Rede von
Hans
Merten
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte zu dem Ihnen vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Die Ausarbeitung dieses Entwurfs und seine Vorlage durch meine Fraktion und die Fraktion der FU ergab sich aus dem Beschluß dieses Hohen Hauses vom 27. November 1952. Die Bundesregierung ist dem durch diesen Beschluß an sie gerichteten Ersuchen, ein Gesetz über die Entschädigung an deutsche Kriegsgefangene vorzulegen, nicht nachgekommen. Erst vor wenigen Tagen, am 3. Juni 1953, hat der Herr Bundesminister für Arbeit auf eine Anfrage des Herrn Kollegen Parzinger erklärt, daß die Vorlage dieses Gesetzes im Sinne des Beschlusses vom 27. November 1952 wegen der sich ergebenden erheblichen Schwierigkeiten in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich sein werde.
Nur neun Wochen vorher aber, am 25. März 1953, hat der Herr Bundesminister für Vertriebene erklärt, daß der Referentenentwurf dieses Gesetzes fertiggestellt sei, daß er die Ressortbesprechungen mit allen Mitteln beschleunigen und alles tun werde, um den Gesetzentwurf so bald als möglich dem Bundestag vorzulegen. Wir haben uns natürlich Gedanken darüber gemacht, was in der Zwischenzeit geschehen sein könnte. Wir haben festgestellt, daß der Herr Bundesminister Lukaschek inzwischen in Urlaub gegangen ist und der Herr Bundesminister Storch ihn während dieser Zeit vertreten hat. Wir haben daraus den Schluß gezogen, daß das vielleicht der Grund dafür sein könnte, daß inzwischen ein Stopp in der weiteren Bearbeitung des Entwurfes eines entsprechenden Gesetzes eingetreten ist, dessen Vorlage dieses Haus fast einstimmig gefordert hat.
In derselben Sache hat meine eigene Fraktion bereits am 18. März 1952 und am 28. März 1953 Kleine Anfragen an die Bundesregierung gerichtet. Noch am 11. April dieses Jahres hat die Bundesregierung durch den Bundesminister für Vertriebene mitgeteilt, daß er mit der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs betraut sei und daß Verhandlungen über die Deckung der zu erwartenden Ausgaben geführt würden.
Aber am 20. Juni 1951 schon stand diese Frage hier zur Debatte, als wir über die Gebührnisansprüche deutscher Minenräumer in Norwegen sprachen. Damals ist dieser Antrag nicht abgelehnt, sondern der Bundesregierung als Material für eine künftige allgemeine Gesetzgebung über die Entschädigung für alle ehemaligen Kriegsgefangenen überwiesen worden. Das heißt mit anderen Worten, die Bundesregierung hat zwei Jahre Zeit gehabt, sich, veranlaßt durch die Beschlüsse dieses Hauses, mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen, wenn sie es schon nicht von sich aus als eine Selbstverständlichkeit angesehen hat, diese Dinge einer Regelung zuzuführen. Die vom Herrn Bundesarbeitsminister am 3. Juni 1953 angedeuteten erheblichen Schwierigkeiten hätten in diesen zwei Jahren längst überwunden werden können. Bei der Antwort auf frühere Anfragen ist von diesen Schwierigkeiten auch niemals die Rede gewesen.
Meine Fraktion hat, wie ich bereits am 9. Oktober 1952 hier ausführen konnte, sehr stark den Eindruck, daß die Bundesregierung bzw. der für diese Angelegenheit verantwortliche Ressortminister den Fragen, die sich aus der Kriegsgefangenschaft nicht nur für die hilfsbedürftigen, sondern für alle Kriegsgefangenen ergeben, nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hat, die vielleicht notwendig gewesen wäre, und nicht die Energie aufgebracht hat, die zur Klärung dieser Fragen angebracht gewesen wäre. Ich erinnere daran, daß bis heute noch keine Erhebungen über den Umfang der Kriegsgefangenschaft und darüber angestellt worden sind, wann und in welchem Umfang die Entlassungen durchgeführt worden sind. Die Heimkehrerbefragung des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes hätte eine ausgezeichnete Gelegenheit geboten, diese Erhebungen gleich mit zu erledigen. Damit wären Zeit und Kosten gespart worden. Diese Gelegenheit wurde aber nicht wahrgenommen. Auch zur Klärung der Frage des abgenommenen Privateigentums der Kriegsgefangenen und vieler anderer Dinge ist nichts geschehen. Es ist nicht Sache des einzelnen Kriegsgefangenen, sich über die Einhaltung der völkerrechtlichen Vorschriften mit seinem Gewahrsamsstaat auseinanderzusetzen. Dies ist und bleibt während des Krieges Sache der Schutzmacht; nach dem Kriege ist es selbstverständlich Sache seines Heimatstaates.
Die Kriegsgefangenen bzw. die ehemaligen Kriegsgefangenen haben nach der Behandlung ihres Entschädigungsanspruchs hier im Bundestag — und das bitte ich Sie ernst zu nehmen — auf dieses Parlament ihr Vertrauen gesetzt, und zwar auf das ganze Parlament, daß es nicht bei den bisherigen Verhandlungen bleibt, sondern daß sich nach diesen Verhandlungen ihr Inhalt in einem konkreten Gesetzentwurf niederschlägt. Meine Fraktion glaubte, ebenso wie die Fraktion der Föderalistischen Union, es nicht zulassen zu können, daß dieses Vertrauen der Kriegsgefangenen in das Parlament dadurch erschüttert wird, daß es nicht zur Verabschiedung dieses Gesetzes kommt. Wir haben idem Hohen Hause aus diesem Grunde einen Gesetzentwurf vorgelegt, der, soweit er grundsätzliche Dinge betrifft, in seinem Inhalt der bisherigen Haltung unserer Fraktion entspricht.
