Protokoll:
11065

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 65

  • date_rangeDatum: 4. März 1988

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:31 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/65 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 65. Sitzung Bonn, Freitag, den 4. März 1988 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4469 A Zur Geschäftsordnung Weiss (München) GRÜNE 4469 B Bohl CDU/CSU 4469 C Jahn (Marburg) SPD 4469 D Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes (Drucksache 11/1516) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn (Bundesbahnsanierungsgesetz) (Drucksache 11/1789) c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Übernahme überhöhter Versorgungslasten (Drucksache 11/1515) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tillmann, Straßmeir, Dr. Pohlmeier, Kroll-Schlüter, Fischer (Hamburg), Pfeffermann, Jung (Limburg), Bauer, Rauen, Dr. Uelhoff, Haungs, Gerstein, Dr. Lammert, Dr. Jahn (Münster) und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Ausbau des DB-Abschnitts Paderborn—Kassel (Drucksache 11/1690) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Vorhaben der Deutschen Bundesbahn, die Preise ab April 1988 zu erhöhen (Drucksache 11/1913) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Erhalt der DBStrecke Wuppertal-Elberfeld—WuppertalCronenberg (Drucksache 11/1918) Haar SPD 4471A Dr. Jobst CDU/CSU 4472 D Weiss (München) GRÜNE 4476 D Kohn FDP 4478 C Dr. Warnke, Bundesminister BMV . . . 4480 B Bamberg SPD 4483 C Tillmann CDU/CSU 4485 A Ibrügger SPD 4486 A Tagesordnungspunkt 18: a) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Einsichtsrecht in Umweltakten (Akteneinsichtsrechtsgesetz) (Drucksache 11/1152) b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung (Drucksache 11/1153) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. März 1988 Frau Vennegerts GRÜNE 4488 A Dr. Blens CDU/CSU 4489 D Wartenberg (Berlin) SPD 4492 B Dr. Hirsch FDP 4494 B Häfner GRÜNE 4496 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 4498 C Dr. Hüsch CDU/CSU 4500 A Schütz SPD 4501 C Baum FDP 4503 C Engelhard, Bundesminister BMJ 4505 B Nächste Sitzung 4507 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4508* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4508* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. März 1988 4469 65. Sitzung Bonn, den 4. März 1988 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 4. 3. Andres 4. 3. Frau Beck-Oberdorf 4. 3. Becker (Nienberge) 4. 3. Dr. Biedenkopf 4. 3. Dr. von Bülow 4. 3. Frau Conrad 4. 3. Frau Dr, Däubler-Gmelin 4. 3. Dreßler 4. 3. Frau Eid 4. 3. Dr. Emmerlich 4. 3. Dr. Faltlhauser 4. 3. Dr. Feldmann 4. 3. Frau Fuchs (Köln) 4. 3. Francke (Hamburg) ** 4. 3. Gansel 4. 3. Gattermann 4. 3. Dr. Götz 4. 3. Grünbeck 4. 3. Haack (Extertal) 4. 3. Hasenfratz 4. 3. Dr. Hauchler 4. 3. Dr. Hauff 4. 3. Helmrich , 4. 3. Frau Hensel 4. 3. Dr. Hoffacker 4. 3. Kastning 4. 3. Kirschner 4. 3. Kittelmann 4. 3. Klein (Dieburg) 4. 3. Kroll-Schlüter 4. 3. Dr. -Ing. Laermann 4. 3. Klein (München) 4. 3. Lemmrich * 4. 3. Lowack 4. 3. Lüder 4. 3. Frau Dr. Martiny-Glotz 4. 3. Meyer 4. 3. Dr. Miltner 4. 3. Müller (Pleisweiler) 4. 3. Paintner 4. 3. Poß 4. 3. Repnik 4. 3. Reschke 4. 3. Reuschenbach 4. 3. Frau Roitzsch (Quickborn) 4. 3. Ronneburger ** 4. 3. Sauer (Salzgitter) **' 4. 3. Frau Schilling 4. 3. Schluckebier 4. 3. von Schmude 4. 3. Dr. Schneider (Nürnberg) 4. 3. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schröer (Mülheim) 4. 3. Seehofer 4. 3. Seidenthal 4. 3. Stiegler 4. 3. Dr. Struck 4. 3. Susset 4. 3. Frau Dr. Vollmer 4. 3. Dr. Waigel 4. 3. Dr. Wernitz 4. 3. Wiefelspütz 4. 3. von der Wiesche 4. 3. Wilz 4. 3. Frau Dr. Wisniewski 4. 3. Wissmann 4. 3. Dr. de With 4. 3. Wüppesahl 4. 3. Zander 4. 3. Zierer *' 4. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 26. Februar 1988 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 21. Januar 1988 verabschiedeten Ersten Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/138 Nr. 1.3 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 11/883 Nr. 93 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Haushaltsausschuß Drucksache 11/929 Nr. 2.4 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/1656 Nr. 3.4, 3.5, 3.7-3.13 Drucksache 11/1707 Nr. 3-12 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 11/1656 Nr. 3.37 Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 2. März 1988 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes den Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1987 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Wirtschaftsplan liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106500000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich mitteilen, daß interfraktionell vereinbart worden ist, die heutige Tagesordnung um den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 11/1918 zu erweitern. Dieser Zusatzpunkt soll zusammen mit Punkt 17 der Tagesordnung zur Beratung aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

(Abg. Weiss [München] [GRÜNE] meldet sich zu Wort)

— Es wird ein Antrag zur Geschäftsordnung gestellt?
— Bitte sehr, das Wort hat der Abgeordnete Weiss zu einem Geschäftsordnungsantrag.

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106500100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle im Namen der Fraktion DIE GRÜNEN gemäß § 42 unserer Geschäftsordnung den Antrag auf Herbeirufung des Bundesministers der Finanzen.
Wir möchten, daß der Bundesminister der Finanzen an der heutigen Sitzung, in der es gerade um die Situation der Bundesbahn geht, teilnimmt; denn bei der Bahnpolitik scheint es in dieser Bundesregierung so eine Art Arbeitsteilung zu geben: Der Bundesverkehrsminister ist für die salbungsvollen Worte und die Lippenbekenntnisse für die Bahn zuständig; daneben gibt es dann noch den Bahnreferenten im Bundesfinanzministerium, Thilo Sarazin, der in seinen Papieren mehr oder weniger offen die Zerschlagung der Deutschen Bundesbahn fordert.
Wenn man dann die derzeitige Bahnpolitik anschaut, so stellt man fest, daß eben oft nicht die Politik gemacht wird, die der Bundesverkehrsminister nach außen mit schönen Worten vertritt, sondern knallharter Kahlschlagskurs à la Sarazin gefahren wird. — Wir wollen deshalb, daß der Bundesfinanzminister an der heutigen Sitzung des Bundestages teilnimmt. Wir wollen ihn dann in der Debatte auch auffordern, hier und heute ans Rednerpult zu treten und gegenüber dem Deutschen Bundestag und gegenüber der Öffentlichkeit zu dem Antibahnpamphlet Stellung zu nehmen, das aus seinem Hause stammt.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106500200
Der Antrag ist begründet worden. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1106500300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigentlich eine gute Übung in diesem Hause, wie ich finde, in angemessener Zeit solche Wünsche, daß an einer bestimmten Debatte der zuständige Fachminister teilnehmen möge, anzumelden. Sie wissen sehr wohl — ich konnte das auch Ihrer parlamentarischen Geschäftsführerin sagen — , daß Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg heute nicht hier in Bonn ist und deshalb keine Möglichkeit hat, an der heutigen Plenarsitzung teilzunehmen.
Natürlich werden solche Wünsche, ein Minister möge anwesend sein, auch bei der Aufstellung der Tagesordnung berücksichtigt. Das findet im Ältestenrat ständig statt. Wenn ein solcher Wunsch geäußert worden wäre, hätte man sicherlich auch Mittel und Wege gefunden, ihn zu erfüllen.
Ich muß deshalb sagen, daß uns dieser Antrag doch sehr merkwürdig stimmt.
Im übrigen ist ja der Bundesfinanzminister auch durch seinen zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten, so daß ich für Ihren Antrag, jedenfalls zu dem jetzigen Zeitpunkt und in dieser Form, kein Verständnis habe.
Wir müssen deshalb diesen Antrag ablehnen.
Herr Präsident, ich möchte aber rein vorsorglich noch folgendes sagen. Ich weiß nicht, wie sich die SPD-Fraktion in diesem Hause dazu einlassen wird. Ich muß mir zumindest vorbehalten, wenn die SPD der Meinung sein sollte, diesen Antrag unterstützen zu müssen, einen Antrag nach § 45 der Geschäftsordnung zu stellen. Ich bitte dafür um Verständnis, aber ich sage es nur rein vorsorglich; das kommt auf die Einlassung der SPD an.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106500400
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID1106500500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist ja etwas ganz Neues hier im



Jahn (Marburg)

Hause: Jetzt kommt es einmal auf die SPD an. Das sollten Sie öfters mal akzeptieren.

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist doch ein schönes Gefühl für Sie!)

Das sollten Sie öfters so halten, das würde Ihnen ganz gut bekommen. Aber heute machen Sie das ja nur, weil Sie Angst um Ihre Mehrheit haben.
Meine Damen und Herren, wie diese Bundesregierung beliebt mit dem Deutschen Bundestag in einer parlamentarischen Debatte umzugehen, wird allmählich ein Stück aus dem Tollhaus. Immer wieder und immer wieder glänzen die Bundesminister hier durch Abwesenheit, auch bei Themen, die sie im höchsten Maße angehen,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr richtig!)

und meinen, dadurch, daß sie nun einen Parlamentarischen Staatssekretär haben, könnten sie sich der entscheidenden politischen Auseinandersetzung hier entziehen. Wir erleben das heute nicht das erste Mal.

(Daubertshäuser [SPD]: Die ziehen den Schwanz ein!)

Dies muß einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden.
Nachdem gutes Zureden — Herr Kollege Bohl, Sie wissen ganz genau, wie oft wir es in dieser Frage mit gutem Zureden versuchen — offenbar nichts nützt, muß hier einmal zu Protokoll gesagt werden, daß es nicht zu einem Dauerzustand werden kann, wie diese Bundesregierung ihre geringe Achtung gegenüber dem frei gewählten Parlament immer wieder zum Ausdruck bringt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr richtig! — Gerstein [CDU/CSU]: Widerspruch!)

— Sie können ruhig widersprechen; Ihre Minister widerlegen Ihren Widerspruch selber.

(Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Der Verkehrsminister ist doch da!)

Gleichwohl, nachdem ich diesen Protest hier ausdrücklich zu Protokoll gegeben habe, will ich für die heutige Debatte akzeptieren, daß der zuständige Staatssekretär aus dem Finanzministerium hier ist. Wir werden den Antrag nicht unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

— Das ist gar keines Beifalls wert. Vielmehr sollten Sie sich aus Anlaß dieser Auseinandersetzung lieber einmal mit Ihren eigenen Ministern auseinandersetzen, wie lange wir dies hier noch hinnehmen können.

(Eimer [Fürth] [FDP]: Wie war es denn in der sozialliberalen Koalition? Da war es nicht anders!)

Denn das ist mittlerweile zu einem Dauerzustand geworden, mit dem auf die Dauer die Mißachtung dieses
Parlaments zum Ausdruck kommt, und das sind wir nicht bereit hinzunehmen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Flinner [GRÜNE])


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106500600
Wird das Wort weiter zur Geschäftsordnung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, nach § 42 der Geschäftsordnung die Herbeirufung des Bundesministers der Finanzen zu beschließen, abstimmen. Wer stimmt für den Antrag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 17 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 5 und 6 auf:
17. a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes (4. BbÄndG)

— Drucksache 11/1516 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Bundesbahn (Bundesbahnsanierungsgesetz — BbSanG)
— Drucksache 11/1789 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr (federführend) Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Übernahme überhöhter Versorgungslasten
— Drucksache 11/1515 —
Überweisungsvorschlag des Ältestensrates: Ausschuß für Verkehr (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tillmann, Straßmeir, Dr. Pohlmeier, KrollSchlüter, Fischer (Hamburg), Pfeffermann, Jung (Limburg), Bauer, Rauen, Dr. Uelhoff, Haungs, Gerstein, Dr. Lammert, Dr. Jahn (Münster) und der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP
Ausbau des DB-Abschnitts Paderborn-Kassel
— Drucksache 11/1690 —Úberweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß



Präsident Dr. Jenninger
ZP5 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Vorhaben der Deutschen Bundesbahn, die Preise ab April 1988 zu erhöhen
— Drucksache 11/1913 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend) Haushaltsausschuß
ZP6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Brahmst-Rock, Weiss (München) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Erhalt der DB-Strecke Wuppertal-ElberfeldWuppertal-Cronenberg
— Drucksache 11/1918 —Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend) Haushaltsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vorgesehen. Sie sind damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Haar.

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1106500700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundesländer, Städte und Gemeinden, Spitzenverbände aus Handel, Gewerbe und Wirtschaft, der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Gewerkschaften fordern von Flensburg bis Passau ein Ende fortgesetzter Streckenstillegungen und zunehmender Leistungseinschränkungen und damit eine Kursänderung in der Verkehrs- und Bahnpolitik. Der Unmut der Bürger über die Zerstückelungsstrategie der Bundesregierung wächst ständig, und die Verbitterung auch der Eisenbahner nimmt zu.
Trotz jahrelangen rigorosen Personalabbaus steigen Jahresfehlbetrag und Verschuldung der Bundesbahn in beängstigender Weise an. Rasches politisches Handeln ist nach unserer Auffassung erforderlich. Hierüber besteht inzwischen — das war vor etwa zwei Jahren leider noch nicht der Fall — auch in diesem Hause, wie ich denke, mehr Übereinstimmung. Einigkeit besteht wohl auch über die zu lösenden Probleme und die Notwendigkeit einer stärkeren finanziellen Unterstützung der Bahn durch den Bund.
Folgende Fakten sind bei allen Fraktionen wohl unbestritten. Die Überschuldung der Bundesbahn und die damit verbundenen Zinsbelastungen sind zu hoch. Die durch den Personalabbau entstandenen Versorgungslasten der Bahn sind überhöht und müssen auf das Niveau vergleichbarer Wirtschaftsunternehmen reduziert werden. Schiene, Straße und Wasserstraße sind sehr ungleich mit den Kosten ihrer Infrastruktur belastet. Die Bahn ist hierdurch im Wettbewerb erheblich benachteiligt. Für den weiteren Bahnausbau fehlt die Grundlage durch ein entsprechendes Gesetz. Das Wirtschaftsergebnis der Deutschen Bundesbahn wird durch hohe ungedeckte Kosten des Nahverkehrs und weiterer gemeinwirtschaftlicher Leistungen der Bahn jährlich in Milliardenhöhe belastet. Eine Anpassung der Führungsstruktur an die heutigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ist deshalb überfällig.
Für jeden dieser Bereiche, meine Damen und Herren, sind Änderungen des bestehenden gesetzlichen Rahmens erforderlich. Weiteres Zögern würde die Probleme der Bahn noch weiter zuspitzen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat daher die Initiative ergriffen und am 10. Dezember 1987 zur Regelung des Problems der Verschuldung der Bahn den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesbahngesetzes sowie zur Übernahme überhöhter Versorgungslasten der DB durch den Bund einen entsprechenden Antrag im Bundestag eingebracht. Gesetzentwürfe zu den weiteren genannten Bereichen sind vorbereitet und werden von der SPD-Fraktion eingebracht.
Ich appelliere an alle Fraktionen dieses Hauses: Treten Sie in einen konstruktiven Dialog über die notwendige Reform der gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen der Deutschen Bundesbahn mit uns ein!

(Beifall bei der SPD)

Im März 1985 hatte die SPD-Bundestagsfraktion den Entwurf einer Reform des Bundesbahngesetzes in die parlamentarische Beratung eingebracht. In der Begründung hatten wir damals festgestellt: Bei Beibehaltung der derzeitigen Regelung ist ein weiterer Anstieg der Verschuldung der Deutschen Bundesbahn auf rund 50 Milliarden DM bis zum Jahre 1990 zu erwarten. Sie haben diese Hinweise damals als unverantwortliche Schwarzmalerei bezeichnet und damit abgetan. Auch nach der öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses im Jahre 1986, bei der fast alle geladenen Experten die Notwendigkeit gesetzlicher Reformen bestätigt haben, erklärten Sie immer wieder, es bestehe kein Handlungsbedarf.
Seit Jahren berufen Sie sich auf das Unternehmenskonzept DB '90 und hofften wohl auch, eine rosige Zukunft damit versprechen zu können. Die tatsächliche Entwicklung hat unsere damaligen Befürchtungen voll bestätigt. Bahnvorstand und Verkehrsministerium gehen heute von einem Anstieg des Schuldenberges der Bahn auf 57 Milliarden DM im Jahre 1992 und weiter auf 73,5 Milliarden DM im Jahre 1995 aus. DB '90 — darüber sollten wir uns einig sein — ist gescheitert.

(Daubertshäuser [SPD]: Sehr richtig!)

Das hat jetzt auch der Vorstand der Deutschen Bundesbahn öffentlich eingestehen müssen.

(Daubertshäuser [SPD]: Auslaufendes Modell!)

Die Eisenbahner sind im Rahmen dieser Abläufe zu schwersten Opfern gezwungen worden. 60 000 Arbeitsplätze sind in den letzten fünfeinhalb Jahren allein bei der Bahn vernichtet worden. Der Personalabbau ist das einzige, was bei „DB '90" voll nach Plan gelaufen ist. Aber der Lack ist jetzt ab. Man kann nur festhalten: Von diesem Konzept im ganzen ist nicht viel übriggeblieben, weil die notwendige politische und finanzielle Unterstützung durch die Bundesregierung ausgeblieben ist.
Das neueste Eingeständnis der Kapitulation sind die angekündigten Preiserhöhungen im Personenverkehr. Statt ein neues Konzept vorzulegen, wird auf



Haar
Flickschusterei und kurzfristiges Löcherstopfen gesetzt. Statt — wie die Schweiz — einen Fahrgastzuwachs durch attraktive Angebote und Preise zu erreichen, sollen Millionen Arbeitnehmer im Berufs- und Pendelverkehr wieder einmal zur Kasse gebeten werden, und das zu Bedingungen der dritten Klasse.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Die gibt es doch nicht mehr!)

— Sie wissen, was wir damit meinen.
Jahrelang sind zum Schaden der Bahn und der deutschen Volkswirtschaft alle Warnungen der Industrie, der Gewerkschaften, der Bundesländer und der Eisenbahner in den Wind geschlagen worden. 1982 und 1983 hat Bankier Dr. Abs auf Bitte des Bundesverkehrsministers Vorschläge zur Konsolidierung der Finanzen der Deutschen Bundesbahn erarbeitet. Die von ihm geleitete Expertengruppe kam im September 1983 zu dem Ergebnis, daß — ich darf wörtlich zitieren — :
— die finanzielle Entwicklung der DB zu größter Sorge Anlaß gibt
— nur eine klare Bereinigung der Finanzstruktur von den Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu einer dauerhaften Lösung führt
— zögerliches und kompromißhaftes Handeln nicht mehr vertretbar ist, ohne der Deutschen Bundesbahn und damit der deutschen Volkswirtschaft dauerhaften und nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen.
Seit 1983, Herr Dr. Warnke, liegt dieses Papier in Ihrem Haus. Es ist nicht angepackt worden.
In der Zeitschrift „Der Deutsche Eisenbahner" — immerhin mit einer sechsstelligen Auflage — wird im März ein Artikel des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Strauß erscheinen. Ich darf aus diesem Artikel, den ich Ihnen auch gerne noch zustellen werde, ein paar Sätze vortragen. Herr Strauß schreibt wörtlich
— ich zitiere —:
Die Wettbewerbsbedingungen müssen so gestaltet werden, daß Chancengleichheit für die konkurrierenden Verkehrsunternehmen gewährleistet ist. Solange hier keine Fortschritte erzielt werden, lehne ich eine weitere Liberalisierung des Verkehrsmarktes ab.

(Daubertshäuser [SPD]: Hört! Hört!)

Offenkundig ist, daß die Bahn die erforderlichen Mittel nicht allein aufbringen kann. Deshalb fordert die Bayerische Staatsregierung schon seit Jahren den Einsatz zusätzlicher Investitionsmittel. Für eine nachhaltige Stärkung der Position der Bahn ist eine Entschuldung dringend notwendig. Bayern hat deshalb den Bund wiederholt aufgefordert, die Bahn von Alt- und Fremdlasten zu befreien und ihr damit größeren Spielraum für unternehmerische Entscheidungen zur Rationalisierung und Modernisierung zu verschaffen. Es ist eine im Interesse der Bevölkerung und der Wirtschaft wichtige Forderung, die Eisenbahninfrastrukturen, die Anbindung der Fläche an das Schienennetz zu erhalten. Das ist
— immer noch Herr Dr. Strauß — eine grundlegende Voraussetzung, damit die Bahn ihre gemeinwirtschaftlichen Aufgaben erfüllen kann. Der Bund darf sich seiner Verantwortung für die Zukunft der Bahn nicht entziehen. Für die Neuordnung der Bundesbahnpolitik wird es höchste Zeit.
Meine Damen und Herren, die Eisenbahner, die Mitglieder der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands werden das mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen. Mehr ist zu den Kernfragen eigentlich gar nicht zu sagen. Nachdem das Konzept „DB 90" des Bahnvorstandes und die Leitlinien der Bundesregierung vom November 1983 gescheitert sind, muß nun politisch entschieden werden.
Diese Einsicht scheint inzwischen auch im Regierungslager zu wachsen. Sie, Herr Minister Warnke, haben am vorigen Wochenende in einem Interview mit den „Stuttgarter Nachrichten" erklärt, Sie dächten an eine beträchtliche Steigerung der Leistungen des Bundes an die Bahn und haben nach den Veröffentlichungen wörtlich hinzugefügt: „Das muß schon in der Milliardengrößenordnung sein, damit es spürbar ist." Sie berufen sich auf die Zustimmung von Bundeskanzler Kohl und von Herrn Strauß. Herrn Stoltenberg haben Sie nicht erwähnt. Vielleicht können Sie uns hier sagen, wie es eigentlich jetzt steht.

(Daubertshäuser [SPD]: Das muß er uns sagen!)

Ich kann im übrigen diese Position, die Sie geäußert haben, nur unterstützen. Die Ankündigung allein reicht aber nicht mehr aus; vollmundige Erklärungen gibt es nämlich zur Genüge. In der Bahnfrage muß endlich gehandelt werden.

(Beifall bei der SPD)

Auch Sie, Herr Kollege Kohn, haben im Januar dieses Jahres vor der Presse erklärt, eine umfassende Novellierung des veralteten Bundesbahngesetzes sei unverzichtbar. Sie haben dabei unter Hinweis auf die Vorschläge von Herrn Dr. Abs die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung und die Entschuldung als einen der notwendigen ersten Schritte genannt. Wir waren einen halben Tag in Karlsruhe zusammen. Bei der bevorstehenden Beratung unseres Gesetzentwurfs zähle ich daher auf die Unterstützung Ihrer Fraktion.
Ich appelliere an Sie alle, an alle Fraktionen, meine Damen und Herren, den Dialog über die notwendigen gesetzlichen Änderungen mit uns in allem Ernst zu führen. Die jahrelangen Opfer der Eisenbahner dürfen nicht umsonst gewesen sein. Die Zukunftschancen der Bahn dürfen nicht verspielt werden. Ein rasches Handeln ist erforderlich. Die SPD-Fraktion ist zum Dialog und auch zum Kompromiß, wenn er uns weiterführt, bereit.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106500800
Das Wort hat der Herr Abg. Dr. Jobst.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID1106500900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Haar, Ihr Einsatz für die Deutsche Bundesbahn in al-



Dr. Jobst
len Ehren, aber diese markigen Worte hätte ich von Ihnen früher erwartet, und vor allem ein entsprechendes Handeln für die Deutsche Bundesbahn wäre früher notwendig gewesen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Wir alle wissen, die finanzielle Situation der Deutschen Bundesbahn hat sich in der letzten Zeit verschlechtert. Es ist bei ihr eine alarmierende Entwicklung eingetreten. Wir sind uns mit Ihnen, Herr Haar, auch in dem Bemühen einig, die Deutsche Bundesbahn als leistungsfähiges Verkehrsunternehmen zu erhalten. Wir wollen eine leistungsfähige Bahn, wir wollen keine Bahn, die auf das Abstellgleis fährt. Die Bundesbahn ist zwar heute nicht mehr Rückgrat des Verkehrs, sie ist aber weiterhin unverzichtbar für die Bürger und für die Wirtschaft.
Bei allen Problemen, die wir derzeit bei der Bahn haben, und bei den Schwierigkeiten, die die Bahn auch der Politik bereitet, darf eines nicht übersehen werden: Die Deutsche Bundesbahn hat eines der besten Eisenbahnsysteme in Europa.

(Zuruf von der SPD: In der Welt!)

Wir brauchen eine Bahn, die ihre Zukunftsaufgaben erfüllt. Die Bürger wollen eine attraktive, eine schnelle, eine komfortable, eine umweltfreundliche Bahn, und die Wirtschaft braucht einen zuverlässigen Partner.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Deutsche Bundesbahn stünde heute viel besser da, wenn die SPD unter ihrer jahrelangen Verantwortung besser, verantwortungsvoller gehandelt hätte.

(Daubertshäuser [SPD]: Das hilft aber! Sie sollten bei Seebohm anfangen!)

Die jetzt im Deutschen Bundestag eingebrachten Anträge sollen offenbar von diesem Versagen ablenken. Sie, meine Herren von der SPD, wissen, daß die Probleme der Bahn mit Ihren blauäugigen Anträgen nicht gelöst werden können.

(Daubertshäuser [SPD]: Siehe Herr Strauß!)

— Lieber Herr Kollege Daubertshäuser, ich will heute keine Vergangenheitsbewältigung betreiben.

(Daubertshäuser [SPD]: Das machen Sie aber! — Jahn [Marburg] [SPD]: Da kommen Sie auch ganz gut weg, wenn Sie das lassen!)

Aber eines müssen wir doch festhalten: Der Strukturwandel in Wirtschaft und Verkehr war 1960 nicht vorauszusehen; Anfang der 70er Jahre war dieser Strukturwandel voraussehbar.

(Daubertshäuser [SPD]: Aber heute auch!)

Damals in den 70er Jahren war erkennbar, wie sich das Auto entwickelt. 1960 hatten wir 8 Millionen Kraftfahrzeuge, 1974 waren es 20 Millionen, und durch das Auto ist eine neue Revolution eingetreten. Ich darf nur daran erinnern, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sie von der SPD unter Ihrer politischen Verantwortung auf den Straßenausbau gesetzt haben. Ich erinnere an den Leber-Plan, der
groß verkündet wurde und mit dem 20 000 km Autobahnen bis 1985 gebaut werden sollten.

(Daubertshäuser [SPD]: Sie haben immer dagegen gestimmt, Herr Kollege Jobst!)

Er ist von uns entscheidend korrigiert worden.

(Beifall bei der CDU/CSU — Jahn [Marburg] [SPD]: Bewältigen Sie so Ihre Vergangenheit?)

Meine Damen und Herren, die SPD, Herr Kollege Jahn, hat nichts getan, die Weichen der Deutschen Bundesbahn für die Zukunft zu stellen. Der Verkehrsanteil der Bahn ist deshalb in den folgenden Jahren erheblich zurückgegangen. Die Entwicklung nicht begriffen zu haben ist ein Hauptversagen der SPDVerkehrsminister von 1966 bis 1982, was der Deutschen Bundesbahn ganz erheblich geschadet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU — Bindig [SPD]: Das sagen gerade Sie!)

