt, ein höherer Bedarf, so ist er anzuerkennen.
Der Bundesrat wünschte die Hinzufügung eines Abs. 2, daß auch bei den Unfallverletzten der gleiche Mehrbedarf wie bei den Kriegsbeschädigten anzuerkennen sei — nämlich 50 % der Grundrente —, wenn wegen der Minderung der Erwerbsfähigkeit ein Anspruch auf Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz bestehen würde. Zunächst trat eine Minderheit für die Nichtanrechnung der vollen Grundrente ein mit der Begründung, das Wesen der Grundrente sei Ersatz für die aus dem Körperschaden erwachsenen Mehraufwendungen. Sie wies weiterhin auf die in der Arbeitslosenfürsorge getroffene Regelung hin, daß die volle Grundrente nicht anzuerkennen sei. Hierzu wurde hervorgehoben, daß in der Alfu die Nichtanrechnung der vollen Grundrente praktisch kaum zum Zuge komme, da festgelegt sei, daß sie die Beträge der Alfu — nicht die Beträge der Alu — nicht übersteigen dürfe, um den Arbeitswillen nicht zu untergraben. Maßgebend war zunächst für die Mehrheit des Ausschusses der Gedanke, daß durch Nichtanrechnung der vollen Grundrente ein Teil der Kriegsbeschädigten, die keine Ausgleichsrente beziehen, in die Fürsorge abgedrängt würde. Weiterhin berücksichtigte der Ausschuß, daß der Sinn des vorliegenden Gesetzes — bundeseinheitliche Regelung des gesamten Fürsorgewesens durch Ausschaltung der in den einzelnen Ländern verschieden geltenden Anrechnung von Teilen von Renten — bei einer zu betont einseitigen Heraushebung der Kriegsbeschädigten durchbrochen werde. Die Mehrheit erkannte an, daß die Leistungen aus der öffentlichen Fürsorge anders zu beurteilen seien als Leistungen aus der Sozialversicherung oder dem Lastenausgleich. Bei einem Kriegsbeschädigten scheide der in der Höhe der Grundrente liegende Teil, der als Ausgleich für einen besseren Lebsensunterhalt und als Ausgleich dafür vorgesehen sei, daß er es schwieriger habe, eine Tätigkeit auszuüben, aus der Möglichkeit der Anerkennung eines Mehrbedarfs in der Fürsorge aus. Der Ausschuß zog zur Klärung dieser Frage Mitglieder des Kriegsopferausschusses heran und bat letztlich den Kriegsopferausschuß um seine Stellungnahme. Die in der Stellungnahme des Kriegsopferausschusses vorgeschlagene Fassung ist nicht in ihrem ganzen Wortlaut im Gesetz verankert worden. Die Regelung für die Nichtanrechnung bei Kriegsbeschädigten ist jetzt in § 11 c niedergelegt, der folgendermaßen lautet:
Die Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges vom 20. Dezember 1950 (Bundesgesetzbl. S. 791), nach denen Berechtigten über die allgemeine Fürsorge hinausgehende Leistungen der sozialen Fürsorge zu gewähren sind, bleiben unberührt.
Der Ausschuß war der Ansicht, daß durch diese Fassung die soziale Betreuung der Kriegsbeschädigten nach den §§ 25 bis 27 des Bundesversorgungsgesetzes nicht berührt werde.
Der Ausschuß mußte allerdings eine Änderung des § 23 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 4. Dezember 1924 vornehmen. Diese Änderung finden Sie in Art. IV a. Danach tritt an die Stelle der Absätze 3 und 4 des eben genannten § 23 folgender Abs. 3:
Der Ausschuß glaubt, mit dieser Regelung den berechtigten und notwendigen Wünschen der Kriegsopfer Rechnung getragen zu haben.
§ 11 d enthält die Anerkennung eines Mehrbedarfs für denjenigen, der unter bestimmten Umständen einem Erwerb nachgeht. Er sichert denen, die unter Aufwendung besonderer Tatkraft einem geringfügigen Erwerb nachgehen, die Anerkennung eines angemessenen Mehrbedarfs. Diese Regelung soll eine Anerkennung für besonderen Arbeitswillen sein.
Abs. 2 des § 11 d erkennt diesen Mehrbedarf auch für Frauen an, die einem Erwerb nachgehen, obwohl ein wesentlicher Teil ihrer Arbeitskraft durch Führung des Haushalts oder Pflege von Angehörigen in Anspruch genommen wird.
Abs. 3 setzt fest, daß der Mehrbedarf so zu bemessen ist, daß der Arbeitswille gefördert wird.
§ 11 e erkennt für Lehrlinge und Anlernlinge einen Mehrbedarf zur Deckung der höheren Kosten des laufenden Lebensunterhaltes in Höhe des Richtsatzes für einen gleichaltrigen Haushaltsangehörigen an. Eine Änderung gegenüber der Fassung des Regierungsentwurfs liegt in der Streichung des Wortes „minderjährigen" vor „Lehrlingen". Diese Streichung erfolgte mit Rücksicht auf die augenblickliche Situation der Jugendlichen.
§ 11 f betrifft das Blindenpflegegeld. Das äußere Bild dieses Paragraphen hat in der Ausschußfassung eine Ausweitung erfahren. Gegenüber dem Regierungsentwurf enthält er statt drei jetzt sechs Absätze. Auch dieser Paragraph beschäftigte den Ausschuß in mehreren Sitzungen. Er sah sich vor die Aufgabe gestellt, eine Regelung zu finden, die einmal die in den verschiedenen Bundesländern bestehenden Länderregelungen so berücksichtigt, daß möglichst keine wesentlichen Minderungen der schon bestehenden Leistungen erfolgen. Andererseits mußten aber die Regelungen im Rahmen eines Fürsorgegesetzes liegen.
Mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung der Frage des Blindenpflegegeldes für Zivilblinde, darf ich betonen, daß sich der gesamte Ausschuß in dem Bestreben einig war, hier bis an die Grenze des im Rahmen eines Fürsorgegesetzes Erreichbaren zu gehen. Bei der Bestimmung des Begriffs der Bedürftigkeit als Grundlage der Errechnung des Pflegegeldes konnte keine einheitliche Auffassung des Ausschusses erzielt werden. Die Mehrheit konnte sich der Ansicht der Minderheit — diese enthielt sich dann bei der Abstimmung der Stimme — nicht anschließen, weil nach ihrer Ansicht dadurch der Sinn des Gesetzes 'durchbrochen worden wäre.
Nun die Einzelheiten des § 11 f. Abs. 1 umschreibt den Personenkreis, für den Pflegegeld anzuerkennen ist, die Höhe der Leistung sowie die Voraussetzung für höhere Leistungen bei Vorliegen besonderer Bedingungen. Der Entwurf sah als Pflegegeld den einfachen Richtsatz eines Haushaltsvorstandes für diesen und bei Alleinstehenden den Richtsatz für diese Gruppe vor. Von der Leistung eines Pflegegeldes sollten Zivilblinde ausgeschlossen sein, die sich in Anstaltspflege befinden. Zivilblinden vom 6. Lebensjahr an sollte Pflegegeld gewährt werden. Der Bundesrat hatte die Streichung der Worte „vom 6. Lebensjahr an" beantragt. Damit wäre im Falle der Bedürftigkeit von der Geburt an ein Pflegegeld zu zahlen gewesen.
Der Ausschuß konnte sich dem nicht anschließen. Er war in folgenden Punkten einmütiger Auffassung: erstens generelle Anerkennung des Mehrbedarfs, zweitens hinsichtlich der Höhe des Mehrbedarfs: zweifacher Richtsatz bis zur Höhe des Pflegegeldes für Kriegsblinde, drittens bei haushaltsangehörigen Blinden, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, zweifacher Richtsatz eines Haushaltvorstandes bis zur Höhe des Pflegegeldes eines Kriegsblinden, viertens bei haushaltsangehörigen Blinden, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vom vollendeten 2. Lebensjahr an Pflegezulage in Höhe des für sie maßgebenden Richtsatzes. Bei Blinden unter 2 Jahren ist der Mehrbedarf nach § 10 anzuerkennen.
Abs. 2 sichert den Kriegsblinden, die sich in Anstalts- oder Heimpflege befinden, eine Pflegezulage für besondere Bedürfnisse. Der Ausschuß sah davon ab, wie er es im gesamten Gesetz tat, eine feste Summe zu nennen. Er beschloß, daß als Anstaltspflegezulage das Doppelte des jeweiligen Satzes, der in verschiedenen Bezirksfürsorgeverbänden bis heute gezahlt wird, geleistet werden soll.
Abs. 3 behandelt die Frage des Entzugs von Blindenpflegegeld bei Arbeitsunwilligkeit.
Abs. 4 regelt die Rückerstattungspflicht von Verwandten, die nach dem BGB zum Unterhalt verpflichtet wären, und stellt fest, daß sie nur heranzuziehen sind, wenn es offenbar unbillig wäre, sie nicht heranzuziehen.
Nach Abs. 5 entfällt die Anerkennung des Mehrbedarfs von Blinden bei Erwerbseinkommen. Er besagt im einzelnen, daß mindestens ein Drittel ihres Arbeitseinkommens, jedoch nicht weniger als 40 DM monatlich anrechnungsfrei zu bleiben haben. Der Ausschuß konnte sich dem Antrag der Minderheit, den zweifachen Richtsatz zugrunde zu legen, nicht anschließen.
Zu dieser Frage wurde eine Stellungnahme des Ausschusses für Sozialpolitik erbeten. Dieser wollte dem § 11 b einen Absatz anfügen, daß Zivilblinden ohne weiteres ein Mehrbedarf von 50 % des für sie maßgebenden Richtsatzes anzuerkennen sei.
Abs. 6 klärt, welche Personen als Blinde gelten.
Über Art. IV a und seine Bedeutung habe ich schon gesprochen. Die Regelung mußte hier analog der Festlegung des Mehrbedarfs für Kriegsopfer geändert werden.
Art. V ändert Vorschriften der Reichsversicherungsordnung und legt fest, wie unter Umständen auf Renten, die zu zahlen sind, zurückzugreifen ist. Es ist hier gesagt worden — das betrifft den § 1533 Nr. 3 RVO —, daß beim Rückgriff auf nachgezahlte Renten der notwendige Lebensbedarf des Unterstützten und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nicht beeinträchtigt werden darf.
Art. VI enthält die Berlin-Klausel, Art. VII in Satz 1 die Festsetzung des Termins für das Inkrafttreten des Gesetzes, in Satz 2 die Außerkraftsetzung von Rechtsvorschriften. Hierbei ergab sich wieder eine längere Diskussion über die — dieser Ausdruck hat sich in unseren Beratungen herausgebildet — „Sicherung des Besitzstandes". Wir sind hier zu einer Einigung gekommen. Der Ausschuß war einmütig der Ansicht, daß nach Möglichkeit
derjenige, der durch dieses Gesetz sonst zu weniger Beihilfe gekommen wäre, nicht dauernd geschädigt werden sollte. Wir sind über die Fassung des Regierungsentwurfs, der eine Härteklausel und Übergangszeit von vier Monaten vorsah, hinausgegangen, und glauben, in der Fassung des in Satz 2 Genannten das erreicht zu haben, was wir wollten.
Indem ich noch einmal wiederhole, mit welcher Einmütigkeit im Ausschuß gearbeitet worden ist, und darauf hinweise, daß der Ausschuß das Gesetz einstimmig angenommen hat, darf ich Sie bitten, mit der gleichen Einmütigkeit das Gesamtgesetz anzunehmen. Ich möchte noch dazu sagen, daß Sie beschließen möchten, die Interpellation der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 2435 und den Antrag der Fraktion der KPD Drucksache Nr. 2556 durch die Beschlußfassung zu dem Gesetzentwurf für erledigt zu erklären.
Ich danke der Frau Berichterstatterin. — Für die weitere Sitzung möchte ich auf § 74 der Geschäftsordnung hinweisen, der da lautet:
Ausschußberichte an den Bundestag über Gesetzentwürfe und Grundsatzfragen erheblichen Umfangs sind in der Regel schriftlich zu erstatten und in den stenographischen Bericht aufzunehmen.
— Es war nur zur Erinnerung gesagt.
Ich habe noch bekanntzugeben, daß der Haushaltsausschuß um 10 Uhr zusammentritt.
Wir treten ein in die
zweite Beratung.
Ich rufe auf Art. I. Hierzu sind Anträge der kommunistischen Gruppe angekündigt. Wer begründet Ihren Antrag? —
— Das Wort hat Herr Abgeordneter Renner. — Es handelt sich um Art. I .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung, einen einzigen Satz: die Frau Berichterstatterin hat über den Inhalt des Gesetzes gesagt, daß es die wünschenswerte Neufassung in dem wünschenswerten Umfang nicht enthalte. Und dem Herrn Präsidenten war das, was die Frau Berichterstatterin vorgetragen hat, zeitlich schon zu lang. Das ist, glaube ich, eine richtige Charakterisierung der Bedeutung und auch des Wertes, den das Hohe Haus dieser Frage beimißt.
Aber nun zu unserem Änderungsantrag.
— Eben, weil er ihm zu lang war!
Herr Abgeordneter Renner, Sie waren schon witziger.
Ja, ich weiß! Sie auch schon, Herr Präsident!
Der § 3 a Abs. 1 hat hier im Entwurf folgende Fassung:
Bei der Aufstellung von Richtlinien und Richtsätzen muß die Beteiligung von Personen aus
den Kreisen der Hilfsbedürftigen gesichert sein.
Ich frage nun alle Fachleute in diesem Hause, ob
es eine Möglichkeit gibt, diesen Paragraphen buchstabenmäßig zu realisieren. Es gibt keine Organisation von Hilfsbedürftigen. Die Hilfsbedürftigen
sind ein Personenkreis, der zahlenmäßig und in seiner Zusammensetzung dauernden Schwankungen
unterworfen ist. Es gibt also gar keine Möglichkeit,
den Hilfsbedürftigen in diese Mitbestimmung einzuschalten, es sei denn, daß Sie ein Gesetz schaffen,
daß die Personen, die diese Hilfsbedürftigen zu vertreten berechtigt sind, etwa in der Form einer
Wahl wie zu den Krankenkassenvorständen zu
wählen sind. Wenn Sie das nicht tun, bleibt das,
was hier steht, eine absolut inhaltlose Deklaration.
— Sie können mich ja nachher berichtigen.
Es gibt keine Organisation der Hilfsbedürftigen. Dieser Personenkreis ist organisationsmäßig nicht zusammengefaßt.
— Eben! Warum schreiben Sie denn hier wider die Wahrheit hinein, daß die Mitarbeit von Personen aus den Kreisen der Hilfsbedürftigen bei der Aufstellung von Richtsätzen gesichert sein soll? Warum steht denn das darin? Das ist eine vollkommen leere, inhaltlose Deklaration.
Wer stellt die Fürsorgerichtsätze auf? Eine Frage an die Fachleute: Wer stellt sie auf? Die parlamentarischen Körperschaften in den Selbstverwaltungsorganisationen, die Gemeindevertretungen, die Kreisvertretungen etwa? Nein, die stellen sie nicht auf.
Nein, die stellen sie nicht auf! Stellen sie die Bezirksfürsorgeverbände auf? Nein, sie stellen sie nicht auf! Stellen etwa die Wohlfahrtsausschüsse in den Gemeinden die Richtsätze auf? Nein, sie stellen sie nicht auf. Die Richtsätze werden aufgestellt durch Anordnungen der zuständigen Landesinnenminister, das ist der Regelfall,
und die parlamentarischen Vertretungen in den Gemeinden sind für diese Regelung sehr dankbar. Diese Regelung entbindet sie nämlich von der Verpflichtung, diese elenden Wohlfahrtsrichtsätze, die z. B. bei uns im Lande seit zwei Jahren keine Aufbesserung erfahren haben, politisch vor den Bürgern der Gemeinde zu verantworten. Die Adenauer-Koalition in der Gemeinde ist geradezu dankbar dafür, daß ihr die höhere Instanz die Festlegung dieser Richtsätze abgenommen hat. Das macht man natürlich nicht in der plumpen Form eines Diktats; man macht es in der Form, daß man sagt: „Wenn die Gemeinden dazu übergehen, höhere Leistungen zu gewähren, als von uns für notwendig und richtig erachtet wird, dann sperren wir die Landeszuschüsse."
Da in der Kriegsfolgenhilfe durchschnittlich etwa 85 % der Leistungen von den Ländern getragen werden, haben die Länderregierungen damit eine geradezu wunderbare Waffe in der Hand, unten in den Gemeinden die Höhe der Wohlfahrtsrichtsätze zu bestimmen.
— Ich habe nicht nur e in en Fall! Lieber Freund,
Sie müssen auf dieser Plattform mit mir nicht diskutieren. Ich bilde mir ein, über diesen Fragenkomplex mitreden zu dürfen und mitreden zu können.
Wer mich persönlich kennt, der weiß, daß ich ein Recht habe — auf Grund dreißigjähriger Arbeit in dem Sektor —, sachlich darüber zu diskutieren. So liegen die Dinge.
— Wenn Sie mich korrigieren wollen, bin ich gern bereit, nachher Ihre Korrektur entgegenzunehmen und mich dann zu dieser Korrektur zu äußern.
So ist es also im Augenblick in den Gemeinden, und das ist, wie gesagt, ein den Koalitionsparteien in den Gemeinden, diesen kleinen Adenauers und kleinen Schäffers in den Gemeinden
sehr erwünschter Zustand. Sie können dann auf den großen Bruder in Düsseldorf oder Gott weiß irgendwo hinweisen.
— Sie waren auch schon mal geistreicher!
Wir wollen heute nicht nur Retourkutsche fahren, Herr Renner!
Um dem Dilemma abzuhelfen, daß die berufenen parlamentarischen Körperschaften in den Kreisen und Gemeinden keine Möglichkeit einer Einflußnahme auf die Höhe der Wohlfahrtsrichtsätze haben, haben wir vorgeschlagen, dem § 3 a Abs. 1 folgende Fassung zu geben:
Für die Aufstellung von Richtlinien und Richtsätzen sind die Kreis- und Gemeindevertretungen zuständig. Bei der Aufstellung von Richtlinien und Richtsätzen haben Hilfsbedürftige selber das Mitbestimmungsrecht.
Um den letzten Satz noch einmal klarzumachen: Wir sind der Meinung, daß diese Vertreter der Hilfsbedürftigen durch Wahlen aus dem Kreis der Hilfsbedürftigen heraus genommen werden müssen. Was Sie nämlich unter Beteiligung von Hilfsbedürftigen verstehen, verraten Sie in § 3 a Abs. 3. Da heißt es nämlich ziemlich ehrlich und leichtverständlich:
Neben oder an Stelle von Personen aus den Kreisen der Hilfsbedürftigen können auch Vertreter derselben, insbesondere solche ihrer Vereinigungen, herangezogen werden.
Wo gibt es denn diese Vereinigungen? Aber dann werden Sie deutlicher:
N e b en Personen aus den Kreisen der Hilfsbedürftigen oder Vertretern ihrer Vereinigungen ist die Heranziehung von Vertretern von Vereinen zulässig, die Hilfsbedürftige betreuen.
Dazu ein Wort: Wir sind keineswegs der Auffassung, daß die karitativen Verbände bei dieser Arbeit, bei der Festsetzung der Wohlfahrtsrichtsätze ausgeschaltet werden sollen. Wir denken das Gegenteil.
Obwohl Sie durch Ihre Minister in den Ländern auf Grund der verfassungswidrigen Anordnung unseres Polizeiministers gewisse Organisationen aus diesem Arbeitsgebiet ausschalten, sind wir im Prinzip dafür, daß die karitativen Verbände in diese Arbeit eingeschaltet werden.
Aber wir wollen auch ein direktes Mitwirkungsrecht auf der Basis der Mitbestimmung der hilfsbedürftigen Personen selber, und wir wollen es Ihnen durch diese Neuformulierung vor allen Dingen unmöglich machen, die Dinge so darzustellen, als hätten Sie mit der Vorlage die Mitwirkung der Hilfsbedürftigen selber in irgendeiner Form gesichert. Das haben Sie nicht. Vielleicht sagen Sie mir dann, woher die Hilfsbedürftigen geholt werden sollen, wer die bestimmen soll. Vielleicht sind Sie so freundlich und sagen mir das nachher. Ich bin nicht der Mann, der sich nicht belehren läßt, wenn
erforderlich ist. Aber ich glaube nicht, daß Sie mich belehren können.
Darf ich dann zu Art. I b noch etwas sagen, zu der Formulierung auf Seite 4 des Entwurfs:
Die Bundesregierung kann mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften über Voraussetzung, Art und Maß der Hilfe zur Erwerbsbefähigung und zur Berufsausbildung erlassen und für die zu gewährenden Beihilfen Pauschalbeträge festsetzen.
In dieser von Ihnen gebilligten Formulierung ist der Beweis dafür enthalten, was ich vordem gesagt habe. Mit dieser Formulierung ist sichergestellt, daß der Bundesarbeits- und der Polizeiminister die Wohlfahrtspflege im Bundesgebiet in der Höhe des Richtsatzes und auch in der Höhe der ergänzenden Fürsorge festlegen. Wenn der Herr Bundespolizeiminister die Wohlfahrtsrichtsätze festlegt, dann verewigen Sie doch damit den Zustand, den ich kritisiert habe, der augenblicklich besteht, daß unten in der Gemeinde die unserer Überzeugung nach berufenen parlamentarischen Körperschaften bei der Festsetzung der Wohlfahrtsrichtsätze ausgeschaltet sind. Mit diesem Paragraphen beweisen Sie also geradezu die Richtigkeit unserer Darstellung zum tatsächlichen Sachverhalt, der augenblicklich und seit Jahr und Tag in den Gemeinden und Kreisen existiert.
Wir sind der Meinung, daß die Festsetzung der Wolfahrtsrichtsätze Sache der parlamentarischen örtlichen oder Kreisvertretungen und Körperschaften ist. Wir sind der Auffassung, daß Schluß gemacht werden muß mit dem Zustand, daß man sich unten in den Kreisen und Gemeinden für die erbärmlichen Wohlfahrtsrichtsätze, deren Erbärmlichkeit ja sogar niemand von Ihnen unten an der Basis zu bestreiten wagt, mit der Begründung entschuldigen kann: Wir dürfen nicht, wir können nicht; der große Vater in Düsseldorf oder in Bonn verbietet uns das! Mit diesem Zustand muß Schluß gemacht werden. Wir wollen auch in der Frage die volle Selbstverwaltung in der Gemeinde und die tatsächlich garantierte Mitwirkung des Personenkreises der Bedürftigen, der Unterstützungsberechtigten selber. Darum haben wir diesen Antrag gestellt, und wir bitten Sie, dieser Änderung zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann lasse ich über den Änderungsantrag zu Art. I „§ 3 a Abs. 1", der
soeben begründet worden ist, abstimmen. Ich verlese ihn, weil er nicht verteilt werden konnte.
Dieser Paragraph soll folgende Fassung erhalten:
Für die Aufstellung von Richtlinien und Richtsätzen sind die Kreis- und Gemeindevertretungen zuständig. Bei der Aufstellung von Richtlinien und Richtsätzen haben Hilfsbedürftige selber das Mitbestimmungsrecht.
„§ 3 a Abs. 3 Satz 1" soll folgende Fassung erhalten: Neben Personen aus den Kreisen der Hilfsbedürftigen können auch Vertreter derselben, insbesondere solche ihrer Vereinigungen, herangezogen werden.
— Ja, das ist der erste Satz. Wer für die Annahme dieses Änderungsantrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; die Anträge sind abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über Art. I ,
— Art. I, — Art. I a — und Art. I b. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Art. II. Auch hierzu ist ein Änderungsantrag der kommunistischen Gruppe angekündigt.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Art. II § 8 ist von außerordentlicher Bedeutung für die effektive Höhe der Wohlfahrtsleistungen. In der derzeitigen Fassung steht
— das ist auch durch den Vortrag der Frau Berichterstatterin klargemacht worden —, daß zu den eigenen Mitteln, die der Hilfsbedürftige einsetzen muß, ehe die Fürsorge ihm Hilfe gewährt, sein gesamtes verwertbares Vermögen, sein gesamtes Einkommen usw. usw. zu rechnen sind. Zwar sind in § 8 a einige Ausnahmen gemacht worden,
Ausnahmen, über deren Berechtigung man sehr verschiedener Meinung sein kann. Sie haben sie begründet mit der Notwendigkeit der Schaffung einer individuellen Hilfe und damit, daß man einzelne Personen nach ihrer persönlichen Lage und ihren persönlichen Verhältnissen gesondert behandeln müsse; man müsse also eine ausgesprochen individuelle Fürsorge einrichten, bei der Personen, die noch Einkommen oder Rentenbezüge aus anderen Quellen hätten, eine Besserstellung erfahren sollten. Das ist doch in der Praxis nichts anderes als die Rückkehr zu der sogenannten gehobenen Fürsorge.
Was wollen Sie? Sie gehen nicht an das Problem der Sicherung einer ausreichenden Wohlfahrtsfürsorge für die Masse der Wohlfahrtsunterstützungsberechtigten heran. Diese Sätze lassen Sie bestehen, alle Unklarheiten bleiben bestehen. Was ist „Existenzminimum"? Das lassen Sie alles offen, alles bleibt bei der alten Regelung. Nur heben Sie einen gewissen Personenkreis über dieses Minimum hinaus. Uns kommt es in der Hauptsache darauf an, die Masse der Wohlfahrtsunterstützungsempfänger auf einen höheren Stand zu bringen, als sie ihn heute in den Gemeinden und Kreisen, in den Bezirksfürsorgeverbänden hat. An diesem Problem drücken Sie sich vorbei. Sie nehmen also eine Aufspaltung des Kreises der Fürsorgeberechtigten vor, eine Aufspaltung, die gleichzeitig eine Diskriminierung derjenigen Personen ist, die ausschließlich auf Wohlfahrtsunterstützung angewiesen sind. Darin dokumentiert sich nichts anderes als das, was man früher einmal „Armenpflege" nannte, ein Wort, das Sie heute ja vermeiden. Also noch einmal: nicht die Masse wird gehoben, sondern Sie heben aus der Masse der Notleidenden einen bestimmten Personenkreis minimal heraus.
— Ach so, „besonders Notleidende"! Sehr verehrte Frau Berichterstatterin, wollen Sie mir denn sagen, daß die Wohlfahrtsrichtsätze zur Bestreitung des Lebensunterhalts der besonders Notleidenden ausreichen? Das wagen Sie doch draußen in der Gemeinde nicht einmal selber zu sagen! Streiten wir also doch nicht um solche Dinge! Seien wir uns einig, daß die Wohlfahrtsleistungen in ihrer derzeitigen Höhe unverantwortliche Hungersätze sind. Darüber gibt es draußen doch keine Meinungsverschiedenheit. Das sagen Sie und Ihre Freunde in den Stadtvertretungen doch auch. Da berufen Sie sich auf den großen Bruder Arnold in Düsseldorf oder auf den großen Bruder Schäffer oder Lehr in Bonn.
Aber zur Sache zurück! Sie schaffen doch eine Aufspaltung und eine Diskriminierung der Personen, die nur auf die Wohlfahrtsunterstützung angewiesen sind. Wir sind der Auffassung — ich habe das bereits gesagt —, daß Rentenempfänger Kriegsopfer, Invaliden, Unfallbeschädigte eine derartige Rente haben sollten, daß sie unter keinen Umständen auf Wohlfahrtsunterstützung angewiesen sind.
— Ja, das sagen Sie! Aber noch gestern haben Sie sich bezeichnenderweise dagegen gewehrt, daß die SPD einen alten Antrag auf Erhöhung der Grundrenten bei den Invaliden um 15, 12 und 6 Mark wieder aufgegriffen hat! Gestern waren Sie dagegen, heute sagen Sie: „Natürlich, die Renten sind zu niedrig!" Was ist das für eine — Verzeihung! — eigenartige Spaltung in Ihrer Auffassung von den Dingen? Ich will nicht von Doppelzüngigkeit reden; ich habe es mit einer Dame zu tun, da bin ich etwas vorsichtig.
Aber nun zur Sache selbst! Was heißt denn „eigene Mittel", die eingesetzt werden sollen? Wie ist es denn unten in den Gemeinden? Fragen wir doch einmal die Menschen, die in der praktischen Wohlfahrtspflege in den Gemeinden stehen! Wie ist es denn da? Jeder errechenbare Pfennig wird von den Bezirksfürsorgeverbänden in Ansatz gebracht. Und nun machen Sie diese Formulierung: „ehe ihm die Fürsorge Hilfe gewährt, sind sein gesamtes verwertbares Vermögen" usw. Warum schaffen Sie nicht eine ganz klare Lösung des Problems in der Form, daß Sie schon in den Paragraphen vor § 8 a eine Bestimmung etwa des Inhalts einfügen, wie wir ihn mit unserem Änderungsantrag vorschlagen? Nach unserer Auffassung soll § 8 Abs. 1 folgenden Nachsatz haben. An der Stelle, wo von „Unterhalts- oder Rentenansprüchen öffentlicher oder privater Art" die Rede ist, soll hinzugefügt werden: „soweit dieses verwertbare Vermögen und Einkommen den doppelten örtlichen Wohlfahrtsrichtsatz für den Hilfsbedürftigen und seine
Familienmitglieder übersteigt". Wir wollen damit erreichen, daß nicht nur die in § 8 a genannten Fälle für die Nichtanrechnung von vornherein gelten, sondern daß Sie unseren Vorbehalt einschalten. Schalten Sie den ein, dann kommen Sie nämlich an dem § 8 a vorbei. Dann braucht man für die Kriegsopfer und für die Unfallrentner, für die Altsparer usw. usw. keine Sonderregelung mehr zu machen. Wenn diese Bestimmung in § 8 hineinkommt, ist § 8 a vollkommen überflüssig. Sie nehmen damit diesem Gesetz den bösen Geruch, daß es zwei Gruppen von Fürsorgeberechtigten gibt. Wir bitten Sie, auch diesem unserem Antrag stattzugeben.
Wie richtig Sie unseren Gedankengang im Prinzip finden, wird ja besonders deutlich, wenn man sich die letzten Worte des Abs. 2 des § 8 a ansieht. Da steht nämlich, daß dieses Einkommen nicht angerechnet werden darf, um zu verhüten, daß die Hilfsbedürftigkeit zur „dauernden" wird. Wenn Sie aber vorn sagen, jedes Einkommen sei anzurechnen, dann machen Sie doch den kleinen Sparern — nehmen wir mal einen Krupp-Pensionär heraus, der sich, sagen wir, 4000 Mark gespart hat — zur Verpflichtung, diesen Betrag in der Zeit, in der er Wohlfahrtsunterstützung bezieht, einzubuttern.
— Ja, mit Ihrer Ausnahme von 500 DM kommen Sie doch an den Bestand, den Sie angeblich sichern wollen, nicht heran.
Ich bin deshalb der Meinung, daß man die Zweiteilung fallenlassen soll, daß man eine klare Bestimmung dafür schaffen soll, was anrechenbar ist, und daß man ganz klar und prägnant den Bezirksfürsorgeverbänden sagt: Nur das, was darüber hinausgeht, dürft ihr anrechnen. Dann kommen wir
nämlich unten zu einer klaren Praxis in den Bezirksfürsorgeverbänden; dann schaffen wir auch einen Rechtsanspruch für diese Leistungen, und wir haben, wie gesagt, diese diskriminierende Aufspaltung der Wohlfahrtsunterstützungsempfänger nicht nötig; wir kommen an dem Problem vorbei, und darauf sollte es auch Ihnen ankommen.
Ich erinnere mich nämlich aus der Zeit so nach 1945, da waren es — mindestens bei uns, im Land Nordrhein-Westfalen — prominenteste Fürsorgepolitiker aus der CDU, die ganz offen den Standpunkt vertreten haben, daß die sogenannte „gehobene Fürsorge" in keiner Form mehr in die Gesetzgebung eingefügt werden dürfe, weil damit eine Diskriminierung der Personen erreicht wird, die außer ihrer Wohlfahrtsunterstützung nichts mehr haben, was sie einbuttern oder womit sie leben können. Also ich frage mich: wie kommt innerhalb dieser kurzen Zeit bei Ihnen der Gesinnungswandel?
