Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Als Nachfolger für den ausgeschiedenen Abgeordneten Frenzel ist mit Wirkung vom 9. November 1960 der Abgeordnete Lautenschlager in den Bundestag eingetreten.
Dem von den Fraktionen der CDU/CSU, DP eingebrachten Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes — Drucksache 1693 — haben die beteiligten Ausschüsse in einer Fassung zugestimmt, die nach Ansicht des Haushaltsausschusses eine Finanzvorlage gemäß § 96 der Geschäftsordnung darstellt. Der Haushaltsausschuß bittet deshalb um Überweisung des Gesetzentwurfs in der Fassung des Ausschußbeschlusses. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Eine weitere amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 9. November 1960 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Müller Hermann, Höcherl, Vehar, Enk und Genossen betreffend Auslauffristen für Straßenfahrzeuge beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2212 verteilt.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß eine Arbeitsgruppe der Beratenden Versammlung des Europarates in unserer Mitte weilt. Ich heiße die Damen und Herren herzlich willkommen.
Wir beginnen mit dem ersten Punkt der Tagesordnung:
Fragestunde .
Ich rufe die Frage X/1 — des Abgeordneten Meyer auf:
Ist auf Grund der vielen berechtigten Klagen der Posthalter beabsichtigt, die Leistungen der Versorgungsanstalt Post zu verbessern?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär Dr. Steinmetz!
Die Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem Recht der
Selbstverwaltung. Ihre Leistungen richten sich nach der von der Vertreterversammlung beschlossenen Satzung. Maßgebend für die Leistungen ist bei den Posthaltern wie bei allen übrigen Versicherten das Entgelt, das der Versicherte von der Deutschen Bundespost erhalten hat. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen ist zu einer Änderung der Satzung nicht befugt. Von einer Absicht der Vertreterversammlung, die Satzung zugunsten einer einzelnen Gruppe der Versicherten zu ändern, ist dem Bundespostministerium nichts bekannt.
Eine Zusatzfrage!
Meyer (SPD) : Ist dem Herrn Bundespostminister bekannt, daß er in der Zeitschrift „Die Landpost" Nr. 61 als „Aufsichtsperson" persönlich angesprochen wurde, sich der vielen strittigen Fragen, insbesondere der Gesamtversorgung sowie der Anrechnung der Rentenerhöhungen auf die Zusatzrente der Versorgungsanstalt Post anzunehmen?
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Abgeordneter, ich habe nicht verstanden, wer angesprochen worden ist.
Meyer (SPD) : Der Herr Bundesminister der Post als „Aufsichtsperson" wurde angesprochen; er führt doch die Aufsicht über diese Einrichtung.
Zunächst ist die Vertreterversammlung dazu da. Es wäre möglich gewesen, daß der Vertreter der Interessen der Posthalter, der in der Vertreterversammlung sitzt, dort einen entsprechenden Antrag auf Änderung der Satzung gestellt hätte.
Meyer (SPD) : Ich darf also Ihre Antwort so verstehen, daß Sie von sich aus in dieser Sache nichts unternehmen werden?
Zunächst besteht diese Absicht nicht.
Wir kommen zur Frage X/2 — des Herrn Abgeordneten Enk —:Trifft es zu, daß gewöhnliche Telegramme zur vollen Gebühr am gleichen Tage nicht mehr zugestellt werden können, da die Telegrafenstelle sonntags ab 13 Uhr geschlossen ist?
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7542 Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960
Vizepräsident Dr. JaegerDas Wort hat Herr Staatssekretär Professor Dr. Herz!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann die Frage des Herrn Abgeordneten Enk nur mit einer gewissen Einschränkung bejahen. Dort, wo die Telegraphenstellen sonntags um 13 Uhr schließen, kann nach 13 Uhr mit dem regulären Telegrammzustelldienst kein gewöhnliches Telegramm mehr zugestellt werden. Ich muß aber bemerken, daß das Personal der größten Telegraphenstellen der Bundesrepublik an Sonntagen volle Dienstbereitschaft hat, so daß dort ,die Telegramme bis 21 Uhr zugestellt werden können. Diese größeren, den ganzen Tag über geöffneten Telegraphenstellen erhalten rund 87 % des gesamten Telegrammverkehrs. Einschränkungen sind nur dort vorgesehen, wo keine oder nur selten Telegramme zu erwarten sind.
Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Enk!
Darf ich fragen, wie es möglich ist, daß ein Fernmeldeamt erklärt, der Bereitschaftsdienst für die Zustellung von Telegrammen nach Dienstschluß der Telegraphenstellen an Sonntagen bestehe nur, wenn die Telegramme mit gebührenpflichtigem Dienstvermerk „dringend" aufgegeben werden, die Bestimmungstelegraphenstelle aber erklärt, daß keine Gewähr für die Zustellung gegeben
n sei? Hier scheint mir doch ein Widerspruch zu sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies ist offensichtlich eine mißverständliche Auslegung des Begriffs „Bereitschaftsdienst". Es ist an vielen Stellen ein Botendienst eingerichtet, der gelegentlich dringende Telegramme zustellt. Aber eine Verpflichtung dafür, daß dieser Botendienst auch funktioniert, kann nicht übernommen werden.
Danke schön!
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort bedeutet also, daß die Rationalisierung eine Verschlechterung gegenüber den bisherigen Verhältnissen nach sich zieht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf dazu sagen, daß es sich hier nicht etwa um eine Rationalisierungsmaßnahme handelt. Diese eingeschränkte Dienstbereitschaft in kleinen Orten besteht bereits seit vielen Jahren und ist keine neue Einrichtung. Selbstverständlich hat der Absender ,des Telegramms die Möglichkeit, trotz dieser Einschränkungen sein Telegramm an den Empfänger zu bekommen, wenn er davon Gebrauch macht, das Telegramm durch Fernsprecher zusprechen zu lassen.
Wir kommen zur Frage X/3 — des Abgeordneten Enk —:
Liegt es im Ermessen des Postangestellten, zu beurteilen, ob Telegramme sonntags nach 13 Uhr noch zugestellt werden können, wenn sich aus ihrem Inhalt eine besondere Dringlichkeit ableiten läßt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es liegt nicht im Ermessen des Telegrafenbeamten, aus dem Inhalt des Telegramms zu schlußfolgern, ob er besondere Zustellmaßnahmen ergreifen kann. Aus wohlverständlichen Gründen hat der Telegrafenbeamte von dem Inhalt eines Telegramms nur soweit Kenntnis zu nehmen, als es für seine dienstlichen Obliegenheiten und für die Leitvermerke erforderlich ist.
Herr Abgeordneter Enk.
Ist das eine dienstliche Vorschrift für die Postbeamten, oder liegt es in deren Ermessen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es besteht keine Vorschrift, daß der Beamte danach zu urteilen hat. Es liegt, wenn er es schon tut, in seinem eigenen freien Ermessen.
Danke.
Keine Zusatzfrage mehr. Wir kommen zur Frage X/4 — des Abgeordneten Enk —:
Besteht eine Garantie dafür, daß Telegramme, die mit dem gebührenpflichtigen Dienstvermerk „Dringend" als dringendes Telegramm zur doppelten Wortgebühr eines gewöhnlichen Telegramms durch den Bereitschaftsdienst auch am Sonntag ausgetragen werden?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es kann auch keine Garantie dafür übernommen werden, daß dringende Telegramme nach Ende der Dienstbereitschaft noch zugestellt werden können. Allerdings ist für diese Fälle ein Sonderbotendienst vorgesehen, der im allgemeinen funktioniert. Aber eine Gewähr kann nicht übernommen werden.
Betrifft das die 87 % Postanstalten, die den Bereitschaftsdienst haben, oder liegt es bei den anderen 13 %?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist auch bei den anderen Orten der Fall. Beispielsweise wird der Hausmeister einer Telegrafenstelle, wenn er zu Hause ist, freiwillig die Zustellung der Telegramme auf Grund einer Sonderabmachung mit der Verwaltung übernehmen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960 7543
Danke sehr.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungsbau. Frage des Abgeordneten Büttner:
Wie können Mieter geschützt werden, denen die Wohnungen nur deshalb gekündigt werden, weil sie sich weigern, eine gesetzlich unbegründete Mieterhöhung zu zahlen?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Büttner wie folgt:
Auf Mietverhältnisse bei Wohnungen, die der Preisbindung unterliegen, findet auch das Mieterschutzgesetz Anwendung. Soweit für solche Wohnungen eine höhere Miete verlangt wird, als sie nach den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, insbesondere nach dem Abbaugesetz, braucht der Mieter dem nicht stattzugeben. Er setzt sich auch nicht der Gefahr einer Kündigung aus, da solche Mietverhältnisse gegen den Willen des Mieters nur im Wege der Mietaufhebungsklage nach dem Mieterschutzgesetz aufgelöst werden können. Diese Klage ist nur aus bestimmten, im Gesetz vorgesehenen Gründen zulässig.. Zu denen gehört naturgemäß eine ungesetzliche Mietforderung nicht.
Im Falle von Mietverhältnissen bei nicht preisgebundenen Wohnungen, die unter Mieterschutz stehen, ist gegen den Willen des Mieters nur eine Mieterhöhung auf eine angemessene Miete möglich, die gesetzlich näher festgelegt ist. Höhere Mietforderungen kann der Mieter wegen des Mieterschutzes hier ebenfalls ablehnen, ohne sich der Gefahr einer Kündigung auszusetzen.
Bei nicht preisgebundenen Wohnungen, die keinen Mieterschutz haben, richten sich die Miethöhe und die Möglichkeit einer Kündigung nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Soweit danach eine Kündigungsmöglichkeit nicht in Betracht kommt, braucht sich der Mieter naturgemäß auf eine Änderung des Vertrages hinsichtlich des Mietzinses nicht einzulassen. Auch nach einer wirksamen Kündigung eines solchen Mietverhältnisses bei einer Wohnung, bei der kein Mieterschutz besteht, kann der Mieter immer noch einen zeitweiligen Schutz durch Gewährung einer Räumungsfrist oder durch Vollstreckungsschutz bekommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büttner!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es, obwohl der geltende Mieterschutz, beginnend mit dem Jahre 1963, in denjenigen Gemeinden aufgehoben wird, in denen das statistische Wohnungsdefizit unter 3 Prozent beträgt — selbst wenn dann noch Wohnungsnot besteht —, jetzt schon Fälle gibt, in denen von Mietern auch über den Rahmen der gesetzlich zulässigen Mieterhöhung hinausgehende Forderungen der Vermieter erfüllt werden, damit sie ihr Heim auch nach der Auflockerung erhalten? Sehen Sie nicht eine Gefahr darin, daß selbst solche unberechtigte Kündigungen zu einer Einschüchterung der Mieter führen, da diese befürchten, die ersten zu sein, die von der Kündigungsfreiheit des Vermieters betroffen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sehe diese Befürchtung nicht. Gegenwärtig haben die Mieter noch die Rechtshandhaben zur Verfügung. Es sind uns Fälle bekannt, in denen die Mieter davon keinen Gebrauch gemacht haben. Ich persönlich fürchte, daß der Mieterbund durch seine Agitation „Der Mieter wird Freiwild" eine gewisse Unruhe unter den Mietern gestiftet hat, die nicht im Interesse der Mieter lag.
Der Mieterschutz wird ja doch erst in einem Zeitpunkt aufgehoben, in dem praktisch in diesen Orten kein Wohnungsmangel mehr besteht, so daß der Mieter dann nicht fürchten muß, wohnungslos zu werden. Wenn kein Defizit mehr da ist, dann hat er ja die Möglichkeit, eine andere Wohnung zu bekommen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büttner!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Wohnungsbauminister in Mainz auf einer Tagung des Katholischen Frauenbundes auf die Frage einer Mieterin erklärt hat, sie brauche sich wegen der ihr zugegangenen Kündigung ihrer frei finanzierten Wohnung keine Sorgen zu machen. da der Mieterschutz auch noch für die Übergangszeit gelte, und sind Ihnen nicht Fälle bekannt, in denen solche Mieterhöhungsforderungen schon in weitestgehendem Umfange gestellt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es sind uns Fälle bekannt, in denen solche ungesetzlichen Mieterhöhungsforderungen gestellt sind. Aber der Gesetzgeber kann ja nicht mehr tun, als dem Mieter Möglichkeiten zu geben, sich dagegen zu wehren. Wenn der Mieter davon keinen Gebrauch macht, kann der Staat den Mieter immer nur wieder auf diese Möglichkeiten hinweisen. Das haben wir in allen erdenklichen Formen getan. Ich darf auf die Wohn- und Mietfibel hinweisen. Sie wissen, daß man unserem Ministerium sogar den Vorwurf gemacht hat, in dieser Beziehung zuviel getan zu haben. Aber ich glaube, gerade diese Fälle der ungesetzlichen Mietforderungen zeigen, daß immer noch nicht genug an Aufklärung geschehen ist.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich komme zur Frage XII/2 — des Abgeordneten Dr. Bucher —:Hält es die Bundesregierung tür vertretbar, daß die Bundesvermögensstelle Tübingen mit der Inanspruchnahme von Grundstücken für den Bau einer Ölfernleitung begonnen hat, obwohl die Richtlinien für die mit den Grundstückseigentümern abzuschließenden Gestattungsvertrage noch nicht v orliegen?
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7544 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960
Vizepräsident Dr. JaegerZur Beantwortung der Herr Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz des Bundes!
Die Frage des Herrn Kollegen Dr. Bucher beantworte ich wie folgt. Der im Rahmen der militärischen Gesamtplanung der NATO vordringliche Bau der NATO-Ölfernleitung von Kehl nach Tübingen konnte nicht bis zum Erlaß der Richtlinien für die Bestellung von Dienstbarkeiten bei Verlegung von Ölfernleitungen zurückgestellt werden. Die Bundesvermögensstelle Tübingen hat deshalb auf meine Weisung hin mit den betroffenen Grundstückseigentümern unter Einschaltung der Bürgermeister auf freiwilliger Basis vorläufige Vereinbarungen über die Verlegung der Ölfernleitung getroffen. Auf diese Weise konnten von den rund 1400 benötigten land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken bereits rund 1100 Grundstücke bereitgestellt werden. Die Verhandlungen mit den restlichen Grundstückseigentümern sind zur Zeit im Gange. Der Abschluß der endgültigen Gestattungsverträge ist vorbereitet und in Kürze zu erwarten. In diese Verträge werden Besserungsklauseln zugunsten der Grundeigentümer aufgenommen, um eine etwa notwendige Angleichung dieser Verträge an die Richtlinien zu ermöglichen und eine Schlechterstellung dieser Grundeigentümer unter allen Umständen auszuschließen.
Herr Abgeordneter Bucher zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, halten Sie es nicht für wünschenswert, auch wenn man in diesem Fall vielleicht eine gewisse Dringlichkeit anerkennt, daß grundsätzlich vor der Inanspruchnahme und Inbesitznahme von Grundstücken die Gestattungsverträge abgeschlossen werden?
Selbstverständlich halte ich das für wünschenswert. Es ist in diesem Fall recht schwierig. Die Richtlinien müssen vom Bundesfinanzministerium und von meinem Hause erarbeitet werden. Aber auch andere Ministerien sind beteiligt. Eine Einigung ist bisher noch nicht erzielt. Wir helfen uns damit, daß wir einige Testfälle im Enteignungsverfahren durchführen, um einmal zu sehen, wie die Schätzung ist. Da die Sache aber nicht liegenbleiben kann, mußten wir diese Fernleitung bauen.
Ich danke.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. — Herr Abgeordneter Dr. Mommer ist nicht im Saal. — Er wird in seiner Frage durch Herrn Abgeordneten Rimmelspacher zertreten.
Wie verträgt sich die Änßerung des Herrn Bundeswirtschaftsministers in München, er sei nich bereit, Preissteigerungen von 4 oder 5 v. als quantite negligeable hinzunehmen, mit der Zustimmung des Kabinetts zur Erhöhung der Bahntarife für Arbeiterzeitlzarten um 25 v. H. und mehr?
Herr Bundesminister, bitte.
Meine Ausführungen in München bezogen sich auf Preissteigerungen, die ihre Ursache in der unangemessenen oder mißbräuchlichen Ausnutzung einer für den Anbieter besonders günstigen Marktsituation haben und auch kostenmäßig nicht gerechtfertigt erscheinen. Für die vom Kabinett am 26. Oktober 1960 genehmigte Erhöhung der Bundesbahntarife für Zeitkarten des Berufsverkehrs war eine ganz andere Lage bestimmend. Nach den Untersuchungsergebnissen der Prüfungskommission für die Deutsche Bundesbahn, die ihren Bericht — Bundestagsdrucksache 1602 — auf Wunsch des Deutschen Bundestages erstattet hat, weist der Berufs- und Schülerverkehr der Deutschen Bundesbahn für 1958 ein Defizit von 628 Millionen DM auf. Die Kommission hatte vorgeschlagen, von diesem Defizit einen Teilbetrag von 300 Millionen DM durch Tariferhöhungen hereinzubringen. Hierfür wäre eine Tariferhöhung von durchschnittlich etwa 93 °/o erforderlich gewesen. Die Bundesregierung mußte sich einer derart drastischen Tariferhöhung verschließen. Se erklärte sich bereit, zur Milderung der schwierigen Wirtschaftslage der Deutschen Bundesbahn 150 Millionen DM als „Anpassungshilfe zur Rationalisierung des Personenverkehrs" zur Verfügung zu stellen. Die restlichen 150 Millionen DM sollten nach einem vom Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn gebilligten Antrag des Vorstandes der Bundesbahn durch Erhöhung der Berufs- und Schülertarife um 46,5 °/o aufgebracht werden.
Die Bundesregierung mußte auch diesem Antrag ihre Zustimmung verweigern. Unter sorgfältiger Abwägung der aus der schwierigen finanziellen Lage der Bundesbahn zu ziehenden Folgerungen und der sozialpolitischen Verantwortung der Bundesregierung beschloß das Kabinett, die Schülertarife von jeglichen Erhöhungen auszunehmen und bei den Zeitkarten für den Berufsverkehr lediglich einer Erhöhung um 25 % zuzustimmen, die voraussichtlich eine Mehreinnahme von nur noch 70 Millionen DM erbringen wird. Auch nach dieser — eingeschränkten—Tariferhöhung besteht im Berufs- und Schülerverkehr der Deutschen Bundesbahn ein erhebliches Defizit, das schwerwiegende finanzielle und wirtschaftliche Probleme für die Deutsche Bundesbahn aufwirft.
Die Bundesregierung hofft, daß ihre Bemühungen, die für die Bundesbahn notwendigen Tariferhöhungen in erträglichen Grenzen zu halten, von der Öffentlichkeit anerkannt werden.
Eine Zusatzfrage?
Herr Bundesminister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Ihre Äußerung in München also nicht allgemein, sondern nur für bestimmte Teile gemeint war?
Wir können hier kein konjunkturpolitisches Gespräch führen; aber es ist sicher, daß im Augenblick unter Ausnutzung der Marktlage sowohl auf der Lohnseite wie auf der Preisseite Forderungen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960 7545
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erharderhoben und durchgesetzt werden können, die mit einer gleichgewichtigen Wirtschaft nicht in Einklang stehen. Auf der anderen Seite ist es bei dieser Situation unangebracht, wenn öffentliche Betriebe wie Bahn und Post mit Mitteln der Steuerzahler subventioniert werden.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ist im Bundesverteidigungsministerium schon eine Entscheidung darüber getroffen worden, oh die Stadt Pegnitz zur Garnisonstadt bestimmt wird?
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hopf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Entscheidung ist inzwischen positiv getroffen worden. Sie hatte sich durch Geländeschwierigkeiten und durch eine militärische Umplanung verzögert.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Felder!
Herr Staatssekretär, ist diese Entscheidung der Stadt Pegnitz schon mitgeteilt worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich werde es prüfen und, falls die Entscheidung nicht mitgeteilt ist, es noch heute veranlassen.
Danke schön!
Ich rufe auf die Frage des Abgeordneten Felder aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr:
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, die dringenden Eingaben der Gemeinde Bubenreuth und der Stadt Baiersdorf über die Erstellung einer Bahnunterführung südlich des Bahnhofes Bubenreuth für Fußgänger und Radfahrer, und ferner über den Abbruch der Brücke über den aufgelassenen Teil des Ludwig-Donau-Main-Kanals am südlichen Ortseingang der Stadt Baiersdorf beim Straßenbauamt Nürnberg nachhaltig zu befürworten?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Anwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 9. November 1960 lautet:
Die Straße, die die Bahnstrecke Nürnberg—Bamberg beim Bahnhof Bubenreuth kreuzt, steht in der Baulast der Gemeinde. Insofern handelt es sich nicht um eine Angelegenheit, für die der Bund als Baulastträger für die Bundesstraße 4 zuständig ist. Daher kann auch die als Auftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen tätige bayerische Straßenbauverwaltung zur Herstellung einer Bahnunterführung beim Bahnhof Bubenreuth nichts veranlassen. Bei der angespannten finanziellen Lage der Deutschen Bundesbahn erklärt sich auch diese außerstande, namhafte Mittel zum Bau der Unterführung zur Verfügung zu stellen. Unter diesen Umständen sehe ich zu meinem Bedauern keine Möglichkeit, wie der Gemeinde von Seiten des Bundes geholfen werden könnte.
Im Interesse der Sicherheit der Fußgänger, die die Omnibus-Haltestelle an der benachbarten Bundesstraße 4 benutzen, ist jedoch veranlaßt, daß bei der Einmündung des Gemeindeweges in die Bundesstraße 4 eine Fußgängerunterführung unter der Bundesstraße angelegt wird. Ich möchte annehmen, daß die Straßenbauverwaltung damit einem dringenden Wunsch der Gemeinde Bubenreuth nachgekommen ist.
Die Vorschläge der Stadt Baiersdorf für die Verbesserung der Bundesstraße 4 an der Kreuzung mit dem aufgelassenen Ludwigskanal werden zur Zeit geprüft. Ich hoffe, daß hier eine Lösung gefunden werden kann, die der Verkehrsbedeutung der Bundesstraße 4 entspricht.
Damit ist die Fragestunde beendet.
Wir kommen zum zweiten Punkt der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der FDP betr. Regelung der Sonntagsarbeit .
Zur Begründung der Anfrage hat der Abgeordnete Lenz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der Fraktion der Freien Demokraten betreffend die Regelung der Sonntagsarbeit soll dem Hohen Hause Gelegenheit geben, zu einer Frage Stellung zu nehmen, die die Öffentlichkeit seit Monaten bewegt. Nachdem in den vergangenen Jahren die Landesregierungen die Ausnahmegenehmigungen für die Eisen- und Stahlindustrie immer wieder verlängert haben, ist das Problem durch die Ankündigung des nordrhein-westfälischen Sozialministers, er werde für die Zeit nach dem 31. Oktober 1960 eine Ausnahmegenehmigung nicht mehr erteilen, zu einer der wichtigsten innenpolitischen Streitfragen geworden, zu einer Streitfrage, zu der sich nicht nur Arbeitnehmer und Arbeitgeber des betroffenen Industriezweiges äußern, sondern zu der vor allen Dingen die Kirchen eine eindeutige Stellungnahme abgegeben haben. Schließlich ist durch die Diskussion im Rundfunk, im Fernsehen und in der Presse weiten Kreisen der Bevölkerung das Für und Wider nahegebracht worden. Die Stellungnahmen des Arbeiterflügels der CDU, die Haltung der Bundesregierung und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen geben Anlaß zu der Befürchtung, daß im Grunde nicht allein die Regelung der Sonntagsarbeit in der Stahlindustrie zur Debatte steht, sondern daß mit der beabsichtigten Rechtsverordnung, die die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen kann, eine grundsätzliche Neuregelung der Sonntagsarbeit angestrebt wird.Es wäre deshalb zu begrüßen gewesen, wenn die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung vorgelegt hätte, um dem Parlament Gelegenheit zur Entscheidung in dieser uns alle bewegenden Frage zu geben. Die Bundesregierung hat es aus Gründen, die wir nicht kennen, vorgezogen, von der gesetzlichen Ermächtigung in der Gewerbeordnung Gebrauch zu machen und eine Rechtsverordnung vorzubereiten. Angesichts dieses Sachverhalts hat es meine Fraktion für notwendig gehalten, diese Große Anfrage einzubringen, damit der Deutsche Bundestag seine Auffassung in dieser Frage zum Ausdruck bringen kann und damit die Bundesregierung Gelegenheit erhält, ihre Meinung zu den vielschichtigen Problemen der Sonntagsarbeit darzulegen.Bevor ich zur Begründung unserer Großen Anfrage im einzelnen übergehe, erlauben Sie mir vorab einige grundsätzliche Bemerkungen. Alle Fraktionen dieses Hohen Hauses stehen auf dem Boden
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7546 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960
Lenz
unserer Verfassung. Durch Art. 140 des Grundgesetzes ist der Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung Bestandteil unseres Verfassungsrechts geworden. Diese Bestimmung lautet:Der Sonntag und die staatlichen anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.Diese Bestimmung unserer Verfassung muß der Ausgangspunkt aller Betrachtungen des Problems der Sonntagsarbeit sein, und wir sollten uns für die Diskussion gegenseitig zugestehen, daß wir es mit der Verwirklichung dieser Bestimmung alle gleichermaßen ernst und ehrlich meinen.Die Kirchen haben Stellung genommen. Mir scheint jedoch, daß diese Stellungnahmen der christlichen Kirchen je nach Bedarf ausgelegt und verwendet werden, so daß es zweckmäßig ist, uns das ins Gedächtnis zurückzurufen, was aus der Sicht der Konfessionen zur Sonntagsarbeit zu sagen ist.Die evangelische Kirche hat sich an die Auffassung Luthers erinnert, der die Frage des Sonntags mehr pragmatisch und nicht dogmatisch betrachtete. In seinem Großen Katechismus heißt es in den Erläuterungen zum dritten Gebot:Solchs aber— gemeint ist der Feiertag —ist nicht also an Zeitgebunden, wie bei den Juden, daß es müsse eben dieser oder jener Tag sein, 'denn es ist keiner an sich selbst besser denn der andere, sondern sollt wohl täglich geschehen, aber weil es der Haufe nicht werten kann, muß man je zum wenigsten einen Tag in der Woche dazu ausschießen.Dieser Grundhaltung entspricht die Stellungnahme, die im „Evangelischen Pressedienst" vom 21. Oktober 1960 veröffentlicht ist. Dort heißt es — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:1. Die Sachverständigen der Evangelischen Kirche in Deutschland haben um des Menschen willen immer um die Freistellung des Sonntags von aller vermeidbaren Arbeit gebeten. Aus diesem Grunde haben sie auch ständig in den Beratungen an die Verantwortlichen die Frage gestellt, ob und inwieweit die vollkontinuierliche Arbeitsweise vermeidbar sei. Sie haben zum Ausdruck gebracht, wirtschaftliche Gründe dürften für die Zulassung von Sonntagsarbeit nur dann ausschlaggebend sein, wenn ihre Beachtung für die Gesamtwirtschaft unerläßlich ist.2. Sie haben es immer wieder abgelehnt, eine Entscheidung darüber zu fällen, welche Gründe im einzelnen zwingend sein könnten, die vollkontinuierliche Arbeitsweise aufrechtzuerhalten. Dies zu entscheiden, halten sie für eine Aufgabe der unmittelbar verantwortlichen staatlichen Stellen, in deren Entscheidungsfreiheit sie nicht eingreifen wollen.Erlauben Sie mir, hier die Feststellung zu treffen, 1 daß diese Art, die Meinung der evangelischen Kirche zum Ausdruck zu bringen, zugleich aber die unmittelbare Verantwortlichkeit und Entscheidungsfreiheit der staatlichen Stellen zu respektieren, ein Musterbeispiel für eine korrekte Abgrenzung des staatlichen und des kirchlichen Bereiches ist.In der Stellungnahme heißt es weiter:3. Sie haben seit langem die Regierungsstellen, Sozialpartner und Sozialpolitiker gebeten, zu entscheiden, welcher Ausfall an Produktion gesamtwirtschaftlich tragbar ist und wie sich eine Schichtplanregelung verwirklichen läßt, die die beteiligten Arbeitnehmer und ihre Familien nicht einer neuen Belastung durch Vermehrung von Springerschichten aussetzt.Soweit die Stellungnahme der evangelischen Kirche.Die Stellungnahmen von katholischer Seite, die zu der uns heute beschäftigenden Frage vorgebracht werden, scheinen mir nicht ganz einheitlich zu sein, und gewiß hat in der Diskussion mancher, ohne dazu autorisiert zu sein, auf Grund der Überschrift in der Enzyklika „Quadragesimo anno" vor dem Abschnitt 41, wo von der Machtvollkommenheit der Kirche über Gesellschaft und Wirtschaft die Rede ist, ohne das rechte Verständnis für das, was nach dieser Überschrift folgt, einen Autoritätsanspruch geltend gemacht, der alle anderen Argumente unbeachtlich erscheinen lassen will. Ein Blick in unsere westeuropäischen Nachbarländer, ein Blick nach Belgien, nach Frankreich, nach Italien und nach Spanien macht uns deutlich, daß dort produziert wird wie bei uns jetzt und daß sich dort katholische Christen nicht durch die nach dem gegenwärtigen Stand der Technik notwendige Produktionsweise in ihrem Gewissen als katholische Christen belastet fühlen.Wir sollten hier der Versuchung widerstehen, handfeste Ziele der Tagespolitik wie etwa die Forderung nach einer Profilierung 'der christlichen Arbeitnehmerschaft und einer Durchsetzung der Forderung des Christlich-Sozialen Arbeitnehmerkongresses 1960 um jeden Preis mit Argumenten zu unterstützen, die wir aus anderen Ländern noch nicht gehört haben.
Ich habe mit tiefer Erschütterung von dem Inhalt eines Telegramms Kenntnis genommen, das die katholischen Verbände und Organisationen im Bistum Münster am 21. Oktober 1960 an den Herrn Bundeswirtschaftsminister gerichtet haben. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitiere ich aus diesem Telegramm, um Ihnen zu zeigen, wie man die Frage der Sonntagsarbeit nicht behandeln sollte:Die katholische Bevölkerung hat kein Verständnis dafür, .daß nach einer jahrelangen gründlichen Diskussion der Probleme plötzlich für die Bundesregierung neue Gesichtspunkte auftauchen können, die diese Verzögerung oder gar einen weiteren Schwebezustand rechtfertigen. Die katholischen Verbände und Organisationen im Bistum Münster können für sich in
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960 7547
Lenz
Anspruch nehmen, daß sie bisher nicht nur aufs engste mit der Bundes- und Landesregierung zusammengearbeitet haben, sondern auch bei allen bisherigen Wahlen eine unersetzliche staatsbürgerliche Vorfeldarbeit geleistet haben. Die Arbeitsgemeinschaft muß aber in aller Klarheit darauf hinweisen, daß einer solchen Zusammenarbeit die Vertrauensgrundlage entzogen ist, wenn Bundesregierung und CDU-Führung einem weiteren Mißbrauch des Sonntags in der Stahlindustrie Vorschub leisten. Die katholischen Verbände und Organisationen würden in diesem Falle ihre Glaubwürdigkeit nicht nur bei ihren Mitgliedern, sondern auch bei allen aufrechten Katholiken verlieren. Das gleiche würde die CDU bedenken müssen, solange sie den Anspruch erhebt, eine christliche Partei zu sein. Die Arbeitsgemeinschaft erwartet daher, daß die von Bundesminister Blank vorgelegte Verordnung über die Sonntagsarbeit in der Stahlindustrie unverzüglich und unverändert in Kraft gesetzt wird.Wir sollten uns gegenseitig zugestehen, meine Damen und Herren, daß wir die Auffassungen und Argumente der Kirchen mit allem Ernst prüfen, wir sollten darüber aber nicht unsere Aufgabe vergessen, nämlich zu entscheiden, welche Gründe zwingend sein können, die vollkontinuierliche Arbeitsweise aufrechtzuerhalten, sie noch einige Jahre aufrechtzuerhalten oder sie fallenzulassen.Zur Begründung unserer Anfrage im einzelnen habe ich folgendes zu sagen.Die Frage 1 lautet:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Regelung der Sonntagsarbeit in der Eisen-und Stahlindustrie volkswirtschaftliche Gesichtspunkte, insbesondere die Notwendigkeit der Erhaltung der Produktionskapazität, und die sich aus Frage 2 ergebenden Interessen der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen hat?Wir halten eine verbindliche Auskunft der Bundesregierung hierzu für notwendig, weil in der öffentlichen Diskussion immer wieder der Versuch unternommen worden ist, den Befürwortern der kontinuierlichen Arbeitsweise unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen zu unterstellen, daß ihr eigentliches Motiv das Gewinnstreben der betroffenen Unternehmen sei. Wer indessen die Argumente genau prüft, wird feststellen, daß diese Frage eigentlich keine Rolle spielt.Ich möchte für meine politischen Freunde hier erklären, daß ein größerer oder kleinerer Gewinn in der Stahlindustrie für unsere Entscheidung, für unsere Überlegungen kein Gesichtspunkt ist. Uns geht es um etwas anderes. Wir halten es aus volkswirtschaftlichen Gründen nicht für tragbar, daß in diesem Augenblick die deutsche Produktionskapazität vermindert wird. Zunächst einmal wäre es zu begrüßen gewesen, wenn die Bundesregierung, bevor sie Pläne verwirklicht, die eine Einschränkung unserer Stahlkapazität zur Folge haben müssen, mit den Vertragsstaaten der Montanunion Verbindung aufgenommen hätte, um zu prüfen, ob dort eine ähnliche Regelung geplant wird. Wir sind allerdings überzeugt, daß eine solche Anfrage nicht Argumente für, sondern gegen die geplante Rechtsverordnung erbracht hätte.Zweitens, in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West spielt die Kapazität der Stahlproduktion eine entscheidende Rolle, und der Ausfall einer Produktion von 3 Millionen t Stahl schwächt die Position der freien Welt. Darüber dürfte kein Zweifel bestehen. Der zur Zeit zu befürchtende Produktionsausfall wird in dem Maße größer werden, in dem sich die Tagesproduktion steigert. Schließlich sollte auch nicht übersehen werden, daß die Wettbewerbslage der deutschen Stahlindustrie gegenüber anderen Industriestaaten, in denen entsprechende gesetzliche Verbote fehlen, erheblich gefährdet würde.Drittens, ein wesentlicher Gesichtspunkt: unser Bemühen um eine wirksame Hilfe für die Entwicklungsländer. Es bewegt uns jeden Tag, und es bewegt alle Fraktionen dieses Hauses jeden Tag. Der von mir behauptete Produktionsausfall wird von niemandem ernstlich bestritten werden können. Experten des Bundeswirtschaftsministeriums und der Stahlindustrie haben errechnet, daß schon eine achtstündige Betriebsruhe in den Siemens-Martin- und Elektro-Werken praktisch zu einer mehr als 16stündigen Produktionsunterbrechung führen müsse. Die von der Bundesregierung geplante gesetzliche Regelung würde einen Produktionsausfall bei Siemens-Martin- und Elektro-Werken von 1,8 Millionen t jährlich und an Thomas-stahl von 1,2 Millionen t jährlich zur Folge haben. Der Gesamtausfall von 3 Millionen t entspricht 10 O,10 der Gesamterzeugung. Ich will davon absehen, hier die technischen Gründe für den genannten Produktionsausfall im einzelnen zu schildern, weil ich hoffe, daß die Bundesregierung bei ihrer Argumentation von einem Produktionsausfall von 3 Millionen t Rohstahl jährlich ausgehen wird.Ich darf zusammenfassen. Wir möchten von der Bundesregierung gern eine konkrete Antwort auf die Frage haben, ob sie angesichts der Produktionsbedingungen in den anderen Montanländern, ob sie angesichts der Produktionsbedingungen in den Industriestaaten der Welt im allgemeinen und ob sie angesichts der Bedeutung der Stahlproduktionskapazität der freien Welt im Zeichen des unseligen Ost-West-Gegensatzes und im Hinblick auf unsere Bemühungen um eine Ausweitung der deutschen Entwicklungshilfe die von ihr beabsichtigte Regelung glaubt verantworten zu können.Ein maßgeblicher Gesichtspunkt für uns sind die Belange der betroffenen Arbeitnehmer. Wir möchten deshalb nicht nur volkswirtschaftliche Gesichtspunkte, sondern zugleich auch die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigt sehen. In der Frage 2 fragen wir deshalb die Bundesregierung nach dem Inhalt eines von der Sozialforschungsstelle der Universität Münster vorgelegten Forschungsberichts, und mit Frage 3 schließlich wollen wir wissen, ob die Bundesregierung bereit ist, diesen Forschungsbericht der Öffentlichkeit zu übergeben. Ich darf es ganz offen sagen: wir hätten es begrüßt, wenn uns die Bundesregierung die Fragen 2 und 3 erspart
Metadaten/Kopzeile:
7548 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960
Lenz
hätte. Wir haben inzwischen erfahren, daß die Landesregierung Nordrhein-Westfalen der Bundesregierung den genannten Bericht zugeleitet hat. Warum die Regierung in Düsseldorf dem nordrhein-westfälischen Landtag und der Öffentlichkeit den Bericht bisher vorenthält, haben wir hier nicht zu untersuchen. Wir sind aber sicher, daß diese Frage im Landtag zur Sprache kommen wird. Wir hätten es für angemessen gehalten, wenn das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung in die öffentliche Diskussion jene beachtlichen Argumente eingeführt hätte, die sich aus dem Münsteraner Gutachten ergeben. Ich bitte Sie, Herr Minister, uns die Begründung für die Geheimhaltung des Berichts zu ersparen, die der Herr Arbeits- und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen in einer Sendung des Westdeutschen Rundfunks vorgebracht hat. Herr Minister Grundmann hat dort erklärt, der genannte Bericht habe zwar den größten Teil des erhobenen Materials, nicht aber die ganze Problematik behandelt, die von einer wissenschaftlichen Veröffentlichung zu erwarten ist. Es bedürfe noch einer weiteren Zusammenarbeit zwischen der Forschungsstelle und der Fachabteilung seines Hauses, bevor der Bericht reif zur Veröffentlichung sei.Mir sind aus der Presse inzwischen wesentliche Teile dieses Berichts bekanntgeworden, und ich halte sowohl Begründung wie Ergebnis für überzeugend. Ich gestehe selbstverständlich dem Herrn Minister Grundmann zu, daß er darüber anderer Meinung ist. Aber dann sollte man den Erlaß der Rechtsverordnung so lange zurückstellen, bis der Bericht jene Veröffentlichungsreife erlangt hat, die Herr Minister Grundmann für notwendig hält. Wir werden dann Gelegenheit haben, diese wichtige Unterlage bei unseren Beratungen heranzuziehen.Ich möchte aber doch dem Hohen Hause das, was schon jetzt als Ergebnis der Arbeiten der Sozialforschungsstelle der Universität Münster bekannt ist, nicht vorenthalten. Der Bericht dieser Stelle stellt nach einer Übersicht der Verteilung der Erwerbspersonen fest, daß die Sonntagsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Verkehrswesen nicht umstritten ist. Der öffentliche Dienst und der Handel scheiden automatisch aus der Überlegung aus. Im Baugewerbe steht die Sonntagsarbeit nicht zur Debatte; die Produktionsmethoden und die technischen Einrichtungen machen eine kontinuierliche Arbeitsweise nicht notwendig. Es könnten deshalb in diesem Sektor wirklich nur ökonomische Gründe vorgebracht werden, die aber — darüber sind sich alle Beteiligten klar — eine Sonntagsarbeit nicht rechtfertigen können. In der deutschen Industrie haben zur Zeit etwa 80 % aller Erwerbstätigen den Samstag und den Sonntag frei. Es ist nicht zu befürchten, daß die durchlaufende Arbeitsweise eingeführt wird. Das Gutachten sagt:Wer einmal die Arbeitssituation der Fünf-Tage-Woche erreicht hat, ist nicht mehr bereit, seine Arbeitskraft für den Sonnabend, geschweige denn für den Sonntag zur Verfügung zu stellen.Zu der uns hier interessierenden Frage der kontinuierlichen Arbeitsweise darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten das Gutachten wie folgt zitieren:Jedes Aufreißen dieses lückenlosen Systems bedeutet die Öffnung von Schleusen für Arbeitszeitverhältnisse, die mit der fortschreitenden Humanisierung des Betriebslebens, insbesondere in den schwerarbeitenden Berufen, nicht mehr vereinbar sind. Die deutlich ausgesprochene Befürchtung der Arbeiter selbst gegenüber einer solchen Regelung der Arbeitsweise (Rückverlegung von Reparaturen und anderen Arbeiten in die entsprechenden Arbeitszeitlücken, Vermehrung der Überstunden, Schwierigkeiten bei der Wiederaufnahme der Schmelzen am Sonntagabend oder Montag früh usw.) basiert auf einer jahrzehntelangen eigenen Berufs- und Betriebserfahrung und darf deshalb nicht übersehen werden.Gegen derartige Folgen helfen weder strenge gesetzliche noch rechtliche Vorschriften, weil die technische, wirtschaftliche und soziale Verflochtenheit des Hüttenprozesses ihre eigenen autonomen Durchsetzungskräfte hat. Lückenhafte Schichtpläne können lediglich zur zunehmenden Belastung mit Überstunden und Sonntagsarbeit führen. Die in der Vergangenheit durch das Springersystem entstandenen zahlreichen betrieblichen und sozialen Störungen müßten im Falle einer Beseitigung der lückenlosen Schichtfolge automatisch wieder lebendig werden.Auf Grund dieser Erwägungen befürchtet die Sozialforschungsstelle Münster folgende Wirkungen der Aufhebung der kontinuierlichen Arbeitsweise:1. Entnormalisierung des Arbeitslebens und der Freizeit durch Unregelmäßigkeit und Unübersehbarkeit der Schichtfolge sowie durch erneuten Anreiz zur Ableistung von Überstunden und Sonntagsarbeit.2. Gefährdung der sozialen Stabilität der Schichtbelegschaften durch das wieder eingeführte Springersystem oder die wechselhafte Zusammensetzung der Schicht.3. Störung der außerbetrieblichen sozialen Sparten, besonders der Familien, infolge ungeregelter Arbeitsweise und nicht voraussehbare Schichteinteilung.Nach unserer Auffassung sind diese Ergebnisse der Forschungsstelle Münster doch so beachtlich, daß eine gesetzliche Änderung der Bestimmungen über die Sonntagsarbeit nicht ohne eingehende Prüfung aller Gesichtspunkte vorgenommen werden darf. Wir erwarten deshalb, daß die Bundesregierung in der Antwort auf unsere Große Anfrage eingehend zu allen hier vorgebrachten Argumenten Stellung nimmt und daß sie zugleich auch diejenigen Teile des Berichts der Sozialforschungsstelle würdigt, die ich Ihnen, meine Damen und Herren, aus Zeitgründen oder weil sie mir selbst nicht bekannt sind, vorenthalten mußte.
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Lenz
Wir haben es begrüßt, daß die Sozialpartner in der Eisen- und Stahlindustrie von sich aus bemüht waren, die Sonntagsarbeit so weit einzuschränken, wie es unter den gegenwärtigen technischen Verhältnissen irgend möglich ist. Wir sollten die bis zum 30. Juni 1965 vorgesehene Regelung nicht stören, sondern abwarten, welche technischen Möglichkeiten sich im Jahre 1965 bieten, etwa das LD-Blasstahlverfahren, um dem von uns allen erstrebten Ziel einer Eliminierung der Sonntagsarbeit näherzukommen.Man kann auch den von den Arbeitnehmern vorgebrachten Bedenken nicht mit dem Hinweis begegnen, ,daß der Arbeitnehmer den durch die geplante Regelung verursachten Verdienstausfall von durchschnittlich 100 DM selbst in Kauf nehmen muß. Ebenso falsch wäre es jedoch, den vollen Lohnausgleich zu fordern. Wir können uns nicht vorstellen, daß die Bundesregierung die Absicht hat, durch ihre Rechtsverordnung in die Tarifhoheit der Sozialpartner der Eisen- und Stahlindustrie einzugreifen und nicht übersehbare Auswirkungen auf die allgemeine Arbeitszeitpolitik zu verursachen. Wir würden es deshalb auch begrüßen, wenn die Gewerkschaften eindeutig erklärten, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt für sie die Forderung nach dem vollen Lohnausgleich keine akzeptable Alternative sei; denn letztlich würde sich der volle Lohnausgleich bei verminderter Kapazität als erneute Ankurbelung der Lohn-Preis-Spirale auswirken mit allen nachteiligen Folgen, die dann auch die Arbeitnehmer der Stahlindustrie zu tragen hätten.Aber — und das möchte ich hier noch einmal feststellen — uns geht es hier wirklich nicht um die materielle Seite. Diejenigen, die heute mit besonderem Nachdruck nach einer Änderung der Gewerbeordnung rufen und sich dabei betont von einer materiellen Betrachtungsweise hinsichtlich unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse distanzieren, würden wir gern an unserer Seite sehen, wenn wir vor den kommenden Bundestagswahlen ,dagegen angehen, daß allein der materielle Wohlstand Kriterium ,der Wahlentscheidung sein soll.
Im letzten Teil unserer Anfrage, in den Fragen 4 und 5, beziehen wir uns auf das Gutachten, mit dem Professor Forsthoff zu der Frage Stellung genommen hat, ob durch eine Rechtsverordnung auf Grund des § 105d der Gewerbeordnung das Recht zur Vornahme von Reparaturarbeiten, das in § 105c Abs. 1 Ziffer 1 der Gewerbeordnung ausdrücklich zugestanden ist, aufgehoben oder seine Ausübung von Bedingungen abhängig gemacht werden kann. Wir bitten die Regierung, vor dem Hohen Hause zu den Argumenten, die von Professor Forsthoff vorgebracht werden, im einzelnen um eine Stellungnahme. Vor allem interessiert uns, wie die Bundesregierung die Aussichten eines Rechtsstreites beurteilt, in dem der von Professor Forsthoff bejahte Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird. Wir können uns nicht vorstellen, daß die Bundesregierung es auf einen solchen Rechtsstreit ankommen lassen will, nachdem ein angesehener Lehrer des Verwaltungsrechts die geplante Rechtsverordnung in diesemPunkte für unzulässig und' einen sich daraus ergebenden Schadensersatzanspruch für begründet hält.Ich möchte zum Schluß unserer festen Zuversicht Ausdruck verleihen, daß es in absehbarer Zeit gelingen wird, unter Ausnutzung der technischen Entwicklung die Stahlproduktion so umzustellen, daß die Frage der Sonntagsarbeit in diesem Teil der Wirtschaft nicht mehr zur Diskussion steht. Die Vereinbarungen der Tarifpartner, die für die Zeit ab 1 Juli 1965 eine Neuregelung der Arbeitszeit vorsehen, geben uns die Gewißheit, daß die Unternehmen der Stahlindustrie bis zu diesem Zeitpunkt die notwendigen technischen Voraussetzungen schaffen werden.Es ist nicht einzusehen, warum gerade in diesem Zeitpunkt hier und jetzt so einschneidend durch eine Rechtsverordnung in die Stahlproduktion eingegriffen werden soll. Und — wenn ich das sagen darf — es scheint uns auch angemessen zu sein, daß die wichtige Frage der Sonntagsarbeit durch ein Gesetz, das im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen beraten werden kann, geregelt wird. Wir werden dann in diesen Ausschüssen die Möglichkeit haben, mit allen Beteiligten — mit der Industrie, mit den Arbeitnehmern und mit den Kirchen — einen Weg für eine befriedigende Lösung zu suchen.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe der Begründung des Herrn Kollegen Lenz entnommen, daß er noch eine ganze Reihe von Zusatzfragen stellt. Ich halte mich bei der Beantwortung der Großen Anfrage an die der Bundesregierung schriftlich gestellten Fragen, weil wir natürlich nur diese und die Antwort darauf im Kabinett beraten bzw. beschließen konnten. Wenn Sie, Herr Kollege Lenz, wofür ich volles Verständnis habe, diesen Fragenkomplex noch ausweiten wollen, gibt es sicher die Möglichkeit — wenn Sie so wollen — einer zweiten Großen Anfrage. Die Antwort, die ich jetzt gebe, ist von der Bundesregierung beschlossen; wir werden uns bemühen, auf die gestellten Fragen präzise und konkret zu antworten.Unter 1 fragen Sie, ob die Bundesregierung die Auffassung teile, daß die Regelung der Sonntagsarbeit in der Eisen- und Stahlindustrie volkswirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen habe. Dazu sage ich folgendes.Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß volkswirtschaftliche Gesichtspunkte und die Interessen ,der betroffenen Arbeitnehmer bei der Regelung der Sonntagsarbeit, auch in der Eisen- und Stahlindustrie, mitberücksichtigt werden müssen, Nach Sinn und Zweck des § 105 d Abs. 1 der Gewerbeordnung und ,des Art. 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 139 der Weimarer Verfas-
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Bundesarbeitsminister Blanksung dürfen Produktionsarbeiten an Sonn- und Feiertagen außer in dem vom Gesetz als Beispiel gegebenen Fall, daß die Arbeiten ihrer Natur nach eine Unterbrechung oder einen Aufschub nicht gestatten, allerdings nur insoweit zugelassen werden, als sie aus gewichtigen volkswirtschaftlichen Gründen erforderlich sind.Sie fragen unter 2 nach dem Forschungsbericht der Universität Münster. Ich darf darauf folgendes antworten.Die Sozialforschungsstelle an der Universität Münster hat einen Forschungsbericht vorgelegt, und zwar dem Herrn Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen, von dem der Forschungsauftrag erteilt worden ist. Soweit der Bundesregierung bekannt geworden ist, enthält der Bericht eine Gegenüberstellung der Auswirkungen der kontinuierlichen Arbeitsweise mit 42 Wochenstunden und der davor üblichen Arbeitsweise mit 53 bis 56 Wochenstunden. Die Nachteile der letztgenannten Arbeitsweise — also der früheren mit 53 bis 56 Wochenstunden — hätten sich jedoch nach Auffassung der Bundesregierung auch in anderer Form als durch Übergang zum kontinuierlichen Betrieb vermeiden lassen.Unter Punkt 3 fragen Sie, ob wir diesen Bericht der Öffentlichkeit übergeben wollten. — Eine Entscheidung, so lautet die Antwort, über die Veröffentlichung des Berichts kann von der Bundesregierung nicht getroffen werden, da sie den Forschungsauftrag nicht erteilt hat. Im übrigen beziehe ich mich I auf meine Antwort zu Frage 2. Aber schon jetzt möchte ich Ihnen außerhalb der von der Bundesregierung beschlossenen Antwort sagen, daß sich selbst die Verfasser und der wissenschaftliche Leiter der Sozialforschungsstelle gegen eine derzeitige Veröffentlichung aussprechen — ich habe das schriftlich bei mir —, weil dieser Bericht wissenschaftlich noch nicht fertig sei.Unter Punkt 4 stellen Sie die Frage nach dem Gutachten von Herrn Professor Dr. Forsthoff aus Heidelberg. Ich darf darauf antworten: Der Bundesregierung ist das von Professor Dr. Forsthoff erstattete Gutachten über die Rechtsfragen zur Neuregelung der Sonntagsarbeit bekannt. Die Eisen- und Stahlindustrie, für die es erstattet war, hat es uns selbstverständlich zugänglich gemacht.Nun darf ich die Frage 5, ob die Bundesregierung die Rechtsauffassung des Herrn Professor Dr. Forst-hoff teile, beantworten. Die Bundesregierung teilt die Rechtsauffassung des Herrn Professor Dr. Forst-hoff nicht, so daß Folgerungen aus dieser Auffassung nicht zu ziehen sind. Sie hat nicht die Absicht, § 105 c Abs. 1 Nr. 3 der Gewerbeordnung in einer Rechtsverordnung auf Grund des § 105 d der Gewerbeordnung zu ändern und die Beschäftigung mit Reparaturarbeiten an Sonntagen zu verbieten. Sie ist jedoch der Auffassung, daß im Interesse der Arbeitnehmer die Beschäftigung mit Produktionsarbeiten in einer Rechtsverordnung auf Grund des § 105d der Gewerbeordnung unter der Voraussetzung zugelassen werden kann, daß Reparaturarbeiten an Sonntagen während einer bestimmten Zeit tatsächlich nicht vorgenommen werden. Die Berechtigung zu einer solchen Regelung ergibt sich daraus, daß nach § 105 d Abs. 1 der Gewerbeordnung die Zulassung von Produktionsarbeiten im Ermessen des Verordnungsgebers steht und daß nach § 105 d Abs. 2 der Gewerbeordnung die Zulassung von Produktionsarbeiten an Bedingungen geknüpft werden kann.Damit habe ich die Antwort der Bundesregierung gegeben. Gestatten Sie mir, daß ich noch einen oder zwei Sätze anhänge.Herr Lenz, Sie haben gesagt, Sie wüßten nicht, weshalb sich die Bundesregierung entschlossen habe, diesen Komplex durch Rechtsetzung zu regeln. Die Gründe sind jedermann offenbar. Es sind folgende. Der rechtliche Charakter der Ausnahmegenehmigungen, die auf Grund des § 28 der Arbeitszeitordnung in den verschiedensten Wirtschaftszweigen seit Jahren erteilt werden, ist höchst problematisch. Bei näherer Betrachtung werden Sie mir selber zugeben, daß die Frage, ob der § 28 der Arbeitszeitordnung überhaupt noch geltendes Recht sei, mehr als zweifelhaft ist.
Zweitens: Wir haben seit Jahren nicht nur mit den Kirchen, wie das hier immer dargestellt wird, sondern in einer in meinem Ministerum eigens dafür gebildeten Kommission mit allen Beteiligten, also mit der Stahlindustrie, mit den Gewerkschaften, mit den beiden Kirchen, über diese Frage gesprochen.Der dritte Grund ist der, daß sich verschiedene Landesregierungen — das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt es — im Bewußtsein der Fragwürdigkeit der Rechtsgrundlage weigern, in der Zukunft noch Ausnahmegenehmigungen auf Grund des § 28 der Arbeitszeitordnung zu erteilen. Die damit eintretende Rechtsunsicherheit zwingt die Bundesregierung, die gehalten ist, das Grundgesetz zu achten und zu verteidigen, zur Rechtsetzung, um die Rechtssicherheit wiederherzustellen.
Meine Damen und Herren, wünscht das Haus eine Aussprache über die Große Anfrage? — Ich bitte die Damen und Herren, die eine Aussprache wünschen, um ein Handzeichen. — Das sind mehr als 30 Mitglieder des Hauses.
Das Wort hat der Abgeordnete Brand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der CDU/CSU habe ich die Ehre, folgende Erklärung abzugeben.Wir alle sind gehalten, die Sonntagsarbeit so zu regeln, daß der in Art. 140 des Grundgesetzes verankerte Grundsatz der Arbeitsruhe geschützt und in bezug auf ihn eine Verfassungswirklichkeit hergestellt wird. Dieser Grundsatz der Verfassung ist für alle Vorhaben des Bundes auf diesem Gebiete — gleichgültig, ob es sich nun um Gesetze, Verordnungen oder Verwaltungsakte handelt — verpflich-
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Brandtende Norm. Die Fraktion der CDU/CSU legt Wert auf die Feststellung, daß sie aus innerer Überzeugung diesen Grundsatz des Grundgesetzes voll bejaht.Zur christlichen Ordnung gehört der christliche Sonntag. Die Fraktion der CDU/CSU ist sicher, daß die Bundesregierung die strittigen Fragen, die hinsichtlich der Regelung der Sonntagsarbeit in der Stahlindustrie anstehen, alsbald entsprechend diesen Grundsätzen regeln wird. Sie glaubt, daß durch eine sachgerechte Planung von Anpassungsmaßnahmen und Fristen auch die sozialen und wirtschaftlichen Belange, die hier mitzuberücksichtigen sind, gewahrt werden können. Das Ziel muß sein, nach Ablauf dieser Fristen die Arbeitsruhe am Sonntag nicht nur hier, sondern auch in anderen Bereichen der Wirtschaft zu verwirklichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Sträter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß schon sagen, daß ich eine etwas umfangreichere Antwort der Bundesregierung erwartet hätte, als sie der Herr Bundesarbeitsminister gegeben hat.
Für meine Begriffe war diese Antwort jedenfalls äußerst mager.
Ich möchte das voranstellen, was ich im April 1957 von der gleichen Stelle aus gesagt habe, als dieselbe Frage — ausgelöst durch eine Große Anfrage der CDU — zur Debatte stand. Ich habe damals ausgeführt, daß diese Diskussion leider 40 Jahre zu spät komme.
Mir scheint diese Feststellung auch heute noch richtig zu sein. Heute werden in der Öffentlichkeit nicht mehr so stark wie vor 1957 Verdächtigungen ausgesprochen. Ich darf daran erinnern, daß damals sogar von Transporteuren östlichen Gedankengutes gesprochen worden ist. Solche Verdächtigungen sind in den letzten Monaten erfreulicherweise nicht wieder aufgetaucht. Aber immerhin sind draußen einige Dinge geblieben. Man fragt z. B., wie die IG Metall dazu komme, einen Tarifvertrag abzuschließen, durch den den Unternehmern noch mehr Gewinne zugeschanzt würden. Das ist doch eine sehr platte und von keinem hohen Niveau zeugende Darstellung.Ich muß deswegen auch heute wieder einmal darlegen, wie die Dinge tatsächlich verlaufen sind, und betonen, daß dieser Schritt 1957 überhaupt ein erster Schritt war, in der Hüttenindustrie zum Sonntag zu kommen.
Es ist vor 1914, ich sage das heute wieder bewußt,in diesen Betrieben — Hochöfen, Kokereien, Martinwerken und Stahlwerken — an jedem zweiten Sonntag 24 Stunden gearbeitet worden.
Nach 1918 wurden daraus 16 Stunden, und erst durch die Regelung 1957 sind wir zu 13 echten, nicht angeschnittenen Sonntagen gekommen. Sie dürfen sich ruhig darauf verlassen, daß das von den betroffenen Arbeitnehmern unterschiedslos akzeptiert wird. Insofern hat das Gutachten von Münster — das auch ich leider nicht kenne — doch auch eine Reihe positiver Dinge aufgegriffen. Die Befragungen der Betroffenen hatten durch die Bank ein positives und in keinem Fall ein negatives Ergebnis. Die Frage stand damals, im Jahre 1957, genauso wie heute. Es gibt für unsere Begriffe keine wirtschaftlichen oder technischen Gründe, etwa auch die Hüttenbetriebe sonntags zuzumachen. Sie können das tun; dagegen gibt es keine Argumente. Die Frage, meine Damen und Herren, ist nur, ob man das hier will. Dann soll man das sagen. Die Stahlarbeiter würden es jedenfalls begrüßen, wenn auch sie jeden Sonntag, wie jeder andere im Lande, frei haben könnten.Ich möchte meinen, daß es viel nützlicher gewesen wäre, wenn sich die Bundesregierung mehr auf der Ebene der Montanunion bemüht hätte. Es ist schon von dem Sprecher der FDP-Fraktion gesagt worden: Es gibt unter diesen sechs Ländern kein einziges Land, in welchem die Arbeitsweise in den Stahlwerken anders ist als bei uns. Es gibt sogar Länder — ich nenne Holland —, wo auf Grund von Tarifverträgen, die die Unterschriften der christlichen Gewerkschaften tragen, schon seit Jahren dieselbe Arbeitszeit, wie bei uns, verfahren wird.Ich habe 1957 auch auf die englischen Verhältnisse hingewiesen; und ich glaube, es wird mir wohl jeder hier darin beistimmen, daß in England der Respekt vor dem Sonntag viel ausgeprägter ist als — leider — bei uns im Lande. Aber in England arbeiten auch die Stahlwerke genauso wie bei uns. Dasselbe ist in Amerika der Fall.Wenn hier Änderungen notwendig werden — die auch wir bejahen möchten —, dann wäre es doch nützlicher gewesen, im Wege von Bemühungen mindestens im Rahmen dieser sechs Länder zu versuchen, das zu erreichen. Ich darf hier sagen, daß wir uns in den Jahren 1956/57 in Luxemburg reichlich bemüht haben. Es sind Feststellungen und Umfragen durch die Hohe Behörde erfolgt. Alle diese Unterlagen liegen vor. Es wäre vielleicht gut gewesen, wenn der Ministerrat dieser sechs Länder die beteiligten Tarifpartner aller sechs Länder einmal zu Besprechungen aufgefordert hätte, mit dem Ziel, zu einer Veränderung der Sonntagsarbeit in den sechs Ländern zu kommen. Ich würde auch heute herzlich darum bitten, diesen Weg zu versuchen, um zu einer Änderung zu kommen, und zwar aus einem ganz einfachen und nüchternen Grunde: weil wir nicht gern haben möchten, daß es hier zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, die ausschließlich von der deutschen Stahlindustrie ausgebadet werden sollen. Das ist meiner Meinung nach zur Sicherung der Arbeitsplätze, wenn auch noch
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7552 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960
Sträternicht heute und morgen, aber auf die Dauer gesehen, sicherlich sehr wichtig.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich der Andeutung des Herrn Berichterstatters von der FDP anschließen und die Bitte aussprechen: Seid nicht so eilig bei diesen Dingen! Bis zum Jahre 1964/65 wird es sich sicherlich — der Wille besteht und hat immer bestanden — ermöglichen lassen, auch in diesem Bereich zu weiteren freien Sonntagen zu kommen. Jetzt auf einen Hieb die Dinge zu ändern, halte ich für außerordentlich gefährlich. Man kann ja hier sagen: Auch der Lohnausgleich darf keine Rolle spielen.Ich möchte hier betonen, daß die Stahlarbeiter jahrzehntelang zu der Sonntagsarbeit durch Recht und Gesetz gezwungen worden sind, nicht erst durch § 28 der Tarifordnung in der Zeit nach 1945, sondern in früheren Jahren durch Genehmigungen der einzelnen Gewerbeaufsichtsbehörden.Wenn man zur Zeit eine Veränderung vornimmt, dann ist die logische Folge aus einem solchen Handeln eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit. Wir sind damit sehr gerne einverstanden. Ich möchte nur einmal hören, ob auch das Bundeswirtschaftsministerium damit einverstanden ist. Das ist die Frage, die ich auch 1957 hier gestellt habe. Wenn man glaubt, sich in der Bundesrepublik die Regelungen, wie sie sich abzeichnen — mit den Produktionseinbußen, von denen gesprochen worden ist —, leisten zu können,wären wir für dieses Entgegenkommen sehr dankbar und würden sie akzeptieren. Aber mit dem Gedanken zu spielen, daß das nur die Sonntagsarbeit angeht und daß es Sache der Tarifpartner ist, darauf zu sehen, was nachher aus den Tarifverträgen wird, das halte ich für sehr gefährlich und bedenklich. Auf keinen Fall sollte man damit rechnen, daß die Stahlarbeiter eine Verlängerung ihrer Arbeitszeit von 42 Stunden hinnehmen werden. Das sollte man hier auch einkalkulieren.Auf keinen Fall werden die Stahlarbeiter wieder zu dem Springersystem zurückkehren, von dem auch bei der Begründung der Großen Anfrage der FDP die Rede gewesen ist, einem Springersystem, welches für alle Beschäftigten eine Einbuße an Gesundheit zur Folge gehabt hat und das nach unserem Dafürhalten auch zu der schrecklichen Frühinvalidität der betroffenen Arbeitnehmer beigetragen hat. Wenn man das alles so nicht akzeptieren will, dann soll man uns das hier heute morgen sagen. Aber aus der Antwort des Herrn Bundesarbeitsministers habe ich eine solche Stellungnahme nicht heraushören können.Meine Damen und Herren, ich bitte heute noch einmal inständig darum, den Versuch zu machen, den Tarifpartnern eine gewisse Fristenverlängerung, die nach meinen Begriffen bis 1964/65 gehen könnte, zu geben mit der Auflage, bis zu diesem Zeitpunkt andere als die jetzt vorliegenden Vorschläge zu machen.Das ist ja auch schon einmal bei den von Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister, hier geschilderten Besprechungen unter dem Vorsitz des Herrn Herschel im Bundesarbeitsministerium so gewesen. Dort waren die Kirchen, insbesondere die katholische Kirche, damit einverstanden, daß 26 Sonntage statt 13 zugestanden würden. Man sollte auch akzeptieren, daß an den 26 Sonntagen, an denen gearbeitet werden müßte, zwölf statt acht Stunden gearbeitet würde, wie es heute noch im Saargebiet geschieht. Das haben wir nicht akzeptieren können, sondern wir wollten um jeden Preis auch an den Sonntagen eine Beschränkung auf acht Stunden haben. Ich muß sagen, daß diese monatelangen Gespräche sehr freundschaftlich gewesen sind, und ich kann gar keine Erklärung finden, weshalb diese Gespräche nicht zu Ende geführt und so ohne Ergebnis geblieben sind. Weshalb sind denn diese Bemühungen dann auf einmal nicht mehr fortgesetzt worden?Ich würde also nochmals darum bitten, den aufgezeigten Weg zu beschreiten und nicht jetzt die Dinge ad hoc zu ändern. Darauf können Sie sich ruhig einstellen, meine Damen und Herren, und das sage ich auch der Bundesregierung: Die betroffenen Stahlarbeiter werden sich eine Arbeitszeitverlängerung oder ein Springersystem oder Lohneinbuße nicht bieten lassen! Nur dann, wenn Sie das so regeln, sind wir recht herzlich einverstanden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur einige wenige Bemerkungen. Herr Kollege Sträter, ich weiß gar nicht, gegen wen Sie polemisieren. Ich habe Ihre Ausführungen mit großer Freude gehört. Ich kenne diesen Standpunkt auch von anderen Gewerkschaften. Ich könnte Ihnen einen Brief einer Gewerkschaft, die an der Frage der Sonntagsarbeit außerordentlich interessiert ist — nicht die IG Metall —, an den Landesarbeitsminister Grundmann jetzt und auf der Stelle vorlesen. Sie haben erklärt, daß es das erstrebte Ziel der Stahlarbeiter sei, nach Möglichkeit von der Sonntagsarbeit völlig freizukommen. Darauf kann ich nur sagen: das ist auch das Ziel der Bundesregierung, wenngleich ich sagen muß, leider heute und hier noch nicht zu erreichen.Die Diskussion wird doch dadurch ausgelöst, daß in dem Augenblick, in dem die Bundesregierung den Versuch macht, in einem bescheidenen Ausmaß eine Unterbrechung der Sonntagsarbeit auf einem bestimmten Gebiete herbeizuführen, gesagt wird, das sei nicht vertretbar. Dazu, Herr Kollege Sträter, habe ich nur folgendes zu sagen: Die Bundesregierung denkt nicht daran — das habe ich hier von dieser Stelle mehr als einmal erklärt —, in die Tarifautonomie der Sozialpartner einzugreifen. Infolgedessen denkt die Bundesregierung nicht daran, die zwischen der IG Metall und der Eisen- und Stahlindustrie vereinbarten Arbeitszeiten zu ändern. Sie könnte es ja auch gar nicht; dazu müßte ihr erst dieses Hohe Haus die Rechtsgrundlage geben.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960 7553
Bundesarbeitsminister BlankIch weiß also gar nicht, Herr Kollege Sträter, wogegen Sie jetzt und in diesem Augenblick polemisiert haben. Die Tatsache, daß durch die Regelung des Jahres 1957 ein früherer beklagenswerter Zustand abgelöst worden ist, habe ich doch eben in meiner Antwort auf die Große Anfrage erwähnt. Nur behaupte ich nach wie vor, Herr Kollege Sträter, daß die Vorteile, die die Stahlarbeiter jetzt haben, auch auf andere Weise als durch die Einführung der kontinuierlichen Arbeit möglich gewesen wären.
— Aber, Herr Kollege Sträter, darüber haben wir uns schon einmal unterhalten, und darüber wird noch gesprochen werden. Wenn Sie aufmerksam die Große Anfrage der FDP lesen, dann werden Sie doch zugeben müssen, daß meine Antwort die präzise Antwort auf die gestellten Fragen war. Was im übrigen das Gespräch betrifft, so wissen Sie doch, daß die Kommission seit Jahr und Tag arbeitet, und wo ist je erklärt worden, daß deren Arbeit eingestellt werden sollte?
— Ach, es ist doch nicht notwendig, daß wir immer hier zusammenkommen. Sie wissen doch, daß diese Gespräche rundum dauernd gehen.Sie wollen nämlich etwas ganz anderes, Herr Sträter, und darauf will ich jetzt einmal hinauskommen: Sie glauben, ich könnte bei dieser Gelegenheit gleichzeitig der IG Metall etwas verschaffen, was anzustreben und durchzusetzen ihre eigene Angelegenheit ist. Sie haben uns doch auch damals, bei Ihrer Arbeitszeitvereinbarung, nicht gefragt. Sie wollen, daß ich zugleich mit dieser Verordnung für Sie die Arbeitszeit auf 38 Stunden festlege. Da sage ich Ihnen noch einmal: Die Bundesregierung greift in die Tarifautonomie der Sozialpartner nicht ein. Der Gesetzgeber und wer sonst dazu befugt ist, wie in diesem Falle die Bundesregierung und der Bundesrat, setzen Recht, und innerhalb dieses Rechts, Herr Kollege Sträter — so ist die Ordnung in unserem Staate —, müssen sich die Sozialpartner einrichten. Deshalb ist Ihre Darstellung, als ob von seiten der Bundesregierung den Arbeitnehmern etwas genommen werden sollte, falsch; denn die Bundesregierung kann das gar nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Minister hat soeben noch einmal gesagt, er glaube, die Große Anfrage der FDP Punkt für Punkt genau beantwortet zu haben. Nun, Herr Minister, wir wissen ja beide, daß über Große Anfragen Debatten stattfinden und daß natürlich in den Begründungen eine Reihe von Gesichtspunkten vorgetragen werden ,die in einer Anfrage selbst schriftlich nicht formuliert sind. Wenn ich mir einmal die GroßeAnfrage, die Herr Kollege Sabel im vorigen Bundestag zur Sonntagsarbeit begründet hat, daraufhin ansehe, dann stelle ich fest, daß die überwiegende Mehrzahl der Fragen, die er gestellt hat, nicht in der Großen Anfrage, sondern in ihrer Begründung enthalten war. Natürlich war es für die Regierung einfacher, auf die Fragen eines Kollegen der eigenen Fraktion zu antworten, die man ja vorher wußte, als auf zusätzliche Fragen einer Fraktion, die nicht der Regierung angehört. Aber die Fragen, die der Kollege Lenz gestellt hat, sind doch sämtlich im Rahmen der bisherigen Diskussion schon gegenwärtig gewesen. Die Erklärung, die Herr Minister Grundmann abgegeben hat, die Erklärungen, die in Rundfunkinterviews abgegeben worden sind, die Erklärungen, die von der Regierung abgegeben worden sind, befassen sich mit vielen Punkten, die Herr Kollege Lenz hier angeschnitten hat. Deshalb werden Sie es uns nicht übelnehmen, daß wir von der dem Umfang und auch dem Inhalt nach etwas dürftigen Antwort auf unsere Große Anfrage nicht gerade begeistert sind. Ich gestehe zu, daß es für Sie, Herr Minister, nicht ganz einfach ist, hier die Überlegungen, die Ihr Haus anstellt, und die Überlegungen, die der Herr Wirtschaftsminister anstellt, unter einen Hut zu bringen, und wir bedauern sehr, daß Herr Wirtschaftsminister Erhard nicht anwesend ist. Denn es ist ja neben der Frage, ,die bereits sehr deutlich angesprochen worden ist, wie die Arbeitnehmer darauf reagieren, auch eine Frage des Produktionsausfalls, und das ausgerechnet in dem Augenblick, in dem von Herrn Wirtschaftsminister Erhard immer wieder davor gewarnt wird, etwa noch weniger zu arbeiten als bisher. Es befremdet etwas, daß dann von derselben Bundesregierung eine Rechtsverordnung erlassen werden soll, die 10 % Produktionsausfall mit sich bringt. Hier besteht doch eine Diskrepanz der Auffassungen in den Aussagen der Bundesregierung, über ,die wir gern etwas gehört hätten.Sie haben soeben erklärt, Herr Minister, die Bundesregierung kann und will nicht in die Tarifhoheit der Vertragspartner eingreifen. Völlig richtig. Aber Ihnen ist ja auch bekannt, daß man nach den Bestimmungen des Tarifvertrages, wenn die kontinuierliche Arbeitsweise nicht durchführbar ist, von der 42-Stunden-Woche auf die 44-Stunden-Woche zurückgehen muß. Das heißt doch, es wird nicht direkt eingegriffen, sondern durch eine Verordnung entfällt die Voraussetzung für die Vereinbarung der IG Metall mit dem entsprechenden Arbeitgeberverband, und damit ist genau das erreicht, was unserer Auffassung nach nicht erreicht werden soll. Insofern ist damit nicht eine direkte, sondern eine indirekte Einwirkung auf die Vereinbarungen der Tarifpartner gegeben. Wir sind uns alle einig — das ist hier in den kurzen Erklärungen zum Ausdruck gebracht worden —, daß wir versuchen wollen den Sonntag immer mehr von Arbeit freizustellen. Sie haben sich beklagt, Herr Minister, daß nun ausgerechnet, wenn die Regierung dabei sei, dies in einem Sektor mit rund 17 000 Arbeitnehmern durchzuführen, der Widerstand kommt. Dieser Widerstand kommt doch nur deshalb, weil
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7554 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960
Mischnickwir glauben, daß dieser Präzedenzfall der ungeeignetste ist, um den Anfang zu machen, den Sonntag von Arbeit völlig freizuhalten. Das ist doch der Grund.