Der politische Handlungsbedarf war unter Ihrer Verantwortung, Herr Kollege Haar, zwingend gegeben.
Bei der Bahn haben wir heute eine ähnliche Situation wie bei der Landwirtschaft. Damals, in den 70er Jahren, war bei der Landwirtschaft das Hauptproblem, die Überschüsse ganz deutlich zu erkennen. Auch da hat man nichts getan. Wir haben heute bei der Bahn und bei der Landwirtschaft die Probleme in einer verschärften Brisanz, die es schwierig macht, sie schnell und umfassend zu lösen.
Es kommt ein Weiteres hinzu. Unter der Verantwortung der SPD ist Anfang der 70er Jahre der Personalbestand bei der Bahn um 40 000 aufgestockt worden, nachdem er vorher um 100 000 reduziert wurde. Diese Personalentscheidung war eine schlimme politische Fehlleistung mit verheerenden Folgen.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Die Deutsche Bundesbahn wurde unter der Verantwortung der SPD nicht in die Lage versetzt, Zukunftsinvestitionen vorzunehmen.

(Daubertshäuser [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

Straßenbau hatte den absoluten Vorrang. Erst unter der Bundesregierung Kohl hatte die Deutsche Bundesbahn die politische Rückendeckung,

(Daubertshäuser [SPD]: Das sieht man heute!)

um ihre Neu- und Ausbaustrecken durchzusetzen.
Die Deutsche Bundesbahn ist durch diese Verzögerung und durch das Alleinlassen durch die politisch Verantwortlichen erheblich in Rückstand gekommen, und sie ist im Marktbereich weitgehendst auf der Strecke geblieben.

(Daubertshäuser [SPD]: Wann kommen Sie denn einmal zur Sache?)

Aus dieser Verantwortung, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, können wir Sie nicht entlassen. Erst unter Bundesverkehrsminister Hauff sind die Weichen dann umgestellt worden. Es wurden Persönlichkeiten aus der Wirtschaft in den Vorstand



Dr. Jobst
der Bahn berufen mit dem Ziel, Personal- und Betriebskosten massiv zu senken.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, seit 1983 hat die Deutsche Bundesbahn eine große Leistung vollbracht. Der Konsolidierungskurs von 1983 bis 1986 hat seine Früchte getragen. Es konnten die Fehlbeträge erheblich reduziert werden. Die Verschuldung bei der Bahn blieb im Rahmen. Die Eisenbahner hatten wieder Hoffnung; sie konnten motiviert werden.

(Zuruf von der SPD: Sie hatten Hoffnungen!)

Der Marktanteil im Güterverkehr konnte behauptet, im Personenverkehr sogar gesteigert werden.

(Daubertshäuser [SPD]: Jetzt machen Sie Vogel-Strauß-Politik!)

Nun ist sicherlich, Herr Kollege Haar, eine neue Situation bei der Bahn eingetreten, die auch uns ernste Sorgen bereitet. Durch den Rückgang im Massengutverkehr und durch den Preisverfall sind der Bahn beträchtliche Einnahmeverluste entstanden. Die Tendenz ist erkennbar, daß die Jahresverluste steigen, daß die Verschuldung zunimmt, daß die Kosten wachsen, daß die Zinskosten ansteigen und daß die Schere zwischen Aufwand und Ertrag in beängstigender Weise auseinandergeht. Diese Tatsachen signalisieren eine ernste Entwicklung bei der Deutschen Bundesbahn.

(Brück [SPD]: Wer ist daran schuld?)

Wir stehen heute vor dem Zielkonflikt einer leistungsfähigen, modernen Bahn auf der einen Seite und einer bezahlbaren Bahn auf der anderen Seite. Von der Marktseite her ist bei der Bahn keine große Entlastung zu erwarten. Der Trend zum Pkw ist ungebrochen. Der Montanverkehr auf der Schiene wird weiter zurückgehen. Es ist deshalb jetzt das Gebot der Stunde, daß die Deutsche Bundesbahn mit allen Kräften darangeht, ihre Marktposition zu halten. Sie wird wettbewerbsfähiger, wenn die Zukunftsinvestitionen wirksam werden. Es gilt jetzt, diese Durststrecke durchzustehen. Dies bedeutet, daß die Deutsche Bundesbahn die Kostenentwicklung bremsen muß, daß sie sich stärker auf ihre Systemstärke zu konzentrieren hat. Im Wege der Kooperation mit anderen Verkehrsträgern ist sie gefordert, ihr System stärker zu nutzen.
Der grenzüberschreitende Verkehr ist heute ein Markt der Zukunft. Von 1975 bis 1985 ist dieser Verkehr um 100 % gewachsen, doch an der Bahn ist er leider Gottes vorbeigelaufen. Hier muß die Bahn viel, viel stärker ansetzen, mehr grenzüberschreitenden Verkehr auf die Schiene zu bringen. Ein entscheidendes Erfordernis ist auch, daß die Bahn künftig in verstärktem Maße Qualität anbietet.
Wenn wir in dieser verkehrspolitischen Debatte die Finanzprobleme der Deutschen Bundesbahn behandeln und diese auch im Vordergrund stehen, dann muß eines festgehalten werden: Gut die Hälfte der Leistungen des Bundes im Verkehrsbereich fließt der Deutschen Bundesbahn zu. Aus dem Verkehrshaushalt mit 25,7 Milliarden DM erhält die Deutsche Bundesbahn 1988 14 Milliarden DM. Die Deutsche Bundesbahn wurde in die Lage versetzt, von 1986 bis 1995 40 Milliarden DM zu investieren. Die finanziellen Lasten, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen sowohl für die Deutsche Bundesbahn als auch für den Bund tragbar bleiben.
Bei den jetzt zu treffenden bahnpolitischen Entscheidungen muß Zielsetzung sein, die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn zu stärken.

(Daubertshäuser [SPD]: Und womit machen Sie das?)

Dies muß die Meßlatte sein! Die Bahn soll Wirtschaft und Bürgern mit höchstmöglichem Wirkungsgrad dienen.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Sagen Sie lieber, wie!)

Sie muß im europäischen Wettbewerb bestehen. Das Kernproblem bei der Bahn ist, daß die Zukunftsinvestitionen zügig fortgeführt werden. Hier muß aber auch bedacht werden, daß dabei Folgekosten entstehen, daß sich Investitionen auszahlen müssen.

(Haar [SPD]: Schon wieder eine Bremse!)

Zu den Neu- und Ausbaustrecken gibt es für uns keine Alternative. Sie bieten die Chance, daß die Bahn im Markt wieder aufholen kann. Die Zukunft der Bahn liegt im großströmigen Personen- und Güterverkehr.

(Zuruf von der SPD: „Großströmig", was ist denn das?)

Jetzt kann die Bahn — dank der politischen Unterstützung — den Bau der Neu- und Ausbaustrecken vorantreiben. Diese wichtigen Magistralen müßte sie eigentlich schon heute haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die zentrale Aufgabe für die Bahn bleibt, daß sie ihre Kosten weiter senkt. Wir wissen aber auch, daß die Bahn mit Sparen und Rationalisierungsmaßnahmen allein nicht zu sanieren ist. Bahnpolitik läßt sich ohne Geld nicht machen. Die Gesundung der Bahn bleibt eine entscheidende Aufgabe der Verkehrspolitik. Und unser Ziel ist es, die Bahn finanziell gesund zu machen.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Wie, wie?)

— Ich komme darauf zurück. — Der technische Aufschwung der Deutschen Bundesbahn darf nicht von einem finanzwirtschaftlichen Niedergang begleitet werden. Die Bahn muß jetzt sanierungsfähig gemacht werden. Ihr müssen finanzielle Lasten abgenommen werden. Zur Investitionsperspektive, die die Bahn heute hat, muß jetzt zwingend eine Finanzperspektive für die Deutsche Bundesbahn kommen.

(Straßmeir [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Die SPD und die GRÜNEN machen es sich jetzt mit ihren Anträgen einfach. Sie wissen, daß die Probleme bei der Bahn damit nicht gelöst werden können. Die Anträge sind offenbar ein Zeichen eines schlechten Gewissens.

(Straßmeir [CDU/CSU]: So ist es! — Frau Unruh [GRÜNE]: Das müssen Sie haben, das schlechte Gewissen!)




Dr. Jobst
Die Anträge erfordern auch erhebliche Mittel. Woher sie genommen werden sollen, ist in den Anträgen nicht ausgeführt.
Es ist unbestritten, daß die Bahn ihre finanzielle Situation nicht selber bewältigen kann; sie braucht eine finanzielle Entlastung. Aber, meine Damen und Herren, mit Umbuchungen allein ist es nicht getan.

(Daubertshäuser [SPD]: Sehr richtig!)

Diese ersparen keine Mark Aufwand, und sie bringen keine Mark mehr in die Kasse. Die Bilanz wird zwar verschönert, aber die Lasten bleiben. Auch eine Trennungsrechnung beseitigt die Kosten nicht.

(Zuruf von der SPD: Gib doch mal Butter bei die Fische!)

Finanzzuschüsse machen die Bahn nicht wettbewerbsfähiger. Die Bahn muß vor allem in den Grundstrukturen ihres Leistungsangebots gleichartige Rahmenbedingungen enthalten.
Es gibt keine Patentlösung für die Probleme der Bahn. Die Anträge der Opposition sind eine solche schon gar nicht. Sie hätten sich, verehrte Kollegen von der SPD, früher mehr einfallen lassen sollen, und Sie hätten früher den Mut aufbringen sollen, der Bahn zu helfen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Aber jetzt?)

Keine Bahn ist so im Stich gelassen worden wie die Deutsche Bundesbahn unter der Verantwortung der SPD.

(Beifall bei der CDU/CSU — Antretter [SPD]: Was tun Sie denn? Reden Sie doch mal!)

Die Bahn hat unabhängig vom Auslastungsgrad die Kosten ihres Wegenetzes voll zu tragen. Bei der Straße und der Binnenschiffahrt ist das nicht der Fall. Das bedeutet eine Benachteiligung der Bahn.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Richtig! Und was ist die Konsequenz? — Zurufe von der SPD)

Der Bund ist hier gefordert. Die ausländischen Lkw zahlen nur einen geringen Wegekostenbeitrag. Ich bin der Überzeugung, daß die Straßenbenutzungsgebühren, die kommen werden, auch der Bahn helfen werden.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Richtig! Verkehrsabgabe!)

Die Deutsche Bundesbahn erbringt gemeinwirtschaftliche Leistungen mit Verlusten. Wenn solche Leistungen verlangt werden,

(Haar [SPD]: Eiertänze!)

müssen Sie einer Bahn mit modernem Zuschnitt abgegolten werden.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Richtig! Schwerverkehrsabgabe! — Haar [SPD]: Jetzt kommen Sie doch mal über!)

Die hohen Versorgungslasten sind für die Bahn eine erhebliche Last mit beträchtlichen Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den anderen Verkehrsträgern.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Richtig!)

Auch hier muß gehandelt werden.
Ein weiterer politischer Handlungsbedarf ergibt sich bei den Altlasten der Bundesbahn. Der Bund erbringt zwar bereits Zinsleistungen. Das Problem muß dennoch dauernd bereinigt werden.
Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn hat in der vorigen Wahlperiode beträchtliche Leistungen erbracht. Jetzt ist er in einem ganz besonderen Maß gefordert, bis die Zukunftsinvestitionen bei der Bahn sich positiv auswirken.

(Antretter [SPD]: Sie haben die Bahn im Stich gelassen!)

Es gilt, die Marktanteile der Bahn zu halten.

(Haar [SPD]: Jawohl!)

Es gilt, in verstärktem Maß die arteigenen Vorteile der Bahn auszuspielen. Schnelligkeit, Zuverlässigkeit, Attraktivität verbessern die Wettbewerbsfähigkeit.

(Haar [SPD]: Und Geld, Herr Jobst!)

Mit der Einführung des IC-Netzes und der Eurozüge hat die Deutsche Bundesbahn eine respektable Leistung erbracht. Der IC-Verkehr ist der einzige Verkehr, der bei der Bahn heute seine Kosten trägt.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Und genau da erhöhen Sie die Preise!)

Die Bahn braucht ein ähnliches Leistungsangebot auch im Güterverkehr.
Die Bahn ist für uns kein Auslaufbetrieb. Sie hat gute Chancen im künftigen Verkehrsmarkt, wenn sie die nötigen Voraussetzungen und das Rüstzeug einer modernen Bahn erhält. Schnelligkeit und Fahrzeitverkürzungen sind heute ein wichtiges Erfordernis. Mit den Neu- und Ausbaustrecken erhält die Bahn dieses Rüstzeug.
Der europäische Binnenmarkt wird sicher Risiken für die Bahn bringen. Er bringt aber auch große Chancen. Diese europäische Herausforderung muß die Deutsche Bundesbahn bestehen, zusammen mit den anderen europäischen Eisenbahnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine leistungsfähige Bahn braucht Marktnähe, ein einfaches Tarifsystem, gute Logistik, Resultatsverantwortung durch ein neuzeitliches Rechnungswerk und eine moderne Organisation.

(Bindig [SPD]: Machen Sie das doch alles mal!)

Aus Verantwortung wächst Motivation.

(Haar [SPD]: Ah ja!)

In unserem Land wird der Straßenraum immer enger. Die nationale Luftfahrt stößt an Grenzen. Hier kommen wichtige Aufgaben und Möglichkeiten auf die Deutsche Bundesbahn zu.

(Haar [SPD]: Bravo!)

Für mich ist es unverständlich, daß heute in München
ein moderner Flughafen gebaut und nicht an das



Dr. Jobst
überörtliche Verkehrsnetz der Deutschen Bundesbahn angeschlossen wird.

(Zustimmung bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Da hat die Bahn gepennt!)

Die Vorstellung mancher Leute, die Bahn in ihrem jetzigen Zustand zu konservieren, hilft weder der Bahn noch dem Kunden. Die Bahn würde dadurch vollends aus dem Markt geworfen werden.
Die Deutsche Bundesbahn hat zu allen Zeiten tüchtige und fähige Mitarbeiter gehabt. Dies ist ein wertvolles Gut und eine entscheidende Voraussetzung auf den Weg zu einer modernen Bahn. Die Eisenbahner haben einen entscheidenden Anteil, daß der Strukturwandel und die Personalreduzierung bei der Bahn möglich wurden. Für die CDU/CSU darf ich den Eisenbahnern heute Dank und Anerkennung aussprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Deutsche Bundesbahn hat heute 50 000 Beschäftigte weniger als vor fünf Jahren. Das bedeutet, daß heute die Eisenbahner mehr leisten müssen. Wir sagen Dank auch den Personalvertretungen und den Gewerkschaften. 1955, als ich bei der Deutschen Bundesbahn eintrat, hatte die Eisenbahn 500 000 Beschäftigte. Damals ist ein Satz angeprangert worden: „ 100 000 Eisenbahner sind zuviel. " Es gab einen Aufruhr. Heute haben wir nur noch 260 000 Beschäftigte bei der Bahn.
Diese Tatsachen zeigen, daß mit Demagogie, mit haltlosen Versprechungen, mit falschen Schuldzuweisungen weder den Eisenbahnern noch der Deutschen Bundesbahn gedient ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Beifall bei der SPD)

Sie, Herr Kollege Haar, haben die Preiserhöhungen angeprangert, die die Deutsche Bundesbahn jetzt in einem geringfügigen Maße vornehmen will. Ich darf Ihnen nur sagen: In der Zeit von 1972 bis 1982, als Sie selber Verantwortung für die Deutsche Bundesbahn mitgetragen haben, sind die Preise für die Berufs- und Wochenkarten um 95 %, für die Berufs- und Monatskarten um 96 %, für die Schülerkarten um 127 % erhöht worden.
Wir haben politischen Handlungsbedarf für die Bahn.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Handlungsbedarf, nicht Redebedarf!)

Wir müssen jetzt klar definieren, welche Bahn wir wollen, welche Bahn wir finanzieren können. Diese Entscheidungen müssen jetzt erarbeitet werden. In der Koalition wurde eine Arbeitsgruppe „Bahn" eingesetzt. Diese wird sich zusammen mit dem Verkehrsminister bemühen, die Probleme bei der Bahn zu lösen. Wir werden auch die Vorschläge der SPD in unsere Prüfung einbeziehen.

(Daubertshäuser [SPD]: Großmütig!)

Wir brauchen vor allem auch den Sachverstand der Bundesbahnführung.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106501000
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID1106501100
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.
Die Opposition hat Gesetzesänderungen eingebracht. Was die Bahn jetzt braucht, kann auch ohne Gesetzesänderungen gemacht werden.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Wie?)

Für langfristige Ziele wird man das Bundesbahngesetz sicher ändern müssen.
Wir brauchen eine moderne Bahn, die sich auf dem Markt behaupten kann, die ihre Zukunftsaufgaben erfüllen kann. Trotz Auto und Flugzeug hat die Bahn eine Zukunft. Wir werden unseren verkehrspolitischen Beitrag dazu leisten.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kretkowski [SPD]: Eine bemerkenswerte Rede!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106501200
Das Wort hat der Abgeordnete Weiss (München).

Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106501300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser verbundenen Debatte geht es u. a. auch um unseren Gesetzentwurf zur Bundesbahnsanierung, eine aktualisierte und überarbeitete Fassung eines von uns bereits im Jahr 1984 eingebrachten Gesetzentwurfs, mit dem wir der Bundesbahn eine Struktur verschaffen wollen, die den verkehrs- und umweltpolitischen Erfordernissen entspricht. Wenn ich sage, es handelt sich um einen aktualisierten Entwurf, muß ich doch einräumen, daß er in seiner Begründung leider schon nicht mehr ganz aktuell ist.
Als wir den Antrag einbrachten, sind wir von einem Jahresfehlbetrag der Bahn von noch 3,9 Milliarden DM ausgegangen. Das waren schon 0,7 Milliarden DM über dem Wirtschaftsplan. Mittlerweile hat die Bahn mitgeteilt, daß es im Jahr 1987 sogar 4,1 Milliarden DM sind. Die Situation der Bahn hat sich also weiter verschlechtert. Es ist deshalb noch dringlicher geworden, daß gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden.
Wenn nichts getan wird, Herr Bundesverkehrsminister, dann wird die Deutsche Bundesbahn noch vor der Jahrtausendwende ihr Eigenkapital aufgebraucht haben. Dann müssen Sie, Herr Bundesverkehrsminister, nach einem Bäcker suchen, dem Sie die Deutsche Bundesbahn für 1 DM verhökern können, damit sie eine „neue Heimat" findet.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der Hinweis auf die Neue Heimat ist sehr gut! Ein gelungener Gag!)

Es scheint aber sowieso so zu sein — was ich auch vorhin schon andeutete —, daß Verkehrspolitik im starken Maße offensichtlich im Finanzministerium gemacht wird. Wenn man sich anschaut, was für Papiere von Herrn Sarazin aus dem Finanzministerium kommen, kann man nur sagen: Das ist eigentlich das Ende der Bahn. Ich fordere Sie auf, sich von diesem Papier



Weiss (München)

zu distanzieren. Auch der Herr Staatssekretär Voss aus dem Finanzministerium ist ja anwesend. Ich fordere ihn ebenfalls auf, ans Rednerpult zu treten und konkret etwas zu diesem Papier zu sagen. Denn das entlarvt die vielen schönen Worte, die Herr Warnke und andere von der Koalition immer wieder in der Öffentlichkeit machen. Von wegen, die Bahn müsse saniert werden, wir müßten einiges für die Bahn tun. Wenn man die richtigen Papiere liest, sieht man, was beabsichtigt ist. Das ist genau die Politik, die derzeit verfolgt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Doch nun zu unserem Gesetzentwurf. Als er in der letzten Legislaturperiode hier abgelehnt wurde, lautete die Formulierung in der Beschlußempfehlung — ich glaube, diese Formulierung stammt von Ihnen, Herr Dr. Jobst — „Ablehnung, da mit den vom Bundeskabinett am 23. November 1983 beschlossenen Leitlinien bereits ein anderes und realistischeres Konzept zur Sanierung des Unternehmens vorliegt" . Das war damals die Begründung. Ich glaube, wenn Sie ehrlich sind, nehmen Sie das heute selbst nicht mehr ernst, denn Sie müssen eingestehen, daß Ihre damalige Bewertung der Leitlinien falsch war. Das Konzept DB 90 sowie die Leitlinien der Bundesregierung sind gescheitert. Nachdem für wenige Jahre der Jahresfehlbetrag durch drastische Arbeitsplatzvernichtung bei der Bahn vorübergehend zurückgeführt werden konnte, ist er im letzten Jahr wieder drastisch angestiegen.
Wenn Sie die Finanzen der Bahn sanieren wollen, dann müssen Sie genau die Trennungsrechnung machen, dann müssen Sie die verschiedenen Aufgaben auch rechnerisch voneinander abgrenzen. Sie müssen zwischen dem staatlichen, dem gemeinwirtschaftlichen und dem eigenwirtschaftlichen Aufgabenbereich unterscheiden.
Staatlicher Aufgabenbereich ist die Vorhaltung des Schienennetzes. Dafür trägt der Staat auch in finanzieller Hinsicht die Verantwortung. Wir treten mit Nachdruck dafür ein, daß die Bundesbahn im Auftrag des Bundes das Schienennetz nach den politischen Vorgaben ausbaut und instandhält. Nur, diese politischen Vorgaben müssen kommen, und das muß dann auch entsprechend vom Bund bezahlt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bahn soll dann für die Benutzung natürlich eine entsprechende Wegekostenabgabe an den Bund abführen. Damit entfällt dann für die Bahn das Auslastungsrisiko für den Verkehrsweg. Wettbewerbsnachteile gegenüber den Verkehrsträgern Straße und Binnenschiffahrt könnten so abgebaut werden. Die von der Bahn für die Benutzung der Schienenwege zu zahlende Wegekostenabgabe sollte dann so Bernessen sein, daß die Bahn, anders als heute, hinsichtlich des Wegekostendeckungsbeitrages nicht stärker belastet wird als die konkurrierenden Verkehrsträger, insbesondere Straße und Binnenschiffahrt.
Der zweite Aufgabenbereich der Bahn, der gemeinwirtschaftliche, betrifft vor allem den öffentlichen Personennahverkehr. Herr Verkehrsminister, das ist eine gemeinwirtschaftliche Aufgabe. Da kann man nicht immer von Betriebswirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit reden, Herr Dr. Jobst. Es ist eine gemeinwirtschaftliche Aufgabe staatlicher Daseinsvorsorge. Hier muß einfach eine politische Verantwortung übernommen werden. Es muß einfach einmal politisch festgelegt werden, was die Mindeststandards eines vernünftigen öffentlichen Personennahverkehrs sind. Dafür muß nach der EG-Verordnung der Bund dann natürlich die entsprechenden Kosten tragen. Aber genau dann, wenn Sie den gemeinwirtschaftlichen Aufgabenbereich gesondert abgrenzen, kann der Herr Minister Warnke seine Versprechungen zum ÖPNV in der Fläche, der, wie Sie einmal sagten, zu einem Schwerpunkt in dieser Legislaturperiode werden sollte, auch verwirklichen.
Im Zusammenhang mit der staatlichen Aufgabe zum Vorhalt des Schienennetzes und der gesamtwirtschaftlichen Aufgabe zur Durchführung des ÖPNV haben wir einen weiteren Antrag eingebracht. Er beinhaltet eine Wuppertaler Bahnstrecke. Hier hat die Bahn bisher klar gegen § 4 des Bundesbahngesetzes verstoßen,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr richtig!)

der sie eigentlich zum Erhalt des betriebssicheren Zustandes der Bahnanlage verpflichtet. Die Bahn hat sie soweit verkommen lassen, daß sie am 23. Februar 1988 aus sicherheitstechnischen Gründen ohne Genehmigung des Bundesverkehrsministers stillgelegt werden mußte. Ich will jetzt nicht unbedingt der Bahn den Vorwurf machen. Aber da ist natürlich der politische Vorwurf der mangelnden Finanzausstattung des Eigentümers im Hintergrund.
Aber nun zum dritten Aufgabenbereich, zum eigenwirtschaftlichen. Der betrifft den Personenfernverkehr und den Güterverkehr. Nur in diesem Bereich ist die Bahn — nach Abbau heute noch vorhandener Wettbewerbsnachteile — in der Lage, nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu arbeiten. Der Fernverkehr ist bisher der einzige Bereich, in dem die Bahn kostendeckend arbeitet, doch gerade da will die Bahn zum 1. April eine Fahrpreiserhöhung vornehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann ist es noch kostendeckender!)

Angesichts der Tatsache, daß Autofahren in den letzten Jahren immer billiger geworden ist, ist die Fahrpreiserhöhung schon aus umweltpolitischen Gründen nicht vertretbar.

(Beifall des Abg. Kleinert [Marburg] [GRÜNE])

Die Erhöhung ist auch nicht aus Gründen der Kostenentwicklung im Fernverkehr gerechtfertigt. Sie dient lediglich dazu, die Defizite im gemeinwirtschaftlichen und staatlichen Aufgabenbereich auszugleichen und ist deshalb auf die ungenügende Finanzausstattung der Bahn durch den Eigentümer zurückzuführen.
Für die Zukunft wollen wir deshalb die Aufgabenbereiche der Bahn klar gegeneinander abgrenzen und fordern die Einführung der dreigliedrigen Trennungsrechnung. Daneben fordern wir aber auch, daß die Bahn finanziell saniert wird. Dazu gehört: Der Bund



Weiss (München)

muß die überhöhten Versorgungslasten für Beamte in voller Höhe ausgleichen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Der Bund muß die Zinsen für die Schulden übernehmen, die bei der Bahn in der Vergangenheit bei der Erfüllung der staatlichen und gemeinwirtschaftlichen Aufgaben entstanden sind.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Welche Steuern wollen Sie denn erhöhen?)

Und der Bund muß alle Vergünstigungen, die er anderen Verkehrsträgern gewährt, auch der Bahn einräumen. Ich nenne hier nur das Stichwort Mineralölsteuerbefreiung.
Außerdem fordern wir ein Bundesbahninvestitionsgesetz, das Sie in Art. 2 unseres Gesetzentwurfs finden. Damit soll der Bund verpflichtet werden, ausreichend Investitionen im staatlichen und gemeinwirtschaftlichen Aufgabenbereich zu tätigen.
Ich will hier nicht blind Forderungen stellen und so tun, als ob das alles nichts kosten würde. Natürlich wissen wir, daß durch unsere Forderungen die jährlichen Leistungen des Bundes für die Deutsche Bundesbahn um etwa 6 Milliarden DM erhöht werden müßten.

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist ja nicht so viel!)

Wir finden das richtig, und wir finden es notwendig. Aber es ist halt eine Frage, wo Sie die Prioritäten ansetzen, ob bei der Steuerentlastung der Spitzenverdiener oder bei der Sanierung der Deutschen Bundesbahn. Das ist eine Aussage, wo die politischen Prioritäten dieser Bundesregierung liegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Zusammenhang bieten sich aber auch andere Möglichkeiten an. Herr Dr. Jobst hat etwas aufgegriffen, was auch wir schon längere Zeit fordern, nämlich eine Schwerverkehrsabgabe. Ich denke, zur Sanierung der Bahn wäre durchaus auch eine Erhöhung der Mineralölsteuer gerechtfertigt. Ich denke aber, daß es auch andere Möglichkeiten gibt. Wenn man nur will, kann man eine entsprechende Lösung finden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie wollen einfach nicht; das ist doch die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, die Bahn ist nach wie vor das sicherste und umweltfreundlichste Verkehrsmittel, das wir haben. Bahnpolitik sollte deshalb eigentlich die Nr. 1 in der Verkehrspolitik sein. Leider ist das nicht so. Wir wollen dringend, daß das anders wird.
Dafür haben wir diesen Gesetzenwurf eingebracht und fordern den Bundesverkehrsminister auf, endlich von sich aus auch einmal ein Konzept einzubringen. Schöne Worte allein tun es nicht. Sie müssen endlich einmal sagen, was Sie konkret machen wollen, was Sie vorhaben, um die Finanzen der Bahn gesund werden zu lassen.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106501400
Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (FDP):
Rede ID: ID1106501500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unserer heutigen Aussprache liegen eine Reihe von Anträgen und Gesetzentwürfen der Fraktionen dieses Hauses zugrunde. Angesichts der relativ knappen Redezeit ist es mir nicht möglich, im Detail auf diese Initiativen einzugehen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das habe ich mir gedacht!)

Lassen Sie mich deshalb zunächst zur Frage des Ausbaus des DB-Abschnitts Paderborn—Kassel sagen, daß meine Fraktion gemeinsam mit den Kollegen der Unionsfraktion diesen Antrag eingebracht hat, weil wir der Überzeugung sind, daß die Strecke Dortmund—Kassel im Rahmen eines Schnellverkehrskorridors Dortmund—Kassel—Würzburg—Nürnberg—München besondere Bedeutung hat und daß deshalb der beschleunigte Ausbau des Teilstücks Paderborn—Kassel unsere volle Unterstützung verdient.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Kollegen Wolfgramm, Cronenberg, Nolting, Solms und Gries haben sich entsprechend engagiert.
Die anderen vorliegenden Initiativen, die wir in den Ausschüssen dieses Hauses sorfältig beraten und auf ihre konstruktiven Elemente hin abklopfen werden, geben Anlaß, die grundsätzliche Position der Liberalen zur Bahnthematik in diesem Hause vorzutragen.
Ich will zunächst darauf hinweisen, daß die Deutsche Bundesbahn ein bedeutender Faktor unserer Volkswirtschaft ist. Ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung der Bundesrepublik beträgt 2,6 %. Die Bahn beschäftigt rund 260 000 Menschen und vergibt jährlich Aufträge bis zu 10 Milliarden DM. Aber auch als Partner der verladenden Wirtschaft und unter Verkehrssicherheitsaspekten ist die Deutsche Bundesbahn als Verkehrsträger unverzichtbar.

(Zuruf von der SPD: Sie dürfen sie nur nicht verladen!)

Ich will auch hervorheben, daß die Deutsche Bundesbahn in bezug auf die Leistung, die sie erbringt, einen geringen Energiebedarf hat, einen geringen Landverbrauch durch Bündelung von Verkehren und geringe Schadstoffemissionen, insofern also auch eine herausragende ökologische Bedeutung hat.
Aber, meine Damen und Herren, richtig bleibt auch: Die Bahn muß bezahlbar bleiben. Die Probleme, mit denen es die Deutsche Bundesbahn heute zu tun hat, sind an ihrem erheblich gesunkenen Marktanteil im Güterverkehr und im Personenverkehr abzulesen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Woran liegt das denn?)

Im Güterverkehr liegt er inzwischen unter 30 %, im Personenverkehr bei etwa 7 %.
Aber, meine Damen und Herren, hier ist auch an die wiederansteigenden jährlichen Defizite zu denken, die Herr Kollege Haar schon angeführt hat. Ich bin immer etwas zurückhaltend, wenn es darum geht, mit solchen Zahlen zu sehr in die Öffentlichkeit zu gehen, weil ich die Sorge habe, daß damit psychologische



Kohn
Fehlentwicklungen eingeleitet werden könnten. Trotzdem muß man diese Fakten einfach zur Kenntnis nehmen.

(Zuruf von der SPD: Sie kommen vom Finanzminister, Herr Kollege Kohn!)

Ursache hierfür ist die zu späte Anpassung des Schienennetzes an die Nord-Süd-Verkehrsströme in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg und die zu spät erfolgte Verbesserung des Angebots und des Service durch neue Produkte. Von daher sind wir Liberalen mit Nachdruck der Meinung, daß die Aus- und Neubaustrecken der Deutschen Bundesbahn bei der Bewältigung der Frage der Steigerung der Attraktivität der Deutschen Bundesbahn eine ganz herausragende Rolle spielen,

(Beifall des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP])

und wir sind der Überzeugung, daß es notwendig ist, die jetzt geplanten neuen Produkte mit Nachdruck in den Markt einzuführen. Ich denke z. B. an den Interregio und erinnere daran, wie erfolgreich in den letzten Jahren Produkte eingeführt wurden, wie das InterCargo-System, der Nachtsprung und schließlich auch die City-Bahn.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wenn man über die Strukturprobleme der Bahn spricht, muß man die objektiven Rahmenbedingungen mit bedenken. Hierzu zählt z. B. der Sachverhalt, daß zwischen 1965 und 1985 in der Bundesrepublik Deutschland das Netz der überregionalen Straßen von 145 000 km auf 175 000 km gewachsen ist, während wir im gleichen Zeitraum eine Reduktion des Schienennetzes der Bahn hatten und außerdem feststellen müssen, daß bisher nur etwa 13 km neue Strecken, also Hochgeschwindigkeitsstrecken, gebaut worden sind.
Das ändert sich zum Glück ja nun vor allem Anfang der 90er Jahre mit der Fertigstellung u. a. der Strecke Mannheim—Stuttgart.
Hinzu kommen, meine Damen und Herren, aber auch die strukturellen Veränderungen am Verkehrsmarkt, wie Rückgang der klassischen Massenguttransporte, Übergang zu kleineren Losgrößen bei zugleich hochwertigeren Gütern, Abbau von Lagerkapazitäten bei den Unternehmen und ihre Ersetzung durch produktionsgerechte Just-in-time-Lieferung.
Außerdem muß man berücksichtigen, daß im Rahmen der Schaffung des europäischen Binnenmarktes 1992 und der damit zusammenhängenden Herstellung der Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft mit einem Absinken des Tarifniveaus zu rechnen ist. Schließlich — auch das sage ich deutlich — muß der Eigentümer der Bahn, also der Bund, seine Hausaufgaben erledigen.
Der Konsolidierungskurs im Rahmen der Bahnleitlinien vom November 1983 hat sich nach unserer Überzeugung positiv ausgewirkt.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Was? Können Sie nicht rechnen?)

Dies ist das gemeinsame Verdienst der Bundesregierung, des Vorstands der Bahn, der Eisenbahner und ihrer Gewerkschaften.

(Weiss [München] [GRÜNE]: War es etwa ihr Ziel, die Schulden so in die Höhe zu treiben?)

Die weitere Konsolidierung aus eigener Kraft stößt aber jetzt an Grenzen.
Deshalb sagen wir Liberalen: Wenn jetzt nicht politisch gehandelt wird, wird am Ende dieser Legislaturperiode der bisherige Konsolidierungskurs gescheitert sein, wird die Motivation der Mitarbeiter zusammenbrechen und wird ein dramatisches Haushaltsrisiko auf den Bund zukommen.
Was also ist zu tun? Oberster Leitsatz muß es nach unserer Auffassung sein, den Wandlungsprozeß der Deutschen Bundesbahn von einer staatlichen Verwaltung zu einem modernen marktorientierten Verkehrsdienstleistungsunternehmen zu unterstützen, zu beschleunigen und politisch abzusichern.
Das heißt konkret: Erstens differenzierte Spartenerfolgsrechnung für das gesamte Unternehmen als Voraussetzung zur Übernahme der finanzwirtschaftlichen Verantwortung für das Schienennetz durch den Staat und Einführung eines nutzungsabhängigen Entgelts durch die Bahn. Ich muß in diesem Zusammenhang deutlich sagen, daß ich kein Verständnis dafür habe, daß die Deutsche Bundesbahn es bis auf den heutigen Tag nicht geschafft hat, ein internes Rechnungswesen auf die Beine zu stellen, das in der Lage wäre, diese Bedingungen zu erfüllen.
Zweitens. Wir fordern eine Verbesserung der Eigenkapitalausstattung des Unternehmens und den Einstieg in die schrittweise Entschuldung. Hierfür gibt es Vorschläge, die u. a. von Hermann Josef Abs vorgetragen worden sind.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Ja, dann bringen Sie sie hier ein!)

Herr Kollege Haar, an dieser Stelle will ich übrigens sagen, daß ich mit Ihnen der Meinung bin, daß dies eine dringende Aufgabe ist. Ich muß aber auch sagen, daß wir, wenn wir die Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Bundeshaushalts sehen, erkennen müssen, daß es sich dabei, im ganzen gesehen, um ein Nullsummenspiel handelt. Das bedeutet, daß wir an anderer Stelle Einsparungen vornehmen müssen, und dann sind auch Sie und Ihre Fraktion herzlich eingeladen, mit uns gemeinsam durchzusetzen, daß investive Entscheidungen getroffen werden.

(Haar [SPD]: Lassen Sie uns darüber reden!)

Drittens geht es darum, die Konzernstruktur der Deutschen Bundesbahn neu zu ordnen. Es geht uns um eine verstärkte Kooperation mit der privaten Wirtschaft

(Weiss [München] [GRÜNE]: Privatisierung!)

und um die schrittweise — jetzt kommt das Stichwort, Herr Kollege — Privatisierung von Sekundärfunktionen und internen Servicediensten.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Typisch FDP!)




Kohn
— Ich stimme Ihnen ausdrücklich darin zu, daß dies typisch für die FDP ist. Es ist unser Markenzeichen, und wir sind stolz darauf.

(Beifall bei der FDP — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Dann wird endlich alles besser!)

Viertens. Wir fordern den Verbund der europäischen Eisenbahnen sowie den Aufbau eines europaweiten Hochgeschwindigkeitsnetzes für Personen und Güter. Ich habe am Dienstag dieser Woche in der gemeinsamen Sitzung der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei mit der Liberalen und Demokratischen Fraktion im Europäischen Parlament die besondere Bedeutung der Kooperation der europäischen Eisenbahnen und der Infrastrukturmaßnahme „Europäisches Schnellbahnsystem" hervorgehoben. Hier sind wir alle gefordert, auf unseren politischen Schienen dafür zu sorgen, daß diese Dinge verwirklicht werden.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Wenn Sie die Bahn nicht sanieren, können Sie all Ihre Konzepte vergessen!)

Fünftens. Wir fordern den Abbau der politischen Eingriffsmöglichkeiten auf die Bahn und damit die Schaffung von mehr Freiräumen für unternehmerisches Handeln.
Sechstens. Wir wollen Zeitverträge für Führungskräfte, die unternehmerische Verantwortung tragen.
Siebtens sagen wir: Wir wollen die Aufhebung der Betriebs-, Beförderungs- und Tarifpflicht.
Wenn man all diese Dinge zusammennimmt, wird klar: Diese Ziele können nur verwirklicht werden, wenn es zu einer umfassenden Novellierung des veralteten Bundesbahngesetzes kommt. Wir Liberalen vertreten diese Auffassung mit Nachdruck.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesverband der Deutschen Industrie hat in seinem Papier „Industrie und Deutsche Bundesbahn" folgendes ausgeführt — ich zitiere — :
Schnelles Handeln ist erforderlich, damit die von der Bahn geleisteten großen Rationalisierungserfolge gesichert werden können.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Arbeitsplatzvernichtung!)

Aus diesem Grunde haben die Koalitionsfraktionen eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit all den Themen, die ich hier angesprochen habe, befassen wird. Wir hoffen darauf, daß es möglichst rasch gelingt, zu praktischen, zu praktikablen Lösungen zu gelangen. Jeder, der dabei mitwirken will, die große Herausforderung anzunehmen, eine Zukunftsstrategie für die Deutsche Bundesbahn zu entwickeln, ist hierzu herzlich eingeladen. Gehen wir gemeinsam an die Arbeit!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106501600
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Verkehr das Wort.

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1106501700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Bundesbahn ist ein Schwerpunkt der Verkehrspolitik der Bundesregierung. Straße
und Luft werden mit dem Wachstum des Verkehrs nicht mehr fertig. Die Zukunft des Verkehrs ist ohne die Bahn nicht vorstellbar.
Nach Jahren, in denen Defizit und Neuverschuldung gesenkt werden konnten, wird die Lage der Deutschen Bundesbahn zunehmend schwierig. Entscheidender Grund dafür waren die Einbrüche bei den Erträgen im vergangenen und im vorvergangenen Jahr, bedingt durch die Krise in der Montanindustrie. Die Bahn hat die Folgen des Strukturwandels weit stärker zu spüren bekommen als andere Verkehrsträger. Am Ernst dieser Lage kommt niemand vorbei.
Deshalb setzt die Bundesregierung auf die Investitionen, mit denen wir die moderne Bahn schaffen. Diese moderne Bahn soll im Personen- wie im Güterverkehr eine Alternative zum Personenkraftwagen, zum Lastkraftwagen und zum Flugzeug sein. Zu ihr gehört das Hochgeschwindigkeitsnetz der Schienenwege.
Übrigens: Für die Strecke Paderborn—Kassel habe ich Weisung gegeben, unter Verwendung der neuen Verkehrszahlen die Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen, und zwar mit dem Ziel, festzustellen, ob sich nunmehr eine günstigere Wirtschaftlichkeitsbeurteilung ergibt, wofür es Anhaltspunkte gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zur modernen Bahn gehören Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge wie der ICE. Hierfür werden bereits erhebliche Leistungen erbracht. 54 % des Verkehrsetats gehen an die Bahn. Bei den Investitionen für die Bahn hat die Regierung Kohl erstmalig mit den Investitionen für die Straße gleichgezogen. 50 Jahre lang ist in den Streckenausbau — ganz zu schweigen vom Streckenneubau — der Bahn fast nichts investiert worden, in den Straßenbau um so mehr. Diese Zukunftsinvestitionen gilt es jetzt zu sichern.
Die Zukunftsinvestitionen sind der wichtigste Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen und strukturell sowie finanziell gesunden Bahn. Um dieses Ziel der Sicherung der Zukunftsinvestitionen zu erreichen, ist der gegenwärtige Plafond der Bundeszuschüsse und der Kreditaufnahme zu eng geworden. Wir werden ihn nicht beibehalten können, Herr Kollege Haar.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Das sagen Sie mal Herrn Sarrazin! )

— Herr Kollege Weiss, bei uns in der Demokratie ist die Kleiderordnung so, daß nicht die Ministerialräte den Ministern sagen, wo es langgeht, sondern daß die Minister entsprechend der Verantwortung, die ihnen vom Parlament übertragen ist, entscheiden. Damit habe ich das Notwendige zu Protokoll des Deutschen Bundestages gesagt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106501800
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haar?

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1106501900
Herr Präsident, wenn ich davon ausgehen kann, daß die Uhr angehalten wird, gern.




Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106502000
Dies ist immer die Praxis.

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1106502100
Herr Minister, ich habe Ihnen telegrafiert; Sie haben mir geantwortet. Können Sie mir sagen, warum Herr Finanzminister Stoltenberg nach zwei Telegrammen, bezogen auf die Äußerungen seines Fachreferenten in der hier angesprochenen Frage, nicht antwortet? Ist das für Sie erklärbar? Ist das ein Umgang mit Mitgliedern dieses Hauses?

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1106502200
Mir wäre es sehr leicht erklärbar, und es sollte auch Ihnen erklärbar sein. Der von Ihnen genannte Herr hat ausdrücklich festgestellt: Er hat mit dieser Äußerung seine private Meinung kundgetan. Ich hätte all denjenigen, die das in den verschiedensten Veröffentlichungsorganen groß propagiert haben, geraten, daß sie dazugeschrieben hätten: Dies stand unter dem Vorzeichen „private Meinung" und hat deshalb kein Gewicht für die Bundesregierung.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106502300
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Haar, Herr Bundesminister?

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1106502400
Herr Minister, ist es Brauch und Praxis dieser Bundesregierung, daß Fachreferenten in den Ministerien ohne Autorisierung durch den Ressortminister derartige wichtige Äußerungen in Hintergrundgesprächen mit der Presse machen?

(Bohl [CDU/CSU]: Das sagen Sie mal Herrn Breit!)


Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1106502500
Soweit ich weiß, hat der betreffende Herr diese Äußerung unter ausdrücklicher Klarstellung ihres privaten Charakters nicht in einem Hintergrundgespräch mit der Presse, sondern in einem Gespräch mit Abgeordneten getan.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Das stand in der „Wirtschaftswoche" !)

In der Tat ist es ein Kennzeichen der Demokratie, daß auch Beamte eine private Meinung haben können. Ich begrüße es, wenn sie bei ihren Äußerungen diese als solche kennzeichnen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Jobst [CDU/ CSU]: Das unterscheidet uns von der SPD!)

Wichtiger und strukturell maßgebend ist der Beitrag, den der Vorstand, den das Management der Deutschen Bundesbahn zur Bewältigung der Probleme durch Weiterentwicklung der heutigen Konzeption zu leisten haben. Diese Konzeption muß weiterhin auf Kostensenkung ausgerichtet sein. Das ist unvermeidlich.
Aber entscheidend ist, daß die Wettbewerbsfähigkeit — Herr Kollege Jobst, ich unterstreiche, was Sie hier gesagt haben — und damit die Erträge der Bundesbahn gesteigert werden. Die Bundesregierung setzt auf das Ziel Wachstum, nicht Schrumpfung der Leistung der Bahn.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Weiss [München] [GRÜNE]: Aber die Bahn schrumpft doch ständig unter Ihrer Politik!)

Das gilt besonders für den Bereich des Gütertransports.
Spielräume sieht die Bundesregierung für die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Ertrag insbesondere in folgenden Bereichen, in denen sie den Vorstand zum Handeln aufgefordert hat: erstens in einer Beteiligung der Bahn am wachsenden Markt der Kaufmannsgüter, zweitens im wachsenden grenzüberschreitenden Verkehr. Bisher war dies ein Wachstumsbereich erheblichen Ausmaßes nur für die Straße. Die Bahn muß am wachsenden europäischen Güterverkehr in Zukunft wieder mehr beteiligt sein. Der grenzüberschreitende Schienengüterverkehr muß vom Nebengleis auf die Wachstumsschiene.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der dritte Bereich, in dem die Leistungsfähigkeit der Bahn wachsen soll, ist die Kooperation mit dem Spediteur, der verladenden Wirtschaft und dem Straßengüterverkehr.
Diese drei Spielräume — Kaufmannsgüter, grenzüberschreitender Verkehr, Kooperation — gilt es zu nutzen.
Auch die moderne Versorgung der Fläche kann das Verhältnis von Aufwand und Ertrag günstiger gestalten, als das heute der Fall ist. Zur Bahn der Zukunft gehören Fahrzeuge, in denen das Reisen Freude macht. Es gilt neue technische Entwicklungen wie jene italienische Konstruktion zu nutzen, deren Wagenkasten sich in die Kurve legen kann und es damit ermöglicht, auch auf nicht ausgebauten Strecken jene hohen Geschwindigkeiten zu fahren, die für die Wettbewerbsfähigkeit entscheidende Voraussetzung sind.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Die hatte die Bundesbahn schon mal, bis 1976!)

Herr Kollege Weiss, wenn ich vom Verkehr in der Fläche spreche: Wir wollen den öffentlichen Personennahverkehr als gemeinwirtschaftliche Aufgabe aufrechterhalten. Nur, manchmal habe ich bei den Anträgen der GRÜNEN den Eindruck, daß sie Gemeinwirtschaftlichkeit mit einem Faß ohne Boden verwechseln. Rechenbar muß auch die Gemeinwirtschaftlichkeit bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein gutes Rechnungswesen ist allerdings Voraussetzung und damit eine weitere Bedingung, die der Vorstand noch zu schaffen hat, damit in die Sanierung eingetreten werden kann. Die Durchschaubarkeit der Sanierungsakte, die von uns gefordert werden, in ihrer finanziellen Auswirkung — und darin bin ich mir mit dem verehrungswürdigen Herrn Abs, dessen Rat ich gerne und wiederholt für die Zukunft der Deutschen Bundesbahn in Anspruch nehme, einig — bedingt die Sauberkeit der Rechnung.
Die Sicherung der Zukunftsinvestitionen und das Entwickeln und Verwirklichen zukunftsweisender Konzeption sind unabdingbare Voraussetzungen zur Erreichung der Fähigkeit zu jener Sanierung, die nach der Konsolidierung auf der Tagesordnung steht



Bundesminister Dr. Warnke
— und nicht umgekehrt; das hieße das Pferd vom Schwanze aufzäumen.

(Bindig [SPD]: Erst das Pferd verhungern lassen und dann mit ihm zum Rennen gehen wollen!)

— Lieber Herr Kollege Bindig, es war der Bundeskanzler Brandt, der im Jahre 1969

(Bohl [CDU/CSU]: Lang ist's her!)

in seiner Regierungserklärung die Entschuldung der Deutschen Bundesbahn für die damalige Legislaturperiode verkündet hat. Er brauchte keine Gesetzesänderung. Sie hatten die Fähigkeit, die Zuständigkeit zu handeln, aber sie hatten nicht die Kraft zu handeln. Deshalb sind wir heute auf der Durststrecke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Geld vor allen Dingen! — Bindig [SPD]: Machen Sie es doch besser!)

— Sie hatten volle Kassen, die Ihnen von einem Finanzminister Franz Josef Strauß hinterlassen worden waren.

(Bohl [CDU/CSU]: Das tut weh!)

Aber was kam statt dessen? Statt dessen kam jene famose Schwellenverordnung von 1981, die sogar die Erneuerung der Schwellen auf weniger benutzten Strecken verbot und damit nun wirklich ein entscheidender Schritt zur Zerstückelung der Bundesbahn gewesen wäre.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Deswegen hat sie mein Amtsvorgänger Werner Dollinger zu Recht wieder aufgehoben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Bohl [CDU/CSU]: Das war die Schwellensteuer! — Heiterkeit)

Es ist nicht die fehlende Trennungsrechnung, es sind nicht die Altlasten, es sind die aktuellen Ertragseinbrüche, die die Ursache des wieder steigenden Defizits und der wieder steigenden Verschuldung sind. Ihr Entwurf, meine Damen und Herren von der SPD, lenkt von der Aufgabe der 80er Jahre ab, die Wettbewerbsfähigkeit und die Ertragslage der Bundesbahn nachhaltig zu verbessern. Er dient der Bilanzschönung und nicht der Problemlösung bei der Bundesbahn.

(Beifall bei der CDU/CSU — Daubertshäuser [SPD]: Da ist der Bahnvorstand aber anderer Auffassung!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106502600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haar?

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1106502700
Ja, bitte sehr.

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1106502800
Herr Minister, sind Sie sich klar, daß diese Aussage in vollem Gegensatz zu dem Artikel von Herrn Ministerpräsident Strauß, Ihrem Parteivorsitzenden, steht, den er der Zeitschrift der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands zur Verfügung gestellt hat? Ich würde Ihre jetzige Antwort dann auch gleich gern zitierend den Eisenbahnern darstellen.

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1106502900
Ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar, daß aus Ihrem Mund der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der Christlich-Sozialen Union diese Würdigung durch das lange, zutreffende Zitat und diese Anerkennung, die darin liegt, erfahren hat. Dies ist in der Tat die Bahnkonzeption der Koalition.

(Weiss [München] [GRÜNE] : Es ist aber nicht Ihre!)

Hinsichtlich dieser Bahnkonzeption habe ich eben klarzumachen versucht, daß wir nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun können. Was jetzt ansteht, damit dieses Konzept verwirklicht werden kann, ist eben genau die Aufgabe, neue Konzepte für die Wettbewerbsfähigkeit und die Ertragssteigerung zu entwickeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106503000
Lassen Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Haar zu?

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1106503100
Ich bedaure, Herr Präsident.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was nun den Gesetzentwurf der GRÜNEN anlangt,

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das ist natürlich das allerletzte!)

so hat er sich ausdrücklich die Erhaltung der Deutschen Bundesbahn im vollen gegenwärtigen Umfang statt den Wandel zur Bahn der Zukunft zum Ziel gesetzt. Meine Damen und Herren, das, was Sie vorgelegt haben, ist kein Strukturwandelbewältigungsgesetz, es ist ein Strukturkonservierungsgesetz. Mit diesem Gesetz würde die Bahn wirklich unbezahlbar werden, und das kann die Bahn nun am allerwenigsten gebrauchen.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Sind für Sie Streckenstillegungen Fortschritt?)

Meine Damen und Herren, die Gestaltung des künftigen europäischen Verkehrsmarktes stellt uns allerdings schon heute vor einen Handlungsbedarf. Sie setzt die entscheidenden Rahmenbedingungen für die Bahn. Die Bundesregierung hat sich gegen elf Partnerstaaten unter ausdrücklichem Hinweis auf die Notwendigkeit, unserer Bahn die Chancen der Zukunftsentwicklung zu erhalten, dagegen gewandt, daß eine ruinöse Konkurrenz durch eine Entfesselung des Lkw-Verkehrs ohne Angleichung der Wettbewerbsunterschiede hier zustande kommt. Wir finden es nicht in Ordnung, daß der ausländische Lastkraftwagen weiterhin mit nur 9 % seine Wegekosten deckt, wenn er über unsere Straßen rollt.

(Bindig [SPD]: Lkws auf die Bahn!)

Um hier Remedur im Zeichen der europäischen Liberalisierung zu schaffen, haben wir eine Straßenbenutzungsgebühr vorgeschlagen.

(Bindig [SPD]: Lkws auf die Bahn! Das ist richtig!)




Bundesminister Dr. Warnke
Es ist der Wille der Bundesregierung, daß die Bahn wieder mehr Anteile am wachsenden Verkehrsaufkommen hat.

(Daubertshäuser [SPD]: Das kündigen Sie schon seit einem halben Jahr an! Vor zweieinhalb Jahren haben wir Ihnen das schon angekündigt!)

— Eine solche Straßenbenutzungsgebühr ist natürlich nicht von heute auf morgen zu verwirklichen. Es ist wahrscheinlich auch den Europapolitikern der SPDFraktion nicht unbekannt, daß die Entwicklung auf Drängen der Bundesregierung jetzt europaweit in diese Richtung geht. Wenn Europas Mühlen zu langsam mahlen, dann allerdings werden wir auch zu nationalem Handeln entschlossen sein müssen, damit unser Güterkraftverkehr nicht unter die Räder kommt,

(Bindig [SPD]: Auf die Räder!)

aber in gleichem Maße die Bundesbahn in ihrer Zukunft nicht entscheidend beeinträchtigt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schaffen und bewältigen, meine Damen und Herren, können wir diese Aufgabe nicht allein mit Finanzen, können wir sie nicht allein mit noch so guten Konzepten des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn, sondern nur zusammen mit den Menschen, die in dem Unternehmen Deutsche Bundesbahn tätig sind.
Diese Menschen haben in der Tat in den vergangenen Jahren Gewaltiges geleistet. Sie haben dazu beigetragen, daß das Konzept DB '90 in keiner Weise als gescheitert zu betrachten ist. Das Konzept DB '90 ist durch die Leistung der deutschen Bundesbahner dazu benutzt worden, daß wir eine reale Senkung der Personalkosten gehabt haben, daß wir heute eine Produktivitätssteigerung verzeichnen können, die über 10 % hinausgeht. Das Konzept DB '90 ist dazu genutzt worden, eine wesentlich bessere Ausgangsgrundlage zu erreichen, als sie ohne dieses Konzept vorhanden gewesen wäre. Daß der Ertragseinbruch dazwischengekommen ist, zwingt uns zu konzeptionellem neuen Handeln. Wir können nicht mit Palliativmitteln, wir können nicht mit irgendwelchen kurzatmigen Bilanzschönungsmaßnahmen diesem Einbruch entgegentreten. Wir würden unserer Verantwortung gegenüber den Eisenbahnern nicht gerecht, Herr Haar, wenn wir heute Maßnahmen ergriffen, die lediglich Finanzverschiebung bedeuten und die sich vor der Verantwortung drücken,

(Haar [SPD]: Was tun Sie denn?)

das Problem an der Wurzel zu packen und dafür zu sorgen, daß die Dutzende von Milliarden, die jetzt durch die Jahre hindurch in die Bahn der Zukunft investiert werden, dann auch wirklich Frucht tragen können.
Dazu bieten wir den Bundesbahnern, bieten wir den Arbeitnehmerorganisationen und bieten wir selbstverständlich auch dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn die Hand der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106503200
Das Wort hat der Abgeordnete Bamberg.

Georg Bamberg (SPD):
Rede ID: ID1106503300
Herr Präsident! Verehrte Anwesende! Es hörte sich hervorragend an,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Richtig! Sehr richtig!)

Herr Minister Dr. Warnke, was Sie hier gesagt haben. Nur befürchte ich, daß es wieder einen Riesenunterschied zwischen Reden und Handeln gibt.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Das ist bei Warnke nichts Neues!)

Ich habe noch Ihre schönen Worte im Kopf, als Sie zum erstenmal im Verkehrsausschuß waren. Streckenstillegungen, sagten Sie damals, sind nicht der Weisheit letzter Schluß. Was ist denn daraus geworden? Die Streckenstillegungen gehen weiter. Sie sind im Gegenteil noch forciert worden.
Ich weiß — und Sie wissen es auch — , daß es seit zweieinhalb Jahren, seit Juni 1985 — damals noch unter Ihrem Vorgänger —, einen einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages gibt, ein Konzept zum ÖPNV in der Fläche vorzulegen. Bis heute ist nichts geschehen.

(Daubertshäuser [SPD]: Mißachtung des Parlaments! Das ist fast drei Jahre her!)

Heute hören wir wieder solche Worte, Herr Minister. Ich glaube, Sie hätten es nicht nötig, in diese Erblastkampagne einzusteigen. Das muß immer als Argument herhalten, wenn man kein Konzept hat. Daß meine Befürchtungen richtig sind, sieht man auch an den Ausführungen, die Herr Dr. Jobst hier gemacht hat. Ich habe auf sachliche Vorschläge gewartet. Aber Jobst ging wieder nach dem Motto vor „Polemik und Allgemeinplätze" und nach der Devise

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Die Wahrheit tut euch weh!)

— nein, das tut nicht weh — :
Wenn morgens früh die Sonne lacht, dann hat's die CSU gemacht.
Gibt's aber Regen, Eis und Schnee, dann war's die SPD.

(Beifall bei der SPD — Beifall und Bravo-Rufe bei der CDU/CSU)

Damit kommen wir aber für die Bahn nicht weiter. Es ist das übliche Spielchen: keine Konzepte und Schuldzuweisungen. Die letzte Bahndebatte — sie liegt zweieinhalb Jahre zurück — fand damals — ich erinnere mich sehr genau — unter einem trügerischen Eindruck statt. Man glaubte oder tat zumindest so, als gäbe es kleine Erfolgsaussichten für die Bahn. Man war beeindruckt vom damaligen Jubiläum. „ 150 Jahre Bahn" spielte noch eine Rolle. Es gab eine geschickte Bahnwerbung. Man kam mit einem Konzept mit dem Namen DB '90. Sie haben wieder gesagt, Herr Minister, dieses Konzept sei nicht gescheitert. Ich glaube, Sie haben wenig Kontakt zu den Präsidenten der Direktionen, zum Bahnmanagement. Selbst die Präsidenten der Direktionen — das ganze Bahnmanagement — geben zu, daß DB '90 total gescheitert ist, bis auf das, was der Kollege Ernst Haar gesagt hat: Das einzige, was durchgeführt worden ist, ist der Personalabbau.



Bamberg
Nein, der Problemfall Bahn hat sich nicht gebessert, auch wenn 1984 geringfügige Aufwärtsbewegungen festzustellen waren. Ich empfinde überhaupt keine Genugtuung, wenn ich mich an meine letzte Rede erinnere. Ich habe damals gewarnt, die Stagnation, ja der Rückgang werde wieder weitergehen, weil die Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten der Bahn auch durch bestes Management nicht abgebaut werden können und daß das Nichtfunktionieren des Marktes wegen der ungleichen Ausgangsvoraussetzungen nur durch andere — bessere — politische Rahmenbedingungen zu lösen sei; so habe ich es damals gesagt. Die Vorschläge, die damals von mir und von meinen Kollegen, die in die gleiche — richtige — Richtung denken, gemacht worden sind, sind freilich, wie immer — das hat man ja auch heute wieder gemerkt —, nach den Spielregeln der Demokratie „Regierung contra Opposition" zurückgewiesen worden.
Ich möchte versuchen— wenn es mir vom Temperament her auch nicht immer gelingt —, betont sachlich zu bleiben. Es fällt mir aber auch noch aus einem anderen Grunde schwer: Wer — wie ich — 30 Berufsjahre bei der Bahn verbracht hat und die Bundesbahn deshalb auch ein bißchen kennt, kann dann manches besser beurteilen als diejenigen, die sich hier hinstellen und so tun, als ob sie die Dinge beurteilen könnten. Für Polemik ist keine Zeit. In der Zwischenzeit gibt es einen neuen Verkehrsminister. Ich habe den Eindruck, er macht — zwar mit Hilfe anderer Menschen — Verkehrspolitik wie gehabt, er macht mit neuer Verpackung dieselben Fehler. Ansonsten stünde doch die Bundesbahn nicht so schlecht da, wie sie dasteht. Das ist doch das Zeichen dafür. Der Bahnvorstand bemüht sich krampfhaft, wie es in der „Baierischen Weltgschicht" heißt, wie der Davidl gegen Goliath, ein paar Bröseln von dem Kuchen Verkehr zu erhaschen, dessen Hauptteil ganz andere unter sich verteilen. Ich glaube, das alles ist doch an Zahlen meßbar. Tatsache ist doch, daß der Anteil der Bahn am gesamten Verkehrsaufkommen nicht gestiegen ist, Herr Minister. Beim Güterverkehr bleibt er weiterhin unter 28 %, beim Personenverkehr bei etwa 6%. Alles übrige teilen sich doch andere. Tatsache ist, daß es eine Ifo-Studie gibt, nicht veranlaßt von der SPD, sondern vom bayerischen Wirtschaftsminister Jaumann, die aussagt: Bis zum Jahr 2000 wächst der Individualverkehr um 33%, der Straßengüterfernverkehr um 70 % und der Straßengüternahverkehr um 37 %. Dort steht auch, daß die Zahl der Pkws ansteigen wird.
Tatsache ist auch, daß es — Gott sei dank — weniger Verkehrstote gibt. Dem steht eine starke Zunahme — nämlich um 2,2 % — der Zahl der Verkehrsunfälle gegenüber. Trotzdem werden höhere Achslasten zugelassen. Stimmt es nicht, daß es trotz schrecklichster Unfälle immer noch gefährlichste Güter, Katastrophen-Zeitbomben auf unseren Landstraßen gibt? Trotzdem werden auch hier keine echten Lenkungsmaßnahmen erwogen. Stimmt es denn nicht, daß der innerdeutsche Luftraum — Sie haben auch dazu ein paar Worte gesagt — total überlastet ist mit all den Folgen? Das merken die Kollegen doch, wenn sie fliegen. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß man von München nach Frankfurt fliegen muß, noch dazu bei den Warteschleifen. Trotzdem soll der Luftverkehr weiterhin liberalisiert werden. Das alles paßt doch nicht zusammen.
Warum gibt es eigentlich niemanden innerhalb der Regierung, der erkennt, daß andere Rahmenbedingungen für die Bahn neben den Umwelt- und Verkehrsaspekten auch arbeitsmarktpolitisch sehr große Bedeutung hätten? Kann man denn unsere Anträge, die heute zur Beratung anstehen, und unsere Argumente einfach ignorieren, wenn feststeht, daß der Jahresfehlbetrag — ich gehe jetzt auf die Zahlen gar nicht mehr ein — der Bundesbahn weiterhin ansteigt.
Die Situation führt z. B. dazu, daß sich die Bahn gezwungen sieht, neben Streckenstillegungen bzw. Umstellungen auf Busverkehr auch — Sie mögen das als Kinkerlitzchen ansehen — , wie in der Stadt, aus der ich komme, in Rosenheim, Ausbildungs-, Lehrwerkstätten zu schließen. Man tut so, als habe man genügend junges Personal bei der Bahn? Genau das Gegenteil ist der Fall.
Ich glaubte noch vor zweieinhalb Jahren, man könne die falschen politischen Weichenstellungen korrigieren, weil man mit Politikern der CSU, mit allen Kollegen draußen vor Eisenbahnern sachliche Diskussionen führen konnte. Wir waren weitgehend der gleichen Meinung, weil man davon ausging, daß sie hier in Bonn das gleiche täten, was sie draußen sagen. Das stimmt aber nicht. Ich stelle immer wieder fest, daß sie etwas ganz anderes sagen. Sie sagen: Du hast ja eigentlich recht!, aber hier wird etwas ganz anderes gemacht. Ich wäre schon froh, wenn es heute möglich wäre, der Umwelt und der Verkehrssicherheit zuliebe und wegen der Arbeitsmarktsituation das jetzt Bestehende zu erhalten. Aber ich glaube, auch das wird nicht passieren. Mit kleinen Schritten kommen wir mit Sicherheit nicht weiter. Kleine Schritte, gut, wenn es nicht anders geht; aber wir kommen damit nicht weiter. Es gibt sicherlich andere Möglichkeiten. Ich persönlich bin überzeugt davon. Ich weiß — das ist aber auch nicht mehrheitsfähig —, daß wir ohne Lenkungsmaßnahmen überhaupt nicht auskommen. Ich beziehe mich auf das, was ein CSU-Bürgermeister, der Vorsitzende des Bayerischen Städtetages, Deimer aus Landshut, gesagt hat: Das Chaos in unseren Städten ist ein Ergebnis der freien Marktwirtschaft. Wir werden in der Zukunft ohne Lenkungsmaßnahmen überhaupt nicht auskommen. Wenn ein CSU-Bürgermeister das sagt, dann muß es doch möglich sein, daß man zumindest im Bundestag darüber diskutiert, ohne sofort wieder gesagt zu bekommen: Das ist Dirigismus. Ich meine, kein Weg wird daran vorbeigehen.
Es gibt andere Konzepte. In anderen Dingen berufen wir uns oft auf das Ausland. Es gibt z. B. in der Schweiz ein Konzept, „Bahn 2000". Ich habe mir dieses Konzept einmal angeschaut. Herr Minister, ist es möglich, daß man sich mit diesem Konzept, auf das ich jetzt aus Zeitgründen nicht mehr eingehen kann, überhaupt befaßt?
Ein letzter Satz noch: Ihr Parteivorsitzender, unser bayerischer Ministerpräsident, der von der Bahnpolitik noch nie etwas gehalten hat, weder unter Dollinger noch anscheinend von der jetzigen Bahnpolitik, hat



Bamberg
auf anderen Gebieten mit Jahrhundertverträgen Aufsehen erregt. Ich glaube, Sie könnten auch Ihren CSU-Vorsitzenden dazu bewegen, wenn Sie wirklich Riesenschritte einleiten würden. Vielleicht darf ich Ihnen, ohne Ihnen zu nahezutreten, sagen: Denken Sie auch an das Schicksal von Herrn Dollinger!
Herzlichen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106503400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tillmann.

Ferdinand Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1106503500
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu dieser freundlichen Anrede glaube ich guten Anlaß zu haben; denn trotz der sehr unterschiedlichen Auffassungen zur Bahnpolitik, die heute morgen hier wieder zum Ausdruck gekommen sind, gibt es eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den Fraktionen nämlich in der Frage des Ausbaus der Schnellbahnstrecke Dortmund—Paderborn—Kassel. Ich verweise auch auf die Anträge auf den Drucksachen 11/1414 und 11/1154. Daß es diese Übereinstimmung gibt, ist nicht nur erfreulich, sondern das ist richtig und ganz wichtig; denn bei diesem Projekt eines Ausbaus des Bahnabschnittes Dortmund—Kassel handelt es sich um eine Maßnahme von höchster verkehrs-, wirtschafts- und regionalpolitischer Bedeutung. Es ist heute morgen schon zum Ausdruck gebracht worden: Moderne Verkehrswege sind und bleiben die Voraussetzung für die allgemeine und wirtschaftliche Entwicklung einer Region, und auf Grund der großen Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur für eine moderne Industriegesellschaft müssen die Verkehrswege den gestellten Anforderungen im Umfang und insbesondere auch in der Qualität gerecht werden. Dies gilt vor allem für die Deutsche Bundesbahn. Auch Herr Verkehrsminister Warnke hat dies eben schon betont. Wenn die Bahn trotz der großen Konkurrenz von Pkw, Lkw und Flugzeug in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben will und Marktanteile halten oder sogar hinzugewinnen möchte, so kann dies im wesentlichen nur durch eine merkliche Erhöhung der Reisegeschwindigkeiten und durch eine deutliche Verbesserung des Leistungsangebots erreicht werden.
Dieser Forderung, meine Kolleginnen und Kollegen, trägt auch der Bundesverkehrswegeplan 1985 im Bereich des Schienennetzes der Deutschen Bundesbahn Rechnung. Daraus folgt auch wieder, daß das Projekt der Strecke Dortmund—Kassel, über das wir hier sprechen, zu dem wir den Antrag gestellt haben, in voller Länge möglichst bald und rasch verwirklicht werden muß.
Meine Damen und Herren, die Ausbaustrecke ist Teil des Schnellverkehrskorridors Dortmund—Kassel—Würzburg—Nürnberg—München. Sie schafft über die in Bau befindliche Nord-Süd-Neubaustrecke Hannover—Würzburg den für Nordrhein-Westfalen wichtigen Anschluß nach Süddeutschland und an den südund südosteuropäischen Raum. Mit dieser Angebotsverbesserung wird die Akzeptanz der Bahn bei Bevölkerung und Wirtschaft deutlich erhöht. Positive Impulse für Industrie, Handel und Gewerbe können erwartet werden. Dies ist auch — ich erinnere an die Ruhrgebietskonferenz von Bundeskanzler Kohl am Mittwoch vergangener Woche — ein ganz wichtiger Beitrag der Deutschen Bundesbahn zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die notwendige Umstrukturierung im Ruhrgebiet.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Einer schnellen Eisenbahnverbindung durch den Ostkorridor kommt auch insofern große Bedeutung zu, als die Kapazität der beiden Rheintrassen praktisch erschöpft ist. Mit der notwendigen Entlastung durch die Neubaustrecke Köln-Rhein/Main, die im übrigen nicht für den Güterverkehr ausgebaut werden soll, ist wohl vorerst kaum zu rechnen.
Alle diese Vorteile für die Reisenden, für die Wirtschaft und auch für die Deutsche Bundesbahn selbst im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit können aber nur realisiert werden, wenn der Ausbau der gesamten Strecke Dortmund-Kassel durchgeführt wird.

(Dr. Lammert [CDU/CSU]: So ist es! — Sehr wahr! bei der SPD)

Daher ist er ja auch im Bundesverkehrswegeplan im vordringlichen Bedarf vorgesehen und ist allerdings unter dem Vorbehalt einer ausreichenden Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Netzwirkungen gestellt worden.
Wenn nun aber zweifelhafte Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Teilstrecken nur den Ausbau zwischen Dortmund und Paderborn stützen, so kann dies nicht das letzte Wort sein. Eine isolierte Betrachtung einzelner Teilabschnitte macht ja gerade die vorgesehene Berücksichtigung der großräumigen Netzwirkungen unmöglich.

(Daubertshäuser [SPD]: Sehr richtig!)

Bei einer zu kleinräumigen Abschnittsbildung bei der Wirtschaftlichkeitsrechnung ergeben sich eben zwangsläufig dort, wo größere Investitionen notwendig sind, rein rechnerisch für diese Teilstrecken ungünstigere Ergebnisse.

(Dr. Lammert [CDU/CSU]: Jawohl! — Daubertshäuser [SPD]: So ist es!)

Aus diesem Grunde hat denn ja auch der Verkehrsminister — Sie haben das heute wieder betont, Herr Minister — in einem Brief an den Bundesarbeitsminister und Vorsitzenden der CDU in Nordrhein-Westfalen, an unseren Kollegen Norbert Blüm, mitgeteilt, daß die Wirtschaftlichkeitsrechnung im Rahmen eines Optimierungsprozesses überprüft werde und daß alles getan werde, damit baldmöglichst die Voraussetzungen zum Beginn des Baus der Strecke Paderborn—Kassel vorliegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herzlichen Dank für diese Zusage, Herr Minister.

Im übrigen begrüßen wir es, daß in der Zwischenzeit — unabhängig vom Ausgang dieser Berechnungen — die Planung und Planungssicherung für die Gesamtstrecke weitergeführt werden.



Tillmann
Ich denke, meine Kolleginnen und Kollegen, daß wir im Verkehrsausschuß Gelegenheit haben, die unterschiedlichen Anträge, die hier vorgelegt worden sind, zu einer gemeinsamen Entschließung zusammenzubinden. Dies wird dann sicherlich auch dazu beitragen, daß die Bundesregierung auf dem Weg zu ihrem Entschluß, der Bundesbahn den gesamten Ausbau der Strecke Dortmund—Kassel zu empfehlen, ein großes Stück vorankommt.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106503600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ibrügger.

Lothar Ibrügger (SPD):
Rede ID: ID1106503700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausbaustrecke Dortmund—Kassel ist ebenso unverzichtbar für die künftige Entwicklung des Landes Nordrhein-Westfalen wie auch für das künftige Schnellstreckennetz der Deutschen Bundesbahn, insbesondere in der Wirkung für die Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen und — nicht zu vergessen — den Freistaat Bayern.
Herr Kollege Tillmann, wir Sozialdemokraten stimmen Ihnen in dieser Feststellung und der gemeinsamen Zielrichtung ausdrücklich zu. Ich freue mich, daß nach den Anträgen der SPD und der Partei der GRÜNEN nun auch die CDU/CSU auf diese gemeinsame Zielrichtung eingeschwenkt ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird es etwas!)

Allerdings habe ich noch Kritik anzumelden; denn immer wieder, in allen Schreiben taucht ein kleiner verräterischer Zusatz auf:
... — vorausgesetzt, das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsberechnung ergibt einen positiven Wert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren haben wir bereits einen positiven Wert in den Nutzen-Kosten-Berechnungen. Es ist deswegen wichtig und zwingend notwendig, daß der Deutsche Bundestag in der Überprüfung der Entscheidung der Bundesregierung des Bundesverkehrswegeplanes 1985 bis 2000 die Beratungen in den zuständigen Ausschüssen und im Haushaltsausschuß mit dem Ziel führt, daß dieser Wirtschaftlichkeitsvorbehalt im Kabinett aufgehoben wird. Meine Damen und Herren, wir haben bereits vier Jahre vertan. Wir hätten diese Maßnahme längst voranbringen können, wenn wir uns an den gleichen Nutzen-Kosten-Verhältnissen orientiert hätten, wie sie für die jetzt bereits im Bau befindliche Strecke Hannover—Würzburg bestehen.
Ich will Ihnen diese Nutzen-Kosten-Verhältnisse einmal vortragen: Die liegen zwischen Hannover und Würzburg zwischen 2,0 und 6,0, also: Der Nutzen beträgt das Zweifache bis zum Sechsfachen der Kosten, um es auch Außenstehenden zu erläutern. Die jetzigen Berechnungen haben längst ergeben: Der Nutzen-Kosten-Wert liegt zwischen 3,1 und 4,2.

(Zuruf von der SPD: Na also!)

Mit anderen Worten: Das Bundeskabinett hat — angesichts auch finanzieller Zwänge; das will ich gern
einräumen — einen bestimmten Wert gegriffen und dann den Strich gezogen.

(Daubertshäuser [SPD]: Jawohl!)

Die Strecke Dortmund—Kassel war dabei hintenheruntergef allen.
Hier setzt unsere Kritik an: Wir dürfen uns nicht weiterhin hinter solchen Wirtschaftlichkeitsnachweisen verstecken. Wir dürfen insbesondere der Bundesregierung nicht erlauben, sich weiterhin dahinter zu verstecken, wenn in Wahrheit die Frage beantwortet werden muß, ob die Bundesregierung die Standortqualität der Wirtschaftsregion Ostwestfalen-Lippe wie auch des östlichen Ruhrgebietes verbessern will oder nicht.
Das Raumordnungsgesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, verpflichtet jede Bundesregierung, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sicherzustellen. Dies ist eine Bringschuld der Bundesregierung!

(Beifall bei der SPD)

Diese raumordnungspolitische Zielsetzung ist bisher aus allen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen ausgeblendet worden. Hier bin ich der gleichen Meinung wie der Ministerpräsident des Freistaates Bayern, der nämlich die Bundesregierung zum einen in einem Schreiben an seinen „Männerfreund" Helmut Kohl, zum anderen dann aber auch in einem Schreiben an den Bundesfinanzminister

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Auch ein Freund!)

sehr deutlich daran erinnert hat: Zur Gleichgewichtigkeit der Entwicklung gehören der Ausbau entsprechender Strecken und auch Maßnahmen durch das Bundeskabinett. Ich hoffe, daß wir im mitberatenden Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die gleiche Unterstützung finden und daß die raumordnungspolitische Zielsetzung dann auch in der Forderung des Bundestages gipfeln wird, diesen bisherigen Wirtschaftlichkeitsvorbehalt im Kabinett aufheben zu lassen.
Der Bundesfinanzminister hat in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses erklärt, im Wirtschaftsplan der Bundesbahn sei diese Maßnahme Dortmund—Kassel bisher nicht enthalten. Er habe daher auch keinen Anlaß, eine Prüfung vorzunehmen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Solange das Kabinett diesen Vorbehalt nicht aufhebt und ihn nicht aufgehoben hat, wenn die Bundesbahn ihre Maßnahme denn dann vorlegt, muß der Bundesminister der Finanzen — in der Bindung an die Kabinettsentscheidung — feststellen: Die Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Hier, meine ich, ist das Kabinett, Herr Bundesminister Warnke, gefordert, nicht nur erneut Untersuchungen in Auftrag zu geben, sondern es fehlte mir in Ihrer Rede der Halbsatz: Ich, Bundesminister Dr. Warnke, werde das Kabinett auffordern, den Wirtschaftlichkeitsvorbehalt in dieser Größenordnung aufzuheben.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mancherlei Gemeinsamkeiten sind heute deutlich geworden. Ob Anträge oder Gesetzentwürfe, zweierlei G emeinsamkei-



Ibrügger
ten habe ich empfunden: Erstens: Die Bundesbahn ist für Bürger und Wirtschaft unverzichtbar. Sie hat das größte Liniennetz und das höchste Verkehrsaufkommen als Verkehrsunternehmen. Zweitens: Wir wollen uns bemühen, die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesbahn zu erhöhen.
Die Bundesbahnprogramme in den einzelnen Bundesländern zeugen von bemerkenswerten Initiativen der DB. Die Bundesbahn versucht die Länderinteressen mit denen der Bundesbahn zu verknüpfen. Ich kann diesem Bemühen nur nachhaltig meinen Respekt zollen. Aber zu Recht wird in allen Programmen an die Adresse des Bundestages und der Bundesregierung gefordert: „Wir brauchen externe Unterstützung durch den Bund, d. h. eine klarere und sachgerechtere Abgrenzung der Verantwortung zwischen Staat und Unternehmen. Wir brauchen die Absicherung der Finanzierung des Streckenausbaus. Wir brauchen Beiträge zur Entschuldung der Deutschen Bundesbahn und eine flankierende Verkehrspolitik."
Dazu gehört auch die Übernahme überhöhter Versorgungslasten. Wenn 449 282 Versorgungsempfänger und Rentner bei der Bundesbahn gezählt werden, dann können diese Versorgungslasten nicht auf Dauer aus den Erträgen der Bundesbahn mit 260 000 Beschäftigten erfüllt werden.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen zu Recht die Forderung an den Bundestag und an die Bundesregierung, hier Lasten zu übernehmen.
Interessant ist der Hinweis auf die Plafondierung, durch BM Dr. Warnke: Es ändert sich etwas in der Einschätzung. Ich habe den Kollegen Jobst noch gut im Ohr, der im November 1981 sagte: Bei der Plafondierung der Bundesleistungen wird die Bundesbahn weiter in die Verschuldung getrieben.

(Bamberg [SPD]: So ist es!)

Wohl wahr! Wenn wir es jetzt ändern können, dann sollten wir es gemeinsam schnellstens tun. Denn in Preisen von 1976 ist der Anteil aus dem Bundeshaushalt real für die Deutsche Bundesbahn ständig weiter gesunken.
Es gibt einen absoluten Handlungsbedarf. Dreh- und Angelpunkt sind und bleiben die finanziellen Leistungen einschließlich neuer Aufgabenteilungen in der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen und Investitionen für das künftige Schienennetz der Deutschen Bundesbahn.
Die SPD hat ein Konzept zur durchgreifenden Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen der Deutschen Bundesbahn und ein Konzept für eine moderne Unternehmensverfassung vorgelegt. Ich trage es zum Abschluß vor:
Erstens. Wie bei den Bundesfernstraßen beschließt der Bundestag den Bedarfsplan für den Ausbau des Schienenwegenetzes.
Zweitens. Der Staat übernimmt wie bei den Straßen die Kosten für den Bau und die Unterhaltung des Schienenwegenetzes.
Drittens. Die Bahn zahlt eine Gebühr entsprechend dem Umfang der Schienennutzung.
Viertens. Der Staat trägt die Verluste der DB, die ihr auf Grund der Aufgaben erwachsen, die ihr der Staat im Interesse der Allgemeinheit auferlegt hat.
Fünftens. Der Bund hilft, die Bahn zu entschulden. Er übernimmt einen Teil der Schulden in den Bundeshaushalt.
Sechstens. Die Führungsstruktur des Unternehmens wird modernisiert.
Siebentens. Die überhöhten Versorgungslasten der DB werden in den Bundeshaushalt übernommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Anträge liegen von allen Parteien vor. Nutzen wir die Zeit in dieser Legislaturperiode! Es gibt Handlungsbedarf. Gemeinsam sollten wir es schaffen, eine wettbewerbsfähige Bahn zu entwickeln, die Arbeit und Beschäftigung, volkswirtschaftlichen Gewinn und umweltpolitischen Nutzen verspricht.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106503800
Ich schließe die Aussprache zu diesen Tagesordnungspunkten.
Zu den Tagesordnungspunkten 17 a bis d schlägt der Ältestenrat vor, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Weiter wird interfraktionell vorgeschlagen, die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1913 und 11/1918 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Verkehr und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisungen sind so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Einsichtsrecht in Umweltakten (Akteneinsichtsrechtsgesetz — AERG)

— Drucksache 11/1152 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
— Drucksache 11/1153 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 18a und 18b mit zwei Beiträgen bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Das heißt, daß zwei Debattenrunden stattfinden sollen. Sind Sie damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.




