Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen undKollegen, und wünsche uns einen guten Tag und guteBeratungen.Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mit-teilungen zu machen: Der Kollege Kai Wegner hat seinAmt als Schriftführer niedergelegt. Als Nachfolgerschlägt die Fraktion der CDU/CSU den KollegenCarsten Müller vor. Ich gehe davon aus, dass Sie damiteinverstanden sind. – Das ist offenkundig der Fall. Da-mit ist der Kollege Müller zum Schriftführer gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde: Aktuelle Entwicklung im Hinblick auf dieVogelgrippe und Schutzmaßnahmen der Bundesregierung
ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten MatthiasBerninger, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf ,weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-schränkungen– Drucksache 16/365 –Überweisungsvorschlag:RedetAusschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Kultur und MedienZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae,Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneterund der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Fürstarke und handlungsfähige Kommunen– Drucksache 16/371 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussZP 4 Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, SevimDagdelen, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE einge-brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderungdes Aufenthaltsgesetzes und anderer Gesetze– Drucksache 16/369 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
– Drucksache 16/38 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Um-welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
– Drucksache 16/389 –Berichterstattung:Abgeordnete Josef GöppelChristoph PriesAngelika BrunkhorstLutz HeilmannCornelia BehmZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, KarinBinder, Sevim Dagdelen, Jörn Wunderlich und der FraktionDIE LINKE: EU-Antidiskriminierungsrichtlinien durcheinheitliches Antidiskriminierungsgesetz wirksam undumfassend umsetzen– Drucksache 16/370 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
PetitionsausschussextInnenausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschusse Debatte: Berichte über die Rolle von BND-Mit-vor und während des Irakkriegesberweisungen im vereinfachten Verfahreng zu TOP 16)ZP 7 VereinbartarbeiternZP 8 Weitere Ü
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ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom21. Mai 2003 über die strategische Umweltprüfungzum Übereinkommen über die Umweltverträglich-keitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen
– Drucksache 16/341 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklungb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy,Thilo Hoppe, Undine Kurth , weiterer Ab-geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Für starke soziale und ökologische Stan-dards in der Internationalen Finanz-Corporation
der Weltbank
– Drucksache 16/374 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitZP 9 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zurÄnderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Au-ßenwirtschaftsverordnung– Drucksache 16/33 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses fürWirtschaft und Technologie– Drucksache 16/385 –Berichterstattung:Abgeordnete Erich G. FritzDr. Ditmar StaffeltMartin ZeilUlla LötzerMargareta Wolf
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkom-men vom 8. April 2005 zwischen der BundesrepublikDeutschland und Rumänien über Soziale Sicherheit– Drucksache 16/37 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses fürArbeit und Soziales– Drucksache 16/381 –Berichterstattung:Abgeordneter Max Straubingerc) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu der Zweiten Änderung des Übereinkommens vom25. Februar 1991 über die Umweltverträglichkeits-
– Drucksache 16/43 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses fürUmwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit– Drucksache 16/388 –Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Jung
Dr. Matthias MierschHorst MeierhoferLutz HeilmannSylvia Kotting-Uhls–AttssdkdDbd–gerdtmwzrsudbnvEjddss
Entschuldigung. Das hat eine gewisse Logik. Die An-abe war insofern nur unvollständig. Das führt aber zuiner zusätzlichen Aufmerksamkeit für die Bundesregie-ung,
ie man nicht in jedem Zusammenhang als gesichert un-erstellen kann. – Bitte schön.F
Schönen Dank, Herr Präsident. – Guten Morgen,erte Kolleginnen und Kollegen! Die Praxis der Umset-ung des Sozialgesetzbuches II, also die Zusammenfüh-ung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit dem Ziel derchnellen und zügigen Rückkehr in Arbeit durch Fördernnd Fordern mit Leistungen aus einer Hand, geht jetzt inas zweite Jahr. Schritt für Schritt ist das Sozialgesetz-uch II nach der Reform umgesetzt worden. Aber auchotwendige Klarstellungen und Veränderungen aufgrundon Erfahrungen aus der Praxis und auch aufgrund vonntscheidungen der neuen Regierungskoalition werdenetzt in Angriff genommen bzw. sind entschieden wor-en.Dazu gehört die mit der Übernahme der Kosten fürie Unterkunft der Arbeitslosengeld-II-Empfänger ge-chaffene Verlässlichkeit für die Kommunen. Mit demo genannten Revisionsgesetz wird geregelt, dass der
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Parl. Staatssekretär Franz ThönnesBund den Kommunen in 2005 und 2006 im Rahmen derGrundsicherung für Arbeitslose jeweils 29,1 Prozent derKosten für Unterkunft und Heizung zahlt.Heute geht es um eine weitere wichtige Veränderung:Die Grundsicherung für Arbeitsuchende hat zum Ziel,Menschen, die erwerbsfähig sind und Hilfe bei der Auf-nahme oder bei der Beibehaltung einer Arbeit benötigen,zu unterstützen und ihren Lebensunterhalt zu sichern,wenn sie ihn nicht auf andere Weise bestreiten können.Jetzt wird ein weiterer wichtiger Reformpunkt umge-setzt, den die Regierungsparteien im Koalitionsvertragverabschiedet haben. Damit wird auch deutlich, dass wirsehr zügig und sehr schnell die notwendigen Änderun-gen bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende in An-griff nehmen.Bislang ist im Sozialgesetzbuch II unter Bezugnahmeauf das Referenzsystem der Sozialhilfe die Regelleistungzur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimumsfür West- und Ostdeutschland unterschiedlich hoch fest-gelegt; sie beträgt für den Westen 345 Euro und für denOsten 331 Euro. Wesentliches Ziel des vorliegenden Ge-setzentwurfs ist es, die Regelleistung zur Sicherung desLebensunterhalts in Ost und West zu vereinheitlichenund das Ostniveau an das Westniveau anzugleichen.Die Bundesregierung hat – das wissen Sie; ich willdas in Erinnerung rufen – im Rahmen der Änderung desSozialgesetzbuches II einen Ombudsrat ins Leben ge-rufen, der sich mit der Grundsicherung für Arbeit-suchende beschäftigt. Ihm gehören Dr. ChristineBergmann, die ehemalige Bundesfamilienministerin,Professor Dr. Kurt Biedenkopf, der ehemalige Minister-präsident des Freistaates Sachsen, und Dr. HermannRappe, der ehemalige Vorsitzende der IG Bergbau, Che-mie, Energie an. Aufgabe dieses Ombudsrates ist es, dieEinführung der neuen organisatorischen und gesetzli-chen Regelungen im Rahmen des SGB II kritisch zu be-gleiten, Schwachstellen aufzuzeigen und Empfehlungenzur Weiterentwicklung auszusprechen.Mit der Angleichung der Regelleistung greifen wireine wesentliche Empfehlung des Ombudsrates auf. DerOmbudsrat hat in seinem Zwischenbericht nämlich ge-fordert, die um 14 Euro niedrigere Regelleistung in denneuen Bundesländern auf das höhere Leistungsniveau imWesten anzuheben. Dafür gibt es, wie ich denke, guteGründe. Drei zentrale Gründe möchte ich nennen:Sicherlich gibt es Unterschiede hinsichtlich Kostenni-veau und Konsumverhalten zwischen Ost und West. Wirmüssen aber auch feststellen, dass solche Unterschiedein der ganzen Republik in den einzelnen Regionen beste-hen; regionale Besonderheiten sind existent. Da es sichbei der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Gegen-satz zur Sozialhilfe um eine Leistung des Bundes han-delt, ist es vertretbar, einen einheitlichen Wert auf West-niveau zugrunde zu legen, um so das soziokulturelleExistenzminimum zu sichern.Zweitens. Wichtigstes Ziel des Sozialgesetzbuches IIist die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Von daherwerden hohe Anforderungen an die überregionale Mobi-lität der Menschen gestellt. Eine bundeseinheitliche Re-geOmtzEDvEHmmgwJhtdgdlhZsehbgtgdrSkfddMlFbedFEawBgdG
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üssen wir anerkennen, dass Deutschland seit 16 Jahrenerheiratet,
ntschuldigung, vereint ist. – Der Kollege Ramsauer hatich so nervös gemacht,
eil er natürlich nicht akzeptieren kann, dass es falschst, dass sein Landesvater im letzten Wahlkampf meinte,er Intellekt und die Dummheit seien in Deutschland re-ional unterschiedlich verteilt.
ir wissen, dass die Menschen in Nord und Süd, in Ostnd West genetisch bedingt gleichermaßen schlau undleichermaßen dumm sein können. Deswegen glaube ichchon, dass es vernünftig ist, auch hierüber mal zu reden.
Nichtsdestotrotz wäre es natürlich gut gewesen, wennich die Bundesregierung ihre eigene Antragsbegrün-ung genauer durchgelesen hätte; denn im Gesetzent-urf schreibt sie – ich zitiere: –Zwar weist das Verbrauchsniveau und das privateKonsumverhalten in Ost und West weiterhin deutli-che Unterschiede auf. Solche Unterschiede beste-hen jedoch nicht nur zwischen den alten und neuenBundesländern; vielmehr ergeben sich innerhalbdes gesamten Bundesgebietes regionale Besonder-heiten.Damit kommen wir zu dem Schluss, dass es eigent-ich vernünftiger gewesen wäre, die Regelleistungenuch im Arbeitslosengeld II entsprechend den regiona-en Einkommens- und Verbrauchskosten festzulegen.ies wäre insbesondere deshalb gut gewesen, weil na-ürlich jeder weiß, dass das Leben in Emden günstigerls in München und in Stuttgart vielleicht etwas teurerls in Pasewalk ist. Darüber hinaus vergisst die Bundes-egierung leider, die Regelleistungen für die nicht er-erbsfähigen Hilfeempfänger entsprechend anzuglei-hen; denn die nicht erwerbsfähigen Hilfeempfänger imereich der Sozialhilfe sind in ihren Vorschlägen über-aupt nicht berücksichtigt. Aber auch deren Lebenshal-ungskosten sind unterschiedlich.
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Dirk NiebelInsbesondere die Berücksichtigung der unterschiedli-chen Lebensverhältnisse hätte in der Konsequenz zurFolge, dass die Anreizwirkungen, die mit den Hartz-Re-formen für die Aufnahme eines Arbeitsplatzes erhöhtwerden sollten, nicht konterkariert werden; denn einesmüssen Sie sich alle vor Augen führen: Das Arbeitslo-sengeld II wirkt faktisch wie ein Mindestlohn. Jeder, derwirtschaftlich denken kann, hat überhaupt keinen nach-vollziehbaren Grund, unterhalb des Mindestlohns eineTätigkeit anzunehmen. Deswegen ist die Unterschei-dung nach den regionalen Besonderheiten wichtig, ohneeinen Popanz zwischen Ost und West aufzubauen. Im16. Jahr der Einheit müssen wir endlich von diesem altenKlassendenken zwischen Ost und West wegkommen undakzeptieren, dass wir in unterschiedlichen Regionen derRepublik die gleichen Probleme haben. Es ist ein Ver-dienst von Rot-Grün: Nach ihrer Regierungszeit sind dieProbleme bundesweit einheitlich groß geworden.
Wir wollen eine neue Förderpolitik gestalten, die esermöglicht, im Osten wie im Westen notwendige struk-turelle Veränderungen durchzuführen. Deswegen habenwir immer Modellregionen verlangt. Die Frau Bundes-kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung mehr Mut zurFreiheit gefordert und dazu aufgerufen, mehr Freiheit zuwagen. Geben Sie den unterschiedlichen Regionen dieFreiheit, zu versuchen, ihre Probleme auf neuen Wegenzu lösen, unabhängig von den gesamtgesetzlichen Rah-menbedingungen, auch einmal vom Bundesrecht abwei-chen zu können und auszuprobieren, ob in einer Regionvielleicht andere Wege besser zum Ziel führen.
Wir wollen darauf hinweisen – auch das muss einJahr nach dem Beginn von Hartz IV möglich sein –, dassdie Hartz-Reformen I bis IV nicht den gewünschten Er-folg gebracht haben. Dem Bundesminister für Arbeitund Soziales liegt ein ungefähr 2 500 Seiten dicker Be-richt von Wirtschaftsinstituten vor, der der Öffentlichkeitbisher nur teilweise bekannt geworden ist, mit einem of-fenkundig verheerenden Urteil über Hartz I bis III. DasEinzige, was wirklich funktioniert, sind die Minijobs.Diese wollen sie jetzt auch noch teurer machen.Wir wollten mit den Hartz-Reformen – übrigens wiralle – Kosten sparen und die Vermittlung in Arbeit ver-bessern. Beide Ziele sind nicht erreicht worden. Im Jahr2005 kostet Hartz IV den Bund 25,6 Milliarden Eurostatt 14,6 Milliarden Euro. Die Gesamtkosten alleröffentlichen Kassen betrugen im letzten Jahr 44,6 Mil-liarden Euro. Das ist alles andere als eine Erfolgsstory,insbesondere weil die Vermittlung in Arbeit nicht ver-bessert worden ist. Bei 18 Prozent Marktanteil der Bun-desagentur für Arbeit kann man nun wirklich nicht voneinem echten Erfolg sprechen.Das Einzige, was boomt, sind die 1-Euro-Jobs. Diesesind aber nicht mehr in der Statistik enthalten. Damitkonterkarieren Sie das, was Sie im Wahlkampf gesagthaben.