Die im vorliegenden Entwurf vorgesehene Entschädigung von 1 DM pro Tag der Kriegsgefangenschaft vom 1. Januar 1947 ab und von 2 DM vorn 1. Januar 1949 ab ist nur als eine Mindestentschädigung anzusehen, und zwar sowohl was die Fristen als auch die Höhe der Beträge angeht. Wir betrachten diese Entschädigung vor allen Dingen nicht als so etwas wie eine Haftentschädigung, sondern sind der Auffassung, daß man den Kriegsgefangenen für das Unrecht, das sie in der Kriegsgefangenschaft und durch diese erlitten haben, für die seelischen und körperlichen Nöte, die sie und ihre Familien durchgemacht haben, nicht mit Geld etwas geben kann, was das alles aufwiegen könnte. Die Entschädigung kann man nicht ansehen als eine Entschädigung für Erlittenes, sondern muß sie als eine Entschädigung für Geleistetes betrachten, nämlich für das, was die Kriegsgefangenen stellvertretend für das ganze deutsche Volk vollbracht haben. Sie sind ja die ersten und zweifellos nicht die schlechtesten Botschafter gewesen, die Deutschland nach dem Zusammenbruch bei den früheren Feindmächten gehabt hat. Die Anerkennung dieser Leistungen ist gleichsam eine Ehrensache des ganzen Volkes gegenüber diesen seinen Gliedern. Sie ist eine Sache von eminenter politischer Bedeutung; denn von ihr wird es abhängen, ob diese Generation der Kriegsgefangenen zu den Einrichtungen unseres demokratischen Staates Vertrauen gewinnen unid aus diesem Vertrauen zu der erforder-
lichen aktiven und freudigen Mitarbeit an unserem Staat bereit sein kann. Man darf daher dieses Gesetz nicht lediglich vom fiskalischen Standpunkt her sehen; sonst geht man an dem Kern des Problems restlos vorbei.
Über die Einzelheiten dieses Gesetzes will ich jetzt nicht sprechen. Unser Entwurf deckt sich weitgehend mit den Entwürfen der Freien Demokratischen Partei und der Deutschen Partei. In einem Punkt unterscheiden sich die Entwürfe. In dem Entwurf meiner Fraktion und der FU sind auch die Fragen der Existenzaufbauhilfe, der Wohnraumhilfe und der Hausrathilfe angesprochen. Da nämlich Entschädigungszahlungen auf diese Hilfen angerechnet werden sollen, gehören beide Dinge unserer Auffassung nach zusammen in dasselbe Gesetz. Die Notwendigkeit einer Regelung dieser drei Fragen bedarf keiner Begründung. Auch Frau Dr. Probst hat sie in ihren Ausführungen eben klar herausgestellt. Allerdings muß bei dieser Gelegenheit von vornherein gesagt werden, daß die 10 Millionen DM, von denen der Herr Bundesarbeitsminister am 3. Juni 1953 gesprochen hat, nur ein Tropfen auf einen heißen Stein sein werden; denn sie stehen in gar keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Notständen, unter denen die Heimkehrer leiden.
Das vorliegende Gesetz wird keine hundertprozentige Lösung aller Fragen bedeuten; aber es ist eine Mindestvorstellung von dem, was getan werden muß, und bedeutet einen ersten Schritt zur Lösung der Fragen.
Wir legen Wert darauf, daß diese ganze Hilfe nicht nur den Kriegsgefangenen im Sinne des Völkerrechts, sondern auch denjenigen, die praktisch in derselben Situation gewesen sind, nämlich den Zivilinternierten und den Zivilverschleppten, zugute kommt; denn sie haben genau das gleiche durchmachen müssen. Ferner soll sie auch den Frauen, den Familien derjenigen Kriegsgefangenen gewährt werden, die wider alles Recht und wider jede Menschlichkeit heute noch von den Gewahrsamsstaaten festgehalten werden.
Wir glauben, daß die bereits in die Einzelheiten gehende Ausarbeitung des Entwurfs eine beschleunigte Verabschiedung im Ausschuß ermöglichen wird, und geben der Hoffnung und Erwartung Ausdruck, daß wir in kurzer Zeit zur zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzes kommen können. Das wird um so mehr möglich sein, als die Feststellung der Ansprüche im einzelnen die Zeit bis zum Ende dieses Haushaltsjahrs in Anspruch nehmen wird, weil auf diesem Gebiet bedauerlicherweise keine Vorarbeiten geleistet worden sind. Mit größter Beschleunigung muß an die Erledigung dieser Vorarbeiten gegangen werden. Das ist eine unumgängliche Voraussetzung für die Durchführung des Gesetzes. Diese Tatsache hat zur Folge, daß im laufenden Haushaltsjahr wahrscheinlich kaum noch Mittel für die Leistungen dieses Gesetzes zur Verfügung gestellt werden müssen, da sich der Gesamtumfang der Kasten erst übersehen läßt, wenn das Feststellungsverfahren durchgeführt ist. Darüber wird im Ausschuß noch des näheren zu sprechen sein. Meine Fraktion wünscht, daß wenigstens für die sozial dringlichen Leistungen, also insbesondere die Leistungen für den Existenzaufbau, für die Wohnraum- und Hausratbeschaffung, schon im laufenden Haushaltsjahr Zahlungen ermöglicht werden.
Ich beantrage namens meiner Fraktion die Überweisung der Drucksache Nr. 4318 an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen.