Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Am 28. November hat unsere Kollegin Frau Abgeordnete Dr. Walz ihren 60. Geburtstag gefeiert. Ich spreche ihr dazu die herzlichen Glückwünsche des Hauses aus.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 2 der Tagesordnung abgesetzt werden. Punkt 23 der Tagesordnung soll nach Punkt 3 aufgerufen werden. Ist das Haus damit einverstanden? Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern
— Drucksache 8/2075 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/2294 — Berichterstatter:
Abgeordneter Walther
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/2240 — Berichterstatter:
Abgeordneter Regenspurger Abgeordneter Liedtke
Interfraktionell sind zwei Kurzbeiträge für jede Fraktion vereinbart worden.
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Regenspurger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! „Was lange währt, wird auch nicht gut", so könnte man die zweite und dritte Lesung des Entwurfs eines Siebenten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern überschreiben.In diesem Gesetz geht es darum, daß die Bezüge der Beamten, Richter und Soldaten und der Versorgungsempfänger des Bundes, der Länder und der Gemeinden an die allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse angepaßt werden. Für die CDU/CSU ist es selbstverständlich, daß auch die nach öffentlichem Dienstrecht Beschäftigten an den allgemeinen Einkommenszuwächsen teilnehmen. Wir begrüßen deshalb die im Beschlußvorschlag vorgesehene Anhebung der Grundgehaltssätze und der Stufen 1 bis 4 des Ortszuschlages um 4,5 0/o ab 1. März 1978.Allerdings gab es gerade hier im Vorfeld der Beratungen seitens der Bundesregierung anderslautende Vorstellungen, die von uns nicht hätten mitgetragen werden können. In dieser Auffassung bestärkt uns die vor kurzem eingegangene Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage nach der Fortschreibung der Personalkostenzahlen für die Jahre 1976 und 1977. Hier wird bestätigt, daß sich die Entwicklung der Durchschnittseinkommen im öffentlichen Dienst über einen langen Zeitraum hinweg sehr genau parallel zur Entwicklung in der freien Wirtschaft bewegt hat. In den letzten Jahren ist sie sogar leicht daruntergeblieben. Privilegien im öffentlichen Dienst gibt es also offensichtlich nicht. Einsparungen in den Einkommen der einzelnen Beschäftigten würden in den vorgelegten Zahlen keine Rechtfertigungen finden.Die CDU/CSU begrüßt auch, daß die von der Bundesregierung vorgesehene Kürzung der Anwärterbezüge im Laufe der Beratungen seitens der Koalitionsparteien ebenfalls nicht mitgetragen wurde. Allerdings hegen wir die Befürchtung, daß dies nur wegen der zu erwartenden Unruhe vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern geschehen ist. Die Äußerungen der Kollegen Dr. Schäfer und Dr. Wendig in der ersten Lesung lassen dies leider befürchten.
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9272 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
RegenspurgerDie Frage der 60-Jahres-Grenze bei freiwilligen Zurruhesetzungen für schwerbehinderte Beamte hat der Koalition offenbar besondere Bauchschmerzen bereitet. Leider konnten wir uns im Innenausschuß nicht mit der Forderung durchsetzen, es schwerbehinderten Beamten zu ermöglichen, bereits ab 1. Januar 1979 mit dem vollendeten 60. Lebensjahr in den Ruhestand zu gehen. Wenn man eine Zurruhesetzung will — und wir wollen dies —, die auf den jeweiligen Gesundheitszustand abzielt, dann muß dies zum frühestmöglichen Zeitpunkt geschehen und darf nicht als Stufenplan, wie ihn die Koalition will, vorgesehen werden.Dies war aber nicht die Frage, die zur Vertagungsbitte seitens der SPD/FDP für die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes geführt hat. Ideologische Überlegungen waren wieder einmal entscheidend. Ängstlich wird vor allem von der SPD immer wieder geprüft, ob nicht im öffentlichen Dienstrecht ein Untersthied zum Tarifrecht festzustellen ist.So war es auch mit der Frage, was wohl geschieht, wenn ein vorzeitig pensionierter schwerbehinderter Beamter etwas zuverdienen will oder vielleicht auch muß. Deshalb kam in der Koalition auch der Gedanke auf, ähnlich wie im Rentenrecht eine Höchstgrenze für Zuverdienst vorzusehen.Ich darf für die CDU/CSU folgendes feststellen:Erstens. Die vorgesehene Regelung ist nicht vollziehbar. In aller Regel wird die durch die Ruhestandsversetzung des schwerbehinderten Beamten freigewordene Planstelle wieder besetzt sein, bevor gegebenenfalls auf Grund der festgelegten Meldung eine Reaktivierung erfolgen kann. Damit kann allenfalls noch auf die nächste freiwerdende Planstelle ausgewichen werden. Damit würde der Zeitpunkt der Reaktivierung aber von Zufälligkeiten abhängen und zu unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nicht mehr hinnehmbaren Ergebnissen führen. Zudem könnte der Betroffene manipulieren, indem er die Beschäftigung kurz vor der Reaktivierung wieder beendet. Abgesehen davon würde das Ausweichen auf andere Planstellen' eine sinnvolle Personalpolitik im Einzelfall ausschließen.Im Ergebnis ist die Regelung schließlich auf einem dem Lebenszeitprinzip widersprechenden mehrfachen Wechsel zwischen Aktiv- und Ruhestandsverhältnis angelegt, der im Vollzug nicht zu bewältigen ist. Wird der Ruhestandsbeamte auf Grund seiner Beschäftigung reaktiviert, so wird die inzwischen ausgeübte Tätigkeit zur Nebentätigkeit, die nicht genehmigt werden kann bzw. zu untersagen ist. Damit entfällt aber die Grundlage der Reaktivierung. Der Beamte kann also sofort erneut seine Versetzung in den Ruhestand beantragen.Zweitens. Die vorgesehene Regelung führt zu arbeitsmarktpolitisch widersinnigen Ergebnissen. Durch den Antrag auf vorzeitige Versetzung in den Ruhestand macht der schwerbehinderte Beamte eine Planstelle frei, die letztlich einem arbeitlosen Nachwuchsbeamten zugutekommt.
Geht er nun im Ruhestand noch einer eingeschränkten Tätigkeit nach — die oft von einem Arbeitslosen sowieso nicht ausgefüllt werden könnte —, so ist er mit der Folge zu reaktivieren, daß nunmehr in der Tat eine besetzbare Planstelle verlorengeht. Dabei werden wohl aus Rechtsgründen sogar noch Auslauffristen für die Abwicklung der zwischenzeitlich aufgenommenen Tätigkeit eingeräumt werden müssen, so daß für diesen Zeitraum die Regelung ins Leere geht.Drittens. Die Hinzuverdienstgrenze hat im Rentenrecht ihre Berechtigung. Mit der Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach Erreichen der flexiblen Altersgrenze scheidet der schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht automatisch aus dem Arbeitsverhältnis aus. Um zu vermeiden, daß er auf seinem bisherigen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt wird und neben seinem Arbeitseinkommen die vorgezogene Altersgrenze bezieht, muß als Regulativ die Hinzuverdienstgrenze bestimmt werden.Im Beamtenrecht und im Beamtenversorgungsrecht ist dies anders. Der Schwerbehinderte scheidet mit der Zurruhesetzung unwiderruflich aus dem Beamtenverhältnis aus. Die Einführung einer Hinzuverdienstgrenze ist daher nicht notwendig. Voraussetzung für die Gewährung eines Ruhegehalts ist allein die Zurruhesetzung.Nach der erklärten Zweckbestimmung soll mit der Neuregelung in einem Teilbereich des Beamtenrechts und des Beamtenversorgungsrechts eine Angleichung an das Rentenrecht vorgenommen werden. Aber auch diese Gleichbehandlung ist nur scheinbar. Für den Ruhestandsbeamten ist die Neuregelung ungünstiger als für den Rentner. Die Versorgungsbezüge des Ruhestandsbeamten unterliegen, abgesehen von dem Versorgungsfreibetrag, anders als die Renten voll der Einkommensteuerpflicht. Daraus ergibt sich für den Hinzuverdienst entsprechend der Steuerprogression eine höhere steuerliche Belastung als für den Zuverdienst bei Rentnern.Die vorgesehene Hinzuverdienstgrenze soll erklärtermaßen ohnehin das herkömmliche System des Beamtenrechts und des Beamtenversorgungsrechts nicht unberührt lassen. Sie ist nur ein erster Schritt auf dem Weg zur Angleichung an das Rentenrecht. Ist hier vielleicht wieder einmal ein Schritt zu sehen, der getan werden soll — und so wurde es ange- kündigt —, um in täglicher Kleinarbeit das öffentliche Dienstrecht zu verändern? Die CDU/CSU wird — und ich wiederhole, was ich bereits in der ersten Lesung gesagt habe — allen Bestrebungen, die die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gefährden, zum Wohle der Bevölkerung entschlossen entgegentreten.
— Ich werde mich bemühen, Herr Kollege.Viertens. Abgesehen von den bereits angesprochenen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere Gleichbehandlungsgrundsatz, Lebenszeitprinzip als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, begegnet die vorgesehene Regelung im Hinblick auf das Alimentationsprinzip ganz erheblichen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9273
RegenspurgerBedenken. Wir werden aus diesen Gründen den heute vorgelegten Änderungsantrag der SPD/FDP ablehnen.Offensichtlich ideologisch geprägt ist auch die Ablehnung unseres Vorschlags, die Altersgrenze für freiwillige Zurruhesetzungen wieder vom 63. auf das 62. Lebensjahr zurückzunehmen. Damit wäre nicht nur der Rechtszustand, wie er vor Inkrafttreten des Haushaltsstrukturgesetzes von 1975 bestand, wiederhergestellt, sondern auch eine Gleichstellung mit den Ländern — mit Ausnahme von Bremen und Hessen — erreicht. Darüber hinaus wäre auch einer arbeitsmarktpolitischen Notwendigkeit Rechnung getragen worden. Sozialpolitische Gleichmacherei — hier zwischen Rentenrecht und öffentlichem Dienstrecht — wird aber seitens der Koalition offensichtlich höher eingestuft als alle sachlichen Überlegungen. Die CDU/CSU hat auch hier einen Änderungsantrag eingebracht.Bedauerlicherweise konnte unser Antrag, den Festbetrag bei der Mindestversorgung von bisher 35 auf 55 DM zu erhöhen, keine Mehrheit im Ausschuß finden. Die Union betrachtet den im Ausschuß erzielten Kompromiß in Höhe von 45 DM als ersten Einstieg in eine ausreichende Versorgung derer, die ein Leben lang treu unserem Staat gedient und damit maßgeblich dazu beigetragen haben, daß wir heute diesen relativen Wohlstand erreicht haben. Deshalb müssen auch alle — ich betone: alle — Bürger unseres Landes wissen, daß die Union Rente oder Pension nicht als Almosen ansieht, sondern daß dies ein Rechtsanspruch ist, der sich nicht beliebig zur Manipulation eignet.Zusammenfassend darf ich feststellen: Die CDU/ CSU bekennt sich zu einem leistungsfähigen unabhängigen Berufsbeamtentum. Zur Leistungsfähigkeit gehört auch eine angemessene und dem allgemeinen Volkseinkommen angepaßte Besoldung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Die CDU/CSU wird deshalb trotz mancher Bedenken und anderer Vorstellungen in Einzelbereichen der vorgelegten Beschlußempfehlung zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke dem Kollegen Regenspurger, daß er in aller Deutlichkeit festgestellt hat: Der öffentliche Dienst hat im Vergleich zur Wirtschaft gleichberechtigt am allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung in den letzten Jahren teilgenommen. Das war unser Bestreben, und das ist die Erfüllung unseres selbst gesetzten Auftrages in § 14 des Besoldungsgesetzes: daß auch der Beschäftigte im öffentlichen Dienst — so ähnlich heißt es dort — am allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung teilzunehmen hat.Ich bin froh darüber — ich drücke das auch deutlich aus —, daß es uns wieder gelungen ist, dieses Gesetz einvernehmlich zu verabschieden. Das ist nicht einfach; denn die Summe der Forderungen der Verbände sind weder auf einen Nenner zu bringen, noch sind sie finanzierbar. Man muß also schon mit Augenmaß und Festigkeit nach dem richtigen Weg suchen. Auch das Bemühen, ein Höchstmaß an Gerechtigkeit zu erreichen, wird niemals das Gerechtigkeitsgefühl aller im öffentlichen Dienst Beschäftigten abdecken. Das zur allgemeinen Einleitung.Wir begrüßen es, daß wir den Grundsatz der Gleichbehandlung wiederum vollzogen und die Ergebnisse der Tarifverhandlungen auf den Besoldungssektor übernommen haben, nämlich die gleichmäßige Anhebung der Gehälter um 4,5 %. Wenn wir etwas spät in dieser Jahreszeit mit dem Gesetz dran sind, liegt es an der Verwirrung, die das Karlsruher Urteil über das Kindergeld bei uns erzeugt hat. Für mich ist es heute — das muß ich offen sagen — noch nicht recht verständlich, so daß ich mich mit dem Respekt vor einem Verfassungsurteil begnügen muß.Wir sind froh, daß ab 1. Januar die 1975 geschaffene Einheit des Familienlastenausgleichs wiederhergestellt wird und das Kind des Stahlarbeiters und das Kind des Beamten gegeneinander keinerlei Bevorzugung erfahren. Hier möchte ich Ihnen eine Köstlichkeit der Vergangenheit nicht vorenthalten. Ich zitiere:Ich möchte noch einen Gesichtspunkt anführen, der es nach meiner Meinung zwingend notwendig macht, nicht nur das Berufsbeamtentum zu erhalten, sondern es auch angemessen zu besolden. Aus dem Berufsbeamtentum gehen be sonders zahlreich Kinder hervor, die — ausgerüstet mit einer guten Erziehung im Elternhause — eine tragende Schicht im Leben des Volkes bilden. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Erhaltung eines gesicherten Berufsbeamtentums besonders wertvoll.Das ist kein Leitsatz des Karlsruher Urteils, sondern das schrieb Bundeskanzler Adenauer am 10. Januar 1961.
Eine liebenswerte Feststellung, wenn sie nicht auf Beamtenkinder beschränkt bleibt.
Herr Regenspurger, ein Wort zu Ihrem Antrag auf Senkung der Altersgrenze.
— Ich habe das, wie Sie gesehen haben, Herr Erhard, mit einem freundlichen Lächeln zitiert. Ich war dem Zufall wirklich dankbar, daß ich diese Passage fand.
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9274 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
LiedtkeWir haben tatsächlich die Absicht, hier beim Bund zu harmonisieren, wo immer es geht. Deswegen lehnen wir auch Ihren Antrag ab, für die Beamten die flexible Altersgrenze auf 62 Jahre zu senken, während sie für die Kollegen im Tarifbereich bei 63 Jahren verbleibt. Eine solche Regelung wäre disharmonisch.
— Ich gebe unsere Meinung kund.Dann freilich müssen wir folgerichtig auch die einzelnen Sparten harmonisieren. Deswegen beantragen wir, die flexible Altersgrenze für Schwerbeschädigte in gleicher Bewegung zu senken, wie es im Rentenrecht geschieht.Ich verhehle nicht, daß dann noch offenbleibt, auch die Altersgrenze für die Frauen wie im Rentenrecht auf 60 Jahre zu senken. Das prüfen wir zur Zeit. Das Innenministerium erhebt hier im Augenblick aber noch verfassungsrechtliche Bedenken. In der uns eigenen Genauigkeit werden wir hier nichts überstürzen.Wir haben mehr Gerechtigkeit geschaffen — auch das betonte Herr Regenspurger —, indem wir den Festbetrag bei der Mindestversorgung erhöht haben; zugegeben, auf einer mittleren Linie, aber dadurch war die Einvernehmlichkeit möglich. Es steht dem Gesetzgeber gut an, wenn er sein Augenmerk in besonderer Weise auf die kleinsten Einkommen richtet.Wir haben — auch das möchte ich nicht verhehlen; Herr Regenspurger, ich will dies noch einmal erwähnen — auch die Zuverdienstgrenze für Pensionäre über 65 Jahre, die noch weiter im öffentlichen Dienst tätig sind, über den Regierungsentwurf hinausgehend auf 40 °/o gesenkt.
Im Rentenrecht existiert eine Zuverdienstgrenze für diesen Personenkreis nicht. Ich erwähne das zum Abschluß nur zur Geschmacksabrundung für alle diejenigen, die glauben, daß man „Beamtenrecht" nur mit Sonderprivilegien und besonderen Vorteilen übersetzen kann.Wir stimmen dem Gesetz in der Hoffnung zu, daß wir das Dienstrecht, an dessen guten Eigenschaften, Herr Regenspurger, wir nicht rütteln wollen, in naher Zukunft so weit fortschreiben können, daß wir zu einem einheitlichen Personalrecht für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst kommen, so daß in einer modernen Demokratie wie der unseren auch alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst die volle Tariffreiheit besitzen. Damit geben wir unserer tiefsten Überzeugung Ausdruck, daß Augenmaß und Vernunft gleichermaßen beim Arbeitgeber u n d beim Arbeitnehmer angesiedelt sind.
Präsident Carstens: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach dem vorher Gesagten kann ich mich, wie ich meine, relativ kurz fassen. Zunächst möchte ich — zu Ihnen, Herr Kollege Regenspurger, gewandt — sagen: Auch ich kann Ihre Feststellung unterstreichen, daß, wenn man die Vergütung im öffentlichen Dienst mit denen in anderen Bereichen vergleicht, ganz offensichtlich dem § 14, nämlich der Teilhabe der Beamten am allgemeinen Wirtschaftsaufschwung, Rechnung getragen ist. Ich glaube, das ist eine Grundlage, auf der wir alle gemeinsam bei künftigen Verhandlungen diskutieren sollten.Vorab möchte ich für mich und für meine Fraktion erklären, daß wir der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zustimmen werden. Wir freuen uns insbesondere darüber, daß wir neben der linearen Erhöhung der Grundgehälter um 4,5 %— diese lineare Erhöhung wird ja nach den Tarifabschlüssen beinahe schon als eine Selbstverständlichkeit angesehen, obwohl man auch darüber einmal reden müßte — eine Reihe struktureller Verbesserungen werden vornehmen können, wenn wir diesem Gesetz so zustimmen. Neben anderem nenne ich hier die Anhebung der Mindestversorgung für Ruhestandsbeamte und Witwen.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir gleichwohl eine Reihe von kritischen Anmerkungen zum Verfahren dieses Gesetzes in diesem Jahr überhaupt. Wenn ich mir die Geschichte dieses Gesetzentwurfes vom Frühjahr bis heute ansehe, so scheint mir hier weniger eine ausgewogene Vorlage — die der Entwurf auch ist — als ein Lehrstück dafür zu existieren, wie Gesetzgebung in einem so sensiblen Bereich eigentlich nicht vonstatten gehen sollte. Wir haben jetzt Ende November und beschließen nun über eine lineare Erhöhung für 1978. Dabei wissen .wir alle doch längst, daß die Tarifpartner sozusagen schon in den Startlöchern für die nächste Tarifrunde stehen.Herr Kollege Liedtke hat einen wesentlichen Grund dafür genannt, der ohne Zweifel aus der Behandlung der Kindergeldfrage entstanden ist. Aber ich glaube, das allein reicht nicht aus. Fragt man einmal weiter nach den Gründen, so stößt man sehr bald auf die Erkenntnis, daß es offenbar ungemein schwierig ist, ein Gesetz, das in erster Linie eine lineare Erhöhung der Gehälter zum Gegenstand hat, mit allerlei strukturellen Elementen zu befrachten. Dies, meine Damen und Herren, ist doch der Kern des Problems. Wenn ich auch nur einen kleinen Zipfel struktureller Elemente in den Entwurf aufnehme, so werfe ich oft strukturelle Probleme in großer Breite auf, die dann — jedenfalls im Rahmen eines solchen Gesetzes und in der dabei gebotenen Kürze — vom Parlament kaum sinnvoll bewältigt werden können. Das ist doch die Situation.Dabei habe ich volles Verständnis für die Bundesregierung, wenn sie in den Gesetzentwurf eine Regelung mit eingeführt wissen wollte, die beim Kindergeld Ergänzungsbeträge des Ortszuschlages für dritte und weitere Kinder enthalten sollte. Ich habe deswegen Verständnis, weil die Bundesregierung zu Recht einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts möglichst schnell nachzukommen gedachte — wie
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9275
Dr. Wendigauch immer man im einzelnen zu diesem Urteil stehen mag. Das war nun einmal, ich möchte sagen, der Auftrag des Verfassungsgerichts an die Bundesregierung und auch an uns.Aber mit der beabsichtigten Kürzung der Anwärterbezüge, die ja nun nicht erfolgt, war es schon eine andere Sache. Ich verkenne nicht, daß dies — auch das muß man wissen — im vergangenen Jahr — jedenfalls nachher im Vermittlungsausschuß — eine allgemeine Meinung war. Nachdem aber — und das ist für die Diskussion dieses Jahres wichtig — klargeworden war, daß durch eine solche Maßnahme eine Vermehrung der Ausbildungsplätze nicht sichergestellt werden konnte, blieb als einzige mögliche Begründung die Erwägung bestehen, hier könne ein erster Einstieg in notwendige strukturelle Veränderungen des Besoldungssystems, z. B. — ich will es ganz konkret sagen — beim Eingang in die Laufbahngruppen, gefunden werden. Ich habe schon in der ersten Lesung dieses Gesetzes für meine Fraktion zum Ausdruck gebracht, daß wir mit solchen strukturellen Veränderungen kaum bei den Anwärtern beginnen können. Ich meine auch heute noch — wir tun es ja auch nicht —, daß wir dies auf keinen Fall tun dürfen. Dies, Herr Kollege Regenspurger, um es ganz klar zu sagen, hat mit den Wahlen in Hessen und Bayern — es ist im September ausgesprochen worden — nicht das geringste zu tun, sondern mit unseren Vorstellungen über Strukturpolitik. Wir wollen sie nicht in einem Teilstück an ein Gesetz anhängen, das im wesentlichen nur eine lineare Erhöhung zum Gegenstand hat.
— Das hat damit nichts zu tun, Herr Regenspurger.Einige Kommentare zu dieser von mir damals vertretenen Auffassung haben mich wissen lassen — ich meine jetzt Kommentare in der Presse; man soll ja auch so etwas lesen, um einmal zu hören, wie man dort darüber denkt —, daß man unsere damalige Erklärung als eine Beerdigung zweiter Klasse empfindet. Ich bin mir durchaus darüber im klaren, daß Strukturveränderungen generell nicht leicht zu vollziehen sind. Wer wollte das bestreiten? Wie sähe es aber aus, wenn wir heute sehr leicht bei den Anwärtern begönnen, um dann feststellen zu müssen, daß weitere Schritte so schnell nicht nachfolgen können? Wir hätten es für eine schlechte Sache angesehen, hätten wir gesagt: Bei den Anwärtern geht es los, alles andere werden wir dann schon sehen. Das, meine Damen und Herren das war der Kern auch meiner Ausführungen im September dieses Jahres zu diesem Punkt —, wäre ohne Zweifel kein sehr gutes Lehrstück gewesen.Noch ein letztes Wort zu einer Strukturmaßnahme, die wir selber mit hineingebracht haben, die jedoch relativ leicht und ohne Zusammenhang mit anderen grundsätzlichen Problemen des öffentlichen Dienstrechtes zu behandeln war: den Versuch, die flexible Altersgrenze für Schwerbeschädigte Beamte und Richter stufenweise auf das 60. Lebensjahr herabzusetzen. Die Koalitionsfraktionen sehen hier keine Höchstzuverdienstgrenze im Sinne des Rentenrechts vor. Deswegen würde ich hier irgendwelche ideologischen Gesichtspunkte, wie Sie, Herr Regenspurger, gemeint haben, völlig ausschließen wollen. Wir sehen eine Lösung vor, die bei einem Höchstverdienst von über 425 DM eine Reaktivierungspflicht des Dienstherrn begründet. Sie mag im konkreten Fall sehr schwer durchführbar sein. Als Faktum jedenfalls hat sie ihre Wirkung. Sie ist recht und billig und greift, wie wir meinen, in keiner Weise in die strukturelle Substanz des Versorgungs- und des Besoldungssystems ein. Darauf haben wir sehr geachtet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Zustimmung zur Vorlage in der Fassung des Innenausschusses verbinde ich die dringende Bitte an die Bundesregierung und an den Bundesminister des Innern, bei künftigen Gesetzen dieser Art davon abzusehen, lineare Erhöhungen allzusehr — ich sage das sehr vorsichtig — mit strukturellen Elementen zu belasten. Solche strukturellen Maßnahmen können nur und sollen auch, wenn es notwendig ist — ich wiederhole es —, als Ganzes gesehen und als solches vom Parlament behandelt werden. Dazu sind wir bei vernünftigen Vorschlägen jederzeit bereit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Gesetz reicht in deutlicher Weise in die unangenehmen und sehr problematischen Bereiche der Gesetzgebung überhaupt. Die Verwaltung darf Zahlungen an ihre Bediensteten nur leisten, wenn eine gesetzliche Grundlage vorliegt. Tatsächlich zahlt die Verwaltung — alle Verwaltungen im Bundesgebiet — seit 1. März erhöhte Gehälter, und wir stellen uns heute hierher, um im Bundestag in zweiter und dritter Lesung die Zahlung dieser Beamtengehaltserhöhungen zu rechtfertigen. Der Bundesrat muß hinterher auch noch beschließen. Das heißt, es wird bereits gezahlt, und das Gesetz, das wir machen, kommt neun Monate später, als die Verwaltungen gehandelt haben. Ein sehr, sehr unguter Zustand. Wir sollten uns nicht wundern, wenn die Unsicherheiten auch in den Verwaltungen zunehmen, wenn sie auf Weisungen von oben etwas tun müssen, wofür die gesetzliche Grundlage fehlt — heute bei der Zahlung der Gehälter, morgen bei den Renten, übermorgen bei anderen Problemen. Dann wundern wir uns über Rechtsunsicherheiten!
Wir wünschen uns mit dem zweiten Änderungsantrag, den wir auf der Drucksache 8/2324 zu Art. VI des Gesetzes eingereicht haben, die Wiederherstellung der Regierungsvorlage. Die Opposition unterstützt also insoweit die Auffassung der Bundesregierung. Wir glauben, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, so zu handeln und so zu entscheiden, wie wir es — zusammen mit der Bundesregierung — wünschen. Dies folgt, so meinen wir, aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
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9276 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Erhard
Das Gericht hat dem Gesetzgeber mit seiner Entscheidung keine Auslauf- oder Übergangsfristen zugebilligt. Es hat in diesem Fall mit großer Bestimmtheit und Deutlichkeit die schon bestehende, spätestens im Jahre 1975 entstandene Verfassungswidrigkeit der Kindergeldregelung festgestellt. Kein Wort, keine Andeutung in Richtung einer Auslauf- und Übergangsfrist findet sich im Urteil. Die Bundesregierung hat daraus den wohl richtigen Schluß gezogen, daß zumindest für die Zeit seit August 1977, also seit Veröffentlichung der Entscheidung, wenigsten ein Teilbetrag gezahlt werden müsse. Ich habe allerdings sehr ernste Zweifel und Bedenken, ob die Vorlage — auch das, was wir jetzt wieder beantragen — angesichts der sehr dezidierten Ausführungen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausreichend ist und der Verfassungs- und Rechtslage entspricht.Die zur Beschlußfassung anstehende Regelungen für die Mehrkinderfamilien sind nach wie vor unbefriedigend. Mit deutlichem Mißmut ist die Bundesregierung der Kindergeldentscheidung des Bundesverfassungsgerichts insoweit nachgekommen, als dies für unvermeidlich gehalten wurde. Selbstverständlich verstehe ich, daß sich die Regierungskoalition empfindlich getroffen fühlt. Denn das Gericht hat die familienfeindliche Politik der Regierung und der sie tragenden Koalition aus SPD und FDP bloßgelegt.
Die Entscheidung ist zum Beamtenrecht ergangen, also zum Recht der Beamten, Richter und Soldaten. Ihre unmittelbare Wirkung beschränkt sich deshalb auch auf betroffene Eltern aus diesem Personenkreis. Erstens lag das daran, daß allein über die Verfassungsbeschwerden dieses Personenkreises zu entscheiden war. Zweitens waren die Verfassungsbeschwerden in erster Linie auf spezielle beamten-, richter- und soldatenrechtliche Grundlagen gestützt — das gilt auch für den Beschluß —, nämlich auf Art. 33 des Grundgesetzes.Das Gericht ist sehr zu loben. Es hat sich auf den zu entscheidenden Gegenstand streng beschränkt. Die Entscheidung ist aber ganz deutlich nicht nur auf Art. 33, sondern auch auf Art. 6 des Grundgesetzes gestützt — und dieser schützt die Familie. Das bedeutet unmißverständlich, der Gesetzgeber habe den Familien ganz allgemein den besonderen Schutz versagt, der Gesetzgeber habe seine verfassungsrechtlich gebotene Pflicht verletzt. Die Tatsachenfeststellungen des Gerichts über die Benachteiligung von Familien mit mehreren Kindern sind natürlich nicht davon abhängig, ob der Elternteil Beamter ist, ob er überhaupt im öffentlichen Dienst steht oder ob ' er Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft oder Selbständiger ist. Als Besonderheit des Beamten-, Richter- und Soldatenrechts bleibt allein übrig, daß familienpolitische Forderungen, die vielleicht im allgemeinen Bereich durch Art. 6 nur als politische Programmvorgabe postuliert werden, durch Art. 33 zu justitiablem Recht verdichtet werden. Wenn und soweit das so ist, hat das Beamten-, Richter- und Soldatenrecht eine Art Pilotfunktion gewonnen, die ich vom Ergebnis her nur voll und ganz begrüßen kann.Der Kollege Regenspurger hat mit Recht gefragt, wieviel von der Erhöhung des Drittkindergeldes auf 200 DM monatlich wohl verwirklicht worden wäre und wann, wenn es diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht gegeben hätte.Der Inhalt der Entscheidung verdient eine weitere Betrachtung. Am Beispiel der Beamten, Richtei und Soldaten und ihrer Familien nennt das Gerichit mit befreiender Deutlichkeit Negatives beim Namen, Es spricht von einer familienfeindlichen Entwicklung der kinderbezogenen Gehaltsteile und vom vergleichsweisen — ich zitiere wörtlich — „Verfall dei Kaufkraft des Gehalts eines verheirateten Beamten mit mehreren Kindern" . Diese Feststellung belegt das Gericht mit Zahlen, und hier ist die Bedeutung des Urteils für den allgemeinen familienpolitischen Aspekt ganz unübersehbar. 1960 kam der Kaufkraftzuwachs bei einer Familie mit drei Kindern bis auf rund 8 Prozentpunkte an den Zuwachs bei einer Familie mit einem Kind heran. Aber 1974 hatte sich der Abstand bereits auf 38 Prozentpunkte vergrößert; von 1974 bis 1975 hatte sich diese Benachteiligung nochmals mehr als verdoppelt. Je größer im übrigen die Kinderzahl, desto größer die Benachteiligung. Zumindest den Beschäftigten mit mehr als zwei Kindern, so stellt das Gericht fest, ist daher — wörtlich — „nicht mehr ein nur annähernd gleiches Lebensniveau wie ihren nicht durch die Kosten des Unterhalts und der Schul- und Berufsausbildung der Kinder belasteten Kollegen in vergleichbaren Ämtern" gewährleistet.Die Verfassungswidrigkeit dieses Zustands stellt das Gericht mit ungewöhnlich scharfen Formulierungen fest: Die Bezüge seien eindeutig unangemessen, sie entsprächen nicht mehr den Mindestanforderungen des Art. 33 des Grundgesetzes. Das ist die verfassungskräftige Verurteilung nicht nur einer einzelnen Gesetzesmaßnahme, sondern einer jahrelangen Politik, die mit den großen Verheißungen von „mehr Gerechtigkeit" und der „Freiheit von Angst und Not" angekündigt war.Bei der Entscheidung über das jetzt vorliegende Gesetz müssen wir uns klar darüber sein, daß der materielle Gehalt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch immer ganz und gar nicht umgesetzt ist.Das Gericht hat auf Vergleichsmöglichkeiten aus den verschiedenen Rechtsgebieten hingewiesen, um die auszugleichende wirtschaftliche Belastung zu ermitteln. Es wurde verglichen zwischen Familien mit mehreren Kindern und Familien ohne oder höchstens mit einem Kind: statistisch ermittelte Ausbildungskosten für ein heranwachsendes Kind, Unterhaltsrichtsätze nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, Versorgungsbezüge für Reisen, Sozialhilfesätze, Unterhaltssätze und Regelunterhalt im Familienrecht.Die Bundesregierung hat daraufhin — das ist im Innenausschuß etwas näher erörtert worden — durch eine Expertenkommission aus Bund und Ländern die Hinweise nachrechnen lassen. Ergebnis: selbst bei
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9277
Erhard
sehr vorsichtiger Berechnung ein Mehrbedarf nicht von 50 DM, sondern von netto 120 DM für das dritte und jedes weitere Kind, und zwar schon nach dem Stand von 1977. Bei Fortschreibung auf 1979 müßte man dann ungefähr auf netto 140 DM im Monat kommen, um nach der vorsichtigen Berechnung der Expertenkommission der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts voll gerecht zu werden, d. h. den Nachteil im wirtschaftlichen Bereich, den mehrere Kinder verursachen, voll auszugleichen. Diese Benachteiligung gilt selbstverständlich für alle Familien.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ja. Da wundern sich bei uns einige Leute, daß die Kinderzahlen, die Geburtenraten entscheidend zurückgehen! Es müßte bei dem, was jetzt geschieht, weit mehr als das Doppelte gezahlt werden, wenn dem Bundesverfassungsgericht Rechnung getragen würde.
Meine Damen und Herren, folgen Sie bitte den Vorstellungen der eigenen Regierung, die wir aufnehmen, damit wenigstens für die Übergangszeit von der Verkündung des Urteils an die Nachteile ausgeglichen werden, die ganz unzweifelhaft entstanden sind!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Erhard hat sich mit dem Urteil befaßt, auf das ich in der Sitzung am 28. September 1978 ausführlich eingegangen bin.
— Ja, und es ist auch erfreulich, daß Sie das heute tun. Es wäre vielleicht gut gewesen, Sie hätten damals gleich geantwortet.
Herr Kollege Erhard, Sie vermischen hier einige Dinge. Erstens. Ich bin mit Ihnen einig — und das war der Ausgangspunkt der, Stellungnahme der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion —, daß es nur einen einheitlichen Familienbegriff und keinen Beamtenfamilienbegriff gibt.
Deshalb habe ich damals ausdrücklich gesagt, daß wir es unverständlich finden, daß das Bundesverfassungsgericht hier für die Beamtenfamilie eigene Folgerungen zieht. Und so ist es.
Ihr Versuch, den Sie jetzt machen, umgedreht zu sagen, hier habe das Verfassungsgericht über Art. 6 zur Familienpolitik im ganzen Stellung genommen, ist falsch, ist schlicht falsch.
Der Versuch, das nun der sozialliberalen Koalition zuzuschieben, ist ein Versuch. Ich lese es Ihnen vor. Das Gericht sagt:
Die Entwicklung der kinderbezogenen Gehaltsteile
— es bezieht sich also ganz darauf — in der Zeit nach 1949
— also in der Zeit, als Sie die Verantwortung trugen —
läßt keinen Zweifel, daß die Gesetzgeber in Bund und Ländern die Besoldung der kinderreichen Beamten
— nur um die Beamten handelt es sich hier — seit Anfang der 60er Jahre
— da waren Sie noch allein an der Regierung —
in zunehmendem Maße gegenüber den Dienstbezügen der Beamten ohne Kinder aus Erwägungen vernachlässigt haben, die außerhalb des Beamtenrechts lagen.
Es heißt dann:
Vergleiche Entschließung des Deutschen Bundestages vom März 1969,
— da waren wir gemeinsam in der Verantwortung —
in der ein einheitlicher Familienlastenausgleich gefordert wurde.
Wir, die sozialliberale Koalition, haben aus gesamtpolitischer Verantwortung, die für alle Bürger und damit auch den Beamten gilt, den einheitlichen Familienlastenausgleich durchgeführt und haben damit das, was 1949 und Anfang der 60er Jahre eingeleitet war, ausgeräumt.
Deshalb habe ich hier mit gutem Grund gesagt, daß wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts respektieren und daß wir ihm entsprechen, indem wir das Kindergeld ganz allgemein auf 195 DM bzw. in der Zwischenzeit auf 200 DM beim dritten Kind erhöht haben.
Das Verfassungsgericht sagt an anderer Stelle, daß die Beamten an den allgemeinen Sozialgesetzen selbstverständlich durch Bundesgesetz beteiligt werden können. Von daher gesehen, ist unsere Regelung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts konform und räumt die Bedenken aus.
Ich bin nicht überrascht, daß Sie nachträglich versuchen, das umgekehrt darzustellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Könnten Sie dem Hause und mir bestätigen, Herr Professor Schäfer, daß die Expertenkommission, die die Bundesregierung eingesetzt hat, genau zu den Zahlen kam, die ich genannt habe, und daß das, was Sie
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9278 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Erhard
jetzt tun, etwa ein Drittel von dem ist, was die Kommission für notwendig hält?
Entschuldigen Sie, w i r entscheiden,
was notwendig ist und was richtig ist. Dazu ist der Gesetzgeber da und nicht irgendwelche anderen, die etwas berechnen. Die Entscheidung darüber liegt bei diesem Hause, und die Mehrheit des Hauses muß letztlich die Verantwortung dafür tragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie noch ein Frage?
Herr Professor Schäfer, wären Sie bereit, a) zu unterstellen, daß auch ich weiß, wer entscheidet, und b) auf meine Frage zu antworten?
Entschuldigen Sie, ich antworte auf meine Weise, nicht so, wie es Ihnen paßt.
Ich habe die Frage so beantwortet, wie sie politisch zu beantworten ist, Herr Kollege Erhard.
Ich fasse zusammen. Das, was ich am 28. September hier vorgetragen habe, ist nach wie vor die Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Sie ist fundiert, und sie ist auch für die Zukunft die Grundlage unserer Entscheidungen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist hier verschiedentlich die Sorge über den späten Termin der heutigen Beratung geäußert worden. Wir haben seitens der Bundesregierung Verständnis dafür. Es ist in der Tat nicht gut, wenn das Anpassungsgesetz 1978 in die Nähe der Anpassungsrunde 1979 rückt. Und es ist auch nicht gut, ein Verfahren praktizieren zu müssen, im Interesse der Bediensteten über so lange Zeiträume hinweg Abschläge unter dem Vorbehalt der gesetzlichen Regelung zu zahlen. Wir sehen das ganz genauso. Aber die Entscheidung des Innenausschusses gibt uns ja jetzt die Möglichkeit, die abschließende Beratung dieses Gesetzentwurfs schnell über die Bühne zu bringen. Ich glaube, daß das Einvernehmen über die durchgehende Erhöhung von Grundgehalt und Ortszuschlag um 4,5 % der entscheidende Durchbruch war, der uns jetzt eine erhebliche Beschleunigung möglich macht.
Es ist bereits über die Frage der Anwärterbezüge und deren ursprünglich vorgesehene Absenkung gesprochen worden. Wir sehen wohl, daß dies ein schmerzlicher Eingriff gewesen wäre. Wir haben deshalb Verständnis dafür, daß die Koalitionsfraktionen nach sehr sorgfältigem Abwägen von einer Neuregelung in diesem Gesetz abgesehen haben.
Nun hat der Herr Kollege Regenspurger gesagt, er habe den Eindruck, daß dies nur Taktik im Hinblick auf Wahltermine gewesen sei und daß die Koalitionsfraktionen hier von einer ursprünglichen Absicht abgegangen seien, die die CDU/CSU — so klang es durch, Herr Kollege — schon immer kritisiert habe. — Sie nicken, wie ich sehe. — Ich weiß nicht, wie Sie diese Aussage aufrechterhalten wollen. Sie wissen genauso gut wie wir, Herr Kollege, daß es einen einstimmigen Beschluß des Vermittlungsausschusses gab, der die Bundesregierung beauftragte, diese Regelung in das Gesetzgebungsverfahren zu bringen. Wir haben diesen Beschluß des Vermittlungsausschusses umgesetzt. Wir haben dem Parlament Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Ich glaube, man sollte diese Frage deshalb nicht in Form von Vorwürfen, die Sie erhoben haben, debattieren. Das ist angesichts der Vorgeschichte nicht gerechtfertigt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen denn nicht mehr bekannt, daß der Vertreter der CDU/CSU schon bei der letzten Besoldungsrunde gesagt hat, daß wir dem Gesetz nicht zustimmen werden, wenn die Verschlechterung der Anwärterbezüge vorgenommen wird, und daß wir uns in der Abstimmung im vorigen Jahr schon so verhalten haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Berger, das ändert doch nichts an der Tatsache, daß der Vermittlungsausschuß — einschließlich Ihrer Vertreter — die Bundesregierung einstimmig aufgefordert hat, eine solche Vorlage einzubringen. Daß Sie dann hier im Plenum wenige Monate danach diese Vorlage kritisieren, ist doch kein Stil sachlichen Umgangs miteinander.
Einer der schwierigsten Punkte war und ist die korrekte Erfüllung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur familiengerechten Besoldung. Auch dieses Problem ist inzwischen wesentlich entlastet worden, und zwar durch die hier anrechenbare Erhöhung des Kindergelds ab dem dritten Kind. jeweils zum 1. Januar 1978 und zum 1. Januar 1979. Das Bundesverfassungsgericht ist, auch hier im Hause, nicht überall auf Zustimmung gestoßen, sondern teilweise sogar auf harte Kritik. Die Bundesregierung hat aber von Anfang an bekräftigt, daß
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9279
Parl. Staatssekretär von Schoelerder Entscheidung Rechnung zu tragen ist, so wie es die Verfassung vorsieht. Hier haben die Überlegungen im Besoldungsrecht ein Zeichen für eine größere und allgemeine Lösung gesetzt. Die Bundesregierung ist sich dabei eines gewissen, wenn auch geringen, verfassungsrechtlichen Risikos bewußt. Sie geht aber davon aus, daß der Gesetzentwurf das finanziell und politisch zur Zeit Mögliche vorsieht.Besonders zu begrüßen ist die bei den Ausschußberatungen in den Gesetzentwurf eingefügte Vorschrift über die Herabsetzung der Antragsaltersgrenze für Schwerbehinderte Beamte und Richter. Die Anlehnung an einen. entsprechenden Schritt im Rentenrecht schafft die Voraussetzung für eine sachgerechte Lösung auch im Beamten- und Richterdienstrecht. Wenn der Deutsche Bundestag beschließt, die im Rentenrecht beschlossene Zuverdienstgrenze in einer dem Rechtssystem des öffentlichen Dienstrechts entsprechenden Weise in das Beamten- und Richterdienstrecht einzuführen, wird die Bundesregierung keine Einwendungen erheben.Abschließend bedanke ich mich beim Innenausschuß sehr herzlich für seine Arbeit. Sie hat dazu geführt, daß über die wesentlichen Teile des Entwurfs heute Einigkeit besteht.Über die längst fälligen Anpassungsmaßnahmen hinaus hat das Besoldungsrecht im Bereich des Familienlastenausgleichs einen wichtigen Anstoß zu einer allgemeinen Lösung gegeben. In den wenigen Restpunkten, die ja nicht zur eigentlichen Anpassung gehören, sollten sich Lösungen linden lassen; wenn nicht diesmal, dann später.Ich darf den Deutschen Bundestag bitten, dem vorliegenden Gesetzentwurf nunmehr seine Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich sehe auch keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. I bis IV in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Bestimmungen sind einstimmig angenommen.Ich rufe Art. IV a auf. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor. Ich rufe zunächst den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2323 zu den §§ 2 und 3 auf. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 8/2323 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/2325 unter Ziffer 1 auf. Es wird eine Neufassung des gesamten Art. IV a beantragt. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/2325 unter Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Art. IV a ist damit in der neuen Fassung angenommen.Ich rufe Art. V in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Dann ist Art. V in der Ausschußfassung einstimmig angenommen.Ich rufe Art. VI auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/2324 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Einfügung eines § 2 vor. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2324 auf Einfügung eines § 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Ich rufe Art. VI §§ 3, 3 a und 4 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die genannten Bestimmungen sind damit einstimmig angenommen.Ich rufe Art. VI § 5 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/2325 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP vor. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/2325 unter Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Änderungsantrag ist damit angenommen.Wer Art. VI § 5 mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Art. VI § 5 ist damit angenommen.Es bleibt nunmehr übrig, über Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung abzustimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -Damit sind Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung angenommen.Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ein Kollege
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9280 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Präsident Carstenssteht; aber ich nehme an, er will sich nicht der Stimme enthalten. — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Es liegt eine weitere Beschlußempfehlung des Ausschusses vor. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2240, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Nunmehr rufe ich Tagesordnungspunkt 23 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungLeitlinien für die Entwicklung der Mittelmeergebiete der Gemeinschaft nebst Maßnahmen für die Landwirtschaft— Drucksachen 8/1435 Nr. 35, 8/1729 Berichterstatter: Abgeordneter SussetWünscht der Herr Berichterstatter das Wort? —Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Meine Damen und Herren, interfraktionell ist, ein Kurzbeitrag für jede Fraktion vereinbart worden.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ihnen vorliegende Drucksache 8/1729 mit dem Entschließungsentwurf des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 20. April dieses Jahres und dem Bericht des Kollegen Susset bezieht sich auf einen Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 9. Dezember 1977 zum Thema: Leitlinien für die Entwicklung der Mittelmeergebiete der Gemeinschaft nebst Maßnahmen für die Landwirtschaft.Zunächst einiges zur Vorgeschichte. Die EG-Mitgliedsländer Frankreich und Italien, die mit weiten Gebieten an das Mittelmeer angrenzen, richteten im Juli 1977 Memoranden an den Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft mit dem Antrag, die Gemeinschaft möge für die Entwicklung ihrer Mittelmeergebiete geeignete Maßnahmen beschließen.Die EG-Kommission wurde im Rahmen einer Grundsatzdebatte über die Probleme des Mittelmeerraumes vom Rat und vom Europäischen Parlament gebeten, Leitlinien für die Entwicklung der Mittelmeergebiete der Gemeinschaft zusammen mit konkreten Vorschlägen für die Landwirtschaft im Mittelmeerraum zu entwickeln.Die Mitgliedsländer Frankreich und Italien begründeten ihre Forderungen zunächst mit der bevorstehenden Erweiterung der Gemeinschaft nach Süden in den Mittelmeerraum, wodurch bisherige Drittländer als Vollmitglieder der Gemeinschaft in die EG aufgenommen werden würden und Länder — um es konkret zu sagen: die Länder Griechenland, Spanienund Portugal —, die mit ihren Agrarerzeugnissen als ausgesprochene Konkurrenten der beiden EG-Mitgliedsländer angesehen werden müssen, dann gleichberechtigt am Gemeinsamen Markt teilnehmen würden. Um einem solchen politisch erforderlichen Schritt zustimmen zu können, so wurde argumentiert, wäre es zuvor erforderlich, die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen der Mittelmeerregionen der eigenen Länder so zu verbessern, daß die kommende Konkurrenz anderer Mittelmeerländer gleicher Produktionen und ähnlicher Strukturen in Kauf genommen werden könne.Von dieser zunächst im Vordergrund stehenden Begründung sind beide Länder dann im Verlaufe der weiteren Behandlung der Anträge innerhalb der Organe der Gemeinschaft übereinstimmend abgerückt. Es wurden die Voraussetzungen für eine selbständige Aktion der Sanierung der eigenen Mittelmeergebiete als gegeben angesehen, auch ohne Rücksicht auf die spätere Erweiterung der Gemeinschaft.So erfreulich es auch sein mag, daß man das Konkurrenzdenken aus der Argumentation für die Entwicklung der Mittelmeerländer herausgelassen hat, die tatsächlichen Probleme sind damit nicht vom Tisch.
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat in der Zeit vom 29. Oktober bis zum 4. November dieses Jahres eine Reise nach Portugal und Spanien unternommen, um sich über die Fragen zu informieren, die sich aus dem von allen Parteien des Deutschen Bundestages gewünschten Beitritt dieser Länder in die Gemeinschaft ergeben können. Gestatten Sie mir bitte, daß ich wegen des engen Zusammenhangs zu dem Thema, das in der Ihnen vorliegenden Vorlage angesprochen wird, einige Eindrücke dieser Reise wiedergebe.Ich glaube, jeder der Teilnehmer war von der Tatsache beeindruckt, die in fast allen Ländern mit romanischen Sprachen festzustellen ist: Zunächst lernt man eine hochentwickelte und großzügig angelegte Hauptstadt kennen, die einen tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Reichtum erkennen läßt. Verläßt man aber die Hauptstadt und wendet sich dem ländlichen Raum zu, stellt man einen erschreckenden Abstand in der Entwicklung fest, der durch viel Armut und zahlreiche ungelöste soziale Probleme gekennzeichnet ist. Für diese Länder gilt praktisch dasselbe, was die Kommission für die Mittelmeerregionen in der Gemeinschaft dargestellt hat, eine weitgehende Unterentwicklung wie auch die Feststellung, daß diese Länder mit agrarwirtschaftlichen Maßnahmen allein nicht entwickelt werden können. Wir stellen eine weitgehende Übereinstimmung fest. In einem Satz wird andeutungsweise gesagt, man wolle doch diese Regionen in Frank- reich und Italien, die Mittelmeerregion, erst einmal entwickeln, weil durch den Beitritt dieser Länder eventuell weitere Probleme erschwerend hinzukommen könnten. Wo könnten diese weiteren Probleme liegen?Meine Damen und Herren, die Eindrücke einer kurzen Reise reichen sicher nicht aus, uns zu befähigen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9281
Schröder
) hier im Detail Prognosen für die Probleme zu stellen, die weiter auf uns zukommen können. Aber lassen Sie mich ganz kurz und ein bißchen schlaglichtartig einige Eindrücke wiedergeben, die wir bekommen haben. .Zunächst einmal hat uns die Tatsache erschreckt, daß ein Agrarland wie Portugal zur Zeit nicht in der Lage ist, die Ernährung des eigenen Volkes zu sichern. Der gegenwärtige Zustand ist so, daß mehr Agrarprodukte importiert werden müssen, als das Land selbst ausführt, was natürlich ausgesprochen negative Auswirkungen auf die Handelsbilanz hat. Der eine oder andere europäische Agrarpolitiker mag darin eine Chance sehen, wenn es zum Beitritt dieses Landes kommt, daß zunächst einmal für die Überschüsse auf dem europäischen Agrarmarkt ein Ventil gefunden worden ist. Meine Damen und Herren, das kann nur eine vorübergehende Entlastung sein. Langfristig ist diesen Ländern damit sicherlich nicht geholfen. Es müssen also andere Maßnahmen ergriffen werden, um auch die landwirtschaftliche Produktion in diesen Ländern zu entwickeln.Wenn dieses Problem in Portugal noch weit schwieriger ist als etwa in Spanien, wo die Entwicklung im allgemeinen ohnehin weiter fortgeschritten ist, so hat das sicher auch mit der sogenannten Agrarreform zu tun, die vor einigen Jahren dort verabschiedet wurde. Man kann das auch anders nennen: daß man die unrechtmäßige Besetzung von Betrieben später durch eine Agrarreform legalisiert hat.Wir haben mit den Abgeordneten aller Parteien des portugiesischen Parlaments ein sehr interessantes Gespräch geführt. Alle Vertreter der Fraktionen mit Ausnahme der Kommunisten haben ihren Willen zum Beitritt zur Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht. Lediglich die Kommunisten sagen dazu ein hartes Nein. Das ist vielleicht verständlich, wenn ich Ihnen noch ein Beispiel an Hand eines Erlebnisses in einer der vielen Kooperativen bringe. Auf meine Frage, ob man bei der Verabschiedung dieser Agrarreform die möglichen Auswirkungen insbesondere ökonomischer Art auf den späteren Eintritt in die EG berücksichtigt habe, wurde gesagt: Gerade wegen des erwünschten Eintritts in die EG habe man diese Agrarreform durchgeführt, um zunächst einmal eine soziale Befriedung als Voraussetzung für den Eintritt in die Gemeinschaft herbeizuführen. Ökonomische Gesichtspunkte wurden in diesem Zusammenhang nicht genannt.Meine Damen und Herren, wie sieht es in der Praxis aus? Es gibt sicherlich heute schon Kooperativen, die auch nach ökonomischen Gesichtspunkten arbeiten und die, wie ich glaube, langfristig eine Chance haben, rentabel zu wirtschaften und konkurrenzfähig zu sein. Wir haben aber auch eine Kooperative kennengelernt, die von der Kommunistischen Partei geführt wird.Ich will Ihnen an einem drastischen Beispiel erläutern, wie die Politik dort aussieht: Es wurden mehrere Betriebe zu einer Einheit von 6 000 Hektar zusammengefaßt. Diese 6 000 Hektar haben früher 90 Mitarbeiter bewirtschaftet. Inzwischen sind es dort über 180. Auf die berechtigte Frage des Vorsitzenden oder eines anderen Kollegen — ich weiß es nicht mehr genau —, wie denn die Situation der Landarbeiter sei, ob sie heute besser als vor der Revolution sei, wurde uns sehr offen eingestanden: Nach der Revolution ging es erst besser; heute geht es schon wieder schlechter.Meine Damen und Herren, ich glaube, diesen Punkt muß man einfach sehen. Wenn Portugal in die Gemeinschaft hinein will, dann müssen auch in diesen Kooperativen landwirtschaftlicher Art ökonomische Gesichtspunkte Platz greifen. Sonst werden solche Betriebe nicht konkurrenzfähig sein.Daß das wiederum erfordert, daß andere, außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze geschaffen werden und darüber hinaus die Sozialgesetze verbessert werden, sollte man noch einmal erwähnen.Wir haben außerdem gehört — und das ist eine Sorge, die uns erfüllt —, daß ein Teil der Kooperativen die erforderlichen Sozialversicherungsbeiträge nicht abführt. Wir haben auch erschreckende Dinge — die uns beunruhigen — über die zentrale Verwaltung gehört. Gerade im Bereich der Agrarverwaltung stellten wir fest, daß es eine riesige Zentrale in der Hauptstadt gibt. Wenn man die vorhin zitierten Betriebe, die Kooperativen, sinnvoll entwickeln will, bedeutet das, daß Beratungsstellen und eine örtliche Verwaltung da sein müssen. Sie werden jetzt in den Regionen entwickelt. Sie verursachen aber wieder zusätzliche Kosten in diesem Bereich.Wegen der fortgeschrittenen Zeit möchte ich nicht noch mehr Beispiele bringen. Abschließend möchte ich folgendes sagen: Trotz aller Probleme, die wir gesehen haben, schließen wir nicht aus, daß es durchaus möglich ist — und das entspricht auch unserem politischen Willen —, daß diese Länder in die Gemeinschaft aufgenommen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluß. — Wir alle sind der Auffassung, daß wir diese Länder mit einer hochentwickelten Kultur, die bis zu unseren Ländern in den nördlichen Regionen ausstrahlt, daß wir diese jungen Demokratien, die sich dort entwickelt haben, nicht im Stich lassen dürfen.
Ich bitte Sie deshalb, die Entschließung, die Ihnen vorliegt, anzunehmen. Zusätzlich wird die ausdrückliche Bitte an die Bundesregierung und an die Europäische Gemeinschaft ausgesprochen, in die Überlegungen und Maßnahmen, die geplant sind, auch die Entwicklungsmöglichkeiten der beiden Länder Portugal und Spanien einzubeziehen, damit es beim Beitritt dieser Länder nicht zu einer Erschütterung kommt, sondern die angestrebten Ziele und die hohen Erwartungen erfüllt werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
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9282 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Überlegungen der EG-Kommission zur Entwicklung der Mittelmeergebiete, über die wir heute sprechen, beziehen sich auf die Mittelmeergebiete der Gemeinschaft. Die Probleme, die in den stark agrarisch geprägten Regionen Süditaliens und Südfrankreichs bestehen, sollten nach den Vorstellungen der Kommission mit den Instrumenten der gemeinsamen Agrarpolitik und der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik angegangen werden.Wir stehen zugleich aber auch vor Problemen, die sich durch die Anträge von Griechenland, Portugal und Spanien auf Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft ergeben. Deshalb müssen wir zunächst die Frage beantworten, ob wir im Bereich der Agrarpolitik über Maßnahmen, die die Erzeugung, die Vermarktung und den Warenverkehr landwirtschaftlicher Erzeugnisse der Mittelmeerregionen betreffen, sprechen können, ohne an die Produktionsstrukturen und Entwicklungsprobleme der neuen Beitrittsländer zu denken.Sicherlich kann die Agrar- und Wirtschaftspolitik in der bestehenden Gemeinschaft wegen der noch ungelösten Beitrittsprobleme nicht auf der Stelle treten. Notwendig ist aber auch, daß wir bei Veränderungen des bestehenden agrarpolitischen Instrumentariums die Konsequenzen vor Augen haben, die sich für die erweiterte Gemeinschaft ergeben würden.Die Geschichte der europäischen Politik der Nachkriegszeit und die Römischen Verträge verpflichten uns, die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Menschen in den weniger ent- wickelten Gebieten der Gemeinschaft — das sind in erster Linie die Mittelmeerregionen — zu verbessern und an den Lebensstandard der Bevölkerung in den nördlichen Gebieten der Gemeinschaft heranzuführen. Ich bedaure, daß die Fortschritte in den mehr als 20 Jahren, die seit Abschluß des EWG-Vertrages vergangen sind, nicht größer sind.Soweit es sich aus den Berichten der Kommission ableiten läßt, liegen die landwirtschaftlichen Einkommen pro Kopf in den Gebieten Süditaliens und Südfrankreichs nach wie vor nur bei einem Fünftel bis zu einem Zehntel der Einkommen, die in den Regionen des Nordens und Nordwestens der EG erreicht werden. Offensichtlich hat es die gemeinsame Agrarpolitik nicht vermocht — sie allein kann es auch nicht —, das Nord-Süd-Gefälle der bestehenden Gemeinschaft wesentlich zu ändern.Aus diesem Rückblick und der Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem •Lande kann man nur der Schluß ziehen, . daß die Erwartungen und Hoffnungen, die sich auf die Agrarpolitik bei der Entwicklung wirtschaftsschwacher, schlecht strukturierter Regionen richten, zu groß waren und auch immer noch sind.Ich widerspreche der von der Kommission in den Leitlinien geäußerten Auffassung, daß es sich bei dem Entwicklungsproblem der Mittelmeergebiete vorrangig um ein landwirtschaftliches Problem handelt.
Die Lebensverhältnisse, auch die in der Landwirtschaft, haben sich in den Ländern der Gemeinschaft, in denen wirklich tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Veränderungen stattfanden, nicht in erster Linie durch Maßnahmen der Agrarpolitik verbessert, sondern durch das Wirtschaftswachstum im industriellen Bereich und im Dienstleistungssektor. Dadurch fanden die auf dem Lande lebenden Menschen zusätzliche Arbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten.Wenn von der Kommission eine unzureichende wirtschaftliche und soziale Integration der Mittelmeerregion beklagt wird, so muß sich diese Kritik in erster Linie an die Wirtschafts- und Regionalpolitik wenden. Die Kommission nennt in den Leitlinien die Ursachen für die unzureichende Entwicklung in den Mittelmeerregionen, nämlich, daß die Gemeinschaft im industriellen Bereich keine besonderen und koordinierenden Maßnahmen durchgeführt hat, und daß die Regionalpolitik zu spät und mit zu bescheidenen Mitteln angelaufen ist. Auch von den Institutionen der Gemeinschaft müßte ein wesentlich stärkerer Impuls ausgehen, die politische Zusammenarbeit der Regierungen der Mitgliedsländer auf den Gebieten der regionalen Wirtschafts-und Strukturpolitik zu verstärken.Es ist fast nicht zu glauben — aber im Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften vom 28. April 1978 nachzulesen —, daß der EG-Ausschuß für Regionalpolitik erst angefangen hat, Stellungnahmen zu den regionalen Entwicklungsprogrammen zu erarbeiten, die von allen Mitgliedsländern vorgelegt worden sind. Ebenso hat er diesem Bericht zufolge erst damit begonnen, das Verhältnis der Regionalpolitik zu anderen Gemeinschaftspolitiken grundsätzlich zu erörtern. Dabei wird die Sektoralpolitik aufgezählt; die Agrarpolitik, die, wie man gehört hat, doch ein Pfeiler der europäischen Integration sein soll, fehlt dabei.Ich frage: Wie will man Regionen, die bisher von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt sind, eine schlechte Infrastruktur und eine hohe versteckte Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft haben sowie auf Grund historischer Voraussetzungen agrarisch geprägt sind, in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht voranbringen, wenn man sich nicht über das Verhältnis der Regionalpolitik zur Agrarpolitik klargeworden ist?
Solange nicht eine bessere Koordinierung der verschiedenen 'eben genannten Politikbereiche gelingt — und zwar nicht nur soweit es die allgemeinen Grundsätze und Ziele betrifft, sondern auch die konkreten Maßnahmen und die Bedingungen ihrer administrativen Durchführung —, kann vor einer weiteren Ausweitung des agrarpolitischen Instrumentariums zur Lösung der Probleme der Mittelmeer- region nur gewarnt werden.Die Angleichung der Lebensverhältnisse in den Mitgliedsländern der Gemeinschaft erfordert Solidarität und finanzielle Opfer von denjenigen, die bereits einen höheren Lebensstandard erreicht haben. Wenn wir es mit der politischen und finanziellen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9283
Müller
Solidarität in der Gemeinschaft ernst meinen, müssen aus dem europäischen Regional- und Sozialfonds sicher erheblich höhere Finanzmittel in diese Region geleitet werden. Die Europäische Politische Zusammenarbeit muß dann aber auch die Bedingungen dafür geschaffen haben, daß diese Mittel sinnvoll und effektiv eingesetzt werden können.
In diesem Zusammenhang ist sicher nicht zu bestreiten, daß das Finanzierungssystem der gemeinsamen Agrarpolitik den schwach entwickelten Regionen in der Gemeinschaft bisher nur wenig Hilfen zuteil werden ließ. Mehr als 70 0/o der Ausgaben aus der Abteilung „Garantie" des europäischen Ausgleichs- und Garantiefonds, die 1978 sicherlich bei 25 Milliarden DM liegen werden, entfallen auf die Marktordnungen für Milch, Getreide, Zucker und Rindfleisch. Dies sind die Produkte der nördlichen Regionen, nicht die der Mittelmeergebiete. Auch nicht in annähernder Größenordnung dürften Marktordnungen für Wein, Obst, Gemüse und Oliven anstehen. Dies widerspräche jeder politischen Vernunft und wäre auch nicht zu finanzieren. Wir müssen statt dessen darüber nachdenken, wie zu erreichen ist, nennenswerte Beträge der bisherigen Aufwendungen für die Lagerung und Subventionierung von Überschußprodukten für eine Strukturpolitik in den schwach entwickelten Regionen freizusetzen.Wie schwierig auch nur geringe Verschiebungen politisch erreichbar sind, haben die diesjährigen Agrarpreisverhandlungen gezeigt. Jedoch auch Strukturverbesserungsmaßnahmen in der Landwirtschaft — wie das in den Leitlinien genannte Bewässerungsprogramm für Süditalien, das Programm zur Beschleunigung der Umstrukturierung und Umstellung des Weinbaus in Südfrankreich oder die Programme zur Entwicklung der Verarbeitungs- und Vermarktungsstruktur sowie zur Aufforstung großer Flächen vermögen in diesen Gebieten hinsichtlich der Anhebung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Bevölkerung zum Abbau der Arbeitsslosigkeit nur einen kleinen Beitrag zu leisten. Der Agrarpolitik darf deshalb nicht die Verantwortung zugeschoben werden, wenn Illusionen nicht in Erfüllung gehen.Bedenklicher allerdings als die in den Leitlinien vorgeschlagenen Strukturmaßnahmen sind die von der Kommission beabsichtigten Änderungen bei den Marktordnungen. Die Gefahr, daß auch für Produkte der Mittelmeerregionen — Wein, Obst, Gemüse, Oliven — Preisstützungs- und Marktregulierungsinstrumente eingeführt werden, die die Ursache für neue Überschüsse mit allen ihren negativen Folgewirkungen abgeben, ist auch dann, wenn man inzwischen erfolgte Änderungen berücksichtigt, immer noch vorhanden.Man wird allerdings Forderungen so lange nicht wirksam begegnen können, wie man nicht ein alternatives Konzept zur Verbesserung der Einkommensverhältnisse der heute in der Landwirtschaft tätigen Menschen hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ja, ich komme sofort zum Ende.
Lassen Sie mich abschließend noch folgendes sagen. Überlegungen, wie sie von der Kommission in den Leitlinien zur Entwicklung der Mittelmeergebiete der Gemeinschaft vorgetragen worden sind, zwingen uns, eingehender darüber nachzudenken, welche Rolle die Agrarpolitik in Zukunft im Rahmen der Aufgaben zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse übernehmen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es tut mir leid, Ihre Redezeit ist wirklich abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Wie aber muß sie ausgestaltet werden, um mithelfen zu können, diese Verhältnisse zu ändern? Er erscheint notwendig, daß Außenpolitiker, .Wirtschaftspolitiker und Agrarpolitiker erneut den ernsten Versuch machen, eine gemeinsame Grundlage für tatsächlich gangbare Schritte in dieser Richtung zu finden.
Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserer Beschlußempfehlung.
.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal auf die Regeln für die Kurzdebatte hinweisen. Die Redezeit beträgt zehn Minuten. Der Präsident kann sie nicht verlängern.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier und heute haben wir über den Vorschlag zur Entwicklung der Mittelmeergebiete zu sprechen. Ich möchte für die FDP-Fraktion noch einmal deutlich hervorheben, daß der Beitritt der Länder Griechenland, Spanien und Portugal eine politische Notwendigkeit ist. Ich will das, was meine Kollegen hier über die Reise des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in diese Länder vorgetragen haben, nicht wiederholen; aber eines möchte ich hier doch zum Ausdruck bringen: es hat mich überwältigt, in diesen Ländern zu erleben, daß eben dieser politische Wille zur Einigung da ist. Und dieser politische Wille muß eben auch die Folgen tragen können.Hierzu gehört, daß die EG allen demokratischen Ländern offensteht. Wir wissen, daß mit dem Beitritt Probleme auf die Gemeinschaft zukommen. In den genannten Ländern ist noch ein großer Teil der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt. Der wirtschaftliche Rückstand dieser Länder gegenüber der Neunergemeinschaft ist erheblich. Dies heißt zunächst einmal, daß für die einzelnen Beitrittsländer ausreichende Übergangszeiten vorgesehen werden müssen, und das ist, meine ich, gerade im agrarischen Bereich besonders wichtig.Im Rahmen des Beitritts müssen vor allem zwei Probleme gelöst werden. Erstens müssen wir die Beitrittsländer darin unterstützen, ihre landwirtschaftlichen Produktionsstrukturen zu verbessern. Zweitens ist es aber auch eine Tatsache — auch dies
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9284 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Paintnerhat uns unser Besuch in Portugal und in Spanien deutlich gemacht —, daß allein über die Agrarpolitik eine befriedigende wirtschaftliche Förderung dieser Länder nicht möglich ist. Es muß daher alles darangesetzt werden, durch geeignete Maßnahmen die gewerblich-industrielle Entwicklung vor allem in den ländlichen Räumen voranzubringen. Nur dann, wenn es gelingt, eine solche Entwicklung auf den Weg zu bringen, kann man letztlich auch die Landwirtschaft dieser Länder an die Erfordernisse des europäischen Marktes heranführen. Allein dies ist auch der Weg, einer Überforderung der EG-Agrarpolitik zu begegnen. Ich glaube überhaupt, daß man gerade vor einer so einschneidenden Maßnahme, wie sie der Beitritt von Ländern zur EG darstellt, auch allgemein in dieser Gemeinschaft einmal darüber diskutieren muß, was das alles überhaupt noch kosten darf.Abschließend möchte ich noch einmal hervorheben: Wir müssen uns der politischen Verpflichtung und der Verantwortung im Hinblick auf die Erhaltung und die Fortentwicklung der Demokratie in den beitrittswilligen Ländern bewußt sein. Auch ein Europa der Zwölf verlangt jedoch, daß die Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Marktes gewährleistet ist. Alles in allem erfordert der Beitritt dieser Länder unsere ganze uneingeschränkte Solidarität. Ich bitte Sie daher namens der Freien Demokraten, der Entschließung zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1729 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses und die Entschließung sind einstimmig angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 zur Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Verbesserung der Lage im Libanon Drucksache 8/2321 —
Überweisungsvorschlag :
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Zur Begründung, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/ CSU hat den Ihnen vorliegenden Antrag eingebracht, um eine Debatte über jene Vorgänge im Libanon möglich zu machen, die uns in den letzten Monaten immer mehr beunruhigt und, angesichts der Bilder grausamer Zerstörung, aufgewühlt und erschüttert haben. Diese Debatte soll, wie unser Antrag überschrieben ist, der Verbesserung derLage im Libanon dienen. Sie kann nicht als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes verstanden werden, weil alle Vorgänge am östlichen Rand des Mittelmeeres uns alle bewegen, unser Gewissen herausfordern und unsere politische Stellungnahme verlangen.
Der kuwaitische Außenminister hat während der arabischen Außenministerkonferenz im historischen Drusenschloß Beit ad-Din unter dem Eindruck des brennenden Beirut das Wort vom „libanesischen Höllenfeuer" geprägt. Wir wollen, soweit dies ein Parlament überhaupt vermag, unseren Teil dazu beitragen, daß dieses „libanesische Höllenfeuer" nicht weiter um sich greift, daß es erstickt wird.Wir wenden uns dabei zunächst an die Bundesregierung. Sie ist für uns der erste Adressat unserer Forderungen. Es ist unser Wille, daß sich die Bundesrepublik Deutschland zur Herstellung friedlicher Verhältnisse im Libanon zu einer bedeutenden Steigerung ihrer humanitären Hilfe für die dortige bedrängte, hauptsächlich christliche Bevölkerung entschließt. Wir wünschen sehr, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung ihre politischen und diplomatischen Aktivitäten verstärkt; denn die Nachrichten, die uns aus dem Nahen Osten erreichen, lassen vermuten, daß die jetzt — von einigen Ausnahmen abgesehen — schweigenden Geschütze, Stalinorgeln und Panzerkanonen bald aufs neue schießen werden.Wir wollen mit dieser Debatte gegenwärtig laufende internationale und nationale Bemühungen nicht hindern, sondern sie ausdrücklich unterstützen. Die Bundesregierung soll wissen, daß sie dann, wenn sie fest und nachdrücklich den uns möglichen Beitrag zur Rettung des Friedens im Nahen Osten leistet und sie sich dabei entschieden gegen Kriegstreiberei und mörderische Kanonade gegen die Zivilbevölkerung stellt, von diesem Haus und insbesondere von meiner Fraktion volle Unterstützung erfährt.
