Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Art. II § 8 ist von außerordentlicher Bedeutung für die effektive Höhe der Wohlfahrtsleistungen. In der derzeitigen Fassung steht
— das ist auch durch den Vortrag der Frau Berichterstatterin klargemacht worden —, daß zu den eigenen Mitteln, die der Hilfsbedürftige einsetzen muß, ehe die Fürsorge ihm Hilfe gewährt, sein gesamtes verwertbares Vermögen, sein gesamtes Einkommen usw. usw. zu rechnen sind. Zwar sind in § 8 a einige Ausnahmen gemacht worden,
Ausnahmen, über deren Berechtigung man sehr verschiedener Meinung sein kann. Sie haben sie begründet mit der Notwendigkeit der Schaffung einer individuellen Hilfe und damit, daß man einzelne Personen nach ihrer persönlichen Lage und ihren persönlichen Verhältnissen gesondert behandeln müsse; man müsse also eine ausgesprochen individuelle Fürsorge einrichten, bei der Personen, die noch Einkommen oder Rentenbezüge aus anderen Quellen hätten, eine Besserstellung erfahren sollten. Das ist doch in der Praxis nichts anderes als die Rückkehr zu der sogenannten gehobenen Fürsorge.
Was wollen Sie? Sie gehen nicht an das Problem der Sicherung einer ausreichenden Wohlfahrtsfürsorge für die Masse der Wohlfahrtsunterstützungsberechtigten heran. Diese Sätze lassen Sie bestehen, alle Unklarheiten bleiben bestehen. Was ist „Existenzminimum"? Das lassen Sie alles offen, alles bleibt bei der alten Regelung. Nur heben Sie einen gewissen Personenkreis über dieses Minimum hinaus. Uns kommt es in der Hauptsache darauf an, die Masse der Wohlfahrtsunterstützungsempfänger auf einen höheren Stand zu bringen, als sie ihn heute in den Gemeinden und Kreisen, in den Bezirksfürsorgeverbänden hat. An diesem Problem drücken Sie sich vorbei. Sie nehmen also eine Aufspaltung des Kreises der Fürsorgeberechtigten vor, eine Aufspaltung, die gleichzeitig eine Diskriminierung derjenigen Personen ist, die ausschließlich auf Wohlfahrtsunterstützung angewiesen sind. Darin dokumentiert sich nichts anderes als das, was man früher einmal „Armenpflege" nannte, ein Wort, das Sie heute ja vermeiden. Also noch einmal: nicht die Masse wird gehoben, sondern Sie heben aus der Masse der Notleidenden einen bestimmten Personenkreis minimal heraus.
— Ach so, „besonders Notleidende"! Sehr verehrte Frau Berichterstatterin, wollen Sie mir denn sagen, daß die Wohlfahrtsrichtsätze zur Bestreitung des Lebensunterhalts der besonders Notleidenden ausreichen? Das wagen Sie doch draußen in der Gemeinde nicht einmal selber zu sagen! Streiten wir also doch nicht um solche Dinge! Seien wir uns einig, daß die Wohlfahrtsleistungen in ihrer derzeitigen Höhe unverantwortliche Hungersätze sind. Darüber gibt es draußen doch keine Meinungsverschiedenheit. Das sagen Sie und Ihre Freunde in den Stadtvertretungen doch auch. Da berufen Sie sich auf den großen Bruder Arnold in Düsseldorf oder auf den großen Bruder Schäffer oder Lehr in Bonn.
Aber zur Sache zurück! Sie schaffen doch eine Aufspaltung und eine Diskriminierung der Personen, die nur auf die Wohlfahrtsunterstützung angewiesen sind. Wir sind der Auffassung — ich habe das bereits gesagt —, daß Rentenempfänger Kriegsopfer, Invaliden, Unfallbeschädigte eine derartige Rente haben sollten, daß sie unter keinen Umständen auf Wohlfahrtsunterstützung angewiesen sind.
— Ja, das sagen Sie! Aber noch gestern haben Sie sich bezeichnenderweise dagegen gewehrt, daß die SPD einen alten Antrag auf Erhöhung der Grundrenten bei den Invaliden um 15, 12 und 6 Mark wieder aufgegriffen hat! Gestern waren Sie dagegen, heute sagen Sie: „Natürlich, die Renten sind zu niedrig!" Was ist das für eine — Verzeihung! — eigenartige Spaltung in Ihrer Auffassung von den Dingen? Ich will nicht von Doppelzüngigkeit reden; ich habe es mit einer Dame zu tun, da bin ich etwas vorsichtig.
