Protokoll:
18014

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 14

  • date_rangeDatum: 13. Februar 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:49 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/14 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 14. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Helmut Heiderich, Dr. Michael Fuchs und Dr. Peter Ramsauer . . . . . . . . . . . . . . . . 969 A Begrüßung der neuen Abgeordneten Gabriele Groneberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 969 B Wahl der Abgeordneten Ansgar Heveling als ordentliches Mitglied und Burkhard Blienert als stellvertretendes Mitglied im Verwaltungsrat der Deutschen Nationalbi- bliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 969 B Wahl der Abgeordneten Ansgar Heveling, Dr. Eva Högl und Sigrid Hupach als ordent- liche Mitglieder sowie Dr. Philipp Lengsfeld, Dr. Herlind Gundelach, Hiltrud Lotze, Christina Jantz und Petra Pau als stellvertretende Mitglieder für das Kurato- rium der Stiftung „Deutsches Museum“ . . . 969 C Wahl der Abgeordneten Ingo Gädechens und Dr. Karl-Heinz Brunner als Mitglieder für den Stiftungsrat der „Härtefall-Stiftung“ . . 969 D Wahl der Abgeordneten Mechthild Heil als Mitglied des Beirats der Stiftung Daten- schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 969 D Wahl des Abgeordneten Stefan Zierke als Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 970 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 970 A Absetzung des Tagesordnungspunktes 13 . . . . 970 C Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie: Soziale Marktwirtschaft heute – Impulse für Wachstum und Zusammen- halt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 970 D b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2014 der Bun- desregierung Drucksache 18/495 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 970 D c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresgutachten 2013/14 des Sachver- ständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/94 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 A d) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wettbewerbsfähigkeit durch Innova- tion und Zukunftsinvestitionen sichern Drucksache 18/493 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 A Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 B Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . 975 D Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 977 C Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980 A Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 981 D Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 984 B Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 985 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 987 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 988 C Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 990 A Gabriele Katzmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 992 A Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . 993 A Ulrich Freese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 994 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2014 Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- nistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksache 18/436 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 996 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanis- tan 2014 Drucksache 18/466 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 996 B Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 996 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 998 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 999 A Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001 B Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1002 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1003 B Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1004 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1006 B Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1007 B Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1007 D Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . 1008 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1010 B Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1011 B Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1012 B Dr. Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 1013 C Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . 1014 C Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1016 A Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Opposi- tionsrechte in der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages Drucksache 18/380 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 C b) Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zwecks Sicherung der Minderheitenrechte der Opposition im 18. Deutschen Bundestag Drucksache 18/379 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Änderung der Geschäftsordnung zur besonderen Anwendung der Minderheiten- rechte in der 18. Wahlperiode Drucksache 18/481 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1017 D Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . 1019 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1021 D Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1023 B Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1024 B Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1025 A Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1026 C Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . 1027 C Dr. Katarina Barley (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 1029 A Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Schulobstgesetzes Drucksache 18/295 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1030 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über den Stand der Abwicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdi- sche Verfolgte – Stand 30. Juni 2013 – Drucksache 18/30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1030 B c) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Diana Golze, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rekrutierung von Minderjähri- gen für die Bundeswehr beenden – Fa- kultativprotokoll zur UN-Kinderrechts- konvention vollständig umsetzen Drucksache 18/480 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1030 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2014 III Tagesordnungspunkt 18: a)–f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 1, 2, 3, 4, 5 und 6 zu Petitionen – mit der Statistik über die beim Deutschen Bun- destag in der 17. Wahlperiode (27. Okto- ber 2009 bis 21. Oktober 2013) eingegan- genen bzw. erledigten Petitionen Drucksachen 18/391, 18/392, 18/393, 18/394, 18/395, 18/396 . . . . . . . . . . . . . . . 1030 C Tagesordnungspunkt 6: a) Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ Drucksache 18/484 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 B b) Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ Drucksache 18/485 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 B c) Wahl eines Mitglieds des Stiftungsrates der „Stiftung caesar“ (Centre of Advan- ced European Studies and Research) Drucksache 18/486 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 C d) Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der „Deutschen Stiftung Friedensfor- schung (DSF)“ Drucksache 18/487 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 C e) Wahl der Mitglieder des Senats des Ver- eins „Hermann von Helmholtz-Gemein- schaft Deutscher Forschungszentren e. V.“ Drucksache 18/488 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 C f) Wahl der Mitglieder des Parlamentari- schen Beirats der „Stiftung für das sor- bische Volk“ Drucksache 18/489 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 D g) Wahl von Mitgliedern des Stiftungsra- tes der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ Drucksache 18/490 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Wahl der Mitglieder des Beirats bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbah- nen Drucksache 18/491 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1031 D Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Forderung der bayri- schen Staatsregierung nach einem Morato- rium für den Ausbau der Stromnetze . . . . 1032 A Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1032 A Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1033 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 1034 C Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1035 C Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1037 A Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1038 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1039 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 1040 C Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1042 A Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1043 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1044 B Florian Post (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1045 B Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1046 C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbil- dungsmission EUTM Mali auf Grundlage des Ersuchens der malischen Regierung so- wie der Beschlüsse 2013/34/GASP und 2013/87/GASP des Rates der Europäi- schen Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksache 18/437 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1047 D Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1048 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1049 C Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051 A Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1052 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1053 A Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1053 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1054 A Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1055 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1056 B Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1056 D Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1057 B IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2014 Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung eines Ausschusses Digitale Agenda Drucksache 18/482 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1058 C Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 1058 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1060 A Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1060 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1062 B Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1063 C Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1064 B Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1065 C Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt, Dr. Gregor Gysi, Britta Haßelmann, Dr. Anton Hofreiter, Jan Korte, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Petra Sitte, Hans-Christian Ströbele, Dr. Sahra Wagenknecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Einsetzung eines Untersu- chungsausschusses Drucksache 18/420 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1066 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Stephan Albani, Katrin Albsteiger, Niels Annen, Ingrid Arndt- Brauer, Rainer Arnold, Artur Auernhammer, Heike Baehrens, Ulrike Bahr, Heinz-Joachim Barchmann, Dr. Katarina Barley, Dr. Hans- Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Einset- zung eines Untersuchungsausschusses NSA Drucksache 18/483 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1066 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1067 A Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . 1067 D Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1068 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1069 C Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1070 C Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1072 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1074 A Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1074 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1074 D Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1075 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1076 B Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirt- schaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2014 – (ERP-Wirtschaftsplan- gesetz 2014) Drucksachen 18/273, 18/500 . . . . . . . . . . . . . 1077 B Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1077 C Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1078 C Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1079 C Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1081 A Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1082 A Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1083 A Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Cornelia Möhring, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den Bundesratsbeschluss zur rezeptfreien Pille danach schnell umset- zen Drucksache 18/303 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1084 C b) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz- Asche, Ulle Schauws, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Selbstbe- stimmung bei der Notfallverhütung stärken – Pille danach mit Wirkstoff Levonorgestrel schnell aus der Ver- schreibungspflicht entlassen Drucksache 18/492 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1084 C Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1084 D Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . 1086 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1087 A Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1088 D Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1089 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1090 D Emmi Zeulner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1092 A Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1093 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2014 V Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 1094 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1096 A Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 1096 C Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bre- men), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschen- und Bürgerrechte für Lesben, Schwule, Bi- sexuelle und Transgender im Sport wahren Drucksache 18/494 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1096 D Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1097 A Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1098 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1099 A Detlev Pilger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1100 A Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1101 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1103 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1105 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2014 969 (A) (C) (D)(B) 14. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2014 Beginn: 9.00 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2014 1105 (A) (C) (B) Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 13.02.2014 Auernhammer, Artur CDU/CSU 13.02.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 13.02.2014 Brantner, Dr. Franziska BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.02.2014 Durz, Hansjörg CDU/CSU 13.02.2014 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.02.2014 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 13.02.2014 Gauweiler, Dr. Peter CDU/CSU 13.02.2014 Heller, Uda CDU/CSU 13.02.2014 Hendricks, Dr. Barbara SPD 13.02.2014 Holzenkamp, Franz- Josef CDU/CSU 13.02.2014 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 13.02.2014 Juratovic, Josip SPD 13.02.2014 Kipping, Katja DIE LINKE 13.02.2014 Lischka, Burkhard SPD 13.02.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.02.2014 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 13.02.2014 Nahles, Andrea SPD 13.02.2014 Post (Minden), Achim SPD 13.02.2014 Rabanus, Martin SPD 13.02.2014 Rüthrich, Susann SPD 13.02.2014 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 13.02.2014 Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD 13.02.2014 Schneider (Erfurt), Carsten SPD 13.02.2014 Stritzl, Thomas CDU/CSU 13.02.2014 Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.02.2014 Thönnes, Franz SPD 13.02.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13.02.2014 Weber, Gabi SPD 13.02.2014 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 13.02.2014 Zimmermann, Pia DIE LINKE 13.02.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 14. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Regierungserklärung zur Sozialen Marktwirtschaft heute TOP 4, ZP 2 Bundeswehreinsatz in Afghanistan (ISAF) TOP 5, ZP 3 Sicherung der Oppositionsrechte TOP 17 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 18 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 6 Wahlen zu Gremien ZP 4 Wahlen zu Gremien ZP 5 Aktuelle Stunde zu einem Moratorium beim Stromnetzausbau TOP 7 Bundeswehreinsatz in Mali (EUTM Mali) TOP 8 Einsetzung des Ausschusses Digitale Agenda TOP 9, ZP 6 Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (NSA) TOP 10 ERP-Wirtschaftsplangesetz 2014 TOP 11 Rezeptfreie Pille danach TOP 12 Menschen- und Bürgerrechte im Sport Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801400000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich. Ich habe einige amtliche Mitteilungen vorzu-
tragen, bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten.

Seit der letzten Sitzungswoche haben die Kollegen
Helmut Heiderich und Dr. Michael Fuchs ihren
65. Geburtstag und der Kollege Dr. Peter Ramsauer
seinen 60. Geburtstag gefeiert. Allen genannten Kolle-
gen gelten noch einmal auch auf diesem Wege unsere
herzlichen Glückwünsche für das neue Lebensjahr.


(Beifall)


Der Kollege Sebastian Edathy hat mit Ablauf des
6. Februar 2014 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag verzichtet. Für ihn ist die Kollegin Gabriele
Groneberg nachgerückt. Auch sie möchte ich im Na-
men des Hauses begrüßen.


(Beifall)


Sie hat bereits in früheren Legislaturperioden dem Bun-
destag angehört. Wir wünschen uns ein nahtloses An-
knüpfen an die damalige gute Zusammenarbeit.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, haben wir
auch heute noch einige Wahlen durchzuführen.

Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, dass im Ver-
waltungsrat der Deutschen Nationalbibliothek als
Nachfolger für den Kollegen Dr. Günter Krings der Kol-
lege Ansgar Heveling als ordentliches Mitglied gewählt
wird. Die SPD-Fraktion schlägt für das gleiche Gre-
mium als Nachfolger der Kollegin Brigitte Zypries den
Kollegen Burkhard Blienert als stellvertretendes Mit-
glied vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstan-
den? – Das ist offenkundig der Fall. Dann sind der Kol-
lege Heveling und der Kollege Blienert als Mitglied und
stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates bestellt.

Als Nächstes schlägt die Fraktion der CDU/CSU für
das Kuratorium der Stiftung „Deutsches Museum“
vor, für den Kollegen Marco Wanderwitz als ordentli-
ches Mitglied den Kollegen Ansgar Heveling – schon
wieder –


(Heiterkeit)


und als dessen Nachfolger als stellvertretendes Mitglied
den Kollegen Dr. Philipp Lengsfeld zu wählen. Als
weiteres stellvertretendes Mitglied soll die Kollegin
Dr. Herlind Gundelach für die Kollegin Monika
Grütters gewählt werden. Jeder erfahrene Zuhörer stellt
fest, dass es sich hier regelmäßig um das Auswechseln
von jetzt der Bundesregierung angehörenden Kollegin-
nen und Kollegen durch Mitglieder aus den Fraktionen
handelt.

Die Fraktion der SPD schlägt für dieses Gremium
vor, für den ausgeschiedenen Kollegen Wolfgang
Thierse als ordentliches Mitglied die Kollegin Dr. Eva
Högl und als deren Nachfolgerin als stellvertretendes
Mitglied die Kollegin Hiltrud Lotze zu wählen. Als
weiteres stellvertretendes Mitglied soll hier die Kollegin
Christina Jantz für die Kollegin Aydan Özoğuz ge-
wählt werden. Schließlich schlägt die Fraktion Die
Linke vor, als ordentliches Mitglied des Kuratoriums für
den ausgeschiedenen Kollegen Reiner Deutschmann die
Kollegin Sigrid Hupach und als stellvertretendes Mit-
glied die Kollegin Petra Pau für den ebenfalls ausge-
schiedenen Kollegen Patrick Kurth zu wählen. Können
Sie sich auch das alles so vorstellen? – Das ist der Fall.
Dann sind die gerade genannten Kollegen und Kollegin-
nen für das genannte Kuratorium gewählt.

Für den Stiftungsrat der „Härtefall-Stiftung“
schlägt die Fraktion der CDU/CSU vor, als Nachfolger
für den ausgeschiedenen Kollegen Ernst-Reinhard Beck
den Kollegen Ingo Gädechens zu wählen. Die SPD-
Fraktion schlägt als Nachfolger für den aus diesem Gre-
mium ausgeschiedenen Kollegen Ullrich Meßmer den
Kollegen Dr. Karl-Heinz Brunner vor. Auch hierzu
würde ich gerne Ihr Einvernehmen feststellen. – Das ist
erkennbar der Fall.

Die Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, als Nachfol-
gerin für die aus dem Beirat der Stiftung Datenschutz
ausgeschiedene Kollegin Rita Pawelski die Kollegin
Mechthild Heil zu wählen, und die SPD-Fraktion






(A) (C)



(D)(B)

Präsident Dr. Norbert Lammert

schlägt vor, als Schriftführer für den Kollegen Steffen-
Claudio Lemme den Kollegen Stefan Zierke zu wäh-
len. – Auch da besteht offensichtlich Einvernehmen. Da-
mit sind die gerade genannte Kollegin und der gerade
genannte Kollege für die genannten Funktionen bestellt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Haltung der Bundesregierung zur strafbefrei-
enden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung


(siehe 13. Sitzung)


ZP 2 Unterrichtung durch die Bundesregierung

Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan
2014

Drucksache 18/466
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 3 Beratung der Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Änderung der Geschäftsordnung zur beson-
deren Anwendung der Minderheitenrechte in
der 18. Wahlperiode

Drucksache 18/481
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung

ZP 4 Wahl der Mitglieder des Beirats bei der Bun-
desnetzagentur für Elektrizität, Gas, Tele-
kommunikation, Post und Eisenbahnen

Drucksache 18/491

ZP 5 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zur Forderung
der bayrischen Staatsregierung nach einem
Moratorium für den Ausbau der Stromnetze

ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Drucksache 18/483
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)


ZP 7 Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Gesetzes zur Änderung des Abgeord-
netengesetzes und eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Europaabgeordnetengesetzes
Drucksache 18/477
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)

Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Strafrechtsänderungsgesetzes – Erwei-
terung des Straftatbestandes der Abgeordne-
tenbestechung

Drucksache 18/476
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 9 Erste Beratung des von der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zum Übereinkommen der Ver-
einten Nationen gegen Korruption

Drucksache 18/478
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Der für morgen früh vorgesehene Tagesordnungs-
punkt 13 wird abgesetzt. Stattdessen sollen als Zusatz-
punkte die Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaab-
geordnetengesetzes auf Drucksache 18/477 und damit
verbunden die Beratung des Entwurfs eines Strafrechtsän-
derungsgesetzes auf Drucksache 18/476 sowie der Ent-
wurf eines Gesetzes zum Übereinkommen der Vereinten
Nationen gegen Korruption auf Drucksache 18/478 auf-
gerufen werden. Als Debattenzeit sind dafür 60 Minuten
vorgesehen. Darf ich auch für diese Änderung der Tages-
ordnung Ihr Einvernehmen feststellen? – Das ist so.
Dann haben wir das so beschlossen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 a bis
3 d:

a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Wirtschaft und Energie

Soziale Marktwirtschaft heute – Impulse für
Wachstum und Zusammenhalt

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Jahreswirtschaftsbericht 2014 der Bundesre-
gierung

Drucksache 18/495
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsauschuss






(A) (C)



(D)(B)

Präsident Dr. Norbert Lammert

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Jahresgutachten 2013/14 des Sachverständi-
genrates zur Begutachtung der gesamtwirt-
schaftlichen Entwicklung

Drucksache 18/94
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsauschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation und
Zukunftsinvestitionen sichern

Drucksache 18/493
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 96 Minuten vorgesehen. – Auch das findet offen-
kundig Ihre Zustimmung. Dann haben wir das so verein-
bart.

Das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar
Gabriel.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Deutschland besitzt ein Er-
folgsmodell für eine langfristig ökonomisch und sozial
nachhaltige Entwicklung: das Modell der sozialen
Marktwirtschaft. Dazu gehört beides: innovative, wett-
bewerbsfähige Unternehmen mit Unternehmerinnen und
Unternehmern, die zu einer höheren Investitionsquote
beitragen, und gute Löhne, die der Inflation und der Pro-
duktivität Rechnung tragen und den Spielraum für den
Wohlstandszuwachs der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer ausschöpfen.

Der Jahreswirtschaftsbericht 2014 will die Aufmerk-
samkeit auf dieses deutsche Erfolgsmodell soziale
Marktwirtschaft richten, das sich nicht zuletzt nach den
Erschütterungen in der Finanzmarktkrise so glänzend
bewährt hat. Wir sagen: Lassen Sie uns das stärken, was
unserem Land in der Vergangenheit gutgetan hat: eine
Wirtschaftspolitik – und übrigens auch eine Energiepoli-
tik –, die nicht nur einzelne Interessen bedient, sondern
die ganze Gesellschaft im Blick hat, und ein Versprechen
von Wohlstand, das allen sozialen Schichten etwas zu
bieten hat.

Fairer Wettbewerb, die Effizienz der Märkte nutzen
sowie eine gerechte Einbettung in soziale und ökologi-
sche Rahmenbedingungen sind in der Marktwirtschaft
keine Gegensätze, sondern Prinzipien, die sich ergänzen
und unsere Gesellschaft produktiver und lebenswerter
machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, in diesem Jahr liegt der
Ausbruch des Ersten Weltkrieges 100 Jahre zurück und
der Beginn des Zweiten Weltkrieges 75 Jahre. Im Rück-
blick wird klar: Nicht nur die Demokratisierung unseres
Landes war eine Lehre aus dieser Katastrophe, sondern
auch die Überwindung der scharfen sozialen Gegensätze
– von massenhafter Unsicherheit bis Arbeitslosigkeit
und Elend – war und bleibt eine Lehre unserer Ge-
schichte. Wenn Historiker heute von der „geglückten
Demokratie“ der Bundesrepublik sprechen, meinen sie
damit auch und gerade den wirtschaftlichen Neuanfang,
für den Ludwig Erhard die Formel „Wohlstand für Alle“
gefunden hat. Natürlich gibt es auch in unserem Land
gute und weniger gute Traditionen; aber die soziale
Marktwirtschaft gehört zu den besten Traditionen der
deutschen Geschichte. An ihr wollen wir auch in Zu-
kunft anknüpfen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich verstehe die Wirtschaftspolitik der Bundesregie-
rung als Angebot an engagierte Unternehmerinnen und
Unternehmer, an das Handwerk, an den Mittelstand und
auch an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denn
Wirtschaftspolitik ist eben auch immer Gesellschafts-
politik. Sie soll mithelfen, stabile, soziale, gerechte und
faire Rahmenbedingungen für unsere Gesellschaft zu
schaffen. Das Wirtschaftsministerium steht als Haus der
Wirtschaft Unternehmerinnen und Unternehmern des-
halb ebenso offen wie den Vertretern der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer und der Gewerkschaften.
Sie alle miteinander sind die Wirtschaft, und sie sind die
Sozialpartner unseres Landes.

In der Öffentlichkeit mag man sich vielleicht darüber
wundern, dass der Jahreswirtschaftsbericht vermutlich
zum ersten Mal in der Geschichte der Jahreswirtschafts-
berichte ein Dokument ist, in dem steht, dass ein Wirt-
schaftsminister den Mindestlohn für richtig empfindet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Protokoll vermerkt: Unruhe im Saal.


(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801400100

Das hatten wir hier aber schon schlimmer, Herr

Gabriel.


(Heiterkeit)







(A) (C)



(D)(B)

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Insbesondere bei dem Thema, Herr Präsident. – Ich
will gar nicht auf die Frage eingehen, ob die Höhe des
Mindestlohns gerechtfertigt ist und ob er schnell genug
kommt. Das ist in der politischen Debatte umstritten. Ich
will vielmehr darauf hinweisen, dass der Mindestlohn
nicht nur wegen seiner Höhe oder wegen seines ökono-
mischen Beitrags für den einzelnen Arbeitnehmer von
Bedeutung ist. Es geht im Kern in der Debatte über die
soziale Marktwirtschaft nämlich darum, dass Arbeit und
Leistung ihren Wert haben müssen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Wert der Arbeit und übrigens auch die Würde und
Wertschätzung des arbeitenden Menschen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


müssen in einer sozialen Marktwirtschaft zum Ausdruck
kommen. Man kann wahrlich nicht sagen, dass ein Min-
destlohn von 8,50 Euro eine überschäumende Wertschät-
zung ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber er ist zumindest eine Abkehr von dem unwürdigen
und entwürdigenden Zustand, dass Menschen den gan-
zen Tag arbeiten und hinterher trotzdem zum Sozialamt
gehen müssen. Damit muss in unserem Land Schluss
sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die soziale Marktwirtschaft ist nicht deshalb groß ge-
worden, weil die Menschen wussten, dass nach Arbeit
unmittelbar paradiesische Zustände eintreten. Aber sie
wussten – und das war die Lebenserfahrung auch meiner
Generation –, dass Arbeit sich lohnt und dass es Stück
für Stück besser werden kann. Der Spruch der Eltern an
die Adresse der Kinder „Du sollst es einmal besser ha-
ben als wir“ wurde in vielen Generationen der Republik
zur Realität.

Wir haben heute – das ist eines der Probleme der
Marktwirtschaft – einen gespaltenen Arbeitsmarkt. Wir
haben das Nichtvorhandensein von Mindestlöhnen. Wir
haben die Zunahme von Leih- und Zeitarbeit. Es gibt das
Werksvertragsarbeitnehmerunwesen. Das alles ist nicht
nur in ökonomischer Hinsicht ein Problem für die betrof-
fenen Menschen, und es ist nicht nur sozial ungerecht,
sondern es ist im Kern gegen die Idee der Marktwirt-
schaft gerichtet, die besagt, dass Arbeit und Leistung
sich lohnen müssen und dass es Menschen durch Arbeit
in ihrem Leben besser gehen muss. Das ist das Problem
dieser Entwicklung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist richtig, dass der Mindestlohn Eingang in den
Koalitionsvertrag gefunden hat. Es ist übrigens auch gut,
dass er mit dem Angebot verbunden ist, zum System der
Tarifverträge zurückzukehren. Denn dass in Ostdeutsch-
land 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer keinen Tarifvertrag haben, ist ein Zustand, an dem
selbst die schnelle Einführung eines Mindestlohns von
8,50 Euro nichts ändern würde. Wir wollen nicht nur
Mindestlöhne. Wir wollen gute Tariflöhne in unserem
Land. Das ist das, was wir eigentlich erzeugen wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich mache übrigens für den Gedanken kein Urheber-
recht geltend. Einer der Gründerväter der sozialen
Marktwirtschaft, Walter Eucken, sozusagen der Ordolibe-
rale unseres Landes, hat vor mehr als 60 Jahren präzise
das Gleiche formuliert. Lohnverfall hat er als Anomalie
des Arbeitsmarktes bezeichnet. Wo der Arbeitsmarkt
nachhaltig anomal, weil vermachtet ist, da wird – ich zi-
tiere – „die Festsetzung von Mindestlöhnen akut“.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Darauf zu setzen, zeigt eine im Kern ordoliberale Vor-
stellung. Das Problem ist, dass in der Vergangenheit
manche das Buch von Ludwig Erhard zwar hochgehal-
ten, aber möglicherweise nur die Klappentexte gelesen
haben.


(Heiterkeit bei der SPD – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: „Wohlstand für Alle“! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist auch schon was!)


– Das ist auch schon was? – Na ja.

Meine Damen und Herren, die Einführung eines Min-
destlohns ist nicht nur sozialpolitisch, sondern auch wirt-
schaftspolitisch geboten. Der Mindestlohn ist sozusagen
Kernbestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Hatten
wir Jahre, in denen die Steigerung von Löhnen und Ge-
hältern nicht die Produktivitätsfortschritte und manch-
mal nicht einmal die Inflationsentwicklung widerspie-
gelten, so werden sich – das ist die Projektion des
Jahreswirtschaftsberichtes 2014 – Löhne und Gehälter
nun endlich wieder entlang von Produktivität und Infla-
tionsrate entwickeln.

Ich habe gestern erleben müssen, dass meine Formu-
lierung, es sei gut, wenn sich Löhne und Gehälter ent-
lang von Produktivität und Inflationsrate entwickelten,
als Aufforderung zur Lohnzurückhaltung kritisiert wor-
den ist. Ich habe – das will ich hier einmal deutlich sagen –
mit 19 Jahren meinen ersten Lehrgang bei der IG Metall
besucht, nämlich den Funktionärslehrgang 1. Das sollten
Sie auch einmal tun.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Damit kann man sogar Bundeswirtschaftsminister werden!)


– Ein bisschen Humor muss auch in dieser Debatte sein.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)


Dort habe ich gelernt, was eine gewerkschaftliche Lohn-
forderung ist. Diese setzt sich zusammen aus dem Aus-
gleich der Inflationsrate, der Zunahme der Produktivi-






(A) (C)



(D)(B)

Bundesminister Sigmar Gabriel

tätsrate und, wenn Gewerkschaften richtig kräftig sind,
aus dem Element der Umverteilung. Zwei Drittel der
Forderung der IG Metall hinsichtlich der Zusammenset-
zung der Lohnsteigerung sind in diesem Jahreswirt-
schaftsbericht zu finden, und Sie von der Opposition kri-
tisieren das immer noch. Also, ich verstehe Sie nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist volkswirtschaftliche Normalität und Grundlage je-
der Tarifverhandlung, Tariferhöhungen daran zu orien-
tieren, wie sich Produktivität und Inflationsrate entwi-
ckeln. Dann muss man schauen, ob man die Kraft hat,
noch ein bisschen mehr zu erreichen.

In unserem Land hatten wir in den letzten Jahren eher
sinkende Reallöhne. Jetzt haben wir mit einer Reallohn-
steigerung von 1,1 Prozent die stärkste Steigerung seit
2010. Wir gehen in der Prognose davon aus, dass die
durchschnittliche Erhöhung der Löhne bei 2,7 Prozent
liegen wird. Das ist aber der Durchschnitt für die ge-
samte Volkswirtschaft. Natürlich wird es Tarifbereiche
geben, in denen die Lohn- und Gehaltsentwicklung da-
rüber liegen wird.

Ich finde diese Lohnentwicklung in Deutschland gut;
denn wir sehen anhand der Jahresprojektion, dass das
wirtschaftliche Wachstum unseres Landes in den nächs-
ten Jahren im Wesentlichen durch die Binnenkonjunktur
getragen werden wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Mindestlohn, die Verhinderung von Rentenkürzun-
gen nach langen Arbeitsjahren und die gesellschaftliche
Akzeptanz von Erziehungsleistungen, die mit einer hö-
heren Rente verbunden sind – das sind die Beschlüsse
der Bundesregierung zur Rentenpolitik –, stärken die
Kaufkraft im Land. Das ist auch wichtig, weil das pro-
gnostizierte Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent in
diesem Jahr sowie im kommenden Jahr und im weiteren
Verlauf von sogar 2 Prozent ganz wesentlich von der
Binnenkonjunktur getragen wird.

Deshalb gibt es die Entwicklung, dass Menschen wie
im letzten auch in diesem Jahr mit steigenden Einkom-
men rechnen können. Die Menschen in Deutschland ha-
ben übrigens das Gefühl, dass sich die Wirtschaft gut
entwickelt und sie keine Sorgen um ihre Arbeitsplätze
haben müssen. Das ist die Grundlage für den wirtschaft-
lichen Aufschwung. Das ist die Grundlage dafür, dass
wir auch im europäischen Vergleich einen Teil der Kri-
tik, die die Europäer an uns haben, nämlich dass wir zu
geringe Löhne hätten, zurückweisen können; denn dann,
wenn sich die ökonomische Entwicklung unseres Landes
gut darstellt, gibt es Tarifabschlüsse mit höheren Löh-
nen.

Wir sehen, dass in diesem Jahr die Importe erheblich
zunehmen werden. Der Export, obwohl er nach wie vor
ein wichtiger Bestandteil der deutschen Wirtschaft ist,
treibt nicht alleine das Wirtschaftswachstum an. Deshalb
freuen wir uns darüber, dass die gute Lohn- und Einkom-
mensentwicklung im letzten und in diesem Jahr dazu
führen wird, dass sich die Binnenkonjunktur in unserem
Land stärker entwickeln wird.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, die Exporte nehmen zu.
Das ist Ausdruck der hohen Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Industrie. Für die Importe gilt das aber eben
auch. Nur eine Bemerkung zum Thema Leistungsbilanz-
überschuss: Durch die Importsteigerungen reduzieren
wir diesen Überschuss ein bisschen. Man sollte aber
auch noch einmal deutlich sagen, dass die hohen Exporte
unseres Landes vor allen Dingen Ausdruck der Innova-
tionskraft und der hohen Produktivität unserer Unterneh-
men sind – nichts anderes.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Grundlage dieser hohen Produktivität sind For-
schung und Entwicklung und die hohe Qualifikation un-
serer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist die
Grundlage des Erfolges der Unternehmen und der guten
Exportzahlen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die deutsche Industrie zieht Vorleistungen ins Land,
die wir übrigens auch dringend brauchen; denn sie sind
Teil unserer und Teil der europäischen Wertschöpfungs-
kette. Diese stützen auch die Erholung in Europa; denn
ein Großteil der Einfuhren der europäischen Länder
kommt von ihren europäischen Handelspartnern.

Meine Damen und Herren, zentrale Stütze des Auf-
schwungs in diesem Jahr wird aber, wie schon gesagt,
der private Konsum sein. Nach einer Steigerung des pri-
vaten Konsums um real 0,9 Prozent im letzten Jahr – das
entspricht einem Wachstumsbeitrag von 0,5 Prozent-
punkten – erreichte der Konsumklimaindex im Januar
den höchsten Wert seit der Finanzkrise.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist relativ!)


– Das Leben ist immer relativ, auch im Parlament.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass die Deutschen der Meinung sind, dass sie mehr
konsumieren können, weil sie höhere Einkünfte haben,
und glauben, dass ihre Jobs sicher sind, macht das doch
nicht schlecht.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


Es ist schwer, das zu kritisieren. Selbst Sie müssten sich
eigentlich darüber freuen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich dachte, 240 000 zusätzliche Arbeitsplätze und ein
Beschäftigungsstand mit einem Rekordwert von
42,1 Millionen Personen sind ein Grund zur Freude –
auch für Sie.


(Beifall des Abg. Max Straubinger [CDU/ CSU] – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: In der Tat!)







(A) (C)



(D)(B)

Bundesminister Sigmar Gabriel

Die zweite wichtige Stütze für das Wirtschaftswachs-
tum in diesem Jahr sind die Investitionen. Bei den Unter-
nehmensinvestitionen haben wir im vergangenen Jahr
die Trendwende geschafft. Für das Jahr 2014 erwarten
wir einen spürbaren Anstieg um 4 Prozent.

Angesichts der zunehmenden Kapazitätsauslastung
investieren die Unternehmen verstärkt in neue Maschi-
nen und Ausrüstungen. Das ist ein ausgesprochen positi-
ves Signal. Das Land braucht dringend neue Investitio-
nen. Wir dürfen nicht zusehen, wie das Anlagekapital
der Unternehmen veraltet, wie die öffentliche Infrastruk-
tur auf Verschleiß läuft und wie Straßen, Schienen, Brü-
cken oder auch kommunale Gebäude vor die Hunde ge-
hen, und wir dürfen auch die digitale Moderne nicht
verschlafen und müssen die Investitionen in Breitband-
netze vorantreiben – insbesondere im ländlichen Raum,
weil die kleinen und mittelständischen Betriebe dort an-
sonsten einen massiven Wettbewerbsnachteil hätten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der Blick auf die aktuell günstige Konjunkturlage
darf uns aber nicht die Augen davor verschließen lassen,
dass es natürlich auch erhebliche Risiken und Herausfor-
derungen gibt. Ich will ein paar davon nennen:

Da ist erstens die Entwicklung im Euro-Raum. Wir
müssen nach wie vor um die Stabilisierung des Euro-
Raums und Europas kämpfen. Das heißt, neben der Kon-
solidierung und Strukturreformen müssen wir in Wachs-
tum und Arbeit in Europa investieren.

Zweitens. Wir sehen es gerade in den Schwellenlän-
dern: Die Regulierung der Finanzmärkte, insbesondere
des Schattenbankenwesens, ist nach wie vor eine der
wichtigsten Aufgaben, vor denen wir stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dort entstehen die Risiken für die Realwirtschaft, und
ich kann nur hoffen, dass es uns trotz der Schwierigkei-
ten gelingt, die Bankenunion in diesem Jahr unter Dach
und Fach zu bekommen. Aufgrund der aktuellen Debatte
darauf zu schließen, dass sie ein Jahr später oder noch
später kommt, wäre, glaube ich, ein ganz schlechtes Si-
gnal für die Stabilität im Euro-Raum.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber auch im Inland gibt es eine ganze Reihe von He-
rausforderungen. Eine davon ist zum Beispiel die zu ge-
ringe Investitionsquote. Wenn wir das von der OECD
geforderte Niveau erreichen wollen, dann müssen wir
wesentlich mehr tun, als wir derzeit schaffen. Selbst die
erhöhten Investitionen durch die Bundesregierung im
Verkehrssektor, in Hochschulen und im Städtebau rei-
chen nicht aus.

Ich bin gestern gefragt worden, welche Chance wir
haben, die öffentlichen Investitionen zu verstärken. Die
Debatte über die Finanzbeziehungen von Bund, Ländern
und Gemeinden, die wir im Koalitionsvertrag festgelegt
haben – es geht dabei darum, Aufgaben und Finanzver-
antwortung endlich wieder zusammenzubringen –, muss
im Ergebnis zur finanziellen Entlastung der Kommunen
führen; denn zwei Drittel der öffentlichen Investitionen
tätigen nicht Bund und Länder, sondern Städte und Ge-
meinden. Diese müssen wir in ihrer Finanzkraft wieder
stärken. Dann sind wir auch in der Lage, mehr zu inves-
tieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben erheblichen Nachholbedarf in der öffentli-
chen Infrastruktur. Wir haben Schwierigkeiten im Be-
reich der Energiekosten. Natürlich erhöhen wir mit unse-
ren Beschlüssen zur Rente, zur Pflegeversicherung und
zum Arbeitsmarkt die Arbeitskosten der deutschen Wirt-
schaft. Das darf niemand verschweigen. Umso wichtiger
ist es, dass wir die Kosten nicht auch noch im Energiebe-
reich und in anderen Bereichen weiter ansteigen lassen.
Unser ganzes Augenmerk muss daher darauf gerichtet
sein, im Rahmen der Energiewende Versorgungssicher-
heit und Kostenentwicklung in den Griff zu bekommen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich verzichte heute auf eine Reihe von Bemerkungen zur
Energiepolitik, weil wir im Haus noch ausreichend Gele-
genheit haben werden, darüber zu sprechen.

Die Dynamik der Unternehmensgründungen ist zu-
rückgegangen. Wir haben Schwierigkeiten bei der Um-
setzung von Forschungsergebnissen in industrielle Pro-
zesse. Es gibt also eine Reihe von Herausforderungen,
die wir in unserem Land bewältigen müssen, um Rah-
menbedingungen zu erhalten, mit denen wir dafür sor-
gen, dass diese wirtschaftliche Entwicklung nicht nur im
Moment als positiv erscheint, sondern auch nachhaltig
fortgeschrieben wird.

Ostdeutschland – das wird in der nächsten Woche die
Debatte um den Jahresbericht zum Stand der Deutschen
Einheit zeigen – hat bei allen Erfolgen immer noch er-
hebliche Investitions-, Produktivitäts- und Lohnlücken.
In der ostdeutschen Wirtschaft haben sich inzwischen in-
dustrielle Kerne gebildet. Gerade in dieser Woche war
ich bei einem Unternehmen in Leipzig, in dem eine
halbe Milliarde Euro in die Produktion investiert wurde.
Viele gute Beispiele zeigen: Die Reindustriealisierung in
Ostdeutschland ist in vielen Bereichen gelungen. Aber
wir dürfen bei der regionalen Wirtschaftsförderung nicht
nachlassen.

Diesem Ansatz entspricht auch die Idee, dass wir im
Zusammenhang mit der Reform der Gemeinschaftsauf-
gabe für die Förderung der regionalen Wirtschaft nicht
nur die Mittel wieder anheben, sondern in Zukunft auch
Förderstrukturen entwickeln, bei denen wir, wie das
meine Kollegin in Nordrhein-Westfalen immer sagt,
nicht nach Himmelsrichtungen fördern, sondern da för-
dern, wo der wirtschaftliche und soziale Nachholbedarf
am größten ist. Ohne Zweifel ist das auch in Zukunft in
weiten Bereichen Ostdeutschlands der Fall. Wir haben
Erfolge. Aber wir dürfen uns mit ihnen nicht zufrieden-
geben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nicht zuletzt ist auch die Deckung des Fachkräftebe-
darfs in den kommenden Jahren eine der größten He-
rausforderungen. Wir haben uns deshalb im Koalitions-






(A) (C)



(D)(B)

Bundesminister Sigmar Gabriel

vertrag die Allianz für Fachkräfte auf die Fahne
geschrieben. Ich bin allerdings – das gebe ich zu – bei
solchen Allianzen gelegentlich ernüchtert. Da wird oft
sehr viel besprochen. Aber am Ende muss man aufpas-
sen, dass das, was verabredet ist, auch umgesetzt wird.
Wenn der Streit um Zuständigkeiten unsere einzige Akti-
vität ist, werden wir am Ende scheitern. Deswegen soll-
ten wir uns konkrete Ziele setzen: weniger Schulabbre-
cher, mehr Ausbildungsplätze, bessere Vereinbarkeit von
Familie und Beruf, mehr Chancen für Frauen und natür-
lich auch ein für Zuwanderinnen und Zuwanderer offe-
nes Land, das sich über diese Zuwanderung freut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir mobilisieren in dieser Legislaturperiode 6 Mil-
liarden Euro zur Entlastung von Ländern bei der Finan-
zierung von Kitas, Schulen und Hochschulen. 3 Milliar-
den Euro kommen dem Aufwuchs bei der universitären
Forschung zugute. Wir investieren in Köpfe, vor allem
auch in umsetzungsfähige und anwendungsnahe Ideen.

Das, was der Jahreswirtschaftsbericht abbildet, ist ei-
nerseits das Ergebnis einer guten wirtschaftlichen Ent-
wicklung. Politische Rahmenbedingungen haben in den
letzten zehn Jahren dazu geführt, dass Unternehmen fle-
xibel und innovativ sein konnten und Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer ihre Qualifikation zugunsten der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einsetzen konnten.
Der Bericht markiert andererseits die Herausforderun-
gen, denen wir uns in diesem Jahr und in den kommen-
den Jahren stellen werden und bei denen wir auch nach-
haltige Erfolge haben werden.

Eine der Möglichkeiten, den Erfolg fortzuschreiben,
ist die Neuverhandlung des Transatlantischen Freihan-
delsabkommens. Ich sage das deshalb, weil in der öffent-
lichen Debatte zu Recht Sorgen geäußert werden: hin-
sichtlich der Gefahr einer Absenkung von sozialen
Rechten, hinsichtlich der Gefahr von Lohndumping,
auch hinsichtlich der Absenkung von kulturellen Stan-
dards, die wir in unserem Land erreicht haben. Aber nur
die Sorgen zu formulieren und die Chancen eines Frei-
handelsabkommens zu verschweigen, ist auch nicht der
richtige Umgang mit diesem Thema. Ich finde, woran
wir ein Interesse haben müssen, ist, dass das Freihan-
delsabkommen nicht zum Dumpingabkommen wird, in
keinem Bereich. Dafür werden wir uns miteinander ein-
setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen keine neue Runde der blinden Privatisie-
rung öffentlicher Dienstleistungen. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber wir wollen die Chance nutzen, zwischen der Euro-
päischen Union und Amerika den größten Freihandels-
markt der Welt zu erzeugen und übrigens damit in unse-
rem Land und in anderen Ländern ganz erheblichen
wirtschaftlichen Erfolg und neue Arbeitsplätze zu schaf-
fen. Ich glaube, wir brauchen beides.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Bundesregierung ist dazu bereit, eine transparente
Debatte über das Freihandelsabkommen zu führen. Ich
jedenfalls bin auch persönlich dazu bereit, zu erläutern,
wo aus meiner Sicht Risiken und Aufgaben liegen und
worauf man achten muss, damit erreichte europäische
und deutsche Standards nicht nivelliert werden. Aber ich
finde, wir müssen in der Öffentlichkeit auch darstellen,
was wir für Chancen mit diesem Freihandelsabkommen
haben, damit nicht der Eindruck entsteht, dies sei sozu-
sagen ein Freihandelsabkommen für amerikanische
Spionage. Darum geht es gerade nicht, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Nein, es geht darum, dass wir eine Chance schaffen
für viele, viele Leute in diesem Land, die Zukunfts-
perspektiven für sich und übrigens auch für ihre Kinder
brauchen. Das, glaube ich, geht, wenn man Debatten un-
ideologisch, pragmatisch und unter Wahrung der eigenen
Interessen führt. So können wir gemeinsam wirtschaftli-
chen Erfolg für unser Land herstellen, und der bedeutet
immer Erfolg für Unternehmen, aber auch Erfolg und
faire und gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Beides ist Ge-
genstand der sozialen Marktwirtschaft, und die wollen
wir weiterentwickeln.

Vielen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801400200

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der

Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801400300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte

Kolleginnen und Kollegen! Ich lese Ihnen einmal vor,
was ein tapferer Oppositionspolitiker vor etwa einem
Jahr an diesem Pult der schwarz-gelben Regierung ent-
gegengeschleudert hat:

25 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbei-
ten in sogenannten prekären Beschäftigungsverhält-
nissen …


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Das ändern wir!)


Jeder zweite neu zu besetzende Arbeitsplatz ist be-
fristet. …


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ändern wir!)


Wir reden in Deutschland nicht nur über Altersar-
mut. Wir reden auch über Jugendarmut, Familienar-
mut, die Armut der Alleinerziehenden … Früher






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Sahra Wagenknecht

galt in unserem Land: Fleiß und Anstrengung loh-
nen sich. Heute führt nicht Leistung zum Aufstieg,
sondern Beziehungen, Herkunft, Vermögen, im
Zweifel Erbschaften. … 80 Prozent der Gemein-
wohllasten werden von den ganz normalen Men-
schen … getragen. Nur 12 Prozent der Gemeinwohl-
lasten tragen die Einkommensbesitzer von Kapital
und Vermögen.

So weit die Anklage.

Tja, der tapfere Oppositionspolitiker ist heute Wirt-
schaftsminister, redet von sozialer Marktwirtschaft und
guten Löhnen. Herr Gabriel, das ist vollkommen un-
glaubwürdig. Was wollen Sie an den hier kritisierten
Verhältnissen in der Substanz wirklich ändern? Gar
nichts wollen Sie ändern, wenn ich Ihren Koalitionsver-
trag richtig gelesen habe.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der SPD: Falsch gelesen!)


Sachgrundlose Befristung verbieten? Fehlanzeige.
Werkverträge, Leiharbeit? Nichts als heiße Luft. Nach
neun Monaten soll es gleiche Bezahlung geben. Aber so
lange ist leider kaum einer in einem Unternehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Kinderarmut? Altersarmut? Die Verbesserungen bei
der Rente, die Sie ja vornehmen, gehen aber an den
wirklich von Altersarmut Bedrohten oder Betroffenen
komplett vorbei. Oder gar Vermögensteuer oder höherer
Spitzensteuersatz für Reiche? Gott bewahre.

Während Sie hier den Macher spielen, Herr Gabriel,
ist Ihre Politik in Wahrheit jämmerlich, weil Sie alles
fortsetzen, was vorher der Fall war.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt erzählen Sie uns etwas von Beschäftigungsboom
und fröhlichen Konsumenten. Das ist wirklich sehr ori-
ginell. Als uns Herr Rösler das Gleiche erzählt hat, sahen
die Ergebnisse so aus: 0,7 Prozent Wachstum 2012 und
0,4 Prozent Wachstum 2013, also Stagnation. Selbst
diese wäre ohne den riesigen Exportüberschuss nicht
möglich gewesen. Aber jetzt soll ja die große Konsum-
welle auf Deutschland zurollen.

Nun habe ich mit Zustimmung zur Kenntnis genom-
men, dass Sie die Tarifforderungen zum Beispiel von
Verdi unterstützen. Ich hoffe, dass das nicht nur Dampf-
plauderei ist. Wenn das tatsächlich Koalitionsposition
ist, dann müssten diese Verhandlungen ja relativ schnell
zum Abschluss kommen. Das wäre ohne Zweifel gut.


(Beifall bei der LINKEN)


Allerdings reicht das nicht. Es ist doch kein Zufall,
dass exakt seit der Agenda 2010 in Deutschland der
Konsum stagniert.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach Gottchen!)


Schauen Sie sich doch die Einzelhandelsumsätze an! Ja,
es steigen die Ausgaben für Lebensmittel, Energie und
Mieten. Aber der Einzelhandel stagniert und hatte im
letzten Dezember sogar einen Einbruch zu verzeichnen,
und das nicht, weil die Menschen in Deutschland keine
Lust mehr haben, sich Geschenke zu Weihnachten zu
machen. Vielmehr stagniert der Einzelhandel, weil die
Lohnentwicklung nach wie vor mies ist. Das letzte Jahr
war eben kein positives Beispiel. Der Einzelhandel sta-
gniert, weil die Rentenentwicklung nach wie vor misera-
bel ist, weil seit Jahren die Rentenerhöhungen noch nicht
einmal die Inflation ausgleichen.

Natürlich fressen auch die explodierenden Strom-
preise, die Sie nicht senken wollen, einen großen Teil
des Haushaltsbudgets der Menschen weg. Das heißt, es
liegt letztendlich daran, dass die Menschen schlicht nicht
mehr genug Geld im Portemonnaie haben, um sich den
Konsum leisten zu können, den sie sich liebend gern
leisten würden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Daran wird sich nichts ändern, solange Sie an Leiharbeit,
Werkverträgen, Hartz IV und Rentenkürzungen festhal-
ten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen zum Mindestlohn: Wir brauchen nicht
löchrige 8,50 Euro irgendwann, sondern endlich 10 Euro
die Stunde, und zwar sofort und flächendeckend. Das
entspricht auch dem Maßstab unserer europäischen
Nachbarländer.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Investitionen sollen plötzlich brummen, sagt
Herr Gabriel. Man fragt sich nur, warum. Etwa seit der
Jahrtausendwende investieren deutsche Unternehmen
deutlich weniger als ihre Wettbewerber, und das, obwohl
die Gewinne gerade großer Unternehmen wegen Lohn-
drückerei und Steuerentlastungen sprudeln wie nie zu-
vor. Aber was haben denn diese Unternehmen mit den
ganzen geschenkten Milliarden gemacht? Sie haben
jährlich etwa viermal so viel Dividenden ausgeschüttet
wie in den 90er-Jahren üblich. Sie haben die Gehälter ih-
res Topmanagements hochgetrieben, und sie haben über
300 Milliarden Euro als Barreserven gebunkert. Das
heißt, das ganze geschenkte Geld ist direkt auf die Kon-
ten der oberen Zehntausend geflossen. Mästung der Mil-
lionäre zulasten von Beschäftigten und öffentlichen Ein-
nahmen, das war die Politik der Bundesregierung, und
genau diese Politik setzen Sie fort, Herr Gabriel.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die öffentlichen Investitionen, von denen Sie
geredet haben, sind seit Jahren auf einem Tiefstand. Das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat im letzten
Jahr vorgerechnet, dass die öffentliche Hand 80 Milliar-
den Euro mehr im Jahr investieren müsste, um we-
nigstens den Verschleiß der öffentlichen Infrastruktur
– Straßen- und Schienennetze usw. – auszugleichen.
Jetzt kündigen Sie fröhlich mehr öffentliche Investitio-
nen an. Angesichts der steuerpolitischen Entscheidungen
der Großen Koalition fragt man sich allerdings: Haben
Sie neuerdings eine Maschine zum Gelddrucken? Oder
wer soll es bezahlen, vielleicht am Ende die Autofahrer
über die Maut? Die kleinen Leute abzukassieren, weil
man sich an die Millionäre und Großverdiener nicht he-






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Sahra Wagenknecht

rantraut, das war schon der gemeinsame Nenner der letz-
ten Großen Koalition. Aber eine solche Politik kann nur
in die Stagnation oder zu Schlimmerem führen. Das erle-
ben wir ja europaweit.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Ökonom Paul Krugman hat vor kurzem festgestellt,
dass Europa heute eine schlechtere Wirtschaftsentwick-
lung vorzuweisen hat als nach der großen Weltwirtschafts-
krise in den 30er-Jahren. Wer dafür verantwortlich ist,
sagt er auch, und zwar in ziemlich deutlichen Worten
– ich zitiere Krugman –:

Es stimmt schon, harthäutige, starrköpfige Konser-
vative haben die Politik bestimmt, aber ermutigt
und begünstigt worden sind sie von rückgratlosen,
wirrköpfigen Politikern der gemäßigten Linken.

Rückgratlose, wirrköpfige Politiker, das ist das Urteil
des Wirtschaftsnobelpreisträgers Krugman über Leute
wie Sie, Herr Gabriel.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun habe ich zur Kenntnis genommen, Herr Gabriel,
dass jemand, der die EU-Kommission eher für einen
Hort des Wirtschaftsliberalismus und Wirtschafts-
lobbyismus als für ein glühendes Beispiel funktionieren-
der Demokratie hält, in Ihren Augen ein Antieuropäer
ist.


(Thomas Oppermann [SPD]: Das Zitat war nicht vollständig! Zitieren Sie mal vollständig!)


Aber da muss ich Sie, Herr Gabriel, wirklich bemitlei-
den, weil Sie von Antieuropäern in diesem Sinne offen-
sichtlich geradezu umzingelt sind. Ich erinnere mich
zum Beispiel daran, dass die Herren Habermas, Nida-
Rümelin und Bofinger im letzten August einen Aufsatz
verfasst haben, nachdem sie sich mit Ihnen unterhalten
haben, in dem es hieß, dass die Entwicklung Europas als
– Zitat – „Umwandlung der sozialstaatlichen Bürgerde-
mokratie in eine marktkonforme Fassadendemokratie“
zu kritisieren ist. Fassadendemokratie! Dieses europa-
feindliche Machwerk hat die SPD bis heute auf ihrer
Webseite stehen. Also nicht nur in der Linken, Herr
Gabriel, offensichtlich auch in Ihrer Partei lauern die
Europafeinde.


(Beifall bei der LINKEN)


Die waren es wahrscheinlich auch, die Jürgen
Habermas zu Ihrer letzten Klausur eingeladen haben, auf
der er Ihnen ziemlich deutlich gesagt hat, was er von Ihrer
Europapolitik hält. „Europaumarmende Sonntagsrheto-
rik“ sei das, während Sie gleichzeitig – ich zitiere
Habermas – „eine strikt anlegerfreundliche Politik“ be-
treiben, „um den Preis der politischen Entwürdigung
ganzer Völker“ und ihres sozialen Absturzes. Europäi-
sche Völker entwürdigen und in den sozialen Absturz
treiben und gleichzeitig die deutschen Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler mit immer neuen Milliardenbeträgen
zur Rettung von Banken und Anlegern belasten, das ist
offensichtlich in Ihren Augen, Herr Gabriel, eine proeu-
ropäische Politik. Da kann ich nur sagen: Wenn Europa
solche Freunde hat, dann braucht es keine Feinde mehr.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke jedenfalls wird Ihrer Europapolitik für
Banken und Millionäre auch in Zukunft vehement wi-
dersprechen, und das Gleiche gilt für Ihre Wirtschafts-
politik, die nichts daran ändern wird, dass dieses Land
sozial und wirtschaftlich immer tiefer gespalten ist.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801400400

Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1801400500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau
Wagenknecht, zuerst hatte ich überlegt, ob ich auf Sie
eingehe.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Lieber nicht!)


Aber wenn ich mir diesen Quatsch anhören muss, dann
tut das schon weh.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es sind körperliche Schmerzen, die man hier erleidet,
und dann ist es besser, man vergisst es einfach und geht
gar nicht groß darauf ein. Denn Sie haben bis jetzt nicht
kapiert, dass es Deutschland gut geht. Ich würde gerne
einmal von Ihnen hören, dass Deutschland im Vergleich
zu anderen Ländern heute das führende Land in Europa
ist, dass wir und die Politik der Bundeskanzlerin dafür
gesorgt haben, dass es in Europa wieder aufwärtsgeht
und sich Länder langsam, aber sicher aus der Krise he-
rausentwickeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was ist denn mit Irland? Was ist mit Spanien? Was ist
mit Griechenland? Diese Länder sind auf dem Sprung,
aus der Krise, in der sie sich lange Jahre befunden haben,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ist mit Kuba?)


wieder herauszukommen. Dafür können wir dankbar
sein. Das war eine vernünftige Politik, das war Konsoli-
dierungspolitik. Nur, davon verstehen Sie einfach nichts;
Sie führen Ihr kommunistisches Gelaber immer weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Deutschland geht es gut. Dafür haben eine Menge Poli-
tiker gesorgt. Ich bin fair genug, um zu sagen, dass das na-
türlich mit Gerhard Schröder und der Agenda 2010 an-
gefangen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Michael Fuchs

Wir haben Maßnahmen ergriffen, die den Arbeitsmarkt
verbessert haben, und wir haben Maßnahmen ergriffen,
die dazu geführt haben, dass wir heute in Deutschland die
höchste Beschäftigungsrate haben, die es jemals gegeben
hat. Der Bundesminister hat vollkommen zu Recht eben
auf 42,1 Millionen Erwerbstätige in Deutschland hinge-
wiesen. Diese Zahl hat es noch nie gegeben. Wir haben
knapp 30 Millionen sozialversicherungspflichtig Be-
schäftigte. Auch diese Zahl hat es noch nie gegeben. Das
ist eine Erfolgsstory, und die müssen wir weiterführen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Beschäftigungslage ist so gut, wie es seit Jahr-
zehnten nicht der Fall war. Wir haben eine ständig sin-
kende Arbeitslosigkeit, wir haben die niedrigste Jugend-
arbeitslosigkeit in Europa, wir haben die niedrigste
Arbeitslosigkeit überhaupt in Europa. Vor allen Dingen
bei der Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit haben
wir ein Erfolgsmodell. Ich bin den Unternehmen dafür
dankbar, dass sie viel ausbilden; denn das ist der richtige
Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen auch weiterhin dafür sorgen, dass mehr
junge Menschen in Arbeit kommen. Wir haben, nach
dem OECD-Standard gerechnet, immer noch eine Ju-
gendarbeitslosigkeit von ungefähr 7 Prozent. Das sind
immer noch 7 Prozent zu viel. Wir müssen den jungen
Leuten eine Perspektive geben.

Wenn ich den OECD-Standard auf andere Länder an-
wende – zum Beispiel auf Spanien, wo die Jugendar-
beitslosigkeit bei annähernd 55 Prozent liegt; selbst
Frankreich, unser direktes Nachbarland, hat eine Jugend-
arbeitslosigkeit von 25 Prozent; in anderen Ländern ist
sie noch höher; in Griechenland liegt sie bei rund
60 Prozent –, stelle ich fest: Der Kampf gegen die Ju-
gendarbeitslosigkeit ist eine zentrale europäische Auf-
gabe. Die Maßnahmen, die die Bundeskanzlerin der EU-
Kommission angeraten hat, greifen. Das Ganze werden
wir weiter verfolgen.

Meine Damen und Herren, auch was den Aufschwung
angeht, ist Deutschland die Lokomotive. Die Wachs-
tumszahl von 1,8 Prozent in diesem Jahr, die der Minis-
ter eben verkündet hat, ist konservativ geschätzt. Ich
gehe davon aus, dass der Finanzminister ein bisschen
den Daumen draufgehalten hat, damit diese Schätzung
nicht zu hoch ausfällt. Sie, Herr Gabriel, haben Ihre
Wachstumsschätzung nach Ihrem Jahreswirtschaftsbe-
richt ausschließlich auf den Binnenmarkt konzentriert.
Danach erwarten Sie für den Export so gut wie kein
Wachstum. Doch da bin ich ein klein bisschen optimisti-
scher als Sie. Beispielsweise haben die deutschen
Exporte nach China im letzten Monat ein Wachstum von
10,6 Prozent verzeichnet. Das ist natürlich schon ein An-
zeichen dafür, dass es auch in dieser Ecke der Welt wie-
der vorwärtsgeht. Also können wir ziemlich sicher sein,
dass unser Exportwachstum stärker sein wird als proji-
ziert. Ich bin so optimistisch, dass ich sage: Wir werden
beim Wachstum am Ende des Jahres auch das 2-Prozent-
Ziel erreichen können. Das ist hervorragend.
Daraus resultiert, dass wir hier im Hohen Hause trotz-
dem alle jene Punkte diskutieren müssen, die wichtig
sind, damit wir das Ganze weiter und stärker unterstüt-
zen können. Es gibt nämlich eine ganze Reihe Risiken in
Deutschland. Ein zentrales Risiko ist die demografische
Entwicklung. Das Arbeitskräfteangebot hätte im Jahre
2013 eigentlich um 240 000 zurückgehen sollen; trotz-
dem wurden mehr Personen eingestellt. Das bedeutet,
dass verstärkt Zuwanderer aus dem Ausland eingestellt
worden sind und dass mehr Frauen und auch mehr ältere
Arbeitnehmer erwerbstätig geworden sind. Das ist er-
freulich.

Wir haben in vielen Regionen und auch in vielen Be-
rufen einen heftigen Fachkräftemangel. Das ist ein Pro-
blem, das wir angehen müssen. Wir müssen die Er-
werbstätigkeit in unserem Land besser ausschöpfen.
Dabei müssen wir auch nach neuen Wegen suchen; denn
das wird nicht einfach sein. Gleichzeitig müssen wir
– Sie haben es eben erwähnt – die Zuwanderung qualifi-
zierter Fachkräfte fördern.

Der Erfolg gibt uns recht: Die Zahl der Erwerbstäti-
gen und der sozialversicherungspflichtigen Dauerbe-
schäftigten ist gewachsen. Frau Wagenknecht, Sie fan-
gen immer wieder an, von der Zeitarbeit zu sprechen:
Wissen Sie eigentlich, wie viele Arbeitnehmer in
Deutschland überhaupt in Zeitarbeit beschäftigt sind?
Nur circa 2,1 Prozent der Beschäftigten sind in Zeitar-
beitsunternehmen. Das heißt, wir reden über 850 000 bis
900 000 Personen, die in solchen Beschäftigungsverhält-
nissen sind. Für viele ist die Zeitarbeit eine Brücke in
den ersten Arbeitsmarkt, und das ist gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: 7 Prozent! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie glauben noch an den Weihnachtsmann, oder?)


– Wenn Sie den kennen.

Die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 55 und 64 ist,
nebenbei gesagt, ebenfalls gestiegen. Es heißt die ganze
Zeit, dass zu wenig ältere Menschen im Erwerbsleben
stehen. Nein, das ist falsch: In den letzten vier Jahren ist
die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 55 und 64 um
13 Prozent gestiegen. Das zeigt, dass es auch da eine
Veränderung gibt, dass also mehr ältere Menschen den
Weg in den Arbeitsmarkt gefunden haben. Auch das
halte ich für sehr gut.

Insofern habe ich ein bisschen ein Problem damit
– das ist einer der wenigen Punkte, wo wir uns nicht ei-
nig sind –, dass wir mit der Rente mit 63 unter Umstän-
den das falsche Signal setzen. Ich möchte auf jeden Fall
– das halte ich für sehr wichtig –, dass wir Anreize für
Frühverrentungen begrenzen. Da helfen keine Appelle.
Wir müssen die gesetzlichen Regelungen so ausgestal-
ten, dass wir ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Er-
werbsleben nicht unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es kann nicht sein, dass jemand bereits mit 61 Jahren
in die Arbeitslosigkeit und mit 63 abschlagsfrei in Rente






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Michael Fuchs

geht. Das zu verhindern, dazu müssen Möglichkeiten ge-
funden werden. Eine Möglichkeit wäre, dass Zeiten der
Arbeitslosigkeit nach dem 1. Januar 2014 oder zumin-
dest Zeiten der Arbeitslosigkeit unmittelbar vor Renten-
eintritt nicht berücksichtigt werden. Bei vorgeschalteter
Altersteilzeit sollte auch der Zugang in die Rente ab 63
nur mit entsprechenden Abschlägen möglich sein.

Das sind Punkte, die wir noch diskutieren müssen. Es
muss gerade aufgrund der demografischen Situation da-
rauf geachtet werden, dass wir wertvolle Fachkräfte
nicht verlieren; denn der Arbeitsmarkt wird diese Fach-
kräfte brauchen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, der Bundesminister sprach
zu Recht die Risiken der Energiewende an. Ich bin für
diese Energiewende;


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann das denn?)


sie muss umgesetzt werden. Aber wir müssen die Ener-
giewende so ausgestalten, dass sie von den Bürgerinnen
und Bürgern und von den Unternehmen bezahlt werden
kann. Irgendwann hört die Akzeptanz bei der Bevölke-
rung für diese Energiewende auf, nämlich dann, wenn
sie nicht mehr bezahlbar ist, und da sehe ich große Risi-
ken.

Wir haben Firmen, die absolut stromabhängig sind,
und zwar nicht deshalb, weil sie unbedingt Strom ver-
brauchen wollen. Sie würden alles daransetzen, weniger
Strom zu verbrauchen. Aber wenn sie technische Pro-
zesse haben, beispielsweise Elektrolysen, dann brauchen
sie Strom. Sie brauchen dummerweise ein Elektron, das
den ganzen Prozess antreibt – wenn man ein ganz klei-
nes bisschen über Physik oder Chemie weiß, dann kann
man das verstehen –; ohne das geht es nicht.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das haben Sie schon mal erzählt!)


– Sie haben es immer noch nicht verstanden. Deswegen
muss ich es Ihnen noch einmal erzählen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Doch, das habe ich verstanden! Physik war mein Lieblingsfach!)


Genau dieses Problem ist nun einmal da, und das wis-
sen wir auch. Deswegen müssen wir stromintensive Un-
ternehmen unterstützen. Ich erwarte, dass wir dafür eine
vernünftige Lösung finden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es gibt einen zweiten Punkt, Herr Minister, bei dem
ich mit Ihnen nicht einig sein kann. In Ihrem Eckpunkte-
papier für Meseberg stand, dass die Eigenerzeugung von
Strom ebenfalls der EEG-Umlage unterfallen soll. Das
geht nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die industrielle Eigenerzeugung von Strom muss für be-
stehende Anlagen weiterhin von der EEG-Umlage be-
freit sein. Der Koalitionsvertrag sieht dies, nebenbei be-
merkt, ausdrücklich vor. Bestandsschutz ist kein Privileg
nur der erneuerbaren Energien, sondern das muss natür-
lich auch für die Eigenstromerzeugung gelten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier haben wir Vertrauensschutz zu gewährleisten. Da-
ran müssen wir gemeinsam arbeiten. Wir müssen dafür
eine vernünftige Regelung finden.

Ich sehe mit Sorge, dass es Industrien gibt, die heute
schon darüber nachdenken, ob sie noch in energieinten-
sive Anlagen in Deutschland investieren können. Ich
will dazu den VDMA anführen. Der hat eine Analyse
gemacht, nach der in den letzten fünf Jahren nur noch
etwa 85 Prozent der Mittel aus Abschreibungen reinves-
tiert werden. Das macht mir Sorge. Das bedeutet schlicht
und ergreifend, dass 15 Prozent woanders investiert wer-
den. Ich gehe nicht davon aus, dass sich diese Unterneh-
men aus dem Markt verabschieden, aber sie investieren
nicht mehr in energieintensive Anlagen in Deutschland.
Wenn das der Fall ist, dann heißt das am Ende des Tages,
dass sie sich aus Deutschland verabschieden. Bei Unter-
nehmen ist es, nebenbei bemerkt, nicht so, dass sie zum
Einwohnermeldeamt gehen müssen, um sich zu verab-
schieden. Das machen sie klammheimlich; auf einmal
sind sie weg.

Das muss verhindert werden; denn ich möchte, dass
dieses Land ein industrielles Land bleibt. Deutschland
ist der Industriestandort Nummer eins in Europa. Wir
müssen alles daransetzen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, dass es das bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn es nicht so bleibt und wenn wir nicht mehr ge-
schlossene Wertschöpfungsketten haben, dann wird sich
dieses Land verändern, und zwar so, wie Sie es in großen
Teilen von Großbritannien beobachten können. Das ist
nicht meine Vorstellung von Deutschland.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Meine auch nicht!)


Meine Damen und Herren, dafür werden wir bei der
Energiewende noch etliche schwierige Aufgaben zu lö-
sen haben. Es muss eine EU-konforme Regelung für be-
sondere Ausnahmen gefunden werden. Es muss drin-
gend mit Kommissar Almunia verhandelt werden. Ich
weiß, dass der Minister schon auf dem Weg ist, das zu
tun. Wir müssen bis zum 1. Juli eine vernünftige Rege-
lung haben, die die EU notifizieren kann. Wenn wir das
nicht schaffen, dann haben wir ein heftiges Problem für
die deutsche Wirtschaft. Das möchte ich nicht. Die Un-
ternehmen, die jetzt befreit sind, müssen in wesentlichen
Teilen auch befreit bleiben. Die Grünen haben die Schie-
nenbahnen berücksichtigt. Ob man nun die Straßenbahn
in Rostock als im internationalen Wettbewerb stehend
empfinden kann, weiß ich nicht; ich tue das nicht. Das
könnte zum Beispiel ein Bereich sein, den wir von den
Ausnahmen herausnehmen müssen, damit wir ein Opfer
an die EU liefern können. Das wird uns abverlangt wer-
den. Darüber müssen wir nachdenken.






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Michael Fuchs

Ich bin froh, dass Sie eben das Transatlantische Frei-
handelsabkommen angesprochen haben. Das ist mit Si-
cherheit eine Riesenchance. Man sieht es, nebenbei be-
merkt, an Bali, wo die letzte WTO-Verhandlung
stattgefunden hat. Die OECD hat ausgerechnet, dass al-
lein Europa dadurch schon in den nächsten Jahren Ex-
portchancen in Höhe von 60 Milliarden Euro zusätzlich
bekommt. Das zeigt: Solche Freihandelsabkommen sind
der richtige Weg. Daran werden wir gemeinsam arbei-
ten. Es hat keinen Sinn, die NSA-Problematik mit einem
Freihandelsabkommen zu verknüpfen. Das ist sicherlich
nicht der richtige Weg.

Ich bin davon überzeugt, dass dieser Jahreswirt-
schaftsbericht die Chancen, die wir haben, und ebenso
die Risiken aufzeigt. Wir müssen gemeinsam hart daran
arbeiten, die Risiken möglichst kleinzuhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801400600

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun

der Kollege Anton Hofreiter das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ach, Herr Gabriel, es ist ja schön, wenn die
wirtschaftliche Lage bei uns gut ist. Es ist schön, wenn
die Löhne steigen. Es ist schön, wenn es den Menschen
einigermaßen gut geht. Aber erstens trifft das nicht auf
alle Menschen in unserem Lande zu, und zweitens ist
von einem Bundeswirtschaftsminister schon etwas mehr
zu erwarten, wenn er über die wirtschaftspolitischen Per-
spektiven spricht, als eine Beschreibung der derzeitigen
Lage. Da hätte man auch jemanden vom Statistischen
Bundesamt einladen können; der hätte das hier mindes-
tens so inspiriert vorgetragen wie Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn Sie sagen, dass eine offene Gesellschaft, dass
Zuwanderung Voraussetzungen für ökonomischen Er-
folg sind, dann geben wir Ihnen recht. Aber haben Sie ei-
gentlich bemerkt, dass Sie in einer Koalition mit CDU
und CSU sind? Haben Sie eigentlich einmal mit Ihrem
Koalitionspartner darüber gesprochen,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Allerdings!)


der ja nicht nur Unsinn erzählt, sondern die Stimmung
im ganzen Land vergiftet? Sorgen Sie doch einmal dafür,
dass das abgestellt wird! Das ist nicht nur eine ökonomi-
sche Frage, sondern auch eine des Anstandes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ihr seid doch die Brunnenvergifter!)


Herrn Fuchs möchte ich Folgendes sagen: Wenn man
schon die Linkspartei angreift, dann bitte nicht mit völli-
gem fachlichen Unsinn.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ist das eine neue Koalition hier, oder was?)


Denn wenn Sie behaupten, Zeitarbeit sei eines der gro-
ßen Sprungbretter auf dem Weg zu einer dauerhaften Be-
schäftigung, und die Statistiken sagen, dass es im besten
Falle 7 Prozent schaffen,


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: 14 Prozent!)


dann können Sie das nicht als Beispiel anführen. Lesen
Sie doch einfach einmal Ihre eigenen Statistiken; dann
werden Sie feststellen, wie es wirklich aussieht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zu Ihrer Energiewende. Sie haben gesagt, Sie wollen
die Energiewende. Erstens glaube ich Ihnen das nicht;
denn das ist mir völlig neu. Dass Sie eine Energiewende
von der Atomkraft hin zur Braunkohle wollen, könnte
man Ihnen vielleicht noch glauben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist unter Niveau!)


Aber wenn Sie wirklich eine Energiewende wollen, die
dazu beiträgt, dass die Strompreise stabil bleiben, dann
müssen Sie sich doch um die kostengünstigsten Bereiche
der Stromproduktion kümmern.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Photovoltaik!)


Und was ist inzwischen die kostengünstigste Form der
Stromproduktion? Wir reden hier überhaupt nicht über
die ökologischen Kosten, die zum Beispiel Braunkohle
verursacht. Wir reden auch überhaupt nicht über das Ri-
siko, das Atomkraft verursacht, sondern wir betrachten
das rein betriebswirtschaftlich.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das größte Risiko steht da vorne am Rednerpult, wenn ich das so höre!)


Die kostengünstigste Form der Stromproduktion ist eine
Windkraftanlage an Land. Aber ausgerechnet diese Pro-
duktion wollen Sie deckeln. Das macht doch überhaupt
keinen Sinn. Selbst wenn Ihnen die Umwelt und die Le-
bensgrundlagen vollkommen egal sind: Es macht auch
ökonomisch keinen Sinn, ausgerechnet die kostengüns-
tigste Form der Stromproduktion zu deckeln, wenn man
die Strompreise in den Griff kriegen will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und was machen wir, wenn der Wind nicht weht?)


Aber schauen wir uns einmal an, was in Ihrem schö-
nen Bericht steht und was die Bundesregierung in wirt-
schaftlicher Hinsicht eigentlich vorhat; davon ist bis jetzt
kaum gesprochen worden. Beim Lesen und Hören
musste ich manchmal an die eine oder andere Wahl-
kampfrede von Ihrem Kollegen Steinbrück denken. Er
hat Frau Merkel immer vorgeworfen, dass sie schöne
Pappschachteln ins Fenster stellt, in denen nichts drin ist.






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Anton Hofreiter

Solche Pappschachteln werden nicht schöner, bloß weil
man sie rot anmalt, Herr Gabriel.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns einmal einige dieser Pappschachteln
an, zunächst die Investitionsoffensive. Im Rahmen die-
ser Investitionsoffensive wollen Sie 1,2 Milliarden Euro
mehr für den Erhalt und Neubau im Bereich Straße aus-
geben. Das klingt erst einmal gut; das ist scheinbar eine
hohe Summe. Das Problem ist bloß: Die gemeinsame
Expertenkommission der 16 Länder hat festgestellt, dass
7,2 Milliarden Euro notwendig sind, und zwar allein für
den Erhalt. Sie geben nur einen Bruchteil mehr für Er-
halt und Neubau aus. Ist Ihnen eigentlich nicht klar, dass
zwischen 1,2 Milliarden und 7,2 Milliarden Euro durch-
aus ein relevanter Unterschied besteht? Oder gehen Sie
so nachlässig mit Zahlen um, wie das der ADAC tut?

Schauen wir uns den Bericht der OECD an. Laut
OECD ist Deutschland Schlusslicht bei den Investitio-
nen. Der Durchschnitt der großen Industrieländer liegt
bei 20 Prozent des BIP. Wir liegen bei 17 Prozent.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Gucken Sie sich den Ifo-Index an! Das stimmt nicht!)


Mit Ihrer Investitionsoffensive erreichen Sie
17,1 Prozent, das heißt, Sie steigern die Quote um
0,1 Prozent. Das nennen Sie Investitionsoffensive? Das
ist doch lachhaft. Das ist doch nicht ernst zu nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Private und öffentliche!)


Sorgen Sie dafür, dass die Infrastruktur verbessert
wird, dass Straßen und Brücken saniert werden, anstatt
wie Don Quichotte gegen Windräder zu kämpfen! Bei
diesem Vergleich stellt sich natürlich die Frage, wer ei-
gentlich Sancho Pansa ist. Beim Kampf gegen Windrä-
der könnte es Horst Seehofer sein; aber das passt doch
nicht so ganz. Stoppen Sie also den Verfall!

Herr Finanzminister, es ist ja schön, dass der nomi-
nale Schuldenstand sinkt. Aber was haben wir von ei-
nem nominal sinkenden Schuldenstand, wenn de facto
die implizite Staatsverschuldung weiter steigt, weil Sie
die vorhandene Infrastruktur vergammeln lassen? Davon
haben wir nichts, sondern am Ende wird alles nur noch
teurer und die Lasten werden in die Zukunft verschoben.
Das ist in der Form einfach Unsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Gleiche gilt für den Breitbandausbau. Ursprüng-
lich war dafür noch 1 Milliarde Euro vorgesehen. Ir-
gendwie ist die den Koalitionsverhandlungen zum Opfer
gefallen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt!)


Woher wollen Sie denn das Geld dafür nehmen? Geld
dafür könnte man schon finden. Sie müssten auch gar
nicht die Steuern erhöhen. Es wäre schon schön, wenn
Sie sich an den Subventionsabbau herantrauen würden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Laut Ihrem eigenen Bericht belaufen sich die jährli-
chen Subventionen auf 21 Milliarden Euro. Bauen Sie
doch wenigstens einen Teil davon ab, dann hätten Sie
Geld für Investitionen. Aber nein, Sie haben ja jetzt ei-
nen Minister für Ausländermaut auf der Straße und für
Daten. Vielleicht führen Sie ja noch eine Ausländermaut
für Datenverkehr ein. Geld kommt damit jedoch auch
nicht herein.

Herr Gabriel, Sie selbst haben ja, auch wenn Sie sonst
nicht viel von Wirtschaftspolitik, sondern vor allem von
Statistik gesprochen haben, in Ihrer Rede erwähnt, dass
eine Bankenunion notwendig ist, um die Probleme in
den Griff zu bekommen. Ja, eine Bankenunion ist not-
wendig. Darin sind sich die SPD-Fraktion und unsere
Fraktion auf europäischer Ebene einig. Aber die Bundes-
regierung blockiert eine effiziente Bankenunion.


(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Na, na, na!)


Da stellt sich schon die Frage: Wer bestimmt denn
jetzt: die europäische Sozialdemokratie oder die Bundes-
regierung?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unterlassen Sie das! Beenden Sie die Blockadehaltung
Deutschlands in der Frage der Bankenunion! Sorgen Sie
dafür, dass wir schnell Banken abwickeln können; denn
sie sind eine relevante Gefahr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Gabriel, wenn ich mir Ihre Rede insgesamt an-
schaue, dann kann ich nur feststellen – der Koalitions-
vertrag hieß ja „Deutschlands Zukunft gestalten“ –: Es
war leider wieder bloß Statistik und „Deutschlands Zu-
kunft verwalten“. Das ist zu wenig. Sorgen Sie für eine
andere Politik, damit „Wohlstand für Alle“ gilt. Mit die-
ser Politik, mit dem Verlesen von Statistiken oder ein
paar harmlosen Verwaltungsakten werden Sie dieses Ziel
mit Sicherheit nicht erreichen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801400700

Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1801400800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Lieber Kollege Hofreiter, ich war ja auch vier Jahre
lang Oppositionspolitiker. Wenn man als Oppositions-
politiker eine Rede hält, dann ist sie wirksamer, wenn
man nicht sozusagen alles in Bausch und Bogen ver-
dammt und schlechtredet, sondern sich auf die Punkte
konzentriert, bei denen eine Regierung angreifbar ist. In-
sofern kann ich nur eines sagen: Ihre Rede ist der Sache
nicht angemessen gewesen. Die Opposition scheint noch






(A) (C)



(D)(B)

Hubertus Heil (Peine)


zu üben. Der Bundeswirtschaftsminister regiert. Das ist
der Unterschied.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Eine solche Selbstgerechtigkeit!)


Ich habe Ihren Antrag gelesen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Hören Sie doch einmal zu.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Herr Heil! An solchen Reaktionen merkt man, dass man getroffen hat!)


Ich finde im Antrag der Grünen den einen oder anderen
sympathischen Punkt. Aber eines darf man doch bitte
einmal zur Kenntnis nehmen: Die Rede des Bundeswirt-
schaftsministers zum Jahreswirtschaftsbericht, die wir
heute gehört haben, unterscheidet sich von denen seiner
Vorgänger.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre sonst ja auch schlimm!)


Oft haben Bundeswirtschaftsminister bei der Vorstellung
des Jahreswirtschaftsberichts im Wesentlichen die Lage
beschrieben, meistens sehr rosig


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gebe ich Ihnen völlig recht!)


– ganz ruhig; nicht aufgeregt sein; ganz locker bleiben –,
und sich damit begnügt. Sie finden ganz tolle Begriffe
wie XXL-Aufschwung oder Ähnliches. Der Unterschied
ist: Dieser Bundeswirtschaftsminister hat ein realisti-
sches Bild der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Lan-
des gezeichnet, mit allen Stärken, die wir haben, aber
auch mit allen Herausforderungen und Risiken. Er be-
gnügt sich aber nicht damit, sondern er sagt, was diese
Bundesregierung tun will und tun wird. Das ist der Un-
terschied.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Politik heißt, die Wirklichkeit zu betrachten, sie aber
auch zu verändern. Das ist der Unterschied zur Vorgän-
gerregierung.


(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich will Ihnen sagen, was konkret wir uns vorgenom-
men haben. Es geht um leistungsfähige Infrastrukturen,
die wir bereitstellen müssen, damit dieses Land wirt-
schaftlich erfolgreich bleibt. Es geht um die Sicherung
der Fachkräftebasis in diesem Land. Es geht – das hat
Sigmar Gabriel deutlich gemacht – um die Überwindung
der Spaltung am Arbeitsmarkt, weil die Spaltung nicht
nur ungerecht ist, sondern weil wir sie uns ökonomisch
mit Blick auf die demografische Entwicklung gar nicht
leisten können, weil wir Wohlstand und Teilhabe für alle
brauchen, nicht nur aus Gründen des gesellschaftlichen
Zusammenhalts, sondern auch aus Gründen der wirt-
schaftlichen Vernunft. Wir können uns Ausgrenzungen
von Menschen am Arbeitsmarkt durch schlechte Löhne
oder Dauerarbeitslosigkeit dauerhaft nicht leisten. Das
ist eine ökonomische Weisheit, meine Damen und Her-
ren, die wir begriffen haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU])


Es geht um Innovation, Forschung und Entwicklung.
Und es geht darum, die Energiewende zu gestalten, so-
wie nicht zuletzt darum, die nach wie vor schwelende
Krise im Euro-Raum in den Griff zu bekommen; denn
die ist mitnichten überstanden. Es gilt der Satz: Wir ha-
ben gute Chancen, diese Reformen jetzt zu stemmen,
weil wir in Deutschland eine gute wirtschaftliche Lage
haben. Es gilt aber nach wie vor auch der Satz: Wer mor-
gen sicher leben will, muss heute für Reformen kämp-
fen. Das tun wir mit den im Jahreswirtschaftsbericht auf-
gezeigten Instrumenten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch wenn Statistik Sie langweilt, Herr Kollege
Hofreiter,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Hat er nicht gesagt!)


sollte man sich trotzdem mit ein paar wirtschaftlichen
Fundamentaldaten zumindest auseinandersetzen. Es ist
nicht zu bestreiten, dass wir eine ganz ordentliche wirt-
schaftliche Entwicklung haben.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch nicht getan!)


Die Prognose für dieses Jahr liegt bei 1,8 Prozent. Wir
sagen nicht, dass das ein Grund ist, sich zurückzulehnen.
Es ist mitnichten ein Grund, sich zurückzulehnen. Wir
können etwas daraus machen. Wir sollten darüber reden,
welches die Auseinandersetzungen der Zukunft sein
werden, welche Herausforderungen auf uns zukommen.

Es geht darum, dass wir uns dem demografischen
Wandel, dessen Folgen inzwischen auch den Arbeits-
markt erfasst haben, stellen. Auf der einen Seite suchen
immer mehr Unternehmen händeringend qualifiziertes
Fachpersonal. Auf der anderen Seite gibt es in Deutsch-
land nach wie vor viel zu viele Menschen, die abgehängt
sind. Die Frauenerwerbsbeteiligung in Deutschland er-
scheint zwar prozentual hoch, das Arbeitsvolumen aber
ist zu niedrig. Auch viele junge Leute sind abgehängt.
Nach wie vor verlassen Jahr für Jahr 70 000 junge Men-
schen in Deutschland die Schule ohne Schulabschluss.
1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ha-
ben keine berufliche Erstausbildung. Wir haben viel zu
viele Menschen, die im erwerbsfähigen Alter sind, aber
zum alten Eisen gehören. Wir müssen nicht nur die
Frage der Ausbildung in den Vordergrund stellen, son-
dern auch die Frage der Weiterbildung und der Beschäf-
tigungsfähigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern behandeln.

Arbeitnehmerrechte sind nicht nur Bürgerrechte, son-
dern sie sind in diesem Land auch ein Instrument, um
über Mitbestimmung für gute Arbeitsbedingungen und






(A) (C)



(D)(B)

Hubertus Heil (Peine)


so dafür zu sorgen, dass Menschen auch beschäftigungs-
fähig bleiben können. Wir können es uns nicht mehr leis-
ten, Menschen am Arbeitsmarkt auszugrenzen.

Wenn wir über Fachkräftesicherung reden, gehört
dazu auch, dass wir über qualifizierte Zuwanderung in
dieses Land reden müssen. Dafür brauchen wir nicht nur
gesetzliche Regelungen, sondern vor allen Dingen eine
Willkommenskultur, eine Weltoffenheit, die deutlich
macht, dass dieses Land von Einwanderung und Zuwan-
derung profitiert und keinen Schaden nimmt.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist die eine oder
andere xenophobe Rede, die Politiker im Wahlkampf
halten, nicht nur unanständig, sondern auch ökonomisch
schädlich für dieses Land. Wir brauchen qualifizierte
Zuwanderung. Wir müssen die inländischen Potenziale
nutzen. Und wir brauchen Menschen, die zu uns kom-
men, damit sie hier arbeiten, lehren und leben. Das ist
die Erkenntnis, die wir aus der demografischen Entwick-
lung ziehen müssen. Deshalb ist es gut, dass wir hier ei-
nen Schwerpunkt setzen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht bei dem, was wir vorhaben, im Kern um eine
Strategie, die auf Investitionen setzt. Frau Wagenknecht,
Herr Hofreiter, es geht da um öffentliche Investitionen –
gar keine Frage! Diese Bundesregierung wird in dieser
Legislaturperiode 23 Milliarden Euro zusätzlich inves-
tieren, 6 Milliarden Euro in den Bereich Kitas, Schulen,
Hochschulen, 3 Milliarden Euro in den Bereich For-
schung, 5 Milliarden Euro in den Bereich der Verkehrs-
infrastruktur. Und ja, ich würde mir auch das eine oder
andere mehr wünschen. Aber es geht eben nicht nur um
öffentliche Investitionen, sondern im gleichen Maße um
die Bedingungen für private Investitionen.

Wir haben da ein Risiko, Herr Fuchs. Wir haben die
Situation, dass deutsche Unternehmen tatsächlich nicht
wenig investieren, vor allen Dingen große Unternehmen,
aber leider viel zu wenig in Deutschland. Das ist eine
Diskussion, die wir führen müssen. Dabei müssen wir
über die Standortbedingungen in diesem Land sprechen.
Ich rede davon, dass man für Innovationen auch Investi-
tionen braucht, aber wir uns in diesem Land auch einmal
vor Augen führen müssen, dass wir bei der Herausforde-
rung der Digitalisierung, bei dem technischen Fort-
schritt, der vor uns liegt, nicht abgehängt werden dürfen.
Da mache ich mir Sorgen. Wer weiß, dass der IKT-An-
teil, der Anteil des Bereichs der Informations- und Kom-
munikationstechnologie an der Wertschöpfung, bei ei-
nem deutschen Auto heute 30 Prozent ausmacht, wer
weiß, dass der IKT-Anteil bei Autos im Jahr 2025 auf-
grund technischen Fortschritts bei ungefähr 60 Prozent
liegen wird, und sich dann anschaut, wo die wesentli-
chen IKT-Unternehmen in der Welt sitzen, um dann fest-
zustellen, dass nur noch 10 Prozent der Wertschöpfung
im Bereich der Informations- und Kommunikationstech-
nologie in Europa stattfindet, der muss sich auf lange
Sicht darum kümmern, dass wir in diesem Land und in
Europa insgesamt im Bereich der digitalen Wirtschaft
vorankommen. Deshalb, Herr Bundesminister, ist es gut,
dass dieses Thema im Jahreswirtschaftsbericht ange-
sprochen wird. Ich bitte diese Bundesregierung ganz
herzlich darum, das Thema digitale Ökonomie, digitale
Agenda, Industrie 4.0 als Herausforderung zu begreifen,
die ähnlich groß ist wie das, was wir gerade im Bereich
der Elektromobilität erleben, dass wir also die Kräfte
bündeln müssen, wir Infrastrukturen benötigen, wir In-
vestitionen in Bildung und Forschung brauchen, wir da-
für sorgen müssen, dass wir da nicht zurückfallen, damit
wir die Chancen digitaler Wirtschaft auch für Deutsch-
land und Europa nutzen können.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ja, es geht um Innovationen, es geht auch um Integra-
tion in gute Arbeit. Dazu hat der Bundeswirtschafts-
minister eine ganze Menge gesagt. Es geht letztendlich
auch um Internationalisierung. Deshalb bin ich dankbar,
dass der Bundeswirtschaftsminister da einen differen-
zierten Blick auf die Chancen und die Risiken der Frei-
handelspolitik und des internationalen Freihandelsab-
kommens geworfen hat. Wir in Deutschland diskutieren
ja ganz intensiv die Risiken. Es gibt viele Ängste in der
Bevölkerung, in der Wirtschaft übrigens auch, dass be-
stimmte Standards, die wir in Deutschland und Europa
gewohnt sind, abgesenkt werden könnten. Dagegen
muss man sich stemmen. Aber ich sage im gleichen
Atemzug: Es geht beim Thema Transatlantisches Frei-
handelsabkommen auch darum, die außen- und sicher-
heitspolitischen und ökonomischen Chancen zu sehen.

Wir haben vor einigen Jahren eine Rede von Präsident
Obama erlebt, in der er beschrieben hat, dass die Verei-
nigten Staaten von Amerika eine pazifische Nation
seien.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau!)


Er hat also einen Blick von der pazifischen Küste Kali-
forniens in Richtung Fernost – so nennen wir es – ge-
worfen. Es ist ohne Zweifel so, dass die Vereinigten
Staaten von Amerika auch eine pazifische Nation sind.
Aber wir müssen ein politisches und wirtschaftliches In-
teresse daran haben, dass die Vereinigten Staaten von
Amerika und Nordamerika insgesamt eben auch eine
transatlantische Beziehung haben. Meine Damen und
Herren, vor diesem Hintergrund muss man – bei allem,
was wir intensiv diskutieren, um sicherzustellen, dass
das Transatlantische Freihandelsabkommen nicht sozu-
sagen ein wirtschaftsradikaler Trojaner in Europa wird –
über die Chancen dieses Abkommens reden und die Ver-
handlungen so gestalten, dass wir sie zum Nutzen
Deutschlands und Europas führen. Deshalb ist meine
ganz herzliche Bitte, in diesem Haus differenziert da-
rüber zu reden. Ich muss schon sagen, dass mich da der
Beschluss von Bündnis 90/Die Grünen, bei denen ich
viele Atlantiker kenne, ein bisschen überrascht hat, weil
er ein bisschen zu sehr die Risiken und nicht die Chan-
cen berücksichtigt.

Meine Damen und Herren, Politik fängt damit an, die
Wirklichkeit zu betrachten, um sie zu verändern.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut! Es heißt zwar ein bisschen anders, aber die Richtung stimmt, Herr Heil!)







(A) (C)



(D)

Hubertus Heil (Peine)


In diesem Sinne hat der Bundeswirtschaftsminister mit
dem Jahreswirtschaftsbericht eine realistische Betrach-
tung der Situation in diesem Land vorgelegt. Es geht
nicht darum, nur die rosarote Brille aufzusetzen. Aber es
geht eben auch nicht darum, alles in Grund und Boden
zu reden, Frau Wagenknecht. Wir brauchen Macher und
nicht Miesmacher, wenn es um die Wirtschaftspolitik in
diesem Land geht. Das ist der Unterschied zu diesem
Bundeswirtschaftsminister.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Inhaltslose Plattitüde! – Zuruf der Abg. Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE])


In diesem Zusammenhang – –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801400900

Nein, nein, nicht „in diesem Zusammenhang“! Das

war ein hervorragender Schlusssatz, Herr Kollege Heil,


(Heiterkeit)


der sich nur schwerlich toppen lässt.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1801401000

Dann versuche ich es, Herr Präsident, gar nicht erst. –

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Wir brauchen
tatsächlich Anpacker, und die gibt es in dieser Bundesre-
gierung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801401100

Das Wort erhält nun der Kollege Michael Schlecht für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Jetzt wird es ganz schlecht!)



Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801401200

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Gabriel, Sie haben nicht nur jahrelang Tarifpolitik
betrieben, sondern in Gewerkschaftsschulen Tarifpolitik
auch unterrichtet. Nun haben Sie sich geoutet, dass
wichtige Dinge, die man Ihnen beigebracht hat, auch
hängengeblieben sind.

Es ist erfreulich, dass Sie herausstellen, dass sich faire
Tariferhöhungen mindestens an der Preissteigerungsrate
– an dem Ausgleich der Inflation – und natürlich auch an
der Produktivitätssteigerung orientieren müssen. Es ist
richtig – und ich finde es gut, dass Sie auch das heraus-
gestellt haben –, dass es für Gewerkschafter immer an-
gezeigt ist, bei den Tarifverhandlungen eine deutliche
Umverteilungskomponente herauszuholen, also mehr als
nur den Ausgleich der Preissteigerung und eine Anpas-
sung an die Produktivitätssteigerung.