— Nein, nein, liebe verehrte Frau Berichterstatterin, Sie wollen eins entschuldigen: Sie wollen die erbärmlich geringen Kriegsopfer-, Unfall- und Invalidenrenten in der Form entschuldigen, daß Sie a) zugeben: sie sind so gering, daß die Wohlfahrtsämter Zusätze bezahlen müssen, und b) sagen, daß ein Minimum dieser Renten wenigstens freibleiben soll. Das ist Ihre Absicht. Also eine schöne Geste, die an dem tatsächlichen Einkommen der Rentner, der Kriegsopfer, der Invaliden- und Unfallbeschädigten nichts ändert. Außerdem hat — lassen Sie mich das sagen — unser Antrag, ein echtes Blindengeld durch Gesetz einzuführen, den Sie durch diese
Regelung als erledigt angesprochen haben, durch diese Fassung, die Sie dem Gesetz gegeben haben, keine Erledigung erfahren.
— Sehr richtig! Ich meine nicht Sie persönlich! Ich bin bereit, die CDU als eine Einheit anzuerkennen, als eine Einheit gegen die Armen in dem Fall.
Das anzuerkennen, bin ich sehr gern bereit.
Also wir bitten Sie, diesem unserem grundsätzlichen Antrag zuzustimmen, wenn Sie die Folgen vermeiden wollen, die zu vermeiden nach 1945 bis in die Periode 1949 hinein Sie sich selber geschworen haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kommen wir zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag. Ich habe noch über den Änderungsantrag abstimmen zu lassen, der vorher begründet worden ist, wonach Art. I b Ziffer 3 zu streichen ist. Außerdem über den Änderungsantrag zu Art. II § 8 Abs. 1, der folgenden Nachsatz erhalten soll:
. soweit dieses verwertbare Vermögen und Einkommen den doppelten örtlichen Wohlfahrtsrichtsatz für den Hilfsbedürftigen und seine Familienmitglieder übersteigt.
In § 8 a Abs. 1 soll hinter „wirtschaftliche Existenz" eingefügt werden: „oder zur Schaffung eines gesicherten Lebensabends". Wer für die Annahme dieses Änderungsantrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Die ablehnenden Stimmen waren die Mehrheit.
Ich lasse abstimmen über Art. I b, Art. II und Art. III. Zu Art. III sind keine Anträge angekündigt. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Zu Art. IV ist ein Änderungsantrag, Umdruck Nr. 956 Ziffer 1, angekündigt. Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Döhring
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Sicherlich ist es allseits und insbesondere von den Blinden selbst sehr dankbar zu begrüßen, daß im Ausschuß für öffentliche Fürsorge in erfreulicher Übereinstimmung die Pflegezulage für Zivilblinde in Höhe des Zweifachen des für sie maßgebenden Richtsatzes beschlossen wurde. Auch ist in § 11 f Abs. 5 des vorliegenden Gesetzes vorgesehen, daß bei Blinden ein Drittel ihres Erwerbseinkommens nicht angerechnet wird. Wir sind aber der Überzeugung, daß dieses Drittel nicht ausreichend ist, und ich darf wohl annehmen, daß wir alle diese Überlegung noch einmal anstellen und gemeinsam für die beantragte Erhöhung der anrechnungsfreien Einkommensgrenze auf 40% stimmen könnten. Damit würden wir nämlich einem etwas größeren Kreis von erwerbstätigen Blinden, als er im Gesetzentwurf erfaßt ist, ebenfalls den Segen eines Pflegegeldes zuteil werden lassen.
Bei unseren Überlegungen sollten wir uns davon leiten lassen, daß Sinn und Zweck eines Pflegegeldes für Blinde doch nur dann einigermaßen erfüllt sind, wenn wenigstens auch jene Zivilblinden etwas bekommen, die tagtäglich eine besondere Tatkraft für die Ausübung ihres Berufes und ihrer
Arbeit aufbringen, jedoch nur die bescheidene Einkommensgrenze von etwa 250, 260 oder 270 DM im Monat erreichen können. Diese Blinden würden nämlich nach der vorliegenden Regelung, wenn es sich um Alleinstehende handelt und wenn man einen Durchschnittsrichtsatz von 50 DM monatlich zugrunde legt, nichts oder so gut wie nichts erhalten, weil bei dieser genannten Einkommensgrenze der vorgesehene Pflegegeldsatz ausläuft. Sicherlich sind wir alle in diesem Hohen Hause uns darüber einig, daß wir gerade bei den in Arbeit stehenden Blinden den Arbeitswillen nicht etwa schmälern dürfen, indem wir den anrechnungsfreien Betrag zu niedrig ansetzen; vielmehr sollten wir, glaube ich, alles tun, um einen möglichst großen Kreis der Blinden in Leben und Beruf etwas wettbewerbsfähiger zu machen. Das ist gerade für einen blinden Menschen für seine Lebensführung von ungeheurer Bedeutung.
Von diesen Erwägungen haben sich seither schon einige Länder ganz richtig leiten lassen, in denen Blindenpflegegeld gewährt wird und in denen entweder überhaupt keine Einkommensgrenze oder bisher schon eine anrechnungsfreie Grenze von 400/o vorgesehen ist. Diese Gegebenheiten sollten auch uns zu der Entscheidung kommen lassen, in dem vorliegenden Gesetz die Höhe des anrechnungsfreien Erwerbseinkommens eines Blinden anstatt auf 33 1/3% auf 40% festzusetzen.
Ich bitte Sie, meine Herren und Damen, im Namen meiner Fraktion, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Abgeordnete Junglas.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist der Meinung, daß mit den vorliegenden weitgehenden Bestimmungen die Grenze dessen erreicht ist, was man grundsätzlich fürsorgerechtlich noch verantworten kann. Der vorliegende Antrag allerdings trifft den Grundsatz nicht. Hier handelt es sich lediglich darum, eine Gruppe von Menschen, die vom Schicksal besonders hart betroffen sind, in ihrer Arbeitsfreudigkeit zu stärken. Das ist ein alter Wunsch der Blindenverbände, und ich glaube, wenn wir im Ausschuß diesen Antrag, so wie er jetzt hier vorliegt, schon einmal besprochen hätten, dann wären wir wahrscheinlich gar nicht dazu gekommen, uns heute über diese Frage zu unterhalten. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß wir im Interesse der Blinden, die wirklich nur ein unverhältnismäßig geringes Einkommen haben, sofern sie in Heimarbeit beschäftigt sind, und deren Einkommen, soweit sie in der übrigen Industrie und im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, auch nicht überwältigend ist, dem Antrag bedenkenlos zustimmen können. Meine Fraktion wird sich diesem Antrag anschließen, und ich nehme an, daß alle Mitglieder dieses Hauses ihm zustimmen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sprecher der CDU hat soeben gesagt, daß das, was in diesem Paragraphen enthalten ist, das höchste dessen ist, was —
-- ach so, dann wird Ihre Bemerkung noch .schlimmer! — was fürsorgerechtlich verantwortbar ist. Das haben Sie wohl gesagt: fürsorgerechtlich verantwortbar ist. Sie haben weiter gesagt, daß das, was hier in dem speziellen Paragraphen steht, dem Wunsch der Blindenverbände entspreche. Das ist nicht richtig.
— Nein, das ist nicht richtig. Den Wunsch der Blindenverbände, den sie auf ihrer großen Tagung hier in Bonn vor mehr als Jahresfrist zum Ausdruck gebracht haben, haben wir mit unserem Antrag realisieren wollen. Wir haben in unserem Antrag das gefordert, was die Organisation der Blinden verlangt hat, und diesen Antrag der Blindenorganisation also erklären Sie als durch dieses Gesetz erledigt.
— Ich stelle nur Tatsachen fest. Sie erklären ihn als erledigt, aber wir nehmen Ihre Erklärung nicht unwidersprochen hin, daß das, was hier drin steht, dem entspreche, was die Blindenorganisation gefordert hat; das ist einfach nicht richtig. Die Blindenverbände haben etwas ganz anderes gewollt: das, was wir in unserem Antrag gesagt haben, den Sie abgelehnt haben.
Nun zu dem Antrag der SPD! Ich glaubte dem Bericht entnehmen zu dürfen, im Ausschuß sei der Standpunkt vertreten worden, daß die Grundbeträge der Renten bei den Kriegsopfern usw. usw. außer Ansatz bleiben sollten. Wenn man diesen Antrag auf seine Bedeutung hin untersucht, dann muß man sich doch darüber klarwerden, unter welchen besonders schwierigen Bedingungen die Blinden im Berufsleben arbeiten müssen, und man muß sich doch darüber klarwerden, welchen Lohn sie auf Grund der geleisteten Arbeit bekommen. Wir haben heute an einem späteren Punkt der Tagesordnung Veranlassung, uns mit dem Problem der Schwerbeschädigtenfürsorge -Arbeitsstätten zu beschäftigen. Wer die Einrichtungen kennt, weiß, daß dort zwar zum Teil sogar Tarifsätze gezahlt werden, daß die Tarifsätze aber das Minimum dessen bedeuten, was überhaupt tariflich geregelt ist. Jeder weiß, daß diese Blinden die Arbeit unter Einsatz des Letzten leisten, was ihnen noch an körperlicher und geistiger Kraft verblieben ist. Wenn e i n Personenkreis Anspruch darauf hat, daß die minimalen Beträge, die seine Angehörigen unter Einsatz des Letzten, worüber sie noch verfügen, überhaupt noch erzielen können, bei der Errechnung der Wohlfahrtsunterstützung frei bleiben, dann ist es der Kreis der blinden Menschen. Wir sind deshalb der Auffassung, daß es richtiger wäre, in diesen Paragraphen hineinzuarbeiten, daß Arbeitseinkommen von Kriegsblinden bei der Errechnung der Wohlfahrtsunterstützung voll und ganz außer Ansatz bleiben soll. Da Sie das aber wahrscheinlich nicht zu tun gedenken, sind wir notgedrungen gezwungen, dem sozialdemokratischen Verbesserungsantrag unsere Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden dem Antrag der SPD zu Art. IV § 11 f unsere Zustimmung geben. Eine Begründung erübrigt sich nach dem, was die Vorredner gesagt haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich lasse abstimmen. Wer für den Änderungsantrag Umdruck Nr. 956 Ziffer 1 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich lasse nunmehr abstimmen über Art. IV. Wer Art. IV in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung annehmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Art. IV a. — Das Wort zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck Nr. 956 Ziffer 2 hat der Abgeordnete Striebeck.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der von mir im Namen der SPD-Fraktion zu begründende Antrag, der Ihnen auf Umdruck Nr. 956 unter Ziffer 2 vorliegt, bezieht sich auf den Art. IV a der Ausschußvorlage. Im ersten Absatz unseres Antrags handelt es sich nur um eine redaktionelle Änderung und Ergänzung, die vorgenommen werden muß, falls die weiteren Absätze, wie wir hoffen, die Zustimmung des Hauses finden.
Was nun in unserem Antrag den Abs. 4 betrifft, so wünschen wir die Anerkennung eines Mehrbedarfs auch bei Unfallverletzten, wenn sie in die Lage kommen sollten, Fürsorgeunterstützung beziehen zu müssen. Und zwar soll dieser Mehrbedarf als Ausgleich für die Folgen des Unfalls in Höhe derjenigen Grundrente anerkannt werden, die zu gewähren wäre, wenn wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit ein Anspruch auf Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz bestehen würde. Dabei soll der Mindestbetrag des Mehrbedarfs für Unfallverletzte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % 10 DM monatlich betragen. Falls sich allerdings aus § 11 b Abs. 1 dieses Gesetzes ein höherer Mehrbedarf ergeben sollte, so soll natürlich dieser höhere Mehrbedarf anerkannt werden.
Ich möchte zur Begründung dieses Antrags zunächst auf die Tatsache hinweisen, daß der Unfallbeschädigte wie der Kriegsbeschädigte vielfach benachteiligt ist, und zwar dadurch, daß er in den meisten Fällen nicht mehr an seinem alten Arbeitsplatz schaffen kann, sondern eine Arbeit verrichten muß, für die weniger Lohn gezahlt wird. Die Folge des Unfalls ist auch, daß er anfälliger für andere Krankheiten ist und deshalb mehr krank feiern muß, als es sonst der Fall ist. Natürlich bekommt er in solchen Fällen auch weniger Krankengeld, weil dieses ja nach dem Verdienst berechnet wird. Denselben finanziellen Nachteil hat der Unfallverletzte, wenn er das Pech hat, erwerbslos zu werden.
Es ist noch darauf hinzuweisen, daß die Unfallverletzten wie die Kriegsbeschädigten, die in der Industrie schaffen, in ihrer Aufstiegsmöglichkeit gehindert und somit gegenüber den gesunden Menschen im Nachteil sind. Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, daß es nicht richtig, sondern im höchsten Maße unsozial ist, wenn man dem Unfallverletzten, falls er Fürsorgeunterstützung bezieht, nun auch noch hier die volle Rente in Anrechnung bringt und ihn so auf den reinen Fürsorgesatz herabdrückt.
Wenn uns entgegengehalten werden sollte, daß es sich hier ja um ein Fürsorgegesetz handelt und daß in der Fürsorge jedes Einkommen angerechnet werden muß, so ist dazu zu sagen, daß das im Grundsatz tatsächlich auch in § 8 dieser Vorlage festgelegt ist. Ich darf aber darauf hinweisen, daß in Art. IV a dieser Vorlage schon eine Ausnahme zugelassen ist, und zwar für die Grundrente der Kriegsbeschädigten. Und damit nun keine falschen Berichte in die Welt gesetzt werden können, möchte ich hier ausdrücklich betonen, daß wir diese Ausnahme, also die Besserstellung der Kriegsbeschädigten, wollen. Wir sind ja im Ausschuß besonders stark dafür eingetreten, daß bei Kriegsbeschädigten ein Mehrbedarf in Höhe der vollen Grundrente anerkannt werden soll. Aber wir sind darüber hinaus der Meinung, daß man in diesem Gesetz bezüglich des Mehrbedarfs die Unfallverletzten den Kriegsbeschädigten gleichstellen muß. Gegen diese Gleichstellung haben auch die Kriegsbeschädigten nichts einzuwenden. Im Gegenteil, der Reichsbund der Kriegs- und Zivilbeschädigten hat in seinen Änderungsvorschlägen, die er dem Ausschuß unterbreitet hat, ausdrücklich auch für die Unfallverletzten einen Mehrbedarf in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz gefordert.
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß auch der Bundesrat einen entsprechenden Antrag gestellt hat, weil nach seiner Meinung wegen der gleichen Merkmale der Schädigung eine Gleichstellung von Kriegsbeschädigten und Unfallverletzten in diesem Gesetz gerechtfertigt ist. Schließlich hat sich ja auch der Deutsche Gewerkschaftsbund in seinen Vorschlägen für einen Mehrbedarf der Unfallverletzten auf der Basis der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz eingesetzt. Sie sehen also, daß sich nicht nur große Verbände, sondern auch die Vertreter der Länder für die Unfallverletzten im Sinne unseres Antrags ausgesprochen haben. Ich bin der Meinung, daß der schaffende Mensch, der gegenüber der Allgemeinheit seine Pflicht tut, ein Recht darauf hat, durch die Gemeinschaft vor der äußersten Not geschützt zu werden. Das sollte erst recht der Fall sein, wenn sich dieser Mensch bei seiner Pflichterfüllung noch einen Unfall zugezogen hat.
In bezug auf den letzten Absatz unseres Änderungsantrags gilt zunächst als Begründung auch alles das, was ich vorhin zu den Unfallverletzten gesagt habe. Wir fordern für die Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die sich durch Verfolgung eine Gesundheitsschädigung zugezogen haben, für die eine Rente bezogen wird, ebenfalls einen Mehrbedarf in Höhe des Betrages, der in der Kriegsopferversorgung bei gleicher Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente gewährt werden würde. In vielen Gesetzen, die als Kriegsfolgegesetze bezeichnet werden müssen, ist festgelegt, daß Verfolgte des Naziregimes besonders berücksichtigt werden sollen. Leider bleiben ja die dort gemachten Versprechungen sehr oft in der Theorie stecken. Dennoch bin ich der Meinung, daß man in diesem Gesetz, das uns heute vorliegt, nicht an den berechtigten Wünschen der Verfolgten vorbeigehen kann. Es wäre meines Erachtens auch vom politischen Standpunkt aus untragbar, wollte man die Rente, die ein Verfolgter als Gesundheitsgeschädigter bezieht, auf die Fürsorgeunterstützung anrechnen und die Verfolgten damit schlechter stellen als
andere Gruppen, die in dem vorliegenden Gesetz besonders berücksichtigt werden. Ich glaube, das hat auch der Vermittlungsausschuß erkannt, der deshalb ja bei dem Gesetz über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge die Renten der Opfer des Nationalsozialismus von der Anrechnung ausnimmt. Wir haben ja gestern die Vorlage des Vermittlungsausschusses angenommen.
Was aber dort für notwendig gehalten wird, ist im Fürsorgegesetz erst recht zu fordern und am Platze. Wir wissen aus den Kommunen, daß der gestellte Antrag bei den Fürsorgeverbänden finanziell kaum zu Buche schlägt, weil aus dem kleinen Kreis derjenigen, die als Verfolgte des Naziregimes eine Rente beziehen, nur wenige von der Fürsorge betreut werden. Aber diese wenigen erwarten und dürfen auch von uns erwarten, daß sie durch die Gesetzgebung vor dem Schlimmsten bewahrt werden.
Ich darf Sie deshalb im Namen meiner Fraktion bitten, dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 956 Ziffer 2 Ihre Zustimmung zu geben. Den Herrn Präsidenten wollte ich noch bitten, über die in Ziffer 2 unseres Antrages vorgeschlagenen Absätze 4 und 5 getrennt abstimmen zu lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Junglas.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht in der Lage, für meine Fraktion zu erklären, daß wir diesem Änderungsantrag zustimmen können. Dafür gibt es eine ganze Menge Gründe, und ich bin verpflichtet, diese Gründe hier aufzuführen.
Ich habe vorhin hier schon gesagt: bei der Abfassung der jetzigen Änderungen des Gesetzes sind wir so weit gegangen, daß die Grenzen dessen, was man noch als Fürsorgerecht bezeichnen kann, knapp eingehalten worden sind.
— Herr Kollege Renner, mit Ihnen möchte ich mich über diese Dinge nicht unterhalten.
Auf der anderen Seite müssen wir aber wohl die Feststellung treffen, daß wir hier über eine echte Fürsorgemaßnahme sprechen, die man scharf von einem etwaigen Versorgungsgesetz trennen muß. Der Herr Kollege Renner hat eingangs seiner ersten Begründung gesagt, es gebe für den Kreis der Hilfsbedürftigen keine Vertretung. Damit hat er fast angedeutet — ich habe es auch so verstanden —, daß das ein besonderer Stand, sozusagen eine Existenz sei, mit der sich viele Menschen ihr Leben lang abfinden müssen. Wir müssen sagen, daß der Zustand der Fürsorgeunterstützung und überhaupt die Fürsorge nur vorübergehend sein soll und sein darf. Wenn jemand ohne sein Verschulden in eine Hilfsbedürftigkeit kommt, muß diese durch die Öffentlichkeit überwunden werden. Insofern liegen die sonstigen Bestimmungen, die Anwendung finden könnten — beispielsweise die vorhin genannte Zustimmung des Vermittlungsausschusses zur Nichtanrechnung der Renten der Opfer des Faschismus bei der Arbeitslosenversicherung — auf einer ganz anderen Ebene. Der Versicherungsanspruch ist etwas anderes als der fürsorgerechtliche Anspruch. Diese Dinge müssen scharf auseinandergehalten werden. Das ist auch — das muß ich zugeben -- im Ausschuß fortgesetzt und gut gemacht worden.
Wenn wir in zwei Fällen von diesem Prinzip abgewichen sind — einmal bei den Kriegsbeschädigten, zum andern bei den Blinden —, so hat das seinen guten Grund. Die Nichtanrechnung der Grundrente der Kriegsbeschädigten hat im Bundesversorgungsgesetz ein gutes Fundament. Da ist in echter Weise die Rede von einer Grundrente und von der Anerkennung eines körperlichen Schadens. Ich glaube nicht, daß man ernsthaft darüber nachzudenken braucht, um diese Bestimmung anerkennen zu können. Es wird auch niemand beanstanden, daß man den Blinden ein Pflegegeld gewährt hat, um ihnen hinsichtlich ihres Einkommens etwas Besonderes zu tun. Wir haben aber — und darauf möchte ich besonders aufmerksam machen — in § 11 b für alle die Personen, die hier genannt sind — Unfallbeschädigte, Opfer des Faschismus, Invalidenrentenempfänger, Menschen, die schwerbeschädigt, erwerbsunfähig oder alt sind —, schon einen 20% igen Zuschlag als Mehrbedarf festgelegt. Dadurch können die echten Schwierigkeiten, von denen mein sehr geehrter Kollege hier gesprochen hat, gar nicht auftreten. Wenn der körperliche Schaden oder die wirtschaftliche Notlage so ist, wie er sie dargestellt hat, dann tritt der § 11 b mit seiner 20% igen Mehrbedarfsklausel in die Bresche. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß, wenn wir über die eben genannten Personenkreise — Kriegsbeschädigte und Blinde — hinaus Zugeständnisse besonderer Art machen, eine Schleuse öffnen, deren Wirkung und Ende nicht abzusehen ist.
Bei all dem, was das vorliegende Gesetz an Verbesserungen bringt, besteht Veranlassung, festzustellen, daß etwas Besonderes getan worden ist. Man soll aber die Grenzen des Möglichen sehen. Wir wissen genau, daß den Bezirksfürsorgeverbänden nach den jetzt im Gesetzentwurf festgelegten Bedingungen mehr Anspruchsberechtigte zuwachsen werden. Wir werden abzuwarten haben, in welchem Umfang dieser Zuwachs eintritt. Wir beschließen bei diesem Gesetz nicht über unser eigenes Geld oder über Bundesgeld, sondern über Mittel der Kreise und Städte: der Bezirksfürsorgeverbände.
Aus all diesen Gründen wird es nicht möglich sein, diesen zu Art. IV a beantragten Absätzen 4 und 5 zuzustimmen. Ich muß für uns erklären, daß wir sie ablehnen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Vertreters der CDU geben mir Veranlassung, noch einige Worte zu sprechen. Er hat hier erklärt, daß eine Vertretung der fürsorgeberechtigten Personen nicht zu schaffen sei. Damit hat er dasselbe gesagt, was ich schon zum Ausdruck gebracht habe. Ich habe nämlich erklärt, daß es eine Organisation der Fürsorge-, der Wohlfahrtsunterstützungsempfänger nicht gibt. Aber ich frage Sie: Wenn es sie nicht gibt, warum schreiben Sie dann in den § 3 a hinein, daß bei der Festsetzung der Wohlfahrtsrichtsätze die Fürsorgeberechtigten selber mitbestimmen sollen? Das ist dann doch weniger als weiße Salbe! Es gibt --
dank der erbärmlichen Renten — Kriegsopfer, Invaliden, Unfallbeschädigte,
die zusätzliche Wohlfahrtsunterstützungen notwendig haben. Dafür ist aber nur die jämmerliche Rente verantwortlich, die Sie ihnen bewilligen. Daß das ein nicht wünschenswerter Zustand ist, haben Sie heute wenigstens deklamatorisch selber hier in diesem Kreis zum Ausdruck gebracht. Nur diese sind organisiert. Also, entweder Sie streichen diese nichtssagende Bestimmung und schaffen damit Platz für die Realität unten in den Bezirksfürsorgeverbänden, oder Sie müssen sich darüber klarwerden, wie Sie diesen § 3 a realisieren wollen. Man kann ihn, wenn man den Buchstaben des Gesetzes erfüllen will, meines Erachtens nur in der Form in die Wirklichkeit umsetzen — ich sage das, obgleich ich selber erklärt habe, daß es sich um einen ständig fluktuierenden Personenkreis handelt —, daß man diesen Personen ein Recht gibt, durch Wahl von Vertretern diese Aufgabe zu erfüllen. Man kann das z. B. in der Weise tun, daß man echte Beiräte bei den Bezirksfürsorgeverbänden schafft, daß man echte Vertreter der fürsorgeberechtigten Personenkreise in die Wohlfahrtsausschüsse hinein wählt, und zwar mit Mitbestimmungsrecht, nicht — wie nach unseren heutigen Gemeindeordnungen — bestenfalls mit beratender Stimme.
Es gäbe somit Möglichkeiten, wenn Sie die Bestimmung realisieren wollten; aber sie deklarieren ja selber, daß Sie gar nicht daran denken und auch gar keine Möglichkeit zu einer Verwirklichung sehen. Uns kommt es darauf an, daß die Fürsorgeempfänger durch Personen, die von ihnen selber bestimmt werden, auf die Höhe der Wohlfahrtsrichtsätze und auf die Leistungen individueller Art einen direkten Einfluß nehmen können. Wir wollen also die Mitbestimmung der Betreuten in den Bezirksfürsorgeverbänden in der oder jener Form. Über die Form kann man sich noch klarwerden; darüber kann man verhandeln.
Nun eine zweite Feststellung. Welche Differenz besteht zwischen der Grundrente des Kriegsbeschädigten und der eines Beziehers von Rente aus der Versorgung der Opfer des Nationalsozialismus? Die Renten für die Opfer des Nationalsozialismus werden nach denselben Maximen wie die Renten nach der Unfallversicherungsgesetzgebung gewährt.
— Wenn Sie dazu den Kopf schütteln, muß ich darauf hinweisen, daß in den meisten Gesetzen ausdrücklich bestimmt ist, daß sich die Durchführung nach den Durchführungsbestimmungen der Unfallversicherungsgesetzgebung regelt. Wenn Sie das nicht wissen, dann ist das nicht meine Schuld. Aber ich weiß es. Ich kann es sogar auf den Beamteneid nehmen; denn an der Schaffung des Gesetzes in Nordrhein-Westfalen war ich zufällig höchstpersönlich beteiligt. Reden wir also nicht über Dinge, die wir mit Reden nicht aus der Welt schaffen können!
Die Rentenansprüche nach den Ländergesetzen für die Opfer des Faschismus sind zudem noch sehr viel schwerer durchzusetzen. Da gibt es noch sehr viel größere Rentenraubmöglichkeiten für die Behörden, weil dieser Personenkreis in den seltensten Fällen in der Lage ist, den Zusammenhang
seiner Erwerbsminderung mit der erlittenen Beschädigung in der Zeit der Inhaftierung im Zuchthaus oder im KZ zu beweisen. Man muß sich doch einmal die Spruchkammerpraxis und die Praxis bei den Verwaltungsbehörden, die dafür zuständig sind, ansehen.
Also die Rente beruht auf derselben Basis. Mit Recht hat Sie der Sprecher der SPD darauf hingewiesen, daß wir ja gestern im Prinzip bei einer anderen Gelegenheit anerkannt haben, daß die Rente des Opfers des faschistischen Terrors in der Höhe der Grundrente bei der Bemessung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nicht in Anrechnung gebracht werden darf. Wenn Sie gestern dazu ja gesagt haben, dann frage ich mich verzweifelt: warum sagen Sie dann heute nein? Warum? — Weil der Begriff „Opfer des nationalsozialistischen Terrors" für Sie langsam zu einem verpönten Begriff wird! Darum sagen Sie nein.
Aber nun eine absolut notwendige Richtigstellung. Wieso, so frage ich Sie — Sie tun doch so, als seien Sie Fachmann —, können Sie hier behaupten, daß wir hier über Mittel der Gemeinden und der Kreisverbände beschließen, wenn wir dem Antrag der SPD stattgeben? Diese Fürsorgeleistungen trägt zu 85% das Land; denn es sind Kriegsfolgeschäden. Das dürfte Ihnen bekannt sein. Also kommen Sie nicht mit der an der Wahrheit vorbeigehenden Formulierung, wir beschlössen mit einer Bejahung des sozialdemokratischen Antrags über Mittel der Gemeinden! Das ist einfach nicht wahr. Wir beschließen bestenfalls über Mittel des Landes und des Bundes, der ja an den Kriegsfolgelasten auch anteilig beteiligt ist.
— Aber warum stellen Sie denn solche Behauptungen auf? Ich habe recht, wenn ich sage: damit greifen wir nicht ein in die Finanzen der Gemeinden.
—Nein! Schlimmstenfalls zu 15 % greifen wir ein, und die 85 % tragen Land und Bund als Kriegsfolgelasten. Wenn Sie das nicht wissen, dann liegt das an Ihnen. Dann fragen Sie die Fachleute! Man soll nicht zu Dingen Stellung nehmen, von denen man nichts versteht.
— Ja, ich merke an Ihrer Haltung zu den Dingen, wie sehr Sie Fachmann sind!
Nun noch ein letztes Wort. Wir sind der Auffassung, daß das, was in dem sozialdemokratischen Antrag gefordert wird, das Minimum dessen ist, was realisiert werden sollte. Und wir bitten wirklich — da das Forderungen der Organisationen sind, z. B. des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten und der Gewerkschaften, aber auch der Organisationen der Opfer des nationalsozialistischen Terrors —, daß man diesem sozialdemokratischen Antrag seine Zustimmung gibt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen. Es ist der Antrag gestellt, über Abs. 4 und Abs. 5 getrennt abzustimmen. Wer für die Annahme des Änderungsantrages Umdruck Nr. 956 Ziffer 2 Abs. 4 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich lasse abstimmen über Abs. 5 desselben Antrags. Wer für die Annahme dieses Abs. 5 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Mit derselben Mehrheit angenommen.
Ich lasse nunmehr über die ganze Ziffer 2 vom
Umdruck Nr. 956 abstimmen. Wer für die Annahme
ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
Wer für die Annahme der ganzen Ziffer 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Mit derselben Mehrheit angenommen.
Damit ist Art. IV a in neuer Fassung beschlossen.
Ich lasse abstimmnen über Art. V, — VI, — VII, — Einleitung und Überschrift. — Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; die Bestimmungen sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Ich bitte um Wortmeldungen. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelaussprache. Anträge sind nicht angekündigt. Ich rufe auf Art. I , -Art. I, — I a, — I b, — II, — III, — IV, — IV a, — V, — VI, — VII, — Einleitung und Überschrift, jeweils in der Fassung, die in der zweiten Beratung beschlossen worden ist. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Damit ist Punkt 10 der Tagesordnung erledigt. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die vorläufige Regelung der Errichtung neuer Apotheken ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens (Nr. 4377 der Drucksachen; Umdruck Nr. 946). (Erste Beratung: 266. Sitzung.)
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Dr. Bärsch, ist der Meinung, daß auf einen mündlichen Bericht verzichtet werden kann. Herr Abgeordneter Dr. Hammer will einen Antrag auf eine redaktionelle Berichtigung stellen. — Das Haus ist einverstanden.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, in § 2 den letzten Satz zu streichen. Das bedeutet nichts anderes als die Einfügung der Berlin-Klausel in der jetzt üblichen Form.
Das Haus ist einverstanden. Herr Dr. Bärsch als vom Ausschuß bestellter Berichterstatter ist einverstanden?
Ich rufe auf zur zweiten Beratung. § 1, — § 2,
— § 3, — Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Die zweite Beratung ist abgeschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Anträge sind nicht gestellt. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor. Einzelaussprache. — Keine Wortmeldungen. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes als Ganzes ist, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. — Gegenprobe!
— Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Meine Damen und Herren, wir haben, wie ich feststelle, von Punkt 10 der Tagesordnung noch die Ziffer 2 des Ausschußantrags — Drucksache Nr. 4371 — zu erledigen. Darin wird beantragt, die Interpellation der Fraktion der SPD betr. Gewährung von Blindengeldern an Zivilblinde und den Antrag der Fraktion der KPD betr. Blindenpflegegeld -Gesetz für erledigt zu erklären. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
— Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Bundesevakuiertengesetzes ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Nr. 4380 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Nadig.
Frau Nadig , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat sich in zwei Sitzungen mit dem Bundesevakuiertengesetz befaßt. Der Sinn dieses Gesetzes ist, der großen Zahl der Menschen, die aus kriegsbedingten Gründen ihren Wohnort verlassen mußten, die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen. Der Ausschuß war sich einig, daß der größte Teil der heute noch Evakuierten in schwierigen und bedrängten Verhältnissen lebt und daß eine positive Regelung dieses Problems nur möglich ist, wenn gleichzeitig für die Erstellung des Wohnraums im Heimatort die notwendigen Mittel bereitgestellt werden.