Wir haben ausdrücklich darauf verzichtet, das Thema „Hilfe für Libanon" in einer aktuellen Stunde zu behandeln, weil wir wollen, daß dieses Thema in einer normalen Debatte besprochen und vielleicht einem eventuell möglichen Streit der Parteien und Fraktionen dieses Hauses entzogen wird. Alle Kräfte dieses Hauses sollten sich vereinigen in dem Wunsch — aber nicht nur in dem Wunsch, auch im Handeln —, ein Wiederaufflammen der Kämpfe im Libanon zu verhindern und denjenigen, die den christlichen. Bevölkerungsteil vernichten oder als politische und kulturelle Kraft ausschalten wollen und die der Herstellung der Souveränität des Libanon endgültig entgegenarbeiten wollen, in den Arm zu fallen. Wir haben diese Debatte beantragt, weil uns das Gewissen treibt, denn wir, die Union, wollen nicht schweigen angesichts der Leiden, denen vor allem christliche Einwohner des Libanon ausgesetzt sind.Dabei betrachten wir diese Verhältnisse in diesem vielgestaltigen Land — ich sage dies ausdrücklich
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Dr. Marxund nicht ohne Grund — nicht voreingenommen. Wir wissen, daß im Laufe der jüngsten Geschichte bei allen beteiligten Seiten schuldhaft gehandelt wurde. Wir beachten sehr wohl, daß seit dem Einbringen und Festsetzen geflüchteter Palästinenser dieses einst als Hort der Freiheit gefeierte friedliche Land, in dem alle nahöstlichen Stimmen zu hören waren, in dem alle Zeitungen gelesen werden konnten, in dem eine uralte christliche Kultur mit der arabischen im Einvernehmen lebte, in seinem Innersten getroffen und schließlich, wie man sagt, unregierbar geworden ist. Wer sich heute die vielschichtigen Gruppen, ihre geschichtlichen Bedingungen und gegenwärtigen Motive in ihrem wechselnden Mit- und Gegeneinander verdeutlicht, wer sich also in die höchst komplizierte Welt des Libanon hineinversetzen will, wird äußerste Mühe haben, sich zurechtzufinden. Die Lage wird noch verworrener dadurch, daß immer mehr äußere Elemente, also das Interesse und Kalkül anderer Mächte, in den Libanon hineingreifen.Der Krieg zwischen Palästinensern, die den Libanon zu ihrem Instrument gegen Israel machen wollten, und den Libanesen selbst ist 1975 und 1976 immer mehr in einen Bürgerkrieg übergegangen. Die hauptsächlich muslimische Linke hoffte, mit Hilfe der bewaffneten Palästinenser die Macht zu gewinne. Dagegen organisierten die christlichen Kräfte ihren Widerstand, weil sie fürchteten, daß sie ihre Gleichberechtigung im Lande verlieren würden, das Land selbst aber seine Unabhängigkeit verlöre.Die Zerstörungen in diesem Bürgerkrieg waren überaus schwer. Die ohnehin nur schwache Kraft der libanesischen Regierung ist danach — ebenso wie die libanesische Armee — zerrrieben worden. Das Überhandnehmen von Gewalt jener gegen die Christen und ihre Verteidigungskräfte anrennenden palästinensischen Verbände drohte den Libanon in den Strudel innerer Kämpfe und schließlich in eine folgenschwere Auseinandersetzung mit Israel zu ziehen.Im übrigen, meine Damen und Herren, fällt jedem Beobachter auf, daß der Ausbruch von Feindseligkeiten im Libanon immer in einem zeitlichen Zusammenhang mit außenpolitischen Ereignissen zu sehen ist. Sie brachen immer dann aus, wenn die für die Verneinungsfront als gefährlich angesehenen Fortschritte im Verhältnis zwischen Israel und Ägypten unter amerikanischer Assistenz erkennbar wurden. Damals marschierte zunächst — das ist in der gegenwärtigen Diskussion fast vergessen — eine von Syrien befehligte „Palästinensische Befreiungsarmee", wie sie sich nannte, im Libanon ein und kämpfte gegen die christlichen Milizen. Elias Sarkis wurde damals zum Präsidenten gewählt. Ende Juli 1976 hoffte man, daß der Einsatz einer arabischen Truppe, die von den einen Friedensstreitmacht, von den anderen Abschreckungsstreitkräfte genannt wird, helfen könne — dies war ihr erklärtes Ziel —, die kriegführenden Parteien auseinanderzuhalten, ihre schweren Waffen zu konfiszieren und den Neuaufbau einer libanesischen Ordnungsmacht zu garantieren.Nach den Erfahrungen der letzten Monate ist von dieser Hoffnung nichts übriggeblieben. Nachdem dies Truppen — immerhin mehr als 30 000 Syrer, einige hundert Saudis, Sudanesen und Soldaten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten; die Südjeminiten sind im Januar dieses Jahres abgezogen — die radikalen palästinensischen, von sowjetischer Hand bewaffneten Einheiten teils füsiliert, teils sich unterworfen hatten, gingen sie gegen die Christen, gegen deren Milizen und besonders rabiat gegen deren Bevölkerung vor. Offenbar sollte der Widerstand der Christen jetzt mit allen Mitteln gebrochen werden. Seit Februar dieses Jahres ist dann ein Feuersturm auf den anderen gefolgt. Besonders schlimm sind die Nachrichten, die uns seit Anfang Juli erreicht haben.Wer genauer beobachtet, was seither, bis zum 7. Oktober, bis zu dem dann erklärten Waffenstillstand, geschehen ist, wird zugeben, daß in sich immer mehr steigernden Bombardements isoliert in muslimischer Umwelt gelegene christliche Dörfer, dann Vororte, dann Außenbezirke von Beirut und schließlich die nordöstlichen und östlichen Teile der großen und schönen Stadt, die Hauptwohnquartiere der Christen systematisch und willkürlich zugleich angegriffen und zerstört worden sind. Die Christen wurden einer bewaffneten Blockade unterworfen, so daß sie bald nur noch über kaum ausreichende Mengen an Wasser, Lebensmittel und Verbandsmaterial verfügten.Wir wissen von vielen Menschen in unserem Land, was wir wohl alle selbst gespürt haben: daß uns nämlich das Entsetzen ergriff, wenn die Fernsehbilder zeigten, wie brutal mit Salvengeschützen, mit 18- und 24-cm-Mörsern, mit mittlerer und schwerer Artillerie, mit sowjetischen Raketen die Wohnviertel, die Schulen und die Krankenhäuser zerstört wurden. Es gibt in Ost-Beirut einige weit aufragende Hochhäuser. Von dort aus zogen, wie auch von den Hügeln und Hängen im Osten der Stadt, vor allem Raketengeschosse ihre schauerliche Spur. Von dort aus sind viele Tausende von Häusern, Zehntausende von Wohnungen zertrümmert worden.Die Menschen mußten ihre brennende Heimat verlassen. Selbst auf der Flucht waren sie dem gezielten Feuer von Heckenschützen ausgesetzt. Nach Angaben des libanesischen Sozialministers vor einigen Tagen in Rom sind über eine Million Menschen geflohen, ein Drittel der gesamten Bevölkerung des Libanon. Sie leben heute bei Verwandten, in Klöstern, in elenden Verhältnissen in den Bergen. Sie leben jetzt dort, wo die Unbilden des Wetters, wo Kälte und Regenfluten sie zusätzlich bedrängen.Angesichts dieser Tatsache können wir, auch wir im Deutschen Bundestag, nicht einfach zur Tagesordnung, zu unseren Tagesordnungspunkten übergehen. Wir wünschen sehr, daß die Bundesregierung gerade für diese Menschen die humanitäre Hilfe rasch erhöht, und wir hoffen und verlangen, daß sie auch im Kreise der Europäischen Gemeinschaft für ein noch stärkeres Engagement wirbt. Wir wünschen, daß es uns gelingt, wie es Anfang November endlich der Fall war, die Hilfsgüter, z. B. auch die Hilfs-
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Dr. Marxgüter der Caritas, den wirklich Bedürftigen, den Gefährdeten und den Leidenden zuzuführen.Die Bundesregierung hat auf eine Reihe von Anfragen von Kollegen hier oder im Auswärtigen Ausschuß oder im Unterausschuß für humanitäre Hilfe ihre Aktivitäten dargelegt, ihre Zahlen genannt und die Appelle, die sie an die streitenden Parteien gerichtet hat, erwähnt. Ich gehe davon aus, daß der Bundesaußenminister dies nachher wiederum tun wird. Aber ich will, Herr Kollege Genscher, gleich sagen, daß wir uns mit dem, was uns bis jetzt vorliegt, nicht zufrieden erklären können.Wenn wir die bisherigen Ausgaben für den Libanon z. B. mit jenen Geldern vergleichen, die die Bundesregierung etwa Syrien zur Verfügung stellt, und wenn wir dabei noch die Begründungen unseres trefflichen Entwicklungsministers hören, dann stehen diese Aufwendungen und ihr Anlaß in keinem vertretbaren Verhältnis zueinander.
Deutsche Leistungen von 468 Millionen DM, allein — vor allem an Zusagen — von 131 Millionen DM für das Jahr 1978, an die Republik Syrien müssen unserer Überzeugung nach an die Voraussetzung ge-. knüpft werden, daß dieses Land die Bombardements in einem anderen Land einstellt
und die Tätigkeit der sogenannten Friedenstruppe auf wirklich friedliche Aufgaben beschränkt. Wer auf die Aufforderung hin: Gebt nur dann und dort Entwicklungshilfe, wo nicht geschossen wird, mit der Formel antwortet, in Syrien werde nicht geschossen, der hält andere offenbar für dumm.
Er selbst handelt zynisch und politisch unverantwortlich. Es ist auch für das Rechtsgefühl unseres Volkes unerträglich, nach Damaskus Geld zu zahlen, während Damaskus befiehlt, daß seine Truppen Beirut zerstören.Wenn aber jemand antwortet, sowohl die arabischen als auch die syrischen Truppen unterstünden dem Oberbefehl des libanesischen Präsidenten Sarkis, dann wird konkretes politisches Urteil — lassen Sie mich das sagen — zur Farce. Jedermann weiß, daß Präsident Sarkis leider nicht Herr im eigenen Lande ist. Sein Einfluß auf die syrischen Truppen ist gleich Null. Hätte er den syrischen Offizieren nur irgend etwas zu befehlen, hätten sie gewiß nicht mit sowjetischen Raketen auf sein eigenes Haus geschossen, während er sich in diesem Haus befand.Deshalb rügen wir nachdrücklich, daß der Welt ein falscher, trügerischer Schein vorgemacht wird. Der Präsident dieses Landes kann zwar wie jetzt in diesen Tagen mit Frankreich Vereinbarungen schließen und dort Waffen kaufen. Er kann auch Erklärungen abgeben; aber in Wirklichkeit ist er in. seinem eigenen Land ohne Macht.Der Führer des libanesischen „Nationalen Blocks", Raymond Edde, der mit den Verbänden von Schamoun und Dschemeijil in Fehde liegt, sagte im französischen Rundfunk auf die Frage, warum sich der Libanon nicht aus innerer, aus eigener Kraft weiter entwickeln könne, folgendes - ich zitiere —: „Weil wir besetzt sind." Und er fügte hinzu:Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes von der syrischen Armee besetzt, so wie Frankreich seinerzeit von der deutschen Wehrmacht besetzt war. Wir haben eine Regierung, die zwar besteht, aber keinerlei Tätigkeit ausübt. Wir haben einen sehr achtenswerten Staatschef, der jedoch nichts machen kann, genauso wie Marschall Pétain seinerzeit nur das machen konnte, was der Besatzungsmacht genehm war.Eine solche Stimme kennzeichnet die wahre Lage, die heute im Libanon herrscht. Daher wiederhole ich, daß meine Fraktion fordert, die zugesagten Gelder aus der Entwicklungshilfe an Syrien sollten erst dann ausgezahlt werden, wenn die Syrer ein für allemal ihre militärischen Aktionen gegen den Libanon, gegen die Christen im Libanon aufgegeben haben.
Zu solchen' Überlegungen hat Herr Offergeld in der Öffentlichkeit gemeint, diese Haltung treibe die Syrer in die Arme der Russen. So einfach aber sind die Dinge in der Außenpolitik nicht. Schlimm aber ist es, wenn an der Spitze des Entwicklungsministeriums ein Mann steht, der die Zusammenhänge der Außenpolitik so simpel darstellt.
Wir sehen die Verhältnisse anders. Unsere wohlbegründete Meinung über die politischen Fähigkeiten des syrischen Präsidenten Assad gehen allerdings von anderen, nämlich von höheren Prämissen aus. Dieser Staatsmann hat zwar seine Armee mit russischen. Waffen und Geräten ausgerüstet, aber er hat sich zumindest einen wichtigen Teil seiner Bewegungsfreiheit bis heute bewahrt. Er erkennt sehr wohl, was es heißt, von den Armen der Russen umschlungen zu werden. Er weiß, daß wir, die Deutschen, mit ihm, mit seinem Land — wie mit allen anderen arabischen Staaten, die dies ihrerseits wollen — politisch und wirtschaftlich sprechen, verhandeln und auch zusammenarbeiten wollen. Natürlich auf einer Grundlage, die auch unsere Entwicklungshilfe in sein Land möglich macht, z. B. für das syrische Fernmeldenetz.In einer Fragestunde hier hat der Staatsminister von Dohnanyi vermerkt, daß eine Reise des Bundesaußenministers nach Beirut nicht geplant sei. Herr Kollege Genscher, ich frage mich: warum eigentlich nicht? Wir haben Sie in den letzten Jahren bei vielen, vielleicht bei zu vielen Reisen beobachtet. Wir haben Sie im Rahmen der fünf westlichen Sicherheitsratsmitglieder sogar nach Windhuk und Pretoria reisen sehen. Wir wollen den Anlaß und den Inhalt nicht verkleinern. Glauben Sie denn nicht, daß die schwerwiegenden und schlimmen Vorgänge im Libanon eine eingehendere Befassung
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Dr. Marxmit den dortigen Problemen auch vor Ort gerechtfertigt hätten? Meine Fraktion meint, daß manchem politischen Gegenstand von vergleichsweise geringerem Gewicht weit mehr Bedeutung zugemessen wurde als dem Schicksal der verfolgten Christen im Libanon, dem Versuch, ihre Lebensgrundlagen zu zerstören, oder gar dem Versuch, Israel zum Eingreifen zu provozieren, um auf diese Weise die sich abzeichnenden Ergebnisse von Camp David zu zerstören.Deshalb wünschen wir — und wir. sagen dies ganz entschieden —, daß die zuständigen Vertreter der Bundesregierung die Möglichkeiten der deutschen Politik gegenüber den beteiligten Staaten und Kräften nachhaltiger zur Wirkung bringen sollten, als sie es bisher getan haben. Sie sollten dabei den Wunsch unseres Volkes, das Blutvergießen, die Willkür im Nahen Osten einzustellen, deutlich machen, und Sie sollten die Gefühle des Abscheues übermitteln, Herr Kollege Genscher, jenes Abscheues, der uns alle ergreift, wenn wir sehen, wie mit ganz unverhältnismäßigen Mitteln, mit Bomben und Raketen Tag und Nacht auf Wehrlose getrommelt wird — mit über 24 000 großkalibrigen Geschossen in knapp 24 Stunden.Sie sollten, Herr Kollege Genscher, da Sie sich für eine Wahl in Namibia/Südwestafrika unter UNO-Kontrolle ausgesprochen haben, auch darauf hinwirken, daß zumindest ein großer Teil der syrischen Truppen aus dem Libanon abgezogen wird. Diese belasten, wie man ja ausrechnen kann, ohnehin durch ihre Anwesenheit in einem anderen Land den Finanzhaushalt ihres eigenen Staates mit weit höheren Summen, als unsere Entwicklungshilfe dorthin ausmacht. Und, Herr Kollege Genscher, Sie sollten auch erwägen, unseren Vorschlag aufzugreifen, nämlich zur Befriedung des Landes und zur Herstellung seiner Integrität Blauhelme der UNO einzusetzen und dabei natürlich auch syrische, saudiarabische, sudanesische und andere arabische Detachements in eine UNO-Streitkraft aufzunehmen.Zu Beginn meiner Ausführungen habe ich gesagt, daß uns unser Gewissen treibe, hier über dieses Thema zu sprechen und nicht zu schweigen — nicht zu schweigen, wenn Tausende von Menschen getötet und verwundet, Hunderttausende in die Flucht gejagt, ihre Wohnungen zerstört und ganze Stadtviertel bis auf den letzten Nagel ausgeplündert werden. Wir dürfen nicht schweigen. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, als ob man sich im reichen Europa an die Bilder der Zerstörung und des Grauens in anderen Teilen der Welt gewöhne. Wir wollen nicht, daß die Christen im Libanon fürchten müssen, eine zynisch gewordene Welt gehe an ihrem Schicksal vorüber.Wir wollen auch das Gewissen anderer, der politisch Handelnden hier und in anderen Ländern Europas aufrütteln und unsere eigene Bevölkerung auffordern, die Arbeit der karitativen Verbände zu unterstützen, die mit Blutkonserven und Kindernahrung, mit Wolldecken und Kleidung denjenigen helfen, die um ihre Existenz bangen und in schlimmer Not sind.Wir wollen unseren politischen Willen bekunden, daß die Christen im Libanon nicht in ihren Freiheiten und Rechten auf eine niedrigere Stufe herabgedrückt werden und daß ihnen nicht eine muslimische Mehrheit wie Menschen zweiter Klasse begegnen, die zwar Schutz genießen, aber weniger Rechte haben.Wir bitten die Bundesregierung und wir bitten die Kollegen der beiden anderen Fraktionen in diesem Haus, sich unserem Appell nicht zu verschließen. Setzen wir alle, jeder mit seinen Mitteln, uns dafür ein, daß den Libanon nicht aufs neue die Furien des Krieges durchstreifen, sondern daß dieses Land wieder aufgebaut werden kann und die Ursachen seiner Leiden auch mit unserer Hilfe beseitigt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der SPD empfindet den Antrag der Opposition in seiner Einseitigkeit als sehr unglücklich. Das gilt auch für die Rede, die der Kollege Marx soeben gehalten hat. Andererseits geben uns der Antrag und die Debatte vielleicht die Chance, noch einmal gemeinsam darüber nachzudenken, wie Opposition und Regierung ihre außenpolitische Verantwortlichkeit wahrnehmen können.Daß die Lage im Libanon dramatisch ist, ist gewiß nicht zu bestreiten. Daher müssen wir weiterhinalles in unseren Kräften Stehende tun, um mitzuhelfen, daß die Bevölkerung dort wieder Frieden findet. Schließlich galt ja der Libanon einmal als ein Musterbeispiel religiöser Koexistenz und in seinem wirtschaftlichen Reichtum als eine Art Schweiz des Nahen Ostens.Wir fürchten allerdings, Herr Kollege Marx, daß der CDU/CSU-Antrag zu diesem Ziel nichts beitragen wird.
— Nichts beitragen wird! Wir sind der Meinung, daß die Regierungsparteien sogar ihren außenpolitischen Kredit verspielen und die Möglichkeiten der Bundesregierung, im Sinn einer Friedenspolitik tätig zu sein, schmälern würden, wenn wir uns durch propagandistisch gefärbte Anträge dieser Art in die inneren Angelegenheiten des Libanons einmischen würden;
denn von den komplizierten Tatsachen, Herr KollegeMarx, ist dieser Antrag ja doch relativ weit entfernt.Ich darf zunächst sagen, daß man die Lage im Libanon — da stimmen wir doch sicher überein — nicht ohne den Gesamtzusammenhang mit dem Nahostproblem sehen darf; denn im Libanon gibt es ja nicht nur Interventionen von einer Seite. Ich bin der Meinung: Man kann keine Aussage zum Libanon
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Dr. Ehmkemachen, ohne auch zur Gesamtfrage und ihrer Lösung Stellung zu nehmen. Aber was trägt der Antrag zur Lösung der gesamten Nahostfrage bei? — Meines Erachtens nichts.
Herr Kollege Marx, gerade wenn man der Überzeugung ist, daß sich die Bundesrepublik einer Mitverantwortung im Nahen Osten nicht entziehen kann und darf, muß man doch um so nachdrücklicher darauf aufpassen, daß die Voraussetzungen einer • solchen deutschen Politik mit größter Sorgsamkeit geprüft werden. Ich bin der Meinung: Vorsicht und Umsicht müssen dann auch Leitprinzipien einer Debatte darüber sein, da sonst schwerwiegende Rückwirkungen auf die Bundesrepublik nicht auszuschließen sind.Die undifferenzierte Bezugnahme des Antrags der Opposition allein auf die Lage der libanesischen Christen kann ich nur im Rahmen der Öffentlichkeitskampagnen sehen, die 'leider die bittere innenpolitische Auseinandersetzung im Libanon in immer stärkerem Maße begleiten.
Wenn Ihr Fraktionskollege Huyn, meine Damen und Herren von der Opposition, in einer Pressemitteilung vom 7. November 1978 einerseits Syrien des Völkermords an der christlichen Bevölkerung im Libanon beschuldigt,
gleichzeitig die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik mit Waffenlieferungen der Sowjetunion in einen Topf wirft,
um dann erneut von einer „Volksfrontpolitik" zu faseln, dann hat das mit seriöser Außenpolitik nichts zu tun, sondern vielleicht mit dem Wunsch des Kollegen Huyn, eine Art Todenhöfer des Nahen Ostens zu werden.
Hier wird ein Zerrbild aufgestellt, das leider dem Verdacht Nahrung gibt, es sollte nun auch noch das Leid der Libanesen für parteipolitische Manöver ausgeschlachtet werden.
— Dieses „Pfui" müssen Sie. Ihrem Kollegen Huyn sagen. Ich bitte darum, einmal durchzulesen, was der Mann zu diesem Punkt gesagt hat. Dann bitte ich darum, ihm dieses „Pfui" zuzurufen.
Es stünde Ihnen sehr gut an, wenn Sie Ihrem Kollegen sagten, daß diese Art, das Leid anderer Menschen parteipolitisch auszunutzen, mit christlichem Verhalten nichts zu tun hat.
Im übrigen hat ja die Entstehungsgeschichte des Oppositionsantrags gezeigt, daß es glücklicherweise in der CDU/CSU-Fraktion mach noch Kräfte gibt, die ein solches Vorgehen wie das Ihres Kollegen Huyn nicht billigen,Gerade weil die Bundesrepublik im Konzert der Mächte in neue Verantwortlichkeiten hineinwächst, denen sie sich stellen muß, können wir es uns nicht leisten, in derart propagandistischer Form in die inneren Angelegenheiten eines befreundeten Landes einzugreifen. Wenn man schon öffentlich diskutiert, muß man wenigstens den Versuch einer Analyse der Lage im Libanon machen. Ich will hier nur einige Faktoren aufzählen.Diejenigen, die die Lage im Libanon mit der Schlagzeile einer „Christenverfolgung" kennzeichnen zu können glauben, machen es sich nicht nur viel zu einfach bei der Beurteilung der Lage, sondern nach unserem Ermessen gießen sie 01 in ein Feuer, das dann in der Tat ein „Höllenfeuer" werden kann.Die heutige Lage im Libanon ist außenpolitisch mitgeprägt von dem Versuch hunderttausender palästinensischer Flüchtlinge, vom Fatah-Land im Süden des Libanon aus gegen Israel und für einen eigenen Staat zu kämpfen. Die Lage im Libanon ist sicher auch eine Funktion der Interessen Syriens an einem Libanon, der weder von Christen dominiert wird, die sich mit Israel verbünden könnten, noch beherrscht wird von Moslems und Palästinensern, die allein oder zusammen mit anderen nun umgekehrt eine Aggressionspolitik gegen Israel treiben könnten, die unkontrollierbare Auswirkungen auf die Position Syriens haben könnte.Innenpolitisch resultiert der heutige Zustand des Libanons daraus, daß langjährig eine wirtschaftliche und politische Vormachtstellung der Christen gegenüber den Moslems bestanden hat, die bei der Gründung des Staates 1943 die Bevölkerungsanteile in etwa widergespiegelt hat, was aber heute nicht mehr der Fall ist. Heute sind die Christen im Libanon in einer Minderheit. Der Anteil der moslemischen Bevölkerung wird auf etwa 60 % geschätzt.
Der aus dem Ausbleiben gesellschaftspolitischer Reformen entstandene innere soziale Unfrieden hat nicht wenig zum Ausbruch des Bürgerkrieges beigetragen.
Dabei ist — um auf Waffen zu kommen, meine Damen und Herren von der Opposition — gegenüber der dem Oppositionsantrag unterliegenden Grundthese folgendes hervorzuheben: Heute stehen kei-
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Dr. Ehmkeneswegs alle Christen, noch nicht einmal alle Maroniten, hinter der größten politischen und militärischen Gruppierung des christlichen Lagers, nämlich der Front Libanais. Die Ermordung von Familienangehörigen und Anhängern des früheren Präsidenten Franjieh am 13. Juni 1978 — das sogenannte Blutbad von Ehden — hat dazu geführt, daß die maronitischen Gruppen im Norden des Landes, wo Franjieh seine Basis hatte, Gegner der Front Libanais sind. Hinzu kommt, daß sich die christlichen Armenier, die 1943 die libanesische Staatsangehörigkeit erhalten haben, nachdem sie während des 1. Weltkrieges vor türkischen Verfolgungen geflüchtet waren, massiv über Übergriffe gerade der maronitischen Milizen auf sie beschweren, und zwar vor allem über die Artilleriebeschießung ihres Stadtteils Bourdsch Hammud. Ich sage noch einmal: Die Beschießung der christlichen Bewohner dieses Stadtteils erfolgte durch christliche Milizen. Ihnen ist das auch bekannt, nehme ich an. Denn armenische Abgeordnete des libanesischen Parlaments haben sich an die Bundesregierung, die die Präsidentschaft in der EPZ — der Europäischen Politischen Zusammenarbeit — innehat, gewandt, um die Aufmerksamkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft auf die Bedrohung der armenischen Christen durch die Milizen der Front Libanais zu lenken.Schließlich ist in bezug auf die Front Libanais darauf hinzuweisen, daß deren Chef, der ehemalige Staatschef Camille Schamoun, erst am 18. November erklärt hat, seine Bewegung werde die Abmachungen zwischen Libanons Staatspräsidenten Sarkis, einem Christen, und Frankreich nicht respektieren. Der libanesische Staatspräsident erwartet von diesen Gesprächen unter anderem umfangreiche Wirtschafts- und Militärhilfe für den Aufbau des vom Bürgerkrieg verwüsteten Landes. Er ist aber auch an einer französischen Hilfestellung für das Zustandekommen einer nationalen Übereinkunft zwischen den gegnerischen Kräften im Libanon interessiert.Den Appell Ihres Antrags, meine Damen und Herren von der Opposition, gegen die Aushöhlung der staatlichen Autorität müßten Sie heute bitte in erster Linie an die Gruppen richten, für die Sie sich in Ihrem Antrag einsetzen.
— Ich darf Sie darauf hinweisen, Herr Reddemann, wenn Sie „Geschichtsklitterung" rufen, daß die europäischen Neun — wir mit unseren Verbündeten in Europa — erst im Oktober darum gebeten haben, die rechtmäßige libanesische Regierung zu unterstützen. Diese Bitte richtete sich an die Gruppen, die sich der Kontrolle und der Ordnung der libanesischen Regierung entziehen.
— Herr Kollege Marx, wenn Sie der Meinung sind, 'daß dies eine gute Gelegenheit ist, sich wieder von unseren Freunden in Europa. zu isolieren, mit denenunsere Nahostpolitik abgestimmt ist, dann muß ich das der CDU überlassen.
Aber Sie können nicht ernst genommen werden mit einem Appell, mit dem Sie so tun, als ob man an die anderen Gruppen appellieren muß — —
— Ich habe ihn gelesen. Ich habe ihn auch analysiert.
— Ich werde Ihnen noch etwas dazu sagen: Gucken Sie sich bitte einmal an, in welcher Form sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen über das Verhalten der christlichen Milizen beschwert hat, die es unmöglich machten, die staatliche Autorität im Libanon durchzusetzen.
— Wenn es Ihnen nicht paßt, ist das schwach; das weiß ich. Aber das ist nicht sehr abendfüllend.
Ich sage das doch nicht, um nun etwa meinerseits im umgekehrten Verfahren die Christen des Libanon anzuklagen. Das hielte ich auch für eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Libanon.
— Ich bringe Tatsachen, Herr Reddemannn, weil ich der Meinung bin: Außenpolitik muß auf Tatsachen gestützt sein
und nicht auf die letzten ideologischen Windungen Ihrer innerpolitischen Auseinandersetzungen.
Ganz gewiß ist es so, daß die christlichen Gruppen nicht nur im Libanon, sondern im Nahen Osten voll Sorge sind, nun in einer Minderheitenposition zu sein. Das ist für sie eine neue Situation.
Es tröstet sie auch nicht, wenn man ihnen sagt: Die moslemischen Gruppen waren bisher in der gleichen Position. Für uns besteht auch kein Zweifel daran, daß die christliche Bevölkerung im Juli und Oktober dieses Jahres beim Wiederausbruch des Bürgerkrieges ganz schwer unter der Beschießung ihrer Stadtviertel durch syrische Truppen in Beirut gelitten hat. Die Schätzungen sind verschieden. Das Internationale Rote Kreuz schätzt die Zahl der Todesopfer auf 400.Ihnen ist aber seit dem Besuch von Präsident Assad auch bekannt, daß die syrische Regierung energisch bestreitet, daß ihre im Libanon mit Ein-
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9290 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Dr. Ehmkewilligung der libanesischen Regierung stationierten Truppen die christliche Bevölkerung des Landes vernichten wollten. Syrien weist ;darauf hin, daß es auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges im Sommer 1976 — ,das muß man dann allerdings auch erwähnen, Herr Kollege Marx — die syrischen Truppen waren, die die christliche Bevölkerung vor den Angriffen der Kampfeinheiten der Moslems und der Palästinenser schützten, als die christlichen Milizen kurz vor einer Niederlage standen. Andererseits wissen wir aus zahlreichen Gesprächen unserer Botschaft in Beirut, daß es dort die vorherrschende Meinung ist, daß- es in den Kämpfen von Februar, April, Juli und Oktober dieses Jahres die christlichen Milizen waren, die das Feuer auf die syrischen Truppen eröffnet haben, offenbar in der Erwartung, daß ein neuer Ausbruch der Kämpfe zu einem Eingreifen Israels und vielleicht auch europäischer Mächte auf der Seite der christlichen Milizen führen würde.An allen diesen Tatsachen, Herr Kollege Marx, die nun einmal zu der komplizierten Lage im Libanon gehören, geht Ihr Antrag vorbei. Ich kann es übrigens auch nur bedauern — dies muß ich hier einflechten —, daß der bayerische Kultusminister, unser Kollege Hans Maier, in seiner Eigenschaft als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken kürzlich vor dem ZdK zu diesem Thema Ausführungen gemacht hat, die auch auf eine sehr unvollständige Information über die Lage im Libanon schließen lassen.
Vielleicht macht es Sie doch nachdenklich, Herr Kollege Marx, wenn ich Ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten vorlese, was der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Class, kürzlich in Bethel zu dieser Frage erklärt hat:Die Ereignisse im Libanon, wo weitere 200 000 Menschen Flüchtlinge geworden sind, haben der christlichen Sache nicht nur in dieser Region geschadet. Das Christentum wurde wieder einmal für einen Kampf in Anspruch genommen, in dem es um die Durchsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen geht. Der größte Teil der Kirchen, mit denen die EKD durch den mittelöstlichen Kirchenrat in Verbindung steht, sieht sich in seinem .Wollen durch den Kampf der sogenannten christlichen Milizen nicht vertreten.Kollege Marx, man kann doch an einer solchen Äußerung, die ich hier nicht kommentieren will, nicht einfach vorbeigehen.
Aus Stellungnahmen dieser Art wird vielleicht deutlich, Herr Kollege Marx, daß es sich doch nachzudenken lohnt, ob es in der Öffentlichkeitskampagne, über die wir auch eingehende Berichte unserer Botschaft in Washington haben, vielleicht doch bei manchen pro-christlichen Stellungnahmen weniger um die Glaubensgemeinschaft von Christen als um die Interessengemeinschaft von konservativen politischen Kräften geht.
Unser Ziel kann es demgegenüber nur sein, im Sinne einer Friedenspolitik auf alle Gruppen des libanesischen Konflikts mäßigend einzuwirken, so wie wir das bisher getan haben, soweit wir überhaupt ein Recht und eine Möglichkeit haben, 'mäßigend zu wirken. Unser Mitgefühl und unsere Hilfsbereitschaft gelten allen Menschen, die unter dem nun schon vierjährigen Bürgerkrieg zu leiden haben. Sie wissen ja auch, meine Damen und Herren von der Opposition, daß die Bundesregierung, wofür ich dem Bundesaußenminister besonders danken möchte, seit langem in diesem Sinne tätig ist.Das Auswärtige Amt hat im Juli 1978 die beteiligten Parteien zum Friedensschluß aufgefordert. Die Regierungen der neun Mitgliedstaaten der EG haben im Juli an die Bürgerkriegsparteien appeliert, die Waffen niederzulegen. Am 23. Oktober haben die Neun erneut jede Seite vor weiteren Provokationen gewarnt, für die sie die volle Verantwortung tragen müssen.
— Ja, aber dann doch bitte nicht so einseitig, wie Sie es hier darstellen! — Die Neun haben auf Grund der Vorgänge, die ich geschildert habe, dazu aufgefordert, Präsident Sarkis und die rechtmäßige libanesische Regierung zu unterstützen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dessen Mitglied wir sind, hat am 6. Oktober eine Resolution verabschiedet, in der ein Waffenstillstand gefordert, Hilfsmaßnahmen für die notleidende Bevölkerung angeboten und Unterstützung für einen dauerhaften Frieden zugesichert werden. Der Waffenstillstand ist einen Tag später abgeschlossen worden und hält seither an. Wenn ich überlege, daß es durch diese Bemühungen, an denen die Bundesregierung wesentlich beteiligt war, möglich geworden ist, diesen Waffenstillstand zu erreichen, halte ich Ihren Antrag auch zeitlich für fragwürdig.
Die Bundesregierung hat sich im übrigen nicht nur für die notleidende libanesische Bevölkerung eingesetzt, sie hat auch alles in ihren Kräften Stehende getan — Herr Kollege Marx, auch das ist Ihnen bekannt —, um den betroffenen Bevölkerungsgruppen Hilfe zuteil werden zu lassen. Das sah je nach Kriegslage sehr unterschiedlich aus.Als im März 1978 rund 200 000 Bewohner des Südlibanon vor israelischen Truppen flohen, wurden diesen Flüchtlingen im Verlauf mehrerer Wochen Hilfsgüter und Transportleistungen im Wert von 1,2 Millionen DM gegeben. Zu diesem Zeitpunkt waren eben in erster Linie die moslemischen Bevölkerungsteile betroffen. Vorwiegend christlichen Gruppen kamen dann im September und Oktober die
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Dr. EhmkeMaßnahmen der Bundesregierung im Werte von etwa 700 000 DM zugute. Sie waren die Hauptleidtragenden der Beschießung der christlichen Wohnviertel in Beirut durch syrische Truppen. Für zwei Gemeinschaftsaktionen mit deutschen privaten Hilfsorganisationen hat die Bundesregierung im Oktober weitere 500 000 DM gegeben. Diese Hilfsaktionen kamen sämtlich der von den Kämpfen betroffenen Zivilbevölkerung zugute. Insgesamt haben wir also in diesem Jahr ungefähr 2 Millionen DM an humanitärer Hilfe gegeben. Außerdem hat die EG-Kommission auch mit auf unsere Initiative noch einmal 1 Million DM für humanitäre Soforthilfe zur Verfügung gestellt. Der deutsche Anteil daran betrug 30 % Sie wissen, daß gerade auch von christlichen Politikern des Libanon der. Bundesregierung und den Neun dafür gedankt worden ist, daß die Europäer die Libanesen in dieser Stunde der Not nicht allein gelassen haben.Nun kann man sicher darüber diskutieren — und darüber wird der Außenminister noch reden —, ob man in dem einen oder anderen Fall unsere Hilfe noch erweitern könnte. Es hat auch Fälle gegeben, wo die Hilfe nicht unmittelbar gebraucht wurde. Die Krankenhäuser in Beiruthabe ich in den Berichten gelesen — waren so gut mit Medikamenten versorgt, daß man das, was an Medikamenten geschickt wurde, nicht unmittelbar gebraucht hat.
— Nein; da bitte ich dann den Außenminister, noch einmal im einzelnen zu referieren, da ich das auch nur aus den Berichten seines Amtes kenne. Es ist mit großen Schwierigkeiten gelungen, die Hilfe dorthin zu bringen, wohin sie kommen sollte. Sonst wäre auch der Dank, von dem ich gesprochen habe, ganz unverständlich.
Wenn es so wäre, Herr Kollege Reddemann, daß nicht alles durchkommt, dann lassen Sie uns doch in völliger Ruhe überlegen, wie wir die Hilfe, die wir gemeinsam geben wollen, effektiver geben können. Aber lassen Sie uns doch nicht diese menschlich bedrückende und politisch komplizierte Situation zu einem solchen innenpolitischen Hickhack gebrauchen, wie das heute wieder geschehen ist.
— Herr Kollege Marx, ich habe mich bemüht, Ihnen ein etwas differenziertes Bild von der Lage im Libanon zu geben.
Sie können natürlich fortfahren — damit komme ich auf die außenpolitische Verantwortung zurück —, sich nur das von den Tatsachen auszusuchen, was Ihnen paßt, und in Richtung des Slogans zu verfahren, den Herr Huyn dann „nackt" ausspricht und derungefähr so lautet: SPD/FDP-Koalition unterstützt durch Entwicklungshilfe an Syrien Christenverfolgung im Libanon.
— Sie sagen: „So ist es richtig", Herr Todenhöfer. Ich danke für die Bestätigung meiner Einschätzung von Ihnen. Ich sage nur: Wenn Sie meinen, irgendwo in der Welt mit dieser Linie — ob hier, im Nahen Osten oder in Südafrika — ernst genommen zu werden, dann irren Sie sich.
Ich sage das nicht polemisch, sondern ich frage mich, wie es der deutschen Außenpolitik bekommen kann, wenn die Rolle, die die Opposition außenpolitisch — sicher in Differenzierung zur Regierung und den Regierungsparteien — spielen könnte, in Form einer derartig einseitigen Öffentlichkeitsoperation verfehlt wird.
Zu einer Aussetzung unserer Entwicklungshilfe an Syrien, wie es einige Mitglieder Ihrer Fraktion in den vergangenen Wochen gefordert haben, besteht unsereres Erachtens kein Grund. Die von uns an Syrien geleistete Entwicklungshilfe kommt ausschließlich der syrischen Zivilbevölkerung zugute. Schwerpunkt der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Syrien war erst die Elektrizitätserzeugung und ist jetzt mehr und mehr die Landwirtschaft und die Entwicklung der landwirtschaftlichen Infrastruktur. Es sind Programme, die vor allen Dingen Grundbedürfnisse der ländlichen Bevölkerung im Libanon erfüllen bzw. besser erfüllen sollen, als das bisher der Fall war.
— Ich sagte Syrien, denke ich.
— Ich glaube, Herr Reddemann, Sie sind durch die Vielzahl der Tatsachen, die ich Ihnen geboten habe, etwas verwirrt.
Eine Aussetzung unserer Hilfe würde auf der anderen Seite kontraproduzent sein zu dem, Herr Kollege Marx, was Sie von der Regierung fordern. Eine solche Einstellung der Entwicklungshilfe würde nämlich unsere Möglichkeiten, weiter mit den Vereinigten Staaten und unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft dem Libanon zu helfen, nicht erweitern, sondern einschränken.
Eine solche Einschränkung oder Aussetzung der Entwicklungshilfe würde der syrischen Bevölkerung, vor allen Dingen der ländlichen Bevölkerung, schaden, der christlichen Bevölkerung im Libanon aber nichts nützen. Das wäre doch eine törichte Politik.
Ich fasse zusammen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion lehnt eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Libanons, wie sie in dem Oppositionsantrag zum Ausdruck kommt, ab. Wir
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Dr. Ehmkesind der Auffassung, daß die Komplexität der politischen Situation im Libanon Vereinfachungen, wie sie die Opposition in ihrem Antrag und in der Rede des Kollegen Marx vorgetragen hat, nicht zuläßt, gerade auch in der öffentlichen Diskussion nicht zuläßt. Wir wünschten uns, daß sich in Zukunft jene Kräfte in der Opposition durchsetzen, die aus eigener Erfahrung wissen, daß man verantwortliche Außenpolitik so nicht treiben kann. '
Wir beantragen deshalb die Überweisung des Oppositionsantrags an den Auswärtigen Ausschuß. Dort werden wir ihn ohne die Zurückhaltung, die wir uns hier in öffentlicher Diskussion auferlegen, erörtern, dort stehen wir gerne zur weiteren Diskussion zur Verfügung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bangemann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bisherige Ablauf der Debatte zeigt noch einmal Sinn und Gefahren einer außenpolitischen Debatte im Parlament auf. Deswegen ist es vielleicht nicht unnütz, wenn wir uns alle noch einmal vergewissern, wie wir das erreichen können, was die Opposition offenbar erreichen will, nämlich die Regierung bei dem zu unterstützen, was sie bisher schon getan hat, um zur Beilegung des Konfliktes und dazu beizutragen, daß die Opfer dieses Konfliktes nicht mehr leiden müssen, als das bei solchen Konflikten unvermeidlich ist.Wenn wir das gemeinsam erreichen wollen, muß man das in einer sehr behutsamen Weise tun; denn ein solches außenpolitisches Problem verträgt auch in einer Parlamentsdebatte ganz sicher keine Aufgeregtheit, schon gar nicht die von Opposition und Regierungskoalitionen gegenseitig vorgebrachte Unterstellung, der eine wolle etwas, was nicht im Sinne einer guten deutschen außenpolitischen Position liege. Ich gehe davon aus, daß die Opposition das zunächst auch will.Ob das in dem Fall erreicht ist, den wir debattieren, ob diese Resolution, die Sie vorschlagen, der Weisheit letzter Schluß ist, darüber kann man, glaube ich, im Einverständnis reden, auch in einer öffentlichen Debatte. Eines wäre sicher sehr im Sinne dieser Behutsamkeit gewesen, Herr Marx: wenn Sie sich für Ihre Fraktion von den Äußerungen hätten distanzieren können, die immerhin im Pressedienst Ihrer Fraktion durch den Kollegen Huyn verbreitet worden sind; denn das muß man ganz sicher sagen: So sehr sich Ihre Rede von diesen Äußerungen unterschieden hat, — —
- Aber auch Graf Huyn ist ja ein Mitglied Ihrer Fraktion, und er hat diese Meinung im Pressedienst Ihrer Fraktion geäußert.
— Zu deren Verkündung und Verbreitung hat er ein Recht.
Wenn Sie aber hier eine solche Debatte führen und wenige Tage zuvor ein Mitglied Ihrer Fraktion eine Meinung vorgetragen hat, die ganz sicher nicht im Sinne der Bemühungen liegen kann, die Sie hier heute unternehmen wollen, ist es einfach sachlogisch notwendig, daß Sie dazu hier etwas sagen.
Aber ich bitte Sie, ich werde dem Herrn Huyn doch nicht untersagen wollen, eine Meinung zu haben und sie zu äußern. Ganz im Gegenteil! Aber diese Meinung spielt in dieser Debatte eine Rolle, und daß wir von Ihnen wissen wollen, wie Sie dazu stehen — dies ist doch wohl das legitime Recht eines jeden, der an dieser Debatte teilnimmt.
Diese Behutsamkeit, die zu den ersten Grundsätzen einer solchen Debatte gehört, ist von dem Kollegen Huyn nicht eingehalten worden. Dies ist der erste Punkt.Zweitens. Ich glaube auch nicht, daß eine solche Debatte nützlich sein kann, wenn wir einseitige Urteile abgeben oder einseitige Verurteilungen vornehmen. In jedem Konflikt gibt es zwei Seiten. Gerade in diesem Konflikt, der ungeheuer kompliziert ist — darauf hat Herr Ehmke mit Recht hingewiesen —, kann natürlich eine Stellungnahme des Parlaments nicht ein einseitiges Urteil beinhalten, wenn sie sinnvoll sein soll, wenn sie zur Lösung des Konflikts beitragen soll.Drittens. Innenpolitische Munition — darüber sollten wir uns jetzt einfach einmal verständigen, ohne daß. ich daraus eine Schlußfolgerung im Hinblick auf die eine oder andere Seite ziehen will — aus äußeren Spannungen beziehen zu wollen, ist der direkte Weg, solche äußeren Spannungen eben nicht abzubauen, sondern sie eher noch mit dem innenpolitischen Konflikt anzureichern.
Herr Reddemann, ich werde versuchen, mich in der Stellungnahme, die ich hier für meine Fraktion abgebe, von diesen drei Grundsätzen leiten zu lassen. Ihnen steht in der Debatte dann das Urteil darüber zu, ob mir dies gelungen ist oder nicht.Zunächst einmal ist es, wie ich glaube, wichtig, daß man sich die Ausgangslage tatsächlich noch einmal vor Augen hält, weil es hier eine Gemengelage verschiedener Interessen und verschiedener Probleme gibt. Dies ist kein einfacher Konflikt, der mit schwarz und weiß zu beschreiben wäre. Es sind ganz unterschiedliche Gruppen an diesem Konflikt beteiligt. Wir machen wahrscheinlich leicht den Fehler, die Rolle der unterschiedlichen Religionsgruppen
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Dr. Bangemannunterzubewerten. Offenbar hat in dieser Region die Frage der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion eine ganz erheblich größere Bedeutung, als das bei uns in unserem mitteleuropäischen Kontext der Fall wäre. Dabei darf man nicht nur die Gegenüberstellung des Islams und des Christentums im Auge haben. Man muß eben auch die unterschiedlichen Strömungen in den einzelnen Gruppen berücksichtigen, auf die meiner Meinung nach Herr Ehmke zu Recht hingewiesen hat. Ich will das deshalb hier nicht wiederholen. Es ist ganz offensichtlich, daß man, wenn man von den christlichen Bevölkerungsgruppen spricht — wie Sie es in Ihrem Entschließungsantrag in einigen Punkten tun —, sehr differenzieren muß. Denn es gibt offenbar unterschiedliche politische und auch andere Strömungen innerhalb des Christentums im Libanon.Natürlich spielen auch die sozialen Spannungen in diesem Konflikt eine Rolle, die sich teilweise mit den Grenzen zwischen den Religionsgruppen decken, teilweise aber auch nicht. Am Anfang dieses Konfliktes stand ohne jeden Zweifel der Versuch, eine solche soziale Spannung, die sich aus der unterschiedlichen Entwicklung der Bevölkerungsgruppen und ihres Anteils an der politischen und wirtschaftlichen Macht ergab, zu lösen. Das ist bis jetzt nicht gelungen. Das war ganz sicher einer der Punkte, die am Anfang dieses Streites eine Rolle gespielt haben.
— Frau Präsidentin, ich gestatte Herrn Reddemann eine Zwischenfrage, wenn Sie mich fragen, ob ich ihm dies gestatte.
Bitte schön, Herr Reddemann.
Herr Kollege B ange-mann, sind Sie mit mir nicht darin einig, daß das Hauptproblem, das zum Ausbruch der Kämpfe führte, darin bestand, daß verschiedene palästinensische Gruppen eine zu starke Macht im Libanon bekamen und dadurch das schon sehr schwankende Gleichgewicht völlig auseinanderbrachen?
Herr Reddemann, ich habe ja gesagt, daß sich dieses Machtgleichgewicht wirtschaftlicher und politischer Art durch die unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung im Libanon ergab, die sich sicherlich auch durch den Zustrom palästinensischer Flüchtlinge ergeben hat.
Ich komme bei meinem zweiten Punkt gleich darauf zu sprechen. Natürlich ist dieser Zustrom von palästinensischen Flüchtlingen — nicht nur wegen der Verschiebung des Gleichgewichts innerhalb der Bevölkerung, sondern auch wegen des politischen Konfliktstoffs, den er mit sich gebracht hat — eine der Hauptursachen der Verschärfung dieses politischen Konflikts. Nicht zuletzt ist natürlich auch der Nahostkonflikt im ganzen — auch das Verhältnis einzelner Partner in diesem Konflikt, wobei ich beispielsweise an Syrien und den Irak denke, an ihr Bemühen um einen Machtausgleich, an das Bemühen, den anderen nicht zu groß, nicht zu mächtig werden zu lassen, aber auch an die Auseinandersetzung Israels mit den arabischen Ländern — eine der Quellen dieses Konflikts.Deswegen ist es, glaube ich, ganz gut, wenn wir uns zunächst einmal darauf verständigen können, daß uns eine Resolution in der zu einfachen, zu glatten Sprache, in der zu starken Vereinfachung des Konflikts und seiner Ursachen nicht weiterhelfen würde. Dies sollte man in dieser öffentlichen Debatte zunächst einmal sagen; im Auswärtigen Ausschuß werden wir uns darüber ja noch im einzelnen unterhalten können.Eines habe ich — und hat sicher auch die Bundesregierung — mit großer Befriedigung zur Kenntnis genommen: Die Opposition erkennt ja auch an, daß sich die Bundesregierung ihrerseits bisher aktiv darum bemüht hat, diesen Konflikt friedlich zu lösen oder zu einer friedlichen Lösung beizutragen. Das begann mit der von Herrn Ehmke bereits zitierten Demarche unserer Botschafter in Beirut, Damaskus und Tel Aviv; das setzte sich mit den Vorschlägen fort, die wir zusammen mit westlichen Nachbarn und Freunden im Sicherheitsrat gemacht haben; das kulminierte, wenn man es so sagen darf, in dem Appell, den der Bundesaußenminister selbst am 6. Oktober 1978 an die syrischen, israelischen und libanesischen Amtskollegen, also an alle Seiten des Konflikts, und auch an den Generalsekretär der Arabischen Liga gerichtet hat, sich für eine politische Lösung im Libanon einzusetzen. Die Bundesregierung hat ständigen Kontakt mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und auch mit den streitenden Parteien gehalten, und ich glaube, es ist nicht zuviel gesagt, daß der Waffenstillstand, der immerhin das Bild, das der Kollege Marx beschrieben hat, zunächst einmal beendet hat, sicherlich auch mit ein Resultat dieser Bemühungen ist.
Wie kann man nun diese Bemühungen konsolidieren, wie kann man dazu beitragen, daß sie einer vernünftigen endgültigen Lösung den Weg öffnen? Ich meine, daß dabei folgende Grundsätze wichtig sind, und meine Fraktion bittet, diese Grundsätze bei den weiteren Beratungen im Auswärtigen Ausschuß mit zu berücksichtigen.Erstens. Wir sollten alle Bemühungen zur Lösung des Nahostkonflikts nachhaltig unterstützen; denn dieser übergelagerte Konflikt ist sicherlich eine der Hauptursachen der libanesischen Auseinandersetzungen. Die historische Initiative des Präsidenten Sadat, zu einem gerechten und dauerhaften Frieden zu kommen, müssen wir nachhaltig und auch dann unterstützen, wenn das eine oder das andere arabische Land mit diesen Friedensbemühungen im Augenblick noch nicht einverstanden sein sollte, was ja offensichtlich ist.Dieser gerechte und dauerhafte Frieden muß zweierlei erreichen, einmal, daß die Existenz Israels in sicheren Grenzen garantiert wird, zum anderen,
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Dr. Bangemanndaß die legitimen Rechte der Palästinenser gewahrt werden können. Dies ist eines der Grundprinzipien, nach denen die Bundesregierung ihre Nahostpolitik in Übereinstimmung mit allen Partnern in der Europäischen Gemeinschaft schon bisher ausgerichtet hat; ich komme auf diesen Aspekt noch zurück. Wir sollten sie dabei unterstützen.Zweitens. Wir müssen unsere Appelle und unsere politischen Bemühungen an alle Parteien in diesem Konflikt richten. Herr Marx, ich frage Sie nicht polemisch, ich frage Sie nur einmal, um Sie vielleicht noch etwas nachdenklicher zu machen, als Sie mich jetzt schon anschauen: Hätten Sie die Resolution, die Sie hier vorgeschlagen haben, auch zu dem Zeitpunkt vorgeschlagen, als syrische Truppen die Christen noch unterstützten, und zwar seinerzeit im Interesse derjenigen Bevölkerungsteile im Libanon, die nicht christlicher Konfession waren und damals unter diesen kriegerischen Auseinandersetzungen in erster Linie zu leiden hatten? Ich sage das ohne Zorn, ohne Blick zurück im Zorn und ohne Blick nach vorn im Zorn; ich möchte Sie bloß daran erinnern, daß eben alle Parteien in diesem Konflikt einen Beitrag zu seiner Lösung leisten müssen.
Gestatten Sie wieder eine Frage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Bitte schön, Herr Reddemann.
Herr Kollege Bangemann, können wir uns darauf einigen, daß zur damaligen Zeit im Libanon am laufenden Band ausgesprochen kriegerische Handlungen stattfanden, während die neuen Aktionen, die wir seit Juli dieses Jahres beobachten müssen, zu einem Zeitpunkt begonnen haben, zu dem der Libanon relativ friedlich war?
Herr Reddemann, darauf können wir uns nicht einigen; denn wenn ich das ernst nehme, was Ihr Kollege Marx hier gesagt hat, daß es ihm darum gehe, zu vermeiden, daß das Blut unschuldiger Menschen vergossen wird, dann kann dieser Gesichtspunkt keine Rolle spielen.
Drittens. Ich glaube auch nicht, daß die Methode, unsere Entwicklungshilfe gegenüber Syrien von Bedingungen abhängig zu machen, uns weiterhelfen kann. Das hat Herr Ehmke mit Recht, glaube ich, ausgeführt. Ich darf noch einmal im einzelnen sagen, woraus diese finanzielle Hilfe — vielleicht sollte man nicht Entwicklungshilfe sagen — besteht, damit auch einmal in der Öffentlichkeit deutlich wird, was es denn nun eigentlich für Folgen hätte, wenn wir diese Hilfe einstellten. Insgesamt sind 120 Millionen DM zugesagt, 40 Millionen davon für die ländliche Entwicklung der Nordost-Region,
19 Millionen DM für Geflügelzuchtprogramme, 31 Millionen DM für Obstanbaupflanzung und 30 Millionen DM für das Fernmeldeprojekt, auf das Sie sich hier noch einmal bezogen haben. Wenn wir einmal dieses Fernmeldeprojekt herausnehmen — darüber kann man nun streiten, ob Telefone oder Fernmeldeeinrichtungen auch militärisch genützt werden; zweifellos kann man das nicht ausschließen —, wenn man diesen Seitenaspekt mal beiseite läßt, dann sind alle diese Mittel ausschließlich zu einer Finanzhilfe für Projekte landwirtschaftlicher Art bestimmt. Die Zahlung dieser Gelder von der Bedingung eines bestimmten Verhaltens in diesem Konflikt abhängig zu machen, ist im doppelten Sinne unsinnig. Einmal ist es unsinnig, weil die Betroffenen davon nichts hätten, wenn wir das Geld nicht zahlten. Zum anderen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist das auch genau die Art von Außenpolitik, die wir nicht betreiben dürfen, wenn wir politischen Einfluß in der Welt zur Lösung solcher Konflikte gewinnen wollen. Sie können nicht Großmachtpolitik alten Stils mit Geld machen. Gut, kein Mensch schlägt mehr vor, Kanonenboote hinzuschicken, Herr Reddemann. Aber die Frage, ob man Geld für solche Projekte zahlen will oder nicht, von politischen Bedingungen abhängig zu machen, das ist eine unsinnige Großmachtpolitik alten Stils, bei der Sie keinen politischen Einfluß gewinnen, sondern politischen Einfluß verlieren und zur Lösung von Konflikten nichts beitragen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Todenhöfer?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Bangemann, ist Ihnen bekannt, daß durch die Zusage von 131 Millionen DM Entwicklungshilfe — die Zahl, die Sie nannten, war, glaube ich, nicht ganz richtig — Syrien zu einem der zehn Schwerpunktländer der deutschen •Entwicklungshilfe wurde und daß dies natürlich auch die psychologische Wirkung hat, daß sich die syrische Regierung durch einen derart spektakulär hohen Betrag in ihrer Politik bestärkt fühlen könnte?
Nein. Das erste ist sicher richtig. Daß das eine psychologische Wirkung hat und daß das ein Zeichen dafür ist, daß man die Einflußmöglichkeiten, die man heute politisch begründen kann, ausnützen will, gebe ich Ihnen gerne zu. Das ist ja auch unser gemeinsames Bemühen. Aber den zweiten Teil, die Unterstellung, die in Ihrer Frage lag, kann ich nun wirklich nicht annehmen. Das ist ja genau das, was Herr Ehmke etwas deutlicher als ich gesagt hat. Ich versuche ja immer, durch eine etwas konziliantere Art Ihr Verständnis und Ihre Ohren zu finden, während er das sehr deutlich gesagt hat. Genau das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, daß der Eindruck bei uns in der deutschen Öffentlichkeit entsteht, den Graf
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Dr. BangemannHuyn in seiner Presseerklärung hervorzurufen versuchte, wir wollten mit diesem Geld eine Regierung unterstützen, die Christenmord betreibt. Das ist eben nicht eine vernünftige Methode, mit diesen Problemen umzugehen. Deswegen kann ich das nicht bestätigen.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Lassen Sie mich bitte fortfahren, Herr Todenhöfer, weil ich Ihnen diese Reihenfolge gerne geschlossen vor Augen halten möchte, in der Annahme, daß sie dadurch um so eindrucksvoller wird.
Viertens. Ich glaube, daß die Bundesregierung richtig handelt, wenn sie von der Voraussetzung ausgeht, daß Präsident Sarkis und die rechtmäßige Regierung des Libanon unterstützt werden müssen. Das heißt, daß die Bundesregierung den richtigen Ansatzpunkt wählt, wenn sie sich an die rechtmäßige Vertretung dieses Landes wendet und vor allen Dingen auch dazu beiträgt, die Einheit, Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität dieses Landes zu bewahren.
Fünftens. Wir müssen uns — das scheint mir ein ganz wichtiger Punkt zu sein, den wir hier hervorheben sollten, weil er ja auch Gegenstand einer Resolution des Auswärtigen Ausschusses werden muß — im Rahmen der Neun bewegen. Das ist aus mehreren Gründen wichtig: Zum einen wird dadurch die Lösung des Konflikts vielleicht einfacher — denn immerhin sind unter den Neun auch Länder, die eine bestimmte politische und historische Affinität zu diesem Land und dadurch vielleicht besonderen Einfluß haben —, zum anderen untermauern und unterstreichen wir die Bedeutung der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Außenpolitik.
Sechstens. Wir müssen unsere humanitäre Hilfe fortsetzen und, soweit das notwendig und möglich ist, ausdehnen. In diesem Punkt sollten wir uns in einer Resolution gemeinsam darauf einigen, daß das, was bisher getan worden ist, auch fortgesetzt wird. Wir haben uns ja auch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft darum bemüht, daß die Hilfe in Höhe von 1 Million DM, die die Kommission beschlossen hat, zustande gekommen ist. Das hat die Bundesregierung ganz wesentlich initiiert.
Wenn wir uns auf diese Grundsätze einigen könnten, dann halte ich es nicht für unnütz, daß die Opposition mit ihrem Entwurf dieser Entschließung heute morgen eine solche Debatte im Parlament initiiert hat. Denn es ist das Recht, aber auch die Pflicht des Parlaments,
der Bundesregierung zu sagen, wo sie nach Meinung des Parlaments in ihrer Außenpolitik richtig, wo sie falsch handelt und wo .sie die Bemühungen des Parlaments unterstützen sollte.
In diesem Sinne fasse ich Ihre Initiative auf und hoffe, daß Sie die Kritik, die wir an Ihrem Entschließungsentwurf haben, konstruktiv bewerten
und daß wir im Auswärtigen Ausschuß zu einer gemeinsamen Haltung kommen, die das Bemühen der Bundesregierung unterstreicht, zu einer friedlichen Lösung des Konflikts beizutragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollege Professor Ehmke: Ihre Forderung nach seriöser Außenpolitik ist durch Ihre Form der Darbietung hier nicht unterstützt worden.
Ich möchte mich ausdrücklich zu einem Satz des Kollegen Bangemann bekennen: daß einseitige Urteile und einseitige Verurteilungen in diesem sehr komplizierten Konflikt tunlichst unterlassen werden sollten.
Ich möchte auch unterstreichen, daß sich ein wesentlicher Teil der analytischen Bemerkungen des Kollegen Bangemann nicht von unserer Einschätzung unterscheidet.
Und, Herr Kollege Ehmke — jetzt werden Sie überrascht sein —: Das kurze analytische Stück innerhalb Ihrer großangelegten Polemik enthält auch zahlreiche Teile, die sich von unserer Auffassung nicht unterscheiden. Nur — verzeihen Sie mir jetzt die Frage —: Worüber haben Sie, Herr Ehmke, eigentlich geredet?
Sie sprachen von einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. Ja, haben Sie denn den Antrag wirklich nicht gelesen?
Haben Sie denn nicht zur Kenntnis genommen, daß hier steht,
daß wir den „Aufbau und die Konsolidierung staatlicher Autorität des Libanon" ermöglichen helfen wollen, daß „alle fremden militärischen Aktionen im Libanon eingestellt" werden sollen? Ist das denn eine Einmischung, so etwas zu fordern?
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Klein
Wir fordern, daß die arabische Abschreckungsstreitmacht „ausschließlich" — hören Sie gut zu! — „auf Zwecke zur Erhaltung des Friedens beschränkt" bleibe. Ist das unzulässig, ist das einseitig, oder gibt es Frieden nur in einer ganz bestimmten Form?
— Ich kann Ihnen den ganzen Antrag vorlesen, falls Sie selber des Lesens unkundig sein sollten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehmke?
Bitte sehr.
Herr Kollege Klein, darf ich Sie so verstehen, daß mit diesem Antrag überhaupt nicht gesagt werden soll, daß es eine Christenverfolgung im Libanon gibt, sondern daß Sie der Meinung sind: Dort gibt es Bürgerkriegsparteien, die einschließlich der „christlichen Milizen" aufgerufen werden sollten, die legale Regierung zu unterstützen? Wenn Sie das meinen, verstehe ich allerdings die Formulierung Ihres Antrags nicht.
Herr Kollege Ehmke, Teil 2 Ihrer Frage beantworte ich uneingeschränkt mit Ja, Teil 1 uneingeschränkt mit Nein:
Vor einigen Tagen wurde die deutsche Öffentlichkeit durch Fernsehberichte über das Leid vietnamesischer Flüchtlinge tief erschüttert. Der spontane Entschluß des niedersächsischen Ministerpräsidenten Dr. Ernst Albrecht, 1 000 vietnamesische Flüchtlinge aufzunehmen, hat nicht nur öffentlichen Beifall gefunden, sondern auch eine breite Welle individueller Hilfsbereitschaft ausgelöst. Diese Haltung, uneingeschränkt von den Unionsparteien unterstützt, enthält auch, Herr Kollege Bangemann, eine Antwort auf die Frage, die Sie dem Kollegen Marx gestellt haben, ob unsere Fraktion so oder ähnlich reagieren würde, wenn es sich um Nichtchristen handelte. Die blutigen Auseinandersetzungen im Libanon, die jahrelang getobt und bis zur Stunde leider nicht ganz aufgehört haben, vermochten ähnliche spontane und breite öffentliche Reaktionen in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu bewirken. Von dieser Feststellung nehme ich selbstverständlich die Hilfsaktionen des Deutschen Caritasverbandes und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz aus. Die Medien haben auch über den libanesischen Bürgerkrieg, auch über die Ermordung libanesischer Christen berichtet, abernicht selten mit einem Akzent ideologischer Mitleidslosigkeit..
Dabei wurde die Christenpartei meistens „falangistisch" genannt,
obwohl ihr korrekter Name „Libanesische Sozialdemokratische Kataeb-Partei" ist.
Um so mehr ist die Arbeit jener Korrespondenten und Reporter zu würdigen, die sich unter Lebensgefahr um die Übermittlung eines ausgewogenen Bildes der Vorgänge im Libanon bemüht haben.Ich will mich hier nicht mit den unglückseligen Verknüpfungen religiöser, nationaler, sozialer, ideologischer Probleme auseinandersetzen, die, größtenteils durch fremde Einflußnahme angeheizt, zur Katastrophe im Libanon geführt haben. Das hat mein Kollege Dr. Werner Marx bereits getan. Ich erspare mir auch die Frage an die Kolleginnen und Kollegen der SPD, woher sie all ihre Informationen haben, auf Grund derer sie, wie kürzlich in der Fragestunde geschehen, den libanesischen Christen ein so hohes Maß an Schuld zumessen. Wohl aber frage ich: Wo sind die Demonstranten, die gegen Völkermord an libanesischen Christen, gegen Einsatz schwerster Waffen gegen Frauen, Kinder und Greise, gegen die Intervention eines fremden Staates ebenso spektakulär auftreten, wie sie das jahrelang für Ho Chi Minhs Vietnamesen oder Allendes Chilenen getan haben?
Aber es wäre traurig, wenn sich bei aller notwendigen Gegenüberstellung der unterschiedlichen Standpunkte diese Debatte im Deutschen Bundestag in einer Art verbaler Fortsetzung des Libanon-Konfliktes erschöpfte.
Mir erscheint es als unsere vordringlichste Pflicht — gestatten Sie mir zu sagen: Christenpflicht —, den Tausenden von Verletzten und Hunderttausenden von Hungernden und Obdachlosen rasch und wirksam zu helfen.
Insofern, Herr Kollege Bangemann, hindert mich auch ein weniger freundlicher Zwischenruf nicht daran, Ihnen danke dafür zu sagen, daß Sie vorhin Vorschläge zur Fortsetzung und Ausdehnung unserer Hilfe unterbreitet haben.Der Deutsche Caritasverband allein hat für die Notleidenden im Libanon seit 1975 rund 9 Millionen DM, seit Ausbruch der akuten Krise im Juli dieses Jahres rund 2,1 Millionen DM aufgebracht, die Bundesregierung in diesem Jahr nach den mir zugänglichen Unterlagen im Rahmen der humanitären Hilfe 746 000 DM direkt und indirekt über ihren Beitrag zu einer entsprechenden EG-Initiative weitere rund
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9297
Klein
I 300 000 DM, zusammen also etwas über 1 Million DM. Das bedeutet 1 Mark und 49 Pfennig für jeden Flüchtling, über den jetzt in den Bergen des Libanon, im zerschossenen Ost-Beirut, in den sogenannten Taschen, den christlichen Enklaven von Qlaiaa, Rymaich oder Debel der Winter hereinbricht.Ich frage den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Bundesaußenminister: Müssen wir uns nicht schämen? Setzen wir uns nicht dem Vorwurf des hemmungslosen Opportunismus aus? Zeichnen wir nicht das Bild des satten, hartherzigen, nur auf seinen Vorteil bedachten „häßlichen Deutschen", wenn wir zwar dem wirtschaftlich und politisch interessanten Syrien während seiner Aggression im Libanon Entwicklungshilfe in einer Hundert-Millionen-Größenordnung gewähren oder dem afrikanischen Frontlinienstaat Sambia, dem Gastgeberland von ZAPU und SWAPO, humanitäre Hilfe für Rhodesien-Flüchtlinge von 2,5 Millionen zahlen, für die gequälten Christen im Libanon aber gerade 1 Million — nach den Zahlen des Kollegen Ehmke 2 Millionen — aufbringen?Die Mittel sind da. Entsprechende Vorschläge des Unterausschusses für humanitäre Hilfe sind gemacht worden. Ich kann nur noch einmal an die Bundesregierung appellieren: bitte, helfen Sie! Jedoch in einem Umfang, der der Not im Libanon entspricht, und in einer Weise, die Begriffe wie menschliche Solidarität oder christliche Nächstenliebe nicht zu hohlen Phrasen degradiert.Dazu gehört insbesondere, dafür Sorge zu tragen, daß die Hilfsgüter auch wirklich in den Besitz der Betroffenen gelangen und nicht unterwegs abgefangen werden. Die Caritas hat offensichtlich sichere Wege gefunden, ihre Hilfssendungen in die nördlich von Beirut gelegene christliche Hafenstadt Jounich zu bringen und von dort in das Hinterland zu transportieren, wo ein Großteil der 700 000 Flüchtlinge lebt.Wie groß die Not ist, hat der maronitische Erzbischof von Jounich, Chuarallah Harb, bei seinem kürzlichen Besuch in Bonn mit den Worten gekennzeichnet — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Die Preise für die wenigen vorhandenen Lebensmittel sind ins Unermeßliche gestiegen. Der Hunger ist so groß, daß wir alles dafür bezahlen würden, was wir haben. Aber wir haben nichts.Vor dem Hintergrund dieser Aussage sind Erklärungen des Auswärtigen Amts einfach nicht zu verstehen, die Versorgungslage im christlichen Küsten- und Bergland sei gesichert; Nahrungsmittel und Trinkwasser seien ausreichend vorhanden. Geradezu gespenstisch aber mutet die regierungsamtliche Stellungnahme an zu einem über Funk nach Zypern und von dort per Fernschreiben an den Deutschen Caritasverband übermittelten Bericht darüber, daß die Zugänge zu den christlichen Stadtteilen Ost-Beiruts weiterhin blockiert seien. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin aus dem Telex vom 13. Oktober zitieren:Feuereinstellung ist sehr unsicher. Totale Blokkade in Ost-Beirut. Die Bevölkerung ist ständigeingeschlossen, ohne Versorgung, ohne Wasser, ohne Medikamente, ohne Elektrizität, ohne Kommunikationsmittel, in der Angst vor einem neuen Feuer. Die Verwundeten konnten nicht evakuiert werden.Dazu das Auswärtige Amt — ich zitiere wieder mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:Gemäß Mitteilung der Botschaft vom 18. Oktober 1978 und des DRK vom gleichen Tag besteht kein offizielles Verbot des Warenverkehrs zwischen West- und Ost-Beirut. Allerdings ist der Zugang nach Ost-Beirut durch Heckenschützen erschwert. Nach Mitteilung der Botschaft können aber immer wieder Fahrer gefunden werden, die bereit sind, Lastzüge in den Ostteil Beiruts zu fahren.Das muß man zweimal lesen: Es bestehe kein offizielles Verbot des Warenverkehrs zwischen West-und Ost-Beirut, und es könnten auch immer wieder Fahrer gefunden werden, die bereit seien, in den Ostteil der Stadt zu fahren; freilich werde der Zugang durch Heckenschützen erschwert. Klingt diese Darstellung nicht wie blanker Zynismus?
Diplomatische Zurückhaltung hin, vorsichtige Sprache her — hier wird der Versuch unternommen, eine grausame Wahrheit mit grotesken Formulierungen zu verschleiern.
„Kein offizielles Verbot" — was heißt das denn in einer Stadt, in der Menschenjagden stattfinden und in der nur die Autorität von Raketen und Maschinengewehren gilt! Wieviel distanzierte Kälte liegt in der Feststellung, es fänden sich „immer wieder Fahrer", die — und das zu berichten, hat die Botschaft offenbar vergessen — gegen ein hohes Honorar ihr Leben aufs Spiel setzen und in vielen Fällen auch verlieren! Und was empfinden Sie bei der Formulierung: „durch Heckenschützen erschwert", Sie, wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, deren persönliche Sicherheit mit einem gewaltigen Aufwand an bewaffneten Beamten, gepanzerten Fahrzeugen und einem ausgeklügelten Kontrollsystem gewährleistet wird?
Daß diese Mitteilung des Auswärtigen Amts kein Ausrutscher und keine zufällig mißlungene Formulierung war, wurde in den letzten Wochen durch zahlreiche Einlassungen mit der gleichen Tendenz belegt. Cui bono? Wem soll diese Haltung, dieser Verzicht auf dramatische Einforderung des humanitären Völkerrechts nützen?Ich fordere die Bundesregierung namens der CDU/CSU-Fraktion auf und richte die ernste, eindringliche, beschwörende Bitte an sie: Beschränken Sie sich nicht auf die beinahe anonyme Teilnahme an Alibi-Aktionen der EG, die mit allen Seiten im Geschäft bleiben will! Betreiben Sie Ihre Nahostpolitik, der ich das Ziel einer gerechten, umfassenden
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9298 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Klein
und dauerhaften Befriedung jenes Gebiets nicht bestreite,
um Himmels willen nicht auf Kosten der libanesischen Christen! Nutzen Sie all Ihren Einfluß und das ganze außenpolitische Gewicht der Bundesrepublik Deutschland, um den Menschen im Libanon zu helfen. Appellieren Sie an den Glauben der libanesischen Moslems, die der Koran auch zur Barmherzigkeit anhält! Erinnern Sie die Palästinenser daran, daß sie selbst weltweit Verständnis und Hilfe brauchen zur Überwindung ihres Flüchtlingsschicksals! Rufen Sie den Syrern jene Großmut ins Gedächtnis, die viele Jahrhunderte arabischer Geschichte gekennzeichnet hat!Ich darf zum Schluß mit Genehmigung der Frau Präsidentin drei Sätze aus der Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zitieren:Seit dem 7. Jahrhundert haben Moslems und Christen im Libanon eine Zufluchtsstätte gefunden und die friedliche Zusammenarbeit bewußt gepflegt. Bis vor wenigen Jahren war der Libanon dafür ein Vorbild. Das sollte er sehr bald wieder werden.Ich bin überzeugt: Hinter diese friedenstiftenden Sätze kann sich das ganze Hohe Haus stellen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Genscher.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Bangemann hat hier Ausführungen über den Sinn einer solchen Aussprache gemacht, die an ein Thema stößt, das auf der einen Seite von außerordentlicher außenpolitischer Bedeutung ist, das aber zugleich, wenn wir an das Leid der betroffenen Menschen im Libanon denken, niemanden in unserem Lande und, wie ich überzeugt bin, auch in den anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft und darüber hinaus persönlich unberührt lassen kann.
Schon deshalb, weil ich weiß, daß nicht nur in unserem Lande, sondern auch bei unseren Partnerstaaten in der Europäischen Gemeinschaft und darüber hinaus das Leiden im Libanon als eine unmittelbare Aufgabe und Herausforderung empfunden wird, muß ich es zurückweisen, daß Sie, Herr Abgeordneter Klein, von „Alibiaktionen" der Europäischen Gemeinschaft sprechen.
Wenn es für Sie schon nicht Hinderungsgründe gibt, die eigene Regierung in dieser Weise herabzusetzen, dann nehmen Sie wenigstens Rücksicht auf die Beziehungen unseres Landes zu unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft, und sparen Sie die anderen Acht aus!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hätte geglaubt, daß eine Aussprache über die Fra-
ge, wie wir den Menschen im Libanon helfen können, sich in der Tat auf die Frage konzentriert, wie wir ihnen a m b e s t en helfen können, daß aber nicht der Vorwurf direkt oder indirekt erhoben wird, die einen meinten es weniger ernst als die anderen, wenn es darum geht, Aktionen zu beenden, die letztlich für alle beteiligten Seiten nur in einem Blutbad enden können.
Hier wurden Worte verwendet, wie ,,hemmungsloser Opportunismus", es wurde vom „häßlichen Deutschen", von „blankem Zynismus", von der „Verschlüsselung einer grausamen Wahrheit" geredet. Es wurden Zitate unter Verschweigung des Datums gebracht, wodurch diese Zitate als falsch erscheinen müssen.
Vom „ungehinderten Verkehr" ist in der Tat in einem Schriftstück des Auswärtigen Amts die Rede, in einem Schriftstück unter dem 20. Oktober 1978. Sie alle wissen, daß nach der Konferenz der arabischen Außenminister vom 17. Oktober eben dieser ungehinderte Verkehr wieder möglich ist. Deshalb möchte ich Sie bitten, Herr Abgeordneter Klein, dieses Zitat nicht in einer Weise zu verwenden, die den Eindruck erweckt, als ob das Auswärtige Amt oder Angehörige des Auswärtigen Amtes hier etwa mit blankem Zynismus
über etwas hinweggehen, was anders ist, als es sich darstellt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Marx?
Bitte schön, Herr Abgeordneter Marx.
Herr Bundesaußenminister, darf ich nach Ihrer Ausführung eben fragen, ob dieses Haus tatsächlich davon ausgehen kann, daß seit dem, wie ich glaube, brüchigen Waffenstillstand vom 7. Oktober ein ungehinderter Verkehr möglich sei, z. B. aus Ost- oder aus Nordost-Beirut heraus und in .die Stadt hinein?
Herr Abgeordneter Dr. Marx, Sie wissen so gut wie ich, daß niemand Aussagen und Prognosen über die Dauerhaftigkeit und Festigkeit des gegenwärtigen Zustandes, der ohne Zweifel eine Verbesserung gegenüber der Lage vor dem Waffenstillstand darstellt, machen kann. Ich bin allerdings fest überzeugt: Wenn die Politik wichtiger Länder wie z. B. der Bundesrepublik Deutschland darin bestehen würde, unmittelbar beteiligte Staaten und unmittelbar am Libanon liegende Staaten, Staaten, die im Libanon Truppen unterhalten, des Völkermordes zu
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Bundesminister Genscherbeschuldigen, dann wäre dieser verbesserte Zustand auf jeden Fall nicht von Dauerhaftigkeit, sondern brüchig.
Das ist der Grund, meine sehr verehrten Damen und Herren, warum wir glauben, daß wir die Lage im Libanon nicht ohne Einbeziehung in die Gesamtsituation im Nahen Osten betrachten können. Die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann - ich glaube, sie war an Herrn Bangemann gerichtet — über die Aktivitäten von Palästinensern macht ja deutlich, wie eng alle diese Fragen miteinander verwoben sind.Es besteht kein Zweifel, daß die Lage im Libanon und der israelisch-arabische Konflikt eng zusammenhängen. Das ist auch der Grund dafür, warum die Regierungen der neun Staaten ,der Europäischen Gemeinschaft mehrfach darauf hingewiesen haben, daß der Libanon-Konflikt die Stabilität der gesamten Nahostregion bedroht. Ebenso offensichtlich ist es, daß Europa ein eigenes Interesse daran hat, den Nahostkonflikt einer gerechten, umfassenden und dauerhaften Regelung zuzuführen.Niemand sollte den Eindruck erwecken, als bedürfe es Aufforderungen an die Bundesregierung, dieser Verpflichtung gerecht zu werden. Die Bundesregierung hat nicht nur in der Zeit ihrer Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft, sondern auch davor und in voller Übereinstimmung mit allen ihren Partnern allen Einfluß, den sie in den benachbarten Staaten und im Libanon selbst hat, eingesetzt, um zum Frieden beizutragen. Aber wir dürfen auch nicht den Eindruck erwecken, als liege es in der Hand der Bundesregierung, darüber zu entscheiden, ob im Libanon Frieden herrscht oder nicht.
Gerade bei unserer Aussprache über dieses Thema müssen wir die Entwicklung im Nahen Osten berücksichtigen; denn es muß unser gemeinsames Interesse sein, die Entwicklung auch für die leidgeprüfte Bevölkerung des Libanon von außen her im positiven Sinne zu beeinflussen.In der Haushaltsdebatte habe ich für die Bundesregierung angekündigt, daß wir auf der Grundlage der Erklärung des Europäischen Rats vom 29. Juni 1977 unsere guten Beziehungen zu allen Partnern des Konflikts und zu allen anderen Staaten des Nahen Ostens in den Dienst der Friedensbemühungen stellen werden. Wir wollen dazu beitragen, daß auch diejenigen, die an den Gesprächen in Camp David nicht teilgenommen haben, in den bevorstehenden Verhandlungsprozeß einbezogen werden können. Meine Damen und Herren, es besteht kein Zweifel, daß in Camp David wichtige Fragen nicht oder noch nicht geklärt werden konnten. Das sollte aber nicht dazu führen, weiteren Verhandlungen keine Erfolgsaussichten zuzusprechen. Deshalb ist auch bei dem jüngsten Besuch des jordanischen Königs Hussein in Bonn darauf hingewiesen worden, daß die in Camp David eingeleitete Entwicklung bei gutem Willen aller Beteiligten eine eigene Dynamik in Richtung auf die Ziele bewirken kann, die in der Erklärung des Europäischen Rates vom 29. Juni 1977 genannt sind.Die Bundesregierung hat es begrüßt, daß bei der arabischen Gipfelkonferenz in Bagdad keine Beschlüsse gefaßt wurden, die die Einheit des arabischen Lagers gefährden oder Ägypten in eine dauernde Isolierung treiben müßten. Ein positives Element der Bagdader Konferenz liegt auch darin, daß sich alle teilnehmenden Staaten auf der Grundlage der Prinzipien, wie sie in den Resolutionen 242 und 338 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen niedergelegt sind, für eine Verhandlungslösung des israelisch-arabischen Konflikts ausgesprochen haben.Meine Damen und Herren, ein Blick auf die Geschichte des Nahostkonflikts zeigt, daß es keineswegs immer so war und daß diese Chance genutzt werden sollte. Daß es dazu gekommen ist, war nicht durch eine Politik der Konfrontation mit einzelnen am Konflikt beteiligten Parteien möglich, sondern nur durch geduldige Ausnutzung unserer Möglichkeiten und Beziehungen, um von der Notwendigkeit einer Verhandlungslösung zu überzeugen. An dieser Politik wallen wir festhalten.
Der Bundeskanzler hat am 7. November bei dem Essen zu Ehren des jordanischen Königs gesagt:Die Wege, die die Vereinbarungen von Camp David geöffnet haben, bieten Chancen für wahre Fortschritte in Richtung auf einen umfassenden und gerechten Frieden. 'Die Bundesregierung würde es daher sehr begrüßen, wenn eine abgewogene Prüfung der durch Camp David geschaffenen Möglichkeiten dazu führte, daß alle Beteiligten diese Chancen nutzen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erleben gegenwärtig, wie schwer es ist, nach über 30 Jahren der Feindschaft und des abgrundtiefen Mißtrauens das Vertrauen zu schaffen, ohne das kein dauerhafter Frieden möglich ist. Um so mehr begrüßen wir, daß die amerikanische Regierung sich mit solcher Energie und Einsatzbereitschaft um ein V e r h a n d l u n g s ergebnis bemüht. Ihre Mitwirkung ist für die Zukunft des Friedensprozesses von entscheidender Bedeutung. Ich sage Ihnen: Sowenig die Regierungen der Europäischen Gemeinschaft der Aufforderung zur Aktion bedürfen, sowenig bedarf dessen die amerikanische Regierung. Die Regierungen sind sich ihrer Verantwortung bewußt, sie wissen aber auch, daß sie eben nicht allein den Schlüssel zur Lösung dieses seit Jahrzehnten schwebenden Konflikts in der Hand haben.Angesichts des unbestreitbaren Friedenswillens der Regierungen Ägyptens und Israels, des bereits zurückgelegten weiten Weges in Richtung auf .den Frieden und angesichts des Vorteils, den dieser Frieden den Völkern bringen wird, hat die Bundesregierung die begründete Hoffnung, daß die nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten doch überwunden werden können. Für uns alle muß es dar-
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9300 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Bundesminister Genscherauf ankommen, daß der Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn dauerhaft, und das kann nur heißen: umfassend beigelegt wird. Um so wichtiger ist es, daß von allen Beteiligten ein Rahmen für den Frieden insgesamt und nicht nur für das Verhältnis zweier Staaten angestrebt wird.Meine Damen und Herren, was die Lage im Libanon angeht, so steht die Bundesregierung seit Beginn der tragischen Ereignisse im Libanon in ständigem Kontakt mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft, um sich mit ihnen über gemeinsame Schritte abzustimmen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft fühlen sich der Einheit, der Unabhängigkeit, der Souveränität und der territorialen Integrität Libanons verpflichtet. Wir haben das zuletzt in unseren Appellen vom 6. Juli und 23. Oktober 1978 an alle Beteiligten des Konflikts hervorgehoben.Die gegenwärtig im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertretenen Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, haben in den Beratungen der Vereinten Nationen über den Libanon-Konflikt den Standpunkt vertreten, daß sich alle Anstrengungen darauf richten müssen, den inneren Frieden und den Ausgleich der Interessen aller beteiligten Parteien auf der Grundlage der Einheit und der Unabhängigkeit der libanesischen Republik zu erreichen. Die einstimmig angenommene Resolution des Sicherheitsrates vom 6. Oktober greift diese gemeinsame europäische Position auf, die maßgeblich von der Bundesregierung mit bestimmt worden ist.Meine Damen und Herren, der Waffenstillstand vom Oktober 1978 ist sicherlich nicht zuletzt auch auf diesen energischen Aufruf des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zurückzuführen. Mit dem Beginn der letzten Kämpfe in Beirut Anfang Oktober, in denen die christliche Bevölkerung schwer unter den heftigen Beschießungen ihrer Stadtteile gelitten hat, hat die Bundesregierung — wie zuvor im Juli 1978 — alles in ihren Kräften Stehende getan, um zu einem schnellen Waffenstillstand im Libanon beizutragen und so die Voraussetzungen für eine politische Lösung des Konflikts zu schaffen.Unsere Botschafter im Libanon, in Syrien und in Israel haben bei den Gastregierungen mehrfach nachdrücklich auf Mäßigung und auf die Unterstützung aller Vorschläge für eine Konfliktlösung, so z. B. die Anregungen von Präsident Carter, des französichen Präsidenten und des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, gedrängt. Ich habe am 6. Oktober 1978 in dringenden Botschaften an meine Kollegen in Syrien, Israel und im Libanon sowie an den Generalsekretär der Arabischen Liga in Kairo appelliert, sich für äußerste Zurückhaltung ihrer Regierungen und ihrer Gruppierungen und für eine politische Lösung im Libanon einzusetzen.In Anbetracht all dieser Bemühungen begrüßt die Bundesregierung nachdrücklich das Zustandekommen eines Waffenstillstandes. Wir können nur hoffen, daß er weiter andauern wird, damit wir auf diese Weise einer Friedenslösung näherkommen.Seit Beginn des Waffenstillstands — und damit darf ich noch einmal auf die Frage des Herrn Kollegen Dr. Marx eingehen — lassen sich positive Elemente in der Lageentwicklung feststellen.Deshalb, Herr Kollege Dr. Marx, wollen Sie bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß die Auskunft des Staatsministers im Auswärtigen Amt, von Dohnanyi, eine Reise in den Nahen Osten sei nicht geplant, nicht Ausdruck von Desinteresse ist. Man muß wissen, wann er diese Erklärung abgegeben hat. Er ist am 18. Oktober gefragt worden:Wird die Bundesregierung ihre Bemühungen verstärken, und wird insbesondere notfalls auch der Bundesaußenminister in den Nahen Osten reisen?Er hat gesagt:Reisepläne stehen gegenwärtig nicht zur Diskussion, eben deshalb, weil es gelungen ist, durch unsere Bemühungen— die ich Ihnen hier eben vorgetragen habe —einen erfolgreichen Beitrag zu einer Lage zu leisten, die Aussichten auf eine dauerhafte Friedenslösung eröffnet.Das wollen Sie bitte nicht als Desinteresse oder mangelnden Willen zur Information betrachten, sondern als eine richtige Einschätzung der Möglichkeiten. „Gegenwärtig" schließt nicht die Zukunft aus. Reisen sind dann zu unternehmen, wenn sie notwendig sind.Die im Anschluß an die arabische Außenministerkonferenz eingeleiteten Entflechtungsmaßnahmen im Zentrum Beiruts zwischen syrischen Kontingenten der arabischen Streitmacht und christlichen Milizen können den Prozeß der Entspannung und den Beginn eines politischen Dialogs zwischen allen Parteien fördern.In diesem Monat haben in Beirut mehrere Treffen zwischen Vertretern der christlichen Libanesischen Front und Vertretern der Palästinenser stattgefunden, in denen nach Grundlagen eines Modus vivendi gesucht worden ist.Die Bundesregierung steht fortwährend in Kontakt mit allen Führern der christlichen Milizen, denen bei den Bemühungen um eine Aussöhnung im Libanon eine große Verantwortung zufällt. Unser Botschafter in Beirut steht im laufenden Kontakt mit den Führern der Libanesischen Front. Vor wenigen Tagen erst haben im Auswärtigen Amt Gespräche mit je einem Vertreter der Libanesischen Front, der Nationalliberalen Partei und der Kataeb-Partei stattgefunden, in denen Möglichkeiten für die Rückkehr zu einem friedlichen Zusammenleben aller Libanesen in einem geeinten Libanon erörtert worden sind. Auch mit der syrischen Regierung setzt die Bundesregierung den Meinungsaustausch über den Libanon-Konflikt fort.Die Schwierigkeiten, vor denen Präsident Sarkis und die rechtmäßige libanesische Regierung bei ihren Bemühungen um eine dauerhafte Aussöhnung unter allen Gruppierungen des Libanon stehen, sind
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Bundesminister Genschertrotz einiger positiver Zeichen seit Beginn des Waffenstillstands noch immer sehr groß.Wir alle wissen, auch innerhalb der verschiedenen Gruppierungen des Landes gibt es Spannungen und Gegnerschaften. Man kann das wirklich nicht in einem Schwarzweißbild sehen. Es gibt auch Spannungen und Gegnerschaften wie z. B. zwischen der christlich-maronitischen Gruppe des Expräsidenten Franschijeh und der Libanesischen Front, der wichtigsten politischen und militärischen Gruppierung des christlichen Lagers. Anfang Oktober 1978, kurz vor und nach dem Waffenstillstand, ist es zu schweren Zusammenstößen maronitischer Milizen und christlicher Armenier gekommen. Eine Gruppe von armenischen Abgeordneten des libanesischen Parlaments hat sich inzwischen an die Bundesregierung als Präsidentschaft der Europäischen Politischen Zusammenarbeit gewandt, um die Aufmerksamkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft auf die Bedrohung der armenischen Christen, die libanesische Staatsangehörige sind, durch die Milizen der christlichen Libanesischen Front zu lenken. Aus Äußerungen von Mitgliedern der christlichen Libanesischen Front ist bekannt, daß diese wiederum ihrerseits den Armeniern vorwerfen, sich im libanesischen Konflikt neutral zu verhalten und nicht auf seiten der maronitischen Milizen mitzukämpfen.Zusammen mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft hat die Bundesregierung in der am 23. Oktober 1978 in Bonn veröffentlichten Erklärung an die Libanesen aller politischen und konfessionellen Gruppierungen appelliert, dem Präsidenten und der rechtmäßigen Regierung ihre volle Unterstützung zukommen zu lassen und sich für ein friedliches Zusammenleben einzusetzen. Ich möchte diesen Appell auch von dieser Stelle noch einmal wiederholen und hoffe auch dabei auf die Unterstützung aller Seiten dieses Hauses.
Nur wenn sich alle Gemeinschaften im Libanon — alle Gemeinschaften, sage ich — um ein friedliches Zusammenleben bemühen, können die Bevölkerungsgruppen des Landes frei und ungehindert unter dem Dach der libanesischen Republik ihre politische, wirtschaftliche, soziale, kulturelle sowie religiöse Entwicklung zum Nutzen aller Libanesen verfolgen. Auf die schweren, auch sozialen Probleme, die dem inneren Konflikt im Lande mit zugrunde liegen, ist hier schon hingewiesen worden.Dann werden auch die zur Zeit im Libanon stationierten Truppen der Arabischen Liga und der Vereinten Nationen das Land wieder verlassen können.Die Bundesregierung ist nicht nur nach besten Kräften bemüht, eine politische Lösung im Libanon zu erleichtern, sondern sie steht auch entgegen dem hier verbreiteten Eindruck der schwergeprüften Bevölkerung des Libanon mit humanitärer Hilfe bei. So hat die Bundesregierung nach Eintritt des Waffenstillstandes im Oktober 1978 700 000 DM für die christliche Zivilbevölkerung Beiruts bereitgestellt, die in gemeinsamen Maßnahmen der Bundesregierung mit den deutschen privaten Hilfsorganisationen 'Deutscher Caritasverband und Deutsches RotesKreuz eingesetzt wurden. Insgesamt hat die Bundesregierung damit in diesem Jahr bereits annähernd 2 Millionen DM an humanitärer Hilfe für Notleidende im Libanon geleistet, von der ein erheblicher Teil der Bevölkerung der christlichen Stadtteile Beiruts zugute gekommen ist.Auf deutsche Initiative hin hat am 2. November 1978 die Kommission der Europäischen Gemeinschaft 400 000 europäische Rechnungseinheiten — das sind etwas mehr als 1 Million DM — für humanitäre Soforthilfe für die Einwohner der christlichen Stadtteile von Beirut zur Verfügung gestellt. Der deutsche Anteil hieran beträgt 30 °/o.. Zur Hälfte geht der zweckgebundene Betrag an das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, zur anderen Hälfte an den Katholischen Nothilfedienst.Die libanesische Regierung — auch das muß noch einmal gesagt werden; Herr Kollege Ehmke hat das schon erwähnt — hat diese Hilfe der Europäischen Gemeinschaft mit der Feststellung begrüßt, es sei ein Lichtblick, daß die Europäer den Libanon in diesen dunklen Tagen nicht im Stich ließen. Ich frage mich eigentlich, wie Sie mit Ihrer Kritik an der Haltung der Bundesregierung und der Europäischen Gemeinschaft bestehen wollen angesichts einer solchen Erklärung der dafür einzig kompetenten Regierung, nämlich der Regierung des betroffenen Landes, des Libanon.
In den vergangenen Wochen und auch heute ist die Forderung erhoben worden — das ist eine sehr wichtige politische Frage, über die in der Tat ernsthaft gesprochen werden muß —, den Abfluß der in diesem Jahr erneut zugesagten Entwicklungshilfe an Syrien so lange auszusetzen, wie die syrischen Truppen im Libanon gegen die christliche Bevölkerung vorgehen. Herr Kollege Dr. Bangemann hat hier noch einmal dargelegt, für welchen Zweck die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik Deutschland in Syrien verwendet wird. Sie wird in der Hauptsache für landwirtschaftliche Projekte verwendet. Ich denke, daß niemand etwas dagegen haben wird, daß den Menschen in Syrien bei der Entwicklung ihres Landes geholfen wird. Das berühmte Telefonprojekt wird sicher nicht militärisch genutzt werden können; es handelt sich um das Netz in der Hauptstadt Syriens selbst.Es ist ein bewährter Grundsatz der deutschen Entwicklungshilfepolitik, die finanzielle Hilfe an konkret vereinbarte Entwicklungsprojekte zu binden. So wird selbstverständlich auch im Falle Syrien verfahren. Ich frage mich, wie es eigentlich mit dem Umgang der Mitglieder des Hauses untereinander bestellt sein muß, wenn auf eine entsprechende Frage des Abgeordneten Dr. Ehmke hier durch ein Mitglied des Hauses bejaht wird, die Bundesregierung leiste durch diese Entwicklungshilfe an Syrien Beihilfe zum Völkermord. Meine Damen und Herren, so können wir diese Frage wirklich nicht behandeln.
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9302 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Bundesminister Genscher— Deshalb, Herr Abgeordneter, werde ich Ihnen auch keine Frage beantworten, solange Sie nicht diesen und einen anderen Vorwurf zurückgenommen haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Bitte schön, Herr Kollege Reddemann.
Herr Minister, können Sie sich nicht zumindest vorstellen, daß im syrischen Haushalt Mittel dadurch freiwerden, daß wir eine entsprechende Entwicklungshilfe leisten,
und daß es der syrischen Regierung deswegen durch-. aus möglich wäre, diese freigewordenen Mittel für militärische Aktionen zu verwenden?
Herr Abgeordneter Reddemann, diese Frage müßten Sie sich in allen Bereichen der Entwicklungshilfe stellen.
Ich will Ihnen dazu nur dies sagen: Sie stehen vor der Alternative, ob Sie Ihren politischen Einfluß für Friedenslösungen nutzen wollen und diesen Einfluß auch durch Entwicklungshilfeleistungen erhöhen oder ob Sie sich durch Abschneiden politischer und anderer Bedingungen und Verbindungen selbst der Möglichkeit berauben, Beiträge zu Friedenslösungen zu leisten.
Die Bundesregierung ist nicht bereit, sich dieser Möglichkeit zu berauben. Ich frage mich auch ernsthaft, wie Sie den Vorwurf des Völkermords an die Adresse der syrischen Regierung mit der Einschätzung der Politik des syrischen Staatspräsidenten, welche Herr Kollege Dr. Marx hier zu Recht gegeben hat, vereinbaren wollen.
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß Syrien eine wichtige Rolle im Nahen Osten einnimmt. Ich denke, daß Präsident Assad trotz seiner Ablehnung des in Camp David begonnenen Verhandlungsprozesses zwischen Ägypten und Israel auf der Basis der Sicherheitsrats-Resolutionen 242 und 338 für eine umfassende, gerechte und dauerhafte Lösung des Nahostkonflikts auf dem Verhandlungswege eintritt. Können Sie sich eigentlich vorstellen, daß es im Interesse einer Friedenslösung liegt, sich durch Vorwürfe dieser Art, die ich auch nicht für berechtigt halte, in Gegensatz zu einer Regierung zu setzen,
die die Nahostfrage im Wege von Verhandlungen lösen will und ohne die eine umfassende Lösung der Nahostfrage nicht möglich sein wird? Diese Frage müssen Sie sich beantworten.
Ich denke, daß der Herr Abgeordnete Dr. Marx recht hatte, als er bei der Begründung Ihres Antrages auf die bedeutsame Rolle des syrischen Staatspräsidenten hinwies. Meine Damen und Herren, Sie müssen unter sich ausmachen, wie Sie diese richtige Position mit Vorwürfen, die von anderer Seite erhoben werden, in Einklang bringen wollen. Ich wiederhole noch einmal: Die syrische Politik ist, eben weil sie Verhandlungslösungen für den Nahostkonflikt unterstützt, von größter Bedeutung für eine umfassende und dauerhafte Lösung des Nahostkonflikts. In den vergangenen Jahren ist die syrische Regierung deutlich bestrebt gewesen, sich ihre politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit — auch gegenüber der Sowjetunion — zu bewahren. Auch das, meine Damen und Herren, hat der Herr Kollege Marx hier völlig zu Recht festgestellt. Deshalb hat Präsident Assad ja die Beziehungen Syriens zu den Staaten der Europäischen Gemeinschaft, zu Japan und zu den Vereinigten Staaten intensiviert. Sollen wir nun eigentlich von uns aus diese Bewegung der syrischen Politik konterkarieren, indem wir die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen ergreifen? Ich würde das für nachteilig halten, ich würde es — ich sage es noch einmal — auch für nicht im Interesse der leidenden Bevölkerung im Libanon liegend halten,
denn wir sind darauf angewiesen, im Zusammenwirken mit allen Konfliktbeteiligten, durch Einflußnahme auf alle Konfliktbeteiligten zu einer verantwortungsvollen Regelung beizutragen. Das können wir nicht durch Entschlüsse und Entschließungen der Regierung, des Europäischen Rates und des Deutschen Bundestages allein machen, sondern nur indem wir unsere Politik umsetzen können, und Politik umsetzen können Sie nur, wenn Sie Beziehungen haben, die auch so gestaltet sind, daß die Möglichkeit besteht, direkt auf die Politik des anderen mitentscheidenden, mitverantwortlichen Landes einzuwirken. Diese Politik wollen wir fortsetzen.
Es liegt daher weder im wohlverstandenen Interesse der Bundesrepublik Deutschland noch ist es im Sinne einer konstruktiven Entwicklung in der nahöstlichen Region, daß wir unsere politischen oder wirtschaftlichen oder entwicklungspolitischen Verbindungen zu Syrien unterbrechen. In Übereinstimmung mit unseren westlichen Verbündeten halten wir an unserer Politik gegenüber Syrien fest, und durch diese Politik erhalten wir uns die Möglichkeit, auf die syrische Regierung im Sinne der Mäßigung und der Bereitschaft, politische Lösungen auch
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Bundesminister Genscherim Libanon-Konflikt zu suchen, einzuwirken. Mit diesem Ziel nutzt die Bundesregierung mit allem Nachdruck alle ihre Kontakte zu Damaskus. Ich denke, daß auf diese Weise für die betroffenen und leidenden Menschen im Libanon mehr Positives erreicht werden kann als durch eine Aussetzung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Syrien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Thema „Libanon", das Thema „Naher Osten", das Thema des Leidens von Menschen in dieser Region ist ein Thema, das jeden politisch Verantwortlichen und jeden Bürger dann besonders anrühren wird, wenn man — wie in unserem Lande — weiß, was Krieg, was Not, was Flüchtlingselend bedeutet.
Ich denke, daß wir uns deshalb nicht gegenseitig einen Mangel an Willen und Bereitschaft, zu helfen und einzuwirken, unterstellen sollten. Wir werden, wie immer in der Politik, auch in der Außenpolitik, über die Zweckmäßigkeit des Weges streiten können. Das ist sogar notwendig. Was wir aber der Sauberkeit und der Klarheit in unserer Zusammenarbeit für unser Land und in unserer Zusammenarbeit für die Außenpolitik unseres Landes, die zunehmend an Gewicht und damit auch an Gestaltungsmöglichkeiten gewinnt, schuldig sind, ist, daß wir uns nicht gegenseitig die Redlichkeit unseres Willens bestreiten, daß wir uns nicht gegenseitig bestreiten, daß wir Verständnis und Mitgefühl für die Leiden der anderen haben und daß wir alles tun wollen, um dem anderen, dem leidenden Nächsten zu helfen. Das gibt nichts her für innenpolitische Kontroversen. Etwas hergeben kann es nur, wenn man sich dies hier nicht gegenseitig bestreitet, sondern nur über die Zweckmäßigkeit der Wege diskutiert.
Dann ist eine solche Debatte nützlich; andernfalls ist sie nichts anderes als eine innenpolitische Auseinandersetzung, die allenfalls auswärtigen Schaden anrichten kann.
Die Bundesregierung wird wie bisher alles tun, um von den Interessen unseres Landes Schaden abzuwenden, sie wird alles tun, um die Not und das Leiden der Menschen im Libanon zu lindern.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Marx.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ich hatte geglaubt, daß es gelingen könnte, und ich hatte geradezu darum gebeten, daß wir heute in dieser wichtigen und vielschichtigen Frage eine, wenn auch im Weg, Herr Bundesaußenminister, und in den verschiedenen Vorstellungen durchaus unterschiedliche, aber doch im Ziel gemeinsame Haltung erreichen könnten. Dennoch habe ich trotz aller Kontroversen, trotz manchen Eindruckes, die Auffassungen in diesem Haus würden noch weiter auseinanderdriften als bisher, nicht die Hoffnung aufgegeben, daß es uns zumindest dort, wo es um das Schicksal anderer geht, wo es um das Schicksal von Christen und Nichtchristen geht, gelingen könnte, uns politisch und hinsichtlich der humanitären Hilfe auf einer gemeinsamen Linie zu bewegen.Der Bundesaußenminister hat unserem Wunsch entsprechend ausführlich vorgetragen, was. die Bundesregierung bisher unternommen hat, und er hat seinerseits am Ende gesagt, daß eine solche Debatte nur dann Wirkung haben könnte, wenn sie nicht den Streit, und zwar den harten, den kontroversen Streit der Parteien, an die Stelle des eigentlichen außenpolitischen Ziels setzt. Dies war unsere Meinung. Ich habe deshalb am Anfang gesagt und wiederhole, daß es nicht die Aufgabe dieses Hauses sein kann, die hier üblichen und der Natur der Sache innewohnenden Auseinandersetzungen unbedingt auch auf diesen Gegenstand zu übertragen. Ich habe, Herr Kollege Klein, in einer Antwort, die Sie auf eine Frage des Kollegen Ehmke gegeben haben, dies bei Ihnen ganz ebenso gefunden. Ich habe auch bei der Einlassung von Herrn Bangemann den Eindruck gehabt, daß er darauf hinarbeitet.Aber, Herr Kollege Ehmke, bei ,Ihnen ist offenbar wieder das Bedürfnis zur Polemik weit stärker als Sachkenntnis und Bereitschaft, auf das Angebot einzugehen.
Ich muß leider sagen, es bedrückt mich wirklich, zu sehen, daß Sie offenbar nicht in der Lage sind, von einem vorbereiteten Manuskript zumindest in einigen Bereichen abzuweichen, um Antwort zu geben auf eine Rede, auf ein Angebot, das vorher gegeben worden ist.Herr Kollege Ehmke, kann es denn eigentlich nicht gelingen, den Versuch zu machen, wenn Sie von den christlichen Milizen sprechen, auch die Frage zu beantworten, warum es sie überhaupt gibt, was sie verteidigen, wie sehr diese christliche Bevölkerung angegriffen und attackiert wird? Ich habe mich hinsichtlich der inneren Auseinandersetzungen im Libanon sehr zurückgehalten, mit Schmähungen, wie Sie es getan haben, die Gegner der christlichen Milizen anzugehen. Ich bin mir klar darüber und habe es ausdrücklich gesagt, daß im Laufe der jüngsten Geschichte alle Seiten Fehler gemacht haben und daß überall Schlimmes passiert ist. Ich gehe nicht im Gewand des Pharisäers hierher; aber ich versuche, deutlich zu machen, daß wir — ich habe das deshalb für die Union gesagt und ich bitte Sie, das doch so zu verstehen — uns stark und stärker engagieren müssen, und zwar nicht nur politisch, sondern auch in unserem moralischen Verständnis dann, wenn es um Christen geht. Sicher brauche ich nicht die Belehrung, daß das nur ein großer Teil der Christen ist und andere in innerem Widerspruch stehen. Das wissen wir. Es ge-
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9304 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Dr. Marxhört, man kann sagen, seit vielen Jahrzehnten zum Wesen jener Politik, die dort getrieben wird, wo heute das Land Libanon ist, daß es keine einheitliche Meinung gibt, sondern daß bei den verschiedenen Kräften wiederum gegenteilige Formulierungen vorkommen.Meine Damen und Herren, es ging uns darum, darauf aufmerksam .zu machen — wenn dies gelungen ist, wenn dies in der Öffentlichkeit wirksam werden sollte, dann wäre ein wichtiger Sinn der Debatte erfüllt —, daß die Gefahren, die kriegerischen Auseinandersetzungen könnten wiederkehren, unmittelbar mit Händen zu greifen sind und daß wir daher nicht nur im Blick auf das, was war, sondern auch im Blick auf das, was sein kann und 'was wir nicht wollen, darauf hinwirken sollten — nicht nur wir, sondern auch die Bundesregierung in ihrer Zusammenarbeit mit den Alliierten und befreundeten Regierungen —, die Möglichkeiten, daß dieses Feuer wieder brennt, zu ersticken. Darum geht es uns.Nun, Herr Kollege Bangemann, einige kurze Bemerkungen, wenn Sie erlauben, zu Ihnen. Sie haben von der notwendigen Behutsamkeit gesprochen, mit der man — aus Gründen der außenpolitischen Rücksichtnahme — vorgehen sollte. Wir wollen uns diesem Gedanken nicht verschließen. Ich meine, daß das, was ich hier für meine Fraktion vortragen durfte, sehr genau überlegt, abgewogen und sicher auch behutsam war.Sie zitieren dann andere Kollegen. Aber, Herr Bangemann, das könnte ich zurückgeben. Warum sollten wir das? Jeder von uns hat das Recht, sich frei zu äußern. Jeder hat das Recht, seine Auffassungen und Meinungen vorzutragen. Wenn diese Meinungen mitunter eckig und kantig erscheinen, dann ist das auf allen Seiten so. Dann sind leider die Gegenstände, über die wir reden, so provokativ, daß eben nicht jeder abgewogen, behutsam und zurückhaltend sprechen kann und will, sondern daß er sich auch gemäß seinem eigenen Temperament äußert.Sie haben davor gewarnt, Herr Kollege Bangemann — das ist soeben in der Rede des Bundesaußenministers noch einmal vorgekommen —, eigene entwicklungspolitische Leistungen und, sagen wir einmal, Waffenkauf der Syrer bei den Sowjets zu verbinden. Ich will auch hier ganz behutsam sein. Aber es bleibt festzuhalten — das ersehen Sie auch aus den Reflexionen der Zeitungen in jener Zeit, als der geehrte Gast Assad bei uns war —: Ursprünglich waren 111 Millionen DM verabredet, aber dann hat er doch noch 20 Millionen DM hinzubekommen: Das sind 131 Millionen DM. Viele haben sich gefragt, ob z. B. Sie selbst, Herr Kollege Genscher — oder wer auch immer die Gespräche geführt hat —, der syrischen Seite anläßlich ihres Besuchs in Bonn gesagt haben: Bitte, verehrter Partner, versteht, daß wir diese Leistungen unserer eigenen Bevölkerung gegenüber nur dann verantworten können, wenn ihr nicht aufs neue die Fakkel des Krieges entfacht. Darum geht es.
Meine Damen und Herren, Sie sagen, die entwicklungspolitischen Vorhaben enthielten auch sehr viele Mittel zur Verbesserung der Landwirtschaft, der landwirtschaftlichen Struktur usw.; das weiß ich alles. Aber ich weiß natürlich auch, daß in den Haushalt eines Staates Gelder eingehen, die Entlastungen darstellen für Aufgaben, die man sonst selbst erledigen müßte, und daß man dadurch andere Gelder frei hat, um Waffen zu kaufen. Dies ist unser Punkt: nichts zu tun — dies sollte offen gesagt werden —, was den Eindruck erweckt, deutsches Geld werde direkt oder indirekt verwendet, um Waffen zu kaufen und damit Menschen umzubringen.Meine nächste Bemerkung: Herr Kollege Bangemann, Sie haben gesagt, man sollte sich an alle Parteien wenden. Nun, ich habe versucht, das zu tun. Aber ich möchte wiederholen: Wir wissen, wie die Vorgänge im Libanon waren und sind. Wir wissen, daß man sich in Syrien den Libanon als Ausgangsland für Vorstöße gegenüber Israel präpariert hatte, allerdings immer der Meinung war, die Vorstöße dürften nur so sein, daß man sie selbst unter Kontrolle halten könne. Ich habe an den Einmarsch einer syrischen Befreiungstruppe erinnert, die zunächst gegen die Christen kämpfte, als der Anschein erweckt war, sie würden im Lande obsiegen.Dann hat sich dies umgedreht. Die Christen kamen in Bedrängnis. Dann ist die sogenannte Befreiungs- oder Befriedungs- oder Abschreckungsstreitmacht einmarschiert. Wenn Sie sagen, da gebe es immer Leute, die von christlicher Seite her provoziert hätten, dann bitte ich Sie, zu verstehen, daß die Libanesen Wert darauf legen, ihrerseits zu sagen, daß sie sich auf ihrem eigenen Territorium, in ihrem eigenen Land befinden. Ich glaube nicht, daß wir es uns so einfach machen und sagen können, daß sie selbst in ihrem eigenen Land nicht in der Lage sein dürfen, sich ihrer Haut zu wehren.Sie haben gesagt: Mensch, macht doch nicht den Eindruck, als ob ihr Großmachtpolitik treiben wolltet! Dies ist sicher nicht der Fall; dann hätte man unser Begehren ganz mißverstanden. Was hier gesagt wird, wird nicht in der Allüre der Großmachtpolitik, sondern es wird aus der bedrängenden Verantwortlichkeit deutscher Politiker heraus gesagt, ihre politischen und auch ihre wirtschaftlichen und auch ihre psychologischen Chancen zu nutzen, um mitzuhelfen, daß dort, wo ein schlimmer Krieg ist, war oder wieder ausbrechen kann, ein Wiederausbrechen verhindert wird.Sie haben die Frage gestellt, Herr Kollege Bangemann — ich weiche ihr nicht aus —: Hättet Ihr von der CDU/CSU diesen Antrag eingebracht, wenn nicht Christen, sondern andere verfolgt würden? Dies ist in der Tat eine Frage, die man nicht ohne weiteres mit einem lauten und raschen Ja beantworten kann, weil man sich dann der falschen Aussage schuldig machen würde. Aber ich möchte ihnen sagen, daß mich damals selbst — wir haben uns in meinem Arbeitskreis öfter darüber unterhalten — die Art und Weise, wie im Libanon gekämpft wurde, wie man offen gesagt abgeschlachtet hat,
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Dr. Marxtief beunruhigt hat. Die Mitglieder dieser Fraktion der CDU/CSU sagen Ihnen, daß unser Engagement nicht auf die Hautfarbe und nicht auf die Konfession sieht;
denn vor Gott sind alle Menschen gleich, und für uns sind, wenn wir sagen, wir wollten friedliche Verhältnisse, alle gleich. Dann meinen wir alle, auf jeder Seite.
Lassen Sie mich noch ein kurzes Wort zu dem anfügen, was Sie, Herr Bundesaußenminister, am Ende sagten. Sie haben hinsichtlich meiner Aufforderungen einige Bemerkungen gemacht. Sie sind sehr viel unterwegs, Sie wenden Ihre Aufmerksamkeit vielen Problemen und Dingen zu. Dies hier aber ist unserer Meinung nach eine wichtige Sache, und im Grunde genommen wollte ich sagen: Herr Genscher, wenn Sie nach Namibia, Pretoria oder wohin auch immer fahren, was wir nicht negativ beurteilen — wir müßten darüber reden, was dabei herausgekommen ist, aber das ist ein anderes Thema —, dann sollten Sie sich auch die Mühe machen, sich selbst und Ihren Partnern in Europa zu sagen: Helft bitte auch durch einen demonstrativen Akt unserer Anwesenheit, indem wir dort hinfahren, mit, daß wir über die größtmögliche Einwirkung, die man überhaupt politisch und psychologisch haben kann, diese Wirkung erzielen.Weil dies ein anderes Thema ist, füge ich kein weiteres Wort zu Ihren Bemerkungen hinsichtlich Camp David, hinsichtlich des Wunsches und der Hoffnung, daß tatsächliche erste friedliche Regelungen im Nahen Osten erreicht werden, hinzu, weil wir alle die Hoffnung haben, daß von einer solchen Tat andere, weitere abgeleitet werden.Herr Kollege Ehmke, zum Schluß weise ich noch einmal darauf hin: Sie sagten, wir hätten einen Antrag gestellt — ich glaube, Sie haben sich so ausgedrückt —, der ein propagandistischer Antrag sei. Sind Sie doch bitte in der Lage, Herr Universitätsprofessor, zwischen Propaganda und einem ernsten politischen Anliegen zu unterscheiden! Lesen Sie bitte unseren Antrag — darin ist kein polemisches Wort —: „Der Deutsche Bundestag erklärt, daß es ein Gebot internationaler Solidarität und ein Auftrag zur Wahrung der Menschenrechte ist, der leidenden Bevölkerung im Libanon mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen." Dies ist nur ein Satz; alle anderen unterscheiden sich in Inhalt, Charakter, Wunsch und politischer Vorstellung nicht davon. Wenn wir auch polemisch diskutieren, so wäre ich doch wirklich dankbar, wenn wir doch das diskutierten, was auf dem Tisch liegt, und nicht zu irgendwelchen anderen Sachen, die jeder anders bewerten mag!Ich bitte das Hohe Haus, diesen unseren Antrag so zu verstehen, wie ich es vorgetragen habe.
Das Wort hat der Bundesminister Offergeld.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Marx hat in seiner zweiten Einlassung eingestanden, daß es sich im Libanon um eine sehr komplexe Problematik handelt.
Die ganzen Probleme des Nahen Ostens treffen mit den sozialen Problemen des Landes zusammen. Nur, Herr Marx, wenn man sieht, daß hier eine komplexe Problematik zu behandeln ist, kann man nicht versuchen, eine so einfache Antwort zu geben, wie Sie es tun, nämlich die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit den Syrern abzubrechen.
— Sie haben gesagt „auszusetzen",
was nichts anderes als eine vorübergehende Unterbrechung der Zusammenarbeit ist. Das ist doch wohl unbestreitbar.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Marx?
Herr Bundesminister, erlauben Sie mir, noch einmal — damit es da keine sich festsetzenden Mißverständnisse gibt — deutlich zu machen, was wir wollen. Wir wollen, daß unsere Regierung der von uns geachteten syrischen Regierung sagt, daß die auf beiden Seiten gewünschte Zusammenarbeit — wobei die Entwicklungspolitik ein Teil ist — nur dann funktionieren und zum Heil aller verwendet werden kann, wenn die syrische Seite den Beschießungen und den militärischen Aktionen ein Ende macht.
Sie haben vorher von einer Aussetzung der Zahlungen gesprochen, Herr Marx. Ich habe auch eine ganze Menge von Forderungen Ihrer Kollegen im Entwicklungspolitischen Ausschuß auf dem Tische gehabt, die noch weitergehend waren.
— Natürlich, Herr Todenhöfer.
— Sie haben mehrfach die Aussetzung der Zahlungen an Syrien verlangt, mehrfach und nachdrücklich..Zu diesem Aspekt darf ich fünf Bemerkungen machen.
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9306 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten
Herr Minister, sind Sie bereit, zuzugeben, daß — nach dem Protokoll der 35. Sitzung des AWZ — klar lediglich davon gesprochen worden ist, die Zahlungen auszusetzen, bis die Kampfhandlungen aufgegeben werden, und daß nicht von einem Abbruch der Beziehungen im entwicklungspolitischen Bereich gesprochen worden ist? Sind Sie bereit, das zu bejahen?
Genau davon habe ich gesprochen, daß Sie verlangt haben,
die Zahlungen an Syrien auszusetzen. Ich weiß gar nicht, was Ihre Erregung soll. Das bedeutet eine vorübergehende Aussetzung unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit.
Zu diesem Thema darf ich fünf Bemerkungen machen. Die Einstellung der Entwicklungshilfe ist kein taugliches Mittel, um politisches Wohlverhalten in irgendeiner Form zu erzwingen.
Dies wäre ein Rückfall in Verhaltensweisen der 50er und 60er Jahre, die uns auch damals außenpolitisch nicht gut bekommen sind.
Gerade die entwicklungspolitische Zusammenarbeit braucht langfristige Perspektiven. Wer die entwicklungspolitischen Instrumente kennt und weiß, wie sie funktionieren, weiß, daß sie nur langfristig funktionieren. Planung und Durchführung von Projekten dauern meist viele Jahre. Eine Politik des „go and stop" ist nicht möglich. Wer glaubt, daß man etwa bei einem Infrastrukturprojekt einfach für 6 Monate oder irgendeine Zeitspanne die Zahlungen aussetzen könne und daß das nachher wieder weiterlaufen könne wie zuvor, hat keine Vorstellung von der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köhler?
Herr Minister, sind Sie bereit, mir zu bestätigen, daß Sie bei anderen Ländern, z. B. Nicaragua, die Praxis wählen, laufende Projekte der technischen Hilfe nicht zu unterbrechen, aber neue Projekte und ähnliches nicht anzusetzen, d. h., daß Sie durchaus Mittel und Wege haben, so vorzugehen, wenn Sie wollen?
Ich habe davon gesprochen, daß es nicht möglich ist, das zu tun, was Sie verlangen, nämlich generell auszusetzen. Das war ja Ihre Forderung. Es ist sehr merkwürdig, daß Sie hier IhreForderungen Schritt für Schritt abbauen und aufheben.
Ich meine, ich kann ja eine ganze Reihe — —
— Ja, ungeordneter Rückzug! Ich kann eine ganze Reihe von Kollegen aus dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit als Zeugen dafür anrufen, was Sie da alles an Forderungen gestellt haben. Ich nehme zur Kenntnis, daß es hier einen fortlaufenden Erkenntnisprozeß gibt. Nachdem der erste Zwischenfrager davon gesprochen hatte, es solle nur für einige Zeit ausgesetzt werden, sprechen Sie, Herr Köhler, schon von einem gestaffelten Aussetzen und vom Zu-Ende-Führen von Projekten. Jedenfalls: Wenn wir Einigkeit darüber hätten, daß das nicht geht, wäre das ein Schritt weiter.
Zweitens. Eine Einflußnahme auf die politische Entwicklung ist nur möglich, solange man miteinander im Gespräch ist. Je breiter die Kontakte, desto größer die Einflußmöglichkeiten. Es ist sinnvoll, unsere Beziehungen — politisch, wirtschaftlich und kulturell — aufrechtzuerhalten, solange die Entwicklung „offen" ist und solange wir die Möglichkeit sehen, positiv einzuwirken. Diese politische Linie wird auch durch die Fakten der letzten Wochen bestätigt: Der Einfluß auf alle am Konflikt beteiligten Parteien hat schließlich zur Feuereinstellung geführt. Der Abbruch oder die Aussetzung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit würde diese politischen Möglichkeiten verschütten.Die dritte Bemerkung. Wir arbeiten hauptsächlich in der ländlichen Entwicklung und bei der ländlichen Infrastruktur mit Syrien zusammen. Das eine Fernmeldeprojekt — auch das wissen die Kollegen der Opposition — wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem größeren Auftrag für deutsche Unternehmen führen und damit viele Hunderte von Arbeitsplätzen sichern.
Ein Kooperationsentzug träfe auf jeden Fall in erster Linie die armen Bevölkerungsschichten in Syrien.
Sollten wir etwa den syrischen Fischern — die Kollegen aus dem Fachausschuß wissen das — am Assadsee die Unterstützung bei der Nutzung des Fischpotentials in diesem See versagen? Sollten wir den Bauern in der Ghab-Region unsere Unterstützung bei der Verbesserung ihrer Viehzucht versagen? Oder sollten wir den syrischen Obstbauern die Möglichkeit nehmen, brachliegendes Land mit Obstbäumen zu bepflanzen und so die Ernährungssituation zu verbessern? All dies sind ganz konkrete Beispiele, die deutlich machen, was es bedeuten würde,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9307
Bundesminister Offergeldwenn wir unsere Zusammenarbeit einstellen oder abbrechen würden. Ich weiß nicht, was der pathetische Appell des Herrn Klein an die christliche Nächstenliebe eigentlich in bezug auf diese Tatsachen bedeutet. Wer an die christliche Nächstenliebe so appelliert, wie es Herr Klein getan hat, muß wohl auch für diese Argumente offen sein.
Meine vierte Bemerkung bezieht sich auf einen Zwischenruf und eine Zwischenfrage von Herrn Reddemann. Zu allen Projekten und Programmen, die wir in Syrien fördern, leistet Syrien selbst substantielle Eigenbeiträge. Unsere Maßnahmen führen also ganz eindeutig zur Bindung syrischer Mittel und nicht zu ihrer Freisetzung. Ohne den deutschen Devisenbeitrag allerdings wären die Programme nicht realisierbar. Jede Anspielung darauf, daß die deutsche Hilfe etwa Waffenkäufe oder ähnliches ermögliche, ist falsch und durch Tatsachen eindeutig widerlegbar. Es werden Mittel für Infrastrukturprogramme gebunden.
Meine fünfte und letzte Bemerkung. Die Opposition hat ja schon in der Vergangenheit oft den Abbruch der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit mehreren Ländern gefordert. Sie hat dort :schon schlechte Erfahrungen gemacht, allerdings keine Lehren gezogen. Wie falsch die Ratschläge der Opposition in anderen Fällen waren, kann man ganz konkret nachweisen.
— Wir haben es 'nicht getan, und es hat sich als richtig erwiesen, auf ihre Forderungen nicht einzugehen; ich nenne nur das Beispiel Somalia.
Wir können unseren Beitrag zur Befriedung der weltpolitisch so bedeutsamen Nahostregion nur leisten, wenn wir mit den hauptsächlichen Akteuren in der Region in ständigem Gespräch bleiben. Nur dann können wir die Rolle spielen, die von der Bundesrepublik, von der Europäischen Gemeinschaft erwartet wird. Es geht darum, behutsam und geduldig auf alle Konfliktsparteien mäßigend einzuwirken. Nur dann wird es gelingen, weiteres Leid und Blutvergießen im Libanon zu verhindern. Das eine von Ihnen vorgeschlagene Instrument, die Aussetzung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, wäre das falscheste Mittel, das wir einsetzen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Todenhöfer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte nicht vor, in diese Debatte einzugreifen.
Ich tue das,
weil ich tief betroffen bin von der Reaktion insbesondere der SPD auf das Angebot meines Kollegen Marx, in der Libanon-Frage heute gemeinsam einen Weg zu finden.
Wir haben einen Weg aufgezeigt, wie wir gemeinsam vorgehen könnten. Dieses Angebot, Herr Ehmke, hat den Zynismus und die Polemik Ihrer Rede nicht verdient. Sie haben hier die Chance des deutschen Parlaments, gemeinsam zu handeln, zerschlagen.
Herr Außenminister Genscher, Sie haben auf Ihre Bemühungen und Erfolge im Libanon-Konflikt hingewiesen. Die Wahrheit ist leider, daß Sie nicht unter jenen Außenministern waren, die besondere Energie entfaltet haben, als es darum ging, im Libanon etwas zum Besseren zu wenden. Sie mußten in der Regel erst gedrängt werden, und Sie kamen in der Regel sehr spät.
Herr Genscher, was Sie getan haben, kam zu spät und war zu wenig.
Dennoch sind wir selbstverständlich für jede Initiative dankbar, die den Menschen im Libanon die Möglichkeit gibt, weiterzuleben und vor allem in Frieden zu leben.
Es gab heute eine Kontroverse um eine Formulierung. Herr Genscher, Sie können doch einfach nicht bestreiten, daß die kulturelle und politische Identität der christlichen Bevölkerung im Libanon zur Zeit ernsthaft bedroht ist. Dies können Sie einfach nicht vom Tisch wischen. Wenn trotzdem Entwicklungshilfe an Syrien gegeben wird, wenn beim Besuch des syrischen Staatspräsidenten, dessen Intelligenz und politische Weitsicht ich ebenso einschätze wie mein Kollege Marx, zusätzlich 20 Millionen DM zugesagt werden — also insgesamt 131 Millionen DM — dann muß ich Sie fragen: Warum sind bei der Vergabe dieser 131 Millionen DM — kaum ein Land mit sowenig Einwohnern bekommt soviel deutsche Entwicklungshilfe — keine politischen Auflagen zugunsten der Christen im Libanon gemacht worden?
Sie sagen in Ihren Reden immer wieder, wir sollten bei der Vergabe von Entwicklungshilfe keine Bedingungen stellen. Ich glaube, Sie unterschätzen damit die Vertreter der Entwicklungsländer, weil Sie sie offensichtlich für empfindlicher halten als die Vertreter der Industrieländer.
Ich glaube, wir sollten auch mit den Syrern — wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu den arabischen Ländern -- eine klare und deutliche Sprache sprechen. Es ist gerade ein Zeichen dafür, daß man die Syrer ernst nimmt, wenn man mit ihnen offen und klar spricht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köhler ?
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9308 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Nein. Ich habe nur
noch beschränkte Redezeit, Herr Kollege Köhler. Deswegen möchte ich dies kurz zu Ende bringen.
Ich möchte auch Herrn Kollegen Ehmke, der mir die Möglichkeit gegeben hat, vor ihm zu sprechen, die Möglichkeit geben, seinen Redebeitrag zu leisten.
Herr Bundesaußenminister, Sie nehmen die Entwicklungsländer im Grunde nicht wirklich ernst, wenn Sie nicht den Mut aufbringen, auch einmal eine harte Bedingung zu stellen. Das ist „Neopaternalismus", den wir nicht in die deutsche Politik einführen sollten.
Herr Entwicklungsminister Offergeld, ich muß Sie, gerade weil unsere Fraktion das Libanon-Problem so ernst nimmt, einfach noch einmal daran erinnern, wie Sie sich in jener Ausschußsitzung über das LibanonProblem verhalten haben, als sie sagten, in Syrien werde ja schließlich nicht geschossen, deswegen könne man den Syrern ruhig Entwicklungshilfe geben. Einen vergleichbaren Zynismus — angesichts der Dinge, die sich im Libanon abspielen — haben wir selten im Entwicklungsausschuß erlebt.
Wir sind leider, gerade nach dieser Debatte, der festen Überzeugung, daß Ihre Regierung, Herr Minister Offergeld, ganz anders reagiert hätte, wenn im Libanon Sozialisten in der Gefahr stünden, daß ihre kulturelle und politische Identität zerstört würde. Das ist leider die traurige Wahrheit.
Es ist das Anliegen unserer Fraktion — und ich glaube, keiner hat dies deutlicher gemacht und machen können als Werner Marx —, in der LibanonFrage außenpolitisch und entwicklungspolitisch zu einer Gemeinsamkeit zu kommen, die den Menschen im Libanon hilft. Wir hoffen, daß die doppelte Moral, die in viele Äußerungen der Mitglieder dieser Regierung in den letzten Monaten deutlich geworden ist, nicht zum Grundfaden der deutschen NordSüd-Politik wird.
Wenn dies das Ergebnis der heutigen Debatte ist, dann sind wir trotz der Einlassungen Herrn Ehmkes zufrieden, weil wir hier vor dem deutschen Volk demonstrativ den Versuch unternommen haben, gemeinsam mit einer Regierung, die wir in vielen Punkten kritisieren müssen, einen Weg zu finden, um allen Menschen — ich wiederhole es: allen Menschen — im Libanon zu helfen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ehmke.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf den Beitrag des Kollegen Todenhöfer nicht eingehen. Zuihm hat der Kollege Roth das Notwendige gesagt,als er von seiner Mission in Südafrika zurückkehrte.Herr Kollege Marx, die Opposition hat in dieser Debatte einen gespaltenen Eindruck, sicher auch auf den außenstehenden Betrachter, gemacht. Das liegt sicher daran, daß Sie — und das ist ja keine Schande — in dieser Frage in Ihrer Fraktion gespalten sind. Natürlich gibt es auch bei uns Nuancen. Ich möchte Sie aber doch herzlich bitten — —
— Eben. Dann würde ich doch zunächst einmal darum bitten, Herr Kollege Marx, solche Spannungen nicht auf Kosten der deutschen außenpolitischen Interessen hier auszutragen. Das haben Sie gemacht.
Der eine Argumentationsstrang von Ihnen geht ungefährt so: Ja, aber natürlich ist es so, daß es im Libanon nicht um eine einseitige Geschichte geht; alle Gruppen haben Schuld auf sich geladen. Das ist eine historisch komplizierte Lage. Natürlich wissen wir, daß die Bundesregierung auch für die Friedenspolitik 'ist und daß sie dort alles mögliche gemacht, mäßigend eingewirkt hat. Natürlich bestreiten wir auch gar nicht, daß sie geholfen hat. — Herr Kollege Marx, bei einer solchen Argumentationsweise ist Ihr Antrag doch völlig unnötig. Wenn es diese Gemeinsamkeit gibt, was soll dann Ihr Antrag? Mit dem Antrag wird doch der Eindruck erweckt, daß es keine Gemeinsamkeit gäbe und daß Sie uns erst auf den Pfad der Tugend bringen müßten.
— Ich habe ihn gelesen. Ich komme gleich auf ihn zurück. Herr Marx, wenn Sie wieder zuhören lernten, wäre das schon ein Fortschritt.
— Manchmal habe ich bei Ihren Zwischenrufen den Eindruck, als wollten Sie das Vorurteil widerlegen, daß Dummheit nicht wehtäte.
Ich darf noch einmal darauf zu sprechen kommen. Sie haben die eine Argumentationsweise, mit der Sie zum Ausdruck bringen: Wir sind uns doch eigentlich ganz einig. Warum wird dann unser Antrag so angesehen? — Dazu sage ich: Erstens. Wenn das richtig wäre, wozu war dann der Antrag nötig? In dem Antrag ist doch nicht ein Vorschlag enthalten, etwas zu tun,
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Dr. Ehmkewas die Regierung nicht längst seit Jahren macht. Zweitens. In bezug auf die humanitäre Hilfe können Sie sagen, daß Sie quantitativ eine Ausweitung haben möchten. Dazu habe ich schon gesagt: Darüber ist selbstverständlich zu reden. Ich habe vorhin schon gesagt: Darüber müssen wir im Auswärtigen Ausschuß und im Haushaltsausschuß reden, ob das nötig ist und was man dazu machen kann. Das rechtfertigt aber auch nicht die Debatte.Ich sage also: Zum einen argumentieren Sie so, daß man sich im Grunde sagt: Wenn das so ist, dann versteht man Ihren Antrag nicht.Zum zweiten komme ich nun auf Ihren Antrag zurück, Herr Kollege Klein, Herr Kollege Marx. Soweit darin steht, daß dort Frieden gemacht, darauf hingewirkt werden muß: das macht die Regierung seit vier Jahren. Interessant ist doch überhaupt nur, daß in verschiedenen Punkten der Eindruck erweckt wird — das ist hier auch massiv unterstrichen worden, wobei ich mich gar nicht auf Herrn Todenhöfer berufen will, der Ihnen mit seiner letzten Einlassung ein bißchen das Konzept vermasselt hat —, das zentrale Problem, um das wir uns nicht kümmerten, sei das Verhalten der syrischen Truppen gegenüber den Christen. Da müssen Sie sich nun entscheiden. Entweder ist wahr, was Sie in der ersten Abteilung sagen, daß das nämlich ein beiderseitiges Verhältnis ist, daß die syrischen Truppen auf Bitten der rechtmäßigen libanesischen Regierung dort sind, daß im Libanon auch Christen auf Christen schießen, dann ist Ihr Versuch untauglich, in der zweiten Abteilung so zu tun, als ob das eigentliche Problem, das wir noch nicht gesehen hätten, das Verhältnis der Syrer zu den Christen sei. Ich habe in meiner Rede nicht gesagt, daß das, was die Syrer tun, jenseits jeder Kritik sei. Ich sage vielmehr: Wir wehren uns dagegen, die Bemühungen der Regierung, die der Außenminister mit großem Ernst und im einzelnen auf Tatsachen gestützt vorgetragen hat, nämlich in dieser komplizierten Situation mit allen zu reden und nicht noch 01 ins Feuer zu gießen, zu unterlaufen, indem man bestimmte Einseitigkeiten, wie. man sie aus den Auseinandersetzungen der Gruppen selbst kennt, übernimmt. Wenn wir das täten und solche Einseitigkeiten übernähmen, würden wir weder dem Libanon noch unserer Position helfen, nicht einmal den Christen im Libanon.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Marx, ich darf meinen Gedanken in diesem Punkte gerade noch zu Ende führen.
Das ist das eigentlich Neue an Ihrem Antrag, und in diesem Punkte sind wir verschiedener Meinung. Wenn Sie mir jetzt sagen, Herr Kollege Marx — da war ich aber nicht so ganz sicher —: „Na gut, vielleicht müssen wir nach der Diskussion noch einmal klarstellen: Wir sehen das nicht so einseitig", gut, dann hätte sich die Diskussion gelohnt.
Bitte schön, Herr Marx,
Herr Kollege Ehmke, ich habe mich gemeldet, um Sie zu fragen, ob Sie Ihren Satz, der lautete, die syrischen Truppen befänden sich auch gegenwärtig noch auf Wunsch und mit Willen der libanesischen Regierung dort, im Zusammenhang mit dem Wunsch des Präsidenten Sarkis aufrechterhalten, den er bei der letzten arabischen Konferenz vorgetragen hat, daß nämlich ein wichtiger Teil der syrischen Truppen abgezogen und durch andere arabische Truppen ersetzt werden soll?
Herr Kollege Marx, wie Sie wissen, ist das zu einem gewissen Teil geschehen.
Wie Sie zweitens wissen, hat Präsident Assad bei seinem Besuch in Bonn — auch in seinem Gespräch mit dem Bundeskanzler — ausdrücklich erklärt, daß die syrischen Truppen nicht länger im Libanon bleiben werden, als die rechtmäßige libanesische Regierung das wünsche. Diese Erklärung des Präsidenten gibt es.
— Das ist ein Irrtum. Sie halten leider diejenigen, die der rechtmäßigen libanesischen Regierung große Schwierigkeiten machen, offenbar für die eigentlich rechtmäßige libanesische Regierung.
— Herr Kollege Marx, ich möchte jetzt abschließen. Sie haben viel Zeit für Zwischenfragen gehabt.Wenn Sie aber in diesem Zusammenhang von Polemik reden, muß ich Ihnen doch folgendes sagen: Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen, wir sollten Gemeinsamkeit pflegen, im Grunde seien wir uns doch ganz einig, und gleichzeitig so tun, als ob die Äußerungen des Kollegen Huyn, die Herr Todenhöfer hier noch einmal unterstrichen hat, gewissermaßen eine Temperamentssache oder ein individueller Farbtupfer seien. Der Mann hat in einer schriftlichen Erklärung Ihrer Fraktion gesagt, erstens begingen die Syrer Völkermord, zweitens unterstütze die Bundesregierung indirekt den Völkermord, und drittens sei das Ausdruck einer Volksfrontpolitik der sozialliberalen Koalition in den internationalen Beziehungen. Das ist eine Sauerei und nicht ein Temperamentsausbruch!
Sie müssen uns nicht kommen und uns hier mit süßen Worten zur Gemeinsamkeit auffordern, wenn Sie andererseits nicht bereit sind, sich von einer so empörenden Äußerung auch nur zu distanzieren. Das geht nicht.
So können Sie mit uns nicht spielen. Ich nehme Ihnen ab, wenn Sie sagen, das sei nicht Ihre Meinung. Das ist in Ordnung. Das war seine individuelle Meinung. Aber dann sagen Sie bitte auch, daß Sie der Meinung sind, daß man in dieser Form nicht miteinander umgehen kann,
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9310 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Dr. EhmkeGeben Sie mir doch bitte einmal in Ruhe zu, Herr Kollege Marx: Ein solcher Angriff kann von uns doch nur so verstanden werden — er liegt auf der Linie des ganzen Unsinns, den Herr Todenhöfer in Südafrika macht —, daß diese Auseinandersetzungen dort nicht — wie Herr Kollege Klein sagte — zum Anlaß genommen werden, unsere christliche Nächstenliebe für humanitäre Hilfe zu aktivieren, sondern dazu, die miese Kampagne „Freiheit oder Sozialismus" auf außenpolitischem Gebiet weiterzuspielen. Das ist doch nicht seriös. Wenn wir darüber einmal reden könnten, dann wären wir schon ein ganzes Stück weiter, Herr Kollege Marx.
Ich muß noch einmal sagen: Wir sind gern bereit, im Ausschuß weiterzureden, wenn der erste Teil Ihrer Ausführungen stimmt, daß wir so weit nicht auseinander seien, und wenn wir auch darüber redeten, daß man nach allen Seiten Einseitigkeiten vermeiden muß. Aber solche Sachen, die das Klima vergiften, die weder der deutschen Innenpolitik noch der deutschen Außenpolitik nützen, müssen vom Tisch.
Sie nützen doch im Grunde auch der Opposition nicht, Herr Kollege Marx. Was haben Sie davon, , wenn draußen in der Welt der Eindruck von der größten deutschen Partei im Parlament — das sind Sie noch —
— bis zur nächsten Wahl, meine ich — von solchen unverantwortlichen Äußerungen geprägt wird, Herr Kollege Marx, wie wir sie von Herrn Huyn und von Todenhöfer am laufenden Bande hören? Die schaden uns doch nicht. Die schaden Ihrem Ansehen in der Welt — und insofern der deutschen Außenpolitik, weil sie der deutschen Opposition in der außenpolitischen Diskussion ein Stück Gewicht nehmen, das wir Ihnen durchaus wünschen.
Darüber sollten wir vielleicht einmal in aller Ruhe im Ausschuß reden. Aber beides tun, auf der einen Seite von Gemeinsamkeit reden und auf der anderen Seite so etwas laufen lassen, das können Sie jedenfalls mit den Sozialdemokraten nicht machen. Darum bitte ich um Verständnis.
Herr Kollege Ehmke, ich war mir nicht ganz sicher, ob Ihre Terminologie aus dem Tierreich eben noch zum Zitat gehörte oder eigen war.
Sonst hätte ich Sie rügen müssen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der Vorlage an den Auswärtigen Ausschuß — federführend — und an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit — mitberatend —. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Das Haus versammelt sich wieder um 14 Uhr.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, wir nehmen die unterbrochene Sitzung wieder auf.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen 8/2315, 8/2327 —
Vorab eine Dringliche Frage des Abgeordneten Dr. Miltner aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern:
Ist die Bundesregierung nach dem blutigen Verlauf der von der „Conföderation Iranischer Studenten — National-Union —" und dem AStA der Frankfurter Universität organisierten Demonstration am vergangenen Samstag bereit, in Ausübung des ihr nach § 25 des Ausländergesetzes zustehenden Weisungsrechts diejenigen Landesregierungen, in deren Bereich sich Mitglieder der nach dem Verfassungsschutzbericht 1977 „sozialrevolutionär" und „maoistisch" eingestellten CISNU aufhalten, anzuweisen, die CISNU-Mitglieder — soweit rechtlich möglich — sofort auszuweisen, falls die örtlich zuständigen Stellen nicht schon von sich aus die Ausweisung verfügt haben, und wenn nein, warum nicht?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Miltner, das Ausländergesetz wird von den Bundesländern gemäß Art. 83 des Grundgesetzes als eigene Angelegenheit ausgeführt. Demzufolge haben die Ausländerbehörden der Länder in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche ausländerrechtlichen Maßnahmen gegen einzelne Personen zu ergreifen sind. Lediglich in Ausnahmefällen kann die Bundesregierung Einzelweisungen zur Ausführung des Ausländergesetzes erteilen, u. a. dann, wenn — wie es in § 25 Abs. 1 Nr. 1 des Ausländergesetzes heißt — „die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland es erfordern".
Da die Erteilung einer Weisung einen Eingriff in verfassungsrechtlich garantierte Landeszuständigkeiten darstellt, ist sie nur als letztes Mittel zulässig, wenn alle anderen Möglichkeiten einer Einflußnahme gescheitert sind. Entsprechend unserer föderativen Verfassungsordnung kann vor Abschluß der Ermittlungen durch die zuständigen Landesbehörden die Ausübung der Weisungsbefugnis nach § 25 des Ausländergesetzes überhaupt nicht in Erwägung gezogen werden. Die Frage einer Weisungserteilung stellt sich daher gegenwärtig für die Bundesregierung nicht.
Was die Vorfälle in Frankfurt betrifft, Herr Kollege, hat mir der Innenminister des Landes Hessen mitgeteilt, daß die Behörden beabsichtigen, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle Möglichkeiten des Ausländergesetzes voll auszuschöpfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Miltner.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9311
Herr Staatssekretär, haben Sie solche Hinweise auch von anderen Ländern, in denen diese Anhänger der CISNU wohnen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Ihre Frage, glaube ich, gestern früh erhalten. Ich habe nicht mit allen Ländern Kontakt aufnehmen können. Ich halte es aber mit Ihnen für wichtig, daß die Informationen der hessischen Behörden auch den anderen Ländern zugänglich gemacht werden, sofern sich für diese Länder daraus die Notwendigkeit der Prüfung ausländerrechtlicher Maßnahmen ergeben könnte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Miltner.
Darf ich daraus schließen, daß die Bundesregierung bis jetzt noch nichts unternommen hat, um mindestens ein koordiniertes Vorgehen der Länder sicherzustellen, in denen extremistische CISNU-Funktionäre ihren Wohnsitz haben?
von Schoeler, Parl.. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Thüsing.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie meiner Auffassung zu, daß, kämen die Bundesregierung oder auch Landesregierungen den weitgehenden Ausweisungsforderungen des CDU/CSU-Abgeordneten Miltner nach, solch eine Ausweisungsaktion für viele der davon Betroffenen die akute Gefahr von Tod, Folter und Mord zur Folge hätte, und halten Sie unter diesem Aspekt eine so weitgehende Ausweisungsforderung, wie sie zu Anfang der Woche auch von der „Frankfurter Allgemeine Zeitung" erhoben wurde — abgesehen von den politischen Aspekten und trotz aller notwendigen und berechtigten Kritik und Verurteilung der Vorfälle in Frankfurt —, für moralisch gerechtfertigt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will dazu Stellung nehmen, ob es nach dem Ausländergesetz rechtlich zulässig wäre, pauschal alle Mitglieder beispielsweise der CISNU — das ist in der Ausgangsfrage angesprochen — auszuweisen. Es wäre nicht zulässig, bei allen Mitgliedern der CISNU pauschal davon auszugehen, daß die rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung erfüllt sind. Ich verweise hier auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aus dem Jahre 1975, in der es heißt — ich zitiere —:
Der Senat hält auch an seiner . . . Auffassung fest, daß allein eine Mitgliedschaft in der
— damals ging es um diese Organisation
GUPS nicht ohne weiteres die Annahme rechtfertigt, daß von dem betreffenden Ausländer eine Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgeht.
Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungsgericht vom 14. März 1973 zum Ausdruck gebracht, daß für die Beurteilung der Frage der Ausweisung eines Ausländers wegen der Mitgliedschaft oder Tätigkeit in einer verbotenen Vereinigung Maß und Art der Mitwirkung des Ausgewiesenen in der Vereinigung maßgebend seien.
Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluß vom 18. Juli 1973 erklärt, daß in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden müsse, ob und inwieweit die Mitgliedschaft oder Bestätigung in einer später verbotenen Vereinigung vor deren Verbot zuungunsten des betroffenen Ausländers herangezogen werden könne.
Bei den dargestellten Grundsätzen handelt es sich nicht nur um eine Frage des Ausländergesetzes, sondern auch um eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsprinzip und damit um verfassungsrechtliche Fragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Broil.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, warum hat sich die Bundesregierung nach dem Überfall von iranischen Aktivisten auf die iranische Botschaft in Bonn nicht veranlaßt gesehen, damals Ausweisungen vorzunehmen oder zu veranlassen, denn dieser Überfall war ein Akt durch den doch ganz bestimmt die Interessen der Bundesrepublik in ganz erheblichem Maße gefährdet worden sind?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie schon da waren, als ich die erste Antwort gegeben habe. Ich habe darin auf die Zuständigkeiten verwiesen, die natürlich genauso in jedem anderen Fall gelten. Die Landesbehörden sind für ausländerrechtliche Maßnahmen zuständig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, wie lange beabsichtigt die Bundesregierung noch abzuwarten, und ist die Bundesregierung, wenn die hessische Landesregierung von sich aus keine Entscheidungen fällt, bereit, auch eigene Entscheidungen zu treffen?von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will gern auch auf die Zuständigkeiten innerhalb des Landes Hessen hinweisen. Zunächst muß innerhalb des Landes Hessen die jeweils örtliche zuständige Ausländerbehörde tätig werden. In diesem Fall ist das der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt. Wenn die Prüfungen im Landesbereich abgeschlossen sind, können sich überhaupt erst alle weiteren Fragen stellen. Die hypothetische Frage, wann die Bundesregierung sich mit dieser Frage, die hier gestellt worden ist, beschäftigen müßte, ist, glaube ich, deshalb hier nicht zu beantworten, weil ich Ihnen die Erklärung des hessischen Innenministers mitgeteilt habe, daß er in seinem Verantwortungsbereich dafür sorgen werde, daß die
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9312 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Parl. Staatssekretär von SchoelerBehörden alle Möglichkeiten des Ausländergesetzes voll ausschöpfen. Ich habe keinen Grund, diese Erklärung irgendwie zu bezweifeln.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, wie läßt sich die offensichtliche Duldsamkeit gegenüber politisch motivierten ausländischen Gewalttätern mit der Tatsache vereinbaren, daß Ausländer, denen Taten der gemeinen Kriminalität zur Last gelegt werden, in der Regel alsbald ausgewiesen werden?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre Formulierung, daß es sich um eine offensichtliche Duldsamkeit gegenüber gewalttätigen Ausländern handle, muß ich auf das energischste zurückweisen. Sie haben nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine solche These.
Die Bundesregierung wird alles tun, damit Auseinandersetzungen von Ausländern, die zu Gewaltanwendungen neigen, auf deutschem Boden nicht Platz greifen. Sie hat das mehrfach erklärt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Langner.
Herr Staatssekretär, sind die schlechten Erfahrungen, die die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Exilkroaten — ich beziehe mich hier insbesondere auf die Erfahrungen mit der Untätigkeit der nordrhein-westfälischen Ausländerbehörden — für Sie kein Grund, die eigenen rechtlichen Möglichkeiten nach dem Ausländergesetz jetzt auszuschöpfen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Langner, auch Ihre Frage kann ich nur so verstehen, daß Sie nicht die Darstellung der Rechtslage, ob ausländerrechtliche Maßnahmen möglich und notwendig sind, verfolgt haben. Der Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt als örtlich zuständige Ausländerbehörde und darüber hinaus das Land Hessen sind jetzt am Zuge. Nur in dem Fall, daß die dortigen Ermittlungen abgeschlossen wären und das Ergebnis die Bundesregierung unbefriedigt ließe, könnten wir überhaupt rechtlich in eine Erörterung des Themas eintreten, ob die Bundesregierung hier tätig werden soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedmann.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß Ihr Hinweis auf den Frankfurter Oberbürgermeister in diesem Zusammenhang wenig fruchtet, da kaum einer der gewalttätigen
Demonstranten in dessen Zuständigkeitsbereich wohnt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist nicht richtig. Nach den mir vorliegenden Informationen trifft dies zumindest für den einen oder anderen derjenigen, deren Personalien festgestellt worden sind, zu. Ich stimme Ihnen aber durchaus darin zu, daß es sich nicht nur um eine Angelegenheit des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt handelt. Es kommt darauf an, wo der Wohnsitz der betreffenden Person ist. Im übrigen weise ich auf die Zuständigkeitsregelung des Ausländergesetzes hin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Erhard.
Herr Staatssekretär, muß ich Sie so verstehen, daß Sie für das Bundesinnenministerium und damit für die Bundesregierung die Auffassung vertreten, die Ihnen in § 25 des Ausländergesetzes unmittelbar gegebene Zuständigkeit zum Handeln nur so handhaben zu wollen, daß Sie sagen „Hannemann, geh' du voran, ich mach' die Augen zu" ? Denn die unmittelbare Zuständigkeit ergibt sich direkt aus § 25.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß Ihnen sagen, daß ich die Hartnäckigkeit, mit der Sie die Rechtslage in Ihren Fragen falsch darstellen, zurückweisen muß.
Die Bundesregierung hat nicht eine unmittelbare Zuständigkeit,
wie Sie sie hier darstellen. Sie stellen die Rechtslage
damit falsch dar. Ich habe das ausführlich dargestellt
und bitte darum, daß Sie das zur Kenntnis nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beabsichtige, nicht mehr als drei weitere Zusatzfragen zuzulassen. Zunächst Herr Abgeordneter Dr. Lenz, bitte.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung angesichts der Vielzahl verschiedener Wohnsitze der in Frankfurt tätig gewordenen Ausländer, ein einheitliches Vorgehen der Bundesländer gegen diese Ausländer in die Wege zu leiten?von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lenz, ich habe bereits in der Antwort auf eine andere Frage eines Kollegen dargestellt, daß auch ich es für wichtig halte, daß die Informationen der hes-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9313
Parl. Staatssekretär von Schoelersischen Behörden auf Grund der Vorgänge vom Wochenende den anderen Bundesländern zugeleitet werden, damit dort entsprechende ausländerrechtliche Prüfungen stattfinden können. Die Bundesregierung ist bereit, dazu ihren Beitrag zu leisten. Wir stehen in Kontakt mit den hessischen Behörden und werden dafür sorgen, daß das, was Sie zu Recht wünschen, geschieht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Dringlichen Frage.
Nunmehr rufe ich den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf.
Bei den Fragen 98 des Abgeordneten Conradi sowie 99 und 100 des Abgeordneten Dr. Riedl bitten die Fragesteller um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 111 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Treffen Pressemeldungen zu, nach denen sich Bundeskanzler Schmidt und Staatspräsident Giscard d'Estaing darauf geeinigt haben, daß die französische Familienministerin Simone Veil Präsidentin des im nächsten Jahr direkt zu wählenden Europaparlaments werden soll, und hält die Bundesregierung es gegebenenfalls für die Kandidatin wie auch für das Europaparlament für zuträglich, wenn zwei Regierungschefs eine Absprache treffen, die allein in der Zuständigkeit des neu zu wählenden Parlaments liegt?
Zur Beantwortung Herr Staatsminister Wischnewski, bitte.
Herr Kollege Böhm ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Es versteht sich, daß der Bundeskanzler nicht im geringsten die Absicht hat, sich in die Zuständigkeiten der europäischen parlamentarischen Versammlung — und noch weniger in die des zukünftig direkt zu wählenden Europäischen Parlaments — einzumischen. Eine wie immer geartete Absprache, die darauf abzielen könnte, gibt es zwischen dem Bundeskanzler und dem französischen Staatspräsidenten selbstverständlich nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatsminister, wollen Sie damit sagen, daß die Pressemeldungen, die über diese Angelegenheit veröffentlicht worden sind, völlig aus der Luft gegriffen wurden?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe hier eine klare Aussage zu der Angelegenheit gemacht und habe dem nichts hinzuzufügen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatsminister, können Sie sich vorstellen, daß der Bundeskanzler bei den Gesprächen, über die in der Presse berichtet worden ist, im Sinne gehabt haben könnte,
zu verhindern, daß vom künftigen Europaparlament ein sozialistischer Kandidat — möglicherweise mit kommunistischer Unterstützung - zum Präsidenten gewählt wird?
Wischnewski, Staatsminister: Ich darf hier klar und eindeutig das feststellen, was ich in meiner Antwort bereits gesagt habe: Hier handelt es sich um eine Angelegenheit des zukünftigen direkt zu wählenden Europäischen Parlaments, und der Bundeskanzler hat weder die Absicht gehabt noch hat er die Absicht, sich in die inneren Angelegenheiten des Europäischen Parlaments einzumischen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Ich danke dem Herrn Staatsminister für die Beantwortung der Frage.
Nunmehr rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi anwesend.
Bei den Fragen 112 und 113 des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer hat der Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten; die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Frage 114 der Abgeordneten Frau von Bothmer ist zurückgezogen worden.
Ich rufe Frage 115 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die ihre Verwandten in der CSSR besuchen, seit Sommer 1977 nicht mehr privat bei diesen übernachten dürfen, sondern in teuren Hotels Quartier beziehen müssen, und worauf führt die Bundesregierung diese Anordnung der Regierung der CSSR zurück?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Weder dem Auswärtigen Amt noch unserer Botschaft in Prag ist bekannt, daß die tschechoslowakischen Behörden deutschen Staatsangehörigen Hotelübernachtungen vorschreiben, wenn die Verwandten in der CSSR diese bei sich beherbergen möchten. Sofern Sie Ihre Anfrage auf konkrete Einzelfälle beziehen sollten, die Ihnen bekannt sind, wären das Auswärtige Amt und auch die Botschaft in Prag selbstverständlich gerne bereit, solchen Vorfällen nachzugehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Friedmann.
Herr Staatsminister, demnach werde ich Ihnen gerne einen Vorgang konkreter Art mit der Bitte um Überprüfung zuleiten.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich bedanke mich, Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
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9414 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Präsident CarstensDie Fragen 20 und 21 des Herrn Abgeordneten Spranger und die Fragen 116 und 117 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe Frage 118 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:Welche politischen Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Verweigerung der Auslieferung der vier deutschen Terroristen durch die jugoslawische Regierung in bezug auf die deutsch-jugoslawischen Beziehungen?Herr Staatsminister, bitte schön.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung prüft gegenwärtig zunächst die sich im Hinblick auf den deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrag im Bereich der Bekämpfung der internationalen Aktivitäten terroristischer Gruppen ergebenden Folgerungen und wird hierüber mit der jugoslawischen Seite in Anwendung der Schiedsklausel des Vertrages Gespräche führen. Im Hinblick auf die engen, durch gegenseitiges Vertrauen und guten Willen gekennzeichneten Beziehungen, wie sie sich in den vergangenen Jahren zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien entwickelt hatten, stellt das jugoslawische Verhalten für die Bundesregierung einen schweren Rückschlag dar. Der klare Verstoß gegen den Auslieferungsvertrag, der Rückschlag im Kampf gegen den Terrorismus und die Reaktion der deutschen Öffentlichkeit stellen eine Belastung des Verhältnisses beider Länder dar. Die Bundesregierung wird über ihre Haltung im einzelnen jeweils unter gebührender Berücksichtigung aller Gesichtspunkte entscheiden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, kann ich Ihre Antwort so interpretieren, daß Sie bei der Prüfung des Gesamtkomplexes insbesondere dem Element der Verdeutlichung Bedeutung beimessen werden, daß sich die deutsch-jugoslawischen Beziehungen auch in Zukunft nicht primär in wirtschaftlicher und technischer Kooperation erschöpfen können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Kunz, die Bundesregierung wird auch in Zukunft jeweils die Gesamtheit der Beziehungen beachten und in Rechnung stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, wie will die Bundesregierung insbesondere sicherstellen, daß das deutsch-jugoslawische Auslieferungsabkommen nicht erneut gerade dann wirkungslos wird, wenn es um die internationale Bekämpfung des Terrorismus geht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich sagte, die Bundesregierung werde Gespräche
über die Anwendung der Schiedsklausel führen. Ich glaube, man kann Ihre Frage erst dann beantworten, wenn diese Gespräche geführt worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die derzeit in Jugoslawien laufende Pressekampagne gegen die Bundesrepublik Deutschland ein weiterer schwerer Schlag gegen die Beziehungen zwischen diesen bei- den Ländern ist, die Sie vorhin als früher von vertrauensvoller Zusammenarbeit gekennzeichnet bezeichnet haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Pressekampagnen sind niemals förderlich für die Beziehungen . zwischen Staaten. Es kommt darauf an, daß in der Presse die Sachverhalte so objektiv wie möglich dargestellt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung bei der künftigen Gestaltung der Beziehungen zu Jugoslawien mit in Rechnung stellen, daß es gerade Jugoslawien war, dem die Bundesregierung auf dem Gebiet der Gewährung finanzieller Hilfen ganz besonders großzügig — im Vergleich etwa zu anderen Nachbarstaaten — entgegengekommen war?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, bei der weiteren Entwicklung der Beziehungen kann der erfolgte Rückschlag selbstverständlich nicht außer Betracht bleiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Langner.
Herr Staatsminister, inwieweit kann die Reaktion der deutschen Bevölkerung auf das jugoslawische Verhalten, wie ich es aus Ihrer Antwort vorhin entnehmen mußte, eine Belastung der Beziehungen darstellen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Für die Beziehungen zwischen den Staaten, Herr Kollege, sind immer die Beziehungen zwischen den Menschen ein wesentlicher Faktor. Ich verwies auf die öffentliche Reaktion, und ich verwies auch auf die Bedeutung, die dies selbstverständlich für die Entwicklung der Beziehungen im Augenblick hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:Hält die Bundesregierung weiteres wirtschaftliches und handelspolitisches Entgegenkommen gegenüber Jugoslawien angesichts dieses unfreundlichen Akts weiterhin für vertretbar?Herr Staatsminister.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9315
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Kunz, handelspolitische Regelungen mit Jugoslawien fallen zunächst und in erster Linie in den Entscheidungsbereich der Europäischen Gemeinschaften. Im Rahmen der EG und in den bilateralen Beziehungen wird die Bundesregierung die Interessen der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigen. Zu diesen Interessen gehören sowohl die eindeutige Zusammenarbeit im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus als auch andere gegenseitige wirtschaftliche und gegenseitige gesamtpolitische Interessen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir in Fortführung Ihrer Antwort zu, daß die Bundesregierung bereit ist, ihre weitere Verwendung zugunsten jugoslawischer handels- und wirtschaftspolitischer Vorteile im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft von der konkreten Bereitschaft Jugoslawiens zur wirklichen Mitarbeit bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus abhängig zu machen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, in der Gemeinschaft ist die Bundesrepublik ein Mitglied von neun. Es ist selbstverständlich, daß die Bundesrepublik ihre Interessen in den Entscheidungsprozeß der Gemeinschaft nur mit diesem Gewicht einbringen kann. Aber, Sie haben recht: Die 'Bundesrepublik Deutschland hat sich in der Vergangenheit für einen beschleunigten Abschluß der Handelsverhandlungen eingesetzt. Der von mir hier charakterisierte Rückschlag in den bilateralen Beziehungen wird sicherlich auch in Brüssel registriert werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, ich frage Sie konkret, ob die Bundesregierung Erkenntnisse darüber hat, wie die Europäische Gemeinschaft selbst über weitere handels- und wirtschaftspolitische Wünsche Jugoslawiens denkt, nachdem der unfreundliche Akt der Freilassung mutmaßlicher deutscher Terroristen auch in der Gemeinschaft eine ziemliche Empörung hervorgerufen hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Kunz, wir haben über das Mandat für die Handelsverhandlungen mit Jugoslawien in der letzten Ratssitzung im November verhandelt. Ich habe dabei bei vielen Delegationen ein Interesse an einer sachlichen Behandlung und an einem zügigen Abschluß feststellen können. Es ergeben sich allerdings noch erhebliche Probleme. Diese Probleme werden nun mit der notwendigen Sorgfalt aufzuklären und zu behandeln sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Warnke.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaft darauf hinzuwirken, daß die zoll- und handelspolitischen Gespräche mit Jugoslawien nicht in einen bindenden und Jugoslawien einseitig begünstigenden Vertrag münden, sondern auch in Zukunft in mehr einseitiger Form ausgestaltet werden mit dem Ziel, daß die Europäische Gemeinschaft — bei Bedarf — auch in Zukunft Herr ihrer Entschlüsse bleibt und sich nicht gegenüber einem Partner bindet, der seine Unzuverlässigkeit in den vergangenen Wochen bewiesen hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie erweitern eine Diskussion, die sich auf ein bilaterales Problem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien im Bereich der Terrorismusbekämpfung bezieht, auf die allgemeinen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Jugoslawien und der Gemeinschaft. Ich unterstreiche hier noch einmal: Die Bundesrepublik ist ein Partner unter neun. Es gibt in der Gemeinschaft starke Bestrebungen, bei der Abfassung des Verhandlungsmandats die Langfristigkeit der Beziehungen zwischen Jugoslawien und der Gemeinschaft zu unterstreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Herr Staatsminister, darf ich fragen, ob es tatsächlich richtig ist, wie Sie soeben gesagt haben, daß die Nichtauslieferung der vier deutschen Terroristen ein bilaterales deutsch-jugoslawisches Problem ist, oder gehe ich nicht vielmehr richtig in der Annahme, daß die Nichtauslieferung der vier Terroristen angesichts der Zusammenarbeit der EG-Länder auf diesem Sektor eine Angelegenheit ist, die die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit angeht und die infolgedessen in diesen Komplex einbezogen werden muß?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Lenz, die beiden Fragen, die mir vom Kollegen Kunz gestellt worden sind, beziehen sich auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien. Ich habe darauf hingewiesen, daß ich im Rahmen einer bilateral gestellten Frage nun nach Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und Jugoslawien gefragt wurde, und dort habe ich wiederum — wohl mit Recht — darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland, im Rahmen der Beziehungen zwischen der Gemeinschaft -und Jugoslawien ein Mitglied von neun ist und nur dieses Gewicht einbringen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, werden sich die von Ihnen geforderten politischen Konsequenzen im Sinne einer gemeinsamen Bekämpfung
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9316 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Dr. Czajades Terrorismus auch auf die Unterbindung der Gewaltakte von staatlichen Geheimdiensten beziehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Zusatzfrage ist durch die gestellte Frage nicht gedeckt, Herr Abgeordneter Dr. Czaja, es tut mir leid.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, da die Lektüre der Frage 119 die von Ihnen dem Kollegen Lenz gegenüber vorgenommene Begrenzung nicht erkennen läßt, möchte ich die Frage wiederholen, ob die Entlassung von vier nach allen Erkenntnissen hochgefährlichen Terroristen in ein unbekanntes Land nicht eine Gefährdung sämtlicher EG-Staaten darstellt und daher auch in einen Maßnahmenkatalog der gesamten EG einzubeziehen ist.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe mit meiner vorangegangenen Antwort eine solche Schlußfolgerung auf seiten unserer Partner in der Gemeinschaft nicht ausgeschlossen. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß ich, wenn ich hier gefragt werde, wie sich die Bundesrepublik in der Gemeinschaft die Förderung oder Nichtförderung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Jugoslawien denkt, nur von dem Gewicht der Bundesrepublik ausgehen kann. Ich kann, Herr Kollege, beim besten Willen von der Regierungsbank im Deutschen Bundestag nicht eine Antwort für die politische Position geben, die andere Regierungen der übrigen acht Mitgliedstaaten in dieser Frage eventuell beziehen würden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Kittelmann, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hält die Bundesregierung die Sicherheit deutscher Urlauber in Jugoslawien noch für absolut gewährleistet, wenn in diesem Land gesuchte deutsche Terroristen in Freiheit gesetzt werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, soweit uns bisher bekannt ist, hat sich eine Gefährdung für Urlauber aus diesem Zusammenhang nicht ergeben. Aber daß in der Bevölkerung unseres Landes dieser Vorgang mit Sicherheitsfragen in Verbindung gebracht werden kann, ist nicht auszuschließen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatsminister, welche finanziellen Hilfen sind in den letzten Jahren Jugoslawien gewährt worden und welche sind unter Umständen noch nicht abgewickelt worden, so daß sie so behandelt werden können, wie Sie es in der Antwort auf die Frage des Kollegen Kunz hier angedeutet und als möglich hingestellt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, vielleicht darf ich auf Beantwortung der folgenden
Frage verweisen. Ich könnte auch hier • darauf antworten; aber mir wäre es recht, wenn ich die Frage im Zusammenhang mit der Frage 120 beantworten könnte und die entsprechende Zusatzfrage dann gestellt würde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, nur ist der Fragesteller der Frage 120 nicht im Saal, so daß diese Frage wahrscheinlich nicht behandelt wird. Aber es liegt in Ihrem Ermessen, wie Sie verfahren.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Präsident, ich wollte mich nicht um die Beantwortung drücken, sondern ich wollte das Verfahren vereinfachen.
Ich nehme die Antwort auf die Frage 120 zur Hand und stelle folgendes fest. Jugoslawien hat bisher Kapitalhilfekredite von insgesamt einer Milliarde DM erhalten, und zwar 300 Millionen DM auf Grund des Regierungsabkommens vom 20. Dezember 1972 und 700 Millionen DM auf Grund des Regierungsabkommens vom 2. Juli 1974. Die Konditionen lauten: für den ersten Kredit 2,5 % Zins, 30 Jahre Laufzeit und 8 freie Jahre, für den zweiten Kredit 2 % Zins, 30 Jahre Laufzeit und 10 freie Jahre. Sonstige finanzielle Vergünstigungen hat Jugoslawien nicht erhalten. Die erwähnten Kredite wurden voll ausgezahlt. Weitere Finanzhilfe ist nicht vorgesehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Wir kommen zur Frage 120 des Herrn Abgeordneten Haase. Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Da er nicht im Saal ist, wird diese und seine Frage 121 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 122 — des Herrn Abgeordneten Dr. Becher - auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die jugoslawische Regierung aufzufordern, durch geeignete Maßnahmen zu erreichen, daß Eingriffe jugoslawischer Stellen in das Rechts- und Ordnungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland unterbleiben?
Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung duldet keine Eingriffe ausländischer Stellen in das Rechts- und Ordnungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland.
Im übrigen möchte ich zu Ihrer Frage auf den vertraulichen Bericht verweisen, den Bundesminister Baum am 18. Oktober 1978 vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages erstattet hat. Darüber hinaus hat der Kollege Baum gestern im Innenausschuß zugesagt, auch diesen Ausschuß in Kürze über diesen Komplex zu unterrichten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneten Dr. Becher.
Herr Staatsminister, darf ich Ihre Antwort so auslegen, daß die Bundesregierung, wenn sie in Besitz von konkreten Informationen darüber ist, daß im Auftrage jugoslawi-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9317
Dr. Becher
scher Stellen Eingriffe in unser Ordnungsgefüge stattgefunden haben oder stattfinden — bis zu Mordandrohungen und ihrer Durchführung im Gebiete der Bundesrepublik Deutschland —, sehr wohl aufgefordert und entschlossen ist, dagegen bei der jugoslawischen Regierung Protest zu erheben?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich unterstreiche noch einmal: die Bundesregierung duldet keine Eingriffe ausländischer Stellen in das Rechts- und Ordnungsgefüge. Die Maßnahmen, die ergriffen wurden und ergriffen werden können, wurden in dem vertraulichen Bericht bereits dargelegt. Es wird einen weiteren Bericht geben. Ich würde Sie bitten, mich nach weiteren Einzelheiten eventuell getroffener und zu treffender Maßnahmen hier nicht im Plenum des Deutschen Bundestages zu fragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Becher.
Herr Staatsminister, darf ich Ihre letzte Antwort, die mit der mir gestern im Bereiche des Innenministeriums gegebenen Antwort übereinstimmt, dahin gehend auslegen, daß die Bundesregierung nicht gewillt ist, durch eine Verweigerung der Antworten auf zugelassene Fragen, die im Plenum des Deutschen Bundestages gestellt werden, weiterhin die Bedeutung des Plenums des Deutschen Bundestages und des Rechtes der Antragsteller dadurch zu entwerten, daß auf Vorgänge in Ausschüssen verwiesen wird, wo Dinge geheim behandelt werden, auf deren Kenntnis die gesamte Öffentlichkeit einen Anspruch hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Becher, die Bundesregierung ist in solchen Fragen immer in einer schwierigen Lage. Sie möchte das Plenum und die Öffentlichkeit so weit, wie es irgend möglich ist, informieren. Sie hat aber auch die Sicherheitsinteressen des Landes zu wahren. Diese machen es erforderlich, bestimmte Informationen vertraulich zu behandeln.
Ich bin sicher, Herr Kollege, daß Sie selbst und Ihre Fraktion ein vitales Interesse daran haben, daß Informationen, die notwendigerweise vertraulich zu behandeln sind, nicht von mir fahrlässigerweise der Öffentlichkeit preisgegeben werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister,, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß bereits die Freilassung von vier Personen, die erheblich verdächtig sind, sich an schwersten Straftaten in der Bundesrepublik Deutschland gegen Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland beteiligt zu haben, unter den gegebenen Umständen — die es den deutschen Sicherheitsbehörden unmöglich machen, sich dieser Personen wieder zu bemächtigen — einen erheblichen und massiven Eingriff jugoslawischer
Dienststellen in unser Staats-, Rechts- und Ordnungsgefüge darstellt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das Verhalten der jugoslawischen Regierung einen Bruch des Auslieferungsvertrages darstellt. Das hatte ich bereits gesagt. Ob man die Dinge so weit interpretieren kann, wie Sie es eben getan haben, entspricht im Augenblick nicht meiner rechtlichen Beurteilung. Aber der Bruch des Auslieferungsvertrages ist unbestritten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, ist zu befürchten, daß angesichts des besonderen geopolitischen Gewichts, das Jugoslawien hat, im Verhältnis zwischen Jugoslawien und der Bundesrepublik ein für uns befriedigendes Ergebnis nicht zu erwarten ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie können sicher sein, daß die Bundesregierung sowohl die Aufgabe einer internationalen Bekämpfung des Terrorismus als auch übrige Gesichtspunkte, die die Interessenlage der Bundesrepublik Deutschland betreffen, im Auge hat. In diesem Gesamtbereich der Beziehungen wird von der Bundesregierung eine optimale Lösung angestrebt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Wird die Bundesregierung im Rahmen der hier angesprochenen Maßnahmen in die Gespräche mit der jugoslawischen Regierung zum Schutz der Rechtssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland auch die Unterbindung von Gewaltakten staatlicher Dienststellen einbeziehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich wiederhole: Die Bundesregierung duldet keine Eingriffe in das Rechts- und Ordnungssystem in der Bundesrepublik Deutschland. Gewalttaten, von wem auch immer, sind ein solcher Eingriff. Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer Zuständigkeiten bemüht sein, solche Eingriffe, von wem auch immer, zu unterbinden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Staatsminister, würden Sie in Erweiterung der Beantwortung meiner vorhin gestellten Frage Verständnis dafür haben, wenn deutsche Urlauber bis zur Regelung dieser ganzen Angelegenheit vorläufig in Länder wie Spanien und Griechenland statt nach Jugoslawien fahren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, es tut mir leid: mit der Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Becher
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9318 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Präsident Carstenssteht Ihre Zusatzfrage mit Sicherheit nicht mehr in einem Zusammenhang. Tut mir leid.Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, die energische Antwort, die Sie auf die letzte Frage gegeben haben, dem Bundesminister des Innern zur Kenntnis zu geben, damit er die gleiche Energie bei der Bekämpfung von iranischen Schlägern an den Tag legt, die Sie soeben demonstriert haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Tut mir gleichfalls leid, Herr Abgeordneter Dr. Lenz: auch diese Ihre Zusatzfrage steht nicht im Zusammenhang mit der von Herrn Abgeordneten Dr. Becher gestellten Frage.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Ich rufe die Frage 123 der Abgeordneten Frau Renger auf:
Welche Möglichkeiten nimmt die Bundesregierung wahr, angesichts des Schicksals der Menschen auf dem Frachter Hai Hong", den Flüchtlingen aus den südostasiatischen Ländern Vietnam, Kambodscha und Laos, sei es in eigener Zuständigkeit, sei es im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften oder der Vereinten Nationen, humanitäre Hilfe zu leisten und einen Teil dieser Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen?
Zur Beantwortung, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesregierung hat versucht, in eigener Zuständigkeit zu helfen. Ich will versuchen, den Zusammenhang hier noch einmal deutlich darzustellen.
Am 23. November 1978 hat das deutsche Motorschiff Tomiakop ein vietnamesisches Fischerboot mit ca. 400 Flüchtlingen an Bord, das internationale Notsignale ausgesandt hatte, in Schlepp genommen. Bundesminister Genscher hat am 24. November 1978 an den Kollegen Baum die dringende Bitte gerichtet, sich während der an diesem Tag stattfindenden Sitzung der ständigen Konferenz der Innenminister der Länder für die Bereitstellung von tausend weiteren Aufnahmeplätzen zu verwenden. Ministerpräsident Albrecht hat erst im Anschluß hieran die Bereitschaft des Landes Niedersachsen zur Aufnahme von tausend jener Flüchtlinge erklärt, die sich auf der „Hai Hong" und auf dem besagten Fischerboot im Schlepp der Tomiakop in Richtung der thailändischen Gewässer befanden. Die Flüchtlinge auf diesem Fischerboot haben inzwischen in Thailand an Land gehen dürfen.
Die Vorbereitungen für die Übernahme beider Flüchtlingsgruppen sind inzwischen angelaufen. Die erforderlichen Maßnahmen werden im Auswärtigen Amt durch einen besonderen Arbeitsstab koordiniert. Auf Bitten des Auswärtigen Amtes wird der Bundesminister der Verteidigung Transporthilfe leisten. Die erste Bundeswehrmaschine wird am 30. November 1978, also heute, zur Übernahme von ca. 165 Flüchtlingen nach Kuala Lumpur fliegen.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in diesem Jahr bereits zweimal Mittel für die Betreuung von Flüchtlingen aus den Ländern des ehemaligen Indochina überwiesen, und zwar insgesamt 2,5 Millionen DM. Die's bezieht sich also auf die Beiträge zu den Maßnahmen der Vereinten Nationen.
Angesichts der dramatischen Situation auf dem Küstenfrachter „Hai Hong" hat sie am 16. November 1978 weitere 500 000 DM zur Verfügung gestellt, um den Hohen Flüchtlingskommissar in die Lage zu versetzen, insbesondere den Flüchtlingen auf dem besagten Schiff zu helfen. Ferner hat Bundesminister Genscher dem malaysischen Außenminister in Bonn erst vor wenigen Tagen die Sorge der Bundesregierung über die Entwicklung auf der „Hai Hong" ausgedrückt.
Was die Europäische Gemeinschaft angeht, nach der Sie ebenfalls gefragt haben, so hatten die neun Mitgliedstaaten Gelegenheit, am Rand und im Zusammenhang mit der ASEAN-Konferenz in der vergangenen Woche über diese Frage zu sprechen. Ich darf vielleicht dem Hause und Ihnen, Frau Kollegin, den entsprechenden Abschnitt der Presserklärung der gemeinsamen Konferenz der EWG- und der ASEAN-Minister über die Konferenz wiedergeben.
Dort heißt es:
Die Außenminister der ASEAN- und der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft erklärten, sie betrachteten mit ernster Sorge den unverminderten Flüchtlingsstrom aus Indochina nach den ASEAN-Ländern. In dem Bewußtsein der internationalen Auswirkungen der humanitären Aspekte des Problems vertraten die Außenminister der Mitgliedstaaten der ASEAN und der Europäischen Gemeinschaft, die bereits Schritte zur Lösung dieses Problems unternommen haben, die Auffassung, daß in internationalem Rahmen weiterhin internationale Bemühungen um eine rasche Ansiedlung von Flüchtlingen in Erwägung gezogen und in größerem Umfang unterstützt werden müßten.
Es tut mir leid, Herr Präsident, daß meine Antwort etwas länger war. Aber ich wollte die drei Bereiche schildern, in denen sich die Bundesregierung bemüht hat, zu diesem Problem wirksame Hilfe zu leisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, Sie sind im Gegensatz zu den Fragestellern in der glücklichen Lage, den Umfang Ihrer Antwort selbst bestimmen zu können.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Renger.
Herr Staatsminister, entspricht — was ich beinahe aus Ihrer Antwort entnehmen möchte — die Bundesregierung damit bereits dem Appell des UN-Hochkommissars, den unter eigener Flagge segelnden Schiffen Weisung zu erteilen, soweit sie das kann, Flüchtlinge aus diesem Gebiet auf ihren schwimmenden Särgen in jedem Fall an Bord zu nehmen und ihnen mindestens vorerst nach bindender Absprache mit den Bundesländern Asyl zu gewähren oder — was Sie zum Teil bereits beantwortet haben — entsprechende finanzielle Hilfe zur Überwindung der ersten Not zur Verfügung zu stellen?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9319
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung wünscht selbstverständlich, daß Schiffe, die unter deutscher Flagge in der betroffenen Region fahren, jedem Flüchtling, wo immer sie ihn antreffen, alle mögliche Hilfestellung geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Renger.
Herr Staatsminister, sind Sie in der Lage, Auskunft darüber zu geben, ob die in der Öffentlichkeit genannten Behauptungen zutreffen, daß den Flüchtlingsströmen politische und rassisch-ethnische Motive seitens der Regierung in Vietnam zugrunde legen und die Flucht sogar durch eine Art erzwungener Fluchtabgabe begünstigt wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es gibt sicherlich in mindestens einem Land Hinweise dafür, daß bestimmte Bevölkerungsgruppen derart behandelt werden, daß sie die Flucht aus dem Land für den besten Weg ansehen, den es für sie in Zukunft gibt. Dafür gibt es mindestens aus einem Land deutliche Anzeichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, daß der jüngste Fall der Flüchtlinge auf dem Frachter „Hai Hong" nicht der erste Fall einer derartigen Flucht aus Vietnam ist und daß die Bundesregierung noch in der Beantwortung auf eine Anfrage von mir am 7. Oktober 1977 erklärt hat, über die bisher ergriffenen Maßnahmen hinaus erscheine es — jetzt darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten die Antwort von damals zitieren — „nicht angebracht, wegen einer weiteren Quote an die Bundesländer heranzutreten"?
Dr. von Doynanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hält sich in erster Linie an das Ziel einer internationalen Kooperation zur Bewältigung dieses Problems. Solange hierfür Chancen gegeben waren, hat sie daher den Hohen Kommissar, wie ich eben bereits gesagt habe, entsprechend unterstützt.
Als die Lage auf der „Hai Hong" sich dramatisierte, hat Herr Bundesminister Genscher den Versuch gemacht, über die Bundesrepublik Deutschland unmittelbar Hilfestellung zu geben. Das ist erfolgt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, nachdem Sie gerade die Bereitschaft des Ministerpräsidenten Albrecht erwähnt haben, darf ich Sie fragen: Welche anderen Bundesländer haben wann ihre Bereitschaft in ähnlich verbindlicher Form erklärt, welche Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, nach dem jetzigen Stand gibt es feste Zusagen aus Nordrhein-Westfalen, aus Hamburg, aus Rheinland-Pfalz .und aus Baden-Württemberg. Es mag einige Länder geben, die offenbar davon ausgegangen sind, daß sie keine zusätzlichen Flüchtlinge aufzunehmen hätten. Ich könnte Ihnen auch einzelne Zahlen nennen, aber die werden sich vermutlich ändern. Von diesen vier Ländern habe ich nach dem letzten Stand meiner Information feste Zusagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Da sich die Frage auch auf die Aufnahme von Flüchtlingen aus Vietnam bezieht, frage ich Sie, ob Sie eine Möglichkeit sehen, die dankenswerten Bemühungen der deutschen Botschaft in Hanoi, Personen und Familien zu helfen, die in der Aufnahmequote der einzelnen Länder enthalten sind, die sich aber noch in Vietnam befinden und vergeblich die Ausreise im Sinne der Familienzusammenführung betreiben, zu einem greifbaren Ergebnis zu führen, soweit es alte Menschen betrifft, die nicht auf die Boote gehen können.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, wir versuchen selbstverständlich, in allen Fällen zu helfen. Bei dem Drang der Flüchtlinge, der hier zu erkennen ist, ist es nicht immer leicht, in jedem Fall das zu tun, was man gern tun möchte. Aber die Botschaft ist bemüht — und die Bundesregierung unterstützt die Botschaft selbstverständlich —, in dieser Frage zu helfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Herr Staatsminister, würden Sie einer Bitte nachkommen, die ich hiermit äußern möchte, nämlich daß die Bundesregierung erneut erklärt, daß sie jedwede humanitäre Hilfe bei politischen Flüchtlingen leisten wird, und daß sie die Bundesländer, da diese in vielen Bereichen zuständig sind, nach wie vor bittet, in ihren Bereichen entsprechend tätig zu werden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Dazu kann ich uneingeschränkt ja sagen, Herr Kollege Becker, und ich kann bestätigen, was Sie hier eben vorgetragen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becher.
Herr Staatsminister, würden Sie unter dem Eindruck der erschütternden einstündigen Sendung gestern abend im Deutschen Fernsehen der deutschen Öffentlichkeit bestätigen, daß die Bundesregierung die Flüchtlinge nicht nur danach auswählt, ob sie hier in Deutschland ausgebildet wurden oder die deutsche Sprache sprechen, sondern daß in der Tat Ak-
Metadaten/Kopzeile:
9320 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Dr. Becher
tionen ohne Rücksicht auf die Frage der Familienzusammenführung oder von Sprachkenntnissen, eben im Hinblick auf den Gesamtkomplex der sofort notwendigen humanitären Hilfe anlaufen, und sind Sie nicht auch der Meinung, daß das Problem — gerade unter dem Eindruck des gestrigen Filmes — so drängend ist, daß sofort gemeinsam mit allen Ministerpräsidenten Maßnahmen ergriffen werden müßten?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich unterstreiche, was ich vorhin gesagt habe: Die Bundesregierung ist um eine möglichst schnelle Hilfe bemüht. Ich sagte auch: Das erste Flugzeug der Bundeswehr ist heute gestartet. Bei der Auswahl wird es selbstverständlich darum gehen, einerseits die dringlichsten Fälle zunächst zu behandeln und andererseits bei der Übernahme von Flüchtlingen auch die beste Chance für das zukünftige Leben in dem jeweiligen Land zu geben. Diese beiden Dinge versuchen wir bei der Auswahl der Personen in Einklang zu bringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, ist die Koordinierung der durch den Ministerpräsidenten Ernst Albrecht initiierten Rettungsmaßnahmen für Flüchtlinge auf dem Schiff „Hai Hong" gesichert, und bei wem liegt jetzt die zentrale Verantwortung?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß die Koordinierung in der Innenministerkonferenz begonnen hatte. Mir liegt wirklich daran, hier kein Mißverständnis stehen zu lassen. Der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen hat nach meiner Kenntnis seine besondere Bereitschaft erst erklärt, als die Frage in der Sitzung der Innenminister behandelt wurde. Die Koordinierung nach innen obliegt in erster Linie der Zusammenarbeit der hierfür zuständigen Minister. Das sind vorrangig die Innenminister der Länder, die die Aufnahmebereitschaft zu erklären haben. Der Innenminister des Bundes bemüht sich um die Koordinierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Möller.
Herr Staatsminister, muß die Weltöffentlichkeit mit weiteren größeren Zahlen von Flüchtlingen aus Vietnam, Kambodscha und Laos rechnen, und was gedenkt die Bundesregierung dann zu tun?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung wird ihre Bemühungen um Hilfe fortsetzen. Ich kann hier keine Prognosen über Flüchtlingsströme abgeben. Die Bundesregierung bemüht sich, durch Entwicklungshilfe und Friedenspolitik solche Entwicklungen zu verhindern. Aber wenn sie eintreten, werden wir wie in der Vergangenheit mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Hilfe bereitstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Dr: Langner auf:
Warum hat die Bundesregierung bisher noch nicht wie Kanada und Frankreich ihre Bereitschaft zur Aufnahme eines Teils der vietnamesischen Flüchtlinge des vor Malaysia kreuzenden Flüchtlingsschiffs erklärt?
Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich verweise zunächst auf die Antwort, die ich eben der Kollegin Renger gegeben habe, und auf die Auskünfte, die ich im Zusammenhang mit den Zusatzfragen erteilt habe. Ich unterstreiche noch einmal, daß es nicht richtig ist, wie Sie in Ihrer Frage unterstellen, daß die Bundesregierung bisher nicht ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt hat. Sie hat dies getan, und zwar im Rahmen der Innenministerkonferenz in einer Weise, daß entsprechende Reaktionen der Länder möglich waren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Langner.
Herr Staatsminister, da Sie auf die Beantwortung der vorangegangenen Frage verwiesen haben, darf ich zur Einleitung meiner Zusatzfrage bemerken, daß sich dies auf das Bund-Länder-Verhältnis und darauf, was in diesem Verhältnis getan wurde, bezieht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es tut mir leid, Sie müssen eine Frage stellen.Dr: Langner : Ich frage Sie nun: Kommt es hier nicht in erster Linie auf das Signal nach außen an, damit die Länder wie Malaysia und Thailand, die jetzt angesichts des Flüchtlingsstroms in einer großen Bedrängnis sind, durch ein nationales Signal wissen, daß sie wenigstens vorübergehende Hilfe und Aufnahme gewähren können?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat ganz klare Signale gegeben, einmal durch die Unterstützung des Hohen Kommissars für Flüchtlingsfragen bei den Vereinten Nationen. Ich unterstreiche noch einmal: Es ist die Auffassung der Bundesregierung, daß Fragen der Art, wie sie sich hier hinsichtlich der vietnamesischen Flüchtlinge stellen, in erster Linie durch internationale Kooperation gelöst werden müssen. Deswegen unsere Hilfe an dieser Stelle.Zweitens hat sich die Bundesregierung bemüht, in Abstimmung mit den ASEAN-Staaten, die hier im wesentlichen betroffen sind, für eine Politik zugunsten der Flüchtlinge zu sorgen.Drittens haben wir, wie ich eben sagte, direkte nationale Maßnahmen gefördert und in Gang gesetzt.Es ist also schon so, daß die Signale von seiten der Bundesrepublik Deutschland, von seiten der Bundesregierung eindeutig gewesen sind.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9321
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Langner.
Müssen Sie mir nach all dem Gesagten nicht bestätigen, daß Sie wenigstens insoweit kein eindeutiges Signal gegeben haben, als Sie nicht wie Kanada und Frankreich etwa durch den Regierungssprecher öffentlich erklärt haben, die Bundesrepublik Deutschland sei in dieser Situation bereit, soundso viel Flüchtlinge aufzunehmen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann das so nicht bestätigen. Ich würde aber bedauern, wenn in der Öffentlichkeit nicht der wirkliche Eindruck entstanden ist, daß wir versuchen, durch konkrete Hilfe, vorrangig im internationalen Bereich, zur Verfügung zu stehen. Das ist unsere Politik, und dies haben wir klar unterstrichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, angesichts der Tatsache, daß Sie erklärt haben, auch aus anderen Ländern lägen feste Zusagen vor, darf ich Sie fragen, ob Sie die Zahlen über diese Zusagen der einzelnen Bundesländer, die Ihnen jetzt vorliegen und die naturgemäß vorläufig sind, hier bekanntgeben können.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich tue das deswegen ungern, weil diese Zahlen in Fluß sind. Ich könnte Ihnen die Zahlen vorlesen, die mir gestern abend zur Verfügung standen. Darf ich bitten, daß ich Ihnen das schriftlich mitteilen kann, damit ich den letzten Stand noch einmal überprüfen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Staatsminister, gebieten es Erfahrungen aus früheren Flüchtlings- und Verfolgtenströmen nicht, daß die Bundesregierung die Bemühungen verstärkt, mit den für die Aufnahme allein zuständigen Bundesländern zu einem Überein- kommen zu gelangen, das die Möglichkeit — weil Sie vorhin von „konkret" gesprochen haben — konkreter Aufnahmebereitschaft auch in Zahlen auszudrücken vermag, während das jetzt offenbar nicht geht, weil diese Verständigung zwischen den Ländern, die allein zuständig sind, und der Bundesregierung noch nicht zustandegekommen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Abgeordneter Wehner, ich bin sicher, daß die Bemühungen der Bundesregierung hier unter dem Eindruck der Ereignisse noch einmal verstärkt werden können. Ich will aber doch unterstreichen, daß sich die Bundesregierung erhebliche Mühe gegeben hat, mit den Ländern, die hier in erster Linie verantwortlich sind, zu einer Abstimmung von Zahlen für die verschiedenen Flüchtlingsgruppen und für Flüchtlinge aus verschiedenen internationalen Ereignissen zu kommen. Ich sehe aber durchaus, daß man diese Bemühungen mit den Ländern vermutlich noch weiter verstärken kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatsminister, darf ich Sie noch einmal an Ihre Antwort auf meine Zusatzfrage bei der vorangehenden Frage erinnern und fragen, warum mir die Bundesregierung
vor mehr als einem Jahr auf eine entsprechend Frage mitgeteilt hat, daß es ihr nicht angebracht er- scheine, wegen weiterer Flüchtlingsquoten an die Bundesländer heranzutreten, obwohl schon damals das Problem der Flüchtlinge aus Vietnam durch eine Frage von mir aufgegriffen worden ist und dieses Problem allgemein drängte?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Weil, Herr Kollege, die Bundesregierung in Abstimmung mit dem Hohen Kommissar für Flüchtlingsfragen bei den Vereinten Nationen in erster Linie bemüht war, den Flüchtlingen auf internationalem Wege zu helfen. Daß sich diese Wege als weniger erfolgreich erwiesen haben, als die Bundesregierung vor einem Jahr gehofft hat, hat die Bundesregierung dann veranlaßt, andere Maßnahmen, sei es im Bereich der EG, sei es im unmittelbaren bilateralen Verhältnis, zu ergreifen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schlei.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß die generelle Anstrengungsbereitschaft der Bundesregierung noch dadurch erhöht wird, daß der Haushaltsansatz wiederum verstärkt wird, und zwar bereits für das Jahr 1979 und besonders für Flüchtlinge aus Indochina?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Sicherlich, Frau Kollegin Schlei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Herr Staatsminister, würden Sie mir in Ergänzung der Antwort, die Sie Herrn Spies von Büllesheim gegeben haben, die Zahlen der von den Bundesländern in den letzten fünf Jahren aufgenommenen politischen Flüchtlinge zur Verfügung stellen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Gern, Herr Kollege Becker.
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9322 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Frau Ab-
geordnete Simonis.
Herr Staatsminister, gebieten es nicht die Erfahrungen mit anderen Flüchtlingsströmen, daß über die Nennung von konkreten Aufnahmequoten hinaus von den Ländern auch andere konkrete Maßnahmen genannt werden oder mit ihnen ausgehandelt werden, mit denen diesen Menschen geholfen werden kann, hier leben zu können und nicht irgendwo vegetieren zu müssen, d. h. zu arbeiten, zu Schulen zu gehen und ähnliches?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, diese Probleme sind immer mit der Aufnahme von Flüchtlingen verbunden. Dies ist vermutlich auch einer der Gründe, warum von seiten der Länder immer wieder Faktoren für die Begrenzung der Gesamtzahl angeführt werden. Selbstverständlich müssen politische Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Asyl oder Unterkunft suchen, hier auch eine Chance für ein menschenwürdiges Dasein und für eine Teilnahme am Leben in der Bundesrepublik haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. — Der Herr Abgeordnete Immer hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 125 und 126 gebeten. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage .127 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja ist gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde unzulässig, weil dieses Thema heute im Plenum in einer Debatte behandelt worden ist.
Ich rufe dann die Frage 128 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Worauf gründet sich die Zufriedenheit der deutschen Seite über die Aussiedlungsentwicklung angesichts der Tatsache, daß bisher die polnische Seite nicht im vollen Umfang ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Ausreiseprotokoll von 1975 nachgekommen ist und Zehntausende von Ausreisewilligen seit vielen Jahren große Schwierigkeiten bei der Erledigung der Ausreise haben, was auch durch die Übergabe von mehreren umfangreichen Listen deutscherseits durch den Bundeskanzler im November 1977 und den Bundesaußenminister bei seinem kürzlichen Warschau-Besuch bewiesen wird?
Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, in den ersten 30 Monaten seit Inkrafttreten der deutsch-polnischen Vereinbarungen vom 9. Oktober 1975, d. h. von Mai 1976 bis Oktober 1978, sind 72 689 Aussiedler aus Polen mit endgültiger polnischer Ausreisegenehmigung in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Das Ausreiseprotokoll sieht bekanntlich keine festen Monatsquoten vor, sondern nur, daß die Ausreisegenehmigungen innerhalb der Frist von vier Jahren möglichst gleichmäßig erteilt werden. Die gegenwärtige durchschnittliche Anzahl der Ausreisen pro Monat hält sich im Rahmen dieser Verpflichtung. Danach sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, anzunehmen, daß die von polnischer Seite eingegangene Verpflichtung, 120 000 bis 125 000 Menschen ausreisen zu lassen, nicht erfüllt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wie lauteten die Zusagen zu den Listen, die der Herr Bundesaußenminister bei dem jüngsten Besuch in Warschau überreicht hat, bezüglich der raschen Ausreise von Ehegatten jener Personen, die im Vertrauen auf die Ausreisefreiheit gemäß dem Menschenrechtspaket und aus Angst vor dem Auslaufen der Ausreiseregelung 1979 ohne Auswanderungspapiere das Land verlassen haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Fälle dieser Art sind sowohl bei der Reise des Bundesaußenministers als auch bei der Reise des Bundeskanzlers angesprochen worden. Es gibt hier Fortschritte. Aber man kann diese Fortschritte natürlich erst beurteilen, wenn man sich ein Gesamtbild machen kann. Dazu liegen die Abschlüsse noch nicht vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.
Sind die in einer Liste aufgeführten 7 000 bis 8 000 Deutschen, die der Bundeskanzler als Härtefälle bezeichnete und deren Aussiedlung er im November 1977 von der polnischen Regierung forderte, inzwischen — nachdem bis September dieses Jahres nur 25 %von ihnen eingetroffen waren — eingetroffen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, die Quote derjenigen, deren Namen in dieser Liste enthalten waren und die inzwischen eingetroffen sind, liegt heute bei etwa 60 %. Wir hoffen, daß allen auf der Liste Genannten die Ausreise gestattet werden wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatsminister, gründet sich die Zufriedenheit der deutschen Seite über die Aussiedlungsentwicklung vielleicht auch darauf, daß die polnische Seite Herrn Bundesaußenminister Genscher in Warschau die Zusicherung gegeben haben könnte, die Offenthalteklausel voll anzuwenden, d. h. nach der vereinbarten Aussiedlung der 125 000 Aussiedler die weiteren 280 000 vorliegenden Anträge positiv zu bearbeiten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir können den Gesamtverlauf erst beurteilen, wenn die in der Vereinbarung vorgesehenen Phase abgeschlossen ist. Ich würde raten, diesen Zeitpunkt erst einmal abzuwarten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Herrn Bundesministers des Auswärtigen. Ich danke dem Herrn Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9323
Präsident CarstensIch rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung.Ich rufe zunächst die Frage 38 der Abgeordneten Frau Simonis auf: Sind der Bundesregierung Berichte bekannt, nach denen Familienrichter auf Grund des neuen Familien- und Eherechts geschiedenen Vätern unverhältnismäßig hohe Unterhaltszahlungen auferlegen, als deren Folge diese Väter ein Resteinkommen unter dem Sozialhilfesatz erhalten und lieber arbeitslos werden, als den hohen Unterhalt zu zahlen, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, durch Informationen oder andere geeignete Maßnahmen darauf hinzuwirken, daß ein angemessenes Verhältnis zwischen Unterhalt und Einkommen eingehalten wird?
Das neue Ehe- und Familienrecht hat, abgesehen von einer Klarstellung, die materiellen Vorschriften über die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern nicht geändert. Es ist also unzutreffend, das neue Scheidungsrecht für die Höhe der Belastung geschiedener Ehegatten mit Unterhaltspflichten gegenüber ihren Kindern verantwortlich zu machen.
Nach dem Unterhaltsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches haben Eltern, die gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern unterhaltspflichtig sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Einfacher ausgedrückt: Sie müssen mit den Kindern das letzte Stück Brot teilen. Dieser Grundsatz gilt — ich betone es nochmals — nicht erst seit dem Inkrafttreten des neuen Ehe- und Familienrechts.
Die Gerichte billigen aber dem unterhaltspflichtigen Elternteil bei der Festsetzung des Unterhalts gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern im allgemeinen einen sogenannten Selbstbehalt zu. Zur Begründung wird darauf verwiesen, daß es keinen Sinn habe, einem Unterhaltspflichtigen so viel wegzunehmen, daß er auf Gewährung von Sozialhilfe angewiesen sei. Auch müsse ihm ein gewisser Anreiz verbleiben, weiterhin erwerbstätig zu sein. Dieser Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Elternteils wird von den Gerichten mit mindestens 600 DM angenommen.
Der Unterhalt der Kinder muß im Fall der Trennung oder Scheidung der Eltern sichergestellt werden. Es ist daher nicht zu vermeiden, daß geschiedene oder getrennt lebende Elternteile, die Unterhaltspflichten zu erfüllen haben, unter Umständen erheblich belastet werden. Das trifft regelmäßig beide Elternteile, nicht nur die Väter. Wer glaubt, sich diesen Pflichten entziehen zu können, indem er seine Arbeit aufgibt und von Sozialhilfe lebt, wird sich damit ins eigene Fleisch schneiden. Gibt ein Unterhaltspflichtiger eine zumutbare Arbeit mutwillig auf, um sich leistungsunfähig zu machen, wird er nach der Rechtsprechung so behandelt, als würde er entsprechende Einkünfte erzielen. Der Unterhalt wird entsprechend festgesetzt, gegebenenfalls nicht herabgesetzt. Außerdem kann er sich nach § 170 b des Strafgesetzbuches strafbar machen.
Das neue Ehe- und Familienrecht hat jedoch im Verfahrensrecht eine wichtige Verbesserung für Unterhaltssachen gebracht. Über Unterhaltsprozesse
ehelicher Kinder haben nicht mehr wie vorher die Landgerichte in letzter Instanz zu .entscheiden, sondern die Oberlandesgerichte, gegen deren Entscheidung Revision an den Bundesgerichtshof möglich ist. Dadurch wird eine einheitlichere Rechtsprechung als bisher ermöglicht.
Mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Gerichte verbietet es sich grundsätzlich auch, auf die Rechtsprechung durch Information oder in entsprechender Weise Einfluß nehmen zu wollen. Wird die Auslegung des geltenden Rechts durch die Gerichte nicht als angemessen angesehen, bedarf es einer Gesetzesänderung.
Das Bundesministerium der Jusitiz ist mit einer umfassenden Überprüfung des geltenden Unterhaltsrechts befaßt. Darin ist die Frage einbezogen, ob ein Selbstbehalt gesetzlich festgelegt werden soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß der von Ihnen zitierte Satz, das Stück Brot bis zum letzten Bissen zu teilen, in manchen Illustrierten zu wahren Horrorgeschichten aufgebauscht wird?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Diese Auffassung teile ich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Staatssekretär, wenn Sie diese Auffassung teilen, sehen Sie dann eine Möglichkeit, wenigstens dort manchmal mit entsprechenden Informationen entgegenzuwirken?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Das Bundesministerium der Justiz ist bemüht, solchen Stories auch in Form von Leserbriefen entgegenzuwirken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Dr. Voss auf:Sind Pressemeldungen zutreffend, daß insgesamt 650 000 deutsche Patentschriften aus den Jahren 1957 bis 1968 an die kubanische Botschaft in Ost-Berlin zur kostenlosen Überlassung an die kommunistische Regierung Kubas geliefert worden sind, und wie beurteilt die Bundesregierung gegebenenfalls diesen Vorgang?Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Der dieser Frage zugrunde liegende Vorgang war bereits Gegenstand von parlamentarischen Anfragen des Herrn Abgeordneten Böhm und der Frau Abgeordneten Geier. Ich habe sie mit Schreiben vom 21. September und 5. Oktober 1978 beantwortet. Hierbei habe ich u. a. ausgeführt: Bei den erwähnten Patentschriften handelt essich ... um den Schriftenbestand, der nach derim Oktober 1968 erfolgten Auflösung der Patent-
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9324 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Parl. Staatssekretär Dr. de Withschriften-Auslegestelle Kasse) dem Deutschen Patentamt wieder zur Verfügung gestellt worden war. Dieser Bestand enthielt etwa 650 000 Patentschriften aus der Zeit von 1957 bis 1968. Im Jahr 1975 verwandte sich die Weltorganisation für geistiges Eigentum in Genf gegenüber dem Deutschen Patentamt dafür, die Kasseler Schriftensammlung für den Aufbau einer Patentschriftensammlung in Kuba zur Verfügung zu stellen. Die Patentschriften wurden darauf am 19./20. August 1975 im Einverständnis mit dem Deutschen Patentamt von der kubanischen Botschaft in Ost-Berlin aus Kassel abgeholt und nach Kuba gebracht. Daß die kubanische Botschaft in Ost-Berlin in dieser Angelegenheit tätig wurde, beruhte offenbar darauf, daß sich die erst im Januar 1975 wiedereröffnete kubanische Botschaft in Bonn damals noch im Aufbau befand.Dieser Vorgang hält sich im Rahmen der von deutscher Seite über die Weltorganisation für geistiges Eigentum fortlaufend geleisteten technischen Hilfe für Entwicklungsländer und des ständigen internationalen Literaturaustausches zwischen den Zentralbehörden für gewerblichen Rechtsschutz der Mitgliedstaaten der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, zu denen auch Kuba gehört. Zuvor waren z. B. die Schriftensammlung einer anderen aufgelösten Auslegestelle als technische Hilfe an Brasilien und ein anderer Reservesatz im Rahmen des Literaturaustausches an Jugoslawien gegangen.Da schon seit langem die patentrechtliche Literatur mit sozialistischen Ländern ausgetauscht wird, bestanden im vorliegenden Fall nach der im Januar 1975 erfolgten Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Kuba keine Gründe für eine Versagung der erbetenen technischen Hilfe, zumal die Kasseler Schriftensammlung seit 1968 nicht mehr fortgeführt worden und damit für deutsche Stellen praktisch unbrauchbar geworden war.Ich habe weiter darauf hingewiesen, daß die Überlassung der Patentschriften ohne Kenntnis der Bundesregierung auf der Ebene der Patentämter in deren eigener Zuständigkeit erfolgt ist.Ich darf im übrigen auf die früher erteilten Antworten Bezug nehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, vermögen Sie ähnliche Fälle zu nennen, die nichtkommunistische Staaten betreffen?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Dies kann ich aus dem Stande nicht. Ich bin aber dessen sicher, daß es solche Fälle gibt, und ich bin gern bereit, sie Ihnen schriftlich aufzulisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Voss.
Herr Staatssekretär, gehen Sie davon aus, daß bei dem von Ihnen eben beschriebenen Verfahren auch die DDR von diesen Patentschriften Kenntnis genommen hat?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich kann dazu nichts sagen, weil ich es nicht weiß. Im übrigen darf ich erwähnen, daß es im Grunde genommen im Interesse unseres Landes sein muß, wenn ein Patentschriftenaustausch stattfindet. Wesen des Patentes ist es, zum einen das geistige Eigentum des Erfinders sicherzustellen, zum anderen aber für eine möglichst große Verbreitung zu sorgen und dafür Sorge zu tragen, daß der Begünstigte seinen Vorteil erreicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Dann rufe ich die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Treffen Berichte eines Nachrichtendienstes zu, wonach einem östlichen Nachbarstaat Patentschriften in großer Anzahl in den letzten Jahren nahezu entschädigungslos übergeben wurden?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr. de WIth, Parl. Staatssekretär: Auf der Grundlage der Pariser Verbandsübereinkunft von 1883 zum Schutz des gewerblichen Eigentums findet ein internationaler Literaturaustausch zwischen den Zentralbehörden für den gewerblichen Rechtsschutz statt. Dieser Austausch, der auf der Basis der Gegenseitigkeit erfolgt, erstreckt sich nicht nur auf die laufenden Veröffentlichungen der Patentämter; soweit ältere überzählige Schriften vorhanden sind, werden sie bei Bedarf zur Ergänzung bestehender Patentschriftensammlungen zur Verfügung gestellt. Auch die östlichen Nachbarländer als Verbandsländer der Pariser Union nehmen an diesem Schriftenaustausch teil. Ausgetauscht werden aber nur bereits veröffentlichte Schriften, die ohnehin jedermann frei zugänglich sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, ist ein Schätzwert dieser überlassenen Patentschriften ermittelt worden, oder ist hinsichtlich der Bewertung der überlassenen Dokumente überhaupt nichts geschehen?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, bin dessen aber nicht sicher. Ich kann mich dazu Ihnen gegenüber schriftlich äußern, darf aber sagen, daß z. B. gegenüber den östlichen Ländern — ich verweise auf Ungarn, Jugoslawien und die UdSSR — der Schriftenaustausch keineswegs einseitig ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9325
Herr Staatssekretär, ist sichergestellt, daß sich sämtliche Staaten, die in einen solchen Austausch einbezogen werden, vorher auch verpflichtet haben, die durch Patent geschützten Rechte der Erfinder zu achten?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Davon gehe ich aus.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz abgeschlossen. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Nunmehr rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Böhme zur Verfügung.
Ich rufe Frage 41 des Herrn Abgeordneten Schmöle auf:
Trifft es zu, daß der Bundesfinanzminister geäußert hat, ihm sei erst während der Verhandlungen über die Lohnsummensteuer zwischen den Oberbürgermeistern, Landtags- und Bundestagsabgeordneten mit der Regierung in Bonn klargeworden, wie hart die Ruhrgebietsstädte von den Bonner Steuerplänen betroffen seien, und daß dies erreicht sei durch Äußerungen des Gelsenkirchener Oberbürgermeisters Werner Kuhlmann?
Ich bitte, die Fragen 41 und 42 zusammen beantworten zu dürfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist der Fragesteller damit einverstanden? — Dann rufe ich zusätzlich die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Schmöle auf:
Wenn ja, worauf führt der Bundesfinanzminister die Tatsache zurück, daß er über die Bedeutung dieser Problematik nicht durch entsprechende Information seines Ministeriums rechtzeitig aufgeklärt wurde?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Es trifft nicht zu, daß der Bundesminister der Finanzen die ihm in der Fragestellung unterstellte Äußerung getan hat. Tatsache ist vielmehr, daß der Bundesfinanzminister umfassend über die Probleme informiert war, die aus der Abschaffung der Lohnsummensteuer für die Gemeinden, insbesondere auch für die Ruhrgebietsstädte, entstehen.
Das Bundeskabinett hat im Juli dieses Jahres bei seiner dreitägigen Beratung über das Maßnahmenpaket zur Ausführung der Vereinbarungen auf dem Weltwirtschaftsgipfel nahezu die Hälfte der Zeit auf die Abschaffung der Lohnsummensteuer und die dadurch für die Gemeinden entstehenden Probleme sowie die Möglichkeiten eines Ausgleichs verwendet. • Einen besonderen Schwerpunkt bildeten dabei die Auswirkungen auf die Städte des Ruhrgebiets.
Während der Kabinettsklausur wurden auch mit den Finanzministern und -senatoren der besonders betroffenen Länder die Probleme, die sich durch die Abschaffung der Lohnsummensteuer für ihre Länder und Gemeinden ergeben, eingehend erörtert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmöle.
Herr Staatssekretär, kann ich dann, wenn Kollegen aus Landtagen solche Äußerungen, die mich zu dieser Frage veranlaßt haben, getan haben sollten, davon ausgehen, daß sie entweder falsch informiert waren oder einen Sachverhalt falsch wiedergegeben haben?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich kann zu diesen dritten Personen hier keine Auskünfte geben, Herr Kollege. Ich bitte dafür um Verständnis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Menzel.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Gelsenkirchen durch den Wegfall der Lohnsummensteuer besonders berührt ist und daß sich der Oberbürgermeister dieser Stadt für eine auch diese Stadt befriedigende Lösung besonders engagiert hat?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies kann ich bestätigen, Herr Abgeordneter. Gelsenkirchen ist wie andere Städte im Ruhrgebiet, wie in der Antwort bereits zum Ausdruck gebracht worden ist, besonders betroffen, und der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen hat sich wie andere Oberbürgermeister von Ruhrgebietsstädten sehr nachhaltig darum bemüht, die Interessenlage dieser Gemeinden darzutun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wolfram.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß es vor allem die sozialdemokratischen Oberbürgermeister waren, die sich in einem sachlichen Gespräch mit der Bundesregierung und der Landesregierung um konkrete praktikable Lösungen und um vollen Ausgleich des Steuerausfalls bemüht haben?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Soweit es sich um das Ruhrgebiet gehandelt hat, waren es auf Grund der dortigen Mehrheitsverhältnisse natürlich sozialdemokratische Oberbürgermeister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broil.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß CDU-Oberbürgermeister weniger Grund hatten, sich in diesem Sinne einzusetzen, weil deren Städte vernünftigerweise diese arbeitsplatzschädliche Steuer gar nicht erst eingeführt hatten?Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Frage der Lohnsummensteuer ist gerade für das Ruhrgebiet etwas genereller zu stellen. Es gab dort besondere Strukturprobleme, die viele Städte dazu veranlaßt
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9326 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Parl. Staatssekretär Dr. Böhmehaben, die Lohnsummensteuer einzuführen. Die Abschaffung der Lohnsummensteuer hat deswegen in diesen Gebieten jetzt auch zu besonderen Problemen geführt. Die Ausgleichsregelung, die die Bundesregierung zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden gefunden hat, ist jedoch eine Regelung, die zu einem befriedigenden Ausgleich führt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, daß die Schwierigkeiten, um deren Lösung sich die Oberbürgermeister bemüht haben, vor allen Dingen in der Tatsache begründet waren, daß Ihr Haus keinen vollen Ausgleich gewähren wollte?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies kann ich nicht bestätigen. Es sind mehrere Modelle diskutiert worden; dabei war nur in der Anfangsphase ein Modell in der Diskussion, das dann nicht den Beifall aller Beteiligten fand. Es war ein Anliegen der Bundesregierung, zu einer Lösung zu kommen, die die besonderen Bedürfnisse der betroffenen Städte berücksichtigt. Dies ist im Zusammenwirken und mit Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände gelungen.
Ich darf noch darauf hinweisen, Herr Kollege, daß die Bundesregierung dieses Ausgleichsmodell zum Gegenstand ihres Vermittlungsverfahrens gemacht hat. Es lag nämlich auch im Interesse der Bundesregierung selbst, hier eine befriedigende Ausgleichsregelung und eine kommunalfreundliche Regelung anzubieten und Gesetz werden zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kleinert.
Herr Staatssekretär, treffen die von Ihnen genannten besonderen strukturellen Bedingungen und damit auch die daraus folgenden besonderen Bedürfnisse auch auf die Stadt Salzgitter zu?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies betrifft nicht nur Städte in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in anderen Ländern, z. B. in Niedersachsen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Holtz.
Herr Staatssekretär, falls bei der von Ihnen so geschilderten „befriedigenden Ausgleichsregelung" doch noch ein Restbetrag für einige Gemeinden übrigbleiben sollte, der nicht gedeckt ist, haben die Finanzminister der Länder zugesagt, dafür einen Ausgleich über den Finanzausgleich innerhalb des bestimmten Bundeslandes vorzunehmen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Dies ist Teil des Modells, das von der Bundesregierung vorgestellt und dann auch von den kommunalen Spitzenverbänden akzeptiert wurde. Das bundesweite Modell kann natürlich nicht den Spitzenausgleich für die besonders betroffenen Gemeinden bieten. Vielmehr müssen die betreffenden Landesregierungen diesen Spitzenausgleich im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs gewährleisten. Dies ist eine originäre Aufgabe des jeweiligen Bundeslandes, weil es für den kommunalen Finanzausgleich zuständig ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Sauer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da der Herr Kollege Kleinert gerade die Stadt Salzgitter erwähnt hat, möchte ich die Frage stellen, ob Ihnen die Stellungnahme der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion in Salzgitter zu der bisherigen Regelung bekannt ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Diese Stellungnahme ist mir bekannt. Ich habe ja auch vorhin darauf hingewiesen, daß hier nicht nur in Nordrhein-Westfalen — ,dies war Gegenstand der ersten Frage —, sondern auch in anderen Bundesländern besondere Probleme entstanden sind. Dazu gehört auch die Stadt Salzgitter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Zusatzfragen liegen nicht mehr vor. Die Fragen haben sich unmerklich, aber stetig von der ursprünglichen Frage entfernt, aber ich habe sie zugelassen.
Ich rufe nun die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Peiter auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung der Zollbeamten, die den Treibstoffkontrolltrupps angehören, sie zu ihrer Sicherheit mit einer Waffe auszurüsten?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. — Herr Staatssekretär, bitte.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Beamten der Treibstoffkontrolltrupps haben rein steuerliche Aufgaben, die eine Bewaffnung nicht erfordern. Ein beträchtlicher Teil der Beamten lehnt deshalb eine Bewaffnung als entbehrlich ab. Die Beamten, die eine Pistole zu führen wünschen, haben dafür keine überzeugenden sachlichen Gründe, denn diese Beamten sind im Vergleich zu anderen Personengruppen nicht besonders gefährdet. Hiernach ist die Bewaffnung der Beamten der Treibstoffkontrolltrupps nicht zu vertreten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Keine Zusatzfragen, Herr Abgeordneter?
Ich danke sehr, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich Frage 44 des Herrn Abgeordneten Gobrecht auf:Sind der Bundesregierung Äußerungen des Bundesrechnungshofs oder von Landesrechnungshöfen zur sehr unterschiedlichen Praxis der einkommensteuerlichen Schätzungen landwirtschaftlicher Ein-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9327
Präsident Carstenskünfte in den Bundesländern bekannt, und wie beurteilt die Bundesregierung die Gewinnschätzungspraxis unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit, verglichen mit der EinkommensbeSteuerung von Arbeitnehmern, Freiberuflern und Gewerbetreibenden?Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich bitte auch hier, beide Fragen zusammen beantworten zu dürfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich auch die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Gobrecht auf:
Welche Informationen liegen der Bundesregierung über eventuelle steuerstrafrechtliche Folgerungen für Landwirte vor, die ihre landwirtschaftlichen Einkünfte fortlaufend schätzen lassen, obwohl sie nach den gesetzlichen Bestimmungen buchführungspflichtig sind, und wie lauten gegebenenfalls entsprechende Zahlen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Der Bundesrechnungshof hat den Bundesminister der Finanzen mit Schreiben vom 1. November 1978 davon unterrichtet, daß er bei Überprüfung von Finanzämtern im Bereich verschiedener Oberfinanzdirektionen unterschiedliche Schätzungspraktiken zur Ermittlung der landwirtschaftlichen Einkünfte festgestellt hat. Da die Durchführung der Besteuerung nach der Finanzverfassung Aufgabe der Landesfinanzverwaltungen ist, hat sich das Bundesfinanzministerium mit den obersten Finanzbehörden der Länder in Verbindung gesetzt. Es soll in Übereinstimmung mit der Anregung des Bundesrechnungshofes darauf hingewirkt werden, daß Verfahren, die mit einer gleichmäßigen Besteuerung nicht zu vereinbaren sind, abgestellt werden.
Auch die Durchführung von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen obliegt den Landesfinanzverwaltungen. Der Bundesminister der Finanzen ist daher mit den von Ihnen angesprochenen Fällen nicht befaßt worden. Ihm liegen auch keine Informationen vor, ob — und gegebenenfalls welche — steuerstrafrechtlichen Folgerungen für sogenannte Schätzungslandwirte im Einzelfall gezogen worden sind.
Allgemein bemerke ich dazu: Eine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung setzt voraus, daß Steuern vorsätzlich verkürzt worden sind. Eine Ahndung wegen leichtfertiger Steuerverkürzung ist möglich, wenn der Steuerpflichtige grob fahrlässig gehandelt hat. Ob diese Voraussetzungen in den von Ihnen angesprochenen Fällen gegeben sind und ob im Einzelfall Gründe vorliegen, die eine Bestrafung ausschließen, kann nur nach den jeweiligen Umständen im konkreten Einzelfall beurteilt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gobrecht.
Herr Staatssekretär, sehen Sie in der stark unterschiedlichen Schätzungspraxis und der teilweise wohl recht laschen Einwirkung der Steuerverwaltungen der Länder auf permanente Schätzsünder nicht auch einen Anlaß für die öffentliche Verdrossenheit über die Ungerechtigkeit der Besteuerung der Landwirtschaft im Verhältnis zu allen anderen Bürgern?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die unterschiedlichen Schätzungsmethoden berühren sicher das
Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und können deshalb die Schlußfolgerung rechtfertigen, die Sie soeben in Ihrer Frage gezogen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gobrecht.
Herr Staatssekretär, hat der Vorlagebeschluß des niedersächsischen Finanzgerichts, in dem die gegenwärtige Besteuerung der Landwirte, soweit sie auf § 13 a des Einkommensteuergesetzes gestützt ist, für verfassungswidrig gehalten wird, den Eifer der Bundesregierung beflügelt, einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Besteuerung der Landwirtschaft vorzulegen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Nein, dieses Verfahren hat den Eifer der Bundesregierung nicht beflügelt. Die Bundesregierung war von Anfang an — entsprechend der Regierungserklärung — bemüht, diese Frage einer sachgerechten Regelung zuzuführen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gobrecht.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Bundestag, nachdem das berühmte ProfessorenGutachten schon im Februar dieses Jahres vorgelegt worden ist, ein Datum für die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Neuregelung der Einkommenbesteuerung der Landwirtschaft nennen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Abstimmung über die Vorlage erfolgt zur Zeit zwischen den Ressorts. Sie dürfte in Kürze abgeschlossen sein, so daß ich annehme, daß die Vorlage dem Parlament noch in dieser Legislaturperiode zugeleitet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere und letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gobrecht.
Darf ich Sie fragen, ob die Vorlage eines solchen Gesetzentwurfs der Bundesregierung so zügig erfolgen wird, daß seine Verabschiedung mit Sicherheit noch in dieser Legislaturperiode möglich sein wird?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Verabschiedung dieses Gesetzes obliegt dem" Parlament. Hierzu kann ich mich nicht äußern. Ich nehme aber an und bin sicher, daß die Vorlage noch rechtzeitig in dieser Legislaturperiode erfolgen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke schön. Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt. Ich schließe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen ab und danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Böhme.Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
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9328 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Präsident CarstensIch rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Holtz auf:Erwägt die Bundesregierung, die Verletzung der rechtlich unverbindlichen OECD-Richtlinien über multinationale Konzerne strafrechtlich verfolgen zu lassen?Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wie die Bundesregierung auf eine frühere Anfrage von Ihnen, Herr Kollege Dr. Holtz, mitgeteilt hat, hat der Bundesminister für Wirtschaft in Schreiben an die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft die Beobachtung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen empfohlen. Die Reaktionen von Spitzenverbänden und einzelnen Unternehmen lassen keinen Zweifel an der Absicht zu, die Richtlinien zu befolgen. Eine Strafandrohung und damit eine rechtliche Verbindlichkeit der Leitsätze würde hinreichend konkrete Gesetzesbefehle voraussetzen. Dieses Ziel erschien bei Ausarbeitung der OECD-Leitsätze wegen der Notwendigkeit einer Harmonisierung nationaler Gesetze und angesichts der unterschiedlichen Auffassungen in vielen Bereichen unrealistisch. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Verhaltensregeln für multinationale Unternehmen auf multilateraler Ebene festgelegt werden sollten. Im Falle nationaler Regelungen würden die Unternehmen in den einzelnen Ländern unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt sein. Das Ergebnis wären Reechtszersplitterung und erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen den einzelnen multinationalen Unternehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Holtz.
Herr Staatssekretär, wäre es dennoch nicht sinnvoll, dem Ansinnen des Europäischen Parlaments zu folgen und wenigstens zu prüfen, ob es zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den USA zu verbindlicheren Regeln kommen kann, damit wenigstens den unverbindlichen Leitlinien Achtung verschafft werden kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist schon in den OECD-Leitlinien vorgesehen, eine Prüfung der Vereinbarungen vorzunehmen, und ich bin der Auffassung, daß im Zusammenhang damit auch die hier angeschnittene Frage einer möglichen Vereinbarung zwischen den USA und der EG geprüft werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Holtz.
Da die Überprüfungen in einem Drei-Jahres-Rhythmus stattfinden sollen, soweit ich informiert bin, möchte ich Sie fragen, ob Sie schon Ergebnisse nach der ersten Überprüfung vorliegen haben, und welche Schlußfolgerungen Sie gegebenenfalls daraus ziehen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, solche Ergebnisse liegen noch nicht vor, da die vorgeschriebene
Überprüfung im Rahmen der OECD eben erst aufgenommen worden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Holtz auf:
Erwägt die Bundesregierung, die Unternehmen mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland — ähnlich der in den USA geltenden Regelung - unter Strafandrohung zu verpflichten, zumindest jede Art von Bestechung weltweit zu unterlassen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ende 1977 ist in den USA der Foreign Corrupt Practices Act in Kraft getreten. Dieses Gesetz verbietet u. a. amerikanischen Unternehmen die Bestechung ausländischer Amtsträger zur Erlangung von Auslandsaufträgen. Der Erlaß dieses Gesetzes bildet in den USA den Schlußpunkt eines vierjährigen. Prozesses, in dem bei etwa 400 Unternehmen fragwürdige Zahlungen dieser Art aufgedeckt wurden.
