Rede von
Dr.
Ludwig
Erhard
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Ausführungen in München bezogen sich auf Preissteigerungen, die ihre Ursache in der unangemessenen oder mißbräuchlichen Ausnutzung einer für den Anbieter besonders günstigen Marktsituation haben und auch kostenmäßig nicht gerechtfertigt erscheinen. Für die vom Kabinett am 26. Oktober 1960 genehmigte Erhöhung der Bundesbahntarife für Zeitkarten des Berufsverkehrs war eine ganz andere Lage bestimmend. Nach den Untersuchungsergebnissen der Prüfungskommission für die Deutsche Bundesbahn, die ihren Bericht — Bundestagsdrucksache 1602 — auf Wunsch des Deutschen Bundestages erstattet hat, weist der Berufs- und Schülerverkehr der Deutschen Bundesbahn für 1958 ein Defizit von 628 Millionen DM auf. Die Kommission hatte vorgeschlagen, von diesem Defizit einen Teilbetrag von 300 Millionen DM durch Tariferhöhungen hereinzubringen. Hierfür wäre eine Tariferhöhung von durchschnittlich etwa 93 °/o erforderlich gewesen. Die Bundesregierung mußte sich einer derart drastischen Tariferhöhung verschließen. Se erklärte sich bereit, zur Milderung der schwierigen Wirtschaftslage der Deutschen Bundesbahn 150 Millionen DM als „Anpassungshilfe zur Rationalisierung des Personenverkehrs" zur Verfügung zu stellen. Die restlichen 150 Millionen DM sollten nach einem vom Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn gebilligten Antrag des Vorstandes der Bundesbahn durch Erhöhung der Berufs- und Schülertarife um 46,5 °/o aufgebracht werden.
Die Bundesregierung mußte auch diesem Antrag ihre Zustimmung verweigern. Unter sorgfältiger Abwägung der aus der schwierigen finanziellen Lage der Bundesbahn zu ziehenden Folgerungen und der sozialpolitischen Verantwortung der Bundesregierung beschloß das Kabinett, die Schülertarife von jeglichen Erhöhungen auszunehmen und bei den Zeitkarten für den Berufsverkehr lediglich einer Erhöhung um 25 % zuzustimmen, die voraussichtlich eine Mehreinnahme von nur noch 70 Millionen DM erbringen wird. Auch nach dieser — eingeschränkten—Tariferhöhung besteht im Berufs- und Schülerverkehr der Deutschen Bundesbahn ein erhebliches Defizit, das schwerwiegende finanzielle und wirtschaftliche Probleme für die Deutsche Bundesbahn aufwirft.
Die Bundesregierung hofft, daß ihre Bemühungen, die für die Bundesbahn notwendigen Tariferhöhungen in erträglichen Grenzen zu halten, von der Öffentlichkeit anerkannt werden.