Gerade in diesen Zeiten ist das von außerordentlicher
Bedeutung; denn durch die Politik der letzten zehn,
zwölf Jahre, durch die Rahmenbedingungen, mit denen
Gewerkschaften konfrontiert waren, ist den Gewerk-
schaften ein dramatisches Lohndumping aufgezwungen
worden. Die Gewerkschaften konnten jahrelang – das
haben Sie selbst in Ihrer Rede eben angesprochen – nicht
einmal Lohnerhöhungen herausholen, die die Preisstei-
gerungen und Produktivitätssteigerungen berücksichtig-
ten. Vielmehr wurden sie gezwungen, sich auf niedrigere
Lohnabschlüsse einzulassen. Das muss jetzt ausgegli-
chen werden. Dafür ist in der Tat Jahr für Jahr eine mas-
sive Umverteilungskomponente notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Grundsätzlich kann ich die Grundsätze, die Sie for-
mulieren, loben. Aber machen Sie etwas, damit diese
Grundsätze in der Realität auch umgesetzt werden kön-
nen? Fehlanzeige! Als Gewerkschafter kann ich keine
Tariferhöhungen durchsetzen, indem ich den Unterneh-
mern am Verhandlungstisch erzähle: Hört mal zu, es gibt
da jetzt einen Wirtschaftsminister, der dieses und jenes
sagt. – Das interessiert die im Regelfall nicht, sondern
Unternehmer interessiert immer nur, was in Tarifaus-
einandersetzungen und auch in Streikauseinandersetzun-
gen durchgesetzt werden kann.

Die in der Vergangenheit im Rahmen der Agenda von
Ihnen durchgesetzte massive Deregulierung am Arbeits-
markt führte zu Befristungen, Leiharbeit, Minijobs, Ver-
unsicherung durch Hartz IV und Verängstigung der Be-
schäftigten. Das ist der Grund dafür, dass wir jetzt seit
über zehn Jahren ein dramatisches Lohndumping in un-
serem Land zu verzeichnen haben. Das muss geändert
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ändern Sie denn nun tatsächlich etwas an dieser ver-
hängnisvollen Politik? Wieder Fehlanzeige! Es gibt
keine Veränderungen bei Befristungen; denn mit befris-
tet Beschäftigten, das sage ich aus Erfahrung, streikt es
sich nicht besonders gut, weil sie natürlich Angst haben,
dass ihr Vertrag nicht verlängert wird. Es streikt sich
nicht besonders gut mit Leiharbeitskräften. Es streikt sich
auch nicht besonders gut mit Minijobbern – mittlerweile
sind es 7 Millionen –, die in atomisierten Arbeitsverhält-
nissen eingesetzt werden. Diese kennen im Regelfall nicht
einmal die Kollegen aus der Mittel- oder Spätschicht.
Unter solchen Umständen ist es sehr schwierig, Wider-
stand in Form einer Streikbewegung zu organisieren.

Ein Wille zur Veränderung ist in Ihrer Politik nicht
festzustellen. Es ist allerdings festzustellen, dass Sie im
zurückliegenden Wahlkampf zu all diesen Punkten wun-
derbare Forderungen formuliert haben. Aber mit politi-
schen Kräften wie uns, die mit Ihnen in diesem Bereich
vorankommen wollten, wollten Sie in Form von Koali-
tionsverhandlungen nichts zu tun haben.

Die Lohnerhöhung, die Sie jetzt erwarten, ist außer-
ordentlich bescheiden. Sie gehen von einem Plus von
2,7 Prozent aus, schreiben aber selbst in Ihren Bericht
hinein, dass die Einkommen aus Unternehmertätigkeit
und Vermögen um das Doppelte ansteigen sollen. Das
heißt, dass davon auszugehen ist, dass die Umverteilung
von unten nach oben sogar noch weiter zunimmt. An-
scheinend finden Sie das gut. Das passt aber mit Ihren

(B)







(A) (C)



(D)(B)

Michael Schlecht

sonstigen Reden nicht zusammen. Insofern entpuppen
sich Ihre sonstigen Reden als Sonntagsreden.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben von Lohnverfall gesprochen. Den gibt es in
der Tat. Daher ist es dringend notwendig, dass von poli-
tischer Seite gegengewirkt wird, dass Befristungs- und
Leiharbeitsregelungen zurückgenommen werden. Wir
müssen zu einer neuen Ordnung am Arbeitsmarkt kom-
men. Nur dann haben Gewerkschaften bei Streiks und
Auseinandersetzungen eine Chance, Lohnsteigerungen
entsprechend den Preis- und Produktivitätssteigerungen
sowie unter Umständen auch eine Umverteilungskom-
ponente durchzusetzen. Die Politik muss aber die Rah-
menbedingungen dafür schaffen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801401300

Das Wort erhält nun der Kollege Joachim Pfeiffer für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1801401400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland geht
es in der Tat gut. Das ist nicht vom Himmel gefallen,
sondern das ist das Ergebnis von harter Arbeit, von Re-
formen in den letzten zehn Jahren. Wir haben uns aus ei-
ner Abwärtsspirale mit immer mehr Arbeitslosen, mit
einer immer höheren Verschuldung und immer mehr So-
zialausgaben durch Reformen herausgearbeitet und be-
finden uns nun in einer Aufwärtsspirale mit immer mehr
Beschäftigungsverhältnissen, höheren Steuereinnahmen
und weniger Sozialausgaben. Wir haben eine wettbe-
werbsfähigere Wirtschaft. Die Reformen bezogen sich
auf die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Technolo-
gieförderung und Gründungsförderung. Viele Dinge sind
zusammengekommen. Diese Reformen haben es ermög-
licht, dass beispielsweise die Beschäftigungsschwelle in
Deutschland, die vor zehn Jahren noch bei 1,5 Prozent des
Wirtschaftswachstums lag, auf jetzt 0,5 Prozent zurückge-
gangen ist. Das heißt, wenn der Wirtschaftsminister für
dieses Jahr ein Wachstum von 1,8 Prozent voraussagt,
dann hat dies außerordentlich positive Beschäftigungs-
effekte in diesem Land.

Die Zahlen, die hier von Teilen der Opposition ange-
führt wurden – offensichtlich wurden bewusst falsche
Zahlen genannt; ich kann kaum glauben, dass Sie es
nicht besser wissen –, sind wirklich hanebüchen. Frau
Wagenknecht spricht davon, dass 25 Prozent der 42 Mil-
lionen Menschen in Deutschland prekär beschäftigt wä-
ren.


(Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Das ist aus der Rede von Herrn Gabriel!)


Es würde mich interessieren, woher diese Zahl kommt.
Gerade letzte Woche hat die Bundesagentur die Zahlen
zu den Aufstockern korrigiert.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hallo?)


Es gibt in diesem Land 47 000 Aufstocker, die Singles
sind, und 170 000, die in Mehrpersonenhaushalten woh-
nen. Das sind insgesamt circa 230 000 Aufstocker. Das
sind 0,5 Prozent von 42 Millionen und nicht 25 Prozent.
Ich glaube, da ist Ihnen das Komma ein bisschen ver-
rutscht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie wissen nicht einmal, was prekäre Beschäftigung ist!)


Behaupten Sie hier nicht irgendwelche Sachen, die wirk-
lich hanebüchen sind!

Wenn ich den Kollegen Hofreiter höre, sehne ich
mich fast nach dem Herrn Trittin zurück; das muss ich
wirklich sagen. Das, was der erzählt hat, hatte wenigs-
tens noch ein gewisses intellektuelles Niveau.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch Ihre Zahlen stimmen nicht, Herr Hofreiter. Sie be-
haupten, dass 7 Prozent in der Zeitarbeit Arbeit finden.
Allein der Klebeeffekt – dabei geht es um die Menschen,
die nach der Zeitarbeit beim Kundenunternehmen ver-
bleiben – macht 15 Prozent aus. Das ist mehr als das
Doppelte von dem, was Sie insgesamt der Zeitarbeit zu-
schreiben.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bitte?)


Zwei Drittel der Menschen, die Zeitarbeit als Brücke
nutzen, bleiben über die Zeitarbeit hinaus dauerhaft in
Arbeit. Das ist die richtige Zahl. Wenn Sie nicht einmal
Statistiken richtig lesen können, sollten Sie vielleicht et-
was leiser sein und hier nicht irgendwelche Behauptun-
gen aufstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wäre einmal ganz vorsichtig an Ihrer Stelle!)


Weil wir diese Reformen unternommen haben, haben
wir heute höhere Steuereinnahmen und sind wettbe-
werbsfähiger.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lobbyist!)


Deswegen können wir uns heute auch entsprechend et-
was leisten in diesem Land. Deshalb werden wir jetzt
mit der Mütterrente und mit der Rente mit 63 Dinge um-
setzen können, die vor zehn Jahren unmöglich waren.
Damals waren die Kassen leer, heute sind die Kassen
voll.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Nach vier Jahren sind sie leer!)


Wir müssen aber aufpassen, dass wir diese positive
Spirale nicht an mancher Stelle stoppen oder gar ins Ge-
genteil verkehren. Das ist wie beim Olympioniken: Wenn
der hart trainiert, kann er ganz oben auf dem Podest ste-
hen. Es ist, glaube ich, unstrittig, dass Deutschland nicht
nur in Europa, sondern weltweit ganz oben auf dem






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Joachim Pfeiffer

Podest steht. Wenn er nicht weiter trainiert, wenn er
nicht weiter hart arbeitet, dann wird er bei den nächsten
Olympischen Spielen in vier Jahren nicht automatisch
wieder auf dem Treppchen stehen. Deshalb sollten wir
uns genau anschauen, was wir tun.

Wir müssen aufpassen: Die Demografie ist, wie sie
ist. Deshalb sind heute die Probleme anders als vor 10,
15, 20 Jahren. Uns fehlen bis 2025 6,5 Millionen Fach-
kräfte. Sie alle sind nicht geboren, und so viele Fach-
kräfte werden wir sicher nicht durch Zuwanderung be-
kommen. Deshalb brauchen wir die älteren Menschen
im Arbeitsmarkt. Kollege Fuchs hat es schon angespro-
chen: Von 2000 bis heute, bis 2014, ist die Beschäfti-
gungsquote der Älteren, der 55- bis 64-Jährigen, von
38 Prozent auf im letzten Jahr wahrscheinlich 65 Prozent
gestiegen. Das heißt, zwei Drittel der Menschen im Alter
von 55 bis 65 sind heute erwerbstätig und nicht mehr nur
38 Prozent. Die Menschen arbeiten länger. Das ist ein
Grund dafür, dass so viele Menschen in Beschäftigung
sind und wir weniger für Sozialausgaben, sei es Arbeits-
losengeld, sei es Arbeitslosenhilfe, oder auch für Rente
ausgeben müssen.

Deshalb dürfen wir jetzt keine neuen Frühverrentungs-
modelle einführen. Die Gefahr ist sehr konkret. Mir
wurde dieser Tage ein Beispiel eines mittelständischen
Unternehmens aus dem Sauerland zugetragen. Das Un-
ternehmen stellt mit 35 Mitarbeitern Steuerungssysteme
für Fregatten her. In der Abteilung Prüffeld arbeiten vier
Mitarbeiter. Zwei davon könnten nach der jetzt ange-
dachten Regelung bereits Ende 2014 statt wie bisher
Ende 2016 in Rente gehen. Qualifizierungen für jüngere
Mitarbeiter sind bereits im Gange; es dauert aber min-
destens 18 Monate, bis diese beendet sind. Wenn die
jetzt angedachte Regelung umgesetzt werden würde,
würde der Fachkräftemangel verstärkt. Dieses mittel-
ständische Hochtechnologieunternehmen wäre direkt da-
von betroffen. Auch dort würden Fachkräfte fehlen. Es
wäre dadurch bedroht. Insofern müssen wir uns ganz ge-
nau anschauen, was wir auf diesem Gebiet machen.

Herausforderungen, die wir angehen müssen, gibt es
in der Tat noch viele; hier kann ich dem Minister nur zu-
stimmen. Ich nenne da die Bereiche Internet, digitale
Wirtschaft, Forschung und Entwicklung. Auch die Haus-
haltskonsolidierung müssen wir weiter vorantreiben.
Das Maastricht-Ziel, dass der Schuldenstand maximal
70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen soll,
müssen wir in dieser Legislaturperiode fest im Blick be-
halten; in der nächsten wollen wir auf 60 Prozent kom-
men.

Bei der Entbürokratisierung brauchen wir alle. Ich
freue mich, dass ich hier die Kollegin Andreae sitzen
sehe. Gestern Abend waren wir bei einer Veranstaltung,
wo sie sich sehr dafür eingesetzt hat, dass wir weiter ent-
bürokratisieren und beispielsweise die steuerrechtlichen
Aufbewahrungsfristen verkürzen. Da holen wir Sie
gerne ins Boot. Sie hatten dort weiter ausgeführt, dass
man die Grünen hierfür auch im Bundesrat braucht, weil
es so viele grüne Landesminister gibt. In der Tat, wir hat-
ten in der letzten Legislaturperiode zusammen mit der
FDP entsprechende Vorschläge gemacht. Diese sind im
Bundestag verabschiedet worden und dann leider im
Bundesrat nicht auf Gegenliebe gestoßen. Insofern sage
ich herzlichen Dank für die Ankündigung Ihrer Unter-
stützung auch im Bundesrat. Wenn wir unsere Vor-
schläge umsetzen können, bringen wir den Standort wei-
ter voran.

Ein wichtiges Thema ist die Bekämpfung der Lang-
zeitarbeitslosigkeit. Auch wenn wir beim Abbau der Ar-
beitslosigkeit erfolgreich waren – sie ist um über ein
Drittel gesunken –, verzeichnen wir bei der Zahl der
Langzeitarbeitslosen einen Rückgang um nur 25 Pro-
zent. Das zeigt, dass wir das Thema angehen müssen. Im
Bundeshaushalt sind dafür 1,4 Milliarden Euro vorgese-
hen, unter anderem für spezielle Programme. Diese Pro-
gramme müssen für die Qualifizierung, für die Förde-
rung dieser Menschen genutzt werden und nicht, um sie
wegzusubventionieren. Manche fordern hier einen drit-
ten Arbeitsmarkt, um die Langzeitarbeitslosen quasi
durch kommunale Arbeitsbeschaffungsprogramme weg-
zusubventionieren. Das ist nicht unser Ansatz. Vielmehr
wollen wir diese Arbeitslosen aktivieren. Jeder von ih-
nen müsste eigentlich jeden Tag ein Angebot für Qualifi-
zierung oder auch für einen Arbeitseinsatz erhalten, um
zurück in den Arbeitsmarkt zu kommen. Es reicht nicht,
dass sie einfach nur finanziell unterstützt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich auch noch ein paar Argumente zum
geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen an-
führen. Es geht nicht nur darum, dass wir wahrscheinlich
das letzte Mal die Chance haben, in Europa und Nord-
amerika inklusive Kanada weit ins 21. Jahrhundert hi-
nein Standards zu setzen und Impulse zu geben, sondern
es geht auch darum, den größten Binnenmarkt der Welt
mit 800 Millionen Menschen zu schaffen. Es geht um
Wachstumsimpulse von 120 Milliarden Euro auf euro-
päischer Seite und fast 100 Milliarden Euro auf amerika-
nischer Seite. Es geht auch um den Abbau nicht tarifärer
Handelshemmnisse und Chancen bei Beschaffungspro-
zessen. Diese Woche war der Chefunterhändler im Wirt-
schaftsausschuss. Er hat dort ganz klar gesagt, dass bei-
spielsweise bei den Beschaffungsprozessen natürlich
auch in Amerika Standards gefunden werden, die dazu
führen, dass europäische Unternehmen dort besser agie-
ren können als in der Vergangenheit. Erinnern wir uns an
den US-Auftrag über Tankflugzeuge, Stichwort Airbus/
EADS. So stellen wir uns den Beschaffungsprozess
nicht vor. Mit nichttarifären Hemmnissen wurde das
Ganze letztlich umgangen.

Lassen Sie uns auch einmal die Chancen eines sol-
chen Abkommens sehen! Es werden ja immer nur Risi-
ken und Gefahren betrachtet, sogar bei den von Frau
Künast – sie ist gerade nicht da – gern ins Feld geführten
Chlorhühnchen. Es wird so getan, als drohe Europa von
Chlorhühnchen überschwemmt zu werden. Wie ist denn
die Situation? In den USA wird Geflügel in der Tat seit
Jahrzehnten oder schon immer, um Salmonellenbefall
vorzubeugen, beim Schlachten mit keimtötenden Sub-
stanzen desinfiziert. Diese Chlorhühnchen dürfen
– Stand: heute – in Europa nicht importiert werden;
das ist richtig. Aber die USA haben bereits 2009 vor






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Joachim Pfeiffer

dem Dispute Settlement Body der WTO eine entspre-
chende Klage eingereicht. Alle Gutachten der Europäi-
schen Union besagen, dass Chlorhühnchen nicht gesund-
heitsschädlich sind. Was wird also passieren? Wenn
diese Klage erfolgreich ist, dann werden diese Chlor-
hühnchen, die manche hier als Symbol für den Unter-
gang europäischer Standards betrachten, in unbegrenzter
Zahl und ungekennzeichnet nach Europa exportiert wer-
den dürfen. Wenn es uns aber gelingt, im Rahmen der
TTIP-Verhandlungen Standards durchzusetzen und auch
über Mengen zu sprechen, dann haben wir die Chance,
hier etwas zu ändern. Das heißt, selbst bei den Chlor-
hühnchen ist die TTIP eine Chance zur Lösung und nicht
Ursache des Problems.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das bitte ich Sie wirklich einmal in Betracht zu ziehen,
anstatt hier einseitig Emotionen zu schüren und aufzu-
hetzen.

Insoweit muss man sagen: Die Richtung stimmt. Wir
werden diesen Weg konsequent weitergehen, um Wachs-
tum und Beschäftigung zu fördern. Nachhaltige Konsoli-
dierung verbunden mit Technologiepolitik wird dazu
führen, dass Deutschland nach vier Jahren unter dieser
Koalition wiederum besser dasteht. Der Jahreswirt-
schaftsbericht, den wir heute diskutieren, ist ein wichti-
ger Meilenstein dafür.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801401500

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Katharina

Dröge für Bündnis 90/Die Grünen.


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801401600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Gabriel, angesichts der
Rede von Herrn Pfeiffer will ich meine Rede ein biss-
chen sachlicher anfangen: Ihr Jahreswirtschaftsbericht
enthält – das möchte ich sagen – durchaus einige richtige
Analysen. Sie sagen zum Beispiel zu Recht: Deutsch-
land braucht eine stärkere Binnennachfrage. Die Redu-
zierung von ökonomischen Ungleichgewichten in Eu-
ropa ist eine der zentralen Aufgaben bei der Lösung der
aktuellen Krise. Dieser Aufgabe muss sich endlich auch
Deutschland stellen, um die Europäische Union wirt-
schaftlich zu stabilisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Teil des Jahreswirtschaftsberichts ist richtig, Herr
Gabriel. Das Problem an Ihrem Bericht ist allerdings die
fehlende Umsetzung; denn für eine stärkere Binnennach-
frage und eine günstige wirtschaftliche Entwicklung
braucht es höhere Löhne und größere Investitionen,
nicht nur aktuell, sondern auch zukünftig. Was Sie zur
Investitionsförderung vorschlagen, wirkt auf mich je-
doch eher wie der Scheinriese aus dem Kinderbuch Jim
Knopf und Lukas der Lokomotivführer – ich weiß nicht,
ob Sie dieses Buch kennen –: Je näher man Herrn Tur
Tur kommt, desto kleiner wird der Scheinriese.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das kann ich mir bei Herrn Gabriel schlecht vorstellen!)


Da bringt es auch nichts, wenn Sie sich hier – ich formu-
liere es jetzt einmal positiv – doch sehr selbstbewusst
hinstellen und große Ankündigungen machen. Sie müs-
sen sich an Ihren Taten messen lassen, Herr Gabriel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Schlecht [DIE LINKE])


Für die Infrastruktur versprechen Sie 5 Milliarden
Euro. Das klingt erst einmal super. Das Problem ist aller-
dings: Sie wollen diese 5 Milliarden Euro über vier Jahre
investieren. Tatsächlich werden mindestens 7 Milliarden
Euro gebraucht – jährlich. Dasselbe bei den Kommunen:
Auch hier versprechen Sie 5 Milliarden Euro, und zwar
für die Eingliederungshilfe. Dieses Geld soll aber erst
mit dem Bundesteilhabegesetz kommen, und das kommt
wahrscheinlich erst in drei bis vier Jahren, also dann,
wenn Ihre Regierung wahrscheinlich gar nicht mehr im
Amt ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bis dahin planen Sie nur mit 1 Milliarde Euro, und das
werden auch keine zusätzlichen Mittel sein. Da Sie in
der heutigen Debatte noch einmal betont haben, wie
wichtig gerade die Rolle der Kommunen für Investitio-
nen in unserem Land ist, frage ich Sie: Wie sollen die
Städte und Gemeinden investieren, wenn jede dritte
Kommune in diesem Land gar nicht mehr in der Lage
ist, ihre Schulden zu bedienen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Einige Ihrer Vorhaben sind noch nicht einmal Schein-
riesen, sondern einfach gar nicht vorhanden. Ich will ein
Beispiel nennen: die energetische Gebäudesanierung.
Das ist meiner Meinung nach eine der wichtigsten Bau-
stellen der Energiewende. 40 Prozent des Energiever-
brauchs entstehen im Gebäudebereich. Hier gibt es im-
mense CO2-Einsparpotenziale. Gleichzeitig gibt es
große Jobchancen in Deutschland. Die steuerliche För-
derung dieser Maßnahmen kommt in Ihrem Jahreswirt-
schaftsbericht nicht vor. Aus meiner Sicht enthält Ihr Be-
richt noch eine ganze Reihe anderer Themen, die Sie
zwar richtig analysieren, aber bei denen Sie falsch anset-
zen.

Mit Blick auf die Zeit möchte ich noch einen Punkt
ansprechen, der mir sehr wichtig ist, nämlich das EU-
amerikanische Freihandelsabkommen. Ich hatte Sie eigent-
lich darauf ansprechen wollen, dass Ihr 80-seitiger Bericht
nur einen Halbsatz zu diesem Freihandelsabkommen ent-
hält. Da Sie das Thema in dieser Debatte aber angespro-
chen haben, bin ich erst einmal erleichtert; denn Sie ha-
ben erkannt, dass wir im Plenum über dieses Thema
diskutieren sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])







(A) (C)



(D)(B)

Katharina Dröge

Was Sie zum Freihandelsabkommen gesagt haben,
trägt aus meiner Sicht nicht zu der ernsthaften Debatte
bei, die wir dazu führen müssen. Sie hätten nämlich sa-
gen müssen, wie wir es schaffen können, die Umwelt-,
Verbraucher- und Sozialschutzstandards in der Europäi-
schen Union zu sichern. Das hätten Sie erklären müssen.
Denn selbst Herr Bercero, der Chefunterhändler der EU,
der, wie Herr Pfeiffer richtig sagt, am Montag bei uns im
Wirtschaftsausschuss war, hat bestätigt, dass es aktuell
Probleme mit dem Thema Investitionsschutzklausel gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir denken uns das nicht aus. Es geht dabei nicht da-
rum, über Risiken und Chancen zu reden. Das sind reale
Probleme. Ich will daher von Ihnen wissen: Wie sichern
Sie unsere Standards? Wie garantieren Sie, dass wir am
Ende nicht hier im Parlament ein Abkommen beraten
müssen, das zum Abbau dieser Standards führt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Stichworte Wachstumseffekte und Ar-
beitsplatzeffekte im Hinblick auf die TTIP angespro-
chen. Ich möchte wissen, welche Wachstumseffekte es
bei der TTIP denn noch gibt, wenn Sie die Umwelt-,
Verbraucher- und Sozialschutzstandards ausklammern?
Denn ein Großteil der Wachstumseffekte beruht gerade
auf dem Abbau nicht tarifärer Handelshemmnisse. Was
für Wachstumschancen bleiben ohne diese Standards
also noch?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, Sie müssen sich zu dieser Debatte äußern.
Wir müssen dahin gehend konkret miteinander diskutie-
ren. Dieses Thema bewegt die Menschen nämlich gerade
wirklich.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Gabriel, als ich mich auf die Rede vorbereitet
habe, ist mir aufgefallen, dass Sie zufällig genau
25 Jahre älter sind als ich. Da habe ich mir gedacht: In
25 Jahren, wenn ich so alt bin wie Sie jetzt,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


dann hoffe ich, in einem Land zu leben, das heute die
richtigen Entscheidungen getroffen hat, in einem Land,
das nicht unter einem schlecht verhandelten Freihandels-
abkommen leidet, in einem Land, das seine Städte ver-
antwortlich finanziert, und in einem Land, in dem sich
die Menschen und die Wirtschaft darauf verlassen kön-
nen, dass Straßen, Schienen und Brücken nicht zerbrö-
seln.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dafür sorgen wir!)


– Nein, das ist der Job von Herrn Gabriel. – Damit müs-
sen Sie heute anfangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801401700

Liebe Kollegin Dröge, herzlichen Glückwunsch zu

Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Den Termin heute in 25 Jahren halten wir einmal fest.
Dann gucken wir, was daraus geworden ist.


(Heiterkeit – Sigmar Gabriel, Bundesminister: Ich bitte um eine Einladung!)


– Ich denke, alle unmittelbar Angesprochenen dürfen
sich als eingeladen betrachten. Jedenfalls halten wir das
so im Protokoll fest.

Nächster Redner ist der Kollege Johann Saathoff für
die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1801401800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wi stahn d’för, wi mutten d’dör – so würde
ein Ostfriese aus meiner Heimat in seiner Sprache eine
Situation beschreiben,


(Beifall bei der SPD)


in der er vor großen Aufgaben steht und nicht zögern
möchte, diese Aufgaben auch in Angriff zu nehmen.
Diese Beschreibung passt meiner Meinung nach auch
auf den Jahreswirtschaftsbericht 2014 der Bundesregie-
rung, den der Bundesminister für Wirtschaft und Ener-
gie, Sigmar Gabriel, vorgelegt hat.

Wir können mit Fug und Recht, gerade auch mit Blick
auf die europäischen Nachbarn, konstatieren, dass sich
die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt in Deutschland in
guter Verfassung befinden. Trotzdem stehen wir vor ei-
nigen Herausforderungen, die zu bewältigen sind, damit
sich die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik
auch weiterhin positiv im Sinne der Menschen unseres
Landes vollziehen kann.

Eine dieser Herausforderungen ist die Reform des Er-
neuerbare-Energien-Gesetzes, über die ich heute reden
möchte. Es gibt verschiedene Gründe, warum es einer
Reform des EEG bedarf.

Die erneuerbaren Energien in Deutschland sind aus
den Kinderschuhen längst herausgewachsen. Hinsicht-
lich der Maßnahmen zur Einführung sehen wir uns folg-
lich von der Lebenswirklichkeit überholt. Längst haben
wir Ziele erreicht, die vor einigen Jahren noch als ehr-
geizig beschrieben worden wären. 25 Prozent des er-
zeugten Stroms werden mit erneuerbaren Energien pro-
duziert. Das allein beweist den Erfolg der Energiewende
in Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun ist es an uns, die Energiewende in eine neue
Phase zu führen. Der Minister hat dazu in seinen Eck-
punkten die Leitlinien Kosteneffizienz, Wirtschaftlich-
keit, Planbarkeit und Verlässlichkeit formuliert. Was es
bedeutet, wenn Planbarkeit und Verlässlichkeit nicht ge-






(A) (C)



(D)(B)

Johann Saathoff

geben sind, das musste meine Heimat Ostfriesland in
den letzten Jahren schmerzlich erfahren. Circa 2 000
qualifizierte Arbeitsplätze sind bei uns im Bereich der
Offshorewindenergie in den vergangenen zwei Jahren
verlorengegangen. Nicht nur, aber auch deshalb ist es
wichtig, die Ausbauziele in den nächsten Jahren planbar
und verlässlich zu gestalten.

Dabei geht es nicht darum, die erneuerbaren Energien
auszubremsen. Vielmehr geht es darum, den Ausbaukor-
ridor angemessen festzulegen. Durch die Verlängerung
des Stauchungsmodells bis 2019 wird gerade die Ent-
wicklung im Bereich der Offshorewindenergie planbar
und verlässlich gesteuert. Wir benötigen die Windener-
gieanlagen auf See als einen Baustein der Erneuerbaren,
da die Offshorewindenergie mit über 4 000 Volllaststun-
den im Jahr für eine stetige Grundlast sorgt. Die ange-
strebten 6,5 Gigawatt bis zum Jahr 2020 sind ein ehrgei-
ziges Ziel.

Bei der Onshorewindenergie ist mit einem jährlichen
Ausbauziel von 2,5 Gigawatt sozusagen ein atmender
Deckel vorgesehen. Dieses Ziel ist in den letzten zehn
Jahren nur einmal überhaupt übertroffen worden. Des-
halb dient dieses Ausbauziel in erster Linie der Planbar-
keit hinsichtlich der Anpassung der Stromnetze


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und sollte nicht als Beschränkung der erneuerbaren
Energien angesehen werden, Herr Hofreiter. Es bleibt
dabei: Wir wollen bis 2050 einen Anteil von 80 Prozent
erneuerbare Energien im Stromnetz erreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insbesondere weil wir die Energiekosten der Men-
schen im Auge behalten und Energie auch noch in Zu-
kunft bezahlbar halten wollen, werden wir die Überför-
derungen abbauen. Die Überförderungen der letzten
Jahre waren beim Start der Energiewende zwingend er-
forderlich. Bei dem jetzt erreichten Ausbaustand der er-
neuerbaren Energie muss hier nun allerdings ein Umden-
ken einsetzen. Dabei möchten wir, dass die sehr positive
Entwicklung der direkten und indirekten Bürgerbeteili-
gung über Bürgerwindparks oder Bürgerenergiegenos-
senschaften weiter fortgesetzt werden kann.


(Beifall bei der SPD)


Nicht zuletzt hängt auch die Akzeptanz der Bürgerinnen
und Bürger an der direkten Beteiligung bei der Umset-
zung der Energiewende.

Zur Akzeptanz gehört auch Ehrlichkeit. Daher bin ich
dem Minister dankbar, dass er kürzlich klargemacht hat,
dass wir die Kosten für die Verbraucher nicht zulasten
der Energiewende senken werden. Es geht beim weiteren
Ausbau der Energiewende vielmehr darum, einen rasan-
ten Kostenanstieg mit seinen Folgen für die Menschen
zu verhindern. Auch das trägt zur gerade erwähnten Ak-
zeptanz der Energiewende durch die Bürgerinnen und
Bürger bei.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ohne diese Akzeptanz – das muss uns allen klar sein –
würde es extrem schwer werden, die Energiewende umzu-
setzen. Problematisch erscheint mir, wenn bereits an obers-
ter Stelle die Akzeptanz der Energiewende infrage gestellt
wird; über die Bedeutung der Kommunalwahlen in Bayern
für die Energiewende in Deutschland und Europa werden
wir noch in der Aktuellen Stunde debattieren können.


(Beifall bei der SPD)


Unstrittig ist – das hat auch Frau Bundeskanzlerin deut-
lich gemacht –, dass wir die Leitungen brauchen. Beim
Netzausbau lautet die Devise: So viel wie nötig, aber so
wenig wie möglich.

Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben in der gestri-
gen Ausschusssitzung das Struck‘sche Gesetz angespro-
chen. In diesem Zusammenhang würde ich gerne da-
rüber berichten, was man mir in meiner Heimat nach
Bekanntgabe des Eckpunktepapiers mit in den Rucksack
gelegt hat. Bei uns stehen Windparks in einigen Gemein-
den kurz vor der Genehmigung, die nicht nur in den je-
weiligen Gemeinden, sondern auch mit den Gemeinden
und deren Bürgerinnen und Bürgern realisiert werden
sollen. Das sind Projekte, für die bereits Verpflichtungen
eingegangen und Verträge unterschrieben werden muss-
ten. Angesichts des Vorlaufs für Windenergieprojekte
sollten wir uns – das ist meine Meinung – über die Stich-
tagsregelung noch einmal Gedanken machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Energiewende muss auch im europäischen Kon-
text betrachtet werden. Wenn der Sachverständigenrat
die Umsetzung der Energiewende in Deutschland als Al-
leingang bezeichnet, bedeutet das, dass wir vorangegan-
gen sind und damit schon wesentlich mehr Fortschritte
gemacht haben als die anderen Mitgliedstaaten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Vor allem den CO2-Zertifikaten möchte der Sachverstän-
digenrat mehr Bedeutung beimessen. Dass CO2-Zertifi-
kate für den Börsenpreis des Stroms eine wichtige Be-
deutung haben, steht außer Frage. Der Weg zur
notwendigen Reduzierung der Zertifikate ist aber sehr
komplex, und wir haben es in Deutschland nicht allein in
der Hand, wie sich die EEG-Umlage entwickeln wird;
denn über die CO2-Zertifikate wird in Brüssel entschie-
den. Die wenigsten Mitgliedsstaaten wollen dieses
Thema so ambitioniert anfassen wie Deutschland. Des-
wegen sollten wir uns vehement für die 40-prozentige
Reduktion der Zertifikate einsetzen.

Bis zur Verabschiedung des Gesetzentwurfes im Juni
wird noch viel Arbeit auf uns alle zukommen. Vor dieser
Arbeit stehen wir nun, und da müssen wir durch – oder
wie wir Ostfriesen sagen: Wi stahn d’för, wi mutten
d’dör.

Besten Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801401900

Auch Ihnen, Herr Kollege Saathoff, gratuliere ich

herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Ich erlaube mir die Anregung, dass Sie dem schriftli-
chen Protokoll Ihrer Rede für den Anfang und den
Schluss die hochdeutsche Übersetzung hinzufügen,


(Heiterkeit)


um den Kreis derjenigen, die verstehen, was Sie meinen,
etwa mit dem der Wahlberechtigten in Deutschland de-
ckungsgleich zu machen.


(Heiterkeit und Beifall)


Nun erhält der Kollege Andreas Lenz für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1801402000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Soziale
Marktwirtschaft heute – Impulse für Wachstum und Zu-
sammenhalt“ – diesen Titel trägt der Jahreswirtschafts-
bericht 2014, den wir heute diskutieren. Die Bundesre-
gierung legt darin dar, mit welcher konjunkturellen
Entwicklung sie im laufenden Jahr rechnet. Außerdem
wird gezeigt, mit welchen wirtschafts- und finanzpoliti-
schen Maßnahmen zur Erreichung der gesamtwirtschaft-
lichen Ziele – Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäf-
tigungsgrad und außenwirtschaftliches Gleichgewicht
bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum –
beigetragen wird.

Soziale Marktwirtschaft heute: Das besagt, dass die
soziale Marktwirtschaft eben auch heute noch aktuell ist,
dass sie lebt und dass sie Garant bzw. Voraussetzung für
Wohlstand und sozialen Ausgleich ist.

Trotz des schwierigen internationalen Umfelds hat
sich die deutsche Wirtschaft im Jahr 2013 robust entwi-
ckelt. Das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts
betrug 2013 0,4 Prozent. Aufgrund unseres aufnahmefä-
higen und flexiblen Arbeitsmarktes können wir mittler-
weile jedoch auch bei einem moderaten Wachstum gute
Beschäftigungsdaten erzielen. Genau diese Aufnahmefä-
higkeit und Flexibilität müssen wir auch zukünftig erhal-
ten.

Die Prognosen zeigen, dass wir positiv auf die ge-
samtwirtschaftliche Entwicklung blicken können. Für
2014 geht die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbe-
richt von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts
von 1,8 Prozent aus. Politik beginnt eben auch mit der
Betrachtung der Realität, und Statistiken zählen dazu.

Die EU-Kommission erwartet für den Euro-Raum ein
Wachstum von 1,1 Prozent. Deutschland ist damit wie-
der Wachstumslokomotive Europas. Positiv anzumerken
ist dabei, dass der Euro-Raum nach einer Phase der Sta-
gnation wieder auf den Wachstumspfad zurückgekehrt
ist und selbst die Krisenländer erhebliche Fortschritte er-
zielen.

Wir befinden uns also auf einem guten Weg. Es gilt
jedoch, die Rahmenordnung so auszugestalten, dass das
Wachstum tragfähig ist. Deshalb gilt es, den Blick in die
Zukunft zu richten. Status-quo-Denken wäre dabei
schädlich. Ludwig Erhard sagte dazu: „Wohlstand … zu
bewahren, ist noch schwerer, als ihn zu erwerben.“

Die Bundesregierung nennt im Jahreswirtschaftsbe-
richt wichtige Handlungsfelder, um die Grundlage für
Wohlstand, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und
die hohe Lebensqualität in Deutschland zu sichern und
auszubauen. Die soziale Marktwirtschaft ist dabei Richt-
schnur.

Der Beschäftigungseffekt des prognostizierten Wirt-
schaftswachstums wird in 2014 voraussichtlich zu einem
Plus von 240 000 Beschäftigten führen. Damit erwarten
wir mit 42,1 Millionen Menschen, die 2014 erwerbstätig
sein werden, einen neuen Beschäftigungsrekord. Auch
die Bruttolöhne werden steigen, und zwar um 2,7 Pro-
zent.

In der gestrigen Ausgabe des Handelsblatts war zu le-
sen: „Verkehrte Welt in Berlin“. Es wurde darauf Bezug
genommen, dass im Jahreswirtschaftsbericht des Minis-
ters steht, man müsse bei der Lohnentwicklung die Pro-
duktivität beachten. – Meine sehr verehrten Damen und
Herren, das ist keine verkehrte Welt. Das ist ökonomi-
sche Realität. Wenn der Wirtschaftsminister ökonomisch
denkt, dann ist das doch vielmehr eine richtige, eine ver-
nünftige Welt. Dadurch, dass der Wirtschaftsminister
heute schon Walter Eucken zitiert hat, wird klar: Wir
sind wirtschaftspolitisch auf einem guten und richtigen
Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sigmar Gabriel, Bundesminister: Ihr hättet wohl gar nicht gedacht, dass ich den kenne!)


– Ich hätte Ihnen nicht zugetraut, dass Sie ihn kennen.
Andererseits muss ich gestehen, dass ich bei keinem Se-
minar der Gewerkschaften dabei war. Vielleicht können
wir uns diesbezüglich noch austauschen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das kann man nachholen! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Keine unsittlichen Angebote!)


Treiber des Wachstums ist vor allem die binnenwirt-
schaftliche Nachfrageentwicklung. Diese Entwicklung
wird auch dazu führen, dass die Höhe der Importe
schneller wächst als die der Exporte. Damit wird sich der
Leistungsbilanzüberschuss leicht abbauen. Ich hoffe, die
Androhung der EU-Kommission, sich hinsichtlich der
deutschen Exportüberschüsse einzuschalten, ist damit
endgültig vom Tisch. Nichtsdestotrotz müssen die Struk-
turreformen in den Euro-Ländern fortgesetzt werden, um
deren Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft zu stärken.

Um selbst wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir
weiter in Bildung und Forschung investieren. Dabei
muss klar sein, dass der Großteil der Forschungsanstren-






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Andreas Lenz

gungen von der Wirtschaft selbst geleistet wird und eben
nicht vom Staat. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass der
Staat Anreize für Unternehmen setzt, um eben in For-
schung, Innovation und Entwicklung zu investieren.

Deutschland braucht insgesamt mehr Investitionen.
Die Investitionsquote von 17 Prozent ist im internationa-
len Vergleich zweifelsohne zu gering. Aber man muss
eben ganz klar sagen, dass die Wirtschaft selbst die In-
vestitionen leistet und eben nicht nur der Staat investie-
ren kann. Der Staat jedoch investiert in den nächsten vier
Jahren – wir haben es gehört – mit 5 Milliarden Euro
kräftig in die öffentliche Infrastruktur. Es ist wichtig,
dass die Straßen, die Schienen und die Wasserwege ent-
sprechend ertüchtigt werden.

Das klare Bekenntnis zu einem strukturell ausgegli-
chenen Haushalt mit dem Ziel, 2015 einen Bundeshaus-
halt ohne Nettoneuverschuldung aufzustellen, ist ein
wichtiges und richtiges Ziel. Nebenbei bemerkt: Es ist
das im Sinne der Generationengerechtigkeit wichtigste
Ziel, langfristig ausgeglichene Haushalte zu erreichen.
Letztlich entstehen dadurch auch Handlungsspielräume
für mehr staatliche Investitionen.

Die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern
werden bis 2019 neu geregelt. In diesem Zusammenhang
gilt es auch, den Länderfinanzausgleich so zu ändern,
dass die richtigen Anreize für mehr Eigenverantwortung
gesetzt werden. Ebenso gilt, dass finanziell solide ausge-
stattete Kommunen zum Funktionieren eines Gemein-
wesens beitragen und ebenfalls erhebliche Investitions-
leistungen erbringen können. Die Kommunen werden in
den nächsten Jahren um insgesamt 5 Milliarden Euro
entlastet, und zwar vorwiegend durch die Übernahme
der Kosten der Grundsicherung im Alter und die der Ein-
gliederungshilfe. Damit werden auch mehr Investitionen
auf kommunaler Ebene erzielt und realisiert werden kön-
nen.

Trotz der guten Entwicklung am Arbeitsmarkt mit er-
warteten 42,1 Millionen Erwerbstätigen waren laut Bun-
desagentur für Arbeit im Januar dieses Jahres 3,13 Mil-
lionen Menschen arbeitslos gemeldet. Davon sind
1 Million Menschen langzeitarbeitslos. Wir müssen und
wir werden hier größere Anstrengungen unternehmen,
um gerade den Langzeitarbeitslosen eine Chance auf
Wiedereingliederung in das Arbeitsleben zu geben. Da-
her begrüßen wir alle im Bericht genannten integrieren-
den, qualifizierenden Maßnahmen, um besonders diese
Menschen bei der Wiedereingliederung in den Arbeits-
markt zu unterstützen. Ebenso wichtig ist das Bekennt-
nis zu einem flexiblen, atmenden Arbeitsmarkt und fle-
xiblen Arbeitsmarktmodellen. Letztlich bietet auch
Flexibilität Chancen für Arbeit.

Lassen Sie mich zu einem Punkt kommen, der nicht
im Wirtschaftsbericht steht, der jedoch trotzdem erwäh-
nenswert erscheint. Durch die Abwehr von Steuererhö-
hungen,


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Wollte nie jemand!)


insbesondere einer Substanzbesteuerung für kleine und
mittlere Unternehmen, konnten wir den Fortbestand und
die Fortführung der Familienunternehmen langfristig
schützen. – Da bin ich mir nicht so sicher,


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Aber wir sind uns sicher!)


wenn man Ihre Pläne genau anschaut. Das können wir
noch diskutieren,


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Zu spät!)


aber ich glaube, das steht relativ eindeutig im Wahlpro-
gramm.

Es steht zwar in keinem Bericht, dass in Zukunft
keine Substanzbesteuerung erfolgt. Ich glaube aber, es
ist trotzdem ein Erfolg und erwähnenswert.

Eine Steuervereinfachung bleibt ein Dauerthema.
Wünschenswert wären dabei eine Steuerstrukturreform
und das Angehen der kalten Progression.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wichtig ist jedoch auch, Steuerflucht und Steuerver-
meidung auf internationaler Ebene einzudämmen.


(Beifall bei der SPD)


Dazu ist eine bessere Abstimmung national geprägter
Steuerrechtssysteme und der Behörden notwendig.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)


Auf den Finanzmärkten gilt es, Haftung und Risiko
entsprechend den Prinzipien der sozialen Marktwirt-
schaft wieder in Einklang zu bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Im Rahmen der Verhandlungen über Basel III und neuer
Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen gilt es be-
sonders, das dreigliedrige deutsche Bankensystem nicht
infrage zu stellen, sondern langfristig zu erhalten. Auch
dieses Modell aus Genossenschaftsbanken, Sparkassen
und privaten Banken hat während der Krise stabilisie-
rend gewirkt.

Der Bericht heißt „Soziale Marktwirtschaft heute –
Impulse für Wachstum und Zusammenhalt“. Wachstum
heute heißt auch Innovation und Digitalisierung. Innova-
tion ohne Einsatz moderner Informations- und Kommu-
nikationsmedien ist heute nicht mehr vorstellbar. Die Di-
gitalisierung bietet unzählige Chancen für Innovation.
Die Digitale Agenda 2014–2017 ist daher ein richtiges
Signal. Mitentscheidend ist dabei, dass der Ausbau leis-
tungsfähiger Breitbandnetze flächendeckend die Versor-
gung mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde garantiert.

Die im Jahreswirtschaftsbericht aufgezeigten ersten
Schritte sind eine gute Grundlage für die zukünftige
wirtschaftspolitische Arbeit der Bundesregierung. Es
gilt, die Rahmenordnung langfristig so auszugestalten,
dass das Wohlstandsversprechen der sozialen Marktwirt-
schaft aufrechterhalten bleibt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1801402100

Gabriele Katzmarek ist die nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabriele Katzmarek (SPD):
Rede ID: ID1801402200

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht
„Soziale Marktwirtschaft heute – Impulse für Wachstum
und Zusammenhalt“ unterscheidet sich vom Jahreswirt-
schaftsbericht 2013. Er unterscheidet sich dadurch, dass
Akzente für eine gute wirtschaftliche Entwicklung an-
ders gesetzt werden.

Es ist ein Jahreswirtschaftsbericht, der Perspektiven
und Prognosen für zukünftiges Handeln der Bundesre-
gierung aufzeigt und dabei den Menschen in den Mittel-
punkt stellt, der den Fokus auf Investitionen und Innova-
tion legt, der die Zukunft gestaltet,


(Beifall bei der SPD)


um der Verantwortung für die Menschen in unserem
Land gerecht zu werden, wie wir es als SPD versprochen
und im Koalitionsvertrag vereinbart haben.

Wirtschaftspolitik ist auch immer Gesellschaftspoli-
tik: Gut entlohnte Arbeit, Teilhabe und soziale Sicher-
heit sind für eine hohe Lebensqualität der Menschen in
Deutschland grundlegend. Sie setzt gute Bildungsmög-
lichkeiten und lebensbegleitendes Lernen voraus.

Zukunft, wie wir sie verstehen, entsteht nicht im La-
bor, nicht im Reagenzglas. Nein, die Zukunft, die wir
meinen, wird von Menschen, mit Menschen und vor al-
lem für die Menschen gemacht.


(Beifall bei der SPD)


Auch wenn Deutschland auf dem Arbeitsmarkt erheb-
liche Fortschritte gemacht hat, konnten nicht alle Men-
schen – das wissen wir – an der positiven Entwicklung
teilhaben. Mit unsicheren Beschäftigungsverhältnissen
und einer sich nur langsam schließenden Schere bei den
Einkommen werden wir uns als Sozialdemokraten nicht
abfinden.


(Beifall bei der SPD)


Menschen brauchen gute Arbeit mit angemessener Be-
zahlung.

Wir dürfen uns nicht auf der positiven wirtschaftli-
chen Entwicklung ausruhen. Jetzt gilt es, Weichen zu
stellen. Wir setzen deshalb auf Innovation und For-
schung, auf leistungsfähige Infrastrukturen und auf die
Integration von Arbeitskräften. Die im Wirtschaftsbe-
richt angekündigten Maßnahmen finden unsere Zustim-
mung: Förderung des Zugangs beruflich Qualifizierter
zu den Hochschulen, bessere Verzahnung von berufli-
cher und hochschulischer Bildung, Förderung der Wei-
terqualifizierung der Beschäftigten, aber und insbeson-
dere die Verbesserung der Wertigkeit der dualen
Ausbildung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Qualifikation ist und bleibt einer der wichtigsten Fak-
toren zur Teilhabe, zur weiteren Entwicklung und Stär-
kung des Standorts Deutschland. Dabei darf – das ist
sozialdemokratische Position – kein junger Mensch ver-
loren gehen. Insgesamt sind rund 1,4 Millionen junge
Menschen ohne Berufsabschluss. Das muss uns aufrüt-
teln. Da sind wir in der Politik, aber da ist auch die Wirt-
schaft in der Verantwortung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von daher ist es folgerichtig, dass der Ausbildungspakt
zu einer Allianz für Aus- und Weiterbildung weiterent-
wickelt wird.

Ein weiterer Schwerpunkt des Jahreswirtschaftsbe-
richts ist die Digitalisierung der Wirtschaft, der Arbeits-
welt und des gesellschaftlichen Lebens. Sie legt die Ba-
sis für eine Vielzahl von Innovationen. Die im Bericht
angekündigte umfassende digitale Agenda ist deshalb
von besonderer Bedeutung. Der flächendeckende Breit-
bandausbau muss vorangebracht werden. Die Entwick-
lung digitaler Zukunftstechnologien muss gefördert und
die Digitalisierung der klassischen Industrie – hier nenne
ich als Stichwort „Industrie 4.0“ – muss begleitet wer-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Minidrohne, die unsere Buchbestellung in einer
halben Stunde nach dem Klick in unserem Garten landen
lässt, eine Industrie, in der Maschinen im Produktions-
prozess selbst erkennen, wann die Grundprodukte zur
Neige gehen und diese eigenständig beim Zulieferer be-
stellen, Waren, die nicht mehr gefertigt, gelagert und bei
Bedarf geliefert werden, sondern über neue Techniken
direkt vor Ort im Wohnzimmer, in den Werkstätten, bei
den Weiterverarbeitern über 3-D-Drucker hergestellt
werden – verlockende Techniken? Sie bergen Chancen,
aber auch Risiken zugleich. Welche massiven Verände-
rungen diese neue industrielle Revolution auf dem tradi-
tionellen Arbeitsmarkt und bei den Arbeitsbeziehungen
haben wird, können wir heute nur erahnen. Deshalb ist
es wichtig, sich rechtzeitig und umfassend mit ihren
Auswirkungen auseinanderzusetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch eines sagen: Es darf nicht sein, dass wir
Forschung und Entwicklung fördern, das heißt die Kopf-
arbeit in Deutschland, die anschließende Produktion da-
gegen im Ausland stattfindet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen dafür sorgen, dass Wertschöpfungsketten in
Deutschland bleiben. Sozialer Fortschritt, Teilhabe, ein
besseres Leben mit guter Arbeit in einer intakten Um-
welt und nicht alleiniges Setzen auf Wettbewerb und un-
gezügelte Marktwirtschaft, das ist unser Zukunftsbild.
Dafür stehen wir mit unserer Politik als Sozialdemokra-
ten.






(A) (C)



(D)(B)

Gabriele Katzmarek


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801402300

Sehr geehrte Kollegin Katzmarek, das war Ihre erste

Rede hier im Hohen Hause. Ich beglückwünsche Sie
dazu und wünsche Ihnen viele weitere erfolgreiche Re-
den.


(Beifall)


Nächster Redner für die CDU/CSU ist der Kollege
Andreas Lämmel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1801402400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Einer muss der Letzte sein, aber ich habe gerade
festgestellt, dass ich das gar nicht bin. Das ist auch gut.
Also, ich bin der Vorletzte.

Wenn man die heutige Diskussion über den Jahres-
wirtschaftsbericht verfolgt hat, dann musste man den
Eindruck gewinnen, dass Ihnen, Herr Minister, die Oh-
ren geklungen haben angesichts des Lobes, das Ihrem
Haus und Ihnen entgegengebracht wurde. Gestern haben
Sie im Ausschuss gesagt, Sie seien Marktwirtschaftler.
Das haben wir alle gehört. Das lässt auf eine gute Zu-
sammenarbeit hoffen.

Die Redner haben heute ganz überwiegend festge-
stellt, dass die Situation in Deutschland gut ist. Das ist,
glaube ich, Konsens in diesem Haus, bis auf die Fraktion
der Linken, die mit ihren links-halbradikalen Spinne-
reien nach wie vor versucht, Verwirrung zu stiften.


(Lachen bei der LINKEN)


Sie haben mit Ihren Theorien schon eine ganze Volks-
wirtschaft gegen die Wand gefahren. Das wollen wir
nicht noch einmal mit Ihnen erleben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])


Auch die guten Beschäftigungszahlen zeigen – auch
das ist Konsens in diesem Hause –, dass Deutschland in
den letzten Jahren einen sehr erfolgreichen Weg gegan-
gen ist. Wer sich die ersten Seiten des Jahreswirtschafts-
berichts anschaut, der stellt fest, dass 47 Handlungsfel-
der dargestellt sind, mit denen wir es in den nächsten
Jahren zu tun haben werden.

Eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung
braucht Unternehmer. Wir müssen leider feststellen, dass
die Zahlen von Unternehmensgründungen in den letzten
Jahren stark rückläufig waren. Das hat viele Gründe,
über die man diskutieren muss. Das fängt aus meiner
Sicht schon in der Schule an. Wenn die Lehrer Unterneh-
mer als Ausbeuter darstellen, was soll denn dann junge
Menschen motivieren, sich nach der Schule selbststän-
dig zu machen? Über das Verhältnis von Schule und
Wirtschaft muss man diskutieren. Ich denke, hier gibt es
viele Ansätze, um bei jungen Leuten die Motivation zu
wecken, sich später einmal selbstständig zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zu dem Thema Investitionen kom-
men. Herr Heil, Sie hatten die kritische Situation vor al-
lem bei den Investitionen der Wirtschaft angesprochen.
Das ist wirklich so, und das ist hochdramatisch. Wenn
man sich den Zeitverlauf seit 2005 anschaut, dann stellt
man fest, auf welch niedrigem Stand sich die Investitio-
nen befinden. Dazu muss ich sagen: Die DDR ist zu-
grunde gegangen, weil der Kapitalstock völlig aufge-
zehrt und ruiniert gewesen ist.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Von den Funktionären da!)


– Wegen dieser Funktionäre, ganz genau. – Darüber
muss man diskutieren. Ich denke, es wird die Aufgabe
der nächsten Wochen und Monate sein, herauszufinden,
warum die Unternehmen so wenig investieren. Was ist
denn der Grund? Sind das die zu hohen Arbeitskosten,
sind das die zu hohen Energiekosten, sind das die Rah-
menbedingungen insgesamt, die nicht stimmen? Es muss
einen Grund geben, und wir sollten das Problem sehr
ernst nehmen; denn nicht getätigte Investitionen sind im-
mer ein Grund dafür, dass man schnell zurückfallen
kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt komme ich zum Thema der guten Fachkräfte.
Das Vorhandensein von Fachkräften ist ein Grund für
den wirtschaftlichen Erfolg der letzten Jahre. Hierzu
muss man sagen: Gute Fachkräfte gibt es dann, wenn die
Ausbildung gut ist. Wir in Deutschland haben das duale
System. Dieses duale System ist der Erfolgsgarant. Des-
wegen müssen wir das duale System in Deutschland
stärken. Wir dürfen es nicht aushöhlen lassen. Wir müs-
sen es natürlich auf die Erfordernisse der Zukunft aus-
richten, aber wir müssen an dem dualen System festhal-
ten und dürfen uns nicht von irgendwelchen Leuten
einreden lassen, dass man etwa auf den Meisterbrief ver-
zichten kann. Das sind gerade die Garanten für den Er-
folg, und die dürfen wir uns nicht aus der Hand schlagen
lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Herr Minister, bei einer Sache sehe ich die Welt schon
etwas skeptischer als Sie; das ist das Thema Mindest-
lohn. Der ist nun im Koalitionsvertrag beschlossen.
Trotzdem halte ich persönlich es nach wie vor für falsch,
dass wir als Politiker in die Tariffindung eingreifen sol-
len.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


In diesem Zusammenhang stoße ich auf die Aussage im
Jahreswirtschaftsbericht, dass Produktivität und Lohn-
höhe korrespondieren müssen. Das ist, glaube ich, die
entscheidende Aussage; denn wenn man das in eine ma-
thematische Formel übersetzt, heißt das eigentlich, dass
dann, wenn eine gewisse Produktivität nicht erreicht
werden kann, auch der entsprechende Lohn nicht gezahlt
werden kann.






(A) (C)



(D)(B)

Andreas G. Lämmel

Was raten Sie einer Unternehmerin, die in einem
strukturschwachen Gebiet, etwa im Erzgebirge, aktiv
ist? In meinem konkreten Fall beschäftigt sie 25 Frauen,
sie stellt hochwertige Verpackungen her, und sie ist die
letzte in Deutschland verbliebene Herstellerin solcher
Verpackungen. Alle anderen deutschen Hersteller lassen
in China produzieren. Diese Dame hat es mir genau er-
klärt. Sie hat sich in China angeschaut, wie dort produ-
ziert wird. Sie sagte zu mir: Herr Lämmel, Sie beschlie-
ßen den Mindestlohn im Deutschen Bundestag. Was
würden Sie mir denn jetzt empfehlen? Soll ich meine
25 Arbeitnehmerinnen entlassen? Soll ich meinen Be-
trieb schließen? Soll ich nach China gehen? Wie stellen
Sie sich das vor? Was ist Ihre Antwort darauf? – Ich
muss schon sagen: Das sind sehr schwierige Fragen, die
da gestellt werden.

Wenn hochbezahlte Gewerkschaftsfunktionäre durch
das Land tingeln – ja, Herr Heil, genau so ist es gewe-
sen –


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Na, na, na! Vorsicht!)


und behaupten: „Alle Unternehmer, die keinen Mindest-
lohn zahlen, sind überflüssig“, dann ist die Welt für mich
schon ein bisschen verdreht. Mindestlöhne zu zahlen,
das mag in manchen Bundesländern kein Problem sein
– in Bayern oder in Baden-Württemberg; dort braucht
man darüber vielleicht überhaupt nicht zu diskutieren –;
aber Deutschland ist eben größer. Deswegen haben wir
uns sehr dafür eingesetzt, dass bei der Diskussion um
den Mindestlohn bedacht wird: Wir brauchen regionale
Differenzierungen. Wir brauchen längere Übergangsfris-
ten, und wir brauchen auch Ausnahmen von dieser Min-
destlohnregelung.


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Nein!)


Insofern bin ich sehr gespannt. Es gibt ja noch keinen
Gesetzentwurf, der uns auf dem Tisch liegt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es gibt einen Koalitionsvertrag!)


Ich will Ihnen bloß sagen, Herr Minister: Das Ganze
ist nicht so einfach. Sie werden das sehen. Sie werden si-
cherlich gelegentlich auch einmal in die Ostgebiete rei-
sen.


(Zuruf von der SPD: In die „Ostgebiete“?)


Dort wird Ihnen dieses Thema sicherlich sehr differen-
ziert dargelegt werden; denn es ist für viele Branchen,
gerade in Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom-
mern, ein Riesenproblem. Es liegt eben nicht an der Bös-
willigkeit von Unternehmen, dass sie den Mindestlohn
nicht zahlen wollen. Es liegt vielmehr genau an der Be-
dingung, die Sie im Jahreswirtschaftsbericht formuliert
haben: Produktivität und Lohnhöhe müssen korrespon-
dieren. – Das ist aus meiner Sicht in der Diskussion um
den Mindestlohn immer zu beachten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mein letzter Punkt – er erscheint mir sehr wichtig; ich
denke, da haben wir insgesamt keinen Dissens –: Die
Stärkung der Innovationskraft unseres Landes muss
oberste Priorität haben. Sie, Herr Minister, werden diese
Frage berücksichtigen müssen, wenn Sie den Haushalts-
entwurf für 2014 und bald auch für 2015 vorlegen wer-
den. Wie gesagt, ich denke, darüber sind wir nicht so
sehr im Dissens, dass man die industrienahe Forschung
und die industrienahe Entwicklung auf hohem Niveau
fortführen muss. Denn gerade das ist ja sozusagen der
Vorlauf für zukünftige Erfolge der deutschen Wirtschaft.

Meine Damen und Herren, wenn man das zusammen-
fasst, dann kann man sagen: Der Jahreswirtschaftsbe-
richt ist eine hervorragende Grundlage, um weiter über
die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land zu dis-
kutieren. Ich empfehle jedem, sich die 47 Handlungsfel-
der vorzunehmen; denn sie enthalten den Stoff für die
Politik der nächsten Jahre. Das wird im Wirtschaftsaus-
schuss und in den entsprechenden Gremien weiterhin
wichtig sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801402500

Danke, Herr Kollege Lämmel. – Nächster Redner ist

für die SPD der Kollege Ulrich Freese.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulrich Freese (SPD):
Rede ID: ID1801402600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist – auch
nach zwei Stunden und zehn Minuten – immer so: Einer
muss abbinden. In meiner Region sagt man hin und wie-
der: Den Letzten beißen die Hunde.

Ich will als Gewerkschafter, der sein ganzes Leben
lang in industriellen Prozessen, ob als arbeitender oder
als entscheidender Mensch, gestanden hat, den Jahres-
wirtschaftsbericht 2014 aus einer anderen Betrachtungs-
richtung angehen. Ich darf, mit Ihrem Einverständnis,
Herr Präsident, aus diesem Jahreswirtschaftsbericht zi-
tieren:

Deutschlands Stärken liegen in einer mittelstän-
disch geprägten und international wettbewerbsfähi-
gen Wirtschaft, deren Kern auch weiterhin eine mo-
derne, dynamische Industrie ist.

Mit diesem Zitat, meine sehr verehrten Damen und
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bekennt sich
die Bundesregierung, bekennt sich der Bundesminister
für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, sehr eindeu-
tig zum Industriestandort Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit einem geflügelten Berliner Wort will ich an-
schließen: Und das ist auch gut so. Denn mit knapp ei-
nem Viertel der Bruttowertschöpfung ist das innovative
und hochproduktive verarbeitende Gewerbe nach wie
vor unbestritten das Rückgrat unserer Wirtschaft. Mit
der Qualität ihrer Produkte trägt die Industrie wesentlich
zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit und zu unse-






(A) (C)



(D)(B)

Ulrich Freese

rem Wohlstand bei; meine Kollegin Gabriele Katzmarek
hat darauf verwiesen. Nur dann, wenn wir erfolgreich
wirtschaften, nur dann, wenn wir Rohstoffe gewinnen,
sie veredeln und die daraus hergestellten Produkte ver-
kaufen, werden wir in der Lage sein, gesellschaftliche
und soziale Entwicklungen in der Bundesrepublik
Deutschland auch weiterhin ordentlich und vernünftig zu
gewährleisten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb ist wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik
immer auch Industriepolitik; sie muss es auch sein. Viele
von Ihnen haben, wenn sie an Industrie denken, immer
nur große Unternehmungen im Kopf. Wenn ich über In-
dustrie rede, dann meine ich nicht ausschließlich Kon-
zerne oder Großunternehmen; denn ein Viertel aller
Beschäftigten arbeitet in kleinen und mittleren Unter-
nehmen im industriellen Netzwerk. Konzerne und indus-
trieller Mittelstand arbeiten gemeinsam mit vor- und
nachgelagerten Dienstleistern eng und erfolgreich zu-
sammen. Das sind Voraussetzungen für eine lange, in-
takte Wertschöpfungskette, die auf gewachsenen festen
Strukturen beruht. Viele kleine Mittelständler eroberten
aus Deutschland heraus in schmalen Segmenten Markt-
anteile in ungeahnten Ausmaßen. Viele von uns kennen
mittelständische Unternehmen, die Absätze in der Ferne
haben und ohne diese Absätze dauerhaft nicht leben kön-
nen.

Alle diese industriellen Bereiche, alle diese industriel-
len Netzwerke, die auf internationalen Märkten tätig
sind, haben an uns, die wir hier politische Verantwortung
tragen, einen sehr hohen Anspruch: nämlich die Rah-
menbedingungen zu setzen, damit sie auf internationalen
Märkten mit ihren Produkten weiterhin wettbewerbsfä-
hig sein können. Eine der Megaaufgaben – sie ist von
meinem Kollegen Saathoff und von anderen Diskutanten
schon beschrieben worden – wird sein, unsere Energie-
wende so zu gestalten, dass deutsche industrielle Pro-
duktion auf internationalen Märkten keine Chancen ver-
liert, sondern ihre Chancen erhält und so zum Wohlstand
in Deutschland beitragen kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb, Herr Minister, lieber Sigmar Gabriel, ist es
richtig und wichtig, dass in den letzten Tagen Gespräche
mit dem BDI und mit den Gewerkschaften mit dem Ziel
stattgefunden haben, sich über Fragen auszutauschen
wie: Wie gehen wir mit der Befreiung energieintensiver
Unternehmen mit hoher Handelsintensität von der EEG-
Umlage zukünftig um, und wie sichern wir, dass nicht
durch Strompreise, die für die Industrie, für die wert-
schöpfende Wirtschaft in Deutschland wesentlich höher
sind als in anderen Ländern, Wettbewerbschancen ver-
nichtet werden? Und welche Vereinbarungen werden wir
dazu treffen?

Gleichzeitig, meine Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, lieber Sigmar Gabriel, ist natürlich
die Eigenstromproduktion beim EEG mit zu beachten.
Viele Unternehmungen, die ich kenne – Sie kennen sie
auch –, haben in der Vergangenheit auf Eigenstrompro-
duktion umgestellt – aus unterschiedlichen Gründen: aus
Gründen der Versorgungssicherheit und der Bezahlbar-
keit etwa. Das, was sich im Bereich der Eigenstrompro-
duktion entwickelt hat oder im Bau ist, muss wie vieles
andere in den Vertrauens- und Bestandsschutz einbezo-
gen werden; ansonsten leisten wir der industriellen Ent-
wicklung, der wirtschaftlichen Entwicklung einen Bä-
rendienst.

Über gute Arbeitsverhältnisse, weitere Rahmenbedin-
gungen und Innovation ist in erheblichem Maße geredet
worden. Ich will, da meine Zeit gleich abläuft, zwei Be-
merkungen zu Diskutanten aus unserer Runde machen.

Herr Lämmel, zum Thema Mindestlohn haben Sie ein
Unternehmen als Beispiel angeführt. Das ist ein einziger
Betrieb, der dadurch möglicherweise gefährdet ist.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Sie wissen doch genau, wie es ist!)


Aber es gibt viele Unternehmensverbände in Deutsch-
land, die dringend darauf warten, dass wir endlich poli-
tisch handeln. Denn Tarifverträge oder Mindestlöhne
setzen auch faire Rahmenbedingungen für einen Wettbe-
werb der Unternehmen untereinander.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie verhindern, dass ein Wettbewerb zulasten der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer unter dem Stichwort
„Sozialdumping“ betrieben wird.


(Beifall bei der SPD)


Ein zweites Thema will ich gerne aufgreifen, das Herr
Pfeiffer vorgetragen hat. Es ging um ein sauerländisches
Unternehmen, in dem Arbeitnehmer hochqualifizierte
Arbeit leisten. Meine tiefste Überzeugung ist: Die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen ja nicht alle
mit 63 Jahren von der Arbeit weg. Es gibt auch Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich wohlfühlen,
weil die Rahmenbedingungen gut sind und sie hochwer-
tige, qualifizierte Tätigkeiten ausüben. Sie werden nicht
mit 63 in Rente gehen. Aber es gibt Tausende, Zehntau-
sende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die
aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen gar nicht in der Lage
sind, das originäre Renteneintrittsalter – sei es 65 oder
67 Jahre – zu erreichen. Sie gehen möglicherweise – das
zeigt der Anstieg der Zahl derjenigen, die eine Erwerbs-
unfähigkeitsrente beziehen – in den Bezug von Erwerbs-
unfähigkeitsrenten. Von daher ist das, worauf wir uns
gemeinsam verständigt haben, ein intelligentes Instru-
mentarium, um den Übergang von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern aus den Betrieben in die Rente in
beiderseitigem Interesse – in unternehmerischem Inte-
resse und auch im Arbeitnehmerinteresse – flexibel zu
organisieren.

Ich weiß, meine Redezeit ist zu Ende. Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren, ich darf mich für Ihre Auf-
merksamkeit bedanken und freue mich auf spannende,
anregende Diskussionen in den Ausschüssen, in denen
ich tätig bin, insbesondere im Ausschuss für Wirtschaft
und Energie.






(A) (C)



(D)(B)

Ulrich Freese

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801402700

Vielen Dank, Herr Kollege Freese. Das war Ihre erste

Rede in diesem Hohen Hause. Ich beglückwünsche Sie
dazu. Sie haben Ihre Rede mit der Bemerkung einge-
führt, dass Sie diese wichtige Debatte „abbinden“. Ich
bin mir sicher, Sie werden bald auch derart wichtige De-
batten eröffnen. Alles Gute!


(Beifall)


Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/497. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken
abgelehnt.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/495, 18/94 und 18/493 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 4 sowie den
Zusatzpunkt 2 auf:

4 Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in

(International Security Assistance Force, ISAF)

auf Grundlage der Resolution 1386 (2001)

und folgender Resolutionen, zuletzt Resolu-
tion 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen

Drucksache 18/436
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsauschuss gemäß § 96 der GO

ZP 2 Unterrichtung durch die Bundesregierung

Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan
2014

Drucksache 18/466
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
letzte Mal entscheiden wir über die Verlängerung des
ISAF-Mandates für Afghanistan. Der längste, härteste
und opferreichste Kampfeinsatz der Bundeswehr geht
nach zwölf Jahren am Ende dieses Jahres zu Ende. Ich
bin sicher: Über Erfolg oder Misserfolg werden wir auch
in diesem Hause noch streiten. Das muss auch so sein.
Lessons learned, das gehört dazu. Wir müssen analysie-
ren – auch im Hinblick auf künftige Auslandseinsätze –:
Was lässt sich eigentlich erreichen, was aber auch nicht?
Das zu bewerten, ist Aufgabe der Öffentlichkeit und
auch Aufgabe dieses Parlaments.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das darf uns alles
aber nicht vergessen lassen, dass es Angehörige der
Bundeswehr, vieler ziviler Hilfsdienste, Polizisten und
Diplomaten waren, die in diesen letzten zwölf Jahren
den Kopf in Afghanistan hingehalten haben. Deshalb
vorab mein herzlicher Dank den Tausenden, die in die-
sen zwölf Jahren, von 2002 bis 2014, in Afghanistan
mehr als ihre Pflicht getan haben. Herzlichen Dank da-
für!


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich ahne es natürlich: Manche werden sagen – viel-
leicht schon heute –: Zwölf Jahre Einsatz in Afghanis-
tan – zwölf verlorene Jahre.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


– Ja, ich habe es erwartet.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein Pawlow’scher Reflex ist das!)


Ich warne nur davor, so reflexhaft zu agieren. Wer erinnert
sich eigentlich noch, wie das damals begann? 3 000 Tote
beim Anschlag auf das World Trade Center, Anschläge is-
lamistischer Attentäter auf Bali, Djerba und in Casablanca:
Überall dort sind auch Deutsche zu Opfern geworden.

Haben auch wir nicht damals befürchtet, dass das,
was da in Amerika seinen Ausgang genommen hat, bei
uns in Europa ankommen könnte, dass auch Menschen
in Berlin, Hamburg oder München zu Opfern werden
könnten? Europa ist nicht verschont geblieben. Hunderte
sind bei den Anschlägen in London und Madrid gestor-
ben. Wir in Deutschland sind verschont geblieben, aber
die Angst, ob es Gesinnungsgenossen der Hamburger
Attentäter geben könnte, die vielleicht in Köln, Ulm,
Frankfurt oder anderswo zuschlagen könnten, war doch
auch hier unter uns. Damals war die Bedrohung jeden-
falls nicht abstrakt, sie wurde gefühlt. Sie kam von






(A) (C)



(D)(B)

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier

Attentätern, deren Blutspur ihren Ausgang in den Trai-
ningscamps von Tora Bora oder anderswo in Afghanis-
tan nahm.

Ja, vielleicht haben wir nicht an jedem Tag alles rich-
tig gemacht in Afghanistan; das kann sein. Aber aus
meiner Sicht wäre es zynisch gewesen, nichts zu tun, an-
dere vorzuschicken, um den Ausbildern des Terrors ihr
Handwerk zu legen, aber selbst hier in Deckung zu blei-
ben. Es ging auch um den Schutz unserer Bürger hier in
Deutschland.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb haben wir uns gemeinsam mit 40 anderen
Nationen entschieden, nach Afghanistan zu gehen. Vie-
les von den hehren Zielen, die auf dem Bonner Peters-
berg vereinbart worden sind, mögen wir nicht erreicht
haben. Aber jedenfalls ist Afghanistan heute nicht mehr
die Ausbildungszentrale für weltweiten islamistischen
Terrorismus.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr genau!)


Wenigstens das ist erreicht. Wer die Jahre des Terrors
und die Toten nicht vergessen hat, liebe Freunde, der
weiß auch: Schon damit ist viel erreicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt sind zwölf Jahre seit Beginn des Einsatzes in Af-
ghanistan vergangen. Dieses Jahr 2014 ist ein Schlüssel-
jahr. Die internationalen Streitkräfte beenden ihren
Kampfeinsatz, ein neuer Präsident wird gewählt, und am
Ende dieses Jahres wird Afghanistan die volle Verant-
wortung für die eigene Sicherheit im Land übernehmen.
Während sich gegenwärtig Tausende von ISAF-Soldaten
in Kabul, Herat, Kandahar, Masar und anderswo auf den
Rückweg in die Heimat vorbereiten, bleibt für uns die
Frage: Haben sich die Anstrengungen, der Einsatz von
finanziellen Mitteln, die Opfer und die politischen Risi-
ken gelohnt? Mit Blick auf das Ende des Jahres stellt
sich aber vor allem die Frage: Wie sichern wir eigentlich
das, was mit vielen Mühen in Afghanistan auf den Weg
gekommen ist?

Nun ist üblich geworden, kleinzureden, was auf den
Weg gekommen ist. Nach zwölf Jahren Einsatz – in fast
jedem Jahr begleitet durch viele schlechte Nachrichten –
hat sich das Interesse der Öffentlichkeit von Afghanistan
etwas abgewandt. Die Bilanz, die wir für Afghanistan zu
ziehen haben, ist gemischt; sie ist nicht eindeutig. Aber
geschönte Bilanzen helfen in der öffentlichen Debatte,
die wir vor uns haben, überhaupt nicht weiter. Die Hoff-
nungen von Petersberg sind in der einen oder anderen
Hinsicht unerfüllt geblieben. Es ist nicht einmal garan-
tiert, dass das, was in Afghanistan in den letzten zwölf
Jahren entstanden ist, so bleibt. Das ist aber gerade das
Entscheidende. Was uns in den letzten Jahren aus dem
Blick geraten ist, ist für die Menschen in Afghanistan,
die 30 oder mehr Jahre Krieg und Bürgerkrieg hinter
sich haben, überlebenswichtig. Wir haben dort Schulen,
Straßen und Brunnen gebaut. Wir haben dabei geholfen,
dass 10 Millionen Kinder zur Schule gehen – von diesen
10 Millionen Kindern sind etwa 40 Prozent Mädchen –
und heute der elektrische Strom in Kabul stabiler fließt
als auf der anderen Seite der Grenze, in Pakistan. In vie-
len Regionen in Afghanistan gibt es eine medizinische
Basisversorgung, die nicht an unseren Maßstäben ge-
messen werden kann, die aber dazu geführt hat, dass die
Kindersterblichkeit deutlich gesunken ist.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auch die Müttersterblichkeitsrate!)


Am Wochenende bin ich auf dem Flughafen Masar-i-
Scharif gelandet. Er wurde jahrelang militärisch genutzt.
Wir haben ihn für die zivile Nutzung vorbereitet für den
Zeitpunkt, in dem die deutschen Soldaten dort abziehen.
Es ist der einzige Flughafen, jetzt auch Zivilflughafen, in
ganz Nordafghanistan und deshalb ein Wirtschaftsfaktor
mit ganz erheblichem Potenzial.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Da, wo wir konnten, haben wir geholfen, dass so et-
was wie eine wache Zivilgesellschaft entsteht. Wir un-
terstützen junge Afghanen und noch mehr junge Afgha-
ninnen, die ihre Gesellschaft moderner und offener
machen wollen, immer noch gegen harte Widerstände.
Ich darf Ihnen nach meinem letzten Besuch versichern:
Auch das trägt Früchte. Die Vorbereitungen der Wahlen
belegen, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt Eintra-
gungen in die Wahllisten gibt, wie es sie in diesem Um-
fang in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Es gibt
ziemlich gute technische Vorbereitungen, Diskussionen
zwischen den Kandidaten in Hallen und im Fernsehen,
wie man es auch bei westlichen Wahlkämpfen sieht.

Das alles, meine Damen und Herren, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, mag für viele bei uns zu wenig sein.
Aber das, was ich berichtet habe, ist für die Afghanen
unheimlich viel. Das verdient verteidigt zu werden. Da-
für sollten wir einstehen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn ich sage, dass das verteidigt werden muss, dann
meine ich nicht in erster Linie uns. Es muss vor allen
Dingen von den Afghanen selbst verteidigt werden. Ich
finde, wir sollten den Afghanen über dieses Jahr hinaus
zur Seite stehen, aber anders als in den letzten zwölf Jah-
ren, in geringerem Umfang, nicht mehr mit Kampfauf-
trag, aber unterstützend, damit die Afghanen den Über-
gang von fremder Verantwortung im eigenen Land hin
zu eigener Verantwortung organisiert bekommen. Das
sind wir nicht nur den Afghanen schuldig, sondern auch
uns selbst.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn wir über ein Engagement nach dem Ende von
ISAF nachdenken, dann hat das Voraussetzungen. Da-
rüber habe ich am Wochenende mit Präsident Karzai an-
derthalb Stunden lang gesprochen. Wir haben auch über
die Sicherheitslage gesprochen, die trotz größter afgha-






(A) (C)



(D)(B)

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier

nischer Anstrengungen nicht überall unter Kontrolle ist.
Das kann man daran sehen, dass die Zahl der afghani-
schen Sicherheitskräfte nach wie vor erfreulich steigt.
Aber tragisch ist die Zahl der Verluste. Im Jahr 2013 sind
fast 5 000 afghanische Polizisten und Soldaten bei der
Ausübung ihrer Tätigkeit ums Leben gekommen. Das
zeigt, dass die Bedrohung durch radikale Kräfte im Land
weiterhin virulent ist. Natürlich können im Umfeld der
Präsidentschaftswahlen – das will ich nicht verschwei-
gen – alte Konflikte längs der alten ethnischen Grenzen,
die wir noch in Erinnerung haben, jederzeit wieder auf-
brechen. Ich habe deshalb dem Präsidenten in diesem
langen Gespräch gesagt: Wir sind, wahrscheinlich ge-
meinsam mit unseren Partnern in Europa, gern bereit,
den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan weiterhin zu
unterstützen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch die Er-
tüchtigung von Sicherheitskräften, Armee und Polizei, in
Afghanistan. Aber diese Bereitschaft ist natürlich an Vo-
raussetzungen geknüpft. Erstens müssen wir willkom-
men sein. Das sind wir, glaube ich; jedenfalls versichern
das alle. Aber es reicht nicht aus, willkommen zu sein.
Darüber hinaus brauchen wir zweitens Rahmenbedin-
gungen, auch Sicherheitsrahmenbedingungen, die einen
Aufenthalt nach 2014 erlauben.

Der Schlüssel zu diesen Sicherheitsrahmenbedingun-
gen – das wissen Sie – ist das bilaterale Sicherheitsab-
kommen zwischen Afghanistan und den USA. Nur wenn
der Kern stimmt, wenn 8 000 bis 10 000 US-amerikani-
sche Soldaten über 2014 hinaus in Afghanistan sind,
dann sind wir in der Lage, darüber nachzudenken, tat-
sächlich Aufgaben im Rahmen der Ausbildung, des Trai-
nings und der Beratung der afghanischen Sicherheits-
kräfte zu übernehmen. Deshalb habe ich Karzai in aller
Offenheit und Klarheit gesagt: Es mag ein bilaterales
Abkommen zwischen Afghanistan und den USA sein,
aber es ist für uns die Voraussetzung dafür, über eine
weitere Unterstützung in Afghanistan nachzudenken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wie Sie wissen, ist das Abkommen bisher nicht unter-
zeichnet. Ich habe die Gründe und mögliche Lösungs-
wege mit Karzai besprochen. Aber der Stand ist – das
will ich Ihnen in aller Offenheit sagen –: Es gibt keinen
festen Zeitplan für die Unterschrift. Karzai hat zu meiner
Zufriedenheit sehr eindeutig erklärt, Afghanistan werde
unterschreiben, aber es gebe bisher keinen Zeitplan für
die Unterschrift. Ich habe deshalb gesagt – weil man das
in einer solchen Situation sagen muss –, dass wir als
Bundesregierung nicht nur die Öffentlichkeit in
Deutschland, sondern auch dieses Parlament davon
überzeugen müssen, dass die Fortsetzung des Engage-
ments in Afghanistan notwendig ist.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801402800

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ströbele?

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Ja.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister Steinmeier, hat Ihnen Präsident Karzai
in dem langen Gespräch, das Sie mit ihm geführt haben,
erläutert, warum er nicht unterschreibt? Hat er insbeson-
dere darauf hingewiesen, dass Afghanistan gemäß die-
sem Abkommen – es wird ja immer so abstrakt darge-
stellt – vor allen Dingen gegenüber den US-Soldaten auf
eine ganze Reihe von Souveränitätsrechten verzichtet,
dass er, weil das in der letzten Zeit immer wieder pas-
siert ist, mit einer gewissen Berechtigung befürchtet,
dass die US-Truppen, die nach dem eigentlichen Abzug
in Afghanistan bleiben, eigentlich machen können, was
sie wollen, und zum Beispiel Aktionen durchführen, bei
denen wieder Zivilisten, Frauen, Kinder getötet werden?
Wie hat er denn erklärt, dass er die Unterzeichnung hi-
nauszögert? Hat er vielleicht gesagt: „Ich kann mit den
Taliban nicht verhandeln, wenn ich gleichzeitig ein sol-
ches Abkommen unterschreibe, das ein weiteres militäri-
sches Vorgehen der USA ermöglicht.“?


(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Herr Kollege Ströbele, umgekehrt wird ein Schuh
draus. Natürlich haben wir das in aller Ausführlichkeit
miteinander besprochen. Auch mich hat interessiert, ob
das Zögern bei der Unterschrift darauf zurückzuführen
ist, dass entweder einzelne Teile des Abkommens noch
umstritten und weiter verhandlungsbedürftig sind, oder
ob sich nach der Aushandlung der Vereinbarung Um-
stände ergeben haben, die bei diesem Abkommen, bei
diesem Agreement zusätzlich zu berücksichtigen sind.
Er hat mir eindeutig erklärt, das Abkommen sei ausge-
handelt, es werde auch nicht ergänzt. Die Loya Jirga
habe dem Abkommen zugestimmt. Insofern gehe es
nicht um den Inhalt der getroffenen Vereinbarung. Es
gehe um eine Rahmenbedingung, die vor der Unter-
schrift erfüllt sein müsse, und das sei in der Tat, dass der
innerafghanische Versöhnungsprozess unter Einbezie-
hung der radikalen Kräfte, auch der Taliban, seinen Auf-
takt genommen haben müsse. Dieses sicherzustellen, da-
rum geht es ihm und anderen in den nächsten Tagen und
Wochen. Ich hoffe, dass das bald dokumentiert werden
kann, damit die Unterschrift erfolgt. – Vielen Dank, Herr
Ströbele.

Ich habe dem afghanischen Präsidenten jedenfalls
sehr deutlich gesagt: Wenn wir im Deutschen Bundestag
über ein Nach-ISAF-Engagement sprechen, dann scheint
das aus afghanischer Sicht etwas Selbstverständliches zu
sein; aber für die deutsche Öffentlichkeit ist es das kei-
neswegs. Bei der Unterschrift geht es um eine Frage der
Glaubwürdigkeit. Die Unterschrift unter das bilaterale
Security Agreement ist deshalb so wichtig, weil wir nur
dann in die Detailplanung des möglichen Engagements
für die Jahre 2015 und folgende eintreten können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin am Schluss
meiner Rede. Ich habe zum letzten Mal vor fünf Jahren,
im Jahre 2008, von diesem Pult aus um Zustimmung für
ein ISAF-Mandat gebeten. Ich erinnere mich noch gut an






(A) (C)



(D)(B)

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier

die Debatte, die wir hier geführt haben. Damals haben
nicht wenige in diesem Hohen Hause gefordert, dass wir
uns sofort und einseitig aus dem ISAF-Einsatz ausklin-
ken; Sie erinnern sich so gut wie ich.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


Ich glaube, Herr Gehrcke, dass es gut war, dass wir zu
unserer Verantwortung gestanden haben und dass der
Grundsatz, den ich 2008 vertreten habe, bis heute gilt. Er
lautet: Wir gehen da gemeinsam rein und gemeinsam
raus.

Jetzt stehen wir vor der letzten Verlängerung des
ISAF-Mandates. Gemeinsam mit unseren Partnern und
im Einklang mit den Resolutionen des Sicherheitsrates
werden wir ISAF zum Ende dieses Jahres beenden. Ich
darf Sie im Namen der Bundesregierung um Ihre Zu-
stimmung bitten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801402900

Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi, Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801403000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben

recht, Herr Bundesaußenminister: Letztmalig wird der
Deutsche Bundestag heute über die Verlängerung des
Einsatzes der knapp 3 200 Bundeswehrsoldatinnen und
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan beraten und ent-
scheiden. Nach Abschluss des Jahres 2014 werden aller-
dings noch 600 bis 800 Soldatinnen und Soldaten vor
Ort bleiben, um bei der Ausbildung zu helfen sowie Be-
ratung und Unterstützung zu gewähren.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


Dazu habe ich mehrere Fragen. Die erste Frage lautet:
Warum kann die Ausbildung eigentlich nicht hier oder
anderswo stattfinden? Warum müssen unsere Soldaten in
Afghanistan bleiben? Meine zweite Frage: Selbst wenn
sie dort bleiben, dann ist es doch kein Kampfeinsatz
mehr. Müsste dann nicht die UN-Resolution dahin ge-
hend geändert werden, dass nicht Kapitel VII der Charta
als Grundlage herangezogen wird, sondern Kapitel VI?
Dann dürften Soldaten wie im Inland nur noch in Not-
wehr schießen und in keinem anderen Fall; denn ein
Kampfeinsatz wäre damit untersagt. Meine Frage an Sie:
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass in der UN-Resolu-
tion Kapitel VII durch Kapitel VI der Charta ersetzt
wird? Das wäre nämlich zwingend notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben über das Sicherheitsabkommen zwischen
den USA und Afghanistan gesprochen. Herr Ströbele hat
dazu eine richtige und wichtige Frage gestellt, mit der er
uns auch ein bisschen darüber informiert hat, um welche
Teile es geht. Abgesehen davon: Haben Sie eigentlich ei-
nen Plan B? Was passiert, wenn der Vertrag nicht zu-
stande kommt? Ich habe versucht, das herauszubekom-
men; aber das weiß keiner. Das scheint mir wenig
systematisch, wenig koordiniert und wenig geplant zu
sein. Weshalb gibt es überhaupt den Abzug der Soldaten,
nicht nur der deutschen, sondern auch der anderer Natio-
nen? Ich sage Ihnen: Das hängt mit dem Scheitern des
NATO-Krieges in Afghanistan zusammen. Es gibt keine
andere logische Feststellung.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der CDU/CSU)

liger Quatsch!)

Der Einsatz war die falsche Antwort auf die An-
schläge auf das World Trade Center am 11. September
2001 in den USA. Man hätte andere Wege gehen kön-
nen. Schauen wir uns doch einmal die Bilanz nach
13 Jahren Krieg an – die haben Sie hier nicht benannt –:
über 70 000 Tote, unter den Toten Tausende Zivilistin-
nen und Zivilisten, auch Kinder und eben Frauen, allein
in Kunduz, auch von unseren Soldaten verursacht, bis zu
142 tote Zivilistinnen und Zivilisten und Hunderttau-
sende Verwundete. Ich bitte, nicht zu vergessen, dass
auch 54 Bundeswehrsoldaten ihr Leben gelassen haben.
Das hat große Trauer und großes Entsetzen in deren Fa-
milien und bei deren Freundinnen und Freunden ausge-
löst. Bisher waren mehr als 100 000 deutsche Soldatin-
nen und Soldaten in Afghanistan. Ein Drittel von ihnen
leidet unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Das
sind über 30 000 Menschen. Wir werden sie noch jahre-
lang betreuen und behandeln müssen. Auch das ist ein
Ergebnis dieses Krieges.

Lassen Sie mich auch ein Wort zu den Kosten sagen
– gerade haben wir eine Wirtschaftsdebatte geführt; wir
führen auch Sozialdebatten –: Der ganze Krieg kostet
uns nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirt-
schaftsforschung bis Ende 2014 23 Milliarden Euro.

Was waren die Ziele, Herr Steinmeier, und was ist da-
von erreicht worden? Das erste Ziel lautete: Al-Qaida
muss vernichtet und die Ausbildung von Terroristinnen
und Terroristen durch al-Qaida verhindert werden. Das
ist aber nicht verhindert worden. Al-Qaida bildet weiter
Terroristinnen und Terroristen aus. Sie sagen, es ist ein
großer Erfolg, dass das nicht mehr in Afghanistan statt-
findet? Jetzt findet das in Pakistan, im Jemen und in an-
deren Ländern statt. Das ist doch kein Erfolg, ganz im
Gegenteil.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie wollen Sie das lösen? Wollen Sie in diesen Ländern
jetzt auch Krieg führen? Was soll die Antwort darauf
sein?

Zweitens. Es sollte ein Regimewechsel erreicht wer-
den. Die Taliban sollten endgültig entmachtet werden.
Nun sprechen selbst die USA mit den Taliban darüber,
ob sie nicht bereit sind, in die Regierung zurückzukeh-
ren. Auch dieses Ziel ist also völlig verfehlt worden.






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Gregor Gysi

Drittens. Es wurde gesagt, dass die inneren Kämpfe
beendet werden müssen. Ist das wirklich gelungen? Seit
2013 nehmen die Kämpfe wieder deutlich zu. Heute sind
in Afghanistan 65 ehemalige Kämpfer aus den Gefäng-
nissen entlassen worden – gegen den Willen der USA.
Nicht einmal darauf achtet die afghanische Regierung
jetzt noch. Es gibt einen gewaltigen Anstieg der Zahl der
Opfer, gerade im Jahr 2013. Herr Steinmeier, die UN-
Organisation UNAMA stellt fest, dass das Jahr 2013 das
gewaltreichste Jahr in Afghanistan seit 2001 war. Wenn
Sie diesen Hintergrund sehen, beweist das doch das
Scheitern des Krieges. Die Gewalt hat nicht abgenom-
men, sondern zugenommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Allein im Jahr 2013 haben wir im Vergleich zum Vor-
jahr eine Verdoppelung der Verluste bei den afghani-
schen Streitkräften und bei der afghanischen Polizei zu
verzeichnen: 4 600 Gefallene auf deren Seite. Die Zahl
der zivilen Opfer hat sich im Vergleich zum Vorjahr um
700 erhöht. Das heißt, im Jahr 2013 gab es 8 615 zivile
Tote in Afghanistan. Im Verantwortungsbereich der
Bundeswehr, also in den nordafghanischen Provinzen,
gibt es eine dramatische Zunahme der Angriffe und
Kämpfe. Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle
ist im Jahr 2013 im Vergleich zum Jahr 2012 um 35 Pro-
zent gestiegen. Das ist das Ergebnis.

Im Übrigen ist es wirklich nicht hinnehmbar – auch
das muss ich sagen, Herr Bundesaußenminister –, dass
die Zahlen, die Sie der Bevölkerung zur Verfügung stel-
len, immer knapper werden. Wir brauchen hier Transpa-
renz. Wir müssen wissen, was dort passiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Das vierte Ziel war – darauf sind Sie ein bisschen ein-
gegangen –, in Afghanistan in kultureller, humaner, de-
mokratischer und rechtsstaatlicher Hinsicht einen Fort-
schritt zu erzielen. Schauen wir uns die Realitäten an:
2,7 Millionen Afghaninnen und Afghanen haben Afgha-
nistan verlassen, sind geflüchtet. Die Zahl der Binnen-
flüchtlinge hat mit 590 000 ihren Höchststand erreicht.
Hinsichtlich der Lebenserwartung, des Lebensstandards
und der Bildung – Sie haben die Bildung erwähnt – hat
sich Afghanistan deutlich verschlechtert. Es nimmt jetzt
Platz 175 von 187 Ländern ein. Von Fortschritt kann da
gar keine Rede sein. Die Müttersterblichkeit liegt bei
500 pro 100 000 Geburten. Das ist im internationalen
Vergleich eine sehr hohe Zahl. 10 Prozent der Kinder
sterben vor Erreichen des fünften Lebensjahres. Nur
39 Prozent der Afghaninnen und Afghanen haben Zu-
gang zu Trinkwasser. Nur 7,5 Prozent der Afghaninnen
und Afghanen haben Zugang zur Abwasserentsorgung.
7,5 Prozent! Die Gewalt gegen Frauen hat dramatisch
zugenommen: Im ersten Halbjahr 2013 gab es über
4 100 Fälle. Das ist die letzte Zahl, die wir bekommen
haben. Die Anbaufläche für Opium wurde während des
Krieges versechsundzwanzigfacht. Ich bitte Sie! Afgha-
nistan ist heute Weltmeister im Opiumexport. Das alles
haben wir zugelassen. Das muss man ehrlicherweise hier
erklären.


(Beifall bei der LINKEN)

Auch die Bundeswehr arbeitet inzwischen mit den Dro-
genbaronen zusammen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)


– Ja.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!)


– Natürlich stimmt das.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Das stimmt nicht!)


Die Menschenrechtsverletzungen nehmen zu. Die
UN-Organisation UNAMA bestätigt, dass es systemati-
sche Folterungen und Misshandlungen in den Gefäng-
nissen, Plünderungen und Morde auch von Polizei und
Milizen der Warlords auch im deutschen Zuständigkeits-
bereich, speziell in den Provinzen Kunduz und Baghlan,
gibt.

Ein Bericht des Afghanistan Analysts Network vom
November 2013 kommt zu dem Schluss, dass die Prä-
senz der Bundeswehr im Norden zwölf Jahre lang nichts
an der wirklichen Machtverteilung änderte und die Bun-
deswehrverantwortlichen am Schluss mit den stärksten
Machthabern, das heißt mit den Warlords und ihren Ban-
den, kooperierten. Das sagt diese Organisation, nicht Die
Linke. Jede Vorstellung, dass die Bundeswehr Entwick-
lung vorantreiben kann, ist auch vom früheren Verteidi-
gungsminister de Maizière in unserer Fraktion zu Recht
zurückgewiesen worden. Er hat gesagt: Die Bundeswehr
ist kein Entwicklungshelfer, sondern eine Armee. Eine
Armee – das sage ich Ihnen – hat gänzlich andere Aufga-
ben und ein gänzlich anderes Selbstverständnis.

Mit anderen Worten: Keines der Ziele wurde erreicht.
Den Afghaninnen und Afghanen geht es nicht besser,
sondern schlechter. Wir haben Tote verursacht und ei-
gene Tote zu beklagen.

Dieser Krieg wurde hinsichtlich der Bundeswehr
durch SPD und Grüne, durch Bundeskanzler Schröder,
Kanzleramtschef Steinmeier, Verteidigungsminister
Scharping und Außenminister Fischer mit Zustimmung
von Union und FDP eingeleitet und durchgeführt. Wir,
die Linken, haben nicht nur dagegen gestimmt, sondern
immer wieder erklärt, dass man die Probleme der
Menschheit mit Kriegen nicht lösen kann. Im Gegenteil!


(Beifall bei der LINKEN)


Ich hatte gehofft und hätte erwartet, Herr Steinmeier,
dass Sie heute das Desaster eingestehen und sich zumin-
dest entschuldigen


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


bei den Afghaninnen und Afghanen sowie unseren Sol-
datinnen und Soldaten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ja, das hätte ich erwartet. Dass es ein völliges Desaster
ist, räumen Sie schon deshalb ein


(Zurufe von der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Gregor Gysi

– ich werde es Ihnen jetzt belegen –, weil Sie die afgha-
nischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Bundes-
wehr nach Deutschland einreisen lassen; denn dort be-
finden sie sich in Lebensgefahr.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, was denn sonst?)


– Ich sage ja nicht, dass das falsch ist. – Die Tatsache,
dass sie sich in Lebensgefahr befinden, beweist doch,
dass sie als Kollaborateure einer fremden Besatzungs-
macht betrachtet und verfolgt werden und von der Be-
völkerung nicht anerkannt und begrüßt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist doch das Problem, und das müssen Sie akzeptie-
ren. Natürlich müssen wir sie jetzt in unser Land lassen –
darüber streiten wir nicht –, aber die Gründe dafür, dass
sie einer solchen Lebensgefahr ausgesetzt sind, sind in-
teressant.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Gysi, das ist schäbig, was Sie jetzt machen! Schäbig ist das!)


Was ist jetzt Ihre Schlussfolgerung, Herr Kauder?
Ihre Schlussfolgerung ist, dass die Bundeswehr jetzt
auch noch verstärkt nach Afrika gehen soll. Ich kann Ih-
nen nur sagen: Der Wahnsinn muss endlich aufhören.
Das wird höchste Zeit.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Kommen Sie doch endlich zur Besinnung!


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie nimmt doch keiner mehr ernst!)


Ich sage Ihnen: Deutschland kann ein wichtiges Land
auf der Erde sein, wenn wir uns weltweit für Frieden, für
Konfliktvorbeugung, gegen Hunger, Elend und Not, für
soziale Gerechtigkeit, für ökologische Nachhaltigkeit,
aber eben nicht für Kriege einsetzen und uns schon gar
nicht an ihnen beteiligen.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schämen sollten Sie sich!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801403100

Als Nächstes erteile ich das Wort dem Bundesminis-

ter Dr. Gerd Müller.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi,
Ihre Alternative des Wegduckens, die Sie hier gerade
dargelegt haben, ist absurd.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Hat er doch gar nicht! Sie müssen zuhören!)

Es gab im Jahr 2001 angesichts der dramatischen Situa-
tion, in der sich das afghanische Volk befand, keine Al-
ternative zu dieser Entscheidung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist doch Unsinn!)


Ich sage Ihnen, Herr Gysi: Entschuldigen Sie sich bei
denen, die mit Leben und Gesundheit für ein besseres
Afghanistan bezahlt haben!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben sie doch dorthin geschickt!)


Was sollen die Mütter und Väter der toten Soldaten und
zivilen Helfer angesichts Ihrer Rede denken?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie sind verantwortlich, nicht wir!)


Die ISAF-Soldaten gehen und die Entwicklungs-
experten bleiben, das ist heute auch die Botschaft des
Entwicklungsministers. Meine Damen und Herren, uns
allen ist klar: Militärische Einsätze allein schaffen kei-
nen Frieden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein friedliches Afghanistan hat nur eine Chance mit ei-
ner nachdrücklichen, international und national abge-
stimmten Entwicklungszusammenarbeit. Die Ausgaben
für das Militär sind hoch, in Milliardenhöhe. Diese In-
vestitionen waren nicht umsonst. Aber jetzt bedarf es ei-
ner Verstärkung der Investitionen in Friedensarbeit und
Aufbauleistung. Dazu brauchen wir ein abgestimmtes,
europäisch-internationales Gesamtkonzept, das auch von
der afghanischen Regierung getragen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das kriegen Sie doch nicht!)


Notwendig ist – Außenminister Steinmeier hat es darge-
stellt – ein klares Bekenntnis des afghanischen Präsiden-
ten, Herrn Karzai, und seines Nachfolgers sowie der
afghanischen Regierung zur Sicherheit, zur Zusammen-
arbeit, zur Bekämpfung der Korruption, zur Rechts-
sicherheit, zur Wahrung der Menschenrechte, zur Siche-
rung der Frauenrechte; denn unsere Hilfe, unser
Engagement ist an Konditionen gebunden. Unser Ein-
satz ist erfolgreich, unser Einsatz ist wirksam.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das zivile Engagement, der großartige Einsatz der
vielen Organisationen, gilt ungeteilt den Menschen in
Afghanistan. Viele dieser Organisationen waren schon
vor ISAF in Afghanistan tätig. Die Zusammenarbeit mit
dem afghanischen Volk geht bis in die 50er-, 60er-Jahre






(A) (C)



(D)(B)

Bundesminister Dr. Gerd Müller

zurück. Die Ausgangslage in Afghanistan vor 20, 30,
50 Jahren war düster, schwierig, brutal, Herr Gysi.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801403200

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Hänsel?

Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Bitte. – Herr Präsident, dann müssen Sie aber meine
Uhr anhalten.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801403300

Selbstverständlich.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801403400

Danke schön. – Herr Minister, Sie haben gerade da-

von gesprochen, dass es im Rahmen des Sicherheitsab-
kommens mit den USA auch um Rechtssicherheit gehen
soll. Wie bewerten Sie den Tatbestand, dass mit diesem
Sicherheitsabkommen an der Straffreiheit für US-Solda-
ten und auch für Bundeswehrsoldaten festgehalten wer-
den soll? Dabei wissen wir doch, dass zahlreiche Kriegs-
verbrechen in Afghanistan begangen wurden, kennen
Bilder wie die aus Abu Ghureib, kennen die Berichte der
UN, wissen, wie viele Zivilisten getötet wurden, wie
viele – illegale – gezielte Tötungen in Afghanistan und
Pakistan durchgeführt werden. Wie können Sie von
Rechtssicherheit auch für die Afghanen sprechen, wenn
es keinerlei Möglichkeit der Verfolgung dieser Verbre-
chen in Afghanistan geben soll?

Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Frau Kollegin, die Antwort darauf hat Ihnen bereits
der Bundesaußenminister gegeben.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Können Sie die wiederholen?)


Ich möchte mich der großartigen Arbeit unserer Ent-
wicklungsorganisationen und unserer Partner in Afgha-
nistan widmen; denn der Fokus – das möchte ich an die-
ser Stelle einmal sagen – lag in der Afghanistan-
Diskussion in den letzten zwölf Jahren allzu sehr auf
dem Militär. Das müssen wir auch gegenüber der deut-
schen Öffentlichkeit ein Stück zurechtrücken. Natürlich
würdigen wir alle zu Recht den großartigen Einsatz der
Soldatinnen und Soldaten; aber wir würdigen zugleich
den Einsatz der zivilen Experten, die genauso vor Ort ihr
Leben einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie verdienen dieselbe Anerkennung. Natürlich sorgen
die Schutztruppen für ein Stück Sicherheit. Aber wer
baut die Krankenhäuser, die Schulen, die Wasserleitun-
gen? Das sind die zivilen Experten, deren Einsatz vor
Ort großartig ist.
Der Herr Außenminister hat die Erfolge dargestellt;
ich möchte das nicht wiederholen. Wir wissen, dass es
Probleme gibt. Man muss aber auch die Fortschritte se-
hen: Seit 2000 hat sich das Bruttonationaleinkommen
Afghanistans verdoppelt. Besonders wichtig ist für mich,
dass die Frauen und Mädchen in Afghanistan auf dem
Weg zur Gleichberechtigung sind. 2001 gingen 1 Million
Jungen zur Schule. Heute sind es 9 Millionen Schüler,
und fast alle Mädchen haben Zugang zu Schulen. Ganz
besonders freue ich mich über den Austausch mit jungen
Afghanen, mit Eliten, an den deutschen Hochschulen,
den wir weiter ausbauen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich sage noch einmal: Die Entwicklungsorganisatio-
nen vor Ort leisten diesen herausragenden Beitrag unab-
hängig vom Militär. Wir werden auch in Zukunft die
Sicherheit gewährleisten. Wir leisten diesen Beitrag in
Freundschaft mit dem afghanischen Volk seit nahezu
hundert Jahren; das können Sie in den Geschichtsbü-
chern nachschlagen. Die Freundschaft mit dem afghani-
schen Volk muss auch die Botschaft dieser Sitzung sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zivile Aufbau Afghanistans muss gelingen. Er ist
entscheidend für die Stabilität in der gesamten Region.
Deshalb hat die Bundesregierung zugesagt, bis 2016
jährlich bis zu 430 Millionen Euro in die wirtschaftliche,
soziale und politische Entwicklung Afghanistans zu in-
vestieren. Das ist eine hohe Summe. Ich sage an dieser
Stelle aber auch: Es ist eine weit geringere Summe als
die, die wir in militärische Einsatztruppen zu investieren
bereit waren. An dieser Stelle ist nun auch eine interna-
tionale bzw. europäische Friedensdividende gefragt, die
ich einfordern möchte.

Der Steuerzahler bzw. das deutsche Volk fragt zu
Recht: Wie wird dieses Geld eingesetzt? Die Amerika-
ner haben Probleme, die Wirksamkeit ihres Einsatzes
nachvollziehbar darzulegen; für uns gilt das nicht. Wir
werden in den Aufbau und in die Leistungsfähigkeit
rechtsstaatlicher Strukturen investieren.

Wir werden außerdem den Kampf gegen Korruption
in den Mittelpunkt rücken, da dieser von zentraler Be-
deutung ist. Unser Geld muss bei den Menschen direkt
ankommen und darf nicht in korrupten Kanälen versi-
ckern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weiterhin setzen wir auf eine nachhaltige Wirt-
schaftsentwicklung und auf eine gute Lebensperspektive
für die Menschen. 400 000 junge Afghanen strömen je-
des Jahr auf den Arbeitsmarkt. Unsere Investitionen flie-
ßen daher in die berufliche Ausbildung, in Mikrokredite
und in Wirtschaftspartnerschaften. Ohne zivile Struktu-
ren kann es keine Stabilität geben.

Ein besonderes Augenmerk werden wir auch auf die
Wertschöpfungsketten und die Produktivitätssteigerung






(A) (C)



(D)(B)

Bundesminister Dr. Gerd Müller

in der Landwirtschaft legen. An dieser Stelle besteht ein
echtes Defizit. Afghanistan muss weg vom Mohnanbau.
Die Entwicklung läuft in den ländlichen Regionen in die
komplett falsche Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir setzen nachdrücklich – an diesem Beispiel sehen
die Kritiker auf der ganz linken Seite, was sich in Afgha-
nistan in den letzten zehn Jahren getan hat – auf die Stär-
kung der Rechte der Frauen, auf die Integration der
Frauen in die Arbeitswelt und auf den gleichberechtigten
Zugang zu Schulen. Die Stärkung der Rechte der Mäd-
chen und der Frauen ist uns sehr wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir setzen unsere Arbeit nicht nur in den Städten,
sondern auch außerhalb der Städte fort.

Wir brauchen außerdem eine breitere Basis. Afgha-
nistan ist bereit für Investitionen. Dieser Aufruf geht an
unsere deutsche Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft hat
sich in Bezug auf Afghanistan bisher sehr stark – zu
stark, wie ich meine – zurückgehalten.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801403500

Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, ob Sie eine

Zwischenfrage der Kollegin Vogler gestatten?

Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Wieder links?


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Ja! Von woanders kriegen Sie ja keine Fragen!)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801403600

Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie meine Zwi-

schenfrage zulassen. Sie haben doch sicherlich genau
wie ich den Fortschrittsbericht zu Afghanistan Ihrer
Bundesregierung gelesen. Daraus geht sehr deutlich
hervor, dass der Opiumanbau, also der Umfang der
Mohnanbauflächen, in Afghanistan im letzten Jahr wie-
der zugenommen hat. Nun sagen Sie, Afghanistan müsse
weg vom Opium. Sie sagen aber überhaupt nicht, auf
welche Art und Weise Sie das gewährleisten wollen.

Dazu kommt, dass Sie es hier so darstellen, als ob
Entwicklungszusammenarbeit, Entwicklungshilfe und
Wiederaufbau nur unter dem Schutz bewaffneter Einhei-
ten stattfinden können. Wesentliche Entwicklungsorga-
nisationen in der Bundesrepublik Deutschland, etwa der
Dachverband VENRO, weisen das sehr deutlich zurück,
lehnen es ab und sagen: Unsere Helferinnen und Helfer
sind gerade da am sichersten, wo keine Bundeswehr und
keine ausländischen Truppen in der Nähe sind. Wie ste-
hen Sie dazu?

Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Vielen Dank. – Es gibt Bereiche, in denen wir unsere
Ziele absolut nicht erreicht haben. Das ist zum Beispiel
bei der ländlichen Entwicklung und der Reduzierung des
Mohnanbaus der Fall. Wir müssen aber auch darüber re-
den, wer in diesem Fall die Verantwortung dafür trug.
Das war ein Einsatzbereich, der im Zuweisungsbereich
der Briten lag, und zwar ganz eindeutig.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Erst sind die einen schuld, jetzt sind die Briten schuld! Was kommt als Nächstes?)


Die Ziele wurden nicht erreicht.

Zur Frage der Sicherheit. Sie haben gehört, dass ich
sehr deutlich und sehr bewusst darauf hingewiesen habe,
dass die Entwicklungszusammenarbeit nicht erst 2001
begonnen hat. Der Einsatz von Entwicklungsexperten
– ich spreche nicht nur von Helfern – geht zurück bis in
die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Afghanistan
hat traditionell eine freundschaftliche Verbindung zu
Deutschland, und eine solche haben wir zum afghani-
schen Volk. Deshalb waren unsere Entwicklungshilfeor-
ganisationen auch in den 50er-, 60er- und 80er-Jahren in
Afghanistan.

Schon 2001 war die Frage strittig: Schaffen die ISAF-
Truppen mehr Schutz oder weniger? Ich glaube, dass die
ISAF-Truppen auch für den zivilen Aufbau und die zivi-
len Aufbauhelfer mehr Schutz, mehr Sicherheit und
mehr und bessere Optionen gebracht haben.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das sehen die aber anders!)


Aus Gesprächen mit den Organisationen, die wir na-
türlich geführt haben, weiß ich: Es gibt unabhängig von
der ISAF-Truppe ein Sicherheitskonzept, das umgesetzt
wurde, das die Sicherheit der zivilen Aufbauhelfer auch
in den nächsten fünf bis zehn Jahren grundlegend ge-
währleistet. Die Organisationen im zivilen Bereich kön-
nen dort auch ohne Soldaten arbeiten.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Machen Sie es doch!)


Wir erwarten selbstverständlich, dass in den nächsten
Jahren ein vernetztes Konzept von Außenministerium,
Verteidigungsministerium, nationalen und internationa-
len Organisationen vorgelegt wird. Aber unabhängig da-
von gibt es ein eigenes Sicherheitskonzept für die zivilen
Organisationen.

Ich nehme Ihre Frage zum Anlass, kritisch nachzufra-
gen – das sollten wir alle tun –, welche Lehren wir aus
den Erfahrungen in Afghanistan für andere Krisenherde
ziehen können. Ich denke beispielsweise an den afrikani-
schen Kontinent. Wir im BMZ haben ein neues Afrika-
Konzept entwickelt und werden in unserem Denken und
in unserer Politik einige neue Akzente setzen und Verän-
derungen vornehmen müssen. Das heißt, wir brauchen
eine Stärkung bei der Krisenprävention. Krisenprä-
vention muss vor Interventionen kommen. Das ist ganz
zentral.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir brauchen einen Aufbau regionaler Krisenreak-
tionskräfte vor Ort. Wir brauchen höhere Investitionen
zur Stärkung der zivilen Strukturen und der Zivilgesell-






(A) (C)



(D)(B)

Bundesminister Dr. Gerd Müller

schaft. Das kann ich am Beispiel von Mali darlegen. Das
Militär kann in das Land gehen und ein Stück weit Ord-
nung und Stabilität schaffen, es kann aber nicht Frieden
zwischen Freund und Feind schaffen. Um langfristig
Stabilität herstellen zu können, benötigen wir in Afgha-
nistan und in Mali zivile Strukturen.


(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hier müssen wir unsere Politik verändern.

Meine Damen und Herren, ich möchte nun nicht wei-
ter auf unser Afrika-Konzept eingehen. Wir müssen aus
dem langjährigen Einsatz in Afghanistan die Lehren für
die Krisenbewältigung auch im Nahen Osten ziehen.
Angesichts von 6 Millionen Flüchtlingen in Syrien, der
instabilen Lage im Libanon, der Situation in Jordanien
müssen wir uns fragen: Wie lange schauen wir zu, bis
auch dort aus der Instabilität Krisen, Konflikte und
Kriege werden?


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wollen Sie da jetzt auch Soldaten hinschicken?)


Wo ist unsere Krisen- bzw. Friedenskonzeption, dort
jetzt einzugreifen und Akzente zu setzen?


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was heißt denn das?)


– Was das heißt, das kann ich Ihnen in der nächsten
Debatte zum Thema Afrika ganz konkret darlegen. Wir
haben uns dazu sehr genaue Überlegungen gemacht.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich komme darauf zurück!)


Meine Damen und Herren, ich möchte in Richtung
der Europäischen Union sagen: Die Mittel aus dem voll-
gefüllten EU-Entwicklungstopf müssen im Rahmen ei-
ner EU-Krisenpräventionsstrategie auch in Afghanistan
investiert und zentriert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich gedenke in dieser Stunde natürlich der toten und
verletzten Soldatinnen und Soldaten und Entwicklungs-
expertinnen und Entwicklungsexperten und deren Fami-
lien. Wir danken für die großartige Zusammenarbeit mit
den ISAF-Truppen und ihren großartigen Einsatz.

Ich sage noch einmal: Die Sicherheit ist natürlich zen-
tral.

Zum Schluss möchte ich betonen: Afghanistan wird
uns weiter beschäftigen. Die Politik hat es leider an sich,
dass man kurzfristig reagiert. Wir beschließen das Man-
dat bis Ende des Jahres; wir brauchen aber eine mit den
Europäern und international abgestimmte Gesamtstrate-
gie, ein friedenspolitisches Gesamtkonzept, das über
2016 hinausgeht und bis 2020/2030 reicht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801403700

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Jürgen

Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801403800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Gregor Gysi, Sie dürfen der Bundesregierung nicht alles
glauben. Die Bundesverteidigungsministerin hat gesagt,
Deutschland solle sich mehr engagieren. Heute legt sie
aber ein Mandat vor, das vorsieht, künftig 3 000 Solda-
tinnen und Soldaten weniger im Ausland einzusetzen.

Der Kampfeinsatz soll 2014 beendet werden. Ein sol-
ches Mandat, ein geordneter Abzug und die Übergabe
der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen, haben
wir sehr lange gefordert. Dieses Abzugsmandat ist über-
fällig, und deswegen fällt es mir leicht, zu sagen: Das
jetzt zu beenden, ist richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage aber: Es ist auch an der Zeit, eine Bilanz zu
ziehen. – Ich habe damals der Regierung angehört, die
die Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan ge-
schickt hat.


(Zuruf von der LINKEN: Das stimmt! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Schlecht ausgerüstet und schlecht ausgebildet!)


Deswegen und natürlich auch angesichts der Opfer der
Afghanen und der Deutschen muss man sich dieser
Frage sehr ernsthaft stellen.

Wenn ich nach diesen zwölf Jahren darüber nach-
denke, dann komme ich nicht zu einer einfachen Wahr-
heit, sondern zu einem paradoxen Befund: Es war rich-
tig, das Talibanregime zu stürzen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja!)


Dennoch sind wir und ist die NATO in Afghanistan ein
Stück gescheitert. – Man muss sich beiden dieser Wahr-
heiten stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD])


Der internationale Terrorismus wäre eine größere Ge-
fahr und diese Welt wäre erheblich unsicherer, wenn er
in Afghanistan noch einen Rückzugsraum hätte. Vor
2001 stand er übrigens regelmäßig unter dem Schutz-
schirm des pakistanischen Geheimdienstes. Das Leben
der Afghaninnen und Afghanen wäre erbärmlicher,
wenn die Taliban weiterhin in weiten Teilen des Landes
die Mädchen am Schulbesuch hinderten und Ehebreche-
rinnen und Oppositionelle nach Belieben steinigen
würden. Es ist übrigens nicht so, dass der Krieg in Af-
ghanistan mit der Intervention des Westens angefangen
hat; dort herrschte zu dem Zeitpunkt Krieg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU], an die LINKEN gewandt: Moskau!)







(A) (C)



(D)(B)

Jürgen Trittin

Dennoch sind wir gescheitert. Ich zitiere: Die „Förde-
rung von Sicherheit, Entwicklung und Rechtsstaatlich-
keit“ ist „trotz großer und anerkennenswerter Anstren-
gungen“ nur unzureichend gelungen. – Das schreibt Herr
Papier für die Evangelische Kirche in Deutschland.

Wir sind von einem echten State Building weit ent-
fernt. Die Sicherheitslage hat sich übrigens noch in
2013 gegenüber 2012 verschlechtert. Nach Angaben der
UNAMA ist die Zahl der zivilen Opfer noch einmal um
16 Prozent angestiegen, und auch die Zahl der An-
schläge hat um 10 Prozent zugenommen.

Wir als internationale Gemeinschaft werden noch
über Jahre hinweg den afghanischen Sicherheitssektor
finanzieren, ausbilden und ausrüsten müssen. Von selbst-
tragender Sicherheit sind wir trotz der Übergabe der Si-
cherheitsverantwortung an die Afghanen ein ganzes
Stück entfernt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der andere Teil der Wahrheit.

Worin hat dieses Scheitern bestanden? Ich glaube,
dass die EKD das an einem Punkt ganz klug beschrieben
hat. Sie hat ausgeführt:

Ein friedens- und sicherheitspolitisches Gesamt-
konzept unter dem Primat des Zivilen,

– nicht unter Verzicht des Militärischen, sondern unter
dem Primat des Zivilen –

hat weitgehend gefehlt. Die enge Verknüpfung des
ISAF-Mandates mit der von den US-Amerikanern
als Teil des „War-on-Terror“ geführten Operation
„Enduring Freedom …“ hat die Glaubwürdigkeit
der Friedens- und Unterstützungsmission ISAF er-
heblich beeinträchtigt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der Kern. Man kann keinen Rechtsstaat auf-
bauen, wenn man jede Nacht Drohnen zu extralegalen
Tötungen losschickt. Das zerstört die Glaubwürdigkeit
eines solchen Einsatzes und eines zivil-militärischen An-
satzes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wir dürfen nie wieder zulassen, dass auf einem Ge-
biet zwei sich gegenseitig ausschließende militärische
Operationen stattfinden, wie es dort der Fall gewesen ist.
Ich sage sehr deutlich: Mit dem Beginn von ISAF hätten
die OEF und auch diese ganzen Strategien beendet wer-
den müssen, egal unter welchem Plakat sie gemacht
worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das war aber nicht der Fall!)


Dann gibt es einen zweiten Fehler, über den wir noch
gründlicher nachdenken müssen. Asymmetrische Kriege
– wir sprechen hier über Krieg – unterscheiden sich von
konventionellen Kriegen in einem wichtigen Punkt:
Konventionelle Kriege kennen am Ende häufig einen
Sieger und einen Verlierer. Asymmetrische Kriege ken-
nen häufig


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Nur Verlierer!)


keine Sieger, sondern nur Verlierer.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)


Durch den Militäreinsatz wird das Kräfteverhältnis ver-
schoben. Aber am Ende eines solchen Konflikts steht,
wenn er denn beendet wird, in der Regel eine Verständi-
gung, irgendein Kompromiss zwischen den Konfliktpar-
teien. Genau dieser richtigen Erkenntnis haben wir uns
viel zu lange entzogen.

Ich erinnere mich noch, wie der damalige SPD-Vor-
sitzende Kurt Beck insbesondere von der CDU/CSU
ausgelacht worden ist, als es hieß, es müsse mit den Tali-
ban Gespräche geben. Uns schlug wegen dieser Forde-
rung Empörung entgegen. Heute sind Sie selber froh,
dass der Botschafter Steiner im Auftrag der Bundes-
regierung den Taliban ein Büro in Katar angemietet und
Gesprächskanäle zu den USA eröffnet hat. Wir sind alle
gemeinsam besorgt, dass diese Gesprächskanäle am
Ende wegen der Fortsetzung des Drohnenkrieges zum
Erliegen gekommen sind.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das hat ihm aber keiner gedankt!)


– Nein, das hat ihm keiner gedankt. Er ist stattdessen
nach Indien strafversetzt worden.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Genau das!)


Deswegen sage ich: In Afghanistan ist die NATO
nicht an zu wenig Militär gescheitert. Wir sind gemein-
sam daran gescheitert, dass wir von Beginn an zu wenig
Entwicklung und zu wenig Willen zu einer politischen
Lösung auf die Tagesordnung gesetzt haben. Das ist der
Kern des Problems.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das bleibt nicht ohne Konsequenzen. Man hat sich
einmal die NATO in der Rolle des globalen Dienstleis-
ters für Sicherheit für die Weltgemeinschaft vorgestellt.
Ich sage Ihnen: Nach Afghanistan und Libyen wird es
dafür kaum neue Mandate geben. Auch und gerade un-
sere demokratischen Verbündeten unter den Schwellen-
ländern werden das nicht mehr akzeptieren.

Dennoch glaube ich, dass der Bundespräsident recht
hat: Deutschland muss mehr internationale Verantwor-
tung übernehmen. Der Bundespräsident hat das wie folgt
beschrieben: Das bedeutet nicht – ich zitiere – „mehr
Kraftmeierei“. Er setzt dagegen „auf Prävention, auf in-
ternationale Zusammenarbeit sowie auf die Entwicklung
von Frühwarnsystemen gegen Massenverbrechen“.

Deswegen müssen wir uns im Rahmen der Vereinten
Nationen mehr organisieren und engagieren. Da, wo das
Militäreinsatz bedeutet, wird es mehr DPKO und weni-
ger NATO sein. Wir müssen mehr zivile Missionen auf






(A) (C)



(D)(B)

Jürgen Trittin

den Weg bringen. Deswegen ist eine gemeinsame euro-
päische Außen- und Sicherheitspolitik künftig von
wachsender, zentraler Bedeutung.

Nur, werden wir, Herr Bundesaußenminister, dieser
Herausforderung auch gerecht? Sie haben in München
gesagt: Außenpolitische Verantwortung muss immer
konkret sein. – Ich frage die Bundesregierung: Wo sind
denn eigentlich die für Postkonfliktländer notwendigen
1 000 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die wir an-
geblich auf Stand-by vorhalten? Die gibt es nicht einmal
auf dem Papier.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801403900

Herr Kollege Trittin, denken Sie an die Redezeit.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801404000

Wenn wir über Früherkennung und Prävention reden:

Ist es wirklich klug, im Großkonflikt zwischen Saudi-
Arabien und dem Iran die eine Seite mit Hermesbürg-
schaften hochzurüsten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber, meine Damen und Herren – damit komme ich
zum Schluss –, es gibt einen einfachen Prüfstein dafür,
ob Deutschland seiner Verantwortung außenpolitisch ge-
recht wird – das hat der ehemalige Bundespräsident
Horst Köhler ganz gut formuliert, das ist eine Frage der
Glaubwürdigkeit –: Schaffen wir es wenigstens, wenn
wir schon die Zusagen für 2015 reißen, bis 2017 0,7 Pro-
zent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe auf
den Weg zu bringen? Das ist der Prüfstein für die Glaub-
würdigkeit für mehr internationale Verantwortung, und
das ist die Frage, ob wir auch aus dem Scheitern in Af-
ghanistan endlich etwas lernen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801404100

Nächster Redner ist der Kollege Niels Annen, SPD.


(Beifall bei der SPD)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1801404200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Ich finde, Herr Kollege Trittin, Sie
haben dieser Debatte einen Dienst erwiesen, weil Sie die
Diskussion auf den Punkt gebracht haben, die wir mit-
einander zu führen haben. Das ISAF-Mandat ist von An-
fang an umstritten gewesen. Das ist auch in Ordnung.
Übrigens war das auch in meiner eigenen Fraktion und
Partei immer umstritten. Wir haben darum richtig gerun-
gen. Ich glaube, das ist auch ein Teil der demokratischen
Auseinandersetzung.

Wir haben übrigens, weil wir darum gerungen haben,
auch mit dafür gesorgt – gemeinsam übrigens –, dass
dieses mehr Gegeneinander als Miteinander zwischen
ISAF und OEF beendet worden ist. Dass es ein Fehler
war, dass wir das nicht früher durchsetzen konnten, ge-
stehe ich Ihnen gerne zu. Denn das ist ein Ausdruck die-
ser strittigen Debatten gewesen.
Ja, ich würde auch sagen, unsere Ziele in Afghanistan
waren hochgesteckt. Vielleicht waren sie auch zu hoch
gesteckt. Wir sind in vielerlei Hinsicht unvorbereitet in
diesen Einsatz gegangen. Das ist richtig. Aber niemand
konnte den Anschlag am 11. September vorhersehen.
Das ist auch ein Teil eines Reifeprozesses in diesem
Land gewesen.

Wir sind in Afghanistan zum Teil auf dem Boden der
Realität gelandet. Das war nicht immer einfach, vor al-
lem für die Menschen, die wir nach Afghanistan ge-
schickt haben: Soldatinnen und Soldaten, zivile Angehö-
rige, Polizeibeamte und Diplomaten. Trotzdem, Herr
Trittin: „Gescheitert“ ist ein großes Wort. Darüber müs-
sen wir in diesem Raum, in diesem Hauen Hose, Ent-
schuldigung: Hohen Hause diskutieren.


(Heiterkeit)


– Ja, weil das nämlich auch in die Hose gehen kann.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gegangen ist!)


– Ganz ernsthaft, Herr Kollege Gehrcke: Ich finde, die
Frage, ob dieser Einsatz gescheitert ist oder nicht, ent-
scheidet sich nach 2014. Wir sollten alles dafür tun, dass
unser Einsatz dazu führt, dass das, was wir erreicht ha-
ben, und dass die Möglichkeiten, die wir für die Men-
schen in Afghanistan geschaffen haben, erhalten bleiben,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


damit wir am Ende dieser Auseinandersetzung sagen
können, dass wir eben nicht gescheitert sind.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will auch auf eines hinweisen: Der Bundes-
wehreinsatz hat auch unser Land und unsere politische
Sprache verändert. Wir reden heute von Krieg. Wir re-
den von Gefallenen, und wir reden von Veteranen. Wir
haben eine Diskussion, die notwendig ist – darauf ist
auch hingewiesen worden –, und wir haben eine Ver-
pflichtung gerade für die Menschen, die wir dorthin ge-
schickt haben.

Aber ich habe eine Bitte an diesem Tag, vor allem an
einen Teil der Opposition. Es ist ja in Ordnung, über die
Frage von Militäreinsätzen zu streiten. Ich respektiere
immer – wir haben auch in unserer eigenen Fraktion
diese Debatte –, wenn man sich grundsätzlich dagegen
ausspricht. Das ist eine legitime Position. Aber, Herr
Kollege Gysi, lassen Sie uns über die Lage in
Afghanistan reden.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das hat er mehr gemacht als alle anderen!)


Ihr Bezugspunkt ist doch ganz offensichtlich nicht die
Zeit der Talibanherrschaft gewesen; denn sonst könnten
Sie gar nicht zu solchen Ergebnissen kommen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das verstehe ich nicht! Erklären Sie es mir!)







(A) (C)



(D)(B)

Niels Annen

Die Lebenserwartung in diesem Land ist inzwischen hö-
her. Viele Menschen dort haben Zugang zur Gesund-
heitsversorgung; das ist zuvor genannt worden.

Nicht nur unsere Gesellschaft, sondern vor allem auch
die Gesellschaft in Afghanistan hat sich durch den Ein-
satz verändert. Dort gibt es inzwischen in den großen
Städten eine Medienlandschaft, die ihresgleichen in der
Region sucht. Ein Großteil der Menschen in Afghanistan
– auch auf dem Land – verfügt über Zugang zu einem
Mobiltelefon. Das Meinungsmonopol der Dorfältesten
und der Mullahs ist in vielen Bereichen Afghanistans
längst gebrochen. Deswegen gibt es vitale Debatten über
alle Probleme, die es dort gibt, im afghanischen Parla-
ment. Die entscheidende Frage, die sich uns allen stellt,
lautet: Sind wir fähig, nach Ablauf des ISAF-Mandats
eine Politik zu betreiben und eine Struktur zu entwi-
ckeln, die die Menschen, die auch von unserem Einsatz
profitiert haben, die zur Schule gehen und studieren, die
sich wieder auf Wahlen vorbereiten und für ein Parla-
ment kandidieren können, in die Lage versetzen, über
die Zukunft ihres Landes selber zu entscheiden? Das ist
die Herausforderung, vor der wir stehen.

Ich bin der Meinung: Die kritische Debatte – auch
über Fehler, die wir in den letzten zwölf Jahren gemacht
haben – ist richtig. Meine Fraktion wird sich an dieser
Debatte beteiligen. Ich bin sehr dankbar, dass der Au-
ßenminister eine kritische – auch selbstkritische – Bilanz
gezogen hat. Aber wir dürfen über diese grundsätzliche
Debatte nicht vergessen, dass wir in den letzten zwölf
Jahren der afghanischen Gesellschaft Chancen gegeben
haben. Wir müssen den Menschen in Afghanistan hel-
fen, diese Chancen wahrzunehmen. Deswegen werbe ich
nicht nur für Zustimmung, sondern auch dafür, dass wir
uns mit demselben Engagement über den richtigen Weg
streiten, wenn es nicht nur um militärische Fragen geht,
sondern um die Frage – das ist die Nagelprobe –, ob wir
in der Lage sind, mit zivilen, diplomatischen und politi-
schen Mitteln dafür zu sorgen, dass Afghanistan als
Freund der Bundesrepublik Deutschland eine Zukunft
hat.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801404300

Das Wort hat jetzt Philipp Mißfelder, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801404400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Zuerst möchte ich auf Bemerkungen von
zwei Kollegen in der Debatte eingehen. Herr Kollege
Gysi, Sie haben den Vorwurf erhoben, die Bundesrepu-
blik Deutschland habe sich im Rahmen des ISAF-Man-
dats mit den Drogenbaronen in Afghanistan gemein ge-
macht. Das entspricht einfach nicht den Tatsachen, Herr
Gysi. Das weise ich mit voller Entschiedenheit zurück.
Es war oft Gegenstand der Debatten in diesem Hause
– der Entwicklungsminister hat das gesagt –, ob wir in
die Auseinandersetzung um den Drogenanbau aktiv ein-
treten sollten. Aus guten Gründen haben wir darauf ver-
zichtet, das zu tun. Das heißt aber noch lange nicht, dass
wir uns mit den Drogenbaronen gemein gemacht haben.
Einen solchen Rückschluss lasse ich Ihnen an dieser
Stelle nicht durchgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Trittin, Sie haben ausführlich über den Beginn
des Mandats gesprochen. Sie waren damals quasi haut-
nah daran beteiligt. Der Kollege Annen hat sehr an-
schaulich deutlich gemacht, welch große Zäsur dieses
Mandat für unser Land war. Ich würde aber nicht davon
sprechen, dass das Mandat gescheitert ist und dass wir
die Ziele, die wir uns gesetzt haben, allesamt nicht er-
reicht haben.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801404500

Herr Kollege Mißfelder, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Hänsel?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801404600

Ja, bitte.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Schon wieder – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE], an die CDU/ CSU gewandt: Ja, da müssen Sie durch!)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801404700

Danke schön. – Herr Mißfelder, bestätigen Sie denn

die Tatsache, dass der Halbbruder von Präsident Karzai,
Ahmed Wali, einer der größten Drogenbarone in ganz
Afghanistan war und deswegen auch ermordet wurde,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit wann gibt es Sippenhaft? Mann, habt ihr ein Niveau! Ein Niveau habt ihr!)


dass große Teile des afghanischen Parlaments einen Dro-
genhintergrund bzw. eine paramilitärischen Hintergrund
haben,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Mit Recht verträgt nicht jedes Ihrer Mitglieder das Licht! Das steht heute in der Zeitung!)


dass der Gouverneur von Masar-i-Scharif, Mohammed
Atta, einer der brutalsten Herrscher in der gesamten Re-
gion ist und Privatmilizen unterhält sowie dass es keine
Pressefreiheit in der ganzen Region gibt? Das ist ein of-
fenes Geheimnis. Das können Sie in sämtlichen Tages-
zeitungen lesen; das können Sie bei der BBC sehen,
überall. Über Jahre hat die ISAF brutale Warlords unter-
stützt und ein Drogenregime mit ermöglicht, weil sie
diese Leute nie angegangen ist; denn sie hat sie ge-
braucht im Kampf gegen die Taliban.


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801404800

Was die Familie Karzai betrifft, so würde ich mich

niemals hier hinstellen und sagen, dass alles einwandfrei
gelaufen ist. Ich glaube, jeder von uns weiß, wie schwie-
rig führende Politiker in Afghanistan einzuschätzen sind.






(A) (C)



(D)(B)

Philipp Mißfelder

Dem von Ihnen geäußerten Generalverdacht würde
ich allerdings schon widersprechen. Niels Annen hat es
ja gerade beschrieben. Es bewerben sich zurzeit elf oder
zwölf Kandidaten um das Präsidentenamt, wobei der
Ausgang der Präsidentschaftswahl ungewiss ist. Wir ha-
ben über die Jahre unzählige Parlamentarierdelegationen
aus Afghanistan bei uns gehabt. Ich wehre mich einfach
dagegen, dass so getan wird, als ob jeder Funktionsträger
oder jeder Würdenträger in Afghanistan automatisch ein
Schwerverbrecher wäre. Dem ist einfach nicht so.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


– Natürlich ist uns das bekannt, was die Familie Karzai
angeht, selbstverständlich. Nur, Sie können sich, wenn
Sie vor Präsident Karzai stehen, sei es auf der Münchner
Sicherheitskonferenz oder bei anderen Begegnungen,
nicht die Leute backen. Wir sind doch nicht in der Posi-
tion, jemanden aus unseren Reihen zum afghanischen
Präsidenten zu bestimmen. Wir haben vielmehr mit den
Leuten, die wir dort vorgefunden haben, in irgendeiner
Form kooperieren müssen. Da gibt es nun einmal Per-
sönlichkeiten, die extrem zwielichtig sind; es gibt aber
auch gute Beispiele. Einer der engsten Berater von Präsi-
dent Karzai, Herr Spanta, war für die Grünen jahrelang
im Stadtrat in Aachen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es gibt auch keine Sippenhaft!)


Mit dem haben Sie gute Gespräche geführt und wir auch.

Wir arbeiten daran, dass Good Governance, also gute
Regierungsführung, überhaupt eine Chance in diesem
Land hat. Und nur deshalb haben wir militärisch einge-
griffen, um dafür überhaupt wieder Spielraum zu be-
kommen. Das war der Beweggrund für unsere Aktivitä-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will auf das zurückkommen, was Herr Trittin ge-
sagt hat. Sie waren bei der Formulierung der ursprüngli-
chen Ziele beteiligt. Zwar möchte ich nicht jedes Wort
von Joschka Fischer auf die Goldwaage legen, aber es ge-
hört zur kritischen Betrachtung auch dazu – darüber sind
wir uns im Auswärtigen Ausschuss doch einig –, uns zu
fragen: Waren vielleicht die Ziele zu hoch, die wir uns ge-
setzt haben? Den kompletten Einsatz als gescheitert zu be-
zeichnen, geht mir zu weit; aber vielleicht waren die
Ziele etwas bzw. wesentlich zu hoch gegriffen.

Einen wichtigen Punkt möchte ich meinen eigentli-
chen Bemerkungen voranstellen, auch mit Blick auf den
Beitrag, den der Bundespräsident in München geleistet
hat. Das ist in dieser Debatte schon mehrmals von uns
gesagt worden. Von uns glaubt niemand, dass es rein mi-
litärische Lösungen von Konflikten gibt. Wir wählen im-
mer den politischen Ansatz. Wir glauben aber, dass es,
um überhaupt wieder politischen Spielraum zu errei-
chen, manchmal als äußerstes Mittel notwendig ist, Mili-
tär einzusetzen. Deshalb diskutieren wir hier auch so in-
tensiv. Deshalb ist auch das Parlament in einem so
großen Umfang wie bei kaum einem anderen Politikfeld
eingebunden und trifft letztendlich die Entscheidung au-
tonom. Das geschieht alles vor dem Hintergrund, dass
wir in Deutschland den Parlamentsvorbehalt haben. Das
soll auch so bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801404900

Herr Kollege Mißfelder, gestatten Sie noch eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Neu?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801405000

Ja, auch wenn ich ihn noch nicht kenne.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der ist ja auch neu!)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801405100

Herr Kollege Mißfelder, vor über vier Jahren kam es

zu diesem Vorgehen in Kunduz, bei dem über hundert
Menschen getötet worden sind. Ich habe seitdem nie von
irgendeiner Bundesregierung oder auch von Regierungs-
fraktionen ein Wort des Bedauerns über die getöteten
und verletzten Opfer gehört.


(Stefan Rebmann [SPD]: Stimmt nicht!)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801405200

Stimmt nicht!


(Zuruf von der LINKEN: Eine Entschuldigung!)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801405300

Eine Entschuldigung. – Sind Sie in der Lage, im Rah-

men dieser Diskussion – heute findet ja auch eine ge-
wisse Aufarbeitung statt – eine Entschuldigung gegen-
über den Opfern und den Hinterbliebenen
auszusprechen?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801405400

Ich weiß nicht, ob ich als Parlamentarier überhaupt in

der Position bin, mich für etwas zu entschuldigen, nach-
dem wir als Regierungsfraktion ja die Bundeswehr vor
allem gegen Verdächtigungen in Schutz nehmen muss-
ten. Ich sage Ihnen: Es gab selbstverständlich jederzeit
und von Anbeginn im Rahmen der Vorfälle von Kunduz
ein tiefes Bedauern. Selbstverständlich.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber keine Entschuldigung!)


Glauben Sie denn, es sei uns egal gewesen, was damals
passiert ist? Wir versuchen ja bis heute, die richtigen
Schlüsse daraus zu ziehen, inklusive eine Antwort auf
die Frage zu finden, ob wir nicht die richtigen techni-
schen Antworten darauf geben müssen, was Unterstüt-
zung der Soldaten, aber auch Aufklärungsmöglichkeiten
der Soldaten angeht.

Vorhin wurde über Drohnen unter einem anderen Ge-
sichtspunkt diskutiert; es ging vor allem um Fragen wie






(A) (C)



(D)(B)

Philipp Mißfelder

extralegale Tötungen, die von den USA ausgehen. Ich
möchte diesen Punkt ebenfalls ansprechen, weil oft et-
was vermengt wird, was nichts miteinander zu tun hat:
Der Vorfall bei Kunduz 2009 wäre beim Einsatz einer
Drohne anders abgelaufen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor diesem Hintergrund sage ich an dieser Stelle: Zu ei-
ner kritischen Betrachtung gehört auch, dass wir all den
Soldatinnen und Soldaten den besten Schutz sowie die
besten Möglichkeiten der Aufklärung zur Verfügung
stellen, um Risiken zu minimieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


– Vielen Dank.

Das gibt mir die Gelegenheit, auch im Namen meiner
Fraktion an diesem wichtigen Tag so vielen Menschen,
die im Einsatz waren oder im Einsatz sind – die Vetera-
nen sind vorhin schon erwähnt worden – und die hervor-
ragende Arbeit für unser Land leisten, und deren Ange-
hörigen an dieser Stelle zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Natürlich ist dieser Einsatz eine Zäsur. Als das zu-
grundeliegende Mandat am 16. November 2001 auf den
Weg gebracht worden ist, ist dem keine einfache Ab-
stimmung vorausgegangen; schließlich war sie mit der
Vertrauensfrage verknüpft. Nach wie vor unter dem Ein-
druck der schrecklichen Ereignisse vom 11. September
2001 stehend, hat Gerhard Schröder damals von der „un-
eingeschränkten Solidarität“ mit Amerika gesprochen.
Dieser Solidarität sind wir wie noch nie zuvor in der Ge-
schichte unseres Landes gerecht geworden. Schon da-
mals hat Deutschland einen starken Beitrag geleistet.
Selbst wenn damals – übrigens in allen Parteien – sehr
strittige Diskussionen geführt worden sind, muss ich sa-
gen, dass diese Diskussionen definitiv zu einem Rei-
fungsprozess in unserem Land beigetragen haben. Ich
glaube, dass die kritische Betrachtung zu Beginn der
Diskussionen genauso wie jetzt, viele Jahre danach, da-
zugehört. Es gilt zu evaluieren, was gut und was schlecht
gelaufen ist.

Für uns bleiben nach dem Strategiewechsel, der in
London eingeleitet worden ist, bestimmte Aspekte wich-
tig, an denen wir festhalten wollen. Dazu gehört zum
Beispiel der Grundsatz „Gemeinsam hinein, gemeinsam
heraus“. Auch das ist – das hat der Bundesaußenminister
schon gesagt – ein Ausdruck von Verantwortung.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die meisten sind schon weg!)


– Herr Gehrcke, natürlich sind andere aus Afghanistan
schon herausgegangen. Das sage ich auch mit Blick auf
Verbündete von uns. Wir leisten aber einen besonderen
Beitrag, indem wir an diesem Grundsatz festhalten.

Es ist auch nicht einfach, diese Entscheidung hier alle
zwölf Monate oder in Wahlkämpfen zu verteidigen. Wir
haben aber in Deutschland einen demokratischen Dis-
kurs und haben die Entscheidung zur Diskussion freige-
geben, und wir haben uns in Wahlkämpfen hingestellt
und gesagt: Dafür stehen wir ein. – Ich glaube, es war
die richtige Entscheidung, zu sagen: Gemeinsam hinein
und auch gemeinsam heraus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieser wichtige Beitrag ist auch ein Ausdruck der Leis-
tungsfähigkeit der Bundeswehr insgesamt.

Die Opfer sind vorhin schon angesprochen worden.
Jedes Opfer ist eines zu viel, sei es ein ziviles oder sei es
ein Soldat.

Wir wollen die Sicherheitsarchitektur in Afghanistan
weiter stärken. Dafür soll es eine Anschlussmission ge-
ben. Das Notwendige ist dazu gesagt worden. Wir er-
warten Rechtssicherheit für diejenigen, die für uns dort
weiter tätig sein wollen. Wir erwarten aber auch Sicher-
heit insgesamt. Der Bundesentwicklungsminister hat
deutlich gemacht, welche Rahmenbedingungen für die
Entwicklungshelfer wir für die Zukunft erwarten. Das
wird uns vor große Herausforderungen stellen. Die Si-
tuation und damit die Sicherheitslage kann natürlich an-
gespannter werden, wenn die ISAF-Mission insgesamt
beendet wird.

Wir stehen jetzt unmittelbar vor der Herausforderung
der Präsidentschaftswahlen und vor der Frage, wie es in
dem Land politisch weitergeht. Auch die Provinzräte
stehen zur Wahl an. Eines muss ich an dieser Stelle
schon sagen: Selbst wenn es viel daran auszusetzen gibt,
selbst wenn einem nicht jeder Kandidat, der sich be-
wirbt, passt, wäre es früher, unter der Herrschaft der Ta-
liban, unvorstellbar gewesen, dass sich Frauen überhaupt
zur Wahl stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wäre unvorstellbar gewesen, dass es überhaupt eine
Auswahl gibt, dass es Richtungsdiskussionen um die
beste Ausrichtung dieses Landes gibt. Alles, was jetzt
geschieht, findet noch auf niedrigem Niveau statt. Ich
rede das hier auch nicht schön. Ich sage nicht, dass wir
alle unsere Ziele erreicht haben. Aber nichtsdestotrotz ist
nicht alles schlecht in Afghanistan.

In der Debatte sind die Teilhabe am Bildungs- und
Gesundheitswesen angesprochen worden. Wenn wir zu-
rückblicken werden, dann werden wir immer sagen kön-
nen, dass es in dem Bereich, wo wir tätig waren, Erfolge
gibt: Insbesondere die Infrastruktur ist ausgebaut wor-
den, die Elektrifizierung ist vorangetrieben worden,
Straßen sind gebaut worden, Brunnen sind gebaut wor-
den. Das sind Erfolge, selbst wenn das hier manchmal
belacht worden ist und manche gesagt haben: Dafür ist
ein Militäreinsatz doch nicht da. – Wir haben immer ei-
nen gesamtheitlichen Ansatz verfolgt und gesagt: Im
Zentrum dieser Mission steht nicht nur die militärische
Absicherung, sondern auch der zivile Beitrag, der hof-
fentlich nachhaltig sein wird.

Wir setzen bei dem Anschlussmandat darauf, dass die
Sicherheitsstrukturen sich nachher ohne uns tragen. Des-
halb wollen wir die Polizeiausbildung vorantreiben, was






(A) (C)



(D)(B)

Philipp Mißfelder

eine sehr große Herausforderung ist; die Themen sind
schon angesprochen worden.

Dazu gehört auch eine kritische Überprüfung; wir
wollen ja darüber im Auswärtigen Ausschuss groß dis-
kutieren. Ich nehme übrigens die Hinweise der evangeli-
schen Kirche als Einladung wahr, uns damit auseinan-
derzusetzen. Ich teile nicht alles, was dort formuliert
worden ist; es ist aber auch nicht alles falsch, was dort
aufgeschrieben worden ist. Deshalb möchte ich dieses
Angebot annehmen und darüber diskutieren: Wie geht es
eigentlich nach ISAF weiter, und wie kann sich die Ge-
sellschaft hier auch weiterhin verantwortlich gegenüber
den Menschen in Afghanistan zeigen?

Es ist vorhin gesagt worden, dass wir mit der heutigen
Debatte ein freundschaftliches Signal in Richtung des af-
ghanischen Volkes aussenden wollen. Das wollen wir
auch tun. Deshalb noch einmal mein klares Bekenntnis
– ich richte es an diejenigen, die uns in den vergangenen
Jahren massiv unterstützt haben –: Wir wollen auch für
Ihre Sicherheit garantieren und für das, was in dem Rah-
men möglich ist – mit Aufenthaltsgenehmigungen hier
und mit Sicherheit vor Ort; denn wir wollen nicht, dass
diejenigen, die uns über Jahre geholfen haben, schutzlos
denen ausgeliefert sind, die eventuell auf Rache sinnen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801405500

Nächster Redner ist der Kollege Tom Koenigs, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801405600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben eine dauerhafte, nachhaltige, alte und
intensive Beziehung zu Afghanistan, zum afghanischen
Volk. Ich hoffe, das bleibt so.

In den letzten zwölf Jahren sind Tausende Deutsche
nach Afghanistan gegangen: allein 129 724 Soldaten,
dazu zahllose Zivilisten, Polizisten, Peacekeeper, Ent-
wicklungshelfer oder Experten, Mitarbeiter von interna-
tionalen Organisationen – wie ich –, von nationalen Bot-
schaften, NGOs, Stiftungen usw. Uns alle hat eines
verbunden: eine Begeisterung, dorthin zu gehen und für
die richtige Sache einzustehen. Dort hat uns empfangen
eine Faszination, nicht nur von der Landschaft, sondern
auch vom afghanischen Volk, von den Afghanen selbst.
Ich kenne keinen, der länger als drei Monate in Afgha-
nistan gewesen ist, der diese Faszination nicht gespürt
hat. Diese Faszination begeistert viele von uns nach wie
vor; auch darüber reden wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt einen weiteren Punkt, der neu für viele von
uns war: Das waren die internationalen Teams. Das war
neu für mich bei den Vereinten Nationen, für andere in
internationalen NGOs und für die Soldaten in multinatio-
nalen Einheiten. Es waren ja nicht nur die 28 Staaten der
NATO beteiligt, sondern es waren 50 Staaten, darunter
22 Nicht-NATO-Staaten beteiligt: von der Schweiz bis
Tonga, von der Mongolei bis zur Ukraine. Uns alle hat
die Begeisterung verbunden, für die richtige Sache ein-
zustehen und aufseiten der Afghanen zu kämpfen, die
für Menschenrechte und Menschenwürde einstehen
– oft mit ihrem Leben –, die für Bildung und Gleich-
berechtigung sind, für Demokratie und Entwicklung.

Eine Zeit lang hat die Stabilisierungsmission der
ISAF auch funktioniert. Bis 2005 gab es keinen Krieg.
Eine Zeit lang hat das Peacekeeping funktioniert. Erst
als da „no peace to keep“ war, ist das umgeschlagen.
Eine Zeit lang ist es auch gelungen, gegen die totalitären
Kräfte anzukämpfen, gegen die Gotteskrieger und Ideo-
logen, so ungefähr bis 2004/05. Der Irakkrieg, der Ab-
sturz der Amerikaner von ihrem Moral High Ground
durch die Geschehnisse in Abu Ghureib und Guan-
tánamo haben dazu beigetragen, dass die Taliban sich
dann auch ideologisch neu formieren konnten, übrigens
international und von Pakistan aus.

Als Peacekeeper war ISAF bei den Afghanen populär.
Später erst, mit dem Eintritt der Kämpfe gegen die Auf-
ständischen, mit der Counterinsurgency, schlug das um.
Es gibt eine Langzeituntersuchung über Meinungen im
Norden von Afghanistan. Noch 2007 waren 80 Prozent
der Leute der Meinung, dass ISAF die Sicherheit verbes-
sert. 2013 waren es nur noch 15 Prozent. Oder: 2007 ha-
ben sich nur 5 Prozent der afghanischen Bevölkerung im
Norden vor ISAF gefürchtet; heute sind es 80 Prozent,
genauso viele, wie sich vor den Taliban fürchten. Des-
halb ist es Zeit, abzuziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, das wird höchste Zeit!)


Mit mehr Soldaten lässt sich nicht mehr ausrichten. Das
finden wir hier in Deutschland, und das finden auch die
Afghanen.

Einem Anliegen, das immer wieder an uns herange-
tragen wird, gerade von denen, die mit uns gearbeitet ha-
ben, den Parlamentarierinnen und Parlamentariern, den
Journalistinnen und Journalisten, den liberalen Demo-
kraten in Afghanistan, auf deren Seite wir ja gekämpft
haben, müssen wir uns stellen, indem wir selbst eine
Antwort auf die Frage geben, was auf afghanischer Seite
jetzt von uns, von den Entwicklungspolitikern, von den
internationalen – zivilen – Organisationen erwartet wird.
Nebenbei bemerkt: Ich glaube, eine militärische Nach-
folgemission wird es nicht geben; aber darüber werden
wir noch sprechen müssen. – Die Afghanen sagen sehr
deutlich, was sie von uns erwarten, und das können wir
auch leisten, nämlich Bildung, Ausbildung, Fortbildung,
Capacity Building, Bildungseinrichtungen, Universitäts-
partnerschaften, Bildungspartnerschaften.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Da geht sehr viel mehr, als in der Fantasie von DAAD
und GIZ existiert.






(A) (C)



(D)(B)

Tom Koenigs

An Geld fehlt es ja nicht. Mit Geld kann man jedoch
keine Demokratie schaffen, wohl aber mit einer gestärk-
ten Bildungselite, die in Afghanistan immer noch sehr
schwach ist. Ich wünsche mir von den Entwicklungs-
politikern sehr, dass sie die geplanten 430 Millionen
Euro jährlicher Entwicklungshilfe – das ist ja ein Riesen-
betrag – auch für Bildung einsetzen; denn das ist etwas,
was wir können und was die Afghanen von uns, von
Deutschland, erwarten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich würde mir natürlich wünschen, dass diejenigen,
die in Zukunft nach Afghanistan gehen, die Begeiste-
rung für unser Engagement teilen und auch weitertragen.
Diese Begeisterung wird diejenigen, die dort bleiben,
und auch diejenigen, die in schwieriger Situation dort
waren, weiterhin mit Afghanistan verbinden; sie wird
bleiben. In Afghanistan wird von unserem Einsatz nur
das bleiben, was sich in den Köpfen verändert hat. Ent-
scheidend ist nicht das, was wir an Straßen, Brücken und
Brunnen gebaut haben, sondern das, was sich in den
Köpfen verändert hat. Dahin gehend etwas zu bewegen,
muss in der nächsten Zeit unser Ziel sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801405700

Ich erteile jetzt dem Kollegen Stefan Rebmann, SPD,

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1801405800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir debattieren heute zum letzten Mal über
das durchaus und zu Recht umstrittene ISAF-Mandat der
Bundeswehr in Afghanistan. Die Menschen in Afghanis-
tan fragen sich natürlich: Was wird aus uns? Wie sieht
unsere Zukunft aus? Welche Perspektiven haben wir?
Für die Menschen in Afghanistan rückt also immer mehr
in den Mittelpunkt, ob wir zu unseren Zusagen stehen
und dem Land nach dem Abzug der ISAF-Truppen wei-
terhin zur Seite stehen und es unterstützen.

In den vergangenen zwölf Jahren – darauf wurde
schon mehrfach hingewiesen – ist einiges erreicht wor-
den, und viel zu viel ist nicht erreicht worden. Laut dem
von der Bundesregierung vorgelegten Fortschrittsbericht
gehen mittlerweile knapp 10 Millionen Kinder zur Schule,
3,6 Millionen davon sind Mädchen. Es gibt Verbesserun-
gen im Gesundheitswesen, und die Müttersterblichkeit,
lieber Kollege Gysi, ist um mehr als zwei Drittel gesun-
ken: von 1 600 Sterbefällen pro 100 000 Geburten auf
unter 500. Ich finde, das ist ein Erfolg, den man nicht
kleinreden sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber innerhalb von zwölf Jahren!)


– Ich will das auch nicht in den Himmel loben, liebe
Kollegin Hänsel. Ich sage nur, dass es auch Erfolge
gibt. – Es gibt Fortschritte beim Aufbau von rechtsstaat-
lichen Institutionen und in der Verwaltung. Mehr Men-
schen haben Zugang zu Wasser. Die Energieversorgung
ist deutlich besser geworden, und auch die Infrastruktur
wurde verbessert; Kanäle, Brücken und Straßen wurden
vielerorts instand gesetzt oder neu gebaut. Die Medien-
landschaft erfreut sich – auch darauf ist schon hingewie-
sen worden – einer Meinungs- und Pressefreiheit, die
größer ist als in so manchem die Olympischen Spiele
ausrichtenden Land der Gegenwart und der Vergangen-
heit.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und in SaudiArabien!)


Ich war im vergangenen Jahr mit der Kollegin Ute
Koczy von Bündnis 90/Die Grünen, die leider nicht
mehr im Bundestag ist, und mit der Kollegin Ratjen-
Damerau von der FDP in Afghanistan. Wir haben auch
viel Positives feststellen können, wie etwa den Bau einer
Straße von Masar-i-Scharif zum Ali-Baba-Gate, wo-
durch Entwicklung überhaupt erst ermöglicht worden
ist. Die Bauern und die Menschen in den Dörfern haben
uns erzählt, wie diese Straße ihre Lebenssituation positiv
verändert hat, weil sie jetzt nicht mehr über vier Stun-
den, sondern weniger als eine Stunde brauchen, um in
die nächste Stadt zu kommen. Diese Straße rettet
schlichtweg Leben. Die Menschen sagen: Wir haben
jetzt endlich Zugang zu Bildung und medizinischer Ver-
sorgung, und wir können Handel betreiben. – Das alles
nur aufgrund einer einzigen Schotterstraße. Dadurch ent-
steht Entwicklung. Wir haben sehen können, wie am
Rand dieser Straße Gebäude gebaut werden, wie Handel
betrieben wird und sich Kleingewerbe ansiedelt. Ich
finde, auch das sind kleine Erfolge.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben auch viele Kinder getroffen bzw. gesehen,
die auf dem Weg zur Schule waren. Natürlich haben wir
dort auch erlebt, dass man uns gesagt hat: Wir können
gar nicht so viele Schulen und Lehrerinnen und Lehrer
zur Verfügung stellen, wie es Bedarf dafür gibt. Afgha-
nistan ist ein junges Land mit einer jungen Bevölkerung.
Wir müssen einmal einsehen, begreifen und auch laut sa-
gen: In diesem Land fehlt eine komplette Generation;
eine komplette Generation ist ums Leben gekommen
oder ihr wurde Bildung vorenthalten. Vor diesem Hinter-
grund ist es ein Erfolg, wenn jetzt so viele Kinder zur
Schule gehen können. Ich finde, das sollten wir hier
wirklich nicht kleinreden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich treffe mich nachher hier im Reichstag mit einem
deutschen Mediziner, der sich seit Jahren in Afghanistan
engagiert, indem er eine Klinik für Frauen aufbaut, die
an Gebärmutter- oder Brustkrebs erkrankt sind. Das
zeigt, wie groß das Engagement ist.

Es zeigt sich aber auch, wo es noch gravierende Defi-
zite gibt. Deshalb sage ich auch – wir sollten das nicht
ausblenden –: Wir haben bei dieser Reise mit Frauen-
rechtlerinnen und afghanischen Anwältinnen gespro-
chen, die sich oft unter Lebensgefahr für andere Frauen
engagieren. Sie haben uns Dinge erzählt, die die Vorstel-






(A) (C)



(D)(B)

Stefan Rebmann

lungskraft sprengen und bei denen es einem die Sprache
verschlägt. Wir stellen fest, dass in Afghanistan Kinder-
und Frauenrechte nach wie vor nicht großgeschrieben
werden und es viele Behörden schlichtweg noch zulas-
sen, wenn Gewalt gegen Frauen stattfindet. Das können
und das werden wir niemals akzeptieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


– Auch generell, liebe Kollegin Hänsel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen für
unser entwicklungspolitisches Engagement kein Bun-
destagsmandat, sondern den politischen Willen, Ent-
wicklungspolitik umzusetzen und den Menschen in Af-
ghanistan eine Zukunft zu geben. Die Botschaft muss
lauten: Wir lassen Afghanistan auch nach ISAF nicht im
Stich. Wir stehen zu unserer Verantwortung und zu unse-
ren Zusagen. Wir erwarten aber auch, dass sich die af-
ghanische Regierung an ihre Zusagen hält. Frank-Walter
Steinmeier hat vorhin schon deutlich darauf hingewie-
sen.

Zu unserem Hilfsversprechen gehört auch, dass wir
uns um die Menschen kümmern, die uns in den vergan-
genen Jahren zur Seite gestanden und geholfen haben
und deren Leben heute zum Teil bedroht ist. Ich bin der
Meinung: Wenn es nötig ist, dann müssen wir diesen
Menschen unkompliziert helfen und sie bei uns aufneh-
men, damit sie hier eine Zufluchtsstätte haben.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801405900

Herr Kollege Rebmann, Sie denken an die Zeit?


Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1801406000

Ich komme zum Schluss, mein letzter Satz. – Ich habe

in der Generaldebatte zur Entwicklungspolitik gesagt:
Eine gute Entwicklungspolitik ist genau betrachtet Frie-
denspolitik. – Lassen Sie uns mit den 430 Millionen
Euro eine gute Friedenspolitik machen, also eine gute
Entwicklungspolitik, die konsequent, zielgerichtet und
nachhaltig ist – für die Menschen in Afghanistan.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1801406100

Nächster Redner ist der Kollege Thorsten Frei, CDU/

CSU, dem ich hiermit das Wort erteile.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1801406200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am

vorvergangenen Wochenende hat Bundespräsident
Joachim Gauck mit einer bemerkenswerten Rede die
Münchner Sicherheitskonferenz eröffnet. Ich glaube,
dass er sowohl in seiner Analyse der Situation als auch
in seinen Schlussfolgerungen bezüglich der Übernahme
von Verantwortung Deutschlands in der Welt richtig
liegt. Ich glaube vor allen Dingen auch, dass es wichtig
war, dass er einen öffentlichen Diskurs begonnen hat,
den wir in der Gesellschaft und auch hier im Parlament
miteinander führen müssen. Ich glaube, dass es richtig
und wichtig ist, dass wir uns mit Ziel und Richtung deut-
scher Außen- und Sicherheitspolitik im europäischen
Kontext damit beschäftigten, dass wir uns fragen, wie
wir uns positionieren, und dass wir im Auge behalten,
wie unsere engsten Verbündeten jahrzehntelang letztlich
für unsere gute Situierung mit Einsatz und Engagement
gekämpft haben. Jetzt geht es darum, dass Deutschland
entsprechend seiner Größe und wirtschaftlichen Stärke
die Verantwortung in der Welt, in der internationalen
Staatengemeinschaft übernimmt, die notwendig ist.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Gut auswendig gelernt! – Weiterer Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube
allerdings auch, dass es wichtig ist, dass wir die richtigen
Maßstäbe setzen, dass es in der Tat – darauf haben die
Vertreter der Bundesregierung hingewiesen – darauf an-
kommt, einen vernetzten Ansatz zu wählen, dass es vor
allen Dingen auch auf die wirtschaftliche Entwicklung,
die Zusammenarbeit und die Diplomatie ankommt. Vor
diesem Hintergrund ist es richtig, was wir in den vergan-
genen zwölf Jahren in Afghanistan getan haben. Dieser
Einsatz war gut, richtig und notwendig. Ich werbe sehr
dafür, dass wir das Mandat heute ein letztes Mal verlän-
gern, damit wir den Erfolg zu einem endgültigen Erfolg
machen können und den Weg weiter gut beschreiten
können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: In welcher Welt leben Sie eigentlich?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit 2001
sind wir in Afghanistan. Mehr als 4 500 Tage haben auch
unsere Soldatinnen und Soldaten den richtigen Rahmen
für Stabilität und für Frieden gesetzt. Wir haben große
Opfer gebracht. Auch darauf hat Kollege Gysi hingewie-
sen. Allein der militärische Einsatz hat über 8 Milliarden
Euro gekostet. Vieles ist darüber hinaus passiert. Wir
werden uns nach 2014 im zivilen Bereich stark engagie-
ren und dafür jährlich etwa eine halbe Milliarde Euro zur
Verfügung stellen. Es ist, wie ich glaube, wichtig, dass
wir jetzt diesen Einsatz in einem geordneten Abzug, in
einer Übergabe der Verantwortung an die afghanischen
Sicherheitsbehörden letztlich auch zu einem wirklichen
Erfolg werden lassen. Dafür müssen wir das Mandat er-
teilen.

Ich war neun Jahre lang Oberbürgermeister einer Gar-
nisonsstadt. Ich weiß, was es bedeutet, wenn man Solda-
tinnen und Soldaten in den Krieg ziehen sieht. Ich weiß
auch, was es heißt, wenn sie nicht unversehrt oder gar
überhaupt nicht zurückkommen. 2009 beispielsweise
war das Jägerbataillon 292 aus Donaueschingen im Ein-
satz. Dabei ist ein Soldat im Feuergefecht gefallen. Vier
weitere Kameraden sind schwer verwundet und verletzt
worden. Natürlich wissen wir, dass 55 Bundeswehrsol-
daten in diesem Einsatz gefallen sind. Die Opfer sind
groß, und deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen,
mich persönlich bei denen zu bedanken, die in den ver-
gangenen zwölf Jahren auf der Grundlage der Be-






(A) (C)



(D)(B)

Thorsten Frei

schlüsse dieses Hauses Verantwortung unmittelbar vor
Ort und unter schwierigsten Umständen übernommen
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Verantwortung, meine sehr verehrten Damen und
Herren, heißt auch, dass wir diesen Einsatz zu einem gu-
ten Ende bringen. Aus dem Fortschrittsbericht der Bun-
desregierung der vergangenen Woche wird deutlich, dass
es sehr viel Licht, aber eben auch Schatten gibt. Richtig
ist, dass viele Mädchen in die Schule gehen können, dass
das afghanische Parlament zu 28 Prozent aus Frauen be-
steht, dass die Energie- und Wasserversorgung besser
gesichert ist, dass die Infrastruktur auf einem anderen
Niveau ist, als es vor dem Einsatz der Fall war, dass es
nach und nach gelingt, Sicherheitsverantwortung an die
afghanischen Sicherheitskräfte zu übergeben. Darüber
hinaus gibt es aber auch vieles, was jetzt wieder in Ge-
fahr steht. Das sieht man daran, dass sich dort die Zahl
der getöteten Sicherheitsbediensteten im vergangenen
Jahr nach Übergabe der Verantwortung an die afghani-
schen Sicherheitsbehörden im Rahmen des Transitions-
prozesses verdoppelt hat. Das kann man daran erkennen,
dass die Taliban versuchen, Stück für Stück Räume zu-
rückzuerobern. Das kann man auch an vielen anderen
Punkten sehen, an denen dieser Auftrag eben noch nicht
zu einem guten Ende geführt wurde.

Deshalb ist es entscheidend, dass wir in diesem Jahr
im Land bleiben und damit auch einen guten Verlauf
der Präsidentschaftswahlen gewährleisten können. Ich
glaube, dass das auch ein deutliches Signal an das afgha-
nische Volk sein kann, in der Zukunft selbst mehr Ver-
antwortung zu übernehmen. Denn klar ist – auch das ha-
ben heute bereits mehrere Redner gesagt –, dass es am
Ende nicht das Militär allein sein kann, das die Probleme
dort löst. Es muss vor allen Dingen auch einen inneraf-
ghanischen Prozess der Versöhnung und des Mit-
einanders geben, damit die Voraussetzungen, die durch
die internationale Staatengemeinschaft geschaffen wor-
den sind, am Ende zu einem guten Ergebnis für Staat und
Gesellschaft führen.

In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und
Herren, glaube ich, dass es jetzt vor allen Dingen darauf
ankommt, die Erfolge der Vergangenheit zu sichern und
darauf zu achten, dass das, was aufgebaut wurde, nicht
leichtfertig wieder zerstört wird. Das ist unsere Verant-
wortung gegenüber denen, die für uns im Einsatz waren,
unsere Verantwortung in der internationalen Staatenge-
meinschaft, aber auch unsere Verantwortung gegenüber
dem afghanischen Volk.

Ich glaube, dass all das, was in der afghanischen Ge-
sellschaft verbessert wurde, diesen Einsatz gerechtfertigt
hat und ihn in der Nachbetrachtung als Erfolg erscheinen
lässt. Deshalb ist es wichtig, heute die weitere Mandatie-
rung für die Zeit bis zum Ende dieses Jahres zu beschlie-
ßen und alles dafür zu tun, dass wir uns auch über das
Jahr 2014 hinaus in angemessener Weise in Afghanistan
engagieren können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801406300

Herr Kollege Frei, das war Ihre erste Rede. Ich darf

Ihnen im Namen des ganzen Hauses dazu gratulieren.


(Beifall)


Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Felgentreu, SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1801406400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß

nicht, ob es Ihnen allen so ähnlich geht wie mir. Ich hatte
den Eindruck: Insbesondere die Kritik am fortgesetzten
ISAF-Einsatz wurde – weil das eben eine Debatte ist, die
schon sehr lange geführt wird – ein bisschen zu routi-
niert vorgetragen. Mir ist dabei ein Aspekt zu kurz ge-
kommen, der gerade aus verteidigungspolitischer Sicht
Beachtung verdient: Der heute vorliegende Antrag der
Bundesregierung zur letztmaligen Verlängerung des
ISAF-Mandats ist doch auch ein Anlass zu verhaltener
Freude, und zwar deswegen, weil er eben eine echte Zä-
sur bedeutet; es ist wirklich und unwiderruflich die letzte
Verlängerung des ISAF-Mandats.

Der Auftrag, mit dem wir die Bundeswehr nach
Afghanistan entsandt haben, ist jetzt beinahe erfüllt. Die
Verantwortung für Sicherheit und Ordnung in den Ein-
satzgebieten liegt schon heute federführend bei den af-
ghanischen Sicherheitskräften. Dabei werden sie aller-
dings immer noch von der Bundeswehr mit ihren
besonderen Fähigkeiten unterstützt.

Der Standort Kunduz, über den wir so viel geredet ha-
ben, ist schon im vergangenen Jahr an die afghanische
Armee übergeben worden. In den letzten zehn Monaten
des ISAF-Mandats werden Rückbau und Rückverlegung
im Zentrum stehen. Da frage ich mich schon, wie bei-
spielsweise die Linke begründen kann, einem solchen
Rückbau- und Rückverlegungsmandat nicht die Zustim-
mung zu erteilen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU])


Eine Zeit großer Belastungen, ein Einsatz, in dem die
Bundeswehr und damit unser ganzes Land auch den
Schrecken des Krieges wieder kennengelernt haben,
steht vor dem Abschluss. Die SPD-Fraktion blickt an-
lässlich der vor uns liegenden Entscheidung mit Bewe-
gung und Dankbarkeit auf das zurück, was die Soldatin-
nen und Soldaten der Bundeswehr und ihre Verbündeten
in Afghanistan erlebt, geleistet und auch erlitten haben.
Wir freuen uns insbesondere mit ihnen und ihren Fami-
lien darüber, dass dieser schwierigste Auftrag in der Ge-
schichte der Bundeswehr nun zu Ende geht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotzdem sind wir
uns selbstverständlich darin einig, dass wir diesem Ein-
satz nicht mit ungetrübter Freude zustimmen können;






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Fritz Felgentreu

denn wir erkennen natürlich auch die Gefahr – das ist
heute mehrfach angesprochen worden –, dass die
Gründe, die vor gut zwölf Jahren zu dem NATO-Einsatz
in Afghanistan geführt haben, wieder wirksam werden
könnten.

2001 haben wir erlebt, dass von einem unterentwi-
ckelten und scheinbar unendlich weit entfernten Land
wie Afghanistan eine konkrete Bedrohung für die Men-
schen in Amerika und in Europa ausgehen konnte. Das
deutsche Engagement in Afghanistan war deswegen im-
mer darauf ausgerichtet, das Land auf einem Weg zu
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und zum friedlichen
Aufbau einer Zivilgesellschaft zu begleiten; denn Wohl-
stand, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind nach un-
serer festen Überzeugung die besten und zuverlässigsten
Garanten dafür, dass Afghanistan nicht wieder zu einem
Ursprungs- oder Rückzugsort des weltweiten Terroris-
mus werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU])


Tatsächlich hat Afghanistan durch unsere Unterstüt-
zung Fortschritte gemacht. Dass die afghanischen Si-
cherheitskräfte nach allgemeiner Einschätzung in diesem
Jahr in der Lage sein werden, ohne Hilfe von außen die
geregelte Durchführung der Präsidentschafts- und Re-
gionalwahlen am 5. April dieses Jahres zu gewährleis-
ten, ist auch ein Erfolg der Berater- und Ausbildungstä-
tigkeit der Bundeswehr.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei der Infrastruktur, der Bildung, den Frauenrechten
und nicht zuletzt beim durchschnittlichen Einkommen
steht Afghanistan heute ungleich besser da als zu Beginn
des Einsatzes. Besser heißt nicht gut, da sind wir uns alle
einig. Aber klar ist doch: Es hat auch Fortschritte gege-
ben. Diese Fortschritte sind und bleiben allerdings pre-
kär. Sie haben vor allen Dingen keine nachhaltige wirt-
schaftliche Grundlage im eigenen Land, sondern sie
werden finanziell von den Gebernationen getragen.

60 Prozent der Menschen verdienen ihren Lebens-
unterhalt in der Landwirtschaft, deren erfolgreichster
Erwerbszweig, auf einer Anbaufläche von über
200 000 Hektar, der Anbau von Mohn ist. Allgegenwär-
tige Korruption stellt den Aufbau des Rechtsstaats in-
frage. Zwischen der Regierung und den Taliban – auch
das ist bereits angesprochen worden – herrscht immer
noch Krieg, in dem die afghanischen Sicherheitskräfte
in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres
4 600 Gefallene zu beklagen hatten.

Uns allen muss klar sein: Das Auslaufen des ISAF-
Mandats am 31. Dezember 2014 entbindet uns und die
internationale Staatengemeinschaft nicht von der Verant-
wortung für Afghanistan. Um Rückschlägen vorzubeu-
gen, um das Erreichte zu bewahren und um bei weiteren
Fortschritten zu helfen, werden Deutschland und die
Bundeswehr Afghanistan auch in Zukunft durch Bera-
tung und Ausbildung unterstützen müssen. Es wird um
Hilfe zur Selbsthilfe und nicht um einen Kampfauftrag
gehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Voraussetzung dafür ist, dass die afghanische Regie-
rung Deutschland und die NATO dazu einlädt, dass die
Sicherheit derer, die wir dort einsetzen könnten, gewähr-
leistet ist und dass dieses Parlament seine Zustimmung
erteilt.

Zunächst aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte
ich Sie, gemeinsam mit der SPD-Fraktion der von der
Bundesregierung beantragten Mandatsverlängerung zu-
zustimmen – und das eben mit der von mir erwähnten
verhaltenen Freude.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801406500

Herr Kollege Felgentreu, auch Ihnen alles Gute und

die besten Glückwünsche des ganzen Hauses zu Ihrer
ersten Rede.


(Beifall)


Das Wort hat jetzt die Kollegin Elisabeth
Motschmann, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1801406600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren!

Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien,
sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass
Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben
auch Zivilisten getötet werden.

Diesen Vorwurf erhob Margot Käßmann in ihrer denk-
würdigen Predigt zum Neujahrstag 2010. Es ist schon
gediegen abwegig, dass man sich dahin gehend täuschen
kann, dass Soldaten Waffen benutzen.

Nichts ist gut in Afghanistan, beklagte übrigens auch
ihr Nachfolger im Amt, Nikolaus Schneider, vor drei
Wochen bei der Vorstellung einer Stellungnahme der
EKD zum Einsatz in Afghanistan. Er betonte, dass er
Käßmanns Aussage für im Wesentlichen zutreffend
halte. Ich teile diese Position nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD])


Herr Trittin, ich teile auch nicht Ihre Position, dass
diese Stellungnahme hilfreich sei. Wer hoffte, in dieser
Stellungnahme der EKD eine klare ethische Orientie-
rung zu finden, wurde enttäuscht. Das Papier beinhaltet
die Ablehnung des Militäreinsatzes, gleichzeitig aber
auch seine Begründung unter bestimmten Bedingungen.
Das ist zu unklar.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ein Widerspruch!)


Mit einer Doppelstrategie können wir den Einsatz unse-
rer Soldaten nicht begründen.






(A) (C)



(D)(B)

Elisabeth Motschmann


(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Wenn wir erneut den Beschluss fassen, den Einsatz
unserer Soldaten in Afghanistan zu verlängern, müssen
wir hinter diesem Auftrag stehen, und zwar geschlossen,
und daran mangelt es so oft. Schließlich sind unsere Sol-
datinnen und Soldaten bereit, mit ihrem Leben für den
Schutz anderer einzustehen. Deshalb haben sie unseren
Dank verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind seit nunmehr über einem Jahrzehnt an der
Mission beteiligt, in der es letztlich darum geht, die uni-
versell gültigen Menschenrechte durchzusetzen und zu
verteidigen. Wer davon ausging, dass beides konfliktfrei
oder auch zügig zu haben sei, war naiv. Afghanistan ist
seit langem Schauplatz bewaffneter Konflikte. Die Tali-
ban, die Mitte der 90er-Jahre die Macht an sich rissen,
führten das Land und seine Menschen in eine internatio-
nale Isolation. Wer nicht vergessen hat, was damals los
war, wer die katastrophalen Verhältnisse, die katastro-
phalen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere die
schlimme Situation der Mädchen und Frauen in Afgha-
nistan nicht vergessen hat, der kann nicht so wie Sie,
Herr Gysi, über die Ergebnisse des ISAF-Einsatzes re-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Das war schlimm.

Weil wir immer geneigt sind, über das Nichterreichte
zu reden, will ich in vier Punkten kurz sagen, was er-
reicht wurde:

Erstens. Die Sicherheitslage hat sich verbessert; Herr
Steinmeier hat es gesagt. Es werden keine Terroristen
mehr in Afghanistan ausgebildet, und das ist ein Erfolg.
Die Verkehrswege können von den afghanischen Kräften
selbst gesichert werden. Gleiches gilt für die Ballungs-
gebiete. Allerdings gibt es natürlich auch hier noch er-
hebliche Defizite.

Zweitens. Den Afghanen geht es deutlich besser, Herr
Gysi. Mehr Menschen als jemals zuvor haben heute Zu-
gang zu Wasser und Strom. Das ist existenziell wichtig.
Angesichts dessen können Sie doch nicht so tun, als sei
es für die Menschen in dem Land nicht besser geworden.
Im Übrigen enthält die neue afghanische Verfassung ei-
nen umfassenden Grundrechtskatalog, und sie sieht eine
unabhängige Menschenrechtskommission vor. Darüber
hinaus haben die Afghanen die meisten völkerrechtli-
chen Verträge ratifiziert. Daran kann man jetzt anknüp-
fen. Darauf kann man aufbauen, auch wenn es an der
Umsetzung natürlich noch mangelt.

Drittens – das ist mir besonders wichtig – gibt es
wirklich Fortschritte für Frauen und Mädchen in diesem
Land: Die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen. Die
Säuglings- und Müttersterblichkeit konnte signifikant re-
duziert werden. Der Anteil der Mütter, die bei der Ge-
burt medizinische Hilfe erhalten, hat sich von 2003 bis
2011 versechsfacht. Die meisten afghanischen Kinder
konnten mittlerweile gegen die gefährlichsten Krank-
heitserreger geimpft werden. Gut 9 Millionen Kinder
– das ist hier wiederholt gesagt worden – gehen mittler-
weile zur Schule. Davon sind fast 40 Prozent Mädchen.
Zum Vergleich: Unter den Taliban besuchten weniger als
eine halbe Million Kinder die Schule. Mädchen konnten,
wenn überhaupt, nur im Verborgenen lernen. Heute stu-
dieren Frauen in Afghanistan. Sie stellen sich zur Wahl.
Das ist doch ein Erfolg, und das dürfen wir nicht kleinre-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Rechtslage der Frauen hat sich seit dem Ende des
Talibanregimes deutlich gebessert, wenngleich wir na-
türlich wissen – ich bin nicht naiv –, dass die gewalt-
same Bedrohung von Frauen noch ein ganz ernstes Pro-
blem ist.

Viertens. Deutliche Fortschritte – auch das ist schon
erwähnt worden – gibt es auch beim Wiederaufbau und
bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Die staatlichen
Einnahmen haben sich seit 2002 mehr als verzehnfacht,
und das jährliche Pro-Kopf-Einkommen erhöht sich Jahr
für Jahr beträchtlich.

Man kann also durchaus den Blick auf die Dinge rich-
ten, die viel besser geworden sind. Aus all diesen Grün-
den können wir mit gutem Gewissen der Fortsetzung des
Mandats bis Ende des Jahres zustimmen. Allerdings
braucht Afghanistan – das ist ebenfalls gesagt worden –
auch in Zukunft unsere Unterstützung. Wenn unsere Sol-
daten Ende des Jahres das Land verlassen, dürfen sich
die Menschen in Afghanistan bitte nicht verlassen füh-
len. Hilfe und Unterstützung – dann in anderer Form –
zu geben, bleibt unsere Aufgabe. Daher ist die Perspek-
tive einer friedenssichernden Anschlussmission an das
ISAF-Mandat ab 2015 – dies wurde schon angespro-
chen – besonders wichtig; sie muss allerdings natürlich
auch auf Voraussetzungen basieren, die noch geschaffen
werden müssen.

Fazit. Die Lebenssituation in Afghanistan war vor
dem ISAF-Einsatz hoffnungslos. Heute haben viele
Menschen zumindest wieder eine Perspektive. Ich sage
ganz deutlich – auch Ihnen, Herr Gysi –: Jedes Kind, das
heute zur Schule geht, bedeutet Zukunft und Fortschritt.
Jedes Mädchen, jede Frau, die von den Bildungsangebo-
ten profitiert, bedeutet Zukunft. Sie haben das alles
negiert und niedergemacht. Das kann nicht sein. Jeder
wirtschaftliche und gesundheitspolitische Fortschritt be-
deutet Zukunft, jeder noch so kleine Meilenstein zur
Verwirklichung der Menschenrechte bedeutet Zukunft –
Zukunft für Afghanistan.

Deshalb danke ich abschließend allen, den Soldaten,
den Polizistinnen und Polizisten sowie den vielen Ein-
satzhelfern in den Hilfsorganisationen, für ihr Engage-
ment, für ihre Hilfe für die Menschen in Afghanistan.
Das muss uns immer am meisten interessieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801406700

Vielen Dank. – Frau Kollegin Motschmann, auch Ih-

nen darf ich ganz herzlich im Namen des Hauses gratu-
lieren. Denn es war auch Ihre erste Rede.


(Beifall)


Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Brandl,
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1801406800

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Die Debatte heute und die Verab-
schiedung des Mandats nächste Woche markieren eine
Zäsur. Nach zwölf Jahren ist es das letzte Mal, dass wir
den ISAF-Einsatz mandatieren. Generationen von Abge-
ordneten haben sich damit befasst. Viele haben mit sich
gerungen, auch ich als junger Abgeordneter in den ersten
Jahren. Heute haben drei Abgeordnete ihre erste Rede zu
diesem Thema gehalten.

Einige Vorredner, insbesondere Herr Trittin und Herr
Gysi, haben die Gelegenheit genutzt, um bereits eine Bi-
lanz des Einsatzes zu ziehen. Ich persönlich finde das
schwierig. Ich möchte Ihnen drei Gründe dafür nennen.

Erstens. Ob der Einsatz gescheitert oder letztlich doch
erfolgreich gewesen ist, wird sich erst nach einer gewis-
sen Zeit, einige Jahre nach der Übergabe der Verantwor-
tung an die Afghanen zeigen. Wir müssen dann sehen,
wie sie mit der Sicherheitslage, mit der Entwicklungs-
lage in ihrem Land zurechtkommen. Das können wir
heute nicht beurteilen. Wir können heute nur die Aus-
gangschancen beurteilen. Wir würden uns wünschen
– das gestehe ich zu –, dass sie besser wären.

Zweitens. Wir wissen auch nicht, wie sich das Land
ohne den ISAF-Einsatz entwickelt hätte.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Weiß man nie!)


Alle Überlegungen dazu sind sehr hypothetisch. Denn
zur Wahrheit gehört auch – das hat Herr Trittin ange-
sprochen –, dass die USA und die UN nach dem 11. Sep-
tember gar keine andere Möglichkeit hatten, als gegen
das Land und gegen die Taliban vorzugehen.

Zur Wahrheit gehört auch, dass sich Deutschland,
wenn wir uns damals nicht beteiligt hätten, außen- und
bündnispolitisch total ins Abseits gestellt hätte. Deutsch-
land hätte dann im weiteren Verlauf, bei den Afghanis-
tan-Konferenzen, überhaupt keine Rolle mehr gespielt.


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir hätten im Bundestag große Reden halten können
– die Linken sind ja ganz groß darin –, was denn alles
falsch ist und was man hätte anders machen können;


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das wäre besser gewesen!)


aber faktischen Einfluss auf den Einsatz und auf die Ent-
wicklung des Mandats hätten wir nicht gehabt.


(Beifall des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU])

Wer Einfluss möchte, muss auch Verantwortung über-
nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit der ersten Entscheidung, verehrte Kolleginnen und
Kollegen, die unsere Vorgänger einige Legislaturperio-
den vor uns 2001 getroffen haben, hat Deutschland Ver-
antwortung übernommen. Zu dieser Verantwortung ste-
hen wir bis heute.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gnade der späten Geburt!)


Natürlich hätten wir uns alle einen anderen Verlauf
gewünscht; aber das ist ja gerade das Problem bei be-
waffneten Auseinandersetzungen, dass man die Dyna-
mik nie hundertprozentig vorhersehen oder gar hundert-
prozentig steuern kann. Herr Koenigs hat in seiner Rede
angedeutet, dass der ISAF-Einsatz von der Bevölkerung
anfangs positiv gesehen wurde, was sich allerdings nach
und nach verschlechtert hat.

Ich will noch einen dritten Punkt nennen, warum ich
glaube, dass es zu früh ist, um Bilanz zu ziehen – auf
diesen Punkt wurde heute noch gar nicht eingegangen –:
Afghanistan steht unmittelbar vor einer großen Bewäh-
rungsprobe. Das ist die Wahl am 5. April. Deutschland
hat sich bei der Vorbereitung dieser Wahl massiv einge-
bracht: bei der Verabschiedung der notwendigen Wahl-
gesetze und beim Aufbau eines Wählerverzeichnisses
sowohl für Kabul als auch für die Regionen. Vor 2004
gab es überhaupt keine Möglichkeit für Wahlen, weil
keine verlässlichen Daten über die Bevölkerung vorla-
gen.

Seit 2004 haben die Afghanen Stück für Stück die
Verantwortung für die Durchführung von Wahlen über-
nommen. Im April haben sie zumindest die Chance, sich
selbst eine demokratisch legitimierte Führung zu wäh-
len. Wenn es ihnen gelingt, eine transparente und glaub-
hafte Wahl zu organisieren, deren Ergebnis sowohl von
den Siegern als auch von den Verlierern respektiert wird,
dann wäre das für das Land ein Riesenerfolg, dann fände
in Afghanistan zum ersten Mal ein friedlicher, demokra-
tischer Machtübergang statt. Der internationalen Ge-
meinschaft stünde dann ein demokratisch legitimierter
Ansprechpartner zur Verfügung, mit dem man konstruk-
tiv über die Zukunft des Landes sprechen könnte. Von
dem jetzigen Präsidenten Karzai – das wurde mehrmals
angesprochen – können wir in dieser Richtung leider
nichts mehr erwarten.

Scheitern die Wahlen, drohen neue Auseinanderset-
zungen und politische Instabilität, die vieles, was das
Land in den vergangenen Jahren – auch mit unserer Un-
terstützung – erreicht hat, wieder zunichtemachen könn-
ten.

Ob die Wahlen erfolgreich sein werden, hängt we-
sentlich davon ab, ob die Afghanen am 5. April sicher
zur Wahl gehen können. Das wird eine Bewährungs-
probe für die afghanischen Sicherheitskräfte, die von un-
seren Soldaten und Polizisten in den vergangenen Jahren
ausgebildet wurden. Die Bundeswehr hilft bei der Vor-






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Reinhard Brandl

bereitung der Wahl, sie berät und unterstützt; Durchfüh-
rung und Sicherung der Wahl liegen aber bei den Afgha-
nen selbst. Ich habe dieses Beispiel auch deshalb
gewählt, weil es zeigt, wie zivile Unterstützung und die
Gewährleistung der Sicherheit ineinandergreifen müssen
und dass das eine ohne das andere nicht funktioniert.

In Zukunft – auch das ist mehrmals angesprochen
worden – werden zivile Hilfe und Entwicklungszusam-
menarbeit bei unserem Afghanistan-Engagement deut-
lich mehr in den Vordergrund treten. Das wurde heute
schon daran deutlich, dass der Bundesminister für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd
Müller, zu diesem Punkt gesprochen hat. Seit ich 2009 in
den Bundestag gewählt worden bin, hat noch nicht ein
Minister aus diesem Ressort zur Verlängerung des ISAF-
Einsatzes gesprochen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Heidi durfte nicht!)


– Die Gründe seien dahingestellt. – Dass ein Entwick-
lungshilfeminister gesprochen hat, ist wichtig; denn das
Bild des deutschen Afghanistan-Engagements ist zumin-
dest in der öffentlichen Wahrnehmung in Richtung Mili-
tär verzerrt worden. Wenn Sie heute auf der Straße die
Bevölkerung fragen, was Deutschland in Afghanistan
macht, dann denken wahrscheinlich die Allermeisten
vorrangig an den Einsatz unserer Soldaten. Das ist nach-
vollziehbar. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir in
Afghanistan jedes Jahr 430 Millionen Euro für zivile
Hilfe und Unterstützung investieren. Das ist mehr, als je-
des andere Land von uns erhält. Wir sind der drittgrößte
Geber in Afghanistan nach den USA und Japan.

Das Geld ist an Bedingungen geknüpft; Minister
Müller hat es angesprochen. Die Bedingungen sind Kor-
ruptionsbekämpfung, Transparenz öffentlicher Einnah-
men und Ausgaben und die Schaffung eines inklusiven
Wahlrechts. Daran sehen Sie, wie vernetzt der Ansatz ist
und wie alles zusammenwirkt.

Wir stehen langfristig zu dieser Unterstützung, gerade
im zivilen Bereich. Es wurden Vereinbarungen geschlos-
sen, diese Hilfen auch zukünftig zu gewähren. Wir ste-
hen langfristig zu unserer Verantwortung in Afghanistan,
auch wenn der militärische Anteil langsam reduziert
wird. Das Land und die Menschen werden uns hier noch
lange beschäftigen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801406900

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/436 und 18/466 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b sowie
den Zusatzpunkt 3 auf:

5 a) Erste Beratung des von den Fraktionen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Sicherung der Oppositionsrechte
in der 18. Wahlperiode des Deutschen
Bundestages

Drucksache 18/380
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Fraktionen BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE

Änderung der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages zwecks Sicherung
der Minderheitenrechte der Opposition im
18. Deutschen Bundestag

Drucksache 18/379
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Änderung der Geschäftsordnung zur beson-
deren Anwendung der Minderheitenrechte in
der 18. Wahlperiode

Drucksache 18/481
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Damit ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Petra Sitte, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801407000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Wahlentscheidung der Wählerinnen und Wähler vom
vergangenen September hat ja nun einiges durcheinan-
dergewirbelt. Der Union ist der Koalitionsliebling ab-
handengekommen. Die FDP ist jetzt so frei, wie es ihr
Name auch tatsächlich verspricht. Von allen möglichen
Koalitionsvarianten musste es dann offensichtlich eine
riesige Zweckgemeinschaft von Union und Sozialdemo-
kraten werden.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Grünen wollten ja nicht! Die waren ja nicht mutig genug!)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Petra Sitte

Die Opposition dagegen muss nunmehr mit weniger
Abgeordneten deutlich mehr leisten.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das müssen Sie Ihren Wählern vorwerfen, nicht uns!)


Ehrlich gesagt hatte ich mir die Steigerung politischer
Effizienz immer anders vorgestellt, aber daran arbeiten
wir.


(Beifall bei der LINKEN)


Alle gemeinsam stehen wir jetzt vor dem Problem,
dass die Bürgerinnen und Bürger nicht nur das Recht auf
gutes Regieren, sondern eben auch das Recht auf gutes
Opponieren haben. Genau dafür müssen wir hier die Vo-
raussetzungen schaffen.


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat aber was mit Qualität zu tun!)


Union und SPD als regierungstragende Fraktionen
haben mit einer Zweidrittelmehrheit quantitativ beste
Voraussetzungen, ihre politischen Projekte durchzuset-
zen. Die Oppositionsfraktionen dagegen bringen beste
qualitative Voraussetzungen mit,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)


um entsprechend dem Verfassungsauftrag die Regierung
zu kontrollieren und alternative Lösungsvorschläge zu
unterbreiten. Was uns nun wieder fehlt, ist Quantität;
aber davon sprachen wir bereits.

Um nun unsere klugen Inhalte wirkungsvoll einbrin-
gen zu können, benötigen wir auch umfassend die
Rechte einer parlamentarischen Opposition. Diese
Rechte – das wissen wir alle – sind nun einmal an Quo-
ren gebunden. Wir müssen zur Ausübung dieser Rechte
mal über ein Drittel der Abgeordneten des Bundestages
verführen –


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Verführen! Genau! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist plötzlich Aufmerksamkeit bei der Union!)


– ich meine natürlich, verfügen –, mal über ein Viertel.
Aktuell besteht die Opposition aber nur aus einem Fünf-
tel der Abgeordneten. Das ist allemal ein verfassungs-
rechtlich bedenklicher Zustand.

Grundbaustein der parlamentarischen Demokratie ist
aber auch die Opposition. Das Bundesverfassungs-
gericht beispielsweise hat in seiner Rechtsprechung der
Opposition immer eine herausgehobene Stellung zuge-
dacht; man spricht unter Juristen von einer Chancen-
gleichheit zwischen den die Opposition und die Regie-
rung tragenden Fraktionen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schafft die Mehrheit ab!)

Aktuell kann sich die Opposition aber nicht chancen-
gleich am Willensbildungsprozess des Parlaments betei-
ligen. Welche Rechte können wir derzeit nicht nutzen?
Das sind beispielsweise die Einberufung des Bundesta-
ges, die Einsetzung von Enquete-Kommissionen und
Untersuchungsausschüssen und die Durchführung von
öffentlichen Anhörungen. Schließlich können wir keine
Normenkontrollklage erheben. Nur zur Erklärung für
jene, die keine Juristen sind: Eine Normenkontrollklage
dient dazu, dass das Bundesverfassungsgericht Gesetze
auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft, dahin gehend
also, ob sie verfassungsrechtlich unbedenklich sind.

Grundsätzlich sind wir uns hier in vielem einig. Das
zeigen sowohl der vom Bundestagspräsidenten vorge-
legte Lösungsvorschlag als auch der Lösungsvorschlag
vonseiten der Koalition. Wie wir aber die Minderheiten-
rechte so regeln, dass sie sozusagen verlässlich ausgeübt
werden können, darüber gehen unsere Meinungen noch
auseinander.

Meine Damen und Herren, ein Teil der Oppositions-
rechte wird in der Geschäftsordnung des Bundestages
geregelt. Okay, diese betrifft ausschließlich uns selbst,
also das Parlament. Wir brauchen also nur die Geschäfts-
ordnung zu ändern, wie auch von der Koalition vorge-
schlagen. Das ist unkompliziert. Da sind Sie uns ein
Stück entgegengekommen.

Ein anderer Teil der Oppositionsrechte findet sich
aber in verschiedenen Gesetzen. Davon sind nicht nur
die Abgeordneten betroffen, sondern auch andere Insti-
tutionen und Menschen, also Dritte. Deshalb müssen die
Minderheitenrechte auch direkt in den jeweiligen Geset-
zen angepasst werden und dürfen nicht, wie es die Koali-
tion will, nur im Rahmen eines Antrages bzw. innerhalb
der Geschäftsordnung festgelegt werden. Wir sind der
Bundestag. Wir sind Gesetzgebungsorgan. Wer hindert
uns daran, diese Gesetze zu ändern? Das verstehe ich,
ehrlich gesagt, gar nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nehmen wir als Beispiel das Untersuchungsaus-
schussgesetz. Darin werden der Opposition unter ande-
rem Rechte auf öffentliche Zeugenbefragungen zuge-
dacht, aber eben nur, wenn dem ein Viertel der
Ausschussmitglieder zustimmt. Hier brauchen wir drin-
gend und schnell eine Lösung; denn aktuell liegen An-
träge zur Einsetzung des NSA-Untersuchungsausschus-
ses vor. Wir müssen also auch hier dafür sorgen, dass die
Oppositionsrechte geklärt werden, insbesondere hin-
sichtlich Redezeiten und Zeugenanhörungen. Wenn wir
das nicht klären, droht die Situation, dass dieser Aus-
schuss bestimmte Fragen nicht aufklären kann und so
seiner Kontrollverantwortung nicht gerecht wird.

Meine Damen und Herren, um Vorbehalte abzubauen
und den Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD
die Zustimmung vielleicht doch zu erleichtern, haben
wir gemeinsam mit den Grünen einen Kompromiss vor-
geschlagen. Der Kompromiss besteht darin, dass wir
vorschlagen, dass zwei Fraktionen, die die Regierung
nicht tragen, gemeinsam – wohlgemerkt: gemeinsam –






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Petra Sitte

ihre Minderheitenrechte geltend machen können. Das
heißt, wir müssen uns immer einigen. Diese Regelung
soll sowohl in der Geschäftsordnung als auch in den ein-
zelnen Gesetzen nur für diese Legislaturperiode gelten.
Um uns als Opposition aber nicht widerstandslos Ihrer
Zweidrittelmehrheit auszusetzen – das liegt wohl auf der
Hand –, schlagen wir zugleich ein Widerspruchsrecht für
die Opposition vor; wir wollen es sozusagen GroKo-fest
machen.

Ich glaube, es ist an dieser Stelle durchaus ange-
bracht, an die erste Rede des Bundestagspräsidenten in
dieser Legislaturperiode in diesem Haus zu erinnern. Ich
zitiere aus dieser Rede:

Die Kultur einer parlamentarischen Demokratie
kommt weniger darin zum Ausdruck, dass am Ende
Mehrheiten entscheiden, sondern darin, dass Min-
derheiten eigene Rechtsansprüche haben, die weder
der Billigung noch der Genehmigung durch die je-
weilige Mehrheit unterliegen.

Der Präsident hat es schöner vorgetragen. Ich finde, das
ist sehr treffend gesagt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


In diesen Zusammenhang stellen Sie bitte unseren Vor-
schlag zum Widerspruchsrecht.

Schließlich will ich etwas zur härtesten Nuss dieses
Problemkreises sagen, nämlich zur Normenkontroll-
klage. Laut Grundgesetz wird dafür derzeit ja ein Viertel
der Mitglieder des Bundestages benötigt. Nun sind sich
die Juristen im Hinblick auf eine Anpassung nicht einig,
was ja nicht ganz selten passiert. Auf der einen Seite
sagen sie, man müsse das Grundgesetz ändern; auf der
anderen Seite sagen einige Verfassungsjuristen aber
auch, das müsse man nicht, man könne das Bundesver-
fassungsgerichtsgesetz ändern. Ich will den Dissens an
dieser Stelle gar nicht weiter erklären und vertiefen; das
alles können wir im Geschäftsordnungsausschuss disku-
tieren. Wir als Oppositionsfraktion haben uns in unserem
Kompromissvorschlag aber zunächst der Position ange-
schlossen, dass es reicht, das Bundesverfassungsge-
richtsgesetz zu ändern.

Die Überprüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungs-
mäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht bezeich-
nen manche Verfassungsjuristen als das Königsrecht der
Opposition. Gelingt es uns jetzt nicht, dieses Instrument
des Minderheitenschutzes zu gewährleisten, dann be-
steht das Problem, dass eine ganze Reihe von Gesetzen,
die wir hier verabschieden, der Kontrolle durch das Bun-
desverfassungsgericht definitiv entzogen ist, und zwar
deshalb, weil die Mitglieder der regierungstragenden
Fraktionen wohl kaum als Nächstes beim Bundesverfas-
sungsgericht eine Normenkontrollklage einreichen,
wenn sie denn dann schon einmal ein Gesetz voller
Überzeugung verabschiedet haben.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Gleiche gilt im übertragenen Sinne natürlich auch
für die Landesregierungen, weil an allen Landesregie-
rungen jeweils ein Partner dieser Großen Koalition be-
teiligt ist.

Fazit: Der Bundestag, seine Fraktionen und durchaus
auch die Mutterparteien haben den Willen der Wählerin-
nen und Wähler so umzusetzen, dass das Grundgesetz in
seinem Kern an dieser Stelle nicht ausgehöhlt wird. Wir
haben das Wirken des Bundestages demokratisch und
verfassungsrechtlich auf unbedenklichem Wege zu si-
chern. Lassen Sie uns also bitte in diesem Sinne eine Lö-
sung diskutieren und auch kooperativ eine Lösung fin-
den!

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801407100

Vielen Dank. – Es spricht jetzt der Kollege Michael

Grosse-Brömer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1801407200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Frau Dr. Sitte, weil Sie gerade den Bundes-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1801407300
Ich habe auch noch einen
guten Satz aus seiner ersten Rede in dieser Legislaturpe-
riode in Erinnerung. Der Bundestagspräsident hat seiner-
zeit sinngemäß gesagt: Eine Wahl zu gewinnen, ist nicht
per se verfassungswidrig.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir hätten auch nichts dagegen!)


Wir sind nach wie vor nicht bereit, uns dafür zu ent-
schuldigen, dass uns die Wähler einen gewissen Zu-
spruch haben zuteilwerden lassen, der bei Ihnen nicht
ansatzweise so groß war.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber Sie müssen sich auch bei der Kanzlerin bedanken!)


Auch das gehört im Übrigen ins Parlament: Eine Mehr-
heitsentscheidung muss im Parlament hörbar und um-
setzbar sein, genauso wie natürlich Minderheitenrechte
zu beachten sind.

Wir als Union haben immer gesagt: Wir wollen – weil
dies natürlich zu einer funktionierenden Demokratie ge-
hört – auch eine hörbare und sichtbare Opposition. Wenn
Sie genau nachdenken – sowohl die Grünen als auch die
Linken –, dann werden Sie im Zweifel zu dem Schluss
kommen, dass die Union immer bereit war, mit Ihnen
darüber zu diskutieren, was erforderlich ist und was wir
tun können, damit die Opposition hörbar und sichtbar ist.

Wir widersprechen nur, wenn zwischendurch der Ein-
druck vermittelt wird, Sie hätten gar keine Rechte und
Schuld seien im Zweifel auch noch die Großkoalitio-
näre. Der Wähler hat bei der Wahl ein eindeutiges Wort
gesprochen. Mit den Grünen haben wir gute Sondie-






(A) (C)



(D)(B)

Michael Grosse-Brömer

rungsgespräche geführt. Die wollten nicht mit uns regie-
ren. Jetzt sind sie in der Opposition und müssen damit
klarkommen. Das darf man auch nicht vergessen.

Es gehören also mehrere Aspekte zu dieser Debatte.
Deswegen würde ich an Ihrer Stelle meine Argumenta-
tion selbstreflektierend noch einmal überdenken.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass in keinem an-
deren Land in Europa die Rechte der parlamentarischen
Minderheit so gut ausgebaut sind wie in Deutschland;
auch das sollte man einmal sagen. Wir haben ein tolles
Grundgesetz,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Erfolgsrezept!)


in dem natürlich Wert darauf gelegt wird, dass Parlamen-
tarismus und Demokratie eine große Rolle spielen und
Opposition gewährleistet ist. Die Kontrolle erfolgt natür-
lich durch das Parlament. Im Übrigen gehören dazu
nicht nur die Oppositionsfraktionen, sondern auch die
Regierungsfraktionen; das sollte man nicht vergessen.
Auch wir kontrollieren die Regierung.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wär‘s!)


Ich will jetzt nicht sagen, dass wir das zurzeit unter
Umständen sogar effizienter tun als Sie, aber auch das
gehört nun einmal zur Gesamtschau.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir verstehen uns doch alle als Parlamentarier. Wenn
die Regierung etwas Falsches tut, dann sagen wir das im
Zweifel auch, frei nach dem alten Gesetz: Selten geht ein
Gesetzentwurf so aus dem Parlament heraus, wie er her-
eingekommen ist. Daran sind häufig die Fraktionen be-
teiligt, die die Mehrheit haben.

Ich will nur einmal daran erinnern, dass sich Minder-
heitenrechte nicht nur auf die Opposition beschränken.
Jeder Abgeordnete hat ein Minderheitenrecht. Jeder
Abgeordnete hat Informations- und Mitwirkungsrechte.
Jede einzelne Fraktion hat Initiativrechte und kann
Aktuelle Stunden beantragen. Wir sind hier doch auf ei-
nem guten Weg.

Wir als Große Koalition – das sage ich jedenfalls für
unseren Teil, für die Union – wollen ein lebendiges Par-
lament. Wir haben im Hinblick auf die Redezeiten eine
Vereinbarung von über 30 Prozent zu Ihren Gunsten ge-
troffen, obwohl sie gemäß Ihrem Wahlergebnis eigent-
lich nur einen Anteil von 20 Prozent hätten. Da ist schon
ein klares Entgegenkommen zu erkennen.

Dass Sie jetzt sagen, das alles reiche nicht, kann ich
verstehen. Man versucht ja, in Verhandlungen immer so
viel wie möglich herauszuschlagen. Aber Sie haben im
Zweifel Verständnis dafür, dass wir über den Weg der
Minderheitenrechte nicht Ihre schlechten Wahlergeb-
nisse korrigieren können. Da bitte ich um Nachsicht; das
kann nicht unser Job sein. Wir müssen vielmehr eine ef-
fiziente Opposition garantieren; das ist unser aller Anlie-
gen. Wir haben das in jeder Debatte deutlich gemacht,
wo auch immer das zur Diskussion stand, auch im Ältes-
tenrat.

Was wir auch zu berücksichtigen haben, ist der ver-
ständliche Wunsch nach mehr Redezeit. Ihr Wunsch ist
natürlich, dass Sie deutlich mehr Redezeit bekommen,
als Ihnen vielleicht zusteht. Da sind wir schon auf einem
guten Weg. Auf der anderen Seite ist ein Grundsatz des
Verfassungsrechtes – Sie haben gerade die verfassungs-
rechtliche Lage beschrieben –, dass jeder einzelne Kol-
lege der Union dieselben Rechte hat wie ein Kollege
oder eine Kollegin von den Linken.

Infolgedessen dürfen wir keine Regelungen treffen,
die Sie bevorzugen und andere Kollegen benachteiligen.
Es kann allenfalls darum gehen, dass Sie bessergestellt
werden, dass wir Ihnen also mehr zugestehen, als Ihnen
eigentlich zusteht. Aber ich bin nicht bereit, wie es zwi-
schendurch von den Grünen gefordert wurde, zu sagen:
Es reicht nicht, die Opposition besserzustellen, sondern
die Regierungsfraktionen müssen auch schlechtergestellt
werden. – Da machen wir nicht mit. Es ist ganz klar da-
rauf hinzuweisen, dass dadurch große verfassungsrecht-
liche Probleme entstehen würden.

Ich empfehle Ihnen, ein bisschen von der Mitleids-
nummer herunterzukommen. Dies sieht auch die ansons-
ten für sie wohlmeinende Presse so. Ich habe in der
Süddeutschen Zeitung gelesen – ich zitiere –: Die Oppo-
sition

… setzt auf das Mitleid der Öffentlichkeit. … Lar-
moyanz aber ist keine parlamentarische Tugend. …
In den Zeiten der Großen Koalition von 1966 bis
1969 war die Opposition noch viel kleiner, sie war
nur halb so groß, sie bestand nur aus der FDP.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das waren traurige Zeiten!)


Die zeigte aber damals, dass klein nicht mickrig be-
deuten muss … sie schaffte es deswegen, weil sie
die Zeit nutzte, sich zu erneuern …


(Lachen der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vielleicht hat die Süddeutsche Zeitung in dieser Hinsicht
auch ein paar Anregungen für Sie. Ich möchte mich da
gar nicht einmischen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber was ist aus der FDP geworden?)


– Die FDP ist aus ihrer Zeit in der Opposition, soweit ich
das in Erinnerung habe, gestärkt hervorgegangen.


(Volker Kauder [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Das wäre ja schlimm, wenn Sie gestärkt würden!)


Ich glaube, die heutige Zeit der FDP hat mit der damali-
gen Zeit von 1969 nicht so viel zu tun.

Ich will noch einmal deutlich machen: Wir haben uns
natürlich bei der Umsetzung sehr viel Mühe gegeben
und sind den Wünschen der Opposition entgegengekom-






(A) (C)



(D)(B)

Michael Grosse-Brömer

men. Wir haben uns gefragt: Wer kann es neutraler, bes-
ser und rechtlich fundierter als der Bundestagspräsident
machen? Damit meine ich auch das Präsidium, Frau
Roth; gar keine Frage. Im Präsidium haben wir die kom-
petenten Leute sitzen. Das Präsidium hat uns einen guten
und ausgewogenen Vorschlag vorgelegt. Es hat vorge-
schlagen: Das machen wir mit einem Beschluss. Das ist
rechtlich einwandfrei. – Das sagen nicht wir, sondern
das sagt das Bundestagspräsidium. Also wollten wir das
so machen.

Die Opposition hat aber gesagt: Nein, das ist uns nicht
weitgehend genug. Daraufhin haben wir gefragt: Wie
hättet ihr es denn gerne? Die Antwort war: Wir möchten
gerne, dass diese Neuregelungen in die Geschäftsord-
nung aufgenommen werden. Dazu haben wir gesagt:
Okay, auch da kommen wir euch entgegen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch nicht gleich! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat etwas gedauert!)


Wir verstehen das. Nehmen wir diese Regelungen in die
Geschäftsordnung auf, damit Ihr etwas weiter gehender
Wunsch, der über das, was vom Bundestagspräsidenten
und vom Präsidium vorgesehen war, erfüllt wird.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von uns kann man lernen!)


Sie sehen, wir sind bemüht, Ihnen, soweit es geht und
unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen An-
sprüche der anderen Kolleginnen und Kollegen, entge-
genzukommen. Das wird natürlich so weitergehen.

Ich möchte noch auf Ihren Wunsch nach einer Ände-
rung beim Recht auf Normenkontrollklage eingehen,
Frau Dr. Sitte. Die Normenkontrollklage ist kein Min-
derheitenrecht; daran führt kein Weg vorbei, auch wenn
Sie dreimal darauf hinweisen. Ich brauche dazu auch gar
nicht unsere eigenen Fachleute zu zitieren, sondern ich
berufe mich auf die der Grünen. Sie haben dazu eine ei-
gene Veranstaltung durchgeführt


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da waren Sie nicht!)


und Frau Professorin Cancik eingeladen. Sie hat festge-
stellt:

Die Normenkontrolle beim Bundesverfassungsge-
richt gehört nicht zum Kernbestand einer wirkungs-
vollen Opposition.

Ich hoffe, Sie haben sich das genauso gemerkt wie
ich. Infolgedessen nehmen Sie bitte Abstand von der
Forderung nach einer Änderung des Quorums bei der
Normenkontrollklage. Sie ist nämlich kein Minderhei-
tenrecht. Sie wird im Zweifel auch durchgeführt. Über-
zeugen Sie doch nur ein paar Kolleginnen und Kollegen
von uns, wenn Sie meinen, Sie hätten irgendwo einen
Einspruch.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist so schwierig bei Ihren Leuten!)

Im Zweifel, wenn er berechtigt ist, sind wir doch immer
dabei.

Also, wir werden die Geschäftsordnung ändern, wir
kommen Ihnen entgegen. Wir haben eigentlich bei allen
Punkten, etwa beim Untersuchungsausschuss, schon un-
ter Beweis gestellt: Wir stehen Ihnen nicht im Wege.
Ganz im Gegenteil: Wir helfen Ihnen, wo wir können.
Sie sind trotzdem unzufrieden. Das macht auch mich ein
bisschen unzufrieden. Ich hoffe, das wird insgesamt ein
Stück weit besser.

Wir beachten künftig den Gleichheitsgrundsatz. Da,
wo es sinnvoll und notwendig erscheint und Sie viel-
leicht nicht laut genug und sichtbar genug sind, müssen
wir weiter diskutieren. Wir haben einen exzellenten Vor-
schlag in Ergänzung des Ihrigen vorgelegt. Ich glaube,
wir haben damit eine gute Diskussionsgrundlage. Es ist
auf der einen Seite sehr wichtig, dass sich nach Wahlen
die Mehrheit der Stimmen im Parlament deutlich artiku-
liert, damit man weiß: Wer hat diese Wahlen gewonnen?
Wer hat die Mehrheit? Wer setzt was durch? Das ist ei-
gentlich der Kernbegriff der Demokratie. Dazu, dass Sie
uns kritisieren und dass wir die Meinungen austauschen
müssen, müssen auf der anderen Seite auch Sie deutlich
vernehmbar sein.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber auch inhaltlich! Nicht nur laut!)


Ich habe das Gefühl, das ist bei Ihnen der Fall, wie auch
die heutige Debatte im Zweifel zeigen wird.

Ich möchte mit Ihnen nicht ständig Debatten über
Verfahrensfragen führen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden lieber alleine!)


Das ist irgendwie destruktiv. Wir sind bereit, Ihnen ent-
gegenzukommen. Das haben Sie, glaube ich, in mehrfa-
cher Hinsicht gespürt. Ich habe einige Beispiele genannt.
Die Bereitschaft besteht weiterhin. Wir haben jetzt ein
gutes Angebot dafür vorgelegt, dass Sie sich nicht mehr
über Verfahrensfragen Gedanken machen müssen, son-
dern sich mit Sachfragen befassen können. Denn dafür
ist das Parlament im eigentlichen Sinne da.

Lassen Sie uns über die richtige Politik streiten statt
darüber, ob Sie jetzt noch zwei Minuten Redezeit mehr
oder weniger haben. Ich freue mich auf die sachliche
Auseinandersetzung mit Ihnen, und ich freue mich,
wenn wir in der Lage sind, endlich diese Debatten über
Verfahrensfragen zu beenden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801407400

Vielen Dank. – Es spricht jetzt die Kollegin Britta

Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801407500

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter
Herr Kollege Grosse-Brömer, es geht nicht um ein paar






(A) (C)



(D)(B)

Britta Haßelmann

Verfahrensfragen, und es geht auch nicht um Larmoyanz
und Weinerlichkeit.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hat die Süddeutsche Zeitung geschrieben!)


Es geht um die Verankerung von Oppositionsrechten und
Rechten der Minderheit. Wir sind in der besonderen Si-
tuation – die hoffentlich mit der nächsten Wahl im Jahr
2017 nicht wieder eintritt –,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn ihr so weitermacht, schon!)


dass wir ein Verhältnis von 80 zu 20 Prozent im Parla-
ment haben. Minderheitenrechte rechtssicher zu veran-
kern, ist nicht irgendeine Petitesse oder eine Verfahrens-
frage, sondern ein ganz wichtiges Grundelement des
lebendigen Parlamentarismus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Frage der Redezeit ist auch nicht irgendein
Thema. Natürlich kann man als Vertreter der Großen
Koalition sagen: Ob zwei Minuten mehr oder weniger,
darauf kommt es nicht an. Klar, das kann ich auch sagen,
wenn ich in so einer Fraktionsstärke vertreten bin wie
Sie oder die SPD.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nur kein Neid!)


Aber für eine Fraktion, die vielleicht vier oder sechs Mi-
nuten Redezeit hat, sind zwei Minuten ganz entschei-
dend.

Für Sie und für uns insgesamt als Parlament sind der
Austausch von Argumenten, Konzepten, Ideen und Kri-
tik sowie die Bewertung von Gesetzentwürfen ganz ent-
scheidend. Deshalb braucht jedes lebendige Parlament
auch im Interesse der Regierung, seien die Regierungs-
fraktionen noch so groß, das Prinzip von Rede und Ge-
genrede.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich verstehe nicht, warum Sie das nicht verstehen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hatten wir in der letzten Legislatur auch nicht!)


In ganz vielen Landtagen – kommen Sie mir jetzt
nicht wieder mit der Verfassung! – wird das Prinzip
„Rede und Gegenrede“ unabhängig von der Stärke der
Fraktionen gepflegt,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


und zwar nicht nur in rot-grünen Landtagen. Im Land
Hessen zum Beispiel – es war bis vor kurzem schwarz-
gelb regiert, jetzt ist das Gott sei Dank nicht mehr der
Fall – gibt es seit Jahren das Prinzip von Rede und Ge-
genrede im Landtag. Jede Fraktion hat die gleiche Rede-
zeit. Das Land fährt damit verdammt gut, weil das Parla-
ment lebendige Debatten führt.

Wir haben an keiner Stelle die Mehrheitsverhältnisse
und die Spiegelung dieser Mehrheitsverhältnisse in Aus-
schussbesetzungen, Ausschussgrößen und Abstim-
mungsfragen auch nur ansatzweise infrage gestellt. Mit
dem Argument, die Redezeit stehe Ihnen nach dem
Wahlausgang so zu, liegen Sie aus meiner Sicht völlig
falsch. Das Prinzip von Rede und Gegenrede ist wichtig
für das Parlament insgesamt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nun zu der Frage, wo wir eigentlich stehen. Wir ha-
ben schon einiges hinbekommen. Wir Grüne haben zu-
sammen mit den Linken beharrlich darauf insistiert, dass
sich etwas tut und dass die Minderheitenrechte so veran-
kert werden, dass sie rechtssicher sind.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war unser Angebot von Anfang an!)


– Schauen Sie doch einmal in Ihren Koalitionsvertrag!
Dann wissen Sie ganz genau, dass Ihr Angebot, die Ge-
schäftsordnung zu ändern, nicht von Anfang an galt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das habe ich ja gesagt!)


In Ihrem Koalitionsvertrag steht: Wir verpflichten uns
als Parlament, der Opposition auch Minderheitenrechte
zu gewähren. – Ich finde, es hat sich gelohnt, dass wir
nicht gejammert, sondern gestritten und geworben sowie
Ideen und Konzepte in unserem Gesetzentwurf und un-
seren Anträgen vorgelegt haben, mit dem Ziel, bei den
Minderheitenrechten Rechtssicherheit zu erzielen. Wir
wollen nicht von Ihnen abhängig sein und unsere Rechte
verlieren, wenn Sie es sich in ein, zwei Monaten anders
überlegen. Deshalb insistieren wir so auf Rechtssicher-
heit. Sie haben sich nun bewegt und den Vorschlag ge-
macht, die Geschäftsordnung entsprechend zu ändern.
Das ist positiv zu bewerten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir haben an dieser Stelle über mehrere Sachverhalte
zu diskutieren, zum Beispiel über Ihren Vorschlag zur
Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Sie billigen
uns in Ihrem Vorschlag betreffend die Geschäftsordnung
zu, dass die Zahl der Mitglieder des Untersuchungsaus-
schusses nach dem vom Bundestag beschlossenen Verteil-
verfahren so bestimmt wird, dass die Fraktionen, die nicht
die Bundesregierung tragen, gemeinsam ein Viertel der
Mitglieder stellen. Somit wären wir berechtigt, die
Rechte eines Untersuchungsausschusses wahrzunehmen.

Aus unserer Sicht werden wir darüber noch im Ge-
schäftsordnungsausschuss und in den Anhörungen dis-
kutieren müssen; denn die gleichen Rechte sichern Sie
uns beim Verteidigungsausschuss nicht zu. Wir haben
aber schon einige Situationen erlebt, in denen sich der
Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss
konstituiert hat. Deshalb glauben wir, dass es sehr wich-
tig ist, das Untersuchungsausschussgesetz zu ändern und
auch dort für diese Legislaturperiode klar darzulegen,
dass entweder 25 Prozent der Abgeordneten oder die
zwei Fraktionen, die nicht die Regierung tragen, in der
Lage sein müssen, die Einrichtung eines Untersuchungs-
ausschusses bzw. die Konstituierung des Verteidigungs-






(A) (C)



(D)(B)

Britta Haßelmann

ausschusses als Untersuchungsausschuss zu beantragen.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, über den wir gerade
diskutieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der zweite Punkt betrifft die Frage, wie wider-
spruchsfest das ist, was wir hier vereinbaren. Auch da-
rüber werden wir in den folgenden Anhörungen reden.

Der dritte Punkt, den meine Kollegin Petra Sitte
schon angesprochen hat, betrifft die Normenkontroll-
klage.

Beharrlichkeit zahlt sich jedenfalls aus. Im Interesse
des gesamten Parlaments ist es richtig, dass wir ein biss-
chen Druck machen. Wir werden nun über Ihren Antrag,
der eine Änderung der Geschäftsordnung vorsieht, sowie
unseren Antrag und Gesetzentwurf, der zusätzlich eine
Absicherung im Untersuchungsausschussgesetz vor-
sieht, beraten. Ich hoffe, dass wir sehr zeitnah zu einem
Ergebnis kommen. Auch uns ist daran gelegen, dass wir
das sehr schnell rechtssicher verbriefen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801407600

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin

Dagmar Ziegler, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1801407700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Schutz der parlamentarischen Mitwir-
kungsrechte von Abgeordneten ist ein hohes Gut. Da-
rüber sind wir uns alle sicherlich fraktionsübergreifend
einig. Aber von Beginn der Großen Koalition an ging bei
den Oppositionsfraktionen die Angst um, wir wollten
der Opposition nicht ihre Rechte zugestehen. Frau
Haßelmann, Ihr Redebeitrag hatte etwas von Schatten-
boxen. Sie haben von Anfang an bei uns offene Türen
eingerannt. Sie haben Ihre Forderungen gestellt, und wir
sind ihnen nachgekommen. Deshalb finde ich, dass Ihre
Aussage, Sie hätten sich alles erkämpfen müssen, fehl
am Platz ist. Wir haben Ihnen von Anfang an deutlich
gemacht, dass wir Ihnen Ihre Rechte zugestehen wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Unser Antrag sieht vor, dass wir Ihnen während der
Dauer der 18. Legislaturperiode mehr parlamentarische
Rechte zugestehen, als Ihnen aufgrund Ihrer Mandate
von den Wählerinnen und Wählern in Deutschland zuge-
standen wurden. Das muss man erst einmal festhalten.
Das zeigt auch, dass wir diejenigen sind, die Ihnen etwas
zugestehen, was Ihnen nicht von vornherein zusteht. Das
mag jetzt am Wahlergebnis liegen, aber man muss es erst
einmal als Ausgangsbasis konstatieren.

Die Koalition möchte die Geschäftsordnung ändern,
aber wir wollen dabei auch flexibel und pragmatisch
bleiben. Es ist eine historisch ungewöhnliche Konstella-
tion – das wurde bereits gesagt –, die wir im Bundestag
haben, nämlich dass wir es mit einer sehr breiten Regie-
rungsmehrheit und einer sehr kleinen Opposition zu tun
haben. Aber wir halten es im Gegensatz zu Ihnen nicht
für zwingend erforderlich, mit umfassenden Gesetzesän-
derungen, die im Übrigen auch durch die Mehrheit des
Bundestages wieder geändert werden könnten und die
also nicht rechtssicher sind, wie Sie es sich vorstellen, zu
reagieren. Sie selbst sagen, dass Sie das nur für eine be-
stimmte Zeit auf den Weg bringen wollen. Damit ist
keine Garantie für die Ewigkeit gegeben. Insofern,
glaube ich, sind Sie mit den Gesetzesänderungen nicht
auf dem richtigen Weg.

Wir sagen: Wir sind politisch souverän. Wir bringen
die Erfahrungen der vergangenen Legislaturperioden
ein, und wir wollen maßvoll auf das Problem reagieren,
das uns ins Haus steht. 17 Wahlperioden sind wir mit un-
serer Geschäftsordnung gut umgegangen. Das hat sich
bewährt. Wir werden dem auch in dieser Konstellation
gerecht.

Wir halten die Gesetzesänderungen, die Sie beabsich-
tigen, für nicht richtig. Jeder denkbaren Opposition, unab-
hängig von der Anzahl ihrer Mitglieder oder deren politi-
sche Einigkeit in der Sache, per Gesetzesbeschluss das
Recht zuzusprechen, auf grundlegende Abläufe und Ver-
fahrensweisen unserer parlamentarischen Demokratie Ein-
fluss zu nehmen, öffnet – das sage ich mit Absicht – mögli-
cherweise verantwortungslosem Verhalten und Versuchen
politischer Obstruktion Tür und Tor. Genau das ist es, was
wir verhindern möchten. Wir unterstellen das aber nicht der
jetzigen Opposition.

Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes und die
Verfasser unserer parlamentarischen Geschäftsordnung
haben nämlich aus gutem Grund die Einhaltung be-
stimmter Quoren für tiefgreifende Eingriffe in die Ab-
läufe und Verfahrensweisen des Bundestages – Sie ha-
ben es genannt: Untersuchungsausschüsse, Enquete-
Kommissionen oder Einleitung eines Normenkontroll-
verfahrens – festgeschrieben, und sie haben nicht ohne
Grund die Erfahrungen der Weimarer Republik im Hin-
terkopf gehabt. Diese Erfahrungen, die unser heutiges
Verständnis von parlamentarischer Demokratie prägen,
nehmen wir zum Anlass, dies in der Geschäftsordnung
zu verankern.

Es sind nicht die Oppositionsfraktionen alleine, die
die Regierung kontrollieren – das sagte Herr Grosse-
Brömer dankenswerterweise schon –, sondern dieses
Recht nehmen wir uns schon als gesamtes Parlament.
Das ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch dazu hat das Bundesverfassungsgericht etwas
Wertvolles am 13. Juni 1989 gesagt – ich zitiere –:

Alle Mitglieder des Bundestages haben … gleiche
Rechte und Pflichten. Dies folgt vor allem daraus,
daß die Repräsentation des Volkes sich im Parla-
ment darstellt, daher nicht von einzelnen oder einer
Gruppe von Abgeordneten, auch nicht von der par-
lamentarischen Mehrheit, sondern vom Parlament
als Ganzem, d. h. in der Gesamtheit seiner Mitglie-
der als Repräsentanten, bewirkt wird.






(A) (C)



(D)

Dagmar Ziegler

Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den
wir immer im Hinterkopf haben müssen, wenn wir um
die Rechte von Minderheiten, die Rechte von Fraktionen
oder die Rechte der Opposition streiten.

Das Grundgesetz kennt den Begriff der Opposition
eben nicht und verbindet daher mit ihm auch keine ge-
sonderten Rechte und Pflichten. Deshalb verstehen Sie
bitte unseren eingebrachten Antrag auf Änderung der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages als das,
was er tatsächlich, ehrlich und aus ganzem Herzen ist:
eine faire Handreichung der Mehrheitsfraktionen an die
Kollegen aus den Minderheitsfraktionen. Wir kommen
Ihnen damit bei der angemessenen Ausübung des Man-
dats der Abgeordneten der Minderheitsfraktionen entge-
gen und gestehen Ihnen mehr parlamentarische Rechte
und Freiheiten zu, als Ihnen aufgrund Ihrer Größe und
personellen Stärke nach Willen des Wählers rechtmäßig
zustehen.

Deshalb: Rennen Sie nicht nur offene Türen ein, son-
dern gehen Sie durch diese Tür, die wir gemeinsam auf-
gemacht haben.

Danke.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801407800

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege

Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es geht heute um nichts Triviales. Es geht um die Funk-
tionsfähigkeit des Parlaments – dieses Parlaments.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist funktionsfähig!)


Es geht darum – die Kollegin Sitte hat es gesagt –, ob
trotz einer quantitativen großen Koalition die Qualität
unserer Demokratie erhalten bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Und es geht für Sie von der Großen Koalition darum, ob
Ihre Regierungszeit als Legislaturperiode erinnert wird,
in der trotz großer Mehrheiten ein lebendiger Parlamen-
tarismus herrschte oder in der eine Große Koalition vier
Jahre lang weitgehend unkontrolliert Selbstgespräche
geführt hat. Vor dieser Entscheidung stehen wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Ich verweise einmal auf die Rednerliste von heute.
Nach meiner Rede können eigentlich alle hier nach
Hause gehen; dann nämlich, in der zweiten Halbzeit die-
ser Debatte, führen Sie Selbstgespräche. Das ist so lang-
weilig, dass selbst aus Ihren Reihen, aus den Reihen der
Großen Koalition, kaum jemand bei diesem wichtigen
Thema da ist. Das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Die sind schon gar nicht da, wenn Sie reden! – Zuruf des Abg. Michael GrosseBrömer [CDU/CSU])


Natürlich folgt die Stärke der Fraktionen dem Votum
der Wählerinnen und Wähler, Herr Grosse-Brömer. Das
Wahlergebnis ist berechtigterweise die Grundlage der
Verteilungsmechanismen in diesem Haus. Aber die Min-
derheitenrechte sind es eben auch, und deswegen geht es
nicht um das Jammern von Oppositionsabgeordneten
nach mehr Redezeit. Es geht um den essenziellen Be-
standteil der Funktionsgewährleistung parlamentarischer
Kontrollmechanismen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Mechanismen dürfen nicht vom Gutdünken der
Koalition abhängen. Es müssen unverbrüchliche, lau-
nenunabhängige und deswegen festgeschriebene Rechte
der Opposition sein. Das sehen wir inzwischen zum
Glück gleich.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da sind wir ja einig, von Anfang an!)


Wenn Sie nur einen Augenblick über Ursprung und
Sinn von Minderheitenrechten nachdenken, kommen Sie
auf den Mechanismus, Herr Kauder: Je kleiner die Op-
position ist, desto stärker müssen ihre Rechte sein. Weil
die Korrektur der bestehenden Regelungen logischer-
weise in der Verantwortung der Mehrheit liegt, kommt
es eben auch auf die richtige Zustandsbeschreibung an:
Die Opposition ist nach unserer Verfassung nicht zu
klein; Ihre Koalition ist viel zu groß.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wissenschaft und Rechtsprechung erkennen die be-
sondere Bedeutung der Ausübung parlamentarischer
Opposition an. Die qualifizierte Große Koalition aber ist
als Fallkonstellation mit Blick auf die Funktionsfähig-
keit des Parlaments im Grundgesetz nicht berücksichtigt.
Gerade in dieser Fallkonstellation besteht aber ein be-
sonderer Bedarf an oppositioneller Kontrolle.

Dieses Plenum ist das Forum, in dem die Argumente
auf den Tisch müssen, damit die Öffentlichkeit versteht,
was hier warum entschieden wird. Es ist originäre Auf-
gabe des Parlaments, die Regierung zu kontrollieren,
Frau Kollegin Ziegler. Aber klar ist auch, dass dabei na-
turgemäß die Abgeordneten der Opposition etwas ehr-
geiziger sind als die der Koalition.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Damit also der Parlamentsauftrag überhaupt erfüllt wer-
den kann, muss die Opposition wahrnehmbar sein, ei-
gene Rechte haben, sich Gehör verschaffen und im
Zweifel auch Druck aufbauen können, und da sind Ihre
Vorschläge bisher leider ungenügend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(B)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Konstantin von Notz

Zum Schluss. Hören Sie auf mit diesem – ich habe es
jetzt mehrfach gehört – „Sie hätten es auch anders haben
können“. Wir haben ernsthaft verhandelt, und die Ange-
bote der Union waren einfach zu dünn. Wenn man jetzt
den Koalitionsvertrag anschaut, dann sieht man: Sie sind
als Große Koalition den bequemen, den einfachen Weg
gegangen, und das ist auch Ihr gutes Recht. Niemand
kann die SPD verpflichten, bereit für Bündnisse mit der
Linken zu sein. Niemand kann von der CSU verlangen,
mit den Grünen koalieren zu müssen. Das stimmt. Aber
hören Sie einfach auf, uns und die Funktionsfähigkeit
dieses Parlaments für Ihre großkoalitionäre Bequemlich-
keit in Haftung zu nehmen.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801407900

Vielen Dank. – Es spricht jetzt der Kollege Max

Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1801408000

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Der Beitrag des Kollegen von Notz zeigt sehr deutlich,
dass sich die Oppositionsarbeit auch der Größe der je-
weiligen Fraktion angepasst hat: Man ergeht sich fast in
Larmoyanz. Das ist nichts, was wir hier zu berücksichti-
gen haben.

Die Wahl hat ein ganz klares Ergebnis erbracht: Der
Wähler hat der Union fast die absolute Mehrheit zuge-
sprochen, aber nicht ganz – leider –, und deshalb sind
wir auf eine Koalition angewiesen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Zum Glück für euch!)


Das ist ein gutes Ergebnis. Diese Koalition wird auch
hervorragend für die Bürgerinnen und Bürger arbeiten.
Ich bin überzeugt, dass sie ihrem eigenen Anspruch ge-
recht werden wird, nämlich dass es in vier Jahren den
Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland besser gehen
wird, als es ihnen jetzt geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Verehrte Damen und Herren, es ist wirklich müßig
– ich möchte hier an den Kollegen Grosse-Brömer an-
schließen –, uns hier ständig über neue Verfahrensrege-
lungen, darüber, wie wir uns zu organisieren haben, und
Sonstiges zu unterhalten. Wir sollten zu geordneter Sa-
charbeit zurückkehren können, die nicht immer mit Fra-
gen der Geschäftsordnung und Sonstigem überfrachtet
ist.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie uns zu!)


Mir geht es darum, in einem ganz normalen, schönen
und sachlichen Austausch eine Grundlage zu finden, Op-
positionsrechte nicht nur zu achten, sondern zusätzlich
mit auszubauen. Dazu sind wir als Fraktionen, die die
Regierung stützen, bereit, unabhängig davon, dass es uns
schon auch wichtig ist, dass die Abgeordnetenrechte für
alle in diesem Hause gleich sind.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Verehrte Kollegin Haßelmann, ich kann Ihrem Vor-
schlag, dass jede Fraktion das gleiche Rederecht hat, was
die Zeitdauer angeht, nicht folgen. Ich glaube nicht, dass
die Qualität der Argumente an eine bestimmte Zeitdauer
gebunden ist;


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann verzichten Sie doch auf Ihren Redebeitrag! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann müssten wir Ihren Redebeitrag aber gewaltig kürzen!)


die Qualität der Argumente bringt sich dadurch zum
Ausdruck, dass hier vernünftige und gute Vorschläge
eingebracht werden. Ich glaube, wir werden – das ist
Auftrag aller, der Kolleginnen und Kollegen in den Re-
gierungsfraktionen genauso wie der in den Oppositions-
fraktionen – gute Vorschläge ins Haus einbringen, wir
von den Regierungsfraktionen natürlich mit Unterstüt-
zung der Bundesregierung.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nur
Aufgabe der Opposition, die Bundesregierung zu kon-
trollieren, sondern in verstärktem Maße auch derer, die
die Regierung stützen und mit stellen. Bezeichnender-
weise heißt es ja in Bayern, dass die CSU die Oppositi-
onsarbeit selbst übernehmen muss und das erkennbar
auch tut.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Mit großem Erfolg! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Herrn Seehofer ist das leicht!)


Von daher, glaube ich, sollten wir dies nicht immer nur
an der Minutenzahl messen, sondern an dem, was wir
tun.

Herr Kollege von Notz, Sie haben davon gesprochen,
dass wir sozusagen in Selbstgespräche verfallen würden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben vor fünf Minuten begonnen!)


Sie nutzen doch die Gelegenheiten, diese Selbstgesprä-
che aufzuspießen. Nachfolgend haben wir eine Aktuelle
Stunde. Da wird von der Opposition versucht werden,
darzustellen, dass es in irgendeiner Sachfrage irgendwel-
che Differenzen unter den Regierungsparteien gibt, in
dem Fall insbesondere innerhalb der Union.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig abwegig! – Gegenruf des Abg. Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Genau!)


Von daher können Sie nicht von Selbstgesprächen reden.
Es ist eine fundierte Diskussion, die auch bei uns statt-
findet und die zum Ausdruck bringt, dass wir bereit sind,
entsprechende Kontrolle gegenüber der Bundesregie-
rung, aber auch gegenüber den Landesregierungen mit
auszuüben. Dies ist damit sichtbar geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)

Max Straubinger

Mit dem gemeinsamen Antrag von Linksfraktion und
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird eigentlich nur
versucht, darzustellen, Sie von der Opposition hätten
keine Rechte. Das ist nicht der Fall. Die Rechte sind ge-
regelt, einmal im Grundgesetz – das können die Juristen
wesentlich besser ausführen als ich –, zum anderen in
unserer Geschäftsordnung, und zwar für jeden Abgeord-
neten. Unabhängig davon, ob ein Abgeordneter einer
Regierungsfraktion oder einer Oppositionsfraktion ange-
hört – es hat jeder das gleiche Fragerecht, es hat jeder im
Prinzip auch das gleiche Rederecht, wobei dies in einem
Parlament mit 631 Mitgliedern natürlich anders gestaltet
werden muss als in einer Bürgerschaft oder in einem
kleinen Landesparlament mit vielleicht 50 oder 60 Mit-
gliedern. Kollege Kauder, unser Fraktionsvorsitzender,
verdeutlicht immer: Wenn jeder Abgeordnete der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion auch nur drei Minuten Rede-
zeit in Anspruch nehmen würde, wären dafür 933 Minu-
ten zu veranschlagen.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen!)


Ich glaube, dass dies grundsätzlich nicht im Sinne aller
sein kann – bei aller Wertigkeit und bei aller Fundiert-
heit, die die Beiträge garantiert haben würden. Es geht
auch um Funktionsfähigkeit.

Deshalb sind wir bereit, Rechte zuzugestehen und
auch den kleineren Fraktionen mehr Rederecht zuzubilli-
gen. Ich glaube, das ist ein gutes Angebot, das auch zur
Lebendigkeit mancher Parlamentsdebatte beiträgt. Aller-
dings: Die Lebendigkeit einer Debatte war auch in der
Vergangenheit, als die Mehrheitsverhältnisse nicht so
eindeutig waren, wie sie jetzt sind, in der Regel von der
Lebendigkeit der Rednerinnen und Redner geprägt und
weniger von der Zahl der Redner. Das möchte ich durch-
aus betonen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, der
Bundestagspräsident und das Präsidium haben, wie der
Kollege Grosse-Brömer schon dargelegt hat, hierzu gute
Vorschläge unterbreitet. Diese wollen wir gerne mit Ih-
nen gemeinsam umsetzen in dem Sinne, dass Sie ver-
mehrte Rechte in Anspruch nehmen können, dass auch
ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden kann,
was Sie aufgrund der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse
und der zugrunde zu legenden Zahlenarithmetik nicht
können. Deshalb bitte ich Sie: Schauen Sie sich unseren
Vorschlag an und studieren Sie ihn genau. Ich bin über-
zeugt: Damit wird eine fundierte Oppositionsarbeit mög-
lich, die sich nicht nur zahlenmäßig ausdrückt, sondern
auch in einer qualitativen Auseinandersetzung der Red-
ner, aber ebenso in den schriftlichen Anträgen. Die Op-
positionsarbeit lebt ja nicht nur von dem, was hier münd-
lich vorgetragen wird, sondern auch von dem, was an
Anträgen mit fundierten, sachlichen Vorschlägen vorge-
legt wird. Deshalb können wir hier gute Vereinbarungen
treffen.

In diesem Sinne herzlichen Dank für die Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801408100

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt für die SPD-Frak-

tion Sonja Steffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1801408200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Demokra-
tieprinzip ist ein Mehrheitsprinzip. Das bedeutet, dass
die Mehrheit des Volkes entscheidet. Es gilt aber auch:
Jede Minderheit, die auf dem Boden der freiheitlich-
demokratischen Grundordnung steht, muss die Möglich-
keit haben, ihre Meinung zu äußern und dafür zu wer-
ben.

Demokratie – das wissen wir alle – ist nie statisch,
sondern immer ein fließender Prozess. Mehrheiten kön-
nen hauchdünn sein oder riesengroß. Minderheiten kön-
nen zu Mehrheiten werden und umgekehrt. Deshalb
müssen sowohl die Mehrheit als auch die Minderheit
verfassungsrechtlich garantierte Rechte genießen. Das
tun sie auch. Für den parlamentarischen Willensbil-
dungsprozess bedeutet dies: Es muss sichergestellt sein,
dass Minderheiten die Möglichkeit haben, ihre Position
sichtbar zu artikulieren.

Diese Prinzipien sind in der Tat nach der letzten Wahl
auf die Probe gestellt worden. Mit der Bildung der Gro-
ßen Koalition ist eine besondere Situation entstanden
– wir haben es heute schon gehört –: Die Regierungs-
fraktionen haben 504 der insgesamt 631 Sitze im Bun-
destag und stellen damit knapp 80 Prozent der Mitglie-
der des Deutschen Bundestages.

Selbstverständlich verfügen auch Sie, die Abgeordne-
ten der Opposition, weiterhin über die Rechte, die jedem
Abgeordneten zustehen: Fragerecht, Rederecht usw.
Auch die Fraktionsrechte bleiben von den aktuellen
Mehrheitsverhältnissen unberührt. Jedoch sehen unser
Grundgesetz und die Geschäftsordnung auch verschie-
dene quorenabhängige Rechte vor. Es handelt sich hier
um Rechte, die der Unterstützung durch ein Viertel oder
durch ein Drittel der Mitglieder des Bundestages bedür-
fen. Dies sind tatsächlich durchaus bedeutende Rechte:
das sogenannte schärfste Schwert der Opposition, die
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, die Bean-
tragung einer abstrakten Normenkontrolle, Vorlagen be-
treffend die Angelegenheiten der Europäischen Union,
aber auch die Einberufung von Sondersitzungen des
Bundestages. Diese Rechte sind den Oppositionsfraktio-
nen aufgrund der aktuellen Mehrheitsverhältnisse zurzeit
verwehrt. Es ist völlig klar, dass es dadurch zu einer Be-
einträchtigung der parlamentarischen Oppositionsarbeit
kommen kann. Nach unserem Demokratiemodell ist das
Bestehen einer kraftvollen Opposition – darin sind wir
uns, glaube ich, alle einig – aber von erheblicher Bedeu-
tung.

Deshalb habe auch ich mich sehr gefreut, dass unser
Bundestagspräsident, Herr Lammert, gleich am Anfang
der Legislaturperiode darauf hingewiesen hat, dass die
Minderheitenrechte Bestand haben und geschützt wer-
den müssen. Auch der Koalitionsvertrag fordert dies.






(A) (C)



(D)(B)

Sonja Steffen

Wir haben das heute schon gehört. Ich zitiere einmal da-
raus. Dort heißt es:

Eine starke Demokratie braucht die Opposition im
Parlament. CDU, CSU und SPD werden die Min-
derheitenrechte im Bundestag schützen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Richtig!)


Die Frage ist: Wie ist dieser Schutz zu gewährleisten?
Dazu sind in den letzten Wochen verschiedene Varianten
diskutiert worden. Laut Koalitionsvertrag sollten die
Rechte der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen durch einen Parlamentsbeschluss ermöglicht
werden. Eine andere Variante, die uns heute vorliegt,
enthält der Antrag der Opposition.

Sie fordern in Ihrem Antrag gesetzliche Regelungen.
Die Quorenrechte sollen den beiden Oppositionsfraktio-
nen zur gemeinsamen Ausübung zur Verfügung gestellt
werden, und Sie wollen die Gültigkeit ausdrücklich auf
die 18. Wahlperiode beschränken. Dabei haben Sie in ei-
ner Sache auch völlig recht: Wer eine wirksame Opposi-
tion für notwendig hält, darf sie nicht vom Wohlwollen
der Mehrheit im Einzelfall abhängig machen. Das sehen
wir auch so. Der Kollege Grosse-Brömer hat schon da-
rauf hingewiesen.

Wir haben uns im Laufe der Diskussion von der
Variante Parlamentsbeschluss verabschiedet und sind Ih-
nen dadurch bereits erheblich entgegengekommen. Nun
haben wir einen Vorschlag vorgelegt, der einen guten
und vernünftigen Kompromiss darstellt, nämlich die Än-
derung der Geschäftsordnung in der 18. Wahlperiode.
Danach sollen die Rechte, die an ein bestimmtes Quo-
rum gekoppelt sind, zukünftig auf Antrag aller Mitglie-
der der Fraktionen, die nicht der Bundesregierung ange-
hören, wahrgenommen werden können.

Durch diese Geschäftsordnungsregelung wird sicher-
gestellt, dass die Minderheit ihren Standpunkt in den
Willensbildungsprozess des Parlaments einbringen kann.
Einer Anpassung der entsprechenden Gesetze, wie Sie
das in Ihrem Antrag vorsehen, bedarf es nach unserer
Auffassung nicht. Die rechtliche Bindungswirkung der
Geschäftsordnung mag zwar geringer sein – darauf ha-
ben die Oppositionsfraktionen hingewiesen –, aber ich
möchte mir nicht vorstellen, welche öffentliche Wirkung
und Empörung ein Hinwegsetzen über diese Regelung
hervorrufen würde. Es besteht überhaupt keine Veranlas-
sung, zu befürchten, dass der Schutz durch eine Rege-
lung in der Geschäftsordnung an Wirkung verlieren
könnte.

Auch in diesem Verfahren gilt das Struck’sche Ge-
setz. Es wird mit Sicherheit an der einen oder anderen
Stelle noch Änderungen geben müssen. Ich hoffe, dass
wir gemeinsam zu einer Lösung kommen werden. Bis-
her haben wir im 1. Ausschuss oftmals Regelungen
überfraktionell und einheitlich vereinbaren können. Ich
hoffe, dass uns das auch in diesem Verfahren gelingen
wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801408300

Vielen Dank. – Es spricht jetzt der Kollege Dr. Johann

Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1801408400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! An diese Worte möchte ich anknüpfen und der
Hoffnung Ausdruck verleihen – nach der Debatte kann
man das eigentlich auch, mit einer kleinen Einschrän-
kung hinsichtlich der Rede des Kollegen von Notz –,
dass wir doch zu einer einvernehmlichen Regelung kom-
men.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Was ist mit Schleswig-Holstein, Herr Wadephul? – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schleswig-holsteinische Minderheitenrechte sind nicht der Schwerpunkt der Debatte!)


– Ich komme gleich zu Schleswig-Holstein.

Erstens. Es ist hier über Qualität gesprochen worden.
Jeder für sich ist von der jeweiligen Qualität seiner Frak-
tion, seiner Partei sehr überzeugt. Qualität in einer De-
mokratie wird aber durch Wählerstimmen entschieden.
Da hilft es überhaupt nicht, zu sagen: Wir liefern hinter-
her die qualitativ besseren Beiträge. – Frau Kollegin
Sitte, so konnte man Sie verstehen. Nein, wer sich für
qualitativ besonders gut hält, der soll seine Arbeit ent-
sprechend fortsetzen und danach streben, diese Qualität
bei den nächsten Wahlen auch in Wählerstimmen umzu-
setzen. Bei der letzten Wahl hat es eine eindeutige Quali-
tätsentscheidung gegeben, die die Unionsfraktion sogar
an die Grenze zur absoluten Mehrheit gebracht hat.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hören Sie auf, von der absoluten Mehrheit zu reden! Das ist nicht nett gegenüber der SPD! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihr Wahlergebnis ohne die Kanzlerin hätte ich sehen wollen!)


Wir haben das gute demokratische Recht, diese Ent-
scheidung hier auch umzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Mehrheitsbildung im Parlament – ich
komme jetzt gleich zu Schleswig-Holstein – ist das Er-
gebnis von Koalitionsverhandlungen. Herr Kollege von
Notz, es ist schon ein Aspekt – sicherlich nicht der maß-
gebliche, aber ein Aspekt – der Koalitionsverhandlungen
gewesen, und zwar auf allen Seiten, dass durch diese
Große Koalition eine übergroße Parlamentsmehrheit ent-
steht, die für einen lebendigen Parlamentarismus


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht schön ist!)


– Sie sagen: nicht schön ist – an sich jedenfalls nicht er-
strebenswert ist. Ich glaube, darin sind wir uns wahr-
scheinlich fast alle einig. Das heißt, es ist durchaus ein
Aspekt gewesen, der dafür gesprochen hat, dass man
eine kleine Koalition bildet. Man kann nicht alle Beden-






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Johann Wadephul

ken zurückstellen, aber wir müssen bei der Geschichts-
schreibung – wenn wir ein Jahr zurückgehen – genau
bleiben: Es waren die Grünen,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na!)


die die Koalitionssondierungen mit der Union beendet
haben.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ungeheuerlich!)


Es war insbesondere der Kollege Robert Habeck aus
Schleswig-Holstein. Von ihm haben Sie sich in einer
Klausur ausführlich beraten lassen. Insofern ist er einer
der Vordenker der Grünen. Im Spiegel hat er am 25. Sep-
tember des vergangenen Jahres gesagt:

Wir sind weder personell noch konzeptionell auf
Schwarz-Grün vorbereitet.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht mit der Linken geredet! Sie sind schuld!)


Das ist das eigene Urteil. Davor können wir Sie nicht
retten. Das ist Ihre Eigenanalyse.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal liegt Robert Habeck eben falsch!)


Dritter Punkt. Minderheitenschutz hat eine große Be-
deutung. Das haben die Redner der Unionsfraktion und
der sozialdemokratischen Fraktion unterstrichen. Min-
derheitenschutz heißt – das hat das Bundesverfassungs-
gericht einmal in einem schönen einfachen Satz gesagt –
nicht Schutz vor Sachentscheidungen der Mehrheit.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt keiner!)


Das muss man ganz eindeutig dazusagen. Das heißt, wir
haben das demokratische Recht, das, was wir als Mehr-
heitsentscheidung durchsetzen können und wollen, auch
in aller Differenziertheit, durchzusetzen. Ich bitte, das
nicht zu bezweifeln.

Vierter Punkt. Ich glaube, wir sollten im Parlament
Wert darauf legen, dass die Mandate gleichwertig sind.
Das wird gerade seitens der Linksfraktion immer wieder
betont. Hier erwähne ich zum zweiten Mal Schleswig-
Holstein, Herr Kollege von Notz: Auf diese Gleichwer-
tigkeit legen beispielsweise die Abgeordneten der däni-
schen Minderheit im Parlament von Schleswig-Holstein
großen Wert. Wenn Sie das ernst nehmen, dann können
Sie nicht sagen: Alle Redebeiträge, die nach mir kom-
men, sind Selbstgespräche. – Ich nehme es einmal per-
sönlich: Ich halte hier eine genauso wichtige Rede, wie
Sie sie gehalten haben. Da sollten wir keine Unter-
schiede machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie!)

Aber auch innerhalb einer Koalition kann es un-
terschiedliche Auffassungen geben. Der Kollege
Straubinger beispielsweise hat in einem mutigen Mo-
ment einen Vorgriff auf die Stromtrassendebatte ge-
macht.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Damals bei Rot-Grün gab es das möglicherweise auch.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Frau Kollegin Roth dementiert es jetzt. Frau Kollegin
Roth, Sie standen immer stromlinienförmig hinter
Gerhard Schröder. Genau!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Und hinter Joschka Fischer! Da muss sogar Frau Roth schmunzeln! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir rufen den Zeugen Seehofer auf!)


Das Parlament ist schon wichtig.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon irgendwie!)


– Im Grundgesetz steht: „der Deutsche Bundestag“ und
nicht: „die Opposition“. Wir nehmen unsere parlamenta-
rischen Rechte sehr ernst im Sinne des Struck’schen
Gesetzes, aber auch in dem Sinne, dass wir in Redebei-
trägen – das merken Sie, wenn Sie hinhören – unter-
schiedliche Akzente setzen. Das findet doch ständig
statt, wenn die Mitglieder der Regierungsfraktionen re-
den. Es gibt auch unterschiedlichen Beifall. Diese Unter-
schiede gibt es natürlich auch weiterhin.

Natürlich üben wir unsere Rechte als Bundestag aus:
unsere Kontrollrechte, unsere Rechte der Bestärkung,
unsere Rechte des Einwirkens auf die Regierung in man-
nigfacher Art und Weise. Das machen wir schon gemein-
sam; aber das machen auch Sie, und das sollten Sie gut
machen. Aber wir kontrollieren ebenso.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Letzter Punkt. Sie haben gesagt, das soll nicht von ir-
gendwelchen Launen abhängig sein.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Abgesehen davon, dass der Fraktionsvorsitzende der
Union, Volker Kauder, und der Fraktionsvorsitzende der
SPD, Thomas Oppermann, im Allgemeinen nicht zu
Launen neigen


(Zurufe von der SPD: Oh! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Chefs im Allgemeinen nicht!)


– es gibt jetzt einen etwas stärkeren Widerspruch aus der
SPD-Fraktion;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: So laut wie Frau Roth können wir gar nicht sein!)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Johann Wadephul

den wollte ich damit aber nicht verursachen –, will ich in
aller Ernsthaftigkeit sagen: Es haben alle – Präsident
Lammert ist im Hause zugegen – gesagt, dass wir Oppo-
sitionsrechte wahren wollen und dass wir die Opposition
mit Möglichkeiten ausstatten wollen, die sich aus dem
bisher niedergelegten Recht nicht ergeben. Sie sollten
uns bitte nicht unterstellen, dass wir bei der nächstbesten
Laune das alles vergessen. Das werden wir nicht. Wir
stehen zu unseren Aussagen; wir werden das umsetzen.
Ich setze darauf, dass wir im Geschäftsordnungsaus-
schuss zu einer einvernehmlichen Regelung kommen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801408500

Vielen Dank. – Letzte Rednerin in der Debatte ist die

Kollegin Dr. Katarina Barley, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Katarina Barley (SPD):
Rede ID: ID1801408600

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich darf die Debatte, die ich, obwohl sie
noch nach der alten Geschäftsordnung durchgeführt
wird, als durchaus lebendig empfinde, beschließen und
feststellen, dass wir uns wirklich in sehr vielem einig
sind, insbesondere im Hinblick auf die Grundlage, dass
wir in einem funktionierenden Bundestag, in einer funk-
tionierenden Demokratie eine Opposition brauchen, die
Rechte hat, um effektiv und wirkungsvoll arbeiten zu
können.

Hier entscheidet die Mehrheit; das ist klar. Das muss
sie auch. So haben die Wählerinnen und Wähler ent-
schieden. Herr Grosse-Brömer hat eben schon den Bun-
destagspräsidenten zitiert, aber nicht ganz vollständig.
Ich zitiere:

Klare Wahlergebnisse sind nicht von vornherein
verfassungswidrig, große Mehrheiten auch nicht.

So hat er das gesagt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es auch!)


Dem können wir nur zustimmen.


(Beifall der Abg. Hiltrud Lotze [SPD] und Michael Donth [CDU/CSU] – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau! Das sagt aber nichts über die Qualität! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Das trifft auf euch zu! Das stimmt!)


– Das sagt noch nichts über die Qualität, genau. Aber um
die brauchen Sie sich zumindest bei uns keine Sorgen zu
machen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Über die einzelnen Rechte ist nun wirklich schon viel
gesagt worden. Die Opposition soll nach unserem Ent-
wurf natürlich die Möglichkeit haben, eine öffentliche
Sachverständigenanhörung im Fachausschuss zu bean-
tragen. Das ist ein besonders wichtiges Recht. Denn wir
haben schon manchen Gesetzentwurf gesehen, der in
solch einer öffentlichen Sachverständigenanhörung
fachlich durchgefallen ist. Da liegt das Quorum bisher
bei 25 Prozent; wir wollen es auf 20 Prozent absenken.
Das genügt; denn die Minderheit von 20 Prozent haben
Sie.

Natürlich hat der Bundestag auch die Aufgabe, die
Regierung zu kontrollieren. Diesen Auftrag hat nicht nur
die Opposition; das ist jetzt schon mehrfach gesagt wor-
den. Auch Peter Struck ist schon oft zitiert worden. Er
würde sich darüber freuen, dass wir alle uns einig da-
rüber sind, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt,
wie es hineingekommen ist; das gilt insbesondere auch
für die Gesetzentwürfe der Regierung.

Wir werden uns mit der Umsetzung dieses Entwurfs
rechtlich, aber natürlich auch politisch binden. Wenn
man die Möglichkeit gewählt hätte, nur einen entspre-
chenden Beschluss zu fassen, hätte nicht wirklich die
Gefahr bestanden, dass wir uns das im Laufe der Legis-
laturperiode anders überlegen; das hätten uns weder Sie
noch die Öffentlichkeit noch unsere eigenen Wähler
durchgehen lassen.

Auch in diesem Punkt sind wir uns einig: Die Opposi-
tion muss ihre Stimme wirksam zur Geltung bringen. Im
Hinblick auf die Redezeit haben insbesondere wir von
der SPD-Fraktion eine Kröte zu schlucken. Denn die
Anpassung der Redezeiten wird dazu führen, dass die
beiden Oppositionsfraktionen zusammen in Kurzdebat-
ten mehr Redezeit haben als wir von der SPD-Fraktion,
obwohl wir mehr Abgeordnete haben als die beiden Op-
positionsfraktionen zusammen. Das nehmen wir in Kauf.

Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden:
Der einzelne Abgeordnete oder die einzelne Abgeord-
nete hier in diesem Parlament hat bestimmte Rechte. Da
möchte ich noch etwas zu der Form sagen, in der wir die
Rechte der Minderheit, der Opposition hier festlegen
wollen. Sie fordern eine Änderung der gesetzlichen
Grundlagen, bei der abstrakten Normenkontrolle sogar
des Grundgesetzes. Ich persönlich hielte es für erforder-
lich; denn das Bundesverfassungsgerichtsgesetz so zu
ändern, dass es dem Grundgesetz widerspricht, hielte ich
für sehr fragwürdig. Es mag aus Ihrer Sicht in der mo-
mentanen Situation natürlich wünschenswert sein; aber
Sie übersehen da einen wichtigen Punkt: Wir Abgeord-
nete sind, wie schon mehrfach erwähnt, vor dem Gesetz
gleich. Wir haben gleiche Rechte und Pflichten, weil wir
alle zusammen diesen Deutschen Bundestag, die Legis-
lative, bilden, der insgesamt die Pflicht und das Recht
hat, die Exekutive zu kontrollieren, insbesondere die
Bundesregierung. Das ändern wir in dieser Legislatur zu
Ihren Gunsten, und zwar nur zu Ihren Gunsten. Die
Rechte, die also 20 Prozent dieses Hauses in Anspruch
nehmen können, können nur Sie in Anspruch nehmen;
wir können das nicht. Das Gewicht, das die einzelnen
Oppositionsabgeordneten haben, wird größer als das Ge-
wicht sein, das die einzelnen Abgeordneten der Regie-
rungsfraktionen haben. Das ist in dieser Legislaturpe-
riode auch in Ordnung.






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Katarina Barley

Die Rechte der einzelnen Abgeordneten, auch der Ab-
geordneten der Regierungsfraktionen, sind keine Pea-
nuts. Ich darf da vielleicht kurz an die Debatte in der
letzten Legislaturperiode zum Euro-Rettungsschirm er-
innern, bei der es durchaus auch in den Koalitionsfrak-
tionen einzelne Abgeordnete gab, die sich ihr Rederecht
sehr aktiv erstritten haben.

Wir brauchen eine Regelung für diese Legislaturpe-
riode. Es wäre nicht richtig, die abstrakten Regelungen
und Gesetze zu ändern, vor allen Dingen nicht das
Grundgesetz, das uns schon viele Jahre begleitet hat und
uns noch viele Jahre begleiten wird. Der Ort, um Rege-
lungen für die Besonderheiten dieser Legislaturperiode
zu treffen, ist die Geschäftsordnung, und dementspre-
chend werden wir handeln.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801408700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/380, 18/379 und 18/481 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen
Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c auf:

a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung
des Schulobstgesetzes

Drucksache 18/295
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung über den Stand
der Abwicklung des Fonds für Wiedergutma-
chungsleistungen an jüdische Verfolgte

– Stand 30. Juni 2013 –

Drucksache 18/30
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsauschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Diana Golze, Wolfgang Gehrcke, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Rekrutierung von Minderjährigen für die
Bundeswehr beenden – Fakultativprotokoll
zur UN-Kinderrechtskonvention vollständig
umsetzen

Drucksache 18/480
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Es handelt sich hierbei um Überweisungen im ver-
einfachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 f auf.
Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses, zu denen keine Aussprache vorgese-
hen ist.

Tagesordnungspunkt 18 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 1 zu Petitionen

mit der Statistik über die beim Deutschen Bun-

(27. Oktober 2009 bis 21. Oktober 2013)

digten Petitionen

Drucksache 18/391

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Die
Sammelübersicht 1 ist mit den Stimmen des gesamten
Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 2 zu Petitionen

Drucksache 18/392

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 2 ist mit den Stimmen
aller Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 3 zu Petitionen

Drucksache 18/393

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 3 ist mit den Stimmen aller
Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 4 zu Petitionen

Drucksache 18/394






(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 4 ist mit den Stimmen
der Fraktionen CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 5 zu Petitionen

Drucksache 18/395

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 5 ist mit den Stimmen
von CDU/CSU-Fraktion, Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 18 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 6 zu Petitionen

Drucksache 18/396

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 6 ist mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion
Die Linke angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 g sowie
Zusatzpunkt 4 auf. Wir kommen zu Gremienwahlen,
die wir mittels Handzeichen durchführen werden.

Tagesordnungspunkt 6 a:

Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der
Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesre-
publik Deutschland“

Drucksache 18/484

Dazu liegt ein gemeinsamer Wahlvorschlag aller
Fraktionen auf Drucksache 18/484 vor. Wer stimmt für
diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen aller
Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 b:

Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der
„Stiftung Archiv der Parteien und Massenor-
ganisationen der DDR“

Drucksache 18/485

Wir stimmen ab über den Wahlvorschlag der Fraktio-
nen der CDU/CSU, SPD und Die Linke auf Drucksa-
che 18/485. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahl-
vorschlag ist mit den Stimmen aller Fraktionen ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 6 c:

Wahl eines Mitglieds des Stiftungsrates der

(Centre of Advanced European Studies and Research)

Drucksache 18/486

Wir stimmen ab über den Wahlvorschlag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 18/486. Wer stimmt für
diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen aller
Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 d:
Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der
„Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF)
Drucksache 18/487

Wir stimmen ab über den Wahlvorschlag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/487.
Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Wahlvorschlag
mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 e:
Wahl der Mitglieder des Senats des Vereins
„Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft
Deutscher Forschungszentren e. V.“
Drucksache 18/488

Es liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD auf Drucksache 18/488 vor. Wer
stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag ist mit
den Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 f:
Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen
Beirats der „Stiftung für das sorbische Volk“
Drucksache 18/489

Wir stimmen ab über den Wahlvorschlag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/489.
Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag ist mit
den Stimmen aller Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 6 g:
Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der
„Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta-
tur“
Drucksache 18/490

Hierzu liegt ein interfraktioneller Wahlvorschlag auf
Drucksache 18/490 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvor-
schlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Wahlvorschlag ist mit den Stimmen aller Fraktionen
angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Wahl der Mitglieder des Beirats bei der Bun-
desnetzagentur für Elektrizität, Gas, Tele-
kommunikation, Post und Eisenbahnen
Drucksache 18/491






(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt

Dazu liegen Wahlvorschläge aller Fraktionen auf
Drucksache 18/491 vor. Wer stimmt für diese Wahlvor-
schläge? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Wahlvorschläge sind mit den Stimmen aller Fraktio-
nen angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zur Forderung
der bayrischen Staatsregierung nach einem
Moratorium für den Ausbau der Stromnetze

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Dr. Julia Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801408800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren!

Wer A sagt und erneuerbare Energien haben will,
muss auch B sagen und für einen beschleunigten
Netzausbau sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jörn Wunderlich – Dr. Michael Fuchs [CDU/ CSU]: So ist es!)


– Jetzt kommt es!


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Gut aufgeschrieben!)


So sagte es der Kollege der Union Dr. Joachim Pfeiffer


(Heiterkeit des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU])


vor zwei Jahren anlässlich des Urteils des Bundesver-
waltungsgerichts zum Stromnetzausbau in Thüringen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: War nicht alles schlecht!)


Der bayerische Ministerpräsident Seehofer und sein
CSU-Kabinett sehen das jedoch bekanntermaßen ganz
anders. Sie haben letzte Woche angekündigt, den Netz-
ausbau stoppen zu wollen. Darum frage ich jetzt Sie,
liebe Bundesregierung: Wie wollen Sie Ihren bayeri-
schen Löwen wieder einfangen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die CSU kämpft im Augenblick gegen Beschlüsse, die
sie noch letztes Jahr im Bundestag und im Bundesrat
mitgetragen hat. Herr Seehofer blockiert nicht nur beim
Stromnetzausbau. Er will gleichzeitig den Ausbau der
Windkraft in Bayern durch Mindestabstände lahmlegen.
Das ist eine doppelte Sabotage der Energiewende, die
wir uns nicht leisten können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eines ist doch klar: Seehofers Eskapaden schaden dem
Projekt Energiewende in Deutschland. Sie schaden der
sicheren und nachhaltigen Stromversorgung in Bayern.
Weil in Bayern nach und nach die Atomkraftwerke vom
Netz gehen, muss der Atomstrom ersetzt werden, und
zwar geht das mit Energieeffizienz und erneuerbaren
Energien. Die Forderung nach dem Netzausbaustopp
hingegen gefährdet insbesondere die Versorgungssicher-
heit in Bayern. Genau diese Versorgungssicherheit stel-
len Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
doch immer wieder in den Mittelpunkt Ihrer Argumenta-
tion.

Es ist eine absurde Diskussion, die wir hier im Au-
genblick ertragen müssen. Auf der einen Seite begründet
Minister Gabriel seinen geplanten langsameren Ausbau
der erneuerbaren Energien unter anderem damit, dass der
Netzausbau ja noch nicht ausreichend vorangeschritten
sei. Auf der anderen Seite argumentiert Herr Seehofer,
dass wir den Netzausbau in dem Umfang ja gar nicht
mehr bräuchten wegen der geplanten Deckelung der er-
neuerbaren Energien. Meine Damen und Herren, da
beißt sich doch die Katze in den Schwanz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich müssen die Stromnetze und der Ausbau der
erneuerbaren Energien aufeinander abgestimmt sein. Die
Planung muss auch dynamisch angepasst werden. Wir
Grüne wollen, dass das alles zügig vorangeht. Liebe
Bundesregierung, es verunsichert die Menschen und In-
vestoren, wenn Sie mit Ihrer Politik einen Schritt vor
und dann wieder zwei Schritte zurückgehen,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Nicht wir!)


wenn Sie die Energiewendepläne der engagierten Bürge-
rinnen und Bürger sowie der Unternehmen blockieren
und ausbremsen und ständig andere Aspekte der Ener-
giewende öffentlich infrage stellen. So wird das nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grüne wollen, dass die Netzinfrastruktur fit ge-
macht wird für eine Stromversorgung zu 100 Prozent aus
erneuerbaren Energien. Deswegen ist der Netzausbau
richtig. Er muss beschleunigt werden, und zwar natur-
verträglich und mit transparenter Planung, die die Men-
schen vor Ort einbezieht. Wir brauchen also neue Lei-
tungen für erneuerbare Energien. Dabei geht es nicht nur
darum, den Strom von Nord nach Süd fließen zu lassen,
sondern es geht auch darum, die schwankende Erzeu-
gung der erneuerbaren Energien großräumig auszuglei-
chen und eine dezentrale Bürgerenergiewende zu ermög-
lichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darüber, wie diese neuen Stromleitungen aussehen
sollen, haben wir Grüne andere Vorstellungen als die
vorherige Bundesregierung noch im letzten Jahr. Für uns
ist die Verlegung der Netze unter die Erde eine Möglich-
keit, die gesellschaftliche Akzeptanz für das Projekt
Energiewende zu erhöhen.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ach was! Zu teuer!)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Julia Verlinden

Darum hatte die Fraktion der Grünen letztes Jahr in ei-
nem Antrag gefordert, dass es mehr Möglichkeiten der
Erdverkabelung geben muss.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Kosten spielen keine Rolle!)


Ausgerechnet auch mit den Stimmen der CSU ist dieser
Antrag der Grünen letztes Frühjahr hier im Bundestag
abgelehnt worden. Wenn es Ihnen ernst wäre mit einer
größeren Akzeptanz für den Netzausbau, warum haben
Sie dann damals Ihre Chance nicht genutzt, sich hier klar
zu positionieren und unserer Forderung zuzustimmen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Weil wir keine Amokpreise wollen!)


Schließen möchte ich jetzt mit den Worten des
Unionskollegen Fuchs, der ja nach mir reden wird.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ja! Freut er sich schon drauf!)


Er hat letztes Jahr anlässlich der Regierungserklärung
zur Energieinfrastruktur gesagt: „Wer den Netzausbau
will, der muss auch dafür sorgen, dass er in allen Bun-
desländern umgesetzt wird.“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Recht hat er!)


– Ja, in dem Punkt haben Sie recht. – Ich sehe jetzt die
Bundesregierung in der Verantwortung. Ich wünsche mir
von der Bundesregierung sehr viel mehr Mut, Mut für
die Energiewende, Mut für unsere gesellschaftliche
Chance, mit dem Klimaschutz endlich ernst zu machen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801408900

Vielen Dank. – Frau Kollegin Verlinden, das war Ihre

erste Rede. Ich gratuliere Ihnen im Namen des gesamten
Hauses dazu.


(Beifall)


Jetzt spricht, wie bereits angekündigt, der Kollege
Dr. Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist nicht seine erste Rede! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Die erste Gegenrede!)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1801409000

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-

men und Herren! Verehrte Kollegin Verlinden, Sie haben
insofern ein bisschen Glück, als ich bei der Erwiderung
auf eine Erstlingsrede eine gewisse Beißhemmung habe.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Ich werde also nicht so deutlich sein, wie ich es eigent-
lich aus Gründen der Gerechtigkeit sein müsste.
Eines wollen wir festhalten: Wenn Sie mehr Erdver-
kabelung fordern, dann sagen Sie bitte gleichzeitig dazu,
dass das ungefähr achtmal so teuer wird, und dann sagen
Sie bitte schön auch, wer das bezahlen soll.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie sind ja die Fraktion, deren Wähler mit weitem Ab-
stand am wohlhabendsten sind. Ihre Wähler können das
vielleicht bezahlen, aber die Bürgerinnen und Bürger
werden Ihnen das mit ziemlicher Sicherheit nicht dan-
ken, einmal abgesehen davon, dass das ganze System da-
durch wesentlich komplizierter, komplexer und schlech-
ter ausbaubar werden würde.

Fest steht eines: Wir brauchen die Ost-Süd-Trasse, die
jetzt gebaut werden soll. Damit wären wir beim nächsten
Problem, das ich mit den Grünen habe: Sie haben in Ost-
bayern vor kurzem, am 28. Januar 2014 – also gar nicht
lange her –, eine Versammlung abgehalten, auf der Sie
sich ausdrücklich gegen jeden Bau dieser Ost-Süd-Pas-
sage ausgesprochen haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist „Sie“?)


– Ich habe das für Sie mitgebracht, ich habe selbst die
Plakate dabei, Herr Krischer; Sie können das alles gleich
bei mir abholen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren von
den Grünen, ist es scheinheilig, wenn Sie hier anderslau-
tende Anträge stellen. So etwas lassen wir hier nicht ste-
hen. Es kann nicht sein, dass Sie in Bayern riesige Ver-
anstaltungen machen, auf denen Sie die Leute gegen das
Amprion-Vorhaben aufhetzen, während Sie hier Ak-
tuelle Stunden nutzen, um die Politik der CSU infrage zu
stellen. Die CSU hat auch nicht gesagt, sie will es nicht,
sondern sie hat gesagt, sie möchte ein Moratorium ver-
hängen,


(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


um innerhalb dieser Phase festzulegen, wo der 50-Kilo-
meter-Korridor verlaufen soll. Das ist die Strategie der
CSU. Dafür kann man Verständnis haben; allerdings
dürfen sie sich damit nicht drei Monate aufhalten, son-
dern das muss so schnell wie möglich gehen. Denn eines
steht fest: Windstrom nützt uns nichts, wenn er nicht
nach Süddeutschland transportiert werden kann. Der
Strom wird im Süddeutschland gebraucht. Knapp
50 Prozent des Strombedarfs in Bayern werden heute
noch durch Kernkraftwerke gedeckt. Die Kernkraft-
werke werden jetzt eines nach dem anderen abgeschal-
tet. Das erste wird Grafenrheinfeld sein; wenn ich richtig
informiert bin, geht dieses Kernkraftwerk 2015 vom
Netz.

Bis dahin muss die Thüringer Strombrücke fertigge-
stellt sein. Wer sich heute gegen die Thüringer Strom-
brücke wehrt, der muss wissen, dass Verzögerungen
beim Bau der Thüringer Strombrücke dazu führen kön-
nen, dass das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld länger am






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Michael Fuchs

Netz bleiben muss; denn anders ist diese Strommenge
kaum zu ersetzen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen es doch gar nicht ersetzen!)


Deswegen muss die Thüringer Strombrücke so bald wie
möglich gebaut werden. Jeder ist da in der Verantwor-
tung: die Grünen genauso wie wir, wie die CSU und wie
alle anderen Parteien in diesem Hohen Hause. Die Ener-
giewende kann nur dann funktionieren, wenn alle bereit
sind, daran mitzuarbeiten. Das heißt auch, dass wir ge-
meinsam versuchen müssen – mit den Übertragungs-
netzbetreibern –, die Netze so schnell wie möglich aus-
zubauen und dafür zu sorgen, dass der Ökostrom in die
Netze eingespeist wird, sowohl auf der Ebene der Hoch-
spannungs-Gleichstrom-Übertragung als auch in den
Verteilnetzen, die bis in die kleinen Bereiche reichen.

Ich habe das in meinem eigenen Wahlkreis erlebt: Da
wurde gerade eine wunderbare Solaranlage gebaut; dum-
merweise war das Netz noch nicht da. Das führt erstens
dazu, dass Kosten entstehen, die wir nicht brauchen kön-
nen, und zweitens führt es zu Instabilitäten im Netz, die
verhindert werden müssen; denn es gibt Unternehmen,
in denen selbst Millisekundenschwankungen erhebliche
technische Schwierigkeiten auslösen. Wir werden alle
gemeinsam daran arbeiten müssen, das zu verändern.

Der Ausbau der Netze ist für mich der Flaschenhals
der gesamten Energiewende. Wenn es uns nicht gelingt,
parallel zum Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien
die Netze auszubauen, dann wird diese Energiewende
– davon können Sie ausgehen – scheitern,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie das doch einmal Herrn Seehofer!)


und dann sind Sie mit daran schuld: weil Sie vor Ort am
allermeisten dagegen tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fahren Sie bitte einmal in den wunderschönen Schwarz-
wald, nach Atdorf – ich war letzte Woche da –: Da hängt
an jedem Baum ein grünes Plakat, dass an dieser Stelle
kein Pumpspeicherwerk gebaut werden dürfe.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich komme aus der Eifel! Da hängen CDU-Plakate, mit denen Pumpspeicher verhindert werden sollen!)


Wir brauchen diese Pumpspeicherwerke aber zur Stabili-
sierung. Das ist die Scheinheiligkeit, die ich den Grünen
vorwerfe. So können Sie mit uns nicht umgehen. Wir
werden Sie stellen, wir werden dafür sorgen, dass alle
Leute erfahren, dass die Grünen die größten Verhinderer
des Netzausbaus sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801409100

Danke schön.
Jetzt spricht die Kollegin Eva Bulling-Schröter, Frak-
tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801409200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In Bayern regiert das energiepolitische Chaos.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die CSU, die die Atomkraft stets unterstützt hat, ist un-
fähig, umzuschalten, sie hat keinen Plan für eine zu-
kunftsfähige Energieversorgung in Bayern.

Natürlich ist der Wegfall der bayerischen Stromerzeu-
gungskapazitäten durch AKW bis 2022 eine Herausfor-
derung. Hier rächt sich, dass sich die CSU jahrzehnte-
lang auf AKW fixiert und über Ökostrom gelacht hat. So
soll es offensichtlich auch weitergehen: Die Staatsregie-
rung will lieber die Kapazität der Reaktoren von Gund-
remmingen hochschrauben, anstatt ernsthaft nach vorne
zu schauen. Ich halte das für einen Skandal.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich sage auch: Liebe CSUler, aufwachen!


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Zukunft wird erneuerbar sein, auch in Süddeutsch-
land, trotz CSU.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Energien aus Wind, Sonne und Biomasse, die die
Bürger gewinnen, müssen und werden die Energiever-
sorgung bestimmen. Hocheffiziente Blockheizkraft-
werke bieten sich als Brückentechnologie an, um Flau-
ten und Dunkelheit zu überbrücken.

Gerade im Bereich der Windkraft aber wirft München
Knüppel zwischen die Beine, neuerdings sogar mit Rü-
ckenwind aus Berlin. Irrwitzige Abstandsregelungen aus
dem Hause Seehofer treffen auf ruinöse Vergütungs- und
Deckelungsregeln von Sigmar Gabriel. Laut Arbeitsent-
wurf für das neue EEG soll für die Berechnung des ma-
ximalen Zubaus nicht einmal der Rückbau alter Wind-
mühlen gegengerechnet werden. Entsprechend früh wird
der Deckel zuklappen, und entsprechend stark werden
die Fördersätze zusätzlich gekappt.

Selbst wenn der Deckel noch offen ist, macht das Ver-
gütungsmodell die Windkraft im Süden platt. Das wiede-
rum spielt fröhlich Horst Seehofer in die Hände. Für den
ist diese preiswerte Technologie schließlich Teufelszeug.
Kein Wunder, dass die CSU gleich noch eine Schippe
drauflegt. Sollte es doch einmal besonders gute Stand-
orte geben, darf dort bestimmt keine Anlage hin. Denn
nach dem Willen der bayerischen Fürsten sollen sie über
2 Kilometer von der Wohnbebauung entfernt sein.






(A) (C)



(D)(B)

Eva Bulling-Schröter


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Gut so!)


Ich sage: Absurder geht es kaum! Das sagt übrigens auch
ein Teil Ihrer Parteispitze.

Ich frage mich inzwischen, was die Stromlücke in
Bayern und Baden-Württemberg füllen soll, wenn die
letzten süddeutschen AKW vom Netz gehen. Nun be-
dient sich Horst Seehofer auch noch des Misstrauens
vieler Bürgerinnen und Bürger gegen den Netzausbau.
Wir von der Linken sagen: Dieses Misstrauen vieler
Menschen an sich ist nicht unberechtigt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aha!)


Das ist es überhaupt nicht, im Gegenteil. Schließlich
liegt dem Netzentwicklungsplan ein krudes Szenario zu-
grunde. Es lässt die Kohleverstromung ewig im Hochbe-
trieb weiterlaufen, obwohl die Ökostrommenge ständig
steigt. RWE, Vattenfall und Eon lassen grüßen – wieder
einmal.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die Linke und Seehofer in einem Boot! Furchtbar!)


Insofern ist die Förderung von Bürgerinitiativen, die
Bundesnetzplanung zu überarbeiten, vollkommen rich-
tig. Ich unterstütze das explizit.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke hat dies selbst immer gefordert. Denn wir
wollen einen regenerativen Stromverbund, aber keine
Kohlestromautobahnen.