Die Bundesregierung sieht unter den gegenwärtigen Umständen keine Veranlassung, ein ähnliches Gesetzesvorhaben einzubringen. Nach ihrer Auffassung kann die internationale Korruption nur auf multilateraler Ebene mit Aussicht auf dauerhaften Erfolg bekämpft werden. Die Bundesregierung arbeitet deshalb in der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen eingesetzten Arbeitsgruppe „Korrupte Praktiken" mit. Diese Gruppe ist beauftragt, einen Entwurf für ein multilaterales Abkommen zur Bekämpfung der internationalen Korruption anzufertigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Holtz.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für unerträglich, daß nach dem deutschen Steuerrecht Bestechungszahlungen als sogenannte „nützliche Aufwendungen" von der Steuer abgezogen werden können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage bitte ich an den zuständigen Finanzminister zu richten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Müller auf:Bis wann gedenkt die Bundesregierung, in voller Anwendung des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit vom 12. Dezember 1973 entsprechend dessen § 16 — wonach auch in den. Verwaltungen und Betrieben des Bundes „ein den Grundsätzen des Gesetzes gleichwertiger arbeitsmedizinischer und sicherheitstechnischer Arbeitsschutz zu gewährleisten" ist — den im Gesetz vorgesehenen Betriebsarzt und Sicherheitsingenieur für die Bundesanstalt für Materialprüfung in Berlin zu bestellen?Bitte schön.Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesanstalt für Materialprüfung wird auf Veranlassung des Wirtschaftsministeriums mit dem Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienst, Berlin, einen Vertrag über die Einrichtung des arbeitsmedizinischen Dienstes entsprechend den Richtlinien des Bundesin-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9329
Parl. Staatssekretär Grünernenministeriums vom 28. Januar 1978 für den betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Dienst in den Verwaltungen und Betrieben des Bundes abschließen. Der Vertrag soll am 1. Dezember 1978 in Kraft treten. Der sicherheitstechnische Arbeitsschutz ist vorübergehend dem gemäß §§ 7 und 19 der Reichsversicherungsordnung bestellten Sicherheitsbeauftragten übertragen worden. Es ist beabsichtigt, ab 1. Januar 1979 einen entsprechend vorgebildeten Beamten der Besoldungsgruppe A 13 mit den Aufgaben des sicherheitstechnischen Arbeitsschutzes zu beauftragen, sofern durch den Bundeshaushaltsplan 1979 die notwendige Planstelle dafür bewilligt wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Bundesanstalt für Materialprüfung mit über 1 000 Beschäftigten, von denen über 90 °/o einen unfall- und gesundheitsgefährdenden technischen Beruf ausüben, mit Betrieben vergleichbar ist, für die nach § 2 bzw. § 5 des Arbeitssicherheitsgesetzes Betriebsärzte bzw. Sicherheitsingenieure im Hinblick auf die Betriebsart und die damit für Arbeitnehmer verbundene Unfall- und Gesundheitsgefahr zu bestellen sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, aus meiner Antwort geht hervor, daß wir die Situation so sehen, und das hat uns zu unserer hier geschilderten Initiative veranlaßt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneten Müller:
Dann frage ich Sie, warum es so lange gedauert hat — das Gesetz ist seit Dezember 1973 in Kraft, mit Ausnahme der §§ 13, 14 und 21, die nur die RVO-Änderung betreffen —, bis das verwirklicht werden soll?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist sicher richtig, daß gerade im Bereich der öffentlichen Hand manche Gesetze nicht mit der Beschleunigung in Kraft gesetzt werden, wie das von der Privatwirtschaft verlangt und erwartet wird. Ich habe keine Veranlassung, an den Bemühungen der Behörde in dieser Richtung zu zweifeln. Ich habe aber auch hier darauf hinweisen müssen, daß die geschilderte Lösung voraussetzt, daß wir die nötigen Stellen im Haushalt bewilligt bekommen. Sie wissen, daß gerade in den letzten Jahren Stellenneubewilligungen aus ganz verständlichen Gründen vom Haushaltsausschuß sehr kritisch begutachtet worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe Frage 51 des Herrn Abgeordneter Müller auf:
In welchem Umfang haben die nach Maßgabe des Arbeitssicherheitsgesetzes zu bestellenden Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit bereits in anderen mit der BAM vergleichbaren Verwaltungen bzw. Betrieben des Bundes ihre Tätigkeit aufgenommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Für die der BAM vergleichbaren, dem Geschäftsbereich des Wirtschaftsministeriums angehörenden technisch-wissenschaftlichen Anstalten, nämlich die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover und das Bundesinstitut für chemisch-technische Untersuchungen in Swisttal-Heimerzheim, sind gleichartige Regelungen getroffen worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller .
Sind in diesen Fällen die Betriebsärzte bzw. Sicherheitsingenieure Beamte oder Angestellte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann diese Frage jetzt nicht beantworten, werde Ihnen aber gerne eine Auskunft zuleiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Zusatzfrage wird nicht gestellt. Ich schließe damit den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Grüner für die Beantwortung der Fragen.
Die Fragen 70 und 71 des Abgeordneten Milz sind zurückgezogen. Die übrigen nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich schließe damit die Fragestunde.
Wir fahren in der Tagesordnung unserer Sitzung fort.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Berichts der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems sowie die Ergänzung und die Schlußfolgerungen dazu
— Drucksachen 8/1551, 8/1956 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Frühjahr 1978 hat die Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Bundestagsfraktionen von SPD und FDP den Stand des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland und die seit den 60er Jahren erbrachten Leistungen dargestellt. In dieser Antwort und in ihrer mündlichen Erläuterung vor dem Bundestag hat die Bundesregierung nachgewiesen, daß dank großer Leistungen aller Beteiligten, besonders der Länder, das Bildungsangebot erheblich ausgeweitet und verbessert worden ist.Die Bürger haben diese Entwicklung gewollt und mitgetragen. Sie haben die darin liegenden Chancen mit der Folge eines breiten Anstiegs aller Qualifika-
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9330 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Bundesminister Dr. Schmudetionen in Anspruch genommen. Zu Unrecht ist der Bundesregierung wegen der Antwort auf die Große Anfrage vorgeworfen worden, sie bewerte den im Bildungswesen erreichten Stand einseitig und zu positiv. Die Bundesregierung hat nämlich nicht verschwiegen, daß die Bildungspolitik weitere wichtige Aufgaben zu erfüllen hat und daß im Zuge der im ganzen positiven Entwicklung des letzten Jahrzehnts bekannte Probleme sich verschärft haben und neue Probleme sichtbar geworden sind, die erörtert und gelöst werden müssen.Die heutige Debatte gilt einem wichtigen Teil dieser Probleme. Sie sind in dem von der Bundesregierung vorgelegten Bericht über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems und in den dazugehörigen Schlußfolgerungen sachlich und ausführlich dargestellt worden. Da geht es erstens um die Frage, ob wir eine Entwicklung untätig hinnehmen dürfen, in deren Verlauf schon jetzt unterschiedliche Regelungen über die Dauer der Schul-und Bildungspflicht in den Ländern vorherzusehen sind. Es geht zweitens um erhebliche Unterschiede in den Übergängen von einer Schulstufe zur anderen, drittens um die bundesweite Anerkennung von Schulabschlüssen, aber auch von Lehrerexamina. Viertens geht es um die Aufspaltung der sinnvollen, nur einheitlich zu regelnden beruflichen Bildung in Zuständigkeitsbereiche des Bundes und Zuständigkeitsbereiche der Länder, was mühselige und langwierige Abstimmungsverfahren und erhebliche Verzögerungen bei der Festlegung der Ausbildungsinhalte mit sich bringt.Seit langem befragen uns die Bürger drängend nach dem Sinn dieser Auswirkungen der föderativen Struktur des Bildungswesens. Sie haben ein Recht darauf, daß ihnen diese Fragen auch aus der Sicht des Bundes beantwortet werden. In diesen Erwartungen sehen sich die Bürger bestärkt durch zahlreiche Auseinandersetzungen auf der Bundesebene über bildungspolitische Themen aus der Zuständigkeit der Länder. Wann immer das zu Wahlkampfzwecken geeignet zu sein scheint, werden der Bundesregierung angebliche bildungspolitische Versäumnisse und Fehler bestimmter Landesregierungen anklagend vorgehalten, wird sie zu Antworten aufgefordert.Da geht es nicht an, zu Problemen, die nicht einmal im Bereich eines einzelnen Landes ihre Ursache haben und dort gelöst werden können, auf Dauer zu schweigen und Fragesteller mit dem Hinweis auf die bestehende Zuständigkeitsverteilung abzuspeisen. Solche Hinweise können niemanden zufriedenstellen, schon gar nicht, wenn darin vollständigkeitshalber auch noch die im Bildungsbereich bedeutsamen Zwischenebenen zwischen den Ländern oder zwischen dem Bund und den Ländern benannt sind.Was in dieser Hinsicht sogar den meisten Politikern schwer verständlich ist, bleibt für die Bürger völlig undurchschaubar und erzeugt zwischen Wut, Zorn und gleichgültiger Abwendung alle die Gefühle, die heute unter dem Stichwort „Staatsverdrossenheit" zusammengefaßt werden. Von Politikern, die im Bund Verantwortung tragen, verlangen dieBürger mehr als die von Bürokratien aller Art zur Genüge bekannten Zuständigkeitseinreden.Die Bundesregierung stellt sich diesem Anspruch. Ungeachtet ihrer geringen Kompetenzen im Bildungswesen anerkennt sie für sich eine gesamtstaatliche Verantwortung, die ihr einen Beitrag zur Lösung der bestehenden länderübergreifenden Probleme abverlangt.Vor zehn Jahren jedenfalls war diese Auffassung auch im Deutschen Bundestag völlig unbestritten. In der am 7. Mai 1968 hier geführten großen Debatte über Aufgaben- und Zuständigkeitsverteilung in der Bildungspolitik haben Sprecher aller Fraktionen und mehrerer Länder die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes im Bildungsbereich betont und ihren für die Bundesregierung verpflichtenden Charakter besonders hervorgehoben. Angesichts der heute vorgetragenen Auffassungen ist es reizvoll, sich etwa an die Forderung des damaligen Bundesministers Stoltenberg nach einer Stärkung der Einflußmöglichkeiten des Bundes im Bildungsbereich zu erinnern.
Der damalige Ministerpräsident Lemke begrüßte die im Bundestag geführte Diskussion unabhängig von der bestehenden Zuständigkeitsverteilung. Unser früherer Kollege Carlo Schmid bestätigte diese Auffassung und nahm für Bundesregierung und Bundestag in Anspruch, innerhalb dieser allgemeinen Verantwortung Sorgen Ausdruck zu verleihen.Heute wird der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Strukturbericht sogar das Recht bestritten, sich zu den darin dargestellten Problemen mit Feststellungen und Vorschlägen zu Wort zu melden. Der Blick auf die vor zehn Jahren hier ganz anders geführte Debatte müßte eigentlich bei allen die Erkenntnis fördern, daß solches Bestreiten völlig haltlos ist und offenkundig nur dazu dienen soll, von dem als unangenehm empfundenen Sachverhalt abzulenken.Die Bundesregierung hat mit solchem Widerspruch gerechnet. Sie ist gleichwohl ihrer Verantwortung nicht ausgewichen. Sie nennt die Dinge beim Namen und macht Vorschläge für die Lösung der festgestellten Probleme. In der hier am 16. Dezember 1976 abgegebenen Regierungserklärung hat Bundeskanzler Helmut Schmidt einige wenige Punkte angesprochen, in denen nach Auffassung der Bundesregierung gesamtstaatliche Rahmenbedingungen für unser föderatives Bildungssystem unverzichtbar sind. Den zugleich angekündigten Bericht hat die Bundesregierung im Februar 1978 in seinem feststellenden Teil dem Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet. Diese häufig als „Mängelbericht" bezeichnete Bestandsaufnahme ist keine Anklageschrift. Wer den Bericht selbst liest und sich nicht mit Äußerungen anderer über ihn begnügt, wird keinen einzigen Vorwurf gegen die Länder oder ein einzelnes Land der Bundesrepublik Deutschland darin finden.Die Bundesregierung beschränkt sich vielmehr darauf, in dem Bericht die Entwicklung und den Stand von länderbezogenen Unterschieden in einigen wenigen, aber wichtigen Eckpunkten des Bildungssystems festzustellen. Auf solche Unterschie-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9331
Bundesminister Dr. Schmudede, die nicht notwendig sind und doch zugleich die Bürger in ärgerlicher Weise belasten, konzentriert die Bundesregierung ihre Betrachtung.Damit ist zugleich klargestellt, daß es sich bei dem Strukturbericht auch nicht um den gelegentlich behaupteten pauschalen Angriff gegen das föderative Bildungssystem der Bundesrepublik handelt. Vielmehr werden die Vorteile und die Leistungsfähigkeit dieses Systems sogar ausdrücklich hervorgehoben und anerkannt. Die Bundesregierung hat sich den Weg ihrer Darlegungen eben nicht von dem Verdruß vieler Bürger vorschreiben lassen, die in ihrer Verärgerung über belastende Unterschiede Wert und Sinn des föderativen Systems in der Bildungspolitik insgesamt bezweifeln und es lieber heute als morgen abschaffen wollen.Solchem Verlangen tritt die Bundesregierung mit ihrem Bericht entgegen, verschweigt dabei aber nicht ,die tatsächlich bestehenden gewichtigen Probleme und die Gefahren des weiteren Auseinanderdriftens in der Bildungspolitik. In dieser Weise will sie in ihrem Bericht ihren Beitrag zur bildungs-und verfassungspolitischen Diskussion leisten und Material für notwendige Beratungen bereitstellen.Die ersten kritischen Reaktionen auf den Bericht waren freilich nicht von der Bereitschaft zur sachlichen Diskussion geprägt. Im Gegenteil, Angriffe gegen die Bundesregierung und drastisch abwertende Urteile über den vorgelegten Bericht kennzeichneten eine streckenweise hektische Kampagne, die ausschließlich von der CDU/CSU und den von diesen Parteien geführten Ländern ausging. Schon die Begriffe sprachen für sich. Der Bericht wurde als „Papiertiger" bezeichnet, der eine „große Feldschlacht mit viel Kriegsgeschrei" auslösen werde.Ein unbefangener Betrachter mußte tatsächlich den Eindruck gewinnen, die angesprochenen Probleme seien den Kritikern ganz nebensächlich; wesentlich sei die gern genutzte Chance zum parteipolitischen Gezänk.
Die in eigenartiger Stufenfolge vorgetragenen Stellungnahmen zur Sache konnten das Bild einer kleinlich-zänkischen Auseinandersetzung nur bestätigen. Da hieß es zunächst, die Vorlage des Berichts durch die Bundesregierung sei eigentlich unzulässig. Es handele sich um Länderangelegenheiten, zu denen sich die Bundesregierung nicht wertend zu äußern habe.Alle guten Einsichten aus der Bundestagsdebatte vom Mai 1968 wurden dabei offensichtlich unterdrückt. Konnte damals unser Kollege Dr. Meinecke aus dem allgemeinen Bekenntnis zur gesamtstaatlichen Verantwortung noch die Schlußfolgerung ziehen „Wir reiten somit auf einer Welle allgemeinen gegenseitigen Verständnisses und gegenseitiger Toleranz", so waren es jetzt bestenfalls imaginäre Schlachtrösser, auf denen zum Angriff gegen die Bundesregierung geritten wurde.
— Sehen Sie, so sind die Bilder!Auf der zweiten Stufe der Kritik wurden wir belehrt, die in dem Bericht dargestellten Probleme gebe es eigentlich nicht. Sie seien jedenfalls so geringfügig — und dazu wurde die Zahl der Betroffenen flugs auf einige hundertstel Prozent heruntergerechnet —, .daß sie seitens der Bundesregierung einen Bericht und überhaupt eine Erwähnung gar nicht verdienten.Das bayerische Kultusministerium ließ verlauten, es handele sich urn viel Lärm um fast nichts. Der Bericht schieße mit Kanonen auf Spatzen.Wer das nun noch glauben wollte, mußte sich auf der nächsten Argumentationsstufe sogleich etwas anderes sagen lassen. Probleme und Schwierigkeiten gebe es durchaus, so hörten wir etwa von den Ministerpräsidenten Filbinger und Vogel, aber die Schuld daran trügen allein die von SPD und FDP geführten Länder und natürlich auch die Bundesregierung. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich dann schließlich die Meinung durchgesetzt, Angriff sei in solcher Lage die beste Verteidigung. Der Bund solle zunächst vor seiner eigenen Tür kehren, so wurden wir belehrt, und mit dieser .Empfehlung legte die Opposition einen Bericht über die Versäumnisse der Bundesregierung in der Bildungspolitik vor.
Diese Abfolge der einander zum Teil widersprechenden Reaktionen zeigt doch ein groteskes Bild. Zu Wort meldeten sich mit solcher Kritik ausschließlich Politiker der Unionsparteien. Man muß fragen: warum eigentlich? Fühlten sie sich durch den Bericht besonders betroffen, obwohl sie darin weder als Partei noch als einzelne Landesregierung angegriffen werden und unter den Beispielen des Berichts für unzureichende Einheitlichkeit im Bildungswesen durchaus auch solche sind, die sich ausschließlich auf Länder mit SPD/FDP-Regierungen beziehen? Hätte es sich, nicht angeboten, sogleich mit solchen Regierungen eine gemeinsame Stellungnahme abzugeben, statt der Bundesregierung ein oberflächliches parteipolitisches Schaugefecht zu liefern?Aber Besonnenheit und bessere Einsichten ließen auf sich warten. Zunächst bezeichnete Herr Filbinger, übrigens schon acht Tage vor der Beschlußfassung des Bundeskabinetts, den Bericht als nutzloses und unredliches Papier. Ministerpräsident Vogel wiederholte mehrfach, der Bericht sei für ihn keine Diskussionsgrundlage.
Diese Verweigerungstaktik hatte allerdings nur kurzen Bestand. Die Kultusminister der Länder jedenfalls haben in ihrer einstimmig. beschlossenen Stellungnahme vom 21. April 1978 den Bericht der Bundesregierung sehr wohl als Diskussionsgrundlage gesehen und behandelt. Mehr noch, in dieser Stellungnahme, der die Ministerpräsidenten ebenfalls einstimmig beigetreten sind, stimmen die Länder der Auffassung der Bundesregierung zu — jetzt kommt ein Zitat —, „daß in der Bundesrepublik Deutschland ein stärkeres Maß an Einheitlichkeit insbesondere in den von der Bundesregierung ange-
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Bundesminister Dr. Schmudesprochenen Problembereichen angestrebt werden muß".
Das ist das Ende des ersten Zitats aus dieser Stellungnahme der Kultusministerkonferenz. Dort heißt es weiter — wieder Zitat —, „daß im Hinblick auf die von der Bundesregierung herausgestellten Grundbedingungen für Freizügigkeit und gleiche Möglichkeiten im Rahmen einheitlicher Lebensverhältnisse sowie beim Übergang zwischen Bildungs-und Beschäftigungssystem, die von der Kultusministerkonferenz uneingeschränkt bejaht werden, Anderungen und Verbesserungen in den genannten Bereichen notwendig und durch die Länder mit Vorrang zu realisieren sind".Der' Vorwurf, bei dem Bericht handle es sich um ein „nutzloses und unredliches Papier", konnte wohl nicht eindeutiger widerlegt werden. Die Presse jedenfalls reagierte auf die Stellungnahme mit Schlagzeilen wie „Die Kultusminister räumen .ein, daß es Probleme gibt" und „Kultusministerkonferenz bestätigt Probleme des föderalen Bildungssystems".
— Unter anderem „Die Welt". Da können Sie es nachlesen.
Mit der Stellungnahme der Länder, die die Ministerpräsidenten dem Bundeskanzler am 12. Mai 1978 förmlich zugeleitet haben, sollte endgültig eine neue, sachliche Tonart in das Gespräch über die Probleme des föderativen Bildungssystems gekommen sein.
Die vorausgehenden Auseinandersetzungen habe ich hier nur deshalb kurz dargestellt, um an den schwierigen Anfang dieser Diskussion zu erinnern und vor der Gefahr eines erneuten Abgleitens in Polemik zu warnen.Die am 12. Mai 1978 übergebene Länder-Stellungnahme zeichnet sich demgegenüber durch ein sachliches Eingehen auf die von der Bundesregierung angesprochenen Fragen und durch .die ausdrücklich erklärte Bereitschaft der Länder zur Lösung der von ihnen selbst bestätigten Probleme aus. Der Bundesregierung wird dabei ausdrücklich die Berechtigung zugestanden, einen solchen Bericht in eigener Verantwortung herauszugeben, so daß auch darauf bezogene Einwände eigentlich endgültig erledigt sein müßten.Die Bundesregierung hat im Juni dieses Jahres ihren Bericht durch die Vorlage der zunächst zurückgestellten Schlußfolgerungen ergänzt und dabei die Stellungnahme der Länder ausführlich und überwiegend positiv gewürdigt. Wir bejahen darin die Vielfalt im Bildungsangebot und den Wettbewerb zwischen den Ländern. Gesamtstaatliche Rahmenbedingungen sind freilich an einigen wichtigen Naht- und Gelenkstellen des Bildungssystems unerläßlich, um die Bürger vor unnötigen Nachteilen zu bewahrenund die Anerkennung verschiedenartiger, aber gleichwertiger Bildungsabschnitte zu gewährleisten.
Auf diese wenigen Gebiete hat die Bundesregierung ihre Vorschläge beschränkt. Um was es dabei geht, sollen einige Beispiele deutlich machen.So ist der Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen in jedem Bundesland anders geregelt. Da gibt es das strenge Ausleseverfahren bereits in und nach der vierten Grundschulklasse, also für neun- und zehnjährige Kinder, mit Probearbeiten, verbindlichen Schulgutachten und Aufnahmeprüfungen und Entscheidungen gegen den Willen der Eltern. In anderen Ländern bestimmt der Wille der Eltern die weiterführende Schulart mindestens bis zum Ende der Klasse fünf, der Klasse sechs oder gar der Klasse sieben.Das Bundesverfassungsgericht hat zur Frage des Verhältnisses von Elternrecht und staatlichem Erziehungsauftrag 1972 die im Grundsatz selbstverständliche Auffassung vertreten, das Wahlrecht der Eltern zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen dürfe nicht mehr als notwendig eingegrenzt werden. Ich halte es für sehr zweifelhaft, ob die in einigen Ländern weiterhin praktizierte sehr frühe Einschränkung des Wahlrechts der Eltern diesem Erfordernis gerecht wird. Wie kann es denn notwendig sein, in dem einen Land eine verbindliche staatliche Eignungsentscheidung über neun- oder zehnjährige Kinder in und nach Klasse vier oder fünf zu treffen, während den Eltern in anderen Ländern ein volles Entscheidungsrecht bis zum Abschluß der Klasse sieben eingeräumt wird?
Immerhin heißt es in der einstimmig beschlossenen Stellungnahme der Länder zu dieser Frage:Deshalb wäre eine Vereinbarung wünschenswert, bei der nach Abschluß der Orientierungsstufe, also nach Klasse sechs, dem Elternwunsch auf der Grundlage eines Schulgutachtens entscheidende Bedeutung zukommt.Die Bundesregierung begrüßt diese Aussage und hofft, daß ihr alsbald Taten folgen.Auch bei der Regelung der Schul- und Bildungspflicht zeigt sich die Auseinanderentwicklung im Bildungswesen mit aller Deutlichkeit. Heute noch besteht in den meisten Ländern eine neunjährige Vollzeitschulpflicht. Einige Länder haben jetzt eine Verlängerung der Schul- und Bildungspflicht auf zehn Jahre beschlossen oder planen das für die nächste Zeit. Andere erklären eindeutig, daß sie die Schul- und Bildungspflicht nicht über neun Jahre hinaus verlängern wollen. Von der Frage, ob die Schul- und Bildungspflicht verlängert wird und wie die inhaltliche Ausgestaltung der Klasse zehn aussehen soll, hängt es jedoch ab, ob die Berufsausbildung künftig nach Klasse neun oder nach Klasse zehn beginnen wird und welche Bildungsabschlüsse viele Jugendliche erhalten werden. Die Bildungsabschlüsse haben wiederum Bedeutung für die Wahlmöglichkeiten bei weiterführenden Bildungsange-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9333
Bundesminister Dr. Schmudeboten. Damit geht es um Fragen, die alle Jugendlichen und alle Eltern etwas angehen, weil sie für die spätere Mobilität in der Ausbildung und im Beruf, also für ihre gesamte berufliche Zukunft, von großer Bedeutung sind. Die Länder beurteilen das Gewicht dieser Probleme nicht anders als die Bundesregierung, wenn sie in ihrer Stellungnahme zum Bericht sagen:Es herrscht indessen Konsens, daß über die Frage einer möglichen Ausdehnung der Vollzeitschulpflicht nach einheitlichen Grundsätzen entschieden werden soll.Eine solche einheitliche Verfahrensweise ist weiterhin für die Anerkennung der Hochschulzugangsberechtigungen und der Lehramtsabschlüsse erforderlich. Immer noch gibt es eine ganze Reihe von Hochschulzugangsberechtigungen, die in dem einen Land ein beliebiges Studium, im nächsten nur das Studium bestimmter Fächer und in anderen Ländern überhaupt kein Studium ermöglichen. Daß hier auch von den Ländern eine Änderung für erforderlich gehalten wird, beweisen die Anerkennungsvereinbarungen zwischen den Kultusministern oder Ministerpräsidenten der Länder. Eine Reihe derartiger Vereinbarungen steht aber nach wie vor nur auf dem Papier. Bis zur allgemeinen Umsetzung in geltendes Recht ist es nicht gekommen. Und junge Menschen haben die Auswirkungen zu tragen.Ein besonders gewichtiges Problem ergibt sich im Bereich der beruflichen Bildung. Die Regelung der schulischen Berufsausbildung obliegt den Ländern. Die Ausbildungsordnungen für den betrieblichen Teil der Berufsausbildung erläßt der Bund.
Da beide Bereiche eine einheitliche Ausbildung bezwecken, besteht seit langem Einvernehmen darüber, daß schulische Rahmenlehrpläne und betriebsbezogene Ausbildungsordnungen aufeinander abgestimmt werden müssen. Das Verfahren ist langwierig und mühsam und hat wegen der damit verbundenen Verzögerungen immer wieder berechtigte Kritik hervorgerufen.Eben deshalb haben sich Bund und Länder drei Jahre lang um ein Verwaltungsabkommen zur verbesserten Abstimmung in der beruflichen Bildung bemüht. Dem lag ein Auftrag des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten zugrunde. Der Text des Abkommens war im Frühjahr dieses Jahres fertiggestellt. Der Bund und zehn Länder hatten ihr Einverständnis erklärt, konnten das Abkommen damit aber nicht in Kraft setzen. Der Widerstand eines Landes genügte, das ganze Vorhaben scheitern zu lassen.
Das Problem besteht somit unverändert weiter, obwohl seine Lösungsbedürftigkeit allgemein anerkannt ist und fast alle Länder bereits eine befriedigende Lösung ausgehandelt hatten.Solche deprimierenden Erfahrungen, meine Damen und Herren, gehören auch zum föderativen Bildungssystem. Dazu würde ich von den Lobrednern dieses Systems gern einmal etwas hören.
Zur Sicherung eines Mindestmaßes an Einheitlichkeit in den von ihr besonders angesprochenen Bereichen des Bildungswesens hat die Bundesregierung ihre Bereitschaft erklärt, auf der Grundlage der bestehenden Zuständigkeiten an entsprechenden Vereinbarungen mitzuwirken oder sie zu fördern. Auch für eine in den Grundzügen einheitliche Regelung der Dauer des Studiums und der schulpraktischen Ausbildung für Lehrer, die die Bundesregierung im Rahmen der bereits bestehenden dienstrechtlichen Bundeskompetenz vorbereitet, nimmt sie zunächst Beratungen mit den Ländern auf, um eine möglichst breite Übereinstimmung zu sichern.Ich halte es allerdings nach wie vor für notwendig und selbstverständlich, daß sich die Bundesregierung in ihrem Bericht und in den Schlußfolgerungen nicht auf die Darstellung der Probleme beschränkt, sondern sich zugleich bereit erklärt, für bestimmte Aufgaben eigene Verantwortung zu übernehmen. Das ist der Beitrag, den die Bürger über die Problemschilderung und das Angebot zur Zusammenarbeit hinaus von der Bundesregierung zur Lösung der Probleme erwarten.
Sie kann diesen Beitrag nur leisten, wenn ihr Angebot im Bundestag und bei den Ländern auf breite Zustimmung trifft. Das sollte in einer sachlichen Erörterung geklärt werden, die nicht durch gegenseitige Vorwürfe und auch nicht durch die Tabuisierung bestimmter Lösungsmöglichkeiten behindert werden darf.Zusammen mit ihren Schlußfolgerungen hat die Bundesregierung auch die Stellungnahme der Länder den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet. Damit hat das vorliegende Gesamtvorhaben den Charakter eines Dialogs erhalten, in dem beide Seiten ausführlich und sachlich zu Wort kommen. Nach wie vor halte ich diese Verfahrensweise für weitaus besser als den Versuch, den Bericht vorab zum Gegenstand einer Abstimmung zwischen Bund und Ländern zu machen. Ob wir ihn dann inzwischen vorliegen hätten, kann man durchaus bezweifeln. Wichtiger aber ist, daß die Klarheit der Stellungnahmen beider Seiten sicherlich erheblich gelitten hätte, ja, es wäre geradezu widersinnig gewesen, eine Darstellung der Unzulänglichkeiten der im Bildungsbereich praktizierten Vereinbarungen und Abstimmungen zum Gegenstand eben dieser Verfahren zu machen.Indem ich die Gründe der Bundesregierung für das von ihr gewählte Verfahren der Erstellung und Vorlage des Berichts erläutere, möchte ich jener Kritik begegnen, die sich immer noch mit besonderer Heftigkeit dieser Verfahrensfrage widmet. Sie ist nicht begründet; vor allem aber sieht sie an den eigentlichen Sachfragen vorbei, von denen die Bürger mit Recht erwarten, daß wir uns ihnen zuwenden.
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9334 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Bundesminister Dr. SchmudeBrauchen wir mehr Einheitlichkeit im Bildungswesen oder nicht? Das ist zusammengefaßt die entscheidende Frage. Die Bundesregierung bejaht diese Frage mit ausführlich dargelegten und guten Gründen. Sie sieht sich in ihrer Überzeugung nicht nur durch die Stellungnahme der Länder zu dem Strukturbericht bestätigt. Nichts anderes als eben diese Auffassung liegt auch den inzwischen jahrzehntelangen Bemühungen der Länder untereinander und der Länder mit dem Bund zugrunde, durch Vereinbarungen aller Art die als notwendig erkannte Einheitlichkeit zu erreichen. Dabei ist für die Bundesregierung klar, daß Einheitlichkeit nicht um ihrer selbst willen anzustreben ist.Eine in den Rahmenbedingungen einheitliche Gestaltung der Lebensverhältnisse ist die Voraussetzung für die Chancengleichheit, auf die die Bürger der Bundesrepublik ohne Rücksicht auf Ländergrenzen Anspruch haben.
Nur die gleichartige Gestaltung der Übergänge und die bundesweite Anerkennung gleichwertiger Anschlüsse ermöglichen die Freizügigkeit auch über Zuständigkeitsgrenzen hinweg, und das ist kein „Möbelwagen"-Argument, das man durch kunstvolle Prozentrechnungen bis zur Bedeutungslosigkeit reduzieren könnte. Weit über den Kreis der tatsächlich Umziehenden hinaus beschäftigen sich die Bürger mit den Problemen, die aus der unterschiedlichen Gestaltung des Bildungswesens im Falle eines Umzuges zu befürchten sind. Da ist der Hinweis darauf, daß solche Probleme sogar beim Umzug im selben Land bestehen, eher zynisch als hilfreich; denn niemanden kann es zufriedenstellen, wenn sich verantwortliche Politiker der Forderung nach einem Mindestmaß an Einheitlichkeit im Bildungswesen mit der Antwort entziehen wollen, damit seien dann aber noch nicht alle Probleme gelöst. Einige Probleme erst gar nicht zu beseitigen, weil andere dann noch bleiben, kann. ja wohl keine vernünftige Haltung sein. .,
Ich halte es demgegenüber für unsere Pflicht, die Sorgen der Bürger erst zu nehmen und uns nach Kräften um Abhilfe zu bemühen. Der in der Stellungnahme der Länder dafür vorgeschlagene Weg über weitere Vereinbarungen muß ganz gewiß entschlossen beschritten werden.. Der Gedanke an eine Neuordnung der bildungspolitischen Zuständigkeiten sollte aber nicht von vornherein sogar für den Fall ausgeschlossen werden, daß sich der Weg über Vereinbarungen als ungeeignet erweist.Es ist nicht richtig, daß eine solche Zuständigkeitsverlagerung den durch Artikel 79 Abs. 3 des Grundgesetzes gewährleisteten Kernbereich eigener Zuständigkeiten der Länder antasten würde; denn die geänderte Zuständigkeit würde sich auf die Regelung weniger Eckpunkte des Bildungssystems beschränken und die Inhalte und Organisationsstrukturen unberührt lassen. Wer behauptet, über die Eckpunkte könne das ganze Bildungssystem in den Griff genommen werden, hängt wider besseres Wissen den Schlagworten vom Einheitsmenschen oder von der Gleichmacherei an.Dabei müßte, doch schon die bisher geführte Diskussion jedem interessierten Betrachter gezeigt haben, daß es z. B. nicht um Gleichheit der Abschlüsse, sondern um Gleichwertigkeit geht, um eine Entscheidung also, die nur zu treffen ist, wenn verschiedene Sachverhalte zur Beurteilung stehen, d. h. wenn von Land zu Land unterschiedliche Inhalte — durchaus erwünscht — im Wettstreit miteinander angeboten werden.Nur am Rande gebe ich zu bedenken, ob eine Bundeskompetenz für die Regelung weniger Naht-und Gelenkstellen des Bildungssystems die Selbständigkeit der Länder wirklich stärker beeinträchtigen würde als eine Vereinbarungspraxis, in der die Einheitlichkeit durch Kompromisse zwischen den . Verwaltungen gesucht wird. Ein solches Verfahren geht, wie sich auch in Bayern jüngst zeigte, nicht ohne Konflikt mit den Landesparlamenten ab, und der von der Rechtsprechung immer stärker betonte Gesetzesvorbehalt trägt zunehmend zur Vermehrung dieser Schwierigkeiten bei. Ob Vereinbarungen zwischen Verwaltungsexperten für die allseits gewünschte Gestaltungsfreiheit am Ort noch den benötigten Raum lassen, ist doch mehr als zweifelhaft. Der Bundesgesetzgeber jedenfalls würde seine Regelungen weit weniger perfektionistisch treffen.Doch kann die Frage einer Zuständigkeitsveränderung und ihrer Auswirkungen künftigen Überlegungen vorbehalten bleiben. Aktuell ist nicht ein Streit um Kompetenzen, sondern das gemeinsame Bemühen um die Lösung der festgestellten Probleme.
Die Bundesregierung ist bereit, sich an der Arbeit in allen in Betracht kommenden Bereichen zu beteiligen. Das gilt für die Beratungen hier im Bundestag und im zuständigen Ausschuß wie in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung und schließlich auch in der Kultusministerkonferenz, soweit die Bundesregierung dort anregend wirken kann. Dazu wiederhole ich den auch im Bundesrat geäußerten Appell an die Länder, das vorbereitete abschlußreife Verwaltungsabkommen zur verbesserten Abstimmung in der beruflichen Bildung nicht verloren zu geben, sondern erneut aufzugreifen.Mit dem von mir vorgelegten Bericht über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems hat die Bundesregierung eine Grundlage für notwendige, wenn auch langwierige und schwierige Bemühungen um mehr Einheitlichkeit im Bildungswesen geschaffen. Die Zuständigkeitsfrage ist bei den damit verbundenen Überlegungen nur ein logischer Schlußstein. Sie ist heute so wenig aktuell, wie Spekulationen über ein Scheitern der Bundesregierung mit ihren Vorschägen zur Neuordnung der Zuständigkeiten aktuell wären. Doch selbst eine solche Aussicht dürfte uns nicht verleiten, die bestehenden Probleme zu verdrängen und die Bürger auf ihre Fragen mit Ausflüchten abzuspeisen. Das wäre unredlich. Der Bürger weiß, daß er vom Politiker oft
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Bundesminister Dr. Schmude) keine schnellen Erfolge erwarten kann. Aber auf Ehrlichkeit hat er Anspruch. Die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems finden in dem Bericht der Bundesregierung und in der Stellungnahme der Länder eine weitgehend übereinstimmende Darstellung. Diese Klärung des Sachverhalts sollten wir als Chance für die Lösung der Probleme gemeinsam nutzen. Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, dieses Ziel in sachlicher und nüchterner Zusammenarbeit miteinander verfolgen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle politischen und natürlich auch bildungspolitischen Initiativen müssen sich doch vor allem an einer Frage messen lassen, nämlich der Frage, was sie den direkt Betroffenen konkret nützen.
Wenn man diese Frage an die Vorlage des Strukturberichts der Bundesregierung anlegt, dann kann man nur sagen: gewogen und zu leicht befunden. Lassen Sie uns eine solche sinnlose Diskussion um Kompetenzstreitigkeiten möglichst schnell wieder verlassen, um eine seriöse Lösung der tatsächlichen bildungspolitischen Probleme im Sinne der direkt Betroffenen herbeizuführen. Der von SPD und FDP und der Bundesregierung vorgelegte Bericht und der mutwillig gestartete Streit um die Kompetenzverteilung im Bildungswesen langweilen inzwischen jedenfalls viele Burger. Was noch viel wichtiger ist: Der Streit bringt z. B. keine einzige zusätzliche Lehrerstelle, die gebraucht wird.
Dieser Streit schafft keinen einzigen zusätzlichen Studienplatz. Dieser Streit schafft keinen einzigen zusätzlichen Ausbildungsplatz für Lehrlinge.
Dieser Streit lenkt nur von den immer drängender werdenden Problemen der Akademikerarbeitslosigkeit ab. Insgesamt gesprochen: Dieser Streit, von der Bundesregierung mutwillig gestartet, bringt keinerlei Fortschritt in der Frage der Verbesserung der Zukunftschancen der jungen Generation insgesamt.
Daher bewirkt er nichts Positives, sondern lenkt von der konkreten bildungspolitischen Arbeit ab, die wir alle leisten müssen. Wir müssen deshalb Sozialdemokraten, Freie Demokraten und die Bundesregierung fragen, wie lange sie diese Diskussion noch führen wollen, statt vereint mit den Ländern und auch zusammen mit der parlamentarischen Opposition zielbewußt und energisch auf eine Lösung der anstehenden Probleme zu drängen.Wie dieser Weg aussehen könnte, haben wir an Hand unseres Antrages zur Verbesserung der Zukunftschancen der jungen Generation gezeigt. Dort können Sie 32 konkreten Punkten Verbesserungen entnehmen, die wir vorschlagen, um die Situationder jungen Generation in diesem Lande, was die Ausbildung betrifft, zu verbessern. Jeder einzelne dieser Vorschläge würde allen direkt Betroffenen helfen. Ich fordere Sie auf, hierüber mit uns zu diskutieren und den sinnlosen Kompetenzstreit zu beenden.
Dieser Strukturbericht der Bundesregierung hat auch insofern einen falschen Ansatz, als er von einer Überbetonung organisatorischer Reformmaßnahmen ausgeht, die den Vorrang vor inhaltlichen, vor pädagogischen Erfordernissen haben sollen. Herr Bundesminister Schmude hat nun am 5. November in Bethel vor der Synode der EKD eine Rede gehalten, in der er sich für eine „Kurskontrolle" eingesetzt hat. Ich verstehe das als ein erstes Zugeständnis auf dem Wege zu einer Kurskorrektur in der Bildungspolitik, die wir immer gefordert haben, Herr Minister. Sie haben dort wörtlich erklärt:So fragen sich viele Bildungspolitiker, ob nicht die Reform von Strukturen zeitweise zu stark im Vordergrund gestanden hat
und darüber die Besinnung auf Inhalte zu kurz gekommen ist.
Zu solcher Besinnung
— so Originalton Schmude —leistet die in diesem Jahr verstärkt geführte Diskussion über Tugenden als Erziehungs- und Bildungsziele wichtige Beiträge.So also Minister Schmude vor der Synode der EKD. Ich frage mich, ob das ein erster Ansatz zur Selbstkritik ist und warum sich der für den Strukturbericht verantwortliche Minister dort über zu starke Strukturdiskussionen beklagt und uns hier im Bundestag einen solchen Bericht vorlegt und mit uns darüber eine Debatte führt. Das ist doch schizophren.
Herr Schmude, Sie sollten aus Ihren eigenen Worten die notwendigen Konsequenzen ziehen und sich im übrigen auch überlegen, ob Sie als derjenige Bonner Bildungsminister in die Geschichte eingehen wollen — aber vielleicht ist das ein bißchen hoch gegriffen —, der am weitesten an den Interessen und den Bedürfnissen der Betroffenen, der jungen Generation vorbei Politik gemacht hat, oder ob Sie als jemand genannt werden wollen, der einen Schritt in Richtung auf die Interessen und Bedürfnisse der jungen Generation gemacht hat, statt sinnlose Kompetenzstreitigkeiten zu führen.
— Dohnanyi hat einen großen Vorsprung, das gebe ich zu. Aber Herr Schmude hat sicherlich zu einem Zwischenspurt angesetzt, um ihn einzuholen. Sie haben die Wahl, ob Sie Minister für Kompetenzstreitigkeiten oder ein Anwalt der Interessen der jungen Generation werden wollen, und ich finde, Sie sollten sich bald entscheiden.
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9336 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
RüheWarum führen wir diese Debatte? Welche sinddie eigentlichen Motive der Koalition, welche ist die Stoßrichtung, die diese Politik der Koalition von SPD und FDP und der Bundesregierung kennzeichnet?Erstens. Die Bundesregierung möchte angesichts vielfältiger bildungspolitischer Probleme von den eigenen Versäumnissen ablenken und den Ländern in einem Mängelbericht den schwarzen Peter zuschieben. Das gilt trotz dessen, was Sie vorhin einschränkend gesagt haben. — Aber, meine Damen und Herren, wer mehr Kompetenzen für sich selbst beansprucht — und das gilt doch im Leben ganz allgemein —, muß sich doch zumindest eine Frage gefallen lassen, nämlich die, wie erfolgreich er eigentlich mit seinen bisherigen Kompetenzen umgegangen ist.
Das ist eine Frage, die sich jedermann zu stellen hat, der mehr Kompetenzen haben möchte, und deswegen werde ich mir erlauben, dazu später noch etwas zu sagen.Zweitens. Die starke ideologische Komponente der Bildungspolitik von SPD und FDP ist bis heute von der logischen Ergänzung eines ZentralismusDenkens geprägt.
Wenn man das Allheilmittel für alle bildungspolitischen Probleme in einer einzigen Schulform, in einer einzigen Hochschulform sieht, benötigt man dazu die Verfahrensmethode des Zentralismus, um möglichst schnell, ohne Rücksicht auf andere Vorstellungen, getreu den eigenen lupenreinen Patentrezepten ans Ziel zu kommen. Wenn man bildungspolitisch ohne Rücksicht auf Erfahrungen, ohne Rücksicht auf die ständige Rückkopplung mit der Praxis auf ein einziges Ziel fixiert ist, können einem begründete Gegenargumente und Erfahrungen nur die eigenen Vorurteile verderben, und wer hat das schon gern?Dieser Sachzusammenhang zwischen Ihrer auf Egalisierung gerichteten Bildungspolitik und einem wachsenden Zentralismus in der Durchführung ist offenkundig. Das alles erinnert mich doch sehr stark an ein inzwischen schon berühmt gewordenes Wort eines früheren schwedischen Kultusministers, der einmal gesagt hat, Ziel der Bildungspolitik sei nicht die bunt blühende, sondern die gleichmäßig gemähte Wiese. Das bezog sich damals auf die Gesamtschule. Sie wollen es auf unsere ganze Republik ausdehnen. Deswegen widersprechen wir Ihnen energisch in dieser Frage.
— Herr Schäfer, ich komme noch zu Ihnen und dem Bericht der Verfassungskommission, den Sie vorgelegt haben. Da gibt es interessante Fundstellen gerade für unsere Debatte hier. Bitte warten Sie noch einen Augenblick.Drittens. Ein weiteres Motiv, was das Verhalten der Bundesregierung angeht, liegt sicherlich in der Bildungspolitik der FDP. Ich möchte aber vorweg sagen, daß es durchaus anzuerkennen ist und es sich auch bei den Beratungen der Kultusminister zum Strukturbericht gezeigt hat, daß viele Kultusminister der Sozialdemokraten in diesen Fragen differenziert denken können. Sie wissen nämlich ganz genau, daß mit einer Verlagerung von Kompetenzen auf den Bund bildungspolitisch nichts gewonnen würde, aber auf der anderen Seite die Länder durch eine solche Kompetenzverlagerung an Kernsubstanz ihrer Eigenstaatlichkeit einbüßen würden.Dagegen der Parteivorsitzende der FDP, Bundesminister Genscher, auf dem Parteitag der FDP 1976 — wörtliches Zitat —:Der Bildungsföderalismus in der Bundesrepublik Deutschland hat versagt. Wir brauchen endlich die Bildungskompetenz für den Bund.So einfach kann man sich das auch machen, wie es hier Herr Genscher getan hat. In der Tat ist es richtig, daß in der Koalition insbesondere die FDP die Bundeskompetenz als Medizin für alle Krankheiten des Bildungswesens anpreist, ein scheinbares Allheilmittel für die vielen Probleme, die es sicherlich gibt, aber gegen die man inhaltlich nicht mehr weiter weiß.Diese Flucht — anders kann ich es nicht nennen — in eine Forderung nach Kompetenzverschiebung spekuliert mit dem sicherlich vorhandenen Wunsch unserer Mitbürger nach mehr Einheitlichkeit. Aber dieser Wunsch nach mehr Einheitlichkeit, meine Damen und Herren, ist im Kern ein Wunsch nach mehr inhaltlicher Übereinstimmung in der Bildungspolitik zwischen den Parteien.
Deswegen kann eine solche Rolle gegenüber dem Bürger doch nur derjenige glaubwürdig vertreten, der sich in den Inhalten der Bildungspolitik um mehr Vermittlung, um mehr Übereinstimmung bemüht hat. Davon kann ich wenig entdecken.Wer sich also wie der Bundesvorsitzende der FDP für mehr Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet einsetzt, muß sich z. B. fragen lassen, was er in Hessen, was er in Nordrhein-Westfalen, wo die FDP die Mitverantwortung in der Bildungspolitik trägt, getan hat oder noch tut, um eine weitere Auseinanderentwicklung unseres Bildungswesens zu verhindern. Ich kann nur sagen: In beiden Ländern hat die FDP kräftig an bildungspolitischen Alleingängen mitgewirkt, die die Möglichkeit zu einer besseren Abstimmung im gesamten Bundesgebiet erschwert haben.
Deswegen sind Sie kein glaubwürdiger Anwalt für die Bürger, die ein Mehr an Einheitlichkeit im Sinne einer inhaltlichen Übereinstimmung wollen.Insbesondere die FDP, wie gezeigt, aber auch die Sozialdemokraten glauben, daß sich das Thema des Kulturföderalismus ganz gut zur Emotionalisierung in bevorstehenden Wahlkämpfen eignet. Vor den Wählern gerieren sie sich als die großen Wohltäter, die mit dem Ruf nach der Einheitskompetenz alle Probleme auf einen Schlag lösen wollen. In Wirklichkeit sind sie die großen Vereinfacher, die ein-
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Rühefache Lösungen vorgaukeln, die es für die bildungspolitischen Probleme selbst bei einer Einheitskompetenz nicht geben könnte. Es ist natürlich ganz einfach und billig, den besonders Betroffenen, auch wennn es sich in Wirklichkeit um eine kleinere Gruppe handelt, deren Sorgen man aber ernst nehmen sollte wie z. B. bei den Soldatenfamilien, die häufig umziehen müssen, vorzumachen, daß sie überall in Deutschland künftig, wenn die Opposition die Regierung nur ließe, den gleichen Schultyp antreffen würden und dann überhaupt keine Probleme für die Kinder z. B. von Soldatenfamilien entstehen könnten.Dabei weiß jedermann, der sich mit der Sache beschäftigt, daß diese totale Vereinheitlichung weder möglich noch gewollt ist; denn wer vielfältige Bildungsangebote für vielfältige und unterschiedliche Begabungen bereitstellen will, muß natürlich auch bereit sein, unterschiedliche Schultypen, unterschiedliche Lernschwerpunkte anzubieten.Das alles ist unter denen, die sich ernsthaft mit bildungspolitischen Fragen auseinandersetzen, eine bare Selbstverständlichkeit. Dennoch tun die Initiatoren dieses Strukturberichts so, als sei die Bundeskompetenz das Patentrezept, der Deus ex machina für alle Schwierigkeiten, mit denen wir zu tun haben.
— Na, ich glaube, ich rede hier in meiner Rede mehr deutsch als viele von Ihren Kollegen, die hier gelegentlich auftreten.
Da können Sie sich wirklich nicht beklagen. Aber, haben Sie keine Angst, ich werde bei anderen Punkten noch ein bißchen deutlicher.
Was die Bürger angeht, so täuschen Sie sich, wenn Sie glauben, daß die auf diese Kampagne hereinfallen, als ob sich so alle Probleme lösen ließen. Sie müssen sich hinsichtlich der Inhalte der Bildungspolitik wieder mehr zur Mitte hin orientieren, wenn man Ihnen das Bemühen um mehr Einheitlichkeit wirklich abnehmen soll.Lassen Sie mich nun auf einige der Argumente zum Strukturbericht eingehen. Die Bundesregierung beansprucht in ihrem Strukturbericht die Bundeskompetenz für die Regelung folgender Bereiche des Bildungswesens: erstens für die Regelung der Dauer der Bildungsgänge, insbesondere der Schulpflicht; zweitens für die Gestaltung des Zugangs zu den einzelnen Stufen des Bildungssystems; drittens für die Bewertung und Anerkennung von Abschlüssen; viertens für die inhaltliche Ordnung der beruflichen Bildung, insbesondere die Abstimmung von Rahmenlehrplänen und Ausbildungsordnungen; letztens für die Gestaltung der Lehrerausbildung. Die Bundesregierung begründet ihren Kompetenzanspruch damit, daß die von ihr behauptete, in den einzelnen Ländern unterschiedliche Bildungsentwicklung die Einheitlichkeit der Lebensbedingungen in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Des-halb sei die Bundeskompetenz notwendig, um die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern sachgerecht, neu zu ordnen, die Funktionsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung durch Entflechtung der Verantwortungsbereiche dauerhaft zu sichern und durchschaubare parlamentarische Entscheidungsprozesse zu ermöglichen.Diese Gründe reichen nach unserer Auffassung bei weitem nicht aus, um einen so tiefgreifenden Einschnitt in die föderative Ordnung unseres Staates zu legitimieren, wie Sie das vorhaben. Denn die derzeitige Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern ist im wesentlichen und grundsätzlich sachgerecht geordnet. Das System der Zuständigkeiten, der Gewichte und Gegengewichte zwischen Bund und Ländern ist alles in allem ausgewogen und hat einen wesentlichen Anteil an der Stabilität unseres Staatswesens. Eine akute oder langfristige Gefährdung der Einheitlichkeit der Lebensbedingungen in den Ländern der Bundesrepublik ist — bei allen Problemen im Bereich des Bildungswesens — nicht zu erkennen. Sie wird von denen, die sie behaupten, in unstatthafter Weise vergröbert und aufgeplustert. Unsere bundesstaatliche Ordnung funktioniert gut, sie entspricht dem gewachsenen Staatsaufbau Deutschlands in der Geschichte.Nun zu der Frage, wie einheitlich bzw. uneinheitlich das deutsche Bildungssystem heute ist. Dazu gibt es eine interessante rechtsvergleichende Studie des Max-Planck-Instituts für öffentliches Recht und Völkerrecht, in der es wörtlich heißt:Die bisherigen Erfolge der Vereinheitlichung oder Koordination durch die Kooperation zwischen den Gliedstaaten haben jedenfalls, soweit sie sich auf das gesamte Bundesgebiet erstrekken, in keinem der hier untersuchten Bundesstaaten — insgesamt sechs, darunter die USA sowie zum Vergleich zwei Zentralstaaten — das gleiche Ausmaß erreicht wie in der Bundesrepublik Deutschland durch die Arbeit der Kultusministerkonferenz.Ich habe das hier zitiert, weil damit ein Lob für die Kultusministerkonferenz verbunden ist, wenngleich sie gelegentlich sicher auch zu kritisieren ist. Aber dies ist ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten, über das Sie nicht so ohne weiteres hinweggehen sollten.
Der Strukturbericht der Bundesregierung enthält eine entstellende Kritik am Bildungsföderalismus, weil Sie die Probleme des föderativen Prinzips mit dem Vergrößerungsglas betrachten. Aber die Chancen, die ungeheuren Chancen, die in diesem föderativen Prinzip eben auch liegen, spielen Sie lieblos herunter. Wenn man die Probleme überakzentuiert, dann darf man sich nicht wundern, daß dabei ein unschönes Gemälde entsteht.Ich möchte mich den Punkten, die nach Auffassung der Kultusministerkonferenz ein, wie ich finde, eindrucksvolles Bekenntnis zum föderativen Prinzip darstellen, ausdrücklich anschließen. Es wird zu Recht darauf hingewiesen, daß der Föderalismus eine Stärkung der demokratischen Staatsform bedeute,
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Rühedaß er den Bürgern mehr Möglichkeiten gebe, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen, daß dem Bürger durch die zusätzliche Gewalten- und Machtteilung insbesondere geholfen wird, seine Freiheit zu sichern. Wer in der Freiheitsdiskussion in diesem Lande dafür sorgen will, daß die Freiheit des einzelnen Bürgers gesichert bleibt und ausgebaut wird, muß dafür sorgen, daß das Prinzip des föderativen Staates nicht durch eine weitere Kompetenzverlagerung ausgehöhlt wird.
In der Bildungspolitik selbst wirkt dieses föderative Prinzip problematischen Erscheinungen, die sich in modernen großen Staaten mit zentralen Großorganisationen verbinden können, insbesondere einer möglichen Bürgerferne, Anonymität und Bürokratisierung, entgegen. Positiv bedeutet dieses im Bildungsbereich eine größere Nähe zur schulischen Wirklichkeit, zu den Schulträgern, den Lehrern, den Eltern, den Schülern und damit eine breitere Informations- und Vertrauensbasis für schulpolitische Entscheidungen. Das föderative Prinzip ermöglicht Vielfalt und Vielgestaltigkeit innerhalb der Einheit des Gesamtstaates und gewährleistet eine Vielzahl politischer, wirtschaftlicher und kultureller Zentren. Lassen Sie mich letztlich darauf hinweisen: Das föderative Prinzip begünstigt den Wettbewerb, auch in der Bildungspolitik, durch Kontrast- und Alternativpolitik auf allen Entscheidungsebenen im staatlichen und im gesellschaftlichen Bereich. Wenn Sie immer sagen, Sie seien für Erneuerung und für Reformfähigkeit, dann müssen Sie begreifen, daß gerade dieses föderative System — das spreche ich nicht nur in eine Richtung, sondern diese Argumente sind früher auch sehr stark von Ihrer Seite gekommen, als es auf der Bundesebene noch andere Regierungsverhältnisse gab — mit seinem Wettbewerb die Erneuerungs- und Reformfähigkeit und den wechselseitigen Erfahrungsaustausch nur fördern kann. Ich weiß nicht, warum diese Argumente heute nicht mehr gelten sollen.
— Was ich gesagt habe, ist richtig.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, daß die Hamburger Sozialdemokraten — der Senator für Schulangelegenheiten, als die CDU hier noch regierte — gesagt haben: Gott sei Dank, daß wir den Bildungsföderalismus in dem Umfang haben; da können wir wenigstens unsere Politik machen und das durchsetzen, was wir für richtig halten. Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?
Ja.
Herr Kollege, nehmen Sie bitte meinen Zwischenruf zur Kenntnis: Bauen Sie bitte kein Phantom auf, weil wir in diesen Fragen einer Meinung sind!
Herr Schäfer, ich werde Sie nachher noch zitieren; aber es kann gar keinen Zweifel daran geben, daß sich die Maßnahmen, die Sie an den Gelenkstellen des Bildungswesens vornehmen wollen, auch auf die Inhalte auswirken werden
und daß den Ländern, die ohnehin schon am Minimum ihrer Zuständigkeiten angelangt sind, weitere wichtige Zuständigkeiten genommen werden und damit ihre Lebensfähigkeit in Frage gestellt wird. Sie können ihnen nicht alle Kompetenzen nehmen und sie damit letztlich zu Verwaltungseinheiten machen.
Aber ich werde Sie nacher noch zitieren.In der Argumentation der Bundesregierung zum Strukturbericht steckt im übrigen auch ein eklatanter Widerspruch. Die immer wiederkehrende Unlogik der Bundesregierung besteht darin — dieses Thema haben wir angesprochen —, daß sie einerseits behauptet, sie wolle eigentlich den Ländern hier nichts Entscheidendes wegnehmen, nichts antasten, daß sie aber andererseits mit den konkreten Forderungen nach einer Bundeskompetenz in fünf Punkten den Lebensnerv der Länder zerstört. Es kann auch sein, daß die Bundesregierung hier den Versuch macht, die Öffentlichkeit über das wahre Ausmaß der Kompetenzverschiebungen zu täuschen, indem sie von einigen wenigen Gebieten spricht. Ich möchte hier ausdrücklich dem Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz Dr. Bernhard Vogel zustimmen, der in der Debatte des Bundesrates zum Strukturbericht am 20. Oktober 1978 folgendes ausgeführt hat:Wenn man jetzt versucht, über eine Neuverteilung der Kompetenzen die Naht- und Gelenkstellen des Bildungswesens und damit auch die Bildungsinhalte in den Griff zu bekommen, dann besteht doch kein Zweifel daran: Wer die Naht- und Gelenkstellen des Bildungswesens in die Hand bekommt, bekommt auch seine Inhalte in die Hand. Man kann doch unter kenntnisreichen Fachleuten— Herr Schäfer —nicht aufrechterhalten, daß man nur gewisse Dinge regeln wolle, sondern jeder weiß doch, daß derjenige, der diese Naht- und Gelenkstellen regelt, auch die Inhalte regelt.So der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz im Bundesrat. Dies findet unsere volle Zustimmung.Die CDU/CSU ist selbstverständlich der Auffassung — wir haben das niemals anders vertreten —, daß auch für die Bildungspolitik ein einheitlicher Rahmen vorhanden sein muß, damit die Einheitlichkeit
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Rüheder Lebensbedingungen in der Bundesrepublik gewahrt wird. Was uns von Ihnen unterscheidet, ist, daß wir anerkennen, daß dieser einheitliche Rahmen in eigener Verantwortung der Länder in gemeinsamer Arbeit immer wieder neu erarbeitet werden muß. Dazu bedarf es nicht des Büttels der Bundeskompetenz.Neben der gewünschten Differenzierung der Bildungsgänge für unterschiedliche Begabungen gibt es — auch das erkennen wir ausdrücklich an — in Einzelbereichen unerwünschte Uneinheitlichkeit. Einzelne betroffene Familien werden sich darüber ärgern, und wir halten das für sehr berechtigt. Nur möchte ich vor einem Kult der Einheitlichkeit warnen. Wir müssen begreifen, daß Einheitlichkeit um jeden Preis nun allerdings auch kein Wert ist. Wenn alle einheitlich den falschen Weg gehen, ist das sicherlich schlechter, als wenn nur einige den falschen Weg gehen, viele den richtigen Weg wählen und dadurch in der Lage sind, die anderen noch nachzuziehen.
Ich meine, da müßte man auch Übereinstimmung herstellen können.Der Wert der Einheitlichkeit ist also nicht ohne die Frage nach den Inhalten, nach der Ausfüllung des einheitlichen Weges zu bestimmen. Wer sich für mehr Einheitlichkeit über den Weg der Kompetenzverschiebungen ausspricht, der muß auch inhaltlich Roß und Reiter nennen. Der muß sagen, wie er die neuen Kompetenzen inhaltlich ausfüllen will. Viele Mitbürger — da bin ich ganz sicher —, die grundsätzlich den Wunsch nach mehr Einheitlichkeit haben und sich heute über manche Probleme ärgern, würden sicherlich viel erbitterter sein, wenn es einheitlich hessische Verhältnisse in den Schulen, wenn es einheitlich bremische Verhältnisse an den Hochschulen gäbe.
Ich bin ganz sicher, daß ein solcher Bürger, der im Prinzip für Einheitlichkeit ist, sagen würde: Eine solche Einheitlichkeit, wie Sie sie uns da anbieten —, also dann doch lieber nicht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Rühe, halten Sie den Wunsch und die Forderung nach Einheitlichkeit für so verfehlt? Ich frage Sie in Anbetracht der Tatsache, daß Ihre Partei bereits auf dem Berliner Parteitag von 1971 folgendes darlegte:
Wir fordern, daß durch Änderungen des Grundgesetzes dem Bund das Recht eingeräumt wird, diejenigen Materien bundeseinheitlich zu regeln, bei denen das aus sachlichen Gründen geboten ist und wo Einvernehmen über erforderliche Maßnahmen besteht.
Herr Wüster, da sich das im Anhang zum Strukturbericht der Bundesregierungbefindet, können Sie wirklich davon ausgehen, daß wir uns das angeschaut haben und uns die Beschlüsse bekannt sind. Ich will das hier nicht lange auswalzen. Es war im übrigen 1968 der erste Beschluß. Aber 1969 haben wir ja mit unserer Zustimmung noch unter einem CDU-Verantwortlichen — Herr Stoltenberg war das — Kompetenzen im Hochschulbereich, Kompetenzen in der Bildungsplanung geschaffen. Ich werde nachher noch einmal etwas dazu sagen, wie denn eigentlich die Erfahrungen mit diesem Mehr an Kompetenzen für den Bundesbereich gewesen sind.
Sie müssen sich doch die weitere Entwicklung anschauen und können hier nicht einfach ein Zitat von 1968 bringen und nicht zur Kenntnis nehmen, daß man danach eine ganze Reihe von Erfahrungen mit der Verlagerung von Kompetenzen gesammelt hat, auch in anderen Bereichen.Es wird also deutlich, daß es ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach mehr Einheitlichkeit und den eigenen inhaltlichen Vorstellungen gibt. Der richtige Weg ist, auch wenn er nicht von allen beschritten wird, eben immer noch besser als ein gemeinsamer einheitlicher Irrweg. Ich meine, darin können wir alle übereinstimmen. Koop, nicht nur in Nordrhein-Westfalen verwirklicht, wie es von Ihnen ja geplant war, sondern einheitlich im Bundesmaßstab, das wäre doch sicherlich ein Schreckgespenst für alle Bürger gewesen. Damit hätten Sie auch noch den letzten Bürger vertrieben, der ansonsten sehr dafür ist, daß die Einheitlichkeit der Lebensbedingungen im Bundesgebiet hergestellt wird.
Nehmen wir aus der Bundespolitik das Beispiel der Rahmengestaltung des Hochschulwesens. Als .Hintergrund der Diskussion muß man ja auf die Frage eingehen,' woher die vorhandenen bildungspolitischen Differenzen und Uneinheitlichkeiten kommen, wer den bildungspolitischen Konsens aufgekündigt, hat, der sicherlich vor zwölf, fünfzehn Jahren noch in einem stärkeren Umfange als heute vorhanden war. Sozialdemokraten und Freien Demokraten müssen wir aber sagen: Wenn Sie heute die Vereinheitlichung und die Zuschüttung der bildungspolitischen Gräben verlangen, die Sie selber gegraben haben, dann können wir Ihnen dies auch nicht als glaubwürdig abnehmen und Ihnen entsprechende Kompetenzen auf der Bundesebene geben.Welche Erfahrungen haben wir mit dem Hochschulrahmengesetz gemacht, nachdem Sie diese Kompetenzen im Bundesbereich bekommen haben? Hier gibt es die Einheitlichkeit, und folglich müßten Sie nach Ihrer Theorie — hier gibt es die Kompetenzen — mit Leichtigkeit die Einheitlichkeit haben. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn Sie z. B. das Hochschulgesetz des SPD-regierten Landes Bremen prüfen — Bremen ist selbst vom Bundesministerium für Bildung, und Wissenschaft ausdrücklich bescheinigt worden, daß es sich nicht an das Hochschulrahmengesetz gehalten hat — oder wenn Sie sich an die Diskussion überall an den Universitäten im vorigen Herbst erinnern, stellen Sie fest, daß Vertreter der
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9340 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
RüheFDP wie der damalige Hamburger Wissenschaftssenator Biallas und Herr Franke aus Bremen von der SPD den Studenten gesagt haben, sie würden alle Möglichkeiten nutzen, um Schlupflöcher innerhalb des Hochschulrahmengesetzes zu entdecken, um sich von den Vorstellungen der CDU nur ja zu unterscheiden. Das beweist doch wieder einmal: Wenn man einen Kompromiß auf Grund der Rahmenkompetenz des Bundes gefunden hatte, haben Sie in dem Moment, wo Ihnen dies inhaltlich nicht gepaßt hat, alle Möglichkeiten gesucht, um sich von diesem Kompromiß und der gefundenen Einheitlichkeit zu verabschieden. Warum also sollten wir Ihnen ein Schulrahmengesetz zubilligen, wo wir doch voraussehen müssen, daß wir sehr schnell dieselben Erfahrungen machen würden, wie es im Zusammenhang mit dem Hochschulrahmengesetz der Fall gewesen ist!
Ich sehe doch heute schon die Diskussion vor mir: Nachdem man sich mühsam in einem Kompromiß geeinigt hat, dann wird, wenn sich einige Gruppierungen in der Öffentlichkeit gegen bestimmte Punkte aussprechen, abgerückt; dann sucht man Fluchtwege, und die Einheitlichkeit erschöpft sich in bloßen Formulierungen. Darauf können wir uns nicht einlassen.Nehmen Sie ein anderes Beispiel: die Gestaltung des 10. Schuljahres. In der Regierungserklärung von Bundeskanzler Helmut Schmidt am 16. Dezember 1976 heißt es:In Gesprächen mit den Ländern wird sich die Bundesregierung im übrigen für die Einführung eines Berufsgrundbildungsjahrs für alle Schüler einsetzen und diesem den Vorrang vor einem zehnten allgemeinbildenden Schuljahr geben.Wie sieht die Wirklichkeit aus?
Zahlreiche SPD-Politiker denken überhaupt gar nicht daran, dem Berufsgrundbildungsjahr den Vorrang einzuräumen.
Sie setzen eindeutig auf die Einrichtung eines zehnten Hauptschuljahrs.
— Die FDP auch! — Beispiel: In dem von der SPD und der FDP regierten Land Berlin wird schon jetzt, weniger als zwei Jahre nach dieser Regierungserklärung des Bundeskanzlers, das 10. Hauptschuljahr und eben nicht das berufsgrundbildungsjahr als Pflichtjahr für alle eingeführt — in eklatantem Gegensatz zur soeben zitierten Regierungserklärung des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt.
— Wo wird es überhaupt nicht eingeführt?
— Ach! Vielleicht sollten Sie, Herr Kollege, sich vorher ein bißchen informieren. Was uns angeht, gibt es in dieser Frage überhaupt keine Probleme.Was soll also Ihre Ankündigung, mit Hilfe einer Bundeskompetenz im Bildungswesen für Einheitlichkeit zu sorgen, wenn Sie die bildungspolitischen Differenzen innerhalb ihrer eigenen Partei — von der Koalition mal ganz zu schweigen — bereits so führen, daß sich das Bildungswesen zum Nachteil der Bürger auseinanderentwickelt? Auch daraus begründet sich unser Mißtrauen gegen Ihr Patentrezept der Bundeskompetenz. Der Strukturbericht der Bundesregierung ist alles andere als eine solide Grundlage für eine sachliche Diskussion über die bestehenden Probleme im Bildungswesen. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß die Bundesregierung hier einen Alleingang gemacht hat. Sie hätte besser daran getan, sich vor Erstellung des Berichts zusammen mit den Bundesländern an die Arbeit zu machen. Dann hätte man eine vernünftigere Diskussionsbasis bekommen. Daß dies nicht geschehen ist, liegt an der Bundesregierung.Ich wiederhole: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sperrt sich keineswegs gegen eine Diskussion, die das Ziel verfolgt, ein größeres Maß an Gemeinsamkeit in der Bildungspolitik zu erreichen.
— Ich bedanke mich für das „Sehr gut", aber eigentlich dürfte das keine Neuigkeit für Sie sein. Es kommt nur auf das Instrumentarium an, mit dem man mehr Gemeinsamkeit erreichen kann.Dazu ist Bedingung eine solide und seriöse, auch für die Länder als objektiv anzuerkennende Vorlage, die nicht eine Überakzentuierung der Probleme des föderativen Systems beinhaltet und sich eben in dieser Einseitigkeit an den Vorzügen des föderativen Aufbaus vorbeidrückt.Es ist vorhin schon an den Beispielen von Hessen und Nordrhein-Westfalen mit dem Koop-System angeklungen, daß das föderative System in der Bildungspolitik an maßgeblicher Stelle • Fehlentwicklungen verhindert, die Ausgangspunkt von ideologischen Zielsetzungen sozialdemokratischer und freidemokratischer Politik in Bundesländern wie Hessen, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg waren. Diese Politiken wären flächendeckend im Bundesgebiet eingeführt worden.
Wir hätten sie heute — das müssen sich die Bürger vor Augen halten —, wenn Sie diese Bundeskompetenz bekommen hätten.
— Das müssen Sie sich schon einmal ein bißchen genauer anschauen. Aber wir brauchen ja gar nicht in die Vergangenheit zu gehen. Schauen wir uns doch einmal an, was im Augenblick in Nordrhein-Westfalen geschieht. Ich hoffe dabei, daß Sie Ihr Debakel mit der Koop-Schule und die Bürgerferne, die dort deutlich geworden ist, noch nicht vergessen
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Rühehaben. Sie haben eine vernichtende Niederlage erlitten, auch aus dem Bereich Ihrer eigenen Wählerschaft, die Ihnen Ihre Bildungspolitik überhaupt nicht abnimmt.
Es geht in Nordrhein-Westfalen ja munter weiter mit einer Stufenlehrerausbildung, bei der Lehrer für eine Schule ausgebildet werden, die es überhaupt nicht gibt, weil dieses Stufensystem wegen Ihrer Niederlage in Sachen Koop-Diskussion nicht eingeführt werden kann.
Ich sehe da überhaupt gar keine Probleme.Wenn Sie behaupten — das hat man damals in der Koop-Auseinandersetzung gemacht; die Abstimmungsergebnisse zeigen aber, daß Ihnen die Bürger das nicht geglaubt haben —, daß man in Niedersachsen das gemacht habe, was Sie, in Nordrhein-Westfalen vorhatten, dann täuschen Sie sich gewaltig. Wenn es so gewesen wäre, dann hätten Sie ja einen großen Erfolg errungen, so wie die niedersächsische Landesregierung bei den Landtagswahlen einen großen Erfolg errungen hat.
Machen Sie doch das, was man in Niedersachsen macht; dann haben Sie auch einen entsprechenden Erfolg.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Immer?
Ja, gerne.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß in Rheinland-Pfalz die Musterschule der CDU-Landesregierung die Koop-Schule in Altenkirchen im Westerwald ist, die jeder Delegation als eine vernünftige und die beste Lösung für die Probleme im ländlichen Raum vorgezeigt wird?
Herr Kollege, ich muß Ihnen leider sagen, daß es Ihre Bildungspolitiker sind, die Sie mit den Etiketten völlig durcheinandergebracht haben. In Nordrhein-Westfalen
wird keine Schulpolitik der Kooperation, d. h. der Zusammenarbeit — Sie haben mich ja vorhin um Deutsch gebeten —, betrieben. Zusammenarbeit zwischen Hauptschulen, Grundschulen, Gymnasien und Realschulen aber ist genau unsere Politik. Nur: Das hat nichts mit Ihrem Koop-System zu tun. Da sind Sie auf den Etikettenschwindel Ihrer Bildungspolitiker hereingefallen.
Für eine Politik der Zusammenarbeit, der Kooperation, zwischen den einzelnen Bildungsarten hätten Sie unsere volle Zustimmung. Allerdings ist das Koop-System etwas ganz anderes. Das haben die Bürger in Nordrhein-Westfalen auch begriffen.
Da Sie gerade von Rheinland-Pfalz sprachen: Ihr Problem — und das tut Ihnen weh — sind ja die Flüchtlinge aus SPD-regierten Bundesländern nach Rheinland-Pfalz. Ich will hier keine persönlichen Beispiele nennen. Es gibt auch führende Sozialdemokraten, die ihre Kinder nicht an die hessischen Gesamtschulen schicken, sondern einen weiten Weg nicht scheuen, um sie eine Schule in Rheinland-Pfalz besuchen zu lassen. Das sollte Ihnen zu denken geben.
Das tut Ihnen weh. Deswegen wollen Sie flächendeckende Lösungen auf Grund einer Bundeskompetenz, weil dann diesen Flüchtlingen der Weg abgeschnitten werden könnte. Das ist etwas, was wir nicht wollen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Immer?
Bitte schön.
Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam machen — und ich frage, ob Sie es bestätigen, wenn Sie es nachprüfen —, daß eine Fülle von Eltern ihre Kinder von Rheinbreitbach bis nach Linz nach Bonn zur Schule schicken und von Mainz nach Wiesbaden, damit sie endlich die Lehrmittelfreiheit bekommen, die ihnen in Nordrhein-Westfalen und Hessen gewährt, in Rheinland-Pfalz aber vorenthalten wird?
Es tut mir leid, daß ich Ihnen an diesem Nachmittag so wenig bestätigen kann. Aber das liegt an Ihren Fragen, weil es einfach nicht stimmt, was Sie hier behaupten. Ich würde Ihnen sonst gern bestätigen, daß Sie sich richtig informiert haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohl?
Herr Kollege Rühe, ist Ihnen bekannt, daß es führende Sozialdemokraten in Hessen gibt, die ihre Kinder gern in die Gymnasien nach Mainz schicken?