In § 1 ist der Begriff des Evakuierten festgelegt. Evakuierte sind Personen, die in der Zeit vom 26. August 1939 bis 7. Mai 1945 ihre Wohnsitzgemeinde aus kriegsbedingten Gründen verlassen mußten. Um den Stichtag entspann sich eine längere Debatte. Der Ausschuß einigte sich auf den Vorschlag der Regierung, Personen, die in der Zeit vom 26. August 1939 bis 7. Mai 1945 ihre Wohnsitzgemeinde aus kriegsbedingten Gründen verlassen haben, als Evakuierte zu bezeichnen. Der Ausschuß hielt es für richtig, die weitere Fassung zu wählen und alle Personen einzubeziehen, die ihren Wohnort aus kriegsbedingten Gründen verlassen haben, nicht: verlassen mußte n. Es erschien zu schwierig, nach Jahren noch in eine Untersuchung der Gründe des Fortgehens einzutreten.
Frau Nadig
Besonderen Wert legte der Ausschuß auf die Feststellung, daß der Abs. 1 des § 1 auf den zur Haushaltsgemeinschaft des Evakuierten gehörenden Personenkreis angewendet wird, im besonderen auf den angeheirateten Ehegatten, wie auch auf die evakuierte Witwe mit Familie.
Einstimmig war man der Meinung, daß der Personenkreis, der durch § 1 nicht erfaßt wird, also die Evakuierungen, die außerhalb der Frist in § 1 vorgenommen wurden, durch Rechtsverordnung der Regierung erfaßt werden muß. Es steht fest, daß noch bis weit in das Jahr 1946 Evakuierungen aus Gründen der sogenannten Seuchengefahr und aus anderen Gründen vorgenommen wurden. Für diesen erweiterten Kreis der Evakuierten schlägt der Ausschuß die Frist vom 26. August 1939 bis zum 31. Dezember 1946 vor. So ist es möglich, auch die Evakuierten von Kehl und Helgoland einzubeziehen.
Der § 6 des Gesetzes hat im Ausschuß zu einer längeren Diskussion darüber geführt, ob erstens dann, wenn der Evakuierte in einem anderen als dem Zufluchtsort arbeitet, dieser Arbeits- oder Dienstort als Ausgangsort anzusehen ist, zweitens ob die Wohnsitzgemeinde eines Familienangehörigen auch als Ausgangsort angesehen werden kann. Beide Fragen wurden vom Ausschuß bejaht, und einstimmig wurde die Neufassung des § 6 beschlossen.
Einig war man sich auch darüber, daß ohne eine Klärung der wohnraummäßigen Unterbringung und ihrer Finanzierung das Gesetz eine reine Deklamation bleiben würde. Die Rückkehr der Evakuierten ist immer an dem Nichtvorhandensein von Wohnraum gescheitert. Die Bereitstellung und Finanzierung von Wohnraum ist das Kernstück des ) ganzen Gesetzes. Der Ausschuß legt Wert darauf, daß diese Frage klar und eindeutig im Gesetz zum Ausdruck kommt. Nach § 9 ist dem Evakuierten ein angemessener Teil des vorhandenen und des neu zu schaffenden Wohnraums zuzuteilen. Bei der Verteilung des Wohnraums, der im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus mit öffentlichen Mitteln erstellt wird, soll die Regierung im Wege einer Rechtsverordnung die Evakuierten in angemessener Weise berücksichtigen. Der Ausschuß war einmütig der Auffassung, daß das Gesetz sich nur dann positiv auswirken kann, wenn es gelingt, die Wohnraumfrage am Ausgangsort der Evakuierten zu regeln. Er bittet die zuständigen Stellen, diese Aufgabe vordringlich zu behandeln.
Die Regelung der Rückführungskosten ist eingehend behandelt worden. Die Regierungsvorlage sah vor, daß das Land, in dem der Evakuierte seinen Wohnsitz hat, die Kosten der Rückführung nur in dem Fall tragen solle, in dem sie dem Evakuierten nicht zugemutet werden könnten. Da es sich bei den Evakuierten fast ausschließlich um sozial schwache Menschen handelt, hält der Ausschuß diese Regelung für untragbar. Einstimmig wurde beschlossen, den Satz „es sei denn, daß die Tragung dieser Kosten dem Evakuierten zugemutet werden kann" zu streichen. Der Ausschuß war der Auffassung, daß der Begriff der Zumutbarkeit sehr schwer zu begrenzen ist und diese Bestimmung in der Praxis zu ganz unterschiedlichen Auslegungen führen würde.
Bei § 11 hat der Ausschuß eine Änderung dahingehend vorgenommen, daß Ärzte, Zahnärzte und Dentisten, die am Ausgangs- oder Zufluchtsort zur Kassenpraxis zugelassen waren, zugelassen bleiben; einer Stellungnahme der Zulassungsausschüsse solle es in diesen Fällen nicht mehr bedürfen.
Man war der Auffassung, daß sich unter den Evakuierten ein großer Prozentsatz Witwen mit Kindern und Jugendlichen befindet. Diesen Jugendlichen soll die Möglichkeit einer Berufsausbildung oder einer Umschulung auf einen geeigneten Beruf durch Bereitstellung von Beihilfen gegeben werden. Der Ausschuß legt Wert auf die Erfüllung dieser Aufgabe. Er nahm den § 16 einstimmig an.
Vom Städtetag war vorgeschlagen worden, die Kriegsfolgenhilfe noch für die Dauer von drei Jahren nach Rückführung der Evakuierten anzuerkennen. Aus systematischen Gründen konnte der Ausschuß eine solche Bestimmung nicht in das Gesetz aufnehmen. Er schlug vor, die Bestimmung in der Durchführungsverordnung zum Überleitungsgesetz vorzusehen. Ebenso sollte in der Durchführungsverordnung geregelt werden, daß die Rückerstattung der Fürsorgekosten für die nicht zurückgekehrten Evakuierten weiterhin als Kriegsfolgenhilfe zu behandeln sei.
Der Ausschuß war der Ansicht, daß das Land Berlin in dieses Gesetz einbezogen werden müsse, daß die Rückführung von Evakuierten nach Berlin aber nur im Benehmen mit dem Berliner Senat erfolgen könne.
Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat alle Beschlüsse zum Evakuiertengesetz nahezu einstimmig gefaßt. Möge das auch für das Hohe Haus ein gutes Omen sein!
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Ich habe zunächst bekanntzugeben, daß die für heute nachmittag angesetzte Sitzung des Ausschusses für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz ausfällt.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Zu den §§ 1 bis 10 sind keine Anträge gestellt.
— § 4? Dann ist das aber neu. Ich bitte um Entschuldigung. Also dann sind zu den §§ 1 bis 3 keine Anträge gestellt. Ich lasse über diese Bestimmungen abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Zu § 4 ist ein Änderungsantrag angekündigt. Wer begründet ihn? Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr von Aretin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Umdruck Nr. 966 bedarf einer technischen Klärung. Es entsteht nämlich der Anschein, als ob nach den Worten „dieses Gesetzes abzugeben" der zweite und dritte Satz in der Fassung der Beschlüsse des 24. Ausschusses gestrichen werden sollten. Das ist nicht unsere Absicht, was ich ausdrücklich festgestellt haben möchte. Es geht uns lediglich darum, mit unserem Antrag eine Ausschlußfrist von sechs Monaten für die Meldungen zu schaffen. Bislang ist die Befristung in dem Gesetz lediglich in § 2 Abs. 1 Nr. 2, und hier nur in Form einer Vollmacht an die Bundesregierung, vorgesehen. Auch dem Bundesrat ist diese Vollmacht zuwenig gewesen. Er hat von sich aus die Sechsmonatsfrist vorgeschlagen.
Die Sechsmonatsfrist ist nach unserer Auffassung deshalb erforderlich, weil bis zur Stunde kein klarer Überblick darüber besteht, wie viele Evakuierte es überhaupt gibt, die von diesem Gesetz Gebrauch machen wollen. Man sagt nun, durch die Schaffung der Sechsmonatsfrist werde ein Anreiz zur Meldung geschaffen. Ich finde das sogar ganz glücklich; denn es muß einen Zeitpunkt geben, in dem der Bundesinnenminister und insbesondere der Bundeswohnungsbauminister und Bundesfinanzminister wissen, ob sie eine halbe Million Evakuierte oder etwa nur 100 000 Evakuierte unterzubringen haben. Die Ermächtigung an die Bundesregierung, im Verordnungswege eine Ausschlußfrist festzusetzen, ist demgegenüber zu schwach.
Man kann auch nicht von einer Benachteiligung der Evakuierten sprechen, wie es gelegentlich bei der Erörterung dieser Ausschlußfrist geschehen ist. Denn wer sich innerhalb von sechs Monaten nicht meldet, hat es sich im wesentlichen selber zuzuschreiben. Man kann die Meldung von Kriegsereignissen nicht sieben Jahre nach Beendigung des Krieges noch hinausschieben, ohne daß wenigstens die Vorbereitungsarbeiten dazu abgeschlossen werden.
Ich möchte also unseren Antrag damit begründen, daß eine feste Grundlage geschaffen werden muß. Man muß wissen, wie viele Personen hierfür in Frage kommen werden, um auch im nächsten Bundestag mit größerer Energie das Problem angehen zu können. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag auf Umdruck Nr. 966 zuzustimmen.
1) Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Meine Herren und Damen! Der Antrag des Herrn von Aretin ist sicher gut gemeint, aber leider bedeutet er dennoch eine Verschlechterung für die Evakuierten. In dem Gesetz ist vorgesehen, daß die Regierung ermächtigt wird, eine solche Ausschlußfrist festzusetzen. Es erscheint uns dringend notwendig, daß zunächst einmal die Registrierung anläuft und daß erst dann, wenn der größte Teil der Registrierung durchgeführt ist, diese Ausschlußfrist festgesetzt wird. Das trägt sowohl der Notwendigkeit, die Registrierung zu befristen, Rechnung, als auch dem Wunsch, dem letzten Evakuierten die Möglichkeit zu geben, von der Registrierung Gebrauch zu machen. Bitte, denken Sie daran, daß es sich vielfach um alte Leute handelt, die längere Zeit brauchen, bis sie sich zu diesem Entschluß durchringen.
Wir bitten Sie also dringend, diesen Änderungsantrag abzulehnen. Den erwähnten Notwendigkeiten ist in § 2 voll Rechnung getragen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Huth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat sich mit dieser Frage sehr eingehend befaßt, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß es hier einer Koordinierung zwischen den Maßnahmen des Bundes und der einzelnen Länder bedarf. Aus diesem Grunde haben wir diese Frage offengelassen. Ich muß im Namen des Ausschusses bitten, den Antrag abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 966. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann über § 4 in der Fassung der Vorlage ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 5, — 6, — 7, — bis 10. Dazu liegen weder Änderungsanträge noch Wortmeldungen vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 11 bis 24, Einleitung und Überschrift und bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Anscheinend einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Dafür ist eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung des Hauses an. Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Meine Damen und Herren! Aus der Berichterstattung ist bereits hervorgegangen, daß es im Ausschuß gelungen ist, die Regierungsvorlage wesentlich zu verbessern. In einer Reihe von einzelnen Paragraphen sind die Maßnahmen gegenüber den Evakuierten großzügiger gestaltet worden. Das gibt uns allen die Möglichkeit, diesem Gesetz zuzustimmen.
Aber, wie das eben meistens ist, es bleiben noch einige Wünsche unerfüllt. Da die ganzen Bestimmungen des Gesetzes, die dem Evakuierten die Gleichberechtigung mit anderen bevorrechtigten Staatsbürgern bringen, erst in Kraft treten, wenn die Rückführung tatsächlich erfolgt ist, hängt ihre Durchführung von der Finanzierung der Rückführung ab. Leider ist es im Ausschuß nicht gelungen, für diese Finanzierung eine endgültige Regelung im Gesetz festzulegen. Das ist verständlich, weil infolge der bisherigen mangelhaften Registrierung kein Zahlenmaterial — wenigstens kein objektives — darüber vorhanden ist, um wie viele Menschen, also auch um wie viele Wohnungen es sich handelt. Wir möchten deshalb jetzt bei der Verabschiedung des Gesetzes ganz deutlich zum Ausdruck bringen, daß wir sehr genau beobachten werden, wie, wann und ob die Regierung die Rechtsverordnungen, die die Wohnraumbeschaffung für rückgeführte Evakuierte sicherstellen, erlassen wird, vor allen Dingen auch, wieweit durch die Finanzierung die Rückführung sowohl von Land zu Land als auch im Land selbst rechtzeitig sichergestellt ist. Es erscheint uns dringend notwendig, daß über die Wohnungsbaumittel hinaus, die bis jetzt für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt worden sind, für die Evakuierten eine zusätzliche Finanzierung erfolgt. Wenn auf Grund der Registrierung genauere Zahlen vorliegen, werden wir auf diese Notwendigkeit entweder in Gestalt eines Antrags oder einer Novelle zurückkommen.
Auch die Frage der Rückführung der alten Leute in Altersheime usw. kann erst ganz geklärt werden, wenn die Finanzierungsmöglichkeiten restlos geklärt sind. Wir möchten nicht den Eindruck ent-
stehen lassen, daß irgend jemand diese Notwendigkeit vergessen hat, sondern wir geben die Erklärung ab, daß wir entschlossen sind, alles zu tun, um allen Evakuierten in einem begrenzten Zeitraum die Rückführung zu ermöglichen.
Ich darf außerdem darauf aufmerksam machen, daß noch ein Anliegen bezüglich der gleichen Behandlung unerfüllt geblieben ist; das ist die steuerliche Gleichberechtigung der Evakuierten, die ihre Existenz verloren haben. Ich möchte Sie an die Verabschiedung des Vertriebenengesetzes und an die vom Parlament einstimmig angenommene Entschließung erinnern, daß die Regierung eine Steuervorlage machen soll, die die Kriegssachgeschädigten und Evakuierten den Heimatvertriebenen in diesem Falle gleichstellt. Diese Vorlage ist bis jetzt nicht da, konnte also auch nicht mit dem Evakuiertengesetz verabschiedet werden. Hier ist wirklich noch ein berechtigtes Anliegen der Evakuierten auf Durchziehung der Gleichberechtigung.
Das sind Wünsche, die noch unerfüllt sind und die deshalb noch offenbleiben, die aber unseres Erachtens sehr bald, vor allen Dingen nach Durchführung der Registrierung, erfüllt werden können, wenn das Parlament die gleiche Einmütigkeit dafür beweist, wie es der Ausschuß bei der Formulierung dieses Gesetzes getan hat. Ich möchte Sie bitten, mit uns diesem Versprechen zuzustimmen, damit die Evakuierten, unsere Staatsbürger, unsere Menschen, für die wir in diesem Gesetz eine wirkliche Hilfe schaffen wollen, die Überzeugung haben können, daß auch das Letzte geschieht, wenn auch nicht im Augenblick, um ihre Rückführung in die Heimat und ihre Existenzsicherung dort durchzuführen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gundelach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der ersten Beratung des Bundesevakuiertengesetzes habe ich in Übereinstimmung mit meiner Fraktion die Feststellung getroffen, daß es sich bei diesem Gesetz doch mehr oder weniger nur um allgemeine Bestimmungen handelt, aber nicht um gesetzliche Maßnahmen mit dem Ziele, die etwa 300 000 Evakuierten in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückzuführen. Auch die Ausschußberatungen haben an dieser unserer Feststellung nichts Wesentliches geändert. In dem Gesetz fehlen Bestimmungen über verpflichtende Maßnahmen in Angelegenheiten der Wohnraumbeschaffung für die Evakuierten. Aber die Lösung gerade dieser Frage ist überhaupt die Voraussetzung für die Rückführung der Evakuierten in ihre Heimatorte. Andererseits scheitert die Lösung eben dieser Frage daran, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, für diese so außerordentlich wichtige Frage die erforderlichen Gelder zur Verfügung zu stellen. Die Frau Berichterstatterin hat bereits darauf hingewiesen, daß das Gesetz nur dann zum Tragen kommen kann, wenn die Wohnraumfrage für die Evakuierten bei der Rückführung in ihre Heimat geregelt wird. Ohne Lösung der Wohnraumbeschaffung haben die Bestimmungen in dem vorliegenden Gesetz, die den Interessen der Evakuierten entsprechen und die auch die Zustimmung meiner Fraktion finden, doch nur für einen sehr kleinen Kreis der Evakuierten unmittelbare Bedeutung.
Es ist keinesfalls so — das will ich hier in der dritten Beratung noch einmal feststellen —, wie von Abgeordneten der Koalitionsparteien bei der ersten Lesung des Gesetzes erklärt worden ist: Wer schnell gibt, der hilft doppelt. Ich stelle hier fest, daß mit dem vorliegenden Gesetz der großen Zahl der Evakuierten weder schnell noch doppelt geholfen wird, weil eben die Kernfrage nicht gelöst ist, jene Frage, den Evakuierten schnellstens in ihren Heimatorten den entsprechenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Es wird so kommen, wie ich auch bei der ersten Beratung zum Ausdruck gebracht habe, daß eine große Zahl gerade älterer Leute, die so sehr das Bedürfnis haben, in ihre Heimatorte zurückzukehren, nicht mehr den Tag ihrer Rückkehr erleben, sondern fern ihrer Heimat sterben werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Huth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um gleich mit dem letzten zu beginnen: Wir hätten die Möglichkeit gehabt, für die Evakuierung besondere Mittel einzusetzen, wenn die Bundesregierung nicht in die Zwangslage versetzt worden wäre, für die Sowjetzonenflüchtlinge, die unaufhörlich in die Bundesrepublik hereinströmen, bereits im ersten Halbjahr 180 Millionen DM einzusetzen;
und da der Zustrom nicht aufhört, wird die Bundesregierung
wahrscheinlich im zweiten Halbjahr ebenfalls gezwungen sein, einen Betrag von 180 Millionen DM für diese aus der Sowjetzone vertriebenen Leute einzusetzen.
— Meine Damen und Herren, Sie haben überhaupt keine Berechtigung, in dieser Sache ein Wort zu sagen!
Wenden Sie sich lieber nach dem Osten und sorgen Sie dafür, daß die Leute drüben bleiben; dann können wir denjenigen Leuten, denen ihre Heimat im Augenblick noch die Fremde ist, sofort wieder eine Heimat geben.
Wir begrüßen es außerordentlich, daß die Regierung jetzt in die Lage versetzt worden ist, uns dieses Gesetz noch vor Toresschluß vorzulegen. Wir haben lange darauf gewartet, daß es kommen würde. In zwei Entschließungen hat der Bundestag sich bemüht, hier Wandel zu schaffen. Wenn ein Kreis von Personen bisher noch nicht berücksichtigt war, dann waren es die Evakuierten.
Wir haben versucht, in den vergangenen Jahren den Flüchtlingen weitestgehend zu helfen und ihnen eine Heimat zu geben. Aber wir haben auch die Verpflichtung, denjenigen, denen die Heimat zeitweilig entfremdet war, wieder eine Heimat zu geben. Wir begrüßen es — und darum hat sich der Ausschuß auch einstimmig zu der Auffassung durchgerungen —, daß die Vorlage der Regierung mit einigen kleinen Änderungen nun doch ein Weg ist, um zu diesem Ziele zu kommen. Es ist allerdings nicht einfach, denn der Kreis der Betroffenen ist groß. Es sind nach der letzten Schätzung etwa 105 000 Familien mit über 300 000 Personen, die davon betroffen werden.
Wenn wir eine bundeseinheitliche Regelung treffen mußten, dann einfach deshalb, weil durch Länderbestimmungen nur ein Umzug im Innern des Landes erfolgen könnte, während ein Umzug von Land zu Land bundeseinheitlich geregelt werden muß. Wir begrüßen, daß diese Regelung nun doch getroffen worden ist. Sehr beschäftigt hat uns die Frage, wer die Kosten für diesen Umzug tragen soll. Da der Ausschuß der Auffassung war, daß die Evakuierten, die heute noch draußen sind, weitestgehend zu den Kreisen gehören, die nicht in der Lage sind, diese Umzugskosten zu bezahlen, gelangte er zu der Ansicht, daß die Kosten vom Ausgangsort getragen und über Kriegsfolgenhilfelasten wiedererstattet werden müssen.
Ich wiederhole, wir begrüßen es, daß wir dieses Gesetz noch vor Toresschluß fertigstellen können. Es wurde eben ausgeführt, daß das Gesetz keine wirksame Hilfe sei. Wir sind der Auffassung — und ,da kann ich die Ausführungen der Frau Kollegin von der SPD nur unterstreichen —, daß eine wirksame Hilfe tatsächlich entsteht. Wenn wir auch im Augenblick — im Augenblick, ich betone das Wort — noch keine besonderen Mittel für den Wohnungsbau und die familienmäßige Unterbringung einsetzen können, so hat das Gesetz doch vorgesehen, daß die Evakuierten als echte Bürger ihrer Heimatgemeinde in der gleichen Linie wie alle jetzigen Bürger ihre alten Ausgangsorte rangieren. Damit haben wir doch bereits den Anfang gemacht, daß die Evakuierten wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Wir wünschen und hoffen, daß die Stellen, die mit der Durchführung dieses Gesetzes letztlich beauftragt werden, dafür sorgen, daß den Evakuierten ihre alte Heimat wieder zur Heimat wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Als der Altertumsforscher Schliemann versuchte, Troja auszugraben, stieß sein Spaten nicht nur auf ein Troja, sondern auf sieben Städte. Die Bürger dieser Stadt hatten nach sieben Katastrophen nichts Besseres zu tun gewußt, als in Blut und Rauch und in der Erinnerung an die Tränen ihre Wohnstätten wieder da zu errichten, wo sie geboren waren und wo die starben, die ihrem Herzen am nächsten gestanden hatten. Man kann ruhig annehmen, daß im deutschen Volk die Art der Einstellung zu Heimat und Vaterland nicht anders ist. Man kann deshalb annehmen, daß jene 300 000, die jetzt noch nicht die Möglichkeit gehabt haben, in ihren Heimatort zurückzukehren, daran durch Kräfte und Gewalten gehindert worden sind, denen sie nicht widerstehen konnten, durch ihr Alter, durch Siechtum, durch Mangel an Mitteln, durch Versehrtheit, durch das Fehlen von Angehörigen und Freunden.
Es wird unsere Aufgabe sein, über den Rahmen dieses Gesetzes hinaus, wie viele Vorredner das hier angedeutet haben, dafür zu sorgen, daß diese Heimkehr als eine echte Heimkehr möglich ist. Es ist darauf hingewiesen worden, wie die Bundesregierung im Augenblick durch andere Aufgaben in Anspruch genommen wird. Das soll uns nicht davon abhalten, unserem Ziele nachzustreben.
Meine Fraktion ist der Ansicht, daß das Gesetz ein gutes und richtiges Gesetz ist, und wir stimmen ihm aus vollem Herzen zu.
Keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die allgemeine Aussprache der dritten Beratung geschlossen.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Ein Änderungsantrag liegt zur dritten Beratung bezüglich § 11 auf Umdruck Nr. 963 Ziffern 1 und 2 vor.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat die Regierungsvorlage zu diesem Gesetz zum Teil sehr glücklich ergänzt. Wir haben mit unserem Antrag nicht etwa die Absicht, die Ziffer 2, die nun neu in den § 11 hineingekommen ist, anzugehen. Wir haben mit unserem Antrag auch nicht die Absicht, den Gesichtspunkt des Ausschusses zu attackieren, daß ein Zulassungsverfahren unter allen Umständen zu unterbleiben habe. Aber wir haben zwei Anliegen. Sie haben in dem Abs. 1 nicht nur das Wort „Ausgangsort" stehenlassen, sondern Sie haben das Wort „Zufluchtsort" dazugesetzt. Das bedeutet unter Umständen, daß ein im Jahre 1942 aus Köln evakuierter Primaner, der inzwischen Arzt geworden ist und längst an einem anderen Ort seine Existenz gefunden hat, den Anspruch hat, als zugelassener Arzt nach Köln zurückzukehren. Ich darf Sie auf folgendes aufmerksam machen: Dort hat er eine Reihe von Mitbewerbern, die alle in dem Katalog der Bevorzugten stehen, z. B. die rassisch und religiös Verfolgten und die Spätheimkehrer. Durch zahlreiche Favoriten im Zulassungsverfahren, das ja praktisch die Existenz des Arztes garantiert, ist es so weit gekommen, daß der approbierte „Normalhuster" hier in der westdeutschen Republik überhaupt nicht mehr die Möglichkeit hat, eine Chance im Leben zu sehen, nämlich seinen geliebten gewählten Beruf auszuüben. Ich glaube, man sollte daran denken, daß es Grenzen gibt. Deshalb schlagen wir Ihnen vor, dieses Wort „Zufluchtsort" wieder zu streichen.
Wir haben ein weiteres Anliegen; es handelt sich hier um den Zusatz der Ziffer 3 in § 11. Für den Fall, daß Sie die Drucksache nicht alle gefunden haben, verlese ich den Wortlaut:
Die Wahl des Arztsitzes im Ausgangsort bedarf der Zustimmung des zuständigen Zulassungsausschusses. Gegen die Versagung der Zustimmung kann der Evakuierte von dem für das Zulassungsverfahren vorgesehenen Rechtsmittel Gebrauch machen.
Der letzte Satz bedeutet nur, daß der Evakuierte dieselben Rechte hat wie ein anderer. Der erste Satz bedeutet nicht, daß seine Zulassung in irgendeiner Form bestritten wird. Arztsitz hat nichts zu tun mit Wohnort, aber Arztsitz bedeutet praktisch etwa folgendes. Da haben in einer Arbeitsgemeinschaft die Krankenkassenverbände und die Kassenärzte sich darauf geeinigt, daß in einem Vorort X ein Frauenarzt unterzubringen ist, obwohl es dem Frauenarzt wahrscheinlich sehr schwer fallen wird, dort eine Existenz zu finden. Die Interessen der Bevölkerung verlangen das. Vielleicht wird er sogar „subventioniert" — das gibt es auch noch —, um ihn dort am Ort zu halten. Nun überlassen Sie dem Evakuierten die freie Wahl innerhalb des Wohnorts. Dann setzt er sich in das Haus nebenan. Das sind Dinge, die schwer verantwortet werden können. Im Augenblick ist nun einmal die Tätigkeit des Kassenarztes ein öffentlicher Dienst, und deshalb
wird die Verteilung der Kassenärzte verplant. Was ich persönlich davon halte, steht auf einem anderen Blatt. Es führt aber zu großen Schwierigkeiten, wenn Sie auf diesen Zusatz verzichten. Ich bitte Sie, diesen Zusatz anzunehmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Huth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat sich mit dieser Frage eingehend befaßt. Es lag ihm daran, dem Evakuierten eine wirkliche Hilfe zu bieten und ihm die Gelegenheit zur Rückkehr in seine Heimat zu geben. Wir waren im Ausschuß der Auffassung, daß alle diejenigen, die einigermaßen gut situiert sind, heute nicht mehr in der Fremde leben und bereits den Weg zur Heimat zurückgefunden haben.
Wir haben die Frage der Ärzte deshalb mit aufgegriffen, weil vielleicht doch noch eine Reihe von Ärzten heute draußen sein könnten. Ich glaube nicht, daß es viele sein werden. Ich hätte es begrüßt, wenn Herr Dr. Hammer uns in irgendeiner Form mit Zahlen aufgewartet hätte; denn bei dem Kreis von 105 000 Haushalten werden meines Erachtens nicht mehr sehr viele Mediziner sein.
Ganz abwegig scheint mir das Beispiel zu sein, das er zu Punkt 3 erwähnt hat, daß z. B. ein Frauenarzt sich da und da oder dort niederlassen will. Ich bin der Auffassung, ein Spezialarzt ist heute nicht mehr in der Fremde; denn dort hat er gar keine Existenzmöglichkeit. Die Evakuierten sind in die ländlichen Bezirke gekommen, und in diesen ländlichen Bezirken hat ein Spezialarzt überhaupt kein Tätigkeitsfeld. Er wird bestimmt schon den Weg zurückgefunden haben.
Was nun die Auslassungen des Herrn Dr. Hammer bezüglich jenes Abiturienten betrifft, der 1942 sein Studium begonnen oder vielleicht beendet hat, so kann ich dazu ein anderes Beispiel erwähnen, das im Ausschuß genannt wurde, daß jemand bis zu Beginn des Krieges in Köln gewohnt hat, wo er gerade davorstand, zur kassenärztlichen Praxis zugelassen zu werden. Nun bekam er die Einberufung, seine Familie wurde evakuiert, und er mußte nach dem Kriege — weil alles zerschlagen war — in dem Zufluchtsort seiner Familie seine Zuflucht nehmen. Nun hat er in diesem Zufluchtsort die Zulassung zur Kassenpraxis erhalten. In diesem Fall haben wir uns gesagt, daß es nicht mehr als billig ist, einem solchen Mann, wenn er zurück in seine Heimat will, das Recht der Zulassung zur Kassenpraxis ohne weiteres zu geben.
Ob der übrigen Fälle so viele sind, wage ich zu bezweifeln. Im übrigen glaube ich nach meiner Sicht sagen zu können, daß derjenige, der heute eine gute Landpraxis hat, es sich noch schwer überlegen wird., ob er diese gute Pfründe aufgeben soll, um sie vielleicht einem ungewissen Schicksal in der Großstadt zu opfern.
Was hat der Ausschuß getan? Er will ja nun nicht, daß es mehr Ärzte gibt. Er will keine weiteren Zulassungen zur Kassenpraxis haben, sondern es soll nur denjenigen, die im Augenblick die Kassenpraxis haben, diese erhalten bleiben.
Es wird motiviert, es sind der Ärzte zu viele, die Städte sind überflutet mit Ärzten. Es war mir interessant, gestern abend gerade die Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen zu lesen, worin die
Ärzte in den einzelnen Großstädten angegeben waren. Man rechnet im Durchschnitt auf je 600 Einwohner einen Arzt. Wir hier in Bonn sind natürlich gesegnet, hier kommt bereits auf 200 Einwohner ein Arzt. Die Universitätsstadt Münster hat bereits bei 350 Einwohnern einen Arzt. Dann kommt als nächste Stadt die Landeshauptstadt Düsseldorf mit je 481 Einwohnern pro Arzt. Wuppertal ist mit 630 Einwohnern pro Arzt die nächste Stadt. So steigert sich das. In Duisburg ist die Zahl 953, in Essen 831, in Krefeld 679, in Mönchen -Gladbach 710, in Oberhausen sogar 1067, in Remscheid 727, in Solingen 728. Ich nenne Ihnen nur einige Zahlen. Ich glaube, die Welt stürzt nicht ein und der Ärztestand wird auch nicht an den Rand des Ruins gebracht, wenn wir in dem § 11 Abs. 1 bestehen lassen, daß derjenige, der im Zufluchtsort zur Kassenpraxis zugelassen worden ist, dieses Recht auch in seiner ehemaligen Heimat bekommt. Aber das Plenum mag darüber befinden.
Was nun den Absatz 3 betrifft, so möchte ich folgendes sagen. Nachdem wir zu der Überzeugung gekommen sind, daß wir an den Evakuierten etwas gutzumachen haben, betrachten meine Freunde und ich — ich glaube, die anderen schließen sich dem an — es als eine Härte, hier auch noch besondere Gesetzesbestimmungen walten zu lassen. Man mag einwenden, im Bundesvertriebenengesetz ist das gleiche vorgesehen. Der Ausschuß war jedenfalls der Auffassung, daß wir eines solchen Zusatzes nicht bedürfen. Wir wollen dem Betreffenden, der umsiedeln will, die Freiheit geben, sich da niederzulassen, wo er will. Auch darüber mag das Plenum entscheiden. Ich stelle den Antrag, über diese beiden Punkte getrennt abzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Das Recht der Zulassung zur Kassenpraxis in der deutschen Krankenversicherung kennt keinen Anspruch des Arztes auf Zulassung an seinem Wohnsitz. Dieser ist ein Tatbestand der „unter anderen" berücksichtigt werden k a n n. Wenn Sie davon hier in diesem Gesetz abweichen, dann durchbrechen Sie wiederum Recht, so wie Sie das mit lauter Ausnahmebestimmungen den Kassenärzten gegenüber seit einigen Jahren fortgesetzt getan haben. Letzten Endes bleibt überhaupt niemand mehr übrig, dann gibt es nur noch Gruppen von Bevorrechtigten, die aus irgendeinem Grund legitimiert sind, zur Kassenpraxis zugelassen zu werden. Dann dürfen Sie sich aber nicht wundern, wenn langsam der normale approbierte Arzt in Deutschland sagt: Ich huste auf diese Gesetzgebung.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, meinem Freund Huth folgendes erwidern zu müssen. Ich glaube, man kann diese Frage der Zulassung auch unter einem etwas anderen Gesichtspunkt betrachten. Wenn ein Arzt sich in einem ländlichen Bezirk niedergelassen und dort die Kassenzulassung erhalten hat und er — entsprechend den Bestimmungen dieses Gesetzes — wieder in eine andere Stadt verzieht, dann könnte es vorkommen, daß die ländlichen Bezirke mehr und mehr die ärztliche Sicherheit und ärztliche Hilfe entbehren werden, weil die Ärzte alle in die Großstadt hineindrängen.