Sicher brauchen wir im Süden auch Stromtrassen. Die
Frage ist aber, wie viele und für wen. Die Staatsregie-
rung in Bayern betreibt an dieser Stelle blanken Populis-
mus. Das ist kein Wunder; schließlich stehen die Kom-
munalwahlen vor der Tür. Ein solches Verhalten sind wir
von der CSU ja gewöhnt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die CSU fordert heute ein Moratorium für den Bau
von Höchstspannungstrassen für exakt die Korridore, an
denen sie bis gestern nichts auszusetzen hatte. Dem Bun-
desbedarfsplan hat die CSU hier im Haus letztes Jahr zu-
gestimmt,


(Zurufe von der LINKEN: Hört! Hört!)


im Gegensatz zu den Linken. Sie haben gewusst, wel-
chem Vorhaben Sie da zustimmen. Sie sollten einem
Bayern nicht erzählen: Das haben wir ja gar nicht ge-
wusst.


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Die CSU spielt verlogen den Volkstribun gegen den
Netzausbau. Da frage ich mich: Was ist denn mit strom-
geführten Blockheizkraftwerken? Sie könnten diese un-
terstützen; das wäre sinnvoll. Was ist mit Irsching 5?
Lassen Sie es pleitegehen, oder kümmern Sie sich end-
lich um Gaskraftwerke?

Der Eindruck verfestigt sich, dass München die Ener-
giewende schlicht gegen die Wand fahren will. Ich sage
Ihnen: Das lassen wir einfach nicht zu. Wir unterstützen
die Initiativen vor Ort, auch die bei mir im Wahlkreis.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wie viel haben Sie da im Wahlkreis? 3 Prozent? Ich lach mich tot!)


Aus Berlin wird München dann auch noch unterstützt.
Dazu kann ich nur sagen: Bravo, Herr Gabriel. Ändern
Sie Ihre Politik. Die Leute in Bayern warten darauf, auch
Ihre Wähler.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1801409300

Vielen Dank. – Das Wort für die Bundesregierung hat

jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer.


(Beifall bei der SPD – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Bring mal Ordnung in die Geschichte!)


U
Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1801409400


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Mich hat die Rede meiner Vorrednerin etwas
ratlos gemacht.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ja? – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das kann einen nur ratlos machen, wenn man Intelligenz unterstellt!)


Wichtig ist doch, in diesem Hause festzustellen, dass wir
den Netzausbau brauchen. Ich denke, diese Feststellung
ist unumstößlich. Bis auf die letzte Rednerin haben alle
anderen Redner – das habe ich so verstanden – dem nicht
widersprochen. Wir brauchen, damit die Energiewende
gelingen kann, leistungsfähige Stromtrassen. Wir wollen
die Energiewende. Hierzu erfahren wir in diesem Hause
breite Unterstützung.

Der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien ist
in den vergangenen Jahren massiv erhöht worden. Das
hat, denke ich, auch eine breite Unterstützung in diesem
Hause gefunden. Es wird weiteren Zubau der erneuerba-
ren Energien geben. Dazu trägt die Reform des Erneuer-
bare-Energien-Gesetzes bei, die wir jetzt auf den Weg
bringen. Deshalb ist es nur logisch, wenn wir gleichzei-
tig auch den Netzausbau beschleunigen. Ich muss hinzu-
fügen – wer die Diskussion der letzten Jahre verfolgt hat,
weiß das –: Die Zeit drängt. Wir sind mit dem Netzaus-
bau schon ein wenig hinterher.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sagen Sie mal was!)


– Ich komme gleich dazu. Sie haben im Bundestag
jüngst Fragerecht dazu gehabt. Ihre Frage ist auch beant-
wortet worden.

Die Aufgabe für die Übertragungsnetzbetreiber ist,
die Netze so auszubauen und zu ertüchtigen, dass die
energiewirtschaftlichen Herausforderungen in den
nächsten Jahren sicher bewältigt werden können. Die
Bundesregierung hat in der letzten Legislaturperiode
dazu einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.






(A)



(D)(B)

Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer

Dieser ist in diesem Hause mit sehr breiter Mehrheit ver-
abschiedet worden.

Im Bundesbedarfsplangesetz ist vorgesehen, dass di-
verse Netzanschlusspunkte miteinander verknüpft wer-
den. Unter den Verknüpfungen sind drei, die Bayern er-
reichen bzw. durch Bayern führen: Das ist das Vorhaben
mit der Nummer fünf, eine Gleichstromleitung von Bad
Lauchstädt nach Meitingen – der sogenannte Korri-
dor D –, das Vorhaben mit der Nummer vier, eine
Gleichstromleitung von Wilster/Schleswig-Holstein
nach Grafenrheinfeld in Bayern und das Vorhaben mit
der Nummer drei, eine Gleichstromleitung von Bruns-
büttel nach Großgartach; das ist Korridor C. – Wir haben
diese entsprechenden Vorgaben gemacht, um – das ist
das Entscheidende – eine hohe Versorgungssicherheit in
Deutschland zu erhalten, damit der Strom auch dort an-
kommt, wo er gebraucht wird.

Der Strom muss in Zukunft – ich glaube, auch das ist
unumstritten – verstärkt über weite Strecken transpor-
tiert werden. Dafür benötigen wir neue Stromtrassen von
Norden nach Süden. Wer das infrage stellt, der hat sich
mit der aktuellen Lage nicht ausführlich genug beschäf-
tigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen also alles dafür tun, damit der Netzausbau
nicht weiter stockt und auch nicht ausgebremst wird.

Zum Thema Moratorium will ich nur Folgendes sa-
gen. Ein Moratorium hat rechtlich keine Wirkung. Es ist
eine reine politische Willensbekundung, die im Verfah-
ren überhaupt nicht vorgesehen ist.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann erklären Sie Herrn Seehofer die Energiewende!)


Planungsstopp für Netzausbauprojekte, die vom Ener-
giegesetzgeber energiewirtschaftlich bestätigt worden
sind, wären am Ende nicht das, was wir benötigen. Das
habe ich bereits ausgeführt: Der Wille dieses Hauses, des
Gesetzgebers, ist aber, dass wir den Bundesbedarfsplan
zügig umsetzen. Es wäre fatal, wenn wir diesen nun wie-
der infrage stellen würden, zumal er ein Beleg dafür ist,
mit welcher Intensität und mit welcher Energie dieses
Haus daran arbeitet, dass die Übertragungsnetzbetreiber
tätig werden.

Der entscheidende Punkt ist: Die Bundesnetzagentur
prüft in diesem Verfahren die Vorhaben. Sie bestätigt nur
die Vorhaben, die unter veränderten Rahmenbedingun-
gen mit hoher Wahrscheinlichkeit erforderlich sind, und
zwar einmal jährlich. Auch das ist gesetzlich verankert,
sodass eine Anpassung in den nächsten Jahren jährlich
stattfinden kann. Auch das ist eine logische Folge aus
den Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gesam-
melt haben.

Die 2013 auf Basis unseres Gesetzes festgelegten
Vorhaben sind entscheidend dafür, um uns in die Zu-
kunft zu bringen.
Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Diese Maß-
nahmen beruhen auf realistischen Bedarfsermittlungen.
Sie sind, glaube ich, eine notwendige Basis für das, was
wir uns vorgenommen haben, und ich bin der festen
Überzeugung, dass der Gesetzgeber aktuell keinen
Grund hat, dieses erneut infrage zu stellen. Dieses Ge-
setz gilt, solange es kein neues Gesetz gibt.

Derzeit bereiten die Übertragungsnetzbetreiber die
Anträge für neue Stromtrassen vor. Geplant ist auch ein
Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort, um sie
sehr frühzeitig – auch über förmliche Verfahren – einzu-
binden. Ich glaube, das ist notwendig, und wir müssen
das genau beobachten. Wir müssen auch mit den Netzbe-
treibern besprechen, in welcher Art und Weise sie den
Dialog führen. Es gibt hier ganz unterschiedliche Erfah-
rungen. Einige tun das sehr intensiv, einige gehen eher
formal vor. Netzbetreibern, die das sehr formal angehen
– es werden 1 000 Leute eingeladen, denen das dann von
einer Mitarbeiterin erklärt wird –, ist zu sagen: Das ist zu
wenig. – Wir müssen als Gesetzgeber, als Deutscher
Bundestag, dafür sorgen – das gilt auch für die Bundes-
regierung –, dass ein ernsthafter Dialog stattfindet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Energie-
wende geht uns alle an. Wir wollen, dass sie gelingt. Sie
wird nur gelingen, wenn wir beim Netzausbau alle an ei-
nem Strang ziehen. Deshalb müssen wir die Sorgen und
Befürchtungen der Bürger ernst nehmen, wenn wir ihnen
die Netzausbaubedarfe zu vermitteln versuchen. Am
Ende des Tages wird es darum gehen, dass Leitungen ge-
baut werden. Leitungen müssen her! Diese müssen bald
realisiert werden.

Es ist also notwendig, dass wir für Akzeptanz sorgen.
Das ist eine sicherlich anspruchsvolle Aufgabe, aber ich
glaube, es gibt anspruchsvollere. Ich denke, dass der
Bundestag und die politischen Parteien ihren Aufgaben
in dieser Frage gerecht werden müssen.

Mein letzter Gedanke. Einzelinteressen werden uns
hierbei nicht weiterhelfen, sondern wir müssen die Ein-
zelinteressen zurückstellen. Das gilt auch für die ver-
meintlichen Einzelinteressen von Ländern. Wir dürfen
nicht zur Verunsicherung beitragen, sondern wir müssen
den Umwelt- und Klimaschutz als Zentrum unseres poli-
tischen Tuns verstehen. Dazu gehört auch eine erfolgrei-
che Energiewende.

Wir haben die Instrumente für eine verlässliche und
langfristige Netzausbauplanung verabschiedet. Ich denke,
dass wir sie jetzt auch nutzen müssen. Nutzen wir sie,
damit der Netzausbau kommt! Einen Stopp der Energie-
wende können und wollen wir uns in der Bundesrepublik
Deutschland nicht leisten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801409500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Dieter Janecek das Wort.

(C)







(A) (C)



(D)(B)


Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801409600

Es ist schon sehr bezeichnend, sehr verehrte Damen

und Herren, dass kein Redner der CSU an dieser Debatte
teilnimmt. Ich kann gut verstehen und nachvollziehen,
dass Sie nicht den Mut aufbringen, hier die Position der
eigenen Staatsregierung zu vertreten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Abwarten! Ein bisschen nachgucken! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie müssen die Rednerliste lesen!)


– Ja, die reden erst sehr spät, weil sie sich so erst einmal
anhören können, was man auch Gescheites dazu sagen
kann; ich weiß das.

Herr Dr. Fuchs, Sie haben lange recherchieren müs-
sen, um einen aus der grünen Basis zu finden, der viel-
leicht dagegen ist.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann Ihnen eine ganze Staatsregierung und ein Land-
tagswahlprogramm präsentieren, das ich selbst verant-
wortet habe und in dem wir diesem Trassenausbau zu
100 Prozent zugestimmt haben. So ist die Faktenlage,
und erzählen Sie nicht diese Ammenmärchen von den
Grünen vor Ort. Es ist die CSU, die vor Ort blockiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese CSU vollbringt gerade ein Wunderwerk. Sie
werden das erste Land sein, das die Energiewende ohne
den Ausbau der Windenergie, ohne Photovoltaik und
ohne Stromtrassen vollzieht. Das ist eine technologische
Meisterleistung: eine Energiewende auf der Basis von
heißer Luft. So schaut es aus in Bayern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das von der Staatsregierung ausgerufene Moratorium
zum Trassenausbau, das übrigens vom Staatssekretär ge-
rade dankenswerterweise als reine Luftnummer darge-
stellt worden ist, weil es rechtlich keine Bindungswir-
kung hat, ist scheinheilig. Denn Sie haben genau vor
einem Jahr diesem Bundesnetzbedarfsplan im Bundestag
zugestimmt, und Sie haben unseren Vorschlag, Erdver-
kabelung vor Ort zu ermöglichen, abgelehnt. Das ist die
Faktenlage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer läuft dagegen in Bayern Sturm? Das sind nicht
nur die Menschen vor Ort, die sich zu Recht sorgen;
denn die Informationspolitik von Amprion ist alles an-
dere als gut. Übrigens frage ich mich: Warum sind Sie
nicht frühzeitig auf die Menschen zugegangen? Warum
haben Sie keine entsprechenden Angebote gemacht? In
Schleswig-Holstein denkt man zum Beispiel darüber
nach, die Bürger zu beteiligen und ihnen über den Netz-
ausbau eine Rendite zu verschaffen. Das wäre eine Mög-
lichkeit, das Ganze positiv zu wenden.

Die bayerische Wirtschaft und der DIHK sind er-
staunt, wie Sie die Energiewende in Bayern umsetzen
wollen: ohne Trassen, ohne Erdgas, ohne Windenergie,
ohne Photovoltaik. Vielleicht haben Sie angesichts der
Energiewende verstanden, dass Netze nun einmal billi-
ger als Speicher sind – das ist der aktuelle Sachstand –,
und zwar bis zu 80 Prozent. Kohle ist leider auf abseh-
bare Zeit billiger als Gas. Ich bin sehr gespannt, wie Sie
ein eigenes bayerisches Konzept auf den Weg bringen
wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zu den Fakten. Ja, die weiträumige
Übertragung von Strom durch HGÜ-Leitungen ist defi-
nitiv ein Eingriff. Das müssen wir den Betroffenen vor
Ort klar und deutlich sagen. Es ist die Verantwortung der
Politik, dazu zu stehen. Das tun Sie nicht. Aber es hat
auch Vorteile, wenn Sie HGÜ-Leitungen statt der bishe-
rigen 380-kV-Netze nutzen: Sie haben geringere Über-
tragungsverluste. Sie haben keine Blindleistung. Sie ha-
ben deutlich geringere Belastungen durch elektrische
und magnetische Felder. Sie haben eine hohe Transport-
kapazität. Sie haben bessere Möglichkeiten der Erdver-
kabelung. All das sind Chancen; die muss man doch dar-
stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber das Einzige, was Sie können und was Sie tun,
ist, zu verunsichern und Investoren in den Ruin zu trei-
ben. Bayern ist zurzeit der Totengräber der Energie-
wende. Was Kommunen und Bürgergenossenschaften in
die Hand genommen haben, machen Sie innerhalb weni-
ger Wochen und Monate zunichte. Die Windabstands-
regelungen führen dazu, dass gerade noch 7 Prozent der
Projekte verwirklicht werden können. Gegen die Ener-
giewende in Bayern sind Stuttgart 21 oder der Berliner
Flughafenausbau solide Infrastrukturplanungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was die Logik angeht, muss ich an die heutigen
Worte von Herrn Seehofer denken. Er sagte, man könne
davon ausgehen, dass auch Kohlestrom durch die Trasse
von Nord nach Süd fließt. – Ja, vielen Dank für die Ein-
sicht,


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist nicht nötig!)


dass möglicherweise auch Braunkohlestrom nach Bay-
ern fließen könnte. Ist das der Punkt? Je weniger erneu-
erbare Eigenproduktion Sie in Bayern zulassen – das
machen Sie gerade konsequent –, desto höher ist der
Trassenbedarf. So wird ein Schuh daraus.

Die Grenzkosten bei Windstrom liegen bei nahe null.
Wenn es an der Strombörse Windstrom im Überfluss
gibt: Was geht dann zuerst in die Leitungen, Braunkohle-
oder Windstrom? Haben Sie sich das überlegt? Es wird
Windstrom sein. Deswegen ist es reine Panikmache, zu
behaupten, dass Bayern praktisch von Kohlestrom ab-
hängig sein könnte. Das wird dann eintreten, wenn Sie
die Energiewende in Bayern nicht endlich konsequent
vorantreiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


„Bayern könnte zum Modell für eine gescheiterte
Energiewende werden.“ Das schreibt nicht die taz, son-
dern die FAZ, die linker Umtriebe unverdächtig ist. Sie






(A) (C)



(D)(B)

Dieter Janecek

sind auf dem besten Weg dazu – leider. Stellen wir uns
der Realität: Was Sie, insbesondere von der CSU, wirk-
lich wollen, ist in aller Konsequenz die Rückkehr zur
Atomenergie. Das ergibt sich zwingend aus Ihren Maß-
nahmen. Sie sprechen das nur nicht offen aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801409700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Dr. Joachim Pfeiffer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1801409800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist leider
wie so oft: Beim Umbau der Energieversorgung beginnt
das Schwarze-Peter-Spiel.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist zumindest kein Grüner!)


Das hilft uns aber, fürchte ich, an dieser Stelle nicht wei-
ter.

Lassen Sie mich versuchen, zumindest ein paar Fak-
ten anzusprechen. Zunächst ist in der Tat festzustellen,
dass es beim Gesamtumbau der Energieversorgung nicht
gelungen ist – das haben wir alle zusammen versäumt –,
den Ausbau der Erzeugung mit dem Ausbau der Netze
so zu synchronisieren, dass das Hand in Hand geht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das war von Anfang an so, egal, wer daran beteiligt war.

Nehmen wir einmal die dena-Netzstudie I. Diese Stu-
die hat sich 2005 das erste Mal mit dem Thema aus-
einandergesetzt. Ihre Objektivität ist von niemandem zu
bestreiten und auch nicht zu überbieten. Alle Beteiligten,
ob Netzbetreiber, ob Erzeuger, egal welcher Art, Länder,
Kommunen, waren daran beteiligt.

Darin kam man übereinstimmend zu der Ansicht, dass
bis 2010 850 Kilometer Übertragungsnetz neu zu bauen
und 400 Kilometer zu ertüchtigen sind. Das ist über-
haupt nicht gelungen. Wir hatten für 2010 eine Ziel-
marke von 12,5 Prozent erneuerbare Energien. Es waren
aber bis dahin schon 17 Prozent.

Dann haben wir mehrfach nachgesteuert, in welcher
Konstellation auch immer, zum Beispiel in der Großen
Koalition mit dem Energieleitungsausbaugesetz 2009.
Vorgesehen waren 24 Maßnahmen. Bis heute haben wir
gerade einmal 15 Prozent realisiert. Bis 2015, also
nächstes Jahr, wollten wir damit fertig werden.

Zu der Veränderung der Erzeugungsstruktur und dem
hinterherhinkenden Netzausbau kommt hinzu, dass
Deutschland in Europa mittlerweile Transitland Num-
mer eins für Strom ist. Das ist auch gut und richtig so.
Wir wollen einen europäischen Binnenmarkt für Strom.
Wir wollen transeuropäische Netze ausbauen.
Niemand baut Netze aus Lust und Tollerei, etwa weil
er sonst nichts zu tun oder Geld übrig hat.


(Zuruf von der LINKEN: Na, na, na!)


– Nein, niemand macht das. – Vielmehr ist der Bedarf
objektiv nachgewiesen, und es wird mehrfach nachge-
steuert. Wir haben gemeinsam – ich glaube, sogar wir
alle – dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz und dem
Netzentwicklungsplan zugestimmt, sodass die Bundes-
netzagentur jetzt jährlich die gesamte Netzplanung über-
prüft. Nicht umsonst sind auch einige Korridore bzw.
Netze zurückgestellt worden, weil der Bedarf noch nicht
vorhanden ist oder vielleicht auch gar nicht entsteht.

Aber hier den Eindruck zu erwecken, als wäre kein
Netzausbau notwendig, wenn man etwas Dezentralität,
Vor-Ort-Erzeugung oder Speicherung macht und ansons-
ten ein paar Einsparungen vornimmt, ist doch hanebü-
chen. Damit werden die Leute bewusst angelogen. Das
muss ich in aller Deutlichkeit sagen.

Wie sieht die Situation aus? Die Versorgungssicher-
heit wurde erwähnt. Die Netze sind heute unter Stress.
Nehmen wir das TenneT-Netz, dieses Übertragungsnetz.
2003 gab es dort drei Eingriffe ins Netz. 2010 waren es
290 Eingriffe. 2013 waren es bereits über 1 000 Ein-
griffe, also im Schnitt jeden Tag drei; früher gab es im
ganzen Jahr nur drei Eingriffe. Das heißt, wir spielen in
der Tat mit der Versorgungssicherheit, und das sollten
wir auch deutlich machen, statt scheinheilig in dem ei-
nen oder anderen Punkt Schwarzer Peter zu spielen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn Seehofer!)


– Das sage ich allen. Ich komme gleich dazu.

Ich will noch etwas zur Dezentralität sagen. Ich
komme aus der Region Stuttgart, wie man unschwer hört.
In der Region Stuttgart leben 2,6 Millionen Einwohner.
Die Region Stuttgart hat eine Spitzenlast in der Größen-
ordnung von 3 000 Megawatt und einen Jahresenergiebe-
darf von 20 Terawattstunden. Wollten Sie diesen in der
Region Stuttgart mit Onshorewind aus 1-Megawatt-Anla-
gen decken, dann bräuchte man 11 000 Windräder. Jetzt
sagen Sie zu Recht: Wir bauen heute keine 1-Megawatt-
Anlagen, sondern 2- oder 3-Megawatt-Anlagen. – Dann
sind wir aber immer noch bei 3 000 Anlagen – nur um
Ihnen einmal die Dimension zu veranschaulichen.

Im Moment sind wir in der Regionalplanung – ich bin
Fraktionsvorsitzender in der dortigen Regionalversamm-
lung – dabei, mit Hochdruck Standorte auszuweisen.
Wenn dabei am Ende 50 Standorte mit zwei bis drei An-
lagen herauskommen – dabei sind der Rote Milan und
alles, was vielleicht sonst noch passiert, nicht berück-
sichtigt –, dann zeigt das, welche Diskrepanz es dabei
gibt.

Meine Damen und Herren, erwecken Sie also bitte
nicht den Eindruck, dass durch Dezentralität der Netz-
ausbau ersetzt werden kann.


(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn? – Oliver Krischer Dr. Joachim Pfeiffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer tut das denn?)





(A) (C)


(D)(B)


Das ist ein Ammenmärchen; das stimmt nicht. Das sage
ich allen hier und auch in den Bundesländern.

Jetzt zum Thema Erdkabel. Erdkabel sind nicht nur
achtmal teurer, wie der Kollege Fuchs gesagt hat, son-
dern leider weder technisch ausgereift, noch erhöhen sie
die Akzeptanz, wenn die Übertragung im Wechselstrom
erfolgt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie es nicht ausprobieren!)


Die Eingriffe sind mindestens so groß wie bei Freileitun-
gen. Es ist für die Trasse eine Vegetationsschneise von
9 Metern Breite freizuhalten. Vorteil wäre: Im Winter
liegt kein Schnee auf den Leitungen. Wir haben es mit
dem EnLAG ermöglicht. Es ist bis heute nichts derglei-
chen realisiert worden, und zwar nicht allein aus Kosten-
gründen, sondern auch wegen der Akzeptanz. Es ist ein
Ammenmärchen, den Leuten zu erzählen: Wenn wir für
das Hochspannungsnetz Erdkabel verlegen, dann wird es
funktionieren.

Das ist also auch insofern falsch. Deshalb sage ich ab-
schließend: Hören wir bei dieser Frage auf mit der
Kleinstaaterei und dem Föderalismus! Das sage ich allen
von A wie Albig über K wie Kretschmann bis zu S wie
Seehofer. Uns den Schwarzen Peter gegenseitig zuzu-
schieben, hilft überhaupt nicht.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801409900

Herr Kollege.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1801410000

Wenn im Bundesrat alle dem Netzausbau und dem

Energieprogramm zustimmen, dann aber jeder sein eige-
nes Energieprogramm macht, führt uns dies nicht zum
Erfolg. Da ist mittlerweile in der Tat der Föderalismus
der Haupthemmschuh und nicht die Parteipolitik – das
ist mein Eindruck –, und zwar von Schleswig-Holstein
bis nach Bayern. Deshalb gilt – Sie haben darauf richti-
gerweise hingewiesen –: Wer A sagt, muss auch B sa-
gen. Wer also A zum Energieprogramm sagt, muss auch
B zum Netzausbau sagen. Der Netzausbau muss voran-
getrieben werden, der ja in diesem Hause mit großer
Mehrheit beschlossen wurde.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann nur alle – auch die Bundesländer – auffordern,
mitzumachen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiß Herr Seehofer das auch?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801410100

Kollege Pfeiffer, bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1801410200

Ich bin am Schluss, obwohl ich noch viel zu sagen

hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801410300

Davon bin ich fest überzeugt.

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Ralph
Lenkert das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801410400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Herr Pfeiffer, die Linke hat dem NABEG,
dem EnLAG, dem Energiewirtschaftsgesetz und dem
Netzausbaubedarfsplan nicht zugestimmt. Wir haben im-
mer gesagt: Dieser Netzausbau ist überzogen. – Das sagt
jetzt auch die CSU. Ich gratuliere!


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wer solche Freunde hat!)


Aber die Linke fordert als Alternative eine dezentrale
Stromerzeugung. Dazu braucht es Windräder und Strom-
speicher auch in Ihrem geliebten Bayern. Das ist logisch,
und das müssen auch Sie von der CSU einsehen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Schauen wir nun auf den Netzausbau; da liegt einiges
im Argen. Erstens. Die Basisdaten für den Ausbau stam-
men von 2010. Wir erinnern uns: Damals wollten Sie
noch längere Laufzeiten der Atomkraftwerke. Grundlage
waren auch die nicht abgestimmten Energiekonzepte der
einzelnen Bundesländer. Damals gingen Sie vom massi-
ven Neubau von Kohle- und Gaskraftwerken und von
25 Gigawatt Windkraft im Meer aus. Das alles sind in-
zwischen überholte Annahmen.

Zweitens. CDU, SPD, Grüne und bis vor vier Wochen
die CSU betonten, der Netzausbau sei alternativlos.
Wirklich? Das Gesetz besagt: Der erneuerbare Strom hat
Vorrang; er geht zuerst ins Netz. – Im Norden und Osten
gibt es viele Kohlekraftwerke. Weitere sind geplant oder
im Bau. Diese Kraftwerke können Strom für etwa
3,5 Cent je Kilowattstunde anbieten. Das klingt günstig.
Im Süden gibt es Strombedarf, und dort stehen umwelt-
freundliche Gaskraftwerke wie Irsching 5. Dort kostet
der Strom circa 4,5 Cent je Kilowattstunde. Das klingt
teuer.

Weil die Transportkapazität für Strom zwischen Nord
und Süd begrenzt ist, kann oft nur Windstrom transpor-
tiert werden. Für Kohlestrom fehlt der Platz. Also wer-
den die Kohlekraftwerke heruntergefahren, und das Gas-
kraftwerk Irsching liefert klimafreundlichen Strom, der
in der Herstellung 1 Cent mehr kostet als der aus Kohle.
Wenn dann die Stromtrassen von der Küste bis zu den
Alpen stehen, ändert sich Folgendes: Windkraftanlagen
liefern weiter Strom ins Netz, und für den Restbedarf an
Strom brummen die klimafeindlichen Kohlekraftwerke.
Das umweltfreundliche Irsching 5 wird abgeschaltet.
Irsching 5 würde pleitegehen. Aber nachts – ohne Solar-
strom – und bei großflächiger Windstille fehlt dann die
Reserve. Deshalb wird Irsching 5 als Notreserve be-






(A) (C)



(D)(B)

Ralph Lenkert

triebsbereit gehalten. Die Kosten werden auf die
Netzentgelte aufgeschlagen.

Fließt Strom von der Nordsee nach München, entste-
hen bei 800 Kilometer Weg 20 Prozent Übertragungs-
verluste. Dadurch wird das Netzentgelt höher. Auch die
Baukosten der Netze werden natürlich über das Netzent-
gelt gedeckt. Großkunden brauchen keine Netzentgelte
zu zahlen. Sie profitieren jedoch vom Netzausbau mit
Strompreisen von unter 4 Cent je Kilowattstunde. Für
Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Handwerks-
betriebe steigt dagegen das Netzentgelt um mehr als
1 Cent je Kilowattstunde, mehr als man durch den Koh-
lestrom spart. Eine solche Kostenumverteilung lehnt die
Linke ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer profitiert eigentlich noch vom Netzausbau? Die
großen, zentralen Energieerzeuger, die dadurch – nur auf
dem Papier – billigen Strom liefern können und somit
lokale Bürgerenergiegenossenschaften und Stadtwerke
ausbremsen und ihr Monopol ausbauen. Auch die Bauin-
dustrie verdient am Bau von Stromtrassen. Finanzinves-
toren von Stromleitungen strahlen; denn denen bringt je-
der Euro, der in den Netzausbau fließt, fette 9 Prozent
Rendite. Wir fordern statt Traumrenditen umweltfreund-
lichen, bezahlbaren Strom für die Menschen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke will erstens, dass in der Netzplanung die
Stilllegung von konventionellen und Atomkraftwerken
berücksichtigt wird,


(Beifall bei der LINKEN)


zweitens, dass in die Planung die Potenziale einer regio-
nalen Energiespeicherung zum Beispiel durch die Ver-
knüpfung von Stromnetzen mit Wärmespeichern einflie-
ßen,


(Beifall bei der LINKEN)


drittens, dass die Übertragungsnetze vergesellschaftet
werden, damit kein Profitinteresse mehr am Stromlei-
tungsbau besteht und es einheitliche Netzentgelte geben
wird,


(Beifall bei der LINKEN)


viertens, dass die großen Stromerzeuger an den Trans-
portkosten des Stromes beteiligt werden, und fünftens,
dass das Stromsystem so dezentral wie möglich und nur
so zentral wie nötig gestaltet wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Das will übrigens auch der Bundesverband mittelständi-
sche Wirtschaft, sonst nicht unbedingt unser Unterstüt-
zer.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb fordert die Linke eine Netzplanung, die ak-
tuelle Daten zur Grundlage hat und realistisch die Be-
darfe abdeckt, und vor allem will die Linke, dass die
Kosten gerecht verteilt werden.
Stoppen Sie den Netzausbau, bis Sie Klarheit bei den
Berechnungen haben. Das schützt vor Fehlinvestitionen,
uns alle vor unnötiger Landschaftsverschandelung und
verhindert den Akzeptanzverlust der Energiewende. In
Meerbusch-Osterath, in Hessen, Niedersachsen, Thüringen
und Bayern haben die Bürgerinnen und Bürger recht mit
ihrer Ablehnung der Ausbaupläne für 380- und 500-kV-
Leitungen, und Sie täten gut daran, diese Initiativen ernst
zu nehmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801410500

Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1801410600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich glaube, dass hinter dieser Debatte über
Stromtrassen eine tiefergehende Frage steckt, nämlich
wie es insgesamt um die Akzeptanz von Infrastrukturen
in diesem Land bestellt ist. Wenn man sieht, dass viele
Bürgerinnen und Bürger bei allen möglichen Infrastruk-
turprojekten, vor allem bei denjenigen, die tatsächlich
oder vermeintlich mit Veränderungen und Belastungen
verbunden sind, skeptisch sind, dann muss man sich mit
den Ursachen dieser Skepsis auseinandersetzen.

Die Ursachen mögen sehr unterschiedlich sein. Es
mag Einzelinteressen geben; da gibt es Ängste und Sor-
gen, und es gibt manchmal das Gefühl, dass Infrastruktu-
ren den Menschen nicht helfen oder nützen würden.
Deshalb finde ich es geradezu fahrlässig – das sage ich
auch mit Blick auf den Vorredner –, die Akzeptanz für
notwendige Infrastrukturen, zumal für solche, die zum
Gelingen der Energiewende in diesem Land beitragen,
infrage zu stellen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Linke stolz darauf ist, dass Horst Seehofer bei
ihr abschreibt, dann ist das an sich schon ein Hinweis,
dass das irgendwie alles nicht stimmt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Manchmal brauchen die eben länger!)


Einmal ganz ernsthaft an dieser Stelle: Worum geht es
denn im Kern? Wir haben die Energiewende nicht erst
gestern, auch nicht seit Fukushima, sondern im
Jahre 2000 begonnen. Es geht um eine doppelte Energie-
wende. Es geht um den geordneten Ausstieg aus der
Atomkraft, und es geht um sehr ehrgeizige Klimaschutz-
ziele. Wir versuchen, diese Energiewende unter den Be-
dingungen eines Industrielandes zu realisieren, wie es
kein anderes in Europa gibt. Viele schauen auf uns und
fragen, ob das gelingen kann. Es gibt inzwischen Sor-
gen, auch was die Preisentwicklung oder die Akzeptanz
der Energiewende insgesamt betrifft.






(A) (C)



(D)(B)

Hubertus Heil (Peine)


Aber eines ist doch ohne Frage richtig: Wenn man die
Energiewende zum Erfolg bringen will, dann darf man
nicht verkennen, in welcher Situation wir in Deutschland
sind. Zur Erinnerung: Im Jahr 2000 hatten wir einen
Atomausstieg organisiert, der etwas anders als der war,
der seit Fukushima gilt. Damals wurde zwischen der
Energiewirtschaft und der Politik in Deutschland verein-
bart, dass es auch die Möglichkeit gibt, beim Übergang
zum Ausstieg aus der Atomkraft Reststrommengen von
AKW zu übertragen. Das hat uns eine gewisse Flexibili-
tät gegeben, auch im Ausgleich.

Das gilt beim neuen Ausstieg so nicht; es gibt viel-
mehr fest definierte Ausstiegszeitpunkte. Das führt dazu,
dass wir in einer Situation, in der wir Lastschwerpunkte
und Verbrauchsschwerpunkte im Süden Deutschlands
haben, weil Bayern und Baden-Württemberg ohne Zwei-
fel hocherfolgreiche Wirtschaftsländer sind, ein beson-
deres Problem haben. Deshalb sage ich etwas deutlicher
al
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1801410700
Man muss aufpassen – das
ist an die Adresse der Bayerischen Staatsregierung ge-
richtet –, ob die Bayerische Staatsregierung – auch der
Ministerpräsident – mit ihrer Art des Zickzackkurses
nicht dem Freistaat Bayern, dem sie eigentlich verpflich-
tet ist, Schaden zufügt. Diese Frage muss man sich stel-
len.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/CSU])


Bayern ist auf Versorgungssicherheit angewiesen. Der
Freistaat Bayern ist ein hochattraktiver und hocherfolg-
reicher Industriestandort.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wegen der CSU!)


Die Menschen in Bayern sind darauf angewiesen, dass
sie Versorgungssicherheit haben, dass es keine Blackouts
gibt, dass man sich darauf verlassen kann, dass alles
funktioniert.

Jetzt schauen wir uns einmal die aktuelle Situation an:
Im Jahre 2015 wird Grafenrheinfeld vom Netz gehen;
das ist Konsens im gesamten Haus. Selbst die Betreiber
rechnen nicht mehr damit, dass, egal was jetzt politisch
passiert, die Restlaufzeiten dieses AKW verlängert wer-
den. Wir hoffen alle, dass die Trasse im Thüringischen
dann zur Verfügung steht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die steht vor allem in Bayern noch nicht zur Verfügung!)


Eine Gewissheit haben wir auch da nicht. Das müssen
wir sagen, wenn wir ehrlich miteinander sind –


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Die ist fast fertig!)


bis auf die Linke, die vielleicht auch gegen diese Trasse
war. Ich weiß es nicht.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Nein!)

Ich sage Ihnen: Das wird nicht ausreichen. Wir
werden weitere Trassen brauchen. Schauen Sie sich zum
Beispiel die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertra-
gungsleitung, die Trasse von Itzehoe nach Grafenrhein-
feld an. Das ist eigentlich die Verbindung von drei alten
AKW-Standorten, vom Standort Brokdorf über den
Standort Grohnde bis hin zu Grafenrheinfeld.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Die ist doch schon fast fertig!)


Der Hintergrund ist die Tatsache, dass wir im Norden
mutmaßlich mehr erneuerbare Energien haben, offshore
und onshore, und dass diese erneuerbaren Energien ei-
nen Beitrag zum Ersatz von Atomkraftwerken in Süd-
deutschland leisten müssen.

Das kann man doof finden. Man kann sagen: Dann
muss man in Bayern vollständig für einen Ersatz sorgen.
– Unabhängig davon, dass ich glaube, dass jede Form
von länderspezifischen Träumen von Energieautarkie et-
was naiv ist, geht eins nicht: dass Horst Seehofer jahre-
lang die Windkraft in Bayern ausbremst und jetzt verhin-
dert, dass Strom aus erneuerbaren Energien aus anderen
Bundesländern zufließen kann. Das ist ökonomische Ka-
mikazepolitik und bestimmt nicht vernünftig.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb habe ich die Hoffnung – sie richtet sich nament-
lich an den Kanzleramtsminister, der mit den Bundes-
ländern im Gespräch ist –, dass wir es schaffen, den
Konsens über den notwendigen Netzausbau in diesem
Land zu erneuern.

Nun will ich eins zum Stand der Debatte sagen: Wir
können jetzt alle mit dem Finger aufeinander zeigen. Wir
haben Widerstand aus Unionskreisen erlebt; auch bei
den Grünen gibt es ein paar Bürgerinitiativen. Ich sage
Ihnen: Die Wahrheit ist, dass die Vertreter der Bürgerini-
tiativen gegen die geplanten Trassen alle möglichen Par-
teibücher haben. Darunter gibt es auch welche aus mei-
ner Partei. Sie sehen diese Planungen aus örtlicher
Betroffenheit kritisch. Darunter sind CDU-Bürgermeis-
ter, Grüne. Die Linke ist immer mit dabei. Das ist ja gar
keine Frage, wenn es um Protest geht.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Nein! Eher weniger!)


Ich finde, unsere Aufgabe im Deutschen Bundestag
ist es, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen, Bür-
gerbeteiligung zu organisieren, Naturverträglichkeit zu
beachten. Aber am Ende des Tages, wenn wir der Über-
zeugung sind, dass unser Land für eine sichere, saubere
und bezahlbare Energieversorgung neue Infrastrukturen
braucht, muss man stehen und darf sich nicht wegdu-
cken; sonst ist man nicht glaubwürdig. Diese Glaubwür-
digkeit braucht die Energiewende, die braucht unser
Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801410800

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege

Karl Holmeier.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1801410900

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Menschen haben uns mit einem hervorragenden
Ergebnis gewählt, damit wir ihre Interessen vertreten.
Genau das macht die CSU, und genau das macht auch
die Bayerische Staatsregierung. Genau das ist es, was
uns einige jetzt vorwerfen, die diesen Auftrag offen-
sichtlich nicht so ernst nehmen wie wir.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Um auf die heiße Luft zurückzukommen: Wir in Bay-
ern sind führend im Bereich der Energiewende.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Herr Janecek, wir erzeugen mit erneuerbaren Energien
heiße Luft, und Sie plappern nur heiße Luft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Das Ziel der Großen Koalition ist es, das Zeitalter der
erneuerbaren Energien so schnell wie möglich zu errei-
chen. Die Welt schaut gespannt auf Deutschland, ob uns
diese große Aufgabe gelingt. Wir werden sie meistern;
sie wird uns gelingen. Ich sage Ihnen aber auch: Sie wird
nur gemeinsam mit den Menschen gelingen. Wir werden
das nicht an den Köpfen der Menschen vorbei schaffen
können. Der Umbau der Energieversorgung erfordert
verschiedenste Maßnahmen. Ein ganz entscheidender
Bereich dabei ist der Ausbau der Stromnetze. Man
könnte sagen: Die Netze sind die Lebensadern der Ener-
giewende; ich glaube, da sind wir uns einig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um den Anteil der erneuerbaren Energien an der
Stromerzeugung zu erhöhen und eine sichere Energie-
versorgung zu gewährleisten, müssen wir dringend die
Netze ausbauen; das ist ganz klar. Daran besteht auch
kein Zweifel. Wir brauchen darüber hinaus mehr Über-
tragungsnetze und mehr Verteilnetze. Dies ist notwen-
dig, weil es nicht in allen Regionen möglich sein wird,
den Energiebedarf auf Dauer mit erneuerbaren Energien
zu decken. Das betrifft besonders – auch dies wurde ge-
sagt – den Süden Deutschlands mit der Wirtschaftsstärke
Bayerns. Um den Ausbau der Stromnetze voranzubrin-
gen, haben wir bereits in den letzten Jahren einige Maß-
nahmen und Gesetze auf den Weg gebracht; ich glaube,
ich brauche sie nicht im Einzelnen zu nennen. Das zeigt:
Wir haben einen Plan, wie wir den Ausbau der Übertra-
gungsnetze in einem großen Schub voranbringen wollen.

Verantwortungsvolle Politik heißt aber auch, auf Ver-
änderungen zu reagieren und diese nicht einfach zu igno-
rieren. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir uns vielleicht
noch einmal genau anschauen müssen, ob es nicht an ei-
nigen Stellen möglich ist, statt Freileitungen zu verlegen,
in Richtung Erdverkabelung zu gehen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir beantragt! Das haben Sie abgelehnt!)


Prüfen sollten wir auch, ob wir nicht die Abstandsflä-
chen zwischen Stromleitungen und Wohnbebauung ver-
größern sollten. Darüber hinaus sollten wir berücksichti-
gen, dass die Novellierung des EEG ansteht.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, in welche Richtung?)


Wir sollten schauen, ob diese Novellierung auch Aus-
wirkungen auf den Netzausbau haben wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau der Punkt!)


Deshalb sollten wir vor neuen Entscheidungen erst ein-
mal den Gesetzentwurf zur Novellierung des EEG ab-
warten. Herr Gabriel hat gesagt, dass er den bis Ostern
vorlegen wird.


(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der liegt schon vor!)


Bis Ostern ist nicht mehr lange hin, und ich bin zuver-
sichtlich, dass Herr Gabriel diesen Zeitplan einhält.

Schließlich, meine Damen und Herren, dürfen wir
nicht vergessen, die Menschen auf unserem Weg in das
Zeitalter der erneuerbaren Energien mitzunehmen. Die-
ses Mitnehmen hat nichts mit Populismus zu tun.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gar nichts!)


Ich sage Ihnen voraus: Der Umstieg auf die erneuerbaren
Energien wird nur dann ein Erfolg sein, wenn wir die
Akzeptanz der Bevölkerung haben. Durch die Demon-
strationen haben wir gesehen, dass das nicht immer der
Fall ist.

Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien so
schnell wie möglich erreichen;


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie marschieren aber rückwärts!)


ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Dabei müssen
wir die Bezahlbarkeit und vor allem auch die Versor-
gungssicherheit wahren; darin sind wir uns sicherlich
ebenfalls einig. Wir müssen aber auch daran denken, die
Energiewende gemeinsam mit den Menschen zu gestal-
ten und nicht über sie hinweg, nur um am Ende vielleicht
ein paar Monate schneller zu sein. Die Entscheidung der
Bayerischen Staatsregierung zu diesem Moratorium ist,
glaube ich, der richtige Weg. Wir verlieren vielleicht ein
Vierteljahr; aber das können wir sicherlich aushalten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801411000

Der Kollege Dirk Becker hat für die SPD-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1801411100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Holmeier, ich bin Ihnen für Ihren letzten Satz sehr
dankbar; denn Sie haben die Debatte jetzt endlich auf
den Punkt konzentriert: In Bayern sind Kommunalwah-
len. – Das ist der Punkt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben zu Recht gesagt, dass Sie für die Interessen
der Menschen antreten und eintreten. Das nehmen wir
alle für uns in Anspruch.

Wir wissen doch, wie die Debatte zustande kam. Es
hat eine Veranstaltung mit einem Übertragungsnetzbe-
treiber wegen einer Trasse gegeben. Die Veranstaltung
ist aus dem Ruder gelaufen, weil es Proteste gab. Herr
Seehofer hat das mitbekommen und gesagt: Da muss ich
mal rein. Jetzt gebe ich wieder den Rächer der Enterbten
und stelle das alles infrage. – Das ist der Hintergrund.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sollten diese Debatte jetzt einkochen. Es geht hier
nicht um die grundsätzliche Frage der Zustimmung zur
Energiewende oder der Ablehnung der Energiewende;
trotzdem darf man so etwas nicht durchgehen lassen.
Der Netzausbau ist ein hochsensibles Thema. Dafür
braucht man Verlässlichkeit und Investitionssicherheit.
Jede Rumeierei, jede Infragestellung macht das zunichte,
was gerade auch Sie in den letzten drei Jahren in all den
Planungsverfahren zum Netzausbau mit hinbekommen
haben.


(Beifall bei der SPD)


Von daher darf man das, was Herr Seehofer da macht,
nicht durchgehen lassen.

Herr Dr. Pfeiffer, Sie haben zu Recht gesagt, wir soll-
ten jetzt mit dem Schwarzer-Peter-Spiel aufhören. Das
muss ich heute auch mit Blick auf die Bayerische Staats-
regierung sagen. Die Tickermeldungen reißen nicht ab.
Jetzt meldet sich Frau Aigner zu Wort und sagt, die
Staatsregierung mache Druck auf die Bundesnetzagentur
und den Bundesenergieminister. Sigmar Gabriel sei da-
für verantwortlich und zuständig, wenn in Bayern nun
das Licht ausgehe.


(Lachen der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Ich stelle fest: Die Dame war selbst seit 2008 Mitglied
der Bundesregierung. Was hat sie in der Zeit getan, um
an der Stelle für Abhilfe zu sorgen?


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Es kann doch nicht sein, dass jemand, der bis vor zwei
Jahren noch für die Laufzeitverlängerung gestimmt hat
und Bayern damit in einem guten Lichte sah, jetzt auf
einmal solche Töne anschlägt. Ich sage: Hört auf mit
dem Schwarzer-Peter-Spiel! Das hilft uns allen nicht.


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen gemeinsam ein Interesse daran haben.

Herr Fuchs, Sie haben ja zu Recht gesagt: Das Thema
Netzausbau ist mit dem Thema Energiewende untrenn-
bar verbunden. Wir haben uns in der Großen Koalition
nicht mit dem Ausbaukorridor beschäftigt, weil wir so
viel Spaß daran hätten, sondern weil wir ihn erst einmal
mit dem Netzausbau synchronisieren müssen. Es gibt bei
vielen Projekten Verzögerungen.

Eines aber will ich in Richtung Bayern sagen. Herr
Seehofer wird heute zitiert, er habe sich noch kein Urteil
über die Stromtrasse gebildet. Er hat aber letztes Jahr im
Bundesrat zugestimmt. Ich kann nur allen Kollegen
empfehlen: Bevor man über Stromtrassen abstimmt,
sollte man sich ein Urteil bilden. Denn eines will ich
auch feststellen – nur zur Versachlichung –: Die Strom-
trasse, an der sich jetzt der Streit entzündet, nämlich die
Süd-Ost-Passage, war Bestandteil sowohl des Leitszena-
rios B, das jetzt gilt, als auch des Szenarios A – das war
der Rahmen, der den Ausbau der erneuerbaren Energien
im Endeffekt noch stärker gedrosselt hätte – und wurde
als unverzichtbar eingestuft. Von daher wusste Herr
Seehofer seit 2011 um die Notwendigkeit dieser Trasse.
Darauf möchte ich angesichts der Bedeutung für das Ge-
samtstromsystem hinweisen.

Ich will mit Blick auf Bayern die drei Stromtrassen,
die von Bedeutung sind, noch einmal kurz nennen.
Hubertus Heil hat eben eine angesprochen: die Sued-
Link-Trasse, 800 Kilometer durch Deutschland. Viele
Kollegen werden in ihrem Wahlkreis betroffen sein. Ich
komme aus Lippe; da geht sie am Rand vorbei. Auch der
Kollege Zertik von der CDU ist davon unmittelbar be-
troffen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mein Wahlkreis auch!)


Ich kann Ihnen aber versprechen: Diese Trasse, die wir
auch für Bayern bauen, werde ich in meinem Wahlkreis
verteidigen; denn das Stromsystem in Deutschland be-
steht aus 16 Ländern. Es ist für mich selbstverständlich,
dass ich mir in meinem Wahlkreis keinen schlanken Fuß
mache, auch wenn es hier um Bayern geht. Ich erwarte
aber das Gleiche vom bayerischen Ministerpräsidenten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die zweite Trasse ist die Thüringer Strombrücke, 450
Kilometer, zum größten Teil auf bayerischem Gebiet.
Die finden die Bayern toll. Diese beiden Trassen berüh-
ren Bayern von der Ausbauproblematik her kaum.

Aber an der dritten Trasse lässt sich der Zorn des Mi-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1801411200
Das ist die
Süd-Ost-Passage, die zum großen Teil auf bayerischem
Gebiet gebaut wird, aber zuallererst dazu dienen soll,
Strom aus erneuerbaren Energien im Osten Deutsch-






(A) (C)



(D)(B)

Dirk Becker

lands abfließen zu lassen, damit er nicht weiter über Po-
len und Tschechien läuft; denn die haben die Nase voll
davon, dass unser Strom in ihre Netze drückt und da den
Markt versaut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist ein Zeichen der Solidarität, auch mit unseren
Nachbarn im Osten, dass wir zu dieser Trasse stehen, die
den deutschen Strommarkt besser organisiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Hoffnung, mein Wunsch und meine sichere
Annahme lauten: Am 17. März ist die Messe gelesen,
und der ganze Wind ist so schnell verflogen, wie er ge-
kommen ist; denn dann sind die Kommunalwahlen in
Bayern vorbei. Ich gehe davon aus, dass dann allseits
wieder Vernunft einkehrt und die energiepolitische Ge-
samtverantwortung gesehen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801411300

Die Kollegin Barbara Lanzinger hat jetzt für die

Unionsfraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1801411400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-

legen! Wenn die Energiewende gelingen soll, was wir
alle wollen, auch in Bayern, dann müssen wir wichtige
Entscheidungen treffen,


(Beifall des Abg. Florian Post [SPD])


die zugegebenermaßen sicherlich nicht immer ganz ein-
fach sind und die uns in der Diskussion und im Ablauf
einiges abverlangen: Differenziertheit in der Diskussion,
Sachlichkeit, Ehrlichkeit und Transparenz, aber auch
den Mut zu durchaus kontroverser Diskussion und zu der
Aussage, dass bei allen Entscheidungen gelten muss:
Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das ist im Übrigen
auch eine Aussage des DGB.

Ich möchte erwähnen: Wir haben nicht nur im März
in Bayern Kommunalwahlen, sondern es gibt, soweit ich
weiß, in diesem Jahr in allen Bundesländern Kommunal-
wahlen.


(Dirk Becker [SPD]: Aber die meckern nicht!)


Auch dort gibt es Probleme; das muss man der Ehrlich-
keit halber hinzufügen.

Vor dem Hintergrund der Reformierung und Neujus-
tierung – ich sage bewusst: Neujustierung – des EEG
und der Gestaltung eines Marktdesigns entstehen neue
energiepolitische Rahmenbedingungen, an die wir un-
sere Planung der Stromtrassen anpassen müssen, dezen-
tral und zentral. Wir können das eine ohne das andere
nicht zielführend umsetzen.

Wenn wir mit der Reform des EEG tatsächlich lang-
fristig erfolgreich sein wollen, dann müssen wir – das
möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich erwähnen –
auch bei der Speicherforschung noch einen gehörigen
Zahn zulegen. Die Speicher sind aus meiner Sicht ein
wichtiges Teilstück des funktionierenden Ganzen. Wir
müssen das hoffentlich bald nutzbare Potenzial eng an
die zukünftige Marktintegration der erneuerbaren Ener-
gien koppeln. Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit,
Wettbewerbsfähigkeit und Planbarkeit für alle Men-
schen, vor allem für unsere Wirtschaft, stehen über al-
lem. Lassen Sie uns unter diesen Vorgaben das EEG re-
formieren und die Kapazitätsmärkte diskutieren.

Ich bin schon der Meinung, dass es uns gut ansteht, zu
überprüfen, ob der eingeschlagene Weg weiterhin der
richtige ist oder ob wir nicht vielleicht doch Veränderun-
gen vornehmen müssen. Dabei bin ich überzeugt, dass
wir eine Gleichstromtrasse brauchen, welche in relativ
kompensierter Form – das wissen wir alle – viel Energie
transportieren kann. Bayern hat die Schaffung der recht-
lichen Grundlagen für den Netzausbau unterstützt. Je-
doch müssen wir erst einmal den ersten Schritt vor dem
zweiten machen: erst EEG-Reform und Kapazitäts-
märkte klären, dann wissen wir, was wir brauchen.

Frau Dr. Verlinden, die Planung muss dynamisch an-
gepasst werden; da gebe ich Ihnen recht.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jedes Jahr!)


Für den Ausbau der Netze bedeutet dies: Zunächst muss
eine Analyse der Veränderung energiepolitischer Rah-
menbedingungen erfolgen. Erst dann kann eine zielfüh-
rende Diskussion unter Einbindung der Bürger statt-
finden. Wir planen keinen Strategiewechsel; aber
Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Wir werden klären
müssen, wie stark wir in den nächsten Wochen und Mo-
naten in die bestehenden energiepolitischen Rahmen-
bedingungen eingreifen, wie wir sie ändern – eventuell
sogar komplett. Gerade wegen der Brisanz der anstehen-
den Veränderungen gilt umso mehr: Gründlichkeit vor
Schnelligkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lahmarschigkeit ist aber auch keine Lösung!)


Schließlich dürfen wir nicht außer Acht lassen: Was
jetzt genehmigt und gebaut wird, können wir nicht so
einfach rückgängig machen. Auch hier gilt Nachhaltig-
keit im Denken und Handeln. Es gilt, die Sachlage be-
dacht anzugehen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bis wir Versorgungsprobleme haben!)


Bis 2017 sollen die Planfeststellungen erfolgen. Ein
paar Wochen Planungs- und Aufklärungszeit sind hier,
wie es der Kollege Karl Holmeier schon formuliert hat,
durchaus vertretbar. Die Energiewende ist ein Generatio-
nenprojekt, aber vor allem ein Bürgerprojekt. Wir müs-
sen schon den Mut haben, zu sagen: Okay, vielleicht wa-






(A) (C)



(D)(B)

Barbara Lanzinger

ren wir hier zu schnell. Nehmen wir uns die Zeit, um die
Bürger an der Energiewende teilhaben zu lassen, und er-
klären wir ihnen das Warum und Wieso, damit sie ver-
stehen können, wie wichtig der Bau einer Stromtrasse
ist. – Anscheinend haben wir das alle so nicht gemacht.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Das gilt auch für Sie.

Nehmen wir die Bürger mit durch eine offene und
transparente Diskussion über Alternativen zu den Frei-
leitungen. Zum Thema Erdverkabelung sei in diesem
Zusammenhang nochmals gesagt: Lügen wir uns doch
nicht selber in die Tasche! Auch hier gilt Klartext. Erd-
kabel sind nicht so einfach unter die Erde zu buddeln. Es
sind riesige Erdbewegungen und riesige Abstände nötig.
Wer behauptet, Erdkabel seien 1,6-mal so teuer, dem
sage ich: Sie sind mindestens achtmal so teuer wie Frei-
leitungen. Das müssen wir den Leuten sagen. Das Ganze
war damals wohl auch nicht so akzeptiert. Wir brauchen
deshalb auch eine Gesetzesänderung.

Wie bei vielen Großprojekten und starken Eingriffen
in die Natur, in das Eigentum der Menschen und eventu-
ell in die Gesundheit kann ein erfolgreicher Netzausbau
nur im Konsens mit der Bevölkerung und den Kommu-
nen und nicht über deren Köpfe hinweg mit viel Sensibi-
lität gelingen. Es ist unprofessionell, wenn man glaubt,
wie beim Netzbetreiber Amprion geschehen, es genüge,
vor ein paar Hundert Menschen die Trassenführung vor-
zustellen, und sich dann wundert, wenn alle brüllen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Becker [SPD]: Da haben Sie recht!)


Das geht so nicht. Auch deshalb, denke ich, sollten
wir einfach noch einmal überlegen. Wir brauchen glaub-
würdige Bürgerdiskussionen bzw. Bürgerdialoge.


(Dirk Becker [SPD]: Das machen wir doch längst!)


Gerade wegen dieser Brisanz würde ich mich freuen,
wenn die Bundesregierung gemeinsam mit der Bundes-
netzagentur und den Netzbetreibern Kriterien für bürger-
freundliche und konstruktive Dialoge aufstellt. Wir set-
zen darauf, durch Transparenz Akzeptanz zu schaffen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801411500

Das Wort hat der Kollege Florian Post für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Florian Post (SPD):
Rede ID: ID1801411600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Wahnsinnig leid haben mir in den letzten
Tagen einige Abgeordnete der Unionsfraktion getan,
nämlich die Gruppe der CSU-Bundestagsabgeordneten.
Ich möchte nur einige Überschriften aus der Presse der
letzten Tage zitieren: „Seehofers Amoklauf“, schreibt
die Frankfurter Rundschau. „Crazy Horst landet Voll-
treffer“, schreibt die taz. „Seehofers aberwitzige Ener-
giewende“ ist in der Berliner Zeitung zu lesen. Und
selbst ein Minister aus dem Kabinett Seehofers wird mit
den Worten zitiert:

Seehofer verliert im Moment nicht an Macht, son-
dern an Respekt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit der Forderung nach einem Stopp des Netzaus-
baus hat Ihr Parteivorsitzender mal wieder eine seiner
atemberaubenden Wendungen vollzogen. Er stellt da-
mit einen Beschluss infrage, den er selbst mit zu ver-
antworten hat. Ich denke, Herr Kollege Holmeier
– Sie haben gerade gesprochen –, Sie haben im Juni
vergangenen Jahres dem Bundesbedarfsplangesetz
ebenfalls zugestimmt. Aber nicht nur die CSU-Abge-
ordneten im Bundestag haben zugestimmt, sondern auch
die Bayerische Staatsregierung im Bundesrat.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU,
wie erklären Sie eigentlich den Bürgern vor Ort, wa-
rum Sie und Ihre CSU-geführte Staatsregierung
– auch Ihr Parteivorsitzender – damals zugestimmt
haben und nun von dieser Zustimmung wieder abrü-
cken? Welche Antwort haben Sie darauf, wie der Aus-
stieg aus der Atomenergie ohne den nötigen Netzausbau
gelingen kann?

Worum geht es hier eigentlich? Wir haben uns
– mit breiter Zustimmung in der Bevölkerung – dazu
entschieden, als erstes Industrieland aus der Atom-
energie auszusteigen. Das ist zentraler Bestandteil des
Mammutprojekts Energiewende. Aber das funktio-
niert nicht, indem wir fordern, dass alles bleibt, wie es
ist. Dafür sind Anstrengungen notwendig, gerade in
Bayern, da sich dort der Anteil am Atomstrom noch auf
circa 50 Prozent beläuft. Eine dieser Anstrengungen
wird sein, dafür zu sorgen, dass wir Strom, den wir jetzt
schon durch Windkraft im windreichen Norden erzeugen
können, in den Süden transportieren. Dafür brauchen wir
ein Netz, das dies leisten kann. Darüber waren sich im
Sommer noch alle einig. Auch von Ministerpräsident
Seehofer kam kein vernehmbarer Widerspruch.

Sorgen von Bürgern müssen ernst genommen werden,
und der Netzausbau muss so verträglich wie möglich ge-
staltet sein.


(Beifall des Abg. Dirk Becker [SPD])


Abstandsregelungen von Leitungen zu Wohngebieten
müssen eingehalten werden. Natürlich geht es auch um
transparente Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger.
Ich bin in diesem Zusammenhang dem Kollegen Uli
Grötsch sehr dankbar, dass er gestern einen Vertreter des
Übertragungsnetzbetreibers Amprion in die bayerische
Landesgruppe eingeladen hat. Von den bayerischen
SPD-Abgeordneten wurde dies mehr als deutlich ange-
mahnt.

Es ist legitim, dass Bundesländer ihre Interessen ver-
treten. Das ist nichts Neues und keine bayerische Erfin-
dung. Das machen die SPD-geführten Bundesländer ge-






(A) (C)



(D)(B)

Florian Post

nauso. Dass aber auf populistische Weise angesichts der
schubweise auftretenden Stimmungsschwankungen des
bayerischen Ministerpräsidenten


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


das gesamte Projekt der Energiewende gefährdet wird,
schadet nicht nur dem Projekt, sondern in zunehmender
Weise dem Industriestandort Bayern. Das sage nicht nur
ich; das sagt auch der Hauptgeschäftsführer der Indust-
rie- und Handelskammer für München und Oberbayern,
Peter Driessen, der in der Vergangenheit nicht durch so-
zialdemokratische Umtriebe aufgefallen ist.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Kollege Hubertus Heil hat daher recht, wenn er Minis-
terpräsident Seehofer als wirtschaftspolitischen Kamika-
zen und Störfall der Energiewende bezeichnet.


(Beifall bei der SPD)


Seehofer argumentiert nun, durch das EEG-Eckpunk-
tepapier wäre die Geschäftsgrundlage für erteilte Zu-
stimmungen entfallen. Das zieht nicht. Neue Fördersätze
und ein neues Fördersystem verändern doch nicht die
energiepolitischen Ausgangsbedingungen. Vielmehr
wird versucht, die Kostendynamik des Ökostromausbaus
zu bremsen. Herr Holmeier, Sie haben gerade gesagt, wir
sollten in aller Ruhe den Gesetzentwurf zur Novellie-
rung des EEG abwarten. Ihr Ministerpräsident und Par-
teivorsitzender erklärt aber schon die Geschäftsgrund-
lage für entfallen, wenn ein EEG-Eckpunktepapier
vorliegt. Das passt doch hinten und vorne nicht zusam-
men.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bundes-
minister für Wirtschaft und Energie haben sich zum ge-
forderten Moratorium von Horst Seehofer in den letzten
Tagen eindeutig und einmütig geäußert. Ich weiß auch,
dass hier in den Reihen der CSU viele sitzen, die Ener-
giepolitik ernsthaft betreiben wollen und von ihrem eige-
nen Parteivorsitzenden geradezu hängen gelassen wer-
den.

Horst Seehofer muss klar sein: keine Windräder in
Bayern dank seiner 10H-Regelung, Forderung nach ei-
nem Moratorium für Stromtrassen; sein groß angekün-
digter Bayernplan „Biogas“ wird von den eigenen
Ministerien zerfetzt; er ist gegen alles, was irgendwo
von irgendwem irgendwann Protest auslösen könnte –
dann aber noch zu behaupten, dass man zur Energie-
wende steht, ist ungefähr so, als wenn ich die Existenz
der eierlegenden Wollmilchsau bejahen würde. Ich
denke, Ministerpräsident Seehofer glaubt selber, dass er
diese in puncto Energiewende gefunden hat.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801411700

Kollege Post, das war Ihre erste Rede im Deutschen

Bundestag. Herzlichen Glückwunsch zur Absolvierung
Ihrer Rede, fast in der vorgesehenen Redezeit! Für Ihre
weitere Arbeit wünschen wir Ihnen viel Erfolg.


(Beifall)


Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Thomas Bareiß das Wort.


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1801411800

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen

und Herren! Lieber Herr Post, auch von meiner Seite
herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede, auch
wenn wir noch ein bisschen üben müssen, wo denn hier
im Hause der Freund und wo der Feind steckt.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Aber das kriegen wir in den nächsten Wochen auch noch
hin; davon bin ich überzeugt.

Zu Beginn ist mir ein Punkt sehr wichtig. Wir sollten
zur Kernfrage der Grünen zurückkommen, nämlich zu
der Frage, wie die Bundesregierung zum Leitungsausbau
steht. Diese Debatte hat gezeigt, dass sich die Bundesre-
gierung und beide Koalitionsfraktionen klar und deutlich
zum Leitungsausbau bekennen


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir von der CSU nicht gehört!)


und diesen in den nächsten Jahren auch Stück für Stück
voranbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie ist das mit der CSU? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die CSU hat gerade etwas anderes gesagt!)


Das hat auch diese Debatte gezeigt.

Wir werden aber in allen Regionen, in allen gesell-
schaftlichen Gruppen Akzeptanzprobleme bekommen;
wir haben sie auch schon. Deshalb müssen wir meines
Erachtens sehr sensibel mit diesem Thema umgehen. Da
möchte ich die Kolleginnen und Kollegen der Grünen
ein bisschen um Demut und leisere Töne bitten.


(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt’s nicht!)


Ich habe hier ein Beispiel aus Bayreuth – eines von vie-
len–, wo es in der Lokalpresse folgende Überschrift gab:
„Zwischen CSU und Grüne passt kein Blatt Papier“.


(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der gleiche Artikel, den Sie da haben!)


Die Grünen sind also vor Ort dabei, wenn es darum geht,
den Ausbau mancher Leitungen infrage zu stellen und
kritische Fragen zu stellen, wenn es um den Netzausbau
geht.






(A) (C)



(D)(B)

Thomas Bareiß

Alle, die Energiepolitik betreiben und vor Ort aktiv
sind, erleben, dass es zwar eine hohe Zustimmung zur
Energiewende gibt; über 70 Prozent der Menschen in
unserem Land halten die Energiewende für richtig.
Wenn es aber darum geht, die Energiewende vor Ort um-
zusetzen, dann gibt es oft große Fragezeichen, dann
müssen wir für Akzeptanz kämpfen. Da stehen wir alle
zusammen in der Verantwortung.

Verantwortung tragen auch die Unternehmen – die Kol-
legen der CSU haben das angesprochen –: Amprion, Ten-
neT, TransnetBW und 50Hertz müssen vor Ort sensibel mit
den Gefühlen und Sorgen der Menschen umgehen, müssen
transparente Verfahren wählen und vor allen Dingen auch
die kommunalen Mandats- und Amtsträger mitnehmen
und sie vorher informieren,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


weil sie den Ausbau der Leitungen vor Ort Stück für
Stück begleiten müssen.

Aber auch hier im Hohen Haus muss von allen Frak-
tionen mehr Verantwortung übernommen werden. Wir
dürfen uns nicht herausreden, indem wir sagen, der
Netzbau sei vollkommen überdimensioniert; das habe
ich auch heute wieder gehört. Manche sagen, dass wir
Offshorewindkraftanlagen und deshalb auch den Netz-
ausbau gar nicht brauchen. Ich finde es immer ganz abst-
rus, wenn es heißt: Der Braunkohlestrom verstopft die
Netze, und solange Braunkohlestrom in die Netze fließt,
brauchen wir keine neuen Leitungen. – Diese Argumen-
tationen werden vor Ort keine Akzeptanz für den Netz-
ausbau bringen. Deswegen müssen wir aufpassen, wie
wir vor Ort auftreten.

Meine Damen und Herren, wir müssen den Energie-
konsens, den wir immer wieder besprochen haben, auch
in die Tat umsetzen. Wir können nicht immer nur da-
rüber sprechen, wo wir aussteigen wollen, sondern müs-
sen auch darüber sprechen, wo wir einsteigen wollen.
Wir brauchen neue Leitungen, wir brauchen Windräder,
auch in Baden-Württemberg und Bayern.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Nicht so viele!)


Wir brauchen aber auch hocheffiziente Kohlekraftwerke,
um die Schwankungen in den Zeiten auszugleichen, in
denen wir nicht genügend Strom aus Wind und Sonne
haben. Hier brauchen wir einen breiten Energiekonsens,
den ich in diesem Hause leider nicht überall erkennen
kann.


(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht bei der CSU!)


Sie von den Grünen haben sich immer weggeduckt,
wenn es darum ging, den entsprechenden Gesetzen in
diesem Haus zuzustimmen, um den Leitungsausbau vo-
ranzubringen; daran haben sich vorhin einige nur nicht
mehr ganz so erinnert.


(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ums Wie!)

Sie haben dem NABEG nicht zugestimmt. Dem Bundes-
bedarfsplan, bei dem wir gemeinsam versucht haben,
den Bedarf beim Leitungsausbau zu ermitteln, und bei
dem wir gesagt haben, dass wir den Leitungsausbau
Stück für Stück umsetzen wollen, haben Sie auch nicht
zugestimmt. Immer wenn es ernst wurde, haben Sie sich
weggeduckt.

Politik braucht Glaubwürdigkeit. Wenn wir glaub-
würdig sein wollen, dann müssen wir den Menschen
nicht nur erklären, wie wir es machen. Wir müssen nicht
nur transparent sein, sondern auch erklären, warum wir
die Leitungen brauchen. Wir brauchen diese Leitungen,
weil wir in den nächsten zehn Jahren Stück für Stück
sechs Kraftwerke mit enormen Kapazitäten im Süden
unseres Landes verlieren werden, gerade in leistungs-
starken Zentren des Südens, wo viel Industrie ist, wo
viele Wirtschaftsunternehmen angesiedelt sind.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt ja so, als ob Sie denen hinterhertrauern!)


Im Norden werden wir in den nächsten Jahren extrem in
den Ausbau von Windkraft investieren. Allein Branden-
burg und Mecklenburg-Vorpommern planen einen Zu-
bau von jeweils 8 Gigawatt, Niedersachsen 14 Gigawatt,
Schleswig-Holstein 13 Gigawatt. In den nächsten zehn
Jahren werden wir allein im Norden einen Zubau von 43
Gigawatt haben. Das bedeutet eine enorme Transforma-
tion im Rahmen unserer Energieversorgung. Wir müssen
den Norden mit dem Süden verbinden. Deshalb brau-
chen wir die Leitungen dringender denn je. Wir müssen
gemeinsam für den Bau dieser Leitungen kämpfen. Das
können wir nur mit den Bürgern machen und nicht gegen
die Bürger. Deshalb fordere ich alle auf, dieses Projekt
mitzugestalten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801411900

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Ausbildungsmission EUTM Mali auf Grund-
lage des Ersuchens der malischen Regierung
sowie der Beschlüsse 2013/34/GASP und
2013/87/GASP des Rates der Europäischen
Union (EU) vom 17. Januar 2013 und vom 18.
Februar 2013 in Verbindung mit den Resolu-
tionen 2071 (2012), 2085 (2012) und 2100

(2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Na-

tionen

Drucksache 18/437
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe






(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsidentin Petra Pau

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsauschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, warte ich, bis
die notwendigen Umgruppierungen in den Fraktionen
abgeschlossen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen
– das gilt fraktionsübergreifend –, ich bitte diejenigen,
die an der folgenden Debatte nicht mehr teilhaben kön-
nen oder wollen, uns trotzdem zu ermöglichen, hier fort-
zufahren und die notwendigen Gespräche gegebenen-
falls außerhalb des Plenarsaals zu führen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der
Verteidigung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundeswehr ist seit etwa 20 Jahren bei Einsätzen in
Afrika dabei. In den vergangenen Tagen habe ich an ver-
schiedenen Stellen für unser Engagement in Afrika ge-
worben. Daraufhin hat manch einer reflexhaft einen Ein-
satz in Afrika mit einem Kampfeinsatz gleichgesetzt,
entweder weil er es nicht besser weiß oder aber weil er
nicht wahrhaben will, was die Einsätze der Bundeswehr
tatsächlich beinhalten.

Bei der großen Mehrheit der Einsätze – das betrifft
übrigens alle Einsätze auf afrikanischem Boden – enga-
giert sich die Bundeswehr als Teil der internationalen
Gemeinschaft. Es sind Einsätze für Ausbildung, Trai-
ning, Aufbau guter Regierungsführung und staatlicher
Institutionen. Die Leistungen unserer Soldatinnen und
Soldaten sind in Afrika hoch angesehen, vor allem wenn
es darum geht, wie dabei agiert wird, nämlich auf Au-
genhöhe. Diese Leistungen sollten wir nicht verdruckst
beiseiteschieben; vielmehr sollten wir uns ihnen in einer
öffentlichen Debatte widmen. Die Leistungen unserer
Soldatinnen und Soldaten verdienen unsere Anerken-
nung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Afrika bietet ein zwiespältiges Bild. In einigen Regio-
nen erleben wir wirtschaftlichen Aufschwung, sinkende
Armut und politische Stabilität. Daneben gibt es andere
Regionen mit Bürgerkriegen und unfassbaren Verbre-
chen, Flüchtlingsströmen, Hunger und Not. All diese
Probleme stehen meist in einem ganz direkten Zusam-
menhang. Manche dieser Probleme sind nicht nur „afri-
kanische“ Probleme, sondern auch Folge dessen, wie wir
als hochindustrialisierte Nationen leben, und auch Folge
dessen, wie europäische Kolonialherren Grenzen quer
durch Ethnien gezogen haben. Diese Probleme verstär-
ken sich gegenseitig und drohen von einem Staat auf den
anderen überzuspringen. Die Auswirkungen dieser Kon-
flikte sind verheerend für die Menschen in der Region.
Wir spüren sie bis nach Europa.

Neben der Tatsache, dass Europa durchaus seinen An-
teil am Ursprung dieser Konflikte hat, gibt es einen
zweiten Aspekt, den ich unter dem Begriff der Verant-
wortung für das Handeln, aber auch für das Nichthan-
deln festmachen möchte. Wir haben nicht vergessen: Vor
20 Jahren kam es in Ruanda zu einem der schrecklichs-
ten Völkermorde in der afrikanischen Geschichte mit
etwa 1 Million Toten. Vor 15 Jahren sind im Kongo bis
zu 3 Millionen Menschen in einem blutigen Bürgerkrieg
abgeschlachtet worden. Beide Tragödien, Ruanda und
Kongo, fanden vor den Augen der Welt, unter den Au-
gen der Vereinten Nationen statt. Die Welt zeigte sich
unfähig, gelegentlich auch unwillig, zu handeln. Das
heißt nicht, dass Handeln immer die einzige richtige Op-
tion ist. Aber es zeigt eben auch, dass zu langes Abwar-
ten auch seine Folgen hat.

Am Jahresende 2012 drohten Mali und seine fast
14 Millionen Einwohner zum Opfer radikalislamisti-
scher Terroristen zu werden. Die malische Bevölkerung
spricht heute noch von dem Albtraum, der damals über
sie hereingebrochen ist. Was das bedeutet hätte, zeigte
sich in den Städten, die innerhalb kürzester Zeit von Ter-
rorgruppen eingenommen worden sind: Gewalt gegen
Tausende Menschen und Vertreibung, Zerstörung einzig-
artiger Kulturgüter und Barbarei. Timbuktu und Gao bo-
ten ein Bild der Verzweiflung: Frauen sind gesteinigt
worden; Menschen, die gestohlen haben, sind die Glied-
maßen abgehackt worden. Das waren „probate“ Mittel
bei Bestrafung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war das beherzte
Eingreifen Frankreichs, das weiteres Vordringen der ter-
roristischen Gruppen verhindert hat. Es rettete die Exis-
tenz Malis. Genau so sagt es die malische Bevölkerung
heute immer wieder. Frankreich hat damals viel riskiert.
Es hat Gefallene zu beklagen. Frankreich hat damals
aber auch das Zeitfenster für das Engagement eines brei-
ten Bündnisses von Staaten aus Afrika, Europa und an-
deren Teilen der Welt geöffnet, die Mali beim Wieder-
aufbau stabiler staatlicher Strukturen helfen.

Anders als in Afghanistan finden wir in Afrika supra-
nationale Strukturen vor, auf denen wir aufbauen kön-
nen, zum Beispiel die Afrikanische Union, zum Beispiel
ECOWAS.

Wie Sie wissen, waren wir in der letzten Woche mit
einigen Kolleginnen und Kollegen in Mali, um uns einen
Überblick über die Mission zu verschaffen. Uns wurde
dabei sehr deutlich: Mali erholt sich, der Wiederaufbau
schreitet voran. Eine demokratische Wahl hat stattgefun-
den. Es gibt eine junge Regierung, die den Aufbau einer
stabilen Regierung verfolgt. Die NGOs vor Ort versi-
chern uns nicht nur, dass in Teilen des Landes die Wirt-
schaft langsam wieder Tritt fasst, sondern auch, dass sie
ihre Arbeit in Teilen des Landes wieder aufnehmen kön-
nen, aus denen sie geflohen sind, zum Beispiel in Gao.
Ich kann nur sagen, dass ich Hochachtung empfinde,
wenn ich sehe, wie hart die Menschen in Mali an ihrer
Zukunft arbeiten.






(A) (C)



(D)(B)

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(Beifall des Abg. Christoph Strässer [SPD])


Das Land und seine Menschen sind sehr selbstbewusst.
Sie wollen ihr Schicksal selber in die Hand nehmen. Das
war eine der Hauptnachrichten, die uns der Präsident
von Mali in unseren Gesprächen mitgeteilt hat. Aber er
hat ebenso deutlich angesprochen, dass Mali immer
noch Hilfe braucht, dass, um einen nachhaltigen Erfolg
zu erzielen, die Anwesenheit der internationalen Ge-
meinschaft weiterhin notwendig ist. Das heißt für unse-
ren Bereich, den militärischen Bereich, dass die Ausbil-
dung der malischen Streitkräfte weiter geleistet werden
muss.

Die existenzielle Gefahr für Mali, die 2012 akut be-
stand, ist im Augenblick gebannt. Aber es gibt im Nor-
den noch Landesteile, in denen die Sicherheitslage sehr
angespannt ist. Auch die humanitäre Lage in diesen Tei-
len ist besorgniserregend.

Deshalb ist auch von entscheidender Bedeutung, dass
der Versöhnungsprozess, eine Grundbedingung der Ver-
einten Nationen, die dort mit ihrer Mission sind, fort-
schreitet. Er ist bei weitem noch nicht so weit gediehen,
dass wir von einer echten, dauerhaften Annäherung von
Nord und Süd sprechen könnten. Deshalb ist es auch so
wichtig, dass wir weiterhin dafür sorgen, dass die Vo-
raussetzungen gegeben sind, dass alle Gruppen an den
Verhandlungstisch kommen und dass die Entwaffnung
der Aufständischen beschleunigt wird. Das ist die ein-
zige Möglichkeit, um ein offenes Zeitfenster und damit
eine Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden zu
schaffen; dieser könnte daraus resultieren.

Mali ist für uns mit seiner EUTM-Mission ein
Schwerpunkt in Afrika. Wir wollen diesen Schwerpunkt
intensivieren. Das bedeutet mehr Engagement. Daher
wird die Bundesregierung die Mandatsgrenze von
EUTM auf 250 Soldatinnen und Soldaten anheben und
bitten, dieses Mandat hier im Bundestag auszugestalten
und anzunehmen. Dies gibt der Bundeswehr die Mög-
lichkeit, die Ausbildung der malischen Armee fortzuset-
zen und die Beratungsleistungen für das Verteidigungs-
ministerium und die Führungsstäbe zu erweitern. Es gibt
die Möglichkeit, dass Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr im Rahmen der Mission Sicherungsaufga-
ben zum Schutz der Mission selbst übernehmen. Wir
konnten uns selber davon überzeugen, dass die Bundes-
wehr die sanitätsdienstliche Versorgung für die Mission
bereitstellt, übrigens selbstverständlich auch für die ma-
lischen Streitkräfte.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass
ein Mentoring, also eine direkte Unterstützung der mili-
tärischen Operationen im Land, in dem Mandat ganz
klar ausgeschlossen ist. Vor diesem Hintergrund kommt
Mali in der Art und Weise, wie wir an die Dinge heran-
gehen, eine Vorreiterrolle zu. Unser Ziel im vernetzten
Ansatz muss sein, dass Afrika für seine Sicherheit und
Stabilität selbst sorgen kann. Das will es auch. Solange
das noch nicht ohne Weiteres aus eigener Kraft geht,
müssen wir helfen, es dazu in die Lage zu versetzen.

Dass das möglich ist, zeigt ein beeindruckendes Ein-
zelbeispiel. Jean Bosco Kazura ist Offizier der Streit-
kräfte Ruandas. Er hat vor 20 Jahren erlebt, was die
Gräueltaten im Konflikt zwischen Hutu und Tutsi ange-
richtet haben. Heute ist er Generalmajor, und er ist der
Kommandeur der VN-Mission MINUSMA zur Stabili-
sierung in Mali. Er hat nicht vergessen, wie verzweifelt
die Ausgangslage vor 20 Jahren in Ruanda gewesen ist
und wie es dazu gekommen ist, aber er hat auch nicht
vergessen, was man mithilfe der Staatengemeinschaft
und dann auch aus eigener Kraft erreichen kann. Es ist
nur die Geschichte eines Einzelnen, aber ich bin der fes-
ten Überzeugung, dass Afrika mehr solcher Geschichten
braucht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801412000

Das Wort hat der Kollege Niema Movassat für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801412100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Bundesregierung hat in den letzten Tagen weitreichende
außenpolitische Veränderungen angekündigt, und unter
diesem Aspekt ist auch das hier diskutierte Bundeswehr-
mandat für Mali zu sehen. Sie, Frau von der Leyen, und
Herr Steinmeier haben wie sogar der Herr Bundespräsi-
dent dieser Tage oft von der deutschen Verantwortung
gesprochen. Verantwortung ist nichts Verwerfliches. Sie
meinen damit aber schlicht: mehr deutsche Soldaten ins
Ausland. Sie nutzen den Begriff der Verantwortung, um
die Öffentlichkeit auf mehr Bundeswehreinsätze vorzu-
bereiten. Das ist verantwortungslos.


(Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Das behaupten nur Sie! – Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Nicht verstanden, worum es geht!)


Der Erste Weltkrieg jährt sich dieses Jahr zum
100. Mal. Das sollte zumindest ein Grund sein, darüber
nachzudenken, wohin Krieg, wohin Intervention und
wohin der Einsatz militärischer Gewalt am Ende führen
können. Es gibt keine Verantwortung, mehr Soldaten zu
entsenden und sich immer öfter an Kriegen zu beteili-
gen.


(Beifall bei der LINKEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)


Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen
Todenhöfer schrieb vor wenigen Tagen:

Was um Himmels willen will Ursula von der Leyen
in Zentralafrika und Mali? Ja, Deutschland muss
mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Aber
nicht für Rohstoffkriege, sondern für den Frieden.

Wenn Sie schon nicht der Linken glauben, dann glauben
Sie wenigstens Ihrem Parteifreund!


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)

Niema Movassat

Schauen wir uns das Mandat und die Lage in Mali
einmal genauer an! Die Bundesregierung schreibt in ih-
rem Antrag:

Europäischen Partnernationen wird zudem der not-
wendige Raum gegeben, um ihre Beiträge

– in Afrika –

neu zu priorisieren.

Ich übersetze: Die Bundeswehr bildet malische Soldaten
aus. Das ist natürlich kein Krieg; aber mit diesem Ein-
satz wollen Sie explizit den Franzosen den Rücken frei-
halten, die in Mali Krieg führen. Das ist also Beihilfe
zum Krieg – was genauso abzulehnen ist wie ein Kampf-
einsatz selbst.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist doch kein Geheimnis, dass Frankreich in Afrika
handfeste Interessen hat. In Mali und der Region sind es
zum Beispiel die Uranvorkommen, die für die französi-
schen Atomkraftwerke unersetzlich sind.


(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Das stimmt definitiv nicht!)


Auch sonst verfügt Mali über zahlreiche Rohstoffe.
Frankreich mit seiner fatalen Kolonialvergangenheit in
Afrika ist bis heute tief verstrickt in viele blutige Kon-
flikte um Rohstoffe und Einflusssphären. Es ist verant-
wortungslos, dass Sie das völlig ausblenden


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie blenden das Leid der Menschen aus!)


und sich auf den Beifahrersitz Frankreichs setzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber das passt zu Ihrer neuen Strategie, in Afrika mi-
litärisch präsenter zu sein.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Strategie soll das sein?)


Aus Ihrer Sicht ist ein Einsatz in Mali wohl auch hilf-
reich, um die Bundeswehr auf künftige Einsätze in
Afrika vorzubereiten.

Dass militärische Lösungen keinen Erfolg bringen,
zeigt die bisherige Bilanz des Einsatzes: Es hat nicht ein-
mal ein Jahr gedauert, dass die Bevölkerung dem gerade
noch umjubelten Papa Hollande mit größtem Misstrauen
begegnet. Die Sicherheitslage in Mali hat sich nicht ver-
bessert. Laut UN-Generalsekretär haben sich die terro-
ristischen Gruppen lediglich neu organisiert. Die Zahl
der Sprengstoffattentate nimmt zu. Viele Staatsdiener
kehren trotz üppiger Zulagen nicht auf ihre Posten im
Norden zurück: weil es zu gefährlich ist, weil sie Angst
um Leib und Leben haben.


(Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Soll man den terroristischen Gruppen das Feld überlassen? – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/ CSU]: Darum will man ja gerade eingreifen!)


Zudem sind 400 000 Menschen auf der Flucht. Es droht
eine Hungerkatastrophe, unter der bis zu 4 Millionen
Menschen leiden müssten.

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist doch nicht durch den Einsatz entstanden!)


All das nimmt die Bundesregierung nicht einmal zur
Kenntnis. Sie schwadroniert in ihrem Antrag gar von ei-
ner zunehmenden Verbesserung der humanitären Lage.
Das nenne ich Realitätsverweigerung.


(Beifall bei der LINKEN – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen Realitätsverweigerung! – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Sie schwadronieren! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Flucht und Vertreibung sind nicht durch den Einsatz entstanden, Herr Kollege!)


Die Bundesregierung schreibt, sie wolle die „territo-
riale Einheit“ und die Souveränität Malis sicherstellen.
Das finde ich gut; aber da gibt es einige Fragezeichen:
Nach der Rückeroberung von Kidal im Norden wurde
die Region von den Franzosen nicht an die malische Re-
gierung übergeben, sondern an die MNLA-Rebellen,
also die Hauptverantwortlichen für die Krise, die ihren
Hauptsitz in Frankreich haben. Mittlerweile hat die mali-
sche Regierung zwar endlich die Kontrolle; aber genaue
Aufklärung über den gesamten Vorgang täte dringend
not.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Frankreich verhandelt außerdem gerade ein Militär-
abkommen mit Mali: Die Franzosen wollen dauerhaft ei-
genständige Militäroperationen auf malischem Hoheits-
gebiet durchführen. Die Kosten für verursachte Schäden
soll Mali tragen. – Das ist ein Kolonialvertrag, wie er im
Buche steht. Das geht gar nicht!


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Was geht Sie das an?)


Ich möchte drei Forderungen formulieren als echten
Beitrag einer deutschen außenpolitischen Verantwortung
für Mali: Erstens. Verhindern Sie, dass Frankreich dieses
Militärabkommen durchdrückt. Zweitens. Mit einem
Militärbündnis Frankreich/Deutschland in Afrika setzen
Sie den bislang guten Ruf Deutschlands und seiner Ent-
wicklungszusammenarbeit in der Region leichtfertig
aufs Spiel. Deshalb: Beenden Sie die deutsche Militär-
mission in Mali! Drittens. Stocken Sie die Mittel für hu-
manitäre Hilfe, zivilen Friedensdienst und Entwick-
lungszusammenarbeit auf!

Abschließend: Hören Sie auf, Verantwortung und
Militäreinsätze gleichzusetzen! Die Menschen in
Deutschland durchschauen dieses Spiel: Bei einer ak-
tuellen Infratest-Umfrage haben 75 Prozent Nein zu
mehr Militäreinsätzen der Bundeswehr gesagt.


(Christoph Strässer [SPD]: Und 60 Prozent sagen Ja zu mehr Verantwortung!)


Hören Sie darauf!

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801412200

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Rainer Arnold

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1801412300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit Blick auf die Linken sage ich: Nicht die Franzosen,
sondern wir Europäer haben ein gemeinsames Interesse
an Stabilität und Sicherheit für die Menschen auf unse-
rem Nachbarkontinent.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Franzosen haben aufgrund ihrer Geschichte in
Afrika bestimmt eine größere Verantwortung; das ist
wohl wahr. Eigentlich könnte Mali ein Lehrstück für die
Politik sein, auch für die Linken. Die erste Lehre müsse
eigentlich sein: Es rächt sich, wenn die Staatengemein-
schaft zu lange zuschaut, während auf Tausenden von
Kilometern im Norden eines Landes die Staatlichkeit ka-
puttgeht und kriminelle und terroristische Banden dort
die Macht übernehmen. Dies holt uns ein; das hat uns
Mali gelehrt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Zweite, was man lernen kann, ist: Wer die legiti-
men Rechte von ethnischen Minderheiten im Land allzu
lange unterdrückt, wird früher oder später Konflikte ha-
ben. Auch dies war in Mali durch die Tuareg letztendlich
so.

Die dritte Lehre: Wer selbstzufrieden in einem wohl-
habenderen Teil eines Landes sitzt, wie in Mali im Sü-
den, und achtlos mit den Problemen im Norden umgeht,
wird sich am Ende nicht wundern dürfen, dass ihn die
Probleme einholen.

Ein Viertes muss man anhand von Mali auch lernen:
Wenn wir so lange warten, bis sich fundamentale Isla-
misten am Ende auch aus kriminellem Interesse mit
Minderheiten verbinden, die durchaus auch für legitime
Rechte kämpfen, dann ist es zu spät für schöne Worte
und Diplomatie.

Eine Kollegin der Linken ist mit nach Mali gereist.
Ich weiß nicht, wie man nach so einer Reise zu der Ein-
schätzung kommen kann, in Mali hätte sich nichts verän-
dert. Uns wurde dort von morgens bis abends nicht von
einem deutschen Schreibtisch aus, sondern von Men-
schen, die in Mali leben und arbeiten, gesagt, wie froh
sie über dieses internationale und französische Engage-
ment sind und wie sehr sie dafür danken. Können Sie
vielleicht einmal 30 Sekunden darüber nachdenken,


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist zu viel!)


was passiert wäre, wenn Frankreich nicht fünf Minuten
vor zwölf auch mit militärischer Gewalt übelsten men-
schenverachtenden Terroristen Einhalt geboten hätte, die
auch noch den Süden unter ihre Macht bekommen woll-
ten?

(Dr. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: So ist es! Genau!)


Was wäre heute mit den Menschen am Niger los? Kön-
nen Sie darüber einmal ein bisschen nachdenken, ehe Sie
hier solche Thesen behaupten?


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ja, was sagt die Linke dazu?)


Wir wissen aber auch: Militärische Gewalt wird die
Probleme bei solchen Konflikten am Ende nicht lösen.
Terroristen lassen sich nicht, wie im Krieg, durch eine
Niederlage besiegen. Wir alle wissen, dass Diplomatie,
Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung von Menschen-
rechten nur durch das gemeinsame Eingreifen – auch
von Militär und Polizei – erfolgreich erreicht werden
können.

Das gilt umso mehr in einem Land, in dem junge
Menschen die Hälfte der Bevölkerung stellen. Mehr als
die Hälfte der malischen Bürgerinnen und Bürger ist
15 Jahre alt oder jünger. Wenn die keine ökonomische
Perspektive haben, dann hat man tickende Zeitbomben
auf der Welt.

Mein Rat ist dringend, die Thesen, dass die neue Bun-
desregierung einen Paradigmenwechsel will und plötz-
lich alles Militärische im Vordergrund steht, wenigstens
einmal ein bisschen einzuordnen und darüber nachzu-
denken, was Sie hier behaupten.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Haben Sie die Reden auf der Sicherheitskonferenz nicht gehört? Das sind keine Thesen, das ist Quatsch!)


– Hören Sie einfach einmal zu, Herr Kollege.

An dieser europäischen Mission in Mali sind 23 euro-
päische Länder beteiligt. Nicht die Deutschen retten die
Welt, sondern hier sind 23 Partner mit 570 Soldaten ak-
tiv. Deutschland stellt davon aktuell weniger als 100.

Wie kann man sich denn darüber aufregen, dass man
jetzt darüber diskutiert und nächste Woche darüber ent-
scheidet, dass zu Ausbildungszwecken 70 Ausbilder
mehr nach Mali entsendet werden sollen, damit die Men-
schen dort in Zukunft auch nachhaltig selbst mit ihren
Problemen umgehen können? Wo ist hier der Aufreger?
Das ist sinnvoll und vernünftig; das ist Hilfe zur Selbst-
hilfe.

Ich will den Einsatz der Soldaten überhaupt nicht ge-
ringschätzen, aber uns wurde dort sehr deutlich gemacht:
Ihr Deutschen tut mit relativ wenig Aufwand sehr Ver-
nünftiges und könnt mit dieser Ausbildungsmission viel
Positives bewirken.

Schauen wir auf die andere Mission in Mali, die von
den Vereinten Nationen geführt wird. Dort ist es ähnlich.
Die Deutschen stellen drei Flugzeuge und halten zusätz-
lich ein Tankflugzeug bereit, das in Wirklichkeit gar
nicht gebraucht wurde.