Das ist mir bekannt. Ich kenne auch persönlich Fälle, möchte aber, um den Kollegen nicht zu nahe zu treten, keine Namen nennen. Dieses Problem der hessischen Flüchtlinge, die z. B. nach Rheinland-Pfalz gehen, ist ja bundesweit bekannt. Das wird man auch nicht vertuschen können.Für die bildungspolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre ist — das ist unsere Konsequenz — eben nicht der Föderalismus verantwortlich, wie es die Bundesregierung behauptet, sondern tatsächlich verantwortlich ist der verlorengegangene bildungspolitische Konsens zwischen den Parteien, der im
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RüheUrsprung in den Grundsätzen durchaus einmal vor- handen war. Er wurde aufgegeben, als SPD und FDP ihn zu einem Zeitpunkt aufkündigten, als sie die Bildungspolitik als ein Vehikel zur Gesellschaftsveränderung mißbrauchten und oftmals gegen den Widerstand der betroffenen Eltern, Kinder und Lehrer eine von ideologischen Zielen bestimmte Bildungspolitik durchsetzen wollten. Die Beispiele dafür sind bundesweit bekannt..Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel geben. Im nächsten Jahr soll das erste Mal auf der Bundesebene im Rahmen der zuständigen Bund-LänderKommission eine Überprüfung der Ergebnisse der Gesamtschulversuche vorgenommen werden. Nach den Verabredungen sind das Versuche; es waren einmal 40 Versuche im ganzen Bundesgebiet verabredet. Inzwischen sind durch Ihre Politik der Tatsachen, des Unterlaufens von vereinbarten Versuchen, 250 Gesamtschulen im Bundesgebiet gegründet worden. Es gibt bisher keine vernünftige Auswertung auf der Bundesebene. Das hindert das Bundesland Hamburg nicht daran, im nächsten Jahr allein in Hamburg 15 weitere Gesamtschulen einzuführen. Es geht also munter weiter mit den Alleingängen.
— Es wird auch noch Beifall geklatscht. Sie können ja gerne Beifall klatschen, nur Sie können dann Ihrem Minister nicht Beifall klatschen, wenn er sich hier hinstellt und mit Krokodilstränen sagt: Wir müssen die Uneinheitlichkeit in der Bundesrepublik beseitigen.
Dann bekennen Sie sich doch dazu, daß Sie Ihre Politik ohne Bereitschaft zum Kompromiß durchsetzen wollen. Das ist wenigstens eine ehrliche Einstellung. Dann werden wir um die Mehrheit in der Bevölkerung kämpfen. Aber Sie können nicht gleichzeitig so tun, als ob Sie bereit seien, für mehr Einheitlichkeit in der Bundesrepublik zu sorgen. Für eines von beiden müssen Sie sich schon entscheiden.
— Sprechen Sie bitte ein bißchen lauter, ich habe nur „Zwergschule" verstanden. Das veranlaßt mich, zu sagen, daß diejenigen, die früher angegriffen wurden, weil sie sich für kleine Schulen eingesetzt haben, inzwischen ja auf der Höhe des pädagogischen Fortschritts stehen.
Sprechen Sie doch einmal mit Ärzten, mit Psychologen und. mit Pädagogen. Sie sagen: Es gibt keine schlimmere Fehlentwicklung als Ihre Massenschulen für 2 000 bis 2 500 Kinder. Eine optimale Schule sollte nicht mehr als 800 Kinder haben. Von daher kann ich Sie nur davor warnen, sich hier aus pädagogischen Gründen über kleinere Schulen lustig machen zu wollen. Da sollten Sie schon einmal den Versuch machen, mit den betroffenen Eltern und Kindern zu sprechen.Meine Damen und Herren, wie erfolgreich war der Bund eigentlich mit seinen bisherigen Kompetenzen?Ich kann das sehr kurz machen, da es den hier anwesenden Kollegen bekannt ist. Nehmen Sie die Rahmenkompetenz für das Hochschulwesen, nehmen Sie die auswärtige Kulturpolitik, über die morgen zu reden sein wird, die Zuständigkeit in der betrieblichen Berufsausbildung, die Künstlerförderung, die Ausbildungs- und Forschungsförderung: In keinem dieser Gebiete hat die Bundesregierung den Beweis angetreten, daß sie effizienter und damit besser arbeiten könnte als die Bundesländer. Von daher besteht keine Versuchung für uns, Ihnen weitere Kompetenzen zu geben.Sie sollten sich alle einmal einen Augenblick vor Augen halten, wie die Bildungslandschaft insgesamt aussehen würde, wenn Sie 1970 diese Bundeskompetenzen bekommen und Ihren Bildungsbericht durchgesetzt hätten. Darin wurde die Forderung aufgestellt: 50 % sollen Abitur machen, davon soll die Hälfte studieren, was die berufliche Bildung sträflich vernachlässigt hätte. Die Probleme, die wir heute im Übergang zwischen Bildungswesen und Beschäftigungssystem haben, wären ins Ungeheuere gewachsen, wenn Sie 1970 die Kompetenz gehabt hätten, Ihren Bildungsbericht durchzusetzen.
Wieso soll ich heute mehr Zutrauen zu Ihrer Einsicht haben als 1970? Auch heute würde die Gefahr bestehen, daß die falsche Bildungspolitik durch diese Kompetenz durchgesetzt würde.Ein vorläufiges Fazit der Argumentation: Erstens. Die Forderung nach Regelungszuständigkeit des Bundes in den genannten Bereichen ist unbegründet und steht argumentativ auf sehr schwachen Füßen. Der Bund würde nicht in der Lage sein, für die umfassende Einheitlichkeit und Gemeinsamkeit zu sorgen, weil die Bildungspolitik — siehe 10. Schuljahr — selbst bei Ihnen umstritten ist. Zweitens wäre die Einheitlichkeit unter dem bildungspolitischen ideologischen Vorzeichen der SPD/FDP-Politik absolut unerwünscht. Drittens ist keiner der von der Bundesregierung im Strukturbericht .genannten besser zu koordinierenden bildungspolitischen Bereiche nicht ebensogut durch eine bessere Länderkooperation zu erreichen.Ich hatte Herrn Schäfer versprochen, ihn zu zitieren. Ich will das auch einhalten, auch wenn er im Augenblick nicht anwesend ist. Im Schlußbericht der Enquete-Kommission zur Verfassungsreform heißt es:Dem dargestellten Trend zu bundeseinheitlicher Gesetzgebung steht entgegen, daß das Grundgesetz aus Gründen der Machtverteilung zum Zwecke der Freiheitssicherung eine bundesstaatliche Ordnung gewährleistet. Eine Machtverteilung setzt die Existenz von Ländern voraus, die nicht auf die Funktion von Verwaltungseinheiten beschränkt, sondern Träger po- Mischer Entscheidungsgewalt sind. Sie bedürfen daher eines Freiraums für eigenverantwortliche politische Entscheidungen von einigem Gewicht und damit auch eines Mindestbereichs an eigenen Gesetzgebungszuständigkeiten.
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RüheSpäter heißt es, ganz konkret auf den hier zur Rede stehenden Bereich bezogen:Der hohe Verfassungsrang der eigenen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder erfordert eine strenge Prüfung, ob .die im Einzelfall für die Inanspruchnahme einer Bundeskompetenz geltend gemachten Gründe schwerer wiegen als die damit verbundene weitere Aushöhlung der Länderkompetenzen, die schon heute bis in die Nähe des durch Art. 79 Abs. 3 GG gewährleisteten Kernbereichs geschrumpft sind. Abgesehen davon, daß keineswegs feststeht, daß zentrale Regelungen von vornherein immer effizienter sein müssen als regionale, genügt dem in dieser Lage anzulegenden strengen Maßstab ein bloßer Gewinn an Effizienz allein nicht.Soweit der Bericht der Kommission. Wir können uns dem nur voll anschließen. Ich hoffe, daß Sie das auch in Ihrer Bildungspolitik verstärkt berücksichtigen werden.Lassen Sie mich abschließend etwas zum Diskussionsstand sagen, insbesondere zu den Forderungen, die wir im Rahmen dieser Diskussionen um den Strukturbericht für die nächsten Wochen und Monate an Sie stellen, damit wir wenigstens dieser Diskussion noch einen Sinn abgewinnen können.
— Die Diskussion ist vielfach in dem Sinne sinnlos gewesen, weil sie den Betroffenen nicht geholfen hat. Fragen Sie doch einmal einen Lehrling, was ihn diese Diskussion nützt, wenn er keinen Ausbildungsplatz bekommen kann.
Oder fragen Sie einmal den Schüler, der zusammen mit 36 anderen Schülern in einer Klasse Unterricht genießt, was ihn Ihre Diskussion nützt: überhaupt nichts.Erstens : Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung und die Regierungsparteien auf: Wenden Sie sich einer vernünftigen, realistischen und bürgernahen bildungspolitischen Arbeit zu. Lassen Sie ab von der ideologischen Fixierung der Bildungspolitik und öffnen Sie sich damit wieder für bildungspolitische Kompromisse mit den Unionsparteien, denn ohne die Zusammenarbeit mit den Unionsparteien sind Sie bildungspolitisch nicht handlungsfähig. Lassen Sie endlich ab von bildungspolitischen Sandkastenspielen mit immer neuen Organisationsmodellen, die den Betroffenen nichts bringen. Versuchen Sie nicht, mit immer neuen Organisationsmodellen an den Interessen der Betroffenen vorbeizudiskutieren, zu emotionalisieren, statt zu helfen.Zweitens: Leisten Sie als Bundesregierung einen konstruktiven Beitrag zu einer besseren Abstimmung im Bildungswesen, aber nicht indem Sie einen nutzlosen und, da zur Erfolglosigkeit verurteilt, auch ziellosen Kompetenzstreit mit den Ländern provozieren, sondern indem Sie mit objektiven wissenschaftlichen Untersuchungen Hilfestellung zu einer besseren Koordinierung der Bildungspolitik in der Bundesrepublik leisten. Stellen Sie keine verfassungsändernden Forderungen auf, die Ihnen ohnehin niemand zugestehen kann, erarbeiten Sie statt dessen vernünftigerweise Vorschläge zu konkreten Maßnahmen, wie einzelne Bereiche des Bildungswesens besser aufeinander abgestimmt werden können.Drittens und letztens: Wenden Sie sich ab von der bildungspolitischen Ideologisierung, die hauptsächlich darin besteht, daß Sie in einer Art erstarrtem Ausschließlichkeitsdenken nur noch einen Blick für die bildungspolitischen Maßnahmen haben, die auf die integrierte Gesamtschule, generell auf integrierte Bildungssysteme abzielen. Versuchen Sie nicht, diese bildungspolitischen Organisationsmodelle zu verabsolutieren, sie als Patentrezept, als Allheilmittel auszugeben. Unterwerfen Sie Ihre bildungspolitischen Vorstellungen der pädagogischen Erfahrung und den sich wandelnden Situationen bildungspolitischer Notwendigkeit.Gehen Sie als Bundesregierung und als SPD/FDPKoalitionsparteien dort, wo Sie in der Bildungspolitik die Zuständigkeit haben, und in den Gremien mit den Ländern, etwa der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung mit der CDU/CSU zusammen den Weg der bildungspolitischen Vernunft und Gemeinsamkeit. Dann wäre dies im Sinne dessen, was ich eingangs gesagt habe, eine Politik, die den Betroffenen direkt hilft, statt einen sinnlosen Kompetenzstreit in alle Ewigkeit fortzuführen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf Ihre Einlassungen, Herr Kollege Rühe, wird im Laufe der Debatte noch einzugehen sein. Hier kommt es jetzt vor allem darauf an, zuerst den Standpunkt der SPD-Fraktion zu dieser Sache im Zusammenhang darzustellen. Aber einige wenige Bemerkungen möchte ich doch sofort zu Ihrem Beitrag als Antwort bringen.Sie haben, Herr Rühe, das Bild vom Wiegen gebraucht und einmal mehr gesagt, der Strukturbericht sei gewogen und für zu leicht befunden worden. Ich glaube, wenn wir genauer hinschauen, dann haben Sie den Bericht mit seinem wahren Gewicht zu schnell von der Waage genommen. Sie haben ihn noch nicht wiegen können; denn Ihre Ungeduld hat Sie nicht warten lassen, bis der Zeiger der Waage das wahre Gewicht anzeigte.
Mit Ihren Äußerungen über den Bundesbildungsminister geht es Ihnen ähnlich. Die äußerlich schlanke Gestalt täuscht. Ich glaube, Sie werden von Monat zu Monat mehr genau das mit Respekt zur Kenntnis nehmen, was Sie hier geleugnet haben: die Tatsache, daß gerade dieser Bundesbildungsminister mit außerordentlicher Aufmerksamkeit und Ge-
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Lattmannduld den Interessen der Betroffenen folgt und zuhört.
Im übrigen haben Sie sich — was für den ersten Redner der Opposition verständlich ist — angesichts der legitimen Verlockung zur Polemik nicht recht für die Polemik allein entscheiden können. Aber Sie sind zwischen der Notwendigkeit, auch das Sachargument bringen zu müssen, und der Lust an der Polemik hier ein wenig wie ein Zitteraal hin- und hergefahren.
Meine Damen und Herren, natürlich ist es möglich — wenn auch durch die Tatsachen nicht gedeckt —, hier ein weiteres Mal zu sagen, der Bund habe alle Kompetenz beim Hochschulrahmengesetz gehabt. Tatsache ist doch: Sie hatten die Macht durch die Mehrheit in der zweiten Kammer, im Bundesrat. Sie haben uns einen Kompromiß aufgezwungen, den wir nicht wollten. Nun klagen Sie uns für die Folgen eben dieses Kompromisses an.
Zu einigen anderen Punkten muß ich sagen: Es ist immer wieder erstaunlich, in welchem Maße Sie uns ideologisches Verhalten vorwerfen, aber selber gar nicht begreifen, wie ideologisch Ihr konservatives Konzept ist.
Was ist denn Ihre pure Feindschaft gegen das Gesamtschulkonzept, das in soundsovielen wissenschaftlich erhärteten Untersuchungen
als ein demokratisches Alternativmodell bewährt und ausgewiesen ist? In Ihrer Gegnerschaft, ja, Feindschaft, gegenüber diesem Alternativmodell steckt doch eine Menge Klassenideologie des Dreiklassensystems — nur bemerken Sie das nicht.
Aber, meine Damen und Herren, in der Sachdebatte können sicherlich Kollegen aus Ihrer Fraktion, die hier das Wort noch ergreifen werden, Anreicherungen bringen. Das scheint mir vorerst noch sehr begrenzt gewesen zu sein.Nun aber zu dem, was für unsere Fraktion in diesem Zusammenhang zu sagen ist: Die Strukturschwächen der Bildungspolitik im Föderalismus sind so offensichtlich, daß jede Anstrengung, sie zu leugnen oder wegzudiskutieren, ins Leere liefe. Wer allerdings die Föderalismusdebatten im Deutschen Bundestag seit der ersten Legislaturperiode verfolgt, stößt seit dem FDP-Antrag auf Einrichtung eines Bundesbeirats für das Erziehungs- und Bildungswesen im Jahre 1952 und dem DP-Antrag auf Errichtung eines Bundesministeriums für Erziehung und Unterricht im Jahre 1954 bis hin zur Einigung auf den Bildungsgesamtplan im Jahre 1973 auf Widersprüche, unvereinbare Zielsetzungen und gewachsene Qualitätsunterschiede von historischer Dimension.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Tag ist ein bedeutsamer Tag, ... weil heute ... von seiten der Länderregierungen und vom Herrn Vizepräsidenten des Bundesrates festgestellt worden ist, daß es in unserem Bundesstaat gesamtstaatliche Verantwortung gibt, ohne Rücksicht darauf, wem, ob Bund oder Land, der Text unseres Grundgesetzes eine spezielle Kompetenz zuordnet ... Beim Bundesstaat teilen sich der Bund und die Länder in diese Aufgabe.. Für Bildung, Wissenschaft und Forschung gilt dies in besonderem Maße, .. .Der neue Denkanstoß, den die Bundesregierung allen für das Bildungssystem Verantwortlichen in der Bundesrepublik jetzt durch den Strukturbericht gegeben hat, war notwendig. Natürlich hatte der Bund das Recht, diese kritische Würdigung des föderativen Bildungssystems vorzulegen. Im übrigen ist die Schlußfolgerung der Bundesregierung erst nach der Stellungnahme der Länder erfolgt.Daß der Strukturbericht vielzählige Reaktionen von präziser Zustimmung bis zum Meinungsstreit über Fakten und politische Ziele auslösen würde, war vorauszusehen. Die Frage ist, welches Fazit aus dieser Diskussion gezogen werden kann. Jedenfalls wurde die öffentliche Diskussion über dieses in ,der Tat alle Menschen in der Bundesrepublik angehende Thema bisher zu selten aus der Sicht der Betroffenen geführt. Wenn man sich hinstellt und erklärt, man wolle, Herr Rühe, aus der Sicht der Betroffenen sprechen, ist das noch nicht 'dasselbe, als ob man auch wirklich aus der Sicht der Betroffenen Politik macht.
Die hauptsächlichen Fehlerquellen des föderativen Bildungssystems nach dem Verständnis des Strukturberichts müssen hier als bekannt vorausgesetzt werden. Die Details sind zu umfänglich, als daß man sie in dieser Debatte auch nur repräsentativ anführen könnte. Einige Beispiele aus der Praxis müssen deswegen stellvertretend für eine Legion stehen.Unlängst hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft den sogenannten Mängelbericht gewürdigt und u. a. erklärt — Zitat —:Die GEW begrüßt die deutlichen Hinweise des Mängelberichts auf die provinzielle Weigerung von Bundesländern, jeweils in einem anderen Land erworbene Qualifikationen von Schülern und Lehrern anzuerkennen.Weiter sagt die GEW:Eine solche Nichtanerkennung oder Abwertung von Qualifikationen, die nach länderspezifischen Regelungen erworben wurden, diskreditiert in bürokratischer Weise die Kulturhoheit der Länder. Eine solche Praxis widerspricht auch dem Grundgesetz, das ausschließt, daß dieDeutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November. 1978 9345LattmannLänder gegenseitig über ihre jeweilige Ausbildungspolitik zu Gericht sitzen und ohne jede Not in länderspezifische Entwicklungen und strukturelle Reforminitiativen eingreifen.Ergänzend dazu hat unlängst der Deutsche Junglehrertag auf die kaum zu übertreffende Uneinheitlichkeit in der zweiten Phase z. B. der Lehrerbildung verwiesen. So beträgt die Dauer des Vorbereitungsdienstes derzeit in Nordrhein-Westfalen zwölf Monate, in Bayern 30 Monate; Berlin und Baden-Württemberg haben überhaupt keinen Vorbereitungsdienst. Die eigene Unterrichtstätigkeit der Lehreranwärter wurde in Rheinland-Pfalz auf sieben Wochenstunden, in Baden-Württemberg auf 25 Stunden festgesetzt. Kein Wunder, daß der Vorsitzende der Abteilung Junge Lehrer im Verband Bildung und Erziehung daraus folgendes folgert:Wir sind uns mit dem sogenannten Mängelbericht der Bundesregierung sehr einig, daß wenigstens die Dauer des Studiums und des Vorbereitungsdienstes in den Grundzügen nach einheitlichen Maßstäben geregelt werden müssen, um ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit in der Lehrerausbildung in der Bundesrepublik zu erreichen.Soweit der Junglehrertag.Die Tatsache, daß die Technische Universität München auf Veranlassung des bayerischen Kultusministeriums kürzlich zwei Essener Studenten die Anerkennung ihrer an der nordrhein-westfälischen Gesamthochschule erworbenen Vordiplome verweigerte, weil nach Münchener Einschätzung angeblich die Gesamthochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen nicht als wissenschaftliche Hochschulen angesehen werden können,
ist für die betroffenen jungen Bundesbürger genauso unbegreiflich wie die andere Tatsache, daß z. B. der Erwerb der Fachhochschulreife in Hessen noch keineswegs zum Studium auf dieser Bildungseinrichtung in Nordrhein-Westfalen qualifiziert.
— Herr Daweke, ich kann vor allen Dingen bestätigen, daß einige Abschlüsse aus Bundesländern — wie z. B. Nordrhein-Westfalen — eher in westeuropäischen Nachbarländern, also im Ausland, denn in einigen konservativen Bundesländern anerkannt werden.
Eine junge Sozialpädagogin erlebte, daß ihre an einer hessischen Fachhochschule erworbene Fachhochschulreife außer im eigenen Bundesland nur in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Berlin anerkannt wird. Darin steckt zum Teil eine Bejahung dessen, was in Ihrer Frage zum Ausdruck kam. Dies war und ist ein Fall aus dem kulturföderalistischen Alltag.Da gibt es die unterschiedlichsten Formen der Übergänge etwa von der Grundschule in die Mittelstufe unseres Bildungssystems. Abschlüsse — insbesondere in der Weiterbildung — werden nicht hinreichend wechselseitig anerkannt. Die schulische Ausbildung in Berufsschulen und im Berufsgrundbildungsjahr sieht in den Ländern denkbar verschieden aus. Die Angebote und Pflichten in der Ausgestaltung der zehnten Klassen — schulisch oder berufsbildend — entfernen sich zwischen den Ländern kraß voneinander. In der Berufsbildung haben sich Bund und Länder im Interesse der Jugendlichen drei Jahre um ein Verwaltungsabkommen, um einen Mindestkonsens bemüht. Auch das wurde von Minister Schmude schon angesprochen. Er hat aber nicht gesagt, daß es in der entscheidenden Phase dann das CSU-regierte Bayern war, das als einziges Land ein Übereinkommen blockierte.In diesem Zusammenhang bedarf auch die Kultusministerkonferenz einer kritischen Würdigung. Sie ist, wie der Bremer Wissenschaftssenator Horst Werner Franke kritisch formuliert, zusehends zu einem „kaum noch konsensfähigen Anerkennungsorgan" geworden. Sie ist zudem eine Institution, die vom zuständigen Fachminister kaum noch zu überschauen ist und jenseits einer parlamentarischen Kontrolle in der Grauzone unserer Ministerialdemokratie operiert. Hier wird wohl die jüngere Rechtsprechung zur Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen von wichtigen Entscheidungen hilfreich sein.Dies alles ist Gegenstand des Strukturberichts, der die Zerklüftungen des Bildungsföderalismus durchwandert und offensichtlich macht, daß vor allem zwei Forderungen des Grundgesetzes in diesem schwer gangbaren Gelände ungenügend gewährleistet sind: Die Uneinheitlichkeit der Lebensverhältnisse in den Ländern gefährdet auf Bundesebene Chancengleichheit und Freizügigkeit.
Die C-Parteien haben sich mit diesem Thema reichlich schwergetan. Es hieß, der Mängelbericht der Bundesregierung sei unredlich und nutzlos. So kam es auch heute in Ihrer Rede, Herr Rühe, wieder zum Ausdruck. Die Statistik wurde bemüht, um dem erstaunten Publikum zu suggerieren, die Probleme des föderativen Bildungssystems gebe es gar nicht — sozusagen ein Wahlgang der Bundesregierung. Wenn alle diese Probleme nicht bestehen, wie die CDU/CSU meint, ist es doch erstaunlich, welche Resonanz dieser Bericht in der Öffentlichkeit gefunden hat.
Hier hat die Union wohl lernen müssen. So behauptet die CDU auf Ihrer Pressekonferenz am 1. März dieses Jahres:Übertrieben hochgespielt ist die Behauptung der Bundesregierung, die Freizügigkeit des einzelnen sei durch die in den Ländern vorhandenen Unterschiede insbesondere bei den schulischen Abschlüssen gefährdet.Ganze sechs Wochen später, am 20./21. April 1978, beschloß dann die Kultusministerkonferenz
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Lattmanneinstimmig — also auch mit den Stimmen der unionsregierten Länder — ihre beachtenswerte Stellungnahme, in der es heißt:Die KMK räumt ein, daß im föderativen Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland eine Reihe von Problemen und Schwierigkeiten aufgetreten sind, die einer Lösung bedürfen.Dieser Passus wird ja noch öfter in dieser Debatte eine Rolle spielen. Der amtierende KMK-Präsident, Kultusminister Braun aus Kiel, nannte diese Einstimmigkeit dann auch ein bildungspolitisch bedeutendes Ereignis.Dann, wenn der Bericht der Bundesregierung damit ausgelöst hat, daß das Gespräch über ein stärkeres Maß an Einheitlichkeit im Bildungsbereich neu belebt wurde und die in erster Linie zuständigen Kultusminister für, ihre Länder darangehen, tatsächlich mit Vorrang, wie es ja in der Entschließung hieß, die Probleme der Übergänge und der Abschlüsse mit gegenseitiger Anerkennung zu lösen, hat sich die Mammutarbeit schon im Ansatz gelohnt.
Befriedigt stellt aus diesem Grunde der Deutsche Gewerkschaftsbund in seiner Analyse des Strukturberichts fest:Jedenfalls hat der Bericht gerade bei der KMK seinen Erfolg erzielt. Er veranlaßt die Kultusministerkonferenz zu erklären, sie werde ihre Bemühungen um Vereinheitlichung verstärken.Im übrigen weist der Deutsche Gewerkschaftsbund darauf hin, daß sich in den strukturellen Unterschieden und Mängeln natürlich politisch Gegensätze äußern, deren Überwindbarkeit so notwendig erscheint, wie sie sich ,für gestern, heute und morgen als unerreichbar erweist.Die Debatte im Bundesrat am 20. Oktober 1978 legt gerade davon beredtes Zeugnis áb. Die Argumente sind - von CSU-Emotionen des scheidenden Ministerpräsidenten Goppel bis zur Bremer Nüchternheit Bürgermeister Koschnicks und zur so disziplinierten wie konzilianten Umsicht des Bundesbildungsministers Schmude — scheinbar erschöpfend ausgetauscht.
Realisten fürchten, daß sich nach dem Steinwurf ins Wasser und dem aufgeregten Wellengekräusel die bildungspolitische Oberfläche der Bundesrepublik bald wieder in Bewegungslosigkeit verschließt.
Was also gibt es hier ernsthaft Neues, Triftiges und am Ende auch Mehrheitsfähiges zu sagen? Man könnte es sich leicht machen und sich, wozu im Kern nicht wenige Verantwortliche neigen, hinter aktuelle Erfahrungen im Nachbarland Frankreich zurückziehen, indem man sich des dortigen Justizministers und Schriftstellers Alain Peyrefitte herber Kritik des Zentralismus anschließt, wie sie durch sein Buch „Was wird aus Frankreich?" dazulande inaller Munde. ist. So sehr dies bedenkenswert erscheint: Unsere geschichtlichen Voraussetzungen und Erfahrungen lauten anders.
Wir hatten allzu lange ein Kurfürstenproblem. Spötter behaupten, die Endmoräne dieser Historie sei im föderativen Bildungssystem inhaltlich und personell fixiert.
Wer nach den erforderlichen Konsequenzen aus den im Strukturbericht ermittelten Fakten fragt, fragt in der bundesrepublikanischen Praxis: Welche Mehrheiten stehen in den Parlamenten von Bund und Ländern zur Verfügung? Da bundesweite Verbesserungen des Bildungssystems auf beinahe allen Gebieten gegenwärtig nur durch die Mehrheit von Bundestag und Bundesrat, also durch SPD und FDP, CDU und CSU zu erzielen sind, besteht — abgesehen von dem legitimen Bestreben, diese Mehrheiten zu verändern — Einigungszwang oder Unfähigkeit zur Problemlösung.
Fortgesetzte parteipolitische Polarisierung, Herr Kollege Rühe, ist in dieser Lage — und zwar wegen des Interesses der Betroffenen — nicht nützlich, sondern hinderlich. Die Schuld an der Nichtbewältigung dringender Aufgaben träfe alle Parteien in den Parlamenten von Ländern und Bund.Deswegen sei festgestellt: Die Sozialdemokraten bekennen sich zur Vielfalt miteinander konkurrierender Angebote im Bildungswesen. Sie halten gleichzeitig an den Grundsätzen der Freizügigkeit und der gegenseitigen Anerkennung unterschiedlicher Bildungsgänge und Ausbildungsabschlüsse auf der Basis der Gleichrangigkeit fest. Ferner halten wir am Grundsatz der Chancengleichheit im Interesse der Schüler, der Auszubildenden, der Studenten, nicht weniger in Respekt vor den berechtigten Erwartungen der immer mit betroffenen Eltern wie der Lehrer, Ausbilder und Professoren fest.Die Leistungsfähigkeit des kooperativen Föderalismus muß sich allerdings daran messen lassen, wie weit er diese Ziele tatsächlich erreicht und damit seiner Gesamtverantwortung nachkommt. Gegenwärtig wird die bildungspolitische Zusammenarbeit zwischen den Ländern durch ein nahezu undurchschaubares System von Vereinbarungen der Kultusbürokratien bestimmt, die meist ohne Mitwirkung der Parlamente in Bund und auch den Ländern zustande kommen und daher die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers weitgehend ausschalten.
Der Strukturbericht der Bundesregierung hat sich auf bildungspolitische Eckwerte zugunsten der Gleichrangigkeit und Mobilität im Bildungswesen konzentriert. Bei diesen Eckwerten ist bedauerlicherweise eine Auseinanderentwicklung festzustellen. Sie geht nach unserer Auffassung auf die Tatsache zurück, daß zuviele bildungspolitische Positionen der CDU/CSU von den gemeinsamen Beschlüssen des Bundes und der Länder abgewichen sind, wie sie 1973 im Bildungsgesamtplan erreicht worden
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Lattmannwaren. Seine Beschlüsse in allen Bundesländern umzusetzen, die geltenden Minderheitsvoten nach Möglichkeit aufzulösen und auf dieser Basis die Weiterentwicklung der gemeinsamen Bildungspolitik zu verwirklichen, u. a. auch durch substantielle Fortschreibung des Bildungsgesamtplanes — das ist unsere erklärte, mit der bundespolitischen Opposition und Bundesratsmehrheit derzeit leider kaum herstellbare Konzeption.Für die Dauer der Bildungspflicht, für die Abschlüsse und Übergänge im föderativen Bildungs system müssen Regelungen gefunden werden, die dem Niveau einer modernen Bildungsdemokratie entsprechen. Aus der Sicht des Bundes sind einheitliche Regelungen und Gleichrangigkeit in der Praxis, in der beruflichen Bildung sowie in der Lehrerausbildung nicht weniger dringend erforderlich. Darüber haben wir uns nicht nur zwischen den Parteien auseinanderzusetzen, sondern auf der Ebene von Bund und Ländern auch in den eigenen Reihen. Wie schwierig das im einzelnen ist, welcher Grad an gemeinsamem Wollen erreichbar ist und wieviel Dissens auf lange Zeit bleiben wird, das weiß jeder Sachkundige. Deshalb ist es erforderlich, auch über feststehende Ergebnisse und mehrheitsfähige Positionen hinwegzudenken. In diesem Sinne führe ich folgende Thesen in die Debatte ein:Erstens. Bildungspolitik bleibt rückwärts gewandt, wenn sie sich überwiegend an machtvollen Gruppeninteressen der mittleren und älteren Generation orientiert. Priorität im Handeln und nicht nur in wortreicher Beschwörung verdient die junge Generation.
Ihre Ausbildungsprobleme und Zukunftschancen sind geistig, sozial und wirtschaftlich keineswegs mit den Erfahrungen, die bislang galten, völlig vergleichbar.Zweitens. Eine länderübergreifende, abgestimmte Bildungspolitik, die ernstlich von den Lebensnotwendigkeiten der Betroffenen ausgeht, kann auf mehr Einheitlichkeit im Bildungssystem der Bundesrepublik nicht verzichten. Die Nachricht, daß Politiker sich auch angesichts einer so absoluten Herausforderung nicht zu einigen vermögen, könnte bei der jungen Generation nur Zorn, Abscheu vor parlamentarischer Politik und Bildungsbürokratie, ja Staatsverdrossenheit hervorrufen.
Drittens. Verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten in verzweigten Bereichen bewirken auch in der Übergangsphase der besonderen Probleme geburtenstarker Jahrgänge auf die Dauer erweiterte Chancen für viele. Manche Reformer haben jedoch eine Folge der Ausweitung des Bildungssystems geflissentlich übersehen. Wo Millionen studieren oder anderen weiterführenden Ausbildungen nachgehen, können nicht Millionen zu Bevorrechtigten werden. Die Gleichheit der Chancen ist Voraussetzung für einen sozialen Staat, aber sie kann nicht auf die Gleichheit der Ergebnisse hinauslaufen.Viertens. Die Bildungsreform hat Besitzstände berührt. Das war die Absicht. Diejenigen, die das heute zurückdrehen möchten, können schwerlich das Gemeinwohl für sich in Anspruch nehmen. Einheitlichkeit im Bildungssystem ist erforderlich, aber nicht um den Preis der Rückkehr zu bildungspolitischen Klassenschranken des vorigen Jahrhunderts.
Fünftens. Da gegenwärtig und schon zu lange die parteilichen Interessen zwischen Bundesrat und Bundestag blockiert sind, da obendrein, wie jeder Realist erkennt, innerhalb der Parteien zwischen Bundestagsmitgliedern und Landtagsabgeordneten, zwischen Bundesorganisation und Landesinteressen so tiefe wie traditionsreiche Unterschiede bestehen, wäre es eine abwegige Hoffnung, die Überwindung der strukturellen Mängel unseres Bildungssystems käme lediglich aus der Kompromißbereitschaft oder gar aus dem guten Willen der verantwortlichen Mandatsträger und Behörden. Wie alle politische Erfahrung lehrt, muß Druck hinzukommen: Druck durch offenere Information über tatsächliche Blokkierungsinstrumente und Verhinderungsvorgänge, Druck durch eine neue Aufmerksamkeit für Bildungspolitik in den Medien und eine entschiedenere Bewegung zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung, Druck aus der Einsicht, daß eine Gesellschaft es sich nicht leisten kann, ihre junge Generation zu einer Jugend ohne Hoffnung werden zu lassen, Druck nicht zuletzt durch die Erfordernisse der sich ständig wandelnden Arbeitswelt im europäischen Maßstab.
— Herr Daweke, wollen wir darüber sprechen, wieviel Abstimmungen eher mit Emotionalisierung denn mit Vernunft herbeigeführt sind?
— Ich beschimpfe niemanden, sondern ich stelle nur sachlich fest: Überall in Wahlen und wahlähnlichen Vorgängen wird eine Menge Intelligenz angestrebt, um Menschen für dumm zu verkaufen.
Sechstens. Auf dem Weg nach Europa wird manche Einrichtung des bundesdeutschen Föderalismus unweigerlich provinziell. Auch jenseits der deutschen Teilung, die so bitter wie langfristig ist, sind wir kein großes Land, jedoch ein wirtschaftlich mächtiges. Die junge Generation kann nicht begreifen, daß wir die Kluft zwischen Ländern innerhalb der Bundesrepublik vertiefen, anstatt sie zu verringern. Wir haben in der Bildungspolitik viele Ebenen, manche meinen: zu viele. Niemand in Politik wie Verwaltung will vorerst, weil er dort weilt, auf eine dieser Ebenen verzichten. Soll die Bildungs-
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Lattmannbürokratie jedoch nicht in Unbeweglichkeit erstikken, brauchen wir Entrümpelung.Das heißt — siebtens —: Bildungspolitik wird mitverantwortet vom Bund, von den Ländern, den Bezirken, Kreisen und Kommunen. 1979 kommt durch das erste direkt gewählte Europaparlament allmählich, aber wohl unaufhaltsam eine sechste Ebene hinzu. Wer den wirtschaftlichen Tatsachen folgt, denen Politik allzu oft nur hinterdreinhinkt, weiß, daß sie innerhalb Westeuropas kaum noch Grenzen anerkennen. Das mindeste, was die bundesdeutsche Bildungspolitik als Antwort darauf zustande bringen muß, ist das Öffnen des Blicks für die Notwendigkeiten des eines Tages heraufkommenden europäischen Bildungsföderalismus.
Im übrigen — der Herr Bundeskanzler mußte leider fort; es wäre vielleicht gut, ihm würde das, da uns hier auch Fragen der europäischen Übereinkunft beschäftigen, übermittelt —: Die satirische französische Wochenschrift „Le Canard enchaîné" — das heißt so viel wie „Gefesselte Ente" — hat in der letzten Woche den Begriff „Helmutation Européenne" geprägt: europäische Helmutisierung.
Achtens. Im Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften, vorgelegt am 24. Oktober 1978, sind im Abschnitt 12, Bildungspolitik, die bisherigen Schwerpunkte markiert, u. a. die Vereinbarung zum Aufbau eines Informationssystems über Bildung und Ausbildung von Wanderarbeitern und deren Familienangehörigen, Übergang von der Schule zum Berufsleben, Lehren und Lernen moderner Sprachen, Maßnahmen und Zulassungsbedingungen zur höheren Politik. Der EG-Ausschuß für Bildungsfragen hat zu bedeutsamen politischen Punkten Entschließungsentwürfe vorgelegt, nämlich zu den Themen: gemeinsame Politik im Bereich der Hochschulzulassung, Sprachunterricht in der Gemeinschaft und Unterricht mit europäischen Bildungsinhalten an den Schulen der Mitgliedstaaten. Das sind viele goldene Worte, wie man weiß. Es ist zu bedauern, daß sich der Bildungsministerrat der Gemeinschaft, der am 27. November, am Montag dieser Woche, in Brüssel tagen sollte, vertagt hat und daß es noch keinen neuen Termin gibt; aber ein Anfang ist gesetzt, den wir im Alltag der Bildungspolitik innerhalb der Bundesrepublik nicht wieder aus den Augen lassen dürfen.Neuntens. In dieser Lage braucht die Bildungspolitik in Abstimmung zwischen Ländern und Bund eine Nahzeitlösung, eine mittelfristige Perspektive und eine Langzeitkonzeption. Alle drei können nur dann wirkungsvoll sein, wenn sie stufenweise aufeinander antworten und ebenso im Stufenverfahren mehrheitsfähig werden. Es steht fest: Kurzfristig ist eine Grundgesetzänderung zur Umstellung bildungspolitischer Kompetenzen nicht durchsetzbar. Also muß man vorläufig innerhalb der bestehenden Kompetenzen handeln. Zugleich ist es aber wichtig, daß die Bundesregierung ihre Auffassung über Gesetzgebungszuständigkeit in den Schlußfolgerungen aus dem Strukturbericht klargelegt hat. In den Bereichen Regelung der Bildungspflicht, der Übergänge und Abschlüsse, der beruflichen Bildung und der Lehrerbildung bleibt dies in der Diskussion.Zehntens. Bei all dem nutzen weder Ideologie noch Schlagworte. Die Jugend spürt, wer wirklich die Jugend meint. Materielle Erwartungen, die Älteren vorrangig wichtig erscheinen, besitzen für sie nicht dieselbe Priorität. Das auszusprechen ist kein billiger Appell an die Bereitschaft zum Idealismus. Doch wer Bildungsziele vorausstecken will, muß in der Auseinandersetzung der Machtinteressen Raum geben für das Zurückstecken von Gruppenegozentrik und Besoldungsstrategien der höheren Ökonomie.
Elftens. Zur Einheitlichkeit im Bildungswesen gehört auch anzuerkennen, daß Liberalität in allen Zweigen der Bildung eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist.
Wir appellieren mit aller Entschiedenheit an die CDU/CSU, erstarrte Fronten zu überdenken. Auch Sie sollten den Mut aufbringen, den verhängsnisvollen Fehler einzugestehen: Um einige tatsächliche oder vermeintliche Gegner unserer Verfassung vom öffentlichen Dienst fernzuhalten, haben wir Hunderttausende einer Überprüfungsmaschinerie ausgesetzt.
Das hat nicht zur Festigung unserer Demokratie beigetragen, sondern zur Einschüchterung,
ja Verängstigung eines erheblichen Teiles der jungen Generation. Bei uns gibt es seit alters mehr Mut zur Erziehung als Erziehung zum Mut.
Es ist eine Aufgabe aller Demokraten, dafür zu sorgen, daß wir in unserem Bildungssystem junge Menschen nicht zu willfährigen Anpassern, sondern zu selbstverantwortlichen Bürgern erziehen. Es wäre viel geholfen, wenn wir aufhörten, von Verfassungsfeinden zu sprechen — das ist ein Begriff, den das Grundgesetz nicht kennt —, sondern statt dessen verhinderten, daß Demokratiefeinde die Freiheit verderben.
Außerdem: In der Tatsache, daß unlängst der Landessprecher der CSU-Schülerunion an den neuen CSU-Ministerpräsidenten geschrieben hat: „Wir Schüler haben das Recht auf den Extremistenbeschluß" , sehen nicht wenige Bundesbürger einen Akt demokratischer Selbstverstümmelung.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9349
Lattmann— Kann man denn eigentlich nicht in diesem Hause z. B. mal mit aller Geduld und mit unerschütterlicher Gelassenheit daran erinnern, daß in der ersten Legislaturperiode dem Bundestag 15 kommunistische Abgeordnete angehört haben?
Kein Mensch hat damals gesagt, „jetzt geht die Demokratie kaputt", sondern wir haben das so erledigt, wie man es in einer Demokratie erledigt, nämlich mit dem Wahlzettel. Es kann doch niemand darüber hinwegsehen, daß es in der Bundesrepublik eine millionenhaftaufgeregte Kommunistenfurcht und eine von Ihnen angezettelte Kampagne gibt, aber kaum Kommunisten.
— Herr Lenz, bitte, lassen Sie mich zum Abschlußkommen. Ich habe noch einen, den Zwölften Punkt.
Zwölftens. Geduld ist eine politische Kategorie. Weder die Wehleidigkeit der Reformer noch die Kassandra-Rufe ewig rückwärts Gewandter können die junge Generation von der Einschüchterung und Hoffnungslosigkeit befreien.
Ein Jahr tätiger Beharrlichkeit und sachlicher Überzeugungskraft können noch immer die Bildungswelt verändern. Der kooperative Föderalismus hat auch eine einigende Funktion: die gesamtstaatliche Verantwortung. Der Strukturbericht der Bundesregierung macht die Probe auf das Exempel.
Das Wort hat der Herr Staatsminister für Unterricht und Kultus, Professor Maier, Bayern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vorgang, der dieser Debatte zugrunde liegt, nämlich die Probleme unseres Bildungswesens, ist ernst genug. Die Art, wie man ihn in die Debatte eingeführt hat, durch den sogenannten Mängelbericht der Bundesregierung, war allerdings denkbar unglücklich..
Da liest eine Bundesregierung den Ländern die Leviten auf einem Gebiet, wo sie gar nicht oder nur partiell zuständig ist. Da kommt sie zu Schlüssen, die die gemeinsame Geschäftsgrundlage für uns alle, nämlich die Verfassung, die bundesstaatliche Ordnung und den Föderalismus, ernsthaft betreffen, ohne daß die Länder an einer Bestandsaufnahme der Probleme — gegen die ja nichts zu sagen ist — überhaupt beteiligt waren. Sie sind in der Tat nicht beteiligt worden.Da bekennt sich der zuständige Bundesminister mit Deutlichkeit — mit einer schon nicht mehr erfrischenden, sondern enthüllenden Deutlichkeit — dazu, man habe den Bericht nicht zusammen mit den Ländern erarbeitet, weil sich die Bundesregierung davon — ich zitiere aus seiner Ansprache beim Bundesrat — „für die Klarheit der Problemstellung nicht allzuviel versprochen" habe. Er hat das heute ja wiederholt.
Da wird ein Prospekt gedruckt — ich nehme an, daß er nicht allen Mitgliedern diesen Hohen Hauses bekannt ist , in hoher Auflage, natürlich mit Steuergeldern,
in dem, ich kann es nicht anders sagen, gegen den Föderalismus Stimmung gemacht wird, gegen die bundesstaatliche Ordnung Stimmung gemacht wird. Denn da steht am Schluß: die Bürger mögen sich einmal melden, sie mögen zur Feder, zum Telefon greifen. Es werden zu allem Überfluß auch alle entsprechenden Anschriften der Kultus- und Schulausschüsse mitgeteilt. Schließlich mündet alles in den Vorschlag einer neuen Rahmenkompetenz für den Bund, obwohl doch jedem in diesem Hohen Hause klar ist, daß es dafür hier keine Mehrheit gibt und auch in Zukunft nicht geben wird.Ich stelle die Frage: Ist dies wirklich eine dem Bundesstaat und der föderalistischen Ordnung angemessene Politik? Ist das ein angemessenes Vorgehen? Wenn man gemeinsame Probleme, die uns alle bedrängen, einmal überblicken und auflisten will, dann kann doch nicht die eine Seite, die gar nicht unmittelbar zuständig ist, hier vorangehen und die andere ausschalten und zu einer Reaktion im nachhinein zwingen.
Damit die Bundesregierung vielleicht nachempfindet, was sie tut oder getan hat, möchte ich einmal den Spieß umdrehen. Ich stelle mir vor, es wäre anders gegangen: Die Länder hätten plötzlich entdeckt, der Bund oder die Bundesregierung machten von ihren Zuständigkeiten, sagen wir, in der auswärtigen Politik oder der Verteidigungspolitik einen schlechten oder sehr mäßigen oder unbefriedigenden Gebrauch.
Immer diese Rücktritte von Bundesverteidigungsministern und Inspekteuren! Man könnte ja durchaus sagen: Da stimmt etwas nicht mit der Kompetenz.
Die Länder könnten folgern, es gebe da ganz erhebliche Mängel und strukturelle Probleme; man müsse sie einmal erfassen, und wenn man es genauer ansehe, dann müsse man eigentlich dem Bund manche dieser Kompetenzen aus der Hand nehmen oder sie wenigstens an gemeinsame Richtlinien — in diesem Fall: der Länder — binden, vielleicht an hessische Rahmenrichtlinien; dann bleibt es in der Familie.
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Staatsminister Dr. MaierMan könnte sich auch vorstellen, daß dann ähnliche Broschüren gegen den Bund verfaßt und in den Ländern verteilt würden. Man könnte sich auch vorstellen, daß so etwas wie eine Länderexekution gegen den in diesen und jenen Kompetenzen versagenden Bund ausgeführt wird.Das alles klingt absurd. Aber absurd ist auch, was in dieser Frage bisher geschehen ist. Ich wollte auf diese Absurdität doch zu Anfang einmal hinweisen, weil wir, die unionsregierten Länder, es nicht als selbstverständlich hinnehmen können, daß der Bund sich hier zum Zensor über den anderen Partner, die Länder, macht, während sich die Länder bisher noch nie — ich kenne keinen einzigen Fall in der Geschichte der Bundesrepublik — zu Zensoren über den Bund gemacht haben. Parteien mögen miteinander streiten. Aber Bundesorgane haben kein Recht, übereinander herzufallen. Das hat neulich Herr Benda bei der Tutzinger Auseinandersetzung mit großer Deutlichkeit und vollem Recht herausgestellt.
Man darf annehmen, daß ein ausländischer Betrachter aus einem föderalistischen Staat, sei es ein Amerikaner oder ein Kanadier oder ein Schweizer oder sogar ein Sowjetrusse — denn auch die Sowjetunion ist ein Bundesstaat mit sehr unterschiedlichen Schulsystemen —, eine derartige Debatte nur mit Erstaunen und Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen würde. Er würde vielleicht aus einer solchen Debatte folgern, ein solches bundesstaatliches System, in dem Bund und Länder sich wechselseitig Vorwürfe machten, lebe nicht mehr sehr lang und sei von einer inneren Krise geschüttelt. Bernhard Vogel hat im Bundesrat bei der Debatte über diese Fragen sehr zu Recht daran erinnert, daß bundesfreundliches Verhalten nicht heißt, wie es manchmal in einer volkstümlichen Version dargeboten wird, daß allein die Länder zum Bund freundlich sein müssen, sondern es heißt im Gegenteil, daß auch der Bund sich gegenüber den Ländern freundlich zu verhalten hat.
— Sehr schön, daß wir darüber einig sind. Aber dann hätte einiges bei der letzten Debatte anders laufen müssen, Herr Schäfer.
Deshalb möchte ich an den Anfang, stellen: Probleme des Bildungswesens müssen im Rahmen des Bundesstaats und der föderalistischen Ordnung gelöst werden.
Sie können nicht dadurch gelöst werden, daß man die bundesstaatliche Ordnung zur Disposition stellen, sie ändern will und daß man ihre Verfahren für unmöglich und korrekturbedürftig hält.Für uns ist die bundesstaatliche Ordnung, ist der Föderalismus der Anfang der Debatte, der Ausgangspunkt, der die Richtung der Auseinandersetzung weist. Nicht dagegen ist bundesstaatliche Ordnung das, was übrig bleibt, wenn dem Gedanken der Einheitlichkeit entsprochen worden ist. Föderalismus ist nicht das, was unter dem Strich übrigbleibt, derRest, die belanglose Spielwiese, wenn diese Einheitlichkeit erreicht ist. Nein, er steht am Anfang. All unser Bestreben muß dahin gehen, mit den Mitteln des Bundesstaates, mit den Mitteln des Föderalismus soviel Einheit wie notwendig herbeizuführen. Dazu hat sich auch die Kultusministerkonferenz, dazu haben sich auch die Ministerpräsidenten bekannt.Es überrascht, daß Unterschiede im Bildungswesen eines Bundesstaates von vornherein als Mängel verdächtigt werden. Daß dieser Bericht den Titel „Mängelbericht" weg hat, daran ist die Bundesregierung nicht so unschuldig, wie uns Herr Schmude in seinen Äußerungen glauben machen will. Der Ton macht die Musik. Wenn man diese starkfarbige Broschüre und diese starkfarbigen ' Behauptungen hier liest, Herr Lattmann, dann wird einem deutlich, wohin der Angriff geht. Man kann das nicht hinterher durch geballten Einsatz von Höflichkeit und auch von Verhüllung ungeschehen machen.
Natürlich gibt es Lippenbekenntnisse zum Föderalismus auch in dem sogenannten Mängelbericht. Aber das Ziel ist eine Verstärkung der Einheitlichkeit, und zwar verselbständigt .sich dieser Gedanke vollkommen. Es ist richtig, wie Herr Rühe gesagt hat: Die Betroffenen verschwinden schon nach der dritten Seite aus dem Blick. Es geht im Grunde darum, diese bundesstaatliche Ordnung zu ändern. Aber damit wird das Wesen des Bundesstaates verkannt, denn der Bundesstaat lebt gerade davon, daß nicht alles gleich ist.Hier möchte ich einmal eine selbstkritische Frage an uns stellen. Haben wir nicht in den vergangenen Jahren in der Bildungspolitik dem Moloch Zentralismus und Einheitlichkeit schon viel zu viele Zugeständnisse gemacht? Wie steht es denn mit unseren Hochschulen? Wären nicht vielleicht unsere jungen Menschen heute froher und glücklicher, sie hätten noch ein Wettbewerbssystem zwischen den Ländern, ja, es gäbe noch Länderquoten, es gäbe noch die Möglichkeit, daß ein Land, das mehr Hochschul-und Studienplätze anbietet, dies auch honoriert bekommt? So aber ist durch bundeseinheitliche Regelungen der Wettbewerb getötet worden. Neue Studienplätze sind nicht mehr im gleichen Umfang geschaffen worden. Warum? Diejenigen Länder, die mehr auf den Markt bringen, fühlen sich getäuscht; es wird ihnen wegsozialisiert!
Andere Länder, die weniger tun, wissen, daß sie es von selbst zugeteilt bekommen. Ein solches Bezugscheinsystem führt zu einer Abtötung der lebendigen und werteschaffenden Konkurrenz.
Da hier eine erste Nagelprobe auf eine bundeseinheitliche Regelung gemacht worden ist, durchaus auch unter — wenn auch widerstrebender — Mitverantwortung der Länder, können wir doch die selbstkritische Frage nicht abwehren: Hat eigentlich dieser Schritt auf mehr Einheitlichkeit hin ver-
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Staatsminister Dr. Maierglichen mit den 60er Jahren wirklich für die Betroffenen etwas gebracht? Ich glaube, die Frage muß verneint werden.Wenn die im Mängelbericht aufgezeigten Unterschiede zwischen den Ländern der Bundesrepublik schon soviel Anstoß erregen: welche Mängelrügen müßten die Bundesstaaten der Welt auf sich ziehen? Ich nehme einmal nicht die Schweiz, die sich vier Sprachen und ganz unterschiedlich beginnende Sprachen leistet. Da sind die Umzugsmöglichkeiten unendlich geringer als in Deutschland. Ich nehme auch die Sowjetunion, die über acht verschiedene Sprachen in den Schulen hat, wobei ich mir habe sagen lassen: Es ist durchaus nicht so, daß man hier beliebig wechseln kann. Der Bundesstaat beruht nun einmal auf geschichtlichen Grundlagen. Deutschland ist ein pluralistisches Land. Das hat nichts mit Kurfürstentum zu tun. Darin liegt auch der Reichtum unserer Kultur, Herr Lattmann,
darin liegt auch die Voraussetzung dafür, daß es sehr unterschiedliche künstlerische und schriftstellerische Traditionen gibt, gewissermaßen vom Butt bis zum Zitteraal,
mit dem sie heute ihre Stellung in der deutschen Literatur liebenswürdig umschrieben haben.
Der Bundesstaat hat eben auch zur Voraussetzung, daß nicht alles gleich sein kann und daß man unterscheiden muß, was vereinheitlicht werden kann und was nicht. Ich hoffe doch, niemand in diesem Haus hängt dem längst vergangenen, verstaubten nationalstaatlichen Ideal der Einheitsschule an, wie es in Frankreich entwickelt. worden ist. Napoleons Ideal war ja nicht nur das einheitliche Rechtsbuch — darüber kann man reden —, sondern auch die zur gleichen Zeit an allen Schulen des Landes gelesene Tacitus-Stelle. Ich glaube, das wünscht sich heute doch niemand in unserer bunten und vielfältigen Welt herbei; das wäre ein Anachronismus und eine Illusion.
— Es ist, glaube ich, kein Popanz.
Da vorhin gerade das Stichwort Europa gefallen ist: Was haben wir denn heute in Europa? Ein lebhaftes Aufbegehren der Regionen gegen die Zentralstaaten. Ob Sie nach Italien schauen, nach Spanien, nach Portugal, nach Frankreich, es ist überall das gleiche.
Nur der deutsche Schütze soll wieder einmal allein den richtigen Tritt haben, wenn ganz Europa in der anderen Richtung marschiert, in Richtung auf mehr Regionalisierung, gegen die Zentralisierung.
Dann soll der Schütze Schmidt/Schmude hier allein recht haben gegen die übrige Welt.
Nun, ich möchte die Probleme, die in diesem Bericht behandelt werden, keineswegs verharmlosen. Die Länder haben sich trotz des unerfreulichen Vorspiels voll auf die Sachdebatte eingelassen, und dabei sollte es auch bleiben. Die Debatte über diesen Punkt muß sachlich weitergeführt werden. Dazu ist aber eine doppelte Feststellung nötig.Erstens. In jedem Bundesstaat wird es immer, ja, muß es Uneinheitlichkeit geben neben der notwendigen Einheit, deren Grad immer wieder in neuer Anstrengung zu bestimmen ist.
Wir sollten diese Uneinheitlichkeit nicht als einen schrecklichen Mangel, als einen defizienten Modus empfinden, der schleunigst überwunden werden muß. Das wäre ein falscher Einsatz.Zweitens. Für diese Vereinheitlichung, für den notwendigen Konsens, muß es eine Geschäftsgrundlage geben. Davon ist in dieser Debatte bei den Sprechern der Regierungsfraktionen vielleicht noch zuwenig die Rede gewesen. Die Geschäftsgrundlage haben wir nämlich. Sie besteht in unserer Verfassung, im Grundgesetz, und sie besteht im Hamburger Abkommen der Ministerpräsidenten der Länder. Meine Damen und Herren, ich könnte hier ich will wahrhaftig nicht auf Einzelheiten eingehen — alle die Punkte, die Herr Schmude in seinem Bericht nennt, darauf zurückführen, daß sich einzelne Länder von dieser gemeinsamen Geschäftsgrundlage entfernt haben,
ob es nun das 10. Schuljahr ist, ob es die Dauer der Schulpflicht oder andere sogenannte Eckpunkte unseres Bildungswesens sind. Hier macht man wirklich den Bock zum Gärtner.' Hier verfährt man wirklich nach der Devise „Haltet den Dieb!", wenn man auf die Unionsparteien zeigt. Ich könnte — ich kann hier für mein Land sprechen — keinen einzigen Fall nennen; ich bitte die Gegenseite wirklich, mir einen solchen Fall zur Kenntnis zu bringen, wo etwa Bayern vom Hamburger Abkommen abgewichen ist.Wohl aber gibt es eine ganze Fülle von Abweichungen. Ich will Sie nicht damit langweilen, aber ich will doch einiges nennen. Nach dem Hamburger Abkommen ist z. B. der Erwerb der allgemeinen Hochschulreife über das Gymnasium an das ausreichende Erlernen von Fremdsprachen, und zwar zwei Fremdsprachen, geknüpft. Trotzdem haben zwei Länder, die von der sozialliberalen Koalition regiert werden, wohl zur Erhöhung ihrer Abiturientenquoten, auch in sehr eigenwilliger Auslegung des Begriffs der Chancengleichheit, den Absolventen sogenannter Fachgymnasien mit nur einer Fremdsprache die allgemeine Hochschulreife zuerkannt. Erst als Schüler mit diesen Zeugnissen vergeblich an die Türen der Hochschulen in anderen Ländern
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Staatsminister Dr. Maierklopften — übrigens durchaus nicht nur Unionsregierten Ländern — und bemerkten, daß der sogenannte Bildungsfortschritt zu ihren Lasten gegangen war, war man bereit, in den Zeugnissen zu vermerken, daß diese Art von selbstgestrickter Hochschulreife eben nur im Erzeugerland gilt.
Und erst als die allgemeine gegenseitige Anerkennung von Hochschulzugangsberechtigungen zum entscheidenden Kriterium für die Berücksichtigung der Zeugnisse bei der Bildung der sogenannten Landes-quoten wurde — eine der ganz wenigen, man kann sie an einer Hand aufzählen, doch segensreichen Wirkungen des Hochschulrahmengesetzes —, da war man bereit, für die Zukunft auf solche Billigmacher zu verzichten.Meine Damen und Herren, es wird auf diesem Gebiet sehr viel, gelegentlich auch mit demagogischen Parolen gearbeitet. Ich höre immer die alte Metapher des langsamsten Schiffs, nach dem man sich nicht richten könne. Ich will dazu nachher noch etwas sagen.Es gibt aber auch bildungspolitische Billigpreispolitik, und Billigpreispolitik hat sich auf die Länge nie gelohnt, weil dann immer eine Mehrheit zu Abwehrmaßnahmen veranlaßt wurde. Wenn man die Preise senkt, wenn man nach dem Motto verfährt: „Gebt es halt billiger" und das auch noch verkauft als „Fördern statt Auslesen", als ob der Jugend mit Billigmachen irgendein Dienst getan wäre — ein Bärendienst, meine Damen und Herren! —,
dann muß man sich natürlich nicht wundern, daß die anderen Länder, die an den gemeinsamen Vereinbarungen festhalten, sich fragen: „Sind wir eigentlich verrückt, wenn wir von unseren Jugendlichen das verlangen, was alle Länder vereinbart haben?" Jetzt kommt das eine und das andere Land und verlangt das nicht, senkt die Anforderungen, stuft die Leistung zurück, verlangt aber die gleichen Folgen, gewissermaßen die gleichen Prämien.Hier komme ich auf den Punkt: Wodurch entstehen denn Unterschiede im Bildungswesen? Es wird immer so getan, als sei dies der Unterschied zu den langsam fahrenden Schiffen. Irgendwo vorn segelt ein sozialliberales Schiff mit einer männlichen oder weiblichen Galionsfigur an der Spitze des Fortschritts im Bildungswesen, segelt so schnell, daß es die anderen beinahe hinter sich läßt, und die bremsen und bremsen und stemmen sich dagegen, und so kommt der Zug nicht recht in Gang, und der Fortschritt, ach, hat sein Ziel wieder einmal nicht erreicht.Das ist aber eine Karikatur. In Wahrheit ist es umgekehrt. Diese Schiffe fahren alle mit einer gewissen Gemeinsamkeit auf der gleichen Linie, die durch Abkommen — Verwaltungsabkommen, Länderabkommen usw. — vereinbart ist. Wenn jetzt eines plötzlich ausbricht — ich habe Ihnen einen Fall geschildert und will Ihnen gleich noch einen schildern —, dann muß man sich nicht wundern, daß das eintritt, was im Leben, in der Politik und im Parlamentarismus häufig ist: Da isoliert sich je-mand. Sobald sich jemand isoliert — das braucht nicht nur Bremen zu sein, das kann auch einmal Bayern sein, das braucht nicht nur Hessen zu sein, sondern auch einmal ein Unionsland, warum nicht —, dann tritt eben das Problem auf: Nehmen die anderen seine Sondertour noch in Kauf oder nicht? Ich stelle fest: 90 % der Unterschiede, der Verschiedenheiten im Bildungswesen sind durch Ausbruchsversuche dieser Art eingetreten, die nicht durch gemeinsame Absprachen und Abkommen gedeckt waren. Der Föderalismus kann hierfür nicht schuldig gesprochen werden. Er hat mit dieser Sache gar nichts zu tun. Hier haben vielmehr Absprachen, die vorhanden waren, eben nicht mehr alle gebunden. Es waren bildungspolitische Extratouren, die den erfreulich weit gediehenen Konsens in Sachen Bildungspolitik immer wieder erschüttert haben. Ich erinnere nur an die gesetzliche Einführung der Gesamtschule als Regelschule in Hessen und Berlin, an die Schaffung sogenannter Gymnasien mit nur einer Fremdsprache — ich habe es schon erwähnt —, trotzdem mit voller Hochschulreife, an die an keine Voraussetzungen geknüpften Übergänge aus freiwilligen zehnten Klassen der Hauptschule in Fachoberschulen und gymnasiale Oberstufen und ähnliches mehr.Da mein Bremer Kollege gerade hier ist — ich bin nicht so unfair, ihm nicht nachher die Erwiderung möglich zu machen —, möchte ich auch ein Beispiel aus der Lehrerbildung nennen: Die Anerkennung Bremischer Lehramtsprüfungen macht uns in den Ländern im Augenblick aus folgenden Gründen Schwierigkeiten: Da wirken in der Prüfungskommission Studenten bzw. Referendare mit beratender Stimme mit. Sie können also auch durch Fragen an ihre Kommilitonen oder Referendarkollegen Ablauf und Niveau von Prüfung und Notengebung beeinflussen. Die Unabhängigkeit der anderen Mitglieder wird doch dadurch ganz selbstverständlich beeinträchtigt.
— Auf deren Mitwirkung würde ich noch etwas mehr vertrauen, da sie gesunden Menschenverstand einbringen.
Gefährlich ist es ja nur, wenn die Betroffenen selber die Bedingungen festlegen. Ich wäre auch bei Raumpflegerinnen dagegen, daß sie bei ihrem Examen beteiligt werden. Hier ist doch aber das Problem, daß die Betroffenen selber die Bedingungen ihrer Anstellung und ihres Abschneidens mitbestimmen. Im Ausbildungsausschuß und im Ständigen Prüfungsausschuß können Studenten und Referendare mitwirken — 4 von 16 bzw. 4 von 10. Da werden immerhin die Aufgaben mitbestimmt, da werden die Prüfungsabläufe, die Prüfungsorganisation mitbestimmt. Außerdem gehen in Bremen studienbegleitende Leistungen mit bis zu 40 °/o in die Endnote eines Faches ein.Ich will diese Aufzählung nicht ausdehnen. Nur bitte ich wirklich, den anderen Ländern eines zugute zu halten: Wir sind durch diese Ausbrüche,
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Staatsminister Dr. Maierdurch diese Extratouren, in eine schwierige Lage versetzt worden. Sollen wir denn bildungspolitische Inflation und Leistungsdumping in der Bildung durch Anerkennung auch noch honorieren — und das auf Kosten unserer eigenen Schüler und Studenten —,
oder haben wir nicht das Recht — und jetzt argumentiere ich durchaus für die Einheitlichkeit, die auch in einem bundesstaatlichen System steckt —, haben wir nicht das Recht
— die Pflicht —, auf der Einhaltung vereinbarter Gemeinsamkeiten zu bestehen und Ausbrechern tatsächlich die Anerkennung zu verweigern?
Das deutsche Bildungswesen verdankt seinen internationalen Ruf auch einer gewissen Strenge. Wenn vorhin von „Nüchternheit" die Rede war, dann sollte hier einmal daran erinnert werden, daß die Nüchternheit, die Strenge tatsächlich zu den wichtigsten Grundelementen eines Bildungswesens gehören. Wenn man diese Strenge herausnimmt, unter welchen sozialen Etiketten auch immer, tut man damit in Wahrheit den jungen Menschen gar keinen Dienst. Man kommt vielmehr dahin, daß über das deutsche Hochschulwesen, zunehmend auch über das Bildungswesen, im Ausland nicht mehr so günstig geurteilt wird, wie dies noch am Anfang des 20. Jahrhunderts, vor allem im 19. Jahrhundert, der Fall war.Meine Damen und Herren, Föderalismus ist kein Gnadenakt gegenüber leichteren Anforderungen. Das muß einmal deutlich gesagt werden.
— Entschuldigen Sie, wenn Sie dafür die Schule verantwortlich machen, muß ich Ihnen sagen, daß da das ganze moderne Leben in die Analyse einbezogen werden muß. Dort, wo Kinder wissen, wo sie hingehören, sowohl im Elternhaus wie draußen bei den Jugendverbänden wie in der Schule, ereignen sich solche Dinge am wenigsten.
: So ist es!)
Aber dort, wo alles unübersichtlich wird, wo alles möglich wird und wo damit jede Berechenbarkeit, jede Verläßlichkeit aufhören, dort, wo Ältere den jungen Menschen den Widerstand vorenthalten, den die jungen Menschen insgeheim von ihnen erwarten,
dort kommt es in der Tat zu dieser Neurotisierung der Jugend, die dann auch in Selbstmorden enden kann.
Wir sollten klar und deutlich sagen: Föderalismus ist kein Gnadenakt gegenüber leichteren Anforderungen. Föderalismus wird auch daran gemessen, daß eine gewisse Strenge und Gleichmäßigkeit der Leistungserwartungen in allen Ländern der Bundesrepublik in gleichem Umfang vorhanden ist.Ich will es mir ersparen, diese verschiedenen Züge von einem Land ins andere hier zu schildern, die einfach darauf zurückzuführen sind, daß es eben in machen Ländern billiger gegeben wird als in anderen. Ich halte das für einen Anschlag von seiten dieser Länder auf die Geltung unseres Bildungswesens und unseres Hochschulwesens und für einen Anschlag auf unsere Jugend, der man — ich kann es nicht oft genug sagen — mit Herabstufen und Billigmachen überhaupt nicht dient, sondern der man damit einen Bärendienst erweist.
Manch einer denkt, wenn erst einmal eine Bundeskompetenz geschaffen sei, dann löse sich das Problem, elf Länder unter einen Hut. zu bringen — und es ist wahrhaftig schwierig —, von selbst. Aber das ist ein Irrtum. Es ist sehr zu Recht von Herrn Rühe gesagt worden: Kompetenzverschiebungen haben noch nie zur automatischen Lösung eines Problems beigetragen. Sie können ein Beitrag zur Lösung sein. Aber es ist ein Köhlerglaube, zu meinen, allein durch Kompetenzübertragung lasse sich ein Problem leichter lösen.Die bisherigen Erfahrungen mit Bundeskompetenzen im Bildungswesen stimmen eben doch skeptisch.
Was hätten wir wohl erlebt, wenn die Bundesregierung 1970 die Kompetenz gehabt hätte, all das zu verwirklichen, was als große Vision, als Breitbandvision im Bildungsbericht 1970 aufgeführt wurde an künftigen Dingen in der Schul- und Hochschulpolitik? Vielleicht hätten wir eine Schulpflicht der Fünfjährigen, vielleicht hätten wir die Gesamtschule als Regelschule. Sicher hätten wir einen noch höheren Prozentsatz von Abiturienten, wahrscheinlich einen noch empfindlicheren Numerus clausus — denn das eine ist ja die Folge des anderen —, ganz abgesehen von sehr problematischen Entwicklungen im Hochschulbereich und der bindenden Vorschrift der Gesamthochschule.
Das alles macht Föderalisten nicht gerade enthusiastisch nach dem starken Arm des großen Bruders Bund.Wenn Sie die letzten Jahre überblicken, wissen Sie auch ganz genau, daß die ungeheuren Aufwendungen für unser Bildungswesen nur durch den föderalistischen Wettbewerb möglich geworden sind.
Ich begrüße es ja, daß die Länder aufeinander deuten und gelegentlich auch ein wenig aufeinander zeigen, ja einschlagen und sagen: Aber der hessische Kollege hat in dem Punkt viel mehr Geld für die Erwachsenenbildung. Da kann ich doch meinem Finanzminister gegenüber sagen: Bitte, wir müssen gleichziehen. Und wiederum kann ich sagen: Aber
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9354 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Staatsminister Dr. Maierich habe unendlich mehr für die Denkmalspflege als Hessen, das in diesem Punkt erst am Anfang steht. Dann kann er zu seinem Finanzminister gehen und sagen: Bitte, Bayern ist auf dem Gebiet weit vorne, wir müssen etwas nachziehen. Das ist doch wunderschön. Hat man denn überhaupt kein Gefühl mehr — ich möchte beinahe sagen: keine ästhetische, künstlerische und komödiantische Freude — für diese Mechanismen eines funktionierenden Bildungssystems?
Muß denn in unserem von Natur und Herkunft so reichen und vielstimmigen Land alles wieder auf ein Grau-in-Grau eingefärbt werden, auf Einheit, Einheit, Einheit?
Ich sage nicht, daß Länder den Verführungen des Zeitgeistes nicht genauso verfallen können wie der Bund. Es gibt wahrhaftig keine bundesstaatliche Automatik gegen solche Irrtümer. Aber solange es verschiedene Länder gibt, solange es konkurrierende Systeme gibt, solange Wettbewerb herrscht und trial and error gilt, so lange hat das Richtige und Vernünftige eine Chance, sich immer wieder gegen das Falsche und Ideologische durchzusetzen.
Der Zentralstaat, der Einheitsstaat genügt sich selbst; man sieht das an Frankreich und Italien in ihrer jüngsten Geschichte. Er hat nichts neben sich, was ihn in Frage stellen könnte. Er speichert alle Zeitirrtümer wie eine solide Sparkasse.
Im Föderalismus dagegen kann man vergleichen, man kann streiten, man kann experimentieren, man kann sich berichtigen und dann schließlich zu einem angemessenen und zuträglichen Lösungsmodell kommen. Der Föderalismus erlaubt es den Bürgern, sich ein Urteil zu bilden. Er wirkt, wenn man es ganz banal ausdrückt, wie ein System des Waren-und Preisvergleichs. Das ist nicht so wenig in einer Welt, in der die Barschaft an gemeinsamen Werten und gemeinsamen Zielen sehr klein geworden ist.Kurzum: Im Föderalismus ist mehr Markt und mehr Bürgernähe, weniger ideologische Rechthaberei und mehr Revisionsmöglichkeit. Das muß uns viele Mängel, echte und vermeintliche, weitaus aufwiegen.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schuchardt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Staatsminister hat der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe keine Achtung vor Staatsorganen. Ich möchte den Herrn Staatsminister umgekehrt einmal fragen, welche Achtung er eigentlich Parlamenten gegenüber hat, wenn er nicht einmal allen Fraktionen die
Chance gibt, sich in einem Parlament zu äußern, bevor die Exekutive eintritt.
— Sie brauchen sich überhaupt nicht zu empören. Ich gehöre in meiner Fraktion zu denjenigen, die sehr engagiert dafür eintreten, daß die Bundesregierung nicht ununterbrochen diesen Mißbrauch begeht. Deswegen habe ich vielleicht auch das Recht, dann, wenn dieser Mißbrauch von Ihrer Seite begangen wird, darauf hinzuweisen. Ich werde mich sehr intensiv dafür einsetzen — auch dann, wenn es um Ihre Redner geht —, daß sich nicht ununterbrochen Minister — auch nicht die aus einer Koalition, die ich für richtig halte - dazwischenschalten. Dies ist ein Recht des Parlaments, und hier sind wir in einem Parlament. Es muß doch möglich sein, darauf hinzuweisen. Wenn ausgerechnet Parlamentarier sich gegen einen solchen Hinweis verwahren, spricht das nicht unbedingt für das Selbstvertrauen dieser Parlamentarier.
Ich bitte, dem Redner die Möglichkeit zu geben, die Ausführungen ungestört fortzusetzen. — Ich bitte Sie, sich wieder zu beruhigen! Es ist doch keine Sensation, wenn ein Abgeordneter hier seine Meinung sagt.
Herr Franke, Sie sind ja ganz aufgeregt hier vorne.Meine Damen und Herren, was sich hier abgespielt hat, ist für mich in einer sehr schlimmen Weise auch ein Spiegelbild der Situation im Bildungsföderalismus. Das Sagen haben die Exekutive und die Kultusbürokratie und nicht die Parlamente. Genau das ist das Thema heute.
Herr Maier hat seine ganze Rede auf der Unterstellung aufgebaut, die Regierung und die sie tragende Koalition seien gegen den Bundesstaat. Dies ist ein fundamentaler Irrtum. Damit ging der größte Teil Ihrer Rede, Herr Maier, am Thema vorbei.