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Insbesondere diejenigen, die von einer mehrwertsteuer-finanzierten Beitragssenkung nichts haben, nämlich dieArbeitslosen, Selbstständigen, Schüler, Studenten undRentner, werden überproportional belastet. Das ist diePolitik, die Sie im Wahlkampf als sozial gerecht bezeich-net haben.Die gegenwärtige Situation ist dadurch geprägt, dassdie Bundesrepublik, von Schwarzarbeit gezeichnet, ei-nen Verlust von sozialversicherungspflichtigen Arbeits-plätzen zu verzeichnen hat.
– Sie werden bestimmt gleich selber reden, HerrBrandner. Ich vermute, dass Ihnen in der Fraktion nochRedezeit zugestanden wird.
– Wenn Sie von einer Politik reden, Herr Brandner, diedazu führt, dass der Anreiz zur Aufnahme einer legalenBeschäftigung in Deutschland nicht mehr gegeben ist,dann verstärken Sie diesen Effekt.Darüber hinaus haben die gesamten Hartz-Reformenvon Hartz I bis IV gezeigt, dass die handwerklichenGrundlagen falsch waren. Das wurde beim virtuellenArbeitsmarkt, bei der EDV A2LL sowie bei den unter-schiedlichsten Problemen deutlich. Der ddp hat heuteum 3.15 Uhr gemeldet – ich zitiere –:SdtDeclwdidsksDHCbHttzvzHaKAfndsjdZbHmDU
as ist der richtige Weg. Dazu wollen wir gerne unsereand reichen.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wireraten heute erneut eine Änderung der so genanntenartz-IV-Gesetzgebung, auf die wir uns in den Koali-ionsverhandlungen verständigt haben. Mir ist es wich-ig, dies auch in den Zusammenhang all der Maßnahmenu stellen, die wir uns im Kontext der Hartz-IV-Reformorgenommen haben. Denn das soll und wird ein Kon-ept aus einem Guss sein. Wir wollen kein hektischesin und Her; es soll vielmehr wohl erwogen aufeinanderufbauen und von dem Grundsatz ausgehen, dass derern der Hartz-IV-Reform – die Zusammenführung vonrbeitslosen- und Sozialhilfe in einer Grundsicherungür Arbeitslose – mit den entsprechenden Fördermaß-ahmen im Grundsatz richtig war. Im Kern geht es nunarum, all das, was in der Vergangenheit politisch ent-chieden worden ist und nicht richtig gelaufen ist, neu zuustieren.
Damit haben wir im letzten Jahr mit der Erarbeitunges Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung desweiten Buches Sozialgesetzbuch begonnen. 2005 ha-en wir uns an der Finanzierung der Unterkunfts- undeizungskosten beteiligt, die den Kommunen im Rah-en von Hartz IV entstanden sind. Das war uns wichtig.as werden wir auch 2006 tun. Das haben wir, dienion, vor der Wahl den Kommunen versprochen und
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Dr. Ralf Brauksiepenach der Wahl mit den Sozialdemokraten vereinbart. Dashaben wir im Interesse der Kommunen und der betroffe-nen Menschen gemeinsam umgesetzt.Wir haben uns nun die Angleichung des Regelsatzesbeim Arbeitslosengeld II in Ostdeutschland an das west-deutsche Niveau in Höhe von 345 Euro vorgenommen.Herr Kollege Niebel, Sie haben dieses Thema zum An-lass für einen Rundumschlag gegen die Arbeitsmarkt-politik im Allgemeinen und die Arbeitsmarktpolitik derschwarz-roten Bundesregierung im Besonderen genom-men. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dassSie mit dem Thema, um das es heute konkret geht,Schwierigkeiten haben.
Wie Sie wissen, legen wir kein Investitionsprogrammder klassischen Art auf. Vielmehr haben wir uns ent-schieden, draufzulegen. Das war immer Ihre Forderung.Wir tun mehr für Bildung und Forschung, für die Ver-kehrsinfrastruktur und für Familien. Das wird die Inves-titionstätigkeit in Deutschland fördern. Was ist uns dabeivorzuwerfen? Wir tun doch das Richtige. Das ist für dieSchaffung von Arbeitsplätzen in der Tat noch wichtigerals die arbeitsmarktpolitischen Reformmaßnahmen, diewir zusätzlich auf den Weg bringen.
Herr Niebel, Sie haben auf die Zahl der Arbeitslosenunter Schwarz-Rot hingewiesen. Nachdem AngelaMerkel gerade sechs Wochen Bundeskanzlerin ist, be-haupten wir sicherlich nicht, dass auf dem Arbeitsmarktalles prima ist. Wenn wir aber schon über die Zahl derArbeitslosen unter Schwarz-Rot reden, dann solltenwir nicht vergessen, zu erwähnen, dass es im Dezemberletzten Jahres – saisonbereinigt – 110 000 Arbeitsloseweniger gab. Das ist der stärkste Rückgang seit sechsJahren. Das ist sicherlich nicht nur das Verdienst unsererGesetzgebungsarbeit. Aber es ist ein guter Start, nachdem Sie sich die Finger geleckt hätten. Wir jedenfallssind damit ganz zufrieden.
Wir treffen nun mit der Verabschiedung des vorlie-genden Gesetzentwurfs eine politische Entscheidung. Esgeht dabei nicht um die Korrektur handwerklicher Feh-ler. Vielmehr ist in der Vergangenheit die Entscheidunggetroffen worden, unterschiedliche Regelsätze einzufüh-ren. Dies war durchaus politisch begründbar. Es gibt auf-grund von 40 Jahren real existierendem Sozialismus lei-der auch 15 Jahre nach der deutschen Einheit vieleUnterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Aberweil wir offen für notwendige Veränderungen sein wol-len, ist ein Ombudsrat eingesetzt worden. Er war keinVerkehrsunfall, sondern politisch gewollt. Dieser Rat istzu einer Empfehlung gekommen. Es gibt sicherlich vieleandere Fragen, die in diesem Zusammenhang zu disku-tieren sind. Auch der Bundesrat hat aus seiner Sichtdurchaus bedenkenswerte Argumente angeführt. Aberwir sind zu der politischen Entscheidung gekommen,dddra–fdLbedhu–iRmunFssduesihtvetisJdEnAüdsiFjfddtkdj
Wir haben uns vorgenommen, uns um dieses Themam Laufe dieses Jahres zu kümmern. Wenn es um dierage geht, ob wir es uns leisten wollen, dass der Staatedem arbeitslosen jungen Menschen seine eigene Budeinanziert, oder ob wir die Priorität an der Stelle setzen,ass wir uns bei der Anrechnung von zur Altersvorsorgeienendem Vermögen von Menschen, die nach jahrzehn-elanger Beitragszahlung unverschuldet in Arbeitslosig-eit gekommen sind, großzügiger zeigen, dann neige ichazu, eher das Vermögen der Älteren zu schonen, anstattungen Menschen entgegenzukommen, die sehr wohl auf)
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Dr. Ralf Brauksiepedie Solidarität der Familie bauen können und deren Fa-milien leistungsfähig sind.
Das sind die Dinge, die wir uns vorgenommen haben.Wir werden darüber hinaus weitere Maßnahmen zu er-greifen haben. Wir haben uns vorgenommen, Einsparun-gen zu erreichen, indem wir die Organisation vonHartz IV reformieren. In diesem Bereich wollen wir1,2 Milliarden Euro einsparen. Wir werden im Laufe dernächsten Monate entsprechende gesetzliche Maßnahmendazu ergreifen. Es geht also einerseits darum, handwerk-liche Fehler, die gemacht worden sind, einvernehmlichzu korrigieren, und es geht andererseits darum, gegebe-nenfalls andere politische Prioritäten zu setzen. Das ma-chen wir jetzt in diesem Bereich.Wir haben im Übrigen auch feststellen können, dassdie Möglichkeiten, etwas zum ALG II hinzuzuverdie-nen, was zum Teil sehr unbürokratisch möglich ist, inbeachtenswertem Maße in Anspruch genommen wordensind. Ich sage aber auch ganz deutlich: Wir werden inZukunft alle Möglichkeiten nutzen müssen, MenschenAngebote zu machen, aus der Arbeitslosigkeit herauszu-kommen und Arbeit aufzunehmen. Da, wo es nötig ist,müssen wir Druck machen, damit wirklich nur diejeni-gen staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, diewirklich auf diese Leistungen angewiesen sind. Das istdie andere Seite der Medaille.Das wird auch bei der Diskussion über das Kombi-lohnmodell eine Rolle spielen, bei dem es nicht darumgeht, das soundsovielte arbeitsmarktpolitische Instru-ment neben andere zu setzen, sondern darum, erfolgrei-che Ansätze, die es bisher gibt, mit diesem zu verbinden.Wir müssen Fördern und Fordern miteinander verbin-den. Wir müssen den Leistungsmissbrauch stärker be-kämpfen, auch wenn uns das sicher keinen großen Bei-fall einbringen wird. Wir müssen das tun, weil wir alsFachpolitiker der unterschiedlichen Bereiche gemeinsamimmer im Blick haben müssen, wie sich die Kosten ent-wickeln, wie sich der Bundeshaushalt entwickelt undwie wir das am Ende finanziell vernünftig darstellenkönnen.Dazu erfolgt heute dieser Schritt. Wir werden in denAusschussberatungen über all die Fragen zu sprechenhaben, die Herr Niebel angesprochen hat, zum Beispielwas die Reduzierung des Zahlbetrags für die gesetzlicheRentenversicherung angeht. Natürlich gibt es in demBereich Interessenkonflikte. Wir müssen zu einem fairenAusgleich kommen. Mein Eindruck ist, dass wir da aufeinem guten Weg sind. Wir möchten alle diejenigen, dieuns auf diesem Weg konstruktiv begleiten wollen, mit-nehmen. Ich möchte Sie aufrufen, diesen Weg zu be-schreiten. Es geht nicht darum, alte ideologische Debat-ten fortzuführen, sondern es geht darum, anzuerkennen,dass sich diese Regierung entschieden hat, das arbeits-marktpolitische Instrumentarium effizienter zu machen.Darauf haben wir uns gemeinsam verständigt.Wichtiger für die Schaffung neuer Arbeitsplätze ist inder Tat, wie wir die Rahmenbedingungen für wirtschaft-lesvdmeeFDbmvp–sitvASsFokdsvuöCSNsHddOnvd
Wir kamen auch noch hinein, keine Angst! – Auf die-em Transparent stand: „Gegen Armutsgesetze – PDSm Bundestag“. Wir griffen zu diesem außerparlamen-arischen Mittel, weil hier im Haus die Abgeordnetenon SPD, CDU/CSU und den Grünen taub für unserergumente waren.
ie hatten den Bezug zum alltäglichen Leben der Men-chen verloren und folgten blind Herrn Hartz und ihrenraktionsführungen. Ich erinnere daran, dass der Abge-rdnete Hilsberg von der SPD in aller Öffentlichkeit er-lärte, von 331 Euro könne man im Osten gut leben. An-ere MdBs dachten gar, bei den 331 Euro handele esich um den Wochenbetrag. Das war auch der Anfangom Ende der rot-grünen Bundesregierung.
Es zeigte sich schnell, dass wir mit unserem Protestnd unserer Kritik am Hartz-IV-Gesetz Recht haben. Dieffentlichen Proteste, die schlechten Wahlergebnisse vonDU/CSU und SPD und unsere guten Ergebnisse habenie zu einer sehr späten Einsicht gezwungen.
un müssen Sie die größten Ungerechtigkeiten im Ge-etz beseitigen.Einer unserer zentralen Kritikpunkte in Bezug auf dasartz-IV-Gesetz war und ist die unterschiedliche Höhees Arbeitslosengeldes II in Ost und West: In West-eutschland bekommen die Betroffenen 345 Euro und instdeutschland nur 331 Euro Arbeitslosengeld im Mo-at. Die Bundesregierung begründete den Unterschiedon 14 Euro mit den niedrigen Lebenshaltungskosten inen neuen Ländern. Ich habe bereits im September 2004
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Dr. Gesine Lötzschdie Bundesregierung gefragt, warum sie das Ost-West-Gefälle bei der Festlegung des Arbeitslosengeldes II be-rücksichtigt, das Nord-Süd-Gefälle oder das Stadt-Land-Gefälle aber nicht. Die Vertreter der Bundesregierungkonnten mir diese Frage nicht beantworten.
Offensichtlich hatten die zuständigen Beamten undPolitiker da immer noch eine Mauer im Kopf. Die Mauerim Kopf ist aber nicht ein Privileg von Westbeamten.Auch Frau Merkel, damals Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, hat dieser Ungleichbehandlung zugestimmt.
An dieser Stelle möchte ich allen Demonstranten dan-ken, die sich nicht beirren ließen und trotz Spott undHäme in den Medien immer weiter demonstrierten.
Es ist ein Erfolg der vielen Anti-Hartz-IV-Demonstran-ten, dass die SPD und nun auch die CDU/CSU die For-derung der Linkspartei nach einem einheitlichen Ar-beitslosengeld von 345 Euro endlich umsetzen werden.
Ich habe auf Anti-Hartz-IV-Demonstrationen immerwieder gehört, dass die da oben sich doch nicht alles er-lauben können. Ich sage Ihnen: Diese Empörung war ge-rechtfertigt. Ich halte es für ein wichtiges Zeichen, dasssich Widerstand gegen unsoziale Politik auch lohnenkann.
Diejenigen, die demonstriert haben, aber auch dieje-nigen, die gezweifelt haben, erleben jetzt, dass Gesetzenicht in Beton gegossen sind, sondern von Menschen ge-macht werden und von Menschen auch wieder geändertwerden können. Jetzt müssen wir neuen Mut fassen undnoch diejenigen Dinge ändern, die unbedingt geändertwerden müssen. Die großen Sozialverbände stimmenüberein: Mindestens 420 Euro im Monat sind für einmenschenwürdiges Leben erforderlich. Dementspre-chend ist die Minimalforderung der Linkspartei.
Natürlich kommen einige Kritiker mit dem Argu-ment, dass es nicht sein könne, dass ein Arbeitslosermehr Geld bekomme als ein Wachmann oder eine Ver-käuferin bei Schlecker. Dieser Kritik stimme ich mitNachdruck zu. Diese Zustände sind wirklich unhaltbar.Aber die Lösung kann doch nur heißen, dass wir gesetz-liche Mindestlöhne festschreiben müssen, damit Arbeit-geber nicht weiterhin solche Hungerlöhne zahlen dürfen.
Ich habe meinen Wahlkreis Berlin-Lichtenberg mitdem Motto „Von Arbeit muss man leben können“ direktgewonnen. Ich kann allen Abgeordneten nur empfehlen,dieses Motto zu beherzigen; denn alles andere wird sehrteuer. Ich sage Ihnen mit aller Deutlichkeit, dass derKombilohn der teuerste Weg ist. Es ist doch jetzt schonodgzscdmhfhnAHdfAgrgdddSeedceABarAHAgdasz
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Im Übrigen hätten wir das – das sage ich den Kolle-gen von der CDU/CSU – seit mindestens einem halbenJahr haben können. Das war von der rot-grünen Regie-rung geplant; einen entsprechenden Gesetzentwurf ha-ben wir Ihnen vorgelegt. Aber Sie waren es, die das nochvor einem halben Jahr abgelehnt haben und nichts davonwissen wollten.aWcswnfHbuAnn3bedrBmziEebfKiz1sdh
Wir sind also für die Angleichung. Wir kritisierenber das von der großen Koalition gewählte Verfahren.
enn es den politischen Willen zu einer bundeseinheitli-hen Regelung bei den Regelsätzen gibt, dann darf die-er nicht nach politischem Gusto in die Tat umgesetzterden, sondern dann muss es ein transparentes undachvollziehbares Verfahren dafür geben. Dieses Ver-ahren muss auf einer aktuellen Datenbasis beruhen.err Niebel hat schon darauf hingewiesen. Diese Daten-asis ist die Einkommens- und Verbraucherstichprobe,nd zwar nicht die von 1998, sondern die von 2003. Dieuswertung dieser Stichprobe liegt uns vor. Es gibtichts, was dagegen spräche, sie zugrunde zu legen.Seit 1998 ist nun wirklich einiges geschehen. Ich erin-ere nur daran, dass die Strompreise um knapp0 Prozent gestiegen und Zuzahlungen im Gesundheits-ereich eingeführt worden sind. Das sind Faktoren, dieingerechnet werden müssen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich weisearauf hin, dass die Festsetzung der Regelsätze von he-ausragender Bedeutung ist, und zwar nicht nur für dieetroffenen – für die allemal; das, glaube ich, brauchtan nicht weiter zu betonen –, sondern auch für die so-ialen Sicherungssysteme ganz allgemein, zum Beispieln Bezug auf die Festsetzung des Existenzminimums iminkommensteuerrecht. Das ist einer der Gründe, warums so wichtig ist, dass diese Regelsätze inhaltlich genauegründbar sind und dass das Bemessungsverfahren da-ür nachvollziehbar ist. Das war sehr lange politischeronsens in diesem Hause.
Lesen bildet ja bekanntermaßen. Deswegen möchtech Ihnen heute Morgen einmal etwas vorlesen, undwar den Anfang eines Artikels in der „Welt“ vom6. August 2005. Ich zitiere:Die von CSU-Chef Edmund Stoiber ausgelöste De-batte über die Politik für Ostdeutschland ist durchStreit über die Angleichung des Arbeitslosengelds IIverschärft worden. Während BundeskanzlerGerhard Schröder am Montag eine baldigeAnhebung des Ost-ALG an das Westniveau ankün-digte, lehnte Unions-Kanzlerkandidatin AngelaMerkel dies als zu teuer ab.Was ist eigentlich passiert? Seit einigen Tagen schautich die Öffentlichkeit erstaunt den tosenden Kampf umen Titel der sozial gerechtesten Regierungspartei an. Soat sich die Debatte seit damals verändert.
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Brigitte PothmerDamit das klar ist – das will ich Ihnen hier noch einmalausdrücklich sagen –: Weder die CDU/CSU noch dieSPD hat sich in dieser Frage mit Ruhm bekleckert. Ge-rade Sie von der CDU/CSU waren in der Vergangenheitals Wackeldackel unterwegs.
Das werden wir nicht vergessen machen.
Frau Merkel hat die Angleichung damals nicht nurabgelehnt, sondern sie hat sogar noch einen draufgesetzt:Sie wollte nicht nur regional unterschiedliche Sätze beimArbeitslosengeld II, sondern sie wollte sie auch nochnach Alter differenzieren. So viel zum Thema Bürokra-tieabbau, meine Damen und Herren.
Was das für ein Aufwand gewesen wäre, können Sie sichsicher gut vorstellen.
Herr Brauksiepe, Sie waren es doch damals, der ge-gen die Regelung, die Sie heute hier positiv bewerten,CDU-regierte Bundesländer mobilisiert hat, um genaudas zu verhindern, was Sie heute loben. Wenn es nachIhnen gegangen wäre, dann wäre das Arbeitslosengeld IIangeglichen worden, aber nach unten. Dann gäbe es inWestdeutschland jetzt monatlich 14 Euro weniger.Wir sind für die Angleichung. Aber das, was jetzt pas-siert, riecht nach einer neuen Form von Begrüßungs-geld. Sie möchten gerne, dass die Wählerinnen undWähler im Osten vor den anstehenden Landtagswahlenbegrüßen, dass es eine große Koalition gibt. Aber ichsage Ihnen: Das wird Ihnen vor allem vor dem Hinter-grund dessen, was Sie in Bezug auf die jungen Erwachse-nen unter 25 Jahren jetzt noch vorhaben, nicht gelingen.Diese wollen Sie in die elterliche Bedarfsgemeinschaftzurückführen, was Sie, Herr Brauksiepe, wortreich be-gründet haben.Ich will überhaupt nicht bestreiten – das sage ich, da-mit das ganz klar ist –, dass es in diesem Bereich Ent-wicklungen gegeben hat, die wir alle so nicht gewollt ha-ben. Aber Sie schütten das Kind mit dem Bade aus. Ichfrage Sie: Ist das, was die große Koalition vertritt, wirk-lich das Ideal der Moderne, nämlich dass junge Men-schen, die zum Teil über Jahre schon eigenständig gelebthaben, in das „Hotel Mama“ zurückkehren sollen, dasssie ihre Eigenständigkeit, die wir gewollt und lange ge-fördert haben, jetzt wieder verlieren?
Wir brauchen an dieser Stelle differenziertere Lösun-gen. Lassen Sie uns darüber noch einmal in Ruhe bera-ten. Wir erkennen an, dass es ein Problem gibt. Aber wirerkennen nicht Ihr Lösungsangebot an. Dieser Plan istfalsch und muss verändert werden.RgdazmVLgtduAHzWmtTsTDifrFtwdlslsSsDjfd
Lassen Sie mich nun etwas ganz Grundsätzliches sa-en. Die Höhe der Transferleistungen ist deshalb wich-ig, weil es entscheidend von ihr abhängt, ob diejenigen,ie keinen Arbeitsplatz haben, menschenwürdig lebennd am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.ber Transferleistungen allein – unabhängig von ihreröhe – reichen nicht aus. Viel wichtiger ist es, Zugängeu eröffnen: Zugänge zu Bildung, Zugänge zu Arbeit.as Sie da zu bieten haben, ist wirklich erschreckendager, meine Damen und Herren von der großen Koali-ion.
Wenn es nicht gelingt, die Gruppe derjenigen, dieransferleistungen beanspruchen, zu verkleinern und sietattdessen immer weiter anwächst, dann werden dieransferleistungen auf Dauer immer geringer werden.eswegen brauchen wir eine riesige Kraftanstrengungm Bereich der Bildung, insbesondere im Bereich derrühkindlichen Bildung.Ich sage Ihnen: Was die große Koalition in der Föde-alismuskommission verabredet hat, ist ein gigantischerehler. Es ist falsch, dass sich der Bund in diesem zen-ralen Bereich von seiner Verantwortung zurückzieht. Soerden Sie das Problem nicht lösen.Die Familienministerin lässt sich jetzt dafür feiern,ass sie von den Ländern und von den Kommunen ver-angt, die elterlichen Kindergartenbeiträge auf null zuetzen. Ich muss daher fragen: Warum hat diese Fami-ienministerin ihre eigenen Forderungen nicht erfüllt, alsie Familienministerin in Niedersachsen war?
ie stellt Forderungen, die sie in der Vergangenheitchon längst hätte erfüllen können.
iese Leichtigkeit des Seins, die Frau von der Leyenetzt als Bundesfamilienministerin an den Tag legt, magür sie selbst angenehm sein. In der Sache führt das je-enfalls überhaupt nicht weiter.
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.
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718 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Noch eine Bemerkung zum Kombilohn. Herr
Müntefering hat nicht nur gestern Abend, sondern auch
im Ausschuss immer wieder betont, dass es sich manch-
mal lohnt, auf die Argumente der Opposition zu hören.
Ich bitte Sie eindringlich: Wenn Sie jetzt Kombilohnmo-
delle prüfen, dann beziehen Sie bitte das von den Grünen
entwickelte Progressiv-Modell in Ihre Überlegungen mit
ein. Dieses Modell ist ein wirklicher Beitrag zur Siche-
rung von existenzsichernden Löhnen auch im Niedrig-
lohnbereich.
Meine Damen und Herren, auch wenn die Anglei-
chung der Regelsätze richtig ist, die wirkliche Gerech-
tigkeitslücke schließen Sie damit noch lange nicht. Auch
nicht die zwischen Ost und West. Sie mögen zwar die
meisten Abgeordneten hier im Hause haben. Aber die
meisten Ideen zur Lösung der Probleme haben Sie wahr-
lich nicht.
Ich danke Ihnen.
Frau Kollegin, es wird Ihnen aufgefallen sein, dass
der gelegentlich eingeforderte Oppositionsbonus in der
Abwicklung von Parlamentsdebatten vom amtierenden
Präsidenten – jedenfalls gelegentlich – freiwillig ge-
währt wird. Es wäre dennoch ganz schön, wenn bei der
Vorbereitung von Reden als Höhepunkt vorgesehene
Bitten an die Bundesregierung noch in der vorgesehenen
Redezeit untergebracht werden könnten.
Nun hat das Wort die Kollegin Angelika Krüger-
Leißner für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Sie können sich vorstellen, dass ich mich als Ost-deutsche über den vorliegenden Gesetzentwurf beson-ders freue. Wir diskutieren heute über einen ganzpositiven Gesetzentwurf. Nach den bisherigen Redebei-trägen habe ich den Eindruck, dass das noch nicht allenbewusst geworden ist.
Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, den noch diealte Bundesregierung eingebracht hatte. Ein besonderswichtiges Ergebnis der Koalitionsvereinbarung war fürmich, dass die Regelleistungen beim Arbeitslosengeld IIin Ost und West auf einen einheitlichen Satz angeglichenwerden sollen. Dies ist nicht nur deswegen richtig, weiles notwendig wurde. Dies hat auch viel mit Glaubwür-digkeit und Übereinstimmung von Wort und Tat zu tun.Von vornherein habe ich die Trennung der Regelleis-tungen in ein West- und ein Ostniveau für nicht gerecht-fzzdtzMvsailBBsLdLenMg2nrebskdWWcikeUkedtisuMt
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 719
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Angelika Krüger-LeißnerMinisterpräsident Böhmer schlug vor, gegenteilig zuverfahren und die Westregelsätze auf Ostniveau zu sen-ken. Ich gebe zu: Die Gerechtigkeitslücke zwischen Ostund West wäre damit genauso geschlossen worden wiemit diesem hier zu beschließenden Verfahren und statt zuMehrkosten wäre es zu Kostensenkungen gekommen.Aber gerecht? Ich bitte Sie: Gerecht wäre das nicht ge-wesen.Wenn man die vorgeschlagene Regelung politisch be-trachtet, dann bringt die Erhöhung der Ostsätze eine An-näherung zwischen den alten und den neuen Ländern;das Absinken des Westniveaus hingegen würde die Spal-tung nur vertiefen. Der Aufschrei von Empfängern vonArbeitslosengeld II in den alten Ländern wäre ebensolaut wie auch verständlich. Ich denke, der Nutzen, dersich aufgrund dieses Gesetzes für die Empfänger derLeistung in den neuen Bundesländern ergibt, ist weit hö-her, als es die 14 Euro im Monat erscheinen lassen. DasGefühl der Gleichberechtigung gerade dieser Men-schen ist für den Erfolg von politischen Reformen vonunschätzbarem Wert. Denn auch und besonders diejeni-gen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben, müssensich von einer Reformpolitik mitgenommen fühlen, diedie sozialen Sicherungssysteme erhalten und erneuernwill. Diese Grunderkenntnis liegt diesem Gesetz zu-grunde. Nur wenn sich bei den Bürgerinnen und Bürgernmit geringem Einkommen das Gefühl der Gleichberech-tigung in Ost und West durchsetzt, kommen wir derÜberwindung der Teilung ein Stück näher. Das gilt ins-besondere für Hartz IV. Denn Ostdeutsche sind von die-ser Leistung anteilig weit mehr betroffen als Westdeut-sche.Ich bin mir bewusst, dass man das Kostenargumentnicht einfach beiseite schieben kann. Diese Regierungmuss sparen und diese Regierung will sparen; das habenwir deutlich wahrgenommen. Vor allem: Diese Regie-rung kann aufgrund des Kräfteverhältnisses auch sparen.Aber ich sage ebenso: Beim Sparen muss es so weit wiemöglich auch gerecht zugehen. Die Angleichung der Re-gelsätze ist für unsere Fraktion ein besonders wichtigesSignal. Es ist bedauerlich, dass die Angleichung nichtzum 1. Januar 2006 erfolgen konnte. In der Gesetzesvor-lage können wir diesen Termin noch lesen. Aber es gibteine Reihe von Problemen insbesondere mit der Soft-ware. Diese muss man ernst nehmen; man kann sie nichtlapidar zur Seite schieben, wie das eine Vorrednerin hiergetan hat. Hier hat der Minister eine Veränderung ange-kündigt.
Das entspricht auch dem, was auf der kommunalenEbene machbar ist. Damit muss man sich auseinandersetzen. Es sind eben alle Bescheide neu zu erstellen. Wirmüssen uns, wenn wir Gesetze formulieren, auch mit derUmsetzungsphase beschäftigen und uns den Realitätenstellen.Weitere Änderungen sind geplant. Gestern hat derMinister in der Ausschusssitzung davon berichtet undauch Staatssekretär Thönnes hat angedeutet, dass es an-gesichts der Fehlentwicklungen bei Bedarfsgemein-schaften mit Jugendlichen bis 25 Jahren und bei denRDwDgGwwemlSigeszmmsvlthwSddwasWtwcAdasg
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720 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Neben den Regelleistungen hat der Gesetzgeber nochden Kinderzuschlag in § 6 a Bundeskindergeldgesetzeingeführt. Dieser soll dazu führen, dass Familien mög-lichst nicht auf Leistungen nach dem SGB II angewiesensind. In der Praxis hat sich jedoch herausgestellt, dassüber 90 Prozent der Anträge auf Kinderzuschlag abge-lehnt werden. Das hängt vor allen Dingen damit zusam-men, dass sich Leistungsgrenzen und Berechnungsme-thoden innerhalb dieses Gesetzes widersprechen.Hinsichtlich der Berechnungsgrundlagen und der Ver-waltungszuständigkeiten besteht dringender Klärungsbe-darf. Es ist wenig sinnvoll, dass die für Hartz IV zustän-dige Stelle zunächst eine überschlägige Rechnungmacht, den Leistungsbezieher anschließend zur Bundes-kindergeldkasse oder zur Kindergeldkasse der regiona-len Agentur für Arbeit schickt, sich diese Behörde nocheinmal damit beschäftigt, bis dann festgestellt wird, dassder Antragsteller doch kein Geld bekommt. Diese Zu-ordnungsschwierigkeiten zwischen den Ämtern müssenanwrwdVekssdnskgnDKkdFzjizwGdmlmwWZplzkTSfsgusG
Das letzte Jahr hat uns die Erfahrung geliefert, dassir die Frage klären müssen, welche Stellen für dierundsicherung zuständig sind. Es kommt darauf an,ass die Hilfe möglichst bürgernah erbracht wird. Ineinem Wahlkreis, in unserer Region, dem Münster-and, haben wir festgestellt, dass die optierenden Kom-unen erfolgreich arbeiten, und zwar auch deswegen,eil die Zuständigkeiten eindeutig geregelt sind.
ir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir dieuständigkeiten im Laufe der Legislaturperiode über-rüfen wollen. Ich halte das für notwendig.Die anstehenden gesetzlichen Regelungen und Novel-ierungen im SGB II müssen gut bedacht werden. Es istum Beispiel aufgrund der bisherigen Erfahrungen zulären, an welchen Stellen sich das SGB II mit andereneilen des Sozialgesetzbuches, zum Beispiel demGB III, dem SGB VIII, das alte Kinder- und Jugendhil-egesetz, oder dem SGB XII, die alten Sozialhilfevor-chriften, beißt. Diese Dinge müssen im neuen Gesetz-ebungsverfahren geregelt werden. Die Novellierungnd Optimierung des SGB II sollen natürlich zügig ge-chehen. Aber es muss auch der Grundsatz gelten:ründlichkeit vor Geschwindigkeit.Ich danke Ihnen herzlich.
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Herr Kollege Schiewerling, das war Ihre erste Rede
im Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gra-
tulieren möchte, verbunden mit allen guten Wünschen
für die weitere parlamentarische Arbeit.
Nun hat Andrea Nahles das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
der Wahl versprochen und jetzt eingelöst – das gilt für
uns Sozialdemokraten, was die Angleichung der Regel-
leistungen Arbeitslosengeld II an das Westniveau be-
trifft.
Frau Pothmer, bei allem Frust über Ihre neue Opposi-
tionsrolle
sollten Sie sich doch wenigstens ein bisschen darüber
freuen, dass wir das gemeinsame Anliegen jetzt in der
neuen Koalition umsetzen können. Das wäre jedenfalls
in der Sache angemessen.
Aber ich verstehe, dass Sie es jetzt vielleicht nicht übers
Herz bringen, uns hier Beifall zu zollen.
Schön ist auch, dass Herr Niebel lernfähig ist. Das er-
lebt man ja selten. Im Oktober 2005 kann man noch in
einem „Stern“-Artikel nachlesen, dass Sie sich, für die
FDP als Generalsekretär sprechend, ausdrücklich gegen
eine Angleichung ausgesprochen haben.
Ich beobachte hier nun eine Bewegung in die richtige
Richtung. Ich zitiere: „Es gibt auch in Westdeutschland
genügend Regionen, die strukturell sehr teuer sind, und
welche, die strukturell sehr günstig sind …“ So kommen
Sie zu dem Schluss: Deswegen gehen wir am besten gar
keinen Schritt nach vorne.
Wir sagen: Weil das so ist, weil es unterschiedliche
Regionen gibt, müssen wir eine bundeseinheitliche Re-
gelung schaffen, müssen wir dafür sorgen, dass es
gleichwertige Lebensbedingungen in Deutschland gibt.
Das haben wir mit dieser Gesetzesvorlage umgesetzt.
Frau Kollegin Nahles, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Niebel?
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Im Übrigen stimme ich Ihnen ausdrücklich zu: In An-
ernach, der größten Stadt meines Wahlkreises in Rhein-
and-Pfalz, kostet ein Latte Macchiato in einem Café in
ester Lage am Marktplatz 1,90 Euro. Wie wir Politiker
issen, kostet er im „Einstein“ 4 Euro, und zwar auch in
em „Einstein“, das im Westteil Berlins liegt. Natürlich
ibt es solche Unterschiede. Deswegen wollen wir eine
undeseinheitliche Regelung.
n diesem Sinne kritisiere ich nur die Unterschiedlichkeit
hrer Schlussfolgerungen, aber keinesfalls Ihre Analyse;
iese teile ich.
Frau Kollegin Nahles, wir sollten es mit der Offenle-
ung betriebswirtschaftlicher Kalkulationen deutscher
afés nicht zu weit treiben.
Wissen Sie, Herr Präsident: Ich glaube, der Preis dorteinhaltet 1 Euro Aufschlag für Promi-Gucken; aberarüber müssen wir ein anderes Mal sprechen.
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Andrea NahlesKommen wir zurück zum Thema: Auch das, was dieRedner der Linken heute vorgetragen haben, war sehr in-teressant; denn das grenzte schon an Geschichtsklitte-rung. Hier wurde der Eindruck erweckt, dass es just IhrerAktivitäten und Minidemonstrationen vor dem Reichs-tag bedurft hätte,
um uns auf den rechten Pfad zu führen.Ich kann Ihnen nur sagen: Niemand anderes als diealte Bundesregierung, als Rot-Grün, hat den Ombudsrateingesetzt, mit dem ausdrücklichen Ziel – diesem Ziel istder Ombudsrat auch nachgekommen –, die Hartz-IV-Ge-setzgebung zu begleiten und sie daraufhin zu überprü-fen, ob Nachbesserungsbedarf besteht. In genau demMoment, in dem der Ombudsrat zu dem Ergebnis ge-kommen ist, dass es sinnvoll wäre, eine Angleichung derLeistungen durchzuführen, haben wir dieses Vorhabenzu unserer eigenen Angelegenheit gemacht. Dafür hat esIhrer freundlichen Aufforderungen nicht bedurft; denngenau das war unser Ziel: ein komplexes Gesetzge-bungsverfahren vom Ombudsrat begleiten zu lassen.
Frau Kollegin, möchten Sie Ihre Redezeit noch ein-
mal durch eine Zwischenfrage verlängern lassen?
Ich bin ja heute zum ersten Mal seit Jahren der Absti-
nenz wieder dran, deshalb würde ich eigentlich gerne
fortfahren. Aber nun gut, bitte, Uli.
Herr Kollege Maurer.
Liebe Frau Kollegin Nahles, liebe Andrea, – –
– Moment mal, das ist doch nett, oder? Herr Niebel, wa-
rum empört Sie das?
– Na, dann tun Sie das.
Es wäre schon gut, wenn neben dem Austausch von
Freundlichkeiten auch die angemeldeten Fragen gestellt
würden.
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Jawohl, lieber Herr Präsident. – Frau Kollegin
ahles, ich wollte eigentlich nur fragen,
b es für die Feststellung, dass die Einheit der Rechts-
erhältnisse diese Angleichung gebietet, der Einsetzung
ines Ombudsrats bedurfte.
Nein. In Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es,ass der Bund für die Herstellung gleichwertiger Le-ensverhältnisse verantwortlich ist.
u dieser Verantwortung bekennen wir uns ausdrück-ich. Das basiert allerdings – auch das ist festgehalten –uf regionalen Besonderheiten, die zum Beispiel auchei der Berechnung der Verbrauchs- und Einkommens-tatistik und der Rentenwerte zugrunde gelegt werden.Wir haben an dieser Stelle zunächst einmal formalichtig agiert und uns dann im Interesse des übergeord-eten Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes entsprechenderhalten. Ich persönlich glaube, dass wir dieses Anlie-en auch in Zukunft nicht aus den Augen verlieren dür-en. Im Rahmen der Beratungen der Föderalismuskom-ission hat es mehrfach Angriffe darauf gegeben: Derund sollte seine Verantwortung für die Gleichwertig-eit der Lebensverhältnisse immer mehr auf die Ländererlagern. – Hier gebe ich Ihnen Recht: Das dürfen wiricht tun. Deswegen ist das ein Auftrag, den wir hier imarlament auf Bundesebene auch in Zukunft zur Wieder-orlage bekommen werden.
Zu einem Punkt, der mir wichtig ist, nämlich der hierehrfach aufgeworfenen Frage, ob es tatsächlich einennterschied zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosen-eld II gibt. Den gibt es allerdings: Was wir hier festle-en – das schließt auch an die Frage von Herrn Maurern –, ist schlicht eine Bundesleistung; ob sie einheitlichestgelegt wird, ist dabei eine politische Entscheidung.
ie Sozialhilfe wird von den Sozialhilfeträgern festge-egt. Das ist eine andere Ebene. Das machen auch dieänder. Insoweit ist hier aus meiner Sicht noch einmallarzustellen, dass es nicht automatisch zu einer Verän-erung bei der Sozialhilfe kommen muss.Wir haben heute 14 Euro mehr für ALG-II-Beziehern Ostdeutschland beschlossen; das ist viel Geld füriese Leute. Natürlich weiß ich, dass es trotz allem, wasir an Transfer leisten, am Ende keine Alternative dazuibt, dass jeder und jede eine existenzsichernde Arbeit
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 723
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Andrea Nahleshat. Da kann ich mich mit einem Mindestlohnniveau,wie von der FDP heute vorgeschlagen – nämlich auf derEbene von ALG II –, nicht anfreunden.
Wir brauchen Mindestlöhne, die existenzsichernd sind.Aber auf dem Niveau von ALG II sind sie es nicht. Indiesem Sinne werden wir uns auch in den Beratungenum Kombilohn/Mindestlohn so verhalten, dass Arbeitwieder Wert hat, dass die Leute von der Arbeit lebenkönnen.Vielen Dank.
Mir ist die Freude an diesen Interventionen sehr gut
nachvollziehbar, aber es gehört zu den plausiblen Re-
geln, dass nach Abschluss einer Rede zu derselben keine
Zwischenfragen mehr gestellt werden können; was sich
mit einem gewissen Maß an Logik auch sofort er-
schließt.
– Eine solche war aber bisher nicht angemeldet.
– Gut, dann bekommt für eine Kurzintervention das
Wort der Kollege Niebel.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich werde mich dem
Wort „Kurzintervention“ entsprechend kurz fassen.
Ich wollte nur deutlich klarstellen: Die FDP hat zu
keinem Zeitpunkt Mindestlöhne gefordert. Wir halten
Mindestlöhne für falsch, für schädlich. Denn wenn der
Mindestlohn nicht die Kosten eines Arbeitsplatzes er-
reicht, geht das Ganze in die Schwarzarbeit. Ich habe nur
festgestellt – und das ist wissenschaftlich auch beleg-
bar –: Arbeitslosengeld II wirkt wie ein Mindestlohn:
weil es eine untere Einkommensgrenze definiert und
deswegen, wirtschaftlich nachvollziehbar, kaum einer
einen Grund hat, eine Tätigkeit aufzunehmen für ein
Entgelt, das unter diesem Mindestlohn liegt. Ich bitte
Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen.
