Protokoll:
6070

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 6

  • date_rangeSitzungsnummer: 70

  • date_rangeDatum: 8. Oktober 1970

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:48 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 70. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1970 Inhalt: Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 3855 A Fragestunde (Drucksachen VI/ 1218, VI/1233) Fragen des Abg. Kiep: Pressemeldungen betr. Wiedergutmachungszahlungen an osteuropäische Staaten in Milliardenhöhe Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 3855 B, C, 3856 A Kiep (CDU/CSU) . . . . 3855 D, 3856 A Fragen des Abg. von Eckardt: Wiedergutmachungsforderungen von Ostblockregierungen — Unterrichtung der zuständigen Ausschüsse des Bundestages Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär 3856 A, B, C Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . . 3856 B Frage des Abg. Freiherr von Fircks: Aussagen des Bundeskanzlers hinsichtlich der Bedeutung des deutsch-sowjetischen Gewaltverzichtsvertrages Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär 3856 C, D Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . 3856 D Frage des Abg. Niegel: Staatsangehörigkeit der Mitglieder der Bundesregierung und der Staatssekretäre Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 3856 D, 3857 A, B Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 3857 A Dasch (CDU/CSU) . . . . . . . 3857 B Frage des Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Anzeigenserie des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Ahlers, Staatssekretär 3857 C, 3858 A, B, C, D, 3859 A, B, C, D, 3860 A, B Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . . 3857 D, 3858 A Kiep (CDU/CSU) . . . . . . . 3858 C Dr. Häfele (CDU/CSU) 3858 D Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . 3859 A Niegel (CDU/CSU) . . . . . . 3859 B Dr. Geßner (SPD) . . . . . . 3859 C Rasner (CDU/CSU) . . . . . . 3859 D Dasch (CDU/CSU) . . . . . . 3859 D Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) . 3860 A Dr. Rutschke (FDP) . . . . . . 3860 B II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode 70. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1970 Fragen des Abg. Walkhoff: Veröffentlichungen in der Zeitschrift „German International" — Darstellung betr. die Ostpolitik der Bundesregierung Ahlers, Staatssekretär . . . . 3860 C, D, 3861 A, B,C,D Walkhoff (SPD) . . . . 3860 D, 3861 B Vogel (CDU/CSU) 3861 B, C Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) 3861 D Frage des Abg. Dr. Geßner: Pressemeldung betr. die Beschaffung des Waffensystems F-104 G Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 3862 A, B Dr. Geßner (SPD) 3862 A Cramer (SPD) . . . . . . . . 3862 B Fragen der Abg. Frau Huber: Versorgung der Bundeswehreinheiten mit Frischobst Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 3862 C., D, 3863 A Frau Huber (SPD) . . . . . . . 3863 A Frage des Abg. Niegel: Meldungen über Pläne der Bundesregierung betr. eine Verkürzung des Grundwehrdienstes Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . . 3863 B, D, 3864 A Niegel (CDU/CSU) 3863 B, C Dr. Klepsch (CDU CSU) . . . . 3863 D Fragen des Abg. Rawe: Zunahme der Lärmbelästigung durch militärische Strahlflugzeuge Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 3864 A, B, C, D Rawe (CDU/CSU) . . . . . . 3864 B, C Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 3864 C Fragen des Abg. Vogel: Überprüfung der Tieffluggebiete — Unterrichtung des Verteidigungsausschusses Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . 3864 D, 3865 A, B, C, D Rawe (CDU/CSU) . . . . . . . 3865 B Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 3865 C Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) . 3865 C, D Frage des Abg. Berding: Einhaltung der Vorschriften über Mindestflughöhen durch Besatzungen von Flugzeugen befreundeter Staaten Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 3866 A Berding (CDU CSU) 3866 A Frage des Abg. Berding: Heraufsetzung der Mindestflughöhen für Strahlflugzeuge Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 3866 A Fragen des Abg. Varelmann: Zahlung der ungekürzten Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . 3866 B, C, D, 3867 A, B Varelmann (CDU/CSU) 3866 D, 3867 A, B Frage des Abg. Dr. Häfele: Vorschlag betr. ein zyklisch gestuftes Arbeitslosengeld Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär ........ 3867 C Fragen des Abg. Dr. Kempfler: Versorgungsansprüche der Hinterbliebenen von Wehrmachtangehörigen bei deren Freitod Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 3867 D, 3868 A, B Dr. Kempfler (CDU CSU) . . . . . 3868 A Fragen des Abg. Geisenhofer: Ambulante Behandlung durch Fachärzte in Krankenhäusern als Mindestleistung der gesetzlichen Krankenversicherung Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . 3868 C, D Geisenhofer (CDU/CSU) . . . . . 3868 D Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Mißbilligung der Äußerungen des Bundesministers der Finanzen Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Alex Möller (Drucksache VI/1193) Baron von Wrangel (CDU/CSU) . . 3869 A Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . . 3870 D Frau Funcke (FDP) . . . . . . . 3873 A Dr. Barzel (CDU/CSU) 3874 A, 3875 D Brandt, Bundeskanzler 3874 C Wehner (SPD) . . . . . . . 3875 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1970 III Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1971 (Haushaltsgesetz 1971) (Drucksachen VI/ 1100, Ergänzung zu VI/1100) — Fortsetzung der ersten Beratung — in Verbindung mit Finanzplan des Bundes 1970 bis 1974 (Drucksache VI/1101) — Fortsetzung der Beratung — und mit Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. notwendige haushaltspolitische Maßnahmen (Drucksache VI/1154 [neu]) — Fortsetzung der Beratung —Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 3876 C Seidel (SPD) . . . . . . . . . 3881 D Kirst (FDP) . . . . . . . . . 3884 D Dr. Heck (CDU/CSU) 3888 A Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister 3889 D Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses über den Antrag des Abg. Dr. Lenz (Berg- Straße) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Enquete-Kommission Verfassungsreform und über den Antrag der Fraktionen der SPD, FDP betr. Enquete-Kommission zur Reform der bundesstaatlichen Struktur (Drucksachen VI/653, VI/739, VI/1211) Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) . . 3893 C Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . . 3894 C Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 3895 D Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Baukostenentwicklung und ihre Auswirkung auf den sozialen Wohnungsbau (Drucksachen VI/1189, VI/1216) Erpenbeck (CDU/CSU) . . . . . . 3896 D Dr. Lauritzen, Bundesminister . . 3904 C Henke (SPD) 3912 D Wurbs (FDP) 3916 C Mick (CDU/CSU) . . . . . . 3919 B Frau Meermann (SPD) . . . . . 3924 B Nächste Sitzung 3928 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3929 A Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Strohmayr betr. Erwägungen im Rentenbericht zur Zahlung von Witwerrente 3929 C Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1970 3855 70. Sitzung Bonn, den 8. Oktober 1970 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 9. 10. Adams * 9. 10. Dr. Aigner * 9. 10. Amrehn ** 9. 10. Dr. Artzinger * 9. 10. Behrendt * 9. 10. Dr. Burgbacher * 9. 10. Corterier ** 9. 10. Dichgans ** 9. 10. Frau Dr. Diemer-Nicolaus ** 9. 10. Dr. Dittrich * 9. 10. Dröscher * 9. 10. Faller * 9. 10. Fellermaier * 9. 10. Flämig * 9. 10. Fritsch *** 9. 10. Dr. Furler * 9. 10. Frau Geisendörfer 9. 10. Gerlach (Emsland) * 9. 10. Dr. Gradl ** 9. 10. Haage (München) * 9. 10. Haar (Stuttgart) 9. 10. Dr. Hallstein 16. 10. Dr. Hein * 9. 10. Frau Herklotz *** 9. 10. Dr. Hermesdorf (Sehleiden) *** 9. 10. Heyen 18. 12. Dr. Jahn (Braunschweig) * 9. 10. Dr. Jungmann 16. 10. Klinker * 9. 10. Dr. Koch * 9. 10. Kriedemann * 9. 10. Lange * 9. 10. Lautenschlager * 9. 10. Dr. Löhr * 9. 10. Logemann 9. 10. Lücker (München) * 9. 10. Majonica 9. 10. Matthöfer ** 9. 10. Frau Meermann ** 9. 10. Dr. Meinecke (Hamburg) ** 9. 10. Meister * 9. 10. Memmel * 9. 10. Müller (Aachen-Land) * 9. 10. Frau Dr. Orth * 9. 10. Pöhler *** 9. 10. * Für die Teilnahme an einer Sitzung des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an der Jahrestagung der Interparlamentarischen Union *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Preiß 8. 10. Raffert ** 9. 10. Ravens 9. 10. Richarts * 9. 10. Dr. Schulz (Berlin) *** 9. 10. Schwabe * 9. 10. Dr. Schwörer * 9. 10. Seefeld * 9. 10. Sieglerschmidt *** 9. 10. Dr. Slotta 15. 10. Springorum * 9. 10. Dr. Starke (Franken) * 9. 10. Dr. Tamblé 30. 10. Werner * 9. 10. Wienand *** 9. 10. Wilhelm 30. 10. Frau Dr. Wolf ** 9. 10. Wolfram * 9. 10. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom 7. Oktober 1970 auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Strohmayr (Drucksache VI/1218 Fragen A 39 und 40) : Läßt sich die Erwägung im Rentenbericht, deft die Zahlung von Witwerrente wegen nicht unerheblicher Mehraufwendungen nicht verantwortet werden kann (Drucksache VI/1126, S. 34, Nr. 4 Doppelbuchstabe cc, letzter Absatz), mit dem Gleichberechtigungsgesetz, das auf Artikel 3 GG fußt, vereinbaren? Ist der Bundesregierung bekannt, daß der überwiegende Teil der berufstätigen Ehefrauen zum gemeinsamen Unterhalt der Familie beitragen muß, die aber oft jahrzehntelang gezahlten Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Familie bei Ableben der berufstätigen Freu vor Erreichen der Altersgrenze verlorengehen? Die Bundesregierung hat die in Ihren Fragen enthaltene Anregung ebenso wie viele andere Vorschläge und Forderungen zur Weiterentwicklung des Rentenversicherungsrechts in den von Ihnen zitierten Bericht aufgenommen, um eine umfassende Grundlage für die parlamentarischen Beratungen zu geben. Sie hat dabei allgemein zu den Einzelpunkten nicht abschließend Stellung genommen, sondern Lösungsmöglichkeiten angedeutet und auf die vielfältigen, insbesondere auch die finanziellen Auswirkungen aufmerksam gemacht, die sich bei einer Verwirklichung der Anregungen ergeben würden und die bei den Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den Bericht sicherlich eine Rolle spielen werden. Sie haben gewiß Verständnis dafür, daß ich diesen Beratungen nicht durch eine Stellungnahme zu einzelnen Punkten vorgreifen möchte.
Gesamtes Protokol
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607000000
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat am 29. September 1970 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Vogel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Sicherung ausreichender ärztlicher Hilfe für Schwerverletzte bei Auslandsreisen — Drucksache VI/1125 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1230 verteilt.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat ani 5. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Martin, Frau Dr. Walz, Pfeiffer, Dr. Götter und Genossen betr. Zusammensetzung der Delegation bei der Moskaureise des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksache VI/1175 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1232 verteilt.
Die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes ist als Drucksache zu VI/1156 verteilt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen VI/1218, VI/1233 —
Wir beginnen mit den Dringenden Mündlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, die von Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Moersch beantwortet werden. Ich rufe die Frage i des Herrn Abgeordneten Kiep auf:
Treffen Pressemeldungen zu, denen zufolge die Bundesregierung erwägt, Wiedergutmachungszahlungen in Milliardenhöhe zu leisten?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0607000100
Zur Frage 1 des Herrn Kollegen Kiep lautet die Antwort wie folgt. Pressemeldungen, denen zufolge die Bundesregierung erwäge, Wiedergutmachungszahlungen an osteuropäische Staaten in Milliardenhöhe zu leisten, sind unzutreffend.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607000200
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Kiep auf:
Ist es richtig, daß in diesem Zusammenhang im Bundesfinanzministerium Zahlen von zwischen 20 und 25 Milliarden genannt werden?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0607000300
Zur zweiten Frage. Herr Kollege, ich verweise hier zunächst auf meine Antwort auf Ihre erste Frage, möchte aber, was das Problem der in Ihrer Frage 2 genannten Zahlen betrifft, auf folgendes hinweisen. Der Bundesregierung ist seit langem bekannt, daß in einigen osteuropäischen Staaten Vorstellungen über mögliche Wiedergutmachungsforderungen pauschaler Art bestehen, die sich nicht mit dem bei uns angewandten Begriff der Wiedergutmachung decken. Vor längerer Zeit schon sind der Bundesregierung Nachrichten bekanntgeworden, wonach man in einigen Staaten Unterlagen und Statistiken zusammenstelle, um eventuell einmal derartige Wünsche oder Forderungen zu untermauern. Es war aus diesem Grund die selbstverständliche Pflicht der zuständigen Ministerien und ihrer Fachreferate, vorsorglich Zahlenmaterial und sonstige Unterlagen zusammenzustellen und von sich aus die Rechtsfragen, die aufgeworfen werden könnten, zu prüfen.
Diese Arbeit ist keineswegs neueren Datums; sie hat in den zuständigen Ministerien schon vor einigen Jahren begonnen. Ich darf, um Mißverständnisse auszuschließen, hinzufügen, daß auch die Schäden statistisch erfaßt werden, die Deutschen entstanden sind, insbesondere Vertreibungsschäden und Verluste an Auslandsvermögen. Zahlen, die hier und da genannt worden sind, betreffen — das möchte ich ausdrücklich betonen — Schätzungen aller denkbaren Möglichkeiten von Forderungen anderer Länder sowie die möglichen Folgewirkungen. Es wäre abwegig, aus diesen notwendigen vorsorglichen Untersuchungen und unverbindlichen Schätzungen auf irgendwelche politischen Absichten der Bundesregierung zu schließen. Dies gilt um so mehr, als auch die früheren Bundesregierungen, die solche Materialsammlungen veranlaßt und in Gang gebracht haben, damit ebenfalls keine politischen Willensbekundungen zum Ausdruck gebracht haben oder zum Ausdruck bringen wollten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607000400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiep.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0607000500
Herr Staatssekretär, sind im Zusammenhang mit den von Ihnen eben erwähnten Arbeiten und Ermittlungen Zusammenstellungen von Zahlen, wie ich sie in meiner Frage genannt habe, aus dem Bundesfinanzministerium gekommen?




Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0607000600
Es trifft zu — das hat auch Regierungssprecher Ahlers vor der Presse bestätigt —, daß bei der Erwägung eines Beamten eine solche Zahl einmal auftauchte. Aber ich habe hier bereits die Unverbindlichkeit dargelegt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607000700
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiep.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0607000800
Herr Staatssekretär, ist in diesem Zusammenhang eine Äußerung zu sehen, die der Bundesfinanzminister getan haben soll, daß die Ostpolitik und die Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten auf die Dauer nicht ohne eine Erhöhung von Steuern möglich seien?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0607000900
Ich halte einen solchen Zusammenhang nicht für gegeben und kann mir auch nicht vorstellen, daß dieser Zusammenhang hergestellt werden sollte.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607001000
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten von Eckardt auf:
Haben die UdSSR-Regierung und andere Ostblockregierungen in Gesprächen oder Verhandlungen mit der Bundesregierung derartige Wiedergutmachungsforderungen angemeldet, und wenn ja, wie hat die Bundesregierung darauf geantwortet?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0607001100
Ich darf die erste Frage des Abgeordneten von Eckardt wie folgt beantworten. Die Regierung der UdSSR hat keine Forderung der genannten Art gestellt. Was Wünsche anderer Länder betrifft, so möchte ich beim gegenwärtigen Stand der Erörterung darauf verweisen, daß in keinem Fall das Stadium von konkreten Verhandlungen erreicht ist, so daß, was Sie verstehen werden — ich darf an dieser Stelle, Herr von Eckardt, auf Ihre eigene langjährige Praxis als Vertreter der Regierung in dieser Thematik verweisen —, eine öffentliche Erörterung nicht im Sinne der Bundesrepublik Deutschland liegen kann. Selbstverständlich ist die Bundesregierung bereit, im Auswärtigen Ausschuß oder, wenn gewünscht, in anderer Weise eine ins einzelne gehende Unterrichtung über die in Rede stehenden- Probleme vorzunehmen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607001200
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607001300
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung in den Verhandlungen mit der UdSSR diese Frage von sich aus angeschnitten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0607001400
Nein.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607001500
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten von Eckardt auf:
Wieso hat die Bundesregierung, falls diese Meldungen zutreffen und Verhandlungen oder Gespräche stattgefunden haben, die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages hierüber nicht informiert?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0607001600
Die zweite Frage des Abgeordneten von Eckardt beantworte ich wie folgt. Ich darf davon ausgehen, Herr Kollege, daß mit meiner Antwort auf Ihre erste Frage auch die Antwort auf Ihre zweite Frage in der Substanz bereits erteilt worden ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607001700
Keine Zusatzfrage. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Dann kommen wir zu den Fragen Drucksache VI/ 1218, zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Sie werden von der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Dr. Focke beantwortet.
Ich rufe die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Welche der beiden Aussagen des Bundeskanzlers hinsichtlich der Bedeutung des deutsch-sowjetischen Gewaltverzichtsabkommens ist die authentische:
daß mit diesem Vertrag „nichts verloren geht, was nicht längst verspielt worden war" — so zitiert aus der Fernsehansprache in Moskau am 12. August 1970 - oder
lapidar: daß mit diesem Vertrag nichts verschenkt wird", wie es in der Erklärung vor dem Bundestag am 18. September 1970 hieß,
und, falls die erste der beiden Versionen - daß mit dem Vertrag nichts verloren geht, „ was nicht längst verspielt wordenden war" — die Meinung der Bundesregierung authentisch wiedergibt, welches sind die Fakten, die nach Meinung der Bundesregierung der Formulierung „was nicht längst verspielt worden war" zuzuordnen sind?

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0607001800
Die Frage 100 beantworte ich auf folgende Weise. Beide Aussagen des Bundeskanzlers sind authentisch. Beide geben die Meinung der Bundesregierung wieder. Die Bemerkungen des Bundeskanzlers bezogen sich auf die Politik des „Dritten Reiches", auf den daraus entstandenen Zweiten Weltkrieg und auf dessen Folgen. Verspielt wurden damals u. a. die staatliche Einheit und die territoriale Integrität des Reiches.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607001900
Eine Zusatzfrage!

Freiherr Otto von Fircks (CDU):
Rede ID: ID0607002000
Frau Staatssekretär, ist das der volle Umfang der Präzisierung all dessen, was der Bundeskanzler mit der Formulierung, daß es verspielt sei, gemeint hat?

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0607002100
Jawohl. Ich habe Ihnen die Fakten genannt, auf die sich diese Bemerkungen beziehen. Sie ergeben sich im übrigen auch aus dem Zusammenhang, in dem das Zitat steht.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607002200
Dann komme ich zu Frage 101 des Abgeordneten Niegel:
Gibt es Mitglieder der Bundesregierung oder parlamentarische bzw. beamtete Staatssekretäre, die neben der deutschen auch eine ausländische oder nur eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen?
Bitte, Frau Staatssekretär!

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0607002300
Herr Kollege, aus dem angesprochenen Personenkreis hat niemand nur eine



Parlamentarischer Staatssekretär Frau Dr. Focke ausländische Staatsangehörigkeit. Ein Parlamentarischer Staatssekretär besitzt neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch eine weitere, und zwar die englische Staatsangehörigkeit. Das wird Sie sicher, Herr Kollege, angesichts der erstrebten Erweiterung der EWG erfreuen.

(Heiterkeit.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607002400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0607002500
Sind in Ihrer Antwort, Frau Staatssekretärin, alle Mitglieder der Bundesregierung berücksichtigt, wie sie in Art. 62 des Grundgesetzes genannt sind?

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0607002600
Jawohl.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607002700
Eine zweite Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0607002800
Frau Staatssekretärin, ist es in einem anderen Land möglich, daß ein Parlamentarischer Staatssekretär eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt?

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0607002900
Mit der Frage, ob das in einem anderen Land möglich ist, bin ich im Augenblick überfragt. In diesem Land ist es nach dem Grundgesetz möglich, in den Vereinigten Staaten auch. Das gilt übrigens auch für die Wählbarkeit in den Deutschen Bundestag.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607003000
Noch eine Zusatzfrage.

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0607003100
Frau Staatssekretärin, ist da nicht zu befürchten, daß diese Mitglieder der Bundesregierung bzw. der genannte Parlamentarische Staatssekretär durch die Rechte und Pflichten, die auf Grund der zweiten Staatsangehörigkeit bestehen, in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden?

Dr. Katharina Focke (SPD):
Rede ID: ID0607003200
Ich kann Ihre Furcht nicht verstehen und nicht unterstreichen. Rein juristisch kommt es allein darauf an — bitte, sehen Sie unser entsprechendes Gesetz nach —, daß die betreffende Persönlichkeit die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Für einen deutschen Staatsangehörigen gelten die vollen Rechte und Pflichten des Grundgesetzes. Eine weitere Staatsangehörigkeit ändert an diesen Rechten und Pflichten nichts. Dies gilt ebenso für die Übernahme einer politischen Funktion. Ich weise noch einmal darauf hin, daß diese Bestimmung auch für die Wählbarkeit in den Deutschen Bundestag gilt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607003300
Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretär. Ich rufe Frage 102 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die laufende Anzeigenserie ihres Presse- und Informationsamtes „die Bundesregierung informiert" nach Inhalt und Zeitplan eine Wahlpropaganda — gezielt auf Bayern und Hessen — für die derzeitigen Bonner Regierungsparteien sein soll, da offenbar auf objektive und umfassende Informationen für unsere Bürger verzichtet wird?
Wer beantwortet die nächste Frage? — Herr Staatssekretär Ahlers, bitte sehr!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607003400
Herr Präsident! Ich möchte die Frage wie folgt beantworten.
Herr Abgeordneter, nein. Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht. Weder Inhalt noch Zeitplan der Anzeigenserie sind Propaganda für die Landtagswahlen in Hessen und Bayern. Es handelt sich um vier Anzeigen in regionalen Tageszeitungen und Straßenverkaufszeitungen. Die erste erschien am 19. 9., die letzte wird am 12. 10. erscheinen. Themen waren der Bundeshaushalt, der Kampf gegen die Mieterhöhungen, die innere Sicherheit, und das letzte Thema wird den Straßenbau betreffen. Dies alles sind Themen, denen, bezogen auf die Regierungsarbeit, offensichtlich eine politisch-propagandistische Bedeutung weder zukommt noch zugemessen werden kann. Es handelt sich um eine normale Arbeit der werbenden Information.
Auch die Streuung, Herr Abgeordneter, läßt diesen Vorwurf nicht zu. Die Anzeigen sind im ganzen Bundesgebiet erschienen. Die Kosten betragen pro Anzeige etwa 400 000 DM. Es kommt noch hinzu, daß die Aktion von mir ausdrücklich in zeitlich genügendem Abstand zu den Wahlen gelegt wurde und daß schon die Größe der Anzeigen eine propagandistische Wirkung ausschließt. Ich glaube, man kann einfach nicht mehr tun, um den von Ihnen erhobenen Vorwurf von vornherein zu entkräften.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607003500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607003600
Herr Staatssekretär, würden Sie einräumen, daß diese Anzeigen, die nach Ihrer eigenen Definition offenbar wieder „Wahrheit in verschönerter Form" enthalten, tatsächlich als Propaganda zu klassifizieren sind? Denn — um hier noch einmal einen echten Konrad Ahlers zu zitieren, und zwar aus der „Neuen Gesellschaft" — „natürlich hat die politische Öffentlichkeitsarbeit einen werbenden Charakter, sie wird dadurch nicht zu Propaganda, denn sie sucht nicht die Auseinandersetzung mit der Opposition, sondern will Informationen geben über die Schwerpunkte der Regierungspolitik". Würden Sie einräumen, daß z. B. in der Anzeige „Thema Nr. 1 die Mieten" einmal durch den Bezug auf das Rhein-Main-Gebiet und München ein direkter Eingriff in die Landtagswahlen in Hessen und Bayern vorliegt und dazu nach Ihrer eigenen Definition Propaganda gegeben ist, weil Sie hier ausdrücklich die angeblichen Fehler der Opposition als die früherer Regierungen ansprechen?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607003700
Herr Abgeordneter, ich würde auf jeden Fall einräumen, daß dieser Eindruck bei jemandem, der das so sieht, entstehen kann, allerdings nur in bezug auf den zweiten von Ihnen genannten Punkt. Was den ersten Punkt angeht, nämlich die Nennung gewisser regionaler Bereiche, so möchte ich darauf hinweisen, daß nicht nur das Rhein-Main-Gebiet und München genannt sind, sondern auch Hamburg und das Rhein-Ruhr-Gebiet. Das sind nach unseren statistischen Erhebungen tatsächlich die Gebiete, in denen die Mietfrage besonders brennend ist, während in weiten Teilen des anderen Bundesgebietes die Mietfrage keine besondere Rolle spielt. Ich glaube, insofern war es legitim, zu sagen, daß ,das in diesen Gebieten ein Thema ist, das vielen auf den Nägeln brennt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607003800
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607003900
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicher die Organklage der SPD wegen „verschleierter Parteienfinanzierung" bekannt — so hat das damals in einem Vorwurf gegen das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung geheißen —, da eine propagandistische Einheit, so hieß es in der Organklage der SPD, von Regierungsparteien und Staat hergestellt werde. Würden Sie einräumen, Herr Staatssekretär — um noch einmal auf die Anzeige betreffend die Mieten zurückzukommen —, daß es sich nach Ihrer Definition um Propaganda handelt, weil Sie sich mit der Opposition auseinandersetzen, und daß es sich auf keinen Fall um Information handeln kann, da Sie im Gegensatz zur tatsächlichen Lage durch die derzeitige Bundesregierung nicht mehr Wohnungen bauen, sondern jetzt schon ein Minus haben, das gegenüber den früheren Regierungen nach Hunderttausenden zu berechnen ist, und daß diese Tendenz anhält, wie ich feststelle, wenn ich mir die heutigen Zeitungen ansehe, daß z. B. für 1971 und 1972 allein in Bonn wieder 630 Sozialwohnungen gestrichen worden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607004000
Herr Abgeordneter, ich bin leider nicht sachkundig genug, um auf diese Ausführungen zum Stand des Wohnungsbaus und der Wohnungsbaupolitik eingehen zu können. Ich kann nur sagen, daß die Unterlagen, die wir in bezug auf dieses Problem, das Sie genannt haben, zur Verfügung haben, nicht den von Ihnen genannten Zahlen entsprechen.
Was die damalige Organklage angeht, so ist meine Auffassung die: Es gibt eine gewisse Kontinuität in der Leitung des Bundespresseamtes und in bezug auf die Arbeitsweise des Bundespresseamtes. Einen früheren Leiter des Hauses sehe ich vor mir sitzen. Als gegenwärtiger Leiter dieses Hauses muß ich sagen, ich bin mit dieser Organklage nicht einverstanden und mache sie mir nicht zu eigen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607004100
Meine Damen und Herren, es liegen eine Reihe von weiteren Zusatzfragen vor. Zunächst der Abgeordnete Kiep.

Dr. Walther Leisler Kiep (CDU):
Rede ID: ID0607004200
Herr Staatssekretär, unter Bezugnahme auf die Anzeige in dieser Serie, die sich mit dem Thema Verbrechensbekämpfung befaßt, möchte ich Sie fragen, ob Sie der Meinung sind, daß Formulierungen wie: „Wir werden sie" — die Verbrecher — „jagen, bei Tag und Nacht, unerbittlich jagen" in einer Anzeige der Bundesregierung in einem demokratischen Rechtsstaat in dieser Form angemessen sind, oder ob daraus eine Meinungsänderung der Bundesregierung erkenntlich wird, die Strafverfolgung im Gegensatz zu den abgegebenen Erklärungen nunmehr zu verschärfen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607004300
Herr Abgeordneter, das Problem der Strafverfolgung ist hier an sich nicht berührt, aber der Wille der Bundesregierung, insbesondere des Innenministers, mehr für die innere Sicherheit zu tun, als bisher getan wurde und getan werden konnte, ist selbstverständlich vorhanden und kommt in dieser Anzeige auch zum Ausdruck.
Nun berühren Sie, Herr Abgeordneter, im Grunde genommen eine Geschmacksfrage. Ich stimme Ihnen zu, daß auch mir diese Formulierung überzogen vorkam. Ich hatte deshalb noch einmal nachfragen lassen, ob man im Innenministerium damit einverstanden sei, nachdem dieser Entwurf von Werbeberatern — das ist ja deren Metier, und das schlägt bei dieser Formulierung auch durch — vorgelegt worden war. Da bekamen wir die Auskunft, man sei einverstanden, und dann ist die Anzeige herausgegangen.
Was die Wirksamkeit angeht, Herr Abgeordneter, so ist leider zu befürchten, daß solche Formulierungen oft wirksamer sind als mehr nüchterne Formulierungen.

(Abg. Kiep meldet sich zu einer weiteren Zusatzfrage.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607004400
Es gibt leider nur eine Zusatzfrage. Es haben sich eine ganze Reihe von Abgeordneten hierzu gemeldet. Ich muß sie der Reihe nach drannehmen. Die nächste Zusatzfrage stellt Herr Abgeordneter Dr. Häfele.

Dr. Hansjörg Häfele (CDU):
Rede ID: ID0607004500
Herr Staatssekretär, trifft es zu, was man heute in den Zeitungen lesen kann, daß sich auch Herr Innenminister Genscher gegen diese Anzeige gewandt und verlangt hat, daß ihm solche Anzeigen künftig vorgelegt würden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607004600
Nur zum Teil, Herr Abgeordneter.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Der Vorgang war folgender. Mir war vom Innenministerium gesagt worden, Herr Minister Genscher



Staatssekretär Ahlers
habe zugestimmt. Hier lag aber ein Fehler des Innenministeriums vor. Herr Minister Genscher hat mir gestern in sehr freundschaftlicher Form mitgeteilt, er habe nicht zugestimmt und hätte nicht zugestimmt, d. h. er hätte meine Bedenken gegen die von Herrn Abgeordneten Kiep zitierte Formulierung auch geteilt, wenn er sie gesehen hätte. Das ist der eine Vorgang.
Was das zweite angeht, so ist es ganz richtig, daß Herr Minister Genscher und ich vereinbart haben, daß in Zukunft alle Anzeigenvorlagen meines Hauses, die zur Abstimmung an sein Haus gehen, ihm unmittelbar vorgelegt werden, damit solche, wenn Sie so wollen, Pannen, solche Mißverständnisse nicht wieder vorkommen können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607004700
Herr Abgeordneter Wagner!

Dr. Leo Wagner (CSU):
Rede ID: ID0607004800
Herr Staatssekretär, ist durch diesen Vorgang im Innenministerium eigentlich nicht bewiesen, daß diese Anzeigen fast ausschließlich nach propagandistischen Gesichtspunkten formuliert wurden und die Sache dabei eine geringe Rolle spielte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607004900
Nein, Herr Abgeordneter, diesen Schluß halte ich nicht für zulässig. Man muß immer zwischen Form und Inhalt unterscheiden. Ich glaube, was den Inhalt dieser Anzeigen angeht, so halten wir uns streng an die Sachlichkeit. Daß sich natürlich jeder, der an der Formulierung einer Anzeige beteiligt ist, bemüht, eine möglichst wirkungsvolle Aussage zu finden, ist selbstverständlich. Und ich muß sagen, ich wäre mein Geld nicht wert, wenn ich mich nicht selbst an der Suche nach solchen Formulierungen — manchmal mit Erfolg — beteiligen würde.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607005000
Herr Abgeordneter Niegel!

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0607005100
Herr Staatssekretär, Sie sagten vorhin, daß Sie die Anzeige wegen der Mieten auf die Ballungsgebiete beschränkten. Warum ist dann diese Anzeige in ganz Bayern erschienen, wo bekanntlich Mietprobleme vor allem in München und Nürnberg, aber nicht so in den ländlichen Gebieten vorhanden sind? Sie haben die Anzeige in ganz Bayern gestreut. Folglich ist es doch eine Wahlpropaganda.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607005200
Herr Abgeordneter, erstens habe ich vorhin nicht gesagt, wir hätten es regional begrenzt. Ich habe nur gesagt, daß in der Anzeige selber diese regionale Begrenzung enthalten ist. Die Frage der Streuung hat einen anderen Grund. Es ist dem Presseamt ungewöhnlich schwierig, genau abzugrenzen, wie weit die Räume gehen, in denen solche Anzeigen noch wirksam werden könnten.

(Zurufe von der CDU/CSU.) — Ich meine, vom Verbreitungsgebiet der Zeitung her gesehen, ist es ungewöhnlich schwierig.

Außerdem kommt etwas anderes hinzu. Wir haben es hier immer mit der Frage der Gleichbehandlung der Verlage zu tun. Sie glauben gar nicht, was wir für Schwierigkeiten bekommen, wenn wir selektieren und gewisse Anzeigen nur geographisch begrenzt streuen! Dann habe ich am nächsten Tag oder in den nächsten Wochen einen Schwung von Beschwerden anderer Verlage, oft auch unterstützt durch wohlwollende Gönner, auf meinem Schreibtisch. Um diesem Problem zu entgehen, machen wir in solchen Fällen eben die breite Streuung über das ganze Bundesgebiet. Ich muß allerdings zugeben, daß das rein von der Werbewirksamkeit her nicht das ideale Konzept ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607005300
Herr Abgeordneter Dr. Geßner!

Dr. Manfred Achim Geßner (SPD):
Rede ID: ID0607005400
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, ob frühere Bundesregierungen während der Landtagswahlkämpfe darauf verzichtet haben, die Bevölkerung zu informieren?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607005500
Nein, Herr Abgeordneter, frühere Bundesregierungen haben keineswegs darauf verzichtet. Ich habe eine Angabe hier, wonach z. B. in Nordrhein-Westfalen im Landtagswahlkampf 1966 auch vom Presseamt einiges getan worden ist. Das sind Dinge, die im Presseamt schon einmal vorgekommen sind.
Ich kann Ihnen hier nur versichern, daß seit Bildung der Großen Koalition — nennen wir es einmal — solche Bevorzugungen einzelner Gruppierungen in einem speziellen Landtagswahlkampf nicht mehr vorgekommen sind und auch — solange ich jedenfalls verantwortlich bin nicht vorkommen werden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607005600
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rasner.

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0607005700
Herr Staatssekretär, hat sich Innenminister Genscher, wie Sie sagen, teilweise von der Anzeige distanziert, oder hat er sich, wie uns mitgeteilt wurde, ganz von der Anzeige distanziert?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607005800
Herr Abgeordneter, Sie haben meine Antwort nicht richtig verstanden. „Teilweise" bezog sich auf die geteilte Fragestellung. Er hat sich, was die Formulierung angeht, voll distanziert. Er hat sich bezüglich des sachlichen Inhalts nicht distanziert.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607005900
Herr Abgeordneter Dasch!

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0607006000
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin eingeräumt haben, daß durch diese An-



Dasch
zeigen in Bayern und Hessen wenigstens teilweise der Eindruck entstehen könne, es werde zugunsten der FDP und der SPD in die Landtagswahlkämpfe eingegriffen, frage ich Sie: Sind Sie bereit, zu erklären, daß bis zum 22. November 1970 weitere große Anzeigen unterbleiben, damit bei der Bevölkerung nicht der Eindruck entsteht, die Bundesregierung greife mit Steuergeldern in die Landtagswahlkämpfe ein?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607006100
Herr Abgeordneter, erstens möchte ich betonen, daß ich das nicht eingeräumt habe.
Den zweiten Teil Ihrer Frage muß ich leider mit nein beantworten. Es liegt völlig außerhalb der Einflußmöglichkeiten des Bundespresseamtes, den Jahrestag der Bildung dieser Bundesregierung zu verlegen. Er liegt Ende Oktober und steht damit in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit den Landtagswahlen in Hessen und Bayern. Selbstverständlich wird das Presse- und Informationsamt zum Jahrestag der Bildung dieser Bundesregierung auch ein wenig Werbung treiben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607006200
Herr Abgeordneter Dr. Wagner (Trier) !

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0607006300
Herr Staatssekretär, da diese Anzeigen ja der sachlichen Information der Bevölkerung dienen, möchte ich Sie fragen, ob die kommende Anzeige über den Straßenbau auch die Feststellung enthalten wird, daß trotz eines erhöhten Mittelvolumens auf Grund der gestiegenen Preise die effektive Straßenbauleistung im kommenden Jahr geringer sein wird als zuvor.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607006400
Herr Abgeordneter, ich glaube: nein. Auf jeden Fall werde ich in dieser Frage den Herrn Bundesverkehrsminister konsultieren.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607006500
Herr Dr. Rutschke!

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0607006600
Herr Staatssekretär, um auf die Frage der Verbrechensbekämpfung und der Anzeige dazu zurückzukommen: Würden Sie vielleicht in Erwägung ziehen, in Zukunft den Rat der Opposition — insbesondere den der CSU herbeizuziehen, die ja eine besondere Feinfühligkeit bei den Formulierungen bezüglich der Verbrechensbekämpfung bewiesen hat?

(Beifall bei der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607006700
Ja, das will ich gerne tun, Herr Abgeordneter.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607006800
Ich rufe die Fragen 103 und 104 des Abgeordneten Walkhoff auf:
Kann das Bundespresseamt, das die englischsprachige Zeitschrift „German International" ganz oder teilweise finanziert, Einfluß auf den Inhalt der Veröffentlichungen nehmen?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in einem Artikel der Septembernummer 1970 die Ostpolitik der Bundesregierung dadurch in ein falsches Licht gerückt wird, daß sie als Fortsetzung der preußischen und nationalsozialistischen „Rußlandpolitik" dargestellt wird?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607006900
Das Presse- und Informationsamt kauft jeweils einen Teil der Auflage der in mehreren Sprachen erscheinenden Zeitschrift an und hat die Möglichkeit, an die Redaktion Wünsche zur inhaltlichen Gestaltung heranzutragen. Es besteht jedoch keine Handhabe, eine Art Vorzensur bei dieser Zeitschrift auszuüben, einfach deshalb, weil uns die Artikel vorher nicht vorgelegt werden. Wir sind hier auf die Sorgfaltspflicht des Verlegers und seiner Mitarbeiter angewiesen.
Der Bundesregierung ist der in der Anfrage erwähnte Artikel über die Geschichte der deutschrussischen Beziehungen demnach erst nach Erscheinen der englischsprachigen Ausgabe bekanntgeworden.
Dieser Beitrag muß, wenn man ihn genau würdigt — jedenfalls ist das der Hinweis des Verlages —, im Zusammenhang mit dem anderen Artikel über den Moskauer Vertrag in derselben Ausgabe gesehen werden, in dem die enge Zusammenarbeit mit den westlichen Alliierten als unabdingbare Voraussetzung für den Abschluß des Vertrages dargestellt wurde. Gleichwohl ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der angesprochene historisierende Artikel in der vorliegenden Form besser nicht erschienen wäre. In den anderen Sprachausgaben der Zeitschrift wird der Artikel also auch nicht erscheinen.
Nach dem Erscheinen des Heftes wurde der verantwortliche Verleger und Herausgeber, Herr Möller, vom Leiter unserer Auslandsabteilung am 17. September 1970 zur Rücksprache gebeten. Herr Ministerialdirektor Ahrens erklärte ihm, daß der Artikel nicht akzeptabel sei. Herr Möller erklärte seinerseits, daß er den Artikel aus Zeitgründen vorher leider nicht habe lesen können, und sagte für die Zukunft eine sorgfältige Durchsicht aller politisch relevanten Artikel zu.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607007000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Walkhoff.

Karl-Heinz Walkhoff (SPD):
Rede ID: ID0607007100
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Zeitschrift „German International" auch noch von einem anderen Bundesministerium finanziert wird, um es genauer zu sagen: von dem Ministerium für Entwicklungshilfe?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607007200
Ich muß gestehen, daß ich jetzt überfragt bin. Ich glaube, nein.

Karl-Heinz Walkhoff (SPD):
Rede ID: ID0607007300
Glauben Sie, über das, was Sie in den letzten Sätzen andeuteten, hinausgehend noch etwas tun zu können, damit derartige Pannen, derartige Interpretationen durch diese Zeitschrift,



Walkhoff
die, so meine ich, das Ansehen der Politik der Bundesregierung im Ausland mindern, in Zukunft verhindert werden können?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607007400
Herr Abgeordneter, die Zusammenarbeit zwischen dem Bundespresseamt und dem Verlag, der diese Zeitschrift „German International" herausgibt, hat sich sozusagen über ein Jahrzehnt hinweg erstreckt. Nach meiner Erinnerung ist dies das zweite Mal, daß es irgendeinen Grund zur Beanstandung gegeben hat. Insofern sehe ich letztlich weder einen Sinn noch eine Möglichkeit darin, eine noch stärkere Kontrolle über die Arbeit dieser Zeitschrift auszuüben, einfach, weil die Zahl der Pannen so gering ist.
In dem Vertrag heißt es: Der Verlag wird dafür Sorge tragen, daß die Redaktionen der Zeitschriften eng mit dem Presse- und Informationsamt zusammenarbeiten. Wünsche des Presse- und Informationsamtes hinsichtlich der redaktionellen Gestaltung sind, soweit es technisch möglich ist, zu berücksichtigen. Diese Formulierung bezieht sich selbstverständlich auf die Gesamtgestaltung, während wir uns einfach darauf verlassen müssen, daß der Herausgeber und die verantwortlichen Redakteure ausreichendes Fingerspitzengefühl bei der Behandlung solcher Themen haben. Wenn das einmal nicht der Fall ist, dann bedaure ich es so wie Sie. Aber ich sehe keine Möglichkeit, hier noch eine schärfere Kontrolle als die der Ermahnung einzuführen.

Karl-Heinz Walkhoff (SPD):
Rede ID: ID0607007500
Würde es bei diesem Organ, das einen recht offiziösen Eindruck macht, in Zukunft häufig zu Artikeln kommen, die möglicherweise das Ansehen der Bundespolitik im Ausland schädigen, wäre man dann gegebenenfalls bereit, von dem Recht Gebrauch zu machen, diese Zeitschrift nicht mehr abzukaufen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607007600
Ja, selbstverständlich. Man würde dann aber sicher das Petitum vorschalten, daß andere Redakteure eingesetzt werden. Aber im schlimmsten Fall würde man natürlich den Vertrag kündigen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607007700
Herr Abgeordneter Vogel.

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0607007800
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, für diejenigen Mitglieder des Parlaments, die den Artikel, der hier beanstandet wird, nicht kennen, kurz etwas näher darzulegen, was der beanstandete Inhalt dieses Artikels ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607007900
Sehr gern, Herr Abgeordneter. Es ist ein Artikel in englischer Sprache, von einem Engländer geschrieben, mit der Überschrift ich darf es übersetzen —: „Bundeskanzler Brandt stellt die heiße Linie (zwischen Moskau und Deutschland) her, die Bismarck einmal eingeführt hat." Dann befaßt sich dieser Artikel letztlich mit einer
Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen seit Bismarck; nein, er geht noch weiter zurück. Er spricht von 150 Jahren und beginnt mit der Konvention von Tauroggen. Dann kommt alles das, was wir kennen, bis hin zu einer ausführlichen Darstellung der Zusammenarbeit zwischen der Reichswehr und der Roten Armee der Sowjetunion in den zwanziger Jahren. Das ist alles. Aber richtig ist, es wird in dem Artikel ein wenig der Eindruck erweckt, schon durch die Überschrift und auch durch die Diktion an einigen Stellen, als handle es sich hier um eine kontinuierliche deutsche Politik. Ein Schaden kann dadurch entstehen, daß auch der RapalloKomplex in ein, zwei Absätzen angesprochen ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607008000
Herr Abgeordneter Vogel, es waren zwei Hauptfragen. Sie haben jeweils eine Zusatzfrage.

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0607008100
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, uns zu sagen, ob die Fakten, die in diesem Artikel mitgeteilt sind, der Wahrheit entsprechen oder nicht?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607008200
Herr Abgeordneter, ich bin kein Historiker. Es ist mir unmöglich, diesen Artikel auf den genauen historischen Wahrheitsgehalt hin zu prüfen. Wenn ich mich an meine Schulkenntnisse erinnere, dann kann ich nur feststellen: Vieles von dem, was hier steht, kommt mir bekannt vor.

(Heiterkeit.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607008300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607008400
Herr Staatssekretär, nur um mich zu vergewissern: Dieser Artikel, von dem Sie gerade sprachen, ist also auf Kasten der Bundesregierung in der ganzen Welt verbreitet worden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607008500
Oh nein, Herr Abgeordneter. Nicht die ganze Welt spricht englisch. Was die Kosten angeht, so handelt es sich hier um ein eigenständiges Verlagsobjekt, von dem das Bundespresseamt die Zeitschrift „German International" ankauft, und zwar in der englischen Ausgabe monatlich 14 000 Exemplare, in der spanischen Ausgabe zweimonatlich 11 500 Exemplare, in der französischen Ausgabe zweimonatlich 11 000 Exemplare, in der arabischen Ausgabe zweimonatlich 6 000 Exemplare und in der portugiesischen Ausgabe vierteljährlich 6 000 Exemplare. Wir machen also nur eine Teilfinanzierung. Und wenn man sich die Auflage ansieht, wird man sicher nicht davon sprechen können, daß es in der ganzen Welt verbreitet ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607008600
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Sie



Vizepräsident Dr. Jaeger
werden durch den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Berkhan beantwortet. Zuerst die Frage 59 des Abgeordneten Dr. Geßner:
Trifft die Angabe eines deutschen Nachrichtenmagazins zu, wonach der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Strauß den Abschluß der erforderlichen Entwicklungsarbeiten am Typ des Starfighters zugunsten einer baldigen Indienststellung nicht abgewartet habe und einer Aktennotiz des Bundesverteidigungsministeriums zufolge wie folgt entschieden haben soll: „Von dem Herrn Minister wurde entschieden, daß die Einhaltung der Liefertermine . . . den Vorrang hat und demgemäß auf eine Abnahme des Entwicklungsergebnisses verzichtet werden müsse."?
Herr Staatssekretär, bitte!

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607008700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage folgendermaßen.
Herr Kollege Dr. Geßner, der damalige Bundesminister der Verteidigung hat so entschieden, wie Sie es in Ihrer Frage zitiert haben. Dieses Zitat ist jedoch ein Teil eines wesentlich größeren Vermerks. Ich bin bereit, Einzelheiten dem Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages, sofern dieser es wünscht, vorzutragen. Da der Bundesrechnungshof zur Zeit den Gesamtkomplex der Beschaffung des Waffensystems F-104 G überprüft, halte ich es für wenig sinnvoll, jetzt Einzelfragen herauszugreifen. Vor einer Diskussion zu diesem Fragenkreis sollte das Ergebnis der Prüfungen des Bundesrechnungshofes abgewartet werden.

Dr. Manfred Achim Geßner (SPD):
Rede ID: ID0607008800
Ich verzichte auf Zusatzfragen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607008900
Herr Abgeordneter Cramer!

Johann Cramer (SPD):
Rede ID: ID0607009000
Herr Staatssekretär, was sagt die Bundesregierung zu den Vorwürfen in der Presse, sie habe ihre Zusage nicht eingehalten, dem Parlament über die Kritik des Bundesrechnungshofes an der Starfighter-Beschaffung weiter zu berichten?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607009100
Herr Präsident, Herr Kollege Cramer, mir sind natürlich die Presseauszüge in Ablichtung oder in Ausschnitten vorgelegt worden. Ich war tief betroffen, daß mir dieser Vorwurf gemacht wird. Ich gehöre diesem Hause seit 14 Jahren an, und ich habe einen hohen Respekt vor diesem Hause. Ich will aber noch einmal darauf hinweisen, daß in der fraglichen Antwort auf eine Kleine Anfrage, die Ihre Fraktion gemeinsam mit der FDP an uns herangetragen hat, der Bundesminister der Verteidigung sich bereit erklärt hat, über seine Stellungnahme gegenüber dem Bundesrechnungshof dem Parlament in Ergänzung zu der Beantwortung der Kleinen Anfrage weiter zu berichten. Die Stellungnahme, von der ich soeben sprach, wurde im April dieses Jahres dem Rechnungshof zugeleitet. Der Bundesminister der Verteidigung ist nach wie vor bereit, über diese Stellungnahme zu berichten.
Ich darf jedoch hinzufügen, Herr Kollege Cramer, daß nach meiner Auffassung über solche komplexen Themen erst diskutiert werden sollte, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen. Das ist bis jetzt eben nicht der Fall, weil die endgültige Stellungnahme des Rechnungshofs noch aussteht.
Ich glaube auch nicht, daß ich mit meiner Auffassung alleinstehe. Ich entnehme das jedenfalls der Tatsache, daß auf die Antwort zu der Kleinen Anfrage weder die Fragesteller zurückgekommen sind, die damals diese Kleine Anfrage gestellt haben, noch sonst ein Mitglied dieses Hauses.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607009200
Ich komme zu der Frage 60 der Abgeordneten Frau Huber:
Trifft es zu, daß die Versorgung von Bundeswehreinheiten mit Frischobst — z. Z. beispielsweise mit den hier im Rheinland reichhaltig vorhandenen Äpfeln — auf Grund bürokratischer Erschwernisse beim Einkauf sich sehr schwierig gestaltet oder gar unmöglich ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607009300
Herr Präsident und Frau Kollegin, wenn Sie gestatten, würde ich die beiden Fragen gleich im Zusammenhang beantworten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607009400
Ich rufe dann noch die Frage 61 der Abgeordneten Frau Huber auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eine bessere und der Jahreszeit entsprechende Versorgung der Truppenteile mit frischem Obst sicherzustellen?
Bitte sehr!

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607009500
Die Bundesregierung kann Ihre Besorgnis, Frau Kollegin, daß bürokratische Erschwernisse die Frischobstversorgung der Bundeswehreinheiten schwierig gestalten oder unmöglich machen könnten, nicht teilen. Frischobst wird für die Bundeswehreinheiten durch freihändige Vergabe bei Erzeugern, Groß- und Einzelhändlern sowie auf den Erzeugergroßmärkten beschafft. Das dafür angeordnete Verfahren ist eingespielt und wird nach meiner Auffassung unbürokratisch gehandhabt.
Truppendienst wie jede körperliche Arbeit
auch — erfordert eine bestimmte Ernährungsweise. Die jungen Soldaten können daher zu Recht erwarten, daß ihnen eine abwechslungsreiche Kost geboten wird. Den Frischobstanteil an der Truppenverpflegung zu Lasten anderer Verpflegungsmittel zu erhöhen, würde zu der Grundsatzforderung nach einer abwechslungsreichen Versorgung im Widerspruch stehen. Ich kann Ihnen jedoch versichern, Frau Kollegin — und die Kollegen, die eine Wehrübung abgeleistet haben, werden es Ihnen ganz gewiß bestätigen —, daß wir bemüht sind, den Soldaten möglichst oft nach der Mittagsmahlzeit Obst als Nachtisch anzubieten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607009600
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Huber.




Antje Huber (SPD):
Rede ID: ID0607009700
Herr Staatssekretär, es handelt sich nicht darum, daß das Frischobst zu Lasten anderer Verpflegung vermehrt angeboten werden soll. Ich möchte Sie deshalb fragen, ob Sie in Fällen wirklicher bürokratischer Erschwernisse bereit wären, sich des Einzelfalles anzunehmen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607009800
Frau Kollegin, wenn Sie mich wissen lassen, wo diese bürokratischen Erschwernisse vorgekommen sind, werde ich sie prüfen lassen. Aber Sie müssen zugeben, Frau Kollegin, daß die Beschaffung für so viele Soldaten und für so viele Arbeiter, Angestellte und Beamte, die in den allgemeinen Kantinen im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung ihre Mittagsmahlzeit oder andere Mahlzeiten einnehmen, gewisse bürokratische Verfahren unumgänglich macht.

Antje Huber (SPD):
Rede ID: ID0607009900
Herr Staatssekretär, würden Sie nicht in dieser Antwort einen Widerspruch zu Ihrer ersten Antwort erblicken?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607010000
Das ist mir durchaus bewußt. Ich wollte meine erste Antwort auch etwas einschränken.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607010100
Ich komme zur Frage 62 des Abgeordneten Niegel:
Treffen Meldungen zu, wonach die Bundesregierung dis Wehrpflicht im Jahre 1973 auf 15 Monate verkürzen will?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607010200
Über eine Verkürzung der Grundwehrdienstdauer hat die Bundesregierung bisher keine Beschlüsse gefaßt. Sie hat vielmehr eine unabhängige Regierungskommission berufen,- die bis zum Ende dieses Jahres Vorschläge unterbreiten soll. Auf Grund der Vorschläge soll für dieses Jahrzehnt größere Wehrgerechtigkeit verwirklicht werden und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bei gleichbleibendem Umfang gewährleistet bleiben. Die Bundesregierung beabsichtigt, über diese Vorschläge im Frühjahr des kommenden Jahres zu entscheiden. Es ist nicht auszuschließen, daß in dem Zusammenhang auch über eine Verkürzung der Grundwehrdienstdauer entschieden werden muß.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607010300
Eine Zusatzfrage, Herr abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0607010400
Sind Sie der Meinung, Herr Staatssekretär, daß durch eine Verkürzung des Wehrdienstes auf 15 Monate eine größere Wehrgerechtigkeit erreicht werden könnte, und wie viele zusätzliche Wehrpflichtige würden dann zum Wehrdienst herangezogen werden?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607010500
Herr Kollege, ich bin Parlamentarischer Staatssekretär, und ich habe
in meinem Gehirn keinen Computer. Die Zahlen liegen mir nicht vor. Die Zahlen, die ich jetzt nenne, sind Schätzungen, die mir von Beamten genannt worden sind. Wir gehen davon aus, daß heute von 100 jungen Männern, die zur Ableistung der Wehrpflicht aufgerufen sind, etwa 30 eingeschränkt tauglich sind. Von diesen 30 glauben wir, daß man die Hälfte, die unter körperlichen Beschwerden, wie z. B. Senkfuß, Zahnbeschwerden und dergleichen, zu leiden haben, zum Wehrdienst einziehen kann. Wir gehen daher davon aus, daß bei einem 15monatigen Grundwehrdienst etwa 80 % oder etwas mehr des aufgerufenen Jahrgangs wirklich zur Ableistung eines Grundwehrdienstes einberufen werden könnten.
Sofern Sie genauere Zahlen wünschen, Herr Kollege, schreiben Sie mir bitte einen Brief. Ich werde dann die Bürokratie anweisen, die Statistiken durchzuforsten und Ihnen genaue Zahlenangaben zu machen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607010600
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0607010700
Herr Staatssekretär, wenn die Frage der Verkürzung der Wehrdienstzeit erst durch eine Kommission geprüft wird, wieso kommt dann Herr Bundesverteidigungsminister Schmidt dazu, das als sein großes Ziel ständig anzukündigen?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607010800
Sie unterliegen dem Irrtum, daß ein Bundesminister keine eigene Meinung haben dürfte. Der Bundesminister ist natürlich Politiker wie Sie auch, und er gehört diesem Hause als Abgeordneter an. Selbstverständlich hat er eine Meinung. Er setzt dabei das Ziel Wehrgerechtigkeit sehr hoch an, weil er der Überzeugung ist, daß die Abschreckung, die die Bundeswehr täglich sicherstellt, nicht nur von der Zahl der Soldaten, von der Art der Bewaffnung, von der Ausbildung und von der Führungskunst der Offiziere und Unteroffiziere abhängt. Sie hängt vielmehr auch von der inneren Bereitschaft des einzelnen Mannes ab, wenn es einmal ernst werden sollte, seine Waffensysteme sorgfältig und korrekt zu bedienen und den Befehlen seiner Vorgesetzten, vor allem auch den Weisungen der Regierung, wer dann auch immer in der Regierungsverantwortung stehen mag, Folge zu leisten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607010900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klepsch.

Dr. Egon Alfred Klepsch (CDU):
Rede ID: ID0607011000
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben dem Kollegen Niegel auf seine Frage geantwortet, daß die Kommission ihre Vorschläge bis Ende dieses. Jahres unterbreiten wird. Das steht in einem gewissen Gegensatz zu den blauen Mitteilungen Ihres Hauses, die vom Ende des nächsten Jahres sprechen. Was soll ich als richtig unterstellen?




Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607011100
Die Kommission wird versuchen, in diesem Jahr einen ersten Bericht vorzulegen, der auf die Schulentlassenen des nächsten Jahres Auswirkungen hat. Die Kommission wird auch das ganze nächste Jahr weiterarbeiten, weil man ja die Veränderung der Strukturen, die sich für das kommende Jahrzehnt andeutet, erst einmal sehr sorgfältig - auch mit Hilfe moderner wissenschaftlicher Methoden - zu untersuchen hat.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607011200
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Rawe auf:
ist der Bundesregierung bekannt, daß in letzter Zeit die Lärmbelästigungen durch militärische Strahlflugzeuge erheblich zugenommen haben?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607011300
Herr Präsident und Herr Kollege, darf ich die Fragen 63 und 64 im Zusammenhang beantworten?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607011400
Bitte sehr! Dann rufe ich noch die Frage 64 des Abgeordneten Rawe auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, uns die z. T. bedrohlichen Lärmbelästigungen abzustellen?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607011500
Gegenüber früheren Jahren hat die Lärmbelästigung durch militärische Strahlflugzeuge auf Grund vieler Einschränkungen insgesamt abgenommen. In den Sommermonaten mag der Eindruck deshalb ein anderer sein, weil in dieser Jahreszeit bestehende Schönwetterlagen für den Flugbetrieb genützt werden missen. Die Bundesregierung sieht zur Zeit keine Möglichkeit, die Lärmbelästigung überhaupt abzustellen. Es sind jedoch Maßnahmen angeordnet, die Lärmbelästigung auf ein vertretbares Maß zu reduzieren.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607011600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rawe.

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID0607011700
Herr Staatssekretär, Sie werden sicher mit mir einig sein, daß man über das vertretbare Maß streiten kann. Beabsichtigen Sie wenigstens, in den Gebieten, die besonders betroffen sind, durch ständige Kontrollen sicherzustellen, daß die Sicherheitsmindestflughöhen eingehalten werden?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607011800
Herr Kollege Rawe, ich bin sicher, daß Sie selbst Ihre Erfahrungen gemacht haben. Ich habe in den Zeitungen gelesen, daß Sie sich mit dem Instrument, auf das sich Ihre Frage bezieht, zumindest was die Entwicklung angeht, beschäftigt haben. Sie werden mir zugeben müssen, daß es für einen Flugzeugführer in schwierigen fliegerischen Situationen nicht einfach ist, die vorgeschriebenen Flughöhen auf den Meter genau einzuhalten. Er muß in solchen Situationen sehr häufig eine Entscheidung fällen, die ihn vielleicht
unter diese Linie bringt. Technische Geräte ermöglichen es aber, jeden Flug hinterher zu kontrollieren. Seien Sie versichert, daß jeder Flugzeugführer der Bundesluftwaffe, der die Grenze unterschreitet, hierfür Rede und Antwort stehen muß und daß die Vorgesetzten und die aufsichtführenden Offiziere es in dieser Hinsicht sehr ernst nehmen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607011900
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rawe.

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID0607012000
Herr Staatssekretär, ich zweifle nicht daran, daß sie das tun. Ich möchte meine Frage wiederholen: Sind Sie bereit, wenigstens in den Hauptgebieten ständige Kontrollen einzurichten, damit die Einhaltung dieser Vorschriften tatsächlich gewährleistet ist und die Maßnahmen auch Erfolg haben können?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607012100
Diese ständigen Kontrollen sind heute schon über das ganze Bundesgebiet verbreitet. Sie wissen genau, daß jeder Flugzeugführer vom Tower geführt wird. Sie selbst sind vom Tower geführt worden. Sie wissen also, daß diese Kontrolle durch den Tower gewährleistet ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607012200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0607012300
Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage des Überfliegens von Flugplätzen. Ich denke. hier insbesondere an den Zivilflugplatz Burg Feuerstein bei Ebermannstadt, wo das Sperrgebiet von den Düsenstrahlflugzeugen ständig überflogen wird.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607012400
Herr Kollege, ich kann den Einzelfall jetzt nicht beurteilen. Wenn Sie aber einmal eine Karte der Bundesrepublik Deutschland nehmen und sich die Dislozierung unserer Bundesluftwaffe vergegenwärtigen und wenn Sie sich dann einmal mit Flugzeugführern unterhalten, werden Sie erkennen, wie schwierig es ist, um die Sperrgebiete und die Gebiete, die besonders ausgespart werden sollen, herumzufliegen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Sperrgebiet ständig in böswilliger Absicht überflogen wird. Geben Sie mir bitte eine Nachricht, wenn Sie meinen, daß das geschieht. Ich werde diesen Fall dann gesondert prüfen lassen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607012500
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Vogel auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung die ausgewiesenen Tieffluggebiete und Tiefflugstrecken zu überprüfen, um festzustellen, welche der o. g. Gebiete und Strecken aufgehoben oder neu festgesetzt werden müssen, um einen besseren Schutz der Zivilbevölkerung vor Lärmbelästigungen sicherzustellen?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607012600
Herr Kollege Vogel, die Bundesregierung hat die im Einvernehmen mit den Länderregierungen festgelegten Tieffluggebiete und -Strecken des sogenannten 250-



Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
Fuß- oder 75-m-Systems in der Vergangenheit ständig überprüft. Dies führte so weit, daß dieses Tiefflugsystem seit dem 1. November 1967 im Prinzip nicht mehr benutzt wird. Gegenwärtig finden Tiefflüge nur noch im 500-Fuß-System statt, das sich fast über die gesamte Bundesrepublik erstreckt — ich versuchte das eben schon zu erklären — und nicht an feste Gebiete und Strecken gebunden ist. Dadurch sollte eine weiträumige Verteilung der Lärmbelästigung erreicht werden.
Um weitgehend auf Ballungsgebiete Rücksicht zu nehmen, dürfen Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern nicht im Tiefflug überflogen werden. Alle sonstigen größeren Orte, insbesondere Kur- und Heilbäder, werden nach besten Möglichkeiten gemieden. Aber wenn Sie sich einmal eine Karte vorlegen lassen, wo Kur- und Heilbäder in der Bundesrepublik Deutschland eingetragen sind, und einen entsprechenden Maßstab wählen, können Sie den Eindruck gewinnen, daß ganz Deutschland ein Kur- und Badebetrieb ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607012700
Ich rufe die Frage 66 des Abgeordneten Vogel auf:
Ist die Bundesregierung bereit, über das Ergebnis ihrer Untersuchungen zu Frage 65 alsbald dem Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages zu berichten?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607012800
Die nächste Frage beantworte ich folgendermaßen. Die Bundesregierung ist jederzeit bereit, dem Verteidigungsausschuß über diese Angelegenheit zu berichten. Bereits im Oktober 1967 wurden dieses Haus und die Länderregierungen über die Maßnahmen zur Verringerung des Fluglärms eingehend schriftlich unterrichtet.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607012900
Herr Abgeordneter Rawe!

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID0607013000
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß jetzt nur noch im 500-Fuß-Gebiet geflogen wird. Nun gibt es einige Tiefflugstrecken, die noch über Gebieten liegen, wo inzwischen neue Siedlungen entstanden sind. Sind Sie wenigstens bereit, in diesen Bereichen die Tiefflugstrecken zu überprüfen.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607013100
Herr Kollege Rawe, die Tiefflugstrecken werden ständig überprüft und verändert. Aber ich muß Sie wirklich bitten, Verständnis dafür zu haben, daß unsere Flugzeugführer in den Räumen trainieren und üben müssen, in denen sie eventuell einmal eingesetzt werden. Es ist fast unmöglich, eine Tiefflugstrecke zu finden -- jedenfalls hat mir noch keiner eine gezeigt —, die mit entsprechenden Geschwindigkeiten durchflogen werden kann, ohne daß Siedlungen oder Städte überflogen werden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607013200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0607013300
Herr Staatssekretär, Sie sagten soeben, daß Städte über 100 000 Einwohner berücksichtigt werden. Wäre es möglich, auch den sogenannten Naherholungsbereich von größeren Städten, z. B. über 500 000 Einwohner, mit zu berücksichtigen? Ich denke hier an die Fränkische Schweiz in der Nähe von Nürnberg.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607013400
Das ist ein ganz besonders schwieriges Problem. Herr Kollege Niegel, ich bin in der vergangenen Woche dort gerade gelandet. Es ist fast unmöglich, den Vorstellungen, die Sie hier fragend vortragen, nachzukommen. Aber seien Sie versichert, daß wir uns bemühen. Wir haben allerdings auch — das möchte ich jetzt mit allem Nachdruck sagen — die Pflicht und die Verantwortung, an die Sicherheit unserer Besatzungen zu denken.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607013500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Franke.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0607013600
Herr Staatssekretär, Sie haben mir in den letzten Tagen auf ein Schreiben wegen des Überfliegens von Städten mit über 100 000 Einwohnern, z. B. Osnabrück, geantwortet. Diese Antwort hat mich nicht ganz befriedigt und wird sicherlich auch die Osnabrücker Bevölkerung nicht befriedigen. Darf ich Sie deshalb fragen: Glauben Sie, daß in naher Zukunft mit Sicherheit gewährleistet wird, daß Ballungsgebiete wie z. B. die Stadt Osnabrück mit 150 000 Einwohnern von Tieffliegern nicht mehr überflogen werden?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607013700
Herr Kollege, Sie müssen sich überlegen, wer diese Stadt überflogen hat, und es kommt darauf an, wie Sie den Schutz des Bündnisses ansetzen.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0607013800
Ich werte ihn sehr hoch.

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607013900
Wenn Sie also den Schutz des Bündnisses sehr hoch einschätzen, werden Sie darauf Rücksicht zu nehmen haben, daß befreundete Luftwaffen nach anderen Verfahren fliegen. Aber der Kontakt zu anderen und befreundeten Luftwaffen ist so eng, daß wir uns um Lösungen bemühen. Hier eine Versicherung abzugeben, halte ich für völlig ausgeschlossen. Ich bin in anderer Eigenschaft über Jahre mit Fluglärm beschäftigt gewesen. Ich bin leidgeprüft. Bis vor kurzem gehörte ich dem Aufsichtsrat der Hamburger Flughafen GmbH an. Ich kenne das Problem aus erster Hand.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607014000
Wir kommen zur Frage 67 des Abgeordneten Berding:
Ist die Bundesregierung bereit, bei den Regierungen der NATO-Partner darauf hinzuwirken, daß auch die Besatzungen von Flugzeugen befreundeter Staaten strikt die Vorschriflen über Mindestflughöhen usw. einhalten?
Ist Herr Berding im Saal? - Bitte sehr!




Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607014100
Herr Kollege, die Bundesregierung hat bereits auf die NATO-Partner eingewirkt und erreicht, daß diese sich den Lärmminderungsmaßnahmen der Bundesluftwaffe weitgehend angeschlossen haben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607014200
Eine Zusatzfrage.

Franz Berding (CDU):
Rede ID: ID0607014300
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, dem einen oder anderen Einzelfall eines Verstoßes gegen die Vorschriften über Mindestflughöhen, der natürlich konkret belegt sein müßte, nachzugehen?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607014400
Selbstverständlich sind wir dazu bereit. Erfahrungen haben mir gezeigt, daß es sehr schwer ist, die Flugzeuge, die solche Verletzungen begangen haben, zu identifizieren. Dort, wo sie identifiziert werden und einwandfrei erkannt sind, werden wir auch mit den Verbündeten Kontakt aufnehmen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607014500
Keine Zusatztragen.
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Berding auf:
Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, die Mindestflughöhen für Strahlflugzeuge heraufzusetzen?

Karl Wilhelm Berkhan (SPD):
Rede ID: ID0607014600
Herr Kollege, die Mindestflughöhen für Strahlflugzeuge bei taktischen Tiefflügen wurden in der Vergangenheit mehrfach heraufgesetzt. Sie liegen zur Zeit bei 240 m für die F-104 und bei 150 m für die G-91.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607014700
Keine Zusatzfrage. – Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Sie werden von dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Rohde beantwortet.
Zuerst rufe ich die Frage 37 des Abgeordneten Varelmann auf:
Hätte nicht der sehr kräftige Anstieg der Steuereinnahmen Anlaß bieten müssen, für das Jahr 1970 der Rentenversicherung nach den früheren Schlüsselzahlen die Bundeszuschüsse zu zahlen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!

(Unruhe.)

- Meine Damen und Herren, ich darf um etwas mehr Ruhe bitten, um es den Vertretern der Bundesregierung zu erleichtern, die Fragen aus dem Hause zu beantworten.

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607014800
Ich darf bitten, Herr Präsident, diese Frage im Zusammenhang mit der nächsten beantworten zu können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0607014900
Bitte sehr! Ich rufe dann noch Frage 38 des Abgeordneten Varelmann auf:
Sind nicht die Umstände, die 1967 zur Kürzung der Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung führten, längst überholt?

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607015000
Zunächst, Herr Kollege, ein Wort zu den Steuermehreinnahmen 1970, d. h. zu den Steuern, die über die Sollansätze im Haushaltsplan 1970 hinaus eingehen. Diese Mittel stehen nicht zur freien Verfügung, sondern sind aus konjunkturpolitischen Gründen nach einem Haushaltsvermerk im Bundeshaushaltsplan 1970 einem Sonderkonto bei der Deutschen Bundesbank zuzuführen. Die 1971 zu erwartenden Steuereinnahmen sind in voller Höhe zur Ausgabendeckung eingesetzt. Es besteht insofern kein finanzieller Spielraum. Die Zahlung der ungekürzten Zuschüsse 1970 und 1971 an die Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen — Voraussetzung dafür wäre eine entsprechende Änderung des Finanzänderungsgesetzes von 1967 — hätte daher eine Deckungslücke im Bundeshaushalt zur Folge.
Andererseits hat sich, wie Sie wissen, Herr Kollege, die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen inzwischen verbessert. Zudem werden die Kürzungen der Bundeszuschüsse 1971 ohnehin auslaufen. Auch die mittelfristige Finanzplanung geht davon aus, daß die Zuschüsse ab 1972 wieder in voller Höhe gezahlt werden.
Die in Ihrer zweiten Frage angesprochenen Umstände, die 1967 zur Kürzung der Bundeszuschüsse geführt haben, waren in der Rezession begründet. Sie ist durch die Wirtschaftspolitik überwunden worden. Damit wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Bundeszuschüsse ab 1972 wieder ungekürzt zu zahlen.

(Vorsitz: Präsident von Hassel.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607015100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Varelmann,

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0607015200
Herr Staatssekretär, darf man nicht mit Sicherheit behaupten, daß der Deutsche Bundestag im Jahre 1966 bei der Beratung des Finanzänderungsgesetzes die derzeitigen Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung niemals gebilligt hätte, wenn man damals bereits von dein Mehr an Steuereinnahmen gewußt hätte?

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607015300
Herr Kollege, ich weiß aus den damaligen Beratungen, daß von manchen politischen Kräften in der früheren Bundesregierung beabsichtigt war, die Zuschüsse zur Rentenversicherung noch für das Jahr 1972 zu kürzen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607015400
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Varelmann.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0607015500
Herr Staatssekretär, beinhaltet die derzeitige Finanzlage so, wie sie dar-

Varelmann
getan wird, nicht. einen Trugschluß, weil die Aufbesserungen der Rentenleistungen erheblich hinter der Lohnentwicklung hinterherhinken? Wäre es nicht besser, diesen Zeitabschnitt zu verkürzen?

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607015600
Herr Kollege, ich darf dazu anmerken, daß die Bundesregierung die Finanzentwicklung der Rentenversicherung mit außerordentlicher Sorgfalt beobachtet. Darum hat die Bundesregierung beispielsweise auch nicht dem Vorschlag Ihrer Fraktion folgen können, mit gesetzlichem Zwang Milliarden aus dem Rücklagevermögen der Rentenversicherung bei der Bundesbank stillzulegen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607015700
Eine dritte Zusatzfrage des Abgeordneten Varelmann.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0607015800
Herr Staatssekretär, wäre eine Erhöhung der Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung nicht konjunkturgerecht, insbesondere dann, wenn diese Mittel in den wirtschaftlich schwächeren Räumen angelegt würden?

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607015900
Eine Erhöhung der Bundeszuschüsse würde sich auf den Haushalt auswirken. Und was hier in Ihren Augen, Herr Kollege, konjunkturgerecht ist, müssen Sie mit Ihrer Fraktion ins reine bringen, die die Bundesausgaben für 1971, wie ja heute in der Debatte deutlich werden wird, hinsichtlich ihrer Höhe jetzt schon kritisiert.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607016000
Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Varelmann.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0607016100
Herr Staatssekretär, halten Sie es für vertretbar, daß die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung im Vergleich zu den Rentenausgaben immer geringer werden?

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607016200
Ich halte das nicht in diesem Sinne für vertretbar, aber das wird ein Gesichtspunkt sein, mit dem wir uns auch bei der Diskussion der weiteren finanziellen Entwicklung der Rentenversicherung zu befassen haben werden. Sie wissen ja, daß wir für die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung eine 15jährige Vorausschau haben, die jedes Jahr fortgeschrieben wird. Diese Vorausschau ist damit auch in jedem Jahr Gegenstand der parlamentarischen Beratungen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607016300
Die Fragen 39 und 40 des Abgeordneten Strohmayr werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Wird die Bundesregierung bei der beabsichtigten Überprüfung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums
der Wirtschaft auch den Vorschlag einer zyklisch gestuften
Arbeitslosenversicherungsleistung von John Kenneth Galbraith berücksichtigen, wonach der Zusammenhang zwischen Produktionsleistung und wirtschaftlicher Sicherheit dadurch gelockert wird, daß bei Vollbeschäftigung die Unterstützungssätze geringer, bei zunehmender Arbeitslosigkeit höher sind?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607016400
Herr Kollege, die Bundesregierung wird bei den Arbeitslosenversicherungsleistungen konjunkturpolitische Gesichtspunkte insoweit berücksichtigen, als diese mit dem Sozialstaatsprinzip der Verfassung zu vereinbaren sind. Die von Ihnen genannte Regelung, die darauf hinausliefe, das Arbeitslosengeld bei Vollbeschäftigung zu verringern, erfüllt diese Voraussetzung nicht. Entgegen der von Ihnen zitierten Annahmen, daß in Zeiten der Vollbeschäftigung mit dem Arbeitslosengeld nur kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit überbrückt zu werden brauchen, ist erfahrungsgemäß auch in solchen Zeiten eine Reihe von Arbeitslosen zu unterstützen, die schwer wieder in Arbeit zu vermitteln sind und daher längere Zeit vom Arbeitslosengeld leben müssen. Es sind in diesem Zusammenhang also nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Aspekte zu berücksichtigen. Dies gilt besonders für ältere Arbeitnehmer. Das Arbeitsförderungsgesetz sieht deshalb besondere Hilfen zur Wiedereingliederung solcher Arbeitslosen vor. Bis zur Arbeitsaufnahme müssen diese Arbeitslosen aber einen Anspruch auf angemessenen Lohnersatz in Form des Arbeitslosengeldes haben.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607016500
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Ist die Bundesregierung bereit, durch eine Gesetzesinitiative Härtefälle zu vermeiden, die dadurch entstehen, daß die Sozialgerichte nach der gegenwärtigen Rechtslage den Hinterbliebenen von Wehrmachtsangehörigen Versorgung versagen, wenn sie nicht einwandfrei nachweisen können, daß der Soldat den Freitod im Zustand einer erheblichen Beeinträchtigung der freien Willensbestimmung gesucht hat?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607016600
Herr Kollege, die Rechtsprechung hat gerade in den letzten Jahren zum geltenden Recht Grundsätze entwickelt, die auch Ihren Vorstellungen — wenn ich dies nach den Formulierungen Ihrer Fragen richtig deute — weitgehend entsprechen. Danach ist heute bei der versorgungsrechtlichen Beurteilung von Freitodfällen im Gegensatz zu früher vor allem auch die persönliche Belastbarkeit des einzelnen besonders zu beachten. Versorgung ist auch zu gewähren, wenn der Soldat nach seiner besonderen individuellen Lage und Belastbarkeit von den wehrdienstbedingten Umständen besonders betroffen war und wenn andere Ursachen für den Entschluß zur Selbsttötung ausgeschlossen werden können. Sollte Ihnen ein Fall bekannt sein, in dem diese Grundsätze nicht berücksichtigt worden sind, bin ich gern bereit, ihn überprüfen zu lassen.



Parlamentarischer Staatssekretär Rohde
Herr Kollege, darf ich in diesem Zusammenhang gleich auf Ihre zweite Frage eingehen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607016700
Dann rufe ich noch die Frage 43 des Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Hielte die Bundesregierung eine Gesetzesänderung für angebracht, wonach der Anspruch auf Versorgung der Angehörigen nur dann ausgeschlossen wäre, wenn der Soldat aus persönlichen Gründen, die nicht wesentlich mit der Kriegslage oder den Eigentümlichkeiten seines Dienstes zu tun hatten, den Freitod gesucht hat?

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607016800
Die mit Ihrer zweiten Frage zur Diskussion gestellte Gesetzesänderung könnte nicht allein auf Freitodfälle beschränkt bleiben, sondern müßte auch für andere Tatbestände gelten. Sie würde ein abgehen von der bisherigen kausalen Betrachtungsweise im Versorgungsrecht bedeuten und sich daher mittelbar auch auf andere Bereiche der sozialen Sicherung auswirken.
Im übrigen möchte ich noch darauf hinweisen, daß das Versorgungsrecht keine Beweispflicht der Antragsteller kennt. Vielmehr hat die Verwaltung von Amts wegen den Sachverhalt aufzuklären und dabei alle verfügbaren Beweisunterlagen heranzuziehen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607016900
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Kempfler.

Dr. Friedrich Kempfler (CSU):
Rede ID: ID0607017000
Herr Staatssekretär, würde sich nicht vom Billigkeitsstandpunkt aus eine gesetzliche Regelung empfehlen, wonach eine Vermutung aufgestellt wird, daß der Freitod auf kriegsbedingte Einwirkungen zurückzuführen ist? Diese Vermutung könnte natürlich widerlegt werden. Damit wären alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt.

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607017100
Herr Kollege, ich kann wohl davon ausgehen, daß Sie bestimmte Einzelfälle im Auge haben. Ich darf Ihnen versichern, daß ich, wenn Sie mir diese Fälle übermitteln, diese Frage mit großer Aufgeschlossenheit auch für das Schicksal der Hinterbliebenen unter den' Gesichtspunkt weiterer Konsequezen überprüfen lassen werde.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607017200
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Geisenhofer auf:
Sieht die Bundesregierung im Zusammenhang mit der „Europäischen Ordnung der sozialen Sicherheit Artikel 10" keine Verpflichtung, das geltende deutsche Recht so zu ändern, daß als Mindestleistung der gesetzlichen Krankenversicherung auch die ambulante Behandlung durch Fachärzte in Krankenhäusern gewährleistet wird?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607017300
Herr Präsident, ich möchte auch diese beiden Fragen im Zusammenhang beantworten.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607017400
Keine Bedenken. Ich rufe dann noch die Frage 45 des Abgeordneten Geisenhofer auf:
Wäre es in Anbetracht des Schwesternmangels und der Bettennot in den Krankenhäusern nicht zweckmäßig, daß für die von niedergelassenen Ärzten eingewiesenen Patienten die Vordiagnostik ambulant durchgerührt sowie bei jenen Patienten, die früher entlassen werden könnten, für eine begrenzte Zeit eine ambulante Nachbehandlung vorgenommen wird?

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607017500
Die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Behandlung der Versicherten hat der Gesetzgeber den Kassenärztlichen Vereinigungen übertragen, die diese Aufgabe in der Regel durch ihre Mitglieder, die freiberuflich tätigen praktischen Ärzte und Fachärzte, erfüllen. Darüber hinaus sind unter bestimmten Voraussetzungen leitende Krankenhausärzte sowie Universitäts-Polikliniken und Eigeneinrichtungen der Krankenkassen an der ambulanten kassenärztlichen Versorgung der Versicherten beteiligt. Damit geht die Bundesrepublik Deutschland über die Mindestnorm des Art. 10 in der von Ihnen, Herr Kollege, zitierten Fassung der „Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit" hinaus.
Gleichwohl gehört die Frage, ob und inwieweit über die vorerwähnte Regelung hinaus noch weiteren Ärzten am Krankenhaus das Recht zur ambulanten Behandlung Versicherter eingeräumt werden soll, zu dem Themenkreis, den die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gebildete Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung erörtert. Hierbei wird auch die von Ihnen angesprochene Frage behandelt werden, ob und inwieweit nach einer vom Kassenarzt verordneten Einweisung des Versicherten zur stationären Krankenhausbehandlung z. B. notwendige diagnostische Maßnahmen oder Nachbehandlungen auch ambulant durchgeführt werden können.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607017600
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Geisenhofer.

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0607017700
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung bei der gegenwärtigen Personalnot in den Krankenhäusern keine Notwendigkeit, durch eine vorgeschaltete Diagnostik im Krankenhaus zu vermeiden, daß geprüfte Krankenschwestern mit der Pflege von Patienten befaßt werden, die auch ambulant weiterbehandelt werden könnten, und sollte nicht zum Zwecke der erwähnten und erwünschten Verkürzung der Verweildauer eine begrenzte Nachbehandlung für geeignete Fälle im Krankenhaus ermöglicht werden?

Helmut Rohde (SPD):
Rede ID: ID0607017800
Herr Kollege, ich bin sicher, daß der von Ihnen genannte Gesichtspunkt mit in die Beratung der Sachverständigenkommission einbezogen wird. Ich kann aber nicht annehmen, daß es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein könnte, daß die Frage nach der ambulanten Vordiagnostik und Nachbehandlung im Krankenhaus eine sehr umstrittene Frage ist. Es ist sach-



Parlamentarischer Staatssekretär Rohde
gerecht, in der Sachverständigenkommission Praxis und Wissenschaft eine Chance zu geben, diesen umstrittenen Fragenbereich zu erörtern.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607017900
Keine weiteren Zusatzfragen. Die Fragestunde mit 60 Minuten ist abgelaufen. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär für die Beantwortung.

(Anhaltende Unruhe.)

- Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen.
Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
betr. Mißbilligung der Äußerungen des Bundesministers der Finanzen Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Alex Möller
— Drucksache VI/1193 -
Zur Begründung hat der Abgeordnete von Wrangel das Wort.

Baron Olaf von Wrangel (CDU):
Rede ID: ID0607018000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion zweifellos lieber gewesen, wenn wir auf den Antrag, der Ihnen mit Drucksache VI/1193 vorliegt, hätten verzichten können. Wir sehen uns nun leider doch nicht in der Lage, diesen Antrag zurückzuziehen, weil der Herr Bundesfinanzminister die kollektiven Beleidigungen gegenüber der CDU/CSU-Fraktion nicht zurückgenommen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es macht die Sache schlimmer, weil der Minister selbst oder seine Mitarbeiter zu dieser Äußerung Beifallsbekundungen verbreitet haben, so z. B. von den Jungsozialisten und von Herrn Steffen, die sich nun in ihren extremen Ansichten durch einen Bundesminister bestätigt fühlen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dieses Verhalten zeigt, daß der Bundesminister der Finanzen jenes Maß an demokratischer Fairneß aufzubringen nicht in der Lage ist, das die Grundvoraussetzung für die Beratungen in diesem Hohen Hause ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, ein Bundesminister darf die Gesetze des Parlamentarismus auch dann nicht in Frage stellen, wenn ihm die berechtigte Kritik der Opposition auf die Nerven geht. Ich möchte mit Nachdruck darauf hinweisen, daß nach Durchsicht des Protokolls vom 23. September 1970 weder vorher gemachte Äußerungen unsererseits noch der Zwischenruf meines Kollegen Haase (Kassel) die Äußerung des Bundesministers der Finanzen in irgendeiner Form rechtfertigen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn es gehört eben zur wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung, daß Tatbestände als Tatbestände
beschrieben werden. Wir haben gerade zur Frage der Inflation Sachverständige in diesen Tagen gehört.

(Zurufe von der SPD.)

Ich muß etwas zur Vorgeschichte sagen. Der Bundesminister der Finanzen hat keine Haushaltsrede gehalten. Seine Erklärung war doch ein Versuch, durch Polemik gegenüber der CDU/CSU von den Ungereimtheiten der eigenen Haushaltspolitik abzulenken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Vergessen Sie doch bitte nicht, meine Damen und Herren von der Bundesregierung und der Koalition, der SPD in diesem Falle, daß diese mißglückte Rede des Finanzministers zu einem Zeitpunkt stattfand, da wir noch Äußerungen im Ohr hatten, die damals noch nicht zurückgenommen worden waren. Der Herr Bundeskanzler — und wir haben dies, Herr Bundeskanzler, ausdrücklich anerkannt hat das zurückgenommen, was er vor der SPD-Fraktion sagte. Herr Kollege Wehner seinerseits hat seine Äußerungen relativiert und verändert; aber es wäre uns lieber gewesen, wenn auch dies von diesem Platz aus geschehen wäre und nicht außerhalb des Bundestages.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte im Interesse der Atmosphäre auf diese Vorgänge jetzt nicht näher eingehen. Wer also mit unseren Zwischenrufen die Äußerungen des Bundesministers der Finanzen rechtfertigen will, verwechselt Ursache, Wirkung und Folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es wäre doch nicht Sache der CDU/CSU gewesen, jetzt noch Signale der Verständigung zu setzen, nachdem die Brücken, insbesondere die Brücke, die Herr Dr. Barzel hier Herrn Möller gebaut hatte, nicht betreten worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe von der SPD.)

Die CDU/CSU — dies ist gestern geschehen, und dies wird heute geschehen — wird die Finanz-, Wirtschafts-, Haushalts- und Konjunkturpolitik dieser Regierung weiterhin mit Härte und Leidenschaft kritisieren. Dies ist nicht nur das Recht der Opposition, dies ist eine so selbstverständliche demokratische Pflicht, daß ich darüber nicht zu sprechen brauche. Wir treten aber — das werden Sie gestern gemerkt haben — für eine sachliche Beratung ein. Ich glaube, daß die Beratungen und die ganze Zusammenarbeit in diesem Hohen Hause doch entscheidend beeinflußt und auch beeinträchtigt werden kann durch das Verhalten des Bundesministers der Finanzen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Schiller sprach gestern vom Entspannungskurs. Ich meine, Herr Minister, daß Sie den ersten Beitrag zu dieser Entspannung leisten müßten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich muß hier noch einmal sagen, daß mit diesen Äußerungen ja nicht nur die CDU/CSU-Fraktion,

Baron von Wrangel
sondern Millionen von Wählern in unserem Lande beleidigt und gekränkt worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU. Ah-Rufe von der SPD.)

Wir fühlen uns verpflichtet, von dieser Stelle aus diese Kränkungen zurückzuweisen. Es geht uns nicht um Haarspaltereien oder Spitzfindigkeiten.

(Lachen bei der SPD.)

Es geht uns aber wohl darum, daß dieses Parlament nicht zu einem Forum vordergründiger Verleumdungen degradiert werden darf.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Uns geht es auch nicht darum, hier und heute historische Vorgänge im einzelnen zu werten, aber uns geht es darum, ganz klarzumachen, daß unter Führung der CDU/CSU nach einem Trümmerhaufen, den das Dritte Reich hinterlassen hat, hier eine lebendige stabile Demokratie entstanden ist, die von der ganzen Welt bewundert wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir werden diese demokratischen Verdienste von niemandem und schon gar nicht von einem Mitglied der Bundesregierung herabsetzen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein letztes Wort an Sie, Herr Bundeskanzler. Sie bestimmen die Richtlinien der Politik. Sie haben anspruchsvoll erklärt, daß mit Ihrem Regierungsantritt die Demokratie erst beginnen wird. Wir haben diesen Ausspruch, der ein Stück Geschichtsklitterung darstellt, seinerzeit mit Empörung zurückgewiesen, und wir sehen heute, daß diese Empörung absolut berechtigt gewesen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, wir müssen Sie nun bitten, wenigstens im engeren Bereich von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen, indem Sie den Stil dieser Regierung gegenüber der Opposition beeinflussen. Sie haben dies ja dankenswerterweise durch Ihre Zurücknahme bereits getan. Es wäre aber gut, wenn Sie den Finanzminister auch dazu bewegen könnten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607018100

Das Selbstbewußtsein dieser Regierung wird sich als Toleranz zu erkennen geben.
Sie wird daher auch jene Solidarität zu schätzen wissen, die sich in Kritik äußert.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607018200

Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden im Inneren und nach außen.
Von einer solchen Solidarität haben wir bei dem
Herrn Bundesminister der Finanzen nichts gespürt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hingegen merken wir, daß zunehmende Unsicherheit und Unklarheit diese Politik in einem Maße
beeinflussen, daß große Teile unserer Bevölkerung beunruhigt sind. Sie, Herr Bundesminister der Finanzen, haben diese Unruhe unnötig geschürt.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß der Bundesminister der Finanzen mit seinen Äußerungen und seinem Verhalten nach der Entgleisung durch Selbstzufriedenheit und Unbelehrbarkeit eben jene Nachbarschaft verletzt hat, die Sie, Herr Bundeskanzler, doch immer beschwören.
Aus allen diesen Gründen, meine Damen und Herren, bitte ich das Hohe Haus, dem Antrag auf Drucksache VI/1193 zuzustimmen. Wir wollen mit diesem Mißbilligungsantrag keinen Streit,

(Zurufe und Lachen bei den Regierungsparteien)

aber wir wollen einen Beitrag leisten - nun hören
Sie doch zu, meine Damen und Herren, Sie lachen doch jetzt über das, was Ihr eigener Kanzler gesagt hat, wenn ich das richtig sehe — zur Absteckung der Grenzen in diesem Hause, Wir wollen, daß sich dieses Parlament in einem sachlichen Stil auseinandersetzt

(Beifall bei den Regierungsparteien — Sehr gut! bei der CDU/CSU)

und sich nicht Verleumdungen in diese Auseinandersetzungen einschleichen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607018300
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0607018400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Haushaltsberatungen sind große Tage dieses Hauses, ob es sich um die erste Lesung, die zweite oder um die dritte handelt, es sind die Tage, an denen sich das Parlament damit beschäftigt, der Politik des nächsten Jahres in Zahlen Ausdruck zu verleihen. Die Finanzpolitiker sind in der Regel sachliche Kollegen, und die Sachdebatte gerade auf diesem Gebiet ist eine der Voraussetzungen eines erfolgreichen Zusammenwirkens des ganzen Hauses. Dessen ungeachtet gab es bei dem ersten Bemühen um die für richtig gehaltene Lösung schon immer auch temperamentvolle Äußerungen. Wenn das Wort „Inflation" fällt oder früher gefallen ist, dann trat auf allen Seiten die Besorgnis sehr lebendig hervor, alles zu tun, um so etwas für die Zukunft zu verhindern.
So ist es sehr interessant, wenn man die Debatte vom 26. Februar 1965 nachliest, woraus ich Ihnen wörtlich etwas vortragen darf. Ich darf daran erinnern — es sind fünfeinhalb Jahre her —: Die CDU/CSU war Regierungspartei, die SPD war in der Opposition. Es war die dritte Lesung des Haushaltsplans 1965.

(Abg. Rasner: Also nicht die Einbringung!)

— Die dritte Lesung, ich sage es ganz präzis. In dieser dritten Lesung sprach für die SPD-Fraktion der damalige sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Möller. Ich darf Ihnen vorlesen, was er dort nach einigen anderen Dingen sagte:



Dr. Schäfer (Tübingen)

Wenn Sie etwa über die Ursachen der beiden großen Inflationen, die unser Volk heimgesucht haben, nämlich der Inflation nach dem ersten Weltkrieg und der Inflation nach dem zweiten Weltkrieg, etwas nachdächten — und ich würde Ihnen ein solches stilles Kämmerlein zum Nachdenken gönnen —, dann müßten Sie wissen, daß für diese Inflation die politischen Kräfte unseres Volkes verantwortlich sind, die näher mit Ihnen verwandt sein dürften, als Sie heute zuzugeben bereit sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat nichts dazugelernt!)

Das Protokoll verzeichnet danach: „Beifall bei der SPD."

(Abg. Strauß: Das war das beste Eigentor. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Warten Sie! Ich zitiere weiter: kein Zuruf der CDU/CSU.

(Lachen. — Beifall bei der SPD.)

— Kein Zuruf!
Natürlich konnte die CDU/CSU-Fraktion eine solche Aussage nicht unwidersprochen sein lassen. Der CSU-Abgeordnete Dr. Althammer hat denn auch im Fortgang der Debatte folgendes ausgeführt — ich zitiere ebenfalls wörtlich —:
Ich glaube, daß ein Vorwurf die Opposition am meisten getroffen hat, nämlich der Vorwurf, daß die Durchführung der Vorschläge der SPD die konkrete Gefahr einer Inflation herbeiführen würde. Es ist nicht anders verständlich, als daß dieser Vorwurf tief getroffen hat, wenn vom Kollegen Alex Möller heute der Versuch gemacht worden ist, die Inflation des ersten und zweiten Weltkrieges etwa Kräften in die Schuhe zu schieben, die mit unserer Seite zu tun haben. Eine derartige Querverbindung zwischen den Ereignissen der ersten und zweiten Inflation mit unserer Bundesregierung, mit unserem Staat überhaupt muß als unzulässig zurückgewiesen werden.

(Beifall in der Mitte.)

Man brauchte keinen Ältestenrat, sondern die Angelegenheit war damit erledigt.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber, meine Damen und Herren, in welcher Situation Sie sich heute als Opposition befinden, auch das darf ich Ihnen aus der Rede von Herrn Althammer vortragen; genau das ist die verkrampfte Situation, die Sie haben. Herr Althammer fährt nach einem Satz weiter fort — hören Sie jetzt bitte sehr genau zu —:
Man kann nicht der Bundesregierung und den Koalitionsparteien Versäumnisse auf allen Gebieten vorwerfen, Versäumnisse, deren Behebung immense Mehraufwendungen erfordern würde, um gleichzeitig — sogar in der gleichen Rede — das Finanzvolumen und den Umfang der Ausweitungen zu kritisieren. Eine Opposition kann nur dann innerlich wahrhaftig bleiben, wenn sie in dem Moment, wo sie das Finanzvolumen eines Haushalts als zu groß beanstandet und von Wahlgeschenken spricht, ganz konkrete Streichungs- und Kürzungsvorschläge macht.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Sie sollten mal Herrn Erler zitieren!)

— Herr Stücklen, ich komme gleich darauf zurück.
Die Opposition von damals, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, hat in jener Sitzung vom 26. Februar durch ihren Sprecher Alex Möller in der Tat Anträge in Höhe von 2,54 Milliarden DM zurückgenommen, um ihren Beitrag zu leisten.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir wissen doch, wie schwer es in der Opposition
ist; wir haben das ja auch lange genug üben müssen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Lassen Sie mich doch ausführen, wie sich die Dinge darstellen.
Sie haben auf der Drucksache VI/1154 einen Antrag eingebracht. Es ist ein offizieller Antrag mit den Unterschriften: Barzel, Stücklen und Fraktion. Den Antrag haben Sie nachher zurückgezogen. Aber in dem ersten Schock, jetzt Rede und Antwort stehen zu müssen im Hinblick auf Ihre Anträge, Ihre Versprechungen und einen Haushaltsplan, der auf dem Tisch liegt, haben Sie nichts anderes zu tun gewußt, als dem Bundestag folgendes vorzuschlagen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag lehnt die Beratung des Haushaltsentwurfs 1971 in der von der Bundesregierung vorgelegten Fassung ab.

(Abg. Rasner: Richtig!)

Schlicht und einfach: Sie wollten nicht; nein, meine Damen und Herren, Sie konnten nicht! Das war die Lage.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dabei ist gar nicht entscheidend, ob dieser Antrag nach der Geschäftsordnung zulässig ist, sondern entscheidend ist die politische Aussage.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie konnten nicht;

(Zurufe von der CDU/CSU)

denn zur Zeit liegen dem Bundestag von Ihnen Gesetzentwürfe und Anträge vor, die 2,46 Milliarden DM ausmachen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Am 14. Juli — so in der „Welt" berichtet — hat Herr Klepsch Anforderungen in Höhe von 1,1 Milliarden DM gestellt, die Herr Zimmermann in der Zwischenzeit wiederholt hat. Ihr Mittelstandskreis hat Forderungen angemeldet, die

(Zuruf des Abg. Dr. Stoltenberg)




Dr. Schäfer (Tübingen)

— Herr Stoltenberg, ich weiß es - zu gegebener Zeit durchzuführen sind.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Zum Zeitpunkt der Steuerreform! — Zuruf des Abg. Windelen.)

— Lassen wir das einmal beiseite! — Sie haben also Anträge in Höhe von 3,6 Milliarden DM gestellt, Herr Windelen — —

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

— Sehen Sie, Sie werden dabei unruhig.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Entschuldigen Sie, das ist doch die Problematik der Finanzpolitik:

(Erneute lebhafte Zurufe von der CDU/CSU und Gegenrufe von der SPD)

die Anforderungen sind größer als die Leistungsfähigkeit.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Hier geht es um den Stil! Der ist miserabel!)

— Auf Ihren Stil komme ich gleich zurück.
Ich habe Ihnen jetzt den Rahmen gezeigt, in dem Sie sich bewegen. Ich habe für Ihr Verhalten Verständnis. Wir haben in der Opposition oft in gleicher Situation gestanden. Ich habe Ihnen gesagt, welchen Beitrag wir damals geleistet haben.

(Abg. Dr. Müller-Herrmann: Keinen!)

Es war uns auch nicht leichtgefallen, alle Anträge zurückzuziehen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, nachdem Ihre Fraktion diesen Antrag beschlossen hatte und wußte, daß sie damit nicht durchkommt, kamen wir zur ersten Lesung des Haushaltsplanes. Die Bundesregierung hat den Mut, einen Haushaltsplan vorzulegen, mit dem Versäumnisse der Vergangenheit nachgeholt werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Wörner: Witzbold!)

Sie hat den Mut, echte Prioritäten zu setzen und dafür einzustehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wörner: Sind Sie denn der gestrigen Debatte nicht gefolgt?)

— Das ist Ihnen unangenehm, meine Damen und Herren.
Nehmen Sie sich doch einmal die Zeit und lesen Sie im Protokoll nach, wie das in der Sitzung vom 23. 9. eskalierte. Da geht es um eine Frage, die uns unabhängig von diesem besonderen Vorkommnis beschäftigen muß,

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, hier geht es um Möller!)

eine Frage, die das ganze Haus angeht und uns bei
Haushaltsberatungen besonders beschäftigen muß,
nämlich die notwendige sachliche Basis zu schaffen,
daß man über so wichtige Fragen sprechen kann. Das geht alle in diesem Hause an.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich sehe aus den Protokollen des Ältestenrats, daß man dieses Problem erkannt hat und daß der Herr Präsident sich darum bemüht, Möglichkeiten zu suchen und zu finden, um die sachliche Arbeit dieses Hauses auch für harte Diskussionen zu sichern. Das geht uns alle an, und dazu müssen wir alle unseren Beitrag leisten.

(Abg. Dr. Wörner: Sorgen Sie dafür, daß sich Herr Möller entschuldigt!)

Meine Damen und Herren, lesen Sie das Protokoll des zweiten Tages und Sie sehen, daß der Bundesfinanzminister Möller das Wort ergriff, die Situation noch einmal darstellte und dann folgendes ausführte. Er zitierte noch einmal das, was Ihnen nicht gefällt, und sagte dann:
Mit der letzten Feststellung habe ich selbstverständlich niemanden aus der CDU/CSU-Fraktion oder aus den beiden Parteien CDU und CSU in die Nähe des Nationalsozialismus rükken wollen.

(Zuruf der Abg. Frau Kalinke. — Weitere Zurufe der CDU/CSU.)

— Entschuldigen Sie, Frau Kalinke, ich darf doch wohl vorlesen:
Ein solcher Eindruck, der von mir nicht beabsichtigt war, kann auch aus dem Protokoll nicht hergeleitet werden.
Meine Damen und Herren, lesen Sie aber bitte weiter und stellen Sie dann fest, daß der Fraktionsvorsitzende Barzel hier meinte, den Herrn Bundesfinanzminister als Demokraten disqualifizieren zu müssen! Man muß feststellen, daß Sie sich aus Ihrer Verkrampfung damals nicht gelöst haben, trotz des Schrittes des Bundesfinanzministers. Aus der Stellung Ihres Antrags ersehe ich, daß Sie sich bis heute nicht zu lösen verstehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das heißt, meine sehr geehrten Damen und Herren — und hier kommen wir wieder an das Generalproblem in diesem Hause, und wir Sozialdemokraten haben hier unseren Weg hinter uns —, der Schritt von der Oppositionsrolle zur Obstruktionsrolle ist der Schritt zur Frustrierung des Parlaments.

(Beifall bei der SPD.)

Ich bin überzeugt, daß niemand in den Reihen der CDU/CSU eine solche Frustrierung will. Ich bin überzeugt, daß Sie mit uns zusammen genau wissen, daß ein Parlament nur dann funktioniert, wenn die Fraktion der Opposition durch ihre sachlich-kritischen Beiträge zur Klärung der Fragen zwingt.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

— Ich freue mich über die Zwischenrufe. — Das ist für eine Opposition, die nicht über die Mehrheit verfügt — sonst wäre sie ja nicht Opposition —,



Dr. Schäfer (Tübingen)

häufig mit entsagungsvollen Konsequenzen verbunden.

(Abg. Strauß: Da hätten Sie sich etwas Besseres einfallen lassen können! — Zuruf des Abg. Stücklen.)

Das fällt Ihnen, nachdem Sie es noch nicht ganz gelernt haben, in dieser Rolle zu agieren, schwer, und nun suchen Sie deshalb diesen Ausweg. Das ist Ihre Angelegenheit.
Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Wir meinen, daß wir uns der Sacharbeit zuwenden sollten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607018500
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Funcke.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607018600
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die FDP-Fraktion bedauert den Ablauf der Verhandlungen im Bundestag vom 23. und 24. September.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

Sie bedauert, daß hinüber und herüber Worte gefallen sind, die besser nicht gesagt worden wären.
Sie bedauert darüber hinaus — und das erscheint uns noch ernster — daß hinüber und herüber Stimmung erzeugt und Reaktionen ausgelöst worden sind und werden, die dem Parlament schaden. Es kann niemandem, gleich welcher Fraktion, nützen, wenn wir uns über Worte und Interpretationen streiten. Es kann niemandem nützen, wenn in einer fortgesetzen Eskalation der Vorwürfe die Gegner versuchen, Ursache und Wirkung jeweils subjektiv festzustellen, und es kann auch niemandem nützen, wenn wir darüber beckmessern, ob die Erklärung zu einer unglücklichen Formulierung genügt oder nicht genügt. Die Bevölkerung im Lande, meine Herren und Damen, erwartet von dem deutschen Parlament, daß es zur Sache verhandelt,

(Beifall bei den Regierungsparteien — Abg. Rawe: Und von der Regierung, daß sie sich demokratisch verhält!)

und nicht, daß man Worte gegeneinander aufrechnet.

(Abg. Dr. Schmidt — Ich spreche von diesem Hohen Hause, Herr Kollege, und in diesem Hause sind ja die Dinge geschehen. (Abg. Rawe: Von der Regierung! — Abg. Darf sich das Parlament das gefallen lassen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0607018700
Wir sind alle hier gemeint. Niemand, der im politischen Leben steht, ist so schuldlos in Aktion und
Reaktion, daß er hier den Pharisäer spielen könnte.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Herren und Damen, wir haben das Fernsehen im Haus. Das bedeutet, daß Menschen an unseren Debatten teilnehmen, die nicht gleichermaßen die Atmosphäre, in der wir handeln, räumlich und zeitlich miterleben. Das legt uns eine besondere Verantwortung auf. Denn Sinn und Ziel der öffentlich übertragenen Sitzungen des Parlaments ist es doch, die sachliche Arbeit des Parlaments durchsichtig und verständlich zu machen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Für Beleidigungen!)

nicht aber, die Menschen emotional aufzuheizen oder abzuschrecken.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Dieses Bewußtsein sollte uns mehr noch als früher in der Wahl der Worte besonnen machen und ein Maß setzen in der Reaktion. Wir alle, die wir uns zum Teil schon seit über 20 Jahren mühen, das parlamentarisch-demokratische System mit seinen notwendigen Auseinandersetzungen sachlich zu begründen und verständlich zu machen, müssen daran interessiert sein und sind mitverantwortlich dafür, daß wir nicht selbst das Vertrauen in die Ernsthaftigkeit unseres Tuns erschüttern.

(Abg. Frau Kalinke: Eben!)

Eine mehrstündige Debatte über eine Entgleisung tut der staatsbürgerlichen Bildung in unserem Volk einen wahrhaft schlechten Dienst.

(Abg. Dr. Wörner: Warum keine Entschuldigung? — Abg. Stücklen: Sie verschieben doch die Dinge in der Wertung!)

Die FDP-Fraktion ist der Auffassung, daß wir endlich zur Sache kommen sollten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Jeder von uns hat sein Urteil über das, was sich in der damaligen Bundestagssitzung hinüber und herüber abgespielt hat. Ich verhehle nicht, meine Herren und Damen, daß unser Urteil darüber nicht günstig ist. Aber es wird durch eine Dramatisierung nicht besser. Glaubt wirklich irgend jemand in diesem Hause, daß sein Stern heller scheint, wenn er — selbst oft genug im Glashaus — den anderen anklagt? Es kann in einem solchen Bemühen keine Gewinner geben, sondern nur Verlierer, Verlierer an unserer parlamentarischen Sache.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Pharisäer!)

Denn es ist nicht überzeugend, wenn erwachsene Menschen sich tagelang im Streit um Worte festbeißen,

(Zustimmung bei den Regierungsparteien) und es ist ebensowenig überzeugend,


(Abg. Dr. Müller-Hermann: Thema verfehlt!)




Frau Funcke
wenn diejenigen, die selbst nicht zimperlich sind im Austeilen, umgekehrt empfindlich reagieren.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU: Siehe Möller! — Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sie müssen aber auch die Geschichte noch einmal nachlesen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Sicher wäre es besser, wenn das Wort des Bedauerns sich leichter aussprechen ließe.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Dann fordern Sie ihn doch dazu auf!)

Aber, meine Damen und Herren, mit der Methode der „Haupt- und Staatsaktion" kann man nur allen schaden.
Darum wird die FDP-Fraktion den Antrag der CDU/CSU ablehnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607018800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

(Unruhe bei der SPD.)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0607018900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein Wort an meine Vorrednerin. Wir glauben, der Umgang der Demokraten miteinander gehört zur Sache und ist die erste Sache dieses Hauses.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607019000
Sie, Herr Bundeskanzler, zu fragen:

(Lachen bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Kommen Sie zur Sache!)

Wollen Sie wirklich die Verantwortung dafür übernehmen, daß ein Mitglied Ihrer Regierung von dieser Stelle aus die Hälfte des deutschen Volkes in die Nähe derer rückt,

(Pfui-Rufe von den Regierungsparteien)

die verantwortlich für Krieg und zwei Inflationen sind? — Herr Bundeskanzler, Sie schütteln mit dem Kopf. Dann kommen Sie her und erklären das. Sonst werden draußen im Lande Instinkte und Radikalität geweckt, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafte Pfui-Rufe von den Regierungsparteien.)

Wir bitten herzlich, nicht an der Sache vorbeizureden. Der Vorwurf „verantwortlich für zwei Kriege" ist doch ungeheuerlich, und er muß vom Tisch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Anhaltende Pfui-Rufe von den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607019100
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

(Zuruf von der CDU/CSU: Endlich!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0607019200
Meine Damen und Herren! Ich muß ehrlich sagen, dies war eine weitere Eskalation.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber wenn es schon sein muß, dann darf ich aus meiner Sicht und Verantwortung doch noch einmal dieses Hohe Haus und die, die uns zuhören, an den Zusammenhang erinnern. Vielleicht sehen wir ihn nicht alle gleichermaßen. Sie müssen bitte den Zusammenhang so akzeptieren, wie er sich anderen darstellt.
Am 23. September wurde dem Bundesminister der Finanzen beim Einbringen des Haushalts — diese Einbringung geschah wie immer im Auftrag der Regierung — aus der Mitte dieses Hauses zugerufen, er mache die dritte Inflation. „Dritte" kann man nur sagen, wenn man das auf die erste nach dem ersten Weltkrieg und die zweite nach dem zweiten Weltkrieg bezieht. Hierdurch fühlte sich der Bundesminister der Finanzen — das kann ich ihm voll nachempfinden — gereizt und beleidigt.

(Beifall bei der SPD.)

Diese Herausforderung richtete sich gegen einen Mann, der wie andere auch — so aber auch er —, und zwar schon in jungen Jahren, sich um die Demokratie in Deutschland verdient gemacht hat.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

Ich habe am nächsten Tage von dieser Stelle aus gesagt, daß die aus der Situation heraus, improvisiert, wie das in solchen Zusammenhängen ist, gefallene Äußerung niemandes politische und persönliche Ehre habe verletzen sollen. Das können Sie im Protokoll nachlesen. Ich habe in derselben Rede — auch das dürften diejenigen nicht überhört haben, die anwesend waren — von den beiden schrecklichen Kriegen gesprochen, an deren Zustandekommen keiner von uns beteiligt war. Verehrte Anwesende, meine Damen und Herren, bitte machen Sie sich den Zusammenhang noch einmal klar: Der Kollege Möller hat doch klarstellen wollen, daß die Kräfte, von denen er sprach — herausgefordert durch den Zuruf über die dritte Inflation —, ihm, seiner Partei, dieser Regierung, dieser Koalition geistig jedenfalls nicht nahestehen.
Nun lassen Sie mich, Herr Kollege Barzel, nachdem Sie hier noch einmal das Wort ergriffen haben, in aller Offenheit auch folgendes sagen. Die Opposition zieht an manchen Tagen hier, draußen im Lande aber noch mehr als hier alle Register, gelegentlich auch solche der Verdrehung, des Weckens versteckter Ängste

(Widerspruch von der CDU/CSU) und der Mobilisierung von Gefühlen.


(Zurufe von der CDU/CSU.)

Dann sollte sie nicht überempfindlich reagieren,
wenn einmal eine solche Äußerung provoziert wird,
wie sie provoziert wurde, denn Überempfindlichkeit



Bundeskanzler Brandt
ist nicht das Privileg einer Partei, die immer noch versucht ist, sich mit dem Staat zu identifizieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Immer schlimmer!)

Ich habe von meinen eigenen Äußerungen vom 24. September von dieser Stelle aus als Bundeskanzler gesprochen. Der Bundesfinanzminister hat sich am gleichen Tage geäußert. Er hat eine Erklärung abgegeben. Wer gewollt hätte, daß man zur sachlichen Arbeit kommt, hätte daraus den vernünftigen parlamentarischen Stil abgeleitet und den Zwischenfall beigelegt, anstatt ihn weiter hochzuspielen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Bei allem gebührenden Respekt vor der Meinung der Opposition und vor den Empfindungen der Kollegen der Opposition muß ich dem Hohen Hause vor dieser Abstimmung zur Kenntnis bringen: Dieser Bundesminister der Finanzen, den der Bundespräsident auf meinen Vorschlag ernannt hat, hat mein volles Vertrauen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607019300
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0607019400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier ist wiederholt und mit verschiedenen Akzenten gesagt worden, daß es gewünscht werde, zur Sache zu kommen. Ich verstehe unter „zur Sache kommen", in sachlichem Gegeneinander und, soweit das denkbar ist, in nationalem Miteinander zu ringen. Darüber ist hier vieles gesagt worden.
Ich habe jetzt die Pflicht und das Recht, im Namen der ganzen sozialdemokratischen Bundestagsfraktion den Versuch des verehrten Herrn Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion zurückzuweisen, das Vorkommnis einer erhitzten Debattensituation vom 23. September in eine für den Gebrauch draußen dramatisierte Fassung zu bringen. Diesen Versuch beanstanden wir.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

Herr Kollege Dr. Barzel, nach der Erklärung, die der Bundesminister der Finanzen, unser Bundestagskollege Dr. Alex Möller, hier am 24. September abgegeben hat, hätten Sie auf diesen heutigen Punkt verzichten können. Sie haben das nicht nur nicht getan, sondern Sie haben auch in der Erklärung, die hier Ihr parlamentarischer Geschäftsführer von Wrangel abgegeben hat und die ja sicher wohlüberlegt war, die völlig unbegründete Behauptung an die Spitze gestellt, es handle sich bei dem, was Herr Möller gesagt habe und was Sie mit dieser Erklärung vom 24. September offenbar immer wieder als weiter gesteigert wirken lassen wollen, um eine kollektive Beleidigung. Es ist aus der Erklärung des Bundesministers der Finanzen vom 24. September klar herauszulesen,

(lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

die ja hier von meinem Kollegen Schäfer zitiert worden ist, daß er sogar kein Mitglied Ihrer Fraktion gemeint habe.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich finde es bedauerlich, daß auf Ihrer Seite in dieser Zeit seit diesen Vorkommnissen keinerlei Neigung bestanden hat, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß eine Erhitzung in jener Sitzung bestand. Sie haben heute hier noch einmal das zu rechtfertigen und zu salvieren versucht, was bis zu jenem Punkt geführt hat. Das nehmen wir zur Kenntnis. Das ist eine Frage Ihres Taktes.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Aber Ihre Kennzeichnungen des Bundesministers der Finanzen und unseres Kollegen Dr. Alex Möller mit den Begriffen „Selbstzufriedenheit" und „Unbelehrbarkeit", die ich Ihnen nicht zurückgebe, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sind ebenso kränkend gemeint wie die nach der Erklärung des Bundesfinanzministers überflüssigerweise von Ihnen hier erneut, wiederholt und bekräftigend gewollte Beleidigung des Bundesministers der Finanzen als eines Demokraten, den Sie unter Ausnahmerecht stellen wollen.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir werden überzeugt und geschlossen gegen diesen Antrag stimmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607019500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0607019600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reden des Bundeskanzlers und des Kollegen Wehner haben versucht darzutun, daß der Kollege Möller hier erregt gewesen sei. Die Einlassung des ersten Sprechers der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Herrn Schäfer, hat versucht darzutun, daß es sich um einen seit langem erhobenen Vorwurf gegen uns handele.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Dies beides muß man doch wohl hier als einen Widerspruch festhalten, und man muß festhalten, daß ein Minister dieser Regierung vor diesem Hohen Hause diese Erklärungen abgegeben hat.
Herr Bundeskanzler, Sie haben hier gesagt, niemand hier sei an den zwei Kriegen und den zwei Inflationen beteiligt. Warum erklärt dies nicht Ihr Bundesminister der Finanzen, und warum erklären Sie dies und sprechen hinterher Herrn Möller von dieser Stelle Ihr Vertrauen aus? Das verschärft doch die Sache nur.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0607019700
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache VI/1193. — Darf ich bitten, Platz zu nehmen.



Präsident von Hassel
— Meine Damen und Herren, wer dem Antrag der Fraktion ,der CDU/CSU seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —

(Abg. Rawe: Der Möller hat selber mitgestimmt! Das muß man sich mal vorstellen! Das ist demokratischer Stil! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Das Ergebnis der Abstimmung ist zweifelhaft. Wir müssen auszählen.
Ich darf Sie bitten, den Saal zu verlassen. Im Saal bleiben lediglich die Kollegen Glombig, Dr. Tamblé und von Guttenberg. — Ich darf Sie nochmals bitten, den Saal zu verlassen.
Ich bitte, daß die Saaldiener klären, ob sämtliche Seitentüren geschlossen sind. Wollen Sie bitte kontrollieren, daß die Seitentüren dort ebenfalls geschlossen sind! Dort ist eine Tür offen. Bitte, schließen Sie die Seitentüren! Die Seitentüren müssen geschlossen gehalten werden. — Sind alle Seitentüren geschlossen? — Ich darf Sie bitten, mit der Auszählung zu beginnen.
Darf ich fragen: Warum ist die Tür auf dieser Seite nicht geschlossen?

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

— Es kamen Saaldiener herein. Dadurch stellte ich fest, daß die Türen nicht geschlossen sind. Ich bitte, die Türen auf beiden Seiten durch Saaldiener zu besetzen.
Darf ich fragen, ob die Abstimmung geschlossen werden kann. — Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist beendet.
Ich gebe Idas Abstimmungsergebnis bekannt. Für den Antrag — mit Ja — haben gestimmt 251 Abgeordnete, gegen den Antrag — mit Nein — 260 Abgeordnete. Keine Enthaltung. Die Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen ist 511. Damit ist der Antrag der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.

(Beifall bei 'den Regierungsparteien.)

Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe den Punkt 5 auf:
a) Fortsetzung der Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1971 (Haushaltsgesetz 1971)

— Drucksachen VI/1100, Ergänzung zu VI/1100 —
b) Fortsetzung der Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1970 bis 1974
— Drucksache VI/1101 —
c) Fortsetzung der Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
betr. notwendige haushaltspolitische Maßnahmen
— Drucksache V/1154 (neu)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer. Für ihn hat die Fraktion der CDU/CSU 45 Minuten Redezeit beantragt.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0607019800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Schäfer hat mich heute vormittag zweimal zitiert, und er hat in seiner Stellungnahme eigentlich bereits die Fortsetzung der Haushaltsdebatte vorweggenommen. Ich möchte an das anschließen, was der Kollege Schäfer vorher zu diesem Teil vorgetragen hat.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen.)

Aber ich kann es mir nicht versagen, zu dem persönlichen Stil des Bundesfinanzministers noch einige Anmerkungen zu machen.

(Unruhe bei der SPD.)

Vielleicht führen die Vorgänge des heutigen Tages dazu, daß auch der gegenwärtige Bundesfinanzminister in Zukunft eine Gepflogenheit wieder aufnimmt, die früher selbstverständlich war, nämlich daß sich die Etat-Einbringungsrede eines Bundesfinanzministers sachlich mit den anstehenden Problemen befaßt und sich nicht in ihren wesentlichen Teilen in einer wilden parteipolitischen Polemik ergeht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben mit Verwunderung gewisse Stilformen dieses Bundesfinanzministers gesehen.

(Anhaltende Unruhe bei der SPD. — Zurufe: Haushalt! — Zur Sache!)

Wir haben gesehen, daß er Fachbeamte seines Miniteriums entlassen hat, ohne daß hierfür ein Grund vorliegt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Wir haben in jüngster Zeit gesehen, daß er entgegen den gesetzlichen Vorschriften eine außerplanmäßige Ausgabe für den Neubau eines Swimmingpools des Herrn Bundeskanzlers bewilligt hat, ohne den gesetzlich dafür vorgeschriebenen Weg zu gehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört! — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : — So kleinkariert?)

— Herr Kollege Schäfer, wenn Sie mir „kleinkariert" entgegenrufen, möchte ich Sie darin erinnern, in welcher Weise Ihre Fraktion früher solche Dinge behandelt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD.)

Ich denke an die Vorgänge der Kanzlerschaft Erhards. Wenn Sie einmal die Vergleiche ziehen, was der Anlaß damals war und was jetzt mit dem Schwimmbad passiert ist, dann sehen Sie, daß wir diese Dinge jedenfalls nicht in dieser kleinkarierten Form behandeln.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607019900
Herr Abgeordneter Dr. Althammer, gestatten Sie



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0607020000
Ja, gerne.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0607020100
Herr Kollege Althammer, darf ich Sie an die Vorgänge um den Bungalowbau erinnern?

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0607020200
Genau diesen Punkt wollte ich ansprechen. Da wurde von Teppichbeschaffungen gesprochen, die sich hinterher als völlig unhaltbar herausgestellt haben. Das waren die Vorgänge damals.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Dinge gehen ja weiter. Ich habe hier vor mir eine Äußerung des Herrn Bundesfinanzministers vom Samstag, dem 5. Oktober, liegen. Ich darf aus dieser Mitteilung des „Heidelberger Tagblattes" zitieren. Das zeigt dann die Form, wie dieser Bundesfinanzminister offenbar mit der Opposition umzugehen willens ist. Es heißt dort:
Diese politischen Hilfsschüler, — sagte er zur Opposition —wenn man die geistig so ausrüstet, dann sollen sie auch mal eine Klassenarbeit schreiben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

Ich werde zu dieser „geistigen Ausrüstung" noch einige Bemerkungen zu machen haben. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sozialdemokraten sollten sich wirklich einmal mit der Stilform, die der Bundesfinanzminister eingeführt hat, intern gründlich beschäftigen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie brauchen ja nur das Presseecho auf die jüngsten Vorgänge zu würdigen, dann werden Sie sehen, daß ein blindwütiges Umsichschlagen jedenfalls in der Öffentlichkeit kein Vertrauen zu den finanzpolitischen Ungereimtheiten dieser Regierung schaffen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Aber das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht unser Bier, das werden Sie in Ihren eigenen Reihen zu klären haben.
Der Kollege Schäfer hat heute vormittag auch einige Dinge aus der Zeit angesprochen, als die SPD noch in der Opposition war. Dazu gehörte auch die Frage, wie sich die Opposition hinsichtlich des Problems von Ausgaben und Stabilität verhalten soll und verhalten muß. Ich habe diesen Punkt durchaus auch in meinen Ausführungen vorgesehen und werde gleich darauf zu sprechen kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ja interessant, daß bereits in der Debatte über die Regierungserklärung im Oktober vergangenen Jahres der Kollege Barzel als Sprecher der Opposition ganz eindeutig vor diesen unkontrollierten Ausgabebeschlüssen und den Ankündigungen, die damals in der Regierungserklärung enthalten waren, gewarnt hat. Ich meine, damit ist bereits der Tenor der Einstellung der Opposition in der Frage Stabilität und Staatshaushalt dargestellt worden. Es ist weiter interessant, auch zu diesem Punkte einmal zu sehen, wie die Regierungspartei SPD diese Dinge heute sieht. Der Kollege Möller hat bei der gleichen Veranstaltung am letzten Samstag in Neckarzimmern nach der „Rhein-Neckar-Zeitung" folgendes gesagt:
Der Minister erklärte aber kategorisch: Wenn man die Regierungserklärung vom 28. 10. 1969 noch einmal ausarbeiten müßte, dann würde man darin kein Komma ändern.
Gleichzeitig liegt uns eine Äußerung des Herrn Bundeskanzlers vor, die im neuesten „stern" zu lesen ist. Dort sagt der Herr Bundeskanzler:
Wenn ich die Regierungserklärung neu zu schreiben hätte für den Oktober 1969 — ich halte sie nicht für falsch —, dann würde ich sie zum Teil anders machen.
Nun muß man doch fragen, was denn eigentlich gelten soll. Soll kein Jota geändert werden, oder ist man doch inzwischen zu der Einsicht gekommen, daß manches aus der damaligen Sicht ganz offensichtlich falsch gewesen ist. Jedenfalls kann ich mir vorstellen, daß es z. B. die Arbeitnehmer mit großem Interesse hören, wenn der Herr Minister Möller hier erklärt, er würde heute kein Komma an dieser Regierungserklärung ändern, nachdem diese gleichen Arbeitnehmer und Lohnsteuerzahler doch inzwischen erfahren haben, daß die zum 1. Januar und dann wiederum zum 1. Juli 1970 angekündigte Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages gestrichen worden ist, dafür aber zum Ausgleich eine 10%ige Lohnsteuervorauszahlung beschlossen worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat dann bei den Beratungen des Haushalts 1970 in Fortsetzung ihrer Bemühungen um eine Stabilisierung der Verhältnisse im Lande konkrete Vorschläge gemacht. Sie hat zum Haushalt 1970 über die bereits einvernehmlich erzielte Einsparung von rund 2 Milliarden DM hinaus noch einmal weitere 2 Milliarden DM zur Disposition und zur Kürzung gestellt. Diese Anträge wurden, wie Sie alle wissen, von der Koalition abgelehnt.

(Abg. Leicht: Hätte sie man zugestimmt!)

Die CDU/CSU hat darüber hinaus einen konkreten Antrag gestellt, nach § 6 des Stabilitätsgesetzes dem Bundesfinanzminister die Ermächtigung zu geben, die Ausgaben, insbesondere im Bau- und Investitionsbereich, konjunkturgerecht zu steuern.

(Abg. Leicht: Damit er nur 4 % erreicht!)

Der Herr Bundesfinanzminister selbst hat von sich aus und mit ihm die Koalition diese Ermächtigung abgelehnt. Er hat zur Begründung vorgetragen, daß bei dein Vollzug des Haushalts 1970 in der ersten Jahreshälfte nicht mehr als 4 % Steigerungen gegenüber 1969 zu verzeichnen sein werden. Er mußte hinterher selbst einräumen, daß es nicht 4 %, son-



Dr. Althammer
dern über 10 % waren, die die Steigerung ausmachte.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist typisch! — Unseriös!)

Die CDU/CSU hat, als die Diskussion um die Gestaltung des Haushalts 1971 geführt wurde, sofort ihrerseits einen konkreten konstruktiven Vorschlag gemacht. Ich habe diesen Vorschlag bereits vor der Sommerpause von dieser Stelle aus vorgetragen. Der Vorschlag geht dahin, angesichts der vorhandenen konjunkturpolitischen Daten — diese Daten wurden ja gestern noch einmal erörtert —einen Kern- und einen Eventualhaushalt für 1971 vorzusehen. Ich möchte mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß die Zurückstellung gewisser Ausgaben in einem Eventualhaushalt nicht deren Streichung bedeutet, sondern lediglich eine zeitliche Flexibilität für den Zeitpunkt der Ausgaben ermöglichen soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Regierung und die Koalitonsparteien haben bereits zu Beginn der Sommerpause diese unsere Vorschläge wiederum abgelehnt. Dabei waren die Begründungen und anderen Äußerungen dazu sehr interessant. Einerseits wurde von der Regierung gesagt, man könne eine Aufspaltung in einen Kern- und einen Eventualhaushalt deshalb nicht vornehmen, weil diese exorbitante und konjunkturwidrige Steigerungsrate von 12,6 % — über die Prozentzahl wird bekanntlich gestritten — zur Verwirklichung der Reformen unabdingbar notwendig sei. Gleichzeitig konnte man von dieser Regierung hören, daß man sich, wenn sich im Januar 1971 die Konjunkturdaten nicht verändert hätten, vorbehalte, haushaltspolitische Maßnahmen noch vor der Verabschiedung des Bundeshaushalts 1971 zu ergreifen.
Nun muß sich der Beobachter der Szene doch fragen: Wenn im Juli 1970 Reformen angeblich zeitlich absolut unaufschiebbar sind, sollen sie dann etwa im Januar 1971 aufschiebbar sein?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier liegt also doch ganz eindeutig ein Widerspruch in der Argumentation, und hier zeigt sich meines Erachtens deutlich, daß man nur versucht hat, gewisse Beruhigungspillen zu geben angesichts des verheerenden Echos in der Öffentlichkeit, die es mit Recht beanstandet hat, daß in der gleichen Woche zwar dem privaten Verbraucher Opfer zugemutet worden sind — durch eine 10prozentige Steuervorauszahlung —,

(Abg. Baier: Sehr wahr!)

aber der Staat, also der Bund, sich bei der Ausgabensteigerung in seiner Etatgestaltung keinerlei Hemmungen auferlegen wollte.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Breidbach: Die sogenannte Arbeiterregierung!)

Ich möchte zu diesen berühmten „unaufschiebbaren Reformen" noch ein Wort sagen. Einerseits wird immer behauptet, diese Reformen seien in der Vergangenheit vernachlässigt worden, man habe Versäumnisse nachzuholen. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, genauso wie Herr Kollege Schäfer habe auch ich frühere Protokolle nachgelesen. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich dabei auf eine Rede gestoßen bin, die ich selber am 21. Oktober 1964 zu dieser Frage der Reformen und der Prioritäten gehalten habe.

(Abg. Hermsdorf [Cuxhaven]: So ein Zufall!)

— Herr Kollege Hermsdorf, es ist interessant, daß der erste Redner damals, Herr Kollege Conring, festgestellt hat, daß 1964 der Etat für das nächste Jahr -- 1965 — zum erstenmal schon vor der Sommerpause im Bundesrat eingebracht und, wie Sie sehen, dem Bundestag im Oktober vorgelegt werden konnte. Sie sehen, so einmalig ist der Vorgang aus des Jahre 1970 auch nicht. Aber das nur am Rande.
Damals wurde dargestellt, welche immensen Leistungen in den Jahren seit 1948 erbracht werden mußten. Allein die Kriegsfolgelasten haben bis zum Jahre 1964 die Summe von 264 Milliarden DM ausgemacht. Wenn heute von Ihrer Seite so gern von den angeblichen Versäumnissen gesprochen wird, dann sollte man doch hier und da berücksichtigen, in welcher Ausgangsposition die Bundesrepublik Deutschland z. B. im Vergleich zu anderen Ländern — wie Schweden oder die USA, die so gerne zum Vergleich herangezogen werden — stand.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn wir insbesondere unserer jungen Generation einmal die Bilder dieser berühmten Stunde Null vorlegen würden, würde vielleicht auch heute die Aufbauleistung einer ganzen Generation unseres Volkes wieder deutlicher werden, als sie ist, wenn Sie immer nur von Versäumnissen sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben unmittelbar im Anschluß an die Bewältigung der Kriegsfolgelasten, die ja heute immer noch getragen werden müssen — das wissen Sie auch —, in der Bundesrepublik eine Sozialordnung aufgebaut, die nach der Erklärung einer internationalen Organisation in Genf an der Spitze der gesamten Sozialpolitik in der Welt steht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben darüber hinaus die schwierigen Probleme des deutschen Verteidigungsbeitrages, die Probleme des Wohnungsbaus und insbesondere des Straßenbaus zu bewältigen gehabt. Und wenn heute mit den Mehrjahresprogrammen so schöne Zusatzraten im Straßenbau verkündet werden, dann möchte ich daran erinnern, daß die Basis all dieser Zuwachsraten das Straßenverkehrsfinanzierungsgesetz mit seiner Dynamisierung der jährlichen Zuwachsleistungen ist, das ebenfalls in diesen Jahren beschlossen worden ist.
Herr Kollege Hermsdorf, ich habe schon damals im Jahre 1964 als nächste Priorität Wissenschaft und. Forschung in den Vordergrund gestellt. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen genau so gut wie die Fachleute in diesem Bereich, daß die stolzen Zuwachsraten im Bereich von Wissenschaft und Forschung natürlich sehr viel von ihrem Glanz verlieren, wenn Sie das bedenken, was gestern schon Herr Kollege Höcherl ausgeführt hat, daß nämlich



Dr. Althammer
der Bund lediglich 5 % der Leistungen auf diesem Gebiet aufzubringen hat.

(Abg. Raffert: Das verändern wir ja gerade!)

— Wir werden uns, Herr Kollege Raffert, in der nächsten Woche über einen Punkt zu unterhalten haben, in dem sich allerdings — das ist meine Überzeugung — der Unterschied zwischen der Reformpolitik der CDU/CSU und der Reformpolitik der SPD ganz deutlich zeigt.

(Abg. Dr. Schmid gar keine Reformpolitik!)

Sie haben eine Bildungsplanung bis zum Jahre 1980 vorgelegt, für die die Fachleute das steht auch in dem Bildungsbericht — einen Voranschlag zwischen 80 und 100 Milliarden DM machen. Dabei wird heute bereits festgestellt, daß diese Voranschläge angesichts der Preissteigerungsraten auf den verschiedensten Sektoren bei den Investitionen, angesichts der Steigerungsraten bei den Gehältern weit überholt sind, so daß wir nicht mit 100 Milliarden DM, sondern, wenn alle diese Dinge finanziert werden sollen, mit 150 Milliarden DM zu rechnen haben.

(Abg. Raffert: Heute reden wir erst einmal über das nächste Jahr!)

Wenn die Bundesregierung schon eine solche Sache vorlegt, stellen wir natürlich die Frage: Was sagt sie dann eigentlich zu den Möglichkeiten der Finanzierung?

(Abg. Leicht: Genau! Darüber ist nichts gesagt!)

Sie sagt, sie müsse erst einmal überlegen, wie das finanziert werden solle.

(Abg. Dr. Schäfer gut, wenn man überlegt!)

Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit eine Gefahr: Es werden jetzt große Gemälde von Reformwerken an die Wand geworfen, von denen heute kein Mensch weiß, wie sie überhaupt nur im Ansatz finanziert werden sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das gilt nicht nur für diesen Bereich. Ich könnte Ihnen genau so gut andere Beispiele geben: Umweltschutz, Krankenhausfinanzierung u. a. Sehen Sie, meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat es sich in all den Jahren, in denen sie die Regierungsverantwortung getragen hat, versagt, Reformprogramme auf der Basis einer inflationistischen Entwicklung zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Genau diesen Punkt sprechen wir an, wenn wir jetzt fordern, daß zuerst die Stabilität wieder erreicht wird, und feststellen, daß erst von einer stabilen Basis aus dann die wichtigen Reformprogramme angegangen werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, was hätte es für einen Sinn, sich über schöne Neubauten an einem Hause zu unterhalten, wenn dieses Haus in Brand geraten ist? Hier, meine ich, muß zuerst gelöscht werden, hier muß die Stabilität wieder erreicht werden, und dann kann man sich über weitere Reformen unterhalten.
Es ist auch gestern schon an verschiedenen Beispielen deutlich gemacht worden, daß wir heute in einer Situation sind, wo die stolzen Steigerungsraten, die Sie für den Haushalt 1971 hier vortragen, durch die auf gewissen Gebieten trabenden, manchmal sogar galoppierenden Preissteigerungen aufgefressen werden, ja, daß die Steigerungsraten in bestimmten Bereichen sogar unter dem liegen, was an Kosteninflation festzustellen ist, so daß Sie nicht mehr, sondern weniger mit diesem Geld bauen können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die CDU/CSU hat versucht, aus dieser Situation die konstruktive Schlußfolgerung zu ziehen, durch die Aufteilung in einen Kernhaushalt und einen Eventualhaushalt erst einmal Stabilität wiederzugewinnen und dann die dringend erforderlichen Reformmaßnahmen, die niemand hier bestreiten wird, anzugehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war interessant, die Reaktion darauf zu hören. Erst einmal hat der Kollege Schäfer heute von dieser Stelle das wiederholt, was der Herr Bundeskanzler schon einmal hier erklärt hat, nämlich daß wir uns durch unsere Erklärung, man möge diesen Bundeshaushalt jetzt nicht behandeln, sondern der Regierung zurückgeben, weigern würden, den Haushalt 1971 überhaupt anzugehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].)

Das ist absolut unrichtig. Wir wollten vielmehr mit aller Deutlichkeit klarmachen, daß die Regierung die Aufgabe hat, einen konjunkturgerechten Haushalt vorzulegen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Leicht: Wie der § 5 des Stabilitätsgesetzes es vorschreibt!)

Man wundert sich eigentlich, daß von Ihnen dieser unser konstruktiver Vorschlag heute mit leichter Hand vom Tisch gewischt wird. Wir wissen, daß dieser Vorschlag innerhalb des Kabinetts eine sehr bedeutsame Rolle gespielt hat. In der Mappe des Bundesfinanzministers, so nehme ich an, waren genaue, ausgearbeitete Vorschläge, die etwa dahin gingen, entweder durch gezielte Herausnahmen aus dem Etat 1971 einen Eventualhaushalt zu bilden oder, wie man gehört hat, auch durch eine globale Reduzierung aller verfügbaren Beträge eine solche Aufspaltung zu erreichen.

(Abg. Leicht: Immerhin 5 Milliarden!)

Es ist auch klargeworden, daß nur der Ressortegoismus im Kabinett verhindert hat, daß sich diese vernünftige Auffassung durchsetzen konnte.
Ich möchte jetzt noch einen anderen Punkt ansprechen, weil er in der Debatte immer eine große Rolle gespielt hat. Da wird uns von der SPD immer gesagt: Ja, wenn diese CDU/CSU kürzen will, dann soll sie uns doch sagen, wo sie kürzen will. Es ist schade, daß der Herr Kollege Haehser jetzt nicht da ist; er ist einer der Hauptvertreter dieser Auf-



Dr. Althammer
fassung. Sehen Sie, meine Damen und Herren, so jedenfalls kann man eine vernünftige Zusammenarbeit zwischen Regierungskoalition und Opposition in diesem Hause nicht handhaben,

(Zuruf von der SPD: Wie denn?)

daß man selber sagt: Wir wollen 12,6 % Steigerung, wir sind also nicht bereit, mit uns darüber reden zu lassen, konjunkturgerechter zu verfahren, daß man trotz dieser Äußerung aber die Opposition festnageln möchte auf Minderausgaben im Straßenbau, im Wohnungsbau, in der Wissenschaft und wo immer Sie wollen. Ein so vordergründiges, primitives parteitaktisches Spiel

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

zeigt doch, mit wie wenig Ernst Sie überhaupt an dieses Angebot der CDU/CSU herangehen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen genau wie wir: Wenn man stabilisieren will, dann tut das weh, und wenn man so etwas erreichen will, dann kann man es nur, wenn man gemeinsam willens ist, diesen Weg zu gehen. Aber sich selber davon auszuschließen und zu glauben, man könne uns im Regen stehen lassen mit solchen Vorschlägen, — so primitiv und so parteitaktisch geht das nicht.
Lassen Sie mich noch ein weiteres sagen. Das ist ja gestern beim Kollegen Junghans angeklungen und heute früh auch wieder beim Kollegen Schäfer. Kollege Schäfer hat dabei auch mich zitiert. Da wird also immer gesagt, die CDU/CSU verlangt auf der einen Seite Einsparungen, auf der anderen Seite stellt sie Anträge, bringt Gesetzentwürfe ein, die Millionen und Milliarden mehr kosten. Und dann fragt man uns: Wie soll das eigentlich miteinander vereinbar sein? — Wir wissen alle, daß das so die parteigängige Argumentation draußen in den Versammlungen ist.

(Zuruf von der SPD: Das kommt alles in den Eventualhaushalt!)

Aber bitte, beachten Sie doch eines: Wenn diese Regierung und diese Regierungsparteien sich durch nichts und durch keinerlei Beschwörungen davon abhalten lassen, nun diesen konjunkturwidrigen Weg zu gehen, und wenn auf der anderen Seite nach wie vor das Angebot der CDU/CSU steht, zu jedem Zeitpunkt über all diese Maßnahmen mit sich reden zu lassen, dann ist für Sie doch jetzt der Platz und die Zeit, auf dieses unser Angebot einzugehen. Aber zu glauben, Sie könnten draußen große Erfolgsbilanzen ankündigen, und die CDU/CSU würde es sich versagten, ein politisches Alternativprogramm dazu zu entwickeln, das, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann auch nicht der Weg sein, der hier zu gehen ist.
Wir haben diese Dinge in konkreten Fällen präzisiert. Wir haben z. B. bei dem angesprochenen Punkt Kindergeldregelung ganz klar gesagt: wir suchen die Deckung in dem Bereich, in dem Sie damals
Steuererleichterungen gewähren wollten. Wir haben in dieser Woche in der Fraktion beschlossen: Nachdem diese Deckungsmöglichkeit nicht vorhanden ist, werden wir jetzt in unseren Anträgen nur den Teil aufnehmen — in der zweiten und dritten Lesung —, für den wir hier auch Deckung vorsehen können. Die anderen Dinge müssen wir leider Gottes, weil Sie nicht bereit sind, auf diesem Gebiet einen Schritt weiterzugehen, zurückstellen. Genauso ist es auch in anderen Bereichen. Wir verhalten uns auch bei der politischen Programmatik verantwortungsvoll, und wir haben Ihnen dieses Angebot unterbreitet — und ich tue es weiterhin —, daß wir jederzeit bereit sind, gemeinsam mit Ihnen, wenn Sie Veranlassung dazu sehen, ein Stabilisierungsprogramm durchzuführen.

(Abg. Leicht: Hätten Sie es beim Haushalt 1970 gemacht, wären wir heute weiter!)

Meine Damen und Herren, wenn Sie dazu nicht bereit sind, werden Sie im nächsten Jahr ein bitteres Erwachen erleben. Sie brauchen ja nur einmal in die mittelfristige Finanzplanung hineinzusehen. Was finden Sie dort? Sie finden dort die Finanzierung all der Vorhaben für die nächsten vier Jahre mit einer Verschuldungsrate, die bei über 8 Milliarden DM im Jahre 1971 beginnt und bis 1974 auf über 16 Milliarden DM ansteigt.

(Abg. Leicht: Dafür wird der Staatsbürger Eigentümer der Straßen!)

Wenn man die Frage stellt, wie denn diese Schulden überhaupt auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden sollen, dann liest man dort, daß die Regierung erwarte, die Sparneigung der deutschen Bevölkerung werde sich fortsetzen und aus der steigenden Sparrate werde diese staatliche Schuldaufnahme ermöglicht werden können. Gleichzeitig steht dort, daß man das deutliche Anwachsen der Steuereinnahmen erwarte, z. B. im Bereich der Einkommen- und Lohnsteuer in diesen vier Jahren allein ein Anwachsen um über 50 %, nämlich um 51,4 %. Gleichzeitig ist dort festgehalten, man gehe davon aus, daß der private Verbrauch reduziert und der öffentliche Verbrauch ausgeweitet werde.
Nun stelle ich Ihnen die Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren: In welcher Verfassung muß eigentlich unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik sein, damit Sie solche Ziele realisieren können? Doch nicht so, wie es im Moment aussieht — das Deutsche Wirtschaftswissenschaftliche Institut des Herrn Arndt in Berlin hat das jetzt wiederum festgehalten : mit einer erwarteten Steigerungsrate der Kaufpreise im nächsten Halbjahr von zwischen 4 und 5 %! Wenn Sie davon ausgehen, daß die Sparneigung unserer Bevölkerung, die jetzt erwiesenermaßen rückläufig ist, wieder zunehmen soll, dann müssen Sie dafür doch erst die Grundlage der Stabilität schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie das nicht tun wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Sie auch nicht die Möglichkeit haben, Ihre Programme zu realisieren, sondern dann wird sich das fortsetzen, was sich jetzt schon abzeichnet: daß Sie große Auswei-



Dr. Althammer
tungen beschließen und mit herrlichen Geldausgaben arbeiten. Wenn man dann aber fragt, wie viele Straßen, wie viele Schulen, wie viele Universitäten damit gebaut worden sind, dann werden Sie feststellen müssen, daß trotz dieser riesigen Geldausweitungen nicht mehr, sondern weniger gebaut wird.
Es gibt einen konkreten Weg, wie wir unserem Ziel der Stabilisierung näher kommen können. Ich möchte nur einen Aspekt hier aufzeigen. Es gibt Investitionsprogramme der deutschen Bundesregierung. Die alte Regierung hat durch Finanzminister Strauß das Investitionsprogramm des Bundes bis zum Jahre 1972 vorgelegt. In diesem Investitionsprogramm ist eine Alternativrechnung enthalten, wie die Investitionen in diesen Jahren laufen müssen, wenn man sich expansiv verhalten will, und wie sie gestaltet werden können, wenn man sich restriktiv verhalten will. Ich habe diese Ausführungen hier und darf nur eine Stelle mit Genehmigung des Herrn Präsidenten hier vortragen. Da heißt es:
Insgesamt erscheint das Bild der technischen Möglichkeiten einer kontraktiven Politik recht günstig. Von den für 1969 vorgesehenen Ausgaben für Eigeninvestitionen ... könnten Aufträge im Gesamtwert von 11 Milliarden DM grundsätzlich aufgeschoben werden.
So damals die Alternativrechnung für das Investitionsprogramm des Bundes bis 1972 von Finanzminister Strauß.
Nehmen Sie nun zum Vergleich dazu bitte das neue Investitionsprogramm des Finanzministers Möller vom 18. September 1970. Auch daraus darf ich einige Zeilen zitieren:
Der Wert des vorliegenden, erstmals gemäß § 50 Abs. 5 des Haushaltsgrundsätzegesetzes den gesetzgebenden Körperschaften vorzulegenden Programms liegt vor allem in den Informationen zur Struktur der Investitionsausgaben. Diese Informationen sind erforderlich, um sachgerechte Entscheidungen im Sinne einer eventuell erforderlichen konjunkturellen Stabilisierung treffen zu können.
So steht es hier.
Nun fragen Sie natürlich: Wo sind die Vorschläge, um solche Gestaltungen zur Stabilisierung treffen zu können? Sie finden an konkreten Vorschlägen keine einzige Zeile, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist doch sehr interessant, diesen Vergleich einmal anzustellen und zu sehen, wie die neue Regierung mit all ihren großen Ansprüchen, die sie in der Regierungserklärung angemeldet hat, sich nun konkret bei der Bedienung des Parlaments mit solchem Werkzeug verhält.
Daraus ziehen wir eine ganz konkrete Schlußfolgerung, die sich an unseren Vorschlag anschließt, den wir nach wie vor aufrechterhalten, einen Kernhaushalt und einen Eventualhaushalt für 1971 zu schaffen. Diese Schlußfolgerung würde lauten, daß man sofort nach Überweisung des Bundeshaushalts 1971 an den Haushaltsausschuß und nach der
Vorlage dieses Investitionsprogramms die Bundesregierung veranlaßt, die Alternativrechnung, die vorgesehen ist, nachzuholen, um uns damit das Material an die Hand zu geben, damit ein solcher Kernhaushalt und Eventualhaushalt realisiert werden kann. Das ist eine Verpflichtung, die nach § 50 des Haushaltsgrundsätzegesetzes der Bundesregierung obliegt. Wenn man das jetzt sofort in Angriff nimmt, dann hätten wir die Möglichkeit, wenigstens jetzt, nachdem es vom Juli dieses Jahres an bisher nicht geschehen ist, die Voraussetzungen für ein konjunkturgerechtes Verhalten zu schaffen.
Wenn Sie das wiederum ablehnen und sagen: Bis zum Januar 1971 geschieht hier nichts, als daß wir Beschwörungsformeln vortragen, daß die Konjunktur ja schon Anzeichen zeige, daß sie zurückgehen werde usw., dann — das möchte ich Ihnen heute schon sagen — tragen Sie die Verantwortung dafür, daß weitere vier Monate keine Vorbereitungen getroffen werden, wirksame Stabilisierungsmaßnahmen beschließen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich meine, es wäre nicht der richtige Weg, sich jetzt geruhsam aufs Ohr zu legen und zu warten, bis der Februar 1971 erreicht ist, um dann vielleicht sich eine Liste der Bundesregierung in den Ausschuß schieben zu lassen und das dann schnell zu beschließen. Die Arbeit müßte jetzt, heute und morgen, beginnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur die Opposition wird Ihnen die Frage stellen, wie Sie auf diese unsere konkreten Vorschläge reagieren. Ich glaube, auch unser ganzes deutsches Volk wird aufmerksam verfolgen, wie Sie sich in diesen Monaten, in dieser Situation, verhalten, und es wird — genauso wie wir — sein Urteil davon abhängig machen, ob Sie wenigstens jetzt bereit sind, Ihren Beitrag zur Stabilität zu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607020300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seidel.

Max Seidel (SPD):
Rede ID: ID0607020400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Lesung des Bundeshaushalts 1971 ist mit viel Zeitaufwand betrieben worden. Mit dieser Feststellung erhebe ich keine Kritik; denn ich setze voraus, daß alle Beteiligten am Ende den Eindruck gewonnen haben, daß dieser Zeitaufwand notwendig war, um die Standpunkte — hier Koalition, dort Opposition — deutlich gegeneinander abzuklären. Sollte das erreicht worden sein, wäre die aufgewandte Zeit nicht vertan. Eine solche Klärung der Standpunkte käme ja auch den Mitgliedern des Haushaltsausschusses zugute, die nun in die Einzelberatung des Etats eintreten müssen.
Nach all dem Streit über die Grundkonzeption des Haushalts 1971 wird sich bei der Beratung und Entscheidung über die Einzelpositionen erweisen, wer was will. Über die Ergebnisse dieser Beratung wird das Hohe Haus in der zweiten und dritten Lesung



Seidel
entscheiden. Ob das noch in diesem Jahr oder erst Anfang 1971 geschehen kann, ist zur Zeit noch ungewiß. Auf jeden Fall wird die Verabschiedung des Bundeshaushalts dank der zeitgerechten Vorlage des Haushaltsentwurfs früher erfolgen als in den vorhergegangenen Jahren.
Meine Damen und Herren, wenn wir einmal von den Begleiterscheinungen der ersten Lesung absehen, so läßt sich der Gegensatz von Koalition und Opposition in der Beurteilung des Bundeshaushalts nach meiner Auffassung vereinfacht in zwei Fragen darstellen. Erstens: Kann mit dem Instrument „Bundeshaushalt" die Konjunktur entscheidend gesteuert werden? Zweitens: Ist die Ausweitung des Haushalts 1971 um 12 % gegenüber dem Haushalt 1970 gerechtfertigt?
Ich versuche, auf diese zwei Fragen kurz zu antworten. Wie jedermann in diesem Hohen Hause weiß, sieht das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" mehrere Maßnahmen zur Steuerung der Konjunktur vor. Diese Maßnahmen, Herr Dr. Althammer, beziehen sich nicht allein auf die Ausgabenseite, sondern zum Teil auch auf die Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte. Es dürfte wohl jedem klar sein, daß eine radikale Ausgabenbeschränkung im Bundeshaushalt als Mittel zur Steuerung der Konjunktur sich von selbst verbietet, weil sie aller staatspolitischen Vernunft widerspräche. Eine solche Beschränkung hat gewiß niemand direkt gefordert, aber die intensiven Attacken gegen die Haushaltsführung 1970 und die haushaltspolitische Konzeption für 1971 erwecken bei vielen Bürgern den Eindruck, als ob die Höhe des Bundeshaushalts allein den Konjunkturablauf bestimmte. Dieser Eindruck, den Teile der Opposition erweckt haben, beinhaltet die Gefahrenquelle einer politischen Irreführung ersten Ranges.

(Beifall bei der SPD.)

Wie sieht die Wirklichkeit aus, meine Damen und Herren? Von dem Haushaltsvolumen 1971 in Höhe von rund 100 Milliarden DM dürften wesentlich weniger als 10 Milliarden DM, zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglicherweise kaum mehr als 7 Milliarden DM gesetzlich oder vertraglich nicht gebunden sein. Allein die Hälfte dieser formalrechtlich noch als beeinflußbar anzusehenden Ausgaben entfällt dabei auf den Bereich der militärischen und der zivilen Verteidigung. Außerdem sind wesentliche Beträge nur noch im Verkehrs- und Landwirtschaftshaushalt denkbar. Mit den Bereichen der Wirtschaftsförderung, des Städtebaus und Wohnungswesens, der Entwicklungshilfe und der wissenschaftlichen Forschung hätten wir dann praktisch die Haushalte erfaßt, die für die Aufstellung eines Eventualhaushalts, den die Opposition fordert, die 3 bis 4 Milliarden, also die überhaupt zu Buche schlagenden Beträge, erbringen könnten. Der zahlenmäßige Streitpunkt zwischen Regierung und Opposition liegt demnach bestenfalls bei 3 bis 4 Milliarden DM. In welchem Verhältnis bei konjunkturpolitischer Betrachtungsweise aber stehen diese Zahlen zu den 100 Milliarden DM im Bundeshaushalt und in welchem Verhältnis weiterhin zum Bruttosozialprodukt
von der geschätzten Summe des Jahres 1971 mit 726 Milliarden DM?

(Abg. Leicht: Haben Sie schon einmal was von Psychologie gehört? — Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: Die Signalwirkung!)

Wenn die Opposition sich so am Schema Kern- und Eventualhaushalt festbeißt, weil dies anscheinend ihr Patentrezept zur konjunkturpolitischen Haushaltsführung ist, so müßte sie doch das zur Kenntnis nehmen, was die Bundesregierung bei der Einbringung des Haushalts 1971 erklärt hat — ich zitiere —:
Sollte sich die Beruhigung der Konjunktur verzögern, so wird das Kabinett dem Deutschen Bundestag die der Lage gemäßen Maßnahmen vorschlagen.
Daraus sehen Sie doch, daß wir darüber mit uns reden lassen. Das ist doch hier klar und deutlich ausgedrückt worden.

(Abg. Windelen: Warum denn nicht jetzt schon?)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607020500
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht? — Bitte!

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0607020600
Also sind Sie doch der Meinung, Herr Kollege Seidel, daß, wenn die Regierung so etwas erklärt hat, die Wirkung eines Eventualhaushalts — der ja dann kommen würde — doch gegeben wäre; nur eben etwas später? Ob er dann noch zieht, ist eine andere Frage.

Max Seidel (SPD):
Rede ID: ID0607020700
Da geht es für mich um die Frage, ob man die Sache von der Ausgabenseite oder von der Einnahmenseite ansieht, und deshalb werden wir nicht schon jetzt einen Eventualhaushalt etablieren. Ich hielte das für eine vorzeitig

(Abg. Windelen: Aber rechtzeitig!)

vorgenommene Maßnahme, die mir überhaupt auf Grund der jetzigen Situation nicht notwendig erscheint.

(Abg. Leicht: Lesen Sie einmal den Kommentar von Herrn Möller zum Stabilitätsgesetz, § 5!)

Bei der zweiten und dritten Lesung sind wir alle miteinander in der Lage, die eventuelle konjunkturpolitische Feinabstimmung vorzunehmen. Auch dann werden wir an der Fragestellung nicht vorbeikommen, die ich noch einmal wiederhole: Soll allein die Ausgabenseite herhalten, oder sind auch andere Maßnahmen anzuwenden? Ich gebe zu, daß die überschrittene 100-Milliarden-DM-Grenze des Bundeshaushalts 1971 etwas Aufregendes an sich hat. Das sieht aber gleich anders aus, wenn wir uns dazu die Entwicklung unseres Bruttosozialprodukts ansehen. 1961 betrug das Bruttosozialprodukt 332 Milliarden DM. Der Bundeshaushalt umfaßte damals 48 Milliarden DM. 1965 war die Höhe des Bruttosozialprodukts 460 Milliarden DM, die Höhe des



Seidel
Bundeshaushalts 64 Milliarden DM. Fünf Jahre später wird für 1970 das Bruttosozialprodukt auf 675 Milliarden DM geschätzt, und der Bundeshaushalt weist 89 Milliarden DM aus. Für 1971 wird das Bruttosozialprodukt auf 726 Milliarden DM geschätzt, und der Bundeshaushalt sieht ein Gesamtvolumen von 100 Milliarden DM vor. Bei all solchen Erwägungen und Vergleichen bleibe ich dabei, daß der Bundeshaushalt nicht zum alleinigen Instrument der Steuerung unserer Konjunktur gemacht werden kann.

(Beifall bei der SPD. Abg. Leicht: Hat ja niemand gesagt! — Abg. Baier: Aber auch!)

— Das „auch" will ich gar nicht bezweifeln, aber nicht zum alleinigen!

(Abg. Leicht: Das hat ja niemand gesagt!)

Meine zweite Frage im Zusammenhang mit dem Haushaltsentwurf lautete: Ist die Steigerung des Haushalts 1971 um 12 % gegenüber dem Haushalt 1970 gerechtfertigt? Bei diesem Streit — —

(Abg. Dasch meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607020800
Herr Abgeordneter, Sie genehmigen die Zwischenfrage?

Max Seidel (SPD):
Rede ID: ID0607020900
Gern.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607021000
Bitte schön, Herr Kollege!

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0607021100
Herr Kollege, Sie sprachen soeben von dem um 12 % höheren Bundeshaushalt 1971. Sind Sie nicht bereit, einzuräumen, daß genau damit die Bundesregierung und der Bundesfinanzminister den anderen bedeutenden Partnern, mit denen man die gewünschte Stabilität erreichen könnte, ein Signal gegeben hat, ein Signal der Unstabilität und der größeren Ausweitung, das psychologisch genau das bewirkt, was auch Sie in diesem Hause nicht wollen?

(Zustimmung des Abg. Leicht.)


Max Seidel (SPD):
Rede ID: ID0607021200
Ich sehe darin gar keine solche Auswirkung, und Sie werden gleich jetzt, wenn ich darauf noch antworte, hören, warum ich diese 12 % für gerechtfertigt halte.
Bei diesem Streit um die 12 % Steigerung des Bundeshaushalts 1971 geht es letztens in Wahrheit um vielleicht 3 bis 4 %, denn auch die Opposition billigt bei ihrem Schema mit dem Eventualhaushalt dem Kernhaushalt eine Steigerungsrate von 8 bis 9 % zu.

(Abg. Leicht: Acht!)

Niemand in diesem Hohen Hause hat bisher bestritten, daß wir 1969 und 1970 gegenüber ursprünglichen Absichten in der Förderung von Gemeinschaftsaufgaben aus konjunkturpolitischen Gründen kürzergetreten sind. Und jetzt stellt sich für uns die Gretchenfrage: Sollen wir das fortsetzen? Können wir es verantwortungsvoll fortsetzen? Wir von der Koalition sagen dazu nein. Jedenfalls haben wir die größten Bedenken azumelden.

(Abg. Windelen: Im Januar sagen Sie dann „vielleicht" ! — Abg. Leicht: Dann heißt das: ohne Stabilität weiter!)

Die vorgesehenen Steigerungen kommen im wesentlichen den investiven Ausgaben bei den Gemeinschaftsaufgaben zugute. Verzichten wir auf diese Ausgaben, kommen wir bei den erforderlichen öffentlichen Dienstleistungen in solchen Verzug, daß der Nachholbedarf in den folgenden Jahren immer schwieriger zu bewältigen sein wird.

(Abg. Leicht: Wenn es so weitergeht, wird es noch schwieriger!)

Kein Wunder, meine Damen und Herren, wenn die Bürger gegen die mangelnde Fortentwicklung der öffentlichen Dienstleistungen Protest erheben!
Und nun ein Wort, an die Opposition gerichtet: Im Chor der Protestierenden daheim — und das ist die Eigenart und die Pikanterie dieser politischen Situation — stehen auch jene Damen und Herren, die hier gegenüber der Koalition bremsend wirken, wenn es um den Ausbau der Gemeinschaftsaufgaben geht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: So ist es!)

Daheim im Lande und im Wahlkreis wird mit guten Gründen von der Bundesregierung u. a. verlangt:

(Zurufe von der CDU/CSU: Stabilität!)

mehr Bildungsinvestitionen,

(Abg. Baier: Stabilität!) mehr und bessere Wohnungen,


(Abg. Baier: Stabilität!)

verstärkter Ausbau des Verkehrsnetzes, Verbesserung der Agrarstruktur, Förderung zukunftsweisender Wirtschaftszweige, Stärkung der Bundesausbaugebiete, mehr Mittel für den Sportstättenbau,

(Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl!)

höhere Leistungen zum Ausbau und Neubau der Krankenhäuser und vieles andere mehr.

(Abg. Baier: Und zuerst Stabilität, Herr Seidel!)

Und ich brauchte mich jetzt nur hier im Kreise der Oppositionskollegen umzuschauen, um unter Ihnen die vielen zu sehen, die Eingaben und Besuche bei den verschiedensten Ministerien machen, um eben auch zur Förderung dieser Aufgaben beizutragen,

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

die hier gerade von mir dargestellt worden sind.

(Beifall bei der SPD.)





Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607021300
Herr Kollege Seidel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?

(Zuruf von der SPD: Der will auch immer mehr Geld! — Abg. Leicht: Das können Sie ihm nicht nachweisen!)


Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0607021400
Herr Kollege Seidel, ist Ihnen das Ergebnis der neuesten Umfrage bekannt, nach dem 92 % unserer Bevölkerung Stabililität vor notwendigen Reformen rangieren lassen, also wieder Stabilität wollen, bevor Reformen durchgeführt werden?

Max Seidel (SPD):
Rede ID: ID0607021500
Ich komme auch hier in meinen Ausführungen noch auf diese Frage. Ich muß Ihnen nur sagen, ich weiß ja nicht, wie diese Meinungsumfragen im einzelnen immer inszeniert werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Inszeniert?)

Ich will auch gar nicht bestreiten, daß eine solche Grundtendenz vorhanden ist. Trotzdem werden Sie im Haushaltsausschuß und auch in der zweiten und dritten Lesung noch Gelegenheit haben, klar zu erkennen zu geben, was von dem, was ich hier nur andeutungsweise herausgehoben habe, Sie mit weniger Mitteln ausgestattet wissen wollen, als es bisher der Fall gewesen ist oder erforderlich wäre.
Meine Damen und Herren, täglich lesen wir derartige Wünsche und Forderungen in den Tageszeitungen und Verbandsblättern. Im Fernsehen wird die Mangellage anschaulich demonstriert. Soll sich die Bundesregierung angesichts der Notwendigkeiten tatsächlich der Erfüllung der erhobenen Forderungen verschließen?

(Abg. Windelen: Sie soll nur ihr Versprechen halten und für Stabilität sorgen!)

Das können Sie, sehr verehrte Kollegen von der Opposition, im Ernst nicht erwarten. Wir müssen auf Grund Ihrer Einwände jetzt komme ich zu dem Punkt — der Bevölkerung klarer und dringlicher als bisher sagen: Der geforderte Ausbau öffentlicher Dienstleistungen, den niemand aus privaten Mitteln selbst schaffen kann, muß mit höheren öffentlichen finanziellen Leistungen zum Nutzen aller Bürger erfolgen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Windelen: Aber doch nicht durch Geldwertverdünnung!)

Die Bundesregierung und die Regierungsparteien haben den Mut, die Dämpfung der privaten Nachfrage zugunsten der zügigen Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgaben zu vertreten. Die Opposition sollte die Mahnung eines ihrer verantwortlichen Landesminister nicht unbeachtet lassen, Ich zitiere:
Je größer der private Wohlstand ist, desto umfassender sind die Anforderungen an die öffentliche Hand, besonders die Nachfrage nach öffentlichen Dienstleistungen der verschiedensten Art.

(Abg. Haase [Kassel] : Sehr richtig!)

Dieser Erkenntnis müssen wir uns beugen. Sie hat zur Konsequenz, daß in der Zukunft ein größerer Anteil am Sozialprodukt für Aufgaben der Gemeinschaft verwendet werden muß.

(Abg. Haase [Kassel] : Aber doch nicht über eine Verdünnung der Kaufkraft!)

Diese Aussage machte der Finanzminister des Landes Baden-Württemberg, der der CDU angehört, bei der Einbringung des Haushalts am 17. Dezember 1969.

(Abg. Baier: Das ist ja auch richtig! Das stimmt auch! — Abg. Haase [Kassel] : Ein qualifizierter Sprecher!)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß meiner Bemerkungen. Es ist wohl selbstverständlich, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu den Grundsätzen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes steht. Zu gegebener Zeit, d. h. wenn die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1971 aktuell ist, werden wir nach Überprüfung der konjunkturellen Lage entscheiden,

(Abg. Windelen: Ob die Reformen notwendig sind!)

von welcher Art die Maßnahmen sein müssen, um der Konjunktur gerecht zu werden. Das müßte — so hoffe ich wenigstens — unter Würdigung der politischen Überlegungen geschehen, die ich hier darzustellen versucht habe.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607021600
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst.

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0607021700
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck — ich hatte ihn zumindest bis heute vormittag, und ich möchte ihn trotz manchem, was inzwischen geschehen ist, eigentlich auch behalten —, daß die gestrige Debatte über die Konjunkturpolitik, die vielleicht nicht ohne Grund und nicht durch Zufall in die Haushaltsdebatte eingefügt worden ist — ich möchte sie damit keinesfalls wieder aufwärmen —, doch den Weg zu einer sachlichen Haushaltsberatung freigelegt hat. Denn sie hat meiner Ansicht nach — das ist der enge Bezug — insbesondere die Gewichte innerhalb der Konjunktur- und Wirtschaftspolitik verdeutlicht, z. B. die zwar vorhandenen, aber nur sehr begrenzten Gewichte der Haushaltspolitik als Mittel der Konjunkturpolitik.
Die gestrige Debatte hat, glaube ich, auch bestätigt, daß sich das Konzept, mit dem Regierung und Koalition in die Haushaltsberatungen hineingegangen sind, als durchaus richtig und vertretbar erwiesen hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie hat zugleich die Entschlossenheit bestätigt —
und deshalb finde ich die Worte von Herrn Althammer zum Teil unverständlich, aber sie waren



Kirst
natürlich vorbereitet —, den Haushalt 1971 konjunkturgerecht zu gestalten.

(Abg. Leicht: Wenn es zu spät ist!)

-- Lieber Herr Leicht, ich hatte mir auf Grund Ihrer Zwischenfrage schon etwas vorgemerkt. Auf Sie trifft, glaube ich, ein Wort zu, das ich später noch bringen wollte. Ich vermag es bald nicht mehr sagen, aber ich versuche es noch einmal. Churchill hat einmal gesagt, die Wiederholung sei die Mutter der Weisheit. Vielleicht wirkt das eines Tages auch bei der gegenwärtigen Opposition. Sehr verehrter Herr Kollege Leicht, Sie werden doch nicht abstreiten, daß dieser Haushalt 1971 mit dem Tag des Inkrafttretens -- das wird im Januar oder Februar sein — bestimmt wirksam wird, von den normal weiterlaufenden Ausgaben einmal abgesehen, wenn der Haushalt nicht bis 31. Dezember verabschiedet wird, was nach dem heutigen Erkenntnisstand nicht der Fall sein wird. Sie werden auch nicht abstreiten können, daß der Haushalt 1971 eben ein Haushalt 1971 ist und nicht, wie Sie es uns hier immer zu suggerieren versuchen, ein Haushalt für das vierte Quartal 1970.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607021800
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dasch?

Valentin Dasch (CSU):
Rede ID: ID0607021900
Herr Kollege Kirst, haben Sie nicht überlegt, welche Wirkung die Ankündigung des um 11 Milliarden DM erhöhten Haushalts genau in der Juli-Woche hatte, in der wir hierhergebeten wurden, um Stabilitätsmaßnahmen zu beschließen? Wollen Sie nicht endlich begreifen, daß hier eine ganz gegensätzliche Wirkung ausgeübt und damit bei der Bevölkerung der Eindruck erweckt wurde, sie solle der Stabilität dienen, aber der Staat könne das für 1971 noch nicht voraussagen?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0607022000
Herr Dasch, auch darauf wollte ich kommen, weil Ihr liebenswerter Kollege Althammer noch einmal - ich komme auf Herrn Leicht später wieder zurück, um jetzt die Frage zu beantworten — den Versuch gemacht hat, den ich hier schon am 24. September gegeißelt habe, weil er zu geißeln ist, einen Zusammenhang zwischen dem Konjunkturzuschlag, der die finanzielle Verfügungsgewalt des Bundes um keinen Pfennig erhöht — das müssen Sie doch endlich einmal anerkennen —, und der Steigerungsrate des Haushalts herzustellen, diesen künstlich konstruierten Gegensatz zwischen dem zum Maßhalten gezwungenen Bürger und dem verschwenderischen Staat. Ich will nicht all das wiederholen, was ich an grundsätzlichen Bemerkungen dazu hier am 24. September gesagt habe, aber offenbar wird das von Ihnen einfach nicht zur Kenntnis genommen.
Herr Leicht, ich meine — und damit komme ich noch einmal auf Ihren Zwischenruf zurück , von Regierung und Koalition ist die Entschlossenheit bestätigt worden — da hakten Sie wohl ein —, auch den Haushalt 1971 konjunkturgerecht zu gestalten. Was bleibt, ist doch nicht mehr als ein Methodenstreit, nämlich: sollen wir den Weg des Eventualhaushalts, der hier als Wundermittel gepriesen wird, obwohl er eigentlich nur eine einfache technische Lösung ist, gehen oder den Weg, den wir nun einmal für richtig halten und der der beste ist, eine zeitnahe Entscheidung bei der Verabschiedung in zweiter und dritter Lesung zu bringen? Dabei wissen wir alle nicht, wie diese Entscheidung dann ausfallen wird und muß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Um es sehr drastisch zu sagen, damit Sie vielleicht verstehen, was ich meine: Sie kommen mir mit Ihrem Wunsch, heute einen Eventualhaushalt zu machen, wie Leute vor, die Schnee räumen wollen, der noch gar nicht gefallen ist und von dem sie auch nicht wissen, ob er fällt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607022100
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0607022200
Würden Sie es sich vielleicht nicht so einfach machen, Herr Kollege Kirst, und wenigstens zugeben, daß es einen § 5 des Stabilitätsgesetzes gibt, der die Regierung verpflichtet, einen Haushalt vorzulegen, der der konjunkturellen Situation Rechnung trägt?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0607022300
Herr Kollege Leicht, das werden wir ja tun. Der Haushalt wird, wenn er verabschiedet ist, konjunkturgerecht sein. Nur werden Sie doch nicht abstreiten können, daß heute, am 8. Oktober 1970, niemand verantwortlich feststellen kann, was 1971 sein wird.

(Zuruf des Abg. Leicht.)

Herr Kollege Dasch, ich darf noch einmal Ihre Bemerkung von dem Ankündigungseffekt aufnehmen. Ich glaube, wir sollten die Psychologie, so wichtig sie ist, nicht überschätzen. Wir sollten sie aber auch nicht unterschätzen. Wenn wir sie nicht unterschätzen, sollten wir die Konsequenzen daraus ziehen. Denn eines steht doch fest: wenn hier ein Ankündigungseffekt negativ gewirkt haben sollte, dann doch nur durch die Multiplikatorenwirkung der Opposition und anderer, nicht von sich aus.

(Beifall bei den Regierungsparteien.Abg. Leicht: Auch die Deutsche Bundesbank! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Herr Klasen! — Der sicher nicht der CDU angehört!)

Ich möchte es noch einmal deutlich sagen, weil es nicht oft genug gesagt werden kann: wenn die konjunkturelle Situation zum Zeitpunkt der zweiten und dritten Lesung unverändert bzw. aus der Sicht der Stabilität verschlechtert ist, würde der Haushalt 1971 entsprechend geändert. Man kann es auch so formulieren: nur wenn die Entspannungschancen, die sich durchzusetzen scheinen, unverändert sein werden
die sich gestern in der Debatte auch niedergeschlagen haben —, würde der Haushalt in der jetzi-



Kirst
gen Form bestehenbleiben können. Das ist hier deutlich genug erklärt worden. Der Grad der Wahrscheinlichkeit der bei der zweiten und dritten Lesung gegebenen Einschätzung der Situation wird dann wohl auch über die Form der Anpassung entscheiden. Wir haben ja verschiedene Möglichkeiten. Wenn mit Sicherheit 1971 eine unveränderte Situation vorliegen würde — wir alle haben, glaube ich, nach der gestrigen Debatte den Eindruck, daß das Theorie ist , würde die Kürzung den Vorzug verdienen. Wenn für 1971 eine durchgreifende Änderung sich weiterhin abzeichnen würde, die aber noch nicht so deutlich wäre, daß man den Haushalt unverändert verabschieden könnte, wäre der Weg der Sperren zu gehen, und das wäre dann das sogenannte Wundermittel „Eventualhaushalt".
Die Einzelberatung, in die wir ja nun bald eintreten werden, wird auch eine Bestandsaufnahme für einen solchen, möglicherweise notwendigen Eventualhaushalt — oder Kürzungen — bringen. Wir werden uns dabei auch das Ausmaß der Bindung gesetzlicher oder vertraglicher Art Herr Kollege Seidel ist eben schon darauf eingegangen — wieder bewußt machen müssen; wir kennen es ja.
Wenn man hier — wie die CDU/CSU — sagt: 4 % weniger, d. h. 4 Milliarden weniger will, dann sind das, bezogen auf das Volumen der freien, der verfügbaren Masse — Herr Seidel hat es schon angesprochen, und ich darf es mit dieser Feststellung wiederholen —, 40 bis 50 % der allein in Wirklichkeit noch verfügbaren Masse. Auch ich habe ja am 24. September unter genauer Nennung der einzelnen Bereiche gesagt, welche Konsequenzen eine solche Maßnahme, wenn sie erforderlich wäre, haben würde.
Ich darf noch einige Bemerkungen — erst zum Kollegen Althammer und dann zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion — machen. Ich hatte einleitend gesagt, daß die gestrige Debatte eigentlich den Weg zu einer sachlichen Haushaltsberatung freigegeben habe. Nun habe ich nach Ihren Ausführungen, Herr Althammer, den Eindruck — jedenfalls über weite Strecken hin —, daß offenbar die CDU/CSU den Versuch der begrenzten Sachlichkeit, den sie zugegebenermaßen hier gestern unternommen hat, eigentlich schon wieder bereut. Denn sie hat ja feststellen müssen, wenn man das Echo in der Öffentlichkeit sieht — es gibt solche Kommentare, „Punktsieg der Regierung" usw. —, daß wir, die Regierung und die Koalition, wahrscheinlich mit der Sachlichkeit besser fahren. Das erklärt eben so manches aus den letzten Monaten.
Herr Kollege Althammer hat gemeint, die Opposition habe zum Haushalt 1970 konkrete ich unterstreiche: konkrete — Vorschläge gemacht. Dann hat er den 2-Milliarden-Globalkürzungsantrag zitiert, —oder es waren 1,5; Sie haben eben 2 Milliarden gesagt, Sie kennen also Ihre eigenen Anträge auch nicht mehr so genau.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Schön. Es geht ja in diesem Zusammenhang auch
nicht um die Größenordnung, sondern um das „konkret". Es wird Ihnen doch niemand abnehmen, daß
ein solcher globaler Antrag ein konkreter Antrag ist. Konkret wäre gewesen: Da weniger Straßen, da weniger Schulen, Hochschulen, da weniger militärische Beschaffung usw. Das ist konkret, wenn die Sprache einen Sinn hat.

(Beifall bei der SPD.)

Nun haben Sie auf Zwischenfragen, glaube ich, oder auch so darauf geantwortet, das sei ja nicht die Aufgabe der Opposition. Sie haben gesagt: „Ihr legt jetzt diesen Haushalt so vor, und wir sollen mit konkreten Angaben kommen." Sie machen es sich natürlich überflüssig schwer, wenn Sie meinen, man müsse jetzt darüber entscheiden. Zu dem Zeitpunkt, wo entschieden wird, sind wir ja auch zu konkreten Aussagen bereit, weil es anders nicht geht; und dann erwarten wir auch Ihre konkreten Anträge. Warum machen Sie es also so voreilig?
Herr Kollege Althammer, Sie haben den Zusammenhang — das brauche ich nicht zu wiederholen — zwischen Konjunkturzuschlag und Steigerungsrate angeführt. Ich habe das bereits entsprechend gewürdigt.
Nun noch eine Bemerkung zu Ihrem Hinweis auf die Verschuldung. Auch das ist wieder ein Beispiel dafür, wie man, vielleicht unbeabsichtgt, aber vielleicht auch beabsichtigt, falsche Vorstellungen in der Öffentlichkeit weckt. Sie haben im Zusammenhang mit der Finanzplanung davon gesprochen, daß der Finanzierungssaldo von 8,5 Milliarden DM im Jahre 1971 auf 16 Milliarden DM im Jahre 1974 steigen wird. Sie haben nur vergessen — ich muß annehmen, bewußt hier nicht gesagt —, bei diesen Zahlen handelt es sich nicht um den Bund — Sie sprachen im Moment vom Bundeshaushalt —, sondern um den Finanzierungssaldo, wie es hier heißt, für alle Gebietskörperschaften, Bund, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände, Lastenausgleichsfonds, ERP, das alles zusammen. Für den Bund allein hört sich das nicht so dramatisch an, deshalb haben Sie es nicht gesagt, deshalb darf ich es sagen. Für den Bund steigt der Finanzierungssaldo von 2,9 Milliarden DM im Jahre 1971 auf 9,6 Milliarden DM im Jahre 1974.

(Zuruf des Abg. Leicht.)

— Herr Kollege Leicht, das ist sicher auch genug. Ich kann dazu nur folgendes sagen. Ich glaube, alle Erfahrungen mit Finanzplanung haben jedenfalls bisher bewiesen, daß wir auf beiden Seiten, auf den Einnahmeseiten wie auf den Ausgabeseiten, gewisse Reserven zu berücksichtigen haben, allein — das kommt auch in der Darstellung der Regierung irgendwo zum Ausdruck — 4 bis 5 Milliarden DM noch nicht im einzelnen konkretisierte Ausgaben. Wir wissen nach den Erfahrungen alle, daß wahrscheinlich auf der Einnahmenseite — wenn auch für 1971, das sei festgestellt, die konkreten Steuerschätzungen sehr exakt sind, soweit das heute möglich ist, und keine Reserven drin sind — in den weiteren Jahren hier möglicherweise noch Reserven liegen.
Im übrigen ist die Frage der Verschuldung auch in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Ich darf noch darauf verweisen, Herr Kollege Althammer, was man dann wohl auch zitieren muß, wenn Sie



Kirst
auf die Sparfähigkeit und die Sparquote ansprechen, daß hier der Zusammenhang mit der Vermögensbildung und Vermögenspolitik gesehen worden ist. Wir haben hier etwas getan und werden sicher, wenn möglich, weiteres tun. Man muß hier den Gesamtzusammenhang sehen. Ich erinnere an den Grundsatz, der eigentlich auch Ihr Grundsatz sein müßte, daß es besser ist, wenn der Bürger auf direktem oder indirektem Wege über die Kapitalsammelstellen auf dem Anleihewege in höherem Maße als jetzt zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben beiträgt als über Steuern. Sie wissen, daß wir an der Steuerlastquote festhalten wollen. Auch Herr Kollege Strauß - ich glaube, das ist gestern hier zitiert
worden hat ja darauf hingewiesen, unter welchen Umständen eine höhere Verschuldung erforderlich ist. Diese Umstände sind zweifellos hier zugrunde gelegt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607022400
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0607022500
Ich möchte mit meiner Frage nur eine Behauptung von Ihnen klarstellen: Ist Ihnen, Herr Kollege Kirst, nicht klar, daß ich im Zusammenhang mit der Gesamtverschuldung von dem Gesamtsparaufkommen gesprochen habe, so daß Ihre Unterstellung, ich hätte hier absichtlich oder unabsichtlich die Schuldenaufnahme beim Bund und die Gesamtschuldenaufnahme verwechselt, doch wohl nicht zutreffen kann?

Victor Kirst (FDP):
Rede ID: ID0607022600
Ich freue mich, wenn Sie klarstellen, daß Sie es hier nicht falsch darstellen wollten. Vielleicht sind Sie mir dankbar, daß ich Ihnen diese Gelegenheit zur Klarstellung gegeben habe.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

Im übrigen bitte ich um Entschuldigung, daß Sie wegen meines sehr langen Satzes so lange warten mußten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun noch einige Worte zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache VI/1154 sagen, der, wenn ich richtig orientiert bin, ja mit dem Haushalt an den Haushaltsausschuß überwiesen wird. In der Ziffer 1 wird die umgehende Vorlage eines Ergänzungsentwurfs zum Entwurf des Haushaltsplanes vorgeschlagen bzw. gefordert. Ich kann mich da auf das beziehen, was ich soeben einleitend gesagt habe. Das nutzt uns heute nichts. Der richtige Zeitpunkt ist noch nicht gekommen. Wir haben ja die Zusage der Regierung — ich kann es nur immer wiederholen — vom 9. Juli, so daß die ganze Aufregung, wenn man sie nicht aus anderen Gründen gewollt hätte, gar nicht nötig gewesen wäre. Die Regierung wird diese konjunkturelle Feinabstimmung vornehmen.
Meine Damen und Herren, dabei sollte man aber noch ein Wort aufnehmen, das hier heute morgen in anderem Zusammenhang gebraucht worden ist, das ist nämlich der Hinweis auf die sonstige politische Aktivität der Opposition. Hier soll ja auch die
Finanzplanung nach Abschnitt II überarbeitet werden. Nun fragt es sich natürlich, auf welchen Grundlagen z. B. die Finanzplanung beruhen würde, wenn alle politischen Wünsche der CDU/CSU erfüllt würden. Wir haben Aufrechnungen, die besagen, daß die Wünsche der CDU/CSU, die bis jetzt vorliegen
— es kommen ja laufend neue —, gegenüber der Finanzplanung im Jahre 1971 Mehrausgaben von
— ich darf abrunden — 2,5 Milliarden, 1972 von 3,14 Milliarden, 1973 von 3,6 Milliarden und 1974 von 4,2 Milliarden DM bedeuten würden. Das sollte man immer im Zusammenhang mit dem Antrag sehen, den Sie hier vorgelegt, und mit den Reden, die Sie hier gehalten haben.
Zu § 6 des Stabilitätsgesetzes. Einmal ist das nicht eine Frage des Bundestages, sondern eine Ermächtigung innerhalb der Regierung. Sie könnte von der Regierung gegenüber dem Bundesfinanzminister gegeben werden. Wir meinen, daß wir uns hier wegen der Gewaltenteilung gar nicht einzumischen haben. Wenn es die Regierung für erforderlich hält, wird sie es tun. Im übrigen wissen wir — auch Sie wissen es —, daß der Finanzminister zur Zeit eine sehr strenge Bewirtschaftung der Betriebsmittel durchführt, um in diesem Augenblick über den Haushalt 1970 noch eine dämpfende Wirkung zu erzielen.
Ich hatte vorhin schon darauf hingewiesen, daß es nicht genügt, generelle Aussagen zu machen. Das trifft natürlich auch für Ihren Antrag zu, womit Sie wieder durch zusätzliche Einsparungen die Konjunktursperre erhöhen wollen. Das ist gar nicht erforderlich. Ich darf daran erinnern, daß es eine Entschließung gibt, die die Koalition in der dritten Lesung im Juni vorgelegt hatte, bei der Sie sich enthalten hatten, weil Sie irgendein Wort daran störte, das aber richtig war. Insofern ist dieser Antrag also gar nicht erforderlich.
Was die Verpflichtungserklärung anbelangt, so kann man nur wieder sagen: auch hier kann man Haushaltspolitik nicht feuilletonistisch machen, sondern sie muß mit präzisen Zahlen betrieben werden.

(Beifall bei den Regierungparteien.)

Richtig und bedeutsam erscheint mir in Ihrem Antrag der Abschnitt IV, weil er eines noch einmal unterstreicht, was auch in der Debatte vor 14 Tagen zum Ausdruck gebracht worden ist, was nicht genug wiederholt werden kann. Wenn überhaupt, so darf man in dem Rahmen, in dem eine Beeinflussung der Konjunktur durch die Haushaltspolitik möglich ist, den Bund nicht allein sehen, sondern es müssen auch die Länder und die Gemeinden berücksichtigt werden. Dabei wissen wir auch — ich habe es schon vor 14 Tagen ausgeführt —, daß die Konjunkturwirksamkeit aus der Struktur der Ausgaben heraus bei den Ländern und bei den Gemeinden höher ist als im Bundeshaushalt.
Meine Damen und Herren, ich möchte aus der Debatte vor 14 Tagen nicht Unnützes wiederholen. Ich meine, es ist jetzt, nach dieser zeitlich sehr ausgedehnten Debatte in der ersten Lesung, an der Zeit, daß wir nun endlich im Haushaltsausschuß zur Sache kommen, damit sich, wie es sich heute wieder als nützlich bzw. nötig erwiesen hat, die



Kirst
Opposition und wir alle uns in sachlicher Arbeit der nüchternen Realitäten dieses Haushalts bewußt werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607022700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Heck.

Dr. Bruno Heck (CDU):
Rede ID: ID0607022800
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Vorvorige Woche hat mich der Herr Bundeskanzler von hier aus aufgefordert, mich, wie er sagte, zu meinen 15 Milliarden DM zu äußern. Ich tue dies gern, zumal da mich in der Zwischenzeit auch der Finanzminister und der Wirtschaftsminister darauf angesprochen haben.

(Zuruf von der FDP.)

Ich möchte aber zuvor doch anmerken — hören Sie genau zu! —, daß diese 15 Milliarden DM mit viel mehr Recht als die 15 Milliarden DM dieser Bundesregierung genannt werden können. Ich bin an den 15 Milliarden DM nur mit dem, was meine Ersparnisse mit den Ersparnissen von Millionen Sparern gemeinsam getroffen hat, beteiligt.

(Zuruf von der SPD: Bruno Heck, der Sparerschreck ! - Heiterkeit bei der SPD.)

— Richtig!
Im übrigen hat inzwischen ein Mann vom Fach, ein angesehener Wirtschaftsjournalist, Herr Slotosch, dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsminister, Herrn Rosenthal, in der „Süddeutschen Zeitung" vom 3. Oktober einen Verlust der Sparer von sage und schreibe 28 Milliarden DM vorgerechnet. Er ist dabei von der Preisentwicklung beim Bruttosozialprodukt ausgegangen, was man ja auch tun könnte. Darauf ist unser Kollege Schiller gestern vormittag nicht eingegangen. Das hat er sehr freundlich überschwiegen.
Aber nun zur Sache. In der Haushaltsrede am 23. September 1970 hat der Bundesfinanzminister Möller im Zusammenhang mit den 15 Milliarden DM von seiner Simplifizierung gesprochen, die zwei Dinge nicht berücksichtige, nämlich daß die Zinsen für die Spareinlagen höher geworden seien und der Staat das Sparen in beträchtlichen Umfang gefördert habe. Dazu möchte ich folgendes ausführen.
Wir sehen in höheren Zinsen keine Inflationsausgleichszulage. Was die Sparer das eine Mal mehr an Zinsen erhalten, erhalten sie das andere Mal weniger, und beides zusammen ergibt erst die gesunde Mitte. Im übrigen — auch darauf muß man in diesem Zusammenhang aufmerksam machen — geht den höheren Zinsen für die Sparer doch eine Teuerung des Geldes voraus. Das trifft dann die Bausparer beispielsweise zum zweiten Mal.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607022900
Herr Abgeordneter Heck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moersch?

Dr. Bruno Heck (CDU):
Rede ID: ID0607023000
Da ich gebeten worden bin, zu informieren, wie ich zu den 15 Milliarden DM gekommen bin, möchte ich zunächst informieren. Sie können ja anschließend Fragen an mich stellen.

(Oh-Rufe von der SPD. — Abg. Wehner: So sicher ist er in dem Thema nicht! — Weitere Zurufe von der SPD: Da ist er schwach!)

- Sprechen Sie sich ruhig aus. Ich bin gebeten worden, mich darüber zu äußern, wie ich zu den 15 Milliarden DM gekommen bin.
Zur staatlichen Sparförderung. Herr Kollege Möller, die staatliche Sparförderung könnte doch von Ihnen nur dann angeführt werden, wenn sie nicht unabhängig von der Währungssituation erfolgen würde. Kein Mensch in diesem Lande kann doch der derzeitigen Regierung unterstellen, daß sie etwa die staatliche Sparförderung eingestellt hätte, wenn es ihr gelungen wäre, die D-Mark stabil zu halten.
Dann hat gestern vormittag der Kollege Schiller eine interessante Rechnung aufgemacht, nämlich die, daß die Sparer von 1969 auf 1970 sogar 9 Milliarden DM gewonnen hätten. Daß er dabei so nebenher meine Aussage, die Sparer hätten einen Verlust von 15 Milliarden DM hinnehmen müssen,

(Abg. Leicht: Genau! Sehr gut!)

gleichzeitig bestätigt hat — und das unter dem Beifall seiner Fraktion —, ist Herrn Schiller wohl ebenso entgangen wie seiner Fraktion.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben sie nicht gemerkt!)

Herr Schiller hat nämlich erklärt, von 1969 auf 1970 hätten die 377 Millarden DM Sparvermögen in Form von Zinsen, Dividenden, Sparprämien, Erträgen aus Steuerersparnissen nach dem 624-DM-Gesetz und nach dem Bausparprämiengesetz Erträge in einer Höhe von 24 Milliarden DM abgeworfen. Der Reingewinn der Geldvermögen nach Abzug der durch die Preissteigerungen bewirkten Verluste betrage daher 1970 über 9 Milliarden DM. Nun, meine Damen und Herren, wenn Sie von 24 Milliarden DM diese 9 Milliarden DM, die übriggeblieben sind, abziehen, bleiben die 15 Milliarden DM übrig, die vom Kollegen Schiller als Währungsverluste bezeichnet worden sind.

(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Schiller, Sie sind also zwar auf einem anderen Wege, aber schließlich doch zum gleichen Ergebnis wie ich gekommen.
Ich habe, wie gesagt, die Zinsentwicklung und die staatliche Sparförderung — ich meine zu Recht - nicht berücksichtigt. Dagegen habe ich bei meiner Rechnung etwas anderes einbezogen, nämlich das von der SPD 1965 beschlossene und vom damaligen Abgeordneten Schiller in diesem Haus zitierte Programm zur schrittweisen Zurückdrängung der schleichenden Inflation. Damals durfte von schleichender Inflation gesprochen werden, ohne daß Rügen erteilt wurden. Nach diesem Programm sollte die Preissteigerungsrate von Jahr zu Jahr von 3 % auf 2 % und dann auf 1 % reduziert werden.

(Abg. Haehser: Er war gestern wieder nicht hier!)




Dr. Heck
Herr Kollege Schiller, Sie sind seit Dezember 1966, bis heute also fast vier Jahre, Wirtschaftsminister. Ich nehme an, daß Sie es als Ihre Aufgabe angesehen haben, in der Verantwortung das sozialdemokratische Programm zur schrittweisen Zurückdrängung der schleichenden Inflation durchzuführen. Deswegen habe ich dieses eine Prozent, das in diesem Programm als unvermeidbar angesehen wurde, auch bei meiner Rechnung als unvermeidbar abgezogen.
Im übrigen ist es ganz interessant, festzustellen, daß vor vier Jahren nicht nur von schleichender Inflation gesprochen werden durfte, sondern daß die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen fast ausschließlich mit diesem Thema geführt wurden. Ich möchte Sie hier nur an eines, an das böseste von vielen Beispielen erinnern, nämlich an jenen Fernsehfilm, in dem die SPD zeigte, wie Bürger eine Sparkasse stürmen. Der Text dazu lautete: „Nur wer die D-Mark ausgibt, kann auch an ihr verdienen. Heute kaufen, weil es morgen teurer wird!" Meine Damen und Herren, mir scheint das ein Musterbeispiel dafür zu sein, wie man Inflationsmentalität erzeugt und schürt.

(Abg. Haase [Kassel] : Waren das Verbrecher, Herr Heck?)

— Ich habe mir die Mahnungen meines Landsmanns Schäfer von heute morgen sehr zu Herzen gehen lassen.
Bei den Bundestagswahlen 1969 haben Sie von der SPD dann in Ihrem Wahlprogramm der Stabilität eine ganz besondere Bedeutung beigemessen. Sie haben die Wahlschlacht von Nordrhein-Westfalen diesmal mit umgekehrter Schlachtordnung ein zweites Mal versucht. In Ihrer Wahlillustrierten hieß es — damals an die Frauen gerichtet, Herr Kollege Schiller —: „Um an mehr Wirtschaftsgeld zu kommen, brauchen Sie nicht nur Ihren Mann. Es gibt noch einen anderen: Wirtschaftsminister Schiller von der SPD.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Er wird auch dafür sorgen, daß Sie vieles billiger kaufen können." In der gleichen Wahlillustrierten hat der damalige Kanzlerkandidat mit großer Sicherheit erklärt: „Als Bundeskanzler werde ich die Deutsche Mark hart und stabil halten."

(Beifall bei der SPD. — Abg. Haase [Kassel] : Und wie sieht es aus? Ganz trübe!)

Nun, meine Damen und Herren, was ist daraus geworden? Was haben Sie getan? Aus dem einen Prozent, das Sie Schritt für Schritt erreichen wollten, sind inzwischen 4,1 % geworden. Auf dieser Basis, meine Damen und Herren von der Opposition, habe ich die 15 Milliarden DM errechnet, die Sie im übrigen nur nervös gemacht haben, weil sie von der Presse und vorzüglich von der BILD-Zeitung übernommen worden sind.

(Zuruf des Abg. Moersch.)

Die 3,1 % inflationär bedingten Verluste, Herr Moersch, ergeben für die 195 Milliarden DM Spareinlagen und für die 164 Milliarden DM Ansprüche aus Lebensversicherungen und Wertpapieren einen
Verlust von rund 11 Milliarden DM. Das Bausparen muß man hier gesondert betrachten; denn da sind die Preise um 17 % gestiegen.

(Abg. Haase [Kassel] : Die werden enteignet!)

Das ergibt, wenn ich wiederum das eine Prozent abziehe, Verluste bei den Bausparern von 5,6 Milliarden DM. 11 Milliarden DM plus 5,6 Milliarden DM ergibt zusammen 16,6 Milliarden DM. Sie sehen, ich habe außerordentlich großzügig nach unten abgerundet.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler — ich habe Verständnis dafür, daß er nicht da ist — hatte, als er hier sprach, offensichtlich gleich das ganz richtige Gefühl, daß diese Aussage mit den 15 Milliarden DM eigentlich nichts dafür hergibt, von Volksverhetzung zu sprechen. Er hat mir deswegen noch einen anderen Vorwurf gemacht, den ich sehr ernst nehme und der mich getroffen hat. Er hat mir gegenüber den Vorwurf erhoben, ich hätte in den letzten Wochen wiederholt den Versuch unternommen — wenn auch zuweilen gekonnt verklausuliert —, die SPD in die Nähe des Kommunismus zu rücken. Das, meine Damen und Herren, ist in der Tat ein böser und, so muß ich Ihnen nach sorgfältiger Prüfung sagen, ein durch nichts zu rechtfertigender Vorwurf.
Ich habe jeden Satz, den ich in diesem Jahr über das Thema, das Ihnen sehr unangenehm ist, das Thema der verschiedenen Sozialismen in der SPD, gesprochen bzw. geschrieben habe, noch einmal sorgfältig durchgelesen. Ich habe auch nicht einen einzigen Ansatzpunkt für eine solche Interpretation gefunden.
Ich will diese Sache hier nicht hochspielen, aber ich glaube, sie muß zwischen dem Herrn Bundeskanzler und mir bereinigt werden

(Lachen bei der SPD)

in der Weise, daß er mir diese allgemeine Anschuldigung konkret begründet.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sonst gehen Sie wieder raus, nicht wahr?)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607023100
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0607023200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich einige Sachbemerkungen mache, liegt mir daran, im Hinblick auf die heute vormittag stattgefundene Erörterung über eine von mir gemachte Bemerkung und die sich daran anschließende Abstimmung über einen von der CDU/CSU-Fraktion eingereichten Mißbilligungsantrag ausdrücklich zu erklären, daß ich mit dieser umstrittenen Bemerkung niemandes politische und persönliche Ehre verletzen wollte.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dasch: Die Behauptung zurücknehmen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD.)




Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
— Ich meine, jetzt ist es doch wohl genügend klargestellt. Ich habe zwei Erklärungen abgegeben. Ich habe sie auch abgegeben in einem persönlichen Schriftwechsel, soweit sich Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in dieser Sache schriftlich mit mir in Verbindung gesetzt haben. Auch dort habe ich eine sehr eindeutige Erklärung in diesem Sinne abgegeben. Mir lag nur daran, das vor dem Hohen Hause und insbesondere nach der Abstimmung zu wiederholen, weil ich meine, daß eine solche Erklärung nach der erfolgten Abstimmung für alle Beteiligten wertvoller und nützlicher ist, als wenn man sie vorher abgibt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Dr. Heck, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie nun aus der parlamentarischen Ruhestellung herausgetreten sind und uns einiges über Ihre Behauptung gesagt haben, daß die deutschen Sparer durch Preissteigerungen in diesem Jahr Verluste von 15 Milliarden DM erlitten hätten. Sie werden zugeben, daß man zu diesen 15 Milliarden nicht so kommen kann, wie Sie das vorhin getan haben. Sie haben Reingewinn und Verlust addiert: 9 Milliarden DM Reingewinn und die von Ihnen ausgewiesene Zahl von 15 Milliarden DM Verlust. Dann kommen Sie natürlich auch auf 24 Milliarden DM. Aber in solchen Fällen addiert man nicht, sondern man saldiert. Das hat auch der Herr Bundeswirtschaftsminister gemacht.
Im Hinblick auf Ihre, wie ich zugebe, interessante Darstellung darf ich vielleicht aus den Erklärungen des Herrn Kollegen Schiller zitieren. Herr Kollege Schiller hat mich gebeten, diese Klarstellung für ihn hier vorzunehmen. Da wir in all diesen entscheidenden Punkten der Politik der Bundesregierung völlig übereinstimmen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!)

komme ich der Aufforderung gerne nach. Herr Kollege Schiller hat gestern gesagt:
Die Antwort lautet: Das Vermögen der Privatpersonen in Form von Spareinlagen, Bauspareinlagen, Lebensversicherungen, festverzinslichen Wertpapieren und Aktien betrug nach Schätzung der Bundesbank im Jahre 1969 377 Milliarden DM. ... Dieses Geldvermögen wird 1970 einen Ertrag von 24 Milliarden DM in Form von Zinsen, Dividenden und Sparprämien erbringen. Es wird zusätzlich Erträge aus Steuerersparnissen nach dem 624-DM-Gesetz und nach dem Bausparprämiengesetz abwerfen, die sich nicht genau quantifizieren lassen. Der Reinertrag der Geldvermögen nach Berücksichtigung der Preissteigerung beträgt daher 1970 über 9 Milliarden DM.
Das noch einmal zur Wiederholung.
Nun gibt es ja nicht nur solche Inserate, Erklärungen, Versammlungen und ähnliches, sondern es gibt auch Inserate der in Frage kommenden Institute. Lesen Sie einmal die Inserate der deutschen Lebensversicherungsunternehmen, lesen Sie bitte die Inserate der deutschen Bausparkassen! Bei diesen Inseraten in allen Blättern werden Sie feststellen, daß die Unternehmungen Ihnen vorrechnen, wie
gut Sie bedient sind, wenn Sie jetzt einen Lebensversicherungsvertrag oder einen Bausparvertrag abschließen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU: Karlsruher!)

— Sie dürfen mir nicht zumuten, jetzt noch Schleichwerbung für die Gesellschaft zu betreiben, bei der ich früher tätig war. — Aber da wird Ihnen genau vorgerechnet, was für eine Prämie Sie zahlen müssen, was auf der Gegenseite an Dividenden erwirtschaftet wird, was Sie an Steuerermäßigungen erhalten, was Sie an Zusatzprämien bekommen. Unter dein Strich heißt es dann: Schließen Sie also schleunigst einen solchen Vertrag ab; dann sind Sie gut bedient.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun könnten Sie fragen, wie denn das Ergebnis ist. Ich habe leider nur die Zahlen für das erste Halbjahr 1970 im Vergleich zu den Jahren 1967, 1968 und 1969 da, weil die Statistiken auf diesem Gebiet vierteljährlich geführt werden. Ich kann Ihnen beispielsweise von den Bausparkassen sagen, daß 'im ersten Halbjahr 1970 neue Bausparverträge mit einer Vertragssumme von insgesamt mehr als 20 Milliarden DM abgeschlossen worden sind. Im ganzen Jahr 1967 waren es 19,2, 1968 waren es 25,7, und 1969 waren es 38,9 Milliarden DM. Jetzt haben wir bereits im ersten Halbjahr 20 Milliarden DM, und jeder Fachmann weiß, daß sich Bausparverträge am Schluß des Jahres kumulieren, daß man in den letzten Monaten, insbesondere im Dezember, einen besonders hohen Neuzugang an Bausparverträgen hat. Sie können sich also ausrechnen, wie hoch die Zuwachsrate bei den Bausparverträgen in Wirklichkeit ist. Das gilt genauso für die Lebensversicherungsverträge. Auch hier ist eine Steigerungsrate von 15 % im Schnitt im bisherigen Ablauf des Geschäfts vorhanden.
Das bedeutet, daß zahlenmäßig nicht nur der gleiche Personenkreis wie im Jahre 1969 erfaßt wird, sondern daß zu gleicher Zeit ein größerer Bevölkerungskreis als in den vorangegangenen Jahren Vertrauen zur D-Mark, zur Stabilität der D-Mark hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das sollten wir alle begrüßen, denn es ist unser gemeinsames Anliegen. Herr Kollege Dr. Heck, Sie werden mir zugeben müssen, daß beispielsweise ein Lebensversicherungsvertrag, der heute noch eine Durchschnittslaufzeit von 27 Jahren hat, auf dem Entschluß eines Bürgers zu einer Geldanlage beruht, zu der der Bürger Vertrauen hat, da er sie für viele Jahre festlegen will. Mit dem Abschluß dieses Lebensversicherungsvertrages dokumentiert er auch, daß er es vor sich und seiner Familie verantworten kann, einen solchen Lebensversicherungsvertrag abzuschließen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607023300
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht? —

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0607023400
Herr Bundesfinanzminister, sicherlich ist viel an dem, was Sie sagen. Sind Sie



Leicht
nicht aber auch der Meinung, daß man die Dinge differenzierter sehen muß, daß es auch eine ganze Reihe von Leuten gibt, die, um ihre Altersversorgung sicherzustellen — das gilt für den Lebensversicherungsbereich --, wegen der fortschreitenden Geldentwertung jetzt höher einsteigen müssen, und geben Sie nicht zu, daß für den Bausparer auch das Moment eine Rolle spielt, daß er höhere Bausparverträge abschließen muß, weil die Preise davongelaufen sind?

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0607023500
Herr Kollege Leicht, daß wir heute höhere Versicherungssummen und höhere Bausparsummen aufzuweisen haben, hängt mit den wachsenden Einkommen zusammen.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Leicht: Auch!)

— Das ist doch selbstverständlich. Daß man bei wachsenden Einkommen auch die Summe des Lebensversicherungsvertrages oder des Bausparvertrages erhöht, kann doch nicht in Abrede gestellt werden. Im übrigen beziehe ich mich auf die konjunkturpolitische Debatte des gestrigen Tages und verweise auf die noch anstehende Debatte über Mietpreise und Baukosten. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf hinsichtlich der Preissteigerungsrate will ich nur noch festhalten, Herr Kollege Dr. Heck, daß es Herr Kollege Schiller als Bundeswirtschaftsminister in den Jahren 1967 und 1968 immerhin erreicht hat, daß die Preissteigerungsrate im Schnitt bei etwa 1,5 v. H. lag. Herr Kollege Schiller war also auf dem besten Wege, dieses Ziel zu erreichen, das Sie dargestellt haben. Wenn Sie schon so verständnisvoll lächeln, Herr Kollege Dr. Heck, kann ich es mir wohl ersparen, im einzelnen darzustellen, woran es liegt, daß Herr Kollege Schiller dieses Ziel nicht hat erreichen können. Darüber sind wir uns also anscheinend einig. Ich wollte das zur allgemeinen Abrundung des Bildes nur noch einmal gesagt haben.
Meine Damen und Herren, nun noch ein paar Bemerkungen zum Haushalt. Herr Kollege Leicht und Herr Kollege Althammer, finden Sie nicht auch, daß wir einen Streit um Kaisers Bart veranstalten, wenn immer wieder gesagt wird, es müsse jetzt ein Kernhaushalt und ein Eventualhaushalt vorgelegt werden? Ich wiederhole es noch einmal: Es besteht doch zwischen Opposition und Koalition keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß es weder im Juli möglich war noch heute möglich ist, eine zuverlässige Konjunkturprognose für das Jahr 1971 zu geben. Die Konjunkturprognose wird um so realistischer sein, je mehr wir uns der wirklichen Entwicklung des Jahres 1971 nähern.
Die Bundesregierung hat nun am 9. Juli den Haushaltsplanentwurf für das Jahr 1971 verabschiedet. Selbstverständlich hatten wir uns auch mit der Frage, die in der Öffentlichkeit ebenfalls eine Rolle gespielt hat, auseinanderzusetzen: Ist es beim Anlaufen dieses neuen konjunkturpolitischen Stabilisierungsprogramms zweckmäßig zu sagen, welchen Haushalt diese Regierung für das Jahr 1971 vorzulegen beabsichtigt? Wir haben gesagt: Es ist des-
wegen richtig, den Haushaltsplanentwurf vorzulegen, weil er fertig ist. Es hat keinen Zweck, ihn in eine Schublade einzuschließen, zumal diese oft durchleuchtet wird. Es ist viel richtiger, die Bundesregierung legt diese Entwürfe auf den Tisch, begründet sie vor der Öffentlichkeit und geht davon aus, daß jeder, der sich damit beschäftigt, überlegt, daß dieser Haushaltsplanentwurf sich nicht auf das Jahr 1970 bezieht.

(Zustimmung bei der SPD.)

Eine solche Überlegung wäre ja naheliegend, weil wir mehr als einmal ungefähr um diese Zeit Etatvoranschläge für das laufende Jahr haben behandeln müssen.
Es wird dabei berücksichtigt, daß bei dieser außerordentlich schwierigen konjunkturpolitischen Lage zu einem späteren Zeitpunkt dann sehr genau und gewissenhaft überprüft werden muß: Paßt der Haushalt 1971 in die dann vorhandene mutmaßliche konjunkturpolitische Landschaft?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607023600
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0607023700
Herr Kollege Möller, haben Sie denn nicht selbst im Kabinett diesen Vorschlag auf Vorlage eines Kern- und Eventualhaushalts vorgetragen?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0607023800
Herr Kollege Althammer, wir haben — das Kabinett würde sich einer groben Pflichtverletzung schuldig gemacht haben, wenn es sich anders verhalten hätte — alle Möglichkeiten durchgespielt. Wir haben uns überlegt: Wie sieht es bei einem Kern- und Eventualhaushalt aus? Wie sieht es bei einem Haushalt aus, in dem bestimmte Beträge gesperrt sind? Wie sieht es aus, wenn wir von Grundbeträgen ausgehen und diese dann aufstocken? Wenn im Jahre 1971 beispielsweise eine konjunkturpolitische Situation einträte, die eine andere Haushaltsführung vorschriebe, hätten wir sofort das erforderliche Material an der Hand, um in der Bundesregierung und mit dem Haushaltsausschuß und dem Bundestag darüber zu beraten und zu entscheiden, welche Varianten wir dann wählen und welche Varianten konjunkturpolitisch richtig sind.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0607023900
Herr Minister, noch eine Frage: Sind Sie dann bereit, diese Alternativen und Varianten, die Sie vorliegen haben, auch dem Parlament vorzulegen?

(Zurufe von der SPD.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0607024000
Dann, wenn die Situation das erfordert, Herr Kollege Althammer. Ich habe Ihnen doch die Sache schon sehr leicht gemacht mit dem ganzen Material, das ich Ihnen zugestellt habe, so daß ich Sie bitten möchte, zunächst einmal auf diese Kabinettsunterlagen, die als Beratungspapiere anzusehen sind, zu verzichten. Es könnte aber eine
3892 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 70. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 8. Oktober 1970
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Situation eintreten, wo wir uns mit diesen Papieren zu beschäftigen haben.

(Zurufe von der SPD und Gegenrufe von der CDU/CSU.)

Nehmen Sie noch einen zweiten entscheidenden Gesichtspunkt zur Kenntnis, der uns zu dieser Haltung veranlaßt hat, nämlich die Tatsache, daß wir uns gesagt haben: wir können bei der restriktiven Haushaltsführung und der vorangegangenen Rezession einfach nicht mehr über die Ausgabenseite eine Konjunkturbeeinflussung, eine Konjunkturdämpfung vornehmen; dazu müssen wir jetzt die Einnahmeseite heranziehen. Das ist geschehen, und deswegen haben wir gesagt: eben wegen des neuen konjunkturpolitischen Stabilisierungsprogramms vom Sommer 1970 sind die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, daß wir nun einmal mit der Ausgabenseite an das herangehen können, was sich auf dem Gebiet der Infrastruktur an Ausgaben- und Aufgabenstau aus den vergangenen Jahren ergeben hat, und daß wir andere wichtige dringliche Infrastrukturmaßnahmen einleiten können. Ich glaube, es kann nur in den seltensten Fällen verantwortet werden, in einer solchen konjunkturpolitischen Situation, wenn schon seit Jahren eine restriktive Haushaltsführung betrieben worden ist, beide Seiten des öffentlichen Haushalts, nämlich die Einnahmen- und die Ausgabenseite, für die Konjunkturpolitik oder die Konjunkturdämpfung einzusetzen.
Noch eine Bemerkung zur Neuverschuldung der öffentlichen Hand. Es hat so ausgesehen, als wenn die Neuverschuldung in den Jahren 1971 bis 1974, also für vier Jahre, mit 50 Milliarden DM die Neuverschuldung des Bundes sei. Ich möchte nur noch einmal klarstellen: der Bund ist bei dieser Verschuldung mit 24 Milliarden DM beteiligt.
Nun hat die vorangegangene Regierung einen Finanzplan für die Jahre 1968 bis 1972 erstellt. In diesem Finanzplan war eine Neuverschuldung der öffentlichen Hand vorgesehen, der der Finanzplan 1971/74 angenähert ist. Beim Bund haben wir in 1971/74 24 Milliarden DM, und in dem Finanzplan 1968/72 waren es 22,5 Milliarden DM. Das ist 1968 gemacht worden. Heute haben wir ganz andere volkswirtschaftliche Bezugsgrößen. Da kann man doch sagen, daß das Werte sind, die sich angenähert haben, daß also keine Ursache besteht, heute von einer nicht zu verantwortenden Neuverschuldung der öffentlichen Hand zu reden. Im übrigen ist es so, daß wir den Finanzplan, der nur eine Absichtserklärung der Regierung darstellt, von Jahr zu Jahr neu überprüfen, ob sich die dort festgehaltenen Zahlen weiter verantworten lassen, so daß immer eine Korrektur möglich ist, wenn das erwünscht sein sollte.
Noch eine Bemerkung zur Haushaltsführung des Jahres 1970. Wir haben ein Haushaltssoll von 88,886 Milliarden DM, wenn wir davon ausgehen, daß von den rund 91 Milliarden DM die Sperren und Rücklagen abzuziehen sind. Wenn wir nun auf Januar bis September umrechnen, stehen uns für die ersten neun Monate 66,665 Milliarden DM zur Verfügung. Das vorausschichtliche Ist beträgt 61,943 Milliarden DM, wobei ich hinzufüge: für die ersten
acht Monate bis August einschließlich haben wir die Ist-Zahlen vorliegen, für September noch nicht, sondern da haben wir die Zahl geschätzt, und zwar auf Grund der Betriebsmittelzuweisungen. Herr Kollege Leicht, Sie wissen aus Ihrer eigenen Praxis, daß man davon ausgehen kann, daß dieser geschätzte Betrag wahrscheinlich etwas überhöht ist. Deshalb werden die wirklichen Ausgaben sicherlich nicht höher sein.
Das bedeutet also ein voraussichtliches Ist in den ersten neun Monaten von rund 62 Milliarden, oder anders ausgedrückt: wir hätten bei dieser eben festgestellten Berechnung des Haushaltssolls mit 88,886 Milliarden in den ersten neun Monaten 4,7 Milliarden weniger verbraucht, als der Haushaltsansatz zuläßt. Sie sehen, daß wir uns bei dieser restriktiven Haushaltsführung sehr bemühen, zu einem Abschluß zu kommen, wie es in der dritten Lesung vom Deutschen Bundestag gewünscht worden ist.
Wenn Sie nun noch berücksichtigten, daß wir für die Haushaltsführung des Jahres 1970 nicht nur vom Bundestag eine Auflage bekommen haben, sondern daß auch die Bundesregierung beschlossen hat, die einzelnen Ressorts sollten dafür sorgen, daß nicht massiert Ausgaben vollzogen werden, dann kann ich Ihnen erklären, daß wir durch die Betriebsmittelzuweisungen eine sehr genaue und übersichtliche Kontrolle verfügbar haben, die es uns gestattet, auf die Ressorts entsprechend einzuwirken. Und da kommt es schon einmal vor, daß wir einem Ressort sagen: ihr habt für August den Betrag X angefordert; der steht in keinem Verhältnis zu dem Betrag des Vormonats und in keinem Verhältnis zu dem Betrag des entsprechenden Monats des Vorjahres; also müßt ihr euch mit einem geringeren Betrag bescheiden. — Wenn sich auf diese Weise die Rechnungen etwas ansammeln, dann hängt das mit der uns vorgeschriebenen restriktiven Haushaltsführung zusammen.
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Herr Kollege Dr. Strauß hat in seinen Ausführungen davon gesprochen, daß die Steuerreform zu Steuersenkungen von rund 12 Milliarden DM führen würde. Ich wäre Ihnen allen sehr dankbar, wenn Sie auf solche Zahlenbeispiele verzichteten. Das Gutachten der Steuerreformkommission ist erst Ende des Jahres zu erwarten, und wir können uns, bevor dieses Gutachten vorliegt, auch nicht über das äußern, was es für die einzelnen Steuergebiete, über die Neuordnung und darüber, welche Alternativen vorhanden sind, aussagt.
Was haben wir in der !Reformgruppe des Bundesfinanzministeriums getan, in der auch die von den Ländern für diese Arbeit entsandten Experten sitzen, so daß die Länder von Anfang an an dieser Arbeit beteiligt gewesen sind? In dieser Reformgruppe des Bundesfinanzministeriums wurde - wie gesagt, auch mit Hilfe der Länderexperten versucht, Modellrechnungen durchzuführen. Wir haben inzwischen rund 100 Modelle, damit wir dann, wenn das Reformgutachten vorliegt, nicht die ganze Arbeit neu beginnen müssen, sondern uns nun überlegen können: welche Modelle sind für bestimmte Lösungen und Alternativen da, und wie ist die rech-



Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
nerische, die steuerrechtliche und die steuerpolitische Auswirkung?
Von diesen rund 100 Modellrechnungen können Sie jetzt nicht einige herausgreifen und dann anfangen, zu addieren oder zu saldieren. Das ist alles unrichtig. Wir haben in keinem Punkt irgendeinen Abschluß vorbereitet. Es liegt noch nicht einmal irgendeine Ausarbeitung auf Referentenebene vor. Und solange das nicht der Fall ist, kann man nicht von einem Steuerprogramm oder von einer steuerrechtlichen und steuerpolitischen Festlegung sprechen.
Ich bitte daher, davon auszugehen, daß der jetzige Stand der ist, den wir in dem dem Hohen Hause vorgelegten Schriftlichen Bericht umschrieben haben. Ich hoffe, daß wir das Gutachten der Steuerreformkommission bis zum Ende des Jahres erhalten und daß wir dann mit Beginn des neuen Jahres mit den ersten gesetzgeberischen Vorarbeiten beginnen können. Ich hoffe und wünsche, daß es uns im Laufe der kommenden Jahre gelingt, auf einer breiten Basis eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Reformen, nämlich die Steuerreform, zu realisieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0607024100
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stehen am Ende der Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, das Haushaltsgesetz, den Finanzplan des Bundes 1970 bis 1974 und den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. notwendige haushaltspolitische Maßnahmen an den Haushaltsausschuß zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, heute nachmittag wird zunächst der Zusatzpunkt der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Rechtsausschusses (5. Ausschuß)

über den Antrag des Abgeordneten Dr. Lenz

(Bergstraße) und der Fraktion der CDU/CSU

betr. Enquete-Kommission Verfassungsreform
und
über den Antrag der Fraktionen der SPD, FDP betr. Enquete-Kommission zur Reform der bundesstaatlichen Struktur
aufgerufen. Es folgt dann die Behandlung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Baukostenentwicklung und ihre Auswirkung auf den sozialen Wohnungsbau.
Meine Damen und Herren, ich habe noch mitzuteilen, daß der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform um 14 Uhr zu einer halbstündigen Sitzung im Saal 1901 im Neuen Hochhaus zusammentritt.
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung ist bis 15 Uhr unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung von 12.56 bis 15.00 Uhr.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607024200
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf: Beratung des Schriftlichen Berichts des Rechtsausschusses (5. Ausschuß)

über den Antrag des Abgeordneten Dr. Lenz

(Bergstraße) und der Fraktion der CDU/CSU

betr. Enquete-Kommission Verfassungsreform
über den Antrag der Fraktionen der SPD, FDP betr. Enquete-Kommission zur Reform der bundesstaatlichen Struktur
— Drucksachen VI/653, VI/739, VI/1211 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Beermann Abgeordneter Vogel
Wird das Wort gewünscht? — Herr Dr. Lenz!

Dr. Carl Otto Lenz (CDU):
Rede ID: ID0607024300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion habe ich zu diesem Tagesordnungspunkt folgende Erklärung abzugeben.
Erstens. Die CDU/CSU begrüßt es, daß der Rechtsausschuß einen von allen drei Fraktionen getragenen Antrag über die Einsetzung einer EnqueteKommission zur Verfassungsreform vorlegt. Sie sieht darin die konsequente Fortsetzung einer Initiative, die bereits in der vergangenen Legislaturperiode von 42 Abgeordneten der CDU/CSU mit einer Großen Anfrage zur Weiterentwicklung unseres föderativen Systems eingeleitet worden war und die von dem damaligen Bundesinnenminister Ernst Benda beantwortet wurde. Wir sind der Auffassung, daß die Anfrage und die Antwort wertvolles Material für die Kommission darstellen.
Zweitens. Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion ist es Aufgabe der Kommission, zu sagen, ob und inwieweit es erforderlich ist, das Grundgesetz den Anforderungen anzupassen, die in unserer Zeit an einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat in einem sich zusammenschließenden Kontinent gestellt werden müssen. Nach unserer Auffassung heißt das zweierlei. Das heißt einmal, die Kommission soll sagen, was geändert werden müßte, und zum anderen, sie sollte auch klar sagen, was nicht geändert zu werden braucht. Wir lehnen Pläne zu einer Totalrevision des Grundgesetzes ab, und wir begrüßen es, daß unter den Parteien dieses Hauses Einigkeit darüber besteht, daß weder der Grundrechtsteil noch die Grundprinzipien der Verfassung einer Änderung bedürfen. Ich habe dies schon bei der ersten Lesung dieses Antrags am 4. Juni in diesem Hause ausgeführt.
Drittens. Das heißt nicht, daß einige Grundprinzipien angesichts der sich wandelnden Wirklichkeit der Weiterentwicklung bedürfen. Dies gilt z. B. für das bundesstaatliche System des Grundgesetzes. Alle Parteien dieses Hauses treten für eine zeitgerechte Auslegung, für eine Anpassung an die Bedürfnisse der modernen Gesellschaft bzw. für eine Reform der bundesstaatlichen Struktur ein.
In diesem Augenblick befinden sich vier Regierungsentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes in



Dr. Lenz (Bergstraße)

verschiedenen Stadien der parlamentarischen Beratung, die sich alle auf das Bund-Länder-Verhältnis beziehen. Dies unterstreicht nach unserer Auffassung die Notwendigkeit, hier ein Gesamtkonzept zu entwickeln, bei dem die notwendigen Änderungen im Zusammenhang gesehen werden und das monatliche Änderungen des Grundgesetzes überflüssig macht, so wie sie bei der jetzigen Gesetzgebungspraxis zu befürchten sind. Außerdem stellen wir fest, daß bisher wie auf einer Einbahnstraße Kompetenzen von den Ländern zum Bund abgewandert sind. Nach unserer Auffassung muß geprüft werden, ob diese Straße nicht auch in der Gegenrichtung befahrbar ist, wobei wir die Gemeinden in diese Betrachtung einbeziehen wollen. Deshalb legen meine politischen Freunde Wert darauf, daß der Kommission auch ein Sachverständiger angehört, der das Vertrauen der Gemeinden und Gemeindeverbände besitzt.
Viertens. Darüber hinaus bedarf nach unserer Auffassung das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung einer erneuten Überprüfung. Die Fragen, ob der Deutsche Bundestag seinen Aufgaben bei der Gesetzgebung und Kontrolle der Regierung in bestmöglicher Weise nachkommt und wie er an den Planungsarbeiten des Staates beteiligt werden kann, werden nicht nur hier, sondern auch in der interessierten Öffentlichkeit gestellt. Mit dieser Frage hat sich erst dieser Tage die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft unter Vorsitz unseres Kollegen Dichgans beschäftigt. Wir wissen, daß in diesem Hause weitere Anträge im Stadium der Überlegung sind. Ein Antrag betreffend die Verstärkung der Befugnisse des Petitionsausschusses liegt diesem Hause bereits vor.
Fünftens. Auch der Aufbau und die Kompetenzverteilung innerhalb der Bundesregierung, soweit sie vom Grundgesetz fixiert ist, sollten nach unserer Auffassung überprüft werden. Hierzu gehören insbesondere die Frage der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bundeskanzler, den einzelnen Ressortministern und dem Kabinett sowie die Frage nach der Stellung und den Aufgaben der Parlamentarischen Staatssekretäre.
Sechstens. Die vorn Rechtsausschuß formulierte Fassung des Antrags beschränkt sich nicht darauf, einen bestimmten Problemkreis zu nennen, sondern formuliert als Auftrag für die Kommission, zu prüfen, ob und inwieweit es erforderlich ist, das Grundgesetz den gegenwärtigen und voraussehbaren zukünftigen Erfordernissen unter Wahrung seiner Grundprinzipien anzupassen. Über die Frage, in welcher Reihenfolge und in welcher Art und Weise diese Fragen geprüft werden sollen, sollte nach unserer Auffassung die Kommission nach ihrer Bildung selbst entscheiden.
Siebtens. Die Arbeitsergebnisse der Kommission werden von Bundesregierung, Bundestag und den Ländern zu würdigen sein. Der Rechtsausschuß schlägt deshalb eine gleich starke Besetzung auf der Seite des Bundestages und auf der Länderseite vor. Unter „Länderseite" verstehen wir nicht nur die Landesregierungen, sondern ebenso die Länderparlamente. Deshalb würden wir ihre Beteiligung auf
der Länderseite in der Kommission begrüßen. Die Ausschußvorlage enthält diese Möglichkeit. Es steht bei den Ländern, davon Gebrauch zu machen. Wir haben in diesem Zusammenhang mit Verwunderung davon Kenntnis genommen, daß die Ministerpräsidenten ihre Personalentscheidung in der Frage der Besetzung der Kommission bereits getroffen haben, bevor die Schlußberatung über den Antrag in diesem Hause stattgefunden hat. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Ministerpräsidenten diese ihre Entscheidung im Hinblick auf die Beteiligung der Länderparlamente noch einmal überprüften.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Achtens. Was von den Vorschlägen der Kommission Gesetz wird, entscheiden Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit. Wir sind also gegenseitig auf Zusammenarbeit angewiesen. Einen einstimmigen Beschluß über die Einsetzung der Kommission würden wir als ein gutes Vorzeichen betrachten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607024400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0607024500
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion darf ich folgendes erklären. Wir betrachten es als eine vordringliche Aufgabe des Parlaments, sich um die Frage der Weiterentwicklung unserer Verfassung selbst zu bemühen. Wir haben zwar davon Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung die Absicht bekundet hat, eine Kommission zur Untersuchung des Verhältnisses Bund/Länder einzusetzen. Wir sind aber mit Ihnen von der CDU/CSU der Auffassung, daß es vorrangig Aufgabe des Verfassungsgesetzgebers selbst ist, diese Frage zu prüfen. Und nur um die Prüfung geht es zunächst. Mit Herrn Kollegen Lenz sind wir vollkommen einig, daß man sich gerade in dieser Kommission, die eine so grundsätzliche Arbeit zu leisten hat, bewußt sein muß, daß im Endergebnis die Realisierung nur möglich ist, wenn die Zweidrittelmehrheit hier und im Bundesrat erreicht wird.
Wir stimmen darin überein, daß wir nicht eine Generalrevision des Grundgesetzes anstreben, sondern daß die Grundkonzeption des Grundgesetzes erhalten bleiben soll. Wir anerkennen in diesem Augenblick wohl alle übereinstimmend, daß die Väter des Grundgesetzes, daß der Parlamentarische Rat in jener Zeit unter schwierigsten Verhältnissen eine gute Arbeit geleistet hat, die aber nach 20 Jahren der Überprüfung bedarf. Sie bedarf der Überprüfung, weil 1948/49 nicht vorherzusehen war, wie die Anforderungen eines modernen Industriestaates an die einzelnen Ebenen sich entwickelten, Zu diesen Ebenen von damals — Gemeinde, Land und Bund — ist eine weitere Ebene hinzugekommen, die Ebene der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die sich, unserem allgemeinen politischen Wunsch entsprechend, wie eine neue bundesstaatliche Ordnung über diesen Bundesstaat schiebt.



Dr. Schäfer (Tübingen)

So stellt sich nach unserem Dafürhalten die Aufgabe so dar, daß wir uns durchaus im Sinne der Grundkonzeption des Grundgesetzes darüber verständigen sollen, daß wir prüfen, wie die Selbständigkeit, die Leistungsfähigkeit der gemeindlichen Selbstverwaltung, soweit das Grundgesetz hier mitzuwirken hat, erhalten wird, daß die gewaltenteilende Funktion des Föderalismus und die Wettbewerbssituation erhalten bleibt und abgerundet wird; aber nicht abrunden nach unten, sondern auch den gegenteiligen Weg prüfen, was unter Umständen gar nicht sinnvoll bei der Bundesregierung oder beim Bundestag ist, sondern dorthin gegeben werden kann.
Wir müssen aber ebensosehr realistisch sehen, daß sich über unsere Zuständigkeit die supranationale Zuständigkeit schiebt, die sogar in einigen Bereichen über den Bund hinweg unmittelbar Länderzuständigkeiten übernimmt und dadurch zu einer vollkommenen Verschiebung führt. Das ist eine sehr komplexe Bewegung. Hier ist nun sehr wichtig, daß in der Einsetzung der Enquete-Kommission wagemutig gesagt ist, daß man auch die zukünftigen Aufgaben erfassen solle, soweit sie sich irgendwie abzeichnen. Ich glaube, wir sind uns einig darüber; da wir alle die politische Integration Europas wollen, wollen wir auch Formulierungen finden, die das ermöglichen.
Ich hoffe, daß wir uns auch darüber einig sind, daß wir nicht eine Perfektionierung in der Formulierung von Vorschlägen suchen sollten. Die Perfektionierung hat bei. Abgrenzungen wohl ihre Aufgabe, aber sie kann außerordentlich hemmend wirken. Verfassungen sollen Wertprinzipien deutlich zum Ausdruck bringen und die Weiterentwicklung nicht erschweren. Wir kennen alle einige Punkte in unserem Verfassungssystem, die bei der gewissenhaften Auslegung, die das Bundesverfassungsgericht unserer Verfassung gegeben hat, auch zu Hemmnissen werden, so daß wir uns wohl alter Empfehlungen werden erinnern müssen, daß Verfassungen nicht perfektionistisch-kleinlich formuliert sein dürfen.
Herr Kollege Lenz hat darauf hingewiesen, daß diesem Bundestag bereits vier Grundgesetzänderungen vorliegen. Das ist — nach meiner Auffassung kein besonders angenehmer Zustand. Ich meine aber, daß wir uns auch darüber verständigen sollten, daß diese Grundgesetzänderungen verabschiedet werden müssen und daß man nicht warten kann, bis die Enquete-Kommission mit ihren Vorschlägen, die ein Gesamtkonzept darstellen sollen, diesem Hause ihren Gesamtbericht vorlegt, weil wir bei einer ganzen Anzahl von Fragen außerordentlich ins Gedränge kommen würden. Eine der schwierigen Aufgaben wird sein, das Verhältnis der Verfassungsorgane zueinander zu überprüfen. Ich brauche hier nicht zu wiederholen, was Herr Kollege Lenz gesagt hat. Wir sind übereinstimmender Auffassung.
Von besonderer Bedeutung ist für uns Sozialdemokraten, daß wir die Bestimmungen des Grundgesetzes, die sich mit der Dynamik der politisch tragenden Kräfte befassen, in ihrer Auswirkung überprüfen, daß wir uns Gedanken machen, ob der
erste Versuch des Artikels 21, um nur eine Bestimmung zu nennen, geglückt ist oder ob wir dort weitere Hilfen in die Richtung der Verselbständigung dieser politischen Kräfte geben sollen. „Verselbständigung" ist vielleicht beinahe etwas mißverständlich gesagt.
Es kommt uns als zweites darauf an, den Entwicklungsraum des einzelnen in dieser Verfassung zu überprüfen und hier zu Vorschlägen zu kommen.
Noch ein letztes Kapitel: die Frage der Finanzverfassung. Sie berührt alle Ebenen und wird zweifellos eine der wichtigen Aufgaben sein.
Nun zur Arbeitsmethode. Sie wissen, daß wir in unserem Antrag die Auffassung vertreten haben, zunächst das Kapital Fortentwicklung der bundesstaatlichen Ordnung zu prüfen. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es nützlich wäre, einen Vorabbericht über dieses Kapitel vorzulegen, und ich hoffe, daß man Ende nächsten Jahres in der Lage sein wird, das zu tun. Ich bin aber mit Ihnen einig, und deshalb haben wir nicht darauf bestanden. daß hier dann de facto zwei Kommissionen geschaffen würden. Wir sind mit Ihnen einig, daß sich die Kommission ihr Arbeitsprogramm selbst geben soll.
Ich meine auch, daß es richtig ist, wenn wir die Zahl der Sachverständigen in der Weise beschränken, wie es die Vorlage des Rechtsausschusses nun macht.
Abschließend darf ich sagen, daß die SPD-Fraktion diese Aufgabe als eine Gesamtaufgabe des Bundestages und des Bundesrats ansieht, daß sie der Auffassung ist, daß wir hier die uns zustehende Aufgabe selbst in die Hand nehmen müssen. Wir rechnen aber auch mit einer sehr guten und ausreichenden Unterstützung durch die Bundesregierung, die in der Gesamtarbeit nicht fehlen darf.

(Beifall auf allen Seiten.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607024600
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dorn.

Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0607024700
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Verfassungsreform, wie sie der Rechtsausschuß vorgeschlagen hat. Sie hat in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 selbst angekündigt, sie werde in dieser Legislaturperiode „ein Gremium schaffen, dem Politiker aus Bund, Ländern und Gemeinden, Verwaltungsbeamte und Wissenschaftler angehören" und das „Vorschläge zur Fortentwicklung der bundesstaatlichen Struktur ausarbeiten" solle. Damit hatte sie die Diskussion zu einem Thema fortführen und zu konkreten Ergebnissen führen wollen, mit dem sich schon der vergangene Deutsche Bundestag im Zusammenhang mit der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur Weiterentwicklung des föderativen Systems beschäftigt hatte, wie Herr Kollege Dr. Lenz es vorhin hier ausgeführt hat.



Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
Die Initiative der Bundesregierung ist durch die Initiativen aus der Mitte dieses Hauses zur Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Verfassungsreform überholt. Die Bundesregierung ist darüber aber nicht unglücklich. Es geht ihr um die Sache, darum, daß durch ein Gremium sachverständiger und verantwortlicher Persönlichkeiten geklärt wird, ob und inwieweit unser Grundgesetz den gegenwärtigen und sich für die Zukunft abzeichnenden Entwicklungen angepaßt werden sollte.
Diese Frage stellt sich uns allen, die wir im Parlament und in der Regierung Verantwortung tragen, immer wieder. Sie wird uns angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, zwischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten oft recht deutlich bewußt.
Daß sie nun im parlamentarischen Raum — und nicht in einer Kommission der Regierung — erörtert werden soll, unterstreicht nur die Dringlichkeit der Fragen, auf die eine Antwort gefunden werden muß.
Der Auftrag, den der Rechtsausschuß der EnqueteKommission zu erteilen vorschlägt, ist umfassend formuliert. Die Bundesregierung hatte den Auftrag an das von ihr vorgesehene Gremium auf die mit der Fortentwicklung der bundesstaatlichen Struktur zusammenhängenden Fragen konzentrieren wollen. Das Problem der Schaffung einer modernen, leistungsfähigen, den Anforderungen der 70er und der 80er Jahre dieses Jahrhunderts gerecht werdenden bundesstaatlichen Ordnung ist in der Tat besonders vordringlich. Die Finanzreform, deren Bedeutung von meinen beiden Vorrednern schon angesprochen worden ist und die der letzte Bundestag verabschiedet hat, die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion, aber auch die neu aufgeflammte Diskussion um eine Neugliederung des Bundesgebiets und die Einsetzung einer Neugliederungskommission aus Sachverständigen im Bundesministerium des Innern in der vergangenen Woche beweisen das noch einmal in aller Deutlichkeit.
Ich bin überzeugt, daß sich auch die EnqueteKommission, sobald sie ihre Arbeit aufgenommen hat, mit diesem Thema besonders vordringlich beschäftigen muß. Sie wird daneben sicher auch eine Reihe anderer Themen aufgreifen, möglicherweise auch das einer stärkeren Partizipation der Bürger in unserem System einer repräsentativen Demokratie.
Ich glaube, die Entscheidung darüber, welche Probleme mit welchem Ziel von ihr behandelt werden sollen, kann sich letztlich erst im Zug der Arbeit der Kommission selbst ergeben. Die Bundesregierung begrüßt es aber, daß eines schon bei der Formulierung des Auftrags an die Enquete-Kommission ganz klargemacht wird: An den Grundprinzipien des Grundgesetzes, an unserer verfassungsmäßigen Ordnung im eigentlichen Sinne soll nicht gerüttelt werden. Es geht bei der Fortentwicklung um eine Anpassung an die vom Wandel der Zeit diktierten Erfordernisse; aber es geht nicht darum, etwas völlig Neues zu erstellen. Die Grundrechte, die Gliederung des Bundes in Länder, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für politische Parteien sollen nicht in Frage gestellt werden.
Die Bundesregierung wird — unabhängig von aktuellen verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Entschlüssen, die sie selbstverständlich im Rahmen ihrer Zuständigkeit weiter zu treffen haben wird — die Arbeit der Enquete-Kommission in jeder von der Kommission gewünschten Weise unterstützen. Ich möchte aber doch zwei Punkte hervorheben, die mir dabei wesentlich erscheinen.
Die Bundesregierung wird der Enquete-Kommission einige qualifizierte Beamte zur Verfügung stellen, die ihr bei der Vorbereitung und Erarbeitung ihres Berichts behilflich sein sollen.
Die Bundesregierung hofft, der Enquete-Kommission auch ihre eigenen Vorstellungen über eine Reform des Grundgesetzes unterbreiten und so einen nützlichen und wertvollen Beitrag zur Arbeit der Kommission selbst leisten zu können.
Damit deute ich etwas an, was mir überhaupt entscheidend für eine erfolgreiche Arbeit der EnqueteKommission zu sein scheint. Diese Arbeit wird für die Zukunft unserer Vefassungsordnung von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein. Sie kann nur gelingen, wenn sie getragen ist von dem Geist der Verantwortung und der Zusammenarbeit aller, die sich für unseren Staat und seine rechtliche Grundordnung verantwortlich wissen. Daß diese Kommission im parlamentarischen Raum und in der vorgeschlagenen Zusammensetzung tätig werden soll, scheint mir die beste Gewähr dafür zu sein. Die Bundesregierung wartet auf die Ergebnisse, die uns hoffentlich in nicht allzu ferner Zeit vorliegen werden.

(Beifall auf allen Seiten.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607024800
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Rechtsausschusses seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Baukostenentwicklung und ihre Auswirkung auf den sozialen Wohnungsbau
- Drucksachen VI/1189, VI/1216 —
Das Wort hat Herr Abgeordneter Erpenbeck. Es ist eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607024900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es mußten schon ausgesprochene Optimisten sein, die auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion betreffend Baukostenentwicklung und ihre Auswirkung auf den sozialen Wohnungsbau von der Bundesregierung nun ein Rezept einer grundsätzlich und sachlich zu



Erpenbeck
rechtfertigenden Wohnungspolitik mit den der Sachlage angemessenen Vorschlägen und Maßnahmen erwarteten. Jeder wird Verständnis dafür aufbringen, daß wegen der durch die allgemeine Wirtschafts-, Konjunktur- und Preissituation gegebenen Schwierigkeiten eine allseits befriedigende Antwort nur sehr schwer zu geben ist. Kein Verständnis kann man allerdings dafür haben, daß mit so leichter Hand bzw. ausweichend Fragen beantwortet oder nicht beantwortet werden, die doch letztlich die große Sorge in der Wohnungswirtschaft und damit die Sorge von Millionen betroffenen Mietern, Vermietern, Wohnungsuchenden und auch Wohnungsbauenden zum Ausdruck bringen.
In der gestrigen Konjunkturdebatte ist die Gefahr einer Stagnation bei steigenden Preisen aufgezeigt worden. In der Wohnungswirtschaft und auf dem Baumarkt haben wir diesen Tatbestand bereits seit Monaten, meine Damen und Herren. Um so bedauerlicher ist es, daß die Regierung, statt in ihrer Antwort die tatsächlichen Verhältnisse offenzulegen, zu Verschleierungen, Verniedlichungen und Ausflüchten ihre Zuflucht nimmt. Damit wird der Eindruck verstärkt, daß diese Bundesregierung nicht nur eine äußerst fragwürdige Konjunktur- und Preispolitik zu verantworten hat, sondern auch speziell im Bereich der Bau- und Wohnungswirtschaft miserabel operiert und sich damit der Situation und ihren Notwendigkeiten als nicht gewachsen erweist.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß das selbstverständlich den Widerspruch des Herrn Ministers für Städtebau und Wohnungswesen herausfordert. Ich lehne dabei prinzipiell eine Kollektivhaftung ab und bin bereit zu differenzieren, und zwar dergestalt zu differenzieren, daß ich anerkenne, daß die Hauptursachen der Misere in der verfehlten Konjunkturpolitik liegen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Sehr wahr!)

Insofern sind Sie, Herr Minister Lauritzen, sicher nicht gerade in einer beneidenswerten Lage. Auf der Suche nach einem Schuldigen aber sollten Sie, nachdem Sie nun bereits vier Jahre im Amt sind, nicht versuchen, sich auf angebliche Versäumnisse und Fehler eines Amtsvorgängers zu berufen,

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen])

sondern besser — nach unserer Meinung auch durchaus zu Recht — Ihre Kollegen Professor Schiller, Dr. Möller und auch Ihren Kabinettschef als Verantwortliche für den Kurs der Wirtschafts- und Finanzpolitik und der allgemeinen Politik, wenn Sie es benötigen, als Schutzschild für sich verwenden.
Wir haben gar nichts gegen eine gründliche Fehlersuche; denn unter allen menschlichen Entdeckungen sollte die Entdeckung der Fehler die wichtigste sein. Nun darf man bei der Fehlersuche sich selbst nicht ausnehmen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich wiederhole, wir haben es heute mit der miserabelsten Wohnungspolitik der letzten zwei Jahrzehnte zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Wie könnte es sonst sein, meine Damen und Herren, daß der soziale Wohnungsbau von 40 und mehr Prozent Anteil am gesamten Wohnungsbauvolumen in der Amtszeit Minister Lückes auf 30 und weniger Prozent Anteil in der Amtszeit von Herrn Minister Lauritzen zurückgegangen ist? Dabei ist anzumerken, daß diese Tatsache um so schwerer wiegt, als auch das Gesamtvolumen des Wohnungsbaus wesentlich niedriger liegt als zuvor.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607025000
Herr Kollege Erpenbeck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung?

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607025100
Bitte sehr!

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0607025200
Herr Kollege Erpenbeck, ist Ihnen bekannt, daß der Anteil des sozialen Wohnungsbaus am Wohnungsbauvolumen nicht, wie Sie soeben sagten, 30 %, sondern 40,8 % beträgt?

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607025300
Ich werde Ihnen die Zahlen noch vorlegen.

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0607025400
Ich werde sie Ihnen nachher insgesamt vorlegen.

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607025500
Ich gebe sie Ihnen insgesamt.
Wo die Versäumnisse liegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, läßt sich — und damit komme ich zur Antwort auf die Frage des Kollegen Jung — eindeutig an Zahlen ablesen, und diese sehen so aus, Herr Kollege Jung. Von 1962 bis 1965 wurden insgesamt 2 358 700 neue Wohnungen erbaut, davon im sozialen Wohnungsbau 948 400 Wohnungen. Im gleichen Zeitraum, der Amtszeit von Herrn Minister Lauritzen, 1967 bis zum Ende dieses Jahres, werden unter der Voraussetzung, daß die Zahlenangaben aus dem Wohnungsbauministerium zutreffen, insgesamt rund 2 Millionen neuer Wohnungen gebaut sein, davon rund 600 000 öffentlich geförderte Sozialwohnungen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607025600
Herr Kollege Erpenbeck, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Meermann?

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0607025700
Herr Kollege Erpenbeck, wären Sie, da Sie ja alle Zahlen so genau zur Hand haben, auch bereit, einmal darzutun, wie Sie das Verdienst aufteilen auf die Förderung durch Bund und Länder, zumal in den letzten Jahren der CDU-Kanzlerschaft?

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607025800
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frage von Frau Kollegin Meermann ist sehr leicht dahin gehend zu beantworten, daß es in gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Land gelungen ist, eine Wohnungsbau-



Erpenbeck
zahl zu erreichen, wie sie heute schon gar nicht und auch vordem nicht möglich gewesen ist.

(Abg. Dr. Schäfer Degression, die sie beschlossen haben!)

— Ich komme noch auf die Degression. Ich bedanke mich für diesen Zwischenruf.
Wenn Sie heute die Degression der Mittel für den Wohnungsbau nach den Bestimmungen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, also vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1966 beklagen

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Halten Sie es noch für richtig? Nicht ausweichen!)

- ich weiche Ihnen nicht aus; ich gebe Ihnen eine
Antwort —, können Sie doch nicht daran vorbeigehen, daß gerade in dieser Zeit die höchste Zahl fertiggestellter und geförderter Wohnungen erreicht werden konnte, aber natürlich nur deswegen, weil es eine gesunde Wirtschaftspolitik und damit gleichzeitig einen funktionierenden Kapital- und Kreditmarkt gab

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Sehr wahr!)

und weil — und das ist das Entscheidende, meine Damen und Herren —, das Vertrauen der Bürger in die Wirtschaftspolitik vorhanden war und dadurch ihre Eigeninitiative in einem Maß aktivert wurde, das zu unserer aller Nutzen war.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, das sollten wir uns sehr wohl einmal ins Gedächtnis rufen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607025900
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607026000
Bitte schön, Herr Dr. Schäfer!

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0607026100
Herr Kollege, wie erklären Sie es sich — offensichtlich verteidigen Sie die Degression nach wie vor —, daß es eine der ersten Bemühungen der Großen Koalition im Jahre 1966 war, vom Nullpunkt wieder wegzukommen?

(Zurufe von der CDU/CSU: Nullpunkt?)


Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607026200
Herr Kollege Dr. Schäfer, der Herr Minister oder auch die Sprecher der Koalition werden ja aller Wahrscheinlichkeit nach gleich noch hier darstellen, wie viele Wohnungen in den Jahren von 1966 bzw. nach Eintritt in die Große Koalition ab 1967 bis heute neu erstellt worden sind.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Weil Sie keine Mittel mehr gaben!)

Wenn Sie diese Zahlen hören, werden Sie auch nicht feststellen, daß wir an diese Zahlen von einem Nullpunkt her herankommen konnten, sondern nur dadurch,

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Daß sie unter Null waren!)

daß wir in diesen Jahren — nicht mit Ihren Mitteln, sondern mit den vorhandenen Mitteln — noch über 200 000 Sozialwohnungen bauen konnten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607026300
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0607026400
Herr Kollege Erpenbeck, wollen Sie dem Kollegen Schäfer, wenn er vom Nullpunkt spricht, nicht mitteilen, daß im Jahre 1966 604 000 Wohneinheiten fertig wurden, im Jahre 1967 572 000 und im Jahre 1969 nicht einmal 500 000 Wohneinheiten? Wo ist also da der Nullpunkt?

(Zuruf von der CDU/CSU: Bei Herrn Schäfer!)


Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607026500
Herr Kollege Müller, ich bin gern bereit, diese Zahlen, die Sie gerade nannten, zu bestätigen. Da ich hier die Antwort, die auf eine Ihrer Fragen vom Ministerium gegeben worden ist, zur Hand habe, darf ich Ihnen die genauen Zahlen verlesen: 1966 — also der Nullpunkt — 604 799 Wohnungen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Lauter Nullen!)

Wenn das Null ist, Herr Kollege Dr. Schäfer, weiß ich nicht, auf welcher Basis Sie hier überhaupt noch argumentieren.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607026600
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607026700
Darf ich eben die Zahlen weiter verlesen.

(Abg. Schäfer [Tübingen]: Vielleicht können Sie gleich die richtigen Zahlen nennen und nicht die falschen!)

1967 waren es 572 301 fertiggestellte neue Wohnungen, 1968 waren es 519 854, und 1969 waren es 499 696.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.Zuruf von der CDU/CSU: Nullpunkt!)

Wenn hier irgendwo ein Bruch ist, Herr Kollege Dr. Schäfer, dann doch sicher nicht im Jahre 1966, sondern frühestens im Jahre 1969.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607026800
Herr Kollege Erpenbeck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Schäfer?

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0607026900
Herr Kollege, haben Sie die Freundlichkeit, diese Zahlen zu ergänzen durch die Mitteilung, wieviel Geld der Bund in den Jahren 1965 bis 1969 für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt hat?

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607027000
Herr Kollege Dr. Schäfer, ich bin gerne bereit, Ihnen das mitzuteilen. Ich habe hier schon genug Akten bei mir. Ich will aber



Erpenbeck
keine falsche Zahl nennen, da ich auch soeben schon die genauen Zahlen gegeben habe. Ich bin deshalb gerne bereit, das gleich nachzuholen, wenn ich meine Akten vervollständigt habe.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607027100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung?

Kurt Jung (FDP):
Rede ID: ID0607027200
Herr Kollege Erpenbeck, stimmen Sie mir in der Feststellung zu, daß Sie und Ihre Fraktion bis zum September 1969, also bis zu diesem Tiefpunkt, den Sie soeben aufzeigten, die Regierungsverantwortung hatten und damit für den Rückgang des Wohnungsbaus mitverantwortlich waren?

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607027300
Herr Kollege Jung, Sie haben es anscheinend noch immer nicht verwunden, daß Sie einige Jahre in der Opposition waren, von 1966 bis 1969, und wollen auch heute noch einmal daran erinnern.

(Zurufe von den Regierungsparteien: Billig!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607027400
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott?

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607027500
Das wäre dann aber zunächst die letzte.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607027600
Das ist die letzte,

(Abg. Erpenbeck: Zunächst!)

darf ich das dem Hause sagen. Bitte schön!

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607027700
Herr Kollege Erpenbeck, würden Sie mir angesichts der Ausführungen des Herrn Kollegen Schäfer beipflichten, wenn ich behaupte, daß viel mehr Wohnungen im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau hätten hergestellt werden können, wenn gewisse große gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, darunter auch die der SPD-Fraktion sehr nahestehende Neue Heimat, mit etwas mehr Eigenkapital und weniger öffentlichen Mitteln die öffentlich geförderten Wohnungen finanziert hätten?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Geistvoller Beitrag!)


Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607027800
Herr Kollege Ott, ich darf es mir ersparen, Ihnen zu antworten! Denn ich möchte Ihnen nicht den Beifall nehmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der schrittweise Abbau einer jahrzehntelangen Wohnungszwangswirtschaft — das ist ja Ihr nächstes Argument - mit der gleichlaufenden Einführung eines sozialen Wohn- und Mietrechtes, wie es seinesgleichen in der Welt sucht,

(Zuruf von der SPD: Der größte Fortschritt aller Zeiten!)

hat in diesem Land zu einem Wohnungsbau geführt, der in der Welt beachtet und vielfach bewundert wird. Meine Damen und Herren, damit ist der Name Paul Lücke verbunden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die heutige Baukostensituation ist nicht das Ergebnis von Versäumnissen und Fehlleistungen der Jahre vor 1965. Der Oktober 1965 war der Zeitpunkt, in dem Herr Lücke das Ministerium für Wohnungswesen abgab.

(Abg. Frau Meermann: Ab 1965 haben Sie nicht mehr regiert, daran erinnere ich mich genau!)

— Ich beziehe mich auf Ihre Argumentation und habe nicht Stellung genommen zu der Zeit, in der die CDU regiert hat. Man weiß im deutschen Volk sowieso, daß das bis 1969 war.

(Zurufe von der SPD: Das weiß man! — Man merkt es auch!)

Wer diese Argumentation auch heute noch aufrechterhält, handelt doch wider besseres Wissen, oder er hat es versäumt, sich an den Zahlen und Fakten zu orientieren, und beides, meine Damen und Herren, ist gleich schlimm.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Ihre Selbstgerechtigkeit ist bewundernswert!)

Die derzeitige Regierung und niemand anders hat die Misere in der Wohnungswirtschaft der heutigen Tage zu verantworten. Wenn ich auch sehr viel Verständnis für die Nervosität, die Sie auch hier heute demonstrieren, habe, ist doch die Taktik des Ablenkens durch unhaltbare Unterstellungen,

(Zuruf von der SPD: Wer lenkt denn hier ab?)

wie sie auch in der Etatrede des Herrn Finanzministers und in den Äußerungen des stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion, des Herrn Dr. Apel, in der gestrigen Debatte gemacht wurden, aufs Schärfste abzulehnen. Aber gerade das kennzeichnet ja die schwache Position der Bundesregierung, die auch in der schriftlichen Antwort zum Ausdruck kommt. Statt konkrete Maßnahmen zur Eindämmung der Kosten auf dem Bausektor und zur Sicherung eines ausreichenden sozialen Wohnungsbaus zu ergreifen, weicht sie auf Fehlinterpretationen aus. Hier und heute ist aber über die bisher nicht erlebte Baukostenexplosion und ihre negativen Auswirkungen auf den Wohnungsbau im allgemeinen und den sozialen Wohnungsbau im besonderen zu sprechen.

(Abg. Henke: Können Sie die konkreten Maßnahmen mal nennen?)

— Gerade die konkreten Maßnahmen sollten ja genannt werden.

(Zuruf von der SPD: Dann tun Sie das mal!)

Die Darstellung der konkreten Maßnahmen vermissen wir in der schriftlichen Antwort

(Zustimmung bei der CDU/CSU)




Erpenbeck
genauso wie in der öffentlichen Diskussion, die von der SPD-Fraktion und von dieser Bundesregierung draußen hinsichtlich dieser Frage geführt wird.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Geschwafel!)

Entgegen den Verheißungen in der Antwort auf unsere Große Anfrage vom 25. März 1970 — die Antwort wurde am 30. April 1970 gegeben und findet sich in Drucksache VI/716 -, daß nach den Feststellungen der amtlichen Statistik die Wohnungsbaupreise von Februar 1969 bis Februar 1970 um rund 15 % gestiegen seien und daß sich der Baupreisanstieg in den daran anschließenden 12 Monaten zunehmend abschwächen werde, ist der Preisindex für Bauleistungen an Wohngebäuden weiterhin gestiegen. Er stieg von August 1969 bis August 1970 um 16,9 %. Hierbei handelt es sich aber nur um eine Durchschnittszahl. Herr Minister Lauritzen hat in seinen amtlichen Pressemitteilungen vom 27. August selbst angegeben, daß die Baupreissteigerungen - über die durchschnittliche Steigerung hinausgehend — bis zu 40 % betragen. Das können Sie in den Mitteilungen des Bundesministeriums für Städtebau und Wohnungswesen vom 27. August 1970 nachlesen.
Es bleibt also festzustellen, daß trotz der damaligen beschwichtigenden Erklärungen noch keineswegs ein Stopp der Kostensteigerungen auf dem Bausektor erreicht worden ist. Diese Tatsache in der schriftlichen Antwort nun mit den Ergebnissen des Ifo-Konjunkturtestes über die Baupreiserwartungen der Firmen in den nächsten drei Monaten kaschieren zu wollen, mutet doch außerordentlich seltsam an. Wir alle erwarten — wer von uns täte das nicht? — aus verständlichen Gründen eine Verbesserung der konjunkturellen Situation, weil sie dringend notwendig ist. Meine Damen und Herren, von Erwartungen ist aber noch niemals eine konkrete Preisberuhigung ausgegangen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ist richtig!)

Die Preise werden immer noch durch die Kosten bestimmt. Gerade deshalb haben wir die Frage nach den konkreten Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der noch ständig steigenden Bau- und Finanzierungskosten auf dem Wohnungsmarkt gestellt, Herr Kollege Henke.

(Zuruf von der SPD: Und der Bodenpreise!)

In der schriftlichen Antwort wird aber auch darüber nichts gesagt.
Auf die angekündigten Initiativen des interministeriellen Arbeitsausschusses in Richtung auf eine Begrenzung des Mietanstiegs, die im Ergebnis bisher nur eine verbale Gesetzeskosmetik auf dem Gebiet des Miet- und Strafrechts erwarten lassen, gibt auch die schriftliche Antwort keinerlei konkreten Hinweis. Von echten Maßnahmen zur Verbesserung oder Beruhigung der Kostensituation ist nicht die Rede. Wenn die Bundesregierung meint, daß das Auf und Ab der Finanzierungskosten auf dem freien Kapitalmarkt für die Wohnungsbaufinanzierung, für die Schaffung von Eigentum mit Hilfe der Bausparfinanzierung unerheblich sei, meine Damen und
Herren, dann müssen wir hier sagen, daß es sehr erheblich ist, wenn heute mit Bausparmitteln nur noch zirka 70 % der Bauleistung erzielt werden kann, die noch vor Jahresfrist hätte erzielt werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Tatsache hat ja heute morgen in der Diskussion bereits eine Rolle gespielt, und wir sollten es nicht und auch Sie, Herr Minister, sollten es nicht auf die leichte Schulter nehmen, wenn ein großer Teil in der Regel nicht sehr vermögender Bausparer wegen der schlechten Politik dieser Regierung einen Wertverlust bis zu 30 % ihrer sauer ersparten Gelder hinnehmen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im weiteren Verlauf Ihrer Antwort auf unsere Fragen 3 und 4 heben Sie auf das von Ihnen beabsichtigte langfristige Wohnungsbauprogramm im Laufe der nächsten fünf Jahre ab. Danach wollen Sie jährlich 100 000 Sozialwohnungen mehr bauen. Der Soziale Wohnungsbau soll in den kommenden Jahren also auf eine Förderungszahl von 250 000 Wohnungen gesteigert werden, wie wir sie schon in früheren Jahren hatten. Das klingt gut und könnte an sich sehr begrüßt werden. Wir müssen aber doch die Frage stellen und sie auch beantwortet haben, wo die Förderungsmittel für die zusätzlichen 100 000 Sozialwohnungen herkommen sollen. In der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes vom 13. September 1970 Drucksache VI/1101 — sind folgende Bundesmittel für das langfristige Wohnungsbauprogramm vorgesehen: 1971 172,5 Millionen, 1972 448 Millionen, 1973 502,4 Millionen und 1974 550,6 Millionen DM, insgesamt also nicht ganz 1,7 Milliarden DM für vier Jahre. Dieser Betrag reicht — so bitter das ist; aber wir können uns doch nicht selbst Sand in die Augen streuen — noch nicht einmal aus, um den sozialen Wohnungsbau und seine Mieten auf dem Stand von 1969 zu halten.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: So ist es!)

Der Rheinische Verband gemeinnütziger Wohnungsunternehmungen hat vor wenigen Monaten eine Repräsentativerhebung über die Baukostensteigerung und den zusätzlichen Subventionsbedarf für den sozialen Wohnungsbau durchgeführt. Die am 24. Juli veröffentlichte Umfrage hat ergeben, daß infolge Baukostensteigerung für eine 75 qm große Sozialwohnung ein zusätzlicher Bedarf —über die bisherigen Förderungsbestimmungen und -maßnahmen im Lande Nordrhein-Westfalen hinaus — von über 20 000 DM an zinslosen öffentlichen Mitteln erforderlich ist, wenn die Mieten auf dem bisherigen Stand gehalten werden sollen. Legt man diese Zahlen zugrunde, so ergibt sich doch für die Förderung von rund 130 000 Sozialwohnungen -
das ist nämlich das Förderungsvolumen 1969 — ein zusätzlicher Mittelbedarf von 2 bis 3 Milliarden DM. Die für das langfristige Wohnungsbauprogramm in Aussicht gestellten zusätzlichen Mittel werden also für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in seiner bisher niedrigsten Größenordnung völlig verbraucht.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Da fehlen die Zwischenrufe!)




Erpenbeck
Nun haben Sie darauf hingewiesen, daß auch die Länder — das steht in der Antwort auf die Große Anfrage expressis verbis — mit erheblichen Ergänzungsmitteln beitreten müßten. Aber Sie wissen doch ganz genau, Herr Minister, daß bei der Konferenz am 10. September dieses Jahres in Ihrem Hause die Länderminister unter Führung des nordrhein-westfälischen Innenministers Weyer kategorisch erklärt haben, daß sie nicht bereit seien, auch nur einen Pfennig mehr für den sozialen Wohnungsbau herzugeben als im vergangenen Jahr.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Und aus dem Bulletin vom 6. Oktober 1970 geht hervor, daß die Gesamtleistungen der Länder für den Wohnungsbau 1969 gegenüber dem Vorjahr um 15,2 % — das sind 551 Millionen DM — zurückgegangen sind. Dann, meine Damen und Herren, zu sagen, das langfristige Wohnungsbauprogramm werde natürlich nur durchgeführt werden können, wenn die Länder mit erheblichen Ergänzungsanteilen eintreten, ist zumindest, meine ich, uns gegenüber eine nicht klare und vollständige Darstellung der Situation, in der wir heute stehen — um es nicht anders auszudrücken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im Wissen um diese Tatsachen sind die Ankündigungen zwar ein möglicher Wunschtraum, objektiv aber doch ein Ablenkungsmanöver.

(Sehr richtig! hei der CDU/CSU.)

Auch die Ankündigung eines Sozialprogramms mit zusätzlich 50 000 Wohnungen jährlich, für das jährlich 250 Millionen DM bereitgestellt werden sollen, erweist sich als eine Fata Morgana. Die Tatsachen sehen so aus, daß zur Zeit — nach Auskunft der Wohnungsbaukreditanstalt Schleswig-Holstein — die Gesamtkosten einer 60 qm großen Wohnung 66 500 DM betragen und daß dafür zur Erzielung einer Finanzierungsmiete von 4,70 DM — 3,70 DM Kostenmiete plus 1 DM Aufwendungszuschuß — ein Kapital an öffentlichen Mitteln von 30 000 DM zur Verfügung gestellt werden muß. Wenn der Bund mit den genannten 250 Millionen DM 50 000 Wohnungen im Sozialprogramm fördern will, entfallen auf eine Wohnungseinheit von seiten des Bundes ganze 5000 DM.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Das würde doch, wenn man es zunächst einmal so hinnimmt, wie es geschrieben ist und gesagt wird, bedeuten, daß die übrigen 25 000 DM von den Ländern aufgebracht werden müssen. Das heißt also, daß der Bund für dieses sogenannte Sozialprogramm nur ein Sechstel der benötigten öffentlichen Mittel zur Verfügung stellen kann.

(Zurufe von der SPD.)

Was das nach der Erklärung der Landesminister bedeutet, ist klar. Das Sozialprogramm wäre demnach nicht realisierbar.
In einem angekündigten Regionalprogramm —das ist ja ein weiterer Punkt im langfristigen Wohnungsbauprogramm — soll eine Verbilligung der Mieten oder Lasten um feste Beträge vorgenommen werden, wobei, wie uns gesagt wird, an eine Verbilligung um 2,70 DM pro Quadratmeter Wohnfläche gedacht ist. Hier erhebt sich doch die Frage, wie hoch nach Auffassung der Bundesregierung die Kostenmiete steigen darf, wenn überhaupt noch eine tragbare Miethöhe gegeben sein soll.
Durch die ständigen Kostensteigerungen haben wir im sozialen Wohnungsbau bereits Miethöhen von über 4 und gar von 5 DM erreicht. Ich nehme sicher an, daß die Kollegen aus Hamburg und anderen Bereichen diese Zahl bestätigen werden.

(Zuruf von der SPD: Ja, da ist die Frage: wer ist schuld? Das ging ja nicht über Nacht!)

Das sind Miethöhen, die doch beim besten Willen die Bezeichnung „sozialer Wohnungsbau" nicht mehr rechtfertigen.

(Zuruf von der SPD: Alles durch Lücke!)

Meine Damen und Herren, es bleibt festzustellen: nicht nur eine Verstärkung des sozialen Wohnungsbaus ist höchst fraglich und bleibt finanziell ungedeckt, sondern es ist sogar zu befürchten, daß selbst bei der angekündigten Mittelerhöhung das bisherige Volumen öffentlich geförderter Wohnungen für die nächsten Jahre nicht sichergestellt werden kann.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607027900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke?

Dr. Wolfgang Rutschke (FDP):
Rede ID: ID0607028000
Herr Kollege Erpenbeck, würden Sie so freundlich sein, mir zu sagen, in welcher Höhe die CDU eine zusätzliche Einstellung von Mitteln in den Haushalt beantragen würde,

(Zuruf von der SPD: Jawohl!) um das, was Sie fordern,


(Abg. Baier: Das ist aber gescheit!) konjunkturgerecht zu erledigen?


(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607028100
Meine Damen und Herren, wir haben gestern, aber auch schon bei der ersten Lesung des Haushalts und heute morgen wieder deutlich gemacht, daß der Haushaltsplan so, wie er uns vorgelegt worden ist, nicht unsere Zustimmung erhalten kann und es einfach nicht möglich ist, mit den finanziellen Problemen fertig zu werden, wenn wir nicht Prioritäten setzen.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch keine Antwort! — Weitere Zurufe von der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607028200
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?

Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0607028300
Herr Kollege Erpenbeck, würden Sie vielleicht Herrn Rutschke sagen, daß Sie nicht gefordert haben, mehr Mittel bereitzustellen,



Leicht
sondern daß Sie sich mil den Illusionen, die die
Regierung unserem Volk vormacht, befaßt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607028400
Herr Kollege Leicht, ich bin Ihnen sehr dankbar. Ich hatte allerdings vorausgesetzt, daß das, was ich gesagt habe — ich meine mich klar ausgedrückt zu haben —, auch durchaus so verstanden werden konnte.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607028500
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wurbs?

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607028600
Bitte sehr, Herr Wurbs!

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0607028700
Herr Kollege Erpenbeck, geben Sie zu, daß die Opposition argumentiert hat, sie werde den Haushalt ablehnen, weil er nicht konjunkturgerecht, weil er zu hoch sei? Sie haben soeben gesagt, Sie könnten dem Haushalt nicht Ihre Zustimmung geben, weil die für den Wohnungsbau benötigten Mittel nicht entsprechend berücksichtigt worden seien.

(Lebhafte Zurufe von der CDU; CSU.)


Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607028800
Herr Kollege Wurbs, ich kenne Sie lange genug, um zu wissen, daß Sie sonst ein durchaus guter Zuhörer sind. Daß ich das, was Sie jetzt in Ihrer Frage behauptet haben, nicht gesagt habe, werden Sie mir ohne weiteres zugeben.

(Zuruf des Abg. Mattick.)

Ich habe nicht zu der Frage Stellung genommen, warum wir diesem Haushalt nicht zustimmen, sondern habe gesagt: Wir stimmen ihm nicht zu, und zwar aus konjunkturellen Gründen. Wenn man ihm aber schon aus konjunkturellen Gründen nicht zustimmen kann, ist unsere Verantwortung dafür, daß die Prioritäten richtig gesetzt werden, um so größer.

(Beifall bei der CDU/CSU.— Zurufe von den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607028900
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Junghans?

Hans-Jürgen Junghans (SPD):
Rede ID: ID0607029000
Herr Kollege Erpenbeck, sind Sie bereit, in diesem Zusammenhang die Prioritäten, die Sie setzen wollen, zu nennen?

(Zuruf von der SPD: Endlich mal zu nennen!)


Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607029100
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde am Schluß meiner Ausführungen deutlich machen, welche Priorität ich dem Wohnungsbau zumesse. Das ist das Thema der Debatte, die wir hier und heute zu führen haben.

(Weitere Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, zur Zeit ist trotz der Kostenerhöhung eine unverkennbare Zunahme im Eigenheim- und Eigentumswohnungsbau zu verzeichnen. Das macht in besonderem Maße die Sorge der Bauherren um einen weiteren Preisverfall deutlich. Hier sollte die Bundesregierung aus der Not eine Tugend machen und dafür Sorge tragen, daß den Bauwilligen, die unter größten finanziellen Opfern Wohnungen bauen, entsprechende Hilfe gegeben wird.

(Abg. Dr. Rutschke: Woher?)

- Herr Wurbs, auf Ihre Frage „Woher?" darf ich Ihnen sagen - -

(Abg. Wurbs: Das war ich nicht! Jetzt haben Sie nicht zugehört!)

— Ich glaubte, Ihre Stimme gehört zu haben. Entschuldigen Sie bitte!
Meine Damen und Herren, Konkretes läßt sich in der Antwort der Bundesregierung nicht entdecken. Seit Monaten werden die Schlachten auf Rand- und Nebenkriegsschauplätzen geschlagen.

(Zurufe von der SPD: Sehr richtig! Genau! Wer zwingt uns denn dazu?)

— Damit geben Sie zu, daß Sie sich auf Nebenkriegsschauplätzen bewegen.

(Abg. Frau Meermann: Die sollen wir Ihnen wohl allein überlassen?!)

Es ist einfach nicht wahr, daß die Kosten- und Preissituation der Uneinsichtigkeit wucherischer Vermieter, einer Vielzahl gewinnsüchtiger Spekulanten und überzogener Profitgier der Bauunternehmer anzulasten ist. Kein verantwortlicher Bürger, kein Mitglied dieses Hauses wird Ausuferungen, Übertreibungen und offensichtliche Straftatbestände rechtfertigen. Bei tatsächlichen Verstößen muß selbstverständlich mit aller Schärfe des Gesetzes eingegriffen werden. Aber das setzt doch nicht die Binsenwahrheit außer Kraft, daß Kosten einfach zu bezahlen sind: vom Mieter, vom Vermieter, vom Bauherrn, vom Unternehmer oder von der öffentlichen Hand. Meine Damen und Herren, da kann sich nicht einfach der eine auf Kosten des anderen herauslügen wollen. Deswegen ist es auch unseriös, ungerecht und unentschuldbar, wenn in der Öffentlichkeit eine einzelne Gruppe verteufelt wird, obwohl sie genausowenig auf die Kostenentwicklung Einfluß nehmen kann wie eine andere Gruppe.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier erhebe ich den Vorwurf gegenüber der Bundesregierung, daß sie tatenlos zusieht und die emotionell aufgeladenen Beschuldigungen dadurch verstärkt, daß sie den Eindruck erweckt, als seien die Mieten die Ursache der Misere. Die Mieten sind nicht Ursache, sondern Folge.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Von Lücke!)

Folge der ständig gestiegenen und noch steigenden Kosten. Aber in der Beurteilung von Ursache und Wirkung war diese Regierung bisher kein Meister, und auf die Zwischenrufe eben muß ich sagen, offenbar auch nicht die Fraktionen der Koalition. Wie könnte es sonst sein, daß ein interministerieller Arbeitskreis zur Begrenzung des Mietanstiegs ge-



Erpenbeck
bildet wurde, der einige Wortumstellungen im allgemeinen und. Wirtschaftsstrafrecht als Ergebnis melden konnte. Dabei entspricht doch der Mietanstieg dieses Jahres — ich darf mich auf Zahlen des Bundesministeriums für Städtebau und Wohnungswesen berufen — den gestiegenen Lebenshaltungskosten mit 4 % und einigen Zehntelpunkten darüber, während wir aber einen Baukostenanstieg von durchschnittlich 17 % verzeichnen. Wo sind da die konkreten Ergebnisse und Maßnahmen?
Sie sagen immer, daß früher, bis 1965, Fehler und Versäumnisse vorgekommen seien. Wir behaupten, daß früher, zumindest unter Paul Lücke, eine gewaltige positive Entwicklung in der Wohnungswirtschaft vorhanden war und unter widrigen Verhältnissen Erstaunliches geleistet wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Heute stellen wir auf diesem Gebiet bei Ihnen eine erstaunliche Einfallslosigkeit fest.

(Beifall bei der CDU/CSU.— Zurufe von der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607029200
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Meermann?

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0607029300
Herr Erpenbeck, würden Sie trotzdem konzedieren, daß, wenn die Bundesregierung und dieses Haus sich demnächst mit Maßnahmen zum besseren Schutz der Mieter in ihren Wohnungen und zu vernünftigeren Mieten im Einzelfall ich spreche nur vom Einzelfall — befassen müssen, das auf eine Gesetzgebung zurückgeht, die nicht wir zu verantworten haben?

(Zurufe von der CDU/CSU.)


Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607029400
Liebe Frau Kollegin Meermann, ich habe vorher schon einmal gesagt, wir haben durch die Initiativen der Regierungen unter Führung der CDU/CSU und hinsichtlich der Wohnungsbaupolitik bis 1965 unter Führung des Herrn Kollegen Lücke ein soziales Miet- und Wohnrecht geschaffen, das in der Welt seinesgleichen sucht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn es um den ausreichenden Schutz der Mieter geht — ich möchte sagen, wenn es um den ausreichenden Schutz all derer geht, die des Schutzes bedürfen —, dann wird diese CDU/CSU-Fraktion ihre Möglichkeiten auch innerhalb der Opposition voll einsetzen; denn darin werden wir uns sicherlich nicht von Ihnen übertreffen lassen.

(Zurufe von der SPD.)

Nur ist die Frage, ob das, was Sie dazu bislang an Vorstellungen entwickelt haben, in jeder Weise sachdienlich oder sachgerecht ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Wir werden Sie daran erinnern! — Abg. Frau Meermann: Darin lassen wir uns gern übertreffen!)

Meine Damen und Herren, es ist vorher schon durch einige Zwischenrufe von Ihnen gesagt bzw. angedeutet worden: wo bleibt die Alternative der CDU/CSU in der Wohnungsbaupolitik?
Dazu lassen Sie mich sagen, daß es die erste Aufgabe jeder Oppositionspartei ist — das wissen Sie aus langjähriger Erfahrung genauso gut oder vielleicht noch viel besser als wir —, wenn es schon keine Handlungen der Bundesregierung auf dem Gebiete der Wohnungspolitik „mangels Masse" kritisch zu beurteilen und zu kontrollieren gibt, wir sie zunächst einmal auf die Tatsachen stoßen, die von ihr zumindest dem Anschein nach übersehen oder falsch beurteilt werden.

(Zurufe von der SPD.)

— Ich bin sehr vorsichtig! — Ich werde alles gern hier an dieser Stelle und auch im Ausschuß und sonst draußen entgegennehmen, was an tatsächlichen konkreten Vorstellungen oder Maßnahmen von dieser Regierung für eine positive Entwicklung der Wohnungspolitik ins Auge gefaßt ist.
Auf die Alternative angesprochen, habe ich hier heute — verständlicherweise kann ich es nur kurz und knapp tun — folgendes zu sagen.
Erstens. Eine gesunde Wohnungswirtschaft ist nur erreichbar in einer stabilitätsorientierten Wirtschafts-, Konjunktur- und Finanzpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Tolle Erkenntnis!)

Dort zuallererst ist der Hebel anzusetzen. In der gestrigen Debatte ist das genügend verdeutlicht worden. Sie sollten doch wenigstens einen Augenblick darüber nachdenken, ob diese Darstellung nicht doch wohl richtig ist. Denn wenn Sie nicht von der Richtigkeit dieser Darstellung überzeugt sind, dann werden Sie nie zu einer vernünftigen und richtigen Wohnungspolitik kommen können.
Zweitens. Dem Wohnungsbau ist innerhalb der Rangliste ein höherer Stellenwert einzuräumen und im Rahmen der gesamten Baukapazität Vorrang zu geben. Dazu gehört eine bessere Koordinierung der öffentlichen Bautätigkeit in einer gemeinsamen Absprache zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, wobei bis zur Erreichung eines Gleichgewichts auf Teilmärkten des Wohnungsmarktes — ich betone ausdrücklich: Teilmärkten des Wohnungsmarktes — eine höhere Priorität für den Wohnungsbau Platz greifen muß.
Drittens: Eine Verstetigung der Bautätigkeit des Staates und der Privaten ist sicherzustellen, denn nur so bietet sich die Chance der Einführung industriellen Bauens und anderer Rationalisierungseffekte. Zu diesen Fragen wird ganz sicher gleich noch mein Kollege Mick einiges anzufügen haben.
Viertens: Die Eigeninitiative der Bürger muß durch vernünftige Anreize verstärkt werden. Dazu ist natürlich Vertrauen notwendig, Vertrauen zu einer stabilitätsbewußten Politik und der positiven Einstellung der Regierung zu Eigentum an Grund und Boden und Wohnung. Das heißt allerdings auch: die Bereitschaft der Regierung, neue Eigen-



Erpenbeck
tums- und Vermögensbildung auch in allen möglichen Wohn- und Rechtsformen zu fördern. Da wird ein klares Wort notwendig sein, ob diese Regierung in der Politik den Vorstellungen Raum geben will, die auf dem Saarbrücker Parteitag der Sozialdemokratischen Partei formuliert worden sind.

(Zurufe von der SPD.)

Fünftens. Die Blockierung mehrerer hunderttausend Sozialwohnungen durch Fehlbelegungen

(Abg. Frau Meermann meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— darf ich um einen kleinen Moment bitten, Frau Meermann — muß einer vernünftigen Lösung zugeführt werden, die dem derzeitigen Wohnungsinhaber die freie Wahl zwischen Verbleib in der Wohnung bei angemessener Zahlung eines Zusatzbetrages zur Sozialmiete oder Wechsel der Wohnung ermöglicht.
Wenn die Regierung und wir haben einiges
Verständnis dafür — schon keinen Mut zu solchen Maßnahmen hat, warum hat sie dann noch nichts unternommen, um zu einer inneren Umsetzung im sozialen Wohnungsbau zu kommen? Auf dem Gebiet der Wohnungen in Altbauten spielt sie immer wieder mit den Mitteln staatlicher Bewirtschaftung, hat aber noch nichts an Initiativen zur Harmonisierung im Bereich der Sozialwohnungen gezeigt.
Wenn dann hier immer wieder an dieser Stelle das Wort „Lücke-Plan" auftaucht, dann frage ich Sie, wo denn heute die Schwierigkeiten liegen: in den Kreisen, die zum Teil seit 1963 weiß sind — den über 500 Landkreisen und Stadtkreisen in der Bundesrepublik —, oder in den zwei Kreisen, die heute nicht mehr schwarz, sondern grau sind.

(Abg. Baier: Sehr richtig! — Zurufe von der SPD: Und warum? — Warum sind sie grau?)

Sechstens. Die Probleme der Wohnungswirtschaft lassen sich nur dann einigermaßen zufriedenstellend lösen, wenn es zu einem besseren partnerschaftlichen Verhältnis aller an der Wohnungswirtschaft Beteiligten kommt. Hier hätte die Regierung eine ihr zukommende Mittlerrolle längst übernehmen müssen und können. Wie ist es denn mit der schon lange im Gespräch befindlichen Schlichtungsstelle? Wie steht es mit der Ermutigung zur Einrichtung von Beratungsstellen der Fachverbände der Vermieter und Mieter?
Wohnungspolitik ist nun einmal angewandte Gesellschaftspolitik, und hier geht es unmittelbar um die Wohlfahrt der Familie und des einzelnen. Was die Verantwortung und die Verpflichtung ihnen gegenüber angeht, sollte sich niemand hier im Hause übertreffen lassen. Ich setze voraus, daß der gute Wille überall vorhanden ist. Diese Regierung sollte sich nun doch wirklich anstrengen und durch Taten beweisen, daß es ihr ernst ist mit den vielen großen Worten, und ablassen von Ablenkungsmanövern, von Verniedlichungen und Verschleierung. Die vor uns liegenden Monate und Jahre müssen eine Zeit des Bauens sein, des Bauens von menschen- und familiengerechten Wohnungen entsprechend dem tatsächlichen Bedarf und Bedürfnis. Dazu bedarf es der Mobilisierung aller verfügbaren Kräfte. Erfolg werden wir aber alle miteinander nur haben, wenn wir auf den Weg vernünftiger stabilitätsorientierter Politik zurückfinden. Damit die Regierung diesen Weg ansteuern kann, haben wir die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur Entwicklung der Baukosten und ihrer Auswirkung auf den sozialen Wohnungsbau eingebracht. Die Fähigkeit dazu hat diese Regierung allerdings selbst in Zweifel gestellt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607029500
Das Wort hat Herr Bundesminister Lauritzen.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607029600
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Baukonjunkturen haben keine unbegrenzte Lebensdauer und keine unerschütterliche Gesundheit. Auch Konjunkturen in Beton und Stahl sind längst nicht so robust und unveränderbar wie die Materialien, mit denen sie es zu tun haben. Baukonjunkturen sind im Gegenteil recht labile und daher sorgsam zu behandelnde Gebilde, denn therapeutische Mittel wirken wegen der langen Planungs- und Baufristen nur sehr langsam, mit großen Verzögerungen und mit vielfach nur schwer vorhersehbaren Wirkungen. Nirgendwo ist deshalb das Risiko größer, daß man mit Ungeduld und Übereifer des Guten zuviel tut. Wer Dämpfung sät, kann sehr leicht Stagnation ernten. Die Gefahr einer Übersteuerung ist um so größer, je mehr man sich in seinen Entscheidungen an der Entwicklung der Vergangenheit orientiert und nicht versucht, alle Indikatoren über die Zukunft und die zukünftige Entwicklung zu berücksichtigen.
Ich schicke diese Warnungen bewußt voraus, denn die CDU/CSU scheint mir ihre Entscheidungen über die Zukunft immer noch zusehr unter dem Blickwinkel vergangener und abgeschlossener Ereignisse zu fällen. Im August/September 1969 wiesen Sie doch alle Warnungen vor zukünftigen Preissteigerungen mit dem Hinweis auf die geringen jährlichen Preissteigerungen der Vergangenheit zurück, im August/September 1970 starren Sie aber bei der Beurteilung der Baukonjunktur wieder einmal nur wie gebannt auf die Vergleichsdaten der letzten zwölf Monate und wollen nicht zur Kenntnis nehmen, daß sich die Lage gerade im letzten Quartal schon erheblich entspannt hat und weiter entspannen wird.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Vorsicht, Vorsicht, es wird alles wieder zitiert!)

— Ja, gut, ich habe ja zur Vorsicht gemahnt.
Mir scheinen einige Hinweise auf die Lage der Bauwirtschaft notwendig zu sein. Alle reden von den Preisen, ich auch. Denn wenn der Preisindex für Wohngebäude im August um 16,9 % über dem Vorjahresstand lag, so ist das sicher eine Zahl, an der man nicht vorbeigehen darf. Die Preise im Bausektor sind insgesamt gesehen im letzten Jahr zu rasch gestiegen. Daran kann es keinen Zweifel geben, und das will niemand leugnen. Das Niveau



Bundesminister Dr. Lauritzen
der jetzt erreichten Entwicklung gibt jedoch noch keinen Hinweis auf die Veränderungen der Zuwachsraten der jüngsten Vergangenheit.
Meine Damen und Herren, Jahresvergleiche sind ein viel zu grober Raster, an dem die Feineinstellung von Maßnahmen nicht orientiert werden kann. Da wir leider Daten über die Entwicklung der Preise von Monat zu Monat nicht haben, kann ich Ihnen nur Vierteljahreswerte angeben. Doch schon die Aufspaltung des Zwölfmonatszeitraums ist recht aufschlußreich. Von November 1969 bis Februar 1970 stieg der Preisindex für Wohngebäude um 6,2 %, von Februar 1970 bis Mai 1970 um 4,7 %, von Mai 1970 bis August 1970 um 1,5 %. Sie werden zugeben müssen, daß selbst kritische oder gar überkritische Oppositionsaugen dieses deutliche und scharfe Abfallen der Preiszuwachsraten von Vierteljahr zu Vierteljahr einfach nicht übersehen können. Es ist mir unverständlich, wie die CDU/CSU trotzdem die Meinung vertreten kann, die Preissteigerungen gingen unvermindert weiter und würden sich sogar noch beschleunigen. Die Zahlen der letzten Vierteljahre sprechen das Gegenteil aus.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hören wir nun seit Januar!)

Dieses Bild einer deutlichen konjunkturellen Beruhigung der Bauwirtschaft, wie sie in dieser Preisentwicklung zum Ausdruck kommt, zeichnet sich doch auch hei anderen Indikatoren ab. Die Unternehmenserwartungen für die Zukunft spiegeln mehr und mehr wider, daß die konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung auch die Erwartungen und das Verhalten der Unternehmen beeinflussen und bereits beeinflußt haben. Noch im Februar erwarteten z. B. 84 % aller im Ifo-Test befragten Firmen Preissteigerungen für die kommenden drei Monate. Niemand rechnete aus damaliger Sicht mit fallenden Preisen. Heute dagegen, meine Damen und Herren, ist die Zahl der Unternehmungen, die von weiteren Preiserhöhungen in den nächsten Monaten ausgehen, von 84 auf 19 % abgesunken und 7 % erwarten sogar Preissenkungen.
Natürlich — und darauf hat ja auch Herr Erpenbeck hinweisen wollen — handelt es sich bei diesen Meldungen immer nur um Erwartungen und nicht um objektiv eingetretene Ereignisse. Aber Unternehmererwartungen sind nicht irgendwelche x-beliebigen Meinungen eines Herrn Meier und Herrn Müller. ,Sie sind Reflexe aus Vertragsverhandlungen, Geschäftsabschlüssen, Auftragseingängen und vielen anderen Kalkulationsdaten. Deshalb sollten wir diesen eindeutigen — um nicht zu sagen: radikalen —Stimmungsumschwung zur Kenntnis nehmen und bei unserer Urteilsbildung auch berücksichtigen.
Angesichts dieser Lage erscheint mir die Erwartung der CDU/CSU, die von einem weiteren raschen Anstieg der Baupreise ausgeht, zu pessimistisch zu sein. Sicher wird jede Opposition sozusagen zum Berufspessimisten, was die Erfolgsaussichten und die Ergebnisse von Regierungsprogrammen angeht; das gehört nun einmal zum Geschäft. Ihr seit Monaten überall betriebener Zweckpessimismus, meine Damen und Herren, geht jedoch zu weit; denn er ist kein notwendiges Korrektiv zur Meinung der Bundesregierung, sondern sät bei unseren Bürgern unnötige Angst und Unsicherheit. Die Bundesregierung ist jedenfalls der Ansicht, daß ihre Dämpfungsmaßnahmen wirken und ihre volle Wirkung erst noch entfalten werden. Sie hält diese Maßnahmen nach Prüfung aller Daten, die ihr zur Verfügung stehen, für ausreichend.
Wir werden bei unseren weiteren Beratungen deshalb in der Sorge um die Stabilität nicht in eine Stabilitätshysterie verfallen. Wer in der Politik Lösungen hier und jetzt mit Gewalt erzwingen will, erreicht immer weniger, als wenn er mit der gebotenen Sorgfalt und Geduld zu Werke geht. Vergessen Sie bei allen Debatten um die Stabilisierung der Baukonjunktur nicht: Gebäude, die heute fertiggestellt werden, wurden im Normalfall im letzten Sommer geplant; Planungen, die heute in das Entscheidungsstadium kommen, werden erst im nächsten Frühjahr oder Sommer wirklich nachfragewirksam.
Diese vorgegebenen Fristen bestimmen auch die Zeitverzögerungen in der Wirkung wirtschaftspolitischer Entscheidungen. Dafür sollte doch auch die CDU/CSU Verständnis haben; denn gerade Ihre Wirtschaftspolitiker haben doch 1966/67 ihre letzte große wirtschaftspolitische Lektion erhalten, als sie diese Voraussetzungen für eine Konjunkturpolitik nicht sehen. wollten. Damals haben sie ohne Rücksicht auf diese Wirkungsverzögerungen zu lange gegengesteuert mit dem Erfolg, daß die Bauwirtschaft einen Rückschlag hinnehmen mußte, der eine Amputation ihrer Kapazitäten und der Beschäftigung bedeutete.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607029700
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott? - Bitte schön!

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607029800
Herr Minister, sind Sie bereit, mir beizupflichten, wenn ich angesichts Ihrer Erklärungen behaupte, daß der Rückgang des Wohnungsbaus im Jahre 1966/67 entscheidend auch auf die Maßnahmen der Bundesbank - Diskonterhöhung, Zinserhöhung — zurückzuführen war und daß die Bundesbank gegenwärtig noch mehr getan hat, weil die gegenwärtige Bundesregierung keine echte Konjunkturpolitik betreibt?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607029900
Ich stimme Ihnen nicht zu, Herr Kollege Ott. Ich komme gleich auf den Nullpunkt im Jahre 1966 zurück.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Hören Sie doch auf mit dem Nullpunkt, das ist albern! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich werde Ihnen mit einigen Zahlen nachweisen, worauf er zurückzuführen ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607030000
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller? — Bitte!




Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0607030100
Herr Bundesminister, wie erklären Sie sich folgendes — ich nehme Ihre Zahlen zur Hand —: In den fünf Jahren von 1961 bis 1965 wurden für den sozialen Wohnungsbau im Haushalt ständig 1,3 bis 1,5 Milliarden DM
— ich nenne runde Zahlen — eingesetzt, und in dieser Zeit sind jedes Jahr 230 000 bis 248 000 — dazwischen liegen noch ein paar Zahlen — Wohnungen im sozialen Wohnungsbau fertiggestellt worden. In den fünf Jahren von 1964 bis 1969 dagegen
— da gehe ich mit Ihnen konform, daß die Haushaltsmittel sich erst ein Jahr später auswirken — sah es so aus, daß bei einem Ansatz im Haushalt 1963 von 1,5 Milliarden DM im Jahre 1964 noch 228 000 Sozialwohnungen fertiggestellt worden sind, aber 1969 — unter Zugrundelegung der Mittel von 1968 in Höhe von ebenfalls 1,5 Milliarden DM — nur noch 190 000 Sozialwohnungen fertiggestellt worden sind. Mit anderen Worten: in diesen fünf Jahren sind die Mittel um 20 % gestiegen, jedoch 25 % weniger Wohnungen im sozialen Wohnungsbau entstanden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607030200
Ich bitte Zwischenfragen zu stellen und keine Feststellungen zu treffen.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607030300
Was hat das mit dem zu tun, was ich im Augenblick ausführe?

(Abg. Müller [Berlin] : Preisentwicklung!)

— Ich habe mich ganz allgemein mit der Entwicklung der Baukonjunktur beschäftigt.

(Abg. Müller [Berlin] : Preisentwicklung!)

— Damit hat diese Frage gar nichts zu tun. Ich werde darauf an einer anderen Stelle meiner Ausführungen zurückkommen.

(Abg. Müller [Berlin]: Preisentwicklung der letzten Jahre!)

— Ich komme darauf zurück.
Meine Damen und Herren, ich hatte darauf hingewiesen, daß 1966/67 die Bauwirtschaft einen entscheidenden Rückschlag hat hinnehmen müssen, der eine Amputation ihrer Kapazität und ihrer Beschäftigung bedeutet. Fast jeder siebte Arbeiter — insgesamt rund 200 000 Beschäftigte — verloren damals ihren Arbeitsplatz, und 50 000 Wohnungen wurden von einem Jahr auf das andere weniger gebaut. Diesen Rückschlag, von dem ich spreche, hat die Bauwirtschaft bis heute noch nicht ganz wieder aufholen können,

(Abg. Ott: Im Winter friert es doch überall!)

und er erklärt auch, warum bei wiederansteigender Nachfrage nach Bauleistungen bei leergefegtem Arbeitsmarkt so gewaltige Schwierigkeiten auftraten, um die notwendigen Kapazitätsausweitungen vorzunehmen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607030400
Herr Bundesdesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607030500
Ja, wenn sie zu diesem Punkt meiner Ausführungen gehört.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607030600
Herr Bundesminister, da Sie jetzt entscheidenden Wert darauf legen, die Zahl der fertiggestellten Wohnungen zu nennen — 50 000 weniger —, darf ich zu dem Kernpunkt aller Überlegungen, nämlich den fertiggestellten Wohnungen fragen: Trifft es auch Ihrer Kenntnis nach zu, daß in der Amtszeit Ihres Vorgängers, des Bundesministers Lücke, jährlich mindestens 600 000 Wohnungen, zum Teil bis an 700 000 Wohnungen fertiggestellt worden sind und daß wir in Ihrem letzten Amtsjahr — das war ja nicht Ihr erstes Ministerjahr —, also 1969, zum erstenmal den traurigen Rekord zu verzeichnen hatten, weniger als 500 000 Wohnungen zu haben?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607030700
Ein paar hundert; nun werden Sie nicht kleinlich! 499 800 oder 499 700.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607030800
Also unter 500 000.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607030900
Das ist die normale Rate von 500 000. Wenn Sie da jetzt 200 abziehen wollen, scheint mir das etwas kleinlich zu sein.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607031000
Gut, Herr Minister, einverstanden. — Daß wir also von über 600 000 Wohnungen bei Lücke bei Ihnen zum erstenmal unter 500 000 geraten sind und die Erwartungen für dieses Jahr weiter rückläufig sind, daß wir also in diesem Jahr deutlich unter die 500 000 kommen werden.

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607031100
Wir werden in diesem Jahr, wie Sie aus der schriftlichen Beantwortung der Großen Anfrage sehen, wieder auf 500 000 kommen. Wir sind mit einem ganz erheblichen Überhang in dieses Jahr hineingegangen, weil der Winter sehr lang war, und das wird dazu führen, daß wir in diesem Jahr wieder auf 500 000 kommen. Vielleicht sind es 200 weniger.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607031200
Darf ich fragen, Herr Minister, wie Sie es erklären, daß wir danach gegenüber der Amtszeit von Paul Lücke ein Minus von über 100 000 Wohnungen jährlich in Ihrer Amtszeit haben?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607031300
Ich habe nicht von der Amtszeit von Paul Lücke gesprochen, sondern beschäftige mich mit den Auswirkungen der damaligen Rezession auf die Baukonjunktur. Das war meine Darstellung. Ich komme auf diese Zahlen gleich zurück.
Meine Damen und Herren, diese sehr schweren Auswirkungen auf die Bauwirtschaft in den Jahren 1966 und 1967 sollten uns davor bewahren, eine Art Schocktherapie anwenden zu wollen; denn sie



Bundesminister Dr. Lauritzen
verhindert langfristige Planungen, stört die Sicherheit und Zuverlässigkeit der unternehmerischen Daten und verhindert gerade deshalb die notwendigen Rationalisierungen und Strukturveränderungen, die dringend notwendig sind. Eine längerfristige Betrachtung zeigt: Vom August 1958 bis zum August 1962 ist der Preisindex für Wohngebäude um 32,2 % angestiegen. In den nächsten 4 Jahren stieg er wieder um 18%, von August 1966 bis August 1970 folgte eine weitere Erhöhung von 25,5 %.
Was sagen diese Zahlen? Diese Zahlen machen doch folgendes deutlich. Das eigentliche Problem der Baupreissteigerungen liegt eben nicht im Bereich vorübergehender konjunktureller Schwankungen. Im letzten Konjunkturzyklus seit 1966 sind die Baupreise von Boomspitze zu Boomspitze kaum rascher gestiegen als früher. Die exorbitanten Steigerungen seit 1969 sind zum großen Teil nachgeholte Erhöhungen aus den Jahren 1967 und 1968. Das wird Ihnen jedes Gespräch mit der Bauwirtschaft immer wieder bestätigen. Damals mußten die Unternehmen unter dem Druck der Nachfrageschrumpfung und der Kapazitätsüberhänge Aufträge selbst ohne Gewinn hereinnehmen, einfach um die Abschreibungen zu erwirtschaften.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607031400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607031500
Ich möchte jetzt endlich einmal in Ruhe meine Ausführungen machen. Wir haben noch Zeit genug. Es ist 1/2 5, und ich stehe Ihnen den ganzen Abend für eine Diskussion zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, eine langfristige erfolgreiche Politik muß zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, daß seit Jahren der technische Fortschritt im Bausektor geringer ist als in anderen Wirtschaftszweigen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Nicht zuletzt durch Verschulden der öffentlichen Hände!)

Es gelingt deshalb nicht, Lohnsteigerungen und sonstige Kostenerhöhungen durch Rationalisierung aufzufangen. — Ich will Ihnen nur eines sagen, Herr Müller-Hermann, damit Sie gleich eine Antwort bekommen. Als ich mein Ressort übernahm, hatte ich in meinem Haushaltsplan für die Förderung von Bauforschung usw. ganze 500 000 DM. Damit ist man in der Bundesregieurng jahrelang ausgekommen, 500 000 DM Bauforschungsmittel für die Bundesrepublik! Das ist doch einfach ein lächerlicher Betrag. Inzwischen sind wir bei 7,5 Millionen DM, und wir werden noch weiterkommen. Gerade wir werden diese Aufgabe ganz entscheidend in Angriff nehmen.

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Aber über 100 000 Wohnungen mehr sind damals fertig geworden, und das ist entscheidend! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die Bauforschung allein macht es auch nicht! — Abg. Baier: Mit Forschung und Arbeitskreisen macht man keine Wohnungsbaupolitik!)

Wir sind heute so weit, daß wir diese Aufgabe verstärkt in Angriff nehmen.

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Mehr Wohnungen bauen! Das ist das Wichtige! — Abg. Ott: Die Zinserhöhungen fangen Sie nicht mit Bauforschungsmitteln auf, Herr Minister!)

— Herr Ott, das hat auch niemand behauptet.

(Abg. Ott: Aber ich will es Ihnen sagen!)

Jetzt werden die Dinge also etwas abwegig. Wer behauptet das denn? Ich habe nur gesagt: das Gebiet der Forschung war ein kümmerliches Gebiet in der Tätigkeit der früheren Bundesregierung, und wir machen jetzt etwas daraus. Das ist das Ergebnis. Wir haben ja nicht nur 7,5 Millionen DM Bundesmittel, wir haben 1,7 Milliarden DM mehr für den Wohnungsbau für vier Jahre.

(Abg. Niegel: Aber die Bauzinsen hindern den Wohnungsbau!)

— Ich komme gleich darauf zurück.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, wird in Kürze ihre Vorschläge zur Rationalisierung im Bausektor, zur Ausweitung des Winterbaus, zur Verschärfung des Wettbewerbs sowie zur Erleichterung des Strukturwandels vorlegen. Alle diese Maßnahmen zielen darauf ab, dem technischen Fortschritt im Bausektor schneller zum Durchbruch zu verhelfen. Wir gehen in den kommenden Jahren einem weiteren Anstieg der Baunachfrage entgegen. Neben dem noch ungedeckten Nachholbedarf nimmt die Nachfrage nach Wohnungen mit wachsendem Wohlstand erheblich zu. Dein öffentlichen Bereich entsteht durch den Nachholbedarf bei Bildungs- und sonstigen Infrastrukturinvestitionen eine zusätzliche Baunachfrage, und auch die gewerbliche Nachfrage wird nicht nachlassen.
Solchen Problemen, meine Damen und Herren, können wir uns nicht mit einmaligen Haushaltskürzungen oder -streckungen entgegenstellen wollen. Hier hilft nur eine Politik der raschen Ausweitung des Angebots und der Förderung des technischen Fortschritts. Ich glaube daher, daß wir gemeinsam alle Energie, Phantasie, allen Sachverstand und die politische Kooperationsbereitschaft mobilisieren sollten, um diese Aufgaben zu lösen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Eben diese Phantasie fehlt!)

— Bei mir nicht, Herr Kollege Müller-Hermann.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Ich hoffe!)

— Ich komme gleich noch näher darauf; warten Sie nur einen Augenblick!
Die Opposition hat in den letzten Monaten immer wieder versucht, meine Damen und Herren, Baumarkt und Wohnungsmarkt in einen Topf zu werfen. Das liegt auf ihrer Linie des kalkulierten Zweckpessimismus, der den Bürgern weismachen will, Baupreissteigerungen wären sofort und gleich Mietpreissteigerungen.



Bundesminister Dr. Lauritzen
Tatsächlich ist das jedoch nicht der Fall. 1970 wird allen gegenteiligen Meinungen zum Trotz das Jahr der geringsten Mietpreissteigerungen seit 1962.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Die vielbeschworene „Mietenexplosion" findet nicht statt.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Warum schreit denn dann Herr Nevermann so?)

Der Preisindex der Wohnungsmieten, wie ihn Herr Erpenbeck Ihnen genannt hat, liegt um 4 % über dem Vorjahresstand.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Warum schreit denn dann Herr Nevermann so?)

— Natürlich gibt es regionale Abweichungen, und es gibt auch krasse Auswüchse. Doch, meine Damen und Herren, eines zeigt sich deutlich: daß diese Auswüchse nicht kostenbedingt sind, sondern daß die besondere Lage am Wohnungsmarkt es zuläßt, daß solche Auswüchse stattfinden. Es gibt deswegen keinen konjunkturellen Mietpreisboom, wohl aber werden allmählich gewisse langfristige strukturelle Veränderungen immer deutlicher.
Die Belastungen des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte durch die Mietausgaben sind in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Noch im Jahre 1958 betrug der Anteil der Mietausgaben an den gesamten Verbrauchsausgaben im Durchschnitt rund 6 %. Er stieg bis 1967 auf 11 % an. Die Mietausgaben haben auf diese Weise Schritt für Schritt einen immer größeren Anteil des verfügbaren Einkommens verbraucht. Diese Entwicklung darf sich nicht fortsetzen, meine Damen und Herren, denn sie würde auf die Dauer zu einer untragbaren Belastung gerade für die unteren Einkommensschichten werden.
Aber für diese Entwicklung können Sie nun wirklich nicht die jetzige Bundesregierung verantwortlich machen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Sie ist eine Folge - auch wenn Sie es nicht hören
wollen — von Grundsatzentscheidungen, die zu Ende der 50er Jahre gefällt worden sind.

(Beifall bei der SPD.)

Sie werden das sicher nicht gerne hören wollen. Aber schon eine einfache Rechnung macht doch deutlich, wo die Verantwortung für die gegenwärtige Lage zu suchen ist.
Wir haben jetzt rund 20 Millionen Wohnungen. Die Jahrensproduktion beträgt rund 500 000. Diese Zahl werden wir auch im Jahre 1970 erreichen. Sie entspricht der Zielsetzung aller hier im Bundestag vertretenen Parteien,

(Abg. Frau Meermann: Genau das müssen die Herren nämlich wissen!)

soweit mir das bekannt ist. Das bedeutet, meine Damen und Herren: Die Produktion eines Jahres macht allenfalls 2 bis 3 % des jeweiligen Bestandes aus. 100 000 Wohnungen mehr oder weniger sind, gemessen am Wohnungsbestand, sogar nur ein halbes Prozent. Das hat doch zur Folge, daß der überhaupt mögliche Spielraum der Wohnungspolitik kurzfristig, also im Rahmen der gegebenen Kapazität eines Jahres, zum Guten wie zum Schlechten denkbar gering ist. Wenn ich mir angesichts dieser Überlegungen die Kassandra-Rufe der Opposition vom Zusammenbruch des Wohnungsbaues, von Mietenexplosion, Katastrophen oder ähnliche Äußerungen anhöre, kann ich daraus nur folgern: diese angebliche Katastrophe hätten Sie sich selbst zuzurechnen, und sie hätte auch nicht im Laufe eines Jahres beseitigt werden können.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das müssen Sie alles Herrn Nevermann sagen!)

Durch die Schallmauer der Kapazität kommt in der Wohnungsbaupolitik kurzfristig niemand hindurch. Alle Illusionen müssen daran laut zerplatzen.
Was zeigt das, meine Damen und Herren? Diese Überlegung zeigt doch, daß die Kritik der Opposition unrealistisch ist. Sie wird noch unglaubhafter, wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU, vor dem einen Publikum, wie auch heute hier, höhere Prioritäten für den Wohnungsbau fordern, aber vor dem nächsten Publikum Schluß mit den Ausgabesteigerungen im öffentlichen Haushalt fordern. Auch Herr Erpenbeck ist dieser Versuchung leider unterlegen. Ich nenne so etwas geistige Spaltung. Die Opposition geht an den Realitäten einfach vorbei. Sie operiert mit Illusionen und weckt Illusionen, und sie bringt zur Politik der gegenwärtigen Bundesregierung überhaupt keine Alternative.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Das ist nicht nur meine Meinung, meine Damen und Herren. Am 24. September konnten Sie in einer deutschen Tageszeitung, der „Welt", unter der Überschrift „Keine Alternativen" zu der Großen Anfrage, die wir heute behandeln, folgendes lesen — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:
Auf Alternativen angesprochen, wie man der Misere Herr werden könne, dienen die Wohnungsexperten der Union nur jene Bemühungen an, die Minister Lauritzen seit längerem verfolgt. Lauritzen sollte sich freuen, daß der Druck aus den eigenen Reihen durch den Verstoß der Union ergänzt wird. Er kann dadurch mehr Ellbogenfreiheit gewinnen.

(Abg. Erpenbeck: Und trotzdem geschieht nichts!)

Soweit die Zeitung „Die Welt", eine Zeitung, die Ihnen, meine Damen und Herren, doch sicherlich unverdächtig ist. Was wir heute gehört haben, alle Ausführungen von Herrn Erpenbeck, begründet nur die gleiche Feststellung. Es waren lauter alte Bekannte und nichts Neues.

(Abg. Erpenbeck: Aber immerhin aus unserer Zeit!)

Im Gegensatz zu jeder bisherigen Bundesregierung haben wir erstmals ein umfassendes Gesamtprogramm langfristiger und kurzfristiger Maßnahmen entwickelt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur nicht durchgeführt!)




Bundesminister Dr. Lauritzen
Darin sind die Förderung des Wohnungsbaus, der Wohnungsbautechnik, der Forschung, der Strukturpolitik, aber auch die Förderung der partnerschaftlichen Annäherung von Mietern und Vermietern integriert Zu dieser Neuorientierung der Wohnungspolitik als Bestandteil einer sozialen Gesellschaftspolitik, die jedem Bürger eine angemessene rechtliche und wirtschaftliche Sicherung seiner Wohnung gewährt, gehört in erster Linie das von der Bundesregierung erarbeitete langfristige Wohnungsbauprogramm.
Wir gehen davon aus, daß wir auch in den kommenden Jahren rund 500 000 Wohnungen jährlich benötigen. Davon sollen 200 000 bis 250 000 im sozialen Wohnungsbau errichtet werden, um eine allmähliche, schleichende Benachteiligung unterer Einkommensschichten zu verhindern. Wir haben deshalb entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Das langfristige Wohnungsbauprogramm ist in der mittelfristigen Finanzplanung abgesichert. Bis 1974 sollen dafür zusätzlich rund 1,7 Milliarden DM aufgewendet werden.
Da Herr Erpenbeck meinte, dabei sei die Baukostensteigerung nicht berücksichtigt, darf ich nur darauf hinweisen, daß im Entwurf des Haushaltsplans 1971 die Bundesmittel um 20% aufgestockt worden sind, um diese Steigerung abzudecken.

(Abg. Erpenbeck: Und es gibt weniger Wohnungen!)

— Die Aufstockung um 20% soll gerade das abfangen, was Sie als Befürchtung zum Ausdruck gebracht haben.
Hinter diesen Steigerungsraten stecken ganz deutliche Prioritätsentscheidungen. Der Wohnungsbau hat im Programm der Bundesregierung einen hohen Stellenwert. Wenn Sie noch einen höheren wollen, Herr Erpenbeck, dann müssen Sie mir sagen, wie Sie das finanzieren wollen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607031600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gerhard Orgaß (CDU):
Rede ID: ID0607031700
Herr Bundesminister, sind Sie wirklich der Meinung, daß eine 20%ige Erhöhung der Ausgaben ausreichend ist, wenn Sie in Betracht ziehen, daß es nicht auf die statischen Durchschnittszahlen ankommt, sondern daß der Bedarf insbesondere in den Ballungsräumen anfällt und daß wir gerade in den Ballungsräumen im Gegensatz zu der durchschnittlichen Entwicklung Baukostensteigerungen von über 40 % zu verzeichnen haben?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607031800
Herr Orgaß, Sie haben mich anscheinend nicht verstanden.

(Abg. Orgaß: Doch, sehr gut!)

Ich habe darauf hingewiesen, daß die Entwicklung der Baupreissteigerungen bereits eine fallende Tendenz aufweist. Ich habe die Zuversicht, daß die konjunkturdämpfenden Maßnahmen weiter in dieser Richtung wirken werden. Darüber werden wir uns
nicht einig sein, aber das ist die Basis meiner politischen Überlegungen und meiner politischen Planungen.

(Abg. Orgaß: Wo führen die hin? — Abg. Dr. Schulze-Vorberg: 100 000 Wohnungen weniger im Jahr!)

- Ich werde Ihnen gleich nachweisen, wie wir unsere 100 000 Wohnungen finanzieren wollen.
Meine Damen und Herren, diese erhebliche Ausweitung der Bundesmittel soll bei entsprechender Ausweitung auch der Ländermittel ab 1971 die Schaffung von jährlich 100 000 Wohnungen zusätzlich ermöglichen. Wenn Herr Erpenbeck jetzt darauf hinweist — er hat ja an der Länderbesprechung nicht teilgenommen, sondern stützt sich auf Zeitungsinformationen;

(Abg. Erpenbeck: Dann müssen Sie uns einladen!)

ich hätte Ihnen gern zu einer Besprechung zur Verfügung gestanden —, daß die Länderminister zu dieser Ausweitung nicht bereit seien, so ist das unvollständig wiedergegeben. Die 100 000 Wohnungen, von denen ich spreche

(Abg. Müller [Berlin] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— nun lassen Sie mich doch auch einmal ein paar Dinge im Zusammenhang darstellen —, sollen zur Hälfte allein vom Bund finanziert werden und sind also von einer Länderbeteiligung nicht abhängig. Auf diese Weise erhalten wir schon 50 000 zusätzliche Wohnungen. Was die Erstellung der anderen 50 000 Wohnungen angeht, so erwarten die Länder, daß wir einen höhern Bundesanteil als bisher zur Verfügung stellen. Darüber verhandeln wir zur Zeit noch mit den Ländern. Sie haben auf Herrn Weyer abgehoben. Er hat darum gebeten, daß der Bund sich etwa zur Hälfte an der Finanzierung dieser weiteren 50 000 Wohnungen beteiligt. Vielleicht werden wir uns auf eine Beteiligung des Bundes an der Finanzierung in Höhe von einem Drittel oder in Höhe von 40 % einigen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607031900
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607032000
Ja. Aber diese Zwischenfragen scheinen mit System gestellt zu werden.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607032100
Herr Bundesminister, meine Frage dient nur der Vergewisserung. Zur Zeit werden hunderttausend Wohnungen weniger im Jahr gebaut, als das unter Herrn Minister Lücke im langjährigen Durchschnitt der Fall war. Das ist noch gering gerechnet, denn unter Herrn Lücke lag die Zahl der neuen Wohnungen zum Teil deutlich über 600 000. In diesem Jahr werden sogar noch weniger als 500 000 Wohnungen gebaut werden.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607032200
Herr Kollege, bitte stellen Sie jetzt Ihre Frage.




Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607032300
Das ist die Frage.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607032400
Bisher war es eine Feststellung, aber vielleicht kommen Sie noch zu der Frage.

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607032500
Es war die Frage: Habe ich Sie, Herr Minister, richtig verstanden, daß Ihre Zielplanung so aussieht: Sie wollen 50 000 zusätzliche Wohnungen mit Bundesmitteln und weitere 50 000 zusätzliche Wohnungen mit Bundes- und Ländermitteln erstellen, so daß Sie bestenfalls die untere Grenze dessen erreichen, was Herr Lücke im langjährigen Durchschnitt erreicht hat? Ist das richtig?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607032600
Ich habe Ihnen vorhin gesagt, wir wollen das Volumen von 500 000 Wohnungen halten und den Anteil des sozialen Wohnungsbaus wieder auf 250 000 Wohnungen steigern.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607032700
Herr Bundesdesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607032800
Nein! Herr Ott, ich muß mit meinen Ausführungen jetzt endlich einmal zu Ende kommen.
Meine Damen und Herren, mir scheint damit doch sehr deutlich geworden zu sein, daß die Bundesregierung dem sozialen Wohnungsbau wieder die Priorität einräumt, die ihm dringend zukommt. Ich glaube, daß die CDU/CSU nicht das Recht zu einer Kritik an diesen Maßnahmen hat, denn trotz aller Beschönigungen und aller Anpreisungen, die wir heute von Ihrer Seite immer wieder gehört haben, haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, den Wohnungsbau auf ein Abstellgleis geschoben.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Bauer: Wie hat denn der Wohnungsbauminister der letzten Jahre geheißen? Sie waren doch der Minister der letzten Jahre! — Abg. Ott: Prüfen Sie doch die Zahlen von früher! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: 600 000 Wohnungen!)

— Ich komme jetzt auf die Zahlen zu sprechen. Ich weiß nicht, warum Sie so unruhig sind. Anscheinend macht es Sie nervös, wenn ich solche Feststellungen treffe.

(Abg. Lemmrich: Aber Herr Minister, wir sind doch nie nervös! Nervös sind doch Sie alle auf der Regierungsbank, weil es dort so bröckelt!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607032900
Herr Bundesdesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607033000
Nein, jetzt nicht mehr.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607033100
Der Herr Bundesminister gestattet jetzt keine Zwischenfragen mehr. Ich bitte das zur Kenntnis zu nehmen

Dr. Lauritz Lauritzen (SPD):
Rede ID: ID0607033200
Ich möchte das Haus nicht unnötig lange mit der Beantwortung immer derselben unrichtigen Fragen aufhalten.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. MüllerHermann: Das kommt nur durch Ihre Aussagen!)

Meine Damen und Herren, ich lege Ihnen jetzt die Zahlen vor.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ist die von Herrn Schäfer gepriesene Fairneß der Regierung gegenüber der Opposition!)

— Wenn Sie die Zahlen nicht hören wollen, scheinen Sie gewisse Bedenken zu haben, daß zu Ihren Zahlen hier bestimmte Feststellungen getroffen werden.

(Abg. Lemmrich: Erzählen Sie es doch, Herr Minister!)

— Ich hätte das schon längst erzählt, wenn Sie mich nicht immer dauernd unterbrochen hätten. Die CDU/ CSU-Planungen sahen vor, daß die Wohnungsbaumittel des Bundes beginnen mit 1958 von 700 Millionen DM innerhalb von zehn Jahren auf 70 Millionen DM schrumpfen sollten. Das war der Plan, von dem Sie dauernd sprechen, und zwar ohne eine ausreichende soziale Absicherung in der trügerischen Hoffnung, der freie Markt wäre dann schon der siebente Himmel des Wohnungsbaus. Die Quittung für diese Politik ist das, was die Mieter heute zahlen müssen;

(Beifall bei der SPD — Abg. Ott: Diskonterhöhung! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

denn die Mieten stiegen in dieser Zeit durchschnittlich um 6 °io jährlich.

(Abg. Ott: Zinserhöhung von 50 DM im Monat! Wissen Sie nichts davon?)

Wenn es nach den CDU/CSU-Prioritäten gegangen wäre, die wir glücklicherweise schon seit 1967 allmählich verändert haben, wäre heute eine Debatte um die Priorität der Bundesmittel im sozialen Wohnungsbau rein akademischer Natur, weil dann die Mittel, die noch vorhanden wären, überhaupt keine Rolle mehr spielen würden.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Neben der Ausweitung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau wird aber auch, wie Sie alle wissen, das Wohngeld erheblich verbessert und in seinem finanziellen Umfang aufgewertet. Rund 1 Million Haushalte werden 1971 rund 1,3 Milliarden DM erhalten. Zusammen mit dem rasch anwachsenden Bestand an Sozialwohnungen bedeutet das eine erhebliche Verbesserung der wirtschaftlichen Stellung einkommensschwacher Mieter.
Die Bundesregierung wird Ihnen darüber hinaus Vorschläge zur Verbesserung der rechtlichen Stellung der Mieter unterbreiten. Die Opposition hat

Bundesminister Dr. Lauritzen
zwar behauptet - Herr Erpenbeck hat das soeben ouch wieder versucht —, bei diesen Initiativen beschränke sich die Regierung im wesentlichen auf verbale Gesetzeskosmetik. Ich möchte eine Gegenfrage stellen: Was hat die CDU/CSU denn getan,

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Mehr Wohnungen gebaut!)

als im Jahre 1966 die Mieten im Durchschnitt nicht nur um 4 %, sondern um mehr als das Doppelte, nämlich urn 9,5 % anstiegen. Was haben Sie damals, 1966, gemacht?

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Mehr Wohnungen gebaut, Herr Minister!)

Sie haben damals die Hände in den Schoß gelegt und es nicht für notwendig gehalten, auch nur geringfügige Verbesserungen durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD. Abg. Ott: Sie waren doch Wohnungsbauminister! Abg. Dr. Schulze-Vorberg: 100 000 Wohnungen im Jahr mehr gebaut!)

Das Jahr 1966 brachte einen entscheidenden Einbruch im sozialen Wohnungsbau. Während im Jahre 1960 der Anteil des öffentlich geförderten Wohnungsbaus noch 45,8 % betrug, fiel er im Jahre 1966 auf 7,9 %, und 1969 haben wir ihn langsam wieder auf 32 % anheben können.

(Abg. Erpenbeck: 28,2 !)

Der Bundesanteil an öffentlich geförderten Darlehen hatte im Jahre 1966 den Stand von 7,9 % erreicht. Inzwischen ist er wieder auf 32 % angewachsen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dennoch werden weniger Wohnungen gebaut!)

— Ich freue mich, daß sich Ihre Meinung anscheinend geändert hat. Deswegen kann ich den weiteren Beratungen mit Gelassenheit entgegensehen. Sie haben die Möglichkeit, urn darauf zurückzukommen, die Mieterschutzbestimmungen noch erheblich zu verbessern. Wir werden darüber sicherlich mit uns diskutieren lassen, wenn Sie weitere Verbesserungen wünschen. Ich darf Herrn Erpenbeck beim Wort nehmen, wenn er das heute in Aussicht gestellt hat.

(Abg. Ott: Die Bewirtschaftung bringt nicht mehr Wohnungen!)

Ich möchte hier die Einzelbestimmungen der geplanten Maßnahmen der Regierung nicht im Detail erörtern. Dazu werden wir bald Gelegenheit haben; denn noch in diesem Monat, am 29. Oktober, wird die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschieden.
Im Hinblick auf einige Debatten und Ereignisse in den letzten Wochen möchte ich jedoch folgendes feststellen. Jede Kündigung bedeutet für den Mieter Arger, Zeitverlust, Kosten. Sie zwingt zu Veränderungen der Lebensgewohnheiten, die gerade für Familien mit kleinen und vielen Kindern eine empfindliche Störung bedeuten. Die Kündigungsdrohung ist ein Instrument des Vermieters, das nach meiner Meinung nicht willkürlich angewendet werden kann.
Das gleiche gilt für willkürliche Mieterhöhungen. Die vielen extremen Einzelfälle, die in der letzten Zeit Sorge und Unruhe verbreitet haben, gehen samt und sonders nicht auf eklatante Kostenerhöhungen zurück. Hier haben vereinzelt Hausbesitzer die Notlage, die geringe Mobilität der Mieter, die Unübersichtlichkeit des Wohnungsmarktes und Mangellagen, die doch letzten Endes auf die viel zu frühe Einführung der weißen Kreise zurückzuführen sind, ausgenutzt, urn sich zu bereichern. Gegen eine solche Entwicklung müssen wir entschlossen vorgehen.
Es geht hier doch um eine grundsätzliche Güterabwägung. Sicherlich bedeutet eine Verschärfung der Sozialklausel z. B. eine Verfügungsbeschränkung für den Vermieter. Doch auf der anderen Seite stehen die Grundinteressen und Ansprüche aller Menschen auf Wohnung, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann. Deshalb hat sich diese Bundesregierung dafür entschieden, durch mehrere Maßnahmen die Rechtsposition der Mieter insgesamt zu verbessern. Das ist kein Mißtrauensvotum gegen die Gesamtheit der Hausbesitzer, sondern eine notwendige Maßnahme, die vor allem einzelnen Auswüchsen begegnen soll.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat diese heutige Debatte zum jetzigen Zeitpunkt gewünscht, um die Ergebnisse der konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung und weitere Maßnahmen zu diskutieren. Ich sage Ihnen deutlich und eindeutig: schon einen oder zwei Monate später hätten wir sachlicher, sachgerechter und mit einer besseren Datenbasis über das ganze Problem diskutieren können. Uns liegen heute erst die Daten des August vor, d. h. also Informationen über die wirtschaftliche Lage einen Monat nach den letzten konjunkturpolitischen Entscheidungen. Ich glaube, man wird nicht leugnen können, daß dieser Zeitraum zu kurz ist, um ein abschließendes und völlig gesichertes Urteil zu fällen.

(Abg. Niegel: Ihr habt zwölf Monate Zeit gehabt!)

Es wäre sinnvoller und nützlicher gewesen, mit mehr Geduld und weniger Seitenblicken auf gewisse Termine noch etwas abzuwarten. Denn erst später werden wir Endgültiges sagen können. Jedoch schon heute können wir feststellen, daß die Ergebnisse nicht Ihrem Zweckpessimismus entsprechen, meine Damen und Herren, sondern den Einschätzungen der Bundesregierung durchaus nahekommen.
Außerdem sind Ihre Thesen durchaus widersprüchlich. Sie operieren immer wieder mit dem alten Trick. Auf der einen Seite wird der Staat so als ein steuerfressendes Ungeheuer hingestellt, in dessen Bauch die schwer erarbeiteten Gelder unserer Bürger auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Dieses Vorurteil nutzen Sie aus, um Ihre Kritik an der Bundesregierung anzubringen.

(Abg. Ott: Vier Jahre sind Sie Minister!)

Was hat denn das hiermit zu tun? - Während Sie überall jammern, der Staatskuchen sei zu groß, versprechen Sie auf der anderen Seite jeder Einzelgrup-



Bundesminister Dr. Lauritzen
pe ein immer größeres Stück aus dem allgemeinen Kuchen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ist die Methode von Ihnen!)

Das ist so ähnlich wie die Quadratur des Zirkels, und ich finde, das ist keine sachliche Kritik, die auf dem Gebiet des Wohnungswesens gerade angebracht wäre. Denn das, womit wir uns herumschlagen müssen, ist die Situation, die wir heute nach 20jährigen Möglichkeiten, die Sie hatten, übernommen haben.

(Abg. Niegel: Vier Jahre sind Sie Minister! Abg. Baier: Seit wann sind Sie denn Minister? Verdummen Sie doch nicht die Leute! Seit vier Jahren sind Sie Minister! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Vier Jahre sind Sie Minister!)

— Und welche Schwierigkeiten haben Sie mir gemacht? —

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Wenn Herr Kollege Erpenbeck meint, man solle bei der Fehlersuche niemanden auslassen, dann muß ich ihn hier darauf aufmerksam machen, daß er hier einen kardinalen Fehler begangen hat. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn die CDU/CSU heute dem sozialen Wohnungsbau wieder eine größere Priorität einräumen will.

(Abg. Ott: 100 000 Wohnungen weniger!)

Aber das bedeutet in der Praxis doch mehr Geld; sonst kann man in dieser Sache doch nichts machen. Und dann werden Sie, meine Damen und Herren, auch den Mut haben müssen, bei der Gesamtberatung des Haushaltsplanes 1971

(Zurufe von der CDU/CSU) für eine solche Forderung mit einzustehen.


(Abg. Ott: 20 Jahre geschlafen haben Sie bei unserer Politik! — Gegenruf von der SPD: Was? — Abg. Ollesch: Unqualifizierte Zwischenrufe, stelle ich hier fest! — Gegenruf von der SPD: Das kann man wohl sagen!)

Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Die Bundesregierung hat ein in sich geschlossenes, konsistentes und auch finanzierbares Programm kurz- und langfristig wirkender Maßnahmen vorgelegt. Und wir werden uns durch Ihre Unruhe nicht davon abbringen lassen, dieses Programm auch durchzuführen!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir haben durch eine zurückhaltende Ausgabenpolitik in der kritischen Phase der Konjunktur

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Wie war das?)

und durch weitere konjunkturpolitische Dämpfungsmaßnahmen die konjunkturelle Preisentwicklung auf dem Baumarkt wieder abgebaut. Der Höhepunkt der Preissteigerungen liegt hinter uns. Es kommt jetzt darauf an, die Entwicklung in ein spannungsloses Wachstum überzuleiten.
Gleichzeitig haben wir durch die Beschlüsse zur mittelfristigen Finanzplanung eine erhebliche Ausweitung der Mittel des sozialen Wohnungsbaus sichergestellt. Die Bundesregierung wird erstmals jährlich 50 000 Wohnungen zusätzlich allein fördern und plant zusammen mit den Ländern, weitere zusätzliche 50 000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau zu errichten. 50 000 Wohnungen sollen jährlich mit Bundesmitteln modernisiert und instand gesetzt werden. Weitere Bundesmittel auch für den Wohnungsbau werden mit Hilfe des Städtebauförderungsgesetzes bereitsgestellt werden. Die Bundesregierung erarbeitet außerdem Gesetzesvorschläge, um die Mieter vor ungerechtfertigten Kündigungen und vor Mietwucher zu schützen. Die Bundesregierung wird ferner ein Maßnahmenbündel vorlegen, das eine beschleunigte Rationalisierung und die Durchsetzung des technischen Fortschritts im Bausektor erleichtert. Dazu gehören: Maßnahmen zur Förderung eines leistungssteigernden Strukturwandels im Baugewerbe, eine Verbesserung der Struktur der Wohnungswirtschaft, eine kontinuierliche Bautätigkeit und insbesondere die Ausweitung des Winterbaus.
Bei der Vergabe ihrer eigenen Hochbaumittel und der Förderung des sozialen Wohnungsbaus wird die Bundesregierung ein Konzept zur besseren Koordinierung der Vergabe und Durchführung dieser Aufträge entwickeln. Es wird ein Rationalisierungskatalog erarbeitet, der für alle öffentlichen und öffentlich geförderten Hochbaumaßnahmen Gültigkeit haben soll, und es wird weiter geprüft, inwieweit auch durch die Neugestaltung der Ingenieur- und Architektenleistungen weitere Ansätze zur schnelleren Rationalisierung geschaffen werden können.
Meine Damen und Herren, Sie sollten die ganze Breite dieses Fächers, den ich hier vor Ihnen ausgebreitet habe, berücksichtigen, wenn Sie über die weitere Entwicklung des Wohnungsbaus und des Bausektors debattieren. Jede Einzelmaßnahme ist sicherlich allein gesehen nicht in der Lage, die Probleme zu lösen. Aber alle zusammengenommen werden dazu führen — davon bin ich überzeugt —, daß wir endlich eine Wohnungsversorgung erreichen, die eines sozialen Rechtsstaates würdig ist. Das ist unser Ziel.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607033300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Henke. Für ihn sind 20 Minuten Redezeit beantragt.

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607033400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage und deren Inhalt konnten noch darauf schließen lassen, daß es der Opposition vor allen Dingen um eine sachliche Aussprache über den angesprochenen Problemkreis geht. Nachdem Herr Erpenbeck gesprochen hat, ist es aber wohl klar, daß es hier weniger um die Sache als vielmehr darum geht, die Sünden der Vergangenheit zu verkleistern.

(Abg. Erpenbeck: Da ist nichts zu verdekken! — Zuruf von der CDU/CSU: Vier Jahre Wohnungsbauminister Lauritzen!)




Henke
— Darüber reden wir noch, Herr Erpenbeck. Es wäre sicher sinnvoller, wenn wir die Zeit für die Arbeit an dringend notwendigen Gesetzen, beispielsweise dem Städtebauförderungsgesetz, verwendeten.

(Beifall bei der SPD.)

Ich habe Ihnen bereits im Mai von dieser Stelle aus gesagt: Der Sektor Wohnungswesen eignet sich besonders gut dazu, Ihnen nachzuweisen, daß die heutigen Schwierigkeiten, die nicht wegdiskutiert werden sollen, entscheidend auf die Fehlanlage Ihrer Wohnungspolitik, meine Damen und Herren von der Opposition, in den vergangenen 10 Jahren zurückzuführen sind.

(Abg. Ott: In den vergangenen vier Jahren! — Abg. Erpenbeck: Es ist schwer, zu lernen!)

- Die Hauptursache der Misere, Herr Erpenbeck,
liegt nicht, wie Sie hier ausgeführt haben, in der Konjunktur-, sondern in der Struktursituation. Die gegenwärtige Situation auf dem Bau- und Wohnungsmarkt ist durch erhebliche Strukturmängel gekennzeichnet, die allerdings durch die jetzige Konjunkturlage scharf hervorgetreten sind.
Die Fehlentwicklung unseres Wohnungsmarktes ist durch zwei grundsätzliche politische Entscheidungen eingeleitet worden, die Sie, meine Damen und Herren von der Union, gegen Ende der 50er Jahre gefällt haben: erstens durch den stufenweisen Abbau der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau und zweitens durch die Freigabe des Wohnungsmarktes nach dem sogenannten Lücke-Plan. Beide Maßnahmen, gegen den Widerstand meiner Fraktion durchgepaukt, überließen im Laufe der 60er Jahre einen Sektor dem Markt, der, wie sich jetzt eindeutig zeigt, keinerlei Voraussetzungen für einen solchen Schritt mitbrachte.

(Abg. Erpenbeck: Er hat aber Wohnungsbauzahlen gebracht wie nie zuvor und nie danach!)

— Dazu komme ich noch.
Der gewaltige Nachfrageüberhang, ergänzt durch ein absolut unzulängliches Mietrecht, trieb die Mieten hoch und ließ Wohnungssuchende verzweifeln. Da helfen keine Durchschnittszahlen. In den Ballungsräumen ist die Situation sehr, sehr viel härter; sie macht zur Zeit die größten Schwierigkeiten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607033500
Herr Kollege Henke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0607033600
Herr Kollege, sind Sie nicht auch der Meinung, daß weniger die beiden Maßnahmen, die Sie angesprochen haben, schuld daran sind, daß weniger Wohnungen gebaut werden, als vielmehr die wirtschaftliche Entwicklung, nämlich 37 bis 40 % Baukostensteigerung gerade in den Gebieten, in denen Wohnungen fehlen?

(Zurufe von der SPD.)


Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607033700
Entschuldigen Sie, Herr Niegel, Sie können doch grundsätzliche Mängel des Wohnungsmarktes jetzt nicht auf eine Baukostensituation beschränken wollen, die seit 12 Monaten gegeben ist. Das scheint mir doch am Problem vorbeigeredet zu sein.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0607033800
Herr Kollege Henke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607033900
Herr Müller, ich möchte Sie vorher darum bitten, daß es keine eigene Rede wird, so wie Sie es soeben bei Herrn Lauritzen praktiziert haben. Dann würden Sie sich besser hier zu Wort melden. — Bitte schön!

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0607034000
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß in den Jahren von 1960 bis 1966 jedes Jahr etwa die gleichen Mittel für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt worden sind und auch etwa die gleiche Anzahl von 220 000 bis 250 000 Sozialwohnungen entstanden ist und daß seit dieser Zeit bis heute die Mittel um 20 % gestiegen sind, aber die Zahl der Sozialwohnungen um etwa 25 % heruntergegangen ist?

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607034100
Herr Kollege Müller, mir ist bekannt, daß die fortfallenden Bundesmittel seit Beginn der 60er Jahre durch zusätzliche Leistungen der Länder — insbesondere der sozialdemokratischen Länder — und der Gemeinden ausgeglichen worden sind.

(Beifall bei der SPD.)

Nur darauf ist nämlich das gute Ergebnis bis Mitte der 60er Jahre, das Sie hier soeben zitiert haben, zurückzuführen, nicht auf den Einsatz von Bundesmitteln. Herr Erpenbeck ist der präzisen Frage zu diesem Bereich soeben auch sehr geschickt ausgewichen. Er hat nicht differenziert, wo der Anteil des Bundes liegt und wo der Anteil der Länder bzw. der Gemeinden liegt.

(Abg. Erpenbeck: Sagen Sie doch den Anteil genau! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

— Lassen Sie mich zu meinem Text kommen.

(V o r sitz : Vizepräsident Dr. Schmid.)

Der Wohnungsfehlbestand in den Ballungsräumen und die daraus resultierenden sozialen Härten sind heute zu einem Problem ganz besonderer Brisanz für unsere Gesellschaftsordnung geworden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607034200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607034300
Herr Kollege, würden Sie mir beipflichten, wenn ich behaupte, daß die Wohnungsnot um 400 000 Wohnungen geringer wäre, wenn Ihr Wohnungsbauminister in den letzten vier Jahren das im Jahr gebaut hätte, was Herr Lücke gebaut hat?
3914 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den B. Oktober 1970

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607034400
Herr Kollege Ott, ich will Ihnen gleich sagen, daß es überhaupt keine Wohnungsnot gegeben hätte, wenn Sie Ende der 50er Jahre den sozialdemokratischen Vorstellungen gefolgt wären. Aber darauf komme ich, es wird nicht lange dauern.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Niegel: Dann gäbe es nur noch „Neue Heimat" !)

— Sie, die heutige Opposition, waren doch schon vor zehn Jahren der Meinung, daß es in diesem Lande grundsätzlich keine Wohnungsprobleme mehr geben würde und erst recht keine Wohnungsnot mehr geben würde.

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich dies mit Zitaten des damaligen
Wohnungsbauministers Lücke - Herr Lücke ist ja
hier verdeutlichen. Bei der Einbringung des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Mietrecht führte er am 12. November 1959 unter anderem folgendes aus:
Das Gesetz wird nicht nur der Gesundung des Hausbesitzes dienen, sondern ebenso in wohlverstandenem Interesse der Mieter liegen.
Und weiter:
Ihre Entscheidung wird aber auch die letzte Insel der Zwangswirtschaft zum Wohle aller Bürger beseitigen. Eine neue Epoche des deutschen Wohnungswesens kann dann eingeleitet werden.

(Abg. Lücke [Bensberg] : Sehr richtig!)

- Fürwahr. Obdachlose und Mieterorganisationen machen bei ihren Demonstrationen zur Zeit sehr deutlich, was mit dieser neuen Epoche los ist.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ist reine Demagogie!)

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß der damalige DP-Abgeordnete und heutige Präsident des Haus- und Grundbesitzervereins, Preusker, in der gleichen Debatte befürchtete, wir würden eine Wohnungshaldenlage bekommen. Es ist sehr interessant, wenn man nach mehr als zehn Jahren solche Debatten nachliest und sie mit der gegebenen politischen Wirklichkeit vergleicht. Für die SPD erklärte damals Herr Abgeordneter Hauffe:
Ferner müssen wir darum bitten, daß der soziale Wohnungsbau auch über den Auslauftermin des Zweiten Wohnungsbaugesetzes hinaus weitergeführt wird. Es ist einfach unvorstellbar, daß bis zu diesem Termin in den Ballungsgebieten der Bedarf auch nur eingermaßen gedeckt sein wird.
Und weiter:
Der Mieterschutz darf nicht abgebaut werden, sondern er muß durch ein modernes Mieterschutzgesetz ersetzt werden.
Wie recht Herr Hauffe hatte! Ich will hier nicht alle Auffassungsunterschiede von damals aufwärmen. Aber auf den Kern der Auseinandersetzung muß ich hinweisen, und damit komme ich zu der Frage, die der Kollege Ott hier soeben gestellt hat. Die Unionsparteien glaubten damals, 3 % Defizit, gemessen am tatsächlichen Bedarf, würden das Funktionieren des Marktes nicht verhindern. Die SPD-Fraktion, die im
Grunde eine mechanische marktwirtschaftliche Betrachtungsweise ablehnte, forderte einen Überhang von 3 %, um den gesellschaftlichen Besonderheiten dieses Marktes Rechnung zu tragen. Dieser Auffassungsunterschied von insgesamt 6 % — in Wohnungseinheiten ausgedrückt, mehr als 1,2 Millionen Wohnungen - ist die tiefere Ursache für die Misere am Wohnungsmarkt.

(Zustimmung bei der SPD.)

Eine, wie wir heute wissen, fehlerhafte Statistik verschärfte das Problem. Zwei Zitate aus der schon genannten Debatte am 12. November 1959 zeigen die damalige Position Ihrer Partei.

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

- Lassen Sie mich bitte die beiden Zitate noch bringen, Herr Schulze-Vorberg.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607034500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607034600
Ja, nach den beiden Zitaten, Herr Präsident.
Der damalige Bundeswohnungsbauminister Lücke meinte in dieser Diskussion:
Wie Sie sehen, macht die Feststellung des Wohnungsfehlbestandes keine praktischen Schwierigkeiten, vor allem ist sie objektiv. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Statistiken einen viel höheren Bedarf ausweisen, als er in Wirklichkeit besteht.
Und Ihr Parteifreund Dr. Hesberg in der gleichen Debatte:
Der ermittelte ungedeckte Bedarf ist eher geringer, als er sich aus den Berechnungen des Wohnungsbauministeriums ergibt und als in der Vorlage unterstellt worden ist.

(Abg. Frau Meermann: Hört! Hört!)

Das waren, so meine ich, folgenschwere Irrtümer. - - Bitte schön!

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607034700
Darf ich fragen — nachdem wir in der Frage an Herrn Minister Lauritzen festgestellt hatten, daß in seinem vierten Amtsjahr 100 000 Wohnungen weniger gebaut worden sind

(Zuruf von der SPD: Das sagen Sie zum vierten Mal!)

— die Zahl wird deswegen nicht falscher! — als im langjährigen Durchschnitt unter Wohnungsbauminister Lücke: Wie erklären Sie bei den Vorhaben der Sozialdemokratischen Partei, die Sie sicher völlig zu Recht hier zitiert haben, daß bei Lücke die geförderten Sozialwohnungen im Durchschnitt über 300 000 Wohnungen lagen ich kann die Zahlen im einzelnen nennen, sie lagen im Durchschnitt über 300 000 während bei Herrn Minister Lauritzen die Zahlenkurve so ist: 1967 170 000 Sozialwohnungen, 1968 150 000 Sozialwohnungen, 1969 131 000 Sozialwohnungen, und 1970 fast von einem



Dr. Schulze-Vorberg
Zusammenbruch des sozialen Wohnungsbaues gesprochen werden muß? Wie erklären Sie diesen großen Unterschied zwischen Theorie und Praxis?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607034800
Das ist auf die Fehlanlage Ihrer Politik bereits zu Beginn der sechziger Jahre zurückzuführen.

(Widerspruch von der CDU/CSU.)

— Aber natürlich. Das ist doch der wesentliche Punkt. Damals haben Sie die Last des Wohnungsbaus den Ländern und den Gemeinden aufgeladen. Länder und Gemeinden sind auf Grund ihrer finanziellen Situation im Laufe der letzten Jahre in zunehmendem Maße in Schwierigkeiten gekommen. Das hat den Rückfall bedingt.
Ein Weiteres! Das wissen Sie doch auch, oder Ihre Wohnungsbauexperten müßten es bestätigen: es war doch übereinstimmende Linie dieses Hauses bei allen Fraktionen, daß wir mit 500 000 Wohnungen pro Jahr uns jetzt in den Markt einpendeln sollten. Oder gibt es Widersprüche, Herr Mick? — Das war die Linie der Wohnungsbaupolitiker aller Fraktionen — Herr Müller-Hermann?

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607034900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt (München)? — Sie kommen gleich dran, Herr Abgeordneter Müller-Hermann.

Manfred Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0607035000
Herr Kollege Henke, fühlen Sie sich bei der Wiederholung der Fragen des Kollegen Schulze-Vorberg auch an das GoetheWort erinnert, daß getretener Quark breit und nicht stark wird?

(Heiterkeit.)


Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607035100
Ein treffliches Zitat. Herzlichen Dank.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607035200
Herr Abgeordneter Müller-Hermann!

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0607035300
Herr Kollege Henke, wie erklären Sie sich bei Ihrer Argumentation, daß während der Amtszeit des Herrn Kollegen Lücke als Wohnungsbauminister trotz des stufenweisen Abbaus der Bundesmittel die Leistungen gestiegen sind und zu beachtlichen Höhepunkten geführt haben?

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607035400
Ich glaubte das gesagt zu haben: durch die Mehrleistungen der Länder und der Gemeinden, Herr Müller-Hermann.

(Widerspruch von der CDU/CSU.)


Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0607035500
Sind Sie schon mal auf den Gedanken gekommen, daß es der klugen und einfallsreichen Politik von Herrn Lücke damals gelungen ist, auch andere Kräfte zu mobilisieren, die zu diesen Höchstleistungen geführt oder beigetragen haben?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607035600
Eine weitere Zwischenfrage, Herr Orgaß.

Gerhard Orgaß (CDU):
Rede ID: ID0607035700
Herr Kollege Henke, wie ist der Widerspruch in Ihrer Argumentation aufzuklären, wenn Sie sagen, die Zahl sei nur deswegen erreicht, weil wir unter der Verantwortung von Minister Lücke den Ländern und Gemeinden die Last zugeschoben haben, während in der Antwort auf die Große Anfrage durch Ihren Minister erklärt wird, daß die zusätzlichen Leistungen, die Sie vorgesehen haben, nur dann erreicht werden können, wenn die Länder zusätzliche Aufwendungen machen?

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0607035800
Herr Orgaß, vielleicht ist Ihnen entgangen, daß wir bisher von der Vergangenheit sprachen und daß das ein Zukunftsprogramm ist.

(Zuruf des Abg. Orgaß.) — So kommen wir ja nicht weiter.

Nun fragen Sie in Ihrer Großen Anfrage nach der Baukostenentwicklung

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Wollen Sie meine Frage nicht beantworten? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— ich glaube das getan zu haben — und ihren Auswirkungen auf den sozialen Wohnungsbau. Auch hier weist die Tatsache, daß die Preisentwicklung in der Bauwirtschaft alle übrigen Wirtschaftszweige um ein Mehrfaches übersteigt, auf eindeutige Strukturmängel hin. Zumindest im Bereich des Hochbaus hat die Nachfrage das Angebot ganz erheblich überstiegen. Preissteigerungen von 40 % — hier stimme ich dem Herrn Kollegen Erpenbeck zu — in den Ballungsräumen im Laufe eines Jahres sind keine Seltenheit. Der organisatorische und technische Standard unserer Bauwirtschaft hinkt gewaltig hinter den Erfordernissen des Marktes her. Wer ins Ausland reist, ist immer wieder überrascht über die Entwicklung in anderen Ländern. Unsere Bauweise wirkt dagegen vergleichsweise auch bei Großbauvorhaben zum Teil recht mittelalterlich. Erst seitdem ein Sozialdemokrat dieses Ressort verwaltet, wird die Bauforschung durch die Bundesregierung forciert. Das neue Wohnungsbauprogramm wird unter anderem Bestimmungen enthalten, die den Prozeß der Rationalisierung, Industrialisierung und Kooperation in unserer Bauwirtschaft zu fördern vermögen.

(Abg. Erpenbeck: Von Demonstrativbauvorhaben haben Sie noch nichts gehört?!)

Bau- und Wohnungsmarkt werden erst funktionieren, wenn sie in ihrer Struktur gesunden. Das wird bedauerlicherweise nicht von heute auf morgen möglich sein. Man kann Wohnungen nicht wie Brötchen backen und einen ganzen Wirtschaftszweig nicht in einem Jahr der Entwicklung anpassen.

(Abg. Ott: Vier Jahre Lauritzen!)




Henke
Das bedeutet mit Sicherheit noch einige Jahre Schwierigkeiten. Wie schwierig, mögen Sie aus meiner Erläuterung zu Ihrer Frage 4 entnehmen: „In welchem Umfang werden die im Haushaltsplan 1971 und in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1974 zusätzlich angekündigten Bundesmittel durch die gegenwärtig hohen Baupreissteigerungen absorbiert?" Wenn es nicht gelingt — es wird nicht leicht sein, obwohl die öffentliche Hand hier einige Steuerungsmöglichkeiten hat —, eine Verlagerung im Gesamtvolumen der Bauwirtschaft zugunsten des sozialen Wohnungsbaus zu erreichen, besteht die Gefahr, daß Mehrausgaben des Bundes grundsätzlich eine baupreis- und damit letztlich auch eine mietpreistreibende Wirkung haben könnten. Ich sehe diese Gefahr durchaus. Würden wir aus diesem Grunde für eine restriktive Ausgabenpolitik sein, bleibt der Wohnungsmarkt unausgeglichen. Bei dieser Alternative wären Mietpreissteigerungen vom Wohnungsmarkt her die Konsequenz. Die SPD-Fraktion begrüßt es daher, daß die Bundesregierung mit ihrem langfristigen Wohnungsbauprogramm in diesem Zielkonflikt zugunsten der Wohnungsuchenden und Mieter entschieden hat.
Diese Schwierigkeiten, meine Damen und Herren von der CDU, haben Sie durch eine über viele Jahre betriebene falsche Politik zu verantworten. So gesehen ist Ihre Große Anfrage nützlich. Sie gibt uns Gelegenheit, die wahren Ursachen für die heutigen Schwierigkeiten noch einmal zu verdeutlichen.

(Abg. Erpenbeck: Ursache und Wirkung werden verwechselt! — Abg. Ott: Vier Jahre Lauritzen!)

Die Große Anfrage und insbesondere die Begründung des Oppositionssprechers sind im Grunde genommen nichts anderes als die billige Methode: „Haltet den Dieb!"
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Das Klima im Städtebau und Wohnungswesen hat sich grundsätzlich verändert. Beide stehen nicht mehr irgendwo am Ende der Dringlichkeitsskala der gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Prioritäten. An Stelle der von früheren Bundeswohnungsbauministern eingeführten Degression der öffentlichen Mittel ist es dem jetzigen Ressortminister gelungen, für den sozialen Wohnungsbau im Bundeshaushalt und im Finanzplan des Bundes einen höheren Stellenwert zu erreichen. Wenn der Bund im Haushalt 1971 und in der Finanzplanung bis 1974 1,7 Milliarden DM zusätzlich für das langfristige Wohnungsbauprogramm zur Verfügung stellt, so ist das eine Leistung, die man nicht verniedlichen sollte. Insoweit sollte auch die Opposition, die doch gleichzeitig mit der Baupreisentwicklung so lebhaft den Rückgang des sozialen Wohnungsbaus beklagt, dem jetzigen Ressortminister dankbar sein.
Die eingeleiteten Maßnahmen bedeuten einen Kurswechsel in der Wohnungsbapolitik. Der rosaroten Betrachtungsweise früherer Bundesregierungen steht die harte Realität des Marktes gegenüber. Diese Bundesregierung ist gewillt das haben die Ausführungen von Herrn Minister Lauritzen sehr deutlich gemacht —, der Wohnungspolitik den Rang zuzuweisen, der ihr im Rahmen der Gesellschaftspolitik zukommt. Die SPD-Fraktion bedankt sich dafür.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607035900
Meine Damen und Herren, um es uns allen zu erleichtern, diesen Abend vernünftig zu organisieren, teile ich Ihnen mit, daß wir noch sieben Redner haben. Aber die Liste ist noch offen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wurbs. Er hat um 20 Minuten Redezeit gebeten.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0607036000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist bereits zur Übung geworden, daß von der Opposition in regelmäßigen Abständen Konjunkturdebatten beantragt werden. Das gleiche gilt für den Sektor des Wohnungsbaus. Bereits in ihrer Anfrage vom April 1970 hat die Opposition den gleichen Fragenkomplex angeschnitten, der hier eingehend diskutiert wurde.
Ich will nicht beschönigen, daß auch uns die Situation auf dem Wohnungsmarkt Sorge bereitet. Es ist aber nicht damit getan, daß seitens der Opposition in gewissen Abständen Anfragen an die Regierung gerichtet werden, die sicher nicht dazu beitragen, die Unruhe im Kreise der Betroffenen zu beseitigen. Argumente werden nicht besser, wenn man sie laufend und lauthals vorbringt.

(Sehr richtig! links.)

Ich muß auch den Vorwurf der CDU/CSU zurückweisen, daß für die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt allein die Bundesregierung verantwortlich zu machen ist. Die Lage auf dem Wohnungssektor muß im engen Zusammenhang mit der allgemeinen Konjunkturlage gesehen werden. In der gestrigen Konjunkturdebatte hat die Bundesregierung ihren Standpunkt hier im einzelnen klar dargelegt. Ich kann es mir wohl ersparen, dazu hier noch im einzelnen Ausführungen zu machen.
Uns allen ist nicht damit gedient, das Problem zu verniedlichen, aber ganz sicher auch nicht dadurch, damit laufend Zweckpessimismus zu betreiben. Auch dürfte Ihnen bekannt sein, meine Damen und Herren von der Opposition, daß die Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht von heute auf morgen zu ändern ist, sondern daß hier langfristige Lösungsmöglichkeiten angestrebt werden müssen.
Bei dem angesprochenen Problem handelt es sich im wesentlichen um ein Strukturproblem sowohl des Wohnungsbaus wie auch des Wohnungsmarktes insgesamt. Daß dieses Strukturproblem durch die konjunkturellen Auswirkungen lediglich verstärkt wurde, wurde an dieser Stelle deutlich.
Es ist aber geradezu absurd, auf der einen Seite konjunkturdämpfende Maßnahmen von der Bundesregierung zu verlangen, auf der anderen Seite eine Forcierung des Wohnungsbaus zu fordern. Hier muß einmal festgestellt werden — ich glaube, daß ich das unbefangen tun kann —, daß in den Jahren 1968 und 1969 der Anteil des sozialen Wohnungsbaus zurückgegangen ist, also in einer Zeit, als Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, den Bundes-



Wurbs
kanzler stellten. Ich muß hier ein Argument des Herrn Kollegen Erpenbeck zurechtrücken, der versucht hat, dem Ministerium und dem zuständigen Minister einen Vorwurf anzulasten. Denn eines ist doch klar: Die Wohnungsbauvorhaben, die 1969 abgeschlossen wurden, wurden doch zumindest geplant und projektiert im Jahre 1968, wenn nicht schon früher. Man kann nicht allein dem Ressortminister die Schuld geben, sondern man muß sie auch demjenigen zumessen, der die Richtlinien der Politik bestimmt.

(Abg. Baier: Aber zumindest trägt der Ressortminister die gleiche Schuld! Und vor Herrn Lauritzen war jemand Minister, der Ihrer Partei angehört hat!)

— Das habe ich auch gar nicht bestritten. Ich habe mich nur mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen, die Sie im Augenblick gegen die Bundesregierung vorbringen.

(Abg. Ott: Der Ressortminister hat eine eigene Verantwortung!)

— Bitte melden Sie sich doch, Herr Ott. Hier stehen so viele Mikrophone. Sie haben zwar ein durchdringendes Organ, aber man bekommt akustisch nicht alles mit.
Es ist nicht zu bestreiten, daß sich der Preisanstieg vom November 1969 bis zum heutigen Tage laufend verringert hat, nämlich von 6,2 % auf 1,5 %. Diese statistischen Zahlen sollen uns jedoch nicht dazu veranlassen, die Hände in den Schoß zu legen. Ich gebe auch zu, daß mit einem Rückgang der Baupreise für die kommenden Jahre nicht zu rechnen ist. Aber die Behauptungen, daß die von der Bundesregierung veranlaßten Dämpfungsmaßnahmen bisher nicht gegriffen haben, stimmen nicht.
Wir Freien Demokraten messen der Stabilität große Bedeutung bei; aber nicht um den Preis einer Rezession. Wir sind über die Preissteigerungsraten der letzten Wochen und Monate keinesfalls glücklich. Ihr Kollege Strauß hat in der Finanzdebatte eine Steigerungsrate von etwa 2 % auch als nicht in jedem Falle schädlich bezeichnet. Die Bundesregierung wird alles daran setzen, die Preissteigerungsrate Zug um Zug, aber nicht ad hoc auf das zulässige Maß zurückzuführen.
Wenn Sie ehrlich sind, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, müssen Sie doch zugeben, daß Sie kein Patentrezept haben, um die Situation auf dem Wohnungsmarkt ad hoc zu ändern. Ich behaupte sogar, daß die Situation nicht anders — zumindest nicht besser — wäre, wenn Sie im Augenblick die Regierungsverantwortung tragen würden.
Die Bundesregierung ist keineswegs untätig gewesen, wie Sie immer darzustellen versuchen. Vielmehr hat die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Wir werden uns in den kommenden Wochen mit diesen Maßnahmen auseinanderzusetzen haben.
Zu den Mietpreis- und Baukostenerhöhungen haben eine ganze Reihe von Faktoren beigetragen, die zum Teil kumulierend wirken.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607036100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott? Bitte sehr!

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0607036200
Herr Kollege, da Sie erklären, daß die Bundesregierung nicht untätig gewesen sei, frage ich Sie: Können Sie mir sagen, was die Bundesregierung getan hat, damit die überhöhten Hypothekenzinsen von 81/2 % wieder auf ein normales Maß gesenkt werden und damit die monatliche Mietbelastung um 50 DM verringert wird?

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0607036300
Herr Kollege Ott, ich möchte das als eine hypothetische Frage ansehen. Auf der einen Seite werfen Sie der Bundesregierung vor, sie tue nicht genug, die Konjunktur zu dämpfen. Sie wissen, daß gerade die Diskonterhöhung eine konjunkturdämpfende Maßnahme ist.

(Zuruf des Abg. Ott.)

- Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Sie kommen ja noch an die Reihe.
Ich geben Ihnen zu, daß sich diese Diskonterhöhung für einen großen Bereich, vor allem für den mittelständischen Bereich nachteilig auswirkt. Aber solange sich die Konjunktur nicht im wesentlichen gebessert hat, können wir keine Senkung des Diskontsatzes verlangen, zumal da die Bundesbank in ihrer Entscheidung autonom ist und wir darauf keinen Einfluß haben.

(Zuruf von der SPD: Natürlich ist die Bundesbank unabhängig! Oder nicht? — Abg. Frau Meermann: Wann haben Sie den Vorschlag gemacht? — Abg. Ott: Schiller ist doch schuld an der Fehlbeurteilung! — Weitere Zurufe.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607036400
Herr Kollege Ott, Sie scheinen noch sehr viel sagen zu wollen. Es wäre besser, Sie täten es auf Grund einer Wortmeldung, die Ihnen das Rednerpult zugänglich machen würde, als durch Zwischenrufe, die man trotz Ihres guten Organs nur schwer verstehen kann.

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0607036500
Meine Damen und Herren, zu den Mietpreis- und Baukostenerhöhungen haben eine Reihe Faktoren beigetragen, die zum Teil kumulierend wirken. Ich muß diese Fakten noch einmal aufzählen, auch wenn ich mich vielleicht wiederholen sollte.
Es sind dies erstens Lohn- und Preiserhöhungen im Bau- und Ausbaugewerbe. Ich darf hier vielleicht einmal eine Zahl nennen. Von April 1969 bis August 1970 hat es Lohnerhöhungen von 30 % gegeben. Hinzu kommen weitere Faktoren, beispielsweise die Auswirkung der Lohnfortzahlung. Wenn man zu diesen Faktoren die normalen Zuschläge hinzunimmt, kommt man schon auf eine Belastung von etwa 20 %. Ich darf hier anfügen, daß diese Lohnerhöhung im Baugewerbe in jedem Fall erforderlich gewesen ist. Ich darf in Erinnerung rufen, daß während der Rezession und während der Wintermonate etwa 200 000 Arbeitskräfte aus dem Baugewerbe abgewandert sind. Wenn wir dieser Entwicklung Einhalt gebieten wollen, müssen wir den Bauberuf



Wurbs
attraktiv gestalten, um überhaupt noch Wohnungen bauen zu können.
Des weiteren kommt der Anstieg der Bodenpreise hinzu. Wir haben im Augenblick das Städtebauförderungsgesetz in der Beratung. Ich möchte hoffen, daß wir mit der Beratung zügig vorankommen und daß wir das Gesetz Anfang nächsten Jahres so weit haben, daß wir es verabschieden können.
Ich will die anderen Faktoren wie Erhöhung der kommunalen Abgaben, Wegfall der Grundsteuervergünstigung hier nur am Rande erwähnen. Vor allem aber kommt ein Faktor hinzu: daß sich eine verstärkte Nachfrage nach Sachwerten in Form von Eigentumswohnungen, Eigenheimen und Grundstücken bemerkbar macht. Diese verstärkte Nachfrage resultiert aus einer gewissen Inflationsmentalität, in der man vermeintliche Wertsteigerungen mitnehmen will.
Die Bundesregierung hat zur Verbesserung der Wohnungs- und Mietsituation ein breit angelegtes Sofortprogramm beschlossen, das unter anderem die Verstärkung des sozialen Wohnungsbaus um jährlich 100 000 Wohnungen vorsieht. Das heißt, es werden bis zum Jahre 1974 rund 1,7 Milliarden DM mehr aufgewendet werden.
Herr Erpenbeck, ich darf hier vielleicht ein kurzes Zahlenbeispiel geben, das ich mir während Ihrer Ausführungen notiert habe. Wenn ich von Ihrem schleswig-holsteinischen Beispiel ausgehe, daß eine Wohnung normalerweise 66 000 DM kostet, würden 100 000 Wohnungen 6,6 Milliarden DM erfordern. Wenn ich davon ausgehe, daß 15 % Eigenkapital zu erbringen sind, daß die Länder 20 % aufbringen, der Bund 26 % — wobei man über die Höhe des Bundesanteils noch streitet; ich will hier nur einmal darlegen, daß eine Finanzierungsmöglichkeit durchaus gegeben ist — und wenn etwa 38 % vom Kapitalmarkt aufgebracht werden müssen, ist der Beweis erbracht, daß mit dieser Summe von 1,7 Milliarden DM die Finanzierungsmöglichkeiten durchaus gegeben sind. — Bitte sehr, Herr Erpenbeck!

Ferdinand Erpenbeck (CDU):
Rede ID: ID0607036600
Herr Kollege Wurbs, würden Sie bei diesem Ihrem Zahlenbeispiel aber berücksichtigen, daß ich darauf hingewiesen habe, daß die Bundesregierung für 250 Millionen DM 50 000 Wohnungen im Sozialprogramm erstellen will, daß dafür auf jede dieser Sozialwohnungen umgerechnet 5000 DM Bundesmittel kommen und die von der Landeskreditanstalt Schleswig-Holstein errechneten 30 000 DM öffentlicher Zuschuß dann nur erreicht werden können, wenn die Länder mit 25 000 DM je Wohnung einsteigen?

Richard Wurbs (FDP):
Rede ID: ID0607036700
Das ist nicht ganz richtig, Herr Erpenbeck. Man braucht ja die Wohnungen nicht in jedem Falle mit Darlehen zu fördern, sondern man kann ja den gleichen Effekt erzielen, indem man mit Annuitätsgeschäften mit Zinsgeschäften arbeitet. Man kann beispielsweise mit 100 000 DM, 1 Million DM oder 100 Millionen DM Zinszuschüssen eine Vielzahl von Wohnungen finanzieren. Wir müssen uns dieses Beispiel, wenn wir zu den Einzelberatungen Ober die Maßnahmen kommen, ausrechnen. Es ist aber nicht unbedingt gesagt, daß das einzelne Objekt mit 30000 DM Darlehen finanziert werden muß, sondern man kann es vielleicht mit 5000 oder 10 000 DM finanzieren und den Rest im Wege einer Annuitätsbeihilfe geben. Da erzielt man den gleichen Effekt; das werden Sie mir doch zugeben.

(Abg. Erpenbeck: Über die Finanzierungsmethoden müssen wir uns dann unterhalten!)

— Das ist selbstverständlich.
Darüber hinaus liegt dem Ausschuß der Entwurf eines Zweiten Wohngeldgesetzes vor, der wesentliche Verbesserungen bringen soll. Weitere flankierende Maßnahmen, vor allem im Bereich der Rationalisierung, sind vorgesehen.
Ich darf aber hier an dieser Stelle ganz ausdrücklich erklären, daß die Koalitionsfraktionen und die Regierung einen Mietpreisstopp kategorisch ablehnen, weil sie der Auffassung sind, daß ein Mietpreisstopp keine Lösung bietet, sondern nur einen Stau erzeugen würde und daß nach Freigabe der Mietpreise eine Kostenlawine einsetzen würde, daß darüber hinaus aber während der Zeit des Mietpreisstopps der private Wohnungsbau stark beeinträchtigt und vor allen Dingen auch der Althausbestand gefährdet würde. Nach meiner Auffassung, meine Damen und Herren, müßte künftig der Einfluß des Wohnungsbauministeriums bei der Vergabe und bei dem Einsatz der Mittel verstärkt werden, um mehr Prioritäten zu setzen, um die Mittel sinnvoller einzusetzen, als das bisher der Fall war. In Abstimmung mit den übrigen Ressorts und den Ländern muß im Wege der Kooperation und der Koordination ein kontinuierliches Bauen erreicht werden.
Meine Damen und Herren! Wie ich schon ausführte, sind auch wir über die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Sorge. Es ist aber niemandem damit gedient, wenn man die Verhältnisse dramatisiert oder sie herunterspielt.
Ein Beispiel. Die gesetzlichen Bestimmungen lassen nicht in jedem Fall, wie häufig behauptet wird, eine Mietpreiserhöhung zu. Eine Mieterhöhung ist nur im Wege einer Kündigung möglich, wenn es nicht zu freien Vereinbarungen gekommen ist. Bei einem sich möglicherweise ergebenden Rechtsstreit aber hat der Mieter die höhere Miete erst nach Ablauf der Kündigungsfrist zu zahlen. Die Fristen richten sich nach der Mietdauer. Mir erscheint es wichtig zu sein, hier entsprechende Aufklärung zu betreiben, um den Mieter auf seine ihm zustehenden Rechte hinzuweisen.
Ich möchte noch ganz kurz ein weiteres Problem anreißen, das Problem der Fehlbelegungen. Es ist bisher keiner Regierung gelungen — aus den verschiedensten Gründen dieses Problem einer Lösung zuzuführen. Ich darf mir vielleicht an dieser Stelle die Anregung erlauben, zu prüfen, ob es nicht möglich ist, eine Tabelle zu erstellen, aus der zu ersehen ist, ob der betreffende Antragsberechtigte noch zu dem Berechtigtenkreis gehört. Es wurde bisher immer argumentiert, man würde dadurch das



Wurbs
Steuergeheimnis verletzen. Wenn man aber sein Einkommen nicht auf Heller und Pfennig offenlegen muß, so könnte man, glaube ich, den beabsichtigten Zweck mit Hilfe einer Tabelle erreichen: Das Finanzamt oder die Behörde brauchte nur Auskunft zu geben, ob der Betreffende über oder unter der Grenze liegt.

(Abg. Ott: Wenn ich ein Geschenk aus Steuermitteln haben will, muß ich auch meine Verhältnisse offenbaren!)

- Ja, er soll sie offenbaren, aber das Finanzamt soll
nur sagen, ob er darüber oder darunter liegt. Er muß der Wohnungsbehörde, aber nicht auf Heller und Pfennig, mitteilen, wieviel er verdient. Dem Finanzamt dagegen muß er ja seine Papiere offen auf den Tisch legen.

(Abg. Baier: Aber Herr Wurbs, warum so vorsichtig? Wenn Sie Wohngeld wollen, müssen Sie ja auch angeben, was Sie verdienen!)

- Ja, Herr Baier. Es ist nur bisher das Argument
gebracht worden, man könne das aus diesem Grunde nicht machen.

(Abg. Baier: Das ist ein falsches Argument!)

- Das mag sein. Aber man sollte dieses Problem
hier angreifen. Ich glaube, wir werden dann die gesamte Wohnungssituation schnell abmildern können.

(Abg. Baier: Das habe ich hier schon wiederholt gefordert!)

— Völlig klar. Da sind wir uns einig. Wir hatten
nur bisher keine Lösungsmöglichkeit, und zwar - das müssen Sie mir zugestehen — auch die vorige Regierung nicht. Wir sollten versuchen, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.
Meine Damen und Herren, das waren ein paar Bemerkungen zu der Anfrage der CDU/CSU aus der Sicht der Freien Demokraten. Sie werden bald die Möglichkeit haben, sich mit dem Sofortprogramm zu befassen. Aber ich möchte darum bitten, daß man das Sofortprogramm als ein geschlossenes Ganzes betrachtet und nicht punktuell die einzelnen Punkte auf ihre Praktikabilität hin überprüft. Man sollte vielmehr das Gesamtkonzept in einem sehen. Ich hoffe, wenn wir im Ausschuß über diese Maßnahmen zu beraten haben, daß sich dann die heute aufgekommenen Emotionen etwas gelegt haben und wir in einer sachlichen Atmosphäre uns der Arbeit zuwenden können zum Wohle aller, die von den derzeitigen Mißständen betroffen sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607036800
Das Wort hat der Abgeordnete Mick. Er möchte gern 35 Minuten sprechen.

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0607036900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus der Formulierung der Großen Anfrage der CDU/CSU haben Sie gewiß entnommen, daß sie auf die Gegenwart bezogen, nach vorn gerichtet ist und nicht versucht,
Vergangenes zu glorifizieren, um Gegenwärtiges besser verteufeln zu können. In diesem Hause hat es immer so etwas gegeben wie eine „Fraktion Wohnungsbau", die sich in entscheidenden Fragen getroffen hat, wenn auch auf verschiedenen Wegen, und die gegen mannigfaltige Widerstände sich auch durchsetzen konnte.

(Abg. Wiefel: Das ist auch heute noch so!)

— Diese Debatte mit dieser unbedingten Rechthaberei hat leider nicht den Anschein, verehrter Herr Kollege.

(Abg. Wiefel: Beispiele!)

Politiker sind leider etwas dazu verurteilt, recht haben zu müssen. Aber ich meine, hier und heute geht es etwas zu weit.

(Abg. Wiefel: Nennen Sie doch einmal Beispiele!)

— Ich komme noch darauf. Lassen wir uns nicht gegenseitig die Redezeit stehlen. Damit kommen wir ja nicht weiter.
Ich huldige nicht dem Motto: „Was in der Gegenwart schlecht ist, ist Schuld der Vergangenheit." Und Sie sollten nicht dem Motto huldigen: „Was in der Gegenwart gut ist, hat mit der Vergangenheit überhaupt nichts zu tun." Denn sonst wird aus dem Ganzen ein munteres Spielchen, um die deutsche Öffentlichkeit zu verwirren, Emotionen zu wecken, Mieter und Vermieter gegeneinander statt zu einem Miteinander zu bringen.
Die außerparlamentarischen Koalitionspartner, die ihr Zusammenspiel mit der Sozialdemokratie als Oppositionspartei reibungslos gespielt haben, scheinen sich auf die neue Situation noch nicht eingestellt zu haben; denn hier wird weiß Gott mancherlei getan, um Tatbestände zu vernebeln, die an sich sonnenklar sind. Eine dieser Vernebelungsbemühungen gipfelt in dem Schlagwort: „Lücke ist an allem schuld und mit Lücke natürlich diese CDU/ CSU."

(Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Natürlich!)

— Ich nehme das Wort „natürlich" als einen sachlichen Beitrag zur Kenntnis. Damit ist dann der Marsch in die Vergangenheit angetreten, in Wirklichkeit nur deshalb, um von der Gegenwart abzulenken. Es ist doch geradezu grotesk, wenn etwa maßgebliche Gewerkschaftler die Sorgen der Opposition wegen der Preissteigerung als Volksverhetzung und was weiß ich, abtun, aber auf der anderen Seite sich in großen Protestaktionen wegen steigender Mieten ergehen, wobei diese Mieten natürlich nur deshalb steigen — immer im Jargon dieser Herren —, weil die Mieten zu frühzeitig freigegeben worden sind usw. Die weißen Kreise sind der Popanz und der Buhmann für alle die, die es nicht besser wissen und sich auf ihre Interessenorganisation verlassen. Demnach müßte

(Abg. Dr. Ahrens meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— lassen Sie mich den Satz zu Ende führen — in München und in Hamburg - Herr Kollege Schmidt,



Mick
Sie haben in Ihrer flammenden Jungfernrede hier gefordert, daß München schwarzer Kreis bleibt — alles in bester Ordnung sein. Berlin nehme ich hier einmal aus. Wer. eine solche Behauptung aufstellen würde, dem würde ich das Zeugnis ausstellen, er sei nicht recht bei Trost.
Bitte, Herr Kollege Ahrens!

Dr. Karl Ahrens (SPD):
Rede ID: ID0607037000
Herr Kollege Mick, sind Sie geneigt, mir darin zuzustimmen, daß die Höhe der Mieten nicht allein von den Baukosten, sondern vor allem und wahrscheinlich in erster Linie von Angebot und Nachfrage abhängt, und sind Sie geneigt, im Lichte dieser Erfahrung auch auf die zwei Millionen Wohnungen einzugehen, die seinerzeit fehlten, als die weißen Kreise gebildet wurden?

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0607037100
Verehrter Herr Kollege Ahrens, ich habe gerade darauf aufmerksam gemacht, daß z. B. in München und Hamburg das Gesetz von Angebot und Nachfrage noch nicht Gesetz ist. Wir haben durch eine gesetzliche Regelung das Handeln nach diesem Gesetz aufzuhalten versucht, und zwar mit einem Erfolg, der ja nun jedem offenkundig ist. Das Rezept von Herrn Nevermann, der heute wirklich eine große Aufgabe hätte, mit seinen Helfershelfern von der Gegenwart abzulenken und sich der Vergangenheit zuzuwenden, scheint mir nicht tauglich zu sein. Wir sind auch heute noch der Meinung, daß Mieter und Vermieter Partner sind und daß einer auf den anderen angewiesen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im Grunde genommen wird das auch von der Bevölkerung, vom einzelnen Hausbesitzer und vom einzelnen Mieter, anerkannt. Wenn das nicht der Fall wäre, herrschte in bundesdeutschen Landen eine Situation, die man nur noch mit dem Wort „Kriegszustand" bezeichnen könnte. Allerdings scheint mir das Verhalten sowohl des Mieterbundes als auch des Verbandes der Haus- und Grundbesitzer — ich drücke mich sehr gewählt aus — nicht immer dazu angetan zu sein, diesen Tatbestand der Partnerschaft auch nach außen zu dokumentieren.

(Abg. Lücke [Bensberg] : Sehr richtig!)

Wir haben damals schon angeregt - ich tue es
heute wieder —, daß man gemeinsame Haus- und Grundbesitzer- und Mieterberatungsstellen einrichten sollte, um beide Teile, Mieter und Vermieter, zu beraten, was sie als gerechte Sachwalter zu tun und zu lassen haben. Ich plädiere sogar dafür, daß der Bundeswohnungsbauminister sich einmal Gedanken darüber macht, wie man solche Beratungsstellen auch finanziell fördern könnte, damit den Organisationen der Mieter und Vermieter nicht finanzielle Opfer zugemutet werden, die sie nicht erbringen können. Das Geschrei: Die Hausbesitzer sind schuld! und die Gegenbeteuerung: Auch wir sind gegen Mietwucher!, ohne daß man sich endlich einmal konkrete Fälle, die ärgerniserregend sind, auf die Hörner nimmt, scheint mir wenig geeignet zu sein, in dem zum Teil krassen Fällen, in denen dann auch Emotionen eine Rolle spielen, Abhilfe zu schaffen.
Ich habe allerdings auch etwas dagegen — lassen Sie mich auch das in aller Offenheit aussprechen -, daß, wie es in den letzten Tagen in Köln geschehen ist, ein sozialdemokratischer Stadtverordneter wegen vermeintlichen oder tatsächlichen Mietwuchers in Ach und Weh ausbricht und der SPD-Bundestagsabgeordnete es war nicht der Herr Kollege Henke — dann erklärt: Das, was hier geschieht, ist zwar Wucher, aber leider können wir nichts dagegen tun, weil die Gesetzgebung nicht ausreicht, den wucherischen Vermieter zur Rechenschaft zu ziehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir wäre es lieber gewesen, einer der beiden Herren hätte eine Anzeige wegen Mietwuchers bei der Staatsanwaltschaft in Köln erstattet,

(Beifall bei der CDU/CSU)

so wie es der damalige Wohnungsbauminister Lücke tat, der einen Hausbesitzer in Wilster in Schleswig-Holstein kurz entschlossen per Fernschreiben anzeigte, als dieser für eine 32 qm große Altbauwohnung ohne Komfort statt bisher 64,60 DM in zwei Etappen 184,70 DM verlangte, weniger mit dem Ziel, diese Miete tatsächlich zu bekommen, als vielmehr die Mieter aus der Wohnung zu setzen. Die Anklage wurde auch unter den damaligen gesetzlichen Möglichkeiten durch den Staatsanwalt erhoben, und der Vermieter wurde mit einer Gefängnisstrafe von sechs Wochen mit Bewährungsfrist von zwei Jahren und mit einer Geldbuße von 400 DM zugunsten des Roten Kreuzes belegt, wobei ich Ihnen offen zugebe, daß von mir aus diese Geldstrafe um ein Vielfaches höher hätte ausfallen können. Das Urteil wurde übrigens rechtskräftig.
Ich begrüße — um auch dieses Beispiel hier zu nennen — die Initiative aus der Kölner Stadtverwaltung heraus, im Kölner Rathaus Beratungsstellen für Mieter und Vermieter einzurichten. Auch das scheint mir ein sachlicher Beitrag zu sein,

(Abg. Henke: Aber warum ist das so notwendig, Herr Mick?)

um von Emotionen weg wieder auf einen sachlichen Grund zu kommen.
Hier ist das soziale Mietrecht angesprochen worden. Ich bin heute noch stolz darauf, daß ich an den Beratungen über dieses soziale Mietrecht nicht unmaßgeblich — Herr Lücke, Sie werden mir das zugeben mitbeteiligt war.