Wir sind sehr überzeugte Bundesstaatler, aber wir sind ganz besonders überzeugte Parlamentarier. Darum geht es.Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, es müsse Raum für Uneinheitlichkeit geben. Wenn die in dem Strukturbericht enthaltenen Vorschläge in die Praxis umgesetzt würden, bliebe noch sehr viel Raum für Uneinheitlichkeit. Ich habe überhaupt keine Angst vor dieser Uneinheitlichkeit unter den Ländern. Die kleine Anmerkung, daß wir Ihnen den
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9355
Frau SchuchardtKampf mit Ihrem Finanzminister verweigern wollten, ist eher ein Hinweis darauf, daß Sie den Strukturbericht überhaupt nicht gelesen haben,
und ein Hinweis darauf, daß Sie zu erkennen geben, daß Ihnen nicht klar ist, was hier überhaupt geregelt werden soll. — Sie können ja gar keine Kritik ertragen; das ist eigentlich auch kein besonders gutes Maß.Herr Maier hat dann selber darauf hingewiesen, daß es eine Reihe von Abkommen gebe, die doch bereits seit Jahren zwischen den Kultusbürokratien der Länder ausgehandelt worden seien. Genau darum geht es. Wir sind der Auffassung, daß diese Grauzone der Demokratie nicht das geeignete Mittel ist, das föderative System zu stärken, sondern eher ein Mittel, es zu schwächen.
Ich möchte noch auf einiges eingehen, was Herr Rühe gesagt hat. Herr Rühe, auch Sie haben sich leider nicht mit dem Inhalt des Strukturberichts auseinandergesetzt. Offenbar wissen Sie den einzelnen Punkten im Bericht nichts entgegenzusetzen. Auch Sie haben eine Reihe von Nebenkriegsschauplätzen hier eröffnet. Ich möchte nur auf einige eingehen.
Herr Rühe, es geht überhaupt nicht um die Kompetenz der Bundesregierung und eine Kultusbürokratie, die wir für diese Bundesregierung wollen, sondern es geht hier einzig und allein um die Kompetenz eines Parlaments, nämlich die Kompetenz dieses Parlaments, und es geht in diesem Zusammenhang um den Kampf gegen die Bürokratie. Wie ernst Sie den Kampf mit der Bürokratie nehmen, haben Sie heute bewiesen: Im Grunde genommen ist es nur ein Scheinkampf nach außen, aber wenn es darauf ankommt, erfolgt keine Entsprechung.Sie haben auf die Hessen-Flüchtlinge und die Rheinland-Pfalz-Flüchtlinge hingewiesen. Dies war ein ganz beliebtes Thema im hessischen Wahlkampf. Herr Dregger hat es gerne benutzt. Dann hat die Landesregierung einmal Bilanz gezogen, und siehe da, es gibt mehr „Flüchtlinge" von Rheinland-Pfalz nach Hessen als umgekehrt.
Herr Dregger hat dieses Argument im hessischen Wahlkampf dann auch nicht mehr verwendet, aber offenbar hat sich diese Richtigstellung bis zu Ihnen, Herr Rühe, nicht herumgesprochen. .
Im übrigen weiß ich nicht, ob Sie es nicht dennoch gebraucht hätten.Zur Frage der 15 Gesamtschulen, die in Hamburg gebaut werden: Schauen Sie, Herr Rühe, das eigentlich Unfaire ist, die Unwissenheit derjenigen, die natürlich mit dem Hamburger System nicht vertraut sind, zur Polemik zu nutzen. In Hamburg haben wir ein Schulgesetz, nach dem die Eltern wählen dürfen, ob sie ihre Kinder in eine Gesamtschule oder in eine andere Schule geben wollen. Es haben sich so viel Eltern, die ihre Kinder in Gesamtschulen anmelden wollen, gefunden, daß es notwendig ist, diese Anzahl von Gesamtschulen zu gründen.
Das ist also ein Elternvotum dafür gewesen, und eine Partei, die ununterbrochen davon redet, wie wichtig doch das Elternvotum ist, sollte es nicht dann, wenn es ihr nicht paßt, zum Negativen wenden.
Meine Damen und Herren, Zentralismus ist hier — soviel vielleicht noch zu Ihnen, Herr Staatsminister — überhaupt nicht gepredigt worden, aber in Bayern ist mir immer wieder das Argument entgegengekommen, daß die bayerische Schulpolitik außerordentlich zentralistisch gestaltet ist.
Es ist nämlich so, daß dort die allgemeine Schulordnung und alle Ergänzungsbestimmungen inzwischen Bände füllen, und danach — nach dieser Kultusbürokratie, die da offenbar in besonders extremer Weise zugeschlagen hat — haben sich ja nun die Schulen zu richten. Das bedeutet also Zentralismus auch in einem Bundesland. Derjenige, der hier gegen Zentralismus redet, spricht ja nicht eigentlich über Zentralismus, sondern, Herr Maier, gegen die parlamentarische Kontrolle und gegen die Rechte des Parlaments. Es geht hier gar nicht um Zentralismus.Meine Damen und Herren, der hier vorliegende Bericht ist die Folge einer langjährigen Bemühung der Freien Demokraten, die Diskussion über die Mängel eben unseres föderativen Bildungssystems aufzunehmen, und ich meine, dieser Bericht listet in einer bemerkenswerten Gründlichkeit die Momente der Auseinanderentwicklung im Bildungssystem auf. Es geht in dieser Diskussion überhaupt nicht um die gesamte Bundeskompetenz im. gesamten Bildungsbereich, etwa um eine riesige Kultusbürokratie auf Bundesebene. Dagegen sind auch wir ganz entschieden. Es geht hier vielmehr allein — und es ist wichtig, das immer wieder zu erwähnen — um die Gesetzgebungskompetenz in wichtigen, nach Einheitlichkeit geradezu verlangenden Grundsatzfragen
wie — und das ist die Beschränkung = die Dauer der Bildungspflicht, die einheitliche Regelung der Übergänge und der Abschlüsse, eine eindeutige Zuständigkeit für die Berufsbildung — nämlich die Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen — sowie letztendlich eine einheitliche Lehrerbildung. Um nicht mehr geht es hier.Es gilt in diesem Bericht nicht, den Bildungspolitiken der einzelnen Länder Zensuren zu erteilen, es geht also nicht um inhaltliche bildungspolitische Dinge, sondern es soll lediglich darauf hingewiesen werden, daß die gegenwärtige Ausgestaltung des
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Frau Schuchardtföderativen Bildungssystems zu Problemen geführt hat, die im Interesse der betroffenen Lehrer, Eltern und Schüler gelöst werden müssen.Liberale sind engagierte Föderalisten, weil sie die freiheitssichernde Funktion des föderalen Gewaltensystems für wichtig halten.
Aber wenn man den Föderalismus politisch für notwendig hält, muß er in den Bereichen auf seine Wirksamkeit überprüft werden, in denen sich Kompetenzverteilungen nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden der Bürger wenden. Hier müssen engagierte Föderalisten zur Korrektur bereit sein. Der Bericht zeigt, daß dieser Föderalismus in manchen Bereichen der Bildung zum Schildbürgerstreich entartet ist.Zu den, fast würde ich sagen: traditionellen Bestandteilen liberaler Verfassungspolitik im BundLänder-Verhältnis kann man folgende Zielsetzungen rechnen. Wir wollen ein Mindestmaß an Einheitlichkeit im Bildungswesen sichern, damit Chancengleichheit, Freizügigkeit und Mobilität gewährleistet sind. Wir wollen die parlamentarische Kontrolle und Verantwortung durch den Abbau der grauen Zonen in unserer Demokratie, wir wollen mehr Transparenz der Entscheidungsabläufe für den Bürger, der ja schließlich diese Entscheidungen zu tragen hat, und wir wollen die Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit des föderativen Regierungssystems verbessern. Wir wollen durch Abbau einer sich blockierenden Politik der Länder die Reformfähigkeit unseres Staates ausbauen. Diese allgemeinen Zielsetzungen unter dem verkürzten Motto „mehr Einheitlichkeit, mehr parlamentarische Kontrolle und mehr Problemlösungsfähigkeit" sind eben auch die Themen des Strukturberichts.Daß die Länder bereits die Notwendigkeit der Einheitlichkeit erkannt haben, ergibt sich daraus, daß wir eine Vielzahl von Abkommen, Vereinbarungen, Rahmenvereinbarungen, Staatsverträgen, gemeinsamen Ergebnisprotokollen und Beschlüssen der Kultusministerkonferenz über all diese Fragen bereits haben. Dieser zunehmende Umfang von Abkommens- und Staatsvertragssystemen erfüllt nun nicht gerade die gewaltenhemmende Funktion unseres föderativen Systems, sondern führt vielmehr zur Konzentration politischer Entscheidungsgewalt in den Regierungen und Verwaltungen, die sich zunehmend einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle entziehen.Nun sollte es eigentlich niemanden verwundern, daß sich der Bundesrat, also das Gremium der Länderregierungen auf Bundesebene, im Prinzip negativ zu diesem Bericht zeigt. Es geht schließlich um die kritische Analyse ihrer bisherigen Tätigkeit. Welche Bürokratie wird sich schon in ihrer Kompetenz selbst beschränken, und welche Exekutive sieht es nicht gern, wenn parlamentarische Kontrolle in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt ist? Unsere Ansprechpartner in dieser Frage sollten also weniger die Landesregierungen sein, sondern die Mitglieder der Landtage, Bürgerschaften und des Abgeordnetenhauses. Alle Abgeordneten in Bund und Ländern sollen oder müssen sogar ein Interesse daran haben,daß Verantwortungsbereiche und die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern so geordnet sind, daß die Entscheidungsprozesse durchschaubar sind, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gesichert ist und die Parlamente in wichtigen Fragen nicht lediglich Vollzugsorgane der überregionalen Regierungs- und Verwaltungsgremien darstellen.
In der Bildungspolitik ist dieses verständliche und notwendige Interesse der parlamentarischen Kontrolle, der Einheitlichkeit und der Transparenz der Entscheidungen keineswegs gewährleistet. An einigen Beispielen, die im Bericht umfangreich untersucht wurden, möchte ich verdeutlichen, zu welchen Schildbürgerstreichen die derzeitige Kompetenzzuständigkeit entartet ist.Wir alle können uns noch daran erinnern, daß es Länder mit achtjähriger und neunjähriger Vollzeitschulpflicht gab. Damals waren viele der Auffassung, das neunte Vollzeitpflichtschuljahr sei ohnehin sinnlos. Heute ist es Allgemeingut geworden. Zur Zeit haben wir nun in einer geradezu beängstigenden Weise eine unterschiedliche Entwicklung, was die Einführung eines zehnten Schuljahres betrifft. Übrigens läßt die Vereinbarung, die die Länder getroffen haben, das absolut offen. Sie haben sich bloß auf neun Vollzeitschuljahre verständigt, lassen aber die Einführung eines zehnten offen. Nun kann es sehr wohl als ein Hauptschuljahr eingeführt werden oder als Berufsgrundbildungsjahr; oder es kann, wenn es in der Hauptschule eingeführt wird, die Wiederholung des neunten für diejenigen sein, die den Hauptschulabschluß noch nicht erreicht haben. Es kann aber auch ein selbständiges zehntes sein. Wenn es in Berufsgrundbildungsform geführt wird, kann es entweder bereits Teil der Ausbildung oder lediglich berufsvorbereitend sein.Meine Damen und Herren, wer bei solchen Themen derartig uneinheitliche Entwicklungen sieht, meine ich, muß wohl darüber nachdenken, ob eigentlich die Kompetenz
der Entscheidung darüber, wie lange die Vollzeitschulpflicht dauern soll, richtig angesiedelt ist. Dies schreit doch wohl geradezu nach Einheitlichkeit.
: Sie sollten zunächst
darüber nachdenken, woher diese Unterschiedlichkeit kommt!)Meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der der Arbeitsmarkt einen ausgesprochen mobilen Bürger erwartet, wird durch solche Entwicklungen die Mobilität sicherlich nicht gerade begünstigt. Daß die Länder in dieser Frage eine Vereinheitlichung für notwendig halten, wird gerade dadurch deutlich, daß sie bereits eine Reihe von Abkommen beschlossen haben. Dies ändert aber überhaupt nichts daran, daß wir im Augenblick eine sich weit auseinanderentwickelnde Situation haben.Zur Zeit bietet unsere Verfassung also folgende Alternative: Entweder entwickeln sich die Länder auseinander — daran wären dann zwar die Länderparlamente beteiligt, aber um den Preis der Unein-
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Frau Schuchardtheitlichkeit —, oder die Kultusbürokratien der Länder einigen sich auf der Ebene der Kultusministerkonferenz, um Einheitlichkeit im Bundesgebiet sicherzustellen, allerdings mit der Folge, daß die Parlamente nicht den geringsten Einfluß auf die Entwicklung hätten.
Dies kann doch nur heißen, daß der einzig wirklich vernünftige Weg darin liegt, die Bildungspflichtdauer und die Ausgestaltung des zehnten Bildungsjahres durch Bundesgesetz einheitlich zu regeln. Mehr soll da nicht geregelt werden.
Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel für die zunehmende Auseinanderentwicklung in den Ländern nennen. Die Länder behaupten, daß sich das derzeitige Instrumentarium der Vereinbarungen und Abstimmungen zwischen den Ländern bewährt habe. Für Übergänge von einer Schulart zur anderen gilt eine Vereinbarung aus dem Jahre 1960 in der Fassung vom März 1966. Darin wird u. a. grundsätzlich festgestellt, daß das natürliche Recht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder bei der Wahl des Bildungswesens beachtet werden muß. In der Vereinbarung über die Orientierungsstufe von 1974 heißt es, daß die Möglichkeit eröffnet werden solle, die Entscheidung über die Schullaufbahn bis zum Ende der Klasse 6 offenzuhalten, um sie dadurch auf eine verläßlichere Grundlage zu stellen.Diese Vereinbarungen haben nicht daran gehindert, daß der frühere baden-württembergische Kultusminister Professor Hahn mit seiner letzten Amtshandlung das Verfahren des Übergangs von der Grundschule zu weiterführenden Schulen erheblich verschärft hat. In Baden-Württemberg werden die Schüler in der Klasse 4 ausgelesen und an die für sie angeblich passende weiterführende Schule versetzt.
Nicht der Elternwille, schon gar nicht der Wunsch der Kinder, sondern der Notendurchschnitt im Zeugnis und die Schulen entscheiden über den weiteren Bildungs- und damit Lebensweg des Kindes. Nur derjenige darf auf ein Gymnasium, der im letzten Grundschulzeugnis den Notendurchschnitt von 2,5 erhält — bedenken Sie: wir reden hier über Zehnjährige. Das muß man sich einmal vorstellen —, oder derjenige, der den gleichen Notendurchschnitt in einer Reihe von Probearbeiten erreicht.So gibt es zwar eine Reihe von Vereinbarungen, an die sich die Länder aber wohl kaum halten. So beobachtet denn ein Elternpaar, wenn es sich beruflich verändern will und deshalb in ein anderes Bundesland ziehen muß, daß in einem Land der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule nach der vierten Klasse, in einem anderen nach der sechsten Klasse geschieht, daß es in einem dritten Land eine schulformunabhängige Orientierungsstufe, in einem vierten Land schließlich die schulformabhängige Orientierungsstufe am Gymnasium, an der Realschule oder an der Hauptschule gibt. Wird der Vater eines Kindes, das in der fünften Klasse ist, versetzt, so kann es wohl nicht ausgeschlossen werden, daß für diese Familie der bittere Satz zutrifft: Vater versetzt, Kind sitzengeblieben. Hier kann eine wirklich vernünftige Entscheidung doch nur dahin gehen, daß die Gestaltung des Übergangs zu den weiterführenden Schulen auf längere Sicht in den Grundzügen nach bundeseinheitlichen Maßstäben erfolgen muß, wenn die Freizügigkeit im Bundesgebiet und das notwendige Maß an Chancengleichheit und -vergleichbarkeit im Bildungsangebot nicht gefährdet werden sollen.Ich möchte noch ein drittes Beispiel nennen: Wir alle wissen aus der Diskussion über das Berufsbildungsgesetz, daß der Bund für die Ausbildungsordnungen zuständig ist, die Länder aber für die Rahmenlehrpläne zuständig sind. Bis heute nun hat man sich nicht einigen können, wie denn das Abstimmungsverfahren vernünftig zu praktizieren sei,
wobei Einstimmigkeit eine notwendige Voraussetzung ist. Das heißt: Das langsamste Schiff im Geleitzug der Länder entscheidet über das Tempo in dieser Frage. Wenn dies dann schließlich in der Grauzone zwischen Bund und Ländern passiert ist, kann man hier wohl kaum davon sprechen, daß es sich um eine wirksame Kontrolle und Mitgestaltung durch die Parlamente in Bund und Ländern handelt.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 20. Oktober eine Stellungnahme zum Strukturbericht beschlossen, die den in diesem Bericht ausgesprochenen bildungs- und verfassungspolitischen Problemen nicht im geringsten gerecht wird. Auf zwei Seiten eines Beschlusses lassen sich die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems nicht abhandeln, auch wenn man dabei auf die Stellungnahme der Kultusminister vom April verweist. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Beschluß des Bundesrates mit keinem Wort auf die angesprochenen Sachfragen eingeht,
sondern sich nur über die Vorzüge der föderativen Ordnung, den hohen Ausbaustand des Bildungswesens, eine attraktive Kulturpolitik und den Wettbewerb der einzelnen Länder um bessere Sachvorstellungen ausläßt. Alles dies kann man auch mit den vorgeschlagenen Kompetenzveränderungen erhalten. Es wäre wirklich schön, wenn die Probleme so einfach lägen, wie es die zehn Bundesländer im Bundesrat zum Ausdruck gebracht haben, die für diesen Antrag gestimmt haben.Bei der Diskussion über den Strukturbericht geht es aber ganz sicher nicht um eine so einfache Alternative wie Zentralismus oder Föderalismus. Wer dies behauptet, hat entweder den Strukturbericht nicht gelesen oder nicht verstanden oder absichtlich mißverstanden.
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Frau SchuchardtDie von der CDU/CSU regierten Länder haben in ihrem Antrag im Bundesrat erklärt, die Forderungen, die sich aus dem Bericht der Bundesregierung herleiten, seien weder berechtigt noch hinnehmbar. Im Beschluß des Bundesrates heißt es, das Instrumentarium der Vereinbarungen und Abstimmungen zwischen den Ländern habe sich nachweislich bewährt. Wenn man sich die Beispiele, die ich bereits aufgeführt habe, vor Augen führt, kann man eine solche Bemerkung wohl nur als Zynismus bezeichnen.Ich will noch weitere Beispiele für sogenannte Abstimmungserfolge nennen. Nach rund einjähriger Auseinandersetzung konnten sich die Regierungschefs von Bund und Ländern am 4. November 1974 auf ein gemeinsames Programm zum Abbau des Numerus clausus und zur Öffnung der Hochschulen für die geburtenstarken Jahrgänge einigen. Ich halte dies für ein politisches Wunder, das maßgeblich vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Numerus clausus 1977 erleichtert wurde. Ohne diese wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hätte es sicher keine Einigung zwischen Bund und Ländern gegeben. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Dr. Vogel hat damals dem Bundesverfassungsgericht vorgeworfen, es geriere sich als Bundeskultusministerium. Ich will hier das schwierige Problem des Verhältnisses von Politik und Verfassungsgericht nicht vertiefen. Eines erscheint mir allerdings klar: Wer nicht will, daß das Bundesverfassungsgericht die wesentlichen gesamtstaatlich verantworteten Entscheidungen im. Bildungswesen trifft, muß die Problemlösungsfähigkeit des föderativen Regierungssystems entscheidend verbessern.
Noch heute gibt es aber Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses berühmten Programms zum Numerus clausus der Regierungschefs untereinander. In den einzelnen Ländern wird die Überlastquote, die vom Bundesverfassungsgericht für die geburtenstarken Jahrgänge gefordert wird, keineswegs bereitgestellt. Genauso problematisch ist es aber, daß in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung seit 1976 über ein Programm für vordringliche Maßnahmen zur Minderung der Beschäftigungsrisiken von Jugendlichen beraten wurde, das dann trotz zahlloser Abstriche und Kompromisse nicht einmal die Zustimmung aller Landesregierungen fand und von der bayerischen Staatsregierung abgelehnt wurde. Und dies geschah bei einem Dringlichkeitsprogramm.Die Problematik von Entscheidungen nach dem Prinzip, daß das jeweils langsamste Schiff das Tempo bestimmt, ist über alle Parteigrenzen hinaus bekannt; nur sollten endlich die Konsequenzen daraus gezogen werden. Die FDP hat bereits in der 5. Legislaturperiode für den Hochschulbereich die volle Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Hochschulwesen gefordert. Herr Lattmann hat bereits darauf hingewiesen. Es ist außerordentlich bedrückend zu hören, daß diejenigen, die dazu beigetragen haben, daß dieses Hochschulrahmengesetz sound nicht anders aussieht, uns das anschließend vorwerfen.
Wo ist denn letztendlich die Entscheidung gefallen? Im Vermittlungsausschuß zwischen Bundesrat und Bundestag — natürlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Wir durften dann nur noch bestätigen.Zielsetzung liberaler Verfassungspolitik im BundLänder-Verhältnis ist die Forderung, die parlamentarische Kontrolle und Verantwortung durch Abbau der grauen Zonen der Demokratie zu verbessern.
Wir wollen auch mehr Transparenz der Entscheidungsabläufe für den Bürger, und wir wollen autonome Entscheidungsmöglichkeiten der Parlamente. Zentrale Fragen der Bildungspolitik dürfen nicht weiter an den Parlamenten in Bund und Ländern vorbei entschieden werden.
— Das ist genau das Problem, Herr Pfeifer. Ich habe den stillen Verdacht, daß Sie das Problem überhaupt nicht erkannt haben. Sonst wäre die Rede von Herrn Rühe nicht zu verstehen gewesen.
— Das ist genau das Problem. Der Bürger und Wähler hat einen Anspruch darauf, zu wissen, welche Politik, welche Partei, welches Parlament für welche Entscheidung oder Fehlentscheidung verantwortlich ist.Die FDP-Fraktionen im bayerischen und im hessischen Landtag haben Anfang des Jahres die Kultusministerkonferenz aufgefordert, ihre Protokolle den gewählten Volksvertretern zugänglich zu machen. Diese Forderung steht im Einklang mit der Stellungnahme aller Präsidenten der deutschen Landtage. Aber das hinderte die zuständigen Minister nicht, auf den internen Charakter diese Fachministerkonferenzen hinzuweisen und die Protokolle weiterhin geheimzuhalten.
— Der ist dafür eingetreten, daß die Protokolle veröffentlicht werden.
In ihrer Empörung hat die bildungspolitische Sprecherin der FDP im bayerischen Landtag, Ursel Redepennig, der KMK vorgeworfen, daß man dort die Parlamentarier als reines Stimmvieh ansehe, gut genug, wenn es darum gehe, den Beschlüssen der Konferenz bzw. den dort ausgehandelten Staatsverträgen zu Mehrheiten zu verhelfen. ,Man kann es sicher vornehmer ausdrücken. Aber in der Sache macht dies doch deutlich, daß die Parlamente über das, was in der Kultusministerkonferenz und vielen anderen Gremien geschieht, nicht ausreichend informiert sind. Von parlamentarischer Kontrolle kann man hier sicherlich nicht reden.
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Frau SchuchardtBekanntlich fordert die Rechtsprechung immer mehr, daß die wesentlichen Entscheidungen im Bildungssystem von den Parlamenten selber und nicht durch Erlasse der Kultusbürokratien geregelt werden. Diese Verrechtlichung der Schule ist sicher nicht unproblematisch. Aber sie gibt einmal die Chance, den Einfluß der Parlamente zu stärken, zum anderen aber auch die Chance, durch die erforderlich werdenden Gesetze die Schulen weniger zu reglementieren, als dies heute durch Erlasse und Verordnungen der Kultusbürokratien üblich ist.
Würde man versuchen, die Abstimmungsfragen in Zukunft verstärkt durch Staatsverträge zu regeln, würde damit die parlamentarische Verantwortung weiter geschwächt.
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Bei Staatsverträgen kommen alle Parlamente in eine Ratifikationslage, d. h., es gibt für sie nur die Alternative ja oder nein. Gestaltungsmöglichkeiten haben sie nicht mehr. Mit parlamentarischer Verantwortung für die Schul- und Hochschulpolitik hat dies dann nichts mehr zu tun.Im Bericht der Enquete-Kommission „Verfassungsreform" und in dem Bericht der Enquete-Kommission „Auswärtige Kulturpolitik" werden die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems sehr deutlich angesprochen. Es gibt nicht nur bei den Liberalen, sondern auch in den Reihen der CDU genügend Rezepte, wie dieses Problem gelöst werden kann. So sagte z. B. Paul Mikat bereits 1966:Ich glaube, die jüngste Änderung des Grundgesetzes, in der dem Bund größere Kompetenzen bei der Bildungsplanung und der Hochschulförderung eingeräumt werden, reicht nicht aus. Es sollte angestrebt werden, dem Bund eine Rahmenkompetenz für den ganzen Bereich des Bildungswesens für elementare bildungspolitische Grundentscheidungen einzuräumen. Ziel dieser Rahmenkompetenz soll die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auch auf bildungspolitischem Gebiet sowie die Förderung und Koordinierung der gemeinsamen Anstrengungen der Länder sein.Er fügte hinzu:Das würde nicht Schwächung, sondern Stärkung des föderalistischen Systems bedeuten. Nichts schadet dem föderalistischen Gedanken, mehr als ein schlecht funktionierender Föderalismus.
Wir wissen, daß der Kreuther Trennungsbeschluß wohl auch deshalb erst einmal ad acta gelegt worden ist, weil die CDU zusagen mußte, 'in dieser Frage nichts zu entscheiden. So ist denn wohl auch das zu verstehen, was Herr Rühe gesagt hat. Er geht ja nicht auf das Thema ein, sondern er mußte nur eine Aufgabe erfüllen.Darf ich noch einige zusammenfassende Bemerkungen machen, Frau Präsidentin; dann bin ich zuEnde. Aufgabe der Politik muß es sein, die Freizügigkeit in unserem Land und die Chancengleichheit für alle zu sichern. Ein Bildungssystem muß die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ebenso sichern wie die Vielfalt des Bildungsangebots und den Wettbewerb untereinander um die bessere Lösung. In einer Demokratie, in der die Dreiteilung der Gewalten ein Fundament ist, darf der Bürokratie nicht die letzte Entscheidung zukommen. Vielmehr dürfen die volle Gesetzgebungskompetenz und die Kontrolle über die Verwaltung allein in den Händen der Parlamente liegen.In der Abwägung all dieser Ziele kann die notwendige Schlußfolgerung doch nur darin liegen, das Mindestmaß an notwendiger Einheitlichkeit durch den Bundesgesetzgeber zu regeln. Dazu ist eine Neuordnung der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes erforderlich, mit der dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeiten für die Regelung der Bildungspflicht, die Regelung der Übergänge und Abschlüsse im Bildungswesen und die Regelung der beruflichen Bildung übertragen werden.Wir sollten diese Frage mit aller Ernsthaftigkeit in den Ausschüssen prüfen. Ich hoffe auf die Solidarität aller Parlamentarier, unabhängig von ihrer parteipolitischen Bindung, wenn es darum geht, die Macht der Bürokratien zugunsten parlamentarischer Entscheidungen abzulösen.
Das Wort hat Herr Senator Dr. Glotz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sowohl Sie, Herr Kollege Rühe, als auch der Kollege Maier haben als ein Argument gegen die Bundesregierung und gegen die Auffassung der Koalitionsparteien ein bißchen triumphierend vorgetragen, die Bundesregierung hätte die Thesen des Bildungsberichts 1970 durchgesetzt, wenn es veränderte Strukturen im Bildungswesen gegeben hätte. Wenn ich einfach dieses Argument einmal nehmen darf: Wäre das, was Herr Schmude jetzt in dem Bericht der Bundesregierung vorschlägt, hundertprozentig durchgeführt worden, wäre es völlig ausgeschlossen — und das weiß selbstverständlich Herr Rühe, und das wissen auch Sie, Herr Kollege Maier —, all die Daten, beispielsweise über Absolventenzahlen im Schulwesen und im Hochschulwesen, vom Bund aus durchzusetzen, die in diesem Bildungsbericht 1970 gestanden haben. Hier ist heute also eine ganze Zeit nicht über den Bericht von Herrn Schmude und der Bundesregierung diskutiert worden, sondern über ein völlig anderes Problem. Und das halte ich für eine völlig falsche Entwicklung, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Maier, Sie hätten weniger spitzbübische Bemerkungen
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Senator Dr. Glotzüber Referendare und Raumpflegerinnen machen, sondern sich mehr um das kümmern sollen, was die Bundesregierung hier vorgelegt hat.
Selbstverständlich stimme ich einer Fülle von Argumenten von Herrn Rühe und auch von Herrn Maier zum Föderalismus voll und ganz zu.
— Herr Kollege Probst, ich weiß zwar nicht, ob wir zwei uns immer einigen können, was Fortschritt ist; da habe ich meine Zweifel. Aber wenn das ein Fortschritt ist: einverstanden!
Ich bin durchaus der Auffassung, daß der Föderalismus viele Impulse gegeben hat und daß vieles, was jetzt da ist, ohne Föderalismus nicht da wäre. Vielleicht, Herr Kollege Rühe, sagen Sie dem Herrn Kollegen Kohl, der jetzt nicht mehr da sein kann: Die Landschulreform, die er gegen Peter Altmeier durchgesetzt hat, wäre wahrscheinlich nicht durchsetzbar gewesen, wenn nicht vorher Georg August Zinn in Hessen eine Landschulreform schon in den 50er Jahren gemacht hätte. Selbstverständlich sind dies gegenseitige Hilfen, die von den Ländern gegeben werden, und auch Konkurrenz. Ich stimme Ihnen voll zu, wenn Sie die Äußerung eines schwedischen Ministers — ich kenne sie nicht — ablehnen, die da lautet: Eine einheitlich gemähte Wiese ist besser als eine bunt blühende. Das ist ein falscher Satz. Ich stimme Ihnen auch zu, Herr Kollege Rühe, wenn Sie sagen, es geht eigentlich um fundamentale Auseinandersetzungen: wie nämlich die Chancengleichheit über Bildung zu verwirklichen ist, ob sie zu verwirklichen ist und was da zu verwirklichen ist. Ich stimme Ihnen auch zu, daß diese fundamentalen Auseinandersetzungen keineswegs durch das zu lösen sind, was jetzt in diesem Bericht vorgeschlagen wird. Diese fundamentalen Auseinandersetzungen werden bleiben. Ich muß nur zur Verteidigung der Bundesregierung sagen: Daß man di ese fundamentalen Auseinandersetzungen durch diesen Bericht ausreißen könnte, hat die Bundesregierung mit keinem einzigen Satz in diesem Bericht behauptet. Das müssen wir hier doch einmal klarstellen, meine Damen und Herren!
Lassen Sie mich versuchen, ein paar falsche Argumente wegzuräumen. — Frau Schuchardt ist schon auf das eingegangen, Herr Kollege Rühe, was Sie gesagt haben zum Gefälle und zur Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Bundesländern. Ich halte es eigentlich für unter dem Niveau unserer Debatte liegend, wenn wir den meinethalben existierenden oder nicht existierenden sozialdemokratischen Politiker aus Hessen hier hervorziehen, der angeblich seine Kinder in Rheinland-Pfalz studieren läßt. Es mag sein, daß es den gibt. Herr Kollege Rühe, es ist auch unbezweifelbar, daß über diese Bildungsfragen auch in den Parteien unterschiedliche Meinungen sind. Soll ich Ihnen jetzt die Familie vorhalten, die in irgendeiner Landgegend wohnt und sich wegsehnt von einem dreigliedrigen Schulsystem, weil sie fürchtet, daß die katholische Tochter mit 15 oder 14 Jahren in diesem System eben nicht die notwendigen Bildungschancen bekommt? Wollen wir uns so gegenseitig die Leute vorhalten? Damit lösen wir für die Bürger nichts, Herr Kollege Rühe. Das wäre eine falsche Politik, glauben Sie mir das!
Ein Satz nur in diesem Zusammenhang zu den falsch genutzten Kompetenzen durch das Hochschulrahmengesetz. Herr Kollege Rühe, wir sollten uns gemeinsam hüten, nachdem dieses Gesetz noch nicht einmal in allen Bundesländern umgesetzt ist, jetzt schon zu sagen, daß diese Kompetenz ins Leere . gelaufen sei. Es gibt eine Fülle von linken Studenten, die mir immer vorhalten, daß dieses Hochschulrahmengesetz falsch sei und daß es nichts bewegt habe oder etwas in die falsche Richtung bewegt habe. Ich sage Ihnen nach wie vor: Ich bin der festen Überzeugung, daß es notwendig war, wenigstens einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen, damit die Bildungslandschaften nicht völlig auseinanderdriften. Ich halte — ich sage dies auch im Unterschied zur Auffassung mancher meiner politischen Freunde — nichts davon, die Existenzbedingungen beispielsweise einer Hochschule in Bayern, in Bremen oder in Berlin vollständig gegensätzlich zu machen. Diese Art von „Konkurrenz", die sich Herr Maier vielleicht manchmal wünscht, bei der Experimente mit allen Hoffnungen bepackt werden, auch mit allem Haß der Konservativen und auch mit allen Schwierigkeiten der problematischen Naturen, führt in der Wirklichkeit zu einem schweren Abweg. Deswegen sollten wir dem Hochschulrahmengesetz wenigstens eine Chance geben und versuchen, es vernünftig umzusetzen. Ich hoffe, die Bundesregierung wird daran mitwirken — jedenfalls durch Diskussion, Herr Kollege Schmude —, daß diese Umsetzung vernünftig funktioniert.Auf ein drittes Argument möchte ich gerne eingehen. Herr Kollege Maier! Sie haben vorgebracht, daß einzelne Länder ausgebrochen, z. B. abgegangen seien von dem Verlangen nach zwei Fremdsprachen. Nun' will ich Ihnen gern zugestehen, daß man über diese Frage, was soll man da fordern, was kann man da fordern, unterschiedlicher Meinung sein kann. Aber es gibt doch diese ernsthafte Diskussion — und Hans Maier kennt sie doch ganz genau— über die Sprachbarrieren und beispielsweise über die Frage, ob ein Arbeiterkind nicht einfach durch die Sozialisation in seiner Familie mit der Sprache viel größere Schwierigkeiten hat als das Kind des Professors Maier.
Herr Kollege Maier! Wir sind in tausend Punkten unterschiedlicher Meinung. Aber daß Sie diese
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Senator Dr. Glotzernsthafte Diskussion, in der man über Begabungstheorien, wie Sie genau wissen, unterschiedlicher Meinung sein kann, abtun mit dieser Bemerkung vom „Billigmacher", nehme ich Ihnen nicht ab.
Das ist eine Täuschung dieses Parlaments. Das ist doch wirklich zuviel! Da kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber es geht doch nicht um „Billigmacher"! So einfach ist das Thema Sprachbarriere und kompensatorische Erziehung nun wirklich nicht abzutun.
— Einverstanden, Herr Kollege Pfeifer!Als Föderalist möchte ich sagen, Herr Bundesminister: Ich stimme Ihnen zu, daß wir über die Sache diskutieren sollten und nicht über das Verfahren, in dem dieser Bericht zustande gekommen ist. Ich finde auch da, Herr Kollege Maier, daß Sie ein bißchen zu empfindlich waren. Für mich geht es nicht darum, ob Anstandsregeln zwischen Bund und Ländern verletzt worden sind. Für mich geht es darum, ob das, was die Bundesregierung geschrieben hat, richtig oder falsch ist. Das ist die entscheidende Frage. Über die müssen wir uns auseinandersetzen und nicht darüber, wie der Bericht zustandegekommen ist.
Ich sage auch, daß ich es für richtig halte, wenn Herr Schmude sagt: Hätten wir diesen Entwurf des Berichtes in die Kultusministerkonferenz gegeben und ihn dort diskutiert, bevor er veröffentlicht wird — Herr Kollege Maier, Sie sind, so glaube ich, inzwischen acht Jahre Mitglied der Kultusministerkonferenz, Sie wissen es ganz genau —, dann hätte, wenn er dann aus der Kultusministerkonferenz herausgekommen wäre, kein Mensch mehr irgendeine These wiedererkannt, weil es keine Thesen mehr gegeben hätte. Das ist doch der Tatbestand. Das sage ich selbstkritisch als Mitglied dieser Kultusministerkonferenz.Aus diesem Grunde meine ich, hier sind zugespitzte Thesen auf dem Tisch. Ich halte nicht alle für richtig. Über die müssen wir diskutieren,
aber laßt uns nicht über Anstandsregeln zwischen Bund und Ländern streiten, sondern laßt uns fragen: Wer hat das beste Argument gebracht, und welches Argument stimmt und welches ist falsch? Das sind die Fragen.
Dabei scheint mir in der Tat das entscheidende Argument das zu sein, was Frau Schuchardt hier gerade jetzt schon herausgestellt hat, nämlich die Frage der parlamentarischen Kontrolle.
Wissen Sie, ich habe das aus der Perspektive — lassen Sie mich das einfach einmal persönlich sagen — eines Landtagsabgeordneten in der Opposition erlebt. Ich habe es später erlebt als Bundestagsabgeordneter, dann als Parlamentarischer Staatssekretär in diesem Ministerium, und jetzt erlebe ich es auf der Seite der Länder und als Mitglied der Kultusministerkonferenz. Es ist doch eine schlichte Tatsache, wie ich ganz unpolemisch sage, daß die Regierung bei einer Fülle von Fragen — gerade dort, wo Staatsverträge geschlossen werden — zu ihrer eigenen Mehrheitsfraktion kommt und sagt: Dies muß jetzt so gemacht werden; das haben wir in zwei Jahren mühsam in der Kultusministerkonferenz vereinbart. Auch wenn ihr anderer Meinung seid, ihr müßt dem zustimmen. Es ist doch der Tatbestand, den ich kritisch feststelle — ich habe auch kein Patentrezept dagegen —, daß es auf Grund dieser Tatsache 15 oder 25 oder 35 hauptberufliche zum Teil erstklassige Bürokraten gibt, die mit Flugzeugen zwischen Stuttgart, München, Bonn und sonstwo herumfliegen und die soviel mehr Informationen haben als jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, und jeder Landtagsabgeordnete, daß der Parlamentarismus zum Teil ad absurdum geführt wird. Das ist doch der Tatbestand.
Dies führt natürlich dazu, daß sich die einzelnen Abgeordneten zum Teil hilflos vorkommen müssen — gerade Oppositionsabgeordnete — gegenüber der Übermacht des Wissens und der Durchschlagskraft der Bürokratie in diesem Punkt.Aus diesem Grunde sage ich: Wir müssen eine grundsätzliche Debatte über die Frage führen, was eigentlich gemeinsam geregelt werden muß. Ich gebe zu, die Zahl der Dinge, die gemeinsam geregelt werden müssen, ist vielleicht geringer, als der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft glaubt. Da müssen wir uns bekennen und sagen: Okay, einverstanden, vieles wird eben unterschiedlich geregelt werden müssen. Aber wenn das, ' was gemeinsam geregelt werden muß, weiterhin in diesem Vereinbarungszirkus geregelt wird über Ministerkonferenzen, über fliegende Bürokraten — die erstklassig sind, die gutwillig sind, die aber gar nicht anders können —, die einzelne Verfahren ausmachen, meine Damen und Herren, dann kommen wir in eine schwierige Situation, bei der es in manchen Punkten gleichgültig werden kann, ob im Parlament X oder Y die eine Seite oder die andere Seite die Wahl gewonnen hat, weil nämlich die Bürokraten eh immer das gleiche ausmachen.
Dies wäre eine überaus problematische Entwicklung.Allerdings — das möchte ich jetzt in Richtung auf die Kollegen der FDP sagen — sollten wir klarmachen — Frau Schuchardt hat das heute in ganz wünschenswerter Weise getan —, daß all das, was wir machen können, unmöglich etwa die Probleme der reisenden und oft versetzt werdenden Bundeswehrsoldaten lösen kann, um beispielhaft eine Berufsgruppe herauszugreifen. Herr Kollege Maier, ich
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Senator Dr. Glotzhabe einen schönen Satz in der „Geschichte des gelehrten Unterrichts" von Paulsen, aus dem wir, wie ich weiß, beide gelernt haben, gelesen. Dort heißt es:Daß die Schulen bloß Nummern sind, auf denen überall derselbe Faden gesponnen wird, ist freilich äußerlich für vagierende Familien bequem, sonst aber doch nicht eben ein Zeichen geistigen Reichtums.Das ist vor vielleicht 100 Jahren gesagt worden. Ich halte es für richtig. Wir können diese Probleme der Mobilität, selbst wenn wir all das beschließen, was die Bundesregierung vorschlägt, nicht lösen. Frau Schuchardt hat klipp und klar gesagt, daß ein Bundeskultusministerium ein absurde und falsche Vorstellung wäre. Wir können nicht die Lehrer in Schleswig-Holstein in einem Ministerium in Bonn einstellen. Das wäre völlig ausgeschlossen. Ich bitte nur darum, daß wir alle darauf achten, daß auch alle unsere Parteifreunde, wenn sie jeweils draußen über das Thema reden, nicht den Eindruck erwecken, wir könnten solche Erwartungen mit diesem Bericht erfüllen.
Das geht in alle Richtungen. Aber es gibt ja manche, die so tun, als ob man mit diesem Strukturbericht dieses Problem lösen könnte. Dies ist nicht der Fall, und das sollten wir gemeinsam — alle Fraktionen dieses Hauses — feststellen.
Jetzt sollten wir uns den Problemen im einzelnen zuwenden. Da möchte ich den Reformvorschlag für die berufliche Bildung aufgreifen. Das heißt also, es gibt das Problem der Anpassung von Ausbildungsordnungen, die der Bund verantwortet, und Rahmenlehrplänen. Meine Damen und Herren, alle in diesem Hause sind inzwischen der gemeinsamen Auffassung — wir haben das in der Debatte, die wir hier im Sommer hatten, klargestellt; auch Herr Dregger hat das für die Union klargestellt —: Kurskorrektur in Richtung auf die .berufliche Bildung. Diese hat Bundesminister Rohde für die Bundesregierung eingeleitet, und sie wird auch von anderen Parteien mitgetragen. Wenn wir das wollen, funktioniert das doch nur, wenn wir junge Leute dazu bekommen, nicht über das Gymnasium, sondern über die berufliche Bildung zu gehen. Solange die jungen Leute glauben werden, daß ihre sozialen Chancen stärker sind, wenn sie über das Gymnasium gehen,
werden sie nicht über die berufliche Bildung gehen, sondern nur über das Gymnasium. Das ist doch der Tatbestand. Wir können aber die Bedingungen für Lehrlinge nur bessern, wenn wir die Qualitätsanforderungen für die berufliche Bildung erhöhen.
— Beispielsweise durch die Verbesserung der Ausbildungsordnungen, Herr Kollege Probst.
Ich halte es für einen Skandal, was wir uns hier gemeinsam leisten.
Meine Damen und Herren, die ständige Verzögerung der Anpassung scheint mir einer der Krebsschäden des Bildungsföderalismus in diesem Punkt zu sein. Wenn wir das gemeinsam sehen, müssen wir doch auch wissen, Herr Kollege Maier, daß Ihre Föderalismusargumente hier überhaupt nicht zum Zuge kommen können. Ich sehe nämlich ein, daß der Deutschunterricht in Bayern und in Hamburg in den Schulen auf Grund des Föderalismus unterschiedlich sein sollte und kann. Wenn aber jemand behauptet, daß ein Lehrling, der Energiegeräteelektronik lernt, unterschiedlich ausgebildet werden muß, wenn er von Hamburg in die Filiale seines Unternehmens nach Saarbrücken zieht, so behauptet er falsche Dinge. Das ist nicht richtig.
Der Föderalismus kommt hierbei nicht zum Ausdruck. Ich meine daher, daß der Ansatz der Bundesregierung an diesem Punkte ernsthaft zu diskutieren ist. Man muß fragen, ob man diesen Vorschlag der Bundesregierung nicht aufgreifen sollte. Ich sage das als jemand, der in einem Land Verantwortung trägt.Herr Bundesminister, ich habe stärkere Zweifel, was die Frage der Übergänge und die Frage der Bildungspflicht betrifft. Ich will Ihnen das an einem ganz praktischen Beispiel erläutern. Wir haben in Berlin die sechsjährige Grundschule, und zwar seit dem Ende der 40er Jahre. Heute würde auch die Berliner CDU nicht mehr den Vorschlag machen, diese sechsjährige Grundschule abzuschaffen. Ob Sie aber, wenn Sie die Kompetenz hätten, das festzulegen, auch die politische Kraft hätten, die sechsjährige Grundschule über Bundestag und Bundesrat für das Gesamtsystem einschließlich Bayerns zu verankern, ist eine Frage, die wir uns selbstkritisch gegenseitig stellen müssen. Natürlich würden wir in Berlin mit aller Kraft dagegen kämpfen, daß uns vom Bund die sechsjährige Grundschule wieder in einen Übergang vom vierten Jahr ins Gymnasium zurückverwandelt würde; wo dann die Veränderungen gesetzt würden. Ich frage mich auch umgekehrt, wie es politisch wäre, wenn die Bundesregierung ein Land wie Bayern, in dem 58 % der Wähler CSU gewählt haben, zwingen wollte, kurzfristig von der vierjährigen auf die sechsjährige Grundschule überzugehen, wie dies dann mit Volksbegehren, mit Auseinandersetzungen ablaufen würde und wie die Bundesregierung dies durchhalten könnte. Aus diesem Grunde frage ich mich, ob wir hier, weil das in Strukturfragen hineinreicht, durch eine Kompetenz wirklich einen Schritt weiterkämen. Ich bin sehr dafür, das weiter zu beobachten und die Frage zu stellen, bin aber eher skeptisch.Ich möchte auf einen dritten Punkt hinweisen, der mit in die Debatte hineingehört. Wir haben uns immer gegenseitig mit Zitaten beflastert, die unsere Kollegen vor zehn oder zwölf Jahren hier gesagt haben. Wir haben uns 1969 entschieden, „Gemein-
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Senator Dr. Glotzschaftsaufgaben" zu schaffen. Es gibt die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau". Ich warte interessiert auf Ihre Rede, Herr Kollege Schäfer, denn Sie haben sich ja in der Enquete-Kommission mit diesem Problem beschäftigt. Ich muß Ihnen als einer, der das von Bonn her erlebt hat und der es jetzt von einem Land her erlebt, sagen: Ich glaube nicht, daß die Gemeinschaftsaufgabe ein einziges Land gehindert hat, irgendwo einen unsinnigen Universitätsbau hinzustellen. Ich meine vielmehr, daß letztlich immer das bedient worden ist, was die Länder von sich aus konsequent verlangt haben.
— Was das Gesamtplanungsargument für die Gemeinschaftsaufgabe schwächt, Herr Kollege Schäfer.
Ich sehe auf der anderen Seite, daß es ungeheure, Schwierigkeiten gibt, beispielsweise vom Bund her, auf Sparsamkeitsstandards hinzuweisen, weil die Länder sagen: Redet uns nicht in unsere Sachen hinein; wie das bei uns passiert, das regeln wir, und da habt ihr uns gar nichts zu sagen.
Auf Grund dieses Gegenspiels muß man, wenn man über Föderalismus diskutiert, auch die Frage diskutieren, ob sich die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" bewährt hat, oder ob sie sich nicht bewährt hat.
Ich würde zugeben, daß man dann nicht nur fürdie Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" fragen muß, aber bei einer seriösen Föderalismusdiskussion gehört auch dies in das Paket hinein. Ich meine also, daß wir in diesem Sinne eine seriöse Diskussion über Föderalismus beginnen sollten.
Herr Kollege Rühe, ich bin ein bißchen enttäuscht gewesen, daß Sie so ein wenig den Ton drin hatten: Was soll es, darüber überhaupt zu reden? Zu diesen Verfassungsänderungen kommt es eh nicht — dazu braucht man eine Zweidrittelmehrheit —, weil wir da nicht mitspielen werden. Also brauchen wir das ganze Thema überhaupt nicht anzupacken.Wenn wir das so machen wollten, ohne uns auf die Debatte einzulassen — und ich weiß, daß es auch den einen oder anderen Sozialdemokraten gibt, der so denkt: Was soll diese ganze Diskussion; wir haben eh keine Mehrheit; darüber brauchen wir gar nicht ernsthaft zu reden —, verlören wir die Probleme der Bürger aus den Augen, meine Damen und Herren.
Wenn wir die aus den Augen verlieren, dann können wir zwar noch eine Zeitlang mit dem jetzigen System leben — da passiert überhaupt nichts, selbst- 1 verständlich —, aber wir hätten die Zustimmung der Bürger verloren. Dies ist —. für mich jedenfallsund wahrscheinlich für alle in diesem Hause — doch ein entscheidendes Problem.Rühe [CDU/CSU] : Wir wollen mehr Studienplätze, mehr Arbeitsplätze, mehr Ausbildungsplätze!)— Herr Kollege Rühe, gerade das halte ich nicht für richtig. Natürlich müssen wir Lehrerarbeitsplätze und Arbeitsplätze für Akademiker und vor allem Arbeitsplätze für Lehrlinge schaffen, aber, Herr Kollege, dies gegeneinander auszuspielen, bringt doch nichts. Wir müssen das Strukturproblem lösen, und wir müssen zusätzlich Lehrerarbeitsplätze schaffen. Deswegen sollten Sie es nicht gegeneinander ausspielen; es hat miteinander so nichts zu tun.
Sie haben gesagt, der Herr Minister Schmude könnte als Minister der Kompetenzstreitigkeiten in die Geschichte eingehen. Ich gebe Ihnen recht: Für einen Bildungsminister ist es überhaupt schwer, in die Geschichte einzugehen. Das wird wahrscheinlich keinem gelingen. Wir wollen aber gar nicht so hohe Ansprüche stellen, von wegen „gleich in die Geschichte eingehen". Das ist nicht notwendig. Wenn er dieses so konsequent weiter diskutiert, wird er in die Geschichte der Bildungspolitik als ein Minister eingehen, der gegen die Routine kämpfte, an die wir uns als Bildungspolitiker alle gewöhnt haben. Das ist eigentlich ein Kompliment für den Bildungsminister Schmude.
Ich möchte nachdrücklich sagen — und damit unterstreiche ich die Argumente von vielen, die hier gesprochen haben —: Der Föderalismus muß erhalten werden. Er kann aber nur erhalten werden, wenn er reformiert wird. Das ist meine Grundthese.
Mir ist völlig klar, daß diese ganze Diskussion sinnlos ist, Frau Bendix, wenn sie nur als Schlaginstrument in einer parteipolitischen Auseinandersetzung benutzt wird. Selbstverständlich. kann diese ganze Debatte nur zu einem Ergebnis geführt werden, wenn die CDU/CSU, die FDP und die SPD eine gemeinsame Diskussion über dieses Thema führen. Aber wenn wir sie nicht führen und wenn dieser Bericht nur ein Grund ist, uns gegenseitig vorzuwerfen, was wir uns schon seit zehn Jahren immer wieder vorwerfen — ich habe mich schon gewundert, daß wir heute noch nicht über die hessischen Rahmenrichtlinien diskutiert haben; vielleicht kommt das noch —,
dann allerdings vergrößern wir die aggressive Distanz, in der ein Teil unserer Bürger sowieso schon zur Bildungspolitik und zur Politik insgesamt steht. Dies sollten wir unbedingt durch eine grundsätzliche und sinnvolle Föderalismusdiskussion verhindern.
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9364 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Das Wort hat Herr Minister Dr. Herzog, Baden-Württemberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Hohes Haus! Ich will versuchen, mich kurzzufassen, und damit beginnen, daß mich die Rede von Frau Schuchardt natürlich tief getroffen hat, und zwar deswegen, weil sie gleich zwei Landesregierungen, denen ich in meinem Leben angehört habe, hier außergewöhnlich schlecht behandelt hat.
Ich beginne chronologisch bei der „Auswanderung" von rheinland-pfälzischen Schülern nach Hessen. Mir liegt eine Antwort der Kollegin Laurien auf eine entsprechende Anfrage vor, wonach im laufenden Schuljahr 17 Schüler aus Mainzer Grundschulen nach Hessen „ausgewandert" sind, aber im gegenwärtigen Zeitpunkt etwa 1 600 Schüler aus hessischen Gymnasien Schulen im Mainzer Raum besuchen.
Nun kann man bezüglich derartiger immer rechnen und rechten. Aber es ist natürlich schon so, daß man in dem Zusammenhang daran erinnern muß, daß vor einigen Jahren das Bundesverfassungsgericht den hessischen Gesetzgeber belehren mußte, daß es in der Demokratie kein Eigentumsrecht an den Untertanen gibt, daß das „Auswandern" also zulässig ist.
Das zweite, was mich tief getroffen hat, ist die Darstellung des „barbarischen" Verfahrens für den Übergang an weiterführende Schulen, das ich augenblicklich in Baden-Württemberg praktiziere. Frau Schuchardt ist entgangen — und sie kann das nicht wissen; der Süden ist in der Bundesrepublik Deutschland weit vom Norden entfernt —, daß wir im Augenblick an einer Korrektur dieses Übergangsverfahrens arbeiten.
Damit Sie sehen, wie „geknechtet" die Kinder in Baden-Württemberg sind, will ich Ihnen doch sagen, daß unter diesem „barbarischen" System — was mir sehr zur Sorge gereicht — augenblicklich 29 %eines Altersjahrgangs ans Gymnasium und etwas über 29 %desselben Altersjahrgangs an die Realschulen übergehen. Nun könnten Sie sagen, daß das Übergangsverfahren vielleicht zu milde sei,
und mich jetzt gegen den Herrn Kollegen Maier aus-
spielen. Aber das muß doch wenigstens gesagt sein.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Minister, würden Sie uns sagen, warum Ihnen diese Übergangszahlen zur Sorge gereichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Übergangszahlen gereichen mir deswegen zur Sorge, weil es schwierig ist, in jedem Jahr fast 10 000 Schulplätze für Gymnasiasten und Realschüler zu schaffen und gleichzeitig für einigermaßen anständige Klassengrößen zu sorgen. Das ist eine außergewöhnliche Sorge.
Folgendes kommt hinzu. Auch das will ich hier noch sagen. Es ist hier sehr viel über die Ausbildildungsordnungen und über die Rahmenlehrpläne im beruflichen Schulwesen philosophiert worden. Es ist doch so — wenn ich in das Bild von Herrn Maier zurückfallen darf —, daß die Kultusministerkonferenz, mit deren Arbeitsweise ich auch nicht immer einverstanden bin, in den letzten Jahren über 250 Rahmenlehrpläne vorgelegt hat, während der Bund bis vor kurzem erst 16 Ausbildungsordnungen erlassen hatte. Jetzt kleckert er allmählich nach. Ich gebe zu, daß dies nicht Herrn Schmude trifft. Es trifft den Bundeswirtschaftsminister. Der Bundeswirtschaftsminister ist dafür zuständig. Man muß hier aber wirklich fragen, wo das langsamste Schiff läuft.
Ich habe nun noch eine weitere Frage. Ich tanze gern auf Hochzeiten. Ich habe es kürzlich in einem anderen Kreis gesagt. In einer Debatte möchte ich aber eigentlich gern wissen, auf welcher Hochzeit ich tanze. Geht es jetzt um das Bund-Länder-Problem, geht es um das Problem Parlament—Regierung, oder geht es um das Problem der sozialliberalen Bildungspolitik einerseits und der Bildungspolitik der Union andererseits?
— Ich weiß, daß die Dinge alle ineinander übergehen, Herr Kollege Schäfer; man muß sie aber etwas auseinanderhalten. Wenn die Frau Kollegin Schuchardt so für die Parlamente eintritt — und dies ist eine wichtige Sache —, wäre es doch das beste, die Kultusministerkonferenz und die BundLänder-Kommission aufzulösen — das ist kein ernstgemeinter Vorschlag von mir; dies dürfen Sie mir nicht unterstellen —; dann wären elf Parlamente wieder für die Dinge zuständig und nicht dieser Bundestag, der ohnehin mit vielfältigen Aufgaben überlastet ist, während die Landesparlamente mit Recht darüber klagen, daß ihnen zunehmend Aufgaben weggenommen werden.
Wenn Sie Ihren Parteifreund Hinrich Enderlein im baden-württembergischen Landtag fragen, bin ich gar nicht sicher, ob er sich so entmachtet vorkommt. Er wäre möglicherweise politisch schwach, weil er in der Opposition ist und jeder weiß, daß die Opposition häufig überstimmt wird. Die Parlamente sind doch aber in diesen Fragen nicht schwach. Ich habe in jeder Parlamentssitzung in Stuttgart an irgendeiner Ecke eine bildungspolitische Debatte durchzustehen, und ich finde das auch richtig. Wo hier die Schwäche liegen soll, weiß ich
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Minister Dr. Herzognicht. Ich vermute eben doch, daß es bei Ihnen, Frau Schuchardt, und Ihrem etwas norddeutschen Denken letzten Endes etwas mehr um die Bundeskompetenzen als um das Parlament geht.Um auch dies noch zu sagen: In der Frage der Herausgabe der Protokolle haben Sie mich und im übrigen auch meinen Ministerpräsidenten auf Ihrer Seite. Ich bin gelernter Wissenschaftler. Ich habe gelernt, für alles, was ich denke und was ich sage, öffentlich einzustehen und meine Kollegen auch in der Öffentlichkeit und nicht hintenherum zu beleidigen. In dieser Hinsicht bin ich völlig auf Ihrer Seite. Wenn Sie dies nicht diskriminierend nur auf die Kultusministerkonferenz, sondern auf alle Fachministerkonferenzen beziehen, können Sie jederzeit auf mich rechnen.Lassen Sie mich jetzt im Hinblick auf die Frage der Bundeskompetenz für die Regierung des Landes Baden-Württemberg in aller Klarheit folgendes sagen. Ich glaube nicht, daß man wegen der Bildungspolitik mit Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes argumentieren kann. Natürlich verbietet Art. 79 Abs. 3 nicht, daß man dem Bund bildungspolitische Kompetenzen gibt; solche hat er ja. Die Einbahnstraße der letzten 30 Jahre hat die Länderkompetenzen aber in eine Situation gebracht, in der keine auch nur halbwegs relevante Kompetenz auf den Bund übergehen kann, ohne daß sich die Frage des Art. 79 Abs. 3 nun in der Tat ganz ernsthaft stellt. Die Einbahnstraße geht nicht weiter, jedenfalls nicht mit der Zustimmung meiner Landesregierung. Wenn wir ernsthaft über die Rückübertragung relevanter Bundeskompetenzen auf die Länder in anderen Bereichen reden könnten, dann könnten wir auch darüber reden. Herr Schmude, machen Sie das einmal mit Ihren Kollegen aus. Vielleicht kommen Sie weiter.
Herr Schmude, Sie haben gesagt, das Argument, daß es innerhalb der Länder sehr viel mehr Ungleichheiten als zwischen den Ländern gebe, sei zynisch. Dies hat mich auch getroffen. Auch das sage ich ironisch. Ich möchte dies hier vor diesem Hause aber doch etwas näher auseinanderdividieren. Ich bestreite nicht — dies sage ich ausdrücklich —, daß die Probleme, die dieser merkwürdige Mängelbericht anspricht — merkwürdig ist er nämlich wegen der Ausarbeitung und wegen dem, was alles an angeblichen Fakten darin steht —, echte Probleme sind. Ich befürchte nur, daß Sie hier mit Problemen, die bestehen und auf die auch Sie keine Antwort haben, ein Mißbehagen der Eltern auf ganz anderen Feldern für sich zur Gewinnung größeren Bundeseinflusses mißbrauchen wollen. Ich sage noch einmal: Die Probleme bestehen. Aber was ärgert denn die Eltern wirklich? Gehen Sie doch hinaus ins Land. Machen Sie Elternversammlungen, machen Sie Lehrerversammlungen, wie ich es jede Woche zwei-, dreimal mache. Was ärgert die Eltern wirklich?Ich will Ihnen die Hauptpunkte nacheinander nennen: unterschiedliche Sprachenfolgen, unter-schiedliche Profile von Gymnasien, zum Teil auch von Realschulen von Stadt zu Stadt. Das ist nicht ein Problem der Großstädte. Ich bin selbst von Bonn nach Stuttgart umgezogen und hatte kein Problem, meinen jüngsten Sohn umzuschulen. Ich bin früher von Heidelberg nach Bonn umgezogen und hatte keine Probleme. Ich bin von München nach Berlin und von Berlin nach Heidelberg umgezogen und hatte nie Probleme. Das Problem liegt doch dort, wo jemand aus einer Kleinstadt mit vielleicht einem Gymnasium oder einer Realschule in eine andere Kleinstadt dieser Art umziehen muß, und dieses Problem ist über die Ländergrenzen hinweg nicht größer als innerhalb der Ländergrenzen.
Sie können dieses Argument als zynisch bezeichnen, aber den Leuten draußen geht das auf die Nieren. Und ich frage mich, wie Sie das denn ändern wollen, wenn Sie nicht auf das napoleonische Schulsystem eingehen. Meine Damen und Herren, wenn ich mit französischen Parlamentariern spreche, stelle ich fest, daß die uns mit einem gewissen Recht vorwerfen, daß wir an unseren Schulen verhältnismäßig wenig für die französische Sprache tun. Woher kommt das denn? Von der notwendigen Vereinheitlichung, die in Deutschland zwangsläufig auf ,das Englisch zuführt. Nur, diese Probleme kann man doch nicht mit einer neuen Bundeskompetenz wegdividieren.Was ärgert die Eltern weiter? Es sind die Schulbücher. Ich meine jetzt gar nicht die Inhalte, die Frage der linken, der marxistischen, der schlampigen und der sonstigen Inhalte.
-- Natürlich, das ärgert sie auch. Aber auch in den Ländern, in denen der Kram nicht zugelassen wird, Herr Kollege Probst, haben Sie doch beim Umzug das Problem, daß Sie wieder mit völlig neuen Schulbüchern anfangen müssen. Jetzt frage ich Sie, Herr Schmude: Wollen Sie Ihre Kompetenz dazu verwenden, die Freiheit der Schulen, der Schulkonferenzen, der Lehrer bei der Auswahl der Schulbücher einzuschränken? Das ist doch sicher auch nicht Ihre Meinung.Dritter Punkt: Gesamtschule, Orientierungsstufe. Nehmen wir die Linie, die die SPD-regierten Länder jetzt in der Bund-Länder-Kommission verfolgen. Sie wollen gewissermaßen zwei gleichberechtigte Regelschulsysteme nebeneinander, einmal das Gesamtschulsystem und daneben das gegliederte Schulsystem. Ja, glauben Sie, daß durch dieses Nebeneinander die Einheitlichkeit größer wird? Ich kann mir das nicht vorstellen. Von den Lehrplänen ist die Rede gewesen. Sie sagen, Sie wollen an die Lehrpläne gar nicht heran. Es war, glaube ich, Herr Conradi, der vorhin in einem Zwischenruf gesagt hat, wir würden, wenn wir davon reden, der Bund wolle Einfluß auf die Inhalte nehmen, einen Popanz aufbauen. Ich glaube, das war Ihr Zwischenruf. — Ja, aber ,das ärgert die Eltern doch, daß ihre Kinder von einer Schule in die
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Minister Dr. Herzogandere kommen und eben zum Teil auch innerhalb ein und desselben Landes unterschiedliche Lehrpläne, unterschiedliche Stoffverteilungspläne vorfinden. Wenn Sie das ohnehin nicht beeinflussen wollen, warum wollen Sie denn dann eine Bundeskompetenz?So könnte man Punkt für Punkt weiterfahren und das ausführen. Ich sage Ihnen, ich werde eben den Verdacht nicht los, Herr Schmude, daß Sie oder diejenigen, die Ihnen diesen Mängelbericht aufgeschrieben haben, in Wirklichkeit auf die berechtigten Ärgerlichkeiten für die Eltern, die man wahrscheinlich nicht wird beseitigen können, spekulieren, um eine Atmosphäre zu erzeugen, in der eine gewisse Bereitschaft, ein gewisser Druck in Richtung auf weitere Bundeskompetenzen entsteht.
Ich sage Ihnen, ich halte das nicht für fair und ehrlich, und ich glaube, es ist tatsächlich besser, sich auf diesen Weg nicht zu begeben.Lassen Sie mich eines noch kurz brandmarken. Es zeigt die Größe des Problems — hier stimme ich zu einem beträchtlichen Teil mit Herrn Kollegen Glotz überein —, es zeigt aber auch, daß wir in Wirklichkeit nicht auf der Hochzeit Bund—Länder, sondern auf der Hochzeit SPD/FDP—CDU/CSU tanzen. Ich meine die neuen Bundeskompetenzen oder die Art, wie die Vereinheitlichungsmöglichkeiten des Bundes in den letzten Jahren bei uns gehandhabt worden sind. Ich habe den Unterausschuß des Vermittlungsausschusses, in dem das Hochschulrahmengesetz ausgebraten worden ist, leidvoll miterlebt. Ich habe nicht nachgezählt, aber es ist mit Sicherheit keine Übertreibung: In diesem Gesetz stehen schließlich mindestens zwei Dutzend Paragraphen, in denen — jetzt vergröbert gesprochen — Abs. 1 heißt, getan wird, was die SPD-Länder wollen, Abs. 2 aber lautet, die CDU-Länder können auch machen, was sie für richtig halten. Und weil es dann auf einen Kompromiß zugelaufen ist, ist immer im nächsten Fall die Reihenfolge umgekehrt worden; dann steht in Abs. 1 die CDU-Linie und in Abs. 2 die SPD-Linie. Jetzt frage ich Sie allen Ernstes: Halten Sie das noch für ein Rahmengesetz?
Ist das — es sei denn, daß irgendwelche noch törichteren Dinge ausgeschlossen worden sind — eine Vereinheitlichung?Ein anderes Beispiel wurde schon angesprochen. In der Bund-Länder-Kommission verhandeln wir jetzt darüber, ob das Gesamtschulsystem und das bisherige gegliederte Schulsystem gleichberechtigt nebeneinandergestellt werden. Jetzt frage ich Sie: Wozu brauche ich eine Bundeskompetenz, wozu brauche ich auch nur eine Gemeinschaftsaufgabe, wenn im Endeffekt ein Paragraph herauskommt, in dem — wieder in vergröbertem Deutsch — steht: Es darf jeder machen, was er will. Das ist das Problem, das ich sehe. Hier ruinieren wir unsere Verfassung, hier ruinieren wir das Vertrauen unserer Bürger auch auf Bundeskompetenzen und auf Ge-meinschaftsaufgaben. Wir überstrapazieren es, und im Endeffekt kommt nichts heraus.Deswegen kann die Linie nur eine ganz andere sein. Entweder wir können uns, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, nicht mehr einigen; dann sollten wir das sagen. Ich würde mir das ' nicht wünschen; das wäre die vierte deutsche Teilung im Laufe von 110 oder 115 Jahren. Oder wir kehren zurück zu der Möglichkeit, Kompromisse zu finden. Das bedeutet — das ist heute oft genug gesagt worden , daß zwar niemand in diesem Bereich unschuldig ist, daß aber die von Ihnen gestellten Landesregierungen in ungeahntem Maße mehr aus dem ursprünglichen Konsens ausgebrochen sind als die von uns geführten Landesregierungen. Seien Sie bereit, zu einem vernünftigen Konsens mit uns zurückzukehren! Kehren Sie zurück zu einer nüchternen, pragmatischen Bildungspolitik! Dann wird es dem deutschen Volk — und das würde ich mir wünschen — eines Tages egal sein, wer entscheidet, wenn nur einigermaßen einheitlich entschieden wird.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 7. Mai 1978 hat hier eine Debatte über das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden. Die Bank des' Bundesrates war ebenfalls' gut besetzt. Ich empfehle den Herren des Bundesrates, das Protokoll nachzulesen. Z. B. Ihnen, Herr Maier, empfehle ich nachzulesen, was Herr Dr. Huber damals als bayerischer Staatsminister gesagt hat. Für Sie, Herr Herzog, wird es sicher interessant sein, was Herr Hahn damals gesagt hat.
— Doch, der hat damals gesprochen. Wollen wir gleich nachsehen, damit es ganz bestimmt richtig ist. Ich lese Ihnen vor: Herr Stoltenberg, Herr Lemke, Herr Scherer, Herr Moersch, Herr Huber, Herr Meinecke, Herr Althammer, Herr Schmid, Herr Evers, Herr Hahn, Minister des Landes Baden-Württemberg. Jetzt stimmt's, Herr Pfeifer! Lesen wir vollends alle: Herr Raffert, Frau Funcke, Herr Hammans, Frau Geisendörfer, Herr Mischnick und Herr Dr. Mommer.
— So ist es.
Man ging damals hoffentlich so wie heute von dem Verständnis des Bundesstaates aus, den wir nicht verändert haben wollen, sondern ich sage als Überschrift, wie es Herr Glotz ganz richtig gesagt hat: Das Bemühen geht dahin, den Bundesstaat funktionsfähig zu machen und damit zu festigen.
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Dr. Schäfer
Damals hat man ganz klar gesagt, und so wiederhole ich es heute: Das Grundgesetz nimmt für den Bund Zuständigkeiten nach dem sogenannten Enumerationsprinzip in Anspruch. Nur das ist Bundeszuständigkeit, was ausdrücklich aufgeführt ist. Alles andere ist nach Art. 30 GG Länderzuständigkeit. Carlo Schmid hat in der ihm eigenen prägnanten Weise dazu ausgeführt: Die Länder nehmen die Zuständigkeit für das ganze deutsche Volk wahr. Er formulierte so:Die gesamte Nation kann fordern, daß wir durch die Länder auf deren Gebiet und durch deren Tun ein Schulwesen und ein Hochschulwesen bekommen, das es der Nation erlaubt, mit Aussicht auf Erfolg den Herausforderungen des Jahrhunderts ... gerecht zu werden.So ist die Situation. Ich denke, daß wir uns da nicht gegenseitig überzeugen müssen. Was ein einzelnes Land tut, tut es auf Grund der Gesamtverfassung und tut es für das gesamte deutsche Volk.Die Debatte von damals hatte eine verfassungsrechtliche Auswirkung. Vor der Debatte gab es Ländervereinbarungen. Es gab die Möglichkeit des Bundes, im Wege des Dotationssystems einzugreifen. Wir haben dann den Art. 91 b des Grundgesetzes geschaffen. Er war die Auswirkung dieser Debatte. Wir haben mit Art. 91 b des Grundgesetzes das erste Mal in der Bundesverfassung ein Planungsrecht des Bundes auf dem Gebiet des Bildungswesens verfassungsrechtlich festgelegt, indem es dort heißt:Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen bei der Bildungsplanung und bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung zusammenwirken. Die Aufteilung der Kosten wird in der Vereinbarung geregelt.Aber ich sage Ihnen heute: Diese Regelung war nicht gut. Ich schließe mich darin in vollem Umfang dem an, was Frau Schuchardt hier vorgetragen hat. Denn diese Regelung, diese Vereinbarung bedeutete, daß die Bildungspolitik in der Bundesrepublik in die Hand der Regierungen — in die Hand der Bundesregierung und der einzelnen Landesregierungen — gegeben und durch Vereinbarung der Regierungen gemacht wird. Und das, meine Damen und Herren, reicht nicht. In diesem Zusammenhang darf ich auf das letzte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 1978 verweisen, das sich auf das Verfassungsgericht bezieht und sagt:Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des erkennenden Gerichts— also des Oberverwaltungsgerichts —verpflichten das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen.