(A) (C)



(D)(B)

Rainer Arnold

6 400 Soldaten aus den Nachbarstaaten Malis helfen
den Menschen in diesem Land. Das heißt, Afrika ist
schon auf einem spannenden Weg, da es plötzlich mög-
lich ist, dass Nachbarstaaten intervenieren, um schlim-
meres Leid zu verhindern. Es sind nicht die Deutschen,
sondern es sind 6 400 afrikanische Soldaten, die dort in
erster Linie für Stabilität sorgen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801412400

Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage

oder Bemerkung des Kollegen Liebich?


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1801412500

Ja, gerne.


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801412600

Herr Kollege Arnold, Sie haben die kritischen Hin-

weise meines Fraktionskollegen zurückgewiesen. Nun
hat sich auch Ihr ehemaliger Staatssekretär Walther
Stützle zu der Politik geäußert, die die Bundesregierung
gegenwärtig für Afrika plant. Er hat explizit mit Verweis
darauf, was bei der Münchener Sicherheitskonferenz
vorgetragen wurde, gesagt, dass es weniger Truppen und
mehr politische Konzepte braucht.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)


Wie reagieren Sie denn auf diese Kritik?


(Christoph Strässer [SPD]: Da hat er recht!)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1801412700

Was soll das, den Einsatz von militärischen Fähigkei-

ten und unser Engagement im zivilen Bereich immer ge-
geneinander aufzurechnen? Wir brauchen im Zweifels-
fall von beidem mehr. Wir brauchen Engagement da, wo
es notwendig ist. Wir brauchen da, wo Politik versagt,
leider auch militärisches Engagement.

Aber lassen Sie doch bitte einmal die Kirche im Dorf.
Wie kommen Sie zu der These, dass Deutschland immer
mehr Militär losschickt? In der Spitze hatten wir 10 000
Soldaten für internationale Einsätzen bereitstehen. Im
Augenblick sind es 4 850 Soldaten insgesamt, und es
werden weniger. Schauen Sie doch einmal, was in Afrika
tatsächlich los ist. Zurzeit sind etwa 70 000 Soldaten in
Friedensmissionen der Vereinten Nationen mit einem
Gewaltmonopol, so wie wir es uns vorstellen, im Ein-
satz. Von diesen 70 000 Soldaten kommen circa 6 500
Soldaten aus Bangladesch, fast alle anderen sind aus der
Afrikanischen Union. Knapp 100 deutsche Soldaten sind
im Rahmen dieser zehn Missionen der Vereinten Natio-
nen tätig. Diese 100 Soldaten waren bis vor wenigen Ta-
gen zum Teil nicht einmal bewaffnet, nicht einmal zum
Selbstschutz.

Sie aber reden daher, als ob die Deutschen munter in
Kriege nach Afrika ziehen wollen.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ich habe Ihren Parteifreund zitiert!)

Das ist wirklich Unfug. Hören Sie doch mit dieser Halb-
wahrheit auf.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ich habe Stützle zitiert!)


Sie ist schlimmer als die Lüge.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Diese Bundesregierung wird das Notwendige tun. Hier
im Parlament gibt es keinen, den es zu mehr militäri-
schem Engagement drängt, überhaupt niemanden.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Doch!)


Wir machen es uns doch bei jedem Einsatz schwer.
Deshalb ist auch der Parlamentsvorbehalt gut und wich-
tig. Wir wissen aber auch: Es kann Situationen geben, in
denen es ethisch nicht besser ist, wenn wir uns zurück-
lehnen und sagen: „Ohne uns!“, aber gleichzeitig in
Kauf nehmen, dass unsere Partner in Europa und in der
NATO diese Aufgaben erledigen. Es sind nicht deren
Probleme, sondern es sind unsere gemeinsamen Pro-
bleme.

So verstehe ich auch die notwendige Debatte. Mit der
Rede des Bundespräsidenten ist sie nicht abgeschlossen,
sie hat gerade begonnen. Es zeigt sich auch mit Blick auf
ein paar Kollegen der CSU: Wir müssen sie auch inner-
halb des Parlamentes führen. Aber sie ist gut und richtig.
Wir werden am Ende feststellen, welche Interessen, wel-
che Rolle und welche Verantwortung Deutschland in der
Welt hat. Niemand wird es nach militärischen Interven-
tionen drängen. Aber wir werden die Dinge im zivilen,
militärischen, polizeilichen und staatlichen Bereich mit
den Menschenrechten viel enger und besser verzahnen,
als dies in der Vergangenheit der Fall war. Das ist ein
ganz wichtiger Weg, den Sie doch eigentlich unterstüt-
zen müssten.

Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Die Welt
wird nicht besser, wenn Deutschland so tut, als ob Ent-
scheidungen von der EU, von der NATO oder von den
Vereinten Nationen über uns kommen, einfach so, son-
dern Deutschland muss sich in der öffentlichen Debatte
ehrlich machen. Die EU sind auch wir, die NATO sind
auch wir. Wir haben eine Verpflichtung und ein nationa-
les, wohlverstandenes Interesse, Prozesse und Entschei-
dungen in internationalen Organisationen mitzugestal-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Engagement zu verstärken, das ist ein gewis-
ser Paradigmenwechsel. Er ist notwendig. Er ist am
Ende gut und richtig: für Deutschland, für Europa und,
wie ich denke, ein Stück weit für die Welt. Damit erhe-
ben wir nicht den Anspruch, dass wir Deutschen die
Welt retten, sondern dass wir ein kleines, aber angemes-
senes Rädchen im Gefüge der Staatengemeinschaft sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801412800

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Christine

Buchholz das Wort.


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801412900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Da mich bzw. uns der Herr Kollege Arnold direkt ange-
sprochen hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, an die-
ser Stelle Position zu beziehen. Ich war genauso wie Sie
in der letzten Woche mit der Ministerin in Mali. Sie ha-
ben mir bzw. dem Kollegen Movassat vorgeworfen, er
würde die Realitäten und das, was uns Gesprächspartne-
rinnen und Gesprächspartner in Mali gesagt haben, nicht
zur Kenntnis nehmen.

Ich möchte zunächst feststellen: Es wirft ein Schlag-
licht auf die Art und Weise, wie offizielle Reisen dieser
Delegation vorbereitet werden, wenn man sich nur mit
den Menschen trifft, die ein Bild der Situation in dem
Land zeichnen, wie man es selbst erwartet. Teil dieser
Reise waren keine Gespräche mit Oppositionellen in
Mali, beispielsweise mit Persönlichkeiten wie der ehe-
maligen Kulturministerin Aminata Traoré, die dem mili-
tärischen Engagement des Westens und der afrikani-
schen Staaten in Mali sehr wohl kritisch gegenübersteht.
Wir haben auch nicht mit den Initiativen gesprochen, die
sich vor Ort gegen die Ausbeutung der Uranvorkommen
in Mali und die Interessenpolitik der westlichen Staaten
zur Wehr setzen. Von daher weise ich die pauschale Kri-
tik an dem Beitrag meines Kollegen zurück, weil wir den
Blick tatsächlich weiter ausrichten auf das, was auch die
offizielle Politik in Mali ist.

Als zweiten Punkt möchte ich meinen Kollegen abso-
lut unterstützen. Im Zentrum standen nicht die proble-
matischen Entwicklungen in Mali selbst. Nicht ange-
sprochen wurde die prekäre Nahrungsmittelsituation, die
der Kollege Movassat beschrieben hat, aber auch nicht
die Situation der Flüchtlinge. In den Nachbarländern
sind weiter 160 000 Flüchtlinge, die nicht zurückkom-
men. Er hat auch beschrieben, dass es sehr schwierig ist,
die Binnenflüchtlinge zurückzuführen. Das ist die Auf-
gabe. Verantwortung würde tatsächlich bedeuten, dies
ins Zentrum zu stellen.

Von daher bitte ich Sie, nicht unredlich den Kollegen
gegen mich auszuspielen, sondern auch die Eindrücke,
von denen Sie meinen, dass sie die komplette Realität in
Mali zeigen, zu hinterfragen und zu sehen, ob es nicht
auch andere Realitäten gibt, die Sie zur Kenntnis neh-
men könnten.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801413000

Zur Entgegnung hat der Kollege Arnold das Wort.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1801413100

Frau Kollegin Buchholz, Sie waren mit dabei. Es ist

wahr, dass überall in den Gesprächen, die wir geführt ha-
ben, deutlich gesagt wurde, wie wichtig das Engagement
ist und dass die Sicherheitslage in weiten Bereichen des
Nordens besser ist, dass ein großer Teil der Flüchtlinge,
wenn nicht alle, zurückgekommen ist und dass in Mali
Armut herrscht, aber zum Glück niemand verhungert.

Ich sage damit nicht: Es ist alles gut in diesem Land.
Nichts ist gut, wenn man strenge Maßstäbe anlegt und es
mit uns vergleicht. Aber für die Verhältnisse in Afrika
war Mali viele Jahre lang eigentlich eher auf einem posi-
tiven Weg, auch im Bereich der Entwicklung der Demo-
kratie. Die Aufständischen im Norden haben dies alles
zerstört.

Fest steht doch: Ohne das internationale Engagement
wäre das auch im Süden endgültig zu Bruch gegangen.
Wir hätten einen Failing State, der Rückzugsraum für
Terroristen, Kriminelle und Menschen wäre, die die
Scharia weiter verbreiten wollen. Dieser Staat hätte dies
geboten.

Sie müssen sich und uns die Frage beantworten: Wäre
dies allein mit freundlichen und guten Worten und den
Mitteln der Diplomatie zu verhindern gewesen? Ich sage
Ihnen: Nein. Wer so brutal und gewalttätig ist, wie wir es
in Nordmali erlebt haben, der hört nicht auf gut gemeinte
Ratschläge. Dem muss man sich leider auch mit Waffen-
gewalt entgegenstellen.

Mich hat sehr beeindruckt, was Erhard Eppler uns vor
vielen Jahren auf einem Parteitag gesagt hat: Wer militä-
rische Gewalt anwendet – Deutschland wendet in Mali
gar keine an; das wurde schon angesprochen –, macht
sich möglicherweise auch ein Stück weit schuldig. Wer
sie aber nicht anwendet, obwohl er damit etwas verhin-
dern könnte, muss sich fragen, ob er sich damit nicht
auch schuldig macht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Frau Buchholz, Sie tun mir unrecht. Sie waren wäh-
rend der Reise eine konstruktive, kollegiale Mitreisende,
ohne Wenn und Aber. Sie sind von dieser Reise zurück-
gekommen und haben sinngemäß in die Blocks der Jour-
nalisten diktiert: Die deutschen Soldaten sind nicht dort,
um die malischen Soldaten auszubilden, sondern eigent-
lich deshalb, um sich selbst zu trainieren, um weiter afri-
kanische Kriege führen zu können. – So stand es in der
Presse. Ich finde es eine Ungeheuerlichkeit. Das meine
ich auch damit, dass jemand die Augen verschließt,
wenn er eine solche Reise macht.

Unrecht tun Sie mir aus folgenden Gründen, Frau
Kollegin Buchholz:

Erstens hatten wir auf dieser Reise auch Gelegenheit,
mit anderen Sichtweisen konfrontiert zu werden, zum
Beispiel auf der Terrasse beim Botschafter, wo auch Ver-
treter von Nichtregierungsorganisationen anwesend wa-
ren.

Zweitens, Frau Kollegin, war es nicht meine erste
Mali-Reise, und im dortigen Büro der Friedrich-Ebert-
Stiftung haben wir außerordentlich gutes Personal, das
das Land kennt und uns inhaltlich, was die Situation an-
geht, gut zuarbeitet. Ich habe auch mit Vertretern von
vielen Nichtregierungsorganisationen in Deutschland
und in Mali sprechen können.






(A) (C)



(D)(B)

Rainer Arnold

Unter dem Strich kann man zu keiner anderen Er-
kenntnis kommen, als dass das Stoppen der Terroristen
– auch mit militärischen Mitteln – notwendig war, dass
die Situation zum Glück umgekehrt wurde und dass Mali
nun auf dem Weg der Besserung ist, dass es aber noch
viele Jahre dauern wird, bis in Mali eine tragfähige und
gute Stabilität, die auch wirtschaftliche Chancen bietet,
entsteht.

Übrigens hat Mali kein Uran. Gegenteilige Behaup-
tungen sind nichts anderes als ein Märchen. Mali hat
Gold, aber kein Uran.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Im Süden! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Areva!)


Sie sollten nicht einfach Behauptungen übernehmen und
in den Raum stellen, die überhaupt nicht zutreffen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801413200

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Agnieszka Brugger das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir füh-
ren gerade eine intensive öffentliche und teilweise auch
aufgeregte Debatte über den außenpolitischen Kurs-
wechsel der neuen Bundesregierung. Frau Ministerin
von der Leyen, ganz so unbeteiligt, wie Sie und die
Koalitionsfraktionen das dargestellt haben, sind Sie da-
ran nicht; denn Sie sind zum Teil mit sehr unglücklichen
Formulierungen und auch vielen Schlagworten in diese
Debatte gegangen. Das wurde eben so verstanden, als ob
es um „Mehr Militäreinsätze in Afrika“ ginge und dass
das sicherheitspolitische Ruder abrupt herumgerissen
werden sollte.

Sie führen diese Diskussion auch, ohne die Abgeord-
neten des Bundestags einzubeziehen.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Es gab doch Obleuteunterrichtungen!)


Wie man den Medienberichten entnehmen kann, stoßen
Sie damit auch in den eigenen Reihen, in den Reihen der
Unionsfraktion, auf Unmut. Und ich finde: völlig zu
Recht. Sie gehen die Dinge nämlich auch in der falschen
Reihenfolge an. Die Regierung, also Sie, der Außen-
minister und der Minister für Entwicklungszusammen-
arbeit, muss sich doch zunächst auf Ziele und ein Ge-
samtkonzept einigen. Erst wenn Sie sich darüber im
Klaren sind, sollten Sie damit ins Parlament und die Öf-
fentlichkeit gehen und darüber diskutieren. So sieht eine
kohärente Politik aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese aufgeregte Debatte verhindert aber auch, dass
wir uns fundiert mit den spezifischen Konflikten, ihren
Ursachen und ihren Lösungen beschäftigen.
Meine Damen und Herren, heute debattieren wir zum
zweiten Mal über die Beteiligung der Bundeswehr an der
europäischen Ausbildungsmission in Mali. Ziel ist es,
die malischen Streitkräfte langfristig in die Lage zu ver-
setzen, die Sicherheit im Land zu wahren und die Zivil-
bevölkerung zu schützen. Am Ende muss es auch eine
Armee sein, vor der die Bürgerinnen und Bürger Malis,
egal welche Hautfarbe sie haben, keine Angst haben
müssen. Der deutsche Beitrag zur Ausbildung malischer
Sicherheitskräfte ist sinnvoll. Allein kann und wird er
aber nicht darüber entscheiden, ob am Ende des Weges
in Mali wieder Frieden, Stabilität und Sicherheit einkeh-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um das zu erreichen, brauchen wir einen wirklichen
politischen und gesellschaftlichen Wandel in Mali, der
die Konfliktursachen angeht. Hier geht es um politische
Unterstützung, um ziviles Engagement und vor allem
auch um Entwicklungszusammenarbeit; denn die Sicher-
heitskräfte können ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn sie
demokratisch und rechtsstaatlich verankert sind und Teil
eines funktionierenden Staatswesens sind.

Ich selbst war kurz nach dem Beginn dieser Mission
2013 in Koulikoro vor Ort. Nun hatte ich ein Jahr später
auf der Reise mit der Ministerin die Möglichkeit, zu se-
hen, was sich in Mali verändert hat. Es hat sich einiges ge-
tan. Noch vor einem Jahr stand Mali vor der Zerreißprobe.
Verschiedenste Rebellenorganisationen, islamistische,
dschihadistische und kriminelle Gruppen und Kämpfer,
die teilweise schwer bewaffnet nach dem Libyen-Konflikt
in Mali eindrangen, brachten in kürzester Zeit den Norden
des Landes unter ihre Kontrolle. Das Ausmaß der Ge-
walt war – das muss man sich einmal klarmachen – un-
fassbar und erschreckend. Über 500 000 Malierinnen
und Malier waren gezwungen, die Flucht zu ergreifen. Die
malische Regierung und die malischen Streitkräfte waren
nicht in der Lage, dieser Gewalteskalation zu begegnen.
Erst die Intervention der französischen Truppen und die
Präsenz der anschließenden VN-Mission MINUSMA, die
noch heute in Mali für Sicherheit sorgt, konnten diesen
Vormarsch stoppen und den Norden des Landes aus der
Schreckensherrschaft befreien.

Heute, ein Jahr später, hat sich die Situation eindeutig
zum Positiven verändert, auch wenn sicher noch lange
nicht alles gut ist. Die Sicherheitslage hat sich verbes-
sert. Vielerorts im Norden bleibt sie aber weiterhin noch
angespannt und fragil. Während im letzten Jahr aber
noch unklar war, ob überhaupt Wahlen so schnell nach
der Krise durchgeführt werden können und ob am Ende
das Ergebnis von der malischen Bevölkerung akzeptiert
werden würde, ist nun ein erster, ein allererster Grund-
stein für ein funktionierendes Staatswesen gelegt wor-
den. Die Menschen in Mali haben einen Präsidenten und
ein Parlament gewählt. Als Nächstes stehen die Kommu-
nalwahlen an, die gerade in Mali von besonderer Bedeu-
tung sind. Die Vorbereitungen hierzu dürfen nicht aus
dem Blickfeld der internationalen Gemeinschaft ver-
schwinden.

Damit in Mali der Frieden auch langfristig eine
Chance hat, gibt es eine ganz zentrale Herausforderung:






(A) (C)



(D)(B)

Agnieszka Brugger

Das ist die Versöhnung zwischen dem Süden und den
Gruppen im Norden des Landes, insbesondere mit den
Tuareg. Immer wieder gerät dieser Versöhnungsprozess
ins Stocken. Beide Seiten müssen von der internationa-
len Gemeinschaft in die Pflicht genommen werden, die-
sen Prozess mit allem Nachdruck, mit Ernsthaftigkeit,
aber auch mit der Bereitschaft zum gegenseitigen Ver-
ständnis endlich voranzubringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Am Ende wird aber für eine wirkliche Aussöhnung
weniger entscheidend sein, wer Vorsitzender der Versöh-
nungskommission ist, sondern ob es vor Ort und auf lo-
kaler Ebene gelingt, einen Ausgleich zu schaffen und
auch die Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen,
die passiert sind, auf beiden Seiten aufzuarbeiten, zu be-
strafen, zu ahnden oder auch zu vergeben.

Meine Damen und Herren, es gibt einen Hoffnungs-
schimmer für Mali. Es ist an uns, die Menschen in Mali
dabei zu unterstützen, diese positive Entwicklung bei al-
len Schwierigkeiten und Herausforderungen auf einen
guten Weg zu bringen. Die europäische Ausbildungsmis-
sion liefert dazu einen kleinen, aber, wie ich finde, sehr
effizienten Beitrag. Entscheidend wird am Ende aber
sein, den Versöhnungsprozess und den politischen Wan-
del in Mali zu unterstützen. Hier können und hier müs-
sen wir mehr tun.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801413300

Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801413400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser
Debatte wollen wir deutlich machen, dass wir uns in Zu-
kunft früher, entschiedener und auch substanzieller in
die Afrika-Politik einbringen wollen. Das wirft zum ei-
nen ein Schlaglicht auf das, was wir schon seit vielen
Jahren tun, ist aber auch im Lichte der Debatte in den
vergangenen zwei Wochen zu sehen.

Wir sagen deutlich, dass wir die Politik der militäri-
schen Zurückhaltung nicht aufgeben wollen, weder ge-
nerell noch speziell im Falle von Afrika, verdeutlichen
aber zugleich, dass es der Anspruch der Regierungsfrak-
tion der CDU/CSU ist, sich, was die Afrika-Politik
angeht, deutlicher zu positionieren. Deshalb danke ich
insbesondere unserem Fraktionsvorsitzenden für seine
Initiative, ein eigenes Afrika-Konzept in den nächsten
Monaten auf den Weg zu bringen,


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Es gibt doch schon eins!)

in dem umfassend deutlich gemacht wird, dass wir mili-
tärische Komponenten als äußerstes Mittel sehen, aber
vor allem die Elemente der wirtschaftlichen Zusammen-
arbeit, der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, der
außenpolitischen Zusammenarbeit und natürlich auch
die Vertiefung im Bildungsbereich, die Menschenrechts-
politik sowie weitere Politikfelder im Auge behalten.
Dafür werden wir sehr viel Energie in den nächsten Mo-
naten aufwenden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben ein zum Teil falsches Afrika-Bild; denn
häufig ist dieses Afrika-Bild von Misswirtschaft, Kor-
ruption oder auch von zweistelligen Inflationsraten
geprägt. Dabei ist Afrika eigentlich einer der großen
Chancenkontinente und zudem ein Kontinent, der sich
unmittelbar vor unserer Haustür befindet. Der IMF
kommt in seiner jüngsten Afrika-Betrachtung insgesamt
zu der Einschätzung, dass das Wachstumspotenzial im
Durchschnitt bei 5,5 Prozent liegt; das ist ja ein erhebli-
ches Potenzial. Ich glaube, dass das gerade für Investo-
ren aus Deutschland und für die Exportnation Deutsch-
land sehr große Chancen bietet.

Die Situation ist von Land zu Land natürlich unter-
schiedlich. Aber auch in der Nähe von Mali gibt es gro-
ßes Potenzial. Nigeria beispielsweise hat große Chancen,
und die Wachstumsmotoren Äthiopien, Kenia und
Uganda sind weitere positive Beispiele für Länder, in de-
nen sich Investitionen lohnen würden.

Ein Problem entsteht aber dann, wenn sich ein Land,
das auf einem guten Weg ist, wie es bei Mali der Fall ist,
zurückentwickelt. Genau das ist an dieser Stelle passiert.
Mali galt über Jahre hinweg als ein Musterland für die
Kooperation im Bereich Entwicklungszusammenarbeit.
Mali galt jahrelang als ein tolerantes Land mit wirt-
schaftlichen Wachstumsperspektiven. Es hat sich nach
2012 leider ein sehr krisenhaftes Szenario ergeben, weil
die Regierungstruppen und die separatistischen Tuareg-
rebellen in einen ständigen Kampf miteinander geraten
sind, wodurch beinahe eine große humanitäre Katastrophe
entstanden wäre, wenn die Franzosen nicht so beherzt ein-
gegriffen hätten. Vor diesem Hintergrund möchte ich zi-
tieren, was unser Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier gesagt hat, nämlich dass nur durch das
schnelle Handeln der Franzosen Mali davor gerettet wor-
den sei, von islamistischen Fundamentalisten überrannt
zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Diese Nothilfe Frankreichs muss allerdings auch mul-
tinational unterstützt werden. Das ist auch das Ziel unse-
rer Afrika-Konzeption. Es geht nicht an, dass einzelne
Länder vorauseilen, vielmehr muss unser langfristiges
Ziel sein, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheits-
politik der Europäischen Union in die Lage versetzt
wird, Probleme gemeinsam zu definieren und gemein-
sam zu agieren. Insofern bleibt es trotz allem Dank an
Frankreich unsere Aufgabe, verstärkt zusammenzuarbei-
ten und Probleme vielleicht auch früher anzugehen.






(A) (C)



(D)(B)

Philipp Mißfelder

Das sehe ich als einen Beitrag zu dem, was wir unter
dem Schlagwort „Mehr Verantwortung“ verstehen.
„Mehr Verantwortung“ heißt aus unserer Sicht nicht
zwingend mehr Militär, sondern mehr Koordinierung,
mehr abgestimmtes Handeln. Das ist das, was wir in den
Unterausschüssen, zum Beispiel im Unterausschuss Zi-
vile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit, in den
vergangenen vier Jahren deutlich gemacht haben, und
wir wollen das mit unserem Afrika-Konzept unterstrei-
chen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801413500

Kollege Mißfelder.


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801413600

Deshalb unsere Zustimmung zu diesem Mandat.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801413700

Sie hätten noch Redezeit. Eigentlich wollte ich Sie

fragen, ob Sie dem Kollegen Ströbele eine Frage oder
Bemerkung gestatten.


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801413800

Wenn Sie mir das noch erlauben. Bei Herrn Ströbele

habe ich ja noch nie Nein gesagt, glaube ich. Deshalb:
Bitte.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801413900

Dann hat er das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr nett, Herr Kollege Mißfelder, dass Sie das noch
zulassen. – Man kann in der Tat darüber reden, dass man
die Menschen in Mali nicht alleinlassen darf, sondern
dass man sich da engagieren soll.

Meine Kritik zielt dahin – da spreche ich Sie als Mit-
glied der Koalition an, die es in der vorigen Legislatur-
periode gab und die schon 2012 für Mali Verantwortung
getragen hat; Sie haben das ja auch angesprochen –:
Meinen Sie tatsächlich, dass die Hilfe, die man da leisten
soll, ausgerechnet dieser malischen Armee zugutekom-
men soll?

Die malische Armee ist bis 2012 von Deutschen aus-
gebildet worden. Man hatte gehofft, dass sie nicht nur
militärische Fähigkeiten vermittelt bekommt, sondern
auch Demokratie, ziviles Engagement und Ähnliches.
Als die Krise begann, hat diese malische Armee, die die
Deutschen ausgebildet haben, die damals legitime Re-
gierung weggeputscht. Die Bundesregierung – Ihre da-
malige Bundesregierung! – hat daraufhin selbstverständ-
lich die militärische Ausbildung gestoppt, weil sie
gesagt hat: Wir können doch nicht die ausbilden, die dort
geputscht haben. – Den malischen Soldaten ist danach
sehr viel vorgeworfen worden, auch die Beteiligung an
Gräueltaten, zum Beispiel in der Auseinandersetzung
mit den Tuareg im Norden des Landes. Sie wollen nun,
dass deutsche Soldaten ausgerechnet diese Armee wie-
der ausbilden. Dass das der Beitrag zur Bewältigung der
Krise in Mali sein soll, kann doch nicht wahr sein!


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1801414000

Es ist ja nicht so, dass in diesem Konflikt irgendeine

Seite eine weiße Weste hätte. Das hat niemand behaup-
tet.


(Zurufe der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Trotzdem ist unser Anspruch, dass wir gerade dadurch,
dass wir in Mali präsent sind, auch auf die Strukturen
dieser Armee Einfluss ausüben. Ich glaube, das ist ein
vernünftiger Beitrag. Wenn wir jetzt hier eine wie auch
immer geartete materielle Unterstützung in größerem
Umfang diskutieren würden, dann müsste man das si-
cherlich kritisch sehen. Aber hier geht es um eine Aus-
bildungsleistung, von der wir uns natürlich erhoffen,
dass sie sich positiv auf die Armee auswirkt.

Im Detail werden weder Sie noch ich jetzt hier beur-
teilen können, ob ausgerechnet die von Ihnen skizzierten
Personenkreise immer noch in den Positionen sind, in
denen sie vorher waren.


(Zurufe der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das können mit dem Wissensstand, den wir haben, we-
der Sie noch ich jetzt sagen. Das müssen wir also in der
anstehenden Ausschussberatung noch einmal klären.
Dazu haben wir dort dann Gelegenheit und können uns
auch zu Wort melden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801414100

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Christoph

Strässer das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1801414200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese Diskussion hat viele Ebenen. Wir reden ja nicht
nur über Mali; wir reden auch über Verantwortung, wir
reden über unser Verhältnis zu Afrika – in Klammern:
Afrika hat über 50 Staaten mit ganz unterschiedlichen
Gesellschaften, mit ganz unterschiedlichen Strukturen,
mit ganz unterschiedlichen Problemen, Risiken und
Chancen.

Wir reden aber eben auch über Verantwortung. Das,
finde ich, macht diese Diskussion so spannend. Ich per-
sönlich und viele, die sich an dieser Diskussion beteili-
gen, definieren Verantwortung etwas anders als Sie, die
Sie wirklich mit einem Beißreflex in diese Diskussion
hineingehen. Für mich heißt Verantwortung, hinzu-
schauen, zu sehen: Wo sind die Probleme? Wo können
wir helfen? Wir können eben nicht nur und auch nicht in
erster Linie mit Militär helfen, sondern nur dann, wenn






(A) (C)



(D)(B)

Christoph Strässer

gar nichts anderes mehr geht. Verantwortung zu über-
nehmen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, heißt für mich in allererster Linie, präven-
tiv zu wirken, dafür zu sorgen, dass solche Katastro-
phensituationen, wie wir sie in vielen Bereichen dieses
Kontinents haben, gar nicht erst entstehen. Es gibt eine
Menge an Instrumenten, eine Menge an Methoden, eine
Menge an Mitteln, um diesen Weg zu gehen. Dafür muss
man sich aber zu dieser Verantwortung bekennen; und
das sollten wir hier aus meiner Sicht auch tun.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will nur ein Beispiel dafür nennen, wo wir mit un-
serer Verantwortung möglicherweise ganz intensiv ge-
fordert sind. Ich sage jetzt nur wenige Sätze zur Zentral-
afrikanischen Republik.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801414300

Kollege Strässer, bevor Sie das tun, müssten Sie mir

bitte die Frage beantworten, ob Sie der Kollegin Heike
Hänsel eine Frage oder Bemerkung gestatten.


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1801414400

Sicher, selbstverständlich; dafür sind wir ja hier.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, dafür nicht!)


– Dafür nicht, okay. Aber trotzdem.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801414500

Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Strässer, wir

hören jetzt ständig, eigentlich schon gebetsmühlenartig
in den letzten Wochen, den Satz: Wir müssen mehr Ver-
antwortung übernehmen. – Ich möchte einmal fragen:

Erstens. Haben eigentlich die Bundesregierungen der
letzten Jahre oder Jahrzehnte keine Verantwortung über-
nommen?


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen schon!)


Ist das die Schlussfolgerung? Ist es so, dass wir in
Deutschland – die letzte Große Koalition, die rot-grüne
Bundesregierung usw. – keine Verantwortung übernom-
men haben und jetzt Verantwortung übernehmen müs-
sen? Was ist denn das für eine Bewertung Ihrer eigenen
Politik der letzten Jahre? Erklären Sie mir diesen Satz
doch einmal!

Zweitens. Frau von der Leyen selbst hat gesagt: Die
Bundeswehr hat jetzt nach dem Abzug aus Afghanistan
mehr Kapazitäten frei für Afrika. – Jetzt möchte ich
nachfragen: Wieso unterstellen Sie uns, wir würden das
militärisch interpretieren? Das sind doch die Worte von
Frau von der Leyen. In der Stuttgarter Zeitung können
Sie es nachlesen: „Bundeswehr hat noch Kapazitäten“.
Könnten Sie das bitte einmal bewerten?


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1801414600

Sie reden hier inflationär und stichwortartig von Ver-

antwortung. Wenn Sie einmal richtig lesen, dann sehen
Sie, dass da steht: Wir übernehmen

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Hat sie selbst gesagt!)


– ich rede jetzt für mich und für uns – mehr Verantwor-
tung. Dieses „mehr“ heißt nicht „mehr Soldaten“ und
nicht „mehr Militär“, sondern: mehr hinschauen, mehr
Probleme erkennen und damit umgehen. Wir reden hier
doch gerade über ein Mandat, das hier mit breiter Mehr-
heit von Schwarz-Gelb, SPD und Grünen beschlossen
worden ist, und damit über die Verantwortung, die wir
2013 in Mali mit übernommen haben.

Natürlich hat jede Bundesregierung ihre Verantwor-
tung auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen. Aber
der Anstoß, sich endlich einmal dazu zu bekennen, da-
rüber zu reden und darüber nachzudenken: „Wie ist ei-
gentlich Deutschlands Rolle in der Welt? Welche Rolle
spielen wir eigentlich?“, ist jetzt von dieser Bundesre-
gierung gekommen. Ich finde den richtig und wichtig. Es
ist unsere Aufgabe, hier im deutschen Parlament mit der
Regierung darüber zu reden, Wege zu finden und auch
überzeugend gegenüber unserer Gesellschaft zu erklä-
ren, wo die Verantwortung für unser Land angesichts der
Mittel, die wir haben, liegt. Darüber möchte ich in der
Zukunft gern ganz sachlich und ganz fachlich reden.

Ich sage: Da steht nicht an erster Stelle das Militär.
Aber ich sage auch: Wenn es eine Situation gibt wie in
Mali, dann muss man sich im Endergebnis auch dazu be-
kennen, dass zu dieser Verantwortung im Zweifel gehört,
die Rechte von Menschen, die durch Hunger, durch Tod
oder durch andere Dinge bedroht sind, im Zweifel und
im Ernstfall auch mit militärischen Mitteln zu schützen;
anders werden wir unsere Verantwortung insgesamt
nicht wahrnehmen können, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Ich wollte aus einem ganz bestimmten Grund auf die
Zentralafrikanische Republik zu sprechen kommen. Da
gibt es ja unterschiedliche Warnsignale, Warnhinweise
zu dem, was auf uns zukommt. Damit beginnt natürlich
auch wieder eine Diskussion über die Rolle Deutsch-
lands und das Zur-Verfügung-Stellen von einem oder
zwei Transportflugzeugen. Man muss sich einmal über-
legen, was das an Verantwortung bedeutet.

Sie werden wahrscheinlich mitbekommen haben, dass
Amnesty International gestern einen Bericht veröffent-
licht hat; ich habe ihn einmal mitgebracht. Amnesty
International ist ja bekanntlich keine Organisation, die
dazu neigt, militärische Maßnahmen und Reaktionen zu
rechtfertigen. In diesem Bericht – ein ähnlicher Bericht
wurde im Übrigen bereits vorher von Human Rights
Watch, einer anderen großen Menschenrechtsorganisa-
tion, veröffentlicht – wird nachdrücklich auf die Verant-
wortung hingewiesen. Das Statement an die internatio-
nale Staatengemeinschaft lautet: Wenn ihr vor Ort seid,
auch mit den Mitteln im Rahmen einer internationalen
Intervention, dann sorgt bitte dafür, dass der Schutz der
Zivilisten gewährleistet wird. Amnesty International for-
dert die internationale Staatengemeinschaft auf, hier






(A) (C)



(D)(B)

Christoph Strässer

mehr zu tun und die Intervention, die im Moment dort
läuft, wieder insbesondere von den „bösen Franzosen“
geleitet, so durchzuführen, dass sie den Schutz der Zivil-
bevölkerung gewährleisten kann. Ich finde, das sollten
wir zur Kenntnis nehmen und uns der Verantwortung
nicht entziehen, sondern Unterstützung leisten. In der
Zentralafrikanischen Republik droht – das sagen viele
Menschen – ein Genozid wie in Ruanda, und das kann
die Weltgemeinschaft nicht hinnehmen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass man an dieser Stelle wirklich in der
Sache streiten muss; das ist doch überhaupt keine Frage.
Ich respektiere jeden, der vor einem pazifistischen Hin-
tergrund den Einsatz von Militär ablehnt. Aber man
muss dann auch Konsequenzen ziehen und zugeben,
dass man an bestimmten Entwicklungen mitschuldig
wird. Rainer Arnold hat an dieser Stelle Erhard Eppler
zitiert. Die Auseinandersetzung über diese Verantwor-
tung und die Wahrnehmung der Verantwortung, auch
zum Schutz der Menschenrechte – das sage ich ganz
deutlich –, zu führen, das ist aller Ehren wert und stünde
diesem Hohen Hause wirklich gut zu Gesicht.

Sie haben die Umfragen angesprochen und darauf
hingewiesen, dass 75 Prozent der Deutschen gegen mili-
tärische Interventionen seien. Aber Sie haben nicht ge-
sagt, dass mehr als 60 Prozent der deutschen Bevölke-
rung gesagt haben: Die These von mehr Verantwortung
Deutschlands in der Welt ist richtig; das unterstützen
wir.


(Niema Movassat [DIE LINKE]: Ja, aber humanitäre Einsätze! Das ist auch gut so!)


Das zeigt, dass es einen gesellschaftlichen Diskurs zu
diesem Thema gibt. Diesen gesellschaftlichen Diskurs
sollten wir wirklich allen Ernstes und ohne Schaum vor
dem Mund führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Letzter Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir
beschäftigen uns mit Afrika. Auch hier kann man die
Frage stellen, warum das eigentlich erst jetzt ein Thema
ist. Die Bundesregierung hat in der letzten Legislaturpe-
riode ein Afrika-Konzept verabschiedet; meine Fraktion
hat das im Jahre 2012 getan. Darin stehen viele gute,
richtige und wichtige Dinge, die es fortzuführen gilt.
Mein Wunsch und meine dringliche Bitte, gerade als je-
mand, der sich seit vielen Jahren mit den Entwicklungen
in Afrika auseinandersetzt, ist: Nehmen wir die Vorla-
gen, die es vonseiten der Bundesregierung und der Frak-
tionen gibt, und stellen wir den Kontinent Afrika ins
Zentrum unserer politischen Auseinandersetzungen! Da
ist nicht alles gut, und da ist nicht alles schlecht. Es gibt
vieles, bei dem man genau hinschauen muss, wo man et-
was verändern kann, mit vielen unterschiedlichen Me-
thoden. Aber das sollte für mich und für uns ein Anlass
sein, Afrika, unseren Nachbarkontinent, einmal ins Zen-
trum unserer Debatten zu stellen. Wenn das das Ergebnis
dieses Anstoßes und dieser Diskussion wäre, wäre ich
sehr froh darüber. Ich würde mich freuen, wenn wir da-
ran gemeinsam weiterarbeiten könnten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801414700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/437 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Einsetzung eines Ausschusses Digitale Agenda

Drucksache 18/482

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Digitale Themen beherrschen seit Wochen
und Monaten Nachrichtensendungen und TV-Shows mit
leider eher negativ besetzten Themen wie NSA, Wirt-
schaftsspionage oder auch Hackerangriffe. Die Digitali-
sierung ist aber auch Thema Nummer eins bei den gro-
ßen Entscheidern in der Wirtschaft, in diesem Fall eher
positiv besetzt; denn in der Digitalisierung sehen die
Bosse der Unternehmen die größten Wachstumspoten-
ziale für den Mittelstand, für die Industrie, aber auch zu-
nehmend für die Dienstleistungsbranche. Digitale The-
men, das wissen wir alle, sind im Alltag von jedem von
uns angekommen: bei Verkehr und Mobilität, bei Fami-
lie, Verwaltung, sogar bei Gesundheit und Pflege.

Wir stellen fest, dass die Interneteuphorie, die es in
den letzten Jahren gab, einem eher pragmatischen An-
satz gewichen ist. Man geht mit Pragmatismus und Re-
alismus an die Aufgaben heran. Denn wir alle wissen:
Die Digitalisierung bringt Gefahren und Risiken mit
sich. Sie ist aber auch der Quell großer Wachstumschan-
cen, und sie ermöglicht Partizipation und Teilhabe. Auch
diese gesellschaftlichen Aspekte sollte man nicht außer
Acht lassen.

Die Digitalisierung prägt alle Lebensbereiche. Des-
halb ist es richtig, dass digitale Themen ab jetzt auch im
Deutschen Bundestag einen Platz haben. Wir setzen
heute den ersten Ausschuss zur digitalen Agenda im






(A) (C)



(D)(B)

Nadine Schön (St. Wendel)


Deutschen Bundestag ein. Ich freue mich sehr, dass wir
das hier in großer Übereinstimmung zwischen den Frak-
tionen tun können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Ausschuss Digitale Agenda wird zum Motor der
digitalen Agenda werden. Was heißt das? Das heißt zual-
lererst, dass wir die Regierung in den nächsten Wochen
und Monaten dabei unterstützen, ihre digitale Agenda zu
formulieren. Ich bin sehr froh, dass mit den beiden
Staatssekretärinnen, die heute auf der Regierungsbank
sitzen, Frau Bär und Frau Zypries, zwei Kolleginnen in
der Kerngruppe der Regierung Mitverantwortung tragen,
die mit uns zusammen die digitale Agenda in den Koali-
tionsverhandlungen verhandelt haben. Mit Minister de
Maizière haben wir einen kompetenten und engagierten
dritten Akteur in der Kerngruppe der Regierung, in der
die digitale Agenda ausgestaltet werden wird.

Ich glaube, dass wir mit dem Koalitionsvertrag wirk-
lich sehr gute Grundlagen gelegt haben. Sie können auf
vieles zurückgreifen. Aber eines ist auch klar: Die digi-
tale Agenda der Bundesregierung kann nicht die Kumu-
lation von Einzelstrategien sein. Nein, wir brauchen eine
Gesamtstrategie, die das große Ganze im Auge hat, eine
Gesamtstrategie, die Deutschland national, international,
ja weltweit zum Vorreiter machen wird. Wenn in den
nächsten Jahren an Digitalisierung gedacht und gefragt
wird: „Welches Land hat die Chancen und Potenziale am
besten begriffen und für sich umgesetzt?“, dann sollte
– das ist meine Vorstellung – immer an Deutschland ge-
dacht werden. In diesem Zusammenhang tragen die Re-
gierungskommission, aber vor allem auch der neue Aus-
schuss eine ganz große Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Ausschuss Digitale Agenda wird der Motor der
Umsetzung sein. Das beinhaltet zwei Dinge. Das heißt
zum einen, dass wir die Fachausschüsse in ihrem Tages-
geschäft begleiten. Das heißt zum anderen aber auch,
dass wir die großen Fragen stellen.

Zur Begleitung der Fachausschüsse: Wir alle stellen
fest, dass eigentlich in allen Ausschüssen – im Wirt-
schaftsausschuss, im Verkehrsausschuss, im Gesund-
heitsausschuss – digitale Themen eine Rolle spielen, von
E-Health über Industrie 4.0 bis zum Thema Smart Grids.
Erst gestern habe ich mich auf der Berlinale mit der Ver-
treterin einer Initiative für Behinderte unterhalten, die
dafür kämpft, dass Behinderte einen besseren Zugang zu
kulturellen Ereignissen haben. Was war ihre Antwort auf
die Frage, wie das umgesetzt werden kann? Durch digi-
tale Lösungen. Deshalb gehört die Beschäftigung mit di-
gitalen Lösungen eben auch in den Kulturausschuss.

Ich behaupte, dass auf der Suche nach Lösungen noch
viel zu selten an die großen Potenziale der Technik, an
die großen Potenziale der Digitalisierung gedacht wird.
Deshalb ist eine ganz große Aufgabe dieses neuen Fach-
ausschusses, sein Wissen in die Fachausschüsse hinein-
zutragen, damit die Fachpolitiker das große Wissen, was
sich hier bündelt, nutzen können. Ich kann den Fachpoli-
tikern nur anbieten und an sie appellieren: Nutzen Sie
diese Kompetenz! Im Ausschuss Digitale Agenda sam-
melt sich die Fachkompetenz unserer Fraktionen zu die-
sem Thema. Das bietet ganz viel Potenzial, auch für alle
anderen Ausschüsse.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen aber auch die großen, übergeordneten Fra-
gen stellen und uns nicht im Klein-Klein verlieren. Wir
wollen auch nicht, wie das in den letzten Tagen vonsei-
ten der Linken gesagt wurde, quatschen.

Dafür ist uns die Zeit viel zu schade. Wir wollen die
großen Fragen stellen und gemeinsam überlegen: Wie
können wir die digitale Souveränität in Deutschland vo-
ranbringen? Oder: Wie schaffen wir es, dass die Start-
ups, die guten und innovativen Unternehmen in unserem
Land europaweit und weltweit Erfolg haben?

Auch das ist ein Gesichtspunkt in der NSA-Debatte:
Wir können uns nicht beklagen, dass wir von ausländi-
schen IT-Lösungen abhängig sind, wenn unsere eigenen
Unternehmen nicht die Kraft haben, es zum Welterfolg
zu bringen. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie schaf-
fen wir es, dass Deutschland, dass Europa mit seinen
Unternehmen bei den großen Playern weltweit dabei ist,
dass deutsche und europäische Lösungen im Kern der
IT-Kompetenz großer Unternehmen stehen? Dieser Aus-
schuss hat hier eine große Verantwortung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Innovationszy-
klen in diesem Bereich sind enorm. Wir erleben, dass
sich die Welt durch die Digitalisierung sehr schnell
dreht. Es wird für diesen Ausschuss eine Herausforde-
rung werden, mit dieser Innovationsgeschwindigkeit
Schritt zu halten. Aber das ist unsere Aufgabe. Die
Kunst wird darin bestehen, das Tagesgeschäft des Aus-
schusses zu betreiben und gleichzeitig immer einen
Schritt voraus zu sein und zu schauen: Was liegt vor
uns? Worauf werden wir in Zukunft zu reagieren haben?
Das ist eine große Herausforderung für den Ausschuss.
Ich weiß, dass er sie meistern kann, weil aus allen Frak-
tionen sehr kompetente Abgeordnete Mitglied im Aus-
schuss sind.

Deshalb wünsche ich uns allen, dass wir möglichst
viel Erfolg haben, dass wir viel miteinander diskutieren
und wenig gegeneinander; denn die Themen sind zu
wichtig und die Herausforderungen zu groß, dass wir
uns im Klein-Klein verlieren. Die digitale Agenda ist
eine große Herausforderung für uns alle; zusammen mit
den Experten in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und
auch mit den Aktivisten im Internet. Wir wollen das ge-
meinsam angehen.

Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801414800

Vielen Dank, liebe Kollegin. – Schönen guten Tag

von meiner Seite aus. Die nächste Rednerin in der
Debatte ist Halina Wawzyniak für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801414900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Wir debattieren heute die Einsetzung ei-
nes neuen Ausschusses, des Ausschusses Digitale
Agenda. Das gab es noch nie. Dass es ihn nun gibt, ist in
allererster Linie der Enquete-Kommission „Internet und
digitale Gesellschaft“ zu verdanken, die die Einsetzung
dieses Ausschusses einmütig gefordert hat. Aber auch
zahlreichen Netzaktivistinnen und Netzaktivisten ist es
zu verdanken, die nicht müde wurden, netzpolitische
Themen auf die Tagesordnung zu bringen und die Wich-
tigkeit des Themas so oft zu betonen, dass selbst die
Union irgendwann einsehen musste, dass man Netzpoli-
tik nicht mal so nebenbei abfrühstücken kann.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!)


Nun haben wir also einen Ausschuss, der sich allein
mit netzpolitischen Themen befasst. Das hätten wir
schon vor zwei Monaten haben können, hätte es da nicht
diverse Zwistigkeiten innerhalb der Großen Koalition
gegeben. Das ging sogar so weit, dass man nicht richtig
wusste, wie der Ausschuss überhaupt heißen soll. Wenn
Sie sich nicht einmal über den Namen einig werden kön-
nen, will ich gar nicht wissen, wie es ist, wenn es um In-
halte geht. Das werden sicherlich vier spannende Jahre
mit Ihnen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal gucken!)


Ich persönlich hätte es im Übrigen ganz gut gefunden,
wenn der Ausschuss „Internet und digitale Agenda“ ge-
heißen hätte. Das sagt am besten aus, worum es geht. Im
Übrigen müssten wir dann nicht auf Twitter diskutieren,
wie der neue Hashtag heißt.

Alles gut also? Leider nicht. Die Große Koalition
bleibt auf halbem Weg stecken. Anstatt die Netzpolitik
bei einem Ansprechpartner zu bündeln, zum Beispiel in
Gestalt eines Staatssekretärs – da gibt es relativ viele –,
bleibt das Thema in der Bundesregierung zersplittert und
auf zahlreiche Ministerien aufgeteilt. Der eine Minister
kümmert sich um den Breitbandausbau, ein anderer um
die Netzneutralität, wieder ein anderer kümmert sich um
Urheberrecht und Datenschutz, dann gibt es noch einen
für den Verbraucherschutz. Ich könnte das jetzt weiter-
führen und würde auf ungefähr elf Ministerien kommen,
die sich irgendwie mit netzpolitischen Themen beschäf-
tigen.

Dann gibt es, wie man so hört, gleich Gerangel
zwischen Superminister Gabriel und Doch-nicht-Inter-
netminister Dobrindt um einzelne Referate. Alle wollen
irgendwie bei der Netzpolitik mitreden. Das ist eigent-
lich schön; denn es zeigt, dass das Thema angekommen
ist. Besser spät als nie, könnte man sagen. Doch Kompe-
tenzgerangel bringt uns irgendwie nicht weiter, erst recht
nicht in der Sache.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Ausschuss könnte wiederum einen Beitrag leis-
ten, dieses Kompetenzgerangel aufzulösen. Doch das
kann nur funktionieren – jetzt kommen wir zu des Pudels
Kern –, wenn er bei netzpolitischen Themen federfüh-
rend ist.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Andernfalls besteht nämlich die Gefahr, dass die Netz-
politikerinnen und Netzpolitiker der Fraktionen zwar
nett miteinander reden, das Ganze aber doch zu einer
Spielwiese verkommt und der Ausschuss am Ende über-
haupt nichts mehr zu entscheiden hat.

Nun sagt der Einsetzungsbeschluss – ich möchte gar
nicht drum herumreden, dass es durchaus Streit darüber
gab, ob Grüne und Linke ihn mittragen – im Hinblick
auf die Federführung nicht wirklich aus, was gemeint ist.
Ich hätte mir da etwas mehr Klarheit gewünscht. In der
Begründung steht, dass er „in der Regel mitberatend tä-
tig werden“ soll. Glücklicherweise stimmen wir nicht
über Begründungen ab, und deswegen hat der Bundes-
tag, also alle Abgeordneten, die Möglichkeit, netzpoliti-
sche Initiativen federführend und nicht mitberatend in
den Ausschuss Digitale Agenda zu überweisen. Von
dieser Möglichkeit sollten wir tatsächlich Gebrauch
machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich jedenfalls kann Ihnen versichern: Wann immer
Sie irgendetwas, das vorwiegend Netzpolitik betrifft, fe-
derführend in einen anderen Ausschuss überweisen wol-
len, werden wir darüber hier im Parlament abstimmen
lassen. Denn das Parlament entscheidet, ob der Aus-
schuss Digitale Agenda in netzpolitischen Themen eine
wichtige Rolle spielen wird. Jede und jeder von Ihnen,
die Sie hier alle sitzen, wird persönlich mitentscheiden
dürfen, ob ein netzpolitisches Thema federführend im
Ausschuss Digitale Agenda oder in einem anderen Aus-
schuss behandelt wird.

Trotz der Mängel wird die Linke die Einsetzung des
Ausschusses mittragen – ich habe darauf hingewiesen –,
weil wir es wichtig finden, dass es einen solchen Aus-
schuss überhaupt gibt. Und jetzt liegt es an uns, diesen
Ausschuss mit Leben zu füllen. Ob das funktioniert – ich
wiederhole mich da gerne –, liegt an uns allen, die wir
hier im Parlament sitzen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Christina Kampmann [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801415000

Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächster hat Lars

Klingbeil für die SPD in der Aussprache das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1801415100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Ich finde,
das ist schon ein bedeutender Tag hier im Parlament. Wir
haben es in der letzten Legislatur erlebt, dass das Thema
Netzpolitik in der parlamentarischen Arbeit immer mehr






(A) (C)



(D)(B)

Lars Klingbeil

Raum eingenommen hat. So gab es die Beratungen in
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesell-
schaft“. Wir haben in dieser Legislatur 22 Ausschüsse
eingesetzt, die es so oder so ähnlich schon in der letzten
Legislatur gab. Hinzu kommt nun ein 23. Ausschuss,
nämlich der Ausschuss Digitale Agenda. Das zeigt, dass
wir als Parlament anerkennen, dass sich hier neue The-
menfelder entwickelt und wir ihre Bedeutung erkannt
haben. Wir sagen: Hier im parlamentarischen Raum
muss es Beratungen über diese Themen geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin auch froh
darüber, dass wir es geschafft haben, einen gemeinsamen
Einsetzungsbeschluss hinzubekommen, dass auch die
Oppositionsfraktionen zustimmen, dass wir, das Parla-
ment insgesamt, ein Zeichen setzen müssen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir freundlich sind!)


Liebe Kollegin Wawzyniak, ich erkenne an, dass Sie
versucht haben, das Haar in der Suppe zu finden. Das ist
Aufgabe der Opposition. Aber ich sage Ihnen: Freuen
Sie sich doch über den gemeinsamen Erfolg, dass es
diesen Ausschuss geben wird. Wie etwa über die Frage
der Vorratsdatenspeicherung entschieden wird, hängt si-
cherlich nicht von der organisatorischen Frage ab, ob der
Ausschuss federführend oder mitberatend tätig wird,
sondern vom politischen Diskurs.


(Beifall bei der SPD)


Also kann ich Sie nur einladen, die politische Debatte zu
führen und die Auseinandersetzung zu suchen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die wird es geben!)


Ich wusste gar nicht, dass die Linken so struktur- und
gremienverliebt sind, wie Sie es gerade dargestellt ha-
ben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jens Koeppen [CDU/CSU])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Ausschuss
Digitale Agenda wird der zentrale Ort hier im Bundestag
sein, an dem wir, das Parlament, die digitale Agenda der
Bundesregierung koordinieren, sie besprechen, immer
wieder eigene Impulse setzen und da, wo es nötig ist,
auch mal Anstöße geben. Die Kollegin Schön hat er-
wähnt, dass sich mindestens zwei Staatssekretärinnen
darum kümmern werden.

Aber ich will erwähnen, dass es weitere Ministerien
gibt, die sich mit Netzpolitik befassen werden: Auch das
Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird
sich kräftig in netzpolitische Fragen einmischen. Ich
sehe hier Herrn Krings, Staatssekretär im Innenministe-
rium. Auch das Innenministerium wird sich einmischen.
Und ich bin mir sicher: Es werden weitere Ministerien
folgen. Netzpolitik ist ein Querschnittsthema, das von al-
len Häusern bearbeitet wird, und das ist gut so. Wir
haben auch in der Enquete diskutiert, wie man ein
Thema wie die Netzpolitik organisatorisch aufstellen
kann, und waren uns einig, dass es ein Querschnitts-
thema ist. Deswegen ist es richtig, dass es in vielen Häu-
sern behandelt wird und vom Parlament in einem zentra-
len Ausschuss koordiniert wird.

Frau Wawzyniak, Sie haben angesprochen, dass es ein
Verdienst von vielen ist, dass dieser Ausschuss kommt.
Das will auch ich hier sagen. Unter denjenigen, die dafür
gesorgt haben, dass dieser Ausschuss kommt, sind auch
Kollegen, die jetzt nicht mehr im Parlament sitzen. Ich
will aber auch Sachverständige aus der Enquete erwäh-
nen, die fleißig mitdiskutiert haben, die mitgekämpft und
für einen einstimmigen Beschluss gesorgt haben und die
heute sicherlich verfolgen, was wir hier machen. Aber es
war auch das Engagement von Netzaktivistinnen und
Netzaktivisten, das dafür gesorgt hat, dass das Thema
hier im Parlament angekommen ist.

2009 führten wir große Debatten über Netzsperren,
über ACTA und über Vorratsdatenspeicherung, die si-
cherlich fortgesetzt werden. Es gibt viele, die das Thema
Netzpolitik auf die gesellschaftliche Agenda gesetzt
haben. Diese Themen sind nun in der Mitte des Parla-
ments angekommen. Deswegen ist heute ein bedeuten-
der Tag für unser Parlament.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben allen Grund, uns über die Einsetzung des
Ausschusses zu freuen; aber mit der Arbeit geht es jetzt
erst los. Es liegen viele Themen vor uns, die wir nun hier
im Parlament ernsthaft bearbeiten müssen. Ich will drei
Themen nennen, die uns Sozialdemokratinnen und So-
zialdemokraten in diesem Ausschuss wichtig sind.

Erstens. Es geht darum, die digitale Spaltung in
Deutschland zu stoppen. Wir müssen dafür sorgen, dass
alle in unserem Land den gleichen Zugang zum schnel-
len Internet haben. Ich bin Minister Dobrindt dankbar,
dass er in den letzten Wochen viele Initiativen angekün-
digt hat.


(Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Seien Sie sich sicher: Wir als Ausschuss werden diese
tatkräftig begleiten; denn uns geht es darum, die Spal-
tung im Bereich Breitband in unserem Land zu beenden.
Wir brauchen Zugang zum schnellen Internet, und zwar
flächendeckend; denn es geht um die Gleichwertigkeit
der Lebensverhältnisse, aber auch darum, wirtschaftli-
ches Wachstum und neue Geschäftsmodelle zu ermögli-
chen.

Unter dem Begriff, digitale Spaltung zu beenden, ver-
stehen wir allerdings mehr als nur den flächendeckenden
Zugang zum schnellen Internet. Für uns gehören auch
die Bereiche digitale Kompetenz und Netzneutralität
dazu. Wir als SPD werden diese Themen ebenfalls in
den Ausschuss einbringen.


(Beifall bei der SPD)


Ein zweiter wichtiger Punkt, den wir im Ausschuss
intensiv diskutieren wollen, ist die wirtschaftliche Ent-
wicklung. Die digitale Wirtschaft hat enorme Potenziale.
Es geht uns darum, die wirtschaftliche Entwicklung und
das Wirtschaftswachstum zu stärken und die Entstehung






(A) (C)



(D)(B)

Lars Klingbeil

von Arbeitsplätzen zu fördern. Das betrifft Start-ups,
aber auch das Projekt „Industrie 4.0“, das wir begleiten
wollen. Es wird dazu führen, dass sich in Deutschland
viele Potenziale entfalten können.

Der dritte Bereich, der uns wichtig ist: Wir müssen
die richtigen Konsequenzen aus der Affäre rund um die
NSA ziehen. Wir haben gesehen: Vertrauen ist verloren
gegangen. Ich warne davor, in IT-Nationalismus zu ver-
fallen, aber wir müssen in der Tat darüber diskutieren,
was Deutschland machen kann, wenn es darum geht,
Forschung und Entwicklung, Initiativen im Bereich der
Medienkompetenz und die digitale Selbstständigkeit zu
stärken. Es muss aber auch darum gehen, internationale
Abkommen und Verträge voranzutreiben, etwa das No-
Spy-Abkommen. Wir wollen, dass die Menschen dem
Internet wieder vertrauen können. Aktuell ist das nicht
der Fall.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Es liegen
viele Aufgaben vor uns. Der Ausschuss Digitale Agenda
wird der Ort sein, an dem wir das Ganze koordinieren.
Wir behandeln kein Nischenthema, sondern ein Quer-
schnittsthema mitten im Parlament. Mit dem Einset-
zungsbeschluss kann die Arbeit des Ausschusses jetzt
Gott sei Dank losgehen. Ich will mich bei allen bedan-
ken, die in den letzten Wochen massiv daran gearbeitet
haben, dass es zu diesem Beschluss gekommen ist.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801415200

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächsten Redner

rufe ich auf Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Zeit der Erkenntnis ist vorbei; die hatten wir in der
17. Wahlperiode. Viele der jetzt diesem Ausschuss zuge-
hörigen Abgeordneten und die 17 Sachverständigen ha-
ben das Defizit des Bundestages in Sachen Internet und
Digitalisierung in drei Jahren mit viel Fleiß behoben.
Herausgekommen sind 400 Handlungsempfehlungen,
viele davon wurden hier fraktionsübergreifend beschlos-
sen, zwei von ihnen waren von zentraler Bedeutung.

Die erste zentrale Handlungsempfehlung war, für eine
bessere Koordinierung der Netzpolitik auf Regierungs-
ebene zu sorgen. Diese Empfehlung entstand aus der
Erkenntnis, dass die Arbeit praktisch auf allen netz-
politischen Großbaustellen der letzten Jahre – die Breit-
bandversorgung, die Netzneutralität, das Urheberrecht,
der Datenschutz und vieles mehr – aufgrund des Zustän-
digkeitsstreits der in großer Zahl beteiligten Ministerien
liegengeblieben ist. Was hat die Große Koalition aus die-
ser guten Handlungsempfehlung gemacht? Statt sich um
die erforderliche Koordination und Themenbündelung
zu kümmern, wurde ein weiteres Ministerium, das Ver-
kehrsministerium, für zuständig erklärt. Das führt dazu,
dass man nun immer – Achtung, Herr Dobrindt, jetzt
wird es interessant – wenn man kein Netz hat, an die
CSU denkt: mit Laptop und Lederhose, aber leider ohne
Netz. Dieses Zuständigkeitspotpourri ist inkonsequent
und ungenügend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die zweite zentrale Handlungsempfehlung lautet, ei-
nen ständigen Vollausschuss im Bundestag einzurichten.
In der Enquete-Kommission hatten wir das Problem er-
kannt, dass der Unterausschuss Neue Medien zwar hoch-
interessante Aufgabenfelder, aber für kein Thema die
Federführung hatte. Heute setzen wir einen Vollaus-
schuss ein, aber wieder ohne federführende Zuständig-
keit, nicht einmal für ein einziges Thema. Das wird nicht
reichen, um die Netzpolitik angemessen in diesem Parla-
ment zu verankern.

Sie haben selbst im Dezember letzten Jahres gemerkt,
dass es so eben nicht geht. Deswegen haben wir den
Ausschuss nicht zusammen mit den 22 ständigen Aus-
schüssen eingesetzt. Sie haben es sträflich versäumt, die-
ses Problem in den Koalitionsverhandlungen entschie-
den anzugehen. Dieses Versäumnis war in den letzten
zwei Monaten nicht mehr heilbar. Wenn Sie schon bei
der Umsetzung dieser zwei zentralen Handlungsempfeh-
lungen nichts hinbekommen, dann sehe ich, ehrlich ge-
sagt, auch bezüglich der 398 anderen schwarz-rot.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Sören Bartol [SPD]: Ha, ha!)


Der Kollege Koeppen – erst einmal herzlichen Glück-
wunsch zum neuen Amt; ich hoffe auf eine gute Zusam-
menarbeit –


(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Das wird sich erst herausstellen!)


hat vor wenigen Wochen gesagt, der Ausschuss solle
dazu dienen, die netzpolitische Debatte zu entideologi-
sieren. Ich gehe davon aus, dass dies vor allem an den
Kollegen Heveling gerichtet war. Ich nenne Stichworte,
die er benutzt: „Kampf um Mittelerde“ und „Digitales
Blut muss fließen“. Insofern ist „Entideologisieren“ im-
mer total richtig.

Aber Ihrer Kernthese von der „Nische“, Herr
Koeppen, die heute Morgen über den Ticker lief, wider-
spreche ich. Ich mahne Differenzierung an. Das Internet
und die Digitalisierung sind sicherlich von überragender
Bedeutung für unsere Gesellschaft, für die Wirtschaft
und im Hinblick auf die NSA-Affäre auch für die Zu-
kunft unseres Rechtsstaates. Aber es geht doch nicht da-
rum, diesen Bereich aus der Nische herauszuholen. Das
ist gesellschaftlich längst passiert. Es geht darum, ihm in
diesem Parlament einen der Wirklichkeit entsprechen-
den Platz zu verschaffen. Aber dafür ist der Ausschuss,
den Sie hier einrichten, leider zu wenig.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Konstantin von Notz

Warum ist Ihnen das nicht gelungen? Es ist Ihnen
nicht gelungen, weil in Ihren Fraktionen die Netzskepti-
ker und -gegner – ich sehe Herrn Kauder gar nicht mehr;
eben war er noch da – in der Mehrheit sind. Die wollen
eben keinen netzpolitischen Ausschuss mit Relevanz in
diesem Hohen Hause. Der Parlamentarische Geschäfts-
führer der Union, Kollege Grosse-Brömer, lässt sich mit
den Worten zitieren, der Ausschuss biete die Möglich-
keit, auch mal grundsätzlicher zu diskutieren – grund-
sätzlicher! Das reicht angesichts der historischen Bedeu-
tung nicht, um weiche Knie zu bekommen.


(Sören Bartol [SPD]: Das ist aber wenig selbstbewusst!)


Das gibt die Richtung vor. Das ist gegenüber den Sach-
verständigen und Abgeordneten, auch gegenüber den
Abgeordneten der Union und der SPD, eine Unver-
schämtheit im Hinblick auf die Arbeit, die wir in den
letzten drei Jahren geleistet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Dass Sie sich das gefallen lassen, ist ein Armutszeugnis.

Zum Schluss eine Bemerkung zum Titel. Nach dem
fraktionsübergreifend verabschiedeten Wunsch des Par-
laments – dafür haben auch Sie gestimmt – sollte dieses
Gremium „Ausschuss für Internet und digitale Gesell-
schaft“ heißen. Danach haben Sie „Gesellschaft“ heraus-
gestrichen. Nun sprachen Sie vom Ausschuss „Internet
und Digitale Agenda“ – AIDA. Nun ja. Nun wurde auch
das Wort „Internet“ wegrationalisiert. Der Ausschuss be-
kommt den Wirtschafts-PR-Namen „Digitale Agenda“.
So steht es auch im Koalitionsvertrag. Digitale Wirtschaft
ist wichtig – da stimme ich völlig zu, Kollegin Schön –,
aber das ist in der Reduzierung eben nicht korrekt. Gehol-
fen haben Sie dem Thema mit dieser Namensschrumpf-
kur nicht. Wir werden der Einsetzung dieses Ausschus-
ses dennoch zustimmen, weil ein Ausschuss besser ist
als kein Ausschuss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801415300

Kommen Sie bitte zum Ende.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. – Kein Aus-
schuss ist nicht besser als dieser Ausschuss. Wir werden
weiter Initiativen voranbringen, konstruktiv mitarbeiten


(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Ich werde es beobachten!)


und die Umsetzung bekannter Handlungsempfehlungen
und neuer Ideen vorantreiben. An uns wird die Netzpoli-
tik in dieser 18. Wahlperiode auf jeden Fall nicht schei-
tern.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801415400

Danke, Herr Kollege von Notz. – Nächster Redner in

der Debatte ist Ulrich Lange für die CSU/CDU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1801415500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich bedanke mich zunächst für die Umbenennung
unserer Fraktion in CSU/CDU-Fraktion.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801415600

Das mache ich nur bei bestimmten Rednern und Red-

nerinnen.


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1801415700

Nur bei bestimmten Rednern. Danke!

Von unserem Haus wird ein wesentlicher Schub für die-
ses absolut wichtige Zukunftsthema ausgehen. Die Digitali-
sierung – das ist hier jetzt mehrfach angesprochen worden –
ist Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand. Sie um-
fasst inzwischen alle Lebensbereiche. Das wird auch
klar, wenn man sich hier umschaut. Der Kollege von
Notz zeigt dies gerade in besonderem Maße; er kann ja
ohne digitales Werkzeug bzw. Spielzeug gar nicht mehr
auskommen.

Sowohl der Unterausschuss Neue Medien als auch die
Enquete-Kommission – auch das ist mehrfach angespro-
chen worden – haben die Handlungsempfehlung ausge-
sprochen, diesen Ausschuss einzusetzen. Bei aller leiser,
aber typischer Oppositionskritik – diese gehört hier dazu
– sind Sie ja mit uns der Meinung – das zeigt auch Ihre
Zustimmung –, dass dies ein richtiger, wichtiger und gu-
ter Schritt ist. Ich bin mir sicher, dass der Ausschuss
seine Arbeit erfolgreich aufnehmen wird. Bereits im Ko-
alitionsvertrag haben wir die digitale Agenda im We-
sentlichen beschrieben: „Chancen für eine starke Wirt-
schaft, gerechte Bildung und ein freies und sicheres
Internet“.

Als Verkehrspolitiker und verkehrspolitischer Spre-
cher meiner Fraktion – den Verkehrspolitikern liegt die-
ser Ausschuss ja auch am Herzen – sage ich, dass es
wichtig war, die Verkehrspolitik um die digitale Infra-
struktur zu erweitern. Denn dort sehen wir große Chan-
cen und Handlungsfelder. Der Breitbandausbau wurde be-
reits angesprochen, auch und insbesondere – erlauben Sie
mir, das so zu sagen – der Ausbau im ländlichen Raum. Das
ist vergleichbar mit einer Autobahnauffahrt; diese wollen
wir ja auch in allen Regionen unseres Landes haben.

Dass es sich um ein Querschnittsthema handelt, das in
mehreren Ministerien verankert ist, muss ich auch nicht
wiederholen. Das haben wir bereits gehört. Das macht
den Ausschuss, lieber Kollege von Notz – das können
Sie gleich so twittern oder facebooken; ich weiß nicht,
was Sie gerade machen –, so wichtig. Dieser Ausschuss
Digitale Agenda wird einen Modernisierungsschub ge-
ben.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Ausschuss für sich nicht!)







(A) (C)



(D)(B)

Ulrich Lange

– Der Ausschuss für sich und die positiven Ergebnisse,
die wir dort erzielen werden. – Es geht um Teilhabe an
technischen Innovationen. Es geht um Zugang zur digi-
talen Welt, und es geht letztlich um Chancen- und Gene-
rationengerechtigkeit in ganz Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Generationengerechtigkeit!)


– Ja, es gibt auch Senioren, die das machen,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut!)


so wie Sie.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Vor diesem Hintergrund – das halte ich auch für ganz
wichtig; das möchte ich unterstreichen – hat unser Bun-
desminister Alexander Dobrindt mit innovationswilligen
Unternehmen die Netzallianz initiiert. Ein erstes Treffen
ist schon in Bälde abzusehen. Ich glaube, dass wir auch
von dort neue Impulse für eine leistungsstarke Netzinfra-
struktur und für einen leistungsstarken Netzzugang – der
Ausschuss wird sich ja unter anderem mit diesen The-
men befassen – bekommen.

Die Ausführungen zeigen – letztlich sind sie ja bei al-
len Rednern relativ deckungsgleich, wenn ich jetzt ein-
mal von den kleinen Verästelungen absehe –,


(Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


dass es notwendig ist, das Thema Digitalisierung ge-
samtheitlich zu denken und zu diskutieren. Es ist not-
wendig, der Handlungsempfehlung zu folgen und diesen
Ausschuss einzusetzen. Die Einsetzung des Ausschusses
ist gut. Sie erfolgt rechtzeitig, und die Themen sind gut
umschrieben.

Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit im Ausschuss
Digitale Agenda. Wir freuen uns auf einen Modernisie-
rungsschub in unserem Land.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801415800

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das

Wort Sören Bartol für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1801415900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich freue mich, dass wir heute mit der Unterstützung al-
ler Fraktionen den neuen Ausschuss Digitale Agenda als
23. ordentlichen Ausschuss des Deutschen Bundestages
einsetzen. Ich finde, das ist ein großer Erfolg der Netz-
politiker aller Fraktionen, die in der letzten Legislaturpe-
riode in der Enquete-Kommission „Internet und digitale
Gesellschaft“ gearbeitet haben.
Wir Sozialdemokraten haben in den letzten Monaten in
intensiven Diskussionen – auch mit unserem Koalitions-
partner – dafür gesorgt, dass die Forderung der Netzpoliti-
kerinnen und Netzpolitiker nach einem eigenen Ausschuss
zu einem Anliegen des gesamten Deutschen Bundestages
wurde. Wir waren damit erfolgreich. Das haben uns viele
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von den
Linken wohl nicht zugetraut.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ihnen trauen wir alles zu!)


Ich habe ein bisschen das Gefühl, das ist wohl auch der
Grund, warum insbesondere von dem Kollegen von
Notz von den Grünen eine doch relativ kleinkarierte Kri-
tik gekommen ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, hören Sie auf! Eben war ich noch ein Senior! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Ich hätte es nicht so krass formuliert; aber es stimmt! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kleinkariert ist besser als quergestreift!)


Aber am Ende ist es gut, dass sich alle Fraktionen dafür
entschieden haben, diesen Antrag zu unterstützen.

Wir erleben heute einen wichtigen Moment: Die
Netzpolitik verlässt den Katzentisch des Parlaments und
rückt in die Mitte der parlamentarischen Arbeit. Die Zei-
ten, in denen Netzpolitik ein Randthema war, sind vor-
bei. Mit der Einrichtung des neuen Ausschusses wird der
Deutsche Bundestag der Realität in unserer Gesellschaft
endlich gerecht. Der neue Ausschuss wird das bündeln
und zusammenführen, was zusammen beraten und ent-
schieden gehört. Lieber Kollege Notz, ich hätte da von
Ihnen etwas mehr parlamentarisches Selbstbewusstsein
erwartet.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An uns wird es nicht scheitern, Herr Kollege! Wir bringen gleich einmal ein paar Anträge ein!)


Schließlich ist der Deutsche Bundestag mit der Einrich-
tung dieses Ausschusses einen Schritt weiter als die
Bundesregierung, in der mindestens vier verschiedene
Ressorts für Netzthemen zuständig sind.

Was auch gut ist: Wir machen uns nicht zum Schieds-
richter, wer in dieser Regierung nun wirklich der wahre
Internetminister ist. Wir ordnen den neuen Ausschuss
keinem bestimmten Ministerium zu. Dieser Ausschuss
versteht sich als Querschnittsgremium. Fragen der digi-
talen Gesellschaft lassen sich nicht auf Einzelthemen
wie Sicherheit, Kriminalitätsbekämpfung im Internet,
Start-ups/Unternehmensgründungen oder das Verlegen
neuer Breitbandkabel reduzieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einrichtung die-
ses Ausschusses ist kein Wert an sich. Die Digitalisie-
rung unseres Lebens ist eine gesellschaftspolitische
Frage, die wir in dem neuen Ausschuss behandeln müss-
ten.






(A) (C)



(D)(B)

Sören Bartol

Die Veröffentlichungen über die Aktivitäten des ame-
rikanischen Geheimdienstes NSA haben in den letzten
Monaten die Welt aufgerüttelt. Im Kern geht es um die
Frage, wie wir den Schutz unserer Privatsphäre auch in
einer digitalen Gesellschaft garantieren können. Der
Ausschuss Digitale Agenda hat aber nicht die Funktion,
die NSA-Affäre aufzuklären – das muss in einem zustän-
digen Untersuchungsausschuss geleistet werden. Der
neue Ausschuss wird aber Antworten geben müssen, wie
wir die Persönlichkeitsrechte im Zeitalter der Digitalisie-
rung zukünftig schützen können.

Es muss auch darum gehen, die digitale Spaltung der
Gesellschaft zu verhindern. Die Teilhabe aller Bevölke-
rungsgruppen muss doch unser aller gemeinsamer An-
spruch sein! Alle Bürgerinnen und Bürger müssen im In-
ternet gleichberechtigt aktiv werden können und am
Ende auch denselben Zugang zu allen Inhalten haben.
Wir müssen auch den Charakter des Internets als freies
und offenes Medium erhalten. Jegliche Diskriminierung
im Netz müssen wir verhindern. Wir brauchen eine funk-
tions- und leistungsfähige Netzinfrastruktur für alle; nur
so können sich attraktive und stabile Dienste entwickeln,
die den persönlichen und dann auch den ökonomischen
Nutzen mehren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche allen,
die in dem neuen Ausschuss Mitglied werden, dass sie in
ihrer Arbeit genau so erfolgreich werden wie die Mit-
glieder des zuletzt eingerichteten Hauptausschusses, der
hier vor 28 Jahren gegründet wurde – das ging heute
schon durch die Presse –: des Umweltausschusses.

Von den restlichen Mitgliedern des Hauses wünsche
ich mir die Aufgeschlossenheit, sich mit der Fachexper-
tise der Netzpolitiker auseinanderzusetzen und diese bei
den Entscheidungen im Parlament auch aufzunehmen.
Ich wünsche uns allen dabei einen langen Atem und
freue mich persönlich auf die Arbeit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801416000

Vielen Dank, Sören Bartol. – Ich darf darauf hinwei-

sen, dass 1998 noch ein anderer Hauptausschuss gegrün-
det worden ist – ich weiß das, weil ich die Vorsitzende
war –: der Menschenrechtsausschuss.


(Sören Bartol [SPD]: Das stimmt!)


Auch dieser Ausschuss hat dem Parlament sehr gutge-
tan.


(Sören Bartol [SPD]: Sehr richtig! Danke für die Korrektur!)


– Danke schön, dass Sie mir zustimmen – nicht dass ich
Vorsitzende war, sondern dass der Ausschuss eingerich-
tet wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sören Bartol [SPD]: Beides!)


Als letztem Redner in dieser Debatte gebe ich das
Wort Jens Koeppen von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1801416100

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren,
am 8. Februar 2012, gab es eine kleine Pressekonferenz
mit dem damaligen Vorsitzenden der Enquete-Kommis-
sion „Internet und digitale Gesellschaft“, Axel Fischer
– Sie werden sich erinnern –, und mir als Obmann mei-
ner Fraktion. Wir haben auf dieser Pressekonferenz
nichts anderes getan, als für das netzpolitische Thema
„Das Internet und die digitale Gesellschaft“ einen ständi-
gen Bundestagsausschuss zu fordern.

Das ist zwei Jahre her. Ein Jahr danach hat die En-
quete-Kommission dieses Thema in einer Handlungs-
empfehlung aufgegriffen und es zur Hauptforderung ge-
macht; Sie haben es gerade erwähnt. Heute, zwei Jahre
später, ist es, wie gesagt, so weit: Der Ausschuss Digi-
tale Agenda gründet sich.


(Beifall der Abg. Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU])


Ich finde, das ist ein sehr großer Erfolg aus der Enquete-
Kommission heraus – übrigens für uns alle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Sie können jetzt fragen – das verstehe ich sogar, und
ich mache auch einen Haken dahinter –: Ist es nicht viel
zu spät? Haben wir in diesem Haus nicht zu wenig agiert
und zu lange reagiert? Das ist ein bisschen wie vergos-
sene Milch. Man kann diese Fragen mit Ja beantworten.
Ich sehe das übrigens auch so: Man hätte den Ausschuss
vielleicht auch schon vor acht Jahren in die Mitte der
politischen Entscheidungen rücken können.

Es gab aber auch zwei Enquete-Kommissionen; das
darf man nicht vergessen. Aus diesen Enquete-Kommis-
sionen heraus sind später in den Ausschüssen wichtige
Gesetzentwürfe entstanden, und aus unserer Enquete-
Kommission entsteht jetzt, wie gesagt, der Ausschuss.

Dass die Mehrheit diesen Ausschuss jetzt letztendlich
begrüßt und dem vorliegenden Antrag dazu wahrschein-
lich zustimmen wird, finde ich sehr gut, und ich bedanke
mich ausdrücklich dafür, dass das Ganze letztendlich
noch zu einem guten Ende geführt wurde.

Dieser 23. Ausschuss arbeitet – das will ich ganz klar
sagen – auf Augenhöhe mit den anderen Ausschüssen.
Wir haben die gleichen Rechte, aber, Herr von Notz, wir
haben auch die gleichen Pflichten. Wir haben in der En-
quete-Kommission immer einen Hauptausschuss gefor-
dert. Das ist kein Unterausschuss und auch keine En-
quete-Kommission.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


Wir müssen die Geschäftsordnung des Deutschen Bun-
destages einhalten. Deshalb möchte ich, dass wir weni-






(A) (C)



(D)(B)

Jens Koeppen

ger palavern und debattieren, sondern wirklich am
Thema dranbleiben.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ich freue mich schon auf die Abstimmung!)


Wir wollen kein Schattenboxen betreiben. Das kam
mir hier wieder ein bisschen so vor; darüber bin ich ein
wenig traurig.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na!)


Über die Federführung kann man lange streiten: Ist das
gerechtfertigt? Ist das nicht gerechtfertigt? Ist das ausrei-
chend oder nicht ausreichend?

Aus meiner Sicht ist das – ich sage es einmal so – eine
logische Konsequenz der Arbeitsweise des Deutschen
Bundestages, weil es zurzeit keine direkte Spiegelung in
der Bundesregierung gibt. De facto gibt es nämlich mehr
oder weniger drei federführende Ministerien, die sich die
Federführung teilen. Mit der Mitberatung sind wir aus
meiner Sicht ziemlich gut dran.

Der Ausschuss Digitale Agenda ist ein wertvolles In-
strument. Wir können hier zusammenführen, was zu-
sammengehört, und wir sind im Bundestag Vorreiter bei
dieser Zusammenführung.

Dieses Querschnittsthema verdient einen selbstbe-
wussten Ausschuss und übrigens auch selbstbewusste
Abgeordnete. Ich bin froh, dass wir uns in diesem Aus-
schuss in fast derselben Besetzung wie in der Enquete-
Kommission wiederfinden und daran anknüpfen können,
wo wir aufgehört haben.

Für mich wiegen die Chancen der Mitberatung übri-
gens schwerer als das Fehlen der Federführung; denn Sie
dürfen nicht vergessen, dass wir als Hauptausschuss
nach der Geschäftsordnung auch die Möglichkeit der
Selbstbefassung haben. Wir reagieren also nicht nur auf
die digitale Agenda der Bundesregierung, sondern wir
dürfen uns natürlich auch eigene Inhalte vornehmen und
eigene Impulse setzen, weil das Thema zu wichtig ist, als
letztendlich nur durch die einzelnen Fachpolitiker be-
trachtet zu werden. Das wäre nicht mehr zeitgemäß. Wir
sollten den gesamten Facettenreichtum betrachten, den
das Thema in sich trägt, und wir wollen das Thema der
Lebenswirklichkeit der Gesellschaft anpassen.

In der nächsten Woche wird sich der Ausschuss kon-
stituieren. Bis dahin kommt noch ein bisschen Arbeit in
Bezug auf das Sekretariat auf uns zu; Sie alle kennen
das. Danach sollten wir aber unverzüglich an die Arbeit
gehen.

Ich würde Sie alle natürlich sehr gerne so schnell wie
möglich einladen, gemeinsam unsere eigene digitale
Agenda aufzustellen; das ist mir ganz wichtig.


(Sören Bartol [SPD]: Ganz genau!)


Es liegt an uns Abgeordneten, was wir dann daraus ma-
chen. Wir sollten weniger palavern und bedauern bzw.
beklagen, was alles nicht geht, und stattdessen selbstbe-
wusst an die Arbeit gehen und natürlich auch so mitei-
nander diskutieren – auch streitig –, dass am Ende des
Tages letztlich etwas dabei herauskommt.

Wenn wir unsere Arbeit – da bin ich ganz sicher – gut
machen, werden wir ein guter Impulsgeber sein. Dann
wird man sagen: Ja, sie haben an diesem Thema aktiv
gearbeitet, weniger reaktiv. Man wird auch sagen: Es ist
eine gute Entscheidung, dass wir den Ausschuss Digitale
Agenda eingesetzt haben. Ich wünsche uns dafür gutes
Gelingen. Ich wünsche uns eine gute und kollegiale, na-
türlich auch streitbare Zusammenarbeit. Das Thema ist
es auf alle Fälle wert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801416200

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus-

sprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den inter-
fraktionellen Antrag auf Drucksache 18/482 zur Einset-
zung des Ausschusses Digitale Agenda. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Das ist einfach. Es stimmen die CDU/
CSU-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, die SPD und die
Linksfraktion zu. Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Das Ergebnis ist einstimmig. Der Antrag ist da-
mit angenommen. Damit ist der Ausschuss Digitale
Agenda eingesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich wünsche dem Ausschuss und den Abgeordneten,
die in diesem Ausschuss arbeiten werden, von Herzen
viel parlamentarische Kreativität. Ich wünsche dem Aus-
schuss viel Erfolg in diesem wichtigen Bereich unserer
Lebensrealität. – Vielen herzlichen Dank.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatz-
punkt 6 auf:

9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dietmar Bartsch, Katrin Göring-Eckardt,
Dr. Gregor Gysi, Britta Haßelmann, Dr. Anton
Hofreiter, Jan Korte, Dr. Konstantin von Notz,
Dr. Petra Sitte, Hans-Christian Ströbele,
Dr. Sahra Wagenknecht, weiterer Abgeordneter
und der Fraktionen DIE LINKE und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

Drucksache 18/420
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan
Albani, Katrin Albsteiger, Niels Annen, Ingrid
Arndt-Brauer, Rainer Arnold, Artur
Auernhammer, Heike Baehrens, Ulrike Bahr,
Heinz-Joachim Barchmann, Dr. Katarina Barley,






(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsidentin Claudia Roth

Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter
und der Fraktionen der CDU/CSU und SPD

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
NSA

Drucksache 18/483
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Nachdem dann alle Kolleginnen und Kollegen Platz
genommen haben, eröffne ich die Aussprache und gebe
das Wort Hans-Christian Ströbele von Bündnis 90/Die
Grünen, der die Aussprache beginnen wird.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst die gute Nachricht: Es wird einen Untersu-
chungsausschuss zur Aufklärung des NSA-Skandals im
Deutschen Bundestag geben. Das war nicht immer
selbstverständlich. Im Sommer des letzen Jahres war die
Union zunächst der Meinung, da gebe es gar nichts auf-
zuklären, alles sei aufgeklärt und die Vorwürfe seien
vom Tisch. Danach hat sich ihre Meinung geändert, und
sie war der Ansicht, die ganze Sache solle in einem an-
deren Gremium aufgeklärt werden. Aber seit dem Jah-
reswechsel hat sich die Auffassung noch einmal geän-
dert: Die Union ist geläutert, und die Kolleginnen und
Kollegen scheinen einsichtig geworden zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So weit die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht
ist, dass diese Einsicht nicht sehr weit reicht.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die Union und die SPD haben nicht etwa das gemacht,
was man in so einem Falle macht, wenn man vernünftig
handeln will, und haben eben nicht gesagt: Okay, es gibt
einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und den Lin-
ken. Sie arbeiten schon lange an diesem Thema und ha-
ben jetzt etwas Schönes vorgelegt. Dieser Antrag ist aus-
führlich, aber nicht zu dick. Wir schließen uns diesem
Antrag an.

Vielmehr haben beide Fraktionen gerade noch recht-
zeitig zur heutigen Sitzung einen eigenen Antrag einge-
bracht, der etwas länger ist und der eine ganze Reihe von
zusätzlichen Punkten enthält, die aber gar nicht der Auf-
klärung dienen, sondern bei denen es eher darum geht,
was man in einer Enquete-Kommission grundsätzlich
machen sollte.

Das bedeutet, dass wir nicht heute und auch nicht
diese Woche – wie das nächste Woche wird, muss man
sehen – die Einsetzung dieses Untersuchungsausschus-
ses, der eigentlich kommen soll, beschließen können.
Das ist schlecht, weil uns das wichtige Zeit kostet, die
wir für die Aufklärung nutzen könnten. Jetzt müssen wir
uns mit den Anträgen auseinandersetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unser Antrag hat den Vorteil, dass wir im Zentrum
unserer Aufklärungsbemühungen nicht nur die NSA-
Affäre sehen – wir wissen nämlich, dass das ein schwie-
riger Punkt wird –, sondern unter anderem auch folgende
Fragen: Was haben die Deutschen damit zu tun? Was hat
die Bundesregierung davon gewusst? Was hat sie damit
zu tun gehabt? Was haben die deutschen Nachrichten-
dienste damit zu tun gehabt? Was haben die Deutschen
wissen müssen? Was haben sie vielleicht sogar an Infor-
mationen aus dem Ausspähen durch die NSA erfahren?

Das können wir angehen. Dazu können wir Zeugen
hören und Akten heranziehen. Dafür haben wir das Per-
sonal. Damit können wir gut arbeiten. Das steht eigent-
lich im Zentrum unserer Bemühungen in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Union fordert als ersten wichtigen Punkt – das hat
mich zunächst sehr gewundert – Aufklärung darüber,
was die NSA eigentlich alles gemacht hat. Ich habe noch
im Ohr, dass gesagt wurde – auch vom Kollegen
Binninger –: Das können wir eigentlich gar nicht aufklä-
ren, weil wir die Zeugen und Akten aus den USA nicht
bekommen. – Damit hat der Kollege Binninger recht.
Wir haben diese Erfahrungen in verschiedenen Untersu-
chungsausschüssen gemacht. Aber er hat dabei zunächst
übersehen, dass es in Europa einen Zeugen gibt, der die
ganze Affäre in Gang gebracht hat und mit seinen Ent-
hüllungen dazu beigetragen hat, dass wir uns damit be-
schäftigen und dass sich die ganze Welt damit befasst.

Deshalb frage ich mich, wie Sie, der gleichzeitig sagt:
„Dieser Zeuge weiß aber nichts“, diesen Punkt aufklären
wollen. Ich sage auch: Wir müssen das aufklären, aber
dafür brauchen wir die Zeugenaussage des Edward
Snowden hier in Deutschland, und zwar unter solchen
Verhältnissen, dass er einen sicheren Aufenthalt in
Deutschland bekommt. Daran kommen wir nicht vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801416300

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung des Kollegen Binninger?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801416400

Bitte.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1801416500

Herr Kollege Ströbele, nachdem Sie mich ein paarmal

erwähnt und gesagt haben, ich würde behaupten, der
Zeuge wisse nichts, möchte ich Ihnen vorhalten und Sie
fragen, ob es nicht stimmt, dass Edward Snowden selber
laut Pressemeldungen oder möglicherweise auch, als Sie
bei ihm waren, gesagt hat, dass er keine Informationen






(A)



(D)(B)

Clemens Binninger

über diesen Vorgang mehr hat und dass er alle Informa-
tionen, die er, wie auch immer, gewonnen hat, welt-
weit auf drei Personen verteilt hat und er nichts mehr
dazu beitragen kann. Das war doch die Aussage von
Snowden.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: An Ströbele in Moskau!)


Wie kommen Sie dann dazu, zu sagen: „Er weiß etwas
und kann etwas beitragen“? Dem widerspricht Snowden
selber. Deshalb kann er kein Zeuge im Untersuchungs-
ausschuss sein.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Binninger, ich bin sehr dankbar für
diese Frage. Ich bin immer an einem guten Verhältnis zu
Ihnen interessiert. Nur, in diesem Punkt haben Sie voll-
ständig unrecht. Ich habe von diesem Platz, aber auch
von vielen anderen Plätzen aus gesagt: Ich war in Mos-
kau, und die erste Frage, die ich an Herrn Snowden ge-
stellt habe, die zentrale Frage, über die wir fast andert-
halb Stunden geredet haben, war: Herr Snowden, wissen
Sie etwas? Wissen Sie mehr, als in Ihren Dokumenten
steht? – Herr Snowden hat diese Fragen mit einem kla-
ren Ja beantwortet. Das war eine Botschaft aus Moskau.
Hinzugefügt hat er: Ich bin auch bereit, wenn ich einen
sicheren Aufenthalt in Deutschland bekomme, nach
Deutschland zu gehen.

Dass er alle seine Dokumente an Journalisten gege-
ben hat, die sie jetzt sukzessive veröffentlichen, heißt
nicht, dass er selber nach acht Jahren Geheimdiensttätig-
keit, erst bei der CIA und dann fünf Jahre bei der NSA,
keine eigenen Erkenntnisse hat. Er kann Ihnen zum Bei-
spiel erklären, warum er gerade diese Dokumente ausge-
wählt hat, was diese Dokumente bedeuten und welche
Relevanz sie haben. Das müssen wir uns im Laufe der
Zeit erst langsam erarbeiten. Aber Herr Snowden kann
das auf den Punkt bringen. Damit würden wir einen er-
heblichen Beitrag zur Aufklärung und zur Erklärung sei-
ner Dokumente haben, der weltweit von Bedeutung
wäre, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa,
in Brasilien, Mexiko und in anderen Ländern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt eine weitere schlechte Nachricht, wobei das
Ganze jetzt dadurch verzögert wird, dass Sie einen eige-
nen Antrag eingebracht haben und wir uns damit aus-
einandersetzen müssen, wie wir Sie davon überzeugen
können, sich unserem Antrag anzuschließen. Wir sind
bereit, über alles zu reden, auch über alle Einzelheiten,
und zu sehen, welche Ihrer Punkte vielleicht wichtig und
aufzunehmen sind. Die zweite schlechte Nachricht ist,
dass, während wir hier diskutieren, die Ausspioniererei
durch die NSA weitergeht. Es gibt heute eine Tickermel-
dung vom Bundesverfassungsgericht, die Sie nachlesen
können. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts
hat die Besorgnis, dass auch das höchste deutsche Ge-
richt – also nicht nur die Bundesregierung, die Kanzle-
rin, der frühere Kanzler und die ganze deutsche Bevöl-
kerung – ausgespäht worden ist.
Alle Verzögerungen, die sich nun ergeben, bedeuten,
dass in Deutschland und in der Welt weiterhin spioniert
wird, ohne dass irgendetwas dagegen getan wird; denn
der amerikanische Präsident betont immer wieder, ein
No-Spy-Abkommen werde es nicht geben, weder mit
Frankreich noch mit Deutschland.