Christa Vennegerts (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106503900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch vor wenigen Jahren waren es nur einige wenige belächelte Umweltschützer, die gegen die fortschreitende Zerstörung unserer Umwelt zu Felde zogen. Von den Koalitionsfraktionen wurde das lange Zeit genauso wenig zur Kenntnis genommen wie von der Sozialdemokratie. Nach Harrisburg, dem Waldsterben, Sandoz und der Reduzierung der Artenvielfalt, nicht zuletzt durch Tschernobyl, seit man sogar mit geschlossenen Augen die Umweltzerstörung und -schäden nicht mehr übersehen kann, haben mittlerweile alle Parteien begriffen, daß die ökologische Krise nicht nur in der Einbildung der GRÜNEN besteht. Diese Erkenntnis ist vor allem der beharrlichen Arbeit ökologisch denkender Bürgergruppen, der Naturschutzverbände und meiner Partei zu verdanken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Freilich scheint es, daß die etablierten Parteien die ganze Tragweite dieser ökologischen Krise und ihre gesellschaftliche Relevanz und Ausstrahlung noch nicht einmal in Ansätzen begriffen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein bezeichnendes Beispiel dafür war das Veto des CDU-Parteivorsitzenden Helmut Kohl gegen eine Diskussionsvorlage seiner eigenen Partei zur Umwelt- und Energiepolitik.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Hört! Hört! — Bohl [CDU/CSU]: Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Laden! Da haben Sie genug zu tun!)

Unter Vorsitz von Herrn Geißler, der wahrlich kein exponierter Anwalt der Umwelt ist, hatte eine CDUArbeitsgruppe den zaghaften Versuch unternommen, die offizielle Umweltpolitik der Union zu durchleuchten und die Dimension der ökologischen Krise zu bewerten.

(Bohl [CDU/CSU]: Räumen Sie im eigenen Laden auf!)

— Ich weiß, daß es Ihnen stinkt, Herr Bohl. Aber das ist die Wahrheit.

(Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/ CSU]: Gar nicht!)

Auch Herr Späth entdeckt, daß die Wiederaufarbeitungsanlage und die Schnelle-Brüter-Linie nicht der Weisheit letzter Schluß sind. Interessant ist, ob er es bis nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg durchhält und sich wenigstens teilweise unserem Standpunkt anschließt.

(Beifall bei den GRÜNEN) Übrigens: Wir hätten nichts dagegen.


(Bohl [CDU/CSU]: Erst wollen Sie nur Fahrrad fahren, und dann fliegen Sie nach Albanien!)

Diese Regierung gibt vor, auf sicherem Wege zur Lösung der ökologischen Krise voranzuschreiten.

(Bohl [CDU/CSU]: Wie war es denn in Albanien? Erzählen Sie mal davon!)

In der Praxis beschränkt sie sich aber auf traditionelle
Steuerungsinstrumente und auf aufgeblasene PublicRelations-Kampagnen und Sonntagsreden. Ich gebe
Ihnen ein Beispiel Töpferscher Sonntagslyrik. Das war eine Rede anläßlich der Jahrestagung der Aktionsgemeinschaft Großforschungsanlagen. Zitat:
Es ist — so habe ich es in meinen Diskussionen, die ja natürlich vielfältigster Art sind, über Fragen der Kernenergie immer wieder festgestellt — die Rhetorik so ausgerichtet, daß wir zu einer Aktualisierung des Hypothetischen kommen und von dieser Aktualisierung dann die Sorgen und Besorgnisse weiterdeklinieren.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Angenommen, der Fall des Restrisikos passiert morgen hier: Was ist denn da? Die Aktualisierung des Hypothetischen ist die rhetorische Antwort auf diesen Hinweis auf die Langzeitwirkung.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Soweit das Töpfer-Märchen.

(Bohl [CDU/CSU]: Billiger geht es nicht!?)

Meine Damen und Herren, haben Sie verstanden, wovon hier die Rede ist? Minister Töpfer wird schon gewußt haben, warum er Aktualisierung des Hypothetischen sagt, aber nukleare Katastophe meint.
Bei den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort, die mit Umweltschäden konkret konfrontiert sind und von ihnen bedroht sind, wachsen das Mißtrauen und der Widerstand. Gott sei Dank, kann ich nur sagen. Seit dem Hanauer Atomsumpf ist das Vertrauen in die herrschende Regierungspolitik endgültig zusammengebrochen, und das zu Recht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da wird nach der Katastrophe von Tschernobyl ein Umweltministerium eingerichtet, dessen Leiter den Großteil seiner Zeit dafür aufwenden muß, seine Kompetenzen gegenüber den anderen Ressorts abzuklären. Statt das in aller Deutlichkeit anzuprangern, übt Herr Töpfer Kabinettsdisziplin und gibt sich öffentlich als der große Zampano, an den man nur glauben muß, damit sich die ökologische Krise in Wohlgefallen auflöst.
Wenn er tatsächlich ein Zampano wäre, müßte er den Siedewasserreaktor in Philippsburg schließen, wie wir das im Ausschuß gefordert haben. Diese Anlage gefährdet die Menschen in Baden-Württemberg. Wenn es ein Akteneinsichtsrecht gegeben hätte, wäre die Öffentlichkeit nicht fünf Jahre hinters Licht geführt worden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da wird bei jedem neuen Umweltskandal die Bevölkerung mit der Behauptung in Sicherheit gewiegt, daß keine Gefahr bestehe, nur die Fenster müsse man geschlossen halten, während ein Blick hindurch zeigt, daß die Wälder bereits in den letzten Zügen liegen. Notwendige und einschneidende politische Entscheidungen werden nicht getroffen. Aussitzen ist Trumpf. Immer neue und immer weniger überschaubare Kommissionen und Arbeitsgruppen werden ins Leben gerufen. Expertokratie statt Demokratie ist Ihr Motto.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)




Frau Vennegerts
Weiter so wurschteln anstatt die ökologische Wende einleiten: Diese Regierung bleibt ihrer Vogel-Strauß-Politik treu.
Die bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung der ökologischen Krise sind noch lange nicht ausreichend. Zum Beispiel das Umweltgrundrecht als Staatsziel zu erklären ist eine nette Absichtserklärung. Aber Taten müssen folgen. Viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben längst die Notwendigkeit einer Veränderung erkannt. Sie haben aus eigener Initiative damit begonnen, ihre Lebensgewohnheiten zu ändern. Sie engagieren sich für eine bessere Umwelt mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Das reicht von der Umstellung des persönlichen Konsums bis hin zu Demonstrationen und Sitzblockaden. Wir begrüßen das außerordentlich und werden solche Aktivitäten auch weiterhin massiv unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Demgegenüber fassen viele von Ihnen Bürgerengagement als Querulantentum und Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bürokratie auf. Nicht erst seit dem Hanauer Atomskandal begehren immer mehr Bürgerinnen und Bürger gegen diese Geheimniskrämerei von Industrie und Behörden auf. Wer weiß schon, was BASF in den Rhein und andere Gewässer kippt? Wer weiß, was für Giftstoffe in den Hoechst-Werken lagern? Was wissen die Bürgerinnen und Bürger über die geplatzten und aufgeblähten Atomfässer in Gorleben? Bei der Anhörung zur Gentechnologie am Mittwoch nachmittag sind die Umweltverbände erst gar nicht berücksichtigt worden. Die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen. Damit muß Schluß sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wissen über Gefahrenpotentiale für Mensch und Natur darf nicht länger eine Domäne für Dunkelmänner aus Unternehmen und Verwaltung bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die GRÜNEN verlangen daher, daß die Bürgerinnen und Bürger ein Informationsrecht erhalten, ein Recht, das ihnen die Möglichkeit gibt, sich frühzeitig gegen mögliche Gefahren zu wehren. Dazu gehört eine Beteiligung der Öffentlichkeit bei Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung, dazu gehört das Recht auf Akteneinsicht, genauso wie ein Verbandsklagerecht. Nur so ist eine effektive Bürgerbeteiligung gewährleistet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber auch aktives Handeln des Staates ist erforderlich. So ist es notwendig, Forschungsalternativen verstärkt zu fördern. Gerade auf diesem Gebiet zeigt sich, wie von dieser Regierung, aber auch von ihren Vorgängern, einseitig Fakten geschaffen wurden. Milliarden wurden für Atommeiler verschleudert und Pfennigbeträge für Solar- und Windenergieforschung ausgegeben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hier ist ein sofortiges Umsteuern erforderlich. Aber auch das Instrument des Rechts muß voll angewandt werden. Um das Verursacherprinzip bei Industrie und Wirtschaft durchzusetzen, ist vor allem das Haftungsrecht für Produkte und Tätigkeiten, die die Umwelt
belasten bzw. belasten können, einer grundlegenden Reform zu unterziehen.
Die Haltung der SPD gegenüber der ökologischen Herausforderung ist leider immer noch halbherzig. So forderte die SPD-Bundestagsfraktion zu Beginn dieser Woche in einem Antrag zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein Verbandsklagerecht, das von Herrn Rau in Nordrhein-Westfalen seit Jahren torpediert wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die ökologische Krise verlangt mehr als Lippenbekenntnisse.
Grüne Politik ist demokratische Politik, denn sie trägt Zukunftsentscheidung aus dem alleinigen Verfügungsbereich der Experten und Profiteure hinaus in die öffentliche Diskussion. Das von uns geforderte Akteneinsichtsrecht ist Teil einer effektiven Umweltpolitik und elementarer Bestandteil unserer Demokratie. Das Verhältnis von Industrie- und Politikinteressen hat jemand folgendermaßen skizziert:
Es ist ein Land, wo die Philister thronen,
die Krämer fahren und das Grün verstauben, die Liebe selber altklug feilscht mit Hauben. Herr Gott, wie lang willst Du die Brut verschonen?
Dies sagte vor ca. 200 Jahren schon Joseph von Eichendorff.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: Das war ja Lyrik! — Der ganze Beitrag war Lyrik!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106504000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106504100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede gerade gehört hat, dann weiß man eines zumindest nicht, nämlich daß der Tagesordnungspunkt heißt: Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Einsichtsrecht in Umweltakten.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Ich habe gesagt, warum es notwendig ist!)

95 Prozent der Rede betrafen etwas anderes.
Nun habe ich mich auf das Einsichtsrecht vorbereitet, will aber trotzdem noch einen Satz zu dem übrigen Teil Ihrer Rede sagen. Hier ist der Eindruck erweckt worden, als hätte der Umweltschutz erst mit dem Einzug der GRÜNEN in den Deutschen Bundestag begonnen.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: So ist es auch!)

Ich habe hier die Anlage zu Ihrem Gesetzentwurf über das Akteneinsichtsrecht. Dort sind alle Umwelt- und Planungsgesetze aufgeführt, auf die sich nach Ihrem Gesetzentwurf das Akteneinsichtsrecht beziehen soll. Das sind 34 Gesetze. Ich habe mir einmal die Daten, die Sie selbst hineingeschrieben haben, der Verabschiedung dieser Gesetze angesehen. 33 dieser Gesetze sind gemacht worden, lange bevor die GRÜNEN in den Deutschen Bundestag eingezogen sind. Sie können es selbst nachlesen. Schon nach Ihren eige-



Dr. Blens
nen Unterlagen also hat der Umweltschutz nicht mit Ihnen begonnen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106504200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert?

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106504300
Ja, wenn das nicht angerechnet wird. Sonst lohnt es sich nicht.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106504400
Ich habe keine Veranlassung, das anzurechnen.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106504500
Ich habe dann auch keine Veranlassung, dies zuzulassen.

(Zurufe)

— Nein, ich habe das nicht vor, Herr Kleinert, Sie können sich ruhig wieder setzen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106504600
Das scheint ein Mißverständnis zu sein, Herr Kollege. Ich habe gesagt: Ich habe keine Veranlassung, dies nicht anzurechnen.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106504700
Nicht anzurechnen?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106504800
Ich habe keine Veranlassung, dies nicht anzurechnen.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106504900
Das ist doppelte Verneinung; Sie rechnen es also an?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106505000
Nein, ich rechne es nicht an.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106505100
Ach so.

(Heiterkeit bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Dann bitte schön, Herr Kleinert.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106505200
Ich sagte: Ich habe keine Veranlassung, es nicht anzurechnen — eine doppelte Verneinung.

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106505300
Wissen Sie, eine doppelte Verneinung ist eine schwierige Sache.

(Zurufe von allen Fraktionen)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106505400
Lassen Sie jetzt die Anfrage zu?

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106505500
Ja, ich lasse sie zu.

(Zuruf des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

— Herr Hirsch hat das so verstanden wie auch ich, Herr Präsident.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106505600
Herr Kollege Kleinert, Ihre Zwischenfrage bitte.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106505700
Herr Kollege, da ich nunmehr davon ausgehen kann, daß Sie inzwischen mit den Gepflogenheiten des Hauses hier durch den Präsidenten vertraut gemacht worden sind, kann ich jetzt zu meiner Frage kommen: Wie soll es nach Ihrer Meinung zusammenpassen, daß Sie auf der einen Seite behaupten, mit uns sei der Umweltschutz nicht in dieses Haus eingezogen, und damit beanspruchen, daß Sie sich selbst für dieses Thema stark interessieren, und wenn ich andererseits sehe, daß die große CDU/CSU-Fraktion bei einer so eminent wichtigen politischen Debatte — —

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106505800
Herr Kollege Kleinert, jetzt müssen auch Sie sich an die Geschäftsordnung halten und eine Frage stellen.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106505900
Ja, ich war ja fast so weit.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106506000
Zwischenfragen sollen kurz sein.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106506100
Wie läßt sich das damit vereinbaren, daß, wie ich sehe, die große CDU/ CSU-Fraktion bei dieser wichtigen Debatte .. .

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1106506200
Herr Abgeordneter, stellen Sie bitte eine Frage!

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106506300
. . . hier mit sechs Personen vertreten ist? Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie sich das erklären.

(Bohl [CDU/CSU]: Er kann nicht zählen! Es sind mehr als sechs!)


(V o r sitz : Vizepräsident Westphal)


Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106506400
Ich kann es Ihnen sehr schnell erklären, Herr Kleinert: Die Fraktion der CDU/ CSU ist außerordentlich stark am Umweltschutz interessiert, hält aber Ihren Gesetzentwurf für so unbedeutend für den Umweltschutz, daß sie es nicht für notwendig hält, hier in großer Zahl zu erscheinen. Dafür habe ich volles Verständnis.

(Oh-Rufe bei den GRÜNEN)

Ich will zunächst einmal darauf hinweisen, daß es Akteneinsichtsrechte gibt, und zwar für denjenigen, der selbst an einem Verwaltungsverfahren z. B. als Antragsteller oder als Adressat eines Verwaltungsaktes beteiligt ist.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Natürlich! Das wissen wir auch! Aber was bringt das?)

Als jemand, der sich als Betroffener dagegen zur Wehr setzt, daß einem anderen eine Genehmigung erteilt wird, die sich für den Betroffenen belastend auswirken würde, hat der Betroffene, der Beteiligte seit 1977 ein Akteneinsichtsrecht.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das ist doch keine Frage, aber da muß er doch klagen!)

— Nein, er muß nicht erst klagen; da kennen Sie die Rechtslage nicht.
Im übrigen gibt es gerade in den Bereichen, die Sie ansprechen, nämlich Planung und Umweltrecht, eine Vielzahl von Beteiligungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit: Ich nenne nur das weitgehend öffentliche Genehmigungsverfahren nach § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, das Genehmigungsverfahren nach § 7 des Atomgesetzes, Planfeststellungsverfahren für Straßen, Wasserstraßen und Schienenwege, Flächennutzungsplanverfahren, Raumord-



Dr. Blens
nungsverfahren, Bebauungsplanverfahren und Flurbereinigungsverfahren.
Es geht nur darum, daß die jeweils Interessierten von den vorhandenen Möglichkeiten auch tatsächlich Gebrauch machen.

(Abg. Frau Saibold [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106506500
Herr Abgeordneter — —

Dr. Heribert Blens (CDU):
Rede ID: ID1106506600
Nein, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage mehr zu. Wir haben Freitagmittag, und alle wollen nach Hause.
Die Frage, um die es hier geht, ist, ob jeder x-beliebige Mann aus jedem x-beliebigen Grund jede x-beliebige Verwaltungsakte aus dem Bereich Umwelt-und Planungsrecht zu jeder Zeit einsehen kann oder nicht. Ich sage Ihnen die Antwort der CDU/CSU-Fraktion: Wir lehnen das ab.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr vernünftig!)

Ich will hier dafür nur zwei Gründe anführen: Das erste ist ein verfassungsrechtlicher Grund. Sie wollen nicht nur das Akteneinsichtsrecht für Bundesbehörden, sondern auch für Landes- und Gemeindebehörden regeln. Dafür fehlt dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit. Ich verweise insofern auf den Beschluß des Bundesrates vom 16. Oktober 1987 zum Hamburger Entwurf eines Gesetzes zum Auskunftsrecht über Umweltdaten. Die dort genannten Gründe gelten auch hier ohne jede Einschränkung.
Der zweite Grund ist der entscheidende: Wenn das Gesetz würde, würden Sie hier einen Verwaltungsaufwand verursachen, der dazu führen würde, daß die Verwaltung nicht mehr das tun könnte, was sie an sich tun muß, nämlich den Umweltschutz voranbringen.
Sie selbst sagen ja in Ihrem Gesetzentwurf, die Bürger sollten vieltausendfach vom Akteneinsichtsrecht, das Sie fordern, Gebrauch machen. Ich will Ihnen einmal an einem praktischen Beispiel zeigen, wohin das führt: Ich gehe aus von dem Bürger Meyer aus Hamburg, Lehrer, Mitglied der GRÜNEN. Er hat große Ferien, kann aber nicht nach Italien in den Urlaub fahren, weil seine Freundin als freie Mitarbeiterin des Norddeutschen Rundfunks

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Die ist von den Schwarzen da oben doch längst entlassen!)

gerade eine Reportage über Probleme von Frauenselbsthilfegruppen in der Hafenstraße zu drehen hat. So, was macht er? Er fährt statt ans Mittelmeer nach Köln, geht dort ins Rathaus zum Standesbeamten und sagt: Da soll in Köln irgendwo ein größeres Gebiet saniert werden. Ich hätte gerne die Akten eingesehen.
Was passiert? Der Standesbeamte hat nach § 12 Abs. 3 Ihres Entwurfs Herrn Meyer zu beraten und zu unterstützen, damit der Herr Meyer feststellen kann, welches Sanierungsgebiet er überhaupt meint. Nun, es ist das Sanierungsgebiet Severinsviertel; das ist das größte, das wir in Köln haben. Sodann hat der Standesbeamte nach § 12 Abs. 2 die zuständige Behörde zu ermitteln und dem Herrn Meyer diese Behörde zu benennen; das ist in der Stadt Köln das Amt für Stadterneuerung. Das führt über das Sanierungsgebiet Severinsviertel etwa 100 Aktenordner. Jeder Aktenordner hat 500 Seiten. Das sind 50 000 Seiten Akten.
Herr Meyer geht nun zum Amt für Stadterneuerung und erklärt, er wolle die Akten über das Sanierungsgebiet Severinsviertel einsehen. Dann ist ihm diese Akteneinsicht nach § 14 Ihres Gesetzentwurfs unverzüglich, und zwar nach § 13 Abs. 1 in den Räumen des Amtes für Stadterneuerung, zu gewähren. Dabei ist die Behörde nach § 13 Abs. 1 Satz 2 verpflichtet, ihm ausreichende räumliche und sachliche Möglichkeiten zur Durchführung der Akteneinsicht zur Verfügung zu stellen. Wenn Herr Meyer alleine kommt, geht das. Wenn mehrere Lehrer in den großen Ferien kommen, wird das natürlich schwierig.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Nunmehr hat der zuständige Beamte zu prüfen, ob für alle Akten oder für Teile von Akten das Akteneinsichtsrecht nach dem §§ 5 bis 8 des Gesetzentwurfs ausgeschlossen ist. Dazu muß er nach einer Zählung des früheren Staatssekretärs von Schoeler 17 Einzelpunkte prüfen, was bei einem Aktenbestand von 100 Aktenordnern über das Sanierungsgebiet mit etwa 50 000 Seiten schon ein ganz schönes Stück Arbeit ist. Vor allem muß er sehr schnell arbeiten, denn nach § 15 Abs. 1 muß er Herrn Meyer innerhalb von zwei Wochen bescheiden.
Will er nun Herrn Meyer die Einsicht in einen Teil der Akten verweigern, so hat er das nach § 16 Abs. 1 schriftlich zu begründen, und nach § 16 Abs. 2 hat er in der Begründung den Akteninhalt mitzuteilen, was bei 100 Aktenordnern keine leichte Sache ist.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Im übrigen hat der Beamte die geheimzuhaltenden Aktenteile nach § 9 Abs. 2 zu schwärzen oder auf andere Weise unkenntlich zu machen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Bohl [CDU/ CSU]: Grünen!)

Da er diese Teile dann aber auch selbst nicht mehr lesen kann, wird er eher dazu neigen, die entsprechenden Aktenteile nach § 9 Abs. 3 aus den 100 Aktenordnern abzutrennen und — das steht nicht im Gesetzentwurf — nachher wieder einzusortieren.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Was tut nun Herr Meyer? Er wird sich mit der Beschränkung seines Akteneinsichtsrechts natürlich nicht zufriedengeben, sondern Widerspruch einlegen, über den nach § 15 Abs. 1 Satz 2 innerhalb von drei Wochen zu entscheiden ist. Sollte die Dreiwochenfrist um einen Tag überschritten werden, wird er nach § 22 eine einstweilige Anordnung beantragen, über die das Verwaltungsgericht auch schon vor Klageerhebung zu entscheiden hat. Anschließend wird er nach § 21 Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht erheben, damit auch die Richter beschäftigt sind.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ungeachtet dessen, meine Damen und Herren, wird Herr Meyer, um seine Schulferien sinnvoll zu nutzen, den ihm zugänglichen Teil der 100 Aktenordner einsehen. Er wird zunächst verlangen, daß ihm gemäß



Dr. Blens
§ 13 Abs. 5 Satz 2 Auskunft über Umfang, Aufbau und Grundzüge der Akten erteilt wird. Er wird weiter nach § 13 Abs. 5 Satz 1 neben der Akteneinsicht mündliche Auskunft verlangen. Da es unmöglich ist, den Inhalt von 100 Aktenordnern im Kopf oder auf dem Notizblock festzuhalten, wird Herr Meyer verlangen, daß ihm nach § 13 Abs. 3 von dem Beamten Ablichtungen der Akten oder von Teilen derselben angefertigt und zur Verfügung gestellt werden.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Frage, wie er die Ablichtungen von 100 Aktenordnern dann nach Hamburg transportiert, ist im Gesetzentwurf nicht geregelt, kann aber natürlich während der Ausschußberatungen nachgeholt werden.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Bohl [CDU/ CSU] : Telefax!)

Das Ergebnis: Herr Meyer hat die Akten eingesehen, fand das sehr interessant und hat das Gefühl, seine Ferien sinnvoll verbracht zu haben. Er hat mehrere Beamte mehrere Wochen daran gehindert, die Sanierung voranzubringen, was eigentlich ihre Aufgabe ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Bohl [CDU/CSU]: Das alles nur, wenn es keinen Warnstreik gibt! — Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nein, ich bin jetzt fast am Ende.
Das Ergebnis für uns, die CDU/CSU-Fraktion: Wir sind nicht bereit, einem allgemeinen Akteneinsichtsrecht zuzustimmen, das einen Verwaltungsaufwand verursacht, der die Verwaltung von der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgaben abhält.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Nicht in die Karten gucken lassen!)

Für uns gilt der Grundsatz: Statt Akteneinsicht über Sanierung machen wir Sanierung. Statt Akteneinsicht über Umweltschutz machen wir Umweltschutz. Wir werden die Verwaltungen davor bewahren, sich mit Formalien für Öko-Institute und andere Leute zu beschäftigen, statt der Umwelt zu dienen. Uns geht es um die Umwelt und die Verbesserung der Umwelt. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106506700
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg (Berlin).

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID1106506800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, daß wir bei den bisherigen Redebeiträgen zu diesen Gesetzentwürfen in beiden Fällen ein Happening zu verzeichnen hatten. Der erste Beitrag, der sehr engagiert war, hat das gesamte umweltpolitische Elend dieser Welt auf zwei Gesetzentwürfe transponiert. Das war allerdings ein bißchen überzogen. Es konterkariert auch ein wenig den seriösen Ansatz insbesondere des Akteneinsichtsrechts. Im übrigen halte ich diesen Gesetzentwurf für sehr wichtig.
Ihnen, Herr Blens, muß ich sagen: Erst einmal freue ich mich darüber, daß Sie den Vortrag von Andreas von Schoeler in der Friedrich-Ebert-Stiftung gelesen haben; er hat all diese Punkte, die Sie vorgetragen haben, auseinandergefieselt.

(Dr. Blens [CDU/CSU]: Aber nicht so genau!)

Aber er ist zu einem anderen Schluß gekommen, und sein Ansatz war ein anderer; es war eine seriöse Auseinandersetzung mit diesem Gesetzentwurf der GRÜNEN. Ich will versuchen, den Entwurf auch in diesem Zusammenhang zu diskutieren. Denn eines ist richtig: Wenn diese Gesellschaft — —

(Dr. Hirsch [FDP]: Wen wollen Sie denn zitieren?)

— Sie auf jeden Fall nicht, Herr Hirsch!

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106506900
Herr Wartenberg, da Sie gerade unterbrochen wurden, frage ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner gestatten.

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID1106507000
Ja, bitte.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1106507100
Ich wollte eigentlich die Zwischenfrage schon Herrn Blens stellen; jetzt stelle ich Sie Ihnen: Herr Kollege Wartenberg, haben Sie Informationen darüber, ob die sehr harsche und brüske Ablehnung der Initiative der GRÜNEN durch die CDU/CSU mit dem künftigen Koalitionspartner der GRÜNEN, nämlich Herrn Ministerpräsidenten Späth, abgestimmt worden ist?

Gerd Wartenberg (SPD):
Rede ID: ID1106507200
Da in der CDU/CSU im Augenblick überhaupt nichts mehr abgestimmt ist, wird, glaube ich, auch dies nicht abgestimmt sein.
Meine Damen und Herren, ein Akteneinsichtsrecht — das heißt: in großem Maße ein Recht auf Information — ist letzten Endes eine Voraussetzung dafür, daß sich das Volk entsprechend Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes selbst regieren kann. Aus diesem Grunde erfordert das Demokratiegebot des Art. 20 des Grundgesetzes die Information des Bürgers besonders über Vorgänge, die sich innerhalb des staatlichen Apparates abspielen, denn nur auf diese Weise ist es dem Volk als dem Träger der Staatsgewalt möglich, diese auch zu kontrollieren. Da liegt in unserer Gesellschaft ein Manko. Das kann man ganz eindeutig feststellen. Wenn man sieht, was in anderen Ländern, etwa in den skandinavischen Staaten oder auch in Amerika mit dem „freedom of information act", heute vorhanden ist, muß man sagen, daß dies eine wichtige und seriöse Debatte ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich denke, diese Feststellung muß man an den Anfang einer solchen Auseinandersetzung stellen.
Wer ein echtes Akteneinsichtsrecht gewährleisten will, muß damit rechnen, auf erheblichen Widerstand zu stoßen — das ist eben deutlich geworden — , und zwar auf um so heftigeren, je wirksamer, je effektiver der Informationszugang zu werden droht. Da muß man mit einer Allianz von Wirtschaft und Verwaltung rechnen. Es wird der Wirtschaft keineswegs verborgen bleiben, daß es beim Informationszugang in vie-



Wartenberg (Berlin)

len Fällen um ihre eigenen Projekte geht, auf die sich das Interesse des Bürgers richten wird.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Richtig!)

