Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Kollege Merten hat soeben den Initiativgesetzentwurf der SPD und FU begründet, den ich selber mit unterschrieben habe. Er hat sich dabei ,auf den einmütigen Beschluß des Bundestags vom November vorigen Jahres berufen, den wir seinerzeit in der Absicht gefaßt haben, das Ent-
schädigungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Es kann sich somit nicht um einen Propagandaantrag kurz vor den Neuwahlen des Bundestags handeln; denn die Vorarbeiten für die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs gehen bis auf den Herbst 1951 zurück, und manche der in den Gesprächen mit den Ministern geäußerten Ideen sind in den Vorlagen der Parteien verwirklicht worden.
Wenn Sie sich 'außerdem recht entsinnen, wissen Sie, daß ich meinen Antrag vom vorigen September, der dem Beschluß des Bundestags vorangegangen war, befristet habe, um ganz sicher zu gehen, daß das Gesetz, dessen Vorlage der Bundestag von der Regierung gefordert hat, auch tatsächlich zur Verabschiedung kommt. Der von mir geforderte Termin zur Vorlage konnte nicht eingehalten werden. Daß aber sieben Monate vergehen würden, ohne daß die Regierung den Beschluß des Parlaments ausführen würde, haben weder die Antragsteller noch 'die Mehrheit des Parlaments erwartet.
Es war daher nicht möglich, noch länger zu warten Was den Stichtag angeht, Herr Minister, so hätte man sich darüber im Ausschuß unterhalten können. Das ist nicht ein Hindernis für die Beratung und die Verabschiedung eines solchen Gesetzes gewesen. Das Parlament mußte initiativ werden, und ich freue mich, daß zu dem Antrag der SPD, FU und der Kollegen Merten, Hütter der Antrag meiner Fraktion Drucksache Nr. 4446, der im wesentlichen mit der anderen Vorlage übereinstimmt und den die DP mit unterzeichnet hat, gekommen ist. Die Unterschiede zwischen den vorliegenden Entwürfen beziehen sich hauptsächlich auf Formalien. Ich 1 brauche auf den Inhalt nicht weiter einzugehen.
Wie mir nun der Vorsitzende des Kriegsopferausschusses, Herr Kollege Pohle, mitgeteilt hat, wird die Beratung der Parlamentsvorlagen sofort in Angriff genommen werden, so daß meine Befürchtung, wir könnten das Entschädigungsgesetz in diesem Bundestag nicht mehr verabschieden, wegfällt. Ich habe geglaubt, dieser Befürchtung in der Öffentlichkeit Ausdruck geben zu sollen, weil ich keine unerfüllbaren Hoffnungen erwecken wollte. Ich bin glücklich, daß dieser Bundestag, der die Entschädigung an andere Geschädigtengruppen bereits bejaht hat, sich durch diese Vorlagen zur Wiedergutmachung auch an diesen Opfern des verlorenen Krieges, den ehemaligen Kriegsgefangenen, bekennt und dieses Bekenntnis noch in die Tat umsetzen will. Es wäre für immer ein Odium gewesen, wenn wir die Angelegenheit dem nächsten Bundestag überlassen hätten.
Mein besonderer Dank geht in diesem Zusammenhang an die Presse, die die Öffentlichkeit immer wieder auf die Notwendigkeit der Anerkennung der Entschädigung für die ehemaligen Kriegsgefangenen hingewiesen hat und damit psychologisch vorbereiten geholfen hat, was wir jetzt realisieren wollen.
Der Personenkreis, der von diesem Gesetz erfaßt wird, beläuft sich nach vorliegenden Schätzungen auf 1 Million. Daran hängen 3 Millionen Familienangehörige, was zusammen 4 Millionen Menschen ausmacht, 4 Millionen Menschen der jungen Generation, also der Aktivsten unseres Landes, die das schwerste Schicksal erlebt haben. Daß die Einstellung dieses Personenkreises zum Staat und zu unserer Demokratie von ganz großer
Bedeutung ist, ja daß sie für die Existenz dieses Staates sogar von ausschlaggebender Bedeutung ist, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Wenn diese Menschen ihren Kindern etwa sagen müßten, daß ihre Leistungen gegenüber dem Vaterland keine Anerkennung finden, daß es sich 'deshalb auch nicht lohnen würde, für Europa zu kämpfen, daß sie enttäuscht werden würden, dann müßte die Verantwortung für eine solche Haltung diesem Bundestag zugeschoben werden.
Die Entschädigung als Anerkennung für die stellvertretend für das ganze deutsche Volk gebrachten Opfer — ich zitiere hier noch einmal den Herrn Bundespräsidenten — scheint mir ein Mittel zu sein, die Heimkehrer an diesen Staat heranzuführen, da sie den arbeitswilligen und heute noch arbeitslosen Kräften, jenen Kräften, die ein gut Teil unserer nationalen Substanz ausmachen, die Schaffung einer Existenz ermöglicht.