Wir sind mit Ihnen darin einig, daß wir überlegen müssen, wie wir gemeinsam zu einer Lösung kommen können.
Dem dient auch der Antrag, den meine Fraktion zu der Großen Anfrage eingebracht hat. Der Antrag wird in den nächsten Minuten verteilt werden. Ich will ihn hier gleich mitbegründen. Er lautet:Die Bundesregierung wird aufgefordert, von einer Regelung der Sonntagsarbeit in der Eisen-und Stahlindustrie im Wege der Rechtsverordnung Abstand zu nehmen.Dieser Antrag gibt Ihnen, Herr Minister, die Möglichkeit, wenn es die Bundesregierung für notwendig hält, im Gesetzeswege Regelungen vorzuschlagen, die dann von uns in allen Einzelheiten mit allen Auswirkungen diskutiert werden können und die neues Recht setzen. Wir glauben damit der Auffassung Ihrer politischen Freunde sehr weit entgegenzukommen; denn der Herr Kollege Sabel hat in der Begründung der Großen Anfrage im Jahre 1957 zum Ausdruck gebracht, durch Rechtsverordnungen sollte man diese Fragen nicht regeln; dazu sei ein gesetzgeberischer Akt notwendig. Mit unserem Antrag wollen wir dem Hohen Haus dazu verhelfen, gemeinsam einen Weg zu finden und gegebenenfalls ein Gesetz zu beschließen, bei dem sich der Verfassungsgrundsatz der Sonntagsheiligung allmählich überall, soweit es überhaupt möglich ist, durchsetzen läßt.Noch ein paar Worte zu den Auswirkungen. Herr Minister, Sie haben leider zu der Frage des Kollegen Lenz, wie sich das Vorprellen mit dem Bestreben vertrage, eine Harmonisierung im EWG-Raum zu erreichen, nicht Stellung genommen, weil, wie Sie selbst zum Ausdruck gebracht haben, diese Frage nicht vorher im Kabinett besprochen werden konnte. Wir haben in diesem Hohen Hause sehr oft davon gesprochen, daß wir uns bemühen müssen, auf dem Gebiet der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zwar nicht zuviel, aber auch nicht zuwenig zu tun, um das Streben nach Harmonisierung nicht zu stören, sondern zu fördern. Wir sehen in einer solchen Verordnung, wie Sie sie erlassen wollen, ein Vorprellen, das das Gegenteil von Harmonisierung bedeutet, wobei ich noch gar nicht davon sprechen will, welche Nachteile sich daraus innerhalb des EWG-Raums speziell für den deutschen Teil ergeben. Es dürfte doch wohl auch ohne eine besondere Kabinettsberatung nicht schwierig sein, uns hier zu sagen, ob und inwieweit andere Gesichtspunkte, die noch nicht vorgetragen werden konnten, vielleicht Ihrem Hause bei der Beurteilung der Frage gewichtiger erscheinen, ob jetzt ad hoc eine Rechtsverordnung erlassen werden muß.Die Tatsache, daß das Gutachten durch den Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht werden sollte und daß das nicht durch Sie veranlaßt werden kann, haben wir zur Kenntnis genommen. Wir werden Gelegenheit nehmen, mit unseren Freunden in Nordrhein-Westfalen darüber zu sprechen, und vielleicht auf diesem Wege erreichen, daß es veröffentlicht wird. Sie haben darauf hingewiesen, daß die Verfasser nicht einverstanden seien. Nun gut; auf der anderen Seite ist aber sehr viel davon bekanntgeworden, und es ist immer schlecht, wenn wir als Abgeordnete — wie auch in anderen Fällen — nur Teile in den Händen halten und, ob mit Recht oder zu Unrecht, vermuten müssen, daß andere Teile, die uns nicht bekannt sind, gewichtige Argumente für uns, aber vielleicht auch gegen uns enthalten.Wir wären deshalb sehr dankbar, wenn Sie unserem Antrag folgten, die Rechtsverordnung nicht zu erlassen, aber eine gesetzliche Regelung offenzuhalten, um uns dann Gelegenheit zu geben, uns wirklich bis ins Letzte mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.Die Frage der Regelung der Sonntagsarbeit, die, wie mit Recht gesagt wurde, in der Öffentlichkeit ein großes Interesse gefunden hat, sollte nach unserer Meinung nach allen Seiten gründlich geprüft werden. So zwischendurch ist hier die Meinung angeklungen, man sollte etwa einen Zustand herbeiführen, der weit über das hinausgeht, was man in England für richtig hält, wo übrigens der Sonntag am stärksten geheiligt wird. Aber die Stahlwerke arbeiten auch dort sonntags weiter, womit wieder einmal unterstrichen ist, wie unglücklich es ist, gerade bei der Eisen- und Stahlindustrie anzufangen. Wir bitten Sie deshalb, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, der verlangt, daß nicht eine Rechtsverordnung erlassen wird, sondern alle Regelungen, die so weitreichende Eingriffe in unser Arbeits- und Wirtschaftsleben mit sich bringen, in einem Gesetz vorgenommen werden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vieles von dem, das der Herr Kollege Mischnick vorgebracht hat, habe ich schon vorweg beantwortet, z. B. die Frage: warum jetzt? Aber eines von dem, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Mischnick, bedarf doch der Klarstellung. Auf meine Behauptung hin, daß die Bundesregierung den Stahlarbeitern nichts nehmen will, daß sie insonderheit — ich betone das, ich habe das wirklich gesagt und bleibe dabei — nicht beabsichtigt, durch irgendeine Regelung die derzeitige Arbeitszeit der Stahlarbeiter zu verlängern, haben Sie, Herr Kollege Mischnick, wörtlich gesagt — ich habe mitgeschrieben —:
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960 7555
Bundesarbeitsminister BlankWenn die kontinuierliche Arbeit nicht möglich ist — so steht es doch in dieser Tarifvereinbarung —, dann kommt Rückkehr zur 44-Stunden-Woche. Das ist doch ein indirektes Eingreifen der Regierung in die Tarifautonomie.Mit dieser Aussage müssen wir uns einen Augenblick beschäftigen. Sie sagen, Herr Kollege Mischnick, wenn Tarifpartner Vereinbarungen unter der Voraussetzung träfen, daß der Gesetzgeber oder andere dazu befugte Stellen bestimmtes Recht setzten, so liege, wenn die betreffenden Stellen das nun nicht täten, ein Eingreifen in die Tarifautonomie vor. Bitte, kehren Sie Ihren Satz um! Welcher Aspekt tut sich hier auf! Sollen sich der Gesetzgeber oder die zum Erlaß einer Rechtsverordnung Berechtigten bei ihrem Rechtsetzungsakt nach Verträgen richten, die zwischen Tarifpartnern geschlossen sind?! Das allerdings würde einen Eingriff in das Recht bedeuten, das allein dem Gesetzgeber zusteht. Das wollte ich einmal klarstellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Nachdem in den Reden der Herren Vorredner die Debatte doch etwas über das Thema der Großen Anfrage hinaus ausgedehnt worden ist, habe ich die Ehre, im Auftrag meiner Fraktion im Zusammenhang zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.Der Kollege Sträter hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir hier im Grunde eine Debatte über ein Stück 19. Jahrhundert führen. Das sollten wir an den Anfang stellen. Wir sollen uns dem 20. Jahrhundert mit seiner Sozialstaatlichkeit und seinem wohl doch verbesserten Verhältnis zu den immateriellen Werten stellen und dem in dieser Frage unseren Tribut zollen.Die hier vor allen Dingen strittigen §§ 105 ff. der Gewerbeordnung, Herr Kollege Mischnick, hat der Reichstag im Jahre 1890 debattiert. Damals hat der zuständige Ausschuß dem Plenum empfohlen, von einer Detailregelung dieser Fragen im Gesetz selbst Abstand zu nehmen und lieber der Regierung Ermächtigungen zu geben. Er hat dazu zur Begründung ausgeführt, daß diese Fragen wegen der sich wandelnden Technik immer wieder neu geprüft werden müßten und daß es zum andern undenkbar sei, daß eine aus fast 400 Mitgliedern bestehende Körperschaft wie der Reichstag sich über derart verwikkelte technische Fragen einigen werde. So damals. Ich glaube, Herr Kollege Mischnick, daß wir uns diese Auffassung des alten Reichstags ruhig zu eigen machen sollten. Es wird nicht möglich sein, durch Abstimmung irgend etwas über die unterschiedlichen technischen Verfahren in der Stahlindustrie zu entscheiden.Von beachtlicher Seite ist bedauert worden, daß die Diskussion um diese Frage, die Diskussion um den Sonntag, zu einer — wie es hieß — weltanschaulichen Auseinandersetzung geworden sei. Nun, was sollte sie eigentlich sonst sein? Die Frage des Sonntags ist eine Frage, die überhaupt nur von ihrem hohen ethischen Rang her beantwortet werden kann, natürlich nicht ohne die erforderlichen sozialen und wirtschaftlichen Daten mit zu berücksichtigen. Aber das erste an dieser Frage ist ihre weltanschauliche Seite.Natürlich können Maschinen besser ausgenutzt werden, wenn sie auch am Sonntag arbeiten. Aber der Mensch kann das nicht. Er braucht den Sonntag. Ob das geltende Recht die Sonntagsarbeit, wie immer wieder behauptet wird, nicht nur aus technischen, sondern auch aus volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Erfordernissen wirklich erlaubt, ist nicht unumstritten. Ich meine, wenn es so sein sollte, daß hier nicht alles ganz klar ist, ist es eben an der Zeit, alles neu zu überprüfen.Von den einzelnen Rednern, insbesondere von dem verehrten Herrn Kollegen Lenz, sind uns hier, auch aus christlichen Verlautbarungen, eine Fülle von Hinweisen gegeben worden, für die ich mich sehr herzlich bedanke. Ich darf diese Hinweise um einen Hinweis bereichern. Ich erinnere — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — an das Wort von Guardini: „Angenommen, die Wahrung des Sonntags brächte entscheidende industrielle oder handelstechnische Vorteile, so würde ohne jeden Zweifel ein Weg gefunden werden, sie durchzusetzen."Das Prinzip, die Regel ist der arbeitsfreie Sonntag. Wir freuen uns, daß der Herr Kollege Lenz und auch der Herr Kollege Sträter das in überzeugender Weise dargetan haben. Aber der Streit beginnt ja bei den Ausnahmen. Wir wollen daran festhalten, daß es eben eine Ausnahme ist, wenn sonntags gearbeitet wird.
Diese Ausnahmegenehmigungen werden um so problematischer, wie Tendenzen entstehen, die diese Ausnahmen zur Regel und zum neuen Modell machen wollen. Das ist uns nicht erlaubt; denn das wäre gegen das Grundgesetz. Darum glaube ich, daß nicht diejenigen, die an das Grundgesetz erinnern, diese Frage — wie es so schön heißt — „hochgespielt" haben, sondern diejenigen, die diese Ausnahmen zur Regel machen wollen. Ich meine im Hinblick auf die öffentliche Diskussion auch sagen zu müssen, daß derjenige die Beweislast hat, der die Ausnahme, und nicht derjenige, der das Prinzip der Verfassung durchsetzen will.
In dieser Frage das heute Mögliche zu verwirklichen, nicht das heute Unmögliche, nicht das heute Utopische, das verlangt die Verfassung. Es genügt aber vor der Verfassung nicht, nur das heute bequem Erreichbare durchzusetzen. Eine noch sorgfältigere Prüfung von Ausnahmegenehmigungen für Sonntagsarbeit
— Herr Kollege Schmitt, ich bin gerade dabei, eineevangelische Quelle zu zitieren — sei dringend ge-7556 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode --• 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960Dr. Barzelboten. Diese Feststellung trifft der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wir schließen uns dem an.Meine Damen, meine Herren, ganz wenige Worte zu dem Argument, daß es sich hier ja „nur" um 5 % der Stahlarbeiter, um 17 000 von 350 000 handelt. Ich meine, daß man hierzu einiges sagen müßte. Zunächst dieses: Der Sonntag ist für uns ein Wert in sich, er ist nicht abhängig von der Zahl. Das Zweite: Ich wünsche keinem eine Eiterbeule von 5 % seines Körpervolumens. Er würde dann feststellen, was 5 % ihn für Sorgen machen können. Drittens meine ich, daß gewisse Kreise, die von den „nur" 5 % sprechen, etwas vorsichtiger sein sollten; sie können sich hier aufs Glatteis begeben. Denn wenn es „nur" 5 % sind, sagt eben die andere Seite: „Dann gebt doch diesen nur 5 % vorab die 38-Stunden-Woche!" und weist darauf hin, daß im Bergbau an den „heißen Punkten" schon weit darunter gegangen worden ist.Zur Zeit gilt für die interessierten Stahlbetriebe die 42-Stunden-Woche. Das ist in der Debatte betont worden. Ich möchte aber hier doch eine grundsätzliche Bemerkung einschließen. Es wird in vier Schichten gearbeitet, 42 Stunden. Dann kommt man zu den 168 Arbeitsstunden, die in der Diskussion immer eine Rolle spielen. Nun, meine Freunde, aber nicht nur 42 mal 4 ergibt 168! Auch die 7 Tage der Woche mal die 24 Stunden eines jeden Tages, einschließlich des Sonntags, ergeben 168. Das ist das erschütternde Ergebnis: Es gibt also keine Pause mehr, keinen Rhythmus der Woche, keinen Einschnitt des Sonntags in diese 168 Stunden! In allen Stunden der Woche wird gearbeitet. Das ist der „Durchfahrbetrieb". Verschwunden ist der Sonntag als die „Norm für die Ruhe", „als ein Zeichen Gottes in der Welt der Arbeit". Ich meine, das sollte uns ein wenig nachdenklich stimmen. In einer Stellungnahme eines Gelehrten heißt es, es offenbare die tiefe Menschlichkeit der alten Lebensordnung, wenn diese in die Ruhe des Sonntags nicht nur die Freien, sondern auch die Sklaven, ja nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere einbezogen habe. Und was tun wir heute mit der Maschine? Das sollte uns wenigstens Anlaß sein, über den Fortschritt an Humanität, Menschlichkeit und Grundsätzen in diesem 20. Jahrhundert nachzudenken!
Meine Damen und Herren, auch wir wissen und bestreiten es nicht, daß die kontinuierliche Arbeitsweise oder der Durchfahrbetrieb — welchen Ausdruck immer Sie mögen — den Betrieben wie den Arbeitern und damit der ganzen Volkswirtschaft gewisse Vorteile bringt. Das bestreiten wir nicht. Sie haben die Erklärung von Herrn Minister Blank gehört. Wir wollen das auch nicht grundsätzlich beseitigen. Was wir wollen, ist dies: Einen Zeit- und Stufenplan, der alle Beteiligten in festen Fristen zwingt, die Fortschritte —, sei es auf dem Gebiet der Löhne und Arbeitszeiten oder der technischen Fertigungsmethoden — Herr Kollege Lenz hat auf die neue Entwicklung an der Ruhr hingewiesen —, künftig auch so zu nutzen, daß am Schluß der Entwicklung der Sonntag immer mehr zum Sonntag werden kann.Eine Politik abrupter und ruinöser plötzlicher Entwicklung und Entscheidung wollen wir nicht, auch nicht die Rückkehr zum „Schlafsonntag", was uns Herr Brenner vorgeworfen hat. Sie wäre kein Ideal.
— Wenn die Fristen eingehalten werden, Herr Kollege Sträter, wird es keine Schwierigkeiten auf diesem Gebiete geben. Wir halten niemals etwas von einer Politik „Operation geglückt — Patient tot".Wir meinen aber, daß es die neue Technik möglich machen muß, weitere Schritte vom Verfassungsrecht zur Verfassungswirklichkeit zu tun. Die Stahlarbeiter — Herr Kollege Sträter hat ebenso darauf hingewiesen wie die Herren von der FDP —, die bis 1957 vielfach 56 Wochenstunden gearbeitet haben, ohne überhaupt einen freien Sonntag zu haben, haben seit 1957 13 freie Sonntage. Ich glaube, sie werden uns dankbar sein, wenn wir am Schluß dieser Stufenentwicklung zu 26, dann 39 freien Sonntagen im Jahr kommen und schließlich jeder Sonntag im Jahr für sie frei ist.Wenn wir so die Entwicklung steuern, dann, glaube ich, hat auch die Ausnahmegenehmigung des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 1951 einen guten Startschuß gegeben. Damals konnte niemand ahnen, welchen Fortschritt in den technischen Fertigungsmethoden und hinsichtlich der Verkürzung der Arbeitszeit wir in der kurzen Zeit erleben würden.In der Debatte ist von mehreren Seiten die Frage nach der Tarifvertragshoheit gestellt worden, die Frage, ob nicht diese Verordnung, wenn sie plötzlich erlassen würde — Sie wissen, daß das nicht der Fall ist —, wieder Rückschritte im sozialen oder wirtschaftlichen Bereich mit sich brächte. Ich möchte darauf hinweisen, daß damals 'die Verkürzung der Arbeitszeit von 56 auf 42 Stunden je Woche eine gute Sache war. Wir freuen uns darüber. Aber wir fragen uns doch — wir tun das mit allem. Ernst und mit aller Sorgfalt —, ob nicht der Preis damals der Sonntag war, ob es nicht ein inneres Junktim zwischen jenen Tarifverträgen und der Ausdehnung der Genehmigung zur Sonntagsarbeit gegeben hat. Ich fürchte, daß hier der Sonntag der Preis war, daß die Tarifpartner einen Dritten, nämlich die Verfassung, zahlen ließen.Ich bin leidenschaftlich ebenso wie die anderen Herren — Herr Sträter, Herr Mischnick und der Herr Minister haben davon gesprochen — für die Tarifvertragshoheit der Sozialpartner. Genauso leidenschaftlich weise ich aber darauf hin, daß das Grundgesetz nicht zur Disposition irgendwelcher Gruppen steht.