Ich glaube, daß die Zulassungsordnung — wie Herr Kollege Hammer eben angeführt hat — in ihren Bestimmungen so aufrechterhalten bleiben sollte, wie sie heute gilt. Der erste Absatz des § 11 des Regierungsentwurfs gibt zudem dem Arzt alle Rechte, die er braucht.
Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen, vor allem im ersten Absatz das Wort „Zufluchtsort" zu streichen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung. Es ist gewünscht worden, nach Ziffern abzustimmen. Wir stimmen zuerst über Umdruck Nr. 963 Ziffer 1 ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Nunmehr stimmen wir über Umdruck Nr. 963 Ziffer 2 ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Dann bitte ich diejenigen, die dem § 11 mit den soeben beschlossenen Änderungen zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Weitere Änderungsanträge zu diesem Paragraphen liegen nicht vor. Ich rufe auf die §§ 12 bis 24, — Einleitung und Überschrift. Ich bitte diejenigen, die diesen Teilen in dritter Beratung zuzustimmen wünschen, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz als Ganzem in der Schlußabstimmung zustimmen, sich von den Sitzen zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Es liegt noch ein Entschließungsantrag auf Umdruck Nr. 965 vor. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Es ist ferner über den Ausschußantrag auf Drucksache Nr. 4380 unter Ziffer 2 abzustimmen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens (Nr. 4397 der Drucksachen; Antrag Umdruck Nr. 955).
Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß.
Frau Dr. Steinbiß , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich mit meinem Bericht beginne, möchte ich Sie bitten, in der Drucksache Nr. 4397 einen Druckfehler zu berichtigen. In § 9 Abs. 2 fehlt hinter den Worten „sich dabei" das Wörtchen „nicht". Das soll hineingesetzt werden. Sie werden ohne Schwierigkeit die Berichtigungsnotwendigkeit einsehen.
Ferner hat sich der Ausschuß einstimmig noch zu einer Änderung des Mündlichen Berichts Drucksache Nr. 4397 entschlossen. Den entsprechenden Änderungsantrag finden Sie auf Umdruck Nr. 955. Danach sollen in § 21 a Zeile 2 das Wort „Verhütung" und in § 24 b die Worte „und die Erstattung einer Meldung nach § 12 oder § 13" gestrichen werden.
Meine Damen und Herren! Ich werde Ihnen einen kurzen Bericht geben. Ich will ihn nicht nach Paragraphen ordnen, sondern nur die wesentlichsten Punkte herausstellen. Zu dem Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, darf ich sagen, daß der Regierungsentwurf eine brauchbare Unterlage für die Ausschußberatung geboten hat. Wir haben uns im Ausschuß ständig von dem Gedanken leiten lassen, daß dieses Gesetz kranken Menschen helfen und dies auf die menschlich schonendste und rücksichtsvollste Weise geschehen soll. Der Bundestag hatte seinerzeit gefordert, daß das Gesetz von 1927 zum Aufbau des neuen Gesetzes dienen sollte. Das konnte auch im wesentlichen geschehen.
Die Beratung hat etwas länger gedauert. In der Öffentlichkeit war schon die Meinung geäußert worden, daß eine neue gesetzliche Regelung gar nicht vonnöten sei, weil die Geschlechtskrankheiten im Bundesgebiet wesentlich abgenommen hätten. Das ist aber nicht so. Die Zahl der gemeldeten Neuerkrankungen in bestimmten Bevölkerungsgruppen ist immer noch hoch. Schuld daran ist auch ein gewisser Leichtsinn der Bevölkerung, der begünstigt wird durch die Kenntnis der bedeutend verbesserten Heilmittel. Ein weiteres wesentliches Moment ist das Wiederaufleben einer starken Fluktuation in der Bevölkerung. Denken Sie an den Zustrom vom Osten nach dem Westen und an die zeitweilige Zusammenballung starker Truppenverbände!
Einige grundsätzliche Fragen haben im Ausschuß eine lange Diskussion unter Beiziehung von Sachverständigen gefunden und zu Änderungen des Entwurfs geführt. Andere Änderungen beruhen lediglich auf der Weiterentwicklung der Strafgesetzgebung und der verwaltungsrechtlichen Vorschriften und brauchen hier nicht erörtert zu werden.
Ich möchte sagen — und das ist sehr wesentlich, meine Damen und Herren —, daß wir die strittigen Punkte im Ausschuß übereinstimmend klären und zu einer Lösung kommen konnten. Das erste und wichtigste Problem war, ein wirksames Seuchengesetz zu schaffen und trotzdem das Recht der persönlichen Freiheit und die Wahrung des persönlichen Geheimnisses zu respektieren. Der Ausschuß hat dabei in allen Zweifelsfällen dem Schutz der Person den Vorrang vor etwaigen behördlichen Maßnahmen gegeben. So konnte er sich nicht entschließen, die Krankenhauseinweisung allgemein in das Ermessen des Gesundheitsamtes zu stellen, sondern hat dieses Ermessen stark eingeschränkt. Ob aus einer besonderen Gefährdung durch Zeitumstände, Truppenlager, Flüchtlingsbesiedlung eine Untersuchung größerer Personenkreise notwendig ist, kann nicht mehr vom Gesundheitsamt allein entschieden werden, sondern nur von der Landesregierung im Einzelfall und befristet. So ist wohl jeder Willkür oder Schärfe vorgebeugt.
Ein anderer Schwerpunkt war der § 6. Der Regierungsentwurf sah vor, daß ein Strafantrag gegen Personen, die bei vorliegender Geschlechtskrankheit Geschlechtsverkehr ausüben, auch vom Gesundheitsamt gestellt werden könne. Der Ausschuß kam jedoch einstimmig zu der Ansicht, dem Gesundheitsamt diese Vollmacht nicht zu belassen, zumal der Regierungsvertreter aus verschiedenen Bundesländern Berichte vorweisen konnte, die zeigten, wie selten ein Gesundheitsamt zu solch einem Antrag gezwungen war. Der Wunsch des Kranken, sein Geheimnis auch für eine gerichtliche Verfolgung nicht preisgeben zu müssen, ist damit respektiert.
Eine andere wichtige, für uns zwar selbstverständliche Frage: Wer darf Geschlechtskranke behandeln? Nur der Arzt! Dem Arzt allein ist diese Aufgabe überlassen. Daraus erwachsen ihm besondere Pflichten und Rechte. In der Praxis sieht sich der Arzt oft Patienten gegenüber, die uneinsichtig sind und häufig auch disziplinlos handeln. Diese Patienten muß der Arzt dem Gesundheitsamt melden, und das Gesundheitsamt kann nicht auf eine namentliche Meldung in diesen Fällen verzichten, weil diese disziplinlos handelnden Patienten eine objektive Gefahr der Weiterverbreitung der Krankheit bedeuten und wir dieser nicht durch eine falsche Rücksichtnahme Vorschub leisten dürfen. Aus statistischen Gründen werden alle Geschlechtskranken, aber ohne Namensnennung, gemeldet, weil wir ja eine einwandfreie Übersicht über den Stand der Krankheit haben müssen.
Kommt es nun dazu, daß sich das Gesundheitsamt zu einer zwangsweisen Einweisung in das Krankenhaus gezwungen sieht, dann müssen hier die Vorschriften des Art. 104 des Grundgesetzes berücksichtigt werden, die vorsehen, daß eine Zwangseinweisung nur durch Richterspruch möglich ist. Da bei Böswilligen die Gefahr der Weiterverbreitung, wie ich schon sagte, besonders groß ist, muß hier schnell gehandelt werden.
In dem Gesetz ist neu die Forschung nach der Ansteckungsquelle, d. h. nach der Person, bei der der Patient sich angesteckt hat. Diese Nachforschungsverpflichtung ist tatsächlich ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem alten Gesetz. Soll unsere Arbeit wirklich das Ziel erreichen, den Rückgang der Geschlechtskrankheiten noch zu verstärken, ja letzten Endes diese sogar zum Erlöschen zu bringen, so können wir auf die Infektionsquellenforschung nicht verzichten und brauchen die Mitarbeit des Arztes. Wir fordern den Einsatz der praktizierenden Ärzte in zumutbarem Maße. Der Ausschuß wollte unter „zumutbar" verstehen, daß der Arzt einen so wirksamen Einfluß auf den Patienten nehmen soll, wie es billigerweise von ihm verlangt werden kann. Auf den § 13, der diese Fragen regelt, darf ich besonders aufmerksam machen. Gegenüber dem Gesetz von 1927 wird den Minderjährigen unter 18 Jahren eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Die durch das Gesetz angeschnittenen„ Fragen sind ja nicht allein durch ein Seuchengesetz zu lösen, sondern sie bedürfen einer sexual-pädagogischen Ergänzung. Die hier notwendigen seelischen Kräfte sollen in erster Linie durch das Elternhaus, weiterhin durch das Jugendamt und Gesundheitsamt gewährt werden. Der Arzt hat hier eine große Aufgabe. Seiner Beurteilung ist es überlassen, ob der Jugendliche sittlich gefährdet erscheint und er ihn demgemäß dem Gesundheitsamt melden muß.
Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten steht ja überhaupt in starkem Zusammenhang mit allgemeinen Fürsorgeproblemen. Das Gesundheitsamt hat die Verpfichtung — das ist neu in diesem Gesetz —, vorbeugend auf diesem Gebiet der Geschlechtskrankenfürsorge tätig zu sein. § 14 verpflichtet das Gesundheitsamt zur Zusammenarbeit mit der öffentlichen und privaten Fürsorge.
Ein besonders schwerwiegender Abschnitt betrifft die hier besonders delikate Schweigepflicht. Die allgemeine Pflicht zur Verschwiegenheit über dienstliche Angelegenheiten schien im Gesetzentwurf nicht ausreichend gesichert. Der Ausschuß hat gegenüber dem Regierungsentwurf in § 16, der die Schweigepflicht behandelt, den Kreis der Personen, welchen eine Mitteilung über einen Geschlechtskranken gemacht werden kann, weiter eingeengt und insbesondere ein gesundheitliches oder erzieherisches Interesse einer dritten Person nicht für ausreichend erachtet, diese Schweigepflicht zu brechen. Nur die Personen, die unmittelbar mit der Durchführung des Gesetzes zu tun haben, können in den Kreis der Geheimnisträger einbezogen werden.
Den Abschluß des Gesetzes bilden die Bestimmungen über die Regelung der Kostenfrage. Die Kosten der Untersuchung und der Behandlung werden für die Versicherten von den Trägern der Krankenversicherung getragen — dies gilt auch für die freiwilligen Mitglieder —, in begründeten Fällen, wenn die Inanspruchnahme einer Kasse die Untersuchung und Behandlung gefährden würde, von den zuständigen Rentenversicherungsträgern; im übrigen aber übernimmt sie die öffentliche Hand, falls die betreffenden Personen die Kosten nicht selber tragen können. Sofern eine Krankenhausunterbringung nur der Verhütung der Ansteckung dient, fallen die Kosten der öffentlichen Hand anheim.
Noch ein Wort zu den Strafbestimmungen. Wir wollten im vorliegenden Gesetz nicht die härteren Strafbestimmungen ausgesprochen haben, die § 327 des Strafgesetzbuches vorsieht, wie ja überhaupt Strafbestimmungen in dem Gesetz sich auf wenige Punkte der Gefährdung der Gesundheit eines anderen Menschen beschränken. Die Verstöße gegen technische Vorschriften seitens des Behandelnden sollen lediglich als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden.
An einer letzten Frage darf ich nicht vorbeigehen. Es handelt sich um das Problem der Wohnungsbeschränkung für Prostituierte. Viele von Ihnen vermissen vielleicht die Übernahme des ursprünglichen § 17 des alten Gesetzes, der die Frage der Kasernierung zum Gegenstand hatte. Sehr lange und sehr gründlich haben wir uns im Ausschuß um die Regelung dieser Frage gesorgt und sind einstimmig zu dem Beschluß gekommen, sie in diesem Gesetz nicht zu behandeln. Der Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten geht davon aus, daß Kranken geholfen werden soll und daß das — ich wiederhole es — auf die menschlich schonendste, rücksichtsvollste Weise geschehen soll. Es erschien uns deshalb nicht notwendig, diesen Entwurf zum Anlaß einer Debatte über die Kasernierung der Prostituierten zu nehmen. Im Grundgesetz ist die Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert. Wir können auch, so sehr wir dies wünschten, nicht die freiwillige Ansammlung von Prostituierten in bestimmten Straßen oder Häuserblocks, die von ihnen selbst aus Gründen
ihres Gewerbes gesucht werden, verbieten, zumal, wie gesagt, die Kasernierung der Prostituierten durch Art. 11 des Grundgesetzes eindeutig verboten ist. Im weiteren geht die internationale Gesetzgebung dahin, reine Gesundheitsgesetze zu schaffen und Fragen wie diese gegebenenfalls in besonderen Gesetzen zu regeln.
Ich möchte wünschen, daß dieser langerwogene Beschluß des Ausschusses allen denen, die so sehr an dieser Frage interessiert sind, die Gewißheit gibt, daß hier sorgfältig und überlegt gehandelt worden ist.
Ich bitte das Hohe Haus, dem Gesetzentwurf mit den erwähnten Änderungen seine Zustimmung zu geben.
Ich danke der Frau Berichterstatterin. Wir treten in die Einzelberatung ein. Änderungsanträge liegen vor zu § 9, § 21 a und § 24 b. Soweit ich aus der Berichterstattung entnommen habe, handelt es sich bei dem ganzen Antrag eigentlich mehr um Textberichtigungen.
— Ja, meine Damen und Herren, ich brauche ja diese Paragraphen nicht im einzelnen aufzurufen, wenn das Haus summarisch anerkennt, daß diese Textberichtigungen Bestandteil ,der Vorlage geworden sind. Ist das Haus damit einverstanden?
Damit, meine Damen und Herren, entfallen Änderungsanträge, und ich kann mich eigentlich darauf beschränken, an Sie die Frage zu richten, ob Sie den §§ 1 bis 26, Einleitung und Überschrift zustimmen wollen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen,
die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Für die allgemeine Aussprache hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich nehme die Zustimmung dazu an. Ich habe allerdings keine Wortmeldungen zur dritten Beratung. — Dann kann ich die Aussprache schließen und kann aufrufen die §§ 1 bis 26, Einleitung und Überschrift. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu heben. — Das ist die Mehrheit. Das Gesetz ist angenommen.
Ich bitte dann in der Schlußabstimmung diejenigen, die dem Gesetz als Ganzem zustimmen, sich von den Plätzen zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig in dritter Beratung verabschiedet.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der gestrigen Tagesordnung fort. Ich rufe auf Punkt 14:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung über den Antrag der Abgeordneten Günther, Frau Dr. Weber (Essen) und Genossen betreffend Schußwaffengebrauch im Zolldienst (Nrn. 4254, 3914 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Gleisner.
Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 246. Sitzung des Deutschen Bundestags wurde der Antrag der Abgeordneten Günther, Frau Dr. Weber und Genossen, Drucksache Nr. 3914, betreffend Schußwaffengebrauch im Zolldienst dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zur Beratung überwiesen. Der Ausschuß hat in seiner Sitzung vom 4. Februar 1953 diesen Antrag beraten. Es bestand Einmütigkeit darüber, daß die Bundesregierung dem Bundestag ein Gesetz über Schußwaffengebrauch vorlegen solle. Die Beratung hat klar gezeigt, ,daß die uneinheitlichen Bestimmungen der einzelnen Länder über Schußwaffengebrauch unzulänglich sind und häufig zu Beanstandungen geführt haben. Die jüngsten Ereignisse geben zu Besorgnis Anlaß und fordern eine baldige Regelung auf Bundesebene, damit weitere Todesfälle und Unfälle vermieden werden können.
Der Ausschuß empfiehlt der Bundesregierung, sich mit den Länderregierungen über die Grundsätze für ein einheitliches Gesetz über Schußwaffengebrauch zu unterhalten und dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf zur Beratung vorzulegen. Dieses Gesetz soll für alle Bundesvollzugsorgane Anwendung finden, so für den Bundesgrenzschutz, den Zolldienst, das Bundeskriminalamt und die Bahnpolizei.
Punkt 2 des Antrags, in dem die Einrichtung von Ausschüssen bei den Regierungspräsidenten gefordert wird, wurde nach kurzer Debatte abgelehnt.
Der einstimmige Antrag des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung Drucksache Nr. 4254 hat folgenden Wortlaut:
Die Bundesregierung wird ersucht, einen Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Waffengebrauchs vorzulegen, wobei die besonderen Verhältnisse des Zolldienstes und des Bundesgrenzschutzes zu berücksichtigen sind.
Ich bitte das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprachezeit von 40 Minuten vor. Herr Abgeordneter Günther, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, der seinerzeit gestellt worden ist, hat an und für sich im Grenzgebiet wie ein Wunder gewirkt. Denn die Unglücksfälle, die im vergangenen Herbst in auffallender Häufigkeit auftraten, haben sich nicht mehr in dem Maße ereignet. Dies ist ein Zeichen dafür, daß die Zollverwaltung einiges getan hat, um auf die Zollbeamten einzuwirken. Aber der letzte Unglücksfall, der in der vergangenen Woche im Bezirk Trier vorgekommen ist, läßt uns doch erkennen, wie notwendig es ist, die jetzigen Gesetze zu überprüfen. Daher begrüße ich es, daß der Ausschuß diesen Antrag aufgegriffen hat, und möchte bitten, ihm zuzustimmen.
Zu Punkt 2 unseres Antrags bedauere ich es, daß in den Ausschüssen zuwenig Abgeordnete anwesend waren, die aus den Grenzbezirken kommen oder die Verhältnisse an der Grenze kennen. Im Interesse der Grenzbevölkerung, aber auch im Interesse der Zollbeamten selbst wären derartige Ausschüsse bei den Regierungspräsidenten außerordentlich wertvoll.
Sie wissen, seit 2000 Jahren stand der Zöllner nie hoch im Kurs. Schon damals wunderte man sich nach der Bibel darüber, daß der Herr bei einem Zöllner einkehrte. So wird der Zollbeamte zum Teli auch heute noch bei der Grenzbevölkerung „geachtet" und dementsprechend behandelt. Das wollen wir ändern, und dieses Ziel schwebt auch mir vor, als der Antrag gestellt wurde, entsprechende Ausschüsse einzurichten, damit die Spannungen, die immer wieder auftreten, beseitigt, aber auch manche Maßnahmen, die am grünen Tisch getroffen werden, überwacht werden; denn die Zollverwaltungen werden ja nicht in dem Maße parlamentarisch kontrolliert wie etwa die Arbeit einer Stadtverwaltung von den Stadtverordneten. Aus diesem Grunde wäre ein derartiger Ausschuß unbedingt notwendig gewesen. Ich will jedoch den Antrag nicht wiederholen. Wenn wir bei der Kaffeesteuerdebatte, die nächste Woche vor dem Plenum noch einmal stattfinden wird, von den Morgenthau-Absichten, die damals zu der Kaffeesteuer geführt haben, wegkommen, werden wir auch an der Grenze wieder geordnete Verhältnisse bekommen. Ich glaube, daß man dann noch einmal ergiebig über den Zoll sprechen kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jacobs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, nicht der Meinung sein zu können, die Herr Kollege Günther zum Ausdruck gebracht hat, daß der Antrag vom Dezember vergangenen Jahres bereits entscheidende Auswirkungen auf die Maßnahmen der Zollbehörden in ihrer Gesamtheit gehabt habe. Eben die quasi makabre Aktualität des Vorfalls am vergangenen Samstag in meinem Heimatbezirk zwingt uns, bei der Beratung dieses Antrags mit aller Entschiedenheit zu verlangen, daß nicht irgendwann, sondern daß jetzt Entscheidendes geschieht, nachdem es in dem langen Zeitraum seit Einbringung des Antrags, vom Dezember vergangenen Jahres bis heute, offenbar versäumt worden ist, solche Richtlinien an die Zollverwaltung herauszugeben, so daß Vorfälle wie die vom vergangenen Samstag einfach unmöglich sind.
Sie müssen mir erlauben, gerade im Hinblick darauf, daß, gemessen an der sonstigen Art der Berichterstattung, über diese Dinge verhältnismäßig wenig in die Öffentlichkeit gedrungen ist, einiges von dem zu schildern, was sich dort getan hat. Es ist ein Unterschied, ob im Zuge von Gewaltmaßnahmen, die irgendwelche Verbrecher gegen die Ordnungsorgane anwenden, Schüsse fallen oder ob, wie am vergangenen Samstag, am hellen Tage weitab von der Grenze in einem Gebiet, in dem in den letzten Jahren so gut wie keine Aufgriffe erfolgt sind, auf das also die Bezeichnung „sündige Grenze" weiß Gott nicht angebracht wäre, ein Mann, der zwar, wie die einseitige Darstellung berichtet, des Schmuggels überführt werden konnte, von einem Beamten in Zivil mit dem Karabiner erschossen wird.
Und das, obwohl nach mir gewordenen Informationen die Schießbestimmungen für die Zollbeamten dahin auszulegen sind, daß Karabiner am Tage überhaupt nicht, sondern nur in der Nacht verwandt werden dürfen und dann nur zur Stellung von flüchtenden Autos. Hier hat es sich doch darum gehandelt, daß ein sicherlich krimineller Mensch, der nach der Darstellung der Zollverwaltung —
eine andere liegt noch nicht vor — im Saargebietbeheimatet war und dort wegen krimineller Delikte wiederholt bestraft worden sein soll, im Raum Hermeskeil angeblich Schmuggelgut verkauft hat, daß das einem Zollbeamten mitgeteilt worden ist, der zufällig nicht im Dienst war und nun nichts Eiligeres zu tun hatte, als irgendwohin zu laufen, wie es heißt, sich einen Karabiner auszuleihen und dann auf den Mann, nachdem er auf wiederholte Anrufe nicht stehengeblieben ist, nach zwei Warnschüssen zu schießen. Natürlich hat wieder das Opfer — wie es in der Darstellung heißt — den Fehler begangen, im Augenblick des auf die Beine gezielten Schusses sich zu bücken, — wie wir immer wieder feststellen, daß die Opfer, die ja nachher kein Zeugnis mehr geben können, weil sie tot sind, das Gegenteil dessen tun, was der Scharfschütze erwartet, daß sie, wenn er beabsichtigt, ihnen nur ins Bein zu schießen, in eine Stellung gehen, die es unmöglich macht, das zu tun.
Ich erwähne das nur, um den Nachweis dafür zu erbringen, wie zwingend die Maßnahmen sind, vor allem aber auch im Hinblick auf die Rechtsstellung der Beamten selbst, die ja nicht mehr ein noch aus wissen. Die Beschwerden über diesen Vorfall und das gebieterische Verlangen, mich um diese Dinge in meiner Eigenschaft als Volksvertreter zu kümmern, kamen ausnahmsweise nicht aus der Zivilbevölkerung, sondern von Beamten der Zollverwaltung, deren Namen zu nennen — wie Sie begreifen werden — ich nicht in der Lage bin. Es geht darum, sie aus dieser unmöglichen Situation herauszubringen. Mir ist mitgeteilt worden, daß der Leiter des Hauptzollamtes in Trier noch kürzlich informatorisch erklärt haben soll, daß er jeden, der nicht nach einem zweiten Warnschuß einen gezielten Schuß abgebe, disziplinarisch zur Verantwortung ziehen wolle.
Wieweit das zutrifft, kann ich im einzelnen nicht beurteilen, da mir auf eine entsprechende Anfrage von der Finanzverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz mitgeteilt wurde, daß der ganze Vorfall dem Herrn Bundesfinanzminister übergeben worden sei und man daher nicht in der Lage sei, mich darüber hinaus zu informieren. Ich solle mich dieserhalb an den Herrn Bundesfinanzminister wenden. Das tue ich jetzt, wenn auch nur an seinen Platz, in der Hoffnung, daß das, was hier gesagt wird, ihm zu Ohren kommt, und in der Hoffnung, daß dieser Fall nicht nur über den bürokratischen Weg seine Erledigung findet. Denn dann würde man erst zu Entscheidungen und Ergebnissen kommen, wenn wieder einige Unfälle passiert sind.
In der letzten Zeit ist in Deutschland infolge der gesamten politischen Entwicklung eine Gruppe von Leuten wiederum in zunehmendem Maße der Meinung, auch besondere Rechte zu haben, weil sie Uniform tragen. Der Vorfall in Hermeskeil, um den es sich hier handelt, steht ja nicht allein da. Ich darf darauf hinweisen — das war schon Gegenstand einer Anfrage in der vergangenen Fragestunde —, daß auf einem Flugplatz ebenfalls im Bezirk Trier, in Spangdahlem, Leute, die ebenfalls in Uniform steckten, eine quasi Strafexpedition gegen ein ganzes Dorf unternommen haben, weil sie der Auffassung waren, als Träger einer Uniform dazu berechtigt zu sein, Kollektivstrafmaßnahmen gegen ein Dorf zu unternehmen, nachdem einem einzelnen von ihnen infolge einer Schlägerei angeblich irgend etwas passiert ist.
Wogegen wir uns mit Leidenschaft und mit Entschiedenheit zur Wehr setzen, ist, daß in Deutschland wieder mit der Mißachtung des zivilen Lebens begonnen wird.
Diesen Leuten muß das Bewußtsein wieder nahegebracht werden, daß alles andere, auch wenn es Uniform trägt, nur Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck zu sein hat und daß es ausschließlich dazu da ist, den Bedürfnissen der zivilen Bevölkerung zu dienen.
Ich wünsche deshalb, daß der verantwortliche Leiter, und in diesem Fall nach meiner Auffassung intellektuelle Urheber des Vorfalls, nämlich der Leiter des Hauptzollamts in Trier entsprechend zur Verantwortung gezogen wird für den Fall, daß er wirklich erklärt hat, er ziehe jeden zur Verantwortung, wenn er nach einem zweiten Warnschuß nicht einen gezielten Schuß abgebe. Was heißt es beispielsweise, meine Damen und Herren, wenn dieser Mann auf mein Telegramm hin seiner vorgesetzten Dienstbehörde gegenüber erklärt, das Bundesfinanzministerium habe angeordnet, Karabiner anzuwenden, um den größeren Unsicherheitsfaktor, der beim Pistolengebrauch entstehe, auszuschalten? Unsicherheitsfaktor — für wen? Für das Opfer, das die Chance hätte, von einem Pistolenschuß nicht sofort getötet zu werden? Oder ein Unsicherheitsfaktor für den, der die Waffe anwendet, von dem man also quasi verlangt, ganze Arbeit zu leisten und, wenn er schon schießt, den Betreffenden möglichst zu liquidieren? Meine Damen und Herren, wir haben aus gutem Grund, glaube ich, und unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung, in der gerade unser Volk sich befindet, die Todesstrafe im Grundgesetz abgeschafft. Auch dieses Haus hat sich gelegentlich einer Debatte in seiner Mehrheit noch einmal dazu bekannt, die Todesstrafe für Delikte abzuschaffen, die, was die menschliche Gesellschaft anlangt, weiß Gott schwerwiegender Natur sind.
Wir möchten nicht, daß über den Umweg leichtfertiger Schießerlasse oder dadurch, daß Leute, wenn sie eine Waffe in die Hand bekommen, der Meinung sind, nun schießen zu müssen, für ein Delikt wie Schmuggel die Todesstrafe wieder eingeführt wird.
Als Beauftragter der Bundesregierung hat der Leiter der Zollverwaltung, Herr Ministerialdirektor Dr. Schillinger, das Wort.
Dr. Schillinger, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zollbeamte Weiler befand sich im Urlaub in Zivil im Zollgrenzbezirk. Ein Zollgrenzdienstbeamter ist nach den Gesetzen — nach der Reichsabgabenordnung und der Strafprozeßordnung — und nach den Dienstvorschriften verpflichtet, jederzeit ihm. bekanntwerdende Zuwiderhandlungen gegen die Zoll- und Steuergesetze aufzugreifen und zu verfolgen. Das gilt auch während eines Urlaubs.
Der Zollgrenzdienstbeamte kann von seinen Befugnissen auch dann Gebrauch machen, wenn er sich in Zivil befindet. Er muß jedoch dem Betroffenen gegenüber einwandfrei als Zollgrenzdienstbeamter erkennbar sein dadurch,
daß er sich ihm gegenüber als solcher ausweist oder sonst erkennbar macht oder daß seine Zollgrenzdienstzugehörigkeit durch das Zusammenwirken mit einem uniformierten Beamten ersichtlich wird.
Beide Voraussetzungen waren gegeben. Der Beamte Weiler hatte sich
bereits beim ersten Ansprechen des Schmugglers vor Beginn der Diensthandlung zweifelsfrei als Zollgrenzdienstbeamter zu erkennen gegeben.
Der Beamte hat auch im Laufe der weiteren Verfolgung des Schmugglers für den Schmuggler erkennbar mit den uniformierten Beamten der motorisierten Zollgrenzaufsichtsstelle Hermeskeil zusammengewirkt.
— Er war in Zivil, wie ich bereits ausführte,
und hat mit den uniformierten Beamten der Zollgrenzaufsichtsstelle Hermeskeil zusammengewirkt. Aus den Zurufen des Schmugglers selbst ist ohne weiteres festzustellen, daß der Schmuggler keinen Zweifel über die Funktion des Beamten gehabt hat.
Eine Anordnung der Bundesfinanzverwaltung, daß Karabiner nur nachts auf eventuell fliehende Autos eingesetzt werden dürfen, besteht nicht.
Die Einbeziehung von Hermeskeil in den Zollgrenzbezirk entspricht den taktischen Notwendigkeiten der Grenzüberwachung. Der Zollgrenzbezirk ist durch Rechtsverordnung der Oberfinanzdirektion Koblenz auf Grund gesetzlicher Ermächtigung in § 4 Abs. 2 des Zollgesetzes festgelegt worden. Die Verordnung ist vom 17. September 1952 — Bundesanzeiger Nr. 210 vom 29. Oktober 1952 —.
Es entspricht nicht den Tatsachen, daß der Vorsteher des Hauptzollamtes Trier, Regierungsrat Weskamp, angeblich informatorisch mitgeteilt hat, jeder Beamte, der nach zweimaligem Warnschießen nicht gezielte Schüsse abgibt, würde von ihm zur Verantwortung gezogen.
Auch im Hauptzollamtsbezirk Trier werden die Zollgrenzdienstbeamten laufend in der Anwendung von Polizeigriffen ausgebildet. Die Umstände im vorliegenden Fall ließen aber die Anwendung von Polizeigriffen nicht zu.
Im übrigen darf darauf hingewiesen werden, daß die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zur Klärung des Falles und zu der nach den Strafgesetzen erforderlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Waffengebrauchs noch andauern. Das Ergebnis dieser Prüfung wird abzuwarten sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir scheint, daß man mit Zurufen wie „Kopfjäger" oder mit einem Satz, den der sehr verehrte Kollege Jacobs gebraucht hat, von der „Mißachtung des zivilen Wesens durch die Uniform", die er bereits wieder beobachten könne, das Problem bei weitem überspitzt.
Was auch ich beklage, Herr Kollege Jacobs, ist jener geschilderte Fall. Aber ich kann mir nach den beiden Darstellungen noch kein abschließendes Urteil bilden. Audiatur et altera pars — man muß erst das Ergebnis einer richterlichen Untersuchung abwarten und dann seine Schlußfolgerungen ziehen.
Ich bedauere allerdings, daß nicht der Herr Finanzminister oder sein Staatssekretär als die beiden politisch dem Hause verantwortlichen obersten Dienstherren hier im Parlament dazu Rede und Antwort stehen.
Ich habe das Gefühl, daß diese Vorkommnisse, wie so oft, auf den Schultern des kleinen Mannes ausgetragen werden.