Von der öffentlichen Verwaltung wird ein allgemeines Informationszugangsrecht selbstverständlich als eine ebenso allgemeine Mißtrauenserklärung verstanden werden. Dies sind die beiden Eckpunkte, die in der Auseinandersetzung natürlich eine große Rolle spielen werden.
Der Gesetzentwurf, den die Fraktion DIE GRÜNEN vorgelegt hat, beschränkt sich auf das Einsichtsrecht in Umweltakten. Trotzdem ist das Grundproblem nicht ein umweltpolitisches. Es ist ein Problem des Verhältnisses des Bürgers zur Verwaltung, und es geht um die daraus resultierenden Probleme.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Deswegen kann man den Entwurf nur als ein Pilotprojekt für ein allgemeines Akteneinsichtsrecht werten, wenn auch im Augenblick der Topos Umwelt im Mittelpunkt steht.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Der erste Schritt!)

Ich halte das übrigens sogar für vom Ansatz her richtig, um die Diskussion vom Himmel auf die Erde zu holen, weil die allgemeine Diskussion über das Akteneinsichtsrecht eigentlich schon sehr viele Jahre läuft, ohne daß man einen Schritt weitergekommen ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich will aber versuchen, einmal die Schwierigkeiten, die in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, deutlich zu machen, und ich will das nicht im Sinne eines Reichsbedenkenträgers tun, der sich, wie es Herr Blens gemacht hat, einfach lustig macht oder das wenigstens versucht. Das bringt alles nichts. Das Interessante an diesem Geseztentwurf ist ja, daß die Schwierigkeiten, die dabei tatsächlich auftreten, auch erkannt worden sind und in Paragraphen umgesetzt werden. Das führt dann natürlich zu schwierigen Prüfvorgängen. Das heißt, der Gesetzentwurf ist ehrlich, und das ist bei einer so schwierigen Materie relativ selten. Es ist also nicht nur ein Schaumantrag. Allerdings muß man die Frage prüfen: Führt das letzten Endes weiter?
Es gibt im allgemeinen Teil der Begründung des Gesetzentwurfs eine Schilderung des typischen Falles der Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts. Es heißt dort:
Ein Bürger oder eine Bürgerin erhält Kenntnis von einem ihn oder sie interessierenden Vorgang. Er oder sie sucht ohne Voranmeldung die zuständige Behörde auf und bittet um Akteneinsicht. Ein Sachbearbeiter, der den Akteninhalt kennt, überprüft kurz die Akten im Hinblick auf Daten- und Geheimnisschutz sowie behördliche Schutzinteressen, bevor die Akten der Einsicht begehrenden Person herausgegeben werden. Dem Einsichtbegehrenden werden zugleich im Geschäftszimmer Tisch und Stuhl zur Verfügung gestellt.
— Wahrscheinlich stehen auch Blumen auf dem Tisch. —
Er kann nach Wunsch aus den Akten Notizen machen oder Ablichtungen anfordern.
Das ist sozusagen die Idealvorstellung, die in diesem Gesetz formuliert worden ist.
Ich komme nun zu den Punkten, die Andreas von Schoeler einmal aufgelistet hat. Da geht es zunächst einmal um zehn allgemeine Prüfvorgänge: Wer ist dafür zuständig? Welche Rechte werden tangiert? Es kommen 20 Punkte hinzu, wenn eine Firma in diesem Zusammenhang erwähnt ist. In Spezialfällen kommen noch einmal zehn Punkte hinzu.
Man kann natürlich sagen, in dieser Begründung des Gesetzentwurfs der GRÜNEN sei eines vergessen worden: Es dürfen nicht nur Tisch und Stuhl angeboten werden, sondern Feldbett und Spirituskocher müssen dem Bürger auch hingestellt werden, denn die Prüfvorgänge dauern Wochen.
Die Schwierigkeit, vor der wir stehen, betrifft die Frage: Wie hoch ist der Verwaltungsaufwand? Kann dieser ungeheure Verwaltungsaufwand, der dort entsteht, mit den Zielen des Informationszugangs gerechtfertigt werden? Ich glaube, daß man trotz dieser Schwierigkeiten versuchen muß, diesen Ansatz weiter zu diskutieren. Man muß in der Ausschußdebatte seriös abklären: Was ist akzeptabel? Wo kann es vielleicht noch reduziert werden? Ohne eine Konzentration auf diese schwierigen Punkte, wie es im Gesetz ehrlicherweise geschieht, wird man wahrscheinlich keinen Schritt weiterkommen.
Ein allgemeines Akteneinsichtsrecht ist unbestreitbar eine neue Verwaltungsaufgabe, die zusätzlichen Verwaltungsaufwand erfordert, und zwar um so mehr, je stärker dieses Recht vom Bürger wahrgenommen wird.
Man weist auf Amerika und auf Schweden hin und sagt: In diesen Ländern ist es auch so, und trotzdem bricht die Verwaltung dort nicht zusammen. Sie existiert in diesen Ländern ja mehr oder weniger gut. Dieses Argument sticht nicht ganz, weil man weiß, daß in diesen Ländern nur ganz bestimmte Gruppen das Informationszugangsrecht wahrnehmen. In den USA sind es im wesentlichen Industrieunternehmen, in Schweden ist es überwiegend die Presse. Der Bürger kümmert sich in diesen beiden Ländern also relativ wenig darum.
Wer allerdings will, daß der Bürger dieses Recht in ausreichendem Maße in Anspruch nimmt, muß damit rechnen, daß der Verwaltungsaufwand ganz immens sein wird. Trotz dieser Schwierigkeiten sind die Ziele, die mit dem Akteneinsichtsrecht erreicht werden sollen, so wichtig, daß wir alles versuchen sollten, die dargestellten Schwierigkeiten zu überwinden.
Zum Schluß möchte ich sagen: Es sind allerdings auch andere Möglichkeiten denkbar, die zumindest nicht aus der Diskussion ausgeschlossen werden sollten. Die eine Möglichkeit besteht darin — sie bewegt sich auf einem niedrigeren Level — , das Verwaltungsverfahrensgesetz zu novellieren, um das Akteneinsichtsrecht für Verfahrensbeteiligte wirksamer zu machen. Dazu sollte dann ein In-camera-Verfahren gehören, um z. B. die Berücksichtigung der daten-



Wartenberg (Berlin)

schutzrechtlichen Gesichtspunkte gegenüber den Sicherheitsbehörden zu verbessern.
Eine zweite Möglichkeit wäre, daß man auf das Akteneinsichtsrecht für jedermann verzichtet. Um dennoch das Ziel der demokratischen Kontrolle des Verwaltungshandelns nicht aus den Augen zu verlieren, muß dann diskutiert werden, ob uns ein Akteneinsichtsrecht für Parlamentarier auf allen parlamentarischen Ebenen dem Ziel einer effektiveren und öffentlicheren Kontrolle der Verwaltung nicht wenigstens einen Schritt weiterbringt. Dem Ziel der direkten Demokratie, das in diesem Gesetzentwurf angesprochen ist — ich glaube, das sollte man auch am ehesten anstreben —, kann man den parlamentarischen Ansatz entgegensetzen. Ich glaube, wir sollten bei dieser Diskussion nicht von vornherein den parlamentarischen Ansatz beiseite lassen.
Insgesamt gesagt: Ich halte diesen Gesetzentwurf der GRÜNEN für einen wichtigen Schritt im Hinblick auf die Beteiligung der Bürger und die Durchsetzung ihrer Rechte. Wir sollten diesen Gesetzentwurf in den Ausschüssen ernsthaft diskutieren und — auf welchem Weg auch immer — versuchen, in dieser Legislaturperiode konkret in dieser so wichtigen Materie einen Schritt weiterzukommen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106507300
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1106507400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Grunde genommen, Herr Wartenberg, können wir uns alle selber zitieren; denn dieselbe Debatte haben wir am 13. November 1986 zu einem wortgleichen Gesetzentwurf geführt. Es hat mich interessiert, daß Sie am Schluß Ihrer Ausführungen zu einem Punkt gekommen sind, den damals auch ich genannt habe, nämlich: Es ist ganz bemerkenswert, daß dieser Gesetzentwurf, der in der Sache interessanter ist als die Begründung, die wir hier heute gehört haben, einen ganz außerparlamentarischen Ansatz hat, daß er keinen Gedanken verschwendet auf die Möglichkeit, auch auf die Notwendigkeit einer intensiven parlamentarischen Kontrolle und statt dessen mit großer Bedingungslosigkeit auf diesen Tribunaleffekt setzt. Die Vorstellung ist also: Finstere Mächte verhindern jede Entwicklung des Umweltschutzgedankens. Und an diese Stelle setzen wir den öffentlichen Druck, das Tribunal, die Anklage, um diese Verschwörung finsterer Mächte in einer perfektionistischen bürokratischen Weise zu durchbrechen, wie Herr Blens das hier vorgetragen hat.
Es kann doch gar kein Zweifel darüber sein, daß der Gesetzentwurf eine Fülle von praktischen Problemen aufwerfen würde, die Sie hier etwas karikierend, aber in der Sache zutreffend dargestellt haben: die Abgrenzung zwischen einsehbaren und anderen, nicht einsehbaren Vorgängen, die Notwendigkeit, den privaten Bereich Dritter ebenso zu schützen wie Geschäfts- und Unternehmensgeheimmisse, der Arbeitsaufwand, die Kosten. Man muß sich also wirklich fragen, ob dieser Gesetzentwurf, wenn man ihn verwirklichte, zu einer schnelleren Lösung von Umweltproblemen führen würde. Da sind Zweifel angebracht.
Wir wissen aus der praktischen Anwendung des Freedom of Information Act in den Vereinigten Staaten — das hat Herr Wartenberg auch angedeutet —, daß das in der Tat zu einer vergrößerten Inanspruchnahme der Akteneinsicht nicht durch Bürger geführt hat, sondern eher durch Interessenten und Interessenverbände, im vorliegenden Zusammenhang also durch Unternehmen, die ihrerseits Ansichten und Kenntnisstand der Verwaltung in jedem Detail erfahren können, während sie ihre eigenen Vorgänge natürlich sorgsam abschotten können.
Was das öffentliche Interesse angeht: Ich habe vor Jahren in Nordrhein-Westfalen dafür gesorgt, daß die Katastrophenschutzpläne für die Gebiete um Kernkraftwerke für jedermann zum Einblick offengelegt wurden. Der Erfolg war außerordentlich enttäuschend. Davon ist kaum Gebrauch gemacht worden.

(Dr. Penner [SPD]: Wie bei Haushaltsplänen!)

Ich habe in der Debatte vom November 1986 auch darauf hingewiesen, daß in der Wirklichkeit viele umweltrelevante Lösungen nicht durch staatliche Vollzugsanordnungen durchgesetzt werden, sondern dadurch, daß Unternehmen, die große Investitionen planen, damit zu den Genehmigungsbehörden gehen und mit großer Offenheit darstellen, welche Investitionsabsichten, welche Pläne sie haben, und dann versuchen, sich auf eine vernünftige Weise zu verständigen, auch über die Schritte, in denen Investitionen zu Umweltverbesserungen führen sollen, also einverständliche Lösungen anstreben. Solche Erörterungen werden nach meiner Befürchtung dann außerordentlich schwierig, wenn das Unternehmen damit rechnen muß, daß zu jeder Zeit solche Verhandlungen in allen Details in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Das führt, jedenfalls bei Großinvestitionen, eher zum Mauern als zu einer wirklich offenen Zusammenarbeit. Das ist eine Aufgabe, wo natürlich die parlamentarische Kontrolle gefragt ist, was sie tun kann, um die Verwaltung zu beschleunigen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Wenn die Umweltbelange mit bedacht werden, braucht man diese Angst nicht zu haben!)

— Diese Diskussion haben Sie schon vorhin etwas scherzhaft geführt. Wir haben uns ja um Umweltprobleme, also um das Grün, schon sehr viel eher gekümmert, als es die GRÜNEN gab, alle Fraktionen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das merkt man ja jetzt!)

Sie sind im Grunde genommen die Schaumkrone auf der Welle des Umweltbewußtseins, die wir erzeugt haben, die wir durch Handeln und, ich räume ein, auch durch Unterlassen erzeugt haben. Dabei fällt es Ihnen natürlich sehr leicht, den Eindruck zu erwekken, als ob man eine Entwicklung, die 150 Jahre gedauert hat,

(Zuruf von den GRÜNEN: Schaum auf den Flüssen, Herr Hirsch!)




Dr. Hirsch
in der Art einer Vollbremsung von heute auf morgen verändern könnte,

(Dr. Nöbel [SPD]: So ist es!)

ohne daß es katastrophale Auswirkungen für viele Menschen in diesem Lande gibt. Das muß man schon sehen. Und das sehen Sie nicht. Sie haben es leicht, weil Sie nirgendwo in der Verantwortung stehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106507500
Gestatten Sie, Herr Dr. Hirsch, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1106507600
Aber selbstverständlich. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.

Hubert Kleinert (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106507700
Herr Hirsch, wenn wir schon einmal der Einfachheit halber davon ausgehen, daß Sie tatsächlich schon so etwas wie Umweltpolitik in den 70er Jahren gemacht haben:

(Dr. Hirsch [FDP]: Aber ich bitte Sie!)

Würden Sie dann einräumen, daß dabei ziemlich wenig praktisch herausgekommen ist?

(Baum [FDP]: Nein! Das ist eine hochmütige Position!)


Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1106507800
Nein, das räume ich überhaupt nicht ein. Denken Sie — ich kann das nur an Personen darstellen — an Reinhold Maier: reines Wasser, Willy Brandt: blauer Himmel über der Ruhr, oder Herbert Gruhl über den geplünderten Planeten. Wissen Sie eigentlich selber, wie das Ruhrgebiet vor 20, 25 Jahren ausgesehen hat? Ich habe in einem Stahlwerk gestanden, muß ich Ihnen sagen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Wie lange denn?)

— Das kann ich Ihnen privat gerne erzählen. — Da hatten wir den sogenannten braunen Rauch. Da haben wir in Oberhausen an dem Graef-Rotor mit Gasmasken gestanden; das kennen Sie alles nicht mehr. Das war, als die Leute noch sagten: Wenn der Schornstein raucht, ist das ein Zeichen von Prosperität. Das ist alles vorbei. Sie können heute durch das Ruhrgebiet fahren und sehen nirgendwo mehr braunen Rauch. Oder denken Sie an Wasserreinhaltung.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Heute sieht man es nicht mehr so!)

Sie haben die Vorstellung, es sei nichts geschehen. Bedauerlicherweise wird das von Ihnen so dargestellt, weil Sie dem Bürger nicht sagen müssen, daß es wichtig ist, Umweltveränderungen in den maximal möglichen Schritten zu vollziehen, die aber gleichzeitig dazu beitragen, daß wir unseren Lebensstandard, an dem ja auch Sie partizipieren — selbst wenn Sie vielleicht mit dem Fahrrad zum Bundeshaus fahren, wie ich hoffe —, erhalten und daß wir uns weiter erhalten. Wir müssen beide Probleme lösen. Wir können nicht glauben, eine Entwicklung, die wirklich 100, 150 Jahre gedauert hat, in der Art einer Vollbremsung von heute auf morgen verändern zu können und das Bewußtsein der Bevölkerung verändern zu können,
ohne die sich in der Wirklichkeit überhaupt nichts bewegen läßt.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Akteneinsicht ist keine Vollbremsung! — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Man muß das Bewußtsein der Regierungen verändern!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106507900
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen einen Teil der Zeit anrechnen müssen. Das war eine schöne lange Antwort, aber sie gehörte auch zur Rede. Ich bin gerne bereit, noch einmal zu unterbrechen, da Herr Nöbel eine Frage stellen möchte.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1106508000
Es ist schwierig, hier zu debattieren, aber bitte.

Dr. Wilhelm Nöbel (SPD):
Rede ID: ID1106508100
Herr Kollege Dr. Hirsch, ist Ihnen bekannt, daß im Wahlprogramm der GRÜNEN von 1980 der Begriff Waldsterben nicht vorkam?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1106508200
Es war mir nicht bekannt, aber nun weiß ich es.

(Heiterkeit) Es ist interessant für uns.

Ich wollte noch sagen: Es ist zweifellos richtig, daß eine große Offenheit und größere Öffnung der Verwaltung gegenüber dem Bürger einem modernen und liberalen Verständnis des Verhältnisses zwischen Verwaltung und Bürger mehr entspricht als die ängstliche Verwahrung auch solcher Vorgänge, die ohne Gefährdung individueller Rechte veröffentlicht werden können. Der Hamburger Senator Kuhbier hat bei der Diskussion eines Gesetzes im Bundesrat mit Recht darauf hingewiesen, daß manche Veröffentlichungen umweltrelevanter Vorgänge zu einer wesentlichen Beschleunigung des Verwaltungshandelns geführt haben. Es ist interessant, daß der Bundesrat in seiner Entschließung ausdrücklich bestätigt hat, daß wirksame Fortschritte im Umweltschutz ein hohes Umweltbewußtsein der Bevölkerung, ihr Engagement für den Umweltschutz voraussetzen und daß Grundlage dafür eine umfassende, offene und rasche Information der Bürger sein muß.
Nun wird in diesem Zusammenhang mit Stolz immer wieder darauf hingewiesen, daß viele umweltrelevante Gesetze Öffnungs-, Mitteilungs- und Informationsrechte enthalten. Ich habe den Eindruck, daß das in einer sehr unvollkommenen Weise der Fall ist. Denken Sie an die Wasserbücher, bei denen einzelne Länder Einblick gewähren, in denen man dann aber nur sieht, was eingeleitet werden darf, aber nicht, was tatsächlich eingeleitet wird. Man muß sagen, daß es Staaten gibt

(Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

— nun hören Sie doch einmal einen Augenblick zu! —, in denen Unternehmen mit großem Stolz ihre Umweltdaten veröffentlichen, indem sie Monitore haben, die in einer zentralen Stelle die Ergebnisse der Messungen an den Schornsteinen sofort, ohne Zwischenschaltung veröffentlichen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr schön!)

Sie sind sehr stolz darauf, wenn sie positive Emissionsdaten haben. Man wird also tatsächlich überlegen



Dr. Hirsch
müssen, wie wir eine solche Haltung, also eine größere Öffnung auch der Unternehmen bei der Veröffentlichung ihrer Emissionswerte, erreichen und geradezu zu einem Standard einer modernen Industrie machen können.
Nur ist dieses Ziel nicht auf eine solche perfektionistische Weise zu erreichen, wie das in dem vorgelegten Gesetzentwurf versucht wird. Ich denke, wir müssen mehr überlegen, wie wir die parlamentarische Kontrolle im Umweltbereich — bis hin zur Akteneinsicht — effektiver und stärker machen können.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Machen Sie einmal einen Vorschlag!)

— Wir wollen im Rahmen der Beratung dieses Gesetzentwurfes in der Tat die Bundesregierung bitten, einmal die Öffnungsvorschriften und Informationsregeln, die es ja gibt, darzustellen und zu sagen, welche praktischen Erfahrungen wir damit gemacht haben,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das ist wenig, Herr Hirsch! Das hätten Sie schon lange machen können!)

und daraus Folgen zu ziehen.
Eine größere Öffnung der Verwaltung gegen den Bürger ist ein altes liberales Anliegen. Wir haben den Eindruck, daß das vorgelegte Gesetz mehr Probleme schafft als löst. Aber wir werden die Beratung dieses Gesetzes benutzen, um dem Ziel einer größeren Öffentlichkeit auf realistische Weise näherzukommen. In diesem Sinne werden wir der Überweisung dieses Entwurfs an die Ausschüsse zustimmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106508300
Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.

(Abg. Häfner [GRÜNE] begibt sich nicht sofort zum Rednerpult — Zurufe von der CDU/ CSU: Ist er nicht da? — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Kommt schon! — Seiters [CDU/ CSU]: Sonst hätten wir ihn herbeigerufen!)


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1106508400
Ich bitte um Verzeihung. Ich hatte schon zu Beginn der Debatte, aber insbesondere nach den gezielten Fragen des Herrn Kollegen Hirsch damit gerechnet, daß einer der Herren Bundesminister das Wort ergreift.

(Baum [FDP]: Kommt noch!)

— Ganz zum Schluß, wenn man nicht mehr reagieren kann. Das ist bewährt.

(Baum [FDP]: Dem Parlament soll nicht vorgegriffen werden!)

— Ich sage das auch deshalb, weil Herr Töpfer vorhin ja direkt angesprochen wurde. Mich würde einfach interessieren, wie es jemandem geht, der behauptet, Umweltpolitik machen zu wollen, wenn ihm nicht nur aus seinen eigenen Entwürfen alles herausgestrichen wird, sondern wenn hier im Parlament ein solch wichtiger Ansatz — der beispielsweise 1979 von den 22 Mitgliedstaaten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates als ein Recht eingefordert wurde, das in allen Nationalstaaten Europas umzusetzen wäre — jedenfalls von seiten der Koalition so unwürdig behandelt wird.
Ich will ein paar Sätze zu Ihnen, Herr Hirsch, sagen, und natürlich auch zu Ihnen, Herr Präsident, meine einigen Herren und wenigen Damen, die Damen bei den GRÜNEN. — Nein, Frau Weyel ist da. Entschuldigen Sie herzlich.

(Dr. Nöbel [SPD]: Was bilden Sie sich eigentlich ein! Das ist unglaublich!)

Ich begrüße Frau Weyel persönlich und besonders und entschuldige mich.
Herr Hirsch, Sie haben gesagt: Wir haben schon Umweltschutz gemacht, als es die GRÜNEN noch gar nicht gab. Es ist schwer, auf dieses Argument einzugehen. Entschuldigen Sie, daß ich das sage: Es ist einfach peinlich.

(Baum [FDP]: Peinlich für Sie, ja! — Dr. Nöbel [SPD]: Was soll das denn hier? Ich lasse mich von dem nicht beleidigen!)

Ich finde es peinlich. Rein menschlich kann ich verstehen, daß man immer erst zweimal auf die Schulter geklopft werden und gedankt bekommen möchte,

(Baum [FDP]: Wollen wir gar nicht!)

daß man früher schon einmal etwas gemacht hat, bevor man über Aktuelles und Notwendiges spricht.

(Baum [FDP]: Wir weisen nur Ihre Angriffe zurück!)

Aber das, Herr Hirsch, wollen Sie doch nicht behaupten: daß alles schon geregelt sei, daß man nichts mehr zu tun brauche, daß mit dem Wenigen — es war außerordentlich wenig, was Sie damals gemacht haben —

(Baum [FDP]: Immerhin etwas! Jetzt wissen wir es!)

alle Umweltprobleme gelöst seien.

(Baum [FDP]: Wer sagt denn das? — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Dann hätten wir die Probleme heute nicht so!)

Im Gegenteil: Die Umweltprobleme nehmen zu. Sie verlangen Antworten.
Was mich besonders traurig macht: Zu unserem Grundsätzlichen — der Abgeordnete Wartenberg hat das sehr wohl verstanden und aufgegriffen — , nämlich dem demokratietheoretischen und, so will ich bewußt auch sagen, demokratiepraktischen Ansatz in diesem Gesetzentwurf haben Sie kein Wort gesagt,

(Dr. Hirsch [FDP]: Haben Sie auch das Rad erfunden?)

obwohl die Freie Demokratische Partei 1980 in ihrem Bundesprogramm genau diese Forderung auf genommen hatte.

(Baum [FDP]: Nein, nicht genau!)

Das war zu den Zeiten, als es in der FDP noch Liberale gab. Es war ein Ansatz der Liberalen,

(Baum [FDP]: Anders!)

Herr Hirsch, auch früher schon, vor 1980, als es die
Liberalen auf der politischen Bühne noch gab. Es geht



Häfner
im Unterschied zu dem, was Sie gesagt haben, nicht nur darum, die Repräsentanten mit Informationen auszustatten, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger selber. Hier stellt sich die Frage, welches Bild wir überhaupt und grundsätzlich vom demokratischen Staat haben.

(Dr. Hirsch [FDP]: Sie haben nicht einmal zugehört! Sehr bedauerlich!)

Ich will kurz noch auf das eingehen,

(Dr. Nöbel [SPD]: Bis jetzt hat er noch nichts gesagt!)

was der Herr Blens hier gesagt hat, abgesehen davon, daß ich es nicht ganz lauter finde, vorzulesen und zu zitieren, wenn man noch nicht einmal den Autor nennt, den man hier zitiert.

(Dr. Blens [CDU/CSU]: Wieso denn eigentlich? Wie kommen Sie dazu?)

Aber es ist offenbar die allerschlimmste Vision, Herr Blens — —

(Dr. Blens [CDU/CSU]: Begründen Sie mal Ihre Behauptung!)

— Sie können sich übrigens gern zu einer Zwischenfrage melden. Ich halte Dialog für sehr vernünftig. Aber schreien Sie nicht immer dazwischen, Herr Blens.

(Baum [FDP]: Sagen Sie das mal Frau Unruh!)

Das ist außerordentlich irritierend. Stellen Sie eine Frage.

(Dr. Nöbel [SPD]: Sagen Sie doch endlich einmal etwas!)

Es ist offenbar die schlimmste Vision für eine deutsche Verwaltung, daß ein Bürger kommt und einmal nachgucken will, was die da überhaupt machen. Eine schlimmere Vision gibt es gar nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn das so schlimm wäre, wie Sie es darstellen, dann frage ich mich, wieso das eigentlich selbstverständlicher Standard in den USA, in den Niederlanden, in Schweden, in Norwegen, in Finnland, in Frankreich, in Belgien, in Australien, in Neuseeland und in vielen anderen Ländern ist. Gucken Sie sich doch einfach einmal an, wie das dort abläuft. Es ist ja wirklich eine Horrorvision, daß sozusagen jeder Bürger seine Ferien und seine Wochenenden in der Verwaltung verbringen würde. Ich kann Ihnen sagen: Es gibt Angenehmeres, als einen Nachmittag in einer deutschen Behörde zu verbringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist völlig absurd, was Sie sagen. Es gibt weiß Gott Angenehmeres, als Hunderte von Aktenbergen zu studieren. Aber in einem Fall, wo das notwendig wird, wo wirklich Umweltskandale vertuscht werden, wo die Bürger Informationen brauchen, um zu wissen, was eingeleitet wird, was genehmigt ist, was unterschlagen wird, wie hoch die Meßwerte sind usw., muß die Einsicht gewährt werden, und davon wollen Sie mit Ihren kindischen Visionen ablenken. Das finde ich, offengestanden, unlauter.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit solchen Bildern kann man jedes demokratische Recht abwürgen.
Ich denke, daß man noch einmal grundsätzlich sagen sollte: Umweltskandale werden nicht weniger, sondern ihre Zahl nimmt zu. Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen; es wird immer weiter gesägt. Die Haltung: Wir benennen einen Umweltminister und sägen dann kräftig weiter, genügt eben nicht, sondern es kommt entscheidend darauf an, was getan wird.
Darauf, was getan werden muß, bezieht sich unser grundsätzlicher Ansatz, nämlich daß die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben zu wissen, was passiert, was genehmigt ist, was getan wird. Demokratie lebt davon. Wenn es stimmt, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, dann vollzieht auch die Verwaltung, dann vollziehen die Genehmigungsbehörden Politik im Namen, im Sinne, im Auftrag der Bürger und in niemand anderes Namen. Was wir verfolgen, ist eine unsägliche Kumpanei — immer wieder — zwischen Interessen der Industrie auf der einen Seite und Verwaltung, Behörden, Politiker usw. auf der anderen Seite.
Wir erleben Skandale. Ich nenne nur Hoechst, Böhringer, ich nenne auch Nukem und Alkem. Ich nenne die ganzen Altlastenskandale, in Bielefeld, in Dortmund usw. Solche Skandale werden vertuscht, hier findet eine Kumpanei statt zwischen Behörden und denen, die die Skandale verursacht haben oder weiterhin verursachen, und den Bürgern werden die Informationen vorenthalten.
Um die Umwelt zu schützen, brauchen die Bürgerinnen und Bürger konkrete Rechte. Wir haben deshalb ein grünes Umweltpaket geschnürt, das — wie übrigens alle guten Dinge — drei Teile hat; die ersten beiden davon stehen heute auf der Tagesordnung.