Meine Damen und Herren, das ist für uns verbindlich. Nur •Herr Senator Glotz hat das zum Mittelpunkt seiner Überlegungen gemacht. Von den beiden anderen Herren Landesministern habe ich dazu nichts gehört. Ich denke, der . Spruch des Verfassungsgerichts ist für Sie so verbindlich wie für uns. Das heißt: Man muß andere Formen finden, um zusammenzuwirken.Nun, es besteht Einigkeit, daß man auf einigen Gebieten einheitliche Lösungen finden muß. Es ist interessant, einmal das vorzulesen, was die Kultusministerkonferenz einstimmig dazu sagt:Die Kultusministerkonferenz ist sich bewußt, daß in der Bundesrepublik Deutschland ein stärkeres Maß an Einheitlichkeit, insbesondere in den von der Bundesregierung angesprochenen Problembereichen, angestrebt werden muß.Es heißt dort also: „insbesondere". Darüber hinaus muß also noch weiteres angestrebt werden. Ich darf einmal die vier Gebiete, auf die sich das Wort „insbesondere" bezieht, nennen: Das ist die Bildungspflicht, das sind die Übergänge und Abschlüsse, das ist der Inhalt der beruflichen Bildung, das ist die Lehrerausbildung.Nun, wenn man das will, muß man ernsthaft überlegen, ob man von der Ordnung unserer Verfassung, daß das nämlich Länderzuständigkeit ist, abgehen will, indem man es zur Bundeszuständigkeit macht. Dann kann man Einheitlichkeit erreichen. Ich persönlich neige dem nicht zu, aber ich persönlich sage auch, es wäre politisch derzeit gar nicht zu erreichen. Ich strebe es selbst auch gar nicht an.Ich möchte hier in die Diskussion zwei Punkte einführen, die in der Enquete-Kommission Verfassungsreform erörtert und vorgeschlagen wurden. Man hat sich heute zwar schon einige Male auf diese Kommission berufen, aber auf diese Punkte nicht. Meine Herren Länder-Minister, das, was ich jetzt vorzutragen habe, ist der Versuch der Enquete-Kommission — unter Wahrung der Zuständigkeit der Länder, unter Überwindung des von mir soeben 'angesprochenen Prinzips der Einstimmigkeit und unter Berücksichtigung der verfassungsmäßigen Zuständigkeit der Parlamente —, zu einer Regelung zu kommen. Die Kommission schlägt einen Art. 28 a vor, der die Planungskompetenz regelt: Ich lese zunächst den Abs. 4 vor:Bund und Länder können gemeinsam Aufgaben planen, die für die Entwicklung des Bundesgebietes von Bedeutung sind. Das Nähere, insbesondere die Auswahl der Planungsbereiche, das Verfahren und die Beteiligung des Bundestages sowie Grundsätze für die Beteiligung der Volksvertretung der Länder, regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.Jetzt lese ich die Absätze 2 und 3 vor:Die gemeinsame Planung ist Rahmenplanung. Die Auswahl der einzelnen Vorhaben, die Einzelplanung und ihre Durchführung bleiben Aufgabe von Bund und Ländern im Rahmen ihrer Zuständigkeit.Und etwas ganz Neues für unser Verfassungsgefüge:
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9368 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Dr. Schäfer
Die gemeinsame Planung bedarf der Zustimmung des Bundes und der Mehrheit der Länder.Es wird hier also nicht Einstimmigkeit gefordert.Die Volksvertretungen des Bundes und der Länder sind zu beteiligen.Ich führe das hier nicht so sehr als Mitglied der SPD-Fraktion ein, sondern mehr als früherer Vorsitzender der Enquete-Kommission, damit es einmal mit in die Überlegungen aufgenommen wird und damit man es prüft. Das heißt also, das hinderliche Einstimmigkeitsprinzip, das hier immer mit dem langsamsten Fahrzeug verglichen wurde, wird überwunden, die Länderparlamente werden bei dieser Planung beteiligt, und das Ergebnis der Planung ändert nichts an der Zuständigkeit des Bundes und der Länder.Sie mögen dazu sagen: Das hat wenig Verbindlichkeit. Auch dafür hat die Kommission den nächsten Schritt getan und gesagt: Wir wollen eine andere Art von Gesetzgebung. Einige Herren haben darauf hingewiesen, daß die Gesetzgebung des Bundes, die auch in Zukunft den Vorrang haben wird — davon müssen wir ausgehen - dazu führt, daß die Länderparlamente ausgehöhlt werden. Meine Herren Minister, reden Sie bitte nicht immer von den Ländern; denn die Landesregierungen werden bei jedem Fall, bei dem der Bund zuständig wird, stärker, die Landesparlamente werden schwächer! Die Landesregierungen reden im Bundesrat mit, und alles, was sich außerhalb der Landesgrenzen vollzieht, fällt in die Zuständigkeit der Landesregierungen, und alles, was sich in Bonn vollzieht, führt zu einer Stärkung der Landesregierung, seien es Planungsausschüsse oder Bundesrat. Hier geht es tatsächlich um die Länderparlamente.Die Enquete-Kommission, in der auch sieben offizielle Vertreter der Länderregierungen mitgewirkt haben, schlägt die konkurrierende Gesetzgebung gemäß Art. 72 des Grundgesetzes vor, was die Artikel 74 und 74 a umfaßt, so daß es keine Rahmengesetzgebung mehr sein soll. Ich lese den dritten Absatz zuerst: Bundesgesetze — nach Abs. 2 — sind auf diejenigen Regelungen zu beschränken, die erforderlich sind, um die dort genannten Ziele zu erreichen. Das weitere ist der Landesgesetzgebung zu überlassen. Auf deutsch: Richtliniengesetzgebung, abgeschrieben, übernommen aus Art. 189 des EWG-Vertrages. Was in der EG mit 'souveränen Staaten geht, wird hoffentlich im Bundesstaat mit bundestreuen Gliedstaaten bezüglich ihrer Eigenstaatlichkeit auch funktionieren können.
Wann soll der Bund die Gesetzgebungszuständigkeit haben? Der Bund ist in diesem Bereich der Gesetzgebung befugt, wenn und soweit die für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderliche Rechtseinheit, Wirtschaftseinheit oder die geordnete Entwicklung des Bundesgebiets nur durch eine bundesgesetzliche Regelung zu erreichen ist. Nur dann besteht eine volle Gesetzgebungskompetenz. Wir haben diese Kriterien so formuliert, daß wir im letzten Absatz sagen können: Ein Land oder der Bundesrat soll das Verfassungs-gericht anrufen können, um die Grenze zwischen der erforderlichen und der nicht erforderlichen Vollregelung im Laufe der Zeit festlegen zu lassen. Ich führe diese beiden Elemente hier ein. Dazu will ich nur sagen, daß die seitherigen Gemeinschaftsaufgaben im Finanzierungsgebiet fortgeführt werden sollen. Ich will mich dazu jetzt nicht im einzelnen äußern.Ich meine, daß wir diese Dinge in diesem Hause und bei den Ländern ernsthaft prüfen sollten, weil wir damit unter Wahrung der Zuständigkeit zur Funktionsfähigkeit des Bundes, des Bundesstaates, der bundesstaatlichen Ordnung kommen können, und daß wir auf diese Weise die Einheit, von der auch alle Herren von der Bundesratsbank bis jetzt sprachen, erreichen können und Sie, Herr Maier, für Ihre Strenge immer noch genügend Spielraum haben, um in Ihrem Bereich so zu verfahren, wie Sie es für richtig halten; denn der Vollzug und die detaillierte Gesetzgebung werden dann wie seither allemal Aufgabe der Länder sein. Ich wollte das hier mit der Bitte vortragen, das in die Überlegungen einzubeziehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rose.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch das Einschieben des Herrn Kollegen Schäfer in die Rednerliste ist mir offensichtlich eine Retourkutsche für das verpaßt worden, was Frau Schuchardt vorhin mit einem Mißbrauch der Verfassung bezeichnet hat. Nur, ich bekenne offen, ich bezeichne es nicht als Mißbrauch. Ich habe nichts dagegen, daß ein älterer Kollege vor mir spricht und daß er vor allen Dingen auch sehr interessante Ausführungen zur Verfassung macht. Ich habe ein anderes Verfassungsverständnis — —
Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Einteilung der Rednerliste dem Präsidenten obliegt.
In Ordnung. Ich nehme das zur Kenntnis. Ich bin nur informiert worden, daß ich als Redner gleich nach dem Herrn Minister Herzog komme.Meine Vorredner haben — zumindest zum Teil —uns alle berührende Fragen der deutschen Bildungspolitik angeschnitten. Wir betrachten diese Fragen mit großem Ernst und streben in den zuständigen Gremien Lösungen an. Wir wollen aber nicht den Blick für das verlieren, was Anlaß der heutigen Debatte ist. Der Mängelbericht über das föderative Bildungssystem ist nämlich nur ein Vorwand für die eigentlichen Ziele der Bundesregierung. Da sind die Bemerkungen, die Herr Senator Glotz gemacht hat, und da sind so manche andere Bemerkungen wirklich nur Ablenkungsmanöver.Schauen wir uns einmal diesen Mängelbericht bzw. die Schlußfolgerungen der Bundesregierung an! Da wird nichts über die Probleme geschrieben, obwohl diese auch in einem großen Anhang auftauchen, sondern da geht es am Schluß um eine Kompetenzvertei-
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Dr. Roselung, um eine Umverteilung hin zum Bund. Die Ziele sind die weitere Aushöhlung des verfassungsmäßigen Föderalismus und auch die Vereinheitlichung der Bildungslandschaft im Blick auf systemüberwindende Reformen.Ich habe vorhin von Herrn Senator Glotz vernommen, daß er im Landtag war. Auch ich möchte das sagen. Aber ich bin nicht vom Bayerischen Landtag in den Deutschen Bundestag gewechselt, um hier nur den kleinsten Finger für eine Kompetenzverschiebung zu geben, um den kleinsten Finger für eine Zerstörung der Kulturhoheit zu geben, die von der Verfassung den Ländern gegeben ist.Wer Bildungspolitik machen will, Frau Kollegin Schuchardt, wer sie im großen Stil machen will, der soll sich halt in einen Landtag wählen lassen, soll deshalb aber nicht meinen, er müsse den Bundestag zu einem Forum dieser Politik machen.Der Mängelbericht hat außerdem nicht die Verbesserung der Lebenschancen der Jugendlichen zum Ziel. Das ist eindeutig. Das hat Herr Minister Maier mit seiner Broschüre, die er vorhin vorgezeigt hat, auch noch einmal deutlich gemacht. Der Mängelbericht hat eindeutig nur das Schüren einer Unzufriedenheit zum Zwecke der Zerschlagung des Bisherigen zum Ziel. Wie sagte doch der FDP-Bundesgeschäftsführer: der Bildungsföderalismus habe in der Bundesrepublik extrem versagt. Nein, meine Kolleginnen und Kollegen, nicht der Bildungsföderalismus hat versagt, sondern die reformeifrigen Bildungspolitiker haben das beklagte Durcheinander produziert. Sie sind für die von Herrn Minister Schmude erwähnte Staatsverdrossenheit verantwortlich. Wer jetzt nach einer Kompetenzverlagerung hin zum Bund ruft, geht am Problem vorbei. Wo hat denn bisher der Bund den Beweis erbracht, daß er alles besser macht? Haben wir nicht schon den vierten Bildungsminister seit der sozialliberalen Koalition? Gibt es nicht auch Stimmen aus den eigenen Reihen der SPD, daß man lieber das Bundeskultusministerium nicht einführen, sondern im Gegenteil das jetzige Bildungsministerium auflösen will?Der einst hochgeschätzte FDP-Politiker Ralf Dahrendorf hat am 9. Juni dieses Jahres in einem Beitrag für die „Zeit" die kritische Frage gestellt: „Wie kommen wir aus dem Unsinn der Zentralisierung, den die FDP nicht nur in der Verwaltungsreform, sondern auch in der Bildungspolitik nach wie vor vertritt, heraus?"Weitere Kritik findet sich tief in den Reihen der SPD und der FDP, weil alle spüren, daß die neuen Zuständigkeiten des Bundes nur ein Anfang sind. Es hat sich gezeigt, daß sich der Mängelbericht zunächst auf bestimmte wichtige Nahtstellen des Bildungswesens konzentriert und daß er entgegen heutiger Beteuerungen von Herrn Minister Schmude den Einstieg für weitergehende Zuständigkeiten schaffen soll. Zuerst die organisatorische Einheitlichkeit und dann die inhaltliche Gleichschaltung — das ist doch des Schmudes Kern.
Herr Kollege Rühe hat die gleichgemähte Wiese erwähnt. Ich möchte, weil ich Rose heiße, nicht sagen, daß ich lieber Blumen auf der Wiese haben möchte. Wir haben ja schon Beispiele: Es gibt ein neues Gymnasium, in dem vor lauter Gleichmacherei nur noch eine einzige Fremdsprache gepflegt wird. Vielleicht geht es so weit, daß man in Zukunft nicht einmal mehr diese eine Fremdsprache lehren darf, weil irgendeiner Sprachbarrieren hat. Da machen wir halt keine Fremdsprache; da machen wir einen Mofa-Kurs ; vielleicht verstehen den alle. Und so geht es doch weiter in dieser Richtung der Gleichmacherei hin zur Anpassung an die allerletzten.
Auch der kulturpolitische Sprecher der bayerischen SPD hat diese Zielrichtung erkannt. Er meinte bei der Landtagsdebatte am 21. Februar 1978:Mit aller Entschiedenheit zurückweisen werden wir aber den mit diesem Mängelbericht verbundenen Versuch, den Bildungsföderalismus überhaupt durch die Verlagerung der Kompetenzen im Bereich der Schulabschlüsse, der beruflichen Bildung und der Schulpflicht praktisch aus den Angeln zu heben.Soweit der SPD-Sprecher. Er sagte zusätzlich:Es hat sich nicht erwiesen, daß Bundeskompetenz automatisch die allein zweckmäßige und vor allem fortschrittliche Lösung eines bildungspolitischen Sachverhaltes gewährleistet.
Das Hochschulrahmengesetz ist, zu Teilen zumindest, ein negatives Beispiel.Das sagt ein sogar als Minister in Frage kommender Mann der SPD.
— Ja; das kann ich nur bestätigen. Denn mit solchen Meinungen, die hier immer vertreten werden, kann man nicht drankommen.Auch die von der FDP zuletzt so liebevoll in den Bundesvorstand aufgenommene Frau Redepenning hat sogar von einer Zurückeroberung von Kompetenzen für die Landesparlamente gesprochen.
— Das ist richtig. Ich habe überhaupt nichts dagegen. Für die Parlamente! Nur, Frau Kollegin Schuchardt, wenn es schon Beispiele gibt, daß bei einer Parlamentszuständigkeit die sogenannte Ministerialbürokratie auf Landesebene übermächtig ist, wie soll denn das im Bund werden? Da wird ja die Ministerialbürokratie noch mächtiger.
Als letztes Beispiel dafür, daß wir auf dem richtigen Kurs sind, möchte ich aus der Zeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zitieren, die in der Nr. 6 dieses Jahres geschrieben hat:
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Dr. RoseHier— in bezug auf den Mängelbericht —hat sich die Bundesregierung mit ihrem ganzen Gewicht auf das hölzerne Steckenpferd der FDP setzen lassen: Bundeskompetenz im Bildungsbereich.Dann wird fortgefahren:Nach unserer Auffassung dagegen gilt weiterhin, daß strukturelle, materielle und inhaltliche Verbesserungen im Bildungsbereich vorrangig von einem bildungspolitischen Wettbewerb zwischen den Bundesländern zu erwarten sind.Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft stehtbekanntermaßen nicht in dem Verdacht, daß sieauf unserer Seite ist.Sie sehen also: wir sind mit unserer Kritik nicht allein. Ich will es noch deutlicher sagen: Der Mängelbericht ist nichts anderes als der Versuch der Bundesregierung, von ihren eigenen Mißerfolgen in der Bildungspolitik abzulenken.
Sehr richtig!)Wo der Bund bisher schon Kompetenzen hatte und wo er zentralistische Lösungen herbeiführte, liegen nämlich die eigentlichen Probleme. Das traurigste Beispiel für die Zentralisierung ist die ZVS, die ja jetzt schon „Zentrale Verhinderungsstelle von Studenten" heißt.
— Sehr witzig? Vielleicht empfindet Kollege Thüsing das als witzig.
Genauso traurig ist die Bildungslandschaft in jenen Ländern, wo die großen Reformer am Werk waren.
Es können einem jene Abiturienten leid tun, die in Berlin oder Bremen ihren Studienweg einschlagen müssen.
— Herr Kollege Waltemathe, ich nehme gern zur Kenntnis, daß es noch einen Wüster gibt. Da brauche ich nicht Herrn Thüsing, zu zitieren.
Bei den Versuchen zum Hochschuleignungstest .für harte Numerus-clausus-Fächer haben die Abiturienten aus den unionsregierten Bundesländern eindeutig besser abgeschnitten. Man könnte weitere Beweise bringen.
Wenn es nicht um die Jugend ginge, könnte man hämisch zur Tagesordnung übergehen. So abermüssen wir die eigentlichen Aufgaben zur Verbesserung der Zukunftschancen der jungen Generationangehen, statt Kompetenzen hin- und herzuschieben.Ich möchte Ihnen nur einige Aufgaben sagen, die ich als lohnende Gebiete für eine Bundeskompetenz ansehe. Da wäre z. B. die Verbesserung der sozialen Lage der Studenten. Da wäre die bessere Abstimmung von betrieblichen Ausbildungsplänen und dem Berufsmarkt. Nicht vorbeiproduzieren! Da wäre die Beseitigung ausbildungshemmender Vorschriften. Da könnte ich mir auch vorstellen, daß eine Laufbahnreform der Verbesserung der Berufschancen dient. Dann hat man sehr viel zu tun in der auswärtigen Kulturpolitik, wo wir auch überzeugt sind, daß einiges nicht zum besten steht.Die Bundesregierung könnte viel mehr für die Deutschen im In- und Ausland leisten, wenn sie sich ihrer spezifischen Pflichten bewußt wäre. Statt dessen sucht sie aber neue Kriegsschauplätze.Das beklemmendste Beispiel der irregeleiteten Politik ist die neue Einstellungspraxis dort, wo SPD und FDP das Sagen haben.
In Hamburg, Hessen und Bremen wurde das Bildungswesen gar für Verfassungsfeinde geöffnet.
Niemand fragt mehr, was aus den Schülern und Studenten wird, die zwar vielleicht ein sozialistisches Bewußtsein, aber keine Fachkenntnisse bekommen.
Mit dieser Art von Politik wird gesündigt. Bei dieser Art von Politik, meine verehrten Kollegen von der SPD und der FDP, machen wir nicht mit.
Die CSU wird auch aus diesem Grund einer Kompetenzverlagerung eine entschiedene Abfuhr erteilen.
— Ich verkneife es mir, jetzt etwas dazu zu sagen, was ein Linksaußen nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch in der Politik sagt! — Damit soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, wir würden die Augen vor den Problemen verschließen. Nur: Diese Probleme sollen in den verfassungsmäßig zuständigen Organen gelöst werden.
Wir wissen auch, daß die Entwicklung nicht stehenbleibt und das Zusammenwachsen Europas den Blick über die Grenzen erfordert.Was ich der SPD/FDP zum Vorwurf machen muß, ist sozusagen ihre Besessenheit, schnell durch einen Federstrich und mit lockeren Worten Bewährtes aufzugeben und das Heil bei Neuem zu suchen und sogar die föderative Struktur unseres Bundesstaates aufzugeben.
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Dr. Rose— Das steht mit einem schönen Satz in diesem Bericht!Vielleicht darf ich schließen — Kollegin Helga Schuchardt wird mir verzeihen, daß ich aus einem chinesischen Büchlein zitiere;
wir halten es lieber mit einer chinesischen Weisheit —: Fürchte dich nicht vor dem langsamen Vorwärtsgehen, fürchte dich nur vor dem Stehenbleiben!
Wir wollen nicht bei den leider vorkommenden Problemen im Bildungsbereich stehenbleiben. Wir wollen aber behutsam und ohne langfristig schädliche Zerschlagung unseres Bundesstaates dieses Problem lösen. Hierin sollten wir alle übereinstimmen. Verstärkte partnerschaftliche Zusammenarbeit: ja, Dominanz des Bundes im Bildungswesen: nein, niemals!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Maihofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war zunächst geneigt, Herr Kollege Rose — vor Ihrem Debattenbeitrag —, mich auf einige Nachbemerkungen . zu beschränken. Aber nachdem sie nun völlig unbelehrt nach vielstündiger Auseinandersetzung, die hier mit großem Ernst geführt worden ist, nicht nur zwischen Regierung und Opposition, sondern auch zwischen Bund und Ländern, ausschließlich auf Nebenkriegsschauplätzen sich getummelt haben und so unglaublich die Sachfragen, um die es hier geht, verfälscht haben, bleibt mir doch nichts übrig, als hier abschließend einige ganz unmißverständliche grundsätzliche Bemerkungen zu machen.
— Ganz unbezweifelbar! Auch im Bundestag!Der Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme unseres föderativen Bildungssystems
ist, wie ich meine — da trennen sich schon die Geister — ein Glücksfall um Sorgfalt und Unparteilichkeit bemühter Analyse von Fakten. Ich jedenfalls kenne kaum einen vergleichbaren Bericht, der mit so großer Sachkunde und auch Gründlichkeit von irgendeinem Regierungsamte in Bund und Ländern zur Vorbereitung von Grundsatzentscheidungen vorgelegt worden ist. Und so sehr man nun auch — hier kann ich manches sehr wohl nachempfinden, was von der Bundesratsbank aus gesagt worden ist — das Verfahren seine Ausarbeitung bemängeln mag, an der Sachhaltigkeit vieler seiner Feststellungen führt kein Weg vorbei. Ich stelle mit großer Befriedigung fest: wir haben dies ja vonallen Seiten gehört — deshalb kann ich Ihren Debattenbeitrag, Herr Rose, schon gar nicht verstehen —, daß darin eigentlich alle in Bund und Ländern übereinstimmen, denn sonst müßte ich auch Herrn Rühe völlig falsch verstanden haben.So verhält es sich auch mit den daraus von der Bundesregierung nach Beratung mit den Ländern gezogenen Schlußfolgerungen. Auch durch sie bleibt der Konsens zwischen Regierung und Opposition über den Föderalismus in unserem Bildungswesen völlig unangefochten. Die Vorzüge des föderativen Systems, nicht nur für einen freiheitlichen Rechts-und Sozialstaat, sondern und gerade auch für einen freiheitlichen Kulturstaat, sind grundsätzlich unbestritten. Das sollten wir doch eigentlich mit Befriedigung feststellen und nicht zum Ende hier Pappkameraden aufbauen,
über die wir uns beim Scheibenschießen belustigen.
Es geht hier nicht um eine Föderalismusdebatte auf dem Felde des Bildungswesens, auch in Ihre Richtung, Herr Kollege Maier, gesagt.
— Aber nein, ich habe Sie noch nie so den Föderalismus rühmen hören, wenn Sie mir dies zu bemerken gestatten.
Hier steht der Föderalismus so wenig zur Debatte wie auf irgendeinem anderen Felde der Politik. Nehmen Sie dies doch nun endlich einmal zur Kenntnis!Wenn uns auch dieser Föderalismus in einem lichten Augenblick unserer Geschichte mit Schaffung des Grundgesetzes, für manche unversehens, in den Schoß fiel, seine doppelte Gewaltenteilung hat sich als eine, wie ich meine, der entscheidenden Integrationsfaktoren zwischen den demokratischen Kräften in Bund und Ländern ebenso bewährt, wie als Quelle des Reichtums und der Vielfalt unserer in einem edlen Wettstreit sich untereinander entwickelnden Kulturlandschaften.Das führt, wenn ich das einmal so ausdrücken darf, dazu, daß unser föderatives Staatswesen anders als in zentralistischen Staaten zwar keine Kulturmetropole kennt, aber eben auch keine Kulturprovinz, im schlechten Sinne dieses Wortes.
Gerade wenn man so als Liberaler den Föderalismus nicht nur als einen überzeugenden Grundsatz bejaht, der Initiative von unten und damit Pluralität im Ganzen eines Gemeinwesens freisetzt und offenhält, muß man eine Untersuchung wie die vorliegende ernst nehmen, die neben diesen unbestreitbaren Vorzügen ebenso unbestreitbare Mängel eben
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Dr. Dr. h. c. Maihof erdieses föderativen Systems im Bildungswesen aufweist. Das muß uns doch als Föderalisten bekümmern, Sie genauso wie uns.Es ist erfreulich, daß darüber, daß es solche strukturellen Probleme in unserem föderativen Bildungswesen gibt, nach dem letzten Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz und dem zugrundeliegenden Beschluß der Kultusministerkonferenz und all dem, was wir heute — auch von Ihrer Seite, der Bundesratsbank — gehört haben, nichts als Konsens festzustellen ist.
Der Dissens, der fortbesteht, bezieht sich ausschließlich darauf — das ist es, was ich an Ihrem Debattenbeitrag beklage, Herr Rose, weil er damit völlig neben dem Thema lag —, wie diese strukturellen Probleme zu beheben sind, um dieses föderative Bildungssystem — und nicht irgend ein anderes — dadurch nicht etwa in seiner Leistungsfähigkeit zu schwächen, sondern zu stärken.Ich will nach dem erreichten Stand der Debatte, vor allem nach dem, was Sie, Herr Kollege Schäfer, gesagt haben, weder zu den bildungspolitischen noch zu den verfassungspolitischen Einzelfragen nochmals Stellung nehmen, sondern mich auf den, wie ich meine, prinzipiell wie praktisch entscheidenden Punkt konzentrieren, den auch Sie in Ihrem letzten Debattenbeitrag angeschnitten haben. Ich meine die Frage: Ist, wie die Bundesregierung vorschlägt, die Schaffung begrenzter Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes zur bundeseinheitlichen Festlegung der Eckdaten unseres Bildungssystems unerläßlich, oder — das wäre die Alternative — ist, wie die Mehrheit der Länderregierungen meint, die Beseitigung bestimmter Fehlentwicklungen, die auf strukturelle Probleme sowohl in der bisherigen Koordination als auch Exekution der Initiativen von Bund und Ländern im Bildungswesen zurückzuführen sein könnten, durch einfache Verbesserungen der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen in Bund und Ländern zu erreichen? Das allein ist die Frage. Allein darum sollten wir hier ehrlich miteinander rechten.Es bedarf nach den bisher in dieser Aussprache gemachten Ausführungen zu den hier meist erörterten Gesichtspunkten einer solchen Koordination, zur Gewährleistung eines Mindestmaßes sowohl an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als auch an Freizügigkeit der Bundesbürger als auch an tatsächlicher, d. h. bundesweiter, Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte und des Berufs keiner weiteren verfassungsmäßigen Begründung mehr, was solche Koordination effektiv leisten müßte, soll sie nicht mit diesen Verfassungsprinzipien in Widerspruch geraten. Was aber daneben bisher nicht klar und, wie ich meine, nicht scharf genug gesehen wird — und hier knüpfe ich an manches an, was Sie gesagt haben, Herr Schäfer —, ist die mit den Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsentscheidungen in jüngster Zeit auch rechtsverbindlich festgelegte Forderung nach Zurückverlagerung der Grundsatzentscheidung über unser Bildungswesen überhaupt aus der Grauzone hierfür verfassungsmäßig nicht legitimierter Gremien der Exekutive auf die hierzu allein legitimierten Organe der Legislative.Damit aber stellt sich, wie ich meine, das entscheidende strukturelle Problem, wie selbst mit einer noch so verbesserten Staatsvertragspraxis unter den Ländern oder auch Vereinbarungspraxis zwischen Bund und Ländern die hier geforderte Prärogative der Parlamente wieder hergestellt werden könnte. Das ist die Gretchenfrage an die gesamte Bildungspolitik in Bund und Ländern; denn es geht nun einmal nicht an, daß diese Grundsatzentscheidungen unseres Bildungswesens, . deren parlamentarische Vorbereitung und Beschlußfassung auch eine Sache der breiten Unterrichtung unserer Öffentlichkeit in jedem Stadium der Diskussion sein müßte, zur Kabinettsache im schlechten Sinne gemacht werden, die unter fast völligem Ausschluß der Öffentlichkeit vorverhandelt werden, buchstäblich präjudiziert werden,
so daß die Parlamentsbestätigung zur bloßen, wie es ja auch heißt, Ratifikation von Akten der Regierung herabgesetzt wird. Wo sind wir denn eigentlich? Das mag — so möchte ich hier feststellen — aus der Natur der Sache bei außenpolitischen Regierungsakten unvermeidbar sein, niemals aber bei innenpolitischen Grundsatzentscheidungen, die, wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht feststellt, legal und legitim allein im Vertretungsorgan des höchsten "Souveräns, des Volkes, dem Parlament also, in Bund oder Ländern getroffen werden kann.Geht man nun von dieser durch unsere höchsten Gerichte klargestellten Gesetzesförmlichkeit der Grundsatzentscheidungen unseres Bildungswesens aus, dann stellt sich für die Verantwortlichen in Bund und Ländern, unabhängig von ihrer politischen Couleur, ein und dieselbe Frage: Ist diese Gesetzesförmlichkeit im Sinne parlamentarischer Grundsatzentscheidungen über das Bildungswesen mit bloßen Ratifikationsakten von bereits ausgehandelten Staatsverträgen zwischen Regierungen zu gewährleisten, oder setzt sie bei diesen fast jeden Bürger unmittelbar oder mittelbar betreffenden Entscheidungen nicht den normalen parlamentarischen Prozeß der Entscheidungsfindung voraus, ebenso aber auch die Einbeziehung nicht nur der ländermäßigen, sondern auch der bundesseitigen Gesichtspunkte in diese Entscheidungsfindung, und zwar in offener, von der gesamten Bevölkerung nachvollziehbarer politischer Diskussion?
— Ich komme schon darauf.Spricht schon unter diesen Gesichtspunkten alles für eine Verlagerung bestimmter Grundsatzentscheidungen unseres Bildungswesens auf die Bundesebene, so bestärkt uns diese auch im Schlußbericht der Bundesregierung gezogene Folgerung, wenn wir andererseits die praktischen Konsequenzen eines solchen Gesetzgebungsverfahrens für jede dieser Grundsatzentscheidungen unseres Bildungswesens in elf Länderparlamenten uns vergegenwärtigen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9373
Dr. Dr. h. c. MaihoferDies könnte nach unserer bisherigen Erfahrung nur dahin führen, daß die schon auf der Ebene der Regierungen nur nach langwierigen Abstimmungsverfahren und nur auf dem jeweils kleinsten gemeinsamen Nenner, wenn überhaupt, erfolgten Einigungen zwischen den Ländern nun im parlamentarischen Prozeß von elf selbständigen Landtagen auf den absoluten Minimalkonsens herabgedrückt würden. Das aber würde die aufgezeigten und allseits unbestrittenen strukturellen Probleme unseres föderativen Bildungssystems nicht beseitigen, sondern weiter verschärfen. Das kann niemand wollen, meine ich, der dem Föderalismus wohlwill.Gelangt man darum auch und gerade als überzeugter Föderalist zu der Einsicht, daß die im Interesse eben der Funktionsfähigkeit dieses föderativen Systems im Bildungswesen geforderte Lösung bestimmter Strukturprobleme, von denen die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse wie die Freizügigkeit der Bundesbürger im Bildungsbereich entscheidend abhängen, nur durch Übertragung begrenzter Gesetzgebungszuständigkeiten für bestimmte Grundsatzentscheidungen auf das Bundesparlament möglich ist, dann schließt dies wie dies auch die Bundesregierung erklärt hat — auch grundsätzliche Überlegungen darüber ein — und hier folge ich ganz dem, was Herr Kollege Herzog vorhin gesagt hat —, welcher Ausgleich auf anderen Feldern verfassungsmäßigen Zusammenwirkens von Bund und Ländern gefunden werden könnte, um die seit 30 Jahren beschrittene Einwegstraße nicht noch weiter fortzusetzen.Das soll nicht — auch das sage ich klipp und klar — aus dem taktischen Motiv geschehen, beschränkte Zuständigkeitsverlagerung auf den Bund damit schmackhafter zu machen, sondern aus der prinzipiellen Motivation, die für jeden Liberalen unverzichtbar bleibt, das mühsam erreichte Gleichgewicht von zentralen und regionalen Perspektiven und Interessen von Bund und Ländern in unserem Bundesstaat weder zugunsten der einen noch der anderen Seite zu verschieben, das es so bei dieser Gelegenheit eher durch eine ausgewogene Einigung besser zurechtzurücken gilt, als wir es heute vorfinden.
— So, wie es in anderen Bereichen auch möglich war. Nehmen Sie das Paradebeispiel aus der Zeit des Wahlkampfs 1976. Damals haben wir uns mitten im Wahlkampf in einer gemeinsamen Kommission von, Regierung und Opposition in Bund und Ländern zusammengefunden, um in einer zuvor hoffnungslos kontroversen Frage, der Neuordnung des Bundesgebietes, eine in Bund und Ländern tragfähige Lösung zu finden.
Auch damals haben wir die verfassungsändernden Mehrheiten erreicht, die am Anfang niemand für möglich hielt. Ich habe diese Verhandlungen selbst geführt, auch Herr Schäfer, auch Herr Herzog war mit dabei. Am Ende haben wir eine Lösung erreicht,die von der Überzeugung aller Teilnehmer an diesem Prozeß der Diskussion, getragen. war.Ich sage Ihnen voraus: Wenn wir es hier überhaupt ehrlich meinen und nicht einfach nur Schaugefechte gegeneinander führen,
dann werden wir uns auch hier am Ende einer sachlichen Auseinandersetzung zusammenstreiten müssen, solange wie eine einzige Prämisse akzeptieren: daß wir diesen Föderalismus funktionsfähiger machen wollen, als er in unserem Bildungssystem gegenwärtig ist.
— Das ist so wenig Theorie wie die Reform des Art. 29 des Grundgesetzes Theorie war. Sie ist heute Praxis.Nun, Herr Kollege Maier, ich kann es mir doch nicht versagen, noch ein freundschaftliches Wort über die Gartenzäune hinweg, die so zwischen Bund und Ländern gehegt werden, zu Ihren Bemerkungen über „Billigpreispolitik" und „Extratouren" einzelner Bundesländer — wogegen Sie gewettert haben —, zu sagen.
Darin erblicken Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, einen Großteil der Ursachen der heutigen Uneinheitlichkeit unserer Bildungslandschaft. Ich habe das mit steigender Verwunderung angehört; denn darin liegt für mich der schlagende Beweis eben dafür, daß das juristische Instrumentarium für eine effektive Koordination der Bildungspolitiken der Länder eben so, wie es gegenwärtig gestaltet ist, nicht ausreicht.Herr Maier, die Verweigerung der Anerkennung ist hierfür doch nur eine sehr fragwürdige Abhilfe. Sie meinen: Wenn einer aus der Reihe tanzt, dann werden wir ihm die Zustimmung versagen. Das geht doch voll zu Lasten und auf Kosten derer, die am unschuldigsten an dieser Entwicklung sind, der betroffenen Schüler und Studenten.
Dies ist wirklich keine Lösung.
Um noch in Ihrem Bilde zu bleiben, mit dem Sie uns entzückt haben: Das föderative Bildungssystem sei, wenn ich Sie richtig gehört habe, so eine Art Waren- und Preisvergleich des Bildungsangebots der Länder. Durchaus, sage ich mit Ihnen. Das schließt jedoch nicht aus, sondern schließt vielmehr zwingend ein, daß wir überhaupt zunächst einmal einen einheitlichen Geldwert haben, um diese Waren und Preise angemessen miteinander vergleichen zu können.Ich komme zum Schluß. Wir Liberalen — davon werden auch Sie, Herr Rose, uns nicht abbringen — wollen keine Aushöhlung des Föderalismus, auch und gerade nicht in unserem Bildungswesen. Wir wollen im Gegenteil eine Kräftigung des Föderalismus, der in einigen hier in der Debatte genugsam besprochenen Hinsichten dabei ist, sich selbst ad absurdum zu demonstrieren, und so ausgerechnet in
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Dr. Dr. h. c. Maihoferdiesem für unsere Bevölkerung besonders empfindlichen Bereich dabei ist, selbst seine Leistungsfähigkeit zur Bewältigung der Bildungsprobleme einer hochentwickelten Industriegesellschaft in Frage zu stellen; und zudem, wie die Leitentscheidungen unserer höchsten Gerichte überdeutlich machen, Gefahr läuft, sich in die Illegalität zu manövrieren.Deshalb unterstützen wir Liberalen aus Überzeugung die Erwartung der Bundesregierung, zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen in Bund und Ländern ernsthafte Gespräche über die hier gebotene Verfassungsinitiative zu führen. Ich glaube, wenn man wirklich will — ich erinnere an das vorhin genannte Beispiel —, wird man auch gemeinsame Wege zur Lösung der strukturellen Probleme unseres föderativen Bildungssystems finden, jedenfalls dann, wenn diejenigen, die sich zusammen auf den Weg begeben, nicht Konfrontation um jeden Preis suchen, sondern Kooperation aller Demokraten in Bund und Ländern, ohne die Politik im Bereich unseres Bildungswesens überhaupt nicht möglich ist.Ich glaube, daß wir uns — gestatten Sie mir dieses abschließende Wort — nicht genügend klarmachen, daß wir in der Gefahr sind, uns Schritt um Schritt, weiter und weiter von dem zu entfernen, was in den Köpfen unserer jungen Generation umgeht und was von ihr noch als Politik verstanden wird.
Wenn wir auf einem Felde, auf dem überhaupt nur Kooperation Politik ermöglicht, auf Konfrontation setzen, verehrte Damen und Herren von der Opposition, dann machen wir uns insgesamt — nicht Sie allein, sondern wir uns mit Ihnen genauso — in den Augen der nachwachsenden Generation unglaubwürdig und machen den Graben noch tiefer, den ich heute schon erschreckend sich auftun sehe, und zwar nicht nur zu den Generationen der Studenten, die nachkommen, sondern zu unserer Jugend überhaupt. Auf diese Konfrontation der Demokraten zu setzen, bedeutet, sich an der Zukunft dieser Demokratie zu versündigen.
Das Wort hat Herr Minister Jochem, Saarland.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden sicher selbst zu so später Stunde noch Verständnis dafür haben, daß ich mich im Auftrag der saarländischen Landesregierung hier ausdrücklich zu Wort melde. Mit großer Aufmerksamkeit habe ich die teilweise sehr kontroversen Ausführungen meiner Vorredner gehört. Streckenweise konnte man dabei den Eindruck gewinnen, als könne unser föderatives Bildungswesen, unheilvoll verstrickt in den Kompetenzstreit zwischen Ländern und Bund, seinen Auftrag nicht mehr voll erfüllen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie alle wissen, daß dies nicht stimmt.Daß es bei der Komplexität des Bildungswesens auch Probleme gibt, wird von niemandem bestritten. Sie werden heute abend von mir sicherlich keine Lösung der Probleme erwarten. Sie dürfen aber erwarten, daß es das ehrliche Bemühen der Regierung des Saarlandes ist, in einer CDU/FDP-Koalition den Versuch zu unternehmen, politische Kontroversen in sachlicher Diskussion auszugleichen.Der Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungswesens hat eine weit über den Rahmen der Bildungspolitik hinausgehende Auseinandersetzung bewirkt. Diese Auseinandersetzung berührt die Grundlagen unseres .föderativen Bildungswesens bis in die eigentliche Substanz hinein. Soweit diese Diskussion die Länderkompetenz im Bildungswesen in Frage stellt, erkläre ich — dies darf ich im Namen der Regierung des Saarlandes tun —, daß wir allen Versuchen in dieser Richtung eindeutig und entschieden eine Absage erteilen werden. Nach den kontroversen Debatten, die auch heute hier geführt worden sind, halte ich es für geboten, die Diskussion über die bildungspolitischen Grundsatzfragen auf ihre eigentlichen Ausgangspunkte zurückzuführen.
— Sie war zweifellos kontrovers!
— O doch! — Ich werde mich daher lediglich mit der Frage befassen, inwieweit und auf welchem Wege notwendige Gemeinsamkeiten in unserem Bildungswesen zu gewährleisten sind.Die Kulturhoheit der Länder als Kernstück ihrer Eigenstaatlichkeit
ist nicht nur nach Auffassung der Väter unseres Grundgesetzes, sondern auch auf Grund der historisch gewachsenen Gegebenheiten durchaus in der Lage, ihren kulturellen und damit bildungspolitischen Auftrag zu erfüllen. Dazu weisen zentralistische Lösungen in Kompetenzfragen sicherlich keinen besseren Weg. Es ist hinreichend bekannt — und dies empfinden wir als Saarländer in der Nachbarschaft zu Frankreich ganz besonders —, daß Staaten mit zentraler Zuständigkeit im Bildungswesen bei der Bewältigung ihrer Probleme in wesentlichen Bereichen oft größere Schwierigkeiten haben als wir in unserem föderativen System. Der Kollege Hans Maier hat gerade darauf vorhin sehr überzeugend hingewiesen. Nicht ohne Grund hat erst jüngst der Rat der europäischen Erziehungsminister eine Resolution in diesem Sinne gefaßt.Ich kann hier darauf verzichten, im einzelnen festzustellen, zu welch positiven Entwicklungen die Länder der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Bildungspolitik fähig waren; dies ist im Laufe der Debatte bereits hinlänglich geschehen. Immerhin haben die Länder in den letzten drei Jahrzehnten ein anerkanntes Bildungswesen auf- und ausgebaut und zu einer beachtlichen Leistungsfähigkeit entwickelt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9375
Minister JochemAllerdings möchte ich nicht verhehlen, daß die heute anstehenden Probleme, die der Strukturbericht aufzählt, auch die Folgen eines immer deutlicher werdenden Mangels an Grundkonsens über Inhalte und Ziele des Bildungswesens sind.
Einheit und Vielfalt im Bildungswesen scheinen zwar kontroverse Ziele zu sein und werden auch vielfach so diskutiert. Sie sind aber nicht kontrovers, wenn unter Wahrung vielfältiger Formen und Möglichkeiten das Gemeinsame in Inhalt und Ziel vor allen angestrebt wird.
Einheit in diesem Sinne heißt nicht Uniformität, und Vielfalt ist nicht Vielerlei.
Wohlverstandene Vielfalt kann sich naturgemäß nur innerhalb eines ganz klar abgesteckten Rahmens bewegen.Bei allen bildungspolitischen Streitfragen der Vergangenheit ist nicht wegzudiskutieren, daß es in mancher Hinsicht auch an dem ernsten Willen gefehlt hat, über unterschiedliche Parteiauffassungen hinweg diese notwendige Gemeinsamkeit zu suchen.
Ich verhehle auch nicht, daß die Bemühungen um formale Kompromisse es oftmals verhindert haben, die gegensätzlichen sachlichen und politischen Meinungen in offener Diskussion auszutragen. Vielfach wurden formale Kompromisse dazu benutzt, die eigene Position zu begründen, ohne die sachlich begründete Position des anderen zu respektieren.Ich könnte mir vorstellen, daß Beobachter der bildungspolitischen Szene des letzten Jahrzehnts den Eindruck gewonnen haben, daß parteipolitische Richtungskämpfe und damit verbundene vordergründige formale Kompromisse den notwendigen sachlichen Konsens weitgehend beeinträchtigt haben.
— Die Frage können Sie sich selbst beantworten.— Insofern gibt uns die heutige Debatte Gelegenheit, trotz unterschiedlicher politischer Auffassungen ein Mindestmaß an notwendiger Gemeinsamkeit wiederzufinden.Die Regierung des Saarlandes hat — und dies, meine Damen und Herren, war ihr ausdrücklicher Wille — aus diesem Grunde auch im Bundesrat bei der Beratung und Beschlußfassung über den Strukturbericht der Bundesregierung entschieden auf einen gemeinsamen Beschluß der Länder hingewirkt. Diese Übereinstimmung beweist, daß die Länder nicht bereit sind, von ihrer Kompetenz und damit auch von ihrer Verantwortung abzurücken.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer? — Bitte.
Herr Minister, nach diesen Feststellungen darf ich Sie fragen, ob Sie der Kultusministerkonferenz überhaupt noch eine Chance geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gebe der Kultusministerkonferenz eine ganze Reihe von Chancen. Die Kultusministerkonferenz hat in der Vergangenheit gezeigt, daß sie zu gemeinsamen Lösungen fähig ist, und sie wird das, davon bin ich überzeugt, auch in Zukunft mit Intensität in weitem Maße weiterführen.
— Die stehen dazu nicht im Widerspruch.
Die Länder haben damit auch dokumentiert, daß sie ihre im Grundgesetz verankerte Kulturhoheit gegen jede Änderung oder Aushöhlung verteidigen. Die Länder sind aber auch zur tätigen Ausfüllung des ihnen vorn Grundgesetz erteilten Auftrags bereit. Die Länder sind nämlich davon überzeugt, daß sie eben in ihrer bewährten Zusammenarbeit fähig und in der Lage sind, tatsächlich vorhandene Probleme im Bildungswesen zum Wohle der betroffenen Eltern und Schüler zu lösen. Insofern sitzen die Länder heute nicht auf der Anklagebank. Sie haben auch ohne den Bericht der Bundesregierung die hier angesprochenen Probleme, die keine Probleme des Föderalismus sind — dies wurde heute mehrfach verdeutlicht —, gesehen, erkannt und angepackt.Ich fasse unsere Auffassung kurz zusammen:1. Alle Absichten über die Verlagerung von Kompetenzen zwischen Ländern und Bund im Bildungswesen müssen entschieden zurückgewiesen werden.2. Einheit und Vielfalt müssen sich nicht widersprechen, sondern sind Grundpositionen, die sich gegenseitig ergänzen.3. Politisch unterschiedliche Auffassungen über den Weg und die Organisationsformen dürfen den gemeinsamen Grundkonsens in Bildungszielen und Bildungsinhalten nicht in Frage stellen. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, war gerade ein wesentliches Motiv für unsere Initiativen im Bundesrat.4. Formale Kompromisse sind nicht geeignet, die notwendigen Auseinandersetzungen in der Sache zu ersetzen. Sie beeinträchtigen die Möglichkeit, zu einer sachlichen Übereinstimmung zu gelangen.Bildung ist eine hervorragende Aufgabe im gesamtstaatlichen Lebensbereich und darf nicht zum Objekt politischer Strategien werden. Bildung muß sich an den gesicherten Wertmaßstäben und an den gesellschaftlichen Dimensionen der jeweiligen Generationen messen lassen. Ich hielte es der Debatte in diesem Hohen Hause für angemessen, daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß unsere künftige Bil-
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9376 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Minister Jochemdungspolitik mehr von der Sache her als von Ideologien und politischen Strategien geprägt sein muß.
Das Saarland ist stets auch in der Bildungspolitik einen Weg des Ausgleichs gegangen. Durch meine Ausführungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollte ich diese politische Grundlinie noch einmal verdeutlichen, weil ich meine, dies sei eine Linie, die uns im Interesse der uns anvertrauten Jugend näherbringt und vor allen Dingen auch weiterbringt.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Senator Franke, Bremen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin!
— Ja, da sind Sie ausgepfiffen worden. Das weiß ich noch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer um diese Zeit das Wort in einer Bildungsdebatte ergreift, kann — das haben mich viele Landtagsdebatten gelehrt — eigentlich nur noch den Zorn der Zuhörer, auch wenn sie engagierte Bildungspolitiker sind, heraufbeschwören. Ich hoffe, daß ich meine Worte so deutlich setzen kann, daß Sie trotzdem zu so später Stunde dafür entschädigt werden, die Bundesratsvertreter heute so zahlreich hier am Pult ge sehen zu haben.
Ich bin seit ein paar Jahren in der Kultusministerkonferenz. Ich bin nicht der älteste; bei uns geht der Wechsel allerdings so schnell, daß ich inzwischen auch nicht mehr der jüngste bin. Es ist nicht nur ein Privileg der Bundesregierung, Bildungsminister zu wechseln. Die Bundesländer stehen da nicht nach.
— Ja, bei den CDU-Ländern auch. Da kann ich Ihnen viele Beispiele bringen.
Wer heute auf dem Erfahrungshintergrund der Kultusministerkonferenz die Debatte hier mit dem mißt, was unsere Wirklichkeit ist, wer auch die Ausführungen der Kollegen mit dem mißt, was bei uns Wirklichkeit ist, bei dem paßt das Bild von dem, wie wir sind, und von dem, wie wir hier reden, nicht mehr zusammen. Ich muß aus dem, was hier heute gesagt worden ist, schließen, daß wir gar nicht in einer großen Gefahr sind. Der Föderalismus im Bildungsbereich funktioniert. Da sind sicherlich ein paar Schwächen. Da sind vielleicht ein paar ernste Probleme. Wir stellen uns denen aber. Mit der nötigen Sachbezogenheit, mit dem nötigen Vermeiden von Ideologien, mit dem Aufeinanderzugehen werden wir diese Probleme schon meistern. Wir haben
heute hier ein sehr optimistisches Bild von der Bundesratsbank vorgeführt.
Meine Damen und Herren, dies ist — das will ich ganz deutlich sagen — nicht unser bildungspolitischer Alltag. Insofern muß, wer das föderative System im Kulturbereich wirklich stärken will, wer es überlebensfähig halten will, wer die Kompetenzverlagerung auf den Bund z. B. nicht will, für den vorgelegten Mängelbericht der Bundesregierung dankbar sein.
Auf Grund dieses Mängelberichts ist in den drei Jahren, in denen ich den Beratungen der Kultusministerkonferenz folge, zum ersten Mal folgendes passiert: daß wir unter dem Druck des Vorgetragenen wirklich bereit gewesen sind, zuzugeben, daß wir es nötig haben, in der Kultusministerkonferenz sehr viel konsensfähiger zu werden.
— Wissen Sie, wie das in den Debatten der Kultusministerkonferenz wirklich gewesen ist? Sie haben durch Ihren Zwischenruf das Wort „Hochschulzugang" in die Debatte gebracht: Der Test ist jetzt mit den Stimmen Bremens, aber bei Stimmenthaltung Bayerns beschlossen worden, übrigens ein ganz typisches Abstimmungsverhalten in der Kultusministerkonferenz. Aber ich komme noch ein bißchen auf Sonderrollen.
Wir als Kultusministerkonferenz haben — das ist in der Entschließung der Kultusministerkonferenz sehr deutlich geworden — den Mängelbericht einstimmig zum Anlaß genommen,
zu erklären, daß wir Kultusminister es nötig haben — das hat uns der Bund mit Fakten vorgerechnet —, unser bisheriges Miteinander zu überprüfen und die Zusammenarbeit der Länder in der Kultusministerkonferenz zu verbessern.
Diese Selbstkritik der Kultusministerkonferenz — schwarz auf weiß niedergelegt, Ihnen in unserem Bericht überreicht — ist ausschließlich eine Folge des Mängelberichts, den die Bundesregierung vorgelegt hat.
.
Ohne diesen Bericht wäre es zu dieser kritischen Selbsteinschätzung der Kultusministerkonferenz nicht gekommen. Insofern müssen wir als Kultusminister — welche Konsequenzen wir am Ende auch daraus ziehen — diesen Bericht als einen positiven Anstoß bejahen und für ihn dankbar sein.
Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Daweke? ,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9377
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön!
Herr Senator, welchen Einfluß haben diese Druckmittel und die Diskussion in der Kultusministerkonferenz auf die bremische Hochschulpolitik gehabt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf die bremische Hochschulpolitik komme ich anhand der Beispiele, die der Kollege Maier hier vorgetragen hat. Er hat ein paar Hinweise gegeben: Lehrerprüfungsordnung usw. Ich habe vor, die nötigen Antworten zu geben.Es spielte sich in der Kultusministerkonferenz — ich weiß nicht, ob das fortgesetzt wird, weil wir uns ja in der Entschließung der Kultusministerkonferenz bereiterklärt haben, mit uns selbst zu Rate zu gehen — bislang folgendes ab: Die kulturpolitische Landschaft der Bundesrepublik drohte in zwei Bildungskreise zu zerfallen: in einen Bildungskreis, der von der Politik der CDU/CSU-Länder bestimmt ist, und in einen Bildungskreis, der von der Politik der sozialliberalen Länder bestimmt ist. Das Auseinanderfallen in zwei sich sehr voneinander absetzende Bildungskreise — das ist ein Verhängnis für einen Bundesstaat — ist durch folgenden Vorgang ausgelöst worden: daß die CDU/CSU-Länder zunehmend dazu übergehen, die Abschlüsse, die Qualifikationen, die im Bildungssystem der sozialliberalen Länder erworben werden, ihrerseits nicht anzuerkennen.
Es gibt kein Beispiel dafür, daß sich A-Länder geweigert hätten, Abschlüsse des B-Bereichs in Zweifel zu ziehen. Es ist die Wirklichkeit in B-Ländern, unterschiedliche Abschlüsse — ob das Nordrhein-Westfalen ist, ob das Hessen ist, ob das Bremen ist, ob das Hamburg ist — ihrerseits in Zweifel zu ziehen.Ich nehme die Frage auf: Warum denn? Ich will Ihnen dies am Beispiel der Lehrerausbildung verdeutlichen. Der Kollege Maier hat als einer der ersten in einem Bundesland ein neues Lehrerausbildungsgesetz — den gemeinsam entwickelten Vorstellungen im Bildungsgesamtplan folgend eingebracht, und der Landtag hat es beschlossen. Dieses Gesetz — da war Bayern bahnbrechend — hat die Stufenlehrerausbildung für Bayern gesetzlich geregelt. Dieses Gesetz ist erst nicht exekutiert und dann inzwischen liquidiert worden. Bremen hat nach Bayern ein Lehrerausbildungsgesetz vorgelegt, das auch, der Verabredung zwischen allen Bundesländern folgend, in ähnlicher Form die Stufenlehrerausbildung geregelt hat. Weil inzwischen die CDU/CSU-regierten Länder hinter die gemeinsam verabredeten Positionen, siehe Bildungsgesamtplan, zurückgefallen sind, weil sie auf Positionen der Vorreformzeit des Bildungsbereiches zurückfallen, versuchen sie über die Aberkennungsstrategie, in der Kultusministerkonferenz ihre zurückverlegten Linien nun auch den anderen Ländern aufzuzwingen. Dieses ist ein bildungspolitisches Vehikel, das die CDU/CSU-regierten Länder über die Kultusministerkonferenz ansetzen, um ihre bildungspolitischen Vorstellungen, die weit hinter dem sind, was einmal gemeinsamer Kon-sens gewesen ist, nun auch den SPD/FDP-regierten Ländern aufzuzwingen.
Dies ist Bestandteil der Auseinandersetzungen in der Kultusministerkonferenz.
Mit welchen Methoden dort gearbeitet wird, will ich Ihnen wieder an dem Beispiel, das der Kollege Maier für die Lehrerausbildung zitiert hat, vorführen.
Der Kollege Maier hat hier am Pult vorhin erklärt, in Bremen sei man so weit, daß Referendare und Studenten, die in der Tat beratendes Mitglied von Prüfungsausschüssen sind, in die Prüfung eingreifen könnten und dort ihren Kommilitonen, die geprüft werden, Fragen stellen könnten. Deswegen müsse man sich überlegen, ob man die Bremer Lehrerprüfung noch anerkennen könne. Wenn ein verantwortlicher Minister, ein Kollege, der über Anerkennung oder Nichtanerkennung in der Tat das letzte Wort zu sagen imstande ist, über die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Lehrerprüfung Bremens hier auf einem solch mangelhaften Informationsstand urteilt, dann wird mir in der Tat angst; denn mitnichten haben Studenten und Referendare in Bremen Prüfungsrecht.
— Genau das hat er gesagt. Die Prüfungsberechtigung ist bei uns genau geregelt, wer im Prüfungsverfahren Fragen stellt, ist bei uns genau fixiert und schließt nicht Studenten und Referendare ein.
Das ist das Gegenteil von dem, was hier gesagt worden ist.
— Ich habe gesagt, daß sie beratende Mitglieder von Prüfungskommissionen sind,
und zwar genauso, wie etwa im CDU-regierten Land Niedersachsen Schüler beratendes Mitglied von Zensurenkonferenzen sind. Das macht der Kollege Remmers, und darüber regen Sie sich nicht auf.
— Dort sind Schüler bei Zensurenkonferenzen genau wie bei uns beratendes Mitglied und dürfen natürlich auch reden.
— Wir sind auf die beratende Mitwirkung von Studenten und Referendaren, die in den Prüfungsvorgang nicht eingreifen dürfen, natürlich auch stolz.
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9378 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Senator Franke— Den Beifall der Studenten und Referendare haben Sie sicherlich.Ich darf auf einige andere Dinge, die hier in der Debatte behauptet worden sind, eingehen. Sie, Herr Abgeordneter Rühe, haben gesagt, daß Bremen das Land sei, dem der Bund ins Stammbuch geschrieben habe, nicht mit dem Hochschulrahmengesetz konform zu sein. Wir haben einen Dissens mit dem Bund, der sich hinsichtlich der Regelstudienzeiten in der ganz klaren Aussage des Bundes präzisiert, wir hätten das nicht hochschulrahmenrechtskonform geregelt. Dies, die Regelung der Regelstudienzeiten, ist ein Punkt — Kollege Maier wird mir das zugeben —, in dem alle Bundesländer inzwischen sündigen. Deswegen wird es vermutlich sogar eine länderübergreifende Initiative geben — 'dies ist denkbar —, die Regelung der Regelstudienzeiten im Hochschulrahmengesetz anzugehen.Aber, Herr Abgeordneter Rühe, was Sie hier nicht gesagt haben: Es gibt eine lange, lange Liste, die dem Kollegen Maier ins Stammbuch geschrieben worden ist — fragen Sie ihn doch mal! —, wo Bayern nicht rahmenrechtskonform ist. Es gibt eine lange Liste, die Baden-Württemberg vom Bund mitgeteilt bekommen hat, wo Baden-Württemberg nicht rahmenrechtskonform ist. Es gibt eine Liste von Punkten, wo Schleswig-Holstein nicht rahmenrechtskonform ist. Ich nehme an, Sie haben sich nicht sorgfältig genug auf diese Debatte vorbereiten können. Sonst wäre Ihnen eingefallen, daß auf der Seite der CDU/CSU-Länder die Liste der Beanstandungen durch den Bund erklecklich ist.Wie mit dem Hochschulrahmengesetz umgegangen wird, kann ich Ihnen am Beispiel etwa der Diplome aufzeigen. Im Hochschulrahmengesetz, das wissen Sie, steht als Abschluß für Hochschulausbildung die Regelung „Diplom" . Es gibt einige Länder, die wie wir sagen: Na gut, es steht im Hochschulrahmengesetz drin, also müssen wir das mit dem Diplom machen, aber dann schreiben wir nicht nur dazu, auf welchen Studiengang sich dieses Diplom erstreckt, sondern wir schreiben auch noch in Klammern hin, ob es ein Studiengang an einer Universität oder ein Studiengang an einer Fachhochschule ist. Dies ist eine Sache, die von den Ländern meinetwegen so zu regeln ist. Der Bund wird sagen, ob es richtig oder falsch ist. Ich halte es für angängig. Es gibt aber ein Bundesland, das sich strikt weigert, diese Diplomregelung des Hochschulrahmengesetzes zu exekutieren. Es sagt: das mag im Hochschulrahmengesetz so stehen, wir machen das nicht.
Das ist das Bundesland Bayern.
Ich könnte Ihnen diese Liste dessen, was an Dissensen in der Kultusministerkonferenz praktiziert wird —
— Ich folgere daraus, daß wir es bitter nötig hatten, wir Länderpolitiker in der Kultusministerkonferenz, diesen Mängelbericht, den Sie heute hier am Pult als unnötig bezeichnet haben, ins Stammbuch ge-schrieben zu bekommen. Das wollte ich damit beweisen.
Wenn Sie sagen: dieses war nicht nötig, dann nehmen Sie die Fehlhandlungen all der Länderregierungen, all der Kultusminister nicht zur Kenntnis.
— Unser Hochschulgesetz ist bis auf die Regelstudienzeiten vom Bund nicht beanstandet worden, und bezüglich der Regelstudienzeiten werden wir sehen, wie wir miteinander klarkommen.
Das ist aber nicht allein unser Problem. Das ist das Problem aller Bundesländer. Hier werden wir uns mit dem Bund zu verständigen haben.
Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeifer?
Herr Senator, darf ich Sie folgendes fragen. Wenn Sie hier feststellen, daß es in einer ganzen Reihe von Punkten Dissense zwischen der Auslegung der Bundesregierung und der Auslegung einzelner Bundesländer gibt, was das Hochschulrahmengesetz betrifft, ist es dann nicht merkwürdig, daß die gleiche Regierung, welche sagt: „Jetzt möchten wir auf anderen Gebieten zusätzliche Kompetenzen haben", überhaupt nichts unternimmt, um in diesem Punkt, wo sie eine Kompetenz hat, zunächst einmal das durchzusetzen, was sie als Inhalt dieser Regelung ansieht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie damit fragen wollen, ob ich es befürworte, daß die Bundesregierung etwa eine Normenkontrollklage gegen das Land Bayern erhebt — das war ja Ihre Frage —,
so muß ich sagen: dann wird die Bundesregierung abzuwägen haben — denn es gibt keinen Zwang zu einer solchen Klage —, wie schwer die Verstöße sind. Dies ist eine Sache, die die Bundesregierung abzuwägen hat. Ich könnte mir denken, daß bei diesem Abwägen herauskommt, daß man uns Bremer wegen dieses einen Minimalpunktes nicht zu verklagen braucht, aber daß vielleicht andere ein bißchen mehr in die Schußlinie geraten. Aber das überlasse ich der Bundesregierung.
Ich möchte mich dem, was am Anfang der Debatte von Herrn Abgeordneten Rühe gesagt worden ist — daß er sich zum föderativen System deswegen bekennt, weil es — das war sein Wort — Alternativpolitik ermöglicht, weil es Wettbewerb ermöglicht, Konkurrenz ermöglicht —, ich möchte mich zu die-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9379
Senator Frankesem Wort des Abgeordneten Rühe ausdrücklich bekennen.
Ich möchte nur sagen: Wer dieses Wort hier als CDU-Abgeordneter ausspricht: ja zur Alternativpolitik im Kulturbereich, ja zum Wettbewerb im Kulturbereich,
und gleichzeitig mit den Stimmen der Länder, die von seiner Partei regiert werden, dafür sorgt, daß Wettbewerb und Alternativpolitik über die Nichtanerkennung in der KMK liquidiert werden, der muß sich gefallen lassen, dies hier als eine ganz hohle Phrase abqualifiziert zu bekommen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Schmude.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind ganz zuletzt auf ein Thema gekommen, bei dem es ebenfalls Probleme gibt, nämlich die Umsetzung des Hochschulrahmengesetzes. Wir werden uns mit diesen Problemen, die im Verhältnis zu mehreren Ländern bestehen, sicher noch zu befassen haben. Ob das letztlich zu der hier angesprochenen Normenkontrollklage führt, ist völlig offen. Daß freilich einzelne Betroffene den Weg zum Gericht gehen wollen, hört man bereits.Aber uns beschäftigt heute der Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems. Ich freue mich, am Ende dieser Debatte feststellen zu können, daß er sich hier doch als eine sehr anregende Diskussionsgrundlage erwiesen hat. Übereinstimmend sind wir zu der Feststellung gekommen, daß es im föderativen Bildungssystem Probleme gibt. Über den- Weg zu ihrer Lösung bestehen Meinungsverschiedenheiten.
Auf diese Frage sollten wir uns in Zukunft konzentrieren. Wer daneben meint, der Bundesregierung Versäumnisse in ihren eigenen Zuständigkeitsbereichen vorwerfen zu sollen, der mag das vorbringen. Dann sprechen wir auch darüber — an anderer Stelle und zu anderer Zeit.Nur, was der Kollege Rose mit dem Hinweis auf die Zentrale Vergabestelle geboten hat, bringt es nicht. Denn diese Stelle haben die Länder eingerichtet, und zwar schon lange vor dem Hochschulrahmengesetz. Man sollte sie der Bundesregierung und dem Hochschulrahmengesetz nicht anlasten.
Ich meine auch, Herr Kollege Maier, das Argument, was der Bund da getan habe, zeuge von mangelnder Bundestreue und sei im Grund unzulässig, sollte nun endlich erledigt sein. Schon die Kultusministerkonferenz hat sich am 21. April dazu eindeutig geäußert und diese Berechtigung der Bundesregierung nicht bestritten. Wenn im Länderbereich die Neigung besteht, der Bundesregierung Gegenberichte zu präsentieren — etwa zur Verteidigungsoder zur Außenpolitik —: Na, bitte schön. Nur, es muß etwas drin stehen, das vor der öffentlichen Kritik Bestand hat. Man darf sich damit nicht lächerlich machen.Dann gab es bei dem Herrn Kollegen Herzog — er ist im Moment nicht da — ein Mißverständnis. Ich habe in der Tat gesagt, es wäre zynisch, an Hand der Sorgen und Beschwerden der Bürger über ärgerliche Uneinheitlichkeit im Bildungswesen darauf zu verweisen, daß man durch die Beseitigung dieser Probleme doch noch nicht zu einer endgültigen Befriedung komme, weil immer noch andere Probleme beständen. Damit will ich nicht sagen, daß wir alles, was an Uneinheitlichkeit da ist, ausräumen müßten. Im Gegenteil. Ich bekenne mich für die Bundesregierung ausdrücklich zur Verschiedenheit im Bildungswesen der Bundesrepublik und zum Wettbewerb, den diese Verschiedenheit mit sich bringt. Nur: Wo die allgemeine Übereinstimmung besteht, wo Kultusministerkonferenzen und andere sich schon bemüht haben, die als notwendig erkannte Einheitlichkeit zu schaffen, sollten wir uns doch wirklich dieser Fragen annehmen und nicht alles zugleich an die Seite drücken, nur weil wir wissen: es muß auch Uneinheitlichkeiten, es muß auch Verschiedenheiten geben. Diese Verschiedenheiten werden weiterbestehen, etwa in der freien Wahl der Schulbücher und in der Gestaltung der Lehrpläne. Wir werden unseren Bürgern zu erklären haben, daß es notwendige Unterschiede sind, daß die Aufteilung der Zuständigkeiten in einem solchen föderativen System solche Unterschiede mit sich bringt und daß dies aufgewogen wird durch die Vorteile, die das System hat. Nur, wir werden das nicht für alle Unterschiede erklären können, schon gar nicht für die, die heute im Strukturbericht der Bundesregierung erwähnt werden und von denen sogar die Kultusministerkonferenz sagt: diese müssen nun weg!Zurück zu Herrn Staatsminister Maier! Er sagte, es sei ein falsches Bild, wenn man im Zusammenhang mit dem föderativen Bildungssystem von „Geleitzug" spricht, in dem das langsamste Schiff die Geschwindigkeit angebe oder den ganzen Geleitzug aufhalte. Nein, für viele Probleme, die uns drücken, ist das ein sehr richtiges Bild. Ich .greife das Verwaltungsabkommen zur Abstimmung in der beruflichen Bildung noch einmal auf und spreche Sie unmittelbar an, Herr Kollege Maier: Hier wollte der Geleitzug fahren. Zehn Schiffe sind schon vorn, und der Bund wartet. Nun bitte, machen Sie das langsamste Schiff, den Freistaat Bayern, der diesen ganzen Geleitzug aufgehalten hat, flott, und lassen Sie uns dieses Abkommen abschließen, statt es zu blokkieren!
Das braucht an diesem Abend nicht mehr energisch vorgeführt zu werden; ich glaube, die Tatsachen sprechen für sich.
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9380 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Bundesminister Dr. SchmudeDann sagen Sie: In Europa lehnen sich die Regionen gegen den Zentralismus in den zentralistisch organisierten Staaten auf. Nicht nur in Europa, auch in der Bundesrepublik lehnen sich Regionen, lehnen sich Bereiche auf gegen einen ganz anderen Zentralismus. Es ist schließlich der Präsident des Weltlehrerverbandes und Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Wilhelm Ebert, gewesen, der in diesen Tagen' den Ländern und den Landespolitikern einen ganz harten Landeszentralismus vorgeworfen und in diesem Bereich mehr Freiheit, mehr Gestaltungsmöglichkeiten gefordert hat. Nachdem wir vorhin schon ein chinesisches Sprichwort gehört haben, möchte ich ein weiteres anschließen: Laßt 100 Blumen blühen, laßt 100 Schulen miteinander wetteifern! Aber laßt es nicht zu, daß es dann 11 glattgeschorene Wiesen in der Bundesrepublik gibt, und zwar verursacht und verantwortet von den gleichen Politikern, die das Horrorgemälde der e in en glattgeschorenen Wiese aufzeichnen. Da ist also noch sehr viel an Abbau von Zentralismus drin, wenn man das ernstnehmen will.Zum Schluß: Die Kompetenzfrage, die hier heute wieder eine große Rolle gespielt hat, die Frage nach der Angemessenheit der derzeitigen Zuständigkeitsverteilung, gehört natürlich mit zu unseren Überlegungen. Aber wir sollten ihren Stellenwert nicht überhöhen. Wir sollten sie nicht in den Vordergrund ziehen und darüber andere Lösungsmöglichkeiten und vor allem die Probleme selbst zurücktreten lassen, schon deshalb nicht, weil kurz- oder mittelfristige Kompetenzänderungen nicht in Sicht sind. Nur, diskutieren sollten wir weiter darüber, auch über den Vorschlag des Ministers Herzog, der sagt: Das darf dann keine Einbahnstraße sein; hier müssen auch Gegengeschäfte in Betracht gezogen . werden: Genau das steht schon im Strukturbericht der Bundesregierung. Da steht ein solches Angebot. Man muß nur darauf zurückkommen.Wir werden die sehr interessanten Vorstellungen unseres Kollegen Schäfer in diese Dikussion einzubeziehen haben. Wir sollten aber das Gespräch nicht blockieren, nur weil dem einen das eine und dem anderen das andere nicht gefällt. Wir werden uns, wenn wir die Probleme im Vordergrund sehen, gemeinsam den Möglichkeiten zuzuwenden haben, die sich anbieten, um kurz- und mittelfristig die Probleme zu lösen. Die Bundesregierung hat ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit in allen relevanten Gremien und Bereichen wiederholt erklärt. Ich erkläre das auch heute hier und schließe darin unsere Bereitschaft ein, die nun anstehenden Beratungen im Bundestagsausschuß für Bildung und Wissenschaft nach Kräften zu fördern, damit über diese Debatte hinaus Anstöße gegeben werden und Lösungsmöglichkeiten doch noch praktiziert werden, damit es nicht ein großer Schlagabtausch, nicht eine bloße Diskussionsrunde war, sondern damit es Frucht bringt für unsere Bürger, vor allen Dingen für die jungen Bürger in unserem Lande.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlagen der Bundesregierung auf den Drucksachen 8/1551 und 8/1956 an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft — federführend — sowie an den Innenausschuß und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 1974 über die Verbreitung der durch Satelliten übertragenen programmtragenden Signale— Drucksache 8/1390 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/2279 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Klein Abgeordneter Dr. Schöfberger (Erste Beratung 67. Sitzung)Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4 mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu er-, heben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Januar 1975 und vom 16. September 1977zur Änderung des Abkommens vom 14. September 1955 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über Erleichterungen der Grenzabfertigung im Eisenbahn-, Straßen- und Schiffsverkehr— Drucksache 8/1658 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/2278 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. von Wartenberg
Auch hier wird das Wort nicht gewünscht. Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, denDeutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn,' Donnerstag, den 30. November 1978 9381Vizepräsident Frau Rengerbitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. September 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indonesien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 8/1741 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/2261 —Berichterstatter: Abgeordneter Kühbacher
Auch hier wird das Wort nicht gewünscht. Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ecuador zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 8/1742 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/2262 —Berichterstatter: Abgeordneter Kühbacher
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 20. Juli 1977 zur Änderung des Abkommens vom 9. Juli 1962 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regie-rung des Staates Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei der Gewerbesteuer— Drucksache 8/1866 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 8/2263 —Berichterstatter: Abgeordneter Kühbacher
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von örtlichen Zuständigkeiten der Landesversicherungsanstalten in Niedersachsen— Drucksache 8/1772 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 8/2275, 8/2310 —Berichterstatter: Abgeordneter Pohlmann
Auch hier wird das Wort nicht gewünscht. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die §§ i bis 3, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß auf den Drucksachen 8/2275 und 8/2310 empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Auch hier wird das Wort nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe die Punkte 13 bis 21 der Tagesordnung auf:13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. März 1978 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Venezuela zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
Metadaten/Kopzeile:
9382 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978
Vizepräsident Frau Rengerder Unternehmen der Luftfahrt und der Seeschiffahrt— Drucksache 8/2288 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. September 1977 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Hellenischen Republik über die steuerliche Behandlung von Straßenfahrzeugen im internationalen Verkehr— Drucksache 8/2231 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zollübereinkommen vom 14. November 1975 über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR
— Drucksache 8/2233 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Volksrepublik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen— Drucksache 8/2234 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Juli 1977 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs Schweden über die steuerliche Behandlung von Straßenfahrzeugen im internationalen Verkehr— Drucksache 8/2235 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Mai 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kenia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 8/2237 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Abkommen vom 2. August 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Syrien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen—Drucksache 8/2236 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. Januar 1975 über die Registrierung von in den Weltraum gestarteten Gegenständen— Drucksache 8/2232 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Forschung und Technologie21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes vom 26.. April 1974 zu den Übereinkommen vom 26. Febuar 1966 und vom 7. Februar 1970 über den internationalen Eisenbahnverkehr— Drucksache 8/2244 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
RechtsausschußAuch hierzu wird das Wort nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. — Ich sehe keinen Widerspruch; das Haus ist mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden.Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:Beratung der Unterrichtung durch den BundesrechnungshofBemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Bundeshaushaltsrechnung für das Haushaltsjahr 1976— Drucksache 8/2124 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: HaushaltsausschußAuch hier wird das Wort nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage an den Haushaltsausschuß vor. — Auch hier erhebt sich kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister, Immer (Altenkirchen), Spitzmüller und GenossenRheumabekämpfung— Drucksachen 8/1542, 8/2199 — Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Dr. LepsiusHier wird das Wort ebenfalls nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß emp-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 120. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 30. November 1978 9383
Vizepräsident Frau Rengerfiehlt auf Drucksache 8/2199 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunke 25, 28 und 29 auf:25. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungAktionsplan für die Forschung auf dem Gebiet der Luftfahrt— Drucksachen 8)844, 8/2222 — Berichterstatter:Abgeordneter SchefflerAbgeordneter Freiherr Dr. Spies von Büllesheim28. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates zur Anpassung der in Artikel 13 Abs. 9 des Anhangs VII zum Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften vorgesehenen Sätze der Tagegelder für Dienstreisen— Drucksachen 8/2176, 8/2267 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wernitz29. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der illegalen Wanderung und der illegalen Beschäftigung— Drucksachen 8/1859, 8/2274 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. GeorgeAuch hier wird das Wort nicht gewünscht. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir über die aufgerufenen Tagesordnungspunkte gemeinsam abstimmen? - Dies ist der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 8/2222, 8/2267 und 8/2274. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kap. 60 06 Tit. 686 18— Beitrag zum Europäischen Ausrichtungs-und Garantiefonds für die Landwirtschaft — Drucksachen 8/2062, 8/2247 —Berichterstatter: Abgeordneter SimpfendörferDas Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt, die Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen gemäß § 37 Abs. 4 der Bundeshaushaltsordnung entsprechend der Vorlage in der Drucksache 8/2062 zur Kenntnis zu nehmen. — Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist auch dies so beschlossen.Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 33 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/2258 —Das Wort wird nicht gewünscht. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/2258 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist dies so beschlossen.Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, den 1. Dezember 1978, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.