Wir machen Gesetze und Verordnungen und wollen die Unversehrtheit des Bundesgebietes und seiner Wirtschaft sicherstellen. Wenn dann in Verfolg und in Ausführung jener Gesetze und Verordnungen derartige Zwischenfälle passieren, ist es allerdings richtig, nach den Ursachen zu forschen. Es ist aber falsch, immer nur den Grenz- und den Zollbeamten als den Schuldigen hinstellen zu wollen, nach dem alten Motto: Nur der kleine Mann ist schuld und den Letzten beißen die Hunde.
Vielleicht sind die Richtlinien für den Waffengebrauch und für die Abwehr lückenhaft, wie das ja aus der Ausschußdrucksache Nr. 3914 hervorgeht. Ich möchte jedoch nicht, daß man die Schuld auf jene Tausende von Zollbeamten abwälzt, die für uns alle in mühseliger Tag- und Nachtarbeit auf sehr gefährlichem Posten stehen.
Ich meine, wenn man sich der Gefahr entziehen will, dann soll man nicht schmuggeln. Auch vor der Bundestagswahl lehne ich es ab, selbst wenn dabei manche Schmugglerstimme im Aachener Raum verlorengeht, etwa hier so zu tun, als ob der Schmuggler der Märtyrer und der Zollgrenzbeamte der Verbrecher wäre.
Ich wiederhole, wer Zwischenfällen entgehen will, soll den Schmuggel gefälligst meiden.
Im übrigen habe ich mich bei der Zollgrenzschule in Bonn überzeugen können, daß sogar zwei aus amerikanischem Armeebesitz stammende Straßenpanzerwagen zum Schmuggel verwendet werden.
Wir wissen außerdem, daß die Agenten und Infiltranten nicht so dumm sind, ausgerechnet über die Zonengrenze zu uns zu kommen. Sie wählen den viel bequemeren Weg über Frankreich, über Holland oder über Belgien und gehen hier durch die offene Tür im Aachener Raum.
Wir sollten auch darauf und nicht nur auf den Kaffee unser Augenmerk richten.
Ich möchte daher vorschlagen, daß der Herr Bundesfinanzminister oder sein Staatssekretär zumindest im Zollausschuß baldmöglichst lückenlos über die Vorgänge berichtet und gleichzeitig Vorschläge darüber macht, wie auf der einen Seite tragische Zwischenfälle und Unfälle vermieden werden können, wie auf der anderen Seite aber auch die Sicherheit und das Leben der Zollgrenzschutzbeamten und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit gewahrt werden können. Sie sollen nicht Prügelknaben, vielleicht sogar des Parlaments, sein. Ich entsinne mich, daß der Herr Kollege Menzel, der ja vier Jahre lang der oberste Dienstherr der Polizei Nordrhein-Westfalens gewesen ist, sich einmal bitter beklagt hat, daß sich ein Polizist, der nur mit 5 Schuß bewaffnet war, von einem Verbrecher erschießen lassen mußte, der sich nicht an die alliierten Kontrollbestimmungen hielt, sondern 8 Schuß in seinem Magazin hatte. Herr Kollege Menzel hat damals mit Recht die mangelhafte Ausrüstung und jene gebundenen Hände der Polizeibeamten beklagt. Vielleicht gilt im Hinblick auf die beiden Straßenpanzerwagen dasselbe auch für manchen Zollbeamten, der heute in ähnlicher Situation steht.
Herr Abgeordneter Jacobs!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Vertreters des Bundesfinanzministeriums, aber auch die des Herrn Kollegen Dr. Mende zwingen mich doch, im Interesse der Wahrheit einiges zu sagen, vor allem das eine oder andere richtigzustellen. Die vorbereitete Antwort des Vertreters des Bundesfinanzministeriums ist wohl eine Erwiderung auf eine telegraphische Bitte meinerseits an das Hauptzollamt in Trier, sich zu einigen Dingen zu äußern. Herr Bundesfinanzminister, Sie hätten doch in diesem Falle höchstens sagen können, die Darstellung des Leiters des Hauptzollamts Trier besage, daß er das und das nicht gesagt habe, obwohl die Behauptung, er habe niemals eine Instruktion gegeben, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, im Widerspruch zu dem steht, was er in einer Presseveröffentlichung selbst erklärt hat. Er hat darin gesagt, niemals erklärt zu haben, daß ein Zollbeamter, der nach zwei Warnschüssen keinen gezielten Schuß abgebe, zur Verantwortung gezogen würde; er habe sich nur gegen eine wilde Schießerei an der Grenze durch unkontrollierte Warnschüsse gewandt, die zur Schmuggelbekämpfung ungeeignet sei. Nun frage ich Sie: was ist daraus zu entnehmen, wenn man sich gegen eine wilde Schießerei, gegen wilde Warnschüsse wendet und verlangt, daß die Waffe angewendet wird, die zur Schmuggelbekämpfung auch wirklich geeignet ist? Das ist doch ein Streit um Worte, das ist doch Sophisterei. Die Beamten, die sich beschwerdeführend an mich gewandt haben, haben es jedenfalls so aufgefaßt, daß sie zur Verantwortung gezogen würden, wenn sie unnötigerweise Warnschüsse abgäben.
Damit zu Ihnen, Herr Kollege Dr. Mende! Meinerseits ist keinesfalls, mit keinem Satz, zum Ausdruck gekommen, daß ich die schwierige Lage der Zollbeamten in bestimmten Bezirken verkenne. Aber weil in der Vergangenheit im Hinblick auf die Vorfälle an einigen Grenzstellen mit Recht ein Schießerlaß notwendig war, ist es nicht notwendig, daß man gleich zum Einsatz schwerster Waffen, in
diesem Falle zum Karabiner, in der Schmuggelbekämpfung greift, wenn es sich um ein Gebiet handelt, in dem seit Jahren keinerlei Aufgriffe erfolgt sind, von einem Einsatz gepanzerter Schmuggelfahrzeuge also einfach nicht die Rede sein kann. Wenn ich sage, daß hier nach meiner Auffassung eine Mißachtung des zivilen Lebens durch Leute, die Uniform tragen, zum Ausdruck kommt, dann stehe ich auch dazu. Es ist eine Mißachtung, die nicht nur von deutschen Menschen gezeigt wird, sondern von Uniformträgern aller Nationalitäten, wie wir es an den praktischen Beispielen jeden Tag merken. Wir müssen den Menschen zwar klarmachen können, insbesondere den Beamten des Zolls, daß sie des Schutzes des Staates bedürfen und gewiß sein können; wir müssen sie aber davor warnen, der Meinung zu sein, es sei ihre dienstliche Pflicht, auch in Fällen von der Waffe Gebrauch zu machen, in denen nicht davon Gebrauch gemacht werden muß.
Sie müssen sich die Tatumstände bei Hermeskeil einmal ansehen,, Herr Kollege Dr. Mende! Es ist ein beschämendes Zeugnis für diese vier Beamten, von denen drei motorisiert waren, die versucht haben, dem Schmuggler den Weg abzusperren, daß. es ihnen nicht gelungen ist, zu vier Mann hoch die körperliche Leistungsfähigkeit aufzubringen, um dieses Mannes ohne Anwendung der Waffe habhaft zu werden.
Wir haben auf die Aussprache Wert gelegt, damit das Finanzministerium sich nicht mit der einseitigen, subjektiven, ein schlechtes Gewissen verratenden Darstellung des Hauptzollamtes begnügt, sondern unmittelbar daran geht, die Vorfälle zu prüfen, solange sie noch aktuell sind, um endlich einmal zu erreichen, daß hier die tatsächlich gegebenen Fakten geklärt werden; denn die disziplinarischen Maßnahmen, wie sie in der Vergangenheit üblich waren, haben doch zu keinem Ergebnis geführt. Wenn das Finanzministerium noch vier Wochen wartet, wird keiner der Beamten noch den Mut haben oder in der Lage sein, eine Aussage zu machen, die geeignet ist, den Mann zu belasten.
Ich erkläre ausdrücklich: wenn hier jemand vom Zoll schuldig ist, dann nach meiner Auffassung in erster Linie derjenige Leiter, der seine Beamten zu solchen Maßnahmen ermuntert bzw. aufgefordert hat.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Ich schließe die Besprechung.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses, Drucksache Nr. 4254. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich komme zum Punkt 15 der gestrigen Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen an ehemalige deutsche Kriegsgefangene (Nr. 4316 der Drucksachen);
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FU , den Abgeordneten Merten, Frau Hütter und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener; (Nr. 4318 der Drucksachen);
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der FDP, DP und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener ;
d) Beratung des Antrags der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener .
Herr Abgeordneter Ewers hat mir mitgeteilt, daß der Gesetzentwurf zu d sich durch den Gesetzentwurf zu c, an dem die Deutsche Partei beteiligt ist, erledige.
Es ist vorgeschlagen, eine Begründungszeit von je 10 Minuten und eine Gesamtaussprachezeit von 60 Minuten vorzusehen.
Zur Begründung des Zweiten Heimkehrergesetzes Frau Abgeordnete Dr. Probst, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich beschränke mich in diesem Augenblick gemäß der Geschäftsordnung auf die Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs, während ich den größeren Zusammenhang, in den dieser Gesetzentwurf hineingestellt werden muß, im Laufe der Aussprache darlegen darf.
Die Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP haben unter dem 6. Mai 1953 in eigener Initiative den Entwurf eines Gesetzes über Leistungen an ehemalige deutsche Kriegsgefangene — Zweites Heimkehrergesetz — dem Hohen Hause vorgelegt, überzeugt von der Dringlichkeit und der Priorität des Rechtsanspruchs jedes einzelnen Heimkehrers auf gesetzlich verankerte individuelle umfassende Leistungen, die in individueller Anpassung der Schwere und Besonderheit des Einzelschicksals gerecht zu werden imstande sind. Es geht darum, die Heimkehrer durch individuell gestaltete, fortwirkende und ausbaufähige gesetzgeberische Maßnahmen in den Stand zu setzen, die Schwere des Schicksals und seine Folgen zu überwinden. Das Ziel muß sein, ihnen in persönlicher Weise die Gewißheit zu geben, heimgekehrt zu sein.
Meine politischen Freunde und ich sind überzeugt, daß das Heimkehrergesetz in seiner bisherigen Fassung der inzwischen eingetretenen Entwicklung nicht mehr angepaßt ist und einer wesentlichen Fortentwicklung und Erweiterung bedarf. Dabei müssen Lücken geschlossen und Härten beseitigt werden. Dies ist um s6 unerläßlicher, als mit dem Ersten Heimkehrergesetz vom 19. Juni 1950 gesetzgeberisches Neuland betreten worden ist. Darum ergibt sich in besonderer Weise die Notwendigkeit, die Auswirkung dieses Ersten Heimkehrergesetzes laufend zu beobachten und an seiner Fortentwicklung und Ausgestaltung zu arbeiten. Die Maßnahmen müssen in ihrer gesetzlichen Regelung auf die fortgeschrittene Rechts- und Sozialentwicklung abgestimmt und ihr angepaßt werden.
Nach dem Außerkrafttreten des Soforthilfegesetzes und dem damit verbundenen Fortfall der Existenzaufbaudarlehen hat sich eine Lücke ergeben, die durch eine Regelung im Zweiten Heimkehrergesetz zu schließen ist. Nach § 2 der Zweiten Verordnung über Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz können zwar Existenzaufbauhilfen im Härteausgleich an einen Spätheimkehrer geleistet werden, aber nur bis eine entsprechende Regelung durch das neue Heimkehrergesetz erfolgt ist.
Wir sind also als Gesetzgeber gehalten, das Heimkehrerrecht neu zu fassen. Die Verpflichtung dazu ist aber eine tiefere. Ich darf mich beziehen auf das Wort des Herrn Bundespräsidenten Heuss, der gesagt hat, daß die Verpflichtung den Heimkehrern gegenüber ein Humanum sei, also zutiefst eine menschliche Verpflichtung, eine Sache des Herzens.
Es geht uns zunächst um die Erweiterung des Personenkreises. Das Zweite Heimkehrergesetz nimmt in den Personenkreis mit auf die Zivilverschleppten, die nach dem Zusammenbruch in großer Zahl von den Besatzungsmächten bzw. von den ehemaligen Feindmächten zu Arbeitsleistungen in das Ausland gebracht worden waren. Sie waren vielfach nicht interniert, sondern nur freiheitsbeschränkt. Ihre Arbeitsbedingungen ähnelten aber denen der Kriegsgefangenen und Internierten.
Wir haben ferner diejenigen einbezogen, die in der östlichen Besatzungszone und in Berlin interniert gewesen waren, und zwar dann, wenn sie als Sowjetzonenflüchtlinge im Sinne des § 3 des Vertriebenengesetzes nach dem 30. November 1949 entlassen worden sind und mehr als 12 Monate interniert waren. Wir haben den Personenkreis weiterhin auf Ausländer und Staatenlose ausgedehnt, die auf deutscher Seite gekämpft haben.
Im Zusammenhang mit der Erweiterung des Personenkreises ist wesentlich die Verbesserung der Härtebestimmungen, die es jetzt ermöglicht, sämtliche Leistungen des Gesetzes, einschließlich Existenzaufbauhilfe, Hausrat und Wohnraum, auch in Härtefällen zu gewähren.
Wir haben die Krankenhilfe des Ersten Heimkehrergesetzes nunmehr auch auf Selbständige ausgedehnt, die die Kosten nicht selbst tragen können und die nicht sozialversichert und damit krankenversichert sind. Wir haben so auf diese Weise auch die Heimkehrer aus dem Mittelstand berücksichtigt. Die Leistungen der Krankenhilfe müssen durch einen entsprechenden Ausbau der Maßnahmen ergänzt werden, die der Erholung des Heimkehrers dienen. Diese Maßnahmen sind nunmehr bundeseinheitlich geregelt und sollen vom Bund aus den Mitteln der Kriegsfolgenhilfe dotiert werden.
Es hat sich herausgestellt, daß die Bestimmungen des Ersten Heimkehrergesetzes, nach denen dem Heimkehrer ein Vorrang bei der Wohnraumzuteilung zu geben ist, nicht genügen. Der Heimkehrer muß an der Neuschaffung von Wohnraum beteiligt sein. Deswegen sieht das Zweite Heimkehrergesetz die Gewährung von Wohnraumbeschaffungsdarlehen vor, die neben den Mitteln des Sozialen Wohnungsbaues zu geben sind, entweder als Eigenkapital, als Baukostenzuschuß oder in welcher Form auch immer. Es ist wesentlich, daß der Anspruch auf Wohnraum für den Heimkehrer und seine Familie auch auf die neu gegründete
Familie ausgedehnt wird. Der Heimkehrer hatte ja in den Jahren, in denen er abwesend war, nicht die Möglichkeit zur Eheschließung. Der zusätzliche Bedarf an Wohnraum muß berücksichtigt werden.
Vor allem ist auch die Gewährung von Beihilfen zur Anschaffung von Hausrat unerläßlich. Bisher waren ja nur Entlassungsgelder und Übergangsbeihilfen vorgesehen; aber dem Heimkehrer kann nicht zugemutet werden, den notwendigen Hausrat aus diesen Mitteln zu beschaffen.
Wir haben außerdem aufgenommen die Bestimmung über die Gewährung von Existenzaufbauhilfe, die bis zu einer Höhe von 35 000 DM gewährt werden soll, und zwar zinslos mit zwei Freijahren, dann tilgbar in zehn Jahren. Diese Möglichkeit soll auch den Frauen der Kriegsgefangenen, die sich noch immer in fremdem Gewahrsam befinden, zur Sicherung der Existenz des noch abwesenden Kriegsgefangenen gegeben werden.
Vor allem eines erscheint uns wesentlich: Wir haben in diesem Gesetzentwurf die Arbeitsämter angewiesen, in freie Arbeitsstellen bevorzugt Heimkehrer zu vermitteln, die seit dem 1. Januar 1948 entlassen worden sind, die aber ohne ihr Verschulden eine ständige Tätigkeit in dem bisherigen oder angestrebten Beruf noch nicht wieder aufgenommen haben und haben aufnehmen können. Das ist also der fortwirkende Anspruch auf den rechten Arbeitsplatz in der Berücksichtigung des bisherigen, aber auch des angestrebten Berufs. Wir haben folgerichtig den Kündigungsschutz auf dieses endgültige neue Arbeitsverhältnis ausgedehnt. Bisher bezog es sich nur auf die erste Arbeitsvermittlung nach der Heimkehr.
Weiterhin hat der Gesetzentwurf die Rentenversicherung für die Heimkehrer insoweit erweitert, als bei der Anwartschaft und bei den Steigerungsbeträgen die Zeit der Arbeitslosigkeit angerechnet wird, zu der der Heimkehrer nach seiner Rückkehr zuerst gezwungen war.
Wir haben bei den bevorzugten Berufseingliederungsmöglichkeiten vor allem auch die freien Berufe einbezogen und die Vorschriften über die bevorzugte Zulassung auf alle genehmigungs- und zulassungspflichtigen gewerblichen Tätigkeiten ausgedehnt. Wir versprechen uns davon eine kräftige Hilfe für die Heimkehrer aus dem gewerblichen Mittelstand.
Der Entwurf enthält wirksame Bestimmungen für den älteren Heimkehrer-Arzt. Für ihn ist es notwendig, die Zeit der Gefangenschaft auf die Vorbereitungszeit für die Kassenzulassung anzurechnen.
Ebenso haben wir die Heimkehrer im öffentlichen Dienst besonders berücksichtigt. Wir werden die Richtlinien des Bundesinnenministeriums über die Prioritätenverteilung nicht abwarten, sondern in diesem Gesetz dem Heimkehrer eine Priorität zur Einstellung im öffentlichen Dienst geben.
Ich darf abschließen, indem ich erkläre, daß die Koalitionsparteien entschlossen sind, noch in dieser Legislaturperiode das Zweite Heimkehrergesetz zur Verabschiedung zu bringen, da es darum geht, durchgreifende und rasche Hilfe zu bieten. Ich beantrage Überweisung an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen.
Herr Abgeordneter Merten zur Begründung des Gesetzentwurfs Drucksache Nr. 4318.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte zu dem Ihnen vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Die Ausarbeitung dieses Entwurfs und seine Vorlage durch meine Fraktion und die Fraktion der FU ergab sich aus dem Beschluß dieses Hohen Hauses vom 27. November 1952. Die Bundesregierung ist dem durch diesen Beschluß an sie gerichteten Ersuchen, ein Gesetz über die Entschädigung an deutsche Kriegsgefangene vorzulegen, nicht nachgekommen. Erst vor wenigen Tagen, am 3. Juni 1953, hat der Herr Bundesminister für Arbeit auf eine Anfrage des Herrn Kollegen Parzinger erklärt, daß die Vorlage dieses Gesetzes im Sinne des Beschlusses vom 27. November 1952 wegen der sich ergebenden erheblichen Schwierigkeiten in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich sein werde.
Nur neun Wochen vorher aber, am 25. März 1953, hat der Herr Bundesminister für Vertriebene erklärt, daß der Referentenentwurf dieses Gesetzes fertiggestellt sei, daß er die Ressortbesprechungen mit allen Mitteln beschleunigen und alles tun werde, um den Gesetzentwurf so bald als möglich dem Bundestag vorzulegen. Wir haben uns natürlich Gedanken darüber gemacht, was in der Zwischenzeit geschehen sein könnte. Wir haben festgestellt, daß der Herr Bundesminister Lukaschek inzwischen in Urlaub gegangen ist und der Herr Bundesminister Storch ihn während dieser Zeit vertreten hat. Wir haben daraus den Schluß gezogen, daß das vielleicht der Grund dafür sein könnte, daß inzwischen ein Stopp in der weiteren Bearbeitung des Entwurfes eines entsprechenden Gesetzes eingetreten ist, dessen Vorlage dieses Haus fast einstimmig gefordert hat.
In derselben Sache hat meine eigene Fraktion bereits am 18. März 1952 und am 28. März 1953 Kleine Anfragen an die Bundesregierung gerichtet. Noch am 11. April dieses Jahres hat die Bundesregierung durch den Bundesminister für Vertriebene mitgeteilt, daß er mit der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs betraut sei und daß Verhandlungen über die Deckung der zu erwartenden Ausgaben geführt würden.
Aber am 20. Juni 1951 schon stand diese Frage hier zur Debatte, als wir über die Gebührnisansprüche deutscher Minenräumer in Norwegen sprachen. Damals ist dieser Antrag nicht abgelehnt, sondern der Bundesregierung als Material für eine künftige allgemeine Gesetzgebung über die Entschädigung für alle ehemaligen Kriegsgefangenen überwiesen worden. Das heißt mit anderen Worten, die Bundesregierung hat zwei Jahre Zeit gehabt, sich, veranlaßt durch die Beschlüsse dieses Hauses, mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen, wenn sie es schon nicht von sich aus als eine Selbstverständlichkeit angesehen hat, diese Dinge einer Regelung zuzuführen. Die vom Herrn Bundesarbeitsminister am 3. Juni 1953 angedeuteten erheblichen Schwierigkeiten hätten in diesen zwei Jahren längst überwunden werden können. Bei der Antwort auf frühere Anfragen ist von diesen Schwierigkeiten auch niemals die Rede gewesen.
Meine Fraktion hat, wie ich bereits am 9. Oktober 1952 hier ausführen konnte, sehr stark den Eindruck, daß die Bundesregierung bzw. der für diese Angelegenheit verantwortliche Ressortminister den Fragen, die sich aus der Kriegsgefangenschaft nicht nur für die hilfsbedürftigen, sondern für alle Kriegsgefangenen ergeben, nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hat, die vielleicht notwendig gewesen wäre, und nicht die Energie aufgebracht hat, die zur Klärung dieser Fragen angebracht gewesen wäre. Ich erinnere daran, daß bis heute noch keine Erhebungen über den Umfang der Kriegsgefangenschaft und darüber angestellt worden sind, wann und in welchem Umfang die Entlassungen durchgeführt worden sind. Die Heimkehrerbefragung des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes hätte eine ausgezeichnete Gelegenheit geboten, diese Erhebungen gleich mit zu erledigen. Damit wären Zeit und Kosten gespart worden. Diese Gelegenheit wurde aber nicht wahrgenommen. Auch zur Klärung der Frage des abgenommenen Privateigentums der Kriegsgefangenen und vieler anderer Dinge ist nichts geschehen. Es ist nicht Sache des einzelnen Kriegsgefangenen, sich über die Einhaltung der völkerrechtlichen Vorschriften mit seinem Gewahrsamsstaat auseinanderzusetzen. Dies ist und bleibt während des Krieges Sache der Schutzmacht; nach dem Kriege ist es selbstverständlich Sache seines Heimatstaates.
Die Kriegsgefangenen bzw. die ehemaligen Kriegsgefangenen haben nach der Behandlung ihres Entschädigungsanspruchs hier im Bundestag — und das bitte ich Sie ernst zu nehmen — auf dieses Parlament ihr Vertrauen gesetzt, und zwar auf das ganze Parlament, daß es nicht bei den bisherigen Verhandlungen bleibt, sondern daß sich nach diesen Verhandlungen ihr Inhalt in einem konkreten Gesetzentwurf niederschlägt. Meine Fraktion glaubte, ebenso wie die Fraktion der Föderalistischen Union, es nicht zulassen zu können, daß dieses Vertrauen der Kriegsgefangenen in das Parlament dadurch erschüttert wird, daß es nicht zur Verabschiedung dieses Gesetzes kommt. Wir haben idem Hohen Hause aus diesem Grunde einen Gesetzentwurf vorgelegt, der, soweit er grundsätzliche Dinge betrifft, in seinem Inhalt der bisherigen Haltung unserer Fraktion entspricht.
Die im vorliegenden Entwurf vorgesehene Entschädigung von 1 DM pro Tag der Kriegsgefangenschaft vom 1. Januar 1947 ab und von 2 DM vorn 1. Januar 1949 ab ist nur als eine Mindestentschädigung anzusehen, und zwar sowohl was die Fristen als auch die Höhe der Beträge angeht. Wir betrachten diese Entschädigung vor allen Dingen nicht als so etwas wie eine Haftentschädigung, sondern sind der Auffassung, daß man den Kriegsgefangenen für das Unrecht, das sie in der Kriegsgefangenschaft und durch diese erlitten haben, für die seelischen und körperlichen Nöte, die sie und ihre Familien durchgemacht haben, nicht mit Geld etwas geben kann, was das alles aufwiegen könnte. Die Entschädigung kann man nicht ansehen als eine Entschädigung für Erlittenes, sondern muß sie als eine Entschädigung für Geleistetes betrachten, nämlich für das, was die Kriegsgefangenen stellvertretend für das ganze deutsche Volk vollbracht haben. Sie sind ja die ersten und zweifellos nicht die schlechtesten Botschafter gewesen, die Deutschland nach dem Zusammenbruch bei den früheren Feindmächten gehabt hat. Die Anerkennung dieser Leistungen ist gleichsam eine Ehrensache des ganzen Volkes gegenüber diesen seinen Gliedern. Sie ist eine Sache von eminenter politischer Bedeutung; denn von ihr wird es abhängen, ob diese Generation der Kriegsgefangenen zu den Einrichtungen unseres demokratischen Staates Vertrauen gewinnen unid aus diesem Vertrauen zu der erforder-
lichen aktiven und freudigen Mitarbeit an unserem Staat bereit sein kann. Man darf daher dieses Gesetz nicht lediglich vom fiskalischen Standpunkt her sehen; sonst geht man an dem Kern des Problems restlos vorbei.
Über die Einzelheiten dieses Gesetzes will ich jetzt nicht sprechen. Unser Entwurf deckt sich weitgehend mit den Entwürfen der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei. In einem Punkt unterscheiden sich die Entwürfe. In dem Entwurf meiner Fraktion und der FU sind auch die Fragen der Existenzaufbauhilfe, der Wohnraumhilfe und der Hausrathilfe angesprochen. Da nämlich Entschädigungszahlungen auf diese Hilfen angerechnet werden sollen, gehören beide Dinge unserer Auffassung nach zusammen in dasselbe Gesetz. Die Notwendigkeit einer Regelung dieser drei Fragen bedarf keiner Begründung. Auch Frau Dr. Probst hat sie in ihren Ausführungen eben klar herausgestellt. Allerdings muß bei dieser Gelegenheit von vornherein gesagt werden, daß die 10 Millionen DM, von denen der Herr Bundesarbeitsminister am 3. Juni 1953 gesprochen hat, nur ein Tropfen auf einen heißen Stein sein werden; denn sie stehen in gar keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Notständen, unter denen die Heimkehrer leiden.
Das vorliegende Gesetz wird keine hundertprozentige Lösung aller Fragen bedeuten; aber es ist eine Mindestvorstellung von dem, was getan werden muß, und bedeutet einen ersten Schritt zur Lösung der Fragen.
Wir legen Wert darauf, daß diese ganze Hilfe nicht nur den Kriegsgefangenen im Sinne des Völkerrechts, sondern auch denjenigen, die praktisch in derselben Situation gewesen sind, nämlich den Zivilinternierten und den Zivilverschleppten, zugute kommt; denn sie haben genau das gleiche durchmachen müssen. Ferner soll sie auch den Frauen, den Familien derjenigen Kriegsgefangenen gewährt werden, die wider alles Recht und wider jede Menschlichkeit heute noch von den Gewahrsamsstaaten festgehalten werden.
Wir glauben, daß die bereits in die Einzelheiten gehende Ausarbeitung des Entwurfs eine beschleunigte Verabschiedung im Ausschuß ermöglichen wird, und geben der Hoffnung und Erwartung Ausdruck, daß wir in kurzer Zeit zur zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes kommen können. Das wird um so mehr möglich sein, als die Feststellung der Ansprüche im einzelnen die Zeit bis zum Ende dieses Haushaltsjahrs in Anspruch nehmen wird, weil auf diesem Gebiet bedauerlicherweise keine Vorarbeiten geleistet worden sind. Mit größter Beschleunigung muß an die Erledigung dieser Vorarbeiten gegangen werden. Das ist eine unumgängliche Voraussetzung für die Durchführung des Gesetzes. Diese Tatsache hat zur Folge, daß im laufenden Haushaltsjahr wahrscheinlich kaum noch Mittel für die Leistungen dieses Gesetzes zur Verfügung gestellt werden müssen, da sich der Gesamtumfang der Kasten erst übersehen läßt, wenn das Feststellungsverfahren durchgeführt ist. Darüber wird im Ausschuß noch des näheren zu sprechen sein. Meine Fraktion wünscht, daß wenigstens für die sozial dringlichen Leistungen, also insbesondere die Leistungen für den Existenzaufbau, für die Wohnraum- und Hausratbeschaffung, schon im laufenden Haushaltsjahr Zahlungen ermöglicht werden.
Ich beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung der Drucksache Nr. 4318 an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen.
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eben ausgeführt worden, daß der Regierungsentwurf wahrscheinlich deshalb nicht vorgelegt worden sei, weil ich vorübergehend die Leitung des Vertriebenenministeriums übernommen hätte. Ich will Ihnen ganz offen und frei sagen, daß tatsächlich in unserem Vertriebenenministerium ein Gesetzentwurf als Referentenentwurf vorgelegen hat. Ich habe ihn mir sehr genau angesehen, und da ich es nicht liebe, daß den Leuten Versprechungen gemacht werden, die erst in zwei oder drei Jahren erfüllt werden sollen, habe ich diesen Referentenentwurf nicht weiter bearbeiten lassen. Ich sage Ihnen das in aller Offenheit und Klarheit.
Ich halte es auch nicht für richtig, daß man erst von einem gewissen Stichtag an den Leuten eine Entschädigung für ihre Kriegsgefangenschaft gibt. Diejenigen Menschen, die in den Jahren 1945 und 1946 deshalb, weil sie gesundheitlich restlos zusammengebrochen waren und für die Macht, die sie in ihren Händen hatte, keine Arbeitsleistung mehr vollbringen konnten, uns zurückgegeben wurden, können meines Erachtens, weil sie vielleicht nicht ebensolange in Gefangenschaft waren, wie ein anderer, der erst 1947 zurückgekommen ist, nicht ausgeschaltet oder ausgeschlossen werden, wenn man überhaupt für die Kriegsgefangenen etwas tun will. Wir alle haben doch die Menschen, die wir in den ersten Jahren nach dem Kriege aus Rußland zurückbekommen haben, erlebt. Wir haben sie doch alle gesehen, wie sie, unter den Hungerkrankheiten völlig zusammengebrochen, zu uns herübergebracht wurden. Nun diese Leute schlechter zu stellen als diejenigen, die später doch vielleicht etwas besser behandelt worden sind, halte ich für eine Unmöglichkeit.
Die Darlegungen, die vorhin gemacht wurden, daß keinerlei Erhebungen getroffen worden seien, treffen ebenfalls nicht zu. Diese Zahlen können Sie von uns jeden Tag bekommen; ich will sie Ihnen aber hier in aller Öffentlichkeit darlegen.
Die Zahl der Heimkehrer im Jahre 1948 betrug rund eine halbe Million, im Jahre 1949 320 000. Dann haben wir im Jahre 1950, ganz genau gerechnet, 21801, im Jahre 1951 4011, im Jahre 1952 16 099 und im Jahre 1953 bisher 168 aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrte Menschen bekommen.
Wir werden unsere Dienste in der Beratung der Entwürfe im Ausschuß gern zur Verfügung stellen, und ich will hoffen, daß man dann die Auffassungen, die ich über diesen Punkt habe, weitgehend teilen wird.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hütter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Merten hat soeben den Initiativgesetzentwurf der SPD und FU begründet, den ich selber mit unterschrieben habe. Er hat sich dabei ,auf den einmütigen Beschluß des Bundestags vom November vorigen Jahres berufen, den wir seinerzeit in der Absicht gefaßt haben, das Ent-
schädigungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Es kann sich somit nicht um einen Propagandaantrag kurz vor den Neuwahlen des Bundestags handeln; denn die Vorarbeiten für die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs gehen bis auf den Herbst 1951 zurück, und manche der in den Gesprächen mit den Ministern geäußerten Ideen sind in den Vorlagen der Parteien verwirklicht worden.