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Ich bleibe dabei: Die größte soziale Ungerechtigkeitin unserem Lande ist, wenn jemand, der arbeiten will,nicht die Möglichkeit dazu hat.
Deswegen müssen wir mehr dafür tun, um den Men-schen, die keine Arbeit haben, aber arbeiten wollen, einePerspektive zu geben. Natürlich ist es richtig, das Ar-beitslosengeld im Osten anzuheben – das betone ich –,aber es muss uns vor allem darum gehen, den Menschen,die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, die Möglichkeitzu geben, eine Beschäftigung zu finden.Unser aller Ziel ist es, zu mehr Beschäftigung inDeutschland zu kommen. Mehr Beschäftigung wird esaber nur dann geben, wenn wir die wirtschaftliche Situa-tion in diesem Land insgesamt verbessern, vor allemaber die wirtschaftliche Situation des Mittelstands, derkleinen und mittleren Betriebe. Auf den Mittelstand set-zen wir bei der Beseitigung von Arbeitslosigkeit im Üb-rigen besonders große Hoffnungen.Uns allen ist aber doch klar, dass wir nur mithilfe vonInstrumenten der Arbeitsmarktpolitik nicht mehr Ar-beitsplätze schaffen können. Wir brauchen mehr wirt-schaftliche Dynamik in diesem Lande.
Die große Koalition hat im Koalitionsvertrag vieles ver-einbart, was zu mehr Wachstum und Beschäftigung füh-ren wird. Bei der Klausurtagung des Bundeskabinetts inGenshagen ist das konkretisiert worden; ich möchte dasnicht weiter ausführen. Es wird darüber hinaus aber wei-tere Anstrengungen geben müssen, um die Rahmenbe-dingungen für unternehmerisches Handeln in unseremLand weiter zu verbessern. Ich nenne als Beispiele diegeplante Unternehmenssteuerreform oder den Abbauvon Bürokratie und von Regulierungen.Die gesetzgeberischen Maßnahmen alleine werdenaber nicht dazu führen, dass in Deutschland mehr Ar-beitsplätze geschaffen werden; das ist richtig. Wir kön-nen die Schaffung von Arbeitsplätzen sozusagen nichtper Gesetz verordnen, hier ist die Wirtschaft gefordert.Dazu bedarf es aber einer positiven Grundstimmung undmehr Vertrauen. Vertrauen ist nun einmal die Grundlagefür jedes wirtschaftliche Wachstum. Was wir in der Poli-tik machen, ist das eine, was in der Wirtschaft passiert,das andere. Ständige Nachrichten über Arbeitsplatzab-bau in unserem Land jedenfalls verbessern nicht dieStimmung und führen nicht zu einer Verbesserung derpsgumigZmsHzrgwstwAgvisagwndDZ
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726 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Wir sprachen vorhin von Hartz IV und den Grundbe-trägen, von denen diese Menschen leben müssen. Dassdie Verbraucher, die zur Miete wohnen, immer größereSchwierigkeiten haben, ihre tägliche Existenz zu gestal-ten, hat etwas mit dem Thema zu tun, das heute hier zurRede steht; denn diese Umsatzrenditen bezahlen die Ver-braucherinnen und Verbraucher.Der zweite Fall, den ich ansprechen möchte, ist dieKonzentration im Pressewesen. Sie ist für unsere De-mokratie vielleicht noch viel wichtiger als die reine wirt-schaftliche Macht in anderen Wirtschaftsbereichen. Einefreie Presse ist konstituierend für jede demokratischeOrdnung. Zu Beginn dieser Republik hat Paul Sethe– das ist der nächste Gründervater unserer Republik, denich erwähnen möchte – einmal gesagt: Die Pressefreiheitist immer in Gefahr bei uns, die Freiheit einiger wenigerreicher Leute zu sein, ihre Meinung zu verbreiten. – Da-her muss dieses Parlament sicherstellen, dass die Presse-konzentration in diesem Lande nicht weiter fortschreitet.Auch darum geht es bei der Ministererlaubnis.
Wenn jetzt ein großes Verlagshaus, das auf dem Pres-semarkt ohnehin eine beherrschende Stellung hat, dabeiist, einen größeren Anteil beim Privatfernsehen zu er-werben, dann muss dieses Parlament aufmerksam wer-den und sich die Frage stellen: Was kann getan werden,damit solche Fehlentwicklungen nicht weiter Platz grei-fen?Es gab bereits einen Fall, in dem falsch entschiedenworden ist. Ich meine die Novelle, die die rot-grüneKHkzzmmFdvnMldmSwdbzNi–jrszlsIsMMdceumeswp
Ach Gott, wie billig, verehrter Herr Kollege.
Herr Kollege Tauss, es wäre schon gut, wenn Sie sich
etzt wenigstens entschließen könnten, ob Sie telefonie-
en oder Zwischenrufe machen wollen.
Die Versuchung politisch Verantwortlicher, im Ge-präch mit Verlagshäusern eher die Verlagskonzentrationu befürworten, ist sehr ausgeprägt. Ich war jahrzehnte-ang immer wieder an politischen Entscheidungsprozes-en beteiligt und kenne schließlich die Zusammenhänge.nsofern meine ich, dass das Parlament alarmiert seinollte, wenn bereits in den politischen Parteien über dieinistererlaubnis gesprochen wird.Lassen Sie mich zusammenfassend festhalten: Dieinistererlaubnis hatte vielleicht einmal ihre Begrün-ung. Es gibt auch heute viele Gründe, die dafür spre-hen. Ich nehme an, dass einige Verteidiger der Minister-rlaubnis diese Gründe noch anführen werden. Ausnserer Sicht hat sie aber in den letzten Jahren nichtehr ihre eigentliche Funktion erfüllt. Sie war vielmehrin Einfallstor für die weitere Konzentration im Wirt-chaftsbereich und sie könnte ein Einfallstor für eineeitere Konzentration im Medienbereich sein. Deshalblädieren wir dafür, die Ministererlaubnis abzuschaffen,
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Oskar Lafontainedamit der Wirtschaftsminister seine Ordnungsfunktionwieder wahrnehmen kann, indem er nach unserem Ge-setzentwurf das Recht erhält, auch dann Nein zu sagen,wenn die Kartellbehörde eine Fusion genehmigt hat.Es geht in diesem Zusammenhang um die sozialeMarktwirtschaft. Vor allem aber geht es um die demo-kratische Marktwirtschaft. Die Ministererlaubnis hatsich zu einem Instrument entwickelt, das der demokrati-schen Marktwirtschaft entgegensteht. Deshalb sollte siefallen.
Für die Bundesregierung hat das Wort nun der Parla-
mentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Das deutsche Wettbewerbsrecht ist gut aufgestellt.Es ist beispielhaft in Europa und wohl auch in der Welt,und zwar einschließlich der darin festgelegten Minister-erlaubnis. Sie ist erst 1973 in dieses System eingefügtworden. Damals regierten die FPD und die SPD, HerrLafontaine. Man empfand die Ministererlaubnis als not-wendig.Sie ist ein kluges Instrument, wenn man sie richtignutzt. Sie soll ermöglichen, dass in Fällen eines gesamt-wirtschaftlichen Vorteils und eines übergeordneten Ge-meinwohlinteresses eine unter sehr strenger Handha-bung des Wettbewerbsrechts gefundene Entscheidunggeändert werden kann. Das Problem besteht nicht darin,dies zu ermöglichen; es geht vielmehr um die Frage, obdamit verantwortungsvoll und vernünftig umgegangenwird.Wir sind der Meinung, dass das deutsche Wettbe-werbsrecht bisher trotz aller auch bedauernswerten Fehl-entwicklungen im Einzelnen durchaus die Aufgabegeleistet hat, Marktwirtschaft zu sichern und Machtwirt-schaft zu vermeiden. Das ist der eigentliche Sinn diesesWettbewerbsrechts. Deswegen halten wir die beiden vor-liegenden Gesetzentwürfe für nicht zielführend. Sie wür-den unsere Möglichkeiten, auf unerwartete, schwierige,wirtschaftspolitische Situationen intelligent und ver-nünftig zu antworten, einengen und erschweren und des-wegen die Standortqualität verschlechtern.Wir wissen, dass die Ministererlaubnis auch Pro-bleme mit sich bringt und Versuchungen bietet. Ich ma-che aus meinem Herzen keine Mördergrube, indem ichfeststelle, dass mir die Eon-Entscheidung ausgespro-chen problematisch erschienen ist. Dabei will ich garnicht zentral darauf abstellen, dass die Entscheidungschließlich so gefallen ist. Man kann aber anhand derEon-Entscheidung eine Menge darüber lernen, was allesnicht sein darf. Dazu gehört erstens, dass eine Minsterer-laubnis nicht so früh in Aussicht gestellt werden darf
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an hat doch keine Gestaltungskraft mehr gegenüberem Partner auf der anderen Seite, wenn dieser aufhefebene bereits weiß, dass er möglicherweise allesmgehen kann, weil er auf die Genehmigung zählenann. Das war der erste katastrophale Fehler im Eon-erfahren.Der zweite war, dass alle Handelnden mehr oder we-iger davon ausgehen konnten, dass sie am Ende ihrerolitischen Arbeit wieder beim Antragsteller landenürden.Das sind zwei Fehler, die das Instrument der Minis-ererlaubnis auf das Äußerste beschädigt haben.
eswegen kann ich verstehen, dass nun entsprechendeesetzentwürfe vorliegen. Das ist insoweit verdienst-oll, als dass wir dadurch noch einmal Gelegenheit ha-en, uns zu vergewissern, welchem Zweck das Instru-ent dienen soll. So wie die Ministererlaubnis im Eon-all angewandt wurde, war sie schädlich und Ihrelaubwürdigkeit wurde beschädigt. Das darf sich nichtiederholen.Es ist klug, ein solches zusätzliches Instrument zu ha-en, vorausgesetzt, dass es richtig eingesetzt wird. Iniesem Zusammenhang lohnt es sich, auf die Nachbar-taaten zu schauen. In Frankreich ist im Prinzip jedereigabe eine Ministererlaubnis. In Großbritannien gibts die Fälle des Public Interest. Nationale Sicherheit,asserversorgung und Zeitungen – ausgerechnet Zeitun-en! – werden dort unter das Regiment der Minister-rlaubnis gestellt. In den Niederlanden gibt es trotz allerntscheidungsmacht der Kartellbehörden die Möglich-eit, aus Gründen des Allgemeinwohls eine Sonderge-ehmigung zu erteilen. Wir befinden uns mit unseremnstrument also in guter Nachbarschaft. Deshalb wollenir daran festhalten.Ich möchte auf das zurückkommen, was es hier zu-ätzlich zu beachten gilt. Es ist ausgesprochen empfeh-enswert, dass kartellrechtlich relevante Fragen vomundeskartellamt in Unabhängigkeit behandelt werdennd dass sich die Politik, insbesondere die politisch Zu-tändigen, bis zur Entscheidung heraushält.
Herr Berninger, wir werden in einer offenen Gesell-chaft nicht verhindern können, dass sich Politiker, dieit der Sache wenig zu tun haben, vorlaut äußern. Ichalte zwar von vorlauten Äußerungen nichts, kann sieber weder auf Bundesebene noch auf Landesebene un-erbinden.
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Parl. Staatssekretär Hartmut SchauerteDie zuständige Behörde, das mit dem Vorgang be-fasste Ministerium und der Wirtschaftsminister sowiealle anderen, die mitwirken, haben sich Zurückhaltungaufzuerlegen. Sonst kann das Bundeskartellamt seinPotenzial bei den Verhandlungen gar nicht generieren;sein Potenzial würde geschädigt. Das Bundeskartellamtmuss seine Entscheidungen mit Sachkompetenz und ingroßer politischer Unabhängigkeit treffen können. Sonstgewinnen wir nicht die gewünschten Erkenntnisse da-rüber, was richtig und was falsch ist.Wir, die wir in der Politik damit zu tun haben, habenuns also zurückzuhalten. Das Bundeskartellamt soll ingroßer politischer Unabhängigkeit und Freiheit verhan-deln und entscheiden können, um das Beste im Sinne desWettbewerbs herauszuholen.Die Linke fordert sogar zusätzlich die Möglichkeit,selbst unbedenkliche Zusammenschlüsse zu verbieten,und zwar aus anderen Gründen. Das hieße, die Sache aufden Kopf zu stellen. Das wäre eine Kehrtwendung umexakt 180 Grad. Das bedeutete eine erhebliche Belas-tung des Standortes Deutschland. Wenn wir in einer glo-balisierten Welt bestimmten Ministerien erlaubten, Un-ternehmensfusionen mithilfe einer Ministererlaubnis zuverbieten bzw. Unternehmen zu zerschlagen – darüberdarf man gar nicht nachdenken –, dann wäre das einegravierende Schwächung des Standortes Deutschland iminternationalen Wettbewerb und in der Sache. Davorkann ich nur warnen.Herr Kollege Lafontaine, Sie haben gesagt, dassschon die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung füreine Erlaubnis eine politische Versuchung darstelle. Wasmeinen Sie aber, wie groß die politische Versuchungwäre, wenn man etwas verbieten könnte? Ich warne alleNeugierigen vor der Einführung eines solchen Instru-ments; denn es wäre ein Einfallstor für neue korruptiveVerhältnisse. Hier haben Sie wieder einmal nicht biszum Ende gedacht. Ich bedauere das nicht ausdrücklich;aber das ist nun einmal so.
