Rede von
Otto
Striebeck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der von mir im Namen der SPD-Fraktion zu begründende Antrag, der Ihnen auf Umdruck Nr. 956 unter Ziffer 2 vorliegt, bezieht sich auf den Art. IV a der Ausschußvorlage. Im ersten Absatz unseres Antrags handelt es sich nur um eine redaktionelle Änderung und Ergänzung, die vorgenommen werden muß, falls die weiteren Absätze, wie wir hoffen, die Zustimmung des Hauses finden.
Was nun in unserem Antrag den Abs. 4 betrifft, so wünschen wir die Anerkennung eines Mehrbedarfs auch bei Unfallverletzten, wenn sie in die Lage kommen sollten, Fürsorgeunterstützung beziehen zu müssen. Und zwar soll dieser Mehrbedarf als Ausgleich für die Folgen des Unfalls in Höhe derjenigen Grundrente anerkannt werden, die zu gewähren wäre, wenn wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit ein Anspruch auf Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz bestehen würde. Dabei soll der Mindestbetrag des Mehrbedarfs für Unfallverletzte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % 10 DM monatlich betragen. Falls sich allerdings aus § 11 b Abs. 1 dieses Gesetzes ein höherer Mehrbedarf ergeben sollte, so soll natürlich dieser höhere Mehrbedarf anerkannt werden.
Ich möchte zur Begründung dieses Antrags zunächst auf die Tatsache hinweisen, daß der Unfallbeschädigte wie der Kriegsbeschädigte vielfach benachteiligt ist, und zwar dadurch, daß er in den meisten Fällen nicht mehr an seinem alten Arbeitsplatz schaffen kann, sondern eine Arbeit verrichten muß, für die weniger Lohn gezahlt wird. Die Folge des Unfalls ist auch, daß er anfälliger für andere Krankheiten ist und deshalb mehr krank feiern muß, als es sonst der Fall ist. Natürlich bekommt er in solchen Fällen auch weniger Krankengeld, weil dieses ja nach dem Verdienst berechnet wird. Denselben finanziellen Nachteil hat der Unfallverletzte, wenn er das Pech hat, erwerbslos zu werden.
Es ist noch darauf hinzuweisen, daß die Unfallverletzten wie die Kriegsbeschädigten, die in der Industrie schaffen, in ihrer Aufstiegsmöglichkeit gehindert und somit gegenüber den gesunden Menschen im Nachteil sind. Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, daß es nicht richtig, sondern im höchsten Maße unsozial ist, wenn man dem Unfallverletzten, falls er Fürsorgeunterstützung bezieht, nun auch noch hier die volle Rente in Anrechnung bringt und ihn so auf den reinen Fürsorgesatz herabdrückt.
Wenn uns entgegengehalten werden sollte, daß es sich hier ja um ein Fürsorgegesetz handelt und daß in der Fürsorge jedes Einkommen angerechnet werden muß, so ist dazu zu sagen, daß das im Grundsatz tatsächlich auch in § 8 dieser Vorlage festgelegt ist. Ich darf aber darauf hinweisen, daß in Art. IV a dieser Vorlage schon eine Ausnahme zugelassen ist, und zwar für die Grundrente der Kriegsbeschädigten. Und damit nun keine falschen Berichte in die Welt gesetzt werden können, möchte ich hier ausdrücklich betonen, daß wir diese Ausnahme, also die Besserstellung der Kriegsbeschädigten, wollen. Wir sind ja im Ausschuß besonders stark dafür eingetreten, daß bei Kriegsbeschädigten ein Mehrbedarf in Höhe der vollen Grundrente anerkannt werden soll. Aber wir sind darüber hinaus der Meinung, daß man in diesem Gesetz bezüglich des Mehrbedarfs die Unfallverletzten den Kriegsbeschädigten gleichstellen muß. Gegen diese Gleichstellung haben auch die Kriegsbeschädigten nichts einzuwenden. Im Gegenteil, der Reichsbund der Kriegs- und Zivilbeschädigten hat in seinen Änderungsvorschlägen, die er dem Ausschuß unterbreitet hat, ausdrücklich auch für die Unfallverletzten einen Mehrbedarf in Höhe der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz gefordert.