(Baum [FDP]: Was ist denn der dritte Teil?)

— Herr Baum, Sie fragen: Was ist der dritte Teil? Diese Frage will ich Ihnen doch beantworten. Der dritte Teil ist ein Umweltgrundrecht, wie es z. B. unter Ihrer Federführung auch von den Liberalen einmal gefordert worden ist. Das haben Sie heute vergessen. Ich weiß nicht, ob Sie heute in dieser Debatte noch eimal das Wort ergreifen werden. Dann können Sie ja dazu Stellung nehmen. Das, was Sie jetzt als sogenanntes „Staatsziel Umweltschutz" ausbrüten, ist ein taubes Ei. Ich warte schon auf den Moment, in dem die Bürger merken, daß, wenn Sie von Ihrem Brutsessel heruntersteigen, in dem Ei nichts drin ist, daß der Kaiser keine Kleider anhat, daß es wie eine Seifenblase ist, die zerplatzt, wenn die Bürger irgend etwas damit anfangen wollen. Es ist Verfassungslyrik; insofern ist es ein Hohn auf unser Grundgesetz.
Es geht darum, daß die Bürgerinnen und Bürger konkrete Teilhaberechte bekommen. Umweltschutz, Ökologie, das ist auch eine Frage des Gesellschaftsgefüges, daß sich eben nicht alles im verborgenen abspielt. Im Unterschied zu Ihnen fordern wir nicht den gläsernen Bürger und die verdunkelte Verwaltung, sondern wir wollen den aktiven, den kritischen



Häfner
Bürger, der sich einschalten kann, und wir wollen die gläserne Verwaltung. Das ist ein sehr großer Unterschied.
Es ist eigentlich eine demokratische Selbstverständlichkeit, zu fordern, daß die Bürger in die Akten hineinsehen können, denn es ist ja nicht mehr die Verwaltung des Kaisers oder des Königs, sondern, wie ich gesagt habe, es ist die Verwaltung der Bürgerinnen und Bürger selbst, wenn man von der Grundidee der Demokratie ausgeht. Ich frage mich, was Sie an diesem Ansatz tatsächlich zu kritisieren haben.
In der Tat sind Sie auch darauf nicht eingegangen. Sie haben gesagt, Herr Hirsch — ich kann mich nicht mehr exakt an den Wortlaut erinnern — , es sei außerordentlich detailliert geregelt, und Herr Blens hat so getan, als sei dies nicht der Fall. Ich empfehle Ihnen, wie wir das gemacht haben, eine Reise in die USA oder nach Schweden, um sich das einmal anzusehen.

(Baum [FDP]: Vor 10 Jahren! — Dr. Hirsch [FDP]: Das haben wir gemacht, als Sie überhaupt noch nicht im Bundestag waren! Deswegen haben wir ja Bedenken gegen Ihren Entwurf!)

Ich empfehle Ihnen, sich mit den konkreten Erfahrungen auseinanderzusetzen.
Neben dem Akteneinsichtsrecht, das eine zentrale umweltpolitische Forderung ist, fordern die GRÜNEN das Verbandsklagerecht, das Klagerecht für Umweltverbände. Heute können nur die Betroffenen — als betroffen gelten nur die materiell betroffenen unmittelbaren Anlieger — gegen Atomkraftwerke und andere Pläne klagen. Das ist absolut nicht ausreichend; denn es sind Technologien in Vorbereitung, in Anwendung, bei denen der Kreis der Betroffenen sehr viel größer ist.
Tschernobyl z. B. hat uns alle betroffen, und die Bundesregierung hat versucht, dagegen zu klagen. So ist es in vielen Fällen, daß die Bürgerinnen und Bürger betroffen sind, weit über den Kreis derer, die heute klageberechtigt sind, hinaus. Die Naturschutzverbände, Bürgerinitiativen brauchen ein Klagerecht in Umweltfragen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Baum [FDP]: Wir haben es immerhin schon in fünf Bundesländern!)

— Wir haben es, wenn auch in meinen Augen nicht in einer ausreichenden Form. Vielleicht sehen Sie sich unseren Gesetzentwurf noch einmal an, der weiter geht.
Ich will abschließen — leider ist die Zeit schon zu Ende — mit einer Kabinettsorder von Friedrich Wilhelm III., weil man den Eindruck bekommt, wir feiern etwas ganz groß Revolutionäres, was die Bundesrepublik in das Chaos stürzen würde. Bei Friedrich Wilhelm III. heißt es am 4. Februar 1804 — das hatte damals Gesetzeskraft —, also noch vor der Reformzeit:
Wollte man eine gewisse und schickliche Art von Öffentlichkeit ganz verweigern, so würde kein Mittel übrigbleiben, die Nachlässigkeit oder Treulosigkeit öffentlich angestellter Staatsdiener aufzudecken. Hingegen bleibt diese Öffentlichkeit das sicherste Mittel sowohl für die Regierung selbst als auch für das Publikum gegen die Sorglosigkeit oder die unlauteren Absichten der Behörden, und sie verdienen daher ins Wort genommen zu werden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Hirsch [FDP]: Gab es damals ein Parlament, Herr Kollege?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106508500
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Jetzt traut er sich erst! Das ist doch erbärmlich!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1106508600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stellungnahme der Bundesregierung wird zusätzlich noch Herr Kollege Engelhard hier abgeben. Ich will nur in aller Kürze drei Anmerkungen machen.
Erstens. Bei dem, was Frau Abgeordnete Vennegerts hier vorgetragen hat, wurde ich an zwei Zitate erinnert. Das erste: Wenn Argumente fehlen, Stimme erheben. Das ist glänzend geglückt. Ein zweites Zitat habe ich von Robert Jungk entnommen: Ich will nicht sachlich sein, ich bin besorgt.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Philippsburg ist passiert, Herr Töpfer! Das stimmt nicht!)

Unter diesen beiden Gesichtspunkten habe ich Ihre Darstellung empfunden, und sie hat alle Teilbereiche wieder mitgebracht, die ich erwartet habe. Sie bringt, wie nicht anders zu erwarten, natürlich persönliche Diffamierungen — wie könnte es anders sein — , und sie bringt diese möglichst pauschal — wie könnte es anders sein — , und da wird von den „Dunkelmännern in Verwaltung und Wirtschaft" gesprochen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das stimmt doch!)

Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: Ich möchte mich mit großem Nachdruck und großer Ehrlichkeit und der Erfahrung aus vielen Jahren Verantwortung für Bürokratie vor die Menschen stellen, die in unserer Bürokratie tätig sind

(Frau Nickels [GRÜNE]: Vor alle, Herr Töpfer?)

und die dazu beigetragen haben, daß dieser Staat zu dem geworden ist, was wir, weltweit anerkannt, mit einem Berufsbeamtentum haben, das sich von der Stein-Hardenbergschen Reform an allen Bemühungen widersetzt hat, zu einer Politisierung von Bürokratie zu kommen. Ich bin nachhaltig der Meinung, daß unsere Bürokratie eine derartige Qualifizierung als „Dunkelmänner" nicht verdient und daß man dies mit allem Nachdruck zurückzuweisen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: Es wird vom „Bananenstaat" gesprochen!)

Ich möchte ein Zweites dazu sagen. Ich bin der Meinung, daß man das aufgreifen sollte, was von dem Abgeordneten der SPD hier gesagt worden ist. Bis



Bundesminister Dr. Töpfer
zum Augenblick war ich der Überzeugung, daß wir eine Gewaltenteilung der Art haben, daß das, was Bürokratien tun, durch Parlamente zu kontrollieren ist. Eigentlich war ich wirklich dieser Überzeugung. Deswegen haben sich Parlamente in der repräsentativen Demokratie Instrumente geschaffen, die dieses vornehme Recht der Kontrolle von Bürokratie erfüllen.

(Abg. Kleinert [Marburg] [GRÜNE] und Abg. Dr. Knabe [GRÜNE] melden sich zu Zwischenfragen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106508700
Herr Minister, darf ich Sie für einen Moment unterbrechen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1106508800
Ja, bitte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106508900
Es sind zwei Wünsche nach Fragen an Sie gestellt worden.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1106509000
Ich würde gerne erst einmal dieses zu Ende führen. Ich komme gleich auf die Fragen zurück, Herr Präsident.
Deswegen gibt es solche Instrumente wie Untersuchungsausschüsse, dafür gibt es das Recht der Anfragen an die Regierung. Ich bin der Meinung, daß es darüber hinaus ein in sich geschlossenes Instrumentarium von Kontrollmöglichkeiten für Parlament und Bürokratie gibt.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sie fühlen sich ja selber überfahren!)

Wenn Sie der Meinung sind, meine Damen und Herren, daß dieses Recht, daß diese Möglichkeit des Parlaments nicht ausgeschöpft werde oder daß es nicht ausreichend ist, dann würde ich sehr gerne auf die Überlegungen eingehen, die hier vorgetragen worden sind: Inwieweit kann man dieses parlamentarische qualifizierende Recht weiterentwickeln? Das ist etwas, was sich aus der Kultur dieses Landes und dieser Demokratie heraus anbietet. Ich bin ja auch der Meinung, man muß über alle Informationsentwicklungsmöglichkeiten nachdenken. Nur wenn dieser Anlaß gesucht wird unter dem Gesichtspunkt des Mißtrauens gegenüber Dunkelmännern,

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Transnuklear, Philippsburg, ich bitte Sie, Herr Töpfer! — Frau Nickels [GRÜNE]: Transnuklear! Haben wir das geträumt?)

dann ist damit etwas völlig anderes gemeint als das, was wir unter Informationsrechten von Bürgern verstehen. Meine Damen und Herren, dann ist es nämlich eine völlig andere Frage.
Ich will Ihnen einmal eines sagen: Es wurde vorhin von Sonntagsreden gesprochen, die ich halte. Ich frage wirklich einmal zurück: Was sind in Kenntnis dessen, was gerade hier gesagt wurde — oder lesen Sie nach, was der Abgeordnete Schily im Zusammenhang mit Transnuklear hier gesagt hat — , alle diese Sonntagsreden wert, die von politischer Kultur in der Bundesrepublik Deutschland sprechen, wenn so etwas hier ohne jede Beanstandung gesagt werden kann?

(Frau Nickels [GRÜNE]: Was denn? Was meinen Sie damit?)

Was ist dieses Rufen nach politischer Kultur wert? Frau Abgeordnete Vennegerts, ich bin gerne bereit, mit Ihnen über politische Kultur zu sprechen. Aber ich habe davon immer eines mitgenommen, daß ich zunächst einmal die persönliche Integrität meines Gegenüber akzeptiere und ihm nicht unterstelle, daß er dieses nicht mit einbringt. Solange dieses nicht passiert, brauchen wir beide über politische Kultur nicht mehr zu sprechen — um das ganz deutlich zu sagen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Spielen Sie sich nicht so auf!)

Jetzt komme ich zum dritten und letzten Teil. Das ist die Frage, die hier in der Sache angesprochen worden ist. Hierzu haben wir unsere Meinung im deutschen Bundesrat vorgetragen im Zusammenhang mit einem Gesetzentwurf der Freien und Hansestadt Hamburg. Ich kann das aufgreifen, was dort der Bundesrat mehrheitlich festgehalten hat, nämlich:
Der Bundesrat erkennt an, daß die Information der breiten Öffentlichkeit über Umweltdaten eine entscheidende Voraussetzung für wirksamen Umweltschutz ist. Der Bundesrat hält für die Erfüllung dieser Informationsbedürfnisse den Gesetzesantrag aber unabhängig von der fehlenden Gesetzeskompetenz des Bundes aus folgenden Gründen für ungeeignet:
Erstens. Bereits jetzt bestehen auf Grund von Rechtsvorschriften vielfältige Informationsrechte.
Zweitens. Der vorliegende Gesetzantrag läßt die erforderlichen Differenzierungen hinsichtlich der einzelnen Regelungsmaterien vermissen.
Dann kommt ein dritter Grund, den ich hier nicht vortragen muß. Ich sage den vierten, um das aufzugreifen, was der Abgeordnete Blens hier, wie ich meine, sehr genau, in der Konsequenz nachzeigend, gesagt hat:
Es ist zu befürchten, daß die lediglich auf Grund dieses Gesetzes zu veranlassende Sammlung, Aufbereitung, Bereithaltung und Interpretation von Umweltdaten Verwaltungskapazität binden würden, die für die Erfüllung bereits spezialgesetzlich bestehender Informationspflichten und vor allem für den effektiven Umweltschutz selbst dringend und vorrangig benötigt werden.
Dieser Begründung des Bundesrates, die dort von denen beschlossen worden ist, die nämlich für den Vollzug zuständig sind, ist auch von denen, die über Vollzug nicht nachzudenken haben, nichts hinzuzufügen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Stratmann [GRÜNE]: Die haben wahrscheinlich etwas zu verbergen! — Frau Nickels [GRÜNEJ: Das war eine platte Rede! — Häfner [GRÜNE]: Was hat er denn gesagt?)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106509100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hüsch.

Dr. Heinz Günther Hüsch (CDU):
Rede ID: ID1106509200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind, wenn ich das jetzt richtig sehe, bei der Diskussion der Debatte über den Gesetzentwurf der GRÜNEN zur Einführung der Verbandsklage. Der Redner hat dazu vorher wenig vorgetragen.
Dieser Wunsch, eine allgemeine Verbandsklage einzuführen, ist ein ganz alter Hut. Er wird durch erneutes Aufsetzen auch nicht prachtvoller.

(Baum [FDP]: Es kommt darauf an, wie er aussieht!)

— Der Bundestag hat sich damit mehrfach befaßt, auch in der Zeit, als Sie, Herr Baum, damals noch in der Koalition saßen. Bei der Beratung des Verwaltungsverfahrensgesetzes 1976 wurde die Verbandsklage einhellig abgelehnt. Eine auf das Atomrecht beschränkte Verbandsklage wurde 1978/79 ebenfalls unter SPD/FDP-Mehrheit nach anfänglicher Unterstützung abgelehnt. Und die Gesetzentwürfe von SPD und GRÜNEN in der vergangenen Legislaturperiode fanden 1986 weder im Rechtsausschuß noch im Ausschuß für Umwelt eine Mehrheit. Es gibt auch keinen Grund, diese Entscheidung zu ändern.
Der Nutzen der Verbandsklage ist zweifelhaft; in der juristischen Literatur ist dies deutlich beschrieben. In der Tat: die Bundesrepublik ist ein ausgeprägter Rechtsstaat. Er steht in der Gefahr, ein Rechtsmittelstaat zu werden. Die Verbandsklage kommt einem solchen weiteren Rechtsmittel nicht gleich, aber doch sehr nahe. Daran besteht nach unserer Auffassung kein Bedarf.
Die Antragsteller werden mit einer Verbandsklage die Zahl der Prozesse erhöhen. Der Bürger verlangt aber nicht nach mehr Prozessen, sondern nach klarem Recht. Niemand wird die guten Absichten und auch die beachtlichen Leistungen der seriösen Umweltverbände in Zweifel ziehen dürfen — ich will das auch nicht tun —,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Aber?)

aber sie kommen ohne Verbandsklage zurecht.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Nein, sie kommen eben nicht zurecht!)

Der Gesetzgeber steht in der Pflicht, ein rechtliches Instrument nicht nur daraufhin zu prüfen, ob es den einen oder anderen zusätzlichen Rechtsschutz bringen kann, sondern auch daraufhin, ob ein Mißbrauch möglich ist, ob der Umfang und die Intensität des Mißbrauchs erheblich sind und ob eine Absicht zum Mißbrauch erkennbar wird.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Gucken Sie sich einmal die ganzen Bürgerinitiativen an!)

Wenn es so ist, dann wiegen die Bedenken schwerer als die denkbare Nützlichkeit. Eine solche Gefahr des Mißbrauchs drängt sich auf. Die bisherigen Erfahrungen mit den Landesgesetzgebungen ermutigen nicht, auch wenn man das eine oder andere positiv sieht. Soweit das Bundesrecht solche Einrichtungen wie die Verbandsklage kennt, überwiegen die negativen Erfahrungen, etwa bei den sogenannten Abmahnvereinen im Wettbewerbsrecht.
Unklar bleibt auch, wer nach dem Willen der Antragsteller Verbandscharakter erlangen soll. Manche Bürgerinitiative, die sich zum Verband entwickelt und sehr leicht entwickeln kann, verfolgt nicht das Gemeinwohl, sondern sie ist in Wirklichkeit der Zusammenschluß krasser eigener Interessen im Gewande der Initiative. Maßgeblich für den Gesetzgeber sollte jedoch das Gemeinwohl sein und bleiben. Deshalb darf man einer auf Egozentrik steuernden Entwicklung keinen Raum geben.

(Zuruf von der SPD: Das ist altruistisch, nicht egozentrisch!)

Unser Rechtssystem setzt bei der Zulässigkeit einer Klage die eigene Betroffenheit voraus. Das ist in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes normiert. Das Rechtsprinzip hat sich bewährt. Es gibt keine Rechtfertigung, ein bewährtes Prinzip aufzulösen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Dann machen wir das das nächste Mal!)

Unsere Verfassung beruht auf der Gewaltenteilung. Die Ausführung der Gesetze obliegt der Verwaltung, die an Gesetz und Recht gebunden ist und der politischen, parlamentarischen Kontrolle unterliegt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106509300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Häfner?

Dr. Heinz Günther Hüsch (CDU):
Rede ID: ID1106509400
Nein, Herr Präsident, ich gestatte nicht. — Die Zulassung einer uneingeschränkten Verbandsklage verlagert die Ausführung der Gesetze auf die rechtsprechende Gewalt. Das widerspricht dem Prinzip der Gewaltenteilung, weil dann die richterliche Überprüfung zum Regelfall gemacht würde.
Nicht zuletzt: Politische Entscheidungen sind von den politischen Gremien zu treffen. Die prinzipielle Verlagerung auf die Rechtsprechung nimmt den politischen Instanzen, insbesondere den Parlamenten, ihre politischen Rechte, zumindest mindert sie diese. Und das kann nicht im Geiste und im Sinne der Verfassung sein.
Ohnehin ist die Verbandsklage als politisches Mittel zweifelhaft. Denn diejenigen, die die Verbandsklage als Mittel der Auseinandersetzung im Umweltrecht aus ihrer grundsätzlichen Einstellung heraus wollen und nutzen, geben sich häufig — manchmal in der Regel — nicht einmal mit den gerichtlichen Entscheidungen zufrieden. Wie der jahrelange Kampf um die Startbahn West am Flughafen Frankfurt beweist, ist die Autorität höchstrichterlicher Entscheidungen für die Gegner umweltrelevanter Entscheidungen keineswegs maßgeblich, sondern ihr eigener ideologisch-politischer Standort, der keine Staatsautorität respektiert und duldet.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Was hat das denn damit zu tun?)

Eine Verbandsklage führt zu einer breitangelegten Unsicherheit gerade dort, wo Vertrauen in staatliches Handeln unverzichtbar ist. Verunsicherung und Unsi-



Dr. Hüsch
cherheit sind die Konsequenzen, nämlich dann, wenn jede behördliche Entscheidung von einer nichtbetroffenen Person und deshalb von einem nicht bestimmbaren Personenkreis angefochten werden könnte. Sowohl die persönlichen Investitionsentscheidungen, z. B. der Bau eines Eigenheimes, wie die gewerblichen und wirtschaftlichen Investitionsentscheidungen verlangen nach Rechtssicherheit und schneller Klärung.
Wer dies aber durch die Einschaltung eines neuen klagenden Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs in Zweifel zieht,

(Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

schafft nicht die bessere Umwelt, Frau Nickels. Es ist Ihnen ja offensichtlich nicht klar geworden, was es bedeutet, wenn jemand ein Eigenheim bauen will und dann in einen jahrelangen Prozeß verwickelt wird.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Ich habe ein Eigenheim!)

— Dann können Sie gut reden, wenn Sie es schon haben; dann brauchen Sie dafür nicht zu streiten.
Wer dies also in Zweifel zieht, wie es Frau Nickels mit Ihrem Zwischenruf erneut beweist, schafft nicht bessere Umwelt, sondern Unklarheit.

(Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE])

Sie schaffen persönliche Bedrängnis — das interessiert Sie offensichtlich nicht — und wirtschaftliche Behinderungen.

(Stratmann [GRÜNE]: Reden wir über Bausparkassen? Oder was ist los?)

Das gilt um so mehr, als nach dem Willen der GRÜNEN das Ganze für die Urheber noch nicht einmal kostenpflichtig sein soll, sondern kosten- und risikofrei werden soll. Hier wird die Willkür an die Stelle der Rechtssicherheit gesetzt.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: So ist das!)

Unser Staat beruht nicht zuletzt auf dem Prinzip der Gleichberechtigung. Eine Verbandsklage verletzt das Prinzip. Für die einen wird das Erfordernis der Betroffenheit verlangt; für die anderen wird dieses Erf ordernis aufgehoben. Das ist Ungleichheit vor dem Gesetz. Ein Parlament muß jedem Versuch, das bewährte Prinzip „Gleiches Recht für alle" auszuhöhlen von Anfang an entgegentreten.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wie schön! Wort zum Sonntag!)

In Wirklichkeit suchen deshalb die Antragsteller, wie auch der Zwischenruf von Frau Trude

(Stratmann [GRÜNE]: Von wem?)

Unruh beweist, ihre ideologischen Festlegungen, ihr Weltbild, ihr Bündel von Vorurteilen, für das sie eine parlamentarische Mehrheit nicht finden können, auf dem Weg der Einzelfallgestaltung dennoch durchzusetzen. Das tun sie, um zumindest ihren ideologischen Prinzipien dadurch Nachdruck zu verleihen,

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Um Gottes willen! Jetzt ist aber Schluß!)

daß sie mindestens durch risikolose prozessuale Handlungen Druck und Furcht auf die Verwaltungsbehörden ausüben.
Dieser Form der nicht nutzvollen, zum Teil unnützen verunsichernden und verfassungsrechtlich bedenklichen Weltverbesserung wollen wir keine Hilfe leisten.
Wir stimmen zwar der Überweisung der Gesetzentwürfe an die zuständigen Ausschüsse zu, kündigen aber eindeutig unser klares Nein zu diesen Absichten an.

(Beifall bei der CDU/CSU — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Daß Sie überhaupt noch überweisen wollen, ist ja verwunderlich!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106509500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schütz.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1106509600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich habe mich darauf vorbereitet, zur Verbandsklage etwas zu sagen. Lassen Sie mich zunächst zwei Vorbemerkungen machen.
Ich war etwas enttäuscht, daß Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, eigentlich in der Sache zu Ihren Anträgen wenig argumentiert und nur allgemeine Reden gehalten haben. Diese allgemeinen Reden fielen Ihnen deswegen so leicht, weil eine Partei ohne Geschichte immer sagen kann, mit ihr kam das Licht in die Welt.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das haben wir doch gar nicht gesagt!)

Eine Partei wie wir mit einer langen Geschichte muß sich auch in den Stürmen der Geschichte beweisen. Wir haben zu Fragen des Umweltschutzes, etwa „Blauer Himmel über der Ruhr", schon massive Kampagnen geführt. Sie können nicht einfach sagen, wir sind die ersten. Sie waren bisher die letzten.
Das Thema Verbandsklage kommt in der Politik, aber auch in der Rechtswissenschaft ins 20. Lebensjahr, ohne daß — Herr Hüsch hat es gerade wieder gesagt — auf Bundesebene irgend etwas geschieht. Das ist ein wahrlich nicht ermutigender Sachverhalt für alle naturschutzrechtlichen Belange.
Die sozialdemokratischen Länder Bremen und Hamburg und auch das damals sozialdemokratisch regierte Land Hessen haben das eingeführt

(Baum [FDP]: Auf Antrag der FDP!)

und haben schon die ersten positiven Erfahrungen mit der Verbandsklage gemacht.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Und dieses Parlament in Bonn?)

In diesem Parlament hier hat sich Herr Maihofer, Ihr Kollege von der FDP, das erste Mal 1974 für die Einführung der Verbandsklage eingesetzt. Nach einer längeren öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion wurde die Einführung dieser Klage von der alten sozialliberalen Regierung in der Regierungserklärung schon am 24. November 1980 angekündigt, leider ohne noch verwirklicht werden zu können.
In der vorigen Wahlperiode hat sich neben meiner Fraktion und den GRÜNEN die FDP dafür ausgespro-



Schütz
chen, die Verbandsklage einzuführen, während der CDU/CSU-Vertreter damals noch keinen ausreichenden Überblick und keine ausreichende Erfahrung hatte, um die Verbandsklage einführen zu können. Herr Hüsch hat vorhin gesagt, er habe diese ausreichende Erfahrung und diesen ausreichenden Überblick immer noch nicht, und deswegen solle auch in dieser Wahlperiode die Verbandsklage nicht eingeführt werden.
Ich meine, es gibt zahlreiche Argumente für die Einführung dieser Klage. Das für mich entscheidende Argument ist das immer noch festzustellende Vollzugs- und Implementierungsdefizit in der Verwaltung. Ich meine damit, daß vollzugsbedürftige Rechtssätze, insbesondere aus dem Bereich des Umweltrechts — darüber reden wir gerade — , von den Behörden nicht in ausreichendem Maße vollzogen werden oder daß bei Ausfüllung vorhandener Interpretations-und Entscheidungsspielräume Gesichtspunkte des Umweltschutzes entgegen den Absichten der jeweils anwendbaren Gesetze immer noch zuwenig Gewicht erhalten.
Unser System des subjektiv-rechtlichen Rechtsschutzes, das die Klagebefugnis nur demjenigen einräumt, der in eigenen Rechten verletzt ist, führt dazu, daß beispielsweise der Betreiber eines Großkraftwerkes, das etwa in den Auwäldern des Rheins oder der Donau errichtet werden soll, selbstverständlich klagen kann, wenn er wegen einer befürchteten schweren Störung des Naturhaushaltes eine Errichtungsgenehmigung nicht erhält. Umgekehrt: Wenn diese Genehmigung erteilt wird, findet sich in der Regel kein Kläger, weil etwa die Auwälder im staatlichen Besitz sind, die Abstandsvorschriften eingehalten sind — das betrifft andere Eigentümer — und weil andere verletzte Individualinteressen nicht vorgebracht werden können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In diesem Beispiel sind die natur- und landschaftsschutzrechtlichen Normen erkennbar von eminent bedeutsamen öffentlichem Interesse. Wenn aber kein Kläger mit individueller Klagebefugnis auftreten kann, ist die Überprüfung durch ein Verwaltungsgericht auch dann nicht möglich, wenn etwa — weil berechtigte Zweifel an einer richtigen Rechtsanwendung bestehen — umfangreiche öffentliche Kampagnen in dieser Angelegenheit gelaufen sind. Eine mögliche fehlerhafte Verwaltungsentscheidung muß verwaltungsprozessual ungeprüft bleiben.
Jedem Juristen ist diese Konstruktion klar. Vielen Bürgern sind die dargestellten Konsequenzen allerdings überhaupt nicht vermittelbar.