Ich möchte noch etwas zur Praxis sagen. In über30 Jahren gab es 18 Anträge, die dieses Thema betref-fen. 18 Anträge! Davon sind sieben mit Ministererlaub-nis entschieden worden, teilweise noch mit Auflagen.Eine Konsequenz aus der angesprochenen Problematikist: Das Instrument der Ministererlaubnis soll es weiter-hin geben. Aber davon sollte so selten wie möglich Ge-brauch gemacht werden.Das ist die nächste Empfehlung. Im Prinzip muss dieEntscheidung des Kartellamts reichen. Da ist der Sach-verstand versammelt. Nur in seltenen Ausnahmefällensoll es die Ministererlaubnis geben.Wir werden deswegen an der Ministererlaubnis fest-halten. Wir werden sie nur in den gesetzlich vorgesehe-nen Fällen und sehr zurückhaltend anwenden. DieBundesregierung kann darum eine Annahme beider Ge-setzentwürfe nicht empfehlen.Herzlichen Dank.BsjmZsDnsaswGisdBsdmS–nErDwHwetsBBCwsEnSt
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Rainer
rüderle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es istchon eine erstaunliche Metamorphose, wenn die Linkenetzt zu Vorkämpfern für Walter Eucken werden. Das hatan bei anderen politischen Diskussionen nicht erlebt.um Schluss hat Oskar Lafontaine mit der demokrati-chen Marktwirtschaft wieder eine Hintertür geöffnet.er Vorschlag, eine Ministergenehmigung durch ein Mi-isterverbot zu ersetzen, lässt den Verdacht einer gewis-en dialektischen Kosmetik bei diesem Gesetzentwurfufkommen.
Zur Sache selbst. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbe-chränkungen ist die Magna Charta der sozialen Markt-irtschaft. Es ist die grundlegende Regelung bzw. dasrundgesetz. Wir befinden uns leider in einem Prozess,n dem grün-rote ordnungs- und wettbewerbspoliti-che Sünden – das ist eine ganze Liste – begangen wur-en. Das bezieht sich nicht nur darauf, dass die grün-roteundesregierung kurz vor der Bundestagswahl die Ent-cheidung bezüglich Eon und Ruhrgas – da kann manen Ausführungen von Lafontaine weitgehend zustim-en – getroffen hat. Anschließend wurden Minister undtaatssekretär Tacke gut untergebracht.
Lieber Herr Tauss, das sind alles Unternehmen, in de-en die paritätische Mitbestimmung gilt.
s wird nicht nur der Betriebsrat von VW nach besonde-en Regeln gepflegt, sondern offenbar auch die Kunden.as wirft ein bezeichnendes Licht auf die Bedeutung ge-erkschaftlicher Mitbestimmung in großen Konzernen,err Tauss. Dass Sie bei den Reden telefonieren müssen,eist darauf hin, dass Sie bei Peters neue Weisungeninholen müssen.
Zurück zu den ordnungspolitischen Sünden. Ein ex-remer Fall – auch bei Grün-Rot – war das Einzelwei-ungsrecht in der Telekommunikation. Es hat noch keineundesregierung gewagt, ein Einzelweisungsrecht einesundesministers zu etablieren. Der Versuch vonlement, das Pressefusionsrecht und damit den Wettbe-erb auszuhöhlen, ist gescheitert. Die Wettbewerbsauf-icht wurde absichtlich von Grün-Rot zersplittert. Dienergiewirtschaft, die Bahn und die Netzagentur wurdenicht dem Kartellamt unterstellt, sondern es wurdenonderstrukturen geschaffen. Damit wurden die Kompe-enzen des Kartellamts systematisch geschwächt.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 729
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Rainer BrüderleDie Ministererlaubnis war von Anfang an umstrit-ten. Die Fusionskontrolle durch das Kartellamt sollte mitder Ministererlaubnis kombiniert werden. Viele der Ent-scheidungen waren umstritten. Der Gedanke ist, sich ne-ben einer Prüfung von Zusammenschlüssen von Unter-nehmen nach Recht und Gesetz, nach ökonomischen undwettbewerblichen Kriterien durch ein unabhängiges Kar-tellamt, die Möglichkeit offen zu halten, Gemeinwohlas-pekten, die nicht rein wettbewerblichen Überlegungenunterworfen sind, Rechnung zu tragen. Italien ist daseinzige Land, das ich kenne, das eine kartellrechtlicheRegelung ohne eine solche Kombination hat. Fast alleanderen Länder haben ein solches Instrument. In Italiengibt es möglicherweise andere Mechanismen, die man ineine Bewertung einbeziehen müsste. Das will ich jetztaber nicht vertiefen.Recht hat Herr Staatssekretär Schauerte mit seinerBemerkung – ich zitiere ihn wörtlich –, dass die Ent-scheidung im Zusammenhang mit Eon und Ruhrgas dieMinistererlaubnis äußerst beschädigt hat. Da hat derHerr Staatssekretär Recht. Wenn das die Erkenntnis derBundesregierung ist, dann kann diese Erkenntnis schonein Fortschritt gegenüber Grün-Rot sein. Sie hatten of-fenbar diese Erkenntnisse damals noch nicht. Die Grü-nen haben ihre Position geändert. Als Oppositionsparteihaben sie den Wettbewerb entdeckt. Vorher haben siealle die von mir zitierten Erosionsprozesse mitgemacht.
Ich gebe zu, dass man auch zu der Schlussfolgerungvon Lafontaine kommen kann, nämlich so weit zu ge-hen, die Ministererlaubnis abzuschaffen, da sie äußerstbeschädigt ist. Das Ministerverbot einzuführen halteich jedoch für einen dialektischen Kunstgriff. Da scheintdie alte Schule noch durch.Auch ich kann aber nicht bestreiten, dass im Zusam-menhang mit der Abschaffung der Ministererlaubnis derAspekt der Versorgungssicherheit eine Rolle spielt. Ichhalte einen Mechanismus für notwendig, der es ermög-licht, einwirken zu können, ohne dass dies allein ökono-misch begründet ist. Ich gebe auch zu: Mir ist nochnichts Besseres als die Ministererlaubnis eingefallen.Meines Erachtens bleibt nichts anderes übrig, als ver-schärft politisch zu diskutieren, damit Erscheinungenwie die Eon-Ruhrgas-Fusion, die einen schalen Ge-schmack hinterlassen – am Ende finden sich alle in gutbezahlten Positionen wieder –, öffentlich entsprechendgebrandmarkt werden.Der ehemalige Kanzler hat den Anstieg der Gaspreisebeklagt, obwohl man vorher eine Fusion genehmigt hat,die einen Marktanteil von 87 Prozent ermöglicht hat.
Bei einer Einführung in die Grundzüge der Volkswirt-schaftslehre an der Volkshochschule Dessau-Süd lerntman, dass Monopolpreise höher als Wettbewerbspreisesind. Erst ein Monopol schaffen und dann über diePreise jammern ist zutiefst unredlich.zshbpbSwlßhAWSrdevDdsPSdwdUwSgtnAlfskBd
Ich warne davor, solche Schritte vorschnell zu voll-iehen. Man sollte die Ministererlaubnis also nicht ab-chaffen, ohne dass wir die Dinge wirklich durchdachtaben. Ich glaube, dass es klug ist, ein Instrument zu ha-en, das eine Korrektur aus übergeordneten Gesichts-unkten möglich macht. Das darf nur ein seltener, gutegründeter Ausnahmefall sein. Herr Staatssekretärchauerte, nicht nur was die Landesebene, sondern auchas die Bundesebene angeht, halte ich es für bedauer-ich, dass auch Ihr Minister leichtfertig öffentliche Äu-erungen über das Thema Ministererlaubnis gemachtat, bevor das Kartellamt abschließend geprüft hat.
uch das ist keine Stärkung des Bewusstseins für denettbewerbsgedanken.
Nächster Redner ist der Kollege Christian Lange,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Ich finde es in der Tat schon sehr bemerkenswert,ass den Gesetzentwurf der Linken/PDS ausgerechnetin Sprecher begründet, der noch auf der Gehaltslisteon Springer stand oder immer noch steht.
ass er dann auch noch die Dreistigkeit hat, hier überie Kontrolle von Medienmacht zu philosophieren, daschlägt dem Fass in der Tat den Boden aus.
Diese Dreistigkeit setzt sich im Gesetzentwurf derDS fort: Ausgerechnet sie versucht hier, sich zumchützer des Wettbewerbs aufzuspielen. Sie kommt iner Tat zu dem Ergebnis, § 42 GWB müsse gestrichenerden. Die Konsequenz daraus wäre, dass dem Bun-eskartellamt die alleinige Entscheidungsbefugnis übernternehmensfusionen zugesprochen würde. Liest maneiter, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus:tattdessen soll dem Wirtschaftsminister das Recht ein-eräumt werden, Genehmigungen des Bundeskartellam-es zu untersagen, wenn die „marktwirtschaftliche Ord-ung gefährdet“ sei oder ein „überragendes Interesse derllgemeinheit“ dies rechtfertige.Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehenassen: Die bisherige Möglichkeit, eine Unternehmens-usion durch die Ministererlaubnis zu genehmigen, bei-pielsweise aufgrund volkswirtschaftlicher Notwendig-eiten, soll ersetzt werden durch die Möglichkeit desundeswirtschaftsministers, die Genehmigung des Bun-eskartellamts zu untersagen. So viel zum Thema
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Christian Lange
Kontrolle. Das ist doch nichts anderes als die alte Gän-gelwirtschaft à la DDR: Am Ende wird schon „Honni“oder der Minister entscheiden. Dahinter steckt nichts an-deres. Das hier als Wettbewerbsschutz darzustellen, istin der Tat eine besondere Dreistigkeit.Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas Grundsätzli-ches zum Thema Ordnungspolitik sagen. Der Ord-nungspolitik gegenüber stehen alle interventionistischenEingriffe in das Wirtschaftsgeschehen, welche denMarktprozess behindern. Die Marktwirtschaft – das hatsich auch und gerade nach dem Fall der Mauer imJahre 1989 gezeigt – ist das überlegene Wirtschaftssys-tem; denn es ist am besten in der Lage, Wirtschafts-wachstum, Wohlstand und Beschäftigung zu generieren.Die inhaltlich-programmatische Aussage des Gesetzent-wurfs der PDS ist deshalb falsch.Konstituierendes Element der sozialen Marktwirt-schaft ist und bleibt nämlich der Wettbewerb. Wettbe-werb in unserer Gesellschaftsordnung ist also ein unbe-dingt schützenswertes Gut. Der Schutz des Wettbewerbsist die zentrale ordnungspolitische Aufgabe in einerMarktwirtschaft. In Deutschland ist das Bundeskartell-amt zusammen mit den Landeskartellbehörden für eben-diesen Schutz des Wettbewerbs zuständig. Natürlich – dawill ich Ihnen ausdrücklich Recht geben – gibt es Situa-tionen, in denen Unternehmen versuchen, den Leistungs-wettbewerb durch Preisabsprachen, Kartelle, monopolis-tische Tendenzen und Ähnliches auszuschalten odereinzuschränken. Deshalb ist es eine hoheitliche Aufgabe,diesen Wettbewerb zu schützen.Wie machen wir das? Aufgrund von drei Säulen, dieim GWB normiert sind: zum Ersten die Kartellbekämp-fung, zum Zweiten die Missbrauchsaufsicht und zumDritten die Fusionskontrolle. Dabei steht uns die Mono-polkommission zur Seite. Sie hat den gesetzlichen Auf-trag, das Funktionieren des Wettbewerbs in Deutschlandim Allgemeinen und auch in einzelnen Wirtschafts-sektoren zu beobachten. Sie beurteilt Konzentrationsten-denzen, würdigt die Anwendung von Vorschriften derFusionskontrolle und erstattet entsprechend Bericht. Sosteht in § 36 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschrän-kungen unmissverständlich – ich will das zitieren, weiluns viele zuschauen und nicht genau wissen, wie unsereGesetzeslage ist; ich will allerdings nur den ersten Ab-satz zitieren –:Ein Zusammenschluss, von dem zu erwarten ist,dass er eine marktbeherrschende Stellung begrün-det oder verstärkt, ist vom Bundeskartellamt zu un-tersagen, es sei denn, die beteiligten Unternehmenweisen nach, dass durch den Zusammenschlussauch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingun-gen eintreten und dass diese Verbesserungen dieNachteile der Marktbeherrschung überwiegen.Genau dies will die PDS jetzt verhindern, indem siedurch Ministerentscheid die Untersagung ermöglichenwill. Damit wäre die Sache in der Tat auf den Kopf ge-stellt. Die kartellrechtliche Entscheidung des Bundes-kartellamtes ist übrigens ein justizähnliches Verfahrenund deshalb auch überprüfbar.ldeGErtbecBgVdswAtwIdlsnDUbiadlELdrisenDEtmsgmuö
eutsche Gerichte haben gesagt, dass es auch beion Ruhrgas nach Recht und Gesetz gegangen ist. Un-erlassen Sie daher bitte diesen unzulässigen Populis-us!
Die PDS würde mit ihrem Gesetzentwurf – Gegen-tand sind die Abschaffung der Ministererlaubnis beileichzeitiger Ermächtigung des Bundeswirtschafts-inisters, Genehmigungen des Bundeskartellamts zuntersagen – dem Machtmissbrauch erst Tür und Torffnen.
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Herr Kollege Lange, Entschuldigung. Erlauben Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Maurer?
Gerne.
Herr Maurer, bitte schön.
