Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Haus ist einverstanden. Herr Dr. Bärsch als vom Ausschuß bestellter Berichterstatter ist einverstanden?
Ich rufe auf zur zweiten Beratung. § 1, — § 2,
— § 3, — Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. Die zweite Beratung ist abgeschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Anträge sind nicht gestellt. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor. Einzelaussprache. — Keine Wortmeldungen. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes als Ganzes ist, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. — Gegenprobe!
— Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Meine Damen und Herren, wir haben, wie ich feststelle, von Punkt 10 der Tagesordnung noch die Ziffer 2 des Ausschußantrags — Drucksache Nr. 4371 — zu erledigen. Darin wird beantragt, die Interpellation der Fraktion der SPD betr. Gewährung von Blindengeldern an Zivilblinde und den Antrag der Fraktion der KPD betr. Blindenpflegegeld -Gesetz für erledigt zu erklären. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
— Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der kommunistischen Gruppe ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Bundesevakuiertengesetzes ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Nr. 4380 der Drucksachen).
Das Wort zur Berichterstattung hat Frau Abgeordnete Nadig.
Frau Nadig , Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat sich in zwei Sitzungen mit dem Bundesevakuiertengesetz befaßt. Der Sinn dieses Gesetzes ist, der großen Zahl der Menschen, die aus kriegsbedingten Gründen ihren Wohnort verlassen mußten, die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen. Der Ausschuß war sich einig, daß der größte Teil der heute noch Evakuierten in schwierigen und bedrängten Verhältnissen lebt und daß eine positive Regelung dieses Problems nur möglich ist, wenn gleichzeitig für die Erstellung des Wohnraums im Heimatort die notwendigen Mittel bereitgestellt werden.
In § 1 ist der Begriff des Evakuierten festgelegt. Evakuierte sind Personen, die in der Zeit vom 26. August 1939 bis 7. Mai 1945 ihre Wohnsitzgemeinde aus kriegsbedingten Gründen verlassen mußten. Um den Stichtag entspann sich eine längere Debatte. Der Ausschuß einigte sich auf den Vorschlag der Regierung, Personen, die in der Zeit vom 26. August 1939 bis 7. Mai 1945 ihre Wohnsitzgemeinde aus kriegsbedingten Gründen verlassen haben, als Evakuierte zu bezeichnen. Der Ausschuß hielt es für richtig, die weitere Fassung zu wählen und alle Personen einzubeziehen, die ihren Wohnort aus kriegsbedingten Gründen verlassen haben, nicht: verlassen mußte n. Es erschien zu schwierig, nach Jahren noch in eine Untersuchung der Gründe des Fortgehens einzutreten.
Frau Nadig
Besonderen Wert legte der Ausschuß auf die Feststellung, daß der Abs. 1 des § 1 auf den zur Haushaltsgemeinschaft des Evakuierten gehörenden Personenkreis angewendet wird, im besonderen auf den angeheirateten Ehegatten, wie auch auf die evakuierte Witwe mit Familie.
Einstimmig war man der Meinung, daß der Personenkreis, der durch § 1 nicht erfaßt wird, also die Evakuierungen, die außerhalb der Frist in § 1 vorgenommen wurden, durch Rechtsverordnung der Regierung erfaßt werden muß. Es steht fest, daß noch bis weit in das Jahr 1946 Evakuierungen aus Gründen der sogenannten Seuchengefahr und aus anderen Gründen vorgenommen wurden. Für diesen erweiterten Kreis der Evakuierten schlägt der Ausschuß die Frist vom 26. August 1939 bis zum 31. Dezember 1946 vor. So ist es möglich, auch die Evakuierten von Kehl und Helgoland einzubeziehen.
Der § 6 des Gesetzes hat im Ausschuß zu einer längeren Diskussion darüber geführt, ob erstens dann, wenn der Evakuierte in einem anderen als dem Zufluchtsort arbeitet, dieser Arbeits- oder Dienstort als Ausgangsort anzusehen ist, zweitens ob die Wohnsitzgemeinde eines Familienangehörigen auch als Ausgangsort angesehen werden kann. Beide Fragen wurden vom Ausschuß bejaht, und einstimmig wurde die Neufassung des § 6 beschlossen.