Keiner hat das Recht, dieses Grundgesetz zu irgendwelchen Zwecken außer Kraft zu setzen.Die alte Bundesratsbekanntmachung von 1895 — auch das zu sagen, ist, glaube ich, notwendig — sah vor, daß die Stahlerzeugung am Sonntag eineDeutscher Bundestag — 3 Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960 7557Dr. BarzelProduktionsunterbrechung zu erfahren habe. Dafür waren, wie Sie wissen, gewisse Reparaturen gestattet. Nachdem wir nun aber die Erfahrungen mit der Einschränkung der Reparaturen haben — die vernünftig ist und die, das erkennen wir an, dazu geführt hat, daß am Sonntag weniger Stahlarbeiter arbeiten, wenn auch mehr Stunden gearbeitet wird —, halten wir es für an der Zeit, diese Ausnahmegenehmigung durch neue Vorschriften wieder auf die alte Regelung zurückzuführen und sie sinnvoll auf die geänderten Verhältnisse anzuwenden.Die wirtschaftlichen Auswirkungen brauchen wir, glaube ich, nach unserer Stellungnahme hier nicht im Detail zu diskutieren. Denn bei allen Zahlen, die man uns vorlegt, geht man davon aus, die Regierung wolle plötzlich schon morgen einen Stopp verfügen und den Ruin für Werke und Arbeiterschaft bewirken. Nach unseren Vorstellungen von Stufen und Fristen wird sich das alles ganz anders, nämlich völlig undramatisch, abspielen.Nun bin ich leider gezwungen, weil Sie, Herr Kollege Lenz, in Ihrer Rede so nachdrücklich einige christliche Verlautbarungen hervorgehoben haben, dazu noch etwas zu sagen. Gewiß ist der Sonntag, wenn man ihn rein ökonomisch oder technisch betrachtet, eine Zumutung oder eine „sinnlose Vergeudung". Hier müssen wir aber doch eben die Frage nach der Rangordnung der Werte stellen. Und da kommt eben erst der Mensch, der den Sonntag braucht, und dann das Ökonomische. Wir müssen uns hier entscheiden — ich formuliere jetzt ganz bewußt sehr überspitzt, damit es kurz ist —, ob wir dem Menschen, dem Inneren, dem Religiösen am Schluß nur noch das lassen wollen, „was die Wirtschaft glaubt erübrigen zu können", oder ob wir erst den Menschen und seine Würde sehen.
In der Frage der Sonntagsarbeit sind wir — Bund, Länder, Regierung, Parlament — keineswegs frei, alles zu tun. was uns beliebt. Unser Grundgesetz schreibt die sonntägliche Arbeitsruhe in unser Pflichtenbuch. Es tut es mit der Kraft der Verfassung. Dieser Artikel ist keine Floskel, keine Deklaration. Er ist, wie es in der Erklärung unserer Fraktion heißt, die Norm für unser Handeln. Durch diese Norm macht sich — und das, glaube ich, Herr Kollege Lenz, ist ein wichtiger Hinweis —, wie Anschütz in seinem Kommentar zu diesem ja noch jetzt geltenden Artikel sagt, der Staat zum „advocatus ecclesiae". So Anschütz. Er weist auch darauf hin, daß das Strafgesetzbuch die Störung der Sonntagsruhe unter Strafe stelle. Wenn also, wie Anschütz sagt, der Staat hier kraft Verfassung „advocatus ecclesiae" zu sein hat, wäre es doch bedenklich — ich freue mich, daß es im Hause nicht geschehen ist; aber es ist außerhalb des Hauses geschehen —, den Kirchen jetzt vorzuwerfen, daß sie uns in dieser Frage mahnen. Sie haben ein Recht dazu, und wir sind hier — Herr Kollege Lenz, ich bitte Sie, jetzt aufzumerken — nicht in der Pflicht der Kirchen, wir sind hier in der Pflicht der Verfassung, die uns allerdings zwingend vorschreibt, die Kirchen zu hören, und die den Kirchen das Recht gibt, uns zu mahnen.Das entspricht auch dem, was in diesem Hause — ich erinnere an die Debatte über den Rundfunk —hinsichtlich des „Öffentlichkeitsauftrages" der Kirchen, wie er im Loccumer Kirchenvertrag vom 19. März 1955 stipuliert ist, einhellige Meinung war. Wir sollten allerdings den Kirchen nicht nur erlauben, zu uns zu kommen, wenn es bequem ist. Wir sollten es ihnen auch erlauben, wenn es unbequem ist.
— Sie wissen, diese Frage ist erledigt, die Kirchen haben sich daran beteiligt, verehrter Herr Kollege Schmitt.
In überzeugender Form hat Bischof Lilje uns allen unlängst ins Gewissen geredet. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten würde ich gern einige Sätze vorlesen. Bischof Lilje sagt:Du sollst den Feiertag heiligen. Das ist genauso ein Gebot Gottes wie: Du sollst nicht töten. Ein Christ weiß, daß er keinen anderen Menschen morden darf. Ebensowenig darf er die Hand dazu bieten, daß der Sonntag gemordet wird.Das Argument eines Verlustes von 10 % der Produktion sei unzureichend zur Begründung von Sonntagsarbeit. Der Gesichtspunkt wirtschaftlichen Nutzens reiche niemals aus, Gottes Gebot außer Kraft zu setzen.So Bischof Lilje. Er hat damit bekräftigt, was seit Jahren in der Evangelischen Kirche hierzu gesagt wird. Wir stimmen dem zu, — und wir würden diese Lektüre dringend der Redaktion des „Industrie-Kurier" empfehlen.
— Ach, Herr Kollege Schmitt, das werden wir schon schaffen.Es ist nicht angängig, von den Prinzipien unserer Ordnung sich nur eines herauszupicken, nämlich das des Eigentums. Das darf man nicht tun. Unsere Prinzipien kann man nur alle auf einmal haben. Wer zum Eigentum ja sagt, muß auch zum Sonntag ja sagen, sonst könnte er einmal von anderer Seite etwas gleiches, wie wir es zum Teil beim Sonntag erleben, selbst beim Eigentum erleben.Die Stellungnahmen der Katholischen Kirche sind wohl bekannt. Ich möchte aber doch darauf hinweisen, daß diese Mahnungen, Herr Kollege Lenz, nicht nur in Deutschland erhoben werden. Ich bin gern bereit, Ihnen einige Unterlagen zu geben, die mir zugegangen sind aus Belgien, Kanada und so fort; ich will jetzt nicht die Debatte im einzelnen damit belasten.Ich will aber doch ein Wort zitieren, das ich für sehr gut halte. Der Schweizer Pater Mario von Galli
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7558 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960
Dr. Barzelnennt den Sonntag ein „Zeichen Gottes in der Welt der Arbeit". Ich glaube auch, daß die Schrift von Guardini hierzu vieles sagt. Oder wie Professor Höpfner sagt: So wie die Menschen immer aus dem Raum der Welt einen Platz für Gottesdienste und Kultstätten ausgespart hätten, so hätten sie auch immer aus der Zeit einen Tag zu eben diesen Zwekken ausgespart, und hieran könne man messen, wie es in der Gesellschaft mit Grundsätzen, mit Religiosität bestellt sei.Der Mensch braucht den Sonntag. Er braucht ihn möglichst gemeinsam mit allen anderen. Er lebt weder allein vom Brot noch nur für die Arbeit. Ich meine, daß auch der Staat und auch die Gesellschaft diesen gemeinsamen Ruhetag brauchen als einen Kraftquell und als ein Zeichen immaterieller Werte in der Zeitlichkeit. Kein Staat kann schadlos auf diese Reverenz vor dem Immateriellen, auf diesen kulturell bestimmten Rhythmus des Lebens verzichten. Sonntagspolitik ist für uns ein Stück Gesellschafts- und Familienpolitik, auch ein Teil der Kulturpolitik. Das müssen wir bei aller Anerkennung sozialer und wirtschaftlicher Momente betonen.„Das wollen wir ja auch", wenden nun viele — und eigentlich alle — ein. „Aber die bösen anderen erlauben uns das nicht", ist dann die Ausrede. Ich glaube, daß diese Ausflucht ein wenig billig ist. In einer Stellungnahme in der Vordiskussion zu dieser Debatte ist eine Rechtfertigung der Sonntagsarbeit mit dem Hinweis auf den Produktionswettlauf zwischen Ost und West versucht worden. Meine Damen und meine Herren, was soll das? Sollen wir etwa im Kampf um unsere Ordnung deren Inhalte preisgeben?
Geht es in diesem Kampf nicht um mehr als um Produktionswettlauf, der auch erforderlich ist? Darf ich jetzt einmal ganz überspitzt eine Konsequenz ziehen, die entstünde, wenn wir östliche Sonntagsarbeit mit westlicher Sonntagsarbeit beantworteten: Dann würde uns am Schluß auf diesem Wege der Osten seine Gesellschaftsform aufzwingen können. Wir müßten die Abschaffung des Streikrechts mit der Abschaffung des Streikrechts, staatlichen Dirigismus mit staatlichem Dirigismus usf. beantworten. Das sollte nicht der Weg sein, den wir gehen. Ich freue mich, daß dieses Argument hier im Hause nicht wiederholt worden ist.„Aber die anderen!" Das ist doch innerhalb der westlichen Welt nur eine bedingte Rechtfertigung der Sonntagsarbeit. Das möchte ich sagen, weil diese Frage von vielen Vorrednern in die Debatte geworfen ist. Ist es nicht so, daß wir sagen, wir müßten sonntags produzieren, weil es z. B. die Franzosen tun? Gut. Aber sagen nicht die Franzosen, sie müßten sonntags arbeiten, weil ihnen die deutsche Industrie diese fürchterliche Konkurrenz mache? Wann endlich wird die EWG — ich unterstütze, was Sie sagen —, aber auch die Internationale Arbeitsorganisation diesen Circulus vitiosus gegenseitiger Aufrechnungen und Entschuldigungen in der Frage der Sonntagsarbeit durchbrechen?!Wir müssen an dieser Stelle aber auch sagen, daß der Sonntag für den Menschen dazusein hat. Von dieser Sinngebung her ist es unstatthaft, alle Sonntagsarbeit in einen Topf zu werfen, wie es zwar nicht hier im Hause, aber in der Vordebatte geschehen ist. Krankenpflege, Arbeit in Notfällen usf. müssen auch am Sonntag sein, ebenso die Dienstleistungen, soweit sie der sonntäglichen Erholung und Erbauung dienen. Ich würde die Kollegen alle gern einmal zu einem Gespräch darüber einladen, ob alle unsere Reden am Sonntag der Erbauung und Erholung der Menschen in so hohem Maße dienen, daß sie wirklich notwendig sind, abgesehen davon, daß sie uns alle schneller ruinieren.Die allgemeine Hektik, die den Sonntag von einem Tag der Muße und Besinnung zu einem Tag von „überschäumendem" Leben macht, von dem sich dann manche erst wieder in der Woche erholen müssen, ist ein Problem, mit dem sich die Gesetzgebung, die hierzu kommen wird, zu beschäftigen haben wird.
Ich möchte, weil auch das hier angeklungen ist, betonen, daß ich England ausgesprochen liebe, ausgenommen allerdings den dortigen Sonntag. Ich glaube nicht, daß meine Freunde diese Zustände hier haben wollen.Der Herr Bundesminister für Arbeit hat von der Rechtsunsicherheit gesprochen. Es sind zahlreiche Ausnahmegenehmigungen vom Verbot der Sonntagsarbeit — verstreut über Deutschland und auch quer durch die Branchen — auf Grund des § 28 der Arbeitszeitordnung von den Landesbehörden erteilt worden. Ob und inwieweit diese Ermächtigung, die aus dem Jahre 1938 stammt, noch Rechtsgrundlage dieser Ausnahmegenehmigungen sein kann, ist höchst zweifelhaft. Es kommt hinzu, daß diese Rechtsnorm von den Ländern unterschiedlich gehandhabt wird. Die Rechtsunsicherheit und die Unterschiedlichkeit der Handhabung zwingen den Bund dazu, Normen zu setzen, um die Rechts- und Wirtschaftseinheit ebenso wie die „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus" zu wahren.Wir wissen allerdings, daß in der Frage der Sonntagsruhe und Sonntagsheiligung die Länder einen wesentlichen Teil der Gesetzgebungskompetenz haben, und bitten deshalb, nicht übertriebene Erwartungen an das, was der Bund in dieser Frage machen kann, zu knüpfen.Von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei ist, wenn ich den Antrag, den ich noch nicht lesen konnte, Herr Kollege Mischnick, den ich nur gehört habe, richtig verstanden habe, beantragt worden, jetzt nichts zu tun, sondern dem Hause einen Gesetzentwurf vorlegen zu lassen, um erst dann eine Entscheidung zu treffen. Sie nehmen es mir sicher nicht übel, wenn ich die Befürchtung ausspreche, daß das eine Verzögerung bedeutet, wenn das vielleicht auch nicht gewollt ist. Ich meine, daß wir bis zum Erlaß genereller Vorschriften über die Sonntagsarbeit dabei bleiben müssen, daß, da das geltende Recht, nämlich die Gewerbeordnung, eine zweifelsfreie Ermächtigung gibt, die Bundesregierung hier ordnend eingreift. Es kann daher heute nicht unsere Aufgabe sein, technische und so-
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Dr. Barzelziale Detailfragen abschließend zu erörtern; denn wir wollen die Prärogative der Regierung, die gesetzlich verankert ist, nicht einschränken, zumal wir wissen, daß die Bundesregierung der Frage der Sonntagsarbeit seit langem ihre Aufmerksamkeit zuwendet. Wir wissen, daß sie die Norm der Verfassung hierzu achtet und sich bemüht, Schritt für Schritt vom Verfassungsrecht zur Verfassungswirklichkeit zu kommen. Wir hoffen und wünschen, daß sie alles tut, was in ihrer Macht wie ihrer Pflicht steht, um das Prinzip der Verfassung in dieser Frage und in den anderen Fragen im Alltag einer sich wandelnden Welt weiter zu verwirklichen. Der Bundestag hat unlängst durch die Abschaffung der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten einen Schritt zum Sonntag hin getan. Schon früher ist durch die Neuregelung des Sonntagsbetriebs der Lastkraftwagen einiges getan worden. Übrigens sind die damals befürchteten schlimmen Folgen nicht eingetreten. So kommen wir Schritt für Schritt dem Ziel der Verfassung näher.Wir müssen aber auch anerkennen, daß der Kampf um den Sonntag ein Kampf um die Grundordnung ist. Erlauben Sie mir auch, daran zu erinnern, was in unserem Grundgesetz steht. Unser Grundgesetz sagt, wo die Ordnung, die wir hier verantwortlich zu gestalten haben, letztlich gegründet sein muß: in der Verantwortung vor Gott. Der Sonntag gehört deshalb nicht zu den Requisiten, er gehört zur christlichen Grundsubstanz unseres Volkes. Sie zu stärken, nicht sie zu schwächen, ist unsere Pflicht.Lassen Sie mich mit folgenden Sätzen schließen, die mir notwendig erscheinen. Der Herr Kollege Lenz hat — wenn ich es richtig verstanden habe — nicht selber von den „autonomen eigenen Gesetzen der Technik" gesprochen; er hat aber ein Zitat aus dem Gutachten verlesen, soweit es ihm zugänglich war. Ich möchte deshalb nicht gegen Herrn Kollegen Lenz, sondern gegen dieses Zitat noch einiges sagen.An der Achtung, die wir dem Sonntag zu zollen bereit sind, läßt sich ablesen, welches Maß an Gesundheit wie an Menschlichkeit wir besitzen. Es gibt keinen Zwang der Technik, der nicht durch den Menschen dazu gemacht würde. Die Technik ist des Menschen Kind, bleibt von ihm leitbar; sie kann keinen eigenen Willen entwickeln, es sei denn, ein Mensch stünde dahinter.Was also wollen wir? Wollen wir den Sonntag? Dann können wir ihn erhalten. Mit ernstem und gutem Willen lassen sich alle Schwierigkeiten meistern. Wir werden Zeit brauchen und Stufenpläne verwirklichen müssen. Alle technischen Schwierigkeiten aber sind Menschenwerk; sie sind nicht autonom, nicht unüberwindbar. Also haben wir auch Macht, sie zu beseitigen, wenn wir es nur redlich wollen. Über Zeit- und Stufenpläne lassen wir mit uns reden, — über das Prinzip nicht.Die Fraktion der CDU/CSU würde bereit sein, der Überweisung der Anträge — der Anträge der SPD-Fraktion auf den Umdrucken 718 und 719; der Antrag der FDP liegt mir bis jetzt noch nicht vor — an die zuständigen Ausschüsse zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Barzel hat darauf hingewiesen, daß die gesetzlichen Grundlagen zum Erlaß von Verordnungen praktisch seit 70 Jahren bestehen. Er hat mit Recht gesagt, daß es gewisse Dinge geben werde, die man einfach in einem Gesetz nicht fassen könne; deshalb müsse der Regierung das Recht zum Erlaß von Verordnungen gegeben werden.Das bestreiten wir nicht. Sie werden aber mit uns doch einer Meinung sein, daß die Voraussetzungen, die 1890 zur Gesetzesfassung geführt haben, heute nicht mehr gegeben sind. Inzwischen sind so viele Änderungen eingetreten, daß es sinnvoll erscheint, zu überprüfen, inwieweit die Ermächtigungen, die damals berechtigt waren, es heute noch sind, ob vielleicht neue Ermächtigungen ausgesprochen werden müssen oder andere wegfallen sollen. Aus diesem Grunde ist die Überlegung aufgetaucht, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn man — wie Sie es jetzt betont haben— zu einer grundsätzlichen Regelung kommen will, diese mit der Überprüfung der gesetzlichen Voraussetzungen zu beginnen.Sie sprachen davon, daß Ausnahmeregelungen möglich seien und daß jetzt praktisch mit den Ausnahmeregelungen für die Stahlindustrie eine Erweiterung getroffen sei, die nicht mehr dem entspreche, was man sich dabei ursprünglich vorgestellt habe. Sie sprachen dann davon, daß es doch gefährlich sei, davon zu sprechen, daß es nur 5 % betreffe. Völlig richtig! Es kommt nicht darauf an, daß es nur 17 000, es kommt nicht darauf an, daß es nur 5 % sind.Wir meinen, daß bei der Überlegung, wo man beginnen sollte, auch die wirtschaftlichen und technischen Fragen berücksichtigt werden müssen. Es gibt eine ganze Reihe von Bereichen, wo ich erwartet hätte, daß man heute gesagt hätte, hier müsse begonnen werden. Ich meine z. B. die Vergnügungsindustrie. Wenn man daran gedacht hätte, hätte ich gesagt: in Ordnung; hier ist ein Punkt, wo wir uns unterhalten müssen, ob Einschränkungen richtig sind oder nicht. Aber wenn man ausgerechnet bei der Stahlindustrie anfängt — wo man den wirtschaftlich schwerwiegendsten Effekt, aber für die Sonntagsheiligung den geringsten Effekt erzielt — und alles andere, was sonst in Betracht kommt, außer acht läßt, zäumt man, so scheint uns, das Pferd von der falschen Seite auf.
Es ist hier in einem Zwischenruf gesagt worden: „Auch die politischen Versammlungen!" Es wäre z. B. eine ausgezeichnete Sache, wenn sich sämtliche Fraktionen dieses Hauses einigen würden, grundsätzlich am Sonntag keine Versammlungen mehr abzuhalten,
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Mischnicksonntags grundsätzlich zu keinen Veranstaltungen mehr zu gehen und dadurch, daß wir uns eine Beschränkung auferlegen, auch eine Beschränkung der sonntäglichen Veranstaltungen der vielen Verbände und Vereine anregen und damit den Sonntag wirklich zum Sonntag zu machen.
Dazu brauchen wir weder eine Verordnung noch ein Gesetz.
— Sehr richtig; das wäre die Nebenwirkung, von der ich nicht so deutlich sprechen wollte. Die Sonntagsreden entfielen, und wir hätten dann weniger Arbeit, etwas gegen die Sonntagsreden zu sagen.Es ist aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, etwas gesagt worden, das meiner Auffassung nach doch den Tatsachen nicht ganz entspricht. Herr Kollege Barzel äußerte die Befürchtung, daß die Vereinbarungen in der Stahlindustrie — mit ihrer kontinuierlichen Arbeitsweise — auf Kosten des Sonntags gegangen seien. Die Zahlen widersprechen dem ganz deutlich. Bevor diese Vereinbarungen kamen, waren für jeden in der Stahlindustrie in den bestimmten Bereichen — ich brauche nicht immer wieder einzeln aufzuführen, um welche es sich handelt — bestenfalls neun Sonntage im Jahr arbeitsfrei. Nach diesen Vereinbarungen sind es 13, 13 Sonntage, die eingebettet sind in eine Gesamtfreizeit von 72 Stunden. Das scheint mir einVorteil zu sein, und wir gehen mit Ihnen einig, danach zu streben, aus den 13 Sonntagen 26, 39 und 52 werden zu lassen. Ein Stufenplan, von dem Sie sprechen, ist durchaus richtig! Wenn wir richtig unterrichtet sind, rechnet man in der Industrie damit, etwa bis 1965 in der technischen Entwicklung so weit zu sein, daß die Bedenken, die heute noch da sind, dann entfallen. Wäre das nicht für uns Veranlassung, zu sagen: Wir, der Gesetzgeber und die Regierung, wollen diese Entwicklung fördern, aber nicht eingreifen und damit abrupt andere Situationen eintreten lassen, die nicht in unserem gemeinsamen Interesse liegen können?Wenn die Regierung die Absicht haben sollte, ihren Stufenplan, von dem Sie sprachen, darauf abzustellen, dann wäre das durchaus überlegenswert. Wir bedauern nur, daß man das hier nicht gesagt hat, ,daß man uns hier nicht klipp und klar sagte: „Unsere Vorstellungen gehen in der und der Richtung; damit wird das und das eintreten, und wir können über die Schwierigkeiten, von denen hier gesprochen worden ist, hinwegkommen."Herr Kollege Barzel, Sie haben weiter davon gesprochen, welche Gefahr darin liege, daß durch Ausnahmegenehmigungen der Grundsatz der Verfassung verletzt werde, und Sie haben gesagt, daß doch im Vordergrund nicht die Ausnahmegenehmigung, sondern der Verfassungsgrundsatz der Sonntagsheiligung stehen müsse. Völlig richtig, von uns akzeptiert. Nur eines ist dabei interessant. Sie glauben erst durch diesen Eingriff in die bisherige Ausnahmegenehmigungspraxis eine richtige, eine vollendetere, eine bessere Sonntagsregelung einführen zu können. Da kommt einem so ein bißchen der Gedanke: Sind eigentlich die in Osterreich, in Spanien, in Frankreich politisch tätigen Katholiken schlechtere Katholiken, weil sie alle genau das machen, was wir bisher gemacht haben? Ich glaube doch nicht, daß wir den Eindruck erwecken wollen — wir sollten es auch nicht tun —, daß wir hier Vorbild sein, das Vorbild geben müßten. Wenn Vereinbarungen zustande kommen, wenn man sich untereinander dahin abstimmt, daß eine gemeinsame Regelung zustande kommt, und dabei all die Fragen, die wir vorhin behandelt haben, berücksichtigt werden — nichts dagegen! Daß aber hier wieder durch ein Vorprellen der Harmonisierung im EWG-Raum, der Sie das Wort reden, praktisch entgegengearbeitet wird, ist durch Ihre Darlegungen nicht widerlegt worden.Herr Kollege Barzel, Sie haben ein Wort von Bischof Dibelius erwähnt, der Sonntag müsse mehr als bisher geheiligt werden. Ich darf aber noch einmal auf das verweisen, was Herr Kollege Lenz zum Ausdruck gebracht hat: Die evangelischen Kirchen haben es immer wieder albgelehnt, eine Entscheidung darüber zu fällen, welche Gründe im einzelnen zwingend sein könnten, die vollkontinuierliche Arbeitsweise aufrechtzuerhalten. Das heißt doch, daß wir uns darüber unterhalten müssen, denn wir sind die Zuständigen, sei es das Parlament, sei es die Regierung, seien es diejenigen, die als Vertragspartner über diese Fragen sprechen.Der Antrag unserer Fraktion wird Ihnen inzwischen vorliegen. Sie glauben befürchten zu müssen, daß durch unseren Antrag eine Verzögerung eintritt. Herr Kollege Barzel, wenn in den nächsten Tagen keine Verordnung kommt — nach Ihrer Rede muß ich annehmen, daß noch längere Zeit verstreichen wird, bis eine Entscheidung fällt —, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß diese Zeit genützt werden könnte, sich darüber Gedanken zu machen, wo wir mit der größten Wirkung ansetzen können, um die Arbeit am Sonntag überall da, wo es geht, praktisch auszuschalten?Da, meine ich, sollten wir uns doch finden, nicht um der Zahl willen, nicht dessenthalben, weil die 17 000 Stahlarbeiter nicht wichtig sind, sondern weil wir dem Grundsatz, der in der Verfassung steht, auf breiter Basis zum Durchbruch verhelfen wollen. Uni das zu erreichen, bedarf es einer gründlichen gemeinsamen Überlegung. Diese Überlegung sollte nicht dadurch belastet werden, daß vorweg in einem Bereich eine Entscheidung getroffen wird, die vielleicht bei der endgültigen Beratung nach Bedenken aller Gesichtspunkte wieder geändert werden muß. Der SPD-Antrag soll ja an den Ausschuß überwiesen werden; dort werden gewisse Untersuchungen verlangt, und deren Ergebnis wird vielleicht eine ganz andere Betrachtungsweise erfordern.Ist es da nicht sinnvoll, daß Sie auf unsere Anregung eingehen, von einer Rechtsverordnung Abstand zu nehmen, dem Vorschlag der Sozialdemokratie zu folgen, jetzt Untersuchungen anzustellen und dann gemeinsam zu beraten, wie wir Ihren Stufenplan überall durchsetzen? In diesem Sinne
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Mischnickbitte ich, auch unserem Antrag die Zustimmung zu geben.
Die Aussprache ist beendet. Es werden noch die Anträge begründet. Herr Abgeordneter Junghans will den Antrag Umdruck 719 begründen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf Umdruck 719 hat die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem die Bundesregierung ersucht wird, Art, Ausmaß und Gründe der Sonntagsarbeit in allen Bereichen der Wirtschaft des Verkehrs und der Verwaltung zu untersuchen. Wir wollen aber dabei nicht stehenbleiben und haben deshalb in dem Antrag auch noch zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung alle Maßnahmen, nicht nur gesetzliche Maßnahmen, zur Einschränkung der Sonntagsarbeit in den einzelnen Bereichen, wo es möglich ist, ohne das Gemeinwohl zu beeinträchtigen, treffen soll.Bereits in der heutigen Debatte ist über die Sonntagsarbeit in allen anderen Bereichen sehr viel gesagt worden, und damit ist auch schon unser Entschließungsantrag in vielen Dingen unterstützt und begründet worden. Es ist hier auf den Art. 140 des Grundgesetzes hingewiesen worden. Herr Barzel war so freundlich, aus seinem reichen Zitatenschatz einiges zum besten zu geben. Wir können nursagen: Damit haben Sie auch unseren Entschließungsantrag schon weitgehend begründet.Aber vielleicht notieren Sie sich in Ihrem Pflichtenbuch nachher auch einige Beispiele, die ich Ihnen einmal geben kann. Bereits im April 1957 — auch das ist schon erwähnt worden — hat es in diesem Hause eine Debatte über die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU gegeben, deren Frage 6 lautete:Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, umauch sonstige unnötige Sonntagsarbeit, zumBeispiel im Druckereigewerbe, zu verhindern?In seiner Beantwortung hat der Herr Kollege Storch seinerzeit — sicherlich mit den guten Wünschen des ganzen Hauses — ausgeführt: „Das Bundesministerium für Arbeit wird nichts unterlassen, was zur Beseitigung unnötiger Sonntagsarbeit geschehen kann." Vorweg hatte der Herr Kollege Storch einige sehr aufschlußreiche Beispiele zu diesem Thema gebracht, so etwa, daß illustrierte Zeitschriften teils mit Ausnahmegenehmigung und teils mit stillschweigender Duldung am Sonntag gedruckt werden. Ich habe bis heute nichts darüber gehört, daß sich diese Zustände geändert hätten.
Sollte es anders sein, werde ich mich gerne berichtigen lassen.Aber, Herr Kollege Barzel, zwischenzeitlich ist mir sogar bekanntgeworden, und zwar in einem sehr aufschlußreichen Fall, daß sich die Sonntagsarbeit im Druckereigewerbe vermehrt hat. Ich denke hier z. B. an die inzwischen in das Druckprogramm aufgenommenen Sonntagsausgaben der „Kölner" und „Bonner Rundschau",
eine Zeitung, Herr Kollege Barzel, die Ihnen sicherlich nicht fernsteht.
Es ist vielleicht gar nicht ausgeschlossen, daß gerade in diesen beiden Zeitungen, Herr Kollege Barzel, angesichts Ihres Pflichtenbuches besonders bemerkenswerte Artikel gegen das Überhandnehmen der Sonntagsarbeit geschrieben worden sind.
Herr Kollege Barzel, das ist zu begrüßen. Aber vielleicht wäre es sogar möglich — und das wäre meine herzliche Bitte —, daß für den Druck solcher Artikel künftig nicht mehr der Sonntag in Anspruch genommen wird.
Ich darf noch etwas wiederholen, was ,der damalige Bundesarbeitsminister gesagt hat: „Die Bundesregierung ist bereit, dahin zu wirken, daß der verfassungsmäßige Schutz von Sonn- und Feiertagen gewährleistet wird." Das zweite Beispiel, das er nannte, betraf die Toto- und Wettzettel, die in den Abendstunden des Sonntags und in der Nacht zum Montag ausgewertet werden. Herr Kollege Storch führte damals aus, daß das Bundesministerium für Arbeit nichts unterlassen werde, was zur Beseitigung unnötiger Sonntagsarbeit geschehen könne. Er kündigte sogar eine stehenden Fußes folgende Besprechung mit den Länderarbeitsministern an, die in Kiel stattfinden sollte. Auch hier haben wir von der Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen bis heute nichts gemerkt.
Es gibt aber noch andere Bereiche der Wirtschaft und des Verkehrs, die man hier auch einmal ansprechen sollte. Ich denke hier z. B. an die 30 000 Tankstellen in der Bundesrepublik, in denen, soweit ich unterrichtet bin, zu über 80 % Sonntagsarbeit geleistet wird. Niemand wird verlangen, daß alle Tankstellen sonntags zumachen. Ich will hier auch die rechtliche Frage nicht erörtern; sie hat ja auch schon einmal einigen Ausschüssen vorgelegen, wurde ihnen aber nicht von der Bundesregierung vorgelegt. Die Bundesregierung hat sich hierüber meines Wissens noch keine Gedanken gemacht. Aber hier gibt es doch einen sehr einfachen Weg, z. B. 20 000 Beschäftigten im Tankstellengewerbe einschließlich der Inhaber sonntags einen freien Tag zu geben.Wir haben in unserem Entschließungsantrag ausdrücklich davon abgesehen, wirtschaftliche oder artverwandte Maßstäbe zu nennen. Das steht uns in diesem Fall auch nicht zu, ist auch niemals unsere Tradition gewesen. Wir haben uns mit Absicht auf den Maßstab des Gemeinwohls für die unvermeidliche Sonntagsarbeit bezogen, und wir legen Wert darauf, daß hierin besonders auch die Bedürfnisse
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7562 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960
Junghansaller arbeitenden Menschen und ihrer Familien, den Sonntag in Ruhe und Erholung zu verbringen, einbegriffen sind. Hiermit knüpfen wir an eine alte Tradition der Sozialdemokraten an, die auch in diesem Hause schon öfter erwähnt wurde. Bei der Neuregelung der Gewerbeordnung von 1895 war es dem Zusammenwirken der protestantischen, katholischen und sozialdemokratischen Kräfte zu verdanken, daß gegen den Willen Bismarcks die Sonntagsarbeit zumindest in einem gewissen Maß eingeschränkt wurde. Wir haben immer die Auffassung vertreten, daß der Sonntag den religiösen und kulturellen Bedürfnissen der breiten Bevölkerung erhalten beziehungsweise, um es besser zu sagen, für sie wieder freigestellt werden sollte. Millionen von Menschen arbeiten noch heute sonntags in der Versorgung, im Nachrichtenwesen, im Verkehrswesen, im Gaststättengewerbe, in Vergnügungsbetrieben, ohne daß dazu vom Gemeinwohl her immer eine zwingende Notwendigkeit besteht. Ich nannte vorhin das Tankstellenbeispiel.Meine Damen und Herren, ich darf hier auch noch ein Wort zum technischen Fortschritt sagen. Wir Sozialdemokraten begrüßen den technischen Fortschritt und halten ihn für notwendig, um unseren Lebensstandard zu verbessern. Aber nach Auffassung der Sozialdemokratischen Partei können Technik und Wirtschaft nicht Selbstzweck sein, sondern sie sind den Bedürfnissen des Menschen unterzuordnen. Das gilt im übrigen für viele Bereiche der Wirtschaft. Wir leben nämlich nicht nur hinsichtlich der Frage der Sonntagsarbeit im 20. Jahrhundert, Herr Kollege Barzel, sondern auch noch hinsichtlich sehr vieler anderer sozialer Fragen, und Ihr Wort werden wir gern in unser Pflichtenbuch eintragen.
Es gilt im 20. Jahrhundert, das heute Bestmögliche zu verwirklichen. Wir meinen, daß gerade auf dem Gebiet der Sonntagsarbeit hier noch sehr viel zu tun ist.Die Produktion um ihrer selbst willen kann niemand gutheißen, und ich denke, darin sind wir in der Mehrheit dieses Hauses einig. Aber hier setzt auch die Verpflichtung der Bundesregierung ein. Es müssen Zielsetzungen gegeben werden, um die Technik in den Dienst der Verminderung der Sonntagsarbeit zu stellen und nicht in den Dienst einer Vermehrung der Sonntagsarbeit. Man kann sich durchaus vorstellen, daß eine Reihe von Verfahren, die die Technik durch Automation und andere Rationalisierungsmaßnahmen heute möglich macht, dahin gehend ausgenutzt werden sollten, die Sonntagsarbeit weitgehend einzuschränken. So sollte man sich z. B. überlegen, daß unter Umständen Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten in vielen Industriezweigen nicht gerade auf den Sonntag verlegt werden müssen. Man weiß, daß diese Arbeiten, gemessen an der automatisierten durchlaufenden Produktion, ein Vielfaches an Arbeitskräften erfordern.Hier haben wir die Hoffnung, daß die Bundesregierung in der Lage ist, die Tatbestände in einer entsprechenden Untersuchung offenzulegen. Auch sollte man in diese Untersuchung soziologischeUntersuchungen, wie die von der Sozialforschungsstelle Münster — sie ist heute bereits erwähnt worden—, einbeziehen. Es war ja bisher leider nicht möglich, diese Veröffentlichung freizubekommen; aber ich habe einige Auszüge gelesen und vor allem einen bemerkenswerten Satz gefunden, den ich hier zitieren und der Bundesregierung in dieser Frage mit auf den Weg geben möchte. Da wird nämlich gesagt, daß die einseitigen Beurteilungen in der Frage der Sonntagsarbeit immer wieder auf das gleiche zurückzuführen sind, auf den Mangel an Detailkenntnissen und an umfassender Betrachtungsweise. Ich bitte die Bundesregierung sehr, sich diese Sätze zu merken. Wir möchten bei dieser Untersuchung nicht stehenbleiben und hoffen, daß bei offenliegenden Tatbeständen die Bundesregierung noch diesem Bundestag entsprechende Maßnahmen vorschlagen wird, die wir sicherlich einstimmig begrüßen würden.Noch etwas zu dem Entschließungsantrag selber. Ich möchte gar nicht unterstellen, daß es in diesem Hause jemanden geben könnte, der sich dem Begehren dieses Entschließungsantrages verschließen möchte. Aber damit ist auch eine gewisse Vertrauensfrage verbunden, nämlich die Frage: Wie haltet ihr es denn nun wirklich mit der Sonntagsarbeit in allen Bereichen der Wirtschaft?Aus diesem Grunde beantrage ich, hier und heute über unseren Antrag direkt abzustimmen und nicht erst eine Überweisung an den Ausschuß vorzusehen. Der Antrag ist so eindeutig und klar formuliert, daß es gar keiner Ausschußarbeit mehr bedarf. Er würde dadurch vielleicht nur noch verschlechtert werden.Ich bitte, dem Antrag in sofortiger Abstimmung zu folgen.