Herr Kollege Lange, nachdem Sie sich gerade über
Korruption ausgelassen haben, darf ich Sie einmal fra-
gen: Wie würden Sie es denn nennen, wenn jemand Ver-
handlungen in dem Bewusstsein führt, dass er bei dem
Unternehmen, das von seiner Entscheidung begünstigt
wird, anschließend einen so hoch dotierten Posten be-
kommt, dass es, auf die Vertragsdauer berechnet, um ei-
nen mehrfachen Millionenbetrag geht? Wir bewerten das
als politische Korruption. Wie ist bitte Ihre Bewertung?
Mich würde interessieren, Herr Abgeordneter Maurer,
wie Sie eigentlich den Machtmissbrauch bewerten, dem
Ihr eigener Gesetzentwurf Tür und Tor öffnen würde.
Dort fordern Sie nämlich, dass ein Minister in Zukunft
die Entscheidungen des Bundeskartellamtes verhindern
kann. Wie würden Sie so etwas bezeichnen? Ist das Kon-
trolle politischer Macht oder ist es das Gegenteil?
Es ist offensichtlich das Gegenteil. Deshalb tun Sie bitte
schön nicht so, als würden Sie hier über politische Kor-
ruption wachen oder als wären Sie gar der Hüter des
Wettbewerbs; denn Sie sorgen dafür, dass das Gegenteil
von Kontrolle üblich wird, indem Sie fordern, dass der
Gusto, das Befinden des jeweiligen Ministers entschei-
det und sonst nichts.
Meine Damen und Herren, das, was wir hier von der
PDS zu erwarten haben, ist also interventionistische
Politik, die nichts mit der marktwirtschaftlichen Ord-
nung zu tun hat und deshalb aus unserer Sicht abzuleh-
nen ist.
Herr Kollege Lange, Herr Kollege Maurer würde
gerne eine weitere Zwischenfrage stellen.
Nein, auch der Kollege Maurer muss sich daran ge-wöhnen, dass er seine Frage stellen und ich meine Ant-wort geben kann und damit die Sache erledigt ist.
hzdBVaAiDmMLanvÜdkFstvEtcvutSMgndAdBasAdzLddDoWwddrt
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732 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Berningervon Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kol-lege Brüderle hat auf eine Ministererlaubnis in der vor-vergangenen Legislaturperiode hingewiesen, nämlichbei der Fusion von Eon und Ruhrgas. Es ist richtig, dassdie Fusion damals unter grüner Regierungsbeteiligungzustande kam. Ich denke, dass die Debatte aber redlicherverlaufen würde, wenn wir uns einmal alle 18 Fälle, indenen es um eine Ministererlaubnis ging, anschauenund prüfen würden, welche Parteien für die jeweiligeMinistererlaubnis die Verantwortung hatten.Wie gesagt, unter der Regierungsverantwortung vonBündnis 90/Die Grünen war es eine. Unter der Regie-rungsverantwortung der Union war es eine. Unter derRegierungsverantwortung der SPD waren es sechs undunter der Regierungsverantwortung der FDP waren esebenfalls sechs Ministererlaubnisse. Ich finde es daheretwas pharisäerhaft, wenn Sie sich jetzt auf eine Minis-tererlaubnis konzentrieren und damit nicht nur uns imParlament, sondern auch die Zuhörerinnen und Zuhörerauf einen falschen Weg schicken wollen.Ich glaube, dass die Ministererlaubnis nicht in diesesGesetz gehört. Ich bin nicht der Einzige, der dieser Mei-nung ist. Jemand hat einmal gesagt, Kartelle seienFeinde der Verbraucher. Er hat jahrelang für ein Wettbe-werbsrecht gekämpft und hat in diesem Parlament – da-mals noch in Bonn – das Grundgesetz der Marktwirt-schaft gegen den Widerstand aus allen Fraktionen aufden Weg gebracht. Es handelt sich um Ludwig Erhard.Er hat vieles gewollt, aber mit Sicherheit nicht das Kon-strukt einer Ministererlaubnis; denn er wusste, unterwelchem Druck dann der Wirtschaftsminister steht.Die Macht eines Wirtschaftsministers lässt sich nichtdavon ableiten, dass dieses Unikum der Ministererlaub-nis in seinem Verantwortungsbereich liegt. Die Machteines Wirtschaftsministers leitet sich nach Meinung derFraktion Bündnis 90/Die Grünen davon ab, ob er in derLage ist, für einen fairen Wettbewerb zu sorgen. Insofernhalten wir es für geboten, dass die Ministererlaubnis ausdem Kartellrecht herausgenommen wird.
Es wäre absurd, in umgekehrter Weise zu verfahren,also dem Minister die Macht zu geben, dem Kartellamtbei der Zulassung von Fusionen die nötigen Spielräumezu nehmen. Dazu ist schon einiges gesagt worden. DiePDS sollte im Rahmen der Ausschussberatung darübernachdenken, ob es nicht besser wäre, sich auf die Strei-chung der Ministererlaubnis zu konzentrieren. Das wäreordnungspolitisch der richtige Schritt.
Der Parlamentarische Staatssekretär Schauerte hatheute Morgen hier gesagt, dass sich Politikerinnen undPolitiker zu laufenden Verfahren wie etwa der FusionvsscsGdgdwmZbKskpSeMMmsDsdSWdeddgfddfcsIsSwfwdumnmrMenA
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ch bin der Meinung, dass Matthias Kurth eine sehr guterbeit leistet.
Herr Kollege Berninger – –
Man sollte sie nicht so pauschal diskreditieren, wie
ie das gemacht haben.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Ist das ein Antrag auf eine Kurzintervention?
Herr Kollege Brüderle, bitte schön.
Herr Kollege Berninger, ich habe mich rechtzeitigährend Ihrer Rede zu einer Zwischenfrage gemeldet.a diese nicht möglich war, nutze ich den Weg derurzintervention.Ich halte es für einen elementaren Widerspruch, wennie einerseits sagen: „Wir wollen durch die Abschaffunger Ministererlaubnis das Kartellamt stärken“, Sie aberndererseits verteidigen, dass es in Wettbewerbsfragennterschiedliche Instanzen nebeneinander gibt. Das hatar nichts mit der Arbeit des Herrn Kurth zu tun. Ichespektiere diesen Mann. Aber es ist vom Prinzip heralsch, in Wettbewerbsfragen für Teilmärkte Sonderbe-örden einzurichten.
Die Logik verlangt – dann wäre Ihr Gesetzentwurfiel glaubwürdiger – ein starkes und unabhängiges Kar-ellamt. Sie wollen ja sogar so weit gehen, dass Sie keineemeinwohlaspekte vorsehen. Aber Sie verteidigen,ass bei der Eisenbahn, der Energie, der Telekommuni-ation Sonderregelungen geschaffen wurden. Sie habenort sogar das Einzelweisungsrecht zugunsten eines
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Rainer BrüderleUnternehmens mitgetragen. Das ist ja der eklatantesteVerstoß gegen Wettbewerbsregeln, den es je nach demKrieg in Deutschland gab. Das macht die Sache nichtglaubwürdig.Ich will Ihnen noch eines sagen: Sie vertreten ja dieThese, dass die Abschaffung der Ministererlaubnis dasKartellamt und den Gedanken des Wettbewerbs stärkt.Sie werden erleben, dass genau das, was Sie mitgetragenhaben, nämlich Sonderbehörden für einzelne Märkte zuschaffen, dann noch zunehmen wird und dass die Gefahrder Politisierung und der Besetzung von Führungsposi-tionen des Kartellamts aufgrund von politischen Ge-sichtspunkten ungleich höher im Vergleich dazu werdenwird, als wenn Sie als einen letzten „escape“ ein Instru-ment haben, mit dem Gemeinwohlaspekte und andereübergeordnete Aspekte miteinbezogen werden können.Das ist der bessere Weg, als eine weitere Zersplitterungund Aushöhlung des Kartellamts durch Sonderbehördenund durch eine weitergehende Politisierung bei der Aus-wahl von Entscheidungsträgern zu betreiben. Es gibtviele, die parteipolitisch verdienstvoll sind und die alsKandidaten für entsprechende Posten infrage kommen.
Herr Kollege Berninger, zur Erwiderung, bitte schön.
Herr Kollege Brüderle, zunächst einmal möchte ich
darauf hinweisen, dass die Grundstruktur der Netzagen-
tur im Zuge der Liberalisierung des Telekommunika-
tionsmarktes von der FDP federführend vorangetrieben
worden ist. Das war in der fern zurückliegenden Zeit, als
Sie noch die Wirtschaftsminister in diesem Land gestellt
haben. Ich glaube, dass es eine Reihe von netzgebunde-
nen Industrien gibt, die als Monopole oder Oligopole or-
ganisiert sind. Diese netzgebundenen Industrien lassen
sich nach meinem Dafürhalten nur in eine Marktwirt-
schaft überführen, wenn man für die Details solche
Schiedsrichter hat, wie Matthias Kurth einer ist. Ich
glaube, dass das Kartellamt damit überfordert wäre, die
Zugangsregelungen bei Gas im Detail auszuhandeln, im
Detail auszuhandeln, wie der Strommarkt funktionieren
soll, oder im Detail die Wettbewerbsregeln bei der Bahn
auszuhandeln. Die Netzagentur – sie hat im Telekommu-
nikationsbereich eine Reihe von für unterschiedliche
Unternehmen unangenehmen Entscheidungen gefällt –
wird dagegen eine wichtige Rolle zu spielen haben.
Insofern glaube ich, dass es in Bezug auf den Wettbe-
werb eine vernünftige Position ist, das Kartellamt da-
durch zu stärken, dass die Ministererlaubnis, die ja ein
Druckmittel ist, wegfällt. Es gibt als Kontrollinstanz die
Gerichte; man kann beispielsweise eine Entscheidung
vor Gericht anfechten. Darüber hinaus ist es nötig, dass
wir mit der Netzagentur eine Instanz haben, die die netz-
gebundenen Industrien auf dem Weg zu mehr Wettbe-
werb, auf dem Weg in die Marktwirtschaft hilfreich un-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 735
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Soll dies in Zukunft eine außen stehende Kommissionmachen? Nicht eine Kommission hat letzten Endes überVerlust und Sicherheit von Arbeitsplätzen, über die wirt-schaftliche Gefährdung einer ganzen Region zu ent-scheiden, sondern wir, die gewählten Vertreter des Vol-kes, und die von uns getragene, aber auch kontrollierteRegierung.Die Ministererlaubnis hat sich bewährt. Das Verfah-ren wurde 1973 eingeführt und seither nur in absolutenAusnahmefällen angewandt. In diesen 33 Jahren gab esTausende Fusionen, aber nur 18 Anträge auf eine Minis-tererlaubnis, von denen lediglich sieben genehmigt wur-den. Das heißt, dass im Schnitt alle fünf Jahre eineGenehmigung erteilt wurde und diese oft nur mit erheb-lichen Auflagen. Das Prüfverfahren ist zudem transpa-rent und ordentlich. Eine Erlaubnis muss ausführlich be-gründet werden. Nicht zuletzt – wie es sich in einemRechtsstaat gehört – kann gegen das Ergebnis auch ge-klagt werden.Jetzt kommen wir zum eigentlichen Kern der Angele-genheit. Ich glaube, der Linken geht es in Wirklichkeitgar nicht um die Ministererlaubnis, sondern umSpringer. Die wettbewerbsrechtliche Diskussion überdas Für und Wider der Fusion von Springer und Sat 1 istdie eine Frage. Das Bundeskartellamt prüft hier mit ho-her fachlicher Kompetenz. Das Ergebnis werden wirvoraussichtlich nächste Woche erfahren. Wer die Dis-kussion verfolgt hat, hat gesehen, welch starke Stellungdas Kartellamt hierbei einnimmt. Ich glaube, mehr müs-sen wir heute an dieser Stelle zu diesem Sachverhaltnicht sagen.Eine völlig andere Frage ist aber, ob das demokrati-sche Verfahren der Ministererlaubnis beibehalten wer-den soll oder nicht. Frau Jochimsen von der Linkenschrieb am 2. Januar in der Zeitung „Neues Deutsch-land“ sinngemäß, das Instrument der Ministererlaubnismüsse jetzt abgeschafft werden, weil es sein könne, dassdie Fusion von Springer und Sat 1 durch eine Ministerer-laubnis genehmigt werde. Sehr geehrte Damen und Her-ren, was ist das für eine Logik? Das ist, als wollten Siealle Autos verbieten, weil Ihnen das Reiseziel nicht ge-fällt. Die Argumentation ist in sich unlogisch, schlicht-weg irrational und vor allem zutiefst ideologisch. Derwahre Kern ist, dass Sie über die Phase „EnteignetSpringer“ immer noch nicht hinausgekommen sind.AbezWmbGLSrEmwwiSiwmdzzdzvlHnSwbaSu
ufwachen! Wir leben nicht mehr im Jahr 1968. Wir le-en im Jahr 2006.Wir von der CSU und der CDU verstehen uns ganzindeutig in der Tradition von Ludwig Erhard. Die so-iale Marktwirtschaft lebt von einem funktionierendenettbewerb, der die Bürger schützt und den Wohlstandehrt. Deswegen haben wir, die Unionsfraktion, uns ins-esondere in der letzten Wahlperiode bei der Novelle desWB intensiv engagiert und darauf gedrängt, dass dieücken geschlossen werden.Deswegen haben wir die Liberalisierung im Bereichtrom und Energie während der Ära Kohl ins Leben ge-ufen und in den vergangenen Jahren nachhaltig forciert.s ist keine Frage, dass beispielsweise auf dem Energie-arkt noch erheblich nachgebessert werden muss. Sieerden sehen, dass Wirtschaftsminister Glos das tunird. Er wird sich als wahrer Enkel von Ludwig Erhardn den Geschichtsbüchern verewigen.
ie wissen ja, Ludwig Erhard war Franke. Michael Glosst auch Franke. Die Franken saugen die soziale Markt-irtschaft sozusagen schon mit der Muttermilch oderit Frankenwein in sich auf.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Das Instrumenter Ministererlaubnis hat sich bewährt. Es ist zudem einutiefst politisch-demokratisches Instrument. Ihr Antragielt in eine andere, in eine falsche Richtung. Sie wollenemokratische Instrumente durch Kommissionen erset-en. Ihr Antrag ist letztlich zutiefst ideologisch moti-iert. Sie träumen noch heute von der Zeit der außerpar-amentarischen Opposition. Sehr geehrte Damen underren der Linken, Sie sind in diesem Parlament geistigoch nicht angekommen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg Tauss von der
PD-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichusste gar nicht, dass Ludwig Erhard in Prichsenstadtei Schweinfurt Verwandte hatte. Aber man lernt ja nichtus.Wir unterhalten uns natürlich in der Tat heute eintück weit über die Fusion von Springer mit Pro Siebennd Sat.1. Völlig ungeachtet des populistischen und
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736 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Jörg Taussinhaltsleeren Charakters des Antrags der PDS ist es na-türlich schon ein medienpolitisches und wettbewerbs-rechtliches Thema, das jenseits von Ideologie angesie-delt werden kann.Lieber Kollege Brüderle, bei Ihnen wundere ich michimmer. Ich meine, das ist bei euch Liberalen so: Jederkann jeden Tag etwas Neues erzählen; das kennzeichnetdie Liberalität, aber nicht unbedingt die politische Serio-sität. Sie waren übrigens derjenige, der zu Ihrer Regie-rungszeit die Regulierungsbehörde eingeführt hat. Zuder Zeit gab es, wenn ich mich recht erinnere, einenFDP-Wirtschaftsminister. Sie haben sie über Jahre hin-weg vehement verteidigt.