(Sehr richtig! bei den GRÜNEN)

Ein anderes rechtspolitisches Argument ist, daß die Einführung und damit auch Existenz der Verbandsklage bereits präventive Wirkung auf die Verwaltung haben. Benda hat das Bild der fleet in being benutzt. Die Flotte kann eben zuschlagen, wenn fehlerhafte Entwicklungen auftreten. Vorher hat sie aber wirksame Warnfunktion.
Schließlich — das hat dann auch, meine ich, rechtsbefriedende Wirkung — ist die Einführung der Verbandsklage die logische Weiterentwicklung der Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte vor allem im Naturschutz.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Gerade bei Großprojekten arbeiten die Bürger und Bürgerinitiativgruppen eng mit vielen anerkannten Naturschutzverbänden zusammen. Die Kenntnis, daß die umstrittene Realisierung eines Großprojektes nicht nur in einem Anhörungs- und Beteiligungsverfahren erörtert wird, sondern nach der abschließenden Entscheidung auch vor einem unabhängigen Verwaltungsgericht geprüft werden kann, trägt sicherlich mehr zur Akzeptanz des Verfahrens und auch zur Deeskalierung von Konflikten bei als viele andere Rechtsinstrumente.
Von Gegnern der Verbandsklage wird angeführt — das hat Herr Hüsch auch gerade getan —, durch das Institut der Verbandsklage werde das Prinzip der Gewaltenteilung und der repräsentativen Demokratie in Frage gestellt; durch die Gewährung der altruistischen Verbandsklage werde auch in die Rechte des Parlaments oder der kommunalen Vertretungskörperschaften eingegriffen, vor allen Dingen auch in die Befugnisse der Verwaltung selbst. Ich meine, daß diese Einwände zu kurz greifen. Der Verband entscheidet beim Angriff gegen ein Handeln einer Verwaltungsbehörde in der Sache grundsätzlich nicht selbst, sondern löst durch Klageerhebung lediglich die Rechtskontrolle eines unabhängigen Gerichtes aus. Die Wahrung des öffentlichen Interesses, die nach dem Verfassungsauftrag in der Hand der Staatsgewalt liegt, wird nicht von gesellschaftlichen Gruppen selbst ausgeübt, sondern diese Gruppen haben lediglich das Recht, im öffentlichen Interesse eine Überprüfung bestimmter Verwaltungsentscheidungen zu erwirken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Den Verwaltungsgerichten wird dabei nicht mehr abverlangt als das, was sie nach Anrufung durch klagebefugte Bürger bei objektiver Verletzung der subjektiven Rechte auch sonst zu leisten haben.
Ein weiterer Einwand gegen die Verbandsklage ist — er wurde auch 1984 von der CDU/CSU vorgebracht, als darüber hier das letzte Mal diskutiert wurde; Herr Hüsch hat das heute wiederholt — , daß diese mißbraucht werden könne als Verzögerungs-, Verhinderungs- und — damals auch — Investitionshemmungsinstrument. Dieses Argument der Verzögerung und Verhinderung kennen wir seit Jahren. Es wird immer dann vorgebracht, wenn es um die Einführung von mehr Bürger- und Beteiligungsrechten geht.

(Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

Dieses Argument war im Kern meines Erachtens immer falsch. Wir leben in einer auf Beteiligung und Mitwirkung angelegten Gesellschaft und müssen das auch im Parlament zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ein Blick, meine Kolleginnen und Kollegen, in die Länder, in denen die Verbandsklage zulässig ist, zeigt, daß sie nicht zu einer Prozeßflut geführt hat, was Sie, Herr Hüsch, befürchten. Es ist im Gegenteil



Schütz
durchaus mit einer Entlastung der Gerichte zu rechnen, da z. B. Massenklagen überflüssig werden können. Die Präventivfunktion der Verbandsklage wird manches unnötige Verwaltungshandeln im Vorfeld zu mehr akzeptablen Entscheidungen transponieren.
Um die befürchteten negativen Entwicklungen bei der Einführung der Verbandsklage in den Griff zu bekommen, muß die Diskussion darüber, an welcher Stelle z. B. die Verbandsklage geregelt werden soll und wie sie geregelt werden soll, noch sorgfältig geprüft werden. Der vorliegende Entwurf der GRÜNEN sieht eine Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vor, obwohl diese — da stimme ich Ihnen zu — eine völlig andere Systematik hat. Meine Fraktion hat eine Gesetzesvorlage zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vorgelegt und damit die Diskussion zur Änderung von Einzelgesetzen bei Einführung der Verbandsklage eröffnet. In der rechtspolitischen Diskussion gibt es darüber hinaus den Entwurf eines gesonderten Verbandsklagegesetzes. Ich kann wegen der Kürze der Zeit hier jetzt die Frage, wo die Verbandsklage geregelt werden soll, nicht sorgfältig diskutieren, auch nicht, wie die Klagebefugnis der Verbände im einzelnen ausgestattet werden soll. Wir werden das in den Ausschüssen tun.
Der hier zur Diskussion stehende Vorschlag trifft im Kern meine Vorstellung, daß die nach § 29 Bundesnaturschutzgesetz anerkannten Verbände klagen dürfen. Wieso das Gericht darüber hinaus im Einzelverfahren weitere Verbände als klagebefugt festlegen kann, kann ich im Augenblick nicht übersehen. Ich übersehe nicht, wieso Sie das vorhaben.
Wir müssen bei diesem Gesetz natürlich auch die Rechtsfragen diskutieren, ob einer Verbandsklage aufschiebende Wirkung zukommen soll oder ob es eine Ausschlußfrist für die Klage geben soll, um irgendwann Rechtspositionen als gewährt zu betrachten und den Rechtsfrieden eintreten zu lassen. Wir müssen auch noch darüber reden, ob Klagen von mehreren Verbänden nebeneinander eingeräumt werden können, wobei wir wissen, daß anerkannte Verbände durchaus nicht Bleichgelagerte Betrachtungsweisen haben.

(Baum [FDP]: Richtig!)

Sie stehen manchmal sehr kontrovers gegeneinander.
Eines aber sollten wir abschließend aussprechen: daß wir uns nach den langen Jahren der Diskussion nachhaltig für die Einrichtung einer Verbandsklage aussprechen. Das Ob der Entscheidung sollte endlich klar sein, über das Wie sollten wir uns aber auch bald einig werden. Das alte Thema Verbandsklage muß von unserer Tagesordnung herunter. Dieses Recht muß den Verbänden endlich gewährt werden, wenn wir uns nicht zu Recht den Vorwurf gefallen lassen wollen, daß wir die Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte für die Naturschutzverbände auf halbem Wege stehen lassen.
Ich will hier nicht mit Eichendorff schließen, sondern mit Schiller: Der Worte sind genug gewechselt, wir müssen jetzt die Verbandsklage haben.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106509700
Das war Friedrich von Schiller, nicht der Karl.
Herr Abgeordneter Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1106509800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich, Sie haben recht, der Worte sind in der Tat genug gewechselt. Es sind alte Bekannte, die wir hier sehen. In ihrer Ausgestaltung sind die Gesetzentwürfe allerdings neu. Was Sie hier vorgelegt haben, gibt schon Anlaß, sich darüber zu unterhalten. Der Gesetzentwurf über das Akteneinsichtsrecht ist so schrecklich perfektionistisch deutsch, daß ich Sie wirklich bitte, das noch einmal zu überarbeiten. Das könnte wirklich eine bis in die Knochen konservative Bürokratie nicht besser oder schlechter formulieren, als Sie es getan haben.

(Beifall bei der FDP — Stratmann [GRÜNE]: Wir nehmen Ihre Hilfe gerne an!)

Die Materie ist geprägt von einem tiefsitzenden Mißtrauen gegenüber dem parlamentarischen System. Sie sind doch Teil dieses parlamentarischen Systems. Was dieses Grundrecht angeht, das Sie erwähnt haben: Es mag sein, daß meine Partei das im Freiburger Programm mißverständlich ausgedrückt hat.

(Frau Unruh [GRÜNE]: War es nicht!)

— Sie haben ja mitgewirkt, entnehme ich dem Bundestagshandbuch, Frau Kollegin Unruh.

(Heiterkeit)

Es ist wirklich so, daß wir kein allgemeines Klagerecht im Umweltbereich haben wollen, daß wir das nicht akzeptieren können, weil wir überzeugte Anhänger der repräsentativen Demokratie sind. Wir sagen Ja zur Staatszielbestimmung und mahnen sie an, aber Nein zu einem Grundrecht. Das ist bei Ihnen, dieses Mißtrauen gegen das Funktionieren des Parlamentarismus. Wir setzen voraus, daß auch die Exekutive ihre Aufgabe wahrnimmt, daß wir die Exekutive wirksam kontrollieren. Wir können sicher noch eine Menge tun, um diese Kontrolle zu verbessern, aber wir können nicht eine Basisdemokratie einrichten, die den Parlamentarismus wegschiebt. Das wäre falsch, und das werden Sie mit uns nicht erreichen.

(Beifall bei der FDP — Frau Nickels [GRÜNE]: So ein Stuß!)

Sie haben Herrn Kollegen Hirsch nicht verstanden. Ich werde noch einmal sagen, was er zum ersten Teil, Akteneinsichtsrecht, gesagt hat: „Wir haben den Eindruck, daß das vorgelegte Gesetz mehr Probleme schafft als löst." Das ist auch meine Meinung. „Aber wir werden die Beratung dieses Gesetzes benutzen, um dem Ziel einer größeren Öffentlichkeit auf realistische Weise näher zu kommen." Das Wie ist doch das eigentliche Problem.
Ich war vor zehn Jahren in Amerika und habe Freedom of Information studiert. Das ist sehr schwierig. Es ist außerordentlich schwierig, hier eine Rechtsgestaltung zu finden, die nicht zu diesem institutionalisierten Mißtrauen gegenüber der Verwaltung und zu diesen perfektionistischen Regelungen führt. Die Ameri-



Baum
kaner haben auch negative Erfahrungen gemacht, die wir doch einmal auswerten müssen. Soweit zu diesem ersten Komplex.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106509900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Knabe?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1106510000
Ja.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106510100
Nach meinem Dank für die freundliche Gewährung der Zwischenfrage, die Herr Minister Töpfer verweigert hatte, die Frage: Glauben Sie nicht, daß das Parlament in der Lage ist, die allgemeinen Bedürfnisse bei der Regulierung von Umweltfragen sicherzustellen, während es daran fehlt, daß Betroffene, nicht im Eigentum Betroffene, sondern etwa in ihrer Gesundheit Betroffene, Einsichtsrecht in Unterlagen haben, die hier eine Gefährdung vielleicht offenbar machen?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1106510200
Herr Kollege, ich schließe das nicht aus. Ich habe eben gesagt, auch ich überlege nach wie vor, wie man die Einsichtsrechte verbessern kann. Ich habe nicht den Stein des Weisen gefunden. Ich weiß nicht, ob wir nicht das Gegenteil bewirken. In Amerika gab es die Erfahrung, daß die Behörden zögern, bestimmte Akten überhaupt zu führen, daß Bereiche der Geheimhaltung entstehen, die vorher nicht entstanden sind.

(Sehr wahr! bei der FDP)

Man muß also immer fragen, ob man nicht etwas bewirkt, was zum Gegenteil dessen führt, was man will.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin durchaus dafür offen, das Akteneinsichtsrecht für das Individuum zu verbessern, Herr Kollege, aber bitte nicht so, wie Sie das hier gemacht haben. Lassen Sie uns gemeinsam im Ausschuß überlegen, ob man das besser machen kann.
Jetzt komme ich zu dem zweiten Bereich, der Verbandsklage. Vorbemerkung: Es gibt natürlich — auch das muß man an dieser Stelle sagen — in einer ganzen Reihe von Gesetzen Mitwirkungs- und Informationsrechte der Bürger, vielfältig; das darf man nicht vergessen. Wir haben solche Rechte in einer ganzen Reihe von Gesetzen. Es wird oft Klage geführt, daß der Bürger das ganze Verwaltungsverfahren verzögere und erschwere, weil er überall Einsicht nehmen und überall Einspruch einlegen könne. Das darf man nicht vergessen. Wir haben das Recht z. B. im § 29 des Bundesnaturschutzgesetzes — ich will jetzt gar nicht ausführen, was das im einzelnen bedeutet — , nur ist es eben nicht ausreichend.
Wir müssen hier ganz klar feststellen: In diesem Punkt, bei der Verbandsklage, unterscheidet sich die Meinung meiner Partei von der unseres verehrten Koalitionspartners. Es gibt solche Punkte, sonst wären wir in einer gemeinsamen Partei. Wir sind nicht irgendein Landesverband Ihrer Partei. Wir haben hier eine andere Meinung.
Im übrigen war es uns sehr schwer, auch in der alten Koalition, diese Position, die wir seit vielen Jahren vor uns hertragen, durchzusetzen. Denn Sie haben mit
Recht daran erinnert, daß es in der sozialliberalen Koalition 1980 vereinbart worden ist; bekanntlich hat die Koalition schon vorher bestanden. Wir hatten eine gewisse Schwierigkeit, das mit Ihnen von der SPD zu vereinbaren. 1980 haben wir es immerhin vereinbart, aber das war, wie sich herausgestellt hat, zu spät. Es war nicht mehr umsetzbar.
Ich kenne alle diese Argumente; Herr Kollege Schütz, Sie haben sie vorgetragen. Ich habe x-mal streitige Diskussionen geführt. Sie wissen, daß der Vorschlag auch im Bereich der Verwaltungsrichter umstritten ist.
Für uns überwiegen die positiven Wirkungen einer Verbandsklage. Wir sehen aber, daß sie mit unserem Koalitionspartner im Moment nicht durchsetzbar ist. Das muß man klar sagen; Herr Hirsch hat das zum Ausdruck gebracht.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Es gab auch bei Ihnen, verehrter Vertreter der GRÜNEN, in der einzigen Koalition, die Sie hatten, Dinge, die Sie nicht durchgesetzt haben. Das ist nun einmal die Natur von Koalitionen, daß nicht jeder sich voll verwirklichen kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106510300
Würden Sie gestatten, daß Herr Häfner eine Frage stellt? — Bitte schön, Herr Häfner.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1106510400
: Herr Baum, darf ich Ihren Worten, in denen Sie gesagt haben, Sie befürworten im Grundsatz ein Verbandsklagerecht, Sie können es in dieser Koalition nur nicht durchsetzen, entnehmen, daß Sie einem entsprechenden Vorschlag der Partei der GRÜNEN zustimmen werden,

(Baum [FDP]: Nein!)

nachdem Sie gerade das Hohelied des Parlaments gesungen haben, das genau diese Aufgabe hat, wenn wir uns in den Ausschußberatungen, wie es guter parlamentarischer Brauch ist, auf eine in Ihren Augen ebenfalls geeignete Formulierung einigen können?

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1106510500
Nein, das kann ich Ihnen leider nicht zusagen, denn es ist das Wesen von Koalitionen, daß man sich abstimmt und daß man nicht hier im Hause mit wechselnden Mehrheiten abstimmt. Das ist nicht drin, und deshalb werden Sie dieses Vergnügen nicht haben. Es ist uns überlassen, unseren Koalitionspartner zu überzeugen. Ich gehe davon aus, daß in der Anhörung über die Gesetze wichtige Argumente kommen. Ich bin vor allen Dingen der Meinung, Herr Kollege Töpfer, daß wir in einem anderen Bereich anfangen könnten, nämlich im Bereich der Beteiligung der Verbände im Verwaltungsverfahren, also in dieser Vorstufe. Da gibt es kein klares Nein von Ihrer Seite; da sollte man gemeinsam beginnen.
Die Mitwirkung der Verbände und die Tatsache, daß man sie hier einbezieht, ist übrigens auch eine Anerkennung der Verbände im Umweltschutz und im Naturschutz, die erhebliche Leistungen erbringen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Es gibt auch überhaupt keine negativen Erfahrungen etwa in der Schweiz; es gibt keine negativen



Baum
Erfahrungen in Hessen. Ich habe hier die Zahlen. Auf eine kleine Anfrage hat die hessische Landesregierung geantwortet: In der Zeit zwischen Mai 1985 und Oktober 1986 hat es vier Verfahren im Rahmen des § 36 des hessischen Naturschutzgesetzes gegeben. Ich halte das wirklich für eine Versachlichung der Auseinandersetzungen. Die Gefahr, daß die Gerichte hier mit Klagen überflutet würden, ist nicht gegeben. Es gibt — darauf haben Sie hingewiesen, Herr Kollege — eben Fälle, wo es keine Betroffenen gibt. Warum sollte hier ein anerkannter Verband nicht sozusagen als Anwalt der Natur- und Umweltschutzinteressen tätig werden?
Der Gesetzentwurf der GRÜNEN ist allerdings nicht akzeptabel; er ist viel zu allgemein gefaßt. Ich spreche mich dafür aus, diese Materie im Naturschutzrecht zu regeln. Sie haben überhaupt keine Präzisierung des Kreises der Klagebefugten. Sie nehmen jedes Prozeßrisiko, wenn Sie sagen, die Kosten sollen in jedem Falle übernommen werden. Das ist — da stimme ich dem Kollegen Hüsch zu — nicht akzeptabel.
Wir orientieren uns an den Verbandsklageregelungen, die es in fünf deutschen Bundesländern gibt.
Übrigens ist die Befürchtung nicht gerechtfertigt gewesen, daß die Verbandsklage in Hessen nach der Regierungsbildung abgeschafft wird. Die FDP hat dafür gesorgt, daß sie beibehalten wurde.
Wir halten also an diesem unserem Ziel fest. Wir halten die Verbandsklage und die Verbandsbeteiligung für eine nützliche Einrichtung im Interesse des Umweltschutzes und des Funktionierens unserer Demokratie, allerdings nicht in der Form, wie dies der Gesetzentwurf von den GRÜNEN will. Dies würde mehr Probleme schaffen als lösen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Legen Sie doch mal einen eigenen Gesetzentwurf vor, Herr Baum!)

Deshalb halten wir an unseren eigenen Vorstellungen fest.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106510600
Der letzte Redner der Debatte ist der Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1106510700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine nüchterne und sorgfältige Analyse der Rechtsschutzsituation im Umweltrecht ergibt: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein umfassendes Individualrechtsschutzsystem, das jedem Bürger den Zugang zum Gericht ermöglicht, wenn er geltend macht, durch staatliche Maßnahmen in seinen Rechten betroffen zu sein.
Daß gerade im Umweltbereich von den Möglichkeiten dieses umfassenden Rechtsschutzes in starkem Maße Gebrauch gemacht wird, belegt eine Vielzahl von verwaltungsgerichtlichen Klagen. Nahezu jedes technische Großvorhaben, das Auswirkungen auf den Umweltbereich hat, wird heute gerichtlich überprüft. Die damit zusammenhängenden Verzögerungen haben natürlich nicht selten Unmut bei den betroffenen Unternehmen und den Verwaltungen ausgelöst. Nur, dieser Unmut muß im Sinne des Rechtsschutzes hingenommen werden. Dies ist nicht das Problem. Dennoch konnten die jeweiligen Interessen insgesamt in einer befriedigenden Weise in unserem System ausgewogen werden.
Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zeigt, daß alles in allem der Rechtsschutz gerade in Umweltsachen wirksam erreicht werden kann.

(Schütz [SPD]: Wenn er die Verwaltungsgerichte erreicht!)

Der nun von den GRÜNEN vorgeschlagene neue § 43 a der Verwaltungsgerichtsordnung soll demgegenüber den Umweltverbänden das Recht zur Klageerhebung auch dann einräumen, wenn sie nicht in eigenen Rechten verletzt sind.
Ich darf hier einmal wörtlich zitieren, weil der Sprecher der GRÜNEN es verabsäumt hat, das Wort „Verwaltungsgerichtsordnung" überhaupt in den Mund zu nehmen, und einmal über das, was da geplant ist, zu informieren. Hier soll nämlich lediglich ausschlaggebend sein, daß ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften geltend gemacht wird — ich zitiere wörtlich aus der Vorlage — , „die dem Umweltschutz, dem Naturschutz oder der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind, und ein Zusammenhang zwischen den von dem Verband satzungsgemäß verfolgten Zielen des Umweltschutzes, des Naturschutzes oder der Landschaftspflege und dem Verwaltungshandeln besteht" .
Eine solche Regelung würde dazu führen, daß ein umfassendes, in nahezu alle Bereiche des öffentlichen Rechts hineinreichendes Klagerecht für Umweltverbände — oder jedenfalls für das, was sich als Umweltverband bezeichnet — statuiert wird. Fast jede behördliche Entscheidung, die irgendeinen Zusammenhang zum Umweltrecht aufweist, könnte über eine solche Verbandsklage ohne individuelle Betroffenheit des Klägers auf den Richtertisch kommen. Ein beliebiger Umweltverband könnte ebenso die Errichtung eines kleinen Einfamilienhauses anfechten wie die Herstellung bestimmter genehmigungspflichtiger Industrieprodukte — was eine ganz andere, gravierende und wichtige Frage ist — oder auch die Anlegung eines Entwässerungsgrabens beim Straßenbau.
Im Grunde läuft der Entwurf der GRÜNEN auf eine völlig schrankenlose Verbandsklage hinaus.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Denn jeder Verband, ja jeder Verein hätte es durch eine Satzungsänderung in der Hand, zu einem Klageverein mit entsprechender Klageberechtigung zu werden.
Daß diese Befürchtung, jetzt von mir so ausgesprochen und unterstrichen, nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt das ja geradezu rührende Bemühen der GRÜNEN in ihrem Entwurf darzutun, man dürfe nicht verlangen, daß dies eingetragene Vereine sein müßten, denn das Eintragungsverfahren bringe Belastungen mit sich. Nein, es ist jedem Verein, jeder Gruppierung von Personen nach BGB-Recht möglich, sich zusammenzusetzen und — wenn sie schon so etwas wie ein Verein sind, durch eine Satzungsänderung, ansonsten durch den Akt der Gründung — das herbei-



Bundesminister Engelhard
zuführen, was von ihnen gewollt ist, nämlich die schrankenlose, ja die uferlose Verbandsklage zu ermöglichen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106510800
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Knabe?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1106510900
Bitte. Vizepräsident Westphal: Bitte schön, Herr Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1106511000
Auch Ihnen Dank! — Meinen Sie nicht, daß sich die Kosten für ein Klageverfahren bei größeren Projekten in derart astronomischen Höhen bewegen, daß sie das Vermögen jedes gemeinnützigen Vereins übersteigen? Wir haben entsprechende Beispiele, etwa bei dem Bauern Maas, der ja als Einzelkläger aufgetreten ist.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1106511100
Herr Abgeordneter Knabe, zu dieser Frage habe ich noch keine Bemerkung gemacht, aber ich werde, was die Kostenfreiheit angeht, gleich nachher noch etwas sagen.
Meine Damen und Herren, eine solche Verbandsklage hätte eine tiefgreifende investitionshemmende Wirkung für nahezu alle Vorhaben der Wirtschaft, aber auch der staatlichen Fachplanung. Dies folgt nicht etwa daraus, daß man vor gerichtlichen Entscheidungen Angst haben müßte, daß man dieselben befürchten müßte; nein, die Befürchtung kommt ja daher: Wenn gegen alles und jedes von nahezu jeder Seite geklagt werden kann, dann treten Verzögerungen auf, dann ist eine Kostenkalkulation überhaupt nicht mehr möglich. Der Bau von Fabriken, Abfallbeseitigungsanlagen und Kläranlagen könnte ebenso verzögert werden wie etwa der unaufschiebbare und dringende Erweiterungsbau eines Krankenhauses, wenn es nur am Waldesrand liegt, von der Schwarzwaldklinik in diesem Zusammenhang gar nicht zu reden. Aber hier gibt es, wie wir wissen, natürlich dringende Vorhaben.
Da die Verwirklichung der Vorhaben letztlich vom Ergebnis der richterlichen Überprüfung abhängt, würde sich — auch dies ist ein ernstes Thema — die Verantwortung in vielen Fällen vollständig von der Verwaltung auf die Gerichtsebene verlagern. Hier liegt das wesentliche, auch verfassungsrechtliche Problem: Die Verantwortlichkeit des Parlaments für die Ausgestaltung des Umweltschutzes darf ebensowenig angetastet werden wie die ureigene Aufgabe der Exekutive, Entscheidungen des Gesetzgebers in die Praxis umzusetzen.
Aber den Gerichten muß die eigentliche und ihnen verfassungsrechtlich obliegende Aufgabe erhalten bleiben, den Individualrechtsschutz für jeden Bürger zu gewährleisten.
Die Einführung einer generellen Verbandsklage für Umweltschutzverbände würde auch zu einer schwerwiegenden Rechtsschutzeinbuße in allen anderen Bereichen führen. Die derzeitige Belastungssituation in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist angespannt. Schon jetzt können Verfahren nicht immer in der gebotenen Kürze abgewickelt werden. Die Rückstände häufen sich.
Wenn die vorgeschlagene Regelung käme, hätte sie absehbar zur Folge, daß innerhalb kürzester Zeit eine Flut von Klagen die Gerichte überfluten würde. Das könnte zu einer Blockade des gegenwärtig bewährten Rechtsschutzsystems dann nicht nur im Umweltbereich, sondern für alle Bereiche führen, wo der Bürger den Rechtsschutz ebenso in Anspruch nehmen kann und eine klare rechtliche Antwort zu bekommen hat.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Es gibt auch arbeitslose Juristen!)

Ob die auf eine solche Verbandsklage hin ergangenen gerichtlichen Urteile dem Rechtsfrieden dienen, kann füglich bezweifelt werden; denn es ist ja bereits vom Herrn Kollegen Hüsch darauf hingewiesen worden, daß man in der politischen Auseinandersetzung, was das gute Recht ist, dazu greift, die Gerichte mit solchen Fragen zu beschäftigen. Nur, wenn man da nicht durchkommt, ist das Ende nicht erreicht, und man beginnt weiter mit anderen und leider nicht immer nur mit legalen Mitteln.
Wenn in diesem Zusammenhang das Stichwort „Startbahn West" fällt, dann stocke ich bereits, weil ich mich viel zu milde ausgedrückt habe. Die Auseinandersetzung, die dort bis in die jüngsten Tage hinein stattgefunden hat, sprengt ja jedes Maß dessen, was man hier mit milden Worten noch benennen könnte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106511200
Herr Minister, es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß sich die Zeit für die Debatte ihrem Ende zuneigt.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1106511300
Herr Präsident, ich bedaure.
Ich möchte, wie zugesagt, auf den weiteren Gesichtspunkt zu sprechen kommen, den Herr Abgeordneter Knabe angesprochen hat, nämlich die Frage der Kostenbefreiung. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, der dafür sprechen muß, derartiges nicht zuzulassen; denn hier könnte zusätzlich ohne jedes Risiko und völlig uferlos von nahezu jedem agiert werden.
Meine Damen und Herren, ich weise zum Schluß darauf hin, daß Ihr Entwurf den Blick auf realistische und möglicherweise längerfristig auch konsensfähige Verbandsklagemodelle verstellt.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Dann legen Sie doch eines vor, Herr Minister! Das wäre doch mal gut!)

Im Bereich des Naturschutzes wird man die Frage der Verbandsklage anders sehen können. Wir sollten sehr aufmerksam beobachten, welche Erfahrungen in den genannten fünf Bundesländern gemacht werden, um eines Tages möglicherweise auch auf Bundesebene zu einem solchen Modell zu kommen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Wann ist denn der Tag? 2005? — Dr. Hüsch [CDU/CSU]: 2006!)

Wir sind heute vor allem daran interessiert, daß in der Legislative, in der Exekutive, aber auch innerhalb der rechtsprechenden Gewalt das Umweltbewußtsein sich vertieft und verfestigt. Wir werden dafür alles tun,



Bundesminister Engelhard
mit der Staatszielbestimmung Umweltschutz etwa, die von der Bundesregierung nachdrücklich gefördert und unterstützt wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Nickels [GRÜNE]: Sie haben noch keinen Entwurf vorgelegt!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1106511400
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist abweichend vom Überweisungsvorschlag des Ältestenrats vereinbart worden, den Gesetzentwurf über das Einsichtsrecht in Umweltakten zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen.
Der Gesetzentwurf zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung soll nach einer Vereinbarung im Ältestenrat an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden.
Gibt es anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 9. März 1988, 13 Uhr ein und wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.