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß auch der Bundesrat einen entsprechenden Antrag gestellt hat, weil nach seiner Meinung wegen der gleichen Merkmale der Schädigung eine Gleichstellung von Kriegsbeschädigten und Unfallverletzten in diesem Gesetz gerechtfertigt ist. Schließlich hat sich ja auch der Deutsche Gewerkschaftsbund in seinen Vorschlägen für einen Mehrbedarf der Unfallverletzten auf der Basis der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz eingesetzt. Sie sehen also, daß sich nicht nur große Verbände, sondern auch die Vertreter der Länder für die Unfallverletzten im Sinne unseres Antrags ausgesprochen haben. Ich bin der Meinung, daß der schaffende Mensch, der gegenüber der Allgemeinheit seine Pflicht tut, ein Recht darauf hat, durch die Gemeinschaft vor der äußersten Not geschützt zu werden. Das sollte erst recht der Fall sein, wenn sich dieser Mensch bei seiner Pflichterfüllung noch einen Unfall zugezogen hat.
In bezug auf den letzten Absatz unseres Änderungsantrags gilt zunächst als Begründung auch alles das, was ich vorhin zu den Unfallverletzten gesagt habe. Wir fordern für die Opfer des nationalsozialistischen Regimes, die sich durch Verfolgung eine Gesundheitsschädigung zugezogen haben, für die eine Rente bezogen wird, ebenfalls einen Mehrbedarf in Höhe des Betrages, der in der Kriegsopferversorgung bei gleicher Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente gewährt werden würde. In vielen Gesetzen, die als Kriegsfolgegesetze bezeichnet werden müssen, ist festgelegt, daß Verfolgte des Naziregimes besonders berücksichtigt werden sollen. Leider bleiben ja die dort gemachten Versprechungen sehr oft in der Theorie stecken. Dennoch bin ich der Meinung, daß man in diesem Gesetz, das uns heute vorliegt, nicht an den berechtigten Wünschen der Verfolgten vorbeigehen kann. Es wäre meines Erachtens auch vom politischen Standpunkt aus untragbar, wollte man die Rente, die ein Verfolgter als Gesundheitsgeschädigter bezieht, auf die Fürsorgeunterstützung anrechnen und die Verfolgten damit schlechter stellen als
andere Gruppen, die in dem vorliegenden Gesetz besonders berücksichtigt werden. Ich glaube, das hat auch der Vermittlungsausschuß erkannt, der deshalb ja bei dem Gesetz über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge die Renten der Opfer des Nationalsozialismus von der Anrechnung ausnimmt. Wir haben ja gestern die Vorlage des Vermittlungsausschusses angenommen.
Was aber dort für notwendig gehalten wird, ist im Fürsorgegesetz erst recht zu fordern und am Platze. Wir wissen aus den Kommunen, daß der gestellte Antrag bei den Fürsorgeverbänden finanziell kaum zu Buche schlägt, weil aus dem kleinen Kreis derjenigen, die als Verfolgte des Naziregimes eine Rente beziehen, nur wenige von der Fürsorge betreut werden. Aber diese wenigen erwarten und dürfen auch von uns erwarten, daß sie durch die Gesetzgebung vor dem Schlimmsten bewahrt werden.
Ich darf Sie deshalb im Namen meiner Fraktion bitten, dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 956 Ziffer 2 Ihre Zustimmung zu geben. Den Herrn Präsidenten wollte ich noch bitten, über die in Ziffer 2 unseres Antrages vorgeschlagenen Absätze 4 und 5 getrennt abstimmen zu lassen.