Wenn Sie sich 'außerdem recht entsinnen, wissen Sie, daß ich meinen Antrag vom vorigen September, der dem Beschluß des Bundestags vorangegangen war, befristet habe, um ganz sicher zu gehen, daß das Gesetz, dessen Vorlage der Bundestag von der Regierung gefordert hat, auch tatsächlich zur Verabschiedung kommt. Der von mir geforderte Termin zur Vorlage konnte nicht eingehalten werden. Daß aber sieben Monate vergehen würden, ohne daß die Regierung den Beschluß des Parlaments ausführen würde, haben weder die Antragsteller noch 'die Mehrheit des Parlaments erwartet.
Es war daher nicht möglich, noch länger zu warten Was den Stichtag angeht, Herr Minister, so hätte man sich darüber im Ausschuß unterhalten können. Das ist nicht ein Hindernis für die Beratung und die Verabschiedung eines solchen Gesetzes gewesen. Das Parlament mußte initiativ werden, und ich freue mich, daß zu dem Antrag der SPD, FU und der Kollegen Merten, Hütter der Antrag meiner Fraktion Drucksache Nr. 4446, der im wesentlichen mit der anderen Vorlage übereinstimmt und den die DP mit unterzeichnet hat, gekommen ist. Die Unterschiede zwischen den vorliegenden Entwürfen beziehen sich hauptsächlich auf Formalien. Ich 1 brauche auf den Inhalt nicht weiter einzugehen.
Wie mir nun der Vorsitzende des Kriegsopferausschusses, Herr Kollege Pohle, mitgeteilt hat, wird die Beratung der Parlamentsvorlagen sofort in Angriff genommen werden, so daß meine Befürchtung, wir könnten das Entschädigungsgesetz in diesem Bundestag nicht mehr verabschieden, wegfällt. Ich habe geglaubt, dieser Befürchtung in der Öffentlichkeit Ausdruck geben zu sollen, weil ich keine unerfüllbaren Hoffnungen erwecken wollte. Ich bin glücklich, daß dieser Bundestag, der die Entschädigung an andere Geschädigtengruppen bereits bejaht hat, sich durch diese Vorlagen zur Wiedergutmachung auch an diesen Opfern des verlorenen Krieges, den ehemaligen Kriegsgefangenen, bekennt und dieses Bekenntnis noch in die Tat umsetzen will. Es wäre für immer ein Odium gewesen, wenn wir die Angelegenheit dem nächsten Bundestag überlassen hätten.
Mein besonderer Dank geht in diesem Zusammenhang an die Presse, die die Öffentlichkeit immer wieder auf die Notwendigkeit der Anerkennung der Entschädigung für die ehemaligen Kriegsgefangenen hingewiesen hat und damit psychologisch vorbereiten geholfen hat, was wir jetzt realisieren wollen.
Der Personenkreis, der von diesem Gesetz erfaßt wird, beläuft sich nach vorliegenden Schätzungen auf 1 Million. Daran hängen 3 Millionen Familienangehörige, was zusammen 4 Millionen Menschen ausmacht, 4 Millionen Menschen der jungen Generation, also der Aktivsten unseres Landes, die das schwerste Schicksal erlebt haben. Daß die Einstellung dieses Personenkreises zum Staat und zu unserer Demokratie von ganz großer
Bedeutung ist, ja daß sie für die Existenz dieses Staates sogar von ausschlaggebender Bedeutung ist, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Wenn diese Menschen ihren Kindern etwa sagen müßten, daß ihre Leistungen gegenüber dem Vaterland keine Anerkennung finden, daß es sich 'deshalb auch nicht lohnen würde, für Europa zu kämpfen, daß sie enttäuscht werden würden, dann müßte die Verantwortung für eine solche Haltung diesem Bundestag zugeschoben werden.
Die Entschädigung als Anerkennung für die stellvertretend für das ganze deutsche Volk gebrachten Opfer — ich zitiere hier noch einmal den Herrn Bundespräsidenten — scheint mir ein Mittel zu sein, die Heimkehrer an diesen Staat heranzuführen, da sie den arbeitswilligen und heute noch arbeitslosen Kräften, jenen Kräften, die ein gut Teil unserer nationalen Substanz ausmachen, die Schaffung einer Existenz ermöglicht.
Das gleiche Schicksal in der Kriegsgefangenschaft darf auch keine unterschiedliche Behandlung durch das Gesetz zur Folge haben. Gerade dieser Gedanke aber steckt in dem Antrag der CDU, der nur nach dem zufälligen Gesichtspunkt der augenblicklichen sozialen Lage entschädigen will, während die anderen Anträge dem Unrecht, das unseren Kriegsgefangenen durch die völkerrechtswidrige Behandlung widerfahren ist, Rechnung tragen.
Es wäre einfach kurzsichtig, wenn man diese Opfer willkürlicher Terrormaßnahmen, diese wichtigsten Propagandaträger für eine Abwehrbereitschaft Europas, vor den Kopf stieße. Denn auch andere Länder haben das Opfer des ehemaligen Kriegsgefangenen erkannt. Amerika, das soviel reicher ist als Deutschland, kann jedem seiner Kriegsgefangenen für die Dauer seiner Gefangenschaft den Wehrsold zahlen. Der deutsche Heimkehrer erwartet dies von seinem verarmten Vaterlande nicht; aber er erwartet die Anerkennung, die es ihm ermöglicht, eine Existenz zu schaffen und am Wiederaufbau Deutschlands teilzunehmen. Dieser Wunsch war sein schönster und meistgeträumter Traum in den langen schlaflosen Nächten der Kriegsgefangenschaft. Und nun sind wir da, wo es möglich ist, daß ein 56jähriger, seit drei Jahren in der Heimat anwesender arbeitsloser Heimkehrer schreiben muß:
Ich habe 17 Jahre meines Lebens dem Vaterland in zwei Weltkriegen opfern müssen, obwohl ich nur Reservist war. Für diese 17 Jahre ist dieses Vaterland nicht bereit, auch nur einen winzigen Bruchteil seiner sittlichen Verpflichtung zu erfüllen.
Dieser Mann wohnt in einem Gebiet der Bundesrepublik, wo wie in Berlin, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein bis zu 70 % der Heimkehrer arbeitslos sind, ein Zeichen, daß wir handeln müssen, und zwar so schnell wie möglich.
Es freut mich besonders, in diesem Zusammenhang feststellen zu können, daß alle Vorlagen des Bundestages eine Existenzaufbauhilfe bis zu 35 000 DM vorsehen und der Notwendigkeit der Gewährung solcher Darlehen Rechnung tragen.
Seit drei Jahren kämpfe ich nun um die Anerkennung der Entschädigung für ehemalige Kriegsgefangene. Ich erinnere an die erste Diskussion im
Ausschuß für Kriegsopferfragen im Sommer 1950 bei der Beratung zum Heimkehrergesetz. Und immer noch steht die Erfüllung dieser so berechtigten Forderung aus. Noch vor einem Dreivierteljahr, als ich abermals die Frage anschnitt, ware meiner Auffassung nach der Zeitpunkt dagewesen, dieses Gesetz zu verabschieden. Sie sehen also, es handelt sich wahrhaftig nicht um einen Wahlschlager, auch nicht um eine parteipolitische Angelegenheit,
sondern hierbei geht es meiner Meinung nach um eine selbstverständliche Verpflichtung des deutschen Volkes. Ihr nachzukommen, bedeutet doch die Gewinnung des betroffenen Geschädigtenkreises zu einer staatsbejahenden Haltung aus eigenem und freudigem Antrieb.
Der Ausgleich der Lasten aber ist nicht nur zwischen Flüchtlingen und Einheimischen, zwischen Fliegergeschädigten und den noch einmal Davongekommenen ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern ebensosehr zwischen dem zur Fronarbeit gezwungenen und dem frei gebliebenen Teil der Nation. Die Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft sind wie die Opfer der Konzentrationslager die tragischsten Figuren der Politik des Dritten Reiches.
Es ist dem Verantwortungsgefühl der Heimkehrer zu verdanken, daß sie diese ihre Entschädigungsforderung auf 1 bzw. 2 DM pro Tag der Gefangenschaft beschränken. Als einzige aller Geschädigtengruppen haben sie von Anfang an erklärt, daß sie in dem Maße bereit sind, von ihrer Forderung zurückzutreten, in dem andere Geschädigtengruppen dies tun. Mehr kann sich eine Regierung von ihren Staatsbürgern nicht wünschen.
Dieser Bundestag hat sich durch seinen Beschluß und die vorliegenden Anträge, wozu ich die Zweite Novelle zum Heimkehrergesetz rechne, die meine Fraktion ebenfalls für notwendig erachtet, für die Entschädigung entschieden. Es wird die Aufgabe des Kriegsopferausschusses sein, diese Parlamentsvorschläge unter Berücksichtigung gewisser Unebenheiten, die zwischen diesem Gesetz und anderen in der letzten Zeit verabschiedeten Gesetzen bestehen könnten — hierzu gehört die Begriffsdefinition des Wortes „Sowjetzonenflüchtling", die an das Vertriebenengesetz angepaßt werden muß —, zu beraten und das Beste daraus zu machen.
Ich beantrage deshalb Überweisung an den Kriegsopferausschuß. Ich wiederhole dabei, was ich in der Öffentlichkeit von jeher vertreten habe, daß der für dieses Gesetz notwendige Aufwand im Verteidigungsbeitrag angerechnet werden sollte.
Das Wort hat der Abgeordnete Löfflad.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute das Problem der Heimkehrer behandeln, so möchte ich zunächst feststellen, daß meine Fraktion schon von eh und je auf dem Standpunkt stand,
die Forderung der Heimkehrer als Rechtsanspruch anzuerkennen. Das geht einwandfrei aus der Erklärung meines Kollegen T o b a b en im Oktober vergangenen Jahres hervor, in der er in diesem Hohen Hause sagte, man solle das eine tun und
das andere nicht lassen. Wir befürchteten jedoch, daß man falsche Hoffnungen erwecke, um Zeit zu gewinnen, und jetzt nur leere Versprechungen mache. Das könnte zu einem Wahlschlager führen, was wir für alle Kriegsopfer, nicht nur für die Heimkehrer, ablehnten. Aus diesem Grunde haben wir auch den Antrag Drucksache Nr. 4426 eingebracht, den wir nun, nachdem es gelungen ist, eine breite Basis und die Gewähr für die tatsächliche Verabschiedung eines Heimkehrergesetzes zu schaffen, zurückgegzogen haben. Allerdings stehen wir nach wie vor zu dem, was die Punkte 2 und 3 dieses Antrages besagen.
Alle übrigen Bedenken und Vorwürfe, die jetzt noch erhoben werden, weisen wir mit Entschiedenheit zurück. Wenn man z. B. davon spricht, wir seien nun auch dem Druck eines Interessenverbandes gewichen, so muß doch festgestellt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß man nicht gut von einem Druck von Interessenverbänden sprechen kann, wenn dieser Bundestag im Oktober vergangenen Jahres einstimmig beschlossen hat, dieses Gesetz zu verabschieden.
Man operiert auch mit dem Argument, es handle sich um radikale Interessenverbände. Nun, dieses Argument glaube ich mit nichts besser widerlegen zu können als mit den Worten des Vorsitzenden dieses Heimkehrerverbandes, der am vergangenen Freitag in Stuttgart auf einer Kundgebung erklärte:
Wir werden diese Heimat lieben, selbst wenn sie uns enttäuschen sollte, und wir werden niemals radikal werden.
Das sind nicht Worte, die nach Radikalismus aussehen, sondern das sind Worte, die aus dem Herzen und aus unvergänglicher Liebe zu einer Heimat, die Deutschland heißt, entsprungen sind. Aber wenn diese Menschen, die in unvergänglicher Liebe und treu an dieser Heimat hängen, für die sie gedarbt, gelitten und geopfert haben, enttäuscht würden, müßten wir schlechte Vertreter dieses Volkes und dieser Heimat sein. Ich glaube, daß es, wenn in diesem Parlament die Kriegsgeneration stärker vertreten wäre, als es der Fall ist, nicht zu Auseinandersetzungen über diese Frage hätte zu kommen brauchen.
Was die finanziellen Auswirkungen anlangt, so glauben wir von der Deutschen Partei, daß die Heimkehrer die letzten sind, die nicht einsehen würden, daß von der zerschlagenen und aus allen Wunden blutenden Heimat Unmögliches nicht verlangt werden kann, und das tun sie wahrlich auch nicht. Man sollte es unterlassen, nur dann vom Dank des Vaterlandes zu sprechen, wenn dieser Dank nichts kostet.
Das Argument, dieser Bundestag könne nicht die kommenden Haushalte vorbelasten, ist sehr dürftig, denn wir haben viele Gesetze beschlossen, die Milliardenbeträge erfordern und die auch die kommenden Haushalte belasten. Wenn man diesen Standpunkt einnimmt bei der Beratung der Entschädigung für die ehemaligen Kriegsgefangenen, dann hätte man sich das auch überlegen sollen, als wir den Israel-Vertrag verabschiedeten. Der Bundestag hat sich, als er einstimmig den Beschluß faßte, ein Heimkehrergesetz zu schaffen, zweifellos doch auch darüber Gedanken gemacht, wie die Deckung dafür aufzubringen ist.
Meine Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß in erster Linie das Entschädigungsgesetz verab-
schiedet werden muß, daß dies nicht unter Zeitdruck geschehen darf und daß selbstverständlich auch das andere nicht unterlassen werden soll, d. h. in der Zweiten Novelle die Ansprüche der Heimkehrer so zu befriedigen, wie es die Aufgabe dieses Bundestages ist.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Probst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Ich darf eingangs meiner Ausführungen der Überzeugung Ausdruck geben, daß alle Parteien dieses Hohen Hauses gleichermaßen durchdrungen sind von dem Bewußtsein der Dankesverpflichtung des deutschen Volkes angesichts der Größe der von den deutschen Kriegsgefangenen, Internierten und Zivilverschleppten stellvertretend für das ganze Volk getragenen Opfer und vollbrachten Leistungen.
Meine politischen Freunde und ich sind weiterhin der Überzeugung, daß dieser Dankespflicht nur durch einen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf umfassende Leistungen — wie ich vorhin schon sagte — genügt werden kann, die in individueller Anpassung an die Besonderheiten des Einzelschicksals den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit zu entsprechen vermögen. Ich zitiere hier den Bundestagsbeschluß, der heute schon zweimal angesprochen worden ist, ohne aber vollständig wiedergegeben worden zu sein. In dem damaligen einmütigen Beschluß aller Parteien hieß es: ,,... eine Entschädigung zu gewähren nach Maßgabe der Grundsätze sozialer Gerechtigkeit und im Rahmen des wirtschaftlich Möglichen". Ich darf unter der Sicht des einstimmigen Bundestagsbeschlusses, insbesondere unter Berücksichtigung der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, die vorliegenden beiden Gesetzentwürfe über eine Entschädigung an die ehemaligen Kriegsgefangenen, Internierten und Zivilverschleppten betrachten. Ich darf die Zustimmung der Fraktionen der FDP und der DP annehmen, wenn ich feststelle, daß das von den Abgeordneten Merten und Frau Hütter, der SPD und der FU vorgelegte Heimkehrer -Entschädigungsgesetz Mängel aufweist. Der Gesetzentwurf teilt die Entschädigungsberechtigten in verschiedene Gruppen auf. Es gibt Bevorrechtigte und solche, die es nicht sind. Dabei finden divergierende Gesichtspunkte Anwendung. Einerseits findet eine Bevorzugung rein unter dem Gesichtspunkt der Zeitdauer der Gefangenschaft statt, d. h. Barauszahlungen erhalten bevorzugt diejenigen, die nach dem 31. Dezember 1948 noch in Kriegsgefangenschaft gewesen sind. Daneben sind soziale Merkmale maßgebend, aber nicht in individueller Sicht, sondern in einem Gruppenkatalog von Bevorzugten, die zugleich Heimatvertriebene, Ausgebombte und Schwerbeschädigte sind. Diese sollen innerhalb von 6, 9 und 12 Monaten nach Anerkennung des Anspruchs bevorzugt Auszahlungen erhalten, und zwar mit der Begründung, die Häufung des Schicksals rechtfertige die Priorität. Es wird aber nicht gesehen, daß für die genannten Gruppen bereits große Sozialgesetze wirksam sind, wodurch Rechtsansprüche bestehen, die einen Wiederaufbau der Existenz ermöglichen oder bereits ermöglicht haben. Dabei ist in § 30 des Antrags der SPD zum Ausdruck gebracht, daß die Leistungen nicht doppelt gegeben werden sollen. Wenn man sich schon dessen bewußt ist, daß in diesen Fällen bereits Leistungen nach anderen Gesetzen gegeben werden können und man ja nicht doppelt geben will, warum schafft man dann im HeimkehrerEntschädigungsgesetz für diese Gruppen Vorrechte gegenüber anderen Heimkehrern, die zwar auch mit schwersten Kombinationen von Schicksalsschlägen zu kämpfen haben, die aber nicht in der Lage sind, das sie zusätzlich belastende Schicksal in ein anderes großes Sozialgesetz einzufügen.
Ich möchte an Frau Abgeordnete Hütter und Herrn Kollegen Merten die Frage richten, warum der „Nur-Heimkehrer" — wenn ich so sagen darf — der Jahre 1947/48, der keine anderweitigen Rechtsansprüche als solche nach dem Heimkehrergesetz hat, in bezug auf die Entschädigung und ihre Auszahlung so sehr viel schlechter gestellt wird. Es handelt sich dabei um eine besonders große Gruppe von schwer betroffenen Heimkehrern: 1947 waren es 220 000 und 1948 500 000, in diesen zwei Jahren sind also 720 000 zurückgekehrt. Demgegenüber sind in den folgenden Jahren bis heute 347 600 in der Heimat eingetroffen. Sinnvoll wäre es doch gewesen, zu fragen, wer bisher noch von keiner Seite etwas erhalten hat, und dann besonders diesen Heimkehrern ein Vorrecht zu geben, und nicht umgekehrt.
Diese — wenn ich so sagen darf — „Nur-Heimkehrer" der Jahre 1947/48 sollen nach dem Entwurf der SPD zunächst keine Barauszahlungen, sondern nur Schuldverpflichtungen des Bundes erhalten, die mit 5 % jährlich zu verzinsen sind. Diese Schuldverpflichtungen sind innerhalb von fünf bzw. sechs Jahren jeweils in gleichmäßigen Partien, und zwar nach banktechnischen Verfahren, auszulosen. Es ist an sich schon höchst fragwürdig, einen erfahrungsgemäß besonders notleidenden Kreis von Heimkehrern aus den Gruppen der Bevorrechtigten auszusondern und unter minderes Recht zu stellen. Sie zum Gegenstand des Zufalls einer bankmäßigen Auslosung werden zu lassen, erscheint mir und meinen Freunden untragbar. Das individuell verschiedene Bedürfnis spielt bei einem solchen System keine Rolle mehr. Der Mensch wird dabei überhaupt nicht ins Auge gefaßt. Der Ablauf der Berücksichtigung ist rein mechanisch -technischer Art in Anlehnung an die Spielregeln des Kapitalverkehrs und die Gepflogenheiten des Wertpapiermarkts.
Man muß sich die praktischen Auswirkungen vor Augen halten. Ein notleidender Heimkehrer des Jahres 1947 oder 1948, der, durch Versprechungen ermuntert, auf seine wenn auch nur geringe Entschädigung wartet, erlebt nun mit Verbitterung, wie sein begüterter Nachbar, dem ein glücklicheres Geschick Gesundheit und Besitz erhalten hat, zuerst und vor ihm seine Entschädigung ausgezahlt erhielte. Ein solches Verfahren des Zufalls in einem Zeitpunkt anzuwenden, da der Heimkehrer, insbesondere der in Notstandsgebieten wohnende, der noch nicht seinen richtigen Dauerarbeitsplatz gefunden hat, immer noch mit seiner Familie in der Arbeitslosenfürsorge notdürftig sein Dasein fristen muß, — das kann nicht der Sinn eines Heimkehrergesetzes sein. Wir können einem solchen System, das Ungerechtigkeiten und soziale Spannungen im Gefolge haben muß, nicht beipflichten.
Ich muß darauf hinweisen, daß der Teil des SPD-Entwurfs, der sich mit Existenzaufbau, Hausrat und Wohnraum beschäftigt, nicht in ein Ent-
schädigungsgesetz gehört, sondern in ein echtes Sozialgesetz, weil die Leistungen ja unter sozialen Gesichtspunkten gegeben werden. Im übrigen bilden diese Leistungen ja einen Teil des Zweiten Heimkehrergesetzes. Der inzwischen von den Parteien der FDP und DP eingebrachte Entschädigungs -Gesetzentwurf erkennt diese Fehlerquellen des Entwurfs der Frau Hütter, des Herrn Kollegen Merten und der SPD-Fraktion und vermeidet sie. Der Gesetzentwurf der FDP-DP-Fraktion sieht gleichmäßig für alle Gruppen Schuldverschreibungen des Bundes mit 7 Jahren Laufzeit vor. Die Rangfolge der Auszahlung ist konsequenterweise gleichmäßig für alle nach sozialen Gesichtspunkten vorgesehen.
Meine Herren und Damen, gestatten Sie, daß ich nunmehr grundsätzliche Ausführungen zu den beiden Gesetzentwürfen mache. Beide EntschädigungsGesetzentwürfe gründen ihre Leistungen allein auf die Zeitdauer. So wesentlich der Gesichtspunkt ist, so erhebt sich aber die Frage, ob die Zeitdauer allein tatsächlich das einzige Kriterium ist, das die Schwere des Schicksals und die Intensität der negativen Auswirkung bestimmt, sowohl des Schicksals in der Gefangenschaft wie des Schicksals der Familie in der Heimat.
Unter Umständen kann eine nicht so lange andauernde Zeit der Gefangenschaft ein schwereres seelisches und körperliches Trauma verursacht haben.
Die Erfahrung lehrt, daß die Schicksale außerordentlich verschieden gewesen sind. Wer die Elendszüge der Heimkehrer der Jahre 1947 und 1948 erlebt hat, dem hat sich unauslöschlich der erschütternde Eindruck der stumpfen Apathie, des körperlichen und geistigen Hungers eingeprägt, der sich zutiefst in die Substanz der Persönlichkeit hinein ausgewirkt hat. Viele der Heimkehrer des Jahres 1947 und 1948 — und das dürfen wir nicht vergessen — waren ja schon lange vor 1945 in Gefangenschaft gewesen. Wir haben die Erfahrung, daß mitunter in Fällen später Gekommener nicht mehr in solchem Grade die Merkmale äußerster Erschöpfung ausgeprägt gewesen sind.
Das Nachkriegsschicksal des einzelnen wie seiner Familie ist ebenfalls in tausendfältigen Variationen verschieden. Der Heimkehrer der Jahre 1947 und 1948 war doch noch dadurch zusätzlich schwer betroffen, daß seine Familie zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Besitz von Leistungen der Unterhaltshilfegesetzgebung gewesen ist.
Wir sind uns voll bewußt, daß die Schwere des Schicksals mit jedem Tag wächst, der der Freiheit beraubt ist. Aber wir müssen uns dennoch fragen, ob ein Gesetzgebungswerk für einen so großen Personenkreis von fast 1 Million deutscher Menschen allein auf diesem einzigen Merkmal der in der Gefangenschaft verbrachten Zeitspanne aufgebaut werden kann. Die Tatsache, daß unter dem alleinigen Gesichtspunkt der Zeitdauer nun in der Höhe der Leistungen bevorzugt und benachteiligt wird, erzeugt eine kollektive Schematik, die dem Einzelschicksal nicht gerecht wird und dieses Einzelschicksal und damit die Persönlichkeit geradezu vergewaltigt.
Meine Herren und Damen, wenden wir uns doch einmal den Leistungen zu, die dieses Entschädigungsgesetz geben soll. Ich stütze mich dabei auf den Entwurf der DP und der FDP. Die zuletzt, bis zum Juni 1953 zurückgekehrten 200 ehemaligen Kriegsgefangenen erhalten einen Spitzenwert von 4000 DM. Die 1600 Heimkehrer des Jahres 1952 erhalten als Spitzenleistung 3500 DM, in einem 60 %igen Jahresdurchschnitt, den wir ja annehmen müssen, 2190 DM. Die 4000 Heimkehrer des Jahres 1951 erhalten 2920 DM bzw. im 60 %igen Durchschnitt 1752 DM. Die 21 800 Heimkehrer des Jahres 1950 erhalten die Höchstleistung von nur noch 2190 DM, im 60 %igen Durchschnitt 1314 DM. Die 320 000 Heimkehrer des Jahres 1949 erhalten einen Spitzenwert von 1460 DM, im Durchschnitt von 876 DM. Die 500 000 Heimkehrer des Jahres 1948 erhalten am Ende des Jahres 730 DM, im Durchschnitt noch 438 DM. Die zwischen dem 1. Januar 1947 und dem 31. Dezember 1947 Zurückgekehrten erhalten eine Entschädigung, die zwischen 1 DM und 365 DM liegt, d. h. im 60 %igen Durchschnitt nur noch 219 DM.
Meine Herren und Damen, wenn wir diese Zahlenreihe auf uns wirken lassen und die mit der Zeitdauer absinkende Progression dürftiger Beträge betrachten, dann müssen wir feststellen, daß es doch nicht der Sinn des Anliegens der Heimkehrer sein kann, daß das, was sie für das Vaterland geleistet und geopfert haben, nun in einer so unpersönlichen, kollektiven Weise umgemünzt und abgefunden würde. Diese Leistungen können weder als Ehrensold bewertet, noch kann ihnen irgendeine Symbolkraft beigemessen werden. Sozialpolitisch gesehen ist diese Lösung nicht tragfähig. Diese Beträge sind je nach der Zeitspanne bei dem einen niedriger, bei dem andern höher, ohne jede Anpassung an sein individuelles Einzelschicksal und seine derzeitige Situation. Dabei muß auch gesehen werden, daß die Kehrseite der Entschädigung die Abfindung ist. Wer die Not und die Existenzangst derer erlebt hat, die plötzlich aus der Unterhaltshilfe herausfallen, weil die Schadensbasis dieses Rechtsanspruchs aufgezehrt ist, der fühlt vom Menschlichen her erschüttert die Grenzen des Entschädigungsprinzips im sozialpolitischen Bereich. Ist der Entschädigungsbetrag aufgezehrt, erlischt der Anspruch. Das Entschädigungsprinzip ist nicht auszuweiten, es ist nicht fortzuentwickeln, es ist mit der Höhe des Schadens ein für allemal begrenzt, es ist nicht elastisch,, es paßt sich nicht an, im Gegenteil das Entschädigungsprinzip schnürt die tatsächlichen Persönlichkeitsansprüche ein. Es schafft Kollektivlösungen in willkürlicher Art und letzten Endes immer zuungunsten des echten Bedürfnisses.
Ein solch starres System nach einem uniformen Gesichtspunkt ist sozialpolitisch nicht in der Lage, die vielfältigen Erscheinungsformen eines so schweren menschlichen Schicksals in sich zu begreifen und soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Es ist sozialpolitisch nicht anwendbar in einem Zeitpunkt, da es zuerst und vor allem darum gehen muß, die tiefe Not, die immer noch in den Kreisen unserer Heimkehrer herrscht, in einer Gesetzgebung zu überwinden, die den Menschen anspricht und seinen persönlichen, seinen besonderen individuellen Rechtsansprüchen entspricht.
Ich darf in diesem Zusammenhang einen Satz aus dem Schreiben eines Heimkehrers, und zwar des Vorsitzenden eines Stadt- und Landkreisverbandes des Bundesverbandes der Heimkehrer, zitieren. Er schreibt unter dem 3. Juni 1953 an seinen Bezirksvorsitzenden wörtlich:
Es gibt in unseren Reihen eine große Anzahl von Kameraden, die nicht nur ausschließlich einen bestimmten Entschädigungsbetrag sehen, sondern die darüber hinaus sehr wohl das Gesamtinteresse der Allgemeinheit über das persönliche Interesse zu stellen wissen. Meiner Ansicht nach kommt es weniger darauf an, daß jeder Heimkehrer einen bestimmten Betrag für seine in der Gefangenschaft geleistete Arbeit erhält, sondern vielmehr darauf, daß dem in tiefster Not befindlichen Heimkehrer, noch mehr aber den Angehörigen im Rahmen eines sozial möglichen Hilfswerks geholfen wird.
Ich darf nun das Problem aber noch von einer anderen Seite beleuchten. Wir würden mit den vorliegenden Entschädigungsgesetzentwürfen zum erstenmal auf dem Gebiet der Kriegsfolgen den Weg der reinen kollektiven Entschädigung beschreiten. Ehe wir den Weg der Entschädigung von Kriegsfolgen beschreiten, ist es notwendig, daß das Problem aus der Gesamtschau des deutschen Sozial-
und Wirtschaftsgefüges und auf seine Konsequenz sorgfältig überprüft und durchdacht wird. Ich muß der Sorge Ausdruck geben, daß wir alle — ich nehme die Verwaltung nicht aus — unter dem Übermaß des Arbeitsvolumens der Gefahr verfallen, die Probleme viel zu sehr spezialisiert und aufgesplittert zu sehen. Es kommt darauf an, in dieser wesentlichen Frage den Zusammenhang des großen Ganzen wiederherzustellen und zu sehen.
Es ist nicht richtig, daß der Lastenausgleich und das Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts bereits Präjudizien gewesen seien. Betrachten wir einmal in aller Kürze die Grundlagen der bisherigen Sozialgesetze der Deutschen Bundesrepublik! Das Bundesversorgungsgesetz für die Kriegsopfer lehnt das Entschädigungsprinzip ab. Dieses Gesetz kennt weder die Einheitsrente noch die qualifizierte Rente für die sogenannten höherwertigen Berufe. Der verlorene Beruf wird zwar bei der Festsetzung des Erwerbsminderungsgrades berücksichtigt, die Arbeitsfähigkeit wird aber nach dem Gesichtspunkt des allgemeinen Arbeitsmarktes beurteilt. Die Grundrente ist ein Äquivalent für den anatomischen Schaden. Sie ist aber nicht als Ehrensold kollektiv gewertet, sondern sie ist dem Erwerbsminderungsgrad angepaßt und an diesen gebunden. Die Grundrente will den Kriegsopfern den gleichen Start wie den Gesunden im Lebenskampf sichern. Sie dient also der Überwindung des Schicksals und nicht der Abfindung der Vergangenheit. Die Kriegsopfer haben sich bewußt für das fortwirkende individuell angepaßte Versorgungsprinzip entschieden unter Ablehnung der Entschädigung und damit der Abfindung. Der Lastenausgleich enthält die Priorität des Sozialprinzips. Die Entschädigung ist ausdrücklich nur auf den Verlust von Vermögenswerten beschränkt. Die besten Kenner des Gesetzes sind der Meinung, daß der Rechtsanspruch nicht formaljuristischer, sondern sozialethischer Art ist. Der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts liegt ein verbrecherischer Tatbestand zugrunde, der im Sinne der deliktischen Schuidhaftung wiedergutgemacht werden muß. Es ist hier ein besonders gelagerter Tatbestand gegeben, der kein Präjudiz für andere Gebiete des Rechts sein kann, zumal hier eine Bindung von seiten des Länderrechts durch das Grundgesetz gegeben ist.
Wir beschreiten also in der Tat mit den vorliegenden Entschädigungsgesetzentwürfen zum erstenmal den Weg, Kriegsfolgen entschädigen zu wollen, und zwar mit einem nur ganz losen Bezug auf die soziale Priorität, die ja nur in der Zeitfolge der Auszahlung überhaupt zum Ausdruck kommt. Wir schaffen dann unter Umständen ein Präjudiz mit nicht übersehbaren Folgen. Dabei ist nirgendwo gesagt, ob dieser Entschädigungsanspruch als Abgeltung von im Ausland verlorenen Vermögenswerten für geleistete Arbeit im Sinne des § 34 der Genfer Konvention gedacht ist. Es ist nicht klar gesagt, ob diese Art der Entschädigung als symbolhafte Versinnbildlichung eines Ehrensolds gedacht ist oder ob sie dem Ausgleich der durch den Krieg und seine Folgen erlittenen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden dienen soll.