(Zurufe von der SPD.)

Mancher Jurist in diesem Hause — ohne Rücksicht auf die Fraktion — hat bittere Tränen darüber geweint, daß wir das reine Sachenrecht des BGB in bezug auf das Gut „Wohnung" auf Grund einer sozialen Komponente beseitigt haben. Das war nach meiner Meinung ich bin kein Jurist, sondern Buchdrucker von Hause aus — ein Durchbruch in unserem Rechtsdenken, wie ihn sich mancher Jurist ohne Rücksicht auf die Fraktion hier nicht hat träumen lassen und wie er von manchen auch nicht gewünscht wurde, weil das sehr viel Umdenken verlangte. Wir haben die erste Novelle zu diesem Gesetz, und Sie wissen alle, daß man, wenn man etwas



Mick
weiter ausbauen will und muß, dies nur auf dem Grund tun kann, der bereits gelegt worden ist.
Aus Pressemitteilungen ist mir bekannt, daß die Bundesregierung an einer Verbesserung des Wucherparagraphen arbeitet. Ich wünsche ihr wirklich guten Erfolg und gestehe dabei, daß wir uns schon vor dem von mir soeben zitierten Urteil über die Frage des Mietwuchers unsere Gedanken gemacht haben, aber nicht die Quadratur des Zirkels gefunden haben. Auch das gebe ich hier in aller Offenheit zu. Es ist uns nicht gelungen, einen passenden Mietwucherparagraphen zu finden, der wirklich alles das abzudecken in der Lage ist, was ungerechtfertigterweise passiert. Wir waren uns darüber klar, daß ein solcher Mietwucherparagraph kaum passend zu machen ist, ohne daß zumindest die Gefahr besteht, allgemeine Preisauftriebstendenzen in der Wohnungswirtschaft zu fördern. Das Phantom der sogenannten Kostenmiete fördert ja geradezu die kostspieligsten Mietobjekte. Nicht zuletzt sind es — das liegt in der Natur der Sache — die ältesten und am schlechtesten gebauten Kästen, die die größten Kosten verursachen. Wir sind uns wohl alle darüber einig, daß in der Bundesrepublik eine große Zahl von Wohnungen schon längst den Abbruchhämmern hätte zum Opfer fallen müssen. Das ist nur deshalb nicht geschehen, weil wir vordringlichere Aufgaben hatten.

(Abg. Henke: Der Kreis von Wohnungen, den Sie hier erwähnen, hat doch kein Kostenmietenprinzip!)

Entschuldigung, verehrter Herr Kollege Henke, ich stelle hier nur fest, daß die wackligsten Buden die höchsten Kosten verursachen, wenn aus ihnen Wohnungen gemacht werden sollten. Das setze ich natürlich voraus.
Durch Paragraphen zu einer vermeintlichen Gerechtigkeit, aber auch zu einer wirtschaftlich negativen Auslese zu kommen, scheint mir ein gefährlicher Weg zu sein. Wie gesagt, ich wäre froh, wenn die Regierung hier den Stein der Weisen fände. Dann wäre ich der erste, der anerkennt, daß hier die CDU/CSU-Politik vergangener Jahre positiv weitergeschrieben wird.
Es ist übrigens unbestritten, daß etwa 50 % der Steigerung der Mieten von Altbauwohnungen auf die Erhöhung von Gebühren und den Wegfall von Vergünstigungsmaßnahmen usw. zurückzuführen sind. Die Zahl von 50 % ist unter Fachleuten unbestritten. Es wäre gewiß zur Beruhigung etwas überhitzter Gemüter eine lohnende Aufgabe, sich einmal Gedanken darüber zu machen — natürlich in Verbindung mit den Ländern und den Kommunen, vor allem den großen Kommunen —, wie man, wenn schon Gebührenerhöhungen nicht zu umgehen sind, solche Erhöhungen, die auf denselben Tatbeständen basieren, nicht über Monate verstreut, sondern einheitlich durchführt.
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, diese Frage im Ruhrrevier unter die Lupe zu nehmen, und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß kaum ein Monat, um nicht zu sagen kaum eine Woche verging, ohne daß die Presse von neuen Gebührenerhöhungen, die oft als Mieterhöhungen deklariert wurden, berichtete und die Bevölkerung in permanenter Unruhe hielt.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU. — Abg. Henke: Das ist wie mit der Beamtenbesoldung!)

Mir ist bekannt, daß mit so etwas auch Politik gemacht werden kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht machen Sie einmal Ihren Einfluß auf die sozialistischen Stadtverwaltungen Nordrhein-Westfalens geltend - Herr Kollege Henke, Sie kennen etwas davon, denn Sie waren in Köln im Apparat drin —, damit hier etwas anderes praktiziert wird, als das in der Vergangenheit oft der Fall war.
Ich habe hier gegen eine weitere Behauptung Front zu machen, nämlich gegen die, daß in der Ära der CDU/CSU die Mittel für den sozialen Wohnungsbau in einem geringeren Maße geflossen seien. Meine Damen und Herren, wer diese Behauptung aufstellt, der hat, offen gesagt — ich muß das in aller Härte sagen -,

(Zuruf von der CDU/CSU: Bewußtseinspaltung!)

von der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus in der Ara Lücke keine Ahnung.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Baier: Sehr wahr!Zuruf des Abg. Henke.)

Herr Kollege Henke, das ist die schwächste Formel, die ich finden kann. Wer nämlich Ahnung hat und trotzdem solche Behauptungen aufstellt, stellt sie böswillig auf.
Ich bin jetzt 13 Jahre in diesem Hause und 13 Jahre in diesem Geschäft, in der vergangenen Legislaturperiode allerdings mit verringerter Intensität, weil ich eine andere Hauptaufgabe hatte. Wir haben bei der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaues immer vor Dilemmas gestanden. Wir hatten einmal öffentliche Mittel zuhauf in den Kassen; dann fehlten uns die ersten Hypotheken, weil die Kreditinstitute nicht flüssig waren. Dann haben wir die öffentlichen Zuschüsse erhöht, um den Wohnungsbau in Gang zu halten. Und dann flossen auf einmal die Kreditmittel der öffentlichen Kassen in einer ungeahnten Fülle. Da hat sich der Herr Minister Lücke, um es konkret zu sagen, auf seinen Geldsack gesetzt, hat Zuschüsse der Kreditinstitute mit öffentlichen Mitteln zinsverbilligt und hat in Wahrheit nur einen Bruchteil dessen ausgegeben, was er hätte ausgeben können,

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das war Phantasie!)

wenn er nur die öffentlichen Kassen zur Ader gelassen hätte.
Sie kamen auf diese 70 Millionen, verehrter Herr Kollege Henke, und ich will jetzt nicht sagen, daß ich Ihnen das übelnehme. Da müßte ich zunächst mit Ihnen unter vier Augen gesprochen haben, und danach würde ich Ihnen sagen, ob ich es Ihnen übelnehme oder nicht. Sie lassen dabei z. B. die stetig steigende Summe der Rückflußmittel aus dem sozia-



Mick
len Wohnungsbau — auch aus dem Beitrag des Bundes — völlig unerwähnt. Sie lassen alle anderen Programme unerwähnt, die mit Mitteln des Bundes gespeist worden sind und zum Teil beträchtliche Effekte erzielt haben. Ich will nur einen Fall nennen.
Wir hatten einmal eine Aktion — so etwas gab es auch; es waren Sonderzuteilungen, wenn Sie so wollen — „Junge Familie" und „Besser und schöner wohnen". In neun Jahren warf diese Aktion aus Bundesmitteln 380 Millionen DM nur für Zinsverbilligungen aus. Ich bitte jetzt jeden Fachmann, einmal zu bedenken, welche Summe 380 Millionen DM Zinsverbilligungen darstellen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Sehr richtig!)

Aus derselben Aktion konnte man auch Objektzuschüsse bekommen. An Objektzuschüssen wurden in neun Jahren sage und schreibe 20 Millionen DM in Anspruch genommen, weil eben die zinsverbilligten Mittel viel attraktiver waren.
Nun sage ich nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren: Das haben wir so gemacht, also können Sie es ebenso machen. Ich will damit nur deutlich machen, daß wir bei unserer Wohnungsbaupolitik immerhin einige Phantasie entwickelt haben, um laufend Mittel flüssig zu machen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das Ergebnis ist entscheidend!)

Ich überlasse Ihnen, meine Damen und Herren, gern das Recht der Erstgeburt, wenn Sie wollen, daß es eine Erstgeburt sein soll, daß Sie für den Wohnungsbau mehr Bundesmittel als wir bereitgestellt haben. Dafür haben wir aber im Rahmen des sozialen und des allgemeinen Wohnungsbaus mehr Wohnungen gebaut.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich will hier jetzt kein Zahlenbeispiel beginnen, obwohl man sagen könnte: So wie man mit Worte trefflich streiten kann, kann man zumindest in diesem Hohen Hause mit Zahlen noch trefflicher streiten. Die öffentlichen Mittel auch des Bundes flossen je nach der Kapitalsituation in stets wechselnder Höhe in den Wohnungsbau. Eines, verehrter Herr Henke, hätten Sie zumindest sehen müssen. Sehen Sie sich nur einmal die Summen an, die z. B. durch die Wohnungsbauprämie für den Wohnungsbau bewegt worden sind. Die Wohnungsbauprämie haben wie damals zu 50 % den Ländern aufgehalst,

(Abg. Baier: Sehr wahr!)

weil der Bund allein nicht mehr in der Lage war, diese Mittel aufzubringen. Sie wissen doch selber, daß der Bund bis heute und wahrscheinlich bis morgen und übermorgen, solange er überhaupt existiert, mit zusätzlichen Aufgaben belastet wird. Denken Sie nur an die Bildungsexplosion, die wir zu verkraften haben! Denken Sie an das, was wir hier zu leisten haben, obwohl wir daran nach dem Grundgesetz ursprünglich mit keinem Pfennig beteiligt waren. Deshalb ist es doch nicht mehr als recht und billig, daß man auf anderen Gebieten versucht, dem Bund Entlastung zu verschaffen, indem man diese Leistung vor allem durch diejenigen erbringen läßt, die näher an den Tatbeständen sind, als der Bund es ist. Ich
denke dabei an die Durchführung und auch an die Finanzierung des Wohnungsbaus. Wir beide wissen, daß letzte Feinheiten etwa in unserer gemeinsamen Vaterstadt Köln nur durch die Mithilfe der Stadt Köln gemeistert werden konnten,

(Abg. Henke: Das ist bekannt!)

weil sie mit den Problemen am besten vertraut ist. Entscheidend ist nicht die Summe, die zur Verfügung gestellt worden ist oder zur Verfügung gestellt wird; entscheidend ist vielmehr, welche Impulse die Summen ausgelöst haben.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Baier: Das war eine ideenreiche Wohnungspolitik, die wir nicht mehr haben!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe von den Wohnungsbauprämien gesprochen. Ich möchte noch einmal auf dieses Beispiel zurückkommen. Siehen Sie, vier Jahre später, nachdem der Bund den Ländern 50 °/o der Wohnungsbauprämie aufgebürdet hatte, war seine Leistung schon fast wieder auf der gleichen Höhe. Sie betrug nämlich nach vier Jahren schon wieder über 400 Millionen DM, Ich habe mir die heutigen Zahlen gar nicht angesehen. Ich möchte annehmen, daß sie bei rung 2 Milliarden DM für den Bund liegen, ohne daß ich nachgesehen habe. Allein aus der Entwicklung der Bausparkassen kann ich mir das ausrechnen. Auch das sind Mittel für den Wohnungsbau.
Dann, meine Damen und Herren, etwas, was wir schon fast vergessen haben. Haben Sie schon einmal etwas von SBZ-Mitteln gehört, da damals, als es den Flüchtlingsstrom aus der Zone aufzufangen galt, nicht allgemeine Wohnungsbaumittel, sondern Sondermittel, Mittel aus dem Lastenausgleich usw. gebraucht wurden? Sie werden sehen, daß man hier wirklich nicht mit dem Holzhammer argumentieren kann, sondern daß man in die Dinge etwas differenziert hineingehen muß. Ich erinnere Sie daran, welche Auseinandersetzungen es in diesem Hause um die Lex Lepinski, nämlich diese Lex, daß die Bundesförderungsmittel zum sozialen Wohnungsbau auch immer wieder zurückflössen, gegeben hat und wie gierige Finanzminister — Finanzminister müssen von Natur aus gierig sein, sonst haben sie ihren Beruf verfehlt — die Hand darauf legen wollten, um sie zu allgemeinen Deckungsmitteln zu verarbeiten.
All das muß man doch sehen, und, verehrter Herr Minister Lauritzen, das sind doch wirklich Maßnahmen, von denen auch Sie heute noch profitieren. Es schien mir notwendig, diesen Rückblick in die Vergangenheit noch einmal anzustellen, um hier Entwicklungen aufzuzeigen und Behauptungen entgegenzutreten, die sich selbst ab absurdum führen. Ich möchte aber — hier mache ich Ihnen ein Angebot, meine Damen und Herren —, daß dies das letzte Mal sein sollte -- in der allgemeinen Wirtschaftspolitik ist man in der Debatte bereits ein gutes Stück weiter als wir —, und daß wir in Zukunft Probleme, die anstehen und die zu lösen sind und zu denen jeder von uns seinen speziellen Beitrag zu leisten hat, gemeinsam lösen. Aber wir sollten dann nicht suchen, wer etwa in der Vergangenheit schuld gewesen sein kann. Denn Ihre Vergangenheit



Mick
und die Vergangenheit dieses Ministers umfaßt inzwischen auch vier Jahre,

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! In der Tat!)

das ist parlamentarisch eine sehr lange Zeit. Ich möchte heute hier nach vorn denken.
Das setzt aber voraus, Herr Minister, — Sie haben es heute leider nicht getan — daß Sie sich endlich vollinhaltlich und ohne Rücksicht darauf, was einmal gewesen ist, zu Ihrer Verantwortung und zu Ihren Taten bekennen und dazu, daß Sie allein oder zumindest in der Hauptsache zu verantworten haben, was in der Gegenwart ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, was ist Gegenwart? Gegenwart ist, daß wir nach einer Explosion der Baupreise nun an einem Punkt angelangt sind, an dem die Explosionen nicht mehr so kräftig sind — Gott Lob und Dank —, daß Preise nicht mehr in einem so atemberaubenden Tempo in die Höhe schnellen. Aber die Explosionen reichen immer noch dazu aus, den Aufwärtstrend fortzusetzen, wenn auch langsamer zu machen.
Verehrter Herr Minister, Sie fingen Ihre Rede damit an, daß die Baukonjunktur keine Dauerangelegenheit sei. Verehrter Herr Minister, ich glaube, Sie haben hier — ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken — eine sehr gewagte Prognose getroffen. Bei den Aufgaben, die Sie uns etwa mit Ihrer Vorlage zum Städtebauförderungsgesetz zur Beratung vorgelegt haben, steht uns, wie Sie wissen, I noch vieles bevor.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wir können also in keiner Weise damit rechnen, daß sich die Nachfrage nach Bauleistungen irgendwie verringert. Diese Nachfrage wird sich im Gegenteil noch steigern. Wir stehen also in der ganz akuten Gefahr, daß diese Entwicklung in der Tat von Dauer werden kann; ich sage: werden kann. Ich sage Ihnen auch, wie man einer solchen Entwicklung nach meiner Meinung entgegenarbeiten muß.
Ich habe gesagt, ich will nicht mehr auf die. Vergangenheit eingehen; denn dann hätte ich jetzt sagen müssen, daß wir ohne die Mithilfe vom Bund bzw. von den Ländern — Kommunen hat der Minister nicht genannt, er hat sie wahrscheinlich stillschweigend mitgedacht auch heute nicht in der Lage sind, ein Wohnungsbauprogramm allein durchzuführen. Ich gebe Ihnen gern zu, Herr Minister, daß das, was heute in der Bauwirtschaft zu verzeichnen ist, vor allem in der Wohnungsbauwirtschaft, nicht allein von Ihnen zu vertreten ist, sondern von der Wirtschafts- und Finanzpolitik überhaupt. Mir scheint es aber eine gewagte Behauptung zu sein, wenn Sie etwa sagen — hier ist sogar das Wort von der Stunde Null gefallen —, in der Rezession seien 50 000 Wohnungen weniger gebaut worden, obwohl wir zu keinem Zeitpunkt unter eine Zahl von 500 000 Wohnungen gekommen sind. Im Jahr 1967 wurden 572 000 Wohnungen gebaut, und 1966 waren es sogar 604 000 Wohnungen. Man mag sich auf den Standpunkt stellen, es hätten noch 50 000 mehr sein können. Ich halte einen solchen Standpunkt — wie man bei uns zu sagen pflegt — für sehr wackelig, und man kann dabei leicht zu Fall kommen.
Es kommt nun darauf an, verehrter Herr Minister, um Ihnen das zu sagen, daß die Situation in der Wohnungsbaupolitik umgedreht und aus dem schwindenden Erfolg bei höheren Mitteln ein höherer Erfolg bei weniger Mitteln wird. Da muß ich allerdings sagen, daß mir Ihre Prognose, was die Baukapazität angeht, etwas sehr vage war.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Ich weiß nicht, Herr Minister, ob Sie Friedrich Wilhelm Weber kennen. Er hat „Dreizehnlinden" geschrieben. Dieses „Dreizehnlinden" gehört in das literarische Gepäck eines jeden Christlich-Sozialen; daher kenne ich es so gut. Da heißt es einmal: „Ach, es sind die alten Töne, die bekannten, längst vertrauten." Und Ihr Wunsch, Herr Minister, dürfte es wohl sein — ich zitiere frei weiter —: „Doch die Bundesbürger lauschen gern den süßen, lieben Lauten, die aus Ihrem Mund erklingen." Ich fürchte nur, Herr Minister, daß das nicht standhalten wird. Das ist Wunschdenken und keine Realität.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Wir haben uns in früheren Jahren — warum soll das verschwiegen werden? — mit denselben Problemen herumgeschlagen. Wir haben tage- und wochenlang hitzig diskutiert, die Köpfe zusammengesteckt, um Auswege zu finden. Die Wohnungsbauleistung der vergangenen Jahre beweist, Herr Minister, daß dieses Köpfe-Zusammenstecken Erfolg hatte. Ich brauche dafür kein Plädoyer zu halten, da sprechen die Leistungen für sich. Wenn Sie z. B. ankündigen, daß eine Reihe von bautechnischen, bauwirtschaftlichen, rechtlichen und organisatorischen Maßnahmen eingeleitet wird, die dem Baukostenanstieg entgegenwirken sollen, dann muß ich Sie doch fragen, Herr Minister: Was sind denn das für Maßnahmen? Lassen Sie doch einmal die Katze aus dem Sack, damit wir über diese Maßnahmen diskutieren können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Als Ihre Herren im vergangenen Jahr in meinem Büro waren und mir sagten: „Wir haben 7,5 Millionen DM neu für Forschungszwecke in den Etat eingesetzt", da habe ich gesagt: „Das ist in Ordnung und das ist notwendig." Aber jetzt so zu tun, als wenn auf diesem Gebiet früher nichts getan worden wäre, Herr Minister, das ist doch Geschichtsklitterung. Sie haben doch schon etwas von Demonstrativ- und Vergleichsbauten gehört, wo Milliarden Summen investiert worden sind, um Beispiele, neue Erkenntnisse in die Tat umzusetzen,

(Zurufe von der CDU/CSU)

um sie auch dem jüngsten Architektenlehrling handgreiflich vorzeigen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist doch völlig falsch, Herr Minister, was Sie unterstellt haben, daß wir hier nur sagen: „Mehr Geld, mehr Geld, mehr Geld in den Wohnungsbau!" Das ist doch keine Politik. Wenn dem so wäre, hätten Sie mit Ihrer Beweisführung recht, daß wir auf der einen Seite sparsames Haushalten verlangen, Verringerung der öffentlichen Ausgaben, aber



Mick
hier nach mehr, mehr und noch mehr schreien. Wir wissen doch alle, daß dieses Faß Bauwirtschaft bis auf den letzten Tropfen gefüllt ist, wirklich bis auf den letzten Tropfen, und daß jeder Tropfen mehr dieses Faß zum Überlaufen bringt, und dieses Faß läuft in Permanenz über.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607037200
Kommen Sie bitte zum Schluß!

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0607037300
Herr Minister, ich mache Ihnen ein Angebot. Wir gehen mit Ihnen eine Durststrecke, auch was die Wohnungsbauleistungen angeht, und Sie stecken einen Teil der Beträge, die Ihnen der Finanzminister zur Verfügung gestellt hat, in Maßnahmen, die wirklich Anreiz zur Rationalisierung, zur Anwendung neuer Bautechniken bieten. Fördern Sie Investitionen auf diesem Gebiet aus diesen Wohnungsbaumitteln. Hier muß etwas langfristig angelegt werden, wenn der Abstand zur Wirklichkeit nicht immer größer und die Zunge, mit der wir hinter dieser Entwicklung herlaufen, nicht immer länger werden soll. Ich glaube, das ist ein Angebot für eine Vermehrung der Kapazität unter Verzicht für ein, vielleicht auch für zwei Jahre auf imponierende Wohnungsbauleistungen, die Sie nicht erreichen werden.
Sie wissen, was sich jetzt im Bonner Raum an Ereignissen zugetragen hat. Ich will nicht länger darauf eingehen. Schaffen Sie die Voraussetzungen für Rationalisierung, schaffen Sie die Voraussetzung für größere Baumöglichkeiten. Das kostet Geld. Reizen Sie hier unternehmerische Leistungen an. Ich glaube, wir werden dann einen Anfang finden und auch eine zweite Hochkonjunktur im sozialen Wohnungsbau und im Wohnungsbau allgemein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607037400
Das Wort hat Frau Abgeordnete Meermann. Sie hat 30 Minuten Redezeit.

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0607037500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein sehr geehrter Herr Ausschußvorsitzender, der Herr Mick, wird sicher Verständnis dafür haben, wenn ich nach seinen großen Ausführungen zur allgemeinen Wohnungspolitik nun wieder auf den Gegenstand unserer heutigen Diskussion zurückkomme, nämlich auf die Anfrage der CDU/CSU zur Baukostenentwicklung.
Herr Erpenbeck, bevor ich das tue, möchte ich Ihnen aber noch ein Geschenk anbieten. Sie waren so liebenswürdig, unseren Saarbrücker Parteitag zu zitieren. Es tut mir nun leid, daß Sie offensichtlich das falsche Protokoll erwischt haben. Jedenfalls haben das, was Sie zur Förderung des Wohnungsbaus und der Eigentumsbildung im Wohnungsbau als angeblich auf dem Saarbrücker Parteitag prädominierend gesagt hier zitiert haben, weder der Herr Bundeswohnungsbauminister noch Herr Staatssekretär Ravens, noch etwa ich gesagt. Ich bin gern bereit, Ihnen dieses Buch auch noch mit Widmung zu schicken,

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Wie charmant!)

damit Sie Gelegenheit haben, unsere Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen.

(Abg. Erpenbeck: Die Widmung erscheint mir am wichtigsten!)

Schade, daß Herr Müller-Hermann nicht mehr da ist. Ihm wollte ich einen Vorschlag machen. Er hat nämlich eben immer so dringend nach Herrn Nevermann gerufen. Da Herr Nevermann nicht Mitglied dieses Parlaments ist, wollte ich Herrn Müller-Hermann vorschlagen, daß ich in dieser Frage gern bei Herrn Nevermann vermitteln will, ob nicht beide einmal gemeinsam auf einer Mieterversammlung sprechen; vielleicht dient das der gegenseitigen Klärung der Standpunkte.

(Abg. Dr. Klepsch und Abg. Baier: Lauritzen und Nevermann!)

Nun zu Ihrer Großen Anfrage, Herr Erpenbeck. Sie haben bedauert, daß die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU für Ihre Begriffe nicht zureichend gewesen seien. Nun, Herr Erpenbeck, auf unrichtig gestellte Fragen kann man schlecht richtige Antworten verlangen. Sehen Sie sich einmal Ihre Frage 1 an. Da heißt es:
Wie beurteilt die Bundesregierung die weitere Entwicklung der bis heute gegenüber dem Vorjahr exorbitant gestiegenen Baukosten?

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine präzise Frage!)

Wir haben am 26. Mai hier eine Debatte zur Baukonjunktur gehabt, und im gleichen Monat, nämlich im Mai, ist schon der Bruch in der Steigerung der Baukosten eingetreten. Wir haben von Mai bis August noch einen Anstieg des Indexes von 1,5 % zu verzeichnen. Und Sie sprechen noch am 24. September von „bis heute gegenüber dem Vorjahr exorbitant gestiegenen Kosten". Man braucht wirklich kein großer Wirtschaftspolitiker zu sein, um zu wissen, daß im Auf und Ab der Konjunkturen die Bauwirtschaft Zeichen setzt. Hier haben Sie in diesem Schlüsselbereich der Wirtschaft den konkreten Nachweis für die Abschwächung der Hochkonjunktur.
Sie haben uns also mit Ihrer Anfrage die willkommene Gelegenheit gegeben, im Deutschen Bundestag und vor der ganzen deutschen Öffentlichkeit festzustellen: Die Vorausschätzung der Bundesregierung über die Abschwächung der Baupreissteigerung ist voll und ganz eingetroffen. Ohne die Gegensteuerung, die viele Ihrer Freunde landauf, landab betreiben, hätte diese Vorausschätzung vielleicht sogar noch übertroffen werden können. Bei jeder Gelegenheit, in jedem Wahlkampf predigt Ihre Partei zur Zeit Inflation. Sie verängstigen und verunsichern die Menschen. Und dann wundern Sie sich, wenn manch einer in die Sachwerte flüchtet und bereit ist, einen unangemessenen und ihn drückenden, hohen Preis für eine Wohnung oder ein Haus zu zahlen. Das ist der Beitrag, den Sie zur „Preisdämpfung im Wohnungsbau" geleistet haben. Ich glaube, das muß man hier auch einmal in aller Offenheit sagen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

1,5 %, Herr Erpenbeck — darüber sind wir uns alle im klaren —, sind eine Durchschnittszahl. Sie sagt nichts über große Baukostensteigerungen in



Frau Meermann
manchen Orten aus, denen minimale in anderen Orten gegenüberstehen. Wir wissen alle, daß wir z. B. hier in Bonn eine ganz besondere Situation haben. Aber, Herr Orgaß, da Sie danach gefragt haben, würde ich Ihnen empfehlen, sich doch einmal die Statistik in Hamburg anzusehen; da kennen Sie sich doch aus.

(Abg. Orgaß: Dann kommen mir immer die Tränen!)

- Ja, mir kommen die Tränen, weil Sie so schlecht informiert sind. In Hamburg beträgt nämlich die Steigerung des Preisindexes für Baukosten von Mai bis August genau 1,8 %, während sie im Bundesdurchschnitt 1,5 % beträgt. Es gibt also hier zum mindesten in den letzten Monaten keine wesentliche Abweichung. Gehen Sie einmal zu Ihrem statistischen Amt und schauen sich das an.

(Abg. Erpenbeck: Bis 40 % und mehr! Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Selbstverständlich machen uns Baupreissteigerungen insbesondere in den Ballungsgebieten Sorge. Aber auch in den Ballungsgebieten sind sehr unterschiedliche Preisbewegungen ja bekannt. Wenn Sie nach der künftigen Entwicklung fragen, dürfen Sie ja nicht nur das sehen, was im Februar und März dieses Jahres passiert ist, sondern Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, wie sich die Preisentwicklung augenblicklich dartut.

(Abg. Franke [Osnabrück] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte sehr.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0607037600
Frau Kollegin Meermann, ich habe eben gerade in der Zeitung gelesen, daß Ausschreibungen für ein Bundesbauvorhaben statt der erwarteten 800 DM Kosten pro Quadratmeter zur Errichtung 1050 bis 1150 DM plus Nebenkosten von 650 DM ergeben haben, d. h. es wird sich ein Quadratmeterpreis von etwa 1700 DM in diesem Gebiet ergeben. Ich darf Sie fragen, ob Sie das wirklich als eine rückläufige Tendenz ansehen.

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0607037700
Herr Kollege, wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, daß ich gerade vorhin auf die hohen Preissteigerungen im Bonner Gebiet hingewiesen habe. Mir ging es darum, zu zeigen, daß nicht in allen Ballungsgebieten die Preissteigerungen automatisch gleich hoch sind, sondern daß das auch von manchen anderen Faktoren abhängt.
In Frage 2 der Drucksache VI/1189 sprechen Sie von ständig steigenden Finanzierungskosten. Herr Erpenbeck, das stimmt doch einfach nicht. Die Finanzierungskosten sind hoch, aber sie steigen doch nicht ständig. Nach den letzten Äußerungen der Bundesbank und des Wirtschaftsministers wird man sagen können, daß — wenn auch zeitlich noch nicht exakt bestimmbar -- es zu einer Erleichterung kommen kann; zweifellos liegt keine Erhöhung, keine ständige Steigerung in der Perspektive vor.
Die Bundesregierung wirkt den Baupreissteigerungen in zweifacher Weise entgegen, und zwar einmal durch Maßnahmen zur Verbesserung und Erweiterung des Angebots, stetigere Beschäftigung, verstärkte Rationalisierung, Heranziehung ausländischer Baufirmen, Verbesserung der Einfuhrmöglichkeiten für Fertighäuser und Fertigteile, Erleichterung der Kooperation in der Bauwirtschaft.
In diesem Zusammenhang komme ich zu dem, was Herr Mick am Schluß seiner Rede gesagt hat. Die Verschärfung der Auswahlkriterien bei der Mittelvergabe kann z. B. auch zu sehr viel größeren Rationalisierungserfolgen führen. Hier gibt es positive Beispiele, wie etwa bei den Demonstrativvorhaben, auf die Sie mit Recht hingewiesen haben, die frühere Regierungen begonnen haben und die jetzt fortgeführt werden. Gerade in der letzten Zeit ist ein sehr deutliches Beispiel bei dem Demonstrativvorhaben der Bundesregierung in Sarstedt/Hildesheim gegeben worden. Dort konnten z. B. durch fortschrittliche Bauweise und vor allem vernünftige Koordination bei einem Voranschlag von 15 Millionen DM 1,5 Millionen DM eingespart werden.
Durch bessere Koordination aller am Bau Beteiligten könnte manche Finanzierung erleichtert werden. Es muß ja nicht unbedingt so sein, daß die Bauzeit für ein Haus 1 1/2 Jahre beträgt, wo doch die meiste Zeit niemand am Bau ist, sondern einer auf den anderen wartet.

(Abg. Mick meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

- Bitte sehr.

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0607037800
Frau Kollegin Meermann, sind Sie mit mir der Meinung, daß man solche Möglichkeiten aus normalen Mitteln des sozialen Wohnungsbaues unter allen Umständen fördern sollte?

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0607037900
Herr Mick, ich teile Ihre Auffassung insofern - ich möchte es etwas einschränken -, als man das vorzugsweise bei Großvorhaben wird machen können. Es wird schwierig sein, genau die gleichen Erfolge beim Bau von Einzelhäusern in kleineren Gemeinden und Städten zu erzielen. Aber die öffentliche Hand muß die Beispiele setzen, da stimme ich Ihnen völlig zu. Das dürfte nach meiner Unterrichtung auch durchaus die Intention der Bundesregierung treffen.
Mir scheint, daß auch eine stärkere Berücksichtigung des Fertighausbaus noch preisdämpfend wirken könnte. Laut Statistischem Bundesamt hat sich der Preis für Einfamilienhäuser in Fertigbauweise in den letzten zwei Jahren - in zwei Jahren, wohlgemerkt — um rund 9 % erhöht. Dem steht im traditionellen Bau eine durchschnittliche Kostensteigerung, auch in den letzten zwei Jahren, von 20 % gegenüber. Hier liegen ganz gewiß noch weitere Möglichkeiten zur Preisstabilisierung. Natürlich liegt mir nichts ferner, als für die eine oder die andere Bauweise zu werben. Darum geht es nicht, sondern es geht darum, daß auf dem Wohnungsmarkt wirklich marktkonforme Verhältnisse geschaffen werden, d. h. daß eine Stärkung des Angebots erreicht wird. Die Wohnungsbauunternehmen müssen wieder um die Aufträge wetteifern. Der Zustand, daß die Bauherren den Baufirmen nachlaufen, ist ungesund, nicht zuletzt auch für die Bauindustrie und das Baugewerbe selbst. Wir können schließlich aus der ganzen Entwicklung der letzten 20 Jahre verfolgen, daß unsere Industrie am Wettbewerb im In- und Ausland erstarkt und leistungs-



Frau Meermann
fähig geworden ist. Die gleichen Möglichkeiten lassen sich mit staatlicher Hilfe auch für die Bauindustrie und für das Baugewerbe erreichen.

(Abg. Dr. Klepsch: Richtig!)

Als weiteres Mittel, um zu vernünftigeren Baupreisen zu kommen, wirken die allgemeinen konjunkturellen Maßnahmen zur Preisdämpfung, mit denen einer Erhöhung der Neuestbaumieten entgegengewirkt wird.
Zu den Fragen 2, 3 und 4 habe ich mir Ihre Begründung angesehen. Da heißt es, daß die Bundesmittel für die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus bei weitem nicht ausreichen, um die Mehrkosten zu decken. Herr Erpenbeck hat da sicher noch nicht die Rede von Herrn Mick gekannt. Sonst hätte er nicht so auf dem Bundesmittelanteil von nur 5000 DM am gesamten Baupreis einer Wohnung insistiert.

(Abg. Erpenbeck: Das widerspricht sich gar nicht!)

Herr Erpenbeck, im übrigen ist es Ihnen mit Ihrer Prozentrechnung so ähnlich gegangen wie dem Herrn Heck mit seiner Gruselsparergeschichte.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Ich nehme nur den Posten „allgemeiner sozialer Wohnungsbau" heraus. Da haben Sie im Haushalt 1971 eine Steigerung von 20 % gegenüber 1970. Es dürfte wohl schwierig sein, zu beweisen, daß eine Steigerung der Haushaltsmittel um 20 % nicht ausreicht, um eine Baukostensteigerung von 15 % aufzufangen. Genau das haben Sie erfolglos versucht.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

- Die Zahlen? Aber gern. Ich gebe Ihnen auch gern
den ganzen Haushaltsplan. Über das, was endgültig drinstehen wird, haben Sie ja mitzuentscheiden. Hier haben wir im sozialen Wohnungsbau in Kap. 25 03 283,5 Millionen DM, 20 % mehr als im vergangenen .Jahr.

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Aber weniger Wohnungen, gnädige Frau!)

— Darüber reden wir noch, Herr Schulze-Vorberg.
Damit komme ich zu Ihren 500 000 bzw. 600 000 Wohnungen.

(Abg. Baier: Das waren Zeiten!)

Ich bin der erste Redner, den Sie nicht danach fragen. Aber da mir das wahrscheinlich nicht erspart bleibt, will ich lieber von vornherein darauf anworten.

(Heiterkeit.)

Niemand verkennt die große Wohnungsbauleistung in der Bundesrepublik, die für viele Länder beispielgebend ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Einer großen Notlage ist mit einer immensen Leistung begegnet worden. Wenn ich mir z. B. überlege, was im Bundeshaushalt 1958 700 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau anteilsmäßig bedeutet haben, so muß ich wirklich sagen: das ist eine große Leistung, eine Leistung nebenbei, für die Sie nicht durchkämpfen mußten, sondern für die Sie Stimme und Mitwirkung der damaligen Opposition gehabt haben. Und so konnte in einem gewaltigen Kraftakt des ganzen deutschen Volkes der Wohnungsnot
begegnet werden. Damals hat in der Tat der Anteil des Bundes am sozialen Wohnungsbau 83 % betragen. Aber niemand - auch niemand von Ihnen, meine Herren — hat sich vorgestellt, daß das immer so weitergehen sollte. Ich mache heute niemandem einen Vorwurf, wenn er damals geglaubt hat, daß man in einem Zehnjahresprogramm die Wohnungsnot wirklich beseitigen könne. In diesem Hause gibt es wohl niemanden, der nicht schon in seinen Prognosen geirrt hätte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das zeigt gerade die jüngste Zeit!)

Was wir Ihnen zum Vorwurf machen — und das haben die Kollegen von der SPD getan —, ist, daß Sie später, als zu sehen war, daß die in der Degression zusammengeschrumpften Mittel nicht mehr ausreichten, um den in diesem Zeitpunkt bestehenden großen Bedarf zu decken, nicht mehr Bundesmittel in den Wohnungsbauhaushalt hineingesteckt haben.

(Abg. Dr. Klepsch: Das müssen Sie Herrn Lauritzen sagen!)

— Nein, ich spreche jetzt von den Jahren 1965/66.
Ich habe mit Aufmerksamkeit gehört, was Herr Mick über den Ausgleich der Mittel gesagt hat, die mal von da, mal von dort flossen. Aber sehr geehrter Herr Mick, Sie wissen genauso wie ich, wie sehr damals auch die Wohnungspolitiker Ihrer Partei unglücklich darüber waren, daß in dem Posten „allgemeiner sozialer Wohnungsbau" in den Jahren 1965 150 und 1966 nur noch 70 Millionen DM waren. In diesem Punkt zumindest waren auch Sie mit der Politik Ihrer Regierung nicht einverstanden. Wir haben dann in den nächsten Jahren durch die Konjunkturförderungsprogramme der Bundesregierung wieder einmal zusätzlich Geld in den sozialen Wohnungsbau gepumpt, und im Jahre 1969 sind wir dann wieder in den normalen Kurs gekommen und bauen auf den früheren Ansätzen auf, die wir allerdings erheblich verstärkt haben.
Die Wohnungspolitiker unter Ihnen dürften mit Freuden die starke Steigerung im Bundeshaushalt und die finanzielle Priorität, die wir dem Wohnungsbau geben, festgestellt haben.
Aber jetzt komme ich zu Ihren 600 000 Wohnungen, Herr Schulze-Vorberg. Ich erinnere mich, es waren manchmal sogar noch mehr.

(Abg. Dr. Klepsch: Ja, richtig! Sehr gut!)

Ich erinnere mich an ein Jahr mit 623 000 Wohnungen.

(Abg. Erpenbeck: Das waren die guten Lücke-Zeiten!)

Das war eine stolze Leistung. Herr Lücke ist ja anwesend; er wird nichts dagegen haben, wenn ich das Verdienst nicht allein auf ihn konzentriere, sondern sage: das war eine — —

(Abg. Erpenbeck: Die CDU CSU-Politik natürlich! — Abg. Lücke [Bensberg] : Trotz Lücke! — Heiterkeit.)

— Nein, nein! Bitte, meine Herren, in dieser Frage hat das ganze Haus, zusammengewirkt. Unterschieden haben wir uns von Herrn Lücke nachher in der sogenannten Abbaugesetzgebung. Aber in der Frage der Zurverfügungstellung von Mitteln werden Sie



Frau Meermann
wirklich nicht behaupten können, daß etwa die CDU gegen die Opposition habe ankämpfen müssen.

(Abg. Dr. Klepsch: So sind denn nun die 100 000 Wohnungen geblieben?)

Aber ich muß jetzt endlich zu Herrn Schulze-Vorbergs 500 000 Wohnungen kommen. Gestatten Sie!

(Abg. Baier meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich möchte das gerade zu Ende führen.

(Abg. Baier: Ich wollte Ihnen dazu nur etwas sagen!)

Alle Wohnungsbaupolitiker und Fachleute — auch außerhalb dieses Hauses — waren aber spätestens vom Jahre 1965'66 an der Auffassung, daß diese sehr große Leistung, wie sie aus der Notlage nach dem Kriege erbracht werden mußte, keine Dauererscheinung sein würde. Man war vielmehr allgemein der Auffassung, die Wohnungsbauleistung werde sich so auf etwa 500 000 Wohnungen pro Jahr einpendeln. Ja, es gab auch manche, die von 400 000 gesprochen haben. Das war gar kein Streit zwischen den Parteien, Herr Schulze-Vorberg. Infolgedessen hat es gar keinen Sinn, daß wir uns hier über 500 000 Wohnungen gegenseitig Vorwürfe machen. Es war eine gemeinsame Auffassung aller Wohnungsbaupolitiker, daß das so vernünftig wäre. Auf diesen Stand von 500 000 gebauten Wohnungen pendelt sich nun zur Zeit die Wohnungsbauleistung ein.

(Abg. Dr. Klepsch: Sie verlangen doch von allen Vorausblick! Warum nicht auch von Herrn Lauritzen?)

— Ich halte eine auf längere Zeit erbrachte jährliche Bauleistung von 500 000 Wohnungen für geeignet, mit dein noch bestehenden Wohnungsbedarf fertig zu werden. — Bitte sehr!

Dr. Max Schulze-Vorberg (CSU):
Rede ID: ID0607038000
Gnädige Frau, darf ich ausdrücklich feststellen, daß ich Ihren Ausführungen zustimme. Nur, würden Sie mir dann zustimmen, daß angesichts der Situation, die Sie zutreffend geschildert haben, die derzeit laufende Anzeigenaktion der Bundesregierung, in der von Fehlern und Fehlleistungen und Minderleistungen der früheren Regierungen gesprochen wird, schlicht falsch ist und daß man jetzt so tut, als ob jetzt erst die großen Bauleistungen kämen, daß also die Situation völlig verzeichnet wird? Während wir früher viel mehr Wohnungen gebaut haben, bauen wir jetzt weniger, und die Bundesregierung tut in einer angeblichen Informationsanzeige gegenüber der Bevölkerung so, als ob jetzt mehr gebaut würde als früher.

(Abg. Dr. Klepsch: Lauritzen annonciert gegen Lauritzen!)


Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0607038100
Herr Schulze-Vorberg, ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich die Anzeige nicht gesehen habe.

(Abg. Dr. Ritz: Das spricht für Sie! — Abg. Baier: Sie ist wahrscheinlich nur in Bayern erschienen!)

Aber wir reden von verschiedenen Dingen. Ich rede
über die Wohnungsbauleistung, so wie sie in den
Anfängen 1958/59 initiiert worden ist. Ich habe nur
die Abschwächung der Bundeshilfen für den Wohnungsbau in den .Jahren 1965 und 1966 gegenübergestellt. Die jetzige Bundesregierung hat aber recht, wenn sie sagt, daß in ihrer Zeit ein Ansteigen der finanziellen Leistung für den Wohnungsbau erfolgt ist. Das stimmt doch.

(Abg. Dr. Schulze-Vorberg: Es geht nicht um die Mittel, es geht um die fertiggestellten Wohnungen!)

— Jetzt fangen wir aber nicht wieder bei Adam und Eva an. Sie wissen ja auch aus eigener Erfahrung — darauf ist hingewiesen worden —, daß die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau, gleich bei welcher Kostensituation, ergänzt werden müssen durch die Länder und durch die Gemeinden, auch durch die Betriebe für ihren Werkswohnungsbau; das wollen wir nicht vergessen. Auch die Kirchen beteiligen sich am Wohnungsbau, und soeben hat Herr Mick auf die Möglichkeit weiterer Mitfinanzierer hingewiesen.

(Abg. Mick: Rentenanstalten!)

— Rentenanstalten natürlich.
Selbstverständlich ist auch diese Bundesregierung darauf angewiesen, daß die Länder und alle anderen Mitfinanzierer mitmachen. Aber diese Bundesregierung — das ist der Unterschied gegenüber dem Zustand von 1966 — hat ja auch finanziell etwas einzubringen. Im Gegensatz zu der Befürchtung, die Herr Erpenbeck bei der Begründung Ihrer Großen Anfrage geäußert hat, habe ich gar keine Angst, daß wir auf den Bundesmitteln sitzen bleiben. Die Länder sind in den letzten Jahren — wenn Sie wollen, etwas verspätet - einer Entwicklung gefolgt, die Sie in den Jahren 1965 und 1966 eingeleitet hatten. Nach meinen Informationen stellen sich die Länder aber jetzt darauf ein, daß ihre Wohnungsbauprogramme für das Jahr 1971 über das besonders niedrige Förderungsprogramm des Jahres 1970 hinausgehen werden. Es ist damit zu rechnen, daß dem sozialen Wohnungsbau auch in den Haushalten und Finanzplanungen der Länder wieder ein höherer Stellenwert eingeräumt wird. — Bitte, Herr Kollege, Sie wollten etwas fragen.

Dr. Egon Alfred Klepsch (CDU):
Rede ID: ID0607038200
Mich hätte nur einmal interessiert, was eigentlich in den Jahren 1967, 1968 und 1969 gewesen ist, weil diese Jahre in Ihren Ausführungen wie ein großes Loch in Erscheinung treten. Sie sprechen immer von 1966 und von heute.

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0607038300
Das tue ich gern. 1967 und 1968 haben wir Konjunkturförderungsmittel in den Wohnungsbau gesteckt, und die Fertigstellungszahlen im sozialen Wohnungsbau können sich sehen lassen. Sehen Sie, ich antworte Ihnen. 1967 waren es nämlich 198 333 Wohnungen, und 1968 waren es 203 931 Wohnungen. Sondermittel der Konjunkturprogramme machten eine Wohnungsförderung in diesem Ausmaß möglich. 1969 standen solche Mittel in der Tat nicht zur Verfügung; im Jahre 1969 wurden 165 000 Wohnungen fertiggestellt. Das sind die genauen Zahlen. Ich habe keine Veranlassung, nur von früheren Zeiten zu reden. Ich finde die Wohnungspolitik, die wir betreiben, so vernünftig, daß ich gern von der Jetztzeit spreche.



Frau Meermann
In Frage 5 fragen Sie nach der Fertigstellung von Sozialwohnungen im Jahre 1970. Was in diesem Jahr fertiggestellt wird, ist auf die Bewilligungen früherer Jahre und anderer Bundesregierungen zurückzuführen. Wir haben - ich sagte es eben schon - eine Weile gebraucht, um die Etatsätze, die heruntergedrückt worden waren, wieder auf die heutige Höhe zu bringen. Die Baubewilligungen — sie sind ja entscheidend für das künftige Fertigstellungsergebnis sind im Jahre 1970 gegenüber dem Jahre 1969 insgesamt nicht rückläufig; ihre Zahl steigt an. Die Bewilligungen im sozialen Wohnungsbau haben bis Juli dieses Jahres den Vorjahresstand nicht erreicht, weil wegen der plötzlich angezogenen Baupreise und der nicht voraussehbaren Weiterentwicklung viele große Projekte zurückgestellt worden sind. Das war vernünftig, denn mit einem sozialen Wohnungsbau um jeden Preis und zu jedem Preis ist niemandem gedient. Wir bekennen uns zu dem konjunkturgerechten Verhalten, das viele Wohnungsunternehmen gezeigt haben, indem sie in einer Zeit nicht voraussehbarer Baupreissteigerungen ihre Aufträge zurückgehalten haben. Jetzt, da die Entwicklung übersichtlich geworden ist, laufen auch zurückgestellte Projekte mehr und mehr an.
Das Bauvolumen insgesamt ist ja nicht gesunken, sondern auf dem gleichen Stand geblieben. Nun ist es an der Bundesregierung, die politischen Weichen so zu stellen, daß der Anteil des sozialen Wohnungsbaus an diesem Volumen steigt. Die Voraussetzungen dafür hat die Bundesregierung in ihrem langfristigen Wohnungsbauprogramm und mit den sonstigen Maßnahmen geschaffen.
Frage 6 lautet:
Ist die Bundesregierung bereit, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, dem Wohnungsbau im Rahmen der gesamten Kapazität des Baumarktes die notwendige Priorität einzuräumen?
Bevor ich Herrn Mick gehört habe, war ich wirklich bereit, zu fragen: Wie hätten Sie's denn gerne? Welche Vorstellungen haben Sie denn, meine Damen und Herren von der Opposition? Als wir im Juli 1970 dem Wohnungsbau Priorität vor dem Wirtschaftsbau gaben, indem wir die Aussetzung der degressiven Abschreibung nur für den Wirtschaftsbau beschlossen, den Wohnungsbau aber ausdrücklich davon ausnahmen, wußten Sie nichts dazu zu sagen. Sie enthielten sich der Stimme. Im Haushaltsentwurf 1971 hat die Bundesregierung dem Wohnungsbau deutlich eine Priorität eingeräumt: Erhöhung um ein Drittel gegenüber 1970. Sie haben hier über die finanziellen Prioritäten aber wiederum nichts gesagt. Ich vermisse wirklich noch die Erklärung Ihrer Haushaltsexperten, daß Sie den Wohnungsbau von den Sparmaßnahmen, von denen Sie ja immer allgemein reden, ohne konkret zu sagen, wo sie einsetzen sollen, ausdrücklich ausnehmen.
Ich nehme nicht an, daß Sie stärkere Maßnahmen — etwa in der Art von Zwangsmaßnahmen — anstreben. Das unterstelle ich Ihnen nicht. Über vernünftige Vorschläge kann man mit uns immer reden. Bislang ist die Diskussion auf diesem Gebiet aber
immer so gelaufen, daß Sie, Herr Erpenbeck, wenn Sie ehrlich wären, hätten zugeben müssen: Ich bin gegen alles, was die Regierung tut, aber mir selber fällt leider gar nichts ein. So muß ich das, was Sie zu dieser Frage hier gesagt haben, jedenfalls werten.

(Abg. Erpenbeck: Sie haben mir aber gut zugehört!)

Ich konzediere gerne, daß der Vorschlag, den Herr Mick vorhin gemacht hat, durchaus des Aufgreifens wert ist.
Die Bundesregierung hat mit den Gesetzes- und Haushaltsvorschlägen, über die dieses Haus zur Zeit berät, die Ausgaben für den Wohnungsbau von 1970 auf 1971 um mehr als ein Drittel gesteigert und bis zum Jahre 1974 nahezu verdoppelt. Das ist die zweithöchste Steigerungsrate nach den Ausgaben für die Bildung. Hinzu kommen das Städtebauförderungsgesetz, das den Menschen in Stadt und Land gesunde Lebens- und Wohnverhältnisse sichern soll, das den überfälligen ersten Schritt zu der im Grundgesetz verankerten Sozialgebundenheit des Eigentums darstellt und endlich auch eine Bremswirkung bei den Bodenpreisen einleitet, ferner das Wohngeldgesetz, das auch denjenigen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen können, eine angemessene familiengerechte Wohnung sichert und das wir wohl hoffentlich bald in seiner neuen Fassung verabschieden werden, weiter die Gesetzentwürfe, die Ihnen demnächst zugehen werden und die dem besseren Schutz des Mieters in seiner Wohnung und gegen ungerechtfertigte Mieten dienen, schließlich die Maßnahmen, die die Bundesregierung zur Besserung der Struktur in der Bauwirtschaft und damit zur Senkung der Baukosten treffen will. Das alles ist ein geschlossenes Konzept. Aber es ist nicht nur ein Konzept, sondern auch ein Programm, dessen Verwirklichung bereits begonnen hat, ein Programm, das aus aktuellen Wohnungsnotständen dort, wo sie noch bestehen, hinausführt, das aber auch deutlich macht, daß die sozial-liberale Bundesregierung die Sorge um die Wohnung der Menschen auch in einer Gesellschaft des fortschreitenden Wohlstandes als eine Aufgabe mit besonderer Priorität betrachtet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0607038400
Ich hatte gehofft, noch von den Ausführungen der acht Redner, die uns ins Haus standen, profitieren zu können. Leider haben aber die Herren Fraktionsgeschäftsführer anders entschieden.

(Abg. Dr. Ritz: Immer dieselben!)

Sie haben alle weiteren Redner gestrichen. Das ist unser Pech; aber wir müssen uns fügen.
Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. Oktober 1970, 9 Uhr, ein. Wir werden mit der Fragestunde beginnen. Um 10 Uhr folgt eine Erklärung des Herrn Außenministers.
Die Sitzung ist geschlossen.