Aber nun zur Sache selbst! Was heißt denn „eigene Mittel", die eingesetzt werden sollen? Wie ist es denn unten in den Gemeinden? Fragen wir doch einmal die Menschen, die in der praktischen Wohlfahrtspflege in den Gemeinden stehen! Wie ist es denn da? Jeder errechenbare Pfennig wird von den Bezirksfürsorgeverbänden in Ansatz gebracht. Und nun machen Sie diese Formulierung: „ehe ihm die Fürsorge Hilfe gewährt, sind sein gesamtes verwertbares Vermögen" usw. Warum schaffen Sie nicht eine ganz klare Lösung des Problems in der Form, daß Sie schon in den Paragraphen vor § 8 a eine Bestimmung etwa des Inhalts einfügen, wie wir ihn mit unserem Änderungsantrag vorschlagen? Nach unserer Auffassung soll § 8 Abs. 1 folgenden Nachsatz haben. An der Stelle, wo von „Unterhalts- oder Rentenansprüchen öffentlicher oder privater Art" die Rede ist, soll hinzugefügt werden: „soweit dieses verwertbare Vermögen und Einkommen den doppelten örtlichen Wohlfahrtsrichtsatz für den Hilfsbedürftigen und seine
Familienmitglieder übersteigt". Wir wollen damit erreichen, daß nicht nur die in § 8 a genannten Fälle für die Nichtanrechnung von vornherein gelten, sondern daß Sie unseren Vorbehalt einschalten. Schalten Sie den ein, dann kommen Sie nämlich an dem § 8 a vorbei. Dann braucht man für die Kriegsopfer und für die Unfallrentner, für die Altsparer usw. usw. keine Sonderregelung mehr zu machen. Wenn diese Bestimmung in § 8 hineinkommt, ist § 8 a vollkommen überflüssig. Sie nehmen damit diesem Gesetz den bösen Geruch, daß es zwei Gruppen von Fürsorgeberechtigten gibt. Wir bitten Sie, auch diesem unserem Antrag stattzugeben.
Wie richtig Sie unseren Gedankengang im Prinzip finden, wird ja besonders deutlich, wenn man sich die letzten Worte des Abs. 2 des § 8 a ansieht. Da steht nämlich, daß dieses Einkommen nicht angerechnet werden darf, um zu verhüten, daß die Hilfsbedürftigkeit zur „dauernden" wird. Wenn Sie aber vorn sagen, jedes Einkommen sei anzurechnen, dann machen Sie doch den kleinen Sparern — nehmen wir mal einen Krupp-Pensionär heraus, der sich, sagen wir, 4000 Mark gespart hat — zur Verpflichtung, diesen Betrag in der Zeit, in der er Wohlfahrtsunterstützung bezieht, einzubuttern.
— Ja, mit Ihrer Ausnahme von 500 DM kommen Sie doch an den Bestand, den Sie angeblich sichern wollen, nicht heran.
Ich bin deshalb der Meinung, daß man die Zweiteilung fallenlassen soll, daß man eine klare Bestimmung dafür schaffen soll, was anrechenbar ist, und daß man ganz klar und prägnant den Bezirksfürsorgeverbänden sagt: Nur das, was darüber hinausgeht, dürft ihr anrechnen. Dann kommen wir
nämlich unten zu einer klaren Praxis in den Bezirksfürsorgeverbänden; dann schaffen wir auch einen Rechtsanspruch für diese Leistungen, und wir haben, wie gesagt, diese diskriminierende Aufspaltung der Wohlfahrtsunterstützungsempfänger nicht nötig; wir kommen an dem Problem vorbei, und darauf sollte es auch Ihnen ankommen.
Ich erinnere mich nämlich aus der Zeit so nach 1945, da waren es — mindestens bei uns, im Land Nordrhein-Westfalen — prominenteste Fürsorgepolitiker aus der CDU, die ganz offen den Standpunkt vertreten haben, daß die sogenannte „gehobene Fürsorge" in keiner Form mehr in die Gesetzgebung eingefügt werden dürfe, weil damit eine Diskriminierung der Personen erreicht wird, die außer ihrer Wohlfahrtsunterstützung nichts mehr haben, was sie einbuttern oder womit sie leben können. Also ich frage mich: wie kommt innerhalb dieser kurzen Zeit bei Ihnen der Gesinnungswandel?
— Nein, nein, liebe verehrte Frau Berichterstatterin, Sie wollen eins entschuldigen: Sie wollen die erbärmlich geringen Kriegsopfer-, Unfall- und Invalidenrenten in der Form entschuldigen, daß Sie a) zugeben: sie sind so gering, daß die Wohlfahrtsämter Zusätze bezahlen müssen, und b) sagen, daß ein Minimum dieser Renten wenigstens freibleiben soll. Das ist Ihre Absicht. Also eine schöne Geste, die an dem tatsächlichen Einkommen der Rentner, der Kriegsopfer, der Invaliden- und Unfallbeschädigten nichts ändert. Außerdem hat — lassen Sie mich das sagen — unser Antrag, ein echtes Blindengeld durch Gesetz einzuführen, den Sie durch diese
Regelung als erledigt angesprochen haben, durch diese Fassung, die Sie dem Gesetz gegeben haben, keine Erledigung erfahren.
— Sehr richtig! Ich meine nicht Sie persönlich! Ich bin bereit, die CDU als eine Einheit anzuerkennen, als eine Einheit gegen die Armen in dem Fall.
Das anzuerkennen, bin ich sehr gern bereit.
Also wir bitten Sie, diesem unserem grundsätzlichen Antrag zuzustimmen, wenn Sie die Folgen vermeiden wollen, die zu vermeiden nach 1945 bis in die Periode 1949 hinein Sie sich selber geschworen haben.