Diese verschiedenen Aspekte müssen aber sauber voneinander geschieden werden. Darin sehen meine politischen Freunde und ich eine wesentliche Aufgabe des künftigen Deutschen Bundestags und der kommenden Bundesregierung, die gesamten Fragen, die sich auf sämtlichen Gebieten der Entschädigungsgesetzgebung ergeben, in einer exakten und klarstellenden Weise zu analysieren und in eine wirklich durchdachte und koordinierende Beziehung zueinander wie aber auch zu den einschlägigen Gesetzesgebieten der Sozial- und Rechtspolitik zu bringen. Es kommt darauf an, all diese Fragen, die sich noch in einem Stadium des Werdens befinden, als Einheit zu sehen und aufeinander hin zu beziehen. Ich bin überzeugt, daß es dann gelingen wird, das ganze Hohe Haus auf gemeinsame positive Lösungen zu einigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe aus den Ausführungen der Frau Kollegin Probst nur das Nein gehört,
nur das Nein zu einem Anliegen, dessen Dringlichkeit die Gesamtheit dieses Bundestages eigentlich schon vor zwei Jahren erkannt hatte. Denn der Zeitpunkt der gemeinsamen Erkenntnis, daß zur Entschädigung der Heimkehrer etwas geschehen müsse, lag noch längst vor den Beschlüssen des Bundestags, die wir hier am 27. November 1952 gefaßt haben. Aber spätestens in diesem Zeitpunkt, am 27. November 1952, war der Bundestag sich über zweierlei einig: nicht nur darüber, daß den Heimkehrern eine soziale Eingliederungshilfe gewährt werden müsse — das war der eine Aspekt unseres damaligen Beschlusses —, sondern auch darüber, daß eine die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit und die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten berücksichtigende Entschädigung gewährt werden müsse.
Nun, seitdem haben sich die maßgebenden Vertreter aller Fraktionen dieses Hauses darum bemüht, ein Entschädigungsprinzip zu finden, das diesen beiden Gesichtspunkten möglichst weitgehend entspricht. An den Verhandlungen einerseits mit den Ministerien, andererseits mit dem Heimkehrerverband, Frau Kollegin Probst, haben Sie ja gerade sehr starken Anteil genommen, gemeinsam mit meiner Kollegin Frau Hütter und mit Herrn Kollegen Merten von der SPD. Dabei hat sich herausgestellt, daß es, um den Heimkehrern die Dankesschuld durch die Tat zu bezeugen, in Anbetracht der ungeheuren Schwierigkeit der Tatbestände, andererseits aber auch in Anbetracht der ungeheuren sozialen Überforderung dieses neuen
demokratischen Rechtsstaats überhaupt keine andere Lösung gibt als die einer minimalen Entschädigung. Wenn sich der Heimkehrerverband schließlich damit einverstanden erklärt hat, auf eine Entschädigung abzustellen, die in Anbetracht der unsagbaren Leiden der Heimkehrer minimal ist — wir kennen ja die menschlichen Wracks, die schon in den Jahren 1946/47 vornehmlich aus östlicher Gefangenschaft zu uns zurückgekehrt sind —, wenn sich der Heimkehrerverband damit einverstanden erklärt hat, daß nur eine Minimalanerkennung von 1 DM pro Tag und von einem sehr späten Zeitpunkt an von 2 DM pro Tag in Betracht kommen soll, dann ist das der Ausdruck der Erkenntnis der ganz besonderen Schwierigkeiten, die für uns aus staatspolitischen Gründen bestehen. Wenn das vom Heimkehrerverband anerkannt worden ist und von den Heimkehrern immer wieder zum Ausdruck ,gebracht wird, dann sollten wir für die darin liegende Selbstbeschränkung dankbar sein.
Diese Selbstbeschränkung unserer Heimkehrer bedeutet eine außerordentliche Tat, die von ihrem staatspolitischen Verantwortungsbewußtsein zeugt; denn gerade die Heimkehrer haben nach unserer Überzeugung einen wirklichen Anspruch auf Entschädigung, mehr als manche anderen Kategorien von Opfern des Nationalsozialismus. Wir sind der Meinung, daß die Männer und Frauen, die mehrere Jahre in Rußland festgehalten waren, mit die schlimmsten Opfer des Nationalsozialismus sind. Wir sollten diese auf staatspolitischer Verantwortung beruhende Tat der Selbstbeschränkung der Heimkehrer in ihren Forderungen nicht dadurch unmöglich machen, daß wir die Antwort geben: Ja, wir sind uns unserer Dankesschuld bewußt, haben aber gegenüber einer sehr mäßigen Entschädigung von 1 DM pro Tag bzw. 2 DM von einem späteren Zeitpunkt an so viele Bedenken der Konstruktion und der Begründung, daß wir selbst dazu nicht kommen. — Auf diese Art und Weise würde das heute gerade in den Kreisen der Heimkehrer sehr stark feststellbare Gefühl staatspolitischer Verantwortung zerstört. Dazu dürfen wir Parlamentarier dieses ersten Deutschen Bundestags keine Mithilfe leisten. Daher sagen wir: nachdem schon allzu lange auf diesem wichtigen Entschädigungsgebiet gezögert worden ist, sollten wir nun alles daransetzen, nicht nur jetzt in die Ausschußberatungen einzutreten, sondern trotz aller Bedenken, die es im einzelnen geben mag, auch dafür zu sorgen, daß dieses Gesetz durch diesen Bundestag noch Wirklichkeit wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.
Meine Damen und Herren! Alle Abwehrversuche der Sprecher der Regierungsparteien können doch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß es die Angst der Regierungskoalition vor dem Stimmenverlust bei den kommenden Bundestagswahlen ist, die sie zum Stimmenfang unter den Heimkehrern treibt,
den Heimkehrern. die nach ihrer Rückkehr die
katastrophalsten wirtschaftlichen Verhältnisse vorfanden, keine Aussicht auf Arbeit und keine Möglichkeit sahen, sich ein einigermaßen wohnliches Heim zu errichten und zu sichern.
Das die Regierungsparteien auch nicht die Absicht hatten, all diesen Menschen zu helfen, ergab sich bei der Beratung des Heimkehrergesetzes vom 26. September 1951, als meine Fraktion u. a. beantragte, daß jeder Heimkehrer ein Entlassungsgeld von 300 DM erhalten und diese Auszahlung an keinerlei Bedürftigkeitsprüfung geknüpft werden sollte.
Aber die Regierungsparteien lehnten diese gewiß nicht übertriebenen Forderungen ab. Dafür hatte man jedoch sehr großes Verständnis für die Generalspensionen, die sehr schnell bewilligt wurden.
Auch der vorliegende Gesetzentwurf der Regierungskoalition trägt den Forderungen der Heimkehrer in keiner Weise Rechnung. Wir werden in der zweiten Lesung bei Beratung unserer Anträge Gelegenheit haben, festzustellen, ob Ihren schönen Redensarten — die Ihre Vertreter u. a. auch in diesen Tagen erst in Bonn vor einer Versammlung von Heimkehrern, die übrigens von einer dieser Regierung sehr nahestehenden Organisation einberufen wurde, vom Stapel gelassen haben — auch die Taten folgen.
Der zweite zur Beratung stehende Entwurf behandelt die Frage der Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener. Auch nach dem ersten Weltkrieg erhoben die Heimkehrer die Forderung nach einer Entschädigung für die in der Kriegsgefangenschaft geleistete Arbeit. Unter dem Druck der Organisationen sah sich die damalige Regierung veranlaßt, eine Entschädigung zu gewähren, die aber in entwertetem Geld geleistet wurde, so daß die Heimkehrer praktisch betrogen wurden. Auch jetzt hätten die Heimkehrer schon längst im Besitz einer Entschädigung sein können, wenn nicht die Regierung und die Koalitionsparteien das Geld für andere Zwecke, nämlich zu Kriegsvorbereitungen, ausgäben.
— Auf dem Rücken der Opfer des Hitlerkrieges, für den Sie dort drüben rechts mitverantwortlich sind,
soll der neue Krieg finanziert werden.
Wir stimmen einer Entschädigung für ehemalige deutsche Kriegsgefangene grundsätzlich zu, behalten uns aber für die zweite Lesung die Einbringung von Verbesserungsanträgen vor.
Zweifellos könnte die Lage vieler ehemaliger Kriegsgefangener besser sein, wenn ihnen der Verdienst für die in der Kriegsgefangenschaft geleistete Arbeit ausgezahlt worden wäre.
Ganz besonders schlimm sieht es mit der Entschädigung der ehemaligen Kriegsgefangenen aus, die in
den Vereinigten Staaten in Gefangenschaft waren.
Ihnen wurde auf wiederholtes Drängen schließlich pro Arbeitstag ein Arbeitslohn von 7,20 Dollar zugesprochen. Diesen Betrag erhielten sie aber nicht ausbezahlt, sondern es wurden ihnen pro Tag nur 80 Dollarcents zur Verfügung gestellt. Selbst von diesem Betrag mußten sie noch einen Teil sparen, der ihnen dann in Form von Dollarschecks ausgehändigt wurde. Sie wurden dann aber noch weiter geprellt, indem sie vor der Währungsreform zur Einlösung dieser Schecks aufgefordert wurden. Diejenigen, die so ihre Schecks einlösten, erhielten dafür wertlose Reichsmark; den anderen wurde nach der Währungsreform bei der Einlösung der Schecks der Dollar zu 33 Pfennig abgewertet. Sie waren also wiederum die Betrogenen. Heute noch liegen in Washington zirka 300 Millionen Dollar,
die den ehemaligen Kriegsgefangenen in den Vereinigten Staaten auf Grund des festgesetzten Tagesarbeitsverdienstes von 7,20 Dollar zustanden, die aber nicht ausgezahlt werden. Ich glaube, daß es keines weiteren Beweises zur Charakterisierung der Menschenfreundlichkeit der Herren von
(fortgesetzte lebhafte Rufe rechts: Unerhört!
— große Unruhe)
haben die deutschen Kriegsgefangenen den ihnen für die geleistete Arbeit zustehenden Lohn ausgezahlt erhalten.
Sie konnten damit die ihnen gebotene Möglichkeit,
zusätzliche Lebensmittel einzukaufen, wahrnehmen.
— Aus Ihren Zurufen, meine Herren von der Rechten, spricht das ganze Schuldgewissen,
weil Sie und insbesondere das Propagandaministerium des Herrn Kaiser — —
Herr Abgeordneter, ich bitte zum Schluß zu kommen.
— — das verschweigen und nach Goebbels`schen Propagandalügen -Methoden das Gegenteil behaupten.
Herr Abgeordneter, der Vorwurf Goebbel'scher Propagandalügen-Methoden ist eine Beleidigung. Ich rufe Sie zur Ordnung. Im übrigen ist Ihre Redezeit abgelaufen. Ich entziehe Ihnen das Wort.
Das Wort hat der Abgeordnete Ribbeheger.
— Das ist die Zweite Novelle zum Heimkehrergesetz? Sie wissen aber, daß die grundsätzliche Frage der Entschädigung durch Ihre Zweite Novelle nicht geregelt worden ist. Nach dieser Seite haben wir eine ganz gute Verbindung. Verehrte Frau Kollegin, wir lehnen ja die Zweite Novelle zum Heimkehrergesetz nicht ab. Aber wir wünschen nicht, daß sie das Entschädigungsgesetz für Heimkehrer vorwegnimmt. Wir wünschen auch nach dieser Seite kein Junktim.
Die Vorschläge, die heute eingebracht worden sind, sind in Verbindung mit den Verbänden der Kriegsheimkehrer erstellt worden. Das Maß an Zurückhaltung, das in diesen Gesetzesanträgen zum Ausdruck kommt, zeigt die tiefe Verantwortung. Wir sollten den Verbänden dafür dankbar sein, daß sie in dieser Weise mitgewirkt haben, dem Bundestag diese Vorlage zu unterbreiten.
Ich erinnere an den Beschluß des Hohen Hauses vom 27. November vorigen Jahres. Ich appelliere an den Deutschen Bundestag, dafür zu sorgen, daß der damals einstimmig bekundete Wille, unseren Heimkehrern ein Entschädigungsgesetz zu geben nach Beratung im Ausschuß realisiert wird. Es hat mich gefreut, daß der Vorsitzende des 26. Ausschusses bereits seine Zustimmung dazu erklärt hat, daß das Gesetz vorrangig beraten wird. Auch der Herr Bundesarbeitsminister hat hier schon angedeutet. daß er die Unterlagen im Ausschuß bereitstellen
werde. Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle danken. Ich appelliere an das Hohe Haus, nach der Verabschiedung des Entwurfs im Ausschuß noch vor Beendigung der Legislaturperiode den deutschen Heimkehrern das zu geben, was ihnen nach unserer Auffassung als Recht zusteht: ein gutes, echtes Entschädigungsgesetz als Beweis des guten Willens, den dieser Bundestag am 27. November 1952 öffentlich bekundet hat.
Herr Abgeordneter Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich zu Anfang einige Dinge richtigstellen, die der Herr Müller von der kommunistischen Gruppe angeschnitten hat. An und für sich ist es ja so, daß die Kommunistische Partei überhaupt in letzter Linie ein moralisches Recht hat, in Kriegsgefangenenangelegenheiten das Wort zu ergreifen.
Wir haben gerade die von den Kommunisten in der Sowjetzone eingesperrten Brüder und Schwestern eigens nachträglich noch zu Heimkehrern erklären müssen, um zu versuchen, wenigstens einen Teil dessen wiedergutzumachen, was die Bundesbrüder des Herrn Müller da drüben angerichtet haben. Von den Verhältnissen in der Sowjetunion will ich noch gar nicht reden. In dem Augenblick, in dem sich die Kommunistische Partei getraut, einmal einen Appell an Moskau zu richten, daß auch von ihrer Seite nun die Frage der Heimkehrer und der deutschen Kriegsgefangenen für lösbar angesehen würde, in dem Augenblick könnte man vielleicht wieder mit ihnen über diese Fragen reden; aber bis dahin ist das nicht möglich.
Davor schützen Sie auch nicht, meine Herren von der äußersten Linken, Ihre Propagandaanträge, die Sie hier stellen. Sie können hier ein Entlassungsgeld von 5000 DM beantragen. Das ist uns genau so interessant wie die Beträge, die Sie im vorigen Jahr beantragt haben. Sie wissen genau, daß es Propagandaanträge sind. Aber wir wissen genau, daß wohl keine Gruppe in Deutschland so immun gegen den Kommunismus ist wie die Heimkehrer, weil sie ihn nämlich jahrelang am eigenen Leibe haben erfahren dürfen.
Das, was Herr Kollege Müller hier über den Arbeitsverdienst der Kriegsgefangenen in den Vereinigten Staaten erzählt hat, ist zwar inzwischen mindestens zehn- oder zwanzigmal in der Öffentlichkeit richtiggestellt worden. Aber anscheinend ist seine Unterrichtung über diese Frage recht einseitig. Es beweist uns allerdings die Richtigkeit des Verdachts, den wir schon die ganze Zeit hatten, daß nämlich eine Gruppe der Kriegsgefangenen aus USA tatsächlich das ist, was wir immer vermuteten nämlich eine kommunistische Tarnorganisation. Glauben Sie uns, wir lesen auch die Produkte, die von dieser Seite kommen. Wir haben keine Angst vor dem, was da gesagt wird. Die 300 Millionen Dollar, die Sie hier eben erwähnten, existieren nur in der Phantasie einiger Manager, die sich mit Hilfe dieses Phantasieprodukts ein ausgezeichnetes Leben verschafft haben und die allein aus Eintrittsgeldern in ihren Verband über 170 000 Mark in ihre eigene Tasche haben fließen lassen
und deren sie sich bedienen, um mit anti-amerikanischen Parolen irgendwelche Propaganda in der deutschen Öffentlichkeit zu machen.
Uns ist bekannt, daß nach dem Völkerrecht den Kriegsgefangenen eine Entschädigung zusteht. Uns ist auch bekannt, daß die Kriegsgefangenen in den westlichen Gewahrsamsstaaten sie erhalten haben. Aber, Herr Müller, daß Sie hier in Anwesenheit von Leuten, die etwas von den Dingen verstehen, zu behaupten wagen, in der Sowjetunion hätten die Kriegsgefangenen Geldbeträge für ihre Arbeit bekommen, von denen sie sich Lebensmittel und Genußmittel hätten kaufen können, das hätten Sie lieber nicht sagen sollen!
— Es gibt tatsächlich einige wenige, die uns genau bekannt sind, die einige Rubel erhalten haben. Einige wenige! Und wenn ich Ihnen das auf die Gesamtzahlen umrechne, dann kommt auch nicht der verschwindendste Bruchteil eines Prozentes bei dieser Geschichte heraus.
— Nein, da ist nicht gelogen worden! Wir wissen es genau; wenn man Tausende und Hunderttausende von Heimkehrern befragt hat, dann erhält man schon ein Bild über die Verhältnisse, wie sie wirklich sind.
Ich will auf diese Dinge weiter nicht eingehen.
Ich möchte nur auf das, was Herr Bundesarbeitsminister Storch gesagt hat, noch einiges erwidern. Herr Arbeitsminister, Sie sagten, Sie hätten die weitere Bearbeitung dieses Entwurfs zurückstellen lassen, weil Sie nicht wollten, daß in einem Gesetz Versprechungen gemacht werden, die erst in drei oder vier Jahren realisiert werden. Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie bereit sind, sich dafür stark zu machen, daß die Entschädigung nicht auf fünf oder sieben Jahre verteilt zu werden braucht, sondern daß wir sie auf einen Schlag bezahlen können — glauben Sie, wir sind die letzten, die dann nein sagen würden! Da würden Sie die begeisterte Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses finden. Das wird aber ebensowenig möglich sein, wie es im Lastenausgleich möglich ist, diese Beträge auf einmal flüssig zu machen. Aus diesem Grunde haben wir den Weg der ratenweisen Zahlung nach der sozialen Dringlichkeit im Verlauf mehrerer Jahre gewählt.
Auch die Frage des Stichtags, Herr Bundesarbeitsminister, hat uns lange bewegt. Wenn Sie sagen, diejenigen, die 1945/46 gekommen sind, dürften nicht schlechter behandelt werden, so sind wir jederzeit bereit, den Stichtag auf den 8. Mai 1945 oder noch vorher festzusetzen. Wir sind auch bereit, den Stichtag wegzulassen und nur nach der Länge der Gefangenschaft zu gehen, damit die bessergestellt werden, die 1941 in Gefangenschaft gekommen sind. Aber wir haben überlegt, daß unter normalen Verhältnissen die Entlassung von fünf Millionen Kriegsgefangenen ohnedies anderthalb Jahre in Anspruch genommen hätte und daß eben die Kriegsgefangenschaft für diejenigen eine besondere Härte war, die nach der normalen Entlassungszeit noch in der Kriegsgefangenschaft bleiben mußten. Daher kommt der Stichtag vom 1. Januar 1947, den zurückzuverlegen sich wahrscheinlich niemand hier genieren wird.
Zu Ihren Zahlen, Herr Bundesarbeitsminister, möchte ich noch etwas hinzufügen. Die Zahlen stimmen nämlich nicht. 1948 sind 468 394 Heimkehrer gezählt worden, und die Zahl von 1947 ist 219 504. 1949 waren es 300 375. 1950 waren es nicht, wie Sie sagten, 21 000, sondern 48 221. 1951 waren es 4175. Aber Herr Bundesarbeitsminister, daneben stehen ungefähr 175 000 Kriegsgefangene, die geflohen sind, die kein Entlassungslager berührt haben und die Ihnen bisher völlig unbekannt sind. Das heißt, die Zahlen, die ich Ihnen eben nannte, sind auch nur als Zahlen bekannt; Sie wissen nicht, wer die Leute sind, Sie wissen nicht, wo die Leute sind, Sie wissen nicht, welche Ansprüche sie im einzelnen haben; und darum dreht es sich. Es genügt ja nicht, daß Sie die Zahlen der Entlassungslager einfach addieren; damit ist über die Berechtigung der einzelnen Ansprüche noch gar nichts gesagt. Daneben steht die große Zahl der Geflohenen, die überhaupt keine Papiere in Händen haben.
Was nun den Entwurf der Regierungskoalition betrifft, meine Damen und Herren, so steht darüber: „Zweites Heimkehrergesetz". Unserer Ansicht nach ist dieser Titel reichlich anmaßend. Denn was in diesem Gesetz steht, ist nichts anderes als eine unwesentliche Ergänzung des bisherigen Heimkehrergesetzes, wenn ich auf die §§ 25 b bis 25 g einmal nicht eingehe. Es hat nicht die Bedeutung eines „Zweiten Heimkehrergesetzes". Denn die Bestimmungen, die ich eben erwähnte, sind in den Entwürfen der anderen Fraktionen auch enthalten. Aber das, was nun in dieser Ergänzung des Heimkehrergesetzes steht, das sind zum großen Teil Dinge, die bei einer guten Ausführung — und zwar einer dem Willen des Gesetzgebers entsprechenden Ausführung — des alten Heimkehrergesetzes gar nicht hätten geregelt zu werden brauchen. Wer hat denn die Arbeitsämter daran gehindert, die Heimkehrer in dem von ihnen erlernten Beruf zu vermitteln? Doch kein Mensch! Niemand hat sie daran gehindert; das war ja nicht verboten. So hätte man viele Dinge, die in diesem Entwurf stehen, einfach durch Erlasse des Bundesarbeitsministeriums regeln können. Andere Dinge aber, die in dem Entwurf stehen, sind sogar Einschränkungen des bisherigen Rechts und nicht Verbesserungen des bisherigen Rechts. Alle diese Dinge müssen im Ausschuß diskutiert und dort auch einer Regelung zugeführt werden.
Aber wir haben noch ein besonderes Bedenken gegen eine erneute Novellierung des Heimkehrergesetzes. Denn, meine Damen und Herren, die alte Novelle zum Heimkehrergesetz ist ja bis heute noch nicht ausgeführt, und wir glauben, daß bei einer derartig nachlässigen Behandlung der Heimkehrerangelegenheiten auch das Schicksal dieser Novelle sehr zweifelhaft ist. Seit 18 Monaten warten wir auf die Richtlinien des Herrn Bundesinnenministers zum § 9 a der ersten Novelle, und seit 18 Monaten ist in der Frage, die von entscheidender Bedeutung für die Heimkehrer ist, die im öffentlichen Dienst standen oder in den öffentlichen Dienst eintreten wollen, nichts erfolgt. Wenn mit einer derartigen Einstellung an die Novellierung von Gesetzen herangegangen wird, brauchen wir uns, glaube ich, in dieser Richtung keine allzu große Mühe mehr zu machen.
Ein entscheidender Punkt, der uns wiederholt beschäftigt hat, ist auch in dieser Novelle wiederum nicht geregelt, und zwar die Frage der auf deutschem Boden in ausländischem Gewahrsam befindlichen oder befindlich gewesenen Kriegsgefangenen. Obwohl der Gesetzgeber bei der ersten Novelle ausdrücklich durch die Streichung der Worte im Regierungsentwurf „im Ausland" zum Ausdruck gebracht hat, daß er auch die im Inland in Gefangenschaft geratenen Kriegsgefangenen mit in das Gesetz einbezogen wissen wollte, ist der Wille des Gesetzgebers in diesem Punkte mißachtet und — ich kann mich nicht anders ausdrücken — durch juristische Haarspaltereien umgangen worden. Ich sage ganz offen, daß wir gewisse Bedenken gegen die Ausführung des Heimkehrergesetzes durch die Arbeitsverwaltung von Anfang an gehabt haben und daß die Ereignisse uns in diesen Bedenken nur bestärkt haben.
Frau Dr. Probst, Sie haben hier am 9. Oktober selber die Forderung nach einer Zentralstelle für die Heimkehrerbetreuung erhoben. Da haben Sie vollkommen recht gehabt, und ich kann diese Forderung heute nur unterstreichen und wünschen, daß sie in einer Form in Erfüllung geht, die uns
eine gewisse Unabhängigkeit dieser Dinge von den Fachministerien sichert. Sie haben damals weiterhin erklärt, daß das Heimkehrergesetz allumfassend und komplex sei, weil die Ansprüche des Heimkehrers in alle Rechts- und alle Verwaltungsgebiete eingreifen, und daß man es nicht dem Heimkehrer überlassen dürfe, ob er physisch und seelisch überhaupt in der Lage sei, sich sein Recht bei den verschiedenen Behördenstellen — die sich zudem noch überschneiden — zu erkämpfen. Diesen Zustand zu beenden, das wäre eine Aufgabe der zweiten Novelle zum Heimkehrergesetz gewesen. Aber ich habe nichts in dieser Novelle gefunden, was diesen Zustand zu beenden geeignet wäre; es bleibt also alles so unbefriedigend, wie es ist, ja es wird sogar die Frage der Existenzaufbauhilfe, der Hausratshilfe und der Wohnungsbeschaffung hinsichtlich der Zuständigkeit nicht geregelt, so daß die Gefahr besteht, daß neben den Ausgleichsämtern nun auch noch die Arbeitsämter anfangen, sich mit dieser Materie, die ihnen ja vollkommen fremd ist, zu beschäftigen. Die vorliegende Novelle ist ein Torso und schließt die Lücken des Heimkehrergesetzes nur zu einem Teil. Es erscheint mir fraglich, ob der Ausschuß den Ausbau dieser Novelle zu einem brauchbaren Instrument, das den Namen „Zweites Heimkehrergesetz" dann wirklich verdient, in der Kürze der Zeit noch durchsetzen kann.
Es erscheint mir insbesondere deshalb fraglich, weil Frau Dr. Probst im Namen ihrer Fraktion ja Anforderungen an ein Gesetz gestellt hat, die unerfüllbar sind für jemand, der das Gesetz zu machen hat. Sie hat wiederholt davon geredet, daß hier kollektiv, daß hier schematisch gesprochen würde. Ja, ein Gesetz ist nun einmal in der unangenehmen Lage, etwas schematisch regeln zu müssen. Man kann doch nicht für jeden einzelnen Fall ein Sondergesetz machen. Die hundertprozentig individuelle Regelung, die hier verlangt worden ist, gibt es nicht auf dem Wege der Gesetzgebung, sondern die kann nur im Wege der Ausführung mehr oder weniger erreicht werden. Wenn man aber an die Schaffung eines Gesetzes überspitzte Ansprüche stellt, wie das von Frau Dr. Probst gemacht worden ist, dann ist das nichts anderes, als wenn man die Schaffung eines derartigen Gesetzes von vornherein unmöglich macht und damit das Nein spricht, worauf der Kollege Euler mit Recht hingewiesen hat,
Frau Dr. Probst hat gesagt, das Schema, daß die Zeit das einzige Kriterium für die Regelung der Entschädigung sei, wäre unzureichend. Welches andere Kriterium will sie denn anwenden? Es ist doch ganz logisch, daß der, der zuletzt gekommen ist, die meisten Chancen in der Heimat verpaßt hat, und daß der, der 1950 gekommen ist, wesentlich übler daran ist als der, der schon 1945 die Möglichkeit hatte, sich in der Heimat wieder eine Existenz aufzubauen. Und es ist doch ganz logisch, daß die, die am längsten in Kriegsgefangenschaft waren, mehr bekommen müssen als die, die nur kurze Zeit darin waren. Denn wir wollen ja nicht Erlittenes, wir wollen ja nicht die Güte oder das Schlechte der Lagerküche in die Waagschale werfen, wenn wir Entschädigung zahlen, sondern das Geleistete — das einzige, was wir objektiv hundertprozentig einwandfrei feststellen können —, die in soundso viel Jahren und Tagen geleistete Arbeit. Da gibt es keine andere Möglichkeit und kein anderes Schema als das, was in den beiden Entwürfen der SPD und der FDP angewandt worden ist.
Frau Dr. Probst sagt: Ja, die Abfindung durch Geld ist unpersönlich und kollektiv. Man kann sagen: leider oder man kann sagen: Gott sei Dank ist das Geld immer etwas Unpersönliches, und wir können ja nicht mit Ehrenurkunden oder ähnlichen Anerkennungen oder mit Orden diese Dinge bereinigen, sondern eben nur mit Geld, das selbstverständlich unpersönlich ist. Das ist kein Symbol, und das ist kein Ehrensold, sondern das ist eine Entschädigung für eine Leistung. Wir können dabei keine Rücksicht darauf nehmen, ob die Verhältnisse in den einzelnen Lagern schwierig waren oder nicht, weil das auf dem Wege der Gesetzgebung unmöglich geregelt werden kann.
Wir müssen in diesem Gesetz ein einfaches und klares System wählen, und Ihr Vergleich mit den sozialpolitischen Gesetzen, die der Bundestag bereits verabschiedet hat, geht deswegen vollkommen an der Sache vorbei, weil es sich nämlich hier überhaupt nicht um ein sozialpolitisches Gesetz handelt. Aber ich frage Sie, wie hätten Sie das Bundesversorgungsgesetz denn verabschieden wollen, wenn Sie Ihre Anforderungen an die Verabschiedung dieses Gesetzes gestellt hätten und wenn Sie da nicht auch pro Erwerbsminderungsgrad ganz bestimmte Rentensätze festgesetzt hätten, ganz einerlei, ob der Betreffende außerdem noch anderes Leid und anderes schweres Schicksal zu tragen hat. Das können wir natürlich in einem derartigen Gesetz auf gar keinen Fall berücksichtigen.
Wir haben das Gefühl, daß auch durch die Hereinziehung dieses Gesetzes in die Kette der sozialpolitischen Gesetze die Gefahr heraufbeschworen wird, eine Gruppe, beispielsweise die Kriegsopfer, gegen die andere, beispielsweise die Heimkehrer, auszuspielen, und dieser Gefahr möchten wir von vornherein vorgebeugt haben, abgesehen davon, daß die Soldatenverbände und die Kriegsopferverbände sich hinter dieses Gesetz gestellt haben.
Ich möchte die Diskussion über das, was Frau Dr. Probst gesagt hat, hier im einzelnen nicht vertiefen. Wir werden im Ausschuß dazu noch genügend Gelegenheit haben. Ich habe nur eine Befürchtung: Wenn man mit dieser Einstellung der größten Partei dieses Hauses an dieses Gesetz herangeht, werden wir wahrscheinlich im Ausschuß mit derartigen Schwierigkeiten und Verzögerungen zu rechnen haben, daß mir allmählich doch die Sorge kommt, ob bei dieser Einstellung noch mit einer Verabschiedung des Gesetzes im Ausschuß zu rechnen sein wird. Es wird sehr darauf ankommen, von vornherein uferlosen Diskussionen wie auch überspitzten Anforderungen an dieses Gesetz zu begegnen, um nicht das Schicksal des gesamten Gesetzes zu gefährden.
Zu dem Entwurf der FDP möchte ich nicht viel sagen. Er deckt sich ja weitgehend mit dem Entwurf, den wir selber eingereicht haben. Es ist nur eine kleine Panne darin, indem eine Rechtsverordnung übernommen wurde, für die die entsprechenden Vorbestimmungen nur bei unserem, aber nicht bei Ihrem Entwurf stehen. Aber das kann man sehr leicht beheben, wenn Sie unsere Existenzaufbauhilfe, unsere Haushaltsentschädigung und unsere Wohnraumhilfe auch in Ihren Entwurf übernehmen. Dann ist die Sache vollkommen in Ordnung.
Bei einem Wettlauf um die Regelung der Heimkehrerfrage kann so etwas natürlich leicht vorkommen. Wir von der SPD haben volles Verständnis für die Eile, in der dieser Gesetzentwurf von der FDP und der DP vorgelegt worden ist. Wir haben das Verständnis, sage ich, auch dann noch, obwohl wir den Artikel kennen, den Herr Kollege Dr. Mende — den ich im Augenblick nicht sehe — in der „FDK" am 26. Mai veröffentlicht hat, in dem er schreibt, daß das Entschädigungsgesetz unmöglich bis zum 3. Juli 1953 verabschiedet werden könne,
und in dem er meint, daß dieser Auffassung auch diejenigen seien, die diesen Entwurf nun trotzdem eingereicht hätten. Meine Damen und Herren, dieser Auffassung waren wir eben nicht. Wir glaubten aus Gründen, die ich vorhin dargelegt habe, daß dieses Gesetz verabschiedet werden könne und verabschiedet werden müsse. Dazu gehört aber, daß man das auch will. Wir stellen unseren Zweifel an diesem guten Willen auch bei der Freien Demokratischen Partei sehr gern zurück, wenn wir durch die Art und Weise, in der diese Dinge im Ausschuß beraten werden, vom Gegenteil überzeugt werden.
Den von Dr. Mende aber befürchteten parteipolitischen Mißbrauch mit diesem Gesetz im Wahlkampf können Sie sehr einfach verhindern, indem Sie nämlich diesem Gesetz zustimmen.
Meine Freunde wären sehr froh, wenn sie über diese Frage im Wahlkampf überhaupt nicht mehr zu reden brauchten, weil dieses Gesetz von allen Parteien dieses Bundestages angenommen worden ist.