Vor diesem Hintergrund ist das einzig Richtige und
Wesentliche, an dem wir uns jetzt orientieren sollten,
das, was Edward Snowden angesprochen hat – das ist
ein guter Satz; den können Sie in der Zeit nachlesen –:

Nicht die Enthüllung von Fehlverhalten ist für den
anschließenden Ärger verantwortlich, sondern das
Fehlverhalten selbst.

Ich führe das etwas weiter aus: Nicht der Enthüller
von Fehlverhalten, Gesetzwidrigkeiten und strafbaren
Handlungen der NSA in Deutschland und den USA ist
verantwortlich für den Ärger, sondern die NSA, die das
gemacht hat, ist ursächlich dafür verantwortlich. – Des-
halb müssen wir uns dringend damit befassen, was im
Einzelnen passiert ist, um die geeigneten Gegenmaßnah-
men möglichst schnell zu ergreifen, damit wir anfangen
können, dieses Übel zu bändigen – sofort werden wir es
sicherlich nicht loswerden – und etwas dagegen zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801416600

Danke, Herr Kollege Ströbele. – Als nächster Redner

spricht Thomas Silberhorn für die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1801416700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vorhin haben wir den neuen Ausschuss Digitale Agenda
eingesetzt. Nun beraten wir über die Einsetzung eines
Untersuchungsausschusses. Man sieht: Hier entfaltet
sich die ungebremste Arbeitswut dieses Hauses.

Herr Ströbele, da Sie Eile anmahnen: Wir werden si-
cherlich noch eine Woche Zeit benötigen, um über beide
Anträge auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
intensiv zu beraten. Wir diskutieren darüber seit letztem
Sommer. Fast wöchentlich erreichen uns – jetzt in immer
geringerer Taktzahl – neue Enthüllungen, die die
deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht gerade ver-
bessern. Ich erinnere nur an die jüngste Nachricht, dass
auch das Handy des vormaligen Bundeskanzlers
Gerhard Schröder abgehört wurde. Das ist genauso in-
akzeptabel wie die Überwachung des Handys der Bun-
deskanzlerin. In beiden Fällen müssen wir uns dagegen
sehr deutlich verwahren. Das Ausmaß gezielter Spio-
nage hätte wohl niemand für möglich gehalten. Vor al-
lem der Anspruch auf vollständige Erfassung, Überwa-
chung und Speicherung von Daten ist mit unserem
Rechtsverständnis nicht vereinbar. Wir müssen in die-
sem Hause darüber nachdenken, wie wir damit umge-
hen. Aufklärung tut jedenfalls not; darin sind wir uns ei-
nig.

(C)







(A) (C)



(D)(B)

Thomas Silberhorn

Die Union war anfangs durchaus zurückhaltend, was
die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angeht
– Sie haben das zu Recht angesprochen –, aber nicht
ohne Grund. Es ist natürlich zweifelhaft, ob ein Untersu-
chungsausschuss tatsächlich wesentliche neue Informa-
tionen zutage fördern kann. Schließlich geht es um
Nachrichtendienste anderer Staaten, hier der USA und
Großbritanniens. Deswegen werden wir Vertreter dieser
Staaten nur schwerlich als Zeugen bekommen können;
da sollten wir uns und der Öffentlichkeit nichts vorma-
chen. Der Ausschuss wird also eher Umwege finden
müssen, um an Informationen heranzukommen, die zu-
verlässige Aussagen über die Tätigkeit der NSA und des
britischen Dienstes ermöglichen.

Wir erkennen aber ausdrücklich an, dass die Menge
an Enthüllungen und Informationen zur Arbeit der ame-
rikanischen und der britischen Dienste umfassend aufge-
arbeitet werden muss. Gerade in den letzten Monaten
sind neue Aktivitäten bekannt geworden, die nahelegen,
dass wir eine systematische Untersuchung durch den
Deutschen Bundestag brauchen. Deswegen legen wir als
Koalition einen Antrag auf Einsetzung eines Unter-
suchungsausschusses vor. Sie können unserem Antrag
entnehmen, dass wir nicht mit unangenehmen Fragen
sparen, weder in Bezug auf die vorherigen Bundesregie-
rungen – ich spreche ganz bewusst im Plural – noch in
Bezug auf die Arbeit deutscher Nachrichtendienste. Wir
malen uns die Welt also nicht, wie sie uns gefällt. Im Ge-
genteil: Wir greifen alle wesentlichen Punkte aus dem
Antrag der Opposition auf.

Es wird also einen Untersuchungsausschuss geben.
Wir sind im Grundsatz auch mit dem Untersuchungsge-
genstand einverstanden. Das Ob steht nicht infrage. Aber
über das Wie – wie genau der Untersuchungsgegenstand
formuliert ist – müssen wir noch sprechen.


(Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Ströbele, bitte.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801416800

Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine Zwi-

schenbemerkung?


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1801416900

Sie müssen das Wort erteilen. Bitte schön.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801417000

Ja, normalerweise mache ich das.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1801417100

Entschuldigung.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801417200

Aber wir kommen ja zum gleichen Ergebnis. – Bitte,

Herr Ströbele.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege, das Problem, zu dem wir überall ge-
fragt werden, ist: Warum haben Sie denn überhaupt ei-
nen eigenen Antrag eingebracht? Denken wir das einmal
zu Ende: Wenn wir, das heißt die Linken und die Grünen
zusammen, unseren Antrag durchbringen können und
auch Sie theoretisch Ihren Antrag durchbringen, sollen
wir dann zwei Untersuchungsausschüsse einrichten? Das
kann doch wohl nicht wahr sein. Das ist auch schon in
früheren Legislaturperioden erörtert worden.

Wenn Sie auf einem eigenen Antrag beharren, kann
das doch nur bedeuten, dass Sie unseren Antrag verdrän-
gen wollen. Das werden wir auf gar keinen Fall zulassen.
Ich erkenne an, dass Sie in den letzten Tagen den einen
oder anderen Satz von uns in Ihren Antrag übernommen
haben. Das ist aber offenbar so schnell und schusselig
geschehen, dass derselbe Satz zweimal in Ihrem Antrag
auftauchte. Vielleicht machen wir es uns einfacher: Sie
ziehen Ihren Antrag zurück und sagen uns, bei welchen
Punkten Sie noch zusätzlichen Bestimmtheitserforder-
nissen Rechnung tragen wollen und bei welchen Punkten
nicht.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1801417300

Vielen Dank, Herr Kollege Ströbele, für diese Frage. –

Die Beantwortung dieser Frage ist der wesentliche Ge-
genstand meiner Rede. Wir haben deshalb einen eigenen
Antrag vorgelegt, weil Ihr Antrag bei der Formulierung
des Untersuchungsgegenstandes an mehreren Stellen zu
unbestimmt ist. Wir sind in dieser Frage nicht ganz frei;
denn die Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes
ist eine verfassungsrechtliche Anforderung, die wir er-
füllen müssen und die das Bundesverfassungsgericht
konkretisiert hat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Insofern ist das nicht L’art pour l’art, sondern das dient
im Übrigen auch dem Schutz von Betroffenen. Der Un-
tersuchungsausschuss ist mit den scharfen Schwertern
der Strafprozessordnung ausgestattet. Deswegen ist es
ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, den Untersuchungsge-
genstand exakt zu bestimmen.

Wenn Sie mir gestatten – Sie dürfen gerne Platz neh-
men; so viel Zeit will ich gar nicht in Anspruch nehmen –,
will ich den Konkretisierungsbedarf Ihres Antrages ganz
kurz erläutern. Wenn es zum Beispiel um die Überwa-
chung der Kommunikation von und nach Deutschland
geht, wollen Sie nach Ihrem Antragsentwurf ganz allge-
mein ausländische Nachrichtendienste erfassen und nur
insbesondere US-amerikanische und britische Nachrich-
tendienste. Das ist zu wenig. Oder anders formuliert: Es
ist zu viel, wenn man ganz allgemein alle erfassen will.
Für die Bestimmtheit ist es zu wenig.

An anderer Stelle ist von Kontrollinstitutionen die
Rede. Aber warum werden sie nicht konkret benannt?


(Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])







(A) (C)



(D)(B)

Thomas Silberhorn

Es ist doch klar, worum es gehen soll: um das Parlamen-
tarische Kontrollgremium, um die G-10-Kommission
und um die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und
die Informationsfreiheit. Wenn man das weiß, kann man
es auch hinschreiben. Dann ist es klar.

Schließlich sollten wir in zeitlicher Hinsicht für den
gesamten Untersuchungsgegenstand auf den 11. Sep-
tember 2001 abstellen und nicht nur für Einzelfragen ei-
nen Zeitraum definieren. Deswegen muss an mehreren
Stellen der Untersuchungsgegenstand nach unserer Auf-
fassung deutlich präziser gefasst werden. Das ist der
Grund, weshalb wir einen eigenen Antrag vorlegen.

Im Übrigen ist ein solcher Untersuchungsausschuss
kein Selbstzweck. Die Erkenntnisse, die dort gewonnen
werden, sollen unsere Sicherheit nicht gefährden, son-
dern, im Gegenteil, sie sollen uns helfen, dass wir für
mehr Sicherheit in Deutschland sorgen können und dass
wir damit auch mehr Freiheit für unsere Bürger sichern
können. Wir leben insoweit nicht auf einer Insel der Seli-
gen.

Ich will nur daran erinnern, dass erst jüngst wieder
Berichte bekannt geworden sind, dass meist junge Leute
sich fanatisieren und dazu verleiten lassen, nach Syrien
zu fahren, um dort im Bürgerkrieg zu kämpfen. Wenn
diese Leute zurückkommen, sind sie ein Gefahrenpoten-
zial in unserer Gesellschaft, das wir nicht unterschätzen
dürfen. Der Generalbundesanwalt führt nach meinen
letzten Informationen sechs Ermittlungsverfahren gegen
deutsche Staatsangehörige im Zusammenhang mit Sy-
rien durch. Wenn es zutrifft, was in Medien behauptet
worden ist, nämlich dass al-Qaida deutschen Dschiha-
disten in Syrien die Pässe wegnimmt, um diese Pässe bei
Anschlägen in Europa zu verwenden, dann ist das ein
alarmierendes Zeichen, das wir wirklich ernst nehmen
müssen.

Wir müssen die Aktivitäten solcher Kämpfer und wir
müssen ihre Reisebewegungen überwachen. Dazu brau-
chen wir auch die Erkenntnisse von befreundeten Diens-
ten, mit denen wir uns austauschen. Wir dürfen bitte
nicht vergessen, dass Hinweise dieser befreundeten
Dienste bereits mehrfach maßgeblich dazu beigetragen
haben, dass Anschläge in Deutschland verhindert wer-
den konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Deswegen darf der Untersuchungsausschuss nicht dazu
führen – das ist kein Vorwurf, sondern eine Sorge, die
wir formulieren wollen –, dass unseren deutschen Diens-
ten der Saft abgedreht wird und sie dann auch keine In-
formationen von befreundeten Diensten mehr erhalten.
Vielmehr müssen wir die Globalisierung der Gefahr im
Auge behalten. Dann ist klar: Wenn ein konkreter Ver-
dacht auf schwere Straftaten besteht, dann ist der Aus-
tausch von Informationen unserer Dienste unverzichtbar
für unsere Sicherheit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen,
dass der NSA-Komplex intensiv untersucht wird. Wir
wollen nicht weniger aufklären als die Oppositionsfrak-
tionen; wir wollen es nur etwas genauer, mit einer präzi-
seren Formulierung des Untersuchungsgegenstandes.
Daher sind wir bereit, über diese Formulierung zu reden.
Ich darf unser Gesprächsangebot dazu ausdrücklich er-
neuern. Ich denke, der Geschäftsordnungsausschuss ist
der richtige Ort, um diese Diskussion ernsthaft fortzuset-
zen. Unser Anliegen wäre, beide Einsetzungsanträge zu
einem zusammenzuführen. Bei gutem Willen auf allen
Seiten sollte das machbar sein.

Der Untersuchungsausschuss kann einen wichtigen
Beitrag dazu leisten, die richtigen Schlüsse zu ziehen –
für unsere Bürger, für die Unternehmen und für den
Staat als Ganzes. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein,
damit bei der Datensicherheit, bei der Spionageabwehr
und beim Schutz von Bürgerrechten künftig besser ge-
wappnet zu sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801417400

Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als Nächste spricht

in dieser Debatte Martina Renner für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801417500

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie uns endlich beginnen: mit der parlamentari-
schen Aufklärung zu einem der größten – wenn nicht gar
dem größten – Geheimdienstskandal in der Geschichte
der Bundesrepublik.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


– Da klatschen Sie, Frau Dr. Högl.

Ich würde Sie gern persönlich ansprechen. Sie wis-
sen, wie sehr ich Sie für Ihre Arbeit im NSU-Untersu-
chungsausschuss schätze. Aber die Einsetzung eines Un-
tersuchungsausschusses zum NSA-Skandal jetzt mit
Scheinargumenten zu verhindern, schadet doch dem
überwiegend gemeinsam formulierten Aufklärungswil-
len, wie er auch von Ihrer Fraktion in den letzten Mona-
ten immer wieder vorgetragen wurde. Ich kann auch
nicht das Argument des Kollegen Thomas Silberhorn
nachvollziehen, dass unser Antrag nicht präzise sei. Er
ist präzise formuliert. Ich denke, dieses Vorgehen soll
der ganzen Aufklärungsdebatte ein Stück weit den
Schwung nehmen. Das dürfen wir an keiner Stelle zulas-
sen. Denn, wie der Kollege Ströbele zu Recht schon ge-
sagt hat, die Bespitzelung geht weiter, und deswegen
muss der Ausschuss endlich zum Arbeiten kommen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist denn zu untersuchen? Die Überwachung von
Internet, Mails und Telekommunikation durch US-ame-
rikanische und britische Dienste war und ist möglicher-






(A) (C)



(D)(B)

Martina Renner

weise so umfassend, dass von einem Generalangriff auf
die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, der Unterneh-
men und des Staates gesprochen werden muss. Ich finde,
die Bundesregierungen haben diese Rechte deutschen
und ausländischen Geheimdiensten zur Verfügung ge-
stellt – durch Worte, durch Taten und durch Unterlassun-
gen.

Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss zur
NSA-Affäre nicht allein zur Aufklärung des Ausmaßes
der Überwachung und all dessen, worauf uns Edward
Snowden in seinem mutigen und couragierten Einsatz
aufmerksam gemacht hat. Wir brauchen einen Untersu-
chungsausschuss auch, um für die Zukunft Konsequen-
zen zu ziehen und die drängende Frage zu beantworten,
wie Bürgerinnen und Bürger, wie Unternehmen, wie Be-
hörden, wie Regierungen, aber wie auch die Kanzlerin
vor Überwachung und Ausforschung geschützt werden
können.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für meine Fraktion gibt es drei zentrale Aspekte, die
geklärt werden müssen:

Erstens. Wie und in welchem Umfang haben auslän-
dische Geheimdienste – dabei bleiben wir: ausländische
Geheimdienste – private, unternehmerische und behörd-
liche Kommunikation seit 2001 überwacht, gespeichert
und verarbeitet?

Zweitens – auch das ist wichtig –: Inwieweit waren
deutsche Behörden und Geheimdienste durch Abkom-
men, Techniktransfer, aber auch Datenaustausch an der
Überwachung beteiligt, haben davon gewusst oder mög-
licherweise sogar profitiert? Ein Untersuchungsaus-
schuss muss auch die Frage klären, inwieweit eine Art
Kollaboration der Geheimdienste diesseits und jenseits
rechtlicher und internationaler Bindungen stattgefunden
hat.

Drittens. Beantwortet werden muss auch die Frage,
wie wir als Parlament die zunehmende Privatisierung si-
cherheitssensibler Infrastrukturen bewerten, insbeson-
dere im Bereich der Geheimdienste, und welche Konse-
quenzen für effektiven Grundrechtsschutz daraus
gezogen werden müssen.

Dabei geht es uns als Linken nicht darum – das wol-
len wir deutlich sagen –, zurückzuspitzeln und eine Art
gigantische Aufrüstungsschlacht der Geheimdienste zu
befördern. Es muss darum gehen, sich gemeinsam auch
mit den anderen europäischen Ländern zu verständigen,
wie wir die Unkultur des anlasslosen Generalverdachts
gegen die Bürger und Bürgerinnen beenden und die Aus-
forschung von Unternehmen und Behörden stoppen oder
wenigstens wirksam erschweren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb bleibt es für uns auch so wichtig, zu untersu-
chen, wie die Bundesregierung und die bundesdeutschen
Behörden seit den ersten Enthüllungen durch Edward
Snowden zur Bespitzelungspraxis reagiert haben. Nur
zur Erinnerung – Herr Ströbele hat das auch schon re-
flektiert –: Die Bundesregierung fiel zuerst auf durch
wenig Eigeninitiative zur Aufklärung, leere Verspre-
chungen, fast schon naiv anmutende Vertrauensbekun-
dungen zu den Verbündeten und ein Stück weit auch
technische Ahnungslosigkeit.

Und genau hier – bei der Frage der Regierungsreak-
tionen auf die Snowden-Enthüllungen – gibt es einen
zentralen Unterschied zwischen unserem gemeinsamen
Antrag und dem Antrag der Fraktionen der Großen
Koalition: Wir bestehen darauf, dass Edward Snowden
als sachverständiger Zeuge geladen wird und dafür seine
Sicherheit und sein Schutz gewährleistet werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sagen: Es muss jetzt schnell zu einer Einigung
auf Grundlage eines weit gefassten und dennoch zielge-
richtet und exakt formulierten Untersuchungsauftrags
kommen, der auch die Rechte der Opposition wahrt. Wir
werden einer weiteren Verzögerung nicht mehr zustim-
men können. Wenn es zu diesem Vorgehen kommt, wenn
beide Entwürfe nun in den zuständigen Ausschuss des
Bundestages gehen, kann es für uns eigentlich nur einen
Weg geben: Die Regierungsfraktionen benennen die
zwei, drei, vier für sie unerlässlichen Punkte oder die zu
überarbeitende Formulierung, wir prüfen gemeinsam, ob
diese übernommen werden können, und dann gibt es auf
Grundlage unserer Vorlage einen gemeinsamen Antrag.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als Linke haben
wir auch aufgrund der Auseinandersetzung mit unserer
eigenen Geschichte eine klare Haltung zu Geheimdiens-
ten. Sie sind nicht zu bändigen und einer Demokratie
abträglich. Wir sagen klar: Wir wollen keine Abhörzen-
tralen, nicht von Freunden, nicht von Konkurrenten,
nicht von unseren eigenen Geheimdiensten. Die Frei-
heitsrechte sind elementare Rechte, und sie müssen im
Internetzeitalter eher mehr als weniger verteidigt wer-
den. Das ist eine große Aufgabe für den Untersuchungs-
ausschuss und eine Herausforderung für alle, die sich der
Aufgabe stellen werden – im Interesse der Bürger- und
der Grundrechte.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801417600

Vielen Dank, Kollegin Martina Renner. – Ich glaube,

das ganze Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede hier
im Deutschen Bundestag.


(Beifall)


Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer parlamentari-
schen Arbeit.

Die nächste Rednerin in der Debatte – sie gratuliert
noch schnell – ist Dr. Eva Högl für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1801417700

Liebe Frau Renner, auch von mir herzlichen Glück-

wunsch zur ersten Rede! Auf gute Zusammenarbeit!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich damit beginnen, meiner Ent-
täuschung Ausdruck zu verleihen. Ich bin enttäuscht da-
rüber, dass wir es als Parlament trotz der wegweisenden
Erfahrungen im NSU-Untersuchungsausschuss bisher
nicht geschafft haben, bei einem Thema, das uns alle
hier seit Monaten beschäftigt und zu dem immer neue
Einzelheiten bekannt werden, an einem Strang zu zie-
hen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woran ist es denn gescheitert?)


Wir haben als Koalition noch letzten Dienstag, also
vor der förmlichen Einbringung unseres eigenen
Antrags, auf der Ebene der Ersten Parlamentarischen
Geschäftsführer angeboten, fraktionsübergreifend einen
gemeinsamen Antragstext zu erarbeiten. Leider wurde
das von der Opposition rigoros abgelehnt.


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Ganz genau! – Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Damit haben wir zunächst einmal die Chance vertan,
auch gegenüber denjenigen, deren Verhalten wir in den
nächsten Jahren untersuchen wollen, ein klares Zeichen
zu setzen, nämlich das Zeichen, dass das gesamte Parla-
ment hier mit einer Stimme spricht und unisono Aufklä-
rung verlangt. Das ist mehr als bedauerlich.


(Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801417800

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1801417900

Mir ist heute nicht nach einer Zwischenfrage; ich

würde gern im Zusammenhang ausführen.


(Zurufe)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801418000

Wenn sie die Zwischenfrage nicht zulassen möchte,

dann braucht sie sie auch nicht zuzulassen.


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1801418100

Frau Haßelmann kann das ja nachher noch vortragen.


(Unruhe)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801418200

Frau Högl hat das Wort.


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1801418300

Die im Raum stehenden Vorwürfe massenhafter

schwerer Bürgerrechtsverletzungen eignen sich nicht für
die Inszenierung einer von der Mehrheit gebeutelten Op-
position. Das sage ich hier ganz deutlich. Sie eignen sich
schon deshalb nicht, weil wir als Koalition ein ebenso
großes Interesse an der umfassenden Aufklärung der
Vorwürfe haben wie die Abgeordneten der Opposition.
Und dieses Interesse haben wir nicht erst seit dieser Wo-
che.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Bereits im Oktober letzten Jahres hat Thomas
Oppermann hier im Plenum öffentlich zu Recht die Ein-
setzung eines Parlamentarischen Untersuchungsaus-
schusses zum NSA-Skandal gefordert,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber dann war Schluss!)


um eine umfassende und gründliche Aufklärung der
schweren Vorwürfe zu ermöglichen. Damit ist ganz klar,
dass wir, die Abgeordneten der Koalition, ein hohes und
berechtigtes Interesse an der Aufklärung haben.

Das Recht, hier Aufklärung zu verlangen – auch das
sage ich Ihnen ganz deutlich –, steht nicht nur der Oppo-
sition zu, sondern allen Kolleginnen und Kollegen dieses
Hauses.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen im Deutschen Bundestag aufklären, in-
wieweit die Bürgerinnen und Bürger, aber auch
Wirtschaftsunternehmen einer massenhaften ver-
dachtsunabhängigen Erfassung und Speicherung ihrer
Kommunikationsdaten und -inhalte durch amerikanische
und britische Dienste ausgesetzt sind. Wir wollen hier
gemeinsam aufklären, ob und inwieweit deutsche
Stellen, insbesondere unsere Nachrichtendienste, von
derartigen Praktiken wussten, daran beteiligt waren oder
in irgendeiner Weise Nutzen daraus gezogen haben. Wir
wollen, wenn sie nichts wussten, wissen, warum sie
nichts wussten und warum sie nichts dagegen unternom-
men haben.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gegen das Nichtwissen?)


Darüber hinaus wollen wir herausarbeiten, wie wir die
Grundrechte auf Privatheit und informationelle Selbstbe-
stimmung, die schließlich zum Kern unserer Verfassung
gehören, auch in Zukunft bestmöglich schützen können.

Das Aufklärungsinteresse der Opposition – das ist die
gute Nachricht, und das eint uns hier – geht grundsätz-
lich in dieselbe Richtung. Und doch begegnet Ihr Antrag
erheblichen Bedenken, die ich gerne an dieser Stelle
deutlich machen will.

Ihr Antrag ist an mehreren Stellen unklar und unprä-
zise und entspricht nicht den Vorgaben des Bestimmt-
heitsgrundsatzes. Das hat der Kollege Silberhorn hier
anhand bestimmter Formulierungen schon ausgeführt. In
Ihrem Antrag sind auch Formulierungen enthalten, die
so unklar sind, dass dadurch die Kompetenzen des Deut-
schen Bundestages und auch des Untersuchungsaus-
schusses teilweise überschritten würden.

Ich will ein Beispiel nennen: Der Oppositionsantrag
sagt viel zu ausländischen Nachrichtendiensten. Darun-
ter fallen weltweit alle ausländischen Nachrichtendienste






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Eva Högl

bis auf unsere eigenen. Das ist keine klare Eingrenzung
dessen, was untersucht werden soll, und es wäre von ei-
nem Ausschuss überhaupt nicht leistbar, alle ausländi-
schen Nachrichtendienste zu erfassen. Wir können auch
nicht untersuchen, ob die Handlungen ausländischer
Staaten in anderen ausländischen Staaten rechtswidrig
waren. Auch das übersteigt unsere Kompetenz, und es
fehlt ein Bezug zu Deutschland bei dieser Fragestellung;
denn Deutschland will ja nicht eine Weltgrundrechtspo-
lizei sein. Insofern können wir das nicht untersuchen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir können hier nur Missstände mit klarem Bezug zu
Deutschland untersuchen, und genau darauf zielt der An-
trag der Koalition, zum Beispiel bei der Frage, inwieweit
amerikanische und britische Dienste Grundrechte in
Deutschland verletzt haben. Genau darum geht es.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder von Deutschen!)


Dabei geht es auch um die Untersuchung einer mögli-
chen Beteiligung oder einer Nutznießung deutscher
Dienste hinsichtlich solcher Praktiken. Unser Interesse
ist, das aufzuklären.

Ein weiteres Kernproblem des Oppositionsantrags ist,
dass nicht deutlich genug unterschieden wird zwischen
der massenhaften, verdachtsunabhängigen Erfassung
und Speicherung von Daten einerseits und der anlassbe-
zogenen Tätigkeit im Einzelfall andererseits. Das ist eine
ganz wichtige Unterscheidung, die wir hier auch treffen
müssen. Darauf kommt es im Detail sehr an.

Ich bin aber jedenfalls froh darüber – auch das will
ich sagen, nachdem ich eben von meiner Enttäuschung
gesprochen habe –, dass deutlich geworden ist, dass Sie
mit Ihrem Antrag nicht die gesamte nachrichtendienst-
liche Tätigkeit zum Gegenstand des Untersuchungsaus-
schusses machen wollen, sondern dass es auch Ihnen da-
rum geht, ebendiese massenhafte, verdachtsunabhängige
Gewinnung von Kommunikationsdaten zu untersuchen.
Dann müssen Sie es aber, Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, genau so auch in Ihrem Antrag formulie-
ren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will ganz deutlich sagen, dass der Antrag nicht
nur rechtlichen Bedenken begegnet, sondern meiner und
unserer Meinung nach auch inhaltlich viel zu kurz greift.
Das fängt bereits damit an, dass Sie nur von Überwa-
chung von Kommunikationsvorgängen sprechen. Es
geht aber darum, bereits die Erfassung und die Speiche-
rung von Daten in den Blick zu nehmen; denn diese ha-
ben bereits Eingriffscharakter, unabhängig davon, ob sie
später ausgewertet werden. Das ist eine ganz wichtige
Unterscheidung. Da setzt unser Antrag sogar früher an
und ist insoweit auch viel präziser. Außerdem wollen wir
durch den Untersuchungsausschuss klären, inwieweit
Botschaften und militärische Standorte in Deutschland
für die Kommunikationserfassung genutzt wurden. Auch
das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, zu dem Sie nichts
sagen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir auch drin!)


Wir wollen auch aufklären, inwieweit Wirtschaftsunter-
nehmen von den Maßnahmen betroffen waren und was
deutsche Stellen genau hierüber wussten. Auch dazu fin-
det sich im Oppositionsantrag sehr wenig.

Schließlich haben wir in unseren Antrag Reform-
aspekte aufgenommen. Wir wollen nämlich auch den
Reformbedarf unter die Lupe nehmen. Diesen Aspekt
dürfen wir auf keinen Fall vernachlässigen. Es ist Auf-
gabe unseres Staates und dieses Parlaments, die Grund-
rechte der Privatheit und der informationellen Selbstbe-
stimmung effektiv zu schützen und dafür Sorge zu
tragen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit
haben, sicher elektronisch zu kommunizieren. Daran
müssen wir hier als Parlamentarier gemeinsam arbeiten.

Wer also genau hinschaut und unseren Antrag liest
– das ist vielleicht ganz hilfreich, wenn wir gegenseitig
ganz genau schauen, was in den Anträgen steht –, sieht,
dass in unserem Antrag die Anliegen der Opposition
nicht nur halbherzig, weil wir gedacht haben, dass das
zum guten Ton gehört, sondern umfassend aufgegriffen
und handwerklich sauber ausformuliert worden sind.
Wir haben weiterhin die Fragen zum Rechercheprojekt
„Geheimer Krieg“ sowie danach, ob die Auskünfte der
alten Bundesregierung nach den Enthüllungen von
Edward Snowden zutreffend oder ausreichend waren,
aufgegriffen. Auch das haben wir aus Ihrem Antrag
übernommen. Deswegen bitte ich Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, jetzt ganz inständig
darum: Legen Sie beide Anträge einmal nebeneinander.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir getan! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir jeden Tag!)


Prüfen Sie sorgfältig, inwieweit Ihr Aufklärungsinter-
esse nicht von unserem Antrag abgedeckt ist. Ich bin
sehr sicher, dass bei der Prüfung dann nicht mehr viel
übrig bleibt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen das auch noch einmal, und dann wird es was!)


Ich möchte eins ganz deutlich sagen: Es kommt nicht
häufig vor, dass die Mehrheit – wir haben hier eine große
Mehrheit – mit der Opposition ein und dasselbe Ziel ver-
folgt.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ja sonst auch peinlich!)


Wenn das ausnahmsweise einmal der Fall ist, dann soll-
ten wir hier als Parlamentarierinnen und Parlamentarier
auch bereit und in der Lage sein, im Interesse einer best-
möglichen Aufklärung und Regierungskontrolle zusam-
menzuarbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Eva Högl

Dafür möchte ich an dieser Stelle noch einmal ganz
ausdrücklich werben, gerade weil wir hier – Frau
Renner, Sie haben es angesprochen – in der letzten
Legislaturperiode sehr gute Erfahrungen damit gemacht
haben, gemeinsam aufzuklären und gemeinsam Perspek-
tiven zu formulieren.

Deshalb hoffe ich wirklich, dass wir bei den Beratun-
gen im Geschäftsordnungsausschuss doch noch zu ei-
nem gemeinsamen und verfassungsgemäßen Antragstext
kommen und die Einsetzung des Untersuchungsaus-
schusses gemeinsam beschließen können. Das muss un-
ser Ziel sein. Das hat auch Frau Renner ganz am Anfang
gesagt, weshalb ich an dieser Stelle aus voller Überzeu-
gung geklatscht habe. Im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger müssen wir hier sehr schnell, aber auch auf der
Grundlage einer sehr sorgfältigen Formulierung, mit der
parlamentarischen Aufklärungsarbeit beginnen. Dafür
können wir heute den Startschuss setzen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801418400

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort zu einer

Kurzintervention hat die Kollegin Britta Haßelmann.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801418500

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kollegin

Högl, Sie hatten mich ja persönlich wegen der Runde der
Ersten PGFs angesprochen. In der Tat haben wir natür-
lich beide Anträge bzw. Ihren Antragsentwurf und unse-
ren Antrag in einer ersten Runde diskutiert.

Ich will hier noch einmal deutlich sagen: Der Ein-
druck, den Sie hier zu vermitteln versuchen, wir hätten
das alles rigoros abgelehnt, ist so nicht zutreffend. Wir
haben Ihnen am Dienstagabend – beide Fraktionen zu-
sammen; Petra Sitte und ich – nach intensiver Beratung
in den Fraktionen schriftlich mitgeteilt, dass wir selbst-
verständlich gerne bereit sind, mit Ihnen das Gespräch
zu suchen über die Frage „Ergänzungen, Präzisierungen
hinsichtlich eines gemeinsamen Untersuchungsauftra-
ges“, dass wir aber nicht bereit sind, materiell oder
substanziell hinter unseren Untersuchungsauftrag zu-
rückzugehen. Das ist der wesentliche Unterschied.

Sie können doch ganz deutlich öffentlich sagen, dass
Sie an einem Punkt unserem Untersuchungsauftrag nicht
folgen wollen – bislang zumindest, vielleicht ändert sich
das noch im Laufe der Beratungen; ich hoffe darauf. Sie
waren bisher nicht bereit, auf die Frage, welche Verant-
wortung und welche – auch aktive – Rolle deutsche
Dienste in diesem Kontext – Stichwort „Ringtausch“ –
haben, einzugehen. Das ist für die Grünen und die Lin-
ken mit Blick auf die materielle und auch substanzielle
Seite unseres Untersuchungsauftrages sehr wichtig. Also
hören Sie auf, so zu tun, als wären wir nicht gesprächs-
bereit. Wir haben schriftlich dargelegt, dass wir bereit
sind, zu reden. Worüber wir zu reden bereit sind, weiß
auch jeder. Sie können gerne einmal öffentlich erklären:
Warum sind Sie nicht bereit, beim Thema „Ringtausch
und Verantwortung deutscher Dienste“ mitzuarbeiten?
Dies ist etwas, was sich mir nicht erschließt. Warum ha-
ben Sie bisher solche Gegenwehr geleistet?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801418600

Danke, Frau Kollegin. – Frau Högl, wenn Sie mögen,

haben Sie die Möglichkeit, zu antworten.


Dr. Eva Högl (SPD):
Rede ID: ID1801418700

Frau Präsidentin! Liebe Frau Haßelmann, ich nutze

die Gelegenheit gerne, darauf kurz zu antworten. Zu-
nächst einmal werte ich Ihre Intervention als ein Signal,
dass wir noch zueinanderkommen. Das ist unser gemein-
sames Anliegen. Ich habe das ausgeführt. Bei den Bera-
tungen im ersten Ausschuss haben wir die Chance, die
beiden Anträge nebeneinanderzulegen. Es wäre eine ver-
tane Chance, wenn wir nicht gemeinsam einen Untersu-
chungsauftrag beschließen. Ich drücke das hier noch ein-
mal ganz deutlich aus, dass uns allen dies sehr am
Herzen liegt. Es wäre auch ein starkes Signal in Rich-
tung derjenigen, die wir kontrollieren wollen.

Dann muss ich Ihnen noch einmal ganz deutlich sa-
gen – das habe ich eben ausgeführt –: Wir haben Ihre
Aufklärungsanliegen in unseren Antrag übernommen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Wir gehen sogar darüber hinaus. Die Detailfragen


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Detailfrage! Das weiß auch jeder!)


klären wir jetzt bei der Beratung im ersten Ausschuss.
Dann hoffe ich, dass wir zueinanderkommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß jeder, dass es keine Detailfrage ist!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801418800

Vielen Dank, Frau Dr. Högl. – Als letzter Redner die-

ser Aussprache hat Dr. Patrick Sensburg für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1801418900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir sind uns in diesem Haus zumindest einig
– so habe ich es in der Debatte festgestellt –, dass ver-
dachtsunabhängige, massenhafte Erfassungen und Aus-
wertungen von Daten deutscher Bürger und Unterneh-
men durch ausländische Dienste nicht akzeptabel sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Auch durch inländische nicht!)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Patrick Sensburg

Ich hätte mir gewünscht, Herr Kollege Ströbele, dass
Sie in Ihrer Rede nicht die Hälfte der Redezeit darauf
verwendet hätten, zu diskutieren, welchen Untersu-
chungsumfang die Koalition für einen entsprechenden
Untersuchungsausschuss vorgesehen hat, sondern tiefer
in die Materie eingedrungen wären. Sie haben uns vor-
geworfen, der Antrag sei nicht weitreichend genug, ha-
ben dann die Besorgnis des Präsidenten des Bundesver-
fassungsgerichtes betont. In Ihrem Antrag jedoch wird
das Bundesverfassungsgericht gar nicht erwähnt. In un-
serem Antrag steht es: als oberstes Verfassungsorgan.
Sie benennen es gar nicht. Allein daran sieht man, dass
Ihr Antrag nicht weitreichend ist. Unserer ist weitrei-
chender. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie inhaltlich
mehr in die Materie einsteigen, als es hier am Rande zu
diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Abfangen von Daten der Regierung, aber auch
der Abgeordneten stellt nach dem deutschen Strafgesetz-
buch einen Straftatbestand dar.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch von den Bürgern!)


Nicht umsonst ermittelt derzeit der Generalbundesan-
walt in diese Richtung. Für die kommende Woche hat
der Generalbundesanwalt diesbezüglich eine Einschät-
zung angekündigt.

Darüber hinaus dürfen wir nicht akzeptieren, dass das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dass
Rechte auf geschützte Kommunikation per Telefon, per
E-Mail, per SMS oder auch auf Datenplattformen, auf
Kommunikationsplattformen massiv angegriffen wer-
den.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Und was tun Sie dagegen?)


Dies geschieht alles ohne demokratische Kontrolle durch
deutsche Gerichte oder Behörden – und das gegenüber
deutschen Bürgern.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801419000

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

Bemerkung der Kollegin Renner?


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1801419100

Ich möchte noch gerne einen Satz sagen, dann ist Ge-

legenheit dazu. Dann macht die Frage noch mehr Sinn.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801419200

Gut.


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1801419300

Ich glaube, wird sind uns in diesem Haus einig, dass

wir diesbezügliche Vorkommnisse, die wir seit Juni letz-
ten Jahres erleben mussten, in einem Untersuchungsaus-
schuss aufarbeiten wollen.

Jetzt kann die Kollegin die Frage stellen.

Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801419400

Jetzt, Frau Kollegin Renner, wenn Sie mögen.


Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801419500

Herr Dr. Sensburg, Sie haben, wie andere Rednerin-

nen und Redner der Regierungskoalition, darauf ab-
gestellt, zu sagen: Wir müssen uns auf die anlasslose
Überwachung durch die Dienste der USA und Großbri-
tanniens konzentrieren. Es steht auch die Überwachung
des Mobilfunks der Kanzlerin, aber auch des ehemaligen
Kanzlers Schröder im Raum. Ich frage Sie: Zählt das
etwa zur anlasslosen Überwachung? Doch sicherlich
nicht. Es gibt doch aufgrund der Enthüllungen schon
jetzt konkrete Hinweise darauf, dass gezielt abgehört
wurde. Das war meine erste Frage.

Ich würde gerne eine zweite Frage anfügen. Wir wis-
sen doch auch aus der Praxis der Geheimdienste und den
Ermittlungen im NSU-Untersuchungsausschuss, wie
schnell ein Geheimdienst einen Anlass konstruiert, um
tätig werden zu können. Deswegen stelle ich die kon-
krete Frage: Wollen Sie den Untersuchungsauftrag tat-
sächlich nur auf die anlasslose Überwachung konzentrie-
ren, oder sind Sie bereit, den Untersuchungsgegenstand
auch auf alle anderen Geheimdiensttätigkeiten auszu-
weiten?


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Kanzlerin gibt es immer einen Anlass!)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1801419600

Herzlichen Dank für die Frage. Wir stellen fest, dass

Sie unheimlich viele Aspekte in Ihren Antrag einbezie-
hen. Da ist einmal der Zeitraum: Sie grenzen in Ihrem
gesamten Antrag den Zeitraum nicht ein; nur bezüglich
einzelner Punkte ist der Zeitraum eingegrenzt. Ich habe
mich schon gefragt: Wollen Sie im Grunde die Arbeit
der NSA bis 1952 zurückverfolgen? Ist das Ihr Untersu-
chungsauftrag? Sie haben den Zeitraum nicht einge-
grenzt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit dem Jahr 2001!)


Sie grenzen auch nicht ein, welche Behörden in den
Blick genommen werden sollen. Wollen Sie im Grunde
schauen, welche Sicherungsmaßnahmen auf den Com-
putern deutscher Behörden stattfinden, bis hin zum Ge-
schäftszimmer oder zum Soldaten einer Kompanie? Wie
soll ein Untersuchungsausschuss ein solches Volumen
leisten und auch Behörden und nachgeordnete Einrich-
tungen in den Blick nehmen? Das ist ein sehr großes Vo-
lumen. Sie sind da unpräzise. Ich könnte jetzt viele wei-
tere Aspekte benennen.

Ich komme jetzt zu Ihrer Frage, ob auch verdachtsbe-
zogene und anlassabhängige Überwachungen oder nur
verdachtsunabhängige und anlassunabhängige Überwa-
chungen einbezogen werden sollen. Wenn man die ver-
dachtsbezogenen, anlassabhängigen Fälle mit einbe-
zieht, dann hat man einen Untersuchungsauftrag, der
jedweden Datenaustausch bis hin zur gewollten interna-






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Patrick Sensburg

tionalen Rechtshilfe umfasst. Wir leisten in Deutschland
aufgrund internationaler Abkommen in weiten Berei-
chen Rechtshilfe für unsere Partnerstaaten. All das ist in
Ihrem Vorschlag eines Untersuchungsauftrags enthalten.
Denken Sie mal an den großen Bereich des Austausches
von Steuerdaten, an das FATCA-Abkommen zur Steuer-
hinterziehung – das ist ein Abkommen mit den USA –:
All das wäre von dem Untersuchungsauftrag, den Sie
vorschlagen, mit abgedeckt.

Ich muss ganz ehrlich sagen, welcher Gedanke mir so
ein bisschen kam, als ich Ihren Antrag las. Sie wollen
untersuchen: unbefristete Datengewinnung und quasi
grenzenlose Datensammlung zu einem unbestimmten
Personenkreis. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass
Sie da fast auf der gleichen Argumentationslinie sind,
wie man es von der NSA gewohnt ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich glaube, man sollte
nicht einfach Daten, egal aus welcher Quelle, sammeln
und dann schauen, wie man sie nutzen kann, sondern ei-
nen präzisen Auftrag formulieren. Das ist der Grund,
warum wir einen eigenen Antrag eingebracht haben.

Frau Haßelmann, ich muss es an dieser Stelle leider
betonen: Die gemeinsamen Gespräche sind dadurch ge-
endet, dass Sie gesagt haben: Wir möchten an der Stelle
keinen gemeinsamen Antrag einbringen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Sie haben nicht erkannt, dass unser Antrag im Grunde
weitreichender ist und Ihnen nutzen würde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist in der Runde der PGF besprochen worden, und ich
hätte mir gewünscht, dass man da zusammenkommt und
den weitreichenderen Antrag nimmt. Vielleicht tun wir
doch beide Anträge zusammen, Frau Haßelmann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801419700

Herr Kollege, erlauben Sie eine weitere Zwischen-

frage oder -bemerkung, und zwar vom Kollegen Dr. von
Notz?


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1801419800

Gerne.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischen-
frage zulassen. Ich würde gerne wissen, woher Sie diese
Information haben; denn ich meine bei dem Gespräch, in
dem das verhandelt wurde, was Sie gerade ansprachen,
im Gegensatz zu Ihnen dabei gewesen zu sein. Wir ha-
ben explizit gesagt, dass wir bereit sind, den entspre-
chenden Teil des Antrags der Großen Koalition unter un-
seren Antrag zu packen, sodass kein Wort von dem, was
Sie wollen, verloren geht. Ist es nicht vielmehr so, dass
Sie versuchen, genau das, was hier im Raum steht, was
relevant und auch aufklärbar ist, nämlich die Rolle der
deutschen Dienste und der internationale Ringtausch von
Daten, zu verbrämen und nicht aufzuklären?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1801419900

Ganz herzlichen Dank für Ihre Frage und die gleich-

zeitige Bestätigung, dass Sie unserem Antrag nicht fol-
gen wollten, obwohl er weitreichender ist. Sie haben das
Angebot gemacht, einen Teil unseres Antrags unter Ih-
rem einzufügen. Ihr Antrag reicht aber an vielen Punkten
nicht aus. Ich muss nicht das wiederholen, was die Kol-
legin Högl und der Kollege Silberhorn zu Recht gesagt
haben. Ich könnte Ihnen noch einmal darlegen – durch
Ihre Zwischenfrage wäre genug Redezeit vorhanden –,
dass Ihr Antrag an vielen Punkten – ich will es mal so
sagen – etwas dünn formuliert und an vielen Stellen zu
unbestimmt, verfassungswidrig und nicht weitreichend
genug ist.

Ich glaube nicht, dass es eine besonders kluge Ent-
scheidung wäre, unseren Antrag unter Ihren zu packen,
wie Ihr sehr freundliches Angebot suggeriert. Wäre es
nicht sinnvoll, wenn man die Größe hätte, zu sagen: Wir
legen beide Anträge zusammen und machen das Beste
draus. Die Einladung von unserer Seite besteht. Wir soll-
ten den Weg gemeinsam gehen. Das Signal der Ge-
schlossenheit unseres Parlamentes wäre für die Arbeit
des Untersuchungsausschusses sicherlich deutlich
zweckdienlicher.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
will Ihnen einen weiteren Grund nennen, warum es klug
wäre, mit uns zusammenzuarbeiten. In unserem Antrag
gehen wir nicht nur auf die Verletzung der Rechte der
Bundesregierung oder der Abgeordneten ein. Wir haben
in einem ganzen Abschnitt dargelegt, in welchem Be-
reich uns der Schutz der informationellen Selbstbestim-
mung, der Privatsphäre, des Fernmeldegeheimnisses, der
Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer
Systeme wichtig ist, gerade in Bezug auf die Bürgerin-
nen und Bürger. Allein dieser große Bereich muss uns
wichtiger oder zumindest genauso wichtig sein wie das
Abhören von staatlichen und behördlichen Institutionen.

Wo in Ihrem Antrag ist der große Bereich, in dem Sie
auf die Rechte der Bürgerinnen und Bürger rekurrieren?
Herr Ströbele hat etwas lapidar über unseren Antrag ge-
sagt, dass er – ich darf Sie zitieren – „etwas dicker ist“.
Stimmt, er ist dicker, weil er einen ganzen Abschnitt
über die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern enthält.
Es ist uns wichtig, dass diese im Antrag enthalten sind.
Von daher: Lassen Sie uns doch beide Anträge zusam-
menfügen. Es macht Sinn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


An einigen Punkten finden Sie die Informationen
zwischen den Zeilen, Herr Kollege Ströbele.






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Patrick Sensburg


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischen den Zeilen steht gar nichts!)


Gerade von Ihnen hätte ich erwartet, dass Sie mehr auf
die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern eingehen. Im
Zweifel werden wir es machen.

Letztendlich müssen wir uns fragen: Welche Ergeb-
nisse erhoffen wir uns von einem Untersuchungsaus-
schuss? Es handelt sich zwar nicht um eine Enquete-
Kommission, aber wir sollten in diesem Zusammenhang
versuchen, die Fragen zu beantworten, ob wir in
Deutschland nicht eine stärkere Verschlüsselung von Da-
ten brauchen, ob wir nicht mehr nationale Knotenpunkte
und eigene Datennetze brauchen und ob wir ausreichend
sowohl in die IT-Infrastruktur als auch in den IT-Stand-
ort Deutschland investieren.

Man muss sich schon die Frage stellen, warum ein
Großteil der Unternehmen, deren Daten möglicherweise
abgeschöpft werden, ihren Sitz nicht in Europa, sondern
in den Vereinigten Staaten hat. Sind wir gegenüber der
IT-Branche ausreichend freundlich, oder müssen wir
nicht weitere Anreize schaffen, damit die Unternehmen
hierbleiben? Ich könnte mir vorstellen, dass uns der Un-
tersuchungsausschuss Ansatzpunkte für die Beantwor-
tung dieser Fragen liefert.

All dies können wir gemeinsam leisten. Wenn wir uns
nicht in Geschäftsordnungsdebatten oder in verdeckten
Debatten über antiamerikanische Klischees verlieren,
dann könnten wir uns gemeinsam dieser Aufgabe wid-
men. Der erste Ansatz wäre, dass wir uns zeitnah – Kol-
lege Silberhorn hat darauf hingewiesen – im Geschäfts-
ordnungsausschuss wiederfinden, um über das
Zusammenführen beider sicherlich guter Anträge zu be-
raten.

Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801420000

Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die

Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/420 und 18/483 an den Ausschuss
für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ja, das sind
Sie. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Feststellung des Wirtschaftsplans
des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2014

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2014)


Drucksache 18/273

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(9. Ausschuss)


Drucksache 18/500
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die sich mit
dem vorherigen Thema beschäftigt haben, entweder
draußen weiterzureden oder diesem spannenden Tages-
ordnungspunkt 10 zu lauschen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-
regierung hat Frau Staatssekretärin Iris Gleicke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


I
Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1801420100


Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kleine
und mittlere Unternehmen verdienen unsere besondere
Aufmerksamkeit. Sie erwirtschaften mehr als jeden zwei-
ten Euro und stellen über die Hälfte aller Arbeitsplätze in
Deutschland. Kleine und mittlere Unternehmen, KMU,
beschäftigen über 15 Millionen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, und die Beschäftigungserwartungen stei-
gen weiter. Nach aktuellen Befragungen wollen mehr
KMU neue Arbeitsplätze schaffen als streichen.

Die Unternehmen beurteilen ihre Geschäftslage so
gut wie seit langem nicht mehr. Damit sich der positive
Trend fortsetzt, damit der Mittelstand seine Leistungsfä-
higkeit weiterhin entfalten kann, ist er von einem gut
funktionierenden Finanzierungsangebot abhängig. Die
Bedingungen sind derzeit so gut wie selten zuvor. Die
Eigenkapitalquoten der kleinen und mittelständischen
Unternehmen sind in den letzten Jahren gestiegen. Da-
durch verbessert sich ihr Rating und damit wiederum ihr
Zugang zur Fremdfinanzierung. Das historisch niedrige
Zinsniveau führt zu günstigen Konditionen bei Bankkre-
diten. Der Zugang zu Krediten war für Mittelständler in
den letzten zehn Jahren nie besser als derzeit.

Der Bankkredit ist und bleibt logischerweise die
wichtigste Fremdfinanzierungsquelle für kleinere und
mittlere Unternehmen. Glücklicherweise haben wir ein
gut funktionierendes Bankensystem. Sparkassen, Volks-
und Raiffeisenbanken stellen die Kreditversorgung des
Mittelstandes zum allergrößten Teil sicher. Das ist ein
Hausbankensystem, bei dem die langjährigen Geschäfts-
beziehungen im Vordergrund stehen. Wir als Ostdeut-
sche wissen, dass gerade Volks- und Raiffeisenbanken
sowie Sparkassen die Kreditversorgung in den neuen
Bundesländern sichergestellt haben.

Auch wenn die Situation zurzeit recht gut aussieht,
stehen aktuell Herausforderungen an, die unsere Auf-
merksamkeit erfordern. Wir haben trotz historisch nied-
riger Zinssätze und eines guten Kreditzugangs eine In-
vestitionslücke. Gerade im letzten Jahr war die
Kreditnachfrage verhalten. Aber wir haben eben auch
besondere Investitionsbedarfe. Gerade der Bevölke-
rungswandel und eine nachlassende Gründungsdynamik
verändern die Anforderungen an Unternehmen und an
die Gesellschaft. Diese Investitionszurückhaltung kann
sich aber ganz schnell wieder ändern. Es gibt eine Studie






(A) (C)



(D)(B)

Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke

der Volks- und Raiffeisenbanken – sie heißt „Mittelstand
im Mittelpunkt“ –, nach der viele der befragten kleinen
und mittleren Unternehmen innerhalb des nächsten hal-
ben Jahres Investitionen planen.

Vor diesem Hintergrund sprechen wir heute über die
Förderung des Mittelstands aus dem ERP-Sondervermö-
gen. Der vorgelegte Wirtschaftsplan hat zum Ziel, die
Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unter-
nehmen zu stärken. Er dient damit vor allem der Schaf-
fung und der Sicherung von Arbeitsplätzen – ich will
hinzufügen: von guten Arbeitsplätzen – und hilft damit,
den Finanzierungsbedarf der KMU zu decken. Für das
Jahr 2014 stehen für die Förderung rund 340 Millio-
nen Euro zur Verfügung. Damit kann ein Kreditvolumen
in Höhe von 6,3 Milliarden Euro an kleine und mittlere
Unternehmen zugesagt werden. Damit ist die ERP-Wirt-
schaftsförderung weiterhin eine verlässliche Unterstüt-
zung des Mittelstands. Sie hilft, die größenbedingten
Nachteile von KMU gegenüber den ganz großen Unter-
nehmen abzumildern. Das gilt in ganz besonderem Maße
für die kleinteilige, mittelständisch geprägte ostdeutsche
Wirtschaft. Auch das will ich an dieser Stelle sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben vier Schwerpunkte gesetzt: Wir wollen ers-
tens die Gründungsfinanzierung sicherstellen und uns
zweitens mit der Innovationsfinanzierung beschäftigen.
Die dritte Säule ist die Exportfinanzierung und die vierte
die Regionalförderung. Dort stehen zinsgünstige und
lange laufende Darlehen für den Mittelstand bereit. Da-
neben bietet aber auch die ERP-Förderung Beteiligungs-
kapital an. Ich weiß, dass das ein ganz wichtiger Schwer-
punkt bei der Mittelstandsfinanzierung ist.

Ich will ein Beispiel aus dem Regionalförderpro-
gramm nennen. Unternehmen, die in strukturschwachen
Regionen investieren, erhalten günstige Kredite. Das gilt
– auch das ist mir wichtig – in Ost und West gleicherma-
ßen und folgt einer modernen Finanzierungsförderung,
die wir weiter ausbauen wollen.


(Beifall bei der SPD)


Die Vergabe von Fördermitteln aus dem ERP-Sonder-
vermögen ist nach wie vor eine sehr effiziente Form der
Wirtschaftsförderung. Sie ist bei Unternehmen und Ban-
ken etabliert und ergänzt sinnvoll das Angebot der Kre-
ditwirtschaft in Bereichen, die besonderer Unterstützung
bedürfen. Wir haben gestern ja nicht nur im Wirtschafts-
ausschuss, sondern auch im Tourismusausschuss darüber
geredet. Gerade der Tourismus leidet immer wieder da-
runter, darstellen zu müssen, wo seine Entwicklungspo-
tenziale liegen.

Deshalb ist es mir wichtig, an dieser Stelle noch eine
besondere Förderform anzusprechen: den Mezzanin-
Dachfonds. Es gibt auch eine Mikromezzaninförderung,
bei der ganz kleine Kredite von bis zu 10 000 Euro ge-
fördert werden. Das ist im Bereich des Tourismus und
im Bereich der Dienstleistungen besonders attraktiv und
hilft gerade den ganz kleinen Keimzellen in der Wirt-
schaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kreditwirtschaft wird in die Vergabe der Förder-
mittel mit einbezogen. Das ist wichtig, damit die An-
träge kaufmännisch geprüft werden. Das senkt die Wahr-
scheinlichkeit für einen Ausfall des Förderkredits und
eine Belastung der öffentlichen Haushalte.

Aus all diesen Gründen bin ich von der Richtigkeit
des von uns gewählten Ansatzes und der Wichtigkeit des
ERP-Wirtschaftsplangesetzes, insbesondere für den Mit-
telstand, überzeugt. Deshalb bitte ich Sie heute hier um
Ihre Zustimmung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801420200

Danke, Frau Kollegin Gleicke. – Der nächste Redner

ist Thomas Lutze für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801420300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Die heutige Vorlage trifft auf unsere Zustimmung,
da das ERP-Sondervermögen weiterhin zur Förderung
von verbilligten Krediten für kleine und mittelständische
Unternehmen genutzt werden soll. Entgegen früherer
Befürchtungen meiner Fraktion – ich erinnere an die
16. Wahlperiode – ist es wohl so, dass der Substanzerhalt
des Sondervermögens auch unter dem Dach der Kredit-
anstalt für Wiederaufbau, also der KfW, gesichert ist.
Deshalb werden wir dem vorliegenden Gesetzentwurf
zustimmen.

Wir fordern aber mehr Transparenz bei der Aufteilung
der Mittel auf die einzelnen Förderprogramme. Die sehr
grobe Einteilung in die Finanzierungszwecke ist nicht
zufriedenstellend. Eine wirksame Kontrolle durch das
Parlament braucht ausreichende Transparenz. Denn so-
sehr die mittelständische Wirtschaft die Unterstützung
braucht, sollten wir an dieser Stelle doch etwas genauer
differenzieren. Der Titel des Förderschwerpunktes Ex-
portfinanzierung ist uns zu pauschal gewählt. Die Krise
in Europa ist immer noch nicht ausgestanden, ganz im
Gegenteil: Sie hält Griechenland und andere Länder
noch immer in Atem. Die unsozialen Kürzungen müssen
die Bevölkerungen der betroffenen Länder im Prinzip al-
lein ausbaden. Sie sind Resultat einer völlig verfehlten
Finanzpolitik in Europa.

Eine Ursache für die Krise ist das wirtschaftliche Un-
gleichgewicht der Euro-Länder. Deutschland trägt mit
seiner Politik der Reallohnsenkung und der Exportorien-
tierung ganz entscheidend zu diesem Ungleichgewicht
bei. So kann eine Lösung der aktuellen Krise nur mit ei-
ner langfristigen Senkung der Exportquote Deutschlands
gelingen. Unserer Meinung nach braucht es Maßnahmen
zur Stärkung der Binnennachfrage.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)

Thomas Lutze

Das ERP-Sondervermögen sollte mit einer noch akti-
veren Industriepolitik den Strukturwandel hier im Land
begleiten. Wir müssen der Deindustrialisierung gerade
der ostdeutschen Bundesländer, aber auch zunehmend
vieler Regionen im Westen unserer Republik entgegen-
wirken. Die Linke fordert mittelfristig neben der Benen-
nung von Förderzwecken auch Ausschlusskriterien bei
der Auswahl der zu fördernden Unternehmen. Firmen,
die ihr Geld mit Rüstung oder mit Waffenexporten ver-
dienen, sollten keine Förderung erhalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Unternehmen, die klimaschädliche oder Atomtechnolo-
gien verkaufen oder exportieren, stehen der Energie-
wende, über die wir uns ja im Großen und Ganzen einig
sind, eindeutig im Weg. Auch an dieser Stelle sollte es
klare Ausschlusskriterien geben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nur so kann man verhindern, dass zum Beispiel die
energetische Gebäudesanierung, die man unterstützt,
durch den Bau eines Kohlekraftwerkes im Ausland
durch eine deutsche Firma, ebenfalls gefördert, wieder
konterkariert wird.

Ebenfalls nicht von billigen Krediten profitieren soll-
ten Firmen, die die Rechte der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nicht achten oder sittenwidrig niedrige
Löhne zahlen.

Auch wenn das ERP-Sondervermögen nicht mehr di-
rekt vom Bundeswirtschaftsministerium verwaltet wird,
sind die Einflussmöglichkeiten des Staates sehr hoch.
Diese im privaten Sektor nicht vorhandenen Möglichkei-
ten können und müssen genutzt werden, um ethische und
ökologische Maßstäbe zu setzen.

Die Linke spricht sich dafür aus, das ERP-Sonderver-
mögen auch langfristig zu erhalten, zweckgebunden für
die Wirtschaftsförderung. Hierbei müssen das Handwerk
– die Frau Staatssekretärin hat das richtig gesagt – und
der Mittelstand wieder mehr gefördert werden, sie müs-
sen viel mehr im Fokus der Förderung stehen.

Das Ziel der Förderung müssen mehr Beschäftigung
und eine größere Binnennachfrage sein. Öffentliche Stel-
len, aber auch wir Abgeordnete in unseren Wahlkreisen
können einen Beitrag dazu leisten, die Fördermöglich-
keiten durch ERP und KfW noch bekannter zu machen.
In dem Bundesland, aus dem ich komme – dem Saarland –,
werden manche Programme kaum, andere gar nicht ge-
nutzt. Ich glaube, das ist auch in vielen anderen Regio-
nen so. Das muss sich dringend ändern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801420400

Danke, Herr Kollege.

Nächste Rednerin in der Debatte ist Astrid
Grotelüschen für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Astrid Grotelüschen (CDU):
Rede ID: ID1801420500

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und
Herren! Auf der Grundlage des Marshallplans und des da-
mit zusammenhängenden Abkommens zwischen den
USA und der Bundesrepublik Deutschland wurde Anfang
der 50er-Jahre eine Summe von 6 Milliarden D-Mark mit
dem sogenannten European Recovery Program, kurz
ERP genannt, vertraglich als Sondervermögen bestimmt,
das seither vom Bund zum Zwecke der Wirtschaftsför-
derung verwaltet wird. Damals wurde festgelegt, dass
erstens ein Substanzerhaltungsgebot gilt – das heißt,
dass letztendlich nur die Erträge verwendet werden dür-
fen –, und zweitens, dass die Verwendung des Sonder-
vermögens unter parlamentarische Kontrolle zu stellen
ist.

Mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf über die
Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sonderver-
mögens für das Jahr 2014 diskutieren wir über eine seit
sechs Jahrzehnten andauernde Erfolgsgeschichte in Be-
zug auf die finanzielle Förderung der deutschen Wirt-
schaftsunternehmen, die die Bundesregierung auch im
Jahr 2014 fortführen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute Vor-
mittag haben wir alle die Ausführungen zum Jahreswirt-
schaftsbericht verfolgt und die wichtigen Eckpunkte
erfahren. Mitgenommen haben wir, dass die Ausgangssi-
tuation für die deutsche Wirtschaft gut ist. Den Progno-
sen zufolge dürfen wir in Deutschland mit einem Wachs-
tum von 1,8 Prozent rechnen. Mehr als 42 Millionen
Menschen sind erwerbstätig; das sind so viele wie noch
nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Was ganz ent-
scheidend ist: Die Zeichen für 2014 stehen bei den Bür-
gern und bei der Wirtschaft auf Optimismus und Auf-
schwung. Die psychologisch so wichtige Botschaft „Uns
geht es gut“ ist das Verdienst einer umsichtigen Politik
der Kanzlerin und der von uns getroffenen begleitenden
Weichenstellungen in den entscheidenden Bereichen
Haushaltskonsolidierung, Verzicht auf jegliche Steuerer-
höhungen, klares Bekenntnis zum Industriestandort
Deutschland und letztlich auch Anerkennung der heraus-
ragenden Rolle unseres erfolgreichen deutschen Mittel-
standes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf beläuft sich
das ERP-Sondervermögen für 2014 – die Staatssekretä-
rin hat es eben auch schon erwähnt – auf ein Volumen
von 793,3 Millionen Euro. Das Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie wird zudem ermächtigt, Kredite
bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau bis zur Höhe von
30 Prozent dieses festgestellten Betrages aufzunehmen.
Somit können insbesondere mittelständische Unterneh-
men und Angehörige freier Berufe im Rahmen dieser
veranschlagten Mittel zinsgünstige Finanzierungen mit
einem Volumen von insgesamt rund 6,1 Milliarden Euro
abrufen.






(A) (C)



(D)(B)

Astrid Grotelüschen

Damit wird der Kern dieses Förderprogramms ganz
deutlich: Das ERP-Sondervermögen gibt Hilfe zur
Selbsthilfe, indem Kapital zu sehr günstigen Bedingun-
gen in Bezug auf Zinssatz und Haftungskriterien zur
Verfügung gestellt wird. Dieser Ansatz ist natürlich be-
sonders wichtig, weil er gerade auf die kleinen und mit-
telständischen Betriebe abzielt, denen es oft an Eigenka-
pital mangelt oder bei denen es zu Problemen bei der
Fremdfinanzierung kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb ist es natürlich auch entscheidend, dass die-
ses zur Verfügung stehende Kreditvolumen optimal ein-
gesetzt wird, das heißt, wir brauchen eine zielgerichtete
Förderung, die gleichzeitig mit einem ganz einfachen
Antragsverfahren erreicht werden kann. Daher begrüße
ich es ausdrücklich, dass weder für Unternehmen noch
für die Verwaltung 2014 neue Informationspflichten ein-
geführt werden. Zusätzlich – das ergibt sich aus meinem
Selbstverständnis heraus – ist es aber natürlich unsere
Aufgabe und muss es unsere Zielsetzung sein, nicht nur
den Status quo zu halten, sondern in Zukunft auch
Hemmnisse und Überregulierungen abzubauen. Insge-
samt sollen Unternehmen so in die Lage versetzt wer-
den, notwendige Investitionen zu tätigen; denn Investi-
tionen sind für die Weiterentwicklung der Wirtschaft in
unserem Land entscheidend.

In diesem Zusammenhang haben wir heute Morgen
auch über die Notwendigkeit der Erhöhung unserer In-
vestitionsquote diskutiert, die bisher bei 17 Prozent liegt;
denn die Investitionstätigkeit ist nicht nur die Schlüssel-
größe für die aktuelle Entwicklung in unserer deutschen
Volkswirtschaft. Wir alle wissen, dass Investitionen
langfristig auch entscheidend für den Wohlstand in unse-
rem Land sind. Deshalb ist auch die Förderung von Un-
ternehmen in den ERP-Schwerpunktbereichen Grün-
dungs- und Innovationsfinanzierung, Regionalförderung
und Exportfinanzierung ein unverzichtbares Instrument,
das maßgeblich zum Erhalt und zur Schaffung von Ar-
beitsplätzen, zur Produktivitätssteigerung und zum Er-
halt der Wettbewerbsfähigkeit beiträgt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, um die gerade genannten
Ziele zu erreichen, muss die ERP-Wirtschaftsförderung
stetig evaluiert und fortentwickelt werden. So wurde das
Programm letztmalig im Jahr 2012 verändert. Kern der
Neuordnung war auch die Konzentration auf eine ver-
besserte Gründungsförderung, auf die ich auch ganz
kurz eingehen möchte.

Das Wirtschaftsministerium hat sein Förderinstru-
mentarium in dieser Zeit beständig ausgebaut, um insbe-
sondere Unternehmen in der frühen Unternehmensphase
den Zugang zu Kapital zu erleichtern. Hier sind insbe-
sondere das ERP-Innovationsprogramm mit zinsgünsti-
gen Darlehen und auch die neuen Maßnahmen zuguns-
ten der Finanzierung von innovativen Start-ups zu
nennen. Gerade diese Finanzierung von marktnaher For-
schung sowie von Produktions- und Verfahrensinnovati-
onen stellt besonders mittelständische Unternehmen und
auch Unternehmensgründer wegen der Schwierigkeit der
Besicherung und der kurzfristig nicht immer gegebenen
Rentabilität, die man dann darstellen muss, vor beson-
dere Herausforderungen.

Insgesamt muss es unser Anspruch sein, das Ohr im-
mer an unseren Unternehmen zu haben und damit das In-
strumentarium der Förderung auf die Zukunft gerichtet
auszugestalten. Deshalb freue ich mich sehr, dass zum
Thema ERP-Förderung in dieser Legislaturperiode wie-
derum ein Unterausschuss gebildet wird, dessen Mit-
glied ich sein werde und in dem wir gemeinsam – hier
können sicherlich auch die Anregungen des Kollegen
Lutze, die er gerade in seiner Rede ausgeführt hat, mit
aufgegriffen werden – über Effektivität, Transparenz und
natürlich inhaltliche Schwerpunkte diskutieren werden.
Hoffentlich gelingt es uns dort auch, gute Weichenstel-
lungen im Sinne der Unternehmen zu erreichen, die an-
schließend von einer passgenaueren Förderung hoffent-
lich profitieren können.

Die Ressorts haben dem Gesetzentwurf zugestimmt.
Einwände des Bundesrates, der schon im Herbst 2013,
wie ich lesen konnte, dem Ganzen zugestimmt hat, gab
es nicht, sodass ich für die CDU/CSU-Fraktion zusam-
menfassend feststellen kann: Wir sind uns einig, dass wir
mit der ERP-Förderung ein wichtiges Instrument zur
Wirtschaftsförderung in unseren Händen halten. Dabei
gilt natürlich nach wie vor der Grundsatz: Wir können
als Politik nur Anreize setzen und für passende Rahmen-
bedingungen sorgen; denn die Kreativität und auch die
Initiative zur Umsetzung müssen von einzelnen Men-
schen, von den Unternehmen kommen.

Aber gerade weil es in diesem Punkt um eine Motiva-
tion, um eine Anerkennung geht, müssen wir als Politi-
kerinnen und Politiker dem Mittelstand immer wieder
unsere Wertschätzung signalisieren, so wie wir es zum
Beispiel im Koalitionsvertrag sehr passend, wie ich
finde, formuliert haben. Hier wird der Mittelstand als
„innovationsstarker Beschäftigungsmotor“, der „regio-
nale Verbundenheit mit Internationalisierung“ verbindet,
beschrieben.

Ich denke, wir brauchen in dieser Legislaturperiode
eine Politik, die dem Rückgrat unserer Wirtschaft, dem
Mittelstand, den Rücken stärkt. Ich bin mir sicher, dass
wir mit der ERP-Förderung ein Stück weit dazu beitra-
gen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801420600

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Red-

ner in der Debatte ist Dr. Thomas Gambke für Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ihre erste Rede!)


– Pardon. Entschuldigen Sie, das ist mir entgangen. Wir
gratulieren Ihnen, Frau Grotelüschen, von Herzen zu Ih-
rer ersten Rede im Bundestag.


(Beifall)







(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsidentin Claudia Roth

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit als Par-
lamentarierin hier im Bundestag.

Nach dieser Gratulation fangen wir noch einmal
an. Herr Gambke, Sie haben für Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Das ERP-Sondervermögen ist nach dem
Krieg ein wichtiges Instrument gewesen, Deutschland
wieder aufzubauen. Damals gab es eine klare Ausrich-
tung: Da Deutschland am Boden lag, mussten Häuser
gebaut und die Infrastruktur bereitgestellt werden. Es
war ein wichtiges Programm.

Heute dient es dem Mittelstand. Es dient den erneuer-
baren Energien und der Gründung von Unternehmen.
Aus diesem Grund kann ich als Mittelstandsbeauftragter
meiner Fraktion ganz klar sagen: Wir als Grüne werden
dem Entwurf zustimmen.

Angesichts der Debatte hier muss ich aber ein biss-
chen Wasser in den Wein gießen,


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Was?)


und zwar aus folgendem Grund: Mit diesem Programm
sollen Investitionen und auch Innovationen gefördert
werden. Wir beobachten nicht erst seit drei oder vier Jah-
ren – Michael Fuchs hat das heute gesagt und das mit
den Energiekosten begründet –, sondern seit 20 Jahren,
dass der Umfang von Investitionen in Deutschland leider
zurückgeht. Da sollten wir uns nicht besoffenreden und
das auf die Energiekosten schieben. Das wäre viel zu
kurz gesponnen. Wir sollten uns auch nicht besoffenre-
den, weil es im Mittelstand – Sie haben es erwähnt –
eine erfreuliche Entwicklung in Form einer Eigenkapi-
talstärkung gibt.

Vielmehr müssen wir uns mit der Frage auseinander-
setzen, warum wir gute und wichtige Förderprogramme
haben, gleichzeitig aber eben nicht die Investitionen aus-
gelöst werden, die wir volkswirtschaftlich alle für wich-
tig erachten. In der Szene werden dazu zwei Gründe ge-
nannt: Erstens. Es gibt zu wenig Risikokapital; dieses
Programm wirkt dem entgegen. Zweitens. Es gibt zu we-
nig qualitativ hochwertige Projekte. Warum ist das so?
Ich komme noch einmal auf den Jahreswirtschaftsbericht
zu sprechen. Da reden wir uns an den schönen Wachs-
tumsraten besoffen.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Wir sind nüchtern! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)


Was bedeuten diese Wachstumsraten? Dahinter
steckt, dass wir die Frequenz, mit der wir heute einen
Flachbildschirm in unserem Haushalt wechseln, von
vielleicht vier Jahren auf zwei Jahre verkürzen. Sie wird
damit begründet, dass der Flachbildschirm dann doppelt
so groß ist. Ich behaupte, die Inhalte sollten doppelt so
gut werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ist nicht die fehlende Ausrichtung, die wir nach
dem Krieg beim Aufbau hatten, der Grund, warum heute
nicht oder zumindest nicht in dem Umfang investiert
wird, den wir wollen? Brauchen wir nicht eine Ausrich-
tung, die eben nicht nur auf den schnellen Konsum setzt,
sondern auf die notwendigen Änderungen in der Wirt-
schaft? Das heißt heute, dass wir Ressourcen und Ener-
gie sparen müssen und dass wir nicht nur ökologischer
handeln, sondern auch leben müssen. Wenn wir diese
Ziele nicht setzen, dann werden wir am Ende keine In-
vestitionen auslösen, die wichtig sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, dass wir über die Zielvorgabe möglicher-
weise streiten, aber auf jeden Fall reden müssen.

Ich fand eines bemerkenswert. Ich habe ein bisschen
das Wort Mittelstandsförderung bei Herrn Gabriel ver-
misst, aber er hat auch zu wenig von den Inhalten gere-
det. Wir müssen uns mit den Inhalten beschäftigen.

Ich sage es noch einmal: In den letzten 20 Jahren sind
die Investitionen in diesem Lande ständig zurückgegan-
gen. Das ist keine grüne Meinung. Ich saß mit dem Vor-
standsvorsitzenden eines DAX-Konzerns auf einem Po-
dium, der zu mir sagte: Lieber Herr Gambke, kümmern
Sie sich bitte einmal um die Inhalte und Investitionen
und nicht vordergründig um andere Dinge! – Stattdessen
beschäftigen wir uns damit, unsere Rentenkassen zu
plündern. Ich glaube, dass wir die Diskussion darüber
wieder auf den richtigen Pfad bringen müssen, damit wir
in Deutschland mit dem Geld, das vernünftigerweise
vorhanden ist, wirklich das Richtige tun.

Ich kann noch eine kurze Bemerkung machen. Wir
müssen uns auch mit der Frage beschäftigen, wer über-
haupt entscheidet. Wir reden von risikobehafteten Pro-
jekten. Ich komme vom Fach und muss Ihnen sagen: Die
Entscheidungsstrukturen, die wir heute in Deutschland
haben, sind vielfach nicht geeignet, um risikobehaftete
Projekte erstens zu bewerten, zweitens entsprechend zu
entscheiden und sie drittens dann umzusetzen.

Auch das Thema fehlt mir in der Debatte. Ich hätte
mir gewünscht, dass wir zu diesem Thema eine Debatte
eröffnet hätten, die in diesem Hause so wichtig wäre,
nämlich darüber, die Ziele für Innovationen und Investi-
tionen richtig zu setzen. Denn dann würden wir das Geld
an die richtigen Stellen bringen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801420700

Vielen Dank, Herr Kollege Gambke.

Jetzt muss ich noch etwas richtigstellen: Frau
Grotelüschen hat nicht die allererste Rede in diesem
Haus gehalten, sondern sie ist nach einer kleinen Pause
in dieses Haus zurückgekehrt. Das heißt, in dieser Legis-
laturperiode war es ihre allererste Rede.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Auch nicht! Als Landesministerin hat sie gesprochen!)







(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsidentin Claudia Roth

– Ach, Mensch! Aber als Abgeordnete hat sie das erste
Mal gesprochen. Also Gratulation! Sie mögen mir ver-
zeihen: Ich kenne noch nicht alle Biografien aus dem
Effeff.


(Astrid Grotelüschen [CDU/CSU]: Alles gut!)


Danke, Thomas Gambke. – Als nächster Redner –
jetzt wird es aber wieder eine Premiere – hat Matthias
Ilgen für die SPD das Wort.


Matthias Ilgen (SPD):
Rede ID: ID1801420800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kollege Gambke, weil Sie so viel von Besoffenreden ge-
sprochen haben, würde ich gerne nachher mit Ihnen ei-
nen Schnaps trinken, auf dass wir uns gemeinsam an den
guten Zahlen dieses Jahres erfreuen können. Denn ich
finde, sie geben Anlass zur Freude.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir reden heute über das ERP-Sondervermögen und
die Frage, wie man damit umgeht. Ich möchte mit einem
Zitat des damaligen US-Außenministers George Mar-
shall einsteigen, der in einer Rede am 5. Juni 1947 an der
Harvard University folgende Worte sprach:

Unsere Politik richtet sich … gegen Hunger, Armut,
Verzweiflung und Chaos. Ihr Zweck ist die Wieder-
belebung einer funktionierenden Weltwirtschaft,
damit die Entstehung politischer und sozialer Be-
dingungen ermöglicht wird, unter denen freie Insti-
tutionen existieren können.

Das war damals nach dem Krieg – Sie haben das ange-
sprochen, Herr Kollege – die Grundlage für den Wieder-
aufbau auch in der Bundesrepublik Deutschland.

Es ist aber gut und klug, dass wir schon damals in ei-
nigen Nuancen anders mit den Mitteln aus dem Mar-
shallplan umgegangen sind, als unsere europäischen
Nachbarn dies vielleicht getan haben. Wir haben näm-
lich einen großen Teil dieses Vermögens erhalten und
schütten seit sechseinhalb Jahrzehnten im Grunde ge-
nommen lediglich Zinsgewinne aus, die wir für die Ver-
billigung von Krediten einsetzen, wie wir eben schon
mehrfach gehört haben, womit wir über die Jahre eine,
wie ich finde, hervorragende Mittelstands- und Kleinun-
ternehmerförderung in diesem Land aufgebaut haben.
Das wollen wir auch in diesem Jahr fortsetzen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wie wir gehört haben, bewirken circa 340 Millionen
Euro einen Hebel von 6,7 Milliarden Euro an Krediten in
diesem Bereich. Wenn man sich die volkswirtschaftli-
chen Effekte, die dadurch entstehen – vom gesamten
Kreditvolumen werden oft nur 10 bis 15 Prozent durch
eine Hausbank gewährt –, und die gesamte volkswirt-
schaftliche Wertschöpfung anschaut, dann stellt man
fest, dass es sich um einen gewaltigen Hebel handelt, der
mit diesem im Vergleich zu den Mitteln des Bundeshaus-
halts kleinen Geld ausgelöst wird.

Ich stimme ausdrücklich der Bewertung unseres Bun-
desministers Sigmar Gabriel zu, der in den vergangenen
Tagen gesagt hat: Es ist richtig, dass wir einen Schwer-
punkt auf Unternehmensgründungen und Innovationen
setzen, dass wir aber auch schauen müssen, was wir in
Zukunft in der Wachstumsphase von Unternehmen ma-
chen werden. – Hier wird man sehen, ob das Programm
in den nächsten Jahren anzupassen ist. Wir haben
schließlich Aufholbedarf gegenüber den angelsächsi-
schen Ländern, wenn es um Beteiligungskapital bzw.
Venture Capital geht. Wir müssen darüber nachdenken,
wie wir es schaffen, Risikofinanzierung auch in Wachs-
tumsphasen sicherzustellen, also dann, wenn die Unter-
nehmen über die erste Schwelle der Gründung hinweg
sind und meistens die größten Schwierigkeiten haben,
entsprechende Angebote auf dem Markt zu finden, wenn
sie wachsen wollen. Wir werden als SPD-Fraktion im
Wirtschaftsausschuss darauf achten, dass wir hier in Zu-
kunft ein Stück aufholen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ebenso wichtig wird es sein, auf den Forschungsbe-
reich zu achten. Auch hier kann man von den Angelsach-
sen manchmal lernen. Wir sollten genau hinschauen, was
die Angelsachsen in ihren Exzellenzclustern rund um
Universitäten – bei uns auch rund um Fachhochschu-
len – tun, um Existenzgründungen zu erleichtern und
beispielsweise einen jungen Hochschulabsolventen zu
motivieren, nach seinem Studium eine marktreife Pro-
duktidee zügig in eine Geschäftsidee umzusetzen, ein
Unternehmen zu gründen und so wirtschaftliche Effekte
zu erzielen. Ein Mangel in Deutschland ist, dass das zu
lange dauert. Es gibt gute erste Modellansätze, zum Bei-
spiel das Business-Angels-Modell. Die Schwierigkeit
ist, dass wir in Deutschland zu langsam sind. Auf diese
Art Venture Capital zu generieren, ist zwar erfolgreich.
Aber das Problem ist einfach, dass es bis zu fünf Jahre
dauert. Das ist eine Innovationsbremse. Ich hoffe, dass
wir das in den nächsten Jahren ein Stück weit korrigieren
können. Dabei müssen wir auch über andere Maßnah-
men nachdenken.

Ich möchte auch schließen mit einem Zitat von Herrn
Marshall, das ich ganz gut finde: „Kleine Taten, die man
ausführt, sind besser als große, die man plant.“ In diesem
Sinne wird die SPD-Fraktion dem Gesetzentwurf zu-
stimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801420900

Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Kollege

Ilgen zu seiner ersten Rede.


(Beifall)


Ich beglückwünsche ihn ausdrücklich dafür, dass er die
vorgegebene Redezeit eingehalten hat. Das ist ein gutes
Beispiel für alle Kolleginnen und Kollegen im fairen
Umgang miteinander.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Als Letztem in dieser Debatte erteile ich das Wort
dem Kollegen Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1801421000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ur-
sprünge des ERP-Sondervermögens liegen gut 60 Jahre
zurück. Damals gewährten die USA mit dem Marshall-
plan finanzielle Wiederaufbauhilfe für Deutschland. Aus
dem damit gebildeten Sondervermögen werden seitdem
Gelder vergeben. Ich persönlich bin das erste Mal auf
den Begriff „ERP“ – European Recovery Program –
während meiner Bankausbildung gestoßen, als ich recht
alte Kreditverträge zu Gesicht bekam, die auch noch auf
mechanischen Schreibmaschinen geschrieben worden
waren. Da wir vorhin über die Einsetzung des Ausschus-
ses Digitale Agenda gesprochen haben, mag einem das
ziemlich antiquiert vorkommen. Aber das bezeugt natür-
lich auch die Langfristigkeit der ausgereichten Kredite.

Mit dem ERP-Wirtschaftsplangesetz werden in die-
sem Jahr Mittel aus dem ERP-Sondervermögen in Höhe
von rund 793 Millionen Euro bereitgestellt. Im Rahmen
dieser Mittel ermöglichen sich Ausleihungen für die ver-
schiedenen Kreditprogramme in Höhe von rund 6,4 Mil-
liarden Euro.

Die Festlegung des Wirtschaftsplans für das ERP-
Sondervermögen hat jedes Jahr aufs Neue zu erfolgen.
Man kann schon sagen, dass es ein Glücksfall war, dass
Deutschland neben anderen europäischen Ländern in
den Genuss von Geldern des Marshallplans kam. Ein
fast noch größerer Glücksfall war es aber, dass die dama-
ligen Entscheidungsträger mit den Hilfsgeldern verant-
wortungsvoll und klug umgingen. Durch den Einsatz der
Gelder in Zinsverbilligungsdarlehen konnte ein Hebel
erreicht werden, der die ursprünglichen Hilfsgelder um
ein Vielfaches erhöht hat. Die Kreditprogramme aus
dem ERP-Sondervermögen haben seitdem auf vielfache
Weise positive Auswirkungen auf die deutsche Wirt-
schaft und vor allem auf den deutschen Mittelstand ge-
habt.

Heute helfen ERP-Förderungen beispielsweise zahl-
reichen Existenzgründern und mittelständischen Unter-
nehmen. Wir haben heute bei der Debatte zum Jahres-
wirtschaftsbericht gehört, dass wir Gründer und
Innovationen brauchen. Gerade Existenzgründer sowie
kleine und mittlere Unternehmen stoßen immer noch auf
Finanzierungsschwierigkeiten. Sie haben oft wenig Ei-
genkapital oder zu geringe Sicherheiten. Dadurch be-
dingt sind hohe Kreditkosten. Auch hier setzen die Pro-
gramme an, indem sie helfen, Existenzgründungen zu
ermöglichen und Innovationen zu fördern.

Zu den einzelnen Programmen. Die ERP-Programme
legen das Hauptaugenmerk auf die Finanzierungserfor-
dernisse des Mittelstandes, auf Unternehmensgründun-
gen, die Regionalförderung, die Beteiligungsfinanzie-
rung und die Exportfinanzierung.

Unter die Gründungsfinanzierung fällt das ERP-Kapi-
tal zur Gründung, das vor allem Existenzgründer in der
gewerblichen Wirtschaft unterstützt. Zudem wird der
klassische zinsverbilligte und langfristige ERP-Gründer-
kredit vergeben. Seit 2013 gibt es zusätzlich den High-
techgründerfonds, der technologieorientierten Neugrün-
dungen mit hohem Kapitalbedarf eine Finanzierung auf
Basis von Beteiligungskapital bietet. Das Volumen der
Gründerkredite beträgt rund 3,7 Milliarden Euro.

Ein zweiter Punkt ist das Regionalförderprogramm.
In allen förderberechtigten Regionen Deutschlands, also
vornehmlich im Osten Deutschlands, aber auch im Osten
Bayerns, steht das Regionalförderprogramm zur Verfü-
gung, welches vor allem für kleinere und mittlere Unter-
nehmen Fördermöglichkeiten bietet. Dieses Programm
umfasst rund 300 Millionen Euro.

Ein dritter Programmschwerpunkt ist die Innovations-
finanzierung. Sie unterstützt die Unternehmen bei der
Markteinführung von innovativen Produkten. Dieses
Programm umfasst rund 1 Milliarde Euro an geplanten
Kreditausreichungen.

Jetzt habe ich eine Frage: Heute Vormittag gab es ein
Glas Wasser. Ob es vielleicht möglich wäre, auch jetzt
eines bereitzustellen?


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801421100

Im Notfall wird das gereicht. Wir lassen es gleich

bringen.


(Heiterkeit – Carsten Träger [SPD]: Ein Weißbier!)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1801421200

Das wäre nett. Ich nehme auch, wie es meinem Wahl-

kreis Erding-Ebersberg angemessen ist, gerne ein Weiß-
bier,


(Heiterkeit und Beifall – Carsten Träger [SPD]: Ein vernünftiger Beitrag zu dem Land!)


obwohl wir bei der nüchternen Betrachtung der Tatsa-
chen bleiben wollen.


(Thomas Lutze [DIE LINKE]: Es gibt auch alkoholfreies Weißbier!)


Als letzter Punkt des ERP-Programmes stehen die
ERP-Exportfinanzierungsprogramme zur Verfügung,
welche ebenfalls rund 1 Milliarde Euro ausmachen. Die
durch die Programme verwirklichten Förderziele haben
wir auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Ich bin
mir sicher, dass wir damit gute Voraussetzungen für den
Wirtschaftsstandort schaffen.

Lassen Sie mich noch einmal auf den Jahreswirt-
schaftsbericht zu sprechen kommen. Dieser betont, wie
gesagt, die Wichtigkeit von Firmengründungen und
Innovationen für den Wirtschaftsstandort. Es geht also
darum, den Übergang von der innovativen Idee zum Pro-
dukt zu begleiten und zu unterstützen, ein Prozess, der
auch immer Risiken beinhaltet. Christian Morgenstern
hat dies poetisch formuliert, indem er meinte: „Jede
Schöpfung ist ein Wagnis.“ Manchmal muss der Mut
eben ein wenig angestoßen werden. Das gelingt uns mit
zielgenauen ERP-Programmen. Ebenso wichtig ist es,
Innovationen von Hochschulen in marktfähige Produkte
umzusetzen. Auch hierfür bieten die ERP-Programme
Ansätze.






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Andreas Lenz

Der Gefahr, dass sinnvolle und für unser Land wich-
tige Innovationen und Unternehmensgründungen unter-
bleiben, müssen wir weiter entschieden begegnen. Ge-
rade in Zeiten, in denen sich die Beschäftigung Gott sei
Dank auf einem Rekordniveau befindet, überlegen sich
junge potenzielle Firmengründer zweimal, ob sie in ei-
nen sehr aufnahmefähigen Arbeitsmarkt gehen und da-
mit eine relative Sicherheit erlangen oder ob sie das
Wagnis einer Unternehmensgründung auf sich nehmen.

Erlauben Sie mir noch einen kleinen Ausblick. Ge-
rade während der aktuellen Niedrigzinsphase wird die
Frage laut, ob man Zinsverbilligungsmaßnahmen über-
haupt noch braucht. Diese Frage ist sicher berechtigt; je-
doch werden gerade bei Existenzgründungen immer
noch hohe Risikoaufschläge von den Banken gefordert.

Ein viel wichtigerer Punkt bei den ERP-Krediten ist
jedoch deren Langfristigkeit. Diese Langfristigkeit
kombiniert mit einer Zinsvergünstigung ermöglicht es
den Unternehmensgründern und den mittelständischen
Unternehmern, ERP-Kredite eigenkapitalähnlich zu be-
trachten. So ermöglichen gerade ERP-Kredite aufgrund
ihres Kapitalcharakters auch angesichts der Basel-III-
Debatte den kleinen und mittelständischen Unternehmen
eine weiterhin ausreichende Kreditversorgung. Uns geht
es nicht nur um DAX-Konzerne und um deren Vor-
stände, mit denen Herr Franke, wie wir gehört haben,
gerne spricht. Uns als Union geht es um den Mittelstand.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn man in die Zukunft schaut, sieht man, dass ge-
rade die Energiewende große Chancen bietet, auch be-
züglich des ERP-Sondervermögens. Dabei gilt es, sich
unideologisch über Eigenkapitalbeteiligungen am Netz-
ausbau, Stichwort „TenneT“, oder auch am Offshoreaus-
bau zu unterhalten. Auch hier bieten sich Chancen.

Der ERP-Wirtschaftsplan leistet auch in 2014 mit
seinen Förderansätzen einen wichtigen Beitrag zur
Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen und
des Handwerks, unterstützt Innovationen und trägt zur
Schaffung neuer Arbeitsplätze bei. Die Kreditpro-
gramme des ERP-Sondervermögens sind eine einmalige
Erfolgsgeschichte.

Ich freue mich wirklich, mit Ihnen für das ERP-Wirt-
schaftsplangesetz 2014 stimmen zu dürfen, und bedanke
mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801421300

Wir kommen damit zur Abstimmung über den von

der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans
des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2014. Der
Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/500,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/273 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich?
– Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin
Vogler, Cornelia Möhring, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Den Bundesratsbeschluss zur rezeptfreien
Pille danach schnell umsetzen

Drucksache 18/303

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Ulle Schauws, Dr. Harald Terpe,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Selbstbestimmung bei der Notfallverhütung
stärken – Pille danach mit Wirkstoff Levo-
norgestrel schnell aus der Verschreibungs-
pflicht entlassen

Drucksache 18/492
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich bitte die Kollegen, die uns verlassen wollen, das
jetzt zu tun, und die, die hierbleiben wollen, Platz zu
nehmen, damit wir in Ruhe in die Beratung eintreten
können.

Ich erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin
Birgit Wöllert, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Wöllert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801421400

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit

unserem Antrag, den Bundesratsbeschluss zur rezept-
freien Pille danach schnell umzusetzen, folgt meine
Fraktion, Die Linke, der Mehrheit der SPD-geführten
Bundesländer und dem Land Baden-Württemberg im
Bundesrat. Auch der Sachverständigenausschuss für
Verschreibungspflicht im Bundesinstitut für Arzneimit-
tel- und Medizinprodukte gab im Januar bereits zum
zweiten Mal die Empfehlung, Levonorgestrel in Zube-
reitung zur Notfallkontrazeption aus der Verschreibungs-
pflicht zu entlassen. Weltgesundheitsorganisation und
Europarat treten ebenfalls für die Freigabe ein. Die Emp-
fehlungen der wissenschaftlichen Expertinnen und Ex-
perten sind eindeutig. Auch die praktischen Erfahrungen
in den meisten europäischen Ländern sprechen für die
Entlassung aus der Verschreibungspflicht.






(A) (C)



(D)(B)

Birgit Wöllert


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Studien und Untersuchungen nach jahrzehntelanger
Erfahrung ergaben:

Erstens. Levonorgestrel ist für die Anwendung zur
Nachverhütung medizinisch unbedenklich.

Zweitens. Es wirkt umso sicherer, je früher es nach
ungeschütztem Sexualkontakt eingenommen wird.

Drittens. Die Informationen zur Anwendung der Pille
danach können auch von sehr jungen Frauen gut verstan-
den werden, und die Einnahme erfolgt auch ohne ärztli-
che Intervention korrekt.

Viertens. Die rezeptfreie Pille danach hat in den ein-
zelnen Ländern nicht, wie von einigen Kollegen, vor al-
lem aus der CDU/CSU-Fraktion, befürchtet, zu einem
veränderten Verhütungsverhalten oder einem riskanteren
Sexualverhalten geführt.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Da sagen die Ärzte aber was anderes!)


Im Bundesrat gab es 2013 eindeutige Voten und Auf-
träge für die Entlassung aus der Verschreibungspflicht,
so zuletzt am 8. November 2013.