Einig war man sich auch darüber, daß ohne eine Klärung der wohnraummäßigen Unterbringung und ihrer Finanzierung das Gesetz eine reine Deklamation bleiben würde. Die Rückkehr der Evakuierten ist immer an dem Nichtvorhandensein von Wohnraum gescheitert. Die Bereitstellung und Finanzierung von Wohnraum ist das Kernstück des ) ganzen Gesetzes. Der Ausschuß legt Wert darauf, daß diese Frage klar und eindeutig im Gesetz zum Ausdruck kommt. Nach § 9 ist dem Evakuierten ein angemessener Teil des vorhandenen und des neu zu schaffenden Wohnraums zuzuteilen. Bei der Verteilung des Wohnraums, der im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus mit öffentlichen Mitteln erstellt wird, soll die Regierung im Wege einer Rechtsverordnung die Evakuierten in angemessener Weise berücksichtigen. Der Ausschuß war einmütig der Auffassung, daß das Gesetz sich nur dann positiv auswirken kann, wenn es gelingt, die Wohnraumfrage am Ausgangsort der Evakuierten zu regeln. Er bittet die zuständigen Stellen, diese Aufgabe vordringlich zu behandeln.
Die Regelung der Rückführungskosten ist eingehend behandelt worden. Die Regierungsvorlage sah vor, daß das Land, in dem der Evakuierte seinen Wohnsitz hat, die Kosten der Rückführung nur in dem Fall tragen solle, in dem sie dem Evakuierten nicht zugemutet werden könnten. Da es sich bei den Evakuierten fast ausschließlich um sozial schwache Menschen handelt, hält der Ausschuß diese Regelung für untragbar. Einstimmig wurde beschlossen, den Satz „es sei denn, daß die Tragung dieser Kosten dem Evakuierten zugemutet werden kann" zu streichen. Der Ausschuß war der Auffassung, daß der Begriff der Zumutbarkeit sehr schwer zu begrenzen ist und diese Bestimmung in der Praxis zu ganz unterschiedlichen Auslegungen führen würde.
Bei § 11 hat der Ausschuß eine Änderung dahingehend vorgenommen, daß Ärzte, Zahnärzte und Dentisten, die am Ausgangs- oder Zufluchtsort zur Kassenpraxis zugelassen waren, zugelassen bleiben; einer Stellungnahme der Zulassungsausschüsse solle es in diesen Fällen nicht mehr bedürfen.
Man war der Auffassung, daß sich unter den Evakuierten ein großer Prozentsatz Witwen mit Kindern und Jugendlichen befindet. Diesen Jugendlichen soll die Möglichkeit einer Berufsausbildung oder einer Umschulung auf einen geeigneten Beruf durch Bereitstellung von Beihilfen gegeben werden. Der Ausschuß legt Wert auf die Erfüllung dieser Aufgabe. Er nahm den § 16 einstimmig an.
Vom Städtetag war vorgeschlagen worden, die Kriegsfolgenhilfe noch für die Dauer von drei Jahren nach Rückführung der Evakuierten anzuerkennen. Aus systematischen Gründen konnte der Ausschuß eine solche Bestimmung nicht in das Gesetz aufnehmen. Er schlug vor, die Bestimmung in der Durchführungsverordnung zum Überleitungsgesetz vorzusehen. Ebenso sollte in der Durchführungsverordnung geregelt werden, daß die Rückerstattung der Fürsorgekosten für die nicht zurückgekehrten Evakuierten weiterhin als Kriegsfolgenhilfe zu behandeln sei.
Der Ausschuß war der Ansicht, daß das Land Berlin in dieses Gesetz einbezogen werden müsse, daß die Rückführung von Evakuierten nach Berlin aber nur im Benehmen mit dem Berliner Senat erfolgen könne.
Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung hat alle Beschlüsse zum Evakuiertengesetz nahezu einstimmig gefaßt. Möge das auch für das Hohe Haus ein gutes Omen sein!