Für restliche zwei Minuten Herr Abgeordneter Müller-Hermann. Dann ist die Rednerliste erschöpft, wenn ich recht sehe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opfer, die die deutschen Kriegsgefangenen stellvertretend für das ganze deutsche Volk in der Gefangenschaft gebracht haben, lassen sich nicht allein in Zahlen und in
Geldeswert zum Ausdruck bringen. Ich glaube, diese Wahrheit sollten wir auch bei den Beratungen über die vorliegenden Anträge und Gesetzentwürfe stets im Auge behalten. Wir haben im November des vergangenen Jahres einstimmig eine Entschließung angenommen, mit der die Vorlage eines Entschädigungsgesetzes gefordert wurde. Ich kann hier die Erklärung abgeben, daß meine politischen Freunde so wie damals auch heute zu dieser Entschließung stehen.
Es scheint mir aber die Feststellung wichtig zu sein, über deren Richtigkeit wohl kaum ein Zweifel bestehen kann, daß die Heimkehrer im Rahmen der internationalen Regelungen, vor allen Dingen der Genfer Konvention, einen Rechtsanspruch auf Entschädigung haben und daß wir diesem Rechtsanspruch Rechnung tragen müssen. Auf der anderen Seite erweisen wir aber, glaube ich, den Heimkehrern selbst einen schlechten Dienst, wenn wir über die Schwierigkeiten der Finanzierung einfach hinwegsehen.
Vor kurzem hat ein Vertreter dieses Hauses in der Öffentlichkeit erklärt, zur Finanzierung dieses Gesetzes sei nichts als der gute Wille notwendig. Ich glaube, damit macht man sich die Sache doch etwas zu leicht.
Bei der angespannten Finanzlage des Bundes wird es darauf ankommen, die sozialen Belange sehr sorgfältig abzuwägen und auch bei den Heimkehrern in erster Linie dort zu helfen, wo eine Not und wo die Notwendigkeit besteht, Existenzen aufzubauen und zu ordnen.
Eine Reihe meiner Kollegen und ich selber haben den Gesetzentwurf der FDP und DP unterschrieben und unterstützt. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, daß wir diesen Gesetzentwurf für die Beratungen im Ausschuß als eine Verhandlungsgrundlage anerkennen und ihn dort im positiven Sinne unterstützen werden.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Zum Abschluß möchte ich in diesem Zusammenhang, insbesondere nachdem in der Öffentlichkeit der Versuch gemacht wird, die CDU/CSU dafür zum Sündenbock zu stempeln, daß die Heimkehrerentschädigung nicht schnell genug vorankommt, vor diesem Hause die Erklärung abgeben — und ich glaube wirklich im Namen meiner ganzen Fraktion zu sprechen daß wir uns in der Sorge für die Heimkehrer von keiner anderen Stelle und von keiner anderen Fraktion übertreffen lassen werden.
Meine Damen und Herren! Die letzten drei Minuten der Redezeit der FDP- Fraktion sollen also ausgenutzt werden. Herr Euler und Frau Hütter werden sich darüber verständigen, in welcher Weise.
Herr Präsident: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu der Bemerkung, die eben Herr Kollege Merten bezüglich des § 25 gemacht hat, der bei uns stehengeblieben sei, obwohl andere Paragraphen aus dem Entwurf nicht in unseren Entwurf eingegangen seien, möchte ich deswegen ein Wort der Klarstellung sagen, weil sonst sehr große Mißverständnisse entstehen könnten. Der Entwurf, der Ihre Unterschrift und die der Föderalistischen Union trägt und der ursprünglich auch unsere Unterschrift trug, ist j a nicht aus der Arbeit einer Fraktion hervorgegangen,
sondern dieser Entwurf ist hervorgegangen aus den dauernden Bemühungen der Vertreter verschiedener Fraktionen. Ich hatte vorhin schon herausgestellt, daß dabei für die Sozialdemokratische Partei zwar der Herr Kollege Merten maßgeblich beteiligt war, daß aber nicht minder Frau Dr. Probst und Frau Hütter laufend mitgearbeitet haben. Diese Zusammenarbeit ist nicht nur unter den einzelnen Vertretern der verschiedenen Fraktionen vor sich gegangen, sondern auch in Verhandlungen der Fraktionsführungen mit dem Heimkehrerverband und in Besprechungen der Fraktionsführungen und der Fraktionsspezialisten mit den Ministerien. Dabei haben z. B. Anregungen sowohl des Flüchtlingsministeriums und des Arbeitsministeriums, wie auch — beispielsweise — unsererseits des Vizekanzlers Blücher eine sehr erhebliche Rolle gespielt. Das sollte in der Offentlichkeit klargestellt werden, um Propagandaversuche dahingehend zu unterbinden, es handle sich bei diesen Gesetzen um Entwürfe verschiedener Fraktionen mit Einzelverdiensten. Das Gesetz zeigt vielmehr den Niederschlag einer sehr erfreulichen Gemeinschaftsarbeit
und ist aus dem Bemühen a 11 e r Fraktionen entstanden, einen guten Entwurf 4u schaffen. Was nun — —
Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Abgeordneter Euler!
— Ja, ich bin sofort fertig, Herr Präsident; noch einen Satz!
Was nun den guten Willen der Fraktion der CDU/CSU anlangt, so wird er, wie meine Ausführungen beweisen, gerade von uns in keiner Weise angezweifelt. Ich glaube, wir werden diese Gesetzesmaterie am besten dadurch erledigen,
daß wir den Ausschußberatungen eine Beschleunigung geben, die uns die zweite und dritte Lesung noch in diesem Bundestag erleben läßt.
Meine Damen und Herren, jetzt sind aber sämtliche Redezeiten erschöpft. Es liegen auch keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Besprechung.
Nachdem sich der Antrag der Fraktion der Deutschen Partei — Punkt 15 d der Tagesordnung
— erledigt hat, schlage ich Ihnen vor, die drei Gesetzentwürfe entsprechend den gestellten Anträgen dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen als federführendem Ausschuß zu überweisen. Ich darf annehmen, auch dem Haushaltsausschuß.
— Offenbar ist die Überweisung in dieser Form erwünscht. Sie ist damit erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir etwa um 15 Uhr die Sitzung beenden und
versuchen, noch so viel wie möglich von der Tagesordnung zu erledigen.
Ich darf vielleicht mit Rücksicht auf die Beratungen des Haushaltsausschusses eine Immunitätssache, die auf die Tagesordnung gesetzt ist, Drucksache Nr. 4453,
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Genehmigung zur Zeugenvernehmung des Abgeordneten Dr. Brill gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 21. Mai 1953 - Az. 1044/1 E - 19/53 -,
vorwegnehmen.
Berichterstatter Herr Abgeordneter Ritzel, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz kurz! Es handelt sich um die Genehmigung des Bundestags zu einer Zeugenvernehmung des Bundestagsabgeordneten Professor Dr. Brill in einer Strafsache gegen einen Dritten. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität nahm davon Kenntnis, daß diese Vernehmung in der nächsten Woche, also während der Sitzungen des Hauses, erfolgen soll. Er beantragt, das Haus möge beschließen:
Die Genehmigung zur Zeugenvernehmung des Abgeordneten Dr. Brill in der Hauptverhandlung vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Giessen wird für die Zeit nach dem 3. Juli 1953 erteilt.
Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren! Sie haben den Bericht gehört. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses gemäß Drucksache Nr. 4453 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich kehre zurück zu Punkt 16:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Heimatvertriebene über den Antrag der Abgeordneten Kuntscher, Schütz, Dr. Götz und Genossen betreffend Verbilligte Bahnfahrten für Heimatvertriebene und Flüchtlinge (Nrn. 4350, 3963 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Mücke. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Deutsche Bundesbahn hat zwischenzeitlich für sozial schlecht gestellte Heimatvertriebene und Flüchtlinge die Möglichkeit geschaffen, eine Fahrpreisermäßigung für Fahrten zu Familienangehörigen bis zum 30. Juni dieses Jahres in Anspruch zu nehmen. Mit dieser Lösung hat die Deutsche Bundesbahn dankenswerterweise eine Regelung im Sinne des Antrags Kuntscher und Genossen getroffen, der hier zur Debatte steht.
Ich bitte Sie namens des Ausschusses für Heimatvertriebene in Übereinstimmung mit dem Ausschuß für Verkehr, der mit der Sache selbst befaßt war, und in Übereinstimmung mit den Antragstellern den Antrag Kuntscher usw. Drucksache Nr. 3936 für erledigt zu erklären.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Drucksache Nr. 4350, der eben begründet wurde, zuzustimmen wünschen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich bitte Sie, die Sie dem unter Punkt 18 aufgeführten
Interfraktionellen Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse
zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich komme zur heutigen Tagesordnung.
Ich rufe auf Punkt 1:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, FU (BP-Z) betreffend Berufliche und gesellschaftliche Eingliederung der aus der Sowjetzone geflüchteten Jugend (Nrn. 4366, 4328 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Kemmer. Der Schriftliche Bericht ist noch nicht fertiggestellt. Sind Sie damit einverstanden, daß der Schriftliche Bericht*) erstattet und dem Protokoll beigefügt wird? Dann können wir uns die Erstattung eines Mündlichen Berichts im Augenblick ersparen.
Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? — Das ist der Fall. Dann erübrigt sich eine mündliche Berichterstattung. Darf ich fragen, ob das Wort dazu gewünscht wird? — Frau Abgeordnete Thiele hatte sich zuerst gemeldet. Bitte schön, Frau Abgeordnete Thiele, im Rahmen einer Redezeit von höchstens 60 Minuten.
Herr Präsident! Meine Herrren und Damen! Die westdeutsche Jugend nimmt mit Erstaunen davon Kenntnis, mit welcher Großzügigkeit nach diesem Ausschußbericht Hilfsmaßnahmen für die Jugend versprochen werden.
Wer sich aber mit den Hintergründen dieses Antrags beschäftigt, der wundert sich nicht mehr darüber; denn auch dieser Antrag betreffend die berufliche und gesellschaftliche Eingliederung der aus der Deutschen Demokratischen Republik geflüchteten Jugend ist ein Teil des kalten Krieges, um den immer stärker werdenden Verständigungswillen der deutschen Bevölkerung und vor allem der deutschen Jugend zu torpedieren, um die Atmosphäre weiter zu vergiften. Durch Irreführung und Erpressung durch Agenten, durch Hetzsendungen des RIAS, durch verlogene Darstellungen vom „goldenen Westen" sind junge Menschen aus der Deutschen Demokratischen Republik nach Westdeutschland gelockt worden, um sie mit kalter Berechnung für die amerikanischen Kasernen, für die Fremdenlegion und für die Anwerbung für Blanks Söldnerarmee reifzumachen. Ich lasse bei meiner Betrachtung die kriminellen Elemente und arbeitsscheuen Figuren, die hier in der Bundesrepublik ein Eldorado zu finden hoffen, außer Betracht.
*) Siehe Anlage Seite 13445.
Tausende belogener und verirrter junger Menschen — —. Meine Damen und Herren, wenn Sie daran interessiert sind, daß wir uns über dieses Problem im Interesse der Verständigung unterhalten, dann möchte ich Sie bitten, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen.
— Ja, weil Sie kein Interesse für die Verständigung, für die Annäherung haben!
Tausende der belogenen und verirrten jungen Menschen haben aber schon erkannt -
— Ich weiß, daß Ihnen das sehr unangenehm ist. Es ist Ihnen unangenehm, über die wirklich friedliche Lösung der deutschen Frage zu sprechen.
Tausende jener jungen Menschen haben aber inzwischen schon erkannt, daß sie mißbraucht worden sind und daß sie sich heute hier bereits in einem namenlosen Elend befinden.
So schreibt Manfred Bräuer, Flüchtling aus Markranstädt bei Leipzig:
Wir kamen in Born, Kreis Bocholt, auf dem Arbeitsamt an. Da standen die Sklavenverkäufer. Wir mußten in einer Reihe antreten, und die Großbauern konnten dann ihre Leute aussuchen und mitnehmen.
Er fährt fort:
Ich rate jedem ab, nach der Westzone zu gehen. Jedenfalls bin ich für mein ganzes Leben kuriert.
Ein Kronzeuge dafür, was diese belogene Jugend verlassen hat, ist Frau Dr. Brökelschen, Abgeordnete der CDU. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus der 264. Sitzung.
Präsident Dr. Ehlers; Frau Abgeordnete, warum fragen Sie eigentlich immer nur dann, wenn Sie etwas aus einem gedruckten Exemplar vorlesen wollen? Es geschieht ja auch sonst.
Herr Präsident! Ich möchte Ihnen empfehlen, daß Sie diese Bemerkung auch den Abgeordneten Ihrer Koalition vortragen.
Ich würde nur vorschlagen, von der Bitte um Zustimmung zum Vorlesen abzusehen. Es hat wirklich keinen Zweck. Es besteht allgemein offenbar der Wunsch, sehr viel vorzulesen. Ich habe nicht die Absicht, jeweils Einzelgenehmigungen zu erteilen.
Ich verlese also aus dem Protokoll des Bundestags:
Deswegen sind wir der Meinung, daß die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Land und Bund, die Frage der Kulturautonomie der Länder und alle diese Fragen ruhen sollten, wenn es sich darum handelt, den Schwimmhallen, den Schulen, den Lehrlingsheimen, den Jugendherbergen, die zu Propagandazwecken jenseits der Zonengrenze errichtet werden, hier das Entsprechende entgegenzusetzen.
Wir haben nichts dagegen, und die Jugend wird auch nichts dagegen haben, wenn Sie hier zu Propagandazwecken ähnliche Einrichtungen schaffen.
Aber dieser Antrag ist noch mehr als eine Torpedierung aller Bemühungen der Deutschen Demokratischen Republik zur Beseitigung aller Schwierigkeiten für Verhandlungen zur Lösung aller Probleme. Dieser Antrag ist auch eine Verhöhnung, eine Provokation für die ganze westdeutsche Jugend, nachdem dieser Bundestag und diese Adenauer-Regierung nach vier Jahren auch noch nicht einen Teil der ungeheuren Not beseitigt hat.
,
Ich erspare mir in Anbetracht der kurzen Zeit die Zahlen und die Angaben, die die Notlage dieser Jugend darstellen. Sie kennen die Ungeheuerlichkeit dieses Elends selbst.
Ich möchte nur eine Zahl nennen. 0,08 0/e, 20 Millionen von 26,5 Milliarden DM, das ist der Betrag, den diese Adenauer-Regierung für die Jugend eingesetzt hat. Angesichts dieser Zahlen, angesichts der erschreckenden Not hier in Westdeutschland haben Sie noch den Mut, von Humanität und Hilfsmaßnahmen zu sprechen, ohne dabei zu bekennen, daß diese Regierung durch ständige Hetze und Unterstützung von Agenten- und Sabotageorganisationen und anderer obskurer Elemente die Not, jener Jugendlichen, die hier verirrt sind, verschuldet hat. Wir Kommunisten lehnen den Antrag ab, weil er leere Versprechungen enthält. Wir lehnen ihn ab, weil er der Verhetzung und der Vergiftung der Atmosphäre dienen soll. Dieser Antrag soll ein weiteres Mittel sein, um junge Menschen aus der Deutschen Demokratischen Republik für die amerikanische Söldnerarmee,
die Blank einrichten möchte, anzulocken.
Frau Abgeordnete Thiele, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Unsere Vorschläge für eine wirkliche Hilfe sind folgende. Erstens: Der Hetzsender RIAS hat sofort seine Sendungen einzustellen.
Kommen Sie bitte zum Schluß, Frau Abgeordnete. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Zweitens: Alle Agenten- und Sabotageorganisationen werden verboten,
die sogenannten Ostbüros geschlossen. Drittens:
Allen Jugendlichen aus der Deutschen Demokratischen Republik wird die Rückkehr empfohlen. Das
Fahrgeld dafür wird ihnen zur Verfügung gestellt.
Dabei wird ihnen der Beschluß des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik vorgelegt, wonach allen Jugendlichen, die durch Verirrungen usw. hier nach Westdeutschland gekommen sind, alle Möglichkeiten der Wiedereingliederung gegeben sind -
Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte, kommen Sie zum Schluß!
— im Interesse einer Annäherung, einer Verständigung zur friedlichen Lösung der deutschen. Frage. Das ist eine wirkliche Hilfe, die Sie der ganzen deutschen Jugend leisten sollten.
Das Wort hat der Abgeordnete Priebe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Thiele, ich muß zu meinem Bedauern einige wenige Worte zu Ihren Äußerungen sagen. Wenn Ihre Presse selbst zugegeben hat, daß „Fehler begangen worden sind", wie man sich bei Ihnen ausdrückt, dann darf man doch wohl durch ihr eigenes Eingeständnis zu der Überzeugung kommen, daß die Jugendlichen recht haben, wennn sie behaupten, sie hätten es drüben nicht mehr ertragen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Priebe, nicht der Abgeordnete Renner. — Sprechen Sie bitte weiter!
In der Woche nach Pfingsten hatte eine ganze Reihe von Bundestagsabgeordneten, Mitglieder des Heimatvertriebenenausschusses, Gelegenheit, das Jugendlager in Kladow der Berliner Arbeiterwohlfahrt zu besichtigen und dort mit ungefähr 850 jungen Menschen zusammenzukommen, sie in ihren Unterkünften, in den Werkstätten, draußen auf den freien Plätzen zu beobachten. zu sehen, wie sie lebten und wie sie sich bewegten. Ich habe also hier eine ganze Reihe von Zeugen, die bestätigen können, daß es ein unerhörter und plumper Schwindel ist, wenn die Sowjetzonenpresse behauptet, diese Jugendlichen hätten hinter Stacheldraht gesessen.
Nun zu dem Antrag! Der vorliegende Antrag ist von allen Fraktionen mit Ausnahme der kommunistischen Gruppe eingereicht worden, weil wir alle davon überzeugt sind, daß es unbedingt notwendig ist, so schnell wie möglich alle nur erdenkbaren Maßnahmen zur Eingliederung der jugendlichen Sowjetzonenflüchtlinge zu finden und zu verwirklichen. Der Antrag wird um so notwendiger, wenn man durch Gespräche mit diesen Jugendlichen, durch enge Fühlungnahme, durch Rücksprache mit dem Lagerpersonal und der Lagerleitung und all den Menschen, die mit diesen Jugendlichen zu tun haben, die Überzeugung gewinnt, daß wir es hier mit jungen Menschen zu tun haben, die nicht nur jeden Vergleich mit dem Durchschnitt der westdeutschen Jugend aushalten, sondern die darüber hinaus als besonders aktiv, arbeitsfreudig und zielstrebig zu bezeichnen sind.
Gewiß, es sind tatsächlich hinsichtlich der Unterbringung und der Betreuung Pannen vorgekommen. Aber für diese Pannen ist nach meinen eigenen Feststellungen niemand in der Bundesregierung verantwortlich zu machen. Diese Pannen sind darauf zurückzuführen, daß infolge der Maßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone der Strom der Jugendlichen in überraschender Weise angeschwollen ist. Im Februar haben sich z. B. 2561 jugendliche Sowjetzonenflüchtlinge gemeldet; im März waren es 5855. Naturgemäß konnte das Lagerpersonal nicht plötzlich so verstärkt werden, daß es allen Ansprüchen hätte gerecht werden können. Es konnte die einzelnen in dieser Zeit des großen Ansturms nicht so erfassen, behandeln und betreuen, wie es im Interesse der jungen Leute, aber auch in unserem allgemeinen Interesse notwendig gewesen wäre. Man hat, ohne Schulbildung, angefangene oder bereits beendete Berufsausbildung, Anlage oder Neigung zu berücksichtigen, die jungen Menschen auf die Länder bzw. die Arbeitsämter der einzelnen Länder verteilt, damit sie im Bergbau oder in der Landwirtschaft untergebracht wurden. Das war nicht immer das Richtige. Aber inzwischen haben sich die Verhältnisse erfreulicherweise gebessert.
Im Lager Sandbostel, in diesem großen Aufnahmelager hier in der Bundesrepublik, versucht tatsächlich das verstärkte Lagerpersonal und versuchen Lagerleitung, Aufnahmeausschüsse, Berufsberater und Arbeitsvermittler, verantwortungsbewußt ihre Schuldigkeit zu tun. Dabei freut es mich, die Arbeiten der Kirchen und der Verbände erwähnen zu dürfen. Natürlich muß noch manches geändert und gebessert werden.
In Berlin hat man sich bemüht, den Aufenthalt der Jugendlichen, der ja für die weibliche Jugend in der Großstadt besonders gefährlich ist, möglichst abzukürzen, und man hat auch erreicht, daß die Registrierung sehr rasch nach der Ankunft durchgeführt wird. Aber es wird doch vielerseits behauptet, daß man die Zeit von der Registrierung bis zum Abflug noch müsse verkürzen können. Ich glaube das Augenmerk der verantwortlichen Stellen auf diesen Punkt hinweisen zu müssen.
In Sandbostel bleiben die Jugendlichen im Durchschnitt 8,5 Tage, in Westertimke die jungen Mädchen nur 7,8 Tage. Dabei sind schon mitgezählt der Tag des Anflugs, der Tag der Abreise, ein Sonntag und ein halber Samstag, so daß für Aufnahme, Berufsberatung und Arbeitsvermittlung praktisch nur vier bis fünf Tage übrigbleiben. Schneller wird man in diesen Lagern nicht arbeiten können.
Der Punkt unseres Antrages, in dem eine Erhöhung der Zahl der Jugendpfleger oder -betreuer verlangt wird, ist für die beiden großen Aufnahmelager bereits erledigt. Er wird aber noch Gültigkeit haben für die Landeslager. Ob die eingesetzten Arbeitsvermittler wirklich immer als Jugendvermittler anzusprechen sind, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich habe meine Zweifel und wünschte, daß die Arbeitsverwaltung sich hierfür besonders interessierte.
Die Zahl der Berufsberater ist ohne Zweifel zu niedrig. Ein männlicher und ein weiblicher Berufsberater in einem großen Lager genügen nicht, besonders dann nicht, wenn sich Jugendliche nur wenige Tage in dem Lager aufhalten.
Der Antrag, die Lagerdienste der Jugendverbände und die Einrichtungen der Jugendwohlfahrt zu fördern, wird insbesondere für die Landeslager zutreffen. Wenn sich ein Jugendlicher in Berlin in der Kuno -Fischer-Straße gemeldet hat, von dort in ein Jugendlager gekommen ist und den ärztlichen Dienst, die Schirmbildstelle, die Sichtungsstelle und die Polizei passiert und seine Registrierung erhalten hat und wenn er dann seinen Ausweis und seine Flugpapiere bekommen hat und in Hannover angekommen ist, so hat er praktisch in verhältnismäßig kurzer Zeit den Weg von der Sowjetzone in den Westen zurückgelegt. Wie ich eingangs schon erwähnt habe, hat er besonderes Glück und kann wohl zufrieden sein, wenn er in Berlin ein Lager bekommt, wie es in Kladow von der Arbeiterwohlfahrt eingerichtet wurde, ein Lager, in dem er nicht nur eine gute Unterkunft, Verpflegung und Betreuung erhält, sondern — und darauf möchte ich besonders hinweisen — in dem man durch die Einrichtung von Lehrwerkstätten versuchen will, ihm, wenn er nur noch einige Wochen oder Monate braucht, um seine Lehre zu beenden, diese Vervollständigung seiner Ausbildung zu gewähren.
Wir wünschen — und gerade meine Fraktion legt besonderen Wert darauf, es zu betonen —, daß man für diese Zwecke keine Beträge spart, sondern daß man möglichst viele Berufsausbildungsmöglichkeiten schafft.
Bei der Verteilung der Jugendlichen auf die einzelnen Länder — das erwähnte ich vorhin schon —sind insofern Pannen vorgekommen ,als man zu wenig Rücksicht auf die Vorbildung, auf ihre Ausbildung, die sie mitbrachten, nahm. In ganz vorzüglicher Weise arbeitet, wie mir scheint, das Landesarbeitsamt des Südweststaates Baden-Württemberg. Dieses Landesarbeitsamt schickt seine Beamten in das Lager, wirbt die Jugendlichen an, versucht, diese Jugendlichen möglichst genau während des Lageraufenthalts und während der Fahrt kennenzulernen. Die Beamten kennen die Bauern, denen sie die Jugendlichen zuführen wollen, und so wird erreicht, daß wirklich zueinander passende Menschen zusammenkommen. Außerdem wird von den Arbeitsämtern dieses Landesarbeitsamts eine intensive nachgehende Betreuung durchgeführt. Soviel ich weiß, geschieht etwas Ähnliches auch bei den anderen Landesarbeitsverwaltungen; aber ob die nachgehende Betreuung immer so intensiv ist, erscheint mir fraglich. Auch das ist ein Punkt, der eine besondere Aufmerksamkeit verdient.
Für Oberschüler und Studenten, für Fachschüler, die ihre Ausbildung unterbrechen mußten, für alle diejenigen, die ein Studium in der Bundesrepublik beginnen möchten und die jetzt allein auf die Bemühungen des Akademischen Hilfswerks Braunschweig angewiesen sind, ist noch manches zu tun übrig. Man sollte für diese Zwecke, wie es der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge in seinem Antrag verlangt, bedeutend mehr tun, als bisher geschehen ist. Es darf unserer Überzeugung nach nicht vorkommen, daß auch nur einem Jugendlichen der Weg in die Zukunft gehemmt wird, für die er sich bestimmt glaubt.
Es darf nicht vorkommen, daß auch nur eine Lehrwerkstätte Monate hindurch offene Plätze aufweist und daß auch nur ein Jugendwohnheim — in welchem Lande es immer liegen mag — nicht voll belegt ist. Ich kenne leider soundso viele Lehrwerkstätten, die nicht voll ausgelastet sind, und ich kenne leider auch ein Jugendheim, in dem man seit Monaten vergeblich bemüht ist, 15 noch freie Plätze auszufüllen. Ich fürchte, daß es noch mehr unterbelegte Heime und Werkstätten gibt, und bitte daher die Bundesregierung, die Regierungen der Länder, die Gemeinden und Organisationen, Sorge dafür zu tragen, daß diese Plätze zweckmäßig ausgefüllt werden. Wenn ich dann weiter erfahren habe, daß ein Heim, das aus Bundesjugendplanmitteln errichtet wurde und dazu bestimmt war, Jugendliche, die in der Landwirtschaft tätig sind, aufzunehmen, jetzt dazu dient, für Nordrhein-Westfalen bestimmte Jugendliche so lange zu beherbergen, bis sie abberufen werden — und das in einem Land, in dem man über Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitern klagt, in Niedersachsen —, so zweifle ich doch sehr daran, ob diese Zweckentfremdung angebracht ist.
Ich weiß weiter von Jugendgemeinschaftswerken, die von kommunalen Verbänden eingerichtet wurden, aber aus Mangel an Mitteln wieder eingehen mußten. Ich weiß auch von Gegenden, in denen vorwiegend Kleinbauern leben, die es begrüßen würden — da sie sich verheiratete landwirtschaftliche Kräfte nicht leisten können —, wenn ihnen Jugendliche, die in einem zentral gelegenen Heim unterzubringen wären, helfen könnten.
Deshalb unterstütze ich mit meinen Parteifreunden gerne den vorliegenden Antrag und erwarte ein planvolles und aktives, unbürokratisches und von Verantwortungsbewußtsein getragenes Zusammenwirken aller im Bund, in den Ländern, Gemeinden, Körperschaften und Organisationen tätigen Kräfte, um der Not der betroffenen Jugend zu steuern. Wir sind uns darüber klar, daß wir nicht der Jugend, auch nicht einer streunenden, verwahrlosten, einer kriminellen oder gefährdeten Jugend, irgendwelche Schuld geben können. Wir sollten auch nicht von einer äußeren Schuld sprechen, solange wir nicht alles in unseren Kräften Stehende getan haben. So halten wir es für unsere moralische Pflicht, der Jugend möglichst günstige Wachstumsbedingungen zu schaffen, und für unsere politische Pflicht, daran zu denken, daß vorbeugende Fürsorge immer billiger ist als heilende, daß die Jugend ein Vermögen ist, das wir achten müssen, ein Vermögen, das später einmal unser Volk erhalten und den Lebensstandard unseres Volkes erhöhen soll.
Deswegen geben wir dem vorliegenden Antrag nicht nur unsere Zustimmung, sondern fordern vielmehr, daß die beantragten Maßnahmen so rasch wie irgend möglich durchgeführt werden.
Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich glaube, daß es erstens im Hinblick auf die vorgerückte Zeit, zweitens aber auch im Hinblick auf das, was inzwischen in bezug auf den Antrag geschehen ist, gar nicht sehr sinnvoll ist, nun noch in Einzelheiten zu dem Antrag Stellung zu nehmen. Die Maßnahmen zur
Verwirklichung dieses Antrags laufen. Es ist für uns das Entscheidende, daß der Antrag so schnell wie möglich durchgeführt wird.
Ich möchte deshalb nur in einigen Sätzen aufreißen, weshalb es überhaupt zu dem Antrag gekommen ist. Es ist deswegen zu diesem Antrag gekommen, weil wir mit der Sowjetzonen-Jugend vor einem völlig neuen Problem stehen, weil sich die Sorgen und Nöte, die wir mit dieser Jugend haben, völlig von denen unterscheiden, die bei der berufslosen Jugend in der Bundesrepublik vor uns stehen. Es handelt sich bei der sowjetzonalen Jugend nicht in erster Linie um die arbeitsmarktmäßige Eingliederung, sondern das Wesentliche ist bei ihr die soziale Eingliederung. Deswegen stehen wir vor der großen Aufgabe, all die Schwierigkeiten zu beheben, die sie gewissermaßen als Belastung von drüben mitbringt.
Lassen Sie mich deswegen nur in ein paar Sätzen folgendes sagen. Alle die Schwierigkeiten, die vor allen Dingen bei der Eingliederung der Jugend in die Landwirtschaft entstanden sind, beruhen im wesentlichen darauf, daß diese jungen Menschen einfach körperlich versagen müssen. Diese Tatsache ist auf Grund von Untersuchungen festgestellt. Weshalb? Infolge der dauernden Steigerung der Normenerfüllung drüben steigt die Leistungskurve in den ersten Wochen auch hier noch an. Dann sinkt sie aber völlig ab, und das Versagen setzt ein. Zweitens ist es für diese Jugend unendlich schwierig, sich berufsmäßig in weitem Maße umzustellen. Man kann nicht verlangen, daß ein Jugendlicher, der meinetwegen Angestellter gewesen ist, in acht Tagen ein mustergültiger Landwirt wird. Das dritte
— und das scheint mir das Entscheidende zu sein
— ist die seelische Lage dieser Jugend. Die jungen Menschen, die aus einem restlos gelenkten und organisierten Leben kommen, müssen lernen, ein freies Dasein zu gestalten. All das braucht Zeit. Deswegen liegt der Kernpunkt dieses Antrags darin, vor der arbeits- und berufsmäßigen Eingliederung Zeit zu gewinnen, während deren die seelischen Konflikte dieser Jugend behoben werden können.
Ich will im Hinblick auf das, was jetzt praktisch mit diesem Antrag geschehen soll, Schluß machen mit weiteren Einzelheiten. Ich wäre dankbar, wenn die einzelnen Forderungen dieses Antrags, die sehr wohl überlegt sind, in Zusammenarbeit mit den Ministerien so schnell wie möglich realisiert würden.
Keine weitere Wortmeldung. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Nr. 4366 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Enthaltungen? — Wer ist dagegen? — Bei wenigen ablehnenden Stimmen ist der Antrag im übrigen einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mich gebeten, das Getreidepreisgesetz wegen einer bestimmten Sache in § 7 auch dem Haushaltsausschuß überweisen zu lassen. Ich darf annehmen, daß Sie damit einverstanden sind. — Ja.
Wir hatten vorgesehen, um 15 Uhr die Sitzung zu beenden. Ich nehme an, daß es Ihrer Meinung entspricht, daß wir nicht weitere Punkte der Tagesordnung aufrufen.
— Wenn die Redezeiten so intensiv ausgenutzt werden, können wir eben nicht weiter kommen, als wir gekommen sind. Ich bitte Sie freundlichst, davon Kenntnis zu nehmen, daß wir diese Punkte der Tagesordnung in der nächsten Woche erledigen müssen.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 17. Juni, 13 Uhr 30, und schließe die 271. Sitzung.