Das gleiche Schicksal in der Kriegsgefangenschaft darf auch keine unterschiedliche Behandlung durch das Gesetz zur Folge haben. Gerade dieser Gedanke aber steckt in dem Antrag der CDU, der nur nach dem zufälligen Gesichtspunkt der augenblicklichen sozialen Lage entschädigen will, während die anderen Anträge dem Unrecht, das unseren Kriegsgefangenen durch die völkerrechtswidrige Behandlung widerfahren ist, Rechnung tragen.
Es wäre einfach kurzsichtig, wenn man diese Opfer willkürlicher Terrormaßnahmen, diese wichtigsten Propagandaträger für eine Abwehrbereitschaft Europas, vor den Kopf stieße. Denn auch andere Länder haben das Opfer des ehemaligen Kriegsgefangenen erkannt. Amerika, das soviel reicher ist als Deutschland, kann jedem seiner Kriegsgefangenen für die Dauer seiner Gefangenschaft den Wehrsold zahlen. Der deutsche Heimkehrer erwartet dies von seinem verarmten Vaterlande nicht; aber er erwartet die Anerkennung, die es ihm ermöglicht, eine Existenz zu schaffen und am Wiederaufbau Deutschlands teilzunehmen. Dieser Wunsch war sein schönster und meistgeträumter Traum in den langen schlaflosen Nächten der Kriegsgefangenschaft. Und nun sind wir da, wo es möglich ist, daß ein 56jähriger, seit drei Jahren in der Heimat anwesender arbeitsloser Heimkehrer schreiben muß:
Ich habe 17 Jahre meines Lebens dem Vaterland in zwei Weltkriegen opfern müssen, obwohl ich nur Reservist war. Für diese 17 Jahre ist dieses Vaterland nicht bereit, auch nur einen winzigen Bruchteil seiner sittlichen Verpflichtung zu erfüllen.
Dieser Mann wohnt in einem Gebiet der Bundesrepublik, wo wie in Berlin, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein bis zu 70 % der Heimkehrer arbeitslos sind, ein Zeichen, daß wir handeln müssen, und zwar so schnell wie möglich.
Es freut mich besonders, in diesem Zusammenhang feststellen zu können, daß alle Vorlagen des Bundestages eine Existenzaufbauhilfe bis zu 35 000 DM vorsehen und der Notwendigkeit der Gewährung solcher Darlehen Rechnung tragen.
Seit drei Jahren kämpfe ich nun um die Anerkennung der Entschädigung für ehemalige Kriegsgefangene. Ich erinnere an die erste Diskussion im
Ausschuß für Kriegsopferfragen im Sommer 1950 bei der Beratung zum Heimkehrergesetz. Und immer noch steht die Erfüllung dieser so berechtigten Forderung aus. Noch vor einem Dreivierteljahr, als ich abermals die Frage anschnitt, ware meiner Auffassung nach der Zeitpunkt dagewesen, dieses Gesetz zu verabschieden. Sie sehen also, es handelt sich wahrhaftig nicht um einen Wahlschlager, auch nicht um eine parteipolitische Angelegenheit,
sondern hierbei geht es meiner Meinung nach um eine selbstverständliche Verpflichtung des deutschen Volkes. Ihr nachzukommen, bedeutet doch die Gewinnung des betroffenen Geschädigtenkreises zu einer staatsbejahenden Haltung aus eigenem und freudigem Antrieb.
Der Ausgleich der Lasten aber ist nicht nur zwischen Flüchtlingen und Einheimischen, zwischen Fliegergeschädigten und den noch einmal Davongekommenen ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern ebensosehr zwischen dem zur Fronarbeit gezwungenen und dem frei gebliebenen Teil der Nation. Die Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft sind wie die Opfer der Konzentrationslager die tragischsten Figuren der Politik des Dritten Reiches.
Es ist dem Verantwortungsgefühl der Heimkehrer zu verdanken, daß sie diese ihre Entschädigungsforderung auf 1 bzw. 2 DM pro Tag der Gefangenschaft beschränken. Als einzige aller Geschädigtengruppen haben sie von Anfang an erklärt, daß sie in dem Maße bereit sind, von ihrer Forderung zurückzutreten, in dem andere Geschädigtengruppen dies tun. Mehr kann sich eine Regierung von ihren Staatsbürgern nicht wünschen.
Dieser Bundestag hat sich durch seinen Beschluß und die vorliegenden Anträge, wozu ich die Zweite Novelle zum Heimkehrergesetz rechne, die meine Fraktion ebenfalls für notwendig erachtet, für die Entschädigung entschieden. Es wird die Aufgabe des Kriegsopferausschusses sein, diese Parlamentsvorschläge unter Berücksichtigung gewisser Unebenheiten, die zwischen diesem Gesetz und anderen in der letzten Zeit verabschiedeten Gesetzen bestehen könnten — hierzu gehört die Begriffsdefinition des Wortes „Sowjetzonenflüchtling", die an das Vertriebenengesetz angepaßt werden muß —, zu beraten und das Beste daraus zu machen.
Ich beantrage deshalb Überweisung an den Kriegsopferausschuß. Ich wiederhole dabei, was ich in der Öffentlichkeit von jeher vertreten habe, daß der für dieses Gesetz notwendige Aufwand im Verteidigungsbeitrag angerechnet werden sollte.