Herr Abgegordneter Behrendt zur Begründung des Antrags Umdruck 718!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben mit großem Interesse vom Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gehört, daß bei einer Neuregelung der Sonntagsarbeit in der Eisen- und Stahlindustrie sowohl die Interessen der Betroffenen als auch volkswirtschaftliche Interessen berücksichtigt werden sollen. Wenn die Bundesregierung die Interessen der Betroffenen berücksichtigen will, so ist das, was bisher an Vorstellungen der Bundesregierung über die Rechtsverordnung an die Öffentlichkeit gedrungen ist, um so unverständlicher. Nach diesen Vorstellungen würde den Tarifpartnern die Grundlage für ihre bisherigen speziellen Tarifvereinbarungen der Eisen- und Stahlindustrie über Arbeitszeit und Lohn der Warmbetriebe entzogen. Herr Minister, darüber gibt es doch sicherlich keine Meinungsverschiedenheit: durch eine Inkraftsetzung der bekanntgewordenen Rechtsverordnung hätte die Bundesregierung Tarifvertrag und materielles Recht der Arbeitnehmer geändert. Darüber herrscht besonders bei den Arbeitnehmern in der Eisen- und Stahlindustrie Unruhe,
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Behrendtnicht nur bei den 17 000 direkt betroffenen Arbeitnehmern, sondern bei allen Arbeitnehmern der eisenschaffenden Industrie; denn die Arbeitsbedingungen derjenigen Arbeitnehmer, die in den Betrieben der ersten Hitze beschäftigt sind, tangieren auch die Arbeitsbedingungen der anderen Arbeitnehmer in der Eisen- und Stahlindustrie.Der Sprecher der CDU, Herr Dr. Barzel, hat hier als erster von einem Stufenplan gesprochen. Damit haben Sie, Herr Kollege Barzel, mehr gesagt, als uns der Herr Minister heute erklärt hat. Wir sind selbstverständlich bereit, darüber zu reden.Ich komme zu dem ersten Grundsatz unseres Antrags Umdruck 718. Im Jahre 1956 wurde die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 56 bzw. 531/2 Stunden auf 42 Stunden bei fast vollem Lohnausgleich tariflich vereinbart. Dieser Vereinbarung lag und liegt die kontinuierliche Arbeitsweise zugrunde. Hier muß ich auf etwas hinweisen. Der Kampf gegen die kontinuierliche Arbeitsweise wird mit der Forderung nach mehr Sonntagsruhe geführt. Nun, mit der Forderung nach Einschränkung der Sonntagsarbeit, also der selbstverständlichen Wahrung der Sonntagsruhe, finden diese Rufer in uns die besten Mitstreiter. Mir scheint aber, daß hierbei eine wesentliche Unterscheidung übersehen wird: die kontinuierliche Produktionsweise und die kontinuierliche Arbeitsweise. Der bekanntgewordene Entwurf der Rechtsverordnung hätte zwar eine Unterbrechung der kontinuierlichen Produktionsweise — das muß man den Rufern gegen die kontinuierliche Arbeitsweise einmal sagen —, aber keine Unterbrechung des kontinuierlichen Arbeitseinsatzes der Belegschaften gebracht. Hier liegen die entscheidenden Fehlschlüsse und Irrtümer.Dafür haben wir auch heute noch ein klassisches Beispiel: Die Thomas-Stahlwerke unterliegen nicht der kontinuierlichen Produktions- und Arbeitsweise. Für sie besteht zur Zeit sonntags eine Produktionsunterbrechung von 6 bis 18 Uhr. Die meisten Thomas-Stahlwerke in der Bundesrepublik beginnen ihre Produktion sonntags wieder um 18 Uhr. Was geschieht aber in der Zeit von 6 bis 18 Uhr, ohne daß für diese Betriebe eine kontinuierliche Arbeitsweise besteht? Erstens werden in dieser Zeit Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten durchgeführt, und zweitens werden die Vorbereitungen zur Wiederaufnahme der Produktion eingeleitet. Es besteht also keine kontinuierliche Produktion, wohl aber ein kontinuierlicher Arbeitseinsatz der Belegschaft.Hinzukommt, daß die technischen Stabsabteilungen in die Sonntagsarbeit mit einbezogen werden. Sie wissen sicherlich selbst, daß bei der komplizierter werdenden Regeltechnik die technischen Stabsabteilungen personell stärker werden. Ich denke hier an die elektrotechnischen Abteilungen, an die Wärmestellen, an die Rohrschlossereien, die Eisenbahn und vor allem an die Techniker und Ingenieure, die in immer größer werdender Zahl notwendig sind, um die komplizierten technischen Einrichtungen zu überwachen und zu überprüfen.In dieser Form erfolgte bis zum Jahre 1956 der — also tatsächlich kontinuierliche — Arbeitseinsatz der Belegschaften in den anderen Warmbetrieben der Eisen- und Stahlwerke. Ab 1957 aber, als in den Betrieben die vereinbarte kontinuierliche Arbeitsweise eingeführt wurde, ging die Sonntagsarbeit dort um rund 50 °/o zurück. Das, Herr Dr. Barzel, wurde erreicht, und nicht die Sonntagsarbeit als Preis dieser Vereinbarung hingenommen.Wenn die Sonntagsarbeit effektiv eingeschränkt werden soll, dann muß — ich hoffe, daß Sie mir darin zustimmen — eine echte Produktions- und Arbeitsruhe von wenigstens 16 Stunden, also von 6 bis 22 Uhr, eintreten. Jede andere Regelung würde wieder zum Einsatz der Belegschaften zu Vorbereitungs-, Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten und zum Einsatz der technischen Stabsabteilungen führen. Es würde genau das Gegenteil des gesteckten Zieles erreicht: statt einer Einschränkung würde eine Ausweitung der Sonntagsarbeit erfolgen.Die Ziffer 1 unseres Antrags auf Umdruck 718 enthält die Forderung, daß eine Neuregelung der Sonntagsarbeit zu keiner Arbeitszeitverlängerung und zu keiner Lohneinbuße führen darf. Nach den bekanntgewordenen Vorstellungen wäre das eingetreten. Für die Betriebe mit kontinuierlicher Arbeitsweise ist eine Arbeitszeit von 42 Wochenstunden vereinbart. Für alle sonstigen Betriebe in der eisenschaffenden Industrie besteht, wie schon gesagt worden ist, die 44-Stunden-Woche. Ich kann nur noch einmal fragen: Will man wirklich den Stahlarbeitern zumuten, ihre Wochenstundenzahl von 42 wieder auf 44 heraufzusetzen? Das ist sicher von niemandem beabsichtigt, aber angesichts der bestehenden tariflichen Vereinbarungen wäre das die Folge.Die Beseitigung der kontinuierlichen Arbeitsweise hätte im Augenblick auch eine Lohneinbuße zur Folge, da die Entlohnung bei kontinuierlicher Arbeitsweise bestimmte Zuschläge enthält. Die Lohneinbußen würden je nach der dann zu verfahrenden Wochenarbeitszeit — die ja noch nicht feststeht — zwischen 30 und 132 DM monatlich liegen. Aber auch die Verdienste der meisten übrigen Stahlarbeiter würden eine Einbuße erleiden. Durch progressive Akkorde, die an die Tonnenproduktion gebunden sind, würden Verdienstminderungen entstehen.In der Ziffer 2 unseres Antrags wenden wir uns gegen die mögliche Wiedereinführung des Springer-systems. Bei Aufhebung des Vierschichtensystems müßte ein ständiger Personalwechsel in den Arbeitsgruppen vorgenommen werden. Möge sich jedes Mitglied dieses Hohen Hauses einmal selbst die Frage beantworten, wie auf ihn der ständige Wechsel seiner Tätigkeit am Arbeitsplatz wirken würde.Aber abgesehen davon frage ich: was sind die weiteren Folgen? Zunächst würde sich in diesen Betrieben die schon bestehende Unfallgefahr weiter erhöhen. Ein zusätzlicher sozialer Zündstoff entstünde dadurch, daß laufend unterschiedliche Arbeit unterschiedlichen Lohn bedingt. Schlechtere Qualität durch nicht eingespielte Arbeitsgruppen wäre eine weitere Folge. All diese Tatbestände stellen selbstverständlich auch eine erhebliche Belastung
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7564 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960
Behrendtfür die Familie dar. Das von allen Fachleuten, Technikern und Wissenschaftlern bejahte und in den letzten Jahren bewährte Vierschichtensystem darf nicht durch das rückschrittliche Springersystem beseitigt werden.
Im übrigen sind wir in bezug auf die Einschränkung der Sonntagsarbeit der Meinung, daß sich auf dem bisher beschrittenen Weg in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern auf einen absehbaren Zeitpunkt eine für alle befriedigende Lösung finden läßt. In der für eine reibungslose Anpassung, von der wir in dem letzten Absatz unseres Antrags sprechen, erforderlichen kurzen und absehbaren Zeitspanne werden die technischen Voraussetzungen für eine weitere Ausdehnung der Sonntagsruhe geschaffen werden können.Meine Damen und Herren, bei Beachtung der Grundsätze, die wir in unserem Antrag Umdruck 718 aufgeführt haben und die ich soeben erläutert habe, muß man sagen, daß darin sowohl die Interessen der Arbeitnehmerschaft und der Wirtschaft als auch besonders die des Gemeinwohls berücksichtigt werden.Die Tarifvereinbarung von 1956 war ein echter sozialer Fortschritt. Sie brachte den Stahlarbeitern der Warmbetriebe erstmalig seit Jahrzehnten 13 arbeitsfreie Sonntage. Jede weitere Entwicklung in dieser Richtung wird von uns und der zuständigen Gewerkschaft, der Industriegewerkschaft Metall, begrüßt, gefördert und auch gefordert. Es ist daher völlig abwegig, Herr Dr. Barzel, hier von der kontinuierlichen Arbeitsweise als Regel auch für andere Wirtschaftszweige zu sprechen.Sollte jedoch die Bundesregierung heute schon der Meinung sein und dafür verbindliche Zusagen geben können, daß schon jetzt eine vollständige 16stündige Betriebsruhe in den erwähnten Warmbetrieben der Eisen- und Stahlindustrie möglich ist, unter Berücksichtigung der Forderungen, daß keine Verlängerung der Arbeitszeit eintritt, der notwendige Lohnausgleich erfolgt und keine Rückkehr zum Springersystem stattfindet, wird die Bundesregierung zu einer solchen Regelung selbstverständlich die Zustimmung aller betroffenen Arbeitnehmer finden. Eine Regelung aber, die noch schlechter als die Bundesratsverordnung von 1895 ist — so sah das aus, was uns bisher bekannt wurde —, weil 8 bzw. 16 Arbeitsstunden Ruhe nur optisch angeordnet werden sollten, wird selbstverständlich auf den Widerstand aller Beteiligten stoßen. Eine solche Regelung würde soziale und volkswirtschaftlich schädliche Auseinandersetzungen zur Folge haben.Wir stimmen daher dem Antrag der FDP auf Überweisung zu. Ich bitte das Hohe Haus, unseren Antrag Umdruck 718 an den Ausschuß für Arbeit — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lenz .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch ein kurzes Schlußwort. Wenn wir die Debatte vom April 1957 mit der heutigen vergleichen, können wir, glaube ich, feststellen, daß heute allgemein eine wohltuende Sachlichkeit die Aussprache beherrscht hat. Ich stehe nicht an zu erklären: ich glaube, es kommt daher, daß man gerade in der Stahlindustrie 1957 eine Möglichkeit gefunden hat, die Atmosphäre zu entgiften. Die kontinuierliche Arbeitsweise hat mit dazu beigetragen, daß sich die heutige Debatte in dieser Weise von der früheren abhebt.
Weiter halten sich alle Fraktionen dieses Hauses gebunden, dem Artikel 140 des Grundgesetzes Geltung zu verschaffen; es gibt darüber keine Meinungsverschiedenheit. Keine Fraktion dieses Hauses will den Sonntag angreifen, im Gegenteil: wir wollen alles tun, um dem Sonntag, so wie er gedacht ist, sein Recht zu verschaffen. Ich bitte den Herrn Kollegen Barzel, auch uns zuzubilligen, daß für uns die Rangordnung der Werte genauso gilt wie für ihn. Wenn Sie gegen die Ökonomisierung unseres Daseins, gegen die Materialisierung aller Lebensbereiche, gegen die Verlärmung des Sonntags angehen, so werden Sie uns an Ihrer Seite finden. Ich glaube nur nicht, daß wir dieses Problem gerade bei der Regelung der Arbeitszeit der Stahlarbeiter in Angriff nehmen sollten; denn dort haben wir eine Möglichkeit gefunden, die doch ganz besonders die Aussicht erkennen läßt, in ein paar Jahren wirklich zu einem freien Sonntag zu kommen.
Deswegen greife ich sehr gern auf, was Sie gesagt haben, daß wir nämlich nicht überstürzt verfahren sollten, sondern uns dem Ziel vielleicht in einem Stufenplan, einem Zeitplan langsam nähern könnten. Ich glaube weiterhin, daß wir, wenn wir dem Sonntag Geltung verschaffen wollen, in anderen Bereichen anfangen sollten und nicht gerade bei der Stahlindustrie; denn dort haben sich doch sehr viele technische, arbeitssoziologische, volkswirtschaftliche Einwände ergeben, die wir hören müssen. Wir wären nicht dafür gewesen, Maßnahmen über das Knie zu brechen.
Unser Antrag auf Umdruck 720 gibt nur unserer Sorge Ausdruck. Wir mußten fürchten, die Bundesregierung würde in ganz kurzer Zeit einen Eingriff vornehmen, und davor hätten wir gewarnt. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, sind wir selbstverständlich einverstanden, daß nicht jetzt über diesen Entschließungsantrag abgestimmt wird, sondern daß er dem Ausschuß überwiesen wird. Im Ausschuß kommen wir dann vielleicht wirklich in ein Gespräch mit allen Partnern, das eine Lösung ermöglicht, die alle befriedigt.
Ich möchte mich im Namen meiner politischen Freunde für die Sachlichkeit dieser Aussprache bedanken.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 132. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1960 7565
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme nicht mehr zu der Debatte als solcher Stellung, sondern möchte nur namens meiner Freunde zum Ausdruck bringen, daß alle drei Anträge, was ihren Inhalt angeht, sicherlich noch einer genaueren, einer näheren Prüfung bedürfen. Ich wäre dankbar, wenn sich das Haus in allen Fraktionen dieser Meinung anschlösse.
Aus diesem Grunde beantrage ich namens der CDU/CSU-Fraktion die Überweisung aller drei Anträge an den Ausschuß für Arbeit — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß — mitberatend —. Ich bitte das Hohe Haus, entsprechend zu beschließen.
Herr Abgeordneter Professor Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind heute insbesondere von Herrn Kollegen Barzel sehr gefühlvolle Worte
im Hinblick auf die Frage der Sonntagsarbeit gesprochen worden,
Worte, die wir seit vielen Jahren hören. Seit 1949 aber sitzen Sie in der Bundesregierung, und es ist praktisch in dieser Hinsicht wenig getan und auch heute konkret zugesagt worden.
Hier stehen drei Anträge zur Abstimmung. Die Sprecher meiner Fraktion haben erklärt, daß die Anträge auf den Umdrucken 718 und 720, die Einzelfragen der Eisen- und Stahlindustrie betreffen, den Ausschüssen zur weiteren Beratung überwiesen werden sollen. Aber, meine Damen und Herren, der Antrag auf Umdruck 719, durch den von der Bundesregierung eine längst fällige Untersuchung über den Umfang der Sonntagsarbeit in der gesamten Wirtschaft gefordert wird, bedarf keiner weiteren Beratung mehr im Ausschuß, sondern er muß heute in der Sache entschieden werden.
Hier muß heute entschieden werden, ob wenigstens ein erster bescheidener Schritt — nämlich durch eine Untersuchung — zur Eindämmung der Sonntagsarbeit getan werden soll. Deshalb müssen wir darauf bestehen, daß es, soweit es um den Antrag auf Umdruck 719 geht, jetzt zu einer Sachentscheidung kommt.
Damit kann ich die Beratung schließen. Darf ich feststellen, daß Einigkeit darüber besteht, die Anträge auf den Umdrucken 718 und 720 an den Ausschuß für Arbeit als federführenden Ausschuß und an den Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung zu überweisen? — Einverständnis!
Zum Antrag auf Umdruck 719 ist zunächst der Antrag gestellt, ihn an die gleichen Ausschüsse zu verweisen. Dieser Antrag geht vor. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, ein Zeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Überweisung ist beschlossen.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächs' Sitzung ein auf Donnerstag, den 17. November 1 /60, 15 Uhr.
Die Sitzung st geschlossen.