Nun ist die Frage: Was hält einen Gesundheitsminis-
ter davon ab, einer solchen Aufforderung des Bundesra-
tes zu folgen? Nun ist der Herr Bundesminister heute lei-
der nicht da, aber ich denke, die Frau Parlamentarische
Staatssekretärin wird ihm das gern übermitteln. Dan-
kenswerterweise hat er uns seine Beweggründe, warum
er zu dieser Auffassung kommt, über Interviews mit der
Presse bereits mitgeteilt. – Schön!


(Beifall bei der LINKEN)


Der Herr Bundesminister erklärt, er sorge sich um die
Gesundheit der Frauen. Er sagt:

Wir brauchen einen zügigen, diskriminierungs-
freien Zugang zur „Pille danach“, und wir brauchen
eine gute Beratung.

Das war ein Zitat von ihm aus der Welt am Sonntag.

Bis dahin, denke ich, ist das alles in Ordnung. Herr
Minister, da sind wir völlig einer Meinung; das können
Sie ihm ausrichten, Frau Parlamentarische Staatssekretä-
rin. Es gibt gar keinen Dissens.

Nun geht das Zitat aber mit einer Schlussfolgerung
weiter. Er sagt:

Das

– gemeint ist die Beratung –

ist am besten gewährleistet, wenn es bei der Ver-
schreibungspflicht bleibt.

Für mich ist die Frage: Möchte Minister Gröhe damit
sagen, eine Apothekerin oder ein Apotheker kann diese
Beratung nicht durchführen? Damit sind wir nun über-
haupt nicht einverstanden. Die Pille danach soll es ja
nicht am Kiosk oder im Supermarkt geben. Sie bleibt
apothekenpflichtig.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


„Zügig und diskriminierungsfrei“, wie von Herrn
Minister selbst formuliert, heißt doch nichts anderes als:
so schnell verfügbar wie möglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Aussage, dass in Deutschland eine zügige ärztliche
Beratung meist innerhalb weniger Stunden ermöglicht
werden könne, geht in vielen Regionen unseres Landes
schon längst an der Realität vorbei. Ich lebe in der Nie-
derlausitz, einer überwiegend ländlichen Gegend mit
schon häufig unterdurchschnittlicher fachärztlicher Ver-
sorgung. Die Wege bis zu einer Gynäkologin oder einem
Gynäkologen sind oft ziemlich lang. Ab freitagnachmit-
tags sind nur noch die Rettungsstellen der Krankenhäu-
ser erreichbar, und nicht in jedem Ort, in dem es eine
Rettungsstelle im Krankenhaus gibt, ist dann auch eine
Apotheke geöffnet.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Genau so ist es!)


Da kommen ganz schnell schon mal 30 Kilometer Ent-
fernung von der Stelle, wo man sich beim Arzt beraten
lassen soll, bis zur nächsten Apotheke zusammen, und
dann muss man auch noch zum Wohnort. Da frage ich:
Ist das schnell und zügig?

Was also tun im Notfall? Hat frau nicht selbst Führer-
schein und Auto, muss sie jemanden fragen. Dann muss
sie zu einer Ärztin oder einem Arzt, wo sie alles noch
einmal erklären muss. Dann kommt die Apotheke. Alles
zusammen sind das ziemlich viele Hürden.

Dabei rede ich noch nicht von den finanziellen Auf-
wendungen, die notwendig sind, um an das Notfallprä-
parat zu kommen. Sexuelle Selbstbestimmung und Frau-
engesundheit zusammenzubringen, darum geht es uns
allen. Was aber soll der Hinweis von Herrn Minister
Gröhe, in einzelnen Fällen könne es auch schwere Ne-
benwirkungen geben? Hier wird unzulässig übertrieben
und Angst geschürt.


(Beifall bei der LINKEN)


Levonorgestrel ist als Wirkstoff seit über 40 Jahren auf
dem internationalen Markt, ohne dass schwerwiegende
Probleme bekannt geworden wären.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, 1994 erklär-
ten in Kairo auf der internationalen Konferenz über Be-
völkerung und Entwicklung 179 Staaten die Familien-
planung zum Menschenrecht. Damit wurde ein
Richtungswechsel eingeleitet: von einem überwiegend
bevölkerungspolitischen Ansatz zu einem Ansatz, der
sich am einzelnen Menschen und an den allgemeinen
Menschenrechten orientiert. Das schließt das Recht auf
Entscheidung hinsichtlich der eigenen Fortpflanzung
ebenso ein wie das Recht von Frauen, über ihre Sexuali-
tät selbstbestimmt und verantwortungsbewusst zu ent-
scheiden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)

Birgit Wöllert

Wir dürfen die Augen jedoch nicht davor verschlie-
ßen, dass sich nicht wenige Frauen Verhütungsmittel
nicht mehr leisten können oder in Abwägung mit ande-
ren Notwendigkeiten ihre Prioritäten anders setzen müs-
sen. Die ökonomische Realität vieler Frauen, vor allem
alleinerziehender junger Frauen, zeigt, dass sie über-
durchschnittlich oft an der Armutsgrenze leben. Gerade
deshalb muss mit der Entlassung aus der Verschrei-
bungspflicht eine Regelung zur Kostenerstattung durch
die gesetzliche Krankenversicherung einhergehen, damit
es wenigstens keine Verschlechterung für Frauen bis zu
20 Jahren gibt.


(Beifall bei der LINKEN)


S
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1801421500
Bei Risiken
und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apo-
theker. Da bei der Pille danach das größte Risiko für die
Frauen der Faktor Zeit ist, sollten wir dem kleinen Wört-
chen „oder“ mehr Bedeutung beimessen und eine Re-
zeptfreiheit der Pille danach zügig auf den Weg bringen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Seit gestern gibt es dazu eine Unterschriftensammlung
im Internet. Innerhalb von 36 Stunden kamen dabei
schon 20 000 Unterschriften zusammen. Auch deshalb
stimmt meine Fraktion der Überweisung der Vorlagen in
den Gesundheitsausschuss zu. Ich denke, eine breite Dis-
kussion kann uns helfen, das berechtigte Anliegen doch
noch mit einer Mehrheit auf den Weg zu bringen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801421600

Das war, liebe Kolleginnen und Kollegen, die erste

Rede der Kollegin Birgit Wöllert im Deutschen Bundes-
tag. Dazu gratuliere ich Ihnen im Namen des gesamten
Hauses.


(Beifall)


Ich muss einmal die Geschäftsführer der Linken fra-
gen: Eben ist gesagt worden, dass Sie der Überweisung
zustimmen wollen. Mir liegt ein Antrag vor, direkt abzu-
stimmen. Ist das damit geändert?


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Ja, das ist geändert worden!)


– Okay, danke schön.

Jetzt hat für die Bundesregierung die Frau Parlamen-
tarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


A
Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1801421700


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren heute verschiedene Anträge
der Oppositionsfraktionen mit dem Ziel, den Arzneimit-
telwirkstoff Levonorgestrel, eine Variante der Pille da-
nach, aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Anders
als immer wieder behauptet wird, ist bei Frauen und
Mädchen das Informationsbedürfnis bei diesem Thema
groß. Das merkt jeder, der einmal in die entsprechenden
Foren im Internet geschaut hat. Die Einträge zeigen aber
auch ganz deutlich, dass es in diesen Fällen – sie reichen
von der klassischen Verhütungspanne über ungeschütz-
ten Sex bis hin zu Vergewaltigungen – nicht nur ein gro-
ßes Informations-, sondern auch ein Beratungsbedürfnis
bei den Betroffenen gibt. Die Frage, ob es dann über-
haupt noch eine Notfallverhütungsmethode gibt und,
wenn ja, wie und bis wann sie wirkt, welche Nebenwir-
kungen auftreten können und welche Kosten entstehen,
ist das eine.

Es geht aber um noch mehr: Es geht um die sehr indi-
viduelle und unterschiedliche Betroffenheit von Frauen
und Mädchen in solchen Situationen. Wer die Pille da-
nach braucht, hat ganz konkret Angst – Angst vor einer
möglichen Schwangerschaft – und braucht zeitnah und
niederschwellig kompetente medizinische Hilfe. Das ist
mehr als die bloße Abgabe eines Medikaments, und es
erfordert auch mehr, als in der Regel am Nachtschalter
einer Apotheke oder gar von einer Versandapotheke,
ganz zu schweigen von einer Pick-up-Stelle, geleistet
werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die wollen Sie doch, die Versandapotheke!)


Das sind Information, Aufklärung, Beratung und ge-
gebenenfalls eine eingehende Untersuchung und psycho-
soziale Begleitung. Gerade in solchen Notsituationen hat
sich ein vertrauensvolles und geschütztes Arzt-Patien-
ten-Verhältnis in unserem Land bewährt. Hier kann das
geeignete Mittel zur Notfallkontrazeption ausgewählt
und über individuelle Risiken und Nebenwirkungen ge-
sprochen und können im Übrigen auch weitere Risiken
wie zum Beispiel sexuell übertragbare Krankheiten ab-
geklärt werden. All das steht auf dem Spiel, wenn es zu
einer Entlassung aus der Verschreibungspflicht kommt.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der demonstrative Anstieg von Geschlechtskrankheiten in anderen Ländern?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das können wir
doch nicht wollen. Uns geht es gerade nicht, wie häufig
unterstellt wird, darum, einer Frau die Pille danach vor-
zuenthalten oder gar eine moralische Bewertung von Se-
xualverhalten vorzunehmen. Nein, im Mittelpunkt unse-
rer Entscheidung muss die Gesundheit der Frauen
stehen, die medizinischen Aspekte und ihre sexuelle
Selbstbestimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Beides gehört zusammen. Deshalb müssen wir sehr
sorgfältig abwägen. Dabei spielen mehrere Gesichts-
punkte eine Rolle: zum einen die schnelle Verfügbarkeit
– es wurde bereits angesprochen –, zum anderen die
Wirksamkeit und ebenso die gesundheitlichen Risiken,






(A) (C)



(D)(B)

Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz

die mit hochdosierten Hormonpräparaten verbunden
sind.

Sie wissen es alle: Es gibt die Pille danach mit zwei
verschiedenen Wirkstoffen. Je nach Zeitpunkt der Ein-
nahme und Verlauf des Zyklus einer Frau, je nach Kör-
pergewicht können entweder beide Wirkstoffe oder nur
einer oder beide nicht mehr geeignet sein.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801421800

Frau Staatssekretärin, es gibt den Wunsch einer Zwi-

schenfrage der Kollegin Vogler von der Linken. Mögen
Sie diese zulassen?

A
Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1801421900


Ja, lasse ich gern zu.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801422000

Bitte schön, Frau Kollegin.


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801422100

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, liebe Kollegin

Widmann-Mauz, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. –
Ich muss auf zwei Aspekte eingehen.

Zum einen tun Sie hier so, als würden wir mit unse-
rem Antrag das Ansinnen verfolgen, Frauen, die eine
psychosoziale oder gesundheitliche Beratung brauchen,
davon abzuhalten, eine Frauenärztin oder einen Frauen-
arzt aufzusuchen. Ich möchte Sie bitten, unseren Antrag
noch einmal zu lesen. Das ist nicht der Fall. Wir wollen
lediglich Frauen die Möglichkeit geben, selber zu ent-
scheiden, ob sie in einer solchen Situation, in der viel-
leicht ein Kondom geplatzt oder etwas anderes passiert
ist, einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen wollen oder
ob sie das nicht für notwendig halten. Denn auch das ge-
hört zur Selbstbestimmung dazu: dass ich selber ent-
scheide, wann und von wem ich mich beraten oder gege-
benenfalls körperlich untersuchen lasse.

Zum anderen möchte ich Sie fragen, ob Sie mir erklä-
ren können, wofür wir eigentlich eine Bundesbehörde
wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-
dukte haben, das extra einen Sachverständigenausschuss
eingerichtet hat, der kompetent und unabhängig von Ein-
zelinteressen analysieren und beurteilen soll, ob ein Me-
dikament verschreibungspflichtig sein soll oder nicht,
wenn die Bundesregierung die Entscheidung dieses Aus-
schusses offensichtlich überhaupt nicht interessiert.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist ja schon eine Rede! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Ist das jetzt eine Frage? – Gegenrufe von der LINKEN: Das ist eine Bemerkung!)


Wir beraten das Thema ja schon länger. Wir haben in
der letzten Wahlperiode auch eine Anhörung durchge-
führt. Jetzt haben Sie mir auf eine schriftliche Anfrage
geantwortet, dass die Bundesregierung die Verschrei-
bungspflicht unter Einbeziehung aller Aspekte und in ei-
nem angemessenen Zeitrahmen prüfen möchte.
Nun frage ich Sie: Meinen Sie nicht, dass die Diskus-
sionen der Vergangenheit und die Entscheidung des
Bundesrates und die Entscheidung des BfArM-Sachver-
ständigenausschusses dazu drängen, dass eine Entschei-
dung in dieser Sache einigermaßen „zügig“ – ich zitiere
den Bundesgesundheitsminister – erfolgen sollte?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


A
Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1801422200


Liebe Frau Kollegin Vogler, zu Ihrer ersten Frage: Ich
unterstelle niemandem etwas. Umgekehrt lässt sich auch
die Bundesregierung nicht unterstellen, sie wolle die
Pille danach Frauen vorenthalten, nur weil sie Wert auf
die ärztliche Beratung legt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, diese Klarstellung sollte bei dieser Gelegen-
heit vorgenommen werden. Im Gegenteil: Wir nehmen
die Argumente, die Sie und andere Experten vorgebracht
haben, sehr ernst. Deshalb versuche ich, in dieser De-
batte den Abwägungsprozess darzustellen.

Ich werde im Laufe meiner Rede auf die zweite
Frage, die Sie gestellt haben, eingehen. Wenn Sie mir
gestatten, würde ich jetzt die Argumentation schlüssig
und nachvollziehbar fortsetzen. Es ist wichtig, dass wir
die verschiedenen Aspekte abwägen. Hierzu gehören die
Aspekte der Schnelligkeit – ich habe es angesprochen –
und der Wirksamkeit und die Frage, wie wir damit um-
gehen.

Ich hatte gerade begonnen, auszuführen, dass wir hier
zwei Wirkstoffe haben. Wenn ein Wirkstoff aus der Ver-
schreibungspflicht entlassen würde, wären in der Konse-
quenz die Frauen, die nicht zum Arzt gehen – aus wel-
chem Grund auch immer; das ist ihnen unbenommen –,
auf ein Medikament festgelegt, und zwar unabhängig da-
von, ob es in der konkreten Situation für die Frau das
medizinisch richtige und geeignetste Präparat ist. Auch
das muss der Bundesgesundheitsminister abwägen.

Wir wollen, dass der Anspruch, den wir an unser Ge-
sundheitswesen stellen – die beste Versorgung der Pa-
tienten in unserem Land –, auch realisiert wird. Mit die-
ser Meinung stehen wir im Übrigen nicht alleine. Auch
die deutsche Ärzteschaft mit ihrem Bundesärztekammer-
präsidenten, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, der
Verband der Frauenärzte und die gynäkologischen Fach-
gesellschaften sehen das so. Das haben sie in einer An-
hörung vor dem Deutschen Bundestag in der letzten
Legislaturperiode dargelegt. Auch der Sachverständi-
genausschuss beim BfArM und die WHO haben gewich-
tige Argumente. Diese nehmen wir ernst und wägen wir
ab. Ich muss an dieser Stelle schon deutlich machen,
dass die WHO sicherlich andere Länder vor Augen
hatte, als sie ihren Beschluss gefasst hat;


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)

Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz

denn nicht in allen Ländern – auch nicht in Europa – ha-
ben die Menschen einen so niedrigschwelligen, flächen-
deckenden und umfassenden Zugang zu medizinischer
Versorgung wie in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei uns ist die Situation nun einmal anders.


(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Aber leider nicht überall!)


Die Zahlen sprechen für sich. Die Pille danach wurde al-
lein im letzten Jahr weit über 400 000-mal verschrieben.
Ganz offenkundig kommt unser System also gut mit der
Herausforderung klar, Patientin und Arzt schnell zusam-
menzubringen. Das müssen wir doch auch berücksichti-
gen.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
tion, argumentieren, der Sachverständigenausschuss
sehe keine Gründe, die gegen eine Freigabe sprächen.
Wenn ich den Beschluss richtig gelesen habe, dann hält
der Sachverständigenausschuss eine umfassende Bera-
tung vor der Abgabe der Pille danach für erforderlich.
Länder wie Großbritannien oder die Schweiz, die die
Pille danach aus der Verschreibungspflicht entlassen ha-
ben, fordern deshalb in den Apotheken umfangreich do-
kumentierte Auskünfte der Frauen. Mir liegt hier ein
Protokollformular aus der Schweiz vor. Ich zitiere aus
dem Fragenkatalog. Da heißt es: Hatten Sie seit der letz-
ten Periode noch ein anderes Mal ungeschützten Ge-
schlechtsverkehr? Oder: Wie schützen Sie sich norma-
lerweise vor einer Schwangerschaft?


(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Wen geht denn das was an?)


Gar nicht, Kondom, Pille, Spirale, natürliche Methode
usw.? – Ich sage Ihnen: Glauben Sie mir, diese Fragen
bespricht eine Frau lieber vertraulich mit einem Arzt in
der Praxis oder einem Krankenhaus als im Verkaufsraum
einer Apotheke.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen ist die Empfehlung des Sachverständi-
genausschusses nicht neu. Eine entsprechende Äußerung
gab es schon im Jahr 2003; das haben Sie richtig darge-
stellt. Auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt
und beide Nachfolger in ihrem Amt sind diesem Votum
damals nicht mit einer entsprechenden Rechtsverord-
nung nachgekommen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Da gab es den Bundesratsbeschluss auch noch nicht! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Deswegen warten wir noch vier Jahre länger, oder was?)


Im Übrigen gibt es keine politischen Zwangsläufig-
keiten, diese Empfehlungen umzusetzen. Das muss im-
mer von den politisch Verantwortlichen abgewogen wer-
den. Sie beziehen sich ja auf die Mehrheiten im
Bundesrat. Es ist nur erstaunlich, dass der Bundesrat in
derselben Sitzung den Bundesgesundheitsminister auf-
gefordert hat, die Rezeptpflicht für Migränepräparate der
Gruppe der sogenannten Triptane beizubehalten, und
zwar entgegen dem Votum des Sachverständigenaus-
schusses.


(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])


Man kann sich nicht die Dinge heraussuchen, die einem
passen. In der Politik muss man Verantwortung überneh-
men und abwägen.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das müssen wir tun, für Frauen und ihre Selbstbestimmung in der Gesellschaft!)


Es gibt Argumente dafür und dagegen, mit denen wir
uns auseinandersetzen müssen; aber es gibt keine
Zwangsläufigkeit. Wir wägen die Argumente im Inte-
resse der Frauen ab.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir ganz anders!)


Ich fasse zusammen: In der Bundesregierung will nie-
mand einer Frau die Pille danach vorenthalten. Wir wol-
len im Interesse der Gesundheit der Frauen aber auch
nicht auf die ärztliche Beratung verzichten. Das stärkt
Frauen in ihrer Selbstbestimmung und gibt ihnen Sicher-
heit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Was haben Sie für ein Frauenbild?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801422300

Als Nächste hat die Kollegin Kordula Schulz-Asche,

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Bitte schön.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Erklär das noch mal! Vielleicht hilft’s ja!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Staatssekretärin Widmann-Mauz, das war wirklich eine
etwas seltsame Rede;


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Ihre geht schon seltsam los!)


denn Anlass dafür, dass wir heute über das Thema Pille
danach diskutieren – das Thema ist ja nicht vom Himmel
gefallen –, ist, dass im Januar 2014 das Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte, also die Fach-
leute, die die Bundesregierung zur Verfügung hat, um
sich beraten zu lassen, zum wiederholten Male die Auf-
hebung der Verschreibungspflicht für die Pille danach
mit dem Wirkstoff Levonorgestrel empfohlen hat. Das
ist der Grund, warum wir heute darüber reden, inwieweit
wir es schaffen, hier die Verschreibungspflicht aufzuhe-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)

Kordula Schulz-Asche

Mir ist völlig unverständlich, wie der neue Gesund-
heitsminister Gröhe in einer seiner ersten Amtshandlun-
gen erklären konnte – Sie haben es gerade auch getan,
Frau Staatssekretärin –, er wolle trotzdem an der Ver-
schreibungspflicht festhalten, und zwar zum Wohle der
Gesundheit von Frauen. Heißt das denn, dass das Bun-
desinstitut Empfehlungen ausspricht, die zulasten der
Gesundheit von Frauen gehen? Wenn das der Fall ist,
dann müssen Sie diese Experten doch entlassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wer sind denn die Expertinnen und Experten, auf die Sie
sich stützen? Das müssen Sie meiner Meinung nach
transparent machen. Die Entscheidung, ob ein Medika-
ment aus der Verschreibungspflicht entlassen werden
kann, darf nur auf der Grundlage wissenschaftlicher Be-
wertungen erfolgen, nicht aber aufgrund von Ideologien
und ökonomischen Interessen Einzelner.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Pille danach mit dem Wirkstoff Levonorgestrel
gilt seit sehr vielen Jahren als bewährtes und sicheres
Arzneimittel und ist in ganz Europa – außer in Deutsch-
land, Polen und Italien – rezeptfrei erhältlich und wird
von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen. Auch
in Deutschland werden die Gegner immer weniger. Zu-
rück bleiben die organisierte Ärztelobby sowie Teile der
CDU und natürlich der CSU. Ich hoffe, dass das heutzu-
tage nicht mehr reicht, um das Selbstbestimmungsrecht
von Frauen in Notfällen infrage zu stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Die Pille danach muss bis maximal 72 Stunden nach
ungeschütztem Geschlechtsverkehr eingenommen wer-
den, um eine Schwangerschaft zu verhindern. Eine be-
reits eingetretene Schwangerschaft kann durch das Me-
dikament nicht beendet werden. Die Pille danach ist also
ein Verhütungs- und kein Abtreibungsmittel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bereits hier sitzen Sie falschen Beratern auf, wenn Sie
eine gegensätzliche Position vertreten, wie Sie es gerade
getan haben.

Aufgrund der derzeitigen Rezeptpflicht ist eine ärztli-
che Verschreibung notwendig. Die Pille danach wirkt
aber umso besser, je früher sie eingenommen wird. Das
ist ein weiterer Grund dafür, die Verschreibungspflicht
abzuschaffen. Über die Hälfte der ärztlichen Verordnun-
gen erfolgt in Deutschland montags und dienstags – das
zeigt doch, dass eine vernünftige Beratung am Wochen-
ende nicht stattfindet –, und dann ist die Wirkung unter
Umständen bereits reduziert. Das ist ein Risiko, dem
man Frauen ohne besonderen Grund nicht weiter ausset-
zen darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


F
Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1801422400
Natürlich bedarf es auch bei rezeptfreien Medika-
menten wie der Pille danach umfassender Aufklärung
und Beratung in der Apotheke und gegebenenfalls auch
des Verweises auf andere Experten. Das ist übrigens ein
wesentlicher Bestandteil unseres Antrages. Ich war ei-
gentlich davon ausgegangen, dass Sie das gelesen haben.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht ja nicht nur um mögliche Nebenwirkungen
des Medikaments, sondern auch darum, die Kompeten-
zen von Frauen durch die Beratung zu stärken, um
selbstbestimmt entscheiden zu können, ob sie die Pille
danach nehmen möchten oder nicht. Um diese Beratung
geht es uns. Wir müssen natürlich dafür sorgen, dass sie
in bester Qualität erfolgen kann. Aber ich kann beim
besten Willen nicht verstehen, warum unsere hochquali-
fizierten Apothekerinnen und Apotheker diese Beratung
nicht mindestens genauso gut leisten können sollen wie
der Bereitschaftsdienst am Wochenende, beispielsweise
durch einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Entscheidend ist doch, dass endlich die Lebensrealität
und die Rechte von Frauen, ganz besonders dann, wenn
sie in Not geraten sind, berücksichtigt werden. Dazu ge-
hört auch die Kostenübernahme, die ebenfalls Teil unse-
res Antrages ist. Bei einem Medikament mit überflüssi-
ger Rezeptpflicht sollten sie selbstbestimmt entscheiden
können, ob sie es anwenden oder nicht.

Ich freue mich sehr über den großen Zuspruch, die die
derzeit laufende Petition bereits bekommen hat. Frauen
haben das Recht auf Beratung. Aber niemand hat das
Recht, sie zu bevormunden,


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


weder Ideologen oder Ärzteverbände noch ein Bundes-
gesundheitsminister oder seine Staatssekretärin.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801422500

Das war die erste Rede unserer Kollegin Kordula

Schulz-Asche im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere
Ihnen dazu im Namen des ganzen Hauses.


(Beifall)


Als Nächster hat das Wort der Kollege Dr. Karl
Lauterbach, SPD-Fraktion.


Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1801422600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es wurde schon über die Sicherheit der Pille da-






(A)



(D)(B)

Dr. Karl Lauterbach

nach mit dem Wirkstoff Levonorgestrel gesprochen. Das
Produkt ist seit 1966 auf dem Markt. Seit mehr als
20 Jahren wird es als Pille danach eingesetzt. Im Jahr
2013 wurde es 460 000 Mal verschrieben. In 79 Ländern
ist es rezeptfrei erhältlich. Die Weltgesundheitsorganisa-
tion – bei allem Respekt vor dem medizinischen Sach-
verstand des Ministers oder der Staatssekretärin –


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


zieht in ihrer Bewertung der Pille danach das Fazit:

Die sorgfältige evidenzbasierte Bewertung zeigt,
dass die Nachverhütungsmethode auf der Basis von
LNG sehr sicher ist. Sie wirkt nicht abortiv oder
schädigend auf eine bereits bestehende Schwanger-
schaft. Nebenwirkungen sind selten und verlaufen
in der Regel mild.

Was will man mehr? Im Wesentlichen ist er einer der si-
chersten Wirkstoffe, die auf dem Markt sind.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mittlerweile gibt es zu diesem Wirkstoff kaum mehr
Studien. In der letzten großen Auswertung der neueren
Studien mit der Beteiligung von insgesamt 10 500 Frauen,
die das Produkt eingenommen hatten, wurde darauf hin-
gewiesen, dass die Wirksamkeit zwischen 52 und
94 Prozent liegt – das ist keine so gute Wirksamkeit –,
aber dass der entscheidende Faktor, der die Wirksamkeit
bestimmt, die Zeit ist.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)


Das Wichtigste im Zusammenhang mit dem Wirkstoff
ist: Wie früh wird er eingenommen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der jetzt vorgetragene Vorschlag trägt allerdings nicht
zur Lösung bei.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Hauptproblem ist, dass das Produkt zu spät einge-
nommen wird, und dazu leistet Ihr willkürlicher Vor-
schlag einen Beitrag. Das ist nicht schön.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Kollegen von der Union – davor habe ich großen
Respekt – weisen auf die in der Regel qualitativ hoch-
wertige Beratung durch den Apotheker hin.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das wäre die Gelegenheit, die Apotheker zu verteidigen;
denn über diesen Wirkstoff können sie ohne Wenn und
Aber beraten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es wird aber nicht verboten, die Frauenärztin zu konsul-
tieren. Der Frau, die dem Apotheker die Beratung nicht
zutraut, die glaubt, dass der Apotheker das nicht schafft,
wird es doch nicht verboten, zur Frauenärztin zu gehen
und sich weitergehend beraten zu lassen. Es geht doch
nicht um das Verbot der Beratung durch den Arzt, son-
dern um eine Ergänzung in Form einer Beratung durch
den Apotheker.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier sollen die Rechte der Frauen gestärkt werden und
nicht die Rechte der Gynäkologen eingeschränkt wer-
den, was Sie natürlich berechtigterweise befürchten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das gilt für alle Medikamente!)


Ich komme zum Fazit: Es scheint hier so zu sein, dass
Frauen in einer Notlage – das ist sicherlich immer eine
Notlage –


(Mechthild Rawert [SPD]: Mit Sicherheit!)


das Recht auf Hilfe ohne gute Begründung, also willkür-
lich, vorenthalten werden soll. Das ist nicht zeitgemäß.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801422700

Herr Kollege Dr. Lauterbach, Frau Kollegin Vogler

fragt nach einer Zwischenfrage oder Zwischenbemer-
kung. Lassen Sie sie zu?


Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1801422800

Ja, okay.


(Zuruf von der LINKEN: Ein bisschen freudiger! – Gegenruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]: Liebend gern, meint er!)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801422900

Vielen Dank, Herr Kollege Lauterbach, dass Sie die

Zwischenfrage zulassen. Ich richte meine Frage an Sie,
weil ich annehme, dass Sie den nötigen medizinischen
Sachverstand mitbringen, um die Frage beantworten zu
können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Tino Sorge [CDU/CSU]: Ist das so?)


In einer Ausgabe des arznei-telegramms – das ist Ih-
nen sicherlich bekannt – aus dem vergangenen Jahr wird
unter Bezugnahme auf eine Studie über die Präparate,
die im Fall einer Verhütungspanne als Notfallverhü-
tungsmittel verordnet werden können, gesagt, welches
Präparat verordnet werden sollte. Kolleginnen und
Kollegen von der Union laufen derzeit überall herum
und sagen: Wenn man Levonorgestrel in der Apotheke
frei kaufen könnte, dann würde das aus ihrer Sicht bes-
sere Mittel, Ulipristalacetat, den Frauen möglicherweise
vorenthalten werden. Nun kommt das arznei-telegramm

(C)







(A) (C)



(D)(B)

Kathrin Vogler

aber zu dem Schluss – dabei bezieht es sich auf das Bun-
desinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte –, dass
eine höhere Wirksamkeit von Ulipristalacetat gegenüber
Levonorgestrel nach wie vor nicht belegt ist. In der Stel-
lungnahme heißt es – ich zitiere –:

In der Tat sehen wir den Vorteil von Levonorgestrel
vor allem in den langjährigen Erfahrungen, die mit
diesem Wirkstoff bestehen. Dabei sind nach epide-
miologischen Studien fetale Fehlbildungen … nicht
zu erwarten. Für Ulipristalacetat gibt es hingegen
weiterhin kaum Sicherheitsdaten. Zudem ist dieser
Wirkstoff an unter 18-Jährigen kaum geprüft.

Würden Sie mir zustimmen, dass die Argumentation,
die wir von Unionskollegen oft hören, dass Ulipristal-
acetat das bessere Mittel sei und man eine Freigabe, also
den Wegfall der Verschreibungspflicht von Levonorges-
trel deswegen nicht in Betracht ziehen könne, nicht von
medizinischem oder pharmakologischem Sachverstand
geprägt ist?


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Warum gibt man dann nicht alles frei?)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1801423000

Sagen wir es einmal so: Ich habe die Studie im Rah-

men meiner Vorbereitung auf diese Rede gesehen. Es ist
ganz klar – das ist unisono die Expertenmeinung –, dass
LNG, also der hier zur Debatte stehende Wirkstoff, der
frei vergeben werden soll, besser untersucht ist. Er ist
schlicht besser untersucht und somit sicherer. Ob die
Wirksamkeit die gleiche ist, weiß man heute nicht. Wenn
ich als Arzt etwas zu empfehlen hätte, würde ich auf den
sicheren und besser untersuchten Wirkstoff zurückgrei-
fen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und zwar schlicht und ergreifend, weil klar bewiesen ist,
dass es, wenn es trotz des Einsatzes von LNG zu einer
Schwangerschaft kommt, nicht zu einer Schädigung des
Kindes kommt. Das ist aus meiner Sicht der wichtigste
Punkt. Darauf würde ich den größten Wert legen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das Produkt ist, aus dieser Perspektive heraus betrachtet,
sicher: Wenn es nicht wirkt, da zu spät eingenommen,
nimmt das Kind keinen Schaden. Darauf käme es mir in
diesem Zusammenhang besonders an.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will noch einen Punkt ansprechen. Hier wurde ge-
sagt, dass das Produkt 460 000 Mal eingenommen wor-
den ist. Dies sei Beweis dafür, dass die geltende Rege-
lung greift. Ich warne vor dieser Schlussfolgerung: In
50 Prozent der Fälle wurde es zu spät eingenommen und
wirkte deshalb nicht. Es ist 460 000 Mal verschrieben
worden. Wie viele ungewollte Schwangerschaften trotz-
dem entstanden sind und dann abgebrochen werden
mussten, geht aus dieser Statistik nicht hervor. Die
Hauptnebenwirkung einer zu späten Einnahme ist die
Abtreibung. Ich glaube, wir hier im Saal sind alle der
Meinung, dass eine vermeidbare Abtreibung vermieden
werden sollte, insbesondere wenn das so sicher und so
leicht geht.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Abschluss. Wir dürfen die Realität nicht verken-
nen: Was passiert denn, wenn eine Frau beispielsweise
im Internet liest, dass es zeitlich knapp wird, dass sie den
Frauenarzt kaum noch aufsuchen kann, um die Pille da-
nach einnehmen zu können? Viele greifen dann zur
Selbstmedikation, indem sie mehrere Pillen mit einem
anderen Wirkstoff auf einmal einnehmen oder sich Pillen
mit diesem Wirkstoff bei Bekannten oder Freundinnen
besorgen. Machen wir uns bitte nichts vor: Jeder Arzt
weiß, dass eine weit verbreitete Praxis die ist, dass man
dann bei Freundinnen und Bekannten nachfragt, womit
sie verhüten, um dann auszurechnen, wie man auf die
Menge Wirkstoff kommt, mit der man glaubt, die Wir-
kung der Pille danach darstellen zu können. Das ist eine
sehr gefährliche Praxis. Ich persönlich würde mich aus
ärztlicher Sicht mit dem sicheren Wirkstoff, den der
Apotheker aushändigt, wohler fühlen. Diese weit ver-
breitet Praxis sollte man nicht in Kauf nehmen.

In der Summe macht es den Eindruck, dass hier die
Freiheitsrechte der Frauen eingeschränkt werden sollen,
dass hier ein Exempel statuiert werden soll und man
sagt: Ein bisschen Strafe muss sein. Geht zumindest zum
Frauenarzt! – Das halte ich für eine nicht angemessene
Position.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sehen übrigens auch die Frauenärzte so.

In der Apotheke werden Wirkstoffe wie Aspirin, Pa-
racetamol und Ibuprofen verkauft, die, wenn sie unsach-
gemäß eingenommen werden, sehr viel gefährlicher
sind.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Aspirin verursacht Magenblutungen. Paracetamol hat,
wenn es zu hoch dosiert eingenommen wird, schwerste
Leberschäden zur Folge; das wird mir die Kollegin hier
bestätigen. Ibuprofen führt, wenn es zu hoch dosiert ein-
genommen, wird, Herr Henke, zu Schädigungen der
Nieren. Ich könnte ohne Mühe die mir nicht mehr zur
Verfügung stehende Redezeit mit weiteren Beispielen
füllen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801423100

Das mit der Redezeit stimmt, Herr Kollege

Lauterbach.


Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1801423200

Es gibt viel gefährlichere Wirkstoffe, die von Apothe-

kern, denen von der Union ja immer wieder zu Recht
Kompetenz zugesprochen wird, rezeptfrei verkauft wer-
den. Seien wir ehrlich: Hier soll ein Exempel an den






(A) (C)



(D)(B)

Dr. Karl Lauterbach

Frauen gegen ihre Freiheitsrechte statuiert werden. Das
ist nicht richtig.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801423300

Als Nächster erteile ich das Wort Kollegin Emmi

Zeulner, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1801423400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Auch wenn die Debatte zur Rezeptfreiheit ei-
nes Präparates zur Notfallverhütung, nämlich Levonor-
gestrel, kurz LNG, strittig ist, sind wir uns in einem
Punkt doch alle einig: Wir wollen, dass Frauen in
Deutschland, die in eine Notsituation geraten sind, sich
sicher sein können, eine schnelle und objektive Beratung
zu erhalten, eine Beratung in einem geschützten Raum
unter vier Augen;


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie brauchen erst einmal Hilfe!)


denn die Empfänger der Pille danach sind eben nicht nur
Frauen, die mitten im Leben stehen, sondern auch Min-
derjährige oder – schlimmer noch – Frauen, denen Ge-
walt angetan wurde. Deswegen ist für mich die zentrale
Frage: Was ist uns wichtig? Den einfacheren Weg zu ge-
hen oder den besseren?

Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen möchten, dass
mit der Rezeptfreiheit von LNG ein niedrigschwelliger
und zeitnaher Zugang zur Notfallverhütung ermöglicht
wird.


(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In diesem Zusammenhang wird häufig der erschwerte
Zugang zu ärztlicher Versorgung im ländlichen Raum
angeführt.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau! Das ist richtig!)


Ich selbst stamme aus dem ländlichen Raum und kann
sagen


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– vielleicht liegt es daran, dass es Bayern ist; tut mir
leid –,


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


dass der Notfalldienst der Gynäkologen sowie die Not-
fallversorgung durch die Krankenhäuser funktionieren.
Wir wissen selbstverständlich, dass wir aufpassen müs-
sen, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Aber die Rund-
um-die-Uhr-Bereitschaft, wie wir sie in Deutschland
haben, ist einmalig. Für jede Frau ist somit vor Ort eine
zeitnahe Versorgung mit dem Notfallmedikament sicher-
gestellt.
An der Besonderheit dieses Bereitschaftsdienstes
möchte ich anknüpfen. Ein Vergleich mit der Situation in
anderen Ländern bezüglich der Freigabe von LNG kann
nur bedingt gezogen werden. Es ist nachvollziehbar,
dass der schnelle Zugang zu LNG in anderen Staaten nur
durch eine Rezeptfreiheit gesichert werden kann. Nicht
jedes Land hat eine medizinische Versorgung, die mit
dem deutschen Standard vergleichbar ist. Deutschland
hingegen weist keine Versorgungslücken auf, die eine
Freigabe von LNG nötig machen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im internationalen Vergleich haben wir eine beispielhaft
niedrige Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen: Auf
1 000 Frauen kommen 6,2 Abbrüche. In anderen euro-
päischen Ländern – ohne Verschreibungspflicht – ist die
Rate bis zu dreimal so hoch.

Hier sei deutlich gesagt: Die Freigabe des Präparats
hat nirgends zu einem wirkungsvollen Rückgang der
Zahl der Schwangerschaftsabbrüche beigetragen. Wäre
hier ein Rückgang zu erkennen, wäre die Debatte selbst-
verständlich eine andere.


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Lesen Sie mal die Onlinepetition!)


In dieser Debatte wird immer wieder bemängelt, dass
das Selbstbestimmungsrecht der Frau durch die Rezept-
pflicht eingeschränkt wird. Natürlich will ich als Frau
selbstbestimmt leben. Aber ich kann Ihnen sagen: Ich
habe nicht das Gefühl, dass mein Selbstbestimmungs-
recht mit dem Gang zum Arzt mehr eingeschränkt wird
als mit dem Gang zum Apotheker.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vielmehr bietet der Besuch beim Arzt die Möglichkeit
einer fachlichen, ganzheitlichen und individuellen Bera-
tung in einem geschützten Raum. Mit der Weitergabe
dieses hochpotenzierten Hormonpräparats allein ist es
nicht getan. Die Aufklärung über die Gefahren von Ge-
schlechtskrankheiten, eventuelle Impfungen und eine
Abstimmung des möglicherweise notwendigen weiteren
Vorgehens – auch in Bezug auf die weitere Verhütung –
sind unbedingt mit einzubeziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hinzu kommt die wichtige Abwägung, welches Prä-
parat verschrieben werden soll. Das weiterhin verschrei-
bungspflichtige Präparat Ulipristal kann bis zu 120 Stun-
den nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden
und ist wirksamer; deswegen gilt es in der Notfallmedi-
zin aktuell als Standardtherapie. Nur durch den Gang
zum Arzt hat man die Wahl zwischen den beiden
Präparaten. Als Krankenschwester ist es mein Prinzip,
das Beste für die Patientin zu tun. Was ist, wenn Ulipris-
tal das Beste für die Patientin wäre, sie aber nicht davon
erfährt?

Ein weiterer Punkt ist, dass das Präparat, würde es
freigegeben, im Internet auf Vorrat bestellt werden
könnte. Im Gegensatz zu den Grünen bin ich nicht der






(A) (C)



(D)(B)

Emmi Zeulner

Meinung, dass das Internet allein zu einer informierten
Entscheidung führen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie stellen Sie sich das vor: Multiple Choice für die
Pille danach? Eingabe bei Google?

Die Option einer rezeptfreien Pille danach durch eine
Apotheke kommt für mich nur infrage, wenn eine ganz-
heitliche, individuelle, fachlich fundierte Beratung in ei-
nem geschützten Raum gesichert ist. Kann dies wirklich
nachts am Apothekenfenster gewährleistet werden? Und
wenn ja: Wird dann nicht der Grundsatz der Trennung
von Beratung und Verkauf gefährdet? Eine medizinische
Empfehlung sollte im besten Fall unabhängig von jegli-
chen Verkaufsperspektiven sein.

Nach Abwägung zwischen dem einfacheren und dem
besseren Weg muss ich daher zu dem Schluss kommen,
dass ich mich für die Beibehaltung der Rezeptpflicht und
somit für den besseren Weg entscheide.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801423500

Das war die erste Rede unserer Kollegin Emmi

Zeulner im Deutschen Bundestag. Wir gratulieren ihr
dazu herzlich.


(Beifall)


Ich erteile als nächster Rednerin der Kollegin
Mechthild Rawert von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1801423600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ja – und das freut mich –, wir führen diese
Diskussion ohne Schaum vorm Mund, anders als es der
Minister befürchtet hatte. Ja, wir übernehmen Verant-
wortung: Deswegen fordern wir, dass Levonorgestrel
aus der Verschreibungspflicht entlassen wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen – das ist den meisten nicht neu, spätestens
seitdem in der letzten Legislaturperiode entsprechende
Anträge eingebracht worden sind –, dass die Verschrei-
bungspflicht in diesem Fall aufgehoben wird. Es ist al-
lerdings das erste Mal, dass wir Sozialdemokraten dies
in einer Großen Koalition mit der CDU/CSU fordern. Es
ist auch das erste Mal, dass uns eine Entschließung des
Bundesrates vorliegt, in der er fordert, die Verschrei-
bungspflicht aufzuheben.

Über die Sicherheit der Pille danach wurde hier zu
Recht gesagt: Nebenwirkungen sind kaum bekannt. Das
sagen mittlerweile Wohlfahrtsverbände, das sagt pro fa-
milia, das sagen aber auch die Apotheker, viele Experten
und Expertinnen und mittlerweile auch – das freut mich
besonders – viele junge Frauen. Diese Diskussion ist
keine Diskussion nur der Experten und Expertinnen und
auch keine Diskussion mehr nur – in Anführungszei-
chen – altbackener Feministinnen. Nein, das ist eine von
vielen jungen Frauen in den sozialen Medien geführte
Diskussion. Es ist dennoch keine Frauendiskussion, son-
dern eine gesellschaftspolitische Diskussion– und das ist
gut so.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Seit 2003 erklärt der zuständige Sachverständigen-
ausschuss für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte, es gebe keine
Gründe mehr für die Verschreibungspflicht. Dies wurde
vor ein paar Wochen noch einmal bestätigt. Warum also
hält das Ministerium an der Verschreibungspflicht fest?
Warum sollen wir als Große Koalition an der Verschrei-
bungspflicht festhalten?

Für mich stellt sich aber auch noch eine andere Frage:
Darf das Ministerium überhaupt an der Verschreibungs-
pflicht festhalten?


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Genau! Gute Frage!)


Das Parlament hat das Bundesministerium zwar dazu er-
mächtigt – ich verweise auf § 48 Abs. 2 des Arzneimit-
telgesetzes –, die Verschreibungspflicht für Arzneimittel
mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverord-
nung zu regeln. Das bedeutet aber nicht, dass willkürlich
gemacht werden kann, was dem einzelnen Politiker, der
einzelnen Politikerin, dem einzelnen Minister, der ein-
zelnen Ministerin gefällt.

Man muss sich an Spielregeln halten.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ihr solltet einmal die Spielregeln einhalten! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist ja kein Hustensaft!)


Die Spielregeln lauten, dass die Verschreibungspflicht
aufzuheben ist, wenn keine wissenschaftlichen Gründe
für eine Verschreibungspflicht bestehen. Genau das hat
der Sachverständigenausschuss zu beurteilen. So wurde
es auch in § 53 AMG erwähnt. Wofür bräuchten wir
sonst eigentlich Sachverständigenausschüsse und Exper-
ten und Expertinnen, wenn deren Rat sowieso nicht
zählt?


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Das Arzneimittelrecht nennt genau zwei Kriterien, unter
denen eine Verschreibungspflicht begründet ist: erstens eine
zu befürchtende signifikante Gesundheitsgefährdung und
zweitens, wenn ein häufiger Missbrauch des Medika-
ments nachzuweisen ist.

Für beide Kriterien trägt das Bundesgesundheitsmi-
nisterium die Beweislast. Es muss nachweisen, dass die
Pille danach gefährlich für die Gesundheit der Frauen ist
und dass sie falsch eingenommen wird. Beides kann es
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Sie können nicht nachweisen, dass die Frauen nicht in
der Lage sind, das Medikament richtig zu nutzen, und






(A) (C)



(D)(B)

Mechthild Rawert

Sie können auch keine signifikante Gesundheitsgefahr
nachweisen.

Wir haben in der Anhörung genügend darüber disku-
tiert. Ich will mich hier nicht wiederholen.

Eine Verschreibungspflicht beinhaltet die Annahme,
dass die ärztliche Beratung immer besser ist als der Rat
und die Beratung in der Apotheke.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist so!)


Das überzeugt mich nicht.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Eine Frau kann im Notfall sowohl in der Apotheke als
auch in der Arztpraxis oder im Krankenhaus gut oder
schlecht beraten werden. Wenn ich hier nur daran denke
– vorhin ist Bayern genannt worden –, dass der Bereit-
schaftsdienst in Bayern reduziert worden ist und in den
Notfallstationen häufig Orthopäden und sonstige Fach-
mediziner, aber auf keinen Fall Gynäkologen sitzen,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


dann frage ich mich, ob das tatsächlich die fachmedizini-
sche Beratung ist, die Sie hier stets bei der Pille danach
unterstellen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was macht den Orthopäden kompetent für eine gynäko-
logische Beratung? Das habe ich auch noch nicht ver-
standen.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Denken Sie daran: Sie haben die Debatte ohne Schaum vorm Mund gelobt!)


Für die Verschreibungspflicht können nach dem Arz-
neimittelrecht keine politischen Gründe entscheidend
sein, und vor allen Dingen können politische Gründe
keinen Grundrechtseingriff rechtfertigen.

Aber wie gesagt: Ich will mich hier zurückhalten.


(Lachen bei der CDU/CSU)


Wir werden ja auch im Ausschuss noch intensive Debat-
ten führen.

Auf eines sei zum Abschluss hingewiesen. Es gibt
eine vergleichbare Situation im Ausland. In den USA
entschied im letzten Jahr ein Gericht den Streit zwischen
der amerikanischen Arzneimittelbehörde und der Politik.
Die Arzneimittelbehörde hatte seit langem die Freigabe
der Pille danach mit dem Namen „Plan B“ empfohlen,
aber die Politik bzw. das Gesundheitsministerium konnte
sich dazu nicht durchringen. Ein US-Bundesrichter ent-
schied schließlich zugunsten der Freigabe des Medika-
ments bzw. der Aufhebung der Altersbeschränkung ge-
gen den Willen des Gesundheitsministeriums.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Maria Michalk [CDU/CSU]: Ein Richter!)


Ich will nicht hoffen, dass wir wieder in die Situation
kommen, über diese Angelegenheit gerichtlich entschei-
den zu lassen; denn wir sind das Parlament. Wir tragen
Verantwortung. Wir nehmen Verantwortung wahr.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das sollten Sie: Verantwortung wahrnehmen!)


Deswegen freue ich mich auf die lebhafte Diskussion im
Ausschuss. Ich freue mich auf die Überweisung. Ich
freue mich darüber, dass wir viele Aspekte diskutieren
werden.

Seien wir mutig. Werben wir auch für die Onlinepeti-
tion. Ich würde mich freuen, wenn diese vielfach unter-
schrieben würde.

Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801423700

Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich das

Wort der Kollegin Karin Maag, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1801423800

Liebe Kollegin Rawert, ich finde es schön, dass Ihnen

die Große Koalition jeden Tag so viel Freude bereitet.
Uns auch.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nichtsdestotrotz möchte ich die Diskussion vom
Kopf wieder auf die Füße stellen. Frau Kollegin Rawert,
hormonelle Verhütungsmittel, gemeinhin die Pille ge-
nannt, sind in Deutschland aus gutem Grund verschrei-
bungspflichtig, weil sie nämlich Wirkungen und Neben-
wirkungen haben.


(Hilde Mattheis [SPD]: Da will auch keiner dran! – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist heute nicht das Thema!)


Es gibt unterschiedliche Arten von Pillen mit unter-
schiedlichen Hormonen. Es gibt Risikofaktoren: Herz-
Kreislauf-Probleme, Thromboserisiko, Übergewicht
usw.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist Dauermedikation!)


Am Anfang, bevor ein Arzt eine Pille verschreibt,
steht jedenfalls ein Beratungsgespräch und die entspre-
chende Untersuchung. Wenn wir heute über die Entlas-
sung von Levonorgestrel aus der Rezeptpflicht reden,
dann kommt mir eins viel zu kurz: Der Hormongehalt in
der Einzeldosis Levonorgestrel ist 50-mal höher als der
bei der sogenannten Minipille und etwa 10-mal höher als
der Gestagengehalt in der normalen Pille. Wir hören
auch auf Sachverständige. Professor Rabe hat dies in der
Anhörung letztes Jahr sehr deutlich hervorgehoben. Ich
jedenfalls meine, der Beratungsbedarf wird nicht gerin-
ger.






(A) (C)



(D)(B)

Karin Maag

Jetzt will ich auf die Behauptung eingehen, die Erfah-
rungen in den anderen Ländern mit der Rezeptfreiheit
seien immer positiv. Das stimmt einfach nicht. In Groß-
britannien ist die Pille danach seit zwölf Jahren rezept-
frei. Die Abbruchraten sind um 7,7 Prozent gestiegen. In
Frankreich ist die Pille danach seit 1999 rezeptfrei. Die
Abbruchraten sind mehr als doppelt so hoch wie in
Deutschland. In Deutschland ist die Pille danach nicht
rezeptfrei, aber bei uns sinken die Abbruchraten seit
zehn Jahren kontinuierlich.

Die ärztlichen Fachverbände jedenfalls sehen den Be-
ratungsbedarf und haben sich für den Erhalt der Rezept-
pflicht ausgesprochen. Es gibt dann die Plattitüde, die
Frauenärzte würden ja an der Verordnung verdienen.
Das tun sie nicht. In jedem Bundesland bringt das den
Ärzten zwischen 19 und 22 Euro pro Quartal. Darin ist
die Beratung für die Notfallverhütung selbstverständlich
eingeschlossen.

Die Rezeptpflicht ist aus meiner Sicht notwendig,
weil nur so eine Beratung sichergestellt werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801423900

Frau Kollegin Maag, es gibt den Wunsch nach einer

Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung der Kollegin
Schulz-Asche. Lassen Sie sie zu?


Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1801424000

Ich will die Debatte nicht unnötig verlängern, Frau

Schulz-Asche. Sie hatten schon die Möglichkeit, hier
Ihre Ausführungen zu machen.

Die Rezeptpflicht ist notwendig. Ich will einfach,
dass verschiedene Aspekte berücksichtigt werden, wie
der, dass es zum Beispiel beim ungeschützten Ge-
schlechtsverkehr in der Zeit des Eisprungs überhaupt nur
in 5,5 Prozent der Fälle zu einer Schwangerschaft
kommt. Das heißt, vielfach wäre die hormonelle Belas-
tung durch die Pille danach gar nicht nötig. Mit der Ein-
nahme von Levonorgestrel sinkt die Rate von 5,5 auf
3 Prozent. Verhindert werden also 40 bis 50 Prozent der
ungewollten Schwangerschaften, aber nur dann, wenn
das Präparat innerhalb von 24 Stunden eingenommen
wird. Danach sinkt die Sicherheit ab. Bei einem Körper-
gewicht von über 70 Kilogramm sinkt die Wirksamkeit
exorbitant. Darüber muss man meines Erachtens aufklä-
ren. Das ist umso nötiger, weil die ellaOne, also das Uli-
pristalacetat, mit 80 bis 85 Prozent verhinderter Schwan-
gerschaften deutlich erfolgreicher ist. Sie wirkt bis zu
fünf Tagen nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr.

Das sicherste Mittel überhaupt zur Verhinderung ei-
ner ungewollten Schwangerschaft ist die Spirale, die als
Notfallkontrazeptiva gegeben werden kann. Sie kann bis
zu fünf Tage nach dem ungeschützten Geschlechtsver-
kehr eingelegt werden.

Sie sehen, das sind Dinge, über die man reden muss.
Das weiß die Patientin nicht ohne Weiteres.

Es geht uns sicher nicht darum, meine Damen und
Herren von den Linken und von den Grünen, das repro-
duktive Selbstbestimmungsrecht – das Wort ist fürchter-
lich – zu beschneiden.


(Mechthild Rawert [SPD]: Aber der Zustand ist wunderbar!)


Wir wollen mit der Rezeptpflicht zum einen den Weg in
die informierte Entscheidung erleichtern. Zum anderen
wollen wir vermeiden, dass sich viele Frauen, ohne wo-
möglich bessere Alternativen der Notfallverhütung zu
kennen, auf das einfacher zugängliche, aber weniger
wirksame oder möglicherweise individuell weniger pas-
sende Produkt einlassen. Das hielte ich tatsächlich für
fatal.

Ich will noch auf den Sachverständigenausschuss einge-
hen, der im Übrigen – Frau Widmann-Mauz hat darauf hin-
gewiesen – eine Beratung generell für notwendig hält. Das
BfArM hat mitgeteilt, dass es die sogenannte Anwendungs-
sicherheit von Levonorgestrel für hoch hält. Das ist richtig.
Anwendungssicherheit heißt aber, dass das Produkt für die
Patientin leicht handhabbar ist und sie selbst etwa im
Hinblick auf Dosierung oder Portionierung keine Fehler
machen kann. Damit ist doch nicht darüber entschieden,
ob es andere bessere bzw. wirksamere Produkte für die
Patientin am Markt gibt.


(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Das ist doch nur eine einzige Pille! Da gibt es nichts zu portionieren! – Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] hält einen Arzneimittelblister hoch)


Es ist ein isolierendes Risikoprofil. Das ist mir
schlicht nicht genug. Mir geht es allein um die Frage, ob
die Patientin gut oder am besten versorgt ist. Das ent-
scheidet der Arzt.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das entscheidet nicht der Arzt!)


Dass die Entscheidung natürlich auch im geschützten
Raum fallen muss, wurde schon mehrfach angesprochen.
Es geht dabei um Fragen wie: Ist der Geschlechtsverkehr
möglicherweise nicht einvernehmlich gewesen, mit allen
gesundheitlichen Folgen? Kann man da behilflich sein?
Das alles kann der Frauenarzt in seinen Räumen in Ruhe
mit der Patientin besprechen, aber sicher nicht der Apo-
theker,


(Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


dessen Kompetenz ich grundsätzlich schätze, in seiner
Apotheke, im Notfalldienst oder schlimmstenfalls durch
den Nachtrezeptschlitz. Das halte ich in diesen Fällen für
den falschen Weg.

Deshalb gibt es übrigens auch eine flächendeckende
ärztliche Versorgung. Sie ist bei uns noch flächende-
ckend. Ich verstehe den Ansatz, dass es um den ländli-
chen Raum geht und dass wir den guten Zugang zur Not-
fallverhütung erhalten müssen. Aber dabei hilft es nicht,
die Anforderungen herunterzuschrauben. Wir müssen
dafür Sorge tragen, dass wir die Versorgung hochhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht erwähnt
wurde bisher, dass Sie mit der Entlassung aus der Re-
zeptpflicht auch die Kostenübernahme durch die Kran-






(A) (C)



(D)(B)

Karin Maag

kenkassen aufs Spiel setzen. Auch würde das Werbever-
bot entfallen.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Lesen Sie doch bitte die Anträge von uns! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie berücksichtigen nur die Ärtzeschaft! Ausschließlich!)


All das berücksichtigen Sie nicht. Aus all diesen
Gründen bleibe ich dabei, dass die Rezeptpflicht für das
Levonorgestrel, die bestehen bleiben muss, sicher der
gute und richtige Weg ist.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801424100

Ich gebe der Kollegin Kordula Schulz-Asche das

Wort zu einer Kurzintervention.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Kollegin Maag, ich habe mich zu einer Zwi-
schenfrage gemeldet, und Sie sehen, dass Sie keine Zeit
sparen, weil ich mich jetzt melde.

Ich möchte eine Anmerkung machen und Ihnen eine
ganz konkrete Frage stellen. Sie haben gesagt, es sei
letztendlich immer die Entscheidung des Arztes. Darin
möchte ich Ihnen ausdrücklich widersprechen. Wir spre-
chen hier über einen Bereich – die Pille danach –, in dem
es in erster Linie auf die Entscheidung der Frau an-
kommt.


(Beifall bei der LINKEN)


Es kommt darauf an, dass die Frau selber die Entschei-
dung gut und kompetent treffen kann. Dazu braucht sie
Beratung; das wird nicht bestritten. Aber ich widerspre-
che ausdrücklich dem Eindruck, der von Ihrer Seite im-
mer wieder versucht wird zu erwecken, dass mit der
Aufhebung der Verschreibungspflicht jegliche Beratung
entfällt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe mich gemeldet, weil Sie – das haben Sie zu-
sammen mit dem Kollegen Spahn schon in einer Presse-
mitteilung unterstrichen – einen Zusammenhang zwi-
schen der Verschreibungspflicht bzw. der Rezeptfreiheit
der Pille danach und den Abtreibungsraten herstellen.
Ich frage Sie: Können Sie einen solchen Zusammenhang
beweisen? Geht die Abbruchrate in den Ländern, in de-
nen die Verschreibungspflicht nicht mehr existiert, in die
Höhe, oder ist der Bedarf an Familienplanungsberatung
in vielen Ländern, in denen die Verschreibungspflicht
nicht mehr existiert, viel größer, wie etwa in Frankreich,
wo die Geburtenrate viel höher ist als in Deutschland?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das spricht dafür, dass die Aufklärung von Frauen über
sexuelle Gesundheit und nicht eine Detailfrage, die in
Notfällen zu klären ist, entscheidend ist. Entscheidend
ist, dass es eine vernünftige Beratung junger Mädchen
und Frauen von der Schule an über das Elternhaus bis
hin zur Jugendhilfe gibt.


(Beifall der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie versuchen, auf einem Nebenschauplatz den Eindruck
zu erwecken, mit der Pille danach werde abgetrieben.
Diesen falschen Vorwurf lasse ich nicht stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

schämtheit, was Sie da gesagt haben! Besser
genau lesen, bevor man hier loslegt!)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801424200

Liebe Kollegen, bleiben Sie entspannt.

Die Kollegin Maag muss nicht, darf aber antworten. –
Sie möchte es. Frau Kollegin Maag.


Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1801424300

Liebe Frau Kollegin Schulz-Asche, darauf möchte ich

doch antworten. Meine erste Anmerkung ist: Ich habe
von einer informierten Entscheidung gesprochen. Ich
entscheide mich dann, wenn ich alle für eine Abwägung
relevanten Inhalte kenne, wenn ich das Für und Wider
einer Entscheidung kenne. Das will ich allen Frauen ge-
währleisten. Ich möchte keinen Schnellschuss, sondern
dass die Frauen informiert entscheiden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine zweite Anmerkung ist: Ihre Interpretation mei-
ner Aussagen bzw. der Pressemitteilung von Herrn
Spahn und mir weise ich entschieden zurück. Das ist ab-
surd. Ich habe davon gesprochen, dass die Abtreibungs-
raten in Ländern, in denen die Pille danach – anders als
bei uns – rezeptfrei erhältlich ist, gestiegen sind. Ich
habe die entsprechende Statistik dabei und kann sie Ih-
nen gerne geben. Wenn Sie sie selber haben, dann weiß
ich nicht, warum Sie Ihre Frage gestellt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Wer lesen kann, ist ganz klar im Vorteil!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801424400

Wir sind damit am Ende der Aussprache.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf
den Drucksachen 18/303 und 18/492 zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für Gesundheit und zur Mit-
beratung an den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu überweisen. Ich frage das Plenum:
Gibt es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN






(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsident Peter Hintze

Menschen- und Bürgerrechte für Lesben,
Schwule, Bisexuelle und Transgender im
Sport wahren

Drucksache 18/494

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Es gibt dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erste
Rednerin Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1801424500

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die Olympischen Spiele in Sotschi sind
in diesen Tagen im Fokus der Weltöffentlichkeit. Dabei
wird besonders bei den Anliegen von Lesben, Schwulen,
Bisexuellen und Transgendern deutlich: Es herrscht ein
himmelweiter Unterschied zwischen den hehren Zielen
der olympischen Bewegung, die in der Charta jede Form
von Diskriminierung verbietet, und den tatsächlichen
Zuständen in Russland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dort werden LGBT mit dem im letzten Jahr von der
russischen Duma einstimmig verabschiedeten Gesetz ge-
gen die Propaganda nicht traditioneller sexueller Bezie-
hungen vor Minderjährigen zu Pädophilen erklärt. Präsi-
dent Putin hat im Januar dieses Jahres gesagt, Schwule
seien bei Olympia willkommen, aber sie müssten nur die
Kinder in Ruhe lassen. Ein Skandal!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der stellvertretende russische Ministerpräsident Dimitri
Kosak hat dies vor ein paar Tagen wiederholt. Da hätte
ich mir sowohl von deutscher als auch von internationa-
ler Seite mehr Druck gewünscht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Auch die Bundesregierung ist in der Pflicht. Der In-
nenminister ist der Ansicht, Olympische Spiele seien der
falsche Ort, um auf Menschen- und Bürgerrechtsstan-
dards bei Sportgroßveranstaltungen zu drängen. Das wa-
ren seine Worte gestern im Sportausschuss.


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Stimmt nicht!)


Herr Minister, die Olympischen Spiele sind genau der
richtige Ort dafür.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Offenbar hat die Union kein Interesse an diesem Thema;
denn ansonsten hätte sie unseren Antrag aus der letzten
Wahlperiode zu diesem Thema nicht abzulehnen brau-
chen.

Sport und Politik sind untrennbar miteinander ver-
bunden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Leider tut sich aber auch der Sport sehr schwer bei die-
sem Thema. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hat sich
letzte Woche auf der IOC-Vollversammlung in Sotschi
gegen die Diskriminierung von LGBT gewandt. Er hat
das nicht umsonst vor diesem wichtigen Gremium der
internationalen Sportpolitik gesagt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Botschaft ist klar: Es liegt auch in der Verantwor-
tung des Sports, auf Missstände hinzuweisen und dafür
zu sorgen, dass die Werte der Olympischen Charta nicht
nur auf dem Papier gelten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wie Sie wissen, fahren Teile unserer Fraktion nicht zu
Olympia und zu den Paralympischen Spielen, weil wir
für diese Putin-Spiele nicht zur Verfügung stehen.


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist falsch!)


Solange nicht gewährleistet ist, dass wir uns mit kriti-
schen Stimmen in Russland treffen können, macht eine
Reise aus unserer Sicht in diesem Zeitraum keinen Sinn;
denn die Menschen, die wir treffen möchten, bekommen
gar keinen Zugang zum olympischen Gelände, sitzen im
Gefängnis oder befinden sich im Exil.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Woher wissen Sie das?)


– Das haben wir heute beim parlamentarischen Früh-
stück, an dem einige Kolleginnen und Kollegen teilge-
nommen haben, bestätigt bekommen.

Es ist zurzeit leider Realität: Nichtregierungsorgani-
sationen sind potenzielle Spione, und Aktivistinnen und
Aktivisten werden wie Kriminelle behandelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da das die Kolleginnen und Kollegen der anderen
Fraktionen anders sehen, bin ich sehr gespannt, was be-
richtet wird, wenn wir uns im Ausschuss zum Thema
„Sotschi und die Menschenrechtslage“ unterrichten las-
sen.

Homophobie ist eine Form von gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit. Wir müssen uns auch fragen, ob
wir nicht in Deutschland mehr tun können. Man klopft
sich auf die Schulter und ist stolz auf die Toleranz, wenn
sich eine Sportlerin oder ein Sportler outet. Im Alltag
wird aber immer noch viel zu wenig dagegen getan,
wenn das Wort „schwul“ für alle möglichen Abwertun-
gen gebraucht wird, übrigens nicht nur auf dem Sport-
platz.

Im April 2011 gab es eine Anhörung im Sportaus-
schuss zum Thema „Homophobie im Sport“. Eines der
Ergebnisse war: Zu viele Sportlerinnen und Sportler be-
enden in Deutschland noch immer frühzeitig ihre Karri-
ere wegen ihrer sexuellen Identität. Das ist ein Armuts-
zeugnis für unsere Gesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)

Monika Lazar

Wir müssen auch hinsichtlich der Programme der
Bundesregierung und des Bundestages mehr tun. Es gibt
zum Beispiel das Programm „Zusammenhalt durch Teil-
habe“. Da fehlt zum Beispiel das Thema Homophobie
ganz. Auch im „Nationalen Konzept Sport und Sicher-
heit“ gibt es keinen ausdrücklichen Ansatz zur Präven-
tion von Homophobie. Hier muss auch die Bundesregie-
rung endlich den Handlungsbedarf erkennen. Auch
deshalb legen wir unseren Antrag heute zur Sofortab-
stimmung vor. Wir wollen ihn jetzt verabschieden, wäh-
rend die Weltöffentlichkeit nach Sotschi schaut. Bitte
stimmen Sie dem Antrag zu, und setzen Sie so ein Zei-
chen gegen Homophobie in Deutschland, in Russland
und in all den anderen Ländern.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801424600

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Eberhard Gienger, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1801424700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

CDU/CSU-Fraktion spricht sich gegen jegliche Form
von Diskriminierung aus, sei es aufgrund sexueller
Orientierung, Herkunft, ethnischer Wurzeln, religiöser
Überzeugung oder auch politischer Einstellung. Homo-
phobie, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus treten
wir ganz entschlossen entgegen, sei es im Sport oder in
anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Wie die vielen Initiativen des Deutschen Fußball-
Bundes oder auch des Deutschen Olympischen Sport-
bundes zeigen, trägt der Sport maßgeblich zu Toleranz,
Fairness, aber auch gegenseitiger Achtung bei. Dies gilt
für den Breitensport genauso wie für den Spitzensport.
Die deutsche Olympiamannschaft steht bei den Olympi-
schen Winterspielen 2014 in Russland dahin gehend für
ein erfolgreiches, für ein offenes und auch für ein frei-
heitliches Land.

Bei dem Antrag der Grünen hat mich allerdings sehr
überrascht, dass sie eine inhaltliche Befassung des Sport-
ausschusses offensichtlich ablehnen. Über den Antrag
soll stattdessen sofort abgestimmt werden, ohne dass
man sich damit im Ausschuss tiefergreifend beschäfti-
gen kann.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ja um Sotschi! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Thema ist ja nicht neu!)


Das angestrebte Vorgehen der Grünen spricht hier für
sich. Man gewinnt offenbar den Eindruck – das wundert
mich bei den Grünen ohnehin –, dass man fast scheut,
eine inhaltliche Diskussion darüber zu suchen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir haben genug geredet!)

Man versucht stattdessen, sich mit einem Scheinantrag
in eine besondere Position zu rücken. Die Ernsthaftigkeit
Ihrer Initiative geht mir dabei völlig verloren.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie mal zum Inhalt!)


Dabei ist dieses Thema auf der Tagesordnung. Es ist
wichtig, und es ist so weitreichend, dass man eine Befas-
sung im Ausschuss eigentlich durchführen sollte.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie doch was Besseres vor!)


Ich darf sagen: Auch die vielen Fehler in Ihrem Antrag
zeigen zudem, wie komplex die ganze Sachlage wirklich
ist, insbesondere dann, wenn man noch die internatio-
nale Ebene heranzieht. Aber lieber bringen die Grünen
in Deutschland einen Scheinantrag ein, als sich in Russ-
land für die Verbesserung der Situation direkt einzuset-
zen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn? Sie sind in der Regierung! Handeln Sie doch!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, niemand
hält Sie davon ab, nach Sotschi zu reisen und dort Ihre
Kritik anzubringen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie in diesen Wochen in Sotschi?)


Ihr vorgetäuschtes Interesse wird der Bedeutung von
Menschen- und Bürgerrechten nicht gerecht. Durch die-
sen Scheinantrag verspielen Sie, zumindest bei mir, Ihre
Glaubwürdigkeit. Sie fordern die Bundesregierung in Ih-
rem Antrag auf, die Lage vor Ort zu beobachten und sich
durch politische Gespräche sowie durch diplomatisches
Geschick für Menschenrechte einzusetzen. Was machen
Sie aber selber? Von Ihren Möglichkeiten machen Sie
keinen Gebrauch. Wie passt das zusammen?

Zudem läuft Ihr Antrag der Wirklichkeit hinterher.
Ich möchte an dieser Stelle nur wenige Beispiele nen-
nen. Im Bereich Diversity verfügen der DOSB und der
DFB über Mitarbeiterstellen, die genau dieses Thema,
nämlich Homophobie, bearbeiten. Derzeit wird vom
DOSB ein neues Fortbildungsmodul entwickelt, um in
der Breite die Vereine für dieses Thema zu sensibilisie-
ren. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld wird sich
zudem ab Mai 2014 mit dieser Thematik beschäftigen.
Schließlich spricht sich der DFB in seiner Berliner Er-
klärung eindeutig gegen jegliche Form der Diskriminie-
rung aus. Er hat sich dadurch auch eine wunderbare
Handreichung erarbeitet.

Auch im internationalen Feld engagiert man sich vor-
bildlich. Ich finde, der DOSB hat sich bereits weit vor
den Olympischen Spielen mit Human Rights Watch und
auch mit dem Lesben- und Schwulenverband in
Deutschland zusammengetan. Er hat sich auch hier klar
positioniert und ist mit seinen Athletinnen und Athleten
in einen Dialog getreten.

Außerdem hat sich die Bundesregierung hier eben-
falls klar positioniert. Auf der UNESCO-Weltsportmi-






(A) (C)



(D)(B)

Eberhard Gienger

nisterkonferenz in Berlin hat man die Menschen- und
Bürgerrechte auf höchster Ebene sehr eindeutig unter-
stützt. Bei der Erarbeitung Ihres Antrags habe ich den
Eindruck – das muss ich offen zugestehen –, dass man
sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, zu prüfen, was
bereits alles unternommen wird.

Wir werden uns dafür einsetzen, dieses Thema in an-
gemessener Form im Sportausschuss noch einmal zu dis-
kutieren. Ergänzend zu den Maßnahmen der Bundesre-
gierung werden wir prüfen, wie man hierzulande und im
internationalen Rahmen die Menschen- und Bürger-
rechte im Sport und durch den Sport weiter stärken kann.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir mal gespannt!)


Ihren Antrag werden wir selbstverständlich ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801424800

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen

Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1801424900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen

Sie auch mich gleich zu Beginn feststellen: Die Linke
lehnt Homophobie, lehnt jede Form von Diskriminie-
rung Homosexueller mit aller Entschiedenheit ab, egal
ob in Deutschland, in Russland oder anderswo auf der
Welt.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb teilen wir auch das Grundanliegen des Antrags,
über den wir jetzt hier debattieren. Im Übrigen haben
nicht zuletzt die Debatten nach dem mutigen Outing von
Thomas Hitzlsperger gezeigt, dass wir auch in Deutsch-
land durchaus noch Nachholbedarf haben und Homo-
sexualität längst nicht als Normalität angesehen wird.

Anlass für den Antrag der Grünen – Sie haben es ge-
sagt – sind offensichtlich die gegenwärtig in Sotschi lau-
fenden Olympischen Winterspiele. Die Linke hält es für
absolut legitim, kritikwürdige Zustände in Menschen-
rechts- oder Demokratiefragen auch im Zusammenhang
mit Sportgroßereignissen zu thematisieren, wie sie der-
zeit in Russland stattfinden.


(Beifall bei der LINKEN)


Zugleich – das füge ich hinzu – haben wir alle eine ge-
meinsame Verantwortung dafür, dass weder das berech-
tigte Anliegen noch die Sportlerinnen und Sportler poli-
tisch instrumentalisiert werden.

Um nicht missverstanden zu werden: Die Situation
Homosexueller und die gesetzlichen Regelungen in
Russland sind völlig inakzeptabel; die Gewalt gegen
Lesben und Schwule, gegen Bisexuelle und Transgender
nimmt leider weiter zu, was auch auf das heftig umstrit-
tene Gesetz gegen die „Propaganda nichttraditioneller
sexueller Beziehungen“ zurückzuführen ist. Die Forde-
rung der Linken ist ganz klar: Dieses Gesetz sollte
schnellstmöglich zurückgenommen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sprechen die Probleme bei unseren politischen
Gesprächen in der Duma oder bei anderen Treffen in
Russland immer wieder an. Auch hier gilt: besser mitei-
nander als übereinander reden, zum Beispiel auch im
Rahmen der Olympischen Spiele oder der Paralympics.
Das geht natürlich nur, wenn man vor Ort ist und sich
nicht selbst aus dem Rennen nimmt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich werde nach Sotschi fahren. Die Grünen haben sich
anders entschieden, was ich bedaure.

Ich persönlich – das will ich sagen – habe schon die
wechselseitigen Boykotte der Sommerspiele von 1980 in
Moskau und 1984 in Los Angeles für falsch gehalten.


(Beifall bei der LINKEN)


Boykotte bringen wenig bis gar nichts; sie schaden aber
immer, in jedem Fall dem Sport. Ich habe in der aktuel-
len Mediendiskussion manchmal den Eindruck, dass die
sportlichen Leistungen der Athletinnen und Athleten, die
bei Olympia vielleicht den Höhepunkt ihrer Laufbahn
erleben, bisweilen in den Hintergrund geraten. Ich finde,
das haben die Sportler nicht verdient.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, man kann an den Winter-
spielen in Russland zu Recht vieles kritisieren, angefan-
gen von den Umweltzerstörungen und ausufernden Kos-
ten bis hin zu Menschenrechtsfragen. Doch all das traf in
den letzten 20 Jahren in unterschiedlicher Ausprägung
auch auf andere Austragungsorte zu, ohne dass darüber
im Bundestag so intensiv diskutiert wurde wie jetzt.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Peking!)


Hier gilt offenbar zweierlei Maß.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen benennt
zwölf Punkte, von denen wir viele unterstützen können.
Bei einigen haben wir aber zumindest Fragen. So wird
unter Punkt 10 gefordert, dass anstelle von Regierungs-
mitgliedern eine Delegation mit homosexuellen Athleten
nach Sotschi geschickt werden soll. Wie ist das hier ei-
gentlich mit der Selbstbestimmung der Sportler und auch
der Regierung, von der Sie im Punkt 11 dann aber for-
dern, dem Bundestag nach den Spielen über die men-
schenrechtliche Lage in der Region um Sotschi zu be-
richten?

Der Sportausschuss hat ohnehin geplant, darüber zu
reden; Herr Gienger hat darauf hingewiesen. Meine Kol-
legin Katrin Kunert, die während der Eröffnungsfeier
mit der Regenbogenfahne im wahrsten Sinne des Wortes
Flagge gezeigt hat, und auch ich selbst werden dann gern
unsere Eindrücke in die Debatte einbringen.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsident Peter Hintze

Herr Präsident, lassen Sie mich zum Schluss kom-
men. – Das Anliegen der Grünen ist unbestritten wichtig.
Umso bedauerlicher ist es, dass sie heute eine Sofortab-
stimmung haben wollen, anstatt eine Debatte in den
Ausschüssen zu ermöglichen, an deren Ende als Ergeb-
nis vielleicht eine von allen Fraktionen getragene Be-
schlussempfehlung an den Bundestag hätte stehen kön-
nen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage aber auch: Da wir wissen, dass die von Homo-
phobie und Ausgrenzung Betroffenen für derartige Ver-
fahrensstreitigkeiten wenig Verständnis haben, sondern
klare politische Zeichen erwarten, werden wir trotz un-
serer Bedenken dem vorliegenden Antrag zustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801425000

Das war die erste Rede des Kollegen Dr. André Hahn

im Deutschen Bundestag. Wir gratulieren ihm dazu.


(Beifall)


Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Detlev Pilger, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Detlev Pilger (SPD):
Rede ID: ID1801425100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Viele Ereignisse der letzten Wochen haben
gezeigt, dass wir beim Thema Homosexualität noch weit
von Normalität entfernt sind. Ganz deutlich wurde dies
– es wurde eben schon angesprochen – beim Coming-
out von Thomas Hitzlsperger. Zunächst möchte ich an
dieser Stelle betonen, dass ich den Mut von Thomas
Hitzlsperger bewundere. Ich habe großen Respekt vor
seiner Entscheidung. Gleichwohl muss man feststellen:
Auch Thomas Hitzlsperger als ehemaliger Nationalspie-
ler wagte diesen Schritt erst, als er kein aktiver Sportler
mehr war. Daran kann man erkennen, wie groß der
Druck sein muss, der vor allen Dingen in den Stadien
ausgeübt wird. Thomas Hitzlsperger hat genau auf dem
Schirm gehabt, dass er, wenn er sich schon früher als
Schwuler geoutet hätte, denunziert und im Stadion platt-
gemacht worden wäre. Er hätte den Schmähungen wahr-
scheinlich auf Dauer nicht standgehalten.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Frank Steffel [CDU/CSU])


In den Medien – auch das ist ein Zeichen dafür, wie
außergewöhnlich so ein Schritt noch bewertet wird – be-
herrschte das Outing von Thomas Hitzlsperger tagelang
die Schlagzeilen. Die Tagespresse wurde ständig gefüt-
tert mit Nachrichten darüber, und es gab eigene Talk-
shows dazu. Daran sieht man, wie außergewöhnlich die-
ses Thema noch ist, wie weit wir noch von Normalität
entfernt sind und wie viel wir noch dafür tun müssen,
dass sich Schwulsein als Normalsein etabliert.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Gerade in klassischen Männersportarten – Fußball ist
ja nach wie vor eine, obwohl die Fußballerinnen interna-
tional durchaus erfolgreicher sind –,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


passt Schwulsein nicht ins Klischee einer immer noch
starken Fankultur. Häufig ist es nur ein kleiner Teil der
Fans, der diese Stimmung schürt. In den Stadien kann
bzw. wird diesen jedoch nicht deutlich widersprochen
werden.

Es stellt sich die Frage: Was können wir tun, um diese
leidvolle Situation zu verändern und mehr Toleranz und
Vielfalt zu erreichen? Zunächst habe ich über meine ei-
gene Sportlertätigkeit nachgedacht. Statistisch gesehen
müsste ja von elf Spielern einer schwul sein. Das hat
mich zum Nachdenken darüber gebracht, wer von mei-
nen Sportskameraden im Laufe meines 50-jährigen Fuß-
ballerdaseins unter dieser Situation gelitten haben mag.


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Einmal nachfragen!)


Erfreulicherweise – das wurde angedeutet – gibt es
Initiativen von einzelnen Vereinen, Verbänden und
Fangruppen. Jedoch könnte gerade hier das verstärkte
Gespräch mit den unterschiedlichen Fangruppen ein
vielversprechender Ansatz sein. Sportfunktionäre, Ver-
antwortliche in Vereinen, Trainer und Spieler müssen
hier deutliche Zeichen setzen. Sowohl der DFB als auch
das NOK bemühen sich, für mehr Toleranz und Respekt
zu werben und Brücken zu bauen zwischen Menschen
unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichem Aussehen
und unterschiedlicher sexueller Veranlagung. Als bei-
spielhaft dürfen an dieser Stelle die Berliner Vereine
Hertha BSC, Türkiyemspor und Tennis Borussia Berlin
genannt werden, die durch ihr Engagement bereits eine
deutlich höhere Akzeptanz von Schwulen und Lesben in
ihren Vereinen erreicht haben.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der Fortbildung von Trainern und Übungsleitern
müsste stärker auf das Thema Homosexualität eingegan-
gen werden. Es müsste möglichst früh ein Gespräch mit
den jungen Sportlerinnen und Sportlern geführt werden.
Diese Ansätze, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen
jedoch dringend ausgebaut, also stärker unterstützt und
finanziert werden. Eine Sensibilisierung der Öffentlich-
keit für dieses Thema sollte dringend erfolgen. Hier
wäre besonders der Bereich Bildung gefordert. Bereits
bei der Lehrerausbildung sollte Homosexualität eine
stärkere Berücksichtigung finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


In Lehrplänen dürfte Sexualerziehung kein Randthema
sein, sondern müsste fester Bestandteil eines interdiszi-
plinären Lernens werden. Fächer wie Biologie, Deutsch,
Sozialkunde, Ethik und Religion böten sich hier beson-
ders an. Aber auch im Sportunterricht sollten Homose-
xualität sowie differenzierte Sportleistungen unbedingt
behandelt werden.






(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsident Peter Hintze


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Erfahrungen als Lehrer an einer sehr großen
berufsbildenden Schule haben gezeigt, dass es zuneh-
mend eine stärkere Akzeptanz von Homosexualität gibt,
aber gleichermaßen auch noch viele Vorurteile. Das
macht sich häufig an Schimpfwörtern fest. So wird zum
Beispiel ein schlecht gespielter Fußballpass zu einem
„schwulen Pass“ oder eine schlechte Zeugnisnote zu ei-
ner „schwulen Note“. Das ist diskriminierend, men-
schenverachtend und tut weh.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Poli-
tik könnte deutlichere Signale senden, damit Homo-
sexualität als normal bewertet wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten uns nicht von der Justiz treiben lassen, um
die Gleichstellung voranzubringen. Es besteht meiner
Meinung nach dringender Handlungsbedarf beim Adop-
tionsrecht und bei der Öffnung der Ehe für gleichge-
schlechtliche Paare.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zumal man für eingetragene Lebenspartnerschaften
zwar bereits gleiche Pflichten, jedoch keine gleichen
Rechte manifestiert hat. Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, lassen Sie uns dies doch gemeinsam tun. Lassen Sie
uns in wesentlichen Fragen, in denen es um Menschen-
rechte, um Bürgerrechte oder um ethische Dinge geht,
doch bitte gemeinsam handeln. Ich glaube, es tut unse-
rem Hohen Hause gut, das gemeinsam nach außen zu
tragen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/ CSU gewandt: Die Seite müssen Sie fragen!)


Rechtsverletzungen wie etwa in Russland oder in der
arabischen Welt dürfen bei Staatsbesuchen nicht unkom-
mentiert bleiben, wenn wir glaubwürdig für Normalität
und Respekt im Umgang mit Homosexualität im Sport
und in der Gesellschaft eintreten wollen.

Ich würde gerne schließen mit einem Zitat eines von
den meisten von uns bewunderten Mannes, des Heiligen
Vaters Papst Franziskus. Als er in einem Interview zu
seiner Einstellung zur Homosexualität befragt wurde,
sagte der Papst wörtlich:

Wenn jemand … Gott sucht und guten Willens ist,
wer bin ich, um über ihn zu richten?

Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam alles tun,
um für die Gleichstellung von homosexuellen Menschen
hier und international zu sorgen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Beim Antrag von Bündnis 90/Die Grünen fragen wir
uns: Warum haben Sie dieses eilige Prozedere gewählt?
Ich hatte als Berichterstatter erst am Mittwochmorgen
die Vorlage auf dem Tisch. Wir hatten keine Möglichkeit
mehr, in der Fraktion darüber zu sprechen. Ein solch
wichtiges Thema braucht mehr Zeit, muss fundiert ange-
gangen werden. Ich bin einer etwas anderen Meinung als
der geschätzte Kollege Eberhard Gienger. Ich sehe in Ih-
rem Antrag viele gute Ansätze. Er erfolgte aber leider im
Hauruckverfahren. Von daher können wir dem Antrag
leider nicht zustimmen. Wir legen eine eigene Vorlage
vor.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801425200

Das war die erste Rede des Kollegen Detlev Pilger im

Deutschen Bundestag. Dazu wollen wir ihm alle herzlich
gratulieren.


(Beifall)


Nun erteile ich das Wort unserem Kollegen Dr. Frank
Steffel, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1801425300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Ein-
druck, das Ziel eint alle vier Fraktionen und beim Weg
sind sich drei Fraktionen weitestgehend einig. Lediglich
die antragstellende Fraktion ist der Auffassung, dass der
Boykott von Sportveranstaltungen zielführend ist.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keiner hat Boykott gefordert!)


Mein Eindruck ist, dass Boykott nicht zielführend ist,
sondern dass wir gut beraten sind, sowohl unsere Sport-
lerinnen und Sportler zu solchen Veranstaltungen zu
schicken, egal ob es Olympische Spiele oder Weltmeis-
terschaften sind, als auch auf politischer Ebene – nicht
nur, aber eben auch – während Olympischer Spiele mit-
einander zu reden.


(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Übrigen haben Sie, liebe Frau Lazar, gestern
Herrn Bundesminister de Maizière anders erlebt als die
große Mehrheit des Ausschusses. Er hat sich sehr diffe-
renziert zu dem geäußert, was er jetzt in den zwei Tagen
in Sotschi tun wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat gesagt, er weiß nicht, mit wem er spricht! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat keine Kenntnis, wen er da trifft!)







(A) (C)



(D)(B)

Vizepräsident Peter Hintze

Er hat sehr klar Position bezogen. Nur gibt es eben auch
einen Tag danach. Es muss auch nach Sotschi möglich
sein, dass Politikerinnen und Politiker aus Deutschland
und Russland über streitige Fragen, aber vielleicht auch
über die vielen Fragen, in denen Einigkeit herrscht, mit-
einander diskutieren und sprechen können.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht strittig!)


Er hat wörtlich gesagt, dass er sich in Russland natürlich
auch mit Menschenrechtsgruppen und Regimekritikern
trifft, aber er der Auffassung ist, dass das ohne Schein-
werferlicht zielführender ist als vor Scheinwerfern. Ich
glaube, er hat politisch recht. Er wird wahrscheinlich in
der Sache mehr bewegen als manch schrilles Argument,
das wir über die Zeitungen austauschen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bundespräsident hat keine schrillen Argumente!)


– Frau Roth, ich will mit Ihnen gar keinen Disput führen,
weil ich – das sage ich noch einmal – den Eindruck
habe: Das Ziel eint. Ich bin gespannt, wie Sie sich als
Person, die sich ja im Deutschen Fußball-Bund an he-
rausgehobener Stelle engagiert, bei der Weltmeister-
schaft in Moskau verhalten. Das wird eine der nächsten
großen Fragen sein.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf können Sie sich verlassen!)


– Sie fahren hin?


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Dass ich mich damit beschäftige!)


– Dass Sie sich damit beschäftigen, davon gehe ich aus.
Wir beschäftigen uns alle damit. Die entscheidende
Frage ist doch: Fahren Sie hin, oder fahren Sie nicht hin?
Die entscheidende Frage ist doch: Schickt der Deutsche
Fußball-Bund, in dem Sie mitarbeiten, die deutsche Na-
tionalmannschaft nach Moskau oder nicht?

Ich habe die Spiele 1980 als junger Mann erlebt. Wie
traurig war ich, dass deutsche Sportlerinnen und Sportler
in Moskau nicht teilgenommen haben!


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Und ich erst!)


Ich habe die Spiele 1984 erlebt, bei denen ich den Ein-
druck hatte, dass es nordamerikanisch-europäische
Meisterschaften waren, weil der gesamte Ostblock in
Los Angeles nicht teilgenommen hat. Ich möchte das
nicht mehr erleben. Ich glaube, es ist auch gut, dass sol-
che Zeiten schon 30 Jahre vorbei sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Übrigen müssen wir dann über die Kriterien reden.
Natürlich können wir vieles am deutschen und am euro-
päischen Maßstab messen. Es ist toll, was wir beispiels-
weise im Bereich Homosexualität erreicht haben. Auch
wir hatten vor einigen Jahrzehnten noch Gesetze, die an-
ders waren als die heutigen.

Meine Damen und Herren, in über 70 Ländern dieser
Erde ist Homosexualität per Gesetz verboten. Ist unsere
Antwort darauf, dass in diesen 70 Ländern keine Welt-
meisterschaften und keine Olympischen Spiele stattfin-
den dürfen? In 57 Ländern dieser Erde gibt es die Todes-
strafe. Ist das nicht auch ein Kriterium, um nach unserem
Wertemaßstab zu sagen: „Das ist nach unserer Auffas-
sung mit Menschen- und Bürgerrechten eigentlich nicht
zu vereinbaren“?


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist aber kein Grund, die Klappe zu halten!)


Übrigens, meine Damen und Herren von den Grünen,
über Frauenrechte müssen wir gar nicht reden. Es gibt
ganz wenige Länder dieser Erde, die solche Frauen-
rechte – Gott sei Dank! – wie wir in Deutschland und
weiten Teilen von Mitteleuropa haben. Wie wir alle wis-
sen, ist es schon in Teilen von Europa anders.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie uns dafür werben, dass unsere Maßstäbe
auch anlässlich solcher Großveranstaltungen diskutiert
werden. Ich bin mir übrigens sehr sicher, dass die Re-
gimekritiker in Russland nicht freigekommen wären,
egal ob es Oligarchen, Musiker, Punkbands oder Mäd-
chen sind, die ein bisschen über die Stränge geschlagen
haben. Ich glaube, sie sind freigekommen, weil die
Olympischen Spiele in Sotschi stattfinden und weil Putin
wusste, dass die Welt ein Signal erwartet. Vielleicht ist
auch dies ein positives Beispiel von Olympischen Spie-
len.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist Putin auch noch ein guter Mann!)


Über eines sollten wir sehr leidenschaftlich reden: In
Katar, in einem der reichsten Länder der Erde, sterben
jedes Jahr 200 Wanderarbeiter, weil das Regime nicht in
der Lage ist, den Menschen Essen und Trinken zu geben.
Das ist ein wirklicher Skandal, der energisch kritisiert
und sofort abgestellt werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein Riesenskandal: protzige Spiele veranstalten
und die Ärmsten der Armen verhungern lassen.

Ich will noch eines zum Thema Sport sagen, Frau
Lazar. Ich glaube, wir sollten den Sport nicht über-
fordern. Unsere Sportlerinnen und Sportler sind keine
Diplomaten,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fordert auch keiner!)


sondern sie wollen Leistungen im Sport erbringen. Un-
sere Sportlerinnen und Sportler sind in Sotschi, damit
wir über ihre Leistungen reden. Und jeder einzelne kann






(A) (C)



(B)

Vizepräsident Peter Hintze

entscheiden, was er sonst zu welchem Thema der Welt
sagt und beiträgt. Die Politik ist gut beraten, unsere
Sportlerinnen und Sportler zu unterstützen.

Ich glaube, dass Russland nach Sotschi ein bisschen
anders sein wird. Peking war übrigens nach den Olympi-
schen Spielen auch ein bisschen anders. Ich werde nicht
vergessen, als im Sportausschuss ein Vertreter der Be-
hindertenorganisationen gesagt hat, dass wenigstens eins
von Peking übrig geblieben ist: Das Bild von Behinder-
ten in China hat sich durch die Paralympics dramatisch
positiv verändert. Wenn es nur ein kleiner Funke ist, ist
es zumindest ein Funke, auf den wir als CDU/CSU nicht
verzichten möchten. Wir möchten nicht, dass Olympi-
sche Spiele nur noch in Europa und in Nordamerika
stattfinden, sondern wir möchten, dass sie überall statt-
finden. Dann werben wir für unsere Werte und sehen zu,
dass unsere Sportlerinnen und Sportler trotzdem mit un-
serer Unterstützung dort hinfahren können.

Herzlichen Dank und schönen Abend!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1801425400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/494
mit dem Titel „Menschen- und Bürgerrechte für Lesben,
Schwule, Bisexuelle und Transgender im Sport wahren“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag mit den Stim-
men von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke ab-
gelehnt.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 14. Februar 2014,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.