Ich finde, es war eine gute Entscheidung. Die Regulie-rungsbehörde leistet gute Arbeit. Also tun Sie heutenicht ganz so ablehnend.Herr Kollege Berninger – ich will noch einmal auf Siezurückkommen – hat Recht: In Wahrheit geht es heuteum die Fusion von Springer mit Pro Sieben und Sat.1.Hierzu wurden von Ihnen, lieber Kollege Berninger, ei-nige Unterstellungen gemacht. Von dem, was von linksgekommen ist, möchte ich gar nicht sprechen.Zu dem, was Kurt Beck gesagt hat, möchte ich erwi-dern: Es ist nicht wahr, dass hier irgendetwas vorbereitetwäre. Ich habe übrigens nicht mit Jürgen Peters telefo-niert. Ich habe, um mich hier zu vergewissern, mit derStaatskanzlei in Mainz telefoniert – lieber KollegeBrüderle, das müsste Ihnen doch nahe liegen –, von derauch noch einmal bekräftigt worden ist, dass das Verfah-ren abgewartet werden muss. Wir sind in einem laufen-den Verfahren. Wir haben dieses Verfahren noch nichtabgeschlossen. Das ist die Logik des Vorgangs.In der Sache ist sich die SPD völlig einig. Wir müssenmit dem Koalitionspartner darüber sprechen. Wir halteneine Ministererlaubnis, so wie sie angekündigt wordenist, für nicht ganz unproblematisch. Das werden wir inaller Freundschaft in der Koalition austragen. Aber inder Tat, im Moment sind wir gar nicht die Handelnden.Handelnder ist das Kartellamt, das jetzt zu prüfen hat, obeine Meinungsmacht im Medienbereich entsteht und obMeinungsvielfalt beeinträchtigt wird. Wir Medienpoliti-ker in der SPD haben klar gesagt: Wir sehen diese Ge-fahr.Aus diesem Grunde sehen wir es auch als relativ pro-blematisch an, dass ein Teil der Länder nun eine Diskus-sion darüber beginnt, die Entscheidung der KEK aufzu-heben. Ich glaube, die KEK – die Kommission zurWahrung der Medienvielfalt und zur Verhinderung vonKonzentrationsprozessen im Medienbereich – hat hiereine sehr gute, interessante und abgewogene Stellung-nahme abgegeben. Ich würde es bedauern, wenn diesjetzt in einem landespolitischen Hickhack möglicher-weise unterginge.Das Problem der Medien, das Sie berechtigterweiseangesprochen haben, lieber Kollege Berninger, wird mitIhrem Antrag nicht gelöst. Wir werden uns wahrschein-luMzLwhsPztlwIdihndmdhKdawMddAgmgsDhSqiddBzsDFndvhrc
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 737
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Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Oskar Lafontaine das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
mehrfach angesprochen worden. Zunächst möchte ich
dem Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion entgegnen,
der das Wort „Vergnügen“ zitiert hat. Das Wort „Vergnü-
gen“ war nicht auf den Sachverhalt selbst gemünzt, son-
dern auf meine Aussage, dass ich mit Spannung erwarte,
wie sich die Parteien der Marktwirtschaft zu diesem
Sachverhalt äußern werden. Denn das bereitet Vergnü-
gen. Das wollte ich nur erläutern.
Zum Zweiten. Wenn ein Minister in der jetzigen
marktwirtschaftlichen Situation, in der sich die Bundes-
republik Deutschland befindet, das Recht erhalten soll,
Fusionen zu untersagen, ist das kein Rückfall in die
DDR-Wirtschaft. Er kann ja nur den Zusammenschluss
untersagen, den das Kartellamt zuvor genehmigt hat; so
steht es im Gesetzentwurf. Die Schlussfolgerung einiger
Redner, dass dies ein Rückfall in die Staatswirtschaft sei,
kann ich logisch nicht nachvollziehen. Aber vielleicht
argumentieren wir ja mit einer unterschiedlichen Logik.
Nun zum persönlichen Teil. Mehrfach wurde darauf
hingewiesen, dass ich in der Zeit, in der ich nicht dem
Parlament angehörte und kein Regierungsamt hatte, ei-
nen Kolumnistenvertrag im Hause Springer hatte. Daran
könne man, so ein Vertreter der SPD, meine Unglaub-
würdigkeit erkennen
– ein besonders qualifizierter Abgeordneter der SPD
klatscht gerade sehr laut –;
denn jemand, der von einem Verlag ein Honorar empfan-
gen hat,
dürfe sich nicht mehr zum Thema Medienkonzentration
äußern.
Um die Kollegen von der SPD-Fraktion aufzuklären
– aus Zeitgründen kann ich nicht die ganze Latte der
SPD-Mitglieder aufzählen, die früher Honorare vom
Springer-Verlag bekommen haben –, erwähne ich nur
meinen Ziehvater, Willy Brandt, der dort Teile seiner
Biografie veröffentlicht hat.
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Dann kommen wir zum nächsten Redner, dem Kolle-
en Martin Zeil von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieinistererlaubnis ist in der Tat ein starker Eingriff inie Entscheidung der unabhängigen Hüter des Wettbe-erbs. Deshalb hat sie nach dem Gesetzeszweck aus gu-em Grunde auch absoluten Ausnahmecharakter. Seit der Entscheidung über die Fusion von Eon unduhrgas unter Rot-Grün, aber auch angesichts der aktu-llen Debatte über Pro Sieben/Sat.1 stellt sich verstärktie Frage nach dem richtigen Gebrauch der Ministerer-aubnis. Eines ist ja festzustellen: In beiden BereichenEnergiewirtschaft und Medien – haben wir in Deutsch-and eindeutig zu wenig Wettbewerb und nicht zu viel.
Gerade das Beispiel Eon Ruhrgas zeigt zudem: Dieamalige und auch die jüngste Haltung des Kartellamtsezüglich der marktbeherrschenden Stellung bei Gasnd Strom ist richtig und die damalige Ministererlaubnisar ein Fehler. Wettbewerb war in der damaligen Regie-ung offenbar nur eine Frage, wann wer auf welchenosten bei den verfahrensbeteiligten Unternehmenechselt.
Herr Kollege Stiegler, auch Sie sollten erst denken undann reden. Sonst gibt es wieder eine Fehlleitung bei Ih-en Gedankenblitzen.
Es wäre gut gewesen, wenn die Grünen schon damalsn der Regierung so kritisch gewesen wären, wie sie esetzt bei ihrem Gesetzentwurf sind. Herr Kollegeerninger, es kommt nicht auf die Anzahl der Minister-
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Martin Zeilerlaubnisse an, sondern darauf, ob eine solche falsch waroder richtig.
Wir brauchen dringend eine Stärkung des Bundeskar-tellamts als unabhängiger Instanz und keine Schwä-chung, wie sie es wäre, wenn wir dem Vorschlag derFraktion der Linken folgen würden.
Auf die inneren Widersprüche dieses Vorschlags ist jaschon eingegangen worden. Eine Parallelprüfung imMinisterium würde zusätzliche Kosten bedeuten. DieFolge wäre noch mehr Bürokratie, also genau das Ge-genteil von dem, was wir zur wirtschaftlichen Belebungbrauchen.Wettbewerbspolitik ist das ordnungspolitische Herz-stück einer Politik der sozialen Marktwirtschaft. Davonist bei der neuen Koalition aus unserer Sicht noch viel zuwenig zu spüren. Sie will vielmehr das Sündenregisterder Vorgängerregierung auf diesem Gebiet – von EonRuhrgas über die Verlängerung des Briefmonopols biszum Verzicht auf die Trennung von Netz und Betrieb beider Bahn – offenbar noch verlängern, indem sie die Tele-kom beim Breitbandnetz vor Wettbewerb schützen will.Wir halten dies für das Gegenteil von Wettbewerbspoli-tik. Es ist auch das Gegenteil von Marktwirtschaft.
Nun haben einige Kollegen viel über Ludwig Erhardgesprochen. Ein Kollege von der CSU hat auch schondie Enkel von Ludwig Erhard genannt. Herr Stoiberwollte auch auf diesem Stuhl Platz nehmen. Zum Glückist ihm rechtzeitig eingefallen, dass er einem Vergleichnicht standgehalten hätte.
Wer ausgerechnet vor einer Entscheidung des Kartellam-tes mit der Ministererlaubnis winkt, wie dies Herr Glosund Herr Stoiber in diesen Tagen getan haben, begehtnicht nur eine ordnungspolitische Sünde ersten Ranges,sondern er schwächt die unabhängigen Hüter des Wett-bewerbs.
Nun ist Herrn Glos das Ministeramt ja im Zuge derSelbstfindung seines Parteivorsitzenden auch zu seinereigenen Überraschung zugefallen. Aber er ist nun dasordnungspolitische Gewissen dieser Regierung und icherwarte von ihm, dass er auch entsprechend agiert undnicht so defensiv wie bei den aktuellen Auseinanderset-zungen um die richtige Energiepolitik und die drohendeZweckentfremdung der ERP-Mittel.Wir Liberale glauben an das Gute im Menschen.
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der Ministerpräsident des Saarlandes, OskarLafontaine, 1994 eine Änderung des Pressegesetzesfür das Saarland durch, das restriktivste Landes-pressegesetz der Republik, um Kritik an seiner Re-gierung zu unterbinden.Ich denke, Sie haben nicht das Recht, in diesem Ho-en Hause über Pressefreiheit zu sprechen, wenn Sie soit der Presse umgehen, wie Sie es getan haben.
ch kann natürlich verstehen, dass Sie verärgert sind undut haben. Als Sie im Jahr 2000 versucht haben, Mit-lied im Aufsichtsrat der „Saarbrücker Zeitung“ zu wer-en, hat Dieter von Holtzbrinck geantwortet, einenafontaine, der mit der Pressefreiheit so umgehe, könnean in einem solchen Gremium nicht gebrauchen.
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Herr Kollege Fuchs, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Lafontaine?
Die kann er gerne stellen.
Bitte schön.
Herr Kollege Fuchs, wissen Sie, dass der einzige Re-
gelungsgehalt des Gesetzes, das Sie erwähnt haben, das
Gegendarstellungsrecht war mit der Maßgabe, dass die
Gegendarstellung an der Stelle erscheinen muss, an der
der Artikel, auf den sie sich bezieht, erschienen ist?
Wenn Sie das als Eingriff in die Pressefreiheit werten,
haben Sie übersehen, dass das mittlerweile in der Bun-
desrepublik allgemein geltendes Recht ist. Darüber will
ich Sie nur aufklären.
Das ist nicht der Fall. Der Ministerpräsident des Saar-
landes Müller hat 1999 kurz nach seiner Regierungs-
übernahme diesen Passus aus dem Landespressegesetz
gestrichen; das sollten Sie wissen. Ein CDU-Minister-
präsident hält etwas von Pressefreiheit, die bei Ihnen
nicht großgeschrieben wird.
Lassen Sie mich zum Thema Ministererlaubnis zu-
rückkommen. Ich halte den Umgang der verschiedenen
Regierungen mit der Ministererlaubnis für sehr vernünf-
tig und sehr restriktiv. Das Bundeskartellamt hat in
159 Fällen Zusammenschlüsse untersagt. In nur sieben
Fällen wurde die Entscheidung mit einer Ministererlaub-
nis aufgehoben. Das entspricht noch nicht einmal einem
Fall pro Legislaturperiode. Eine Ministererlaubnis
wurde durchschnittlich also bei jedem 23. Fall ausge-
sprochen. Das zeigt, dass alle Wirtschaftsminister seit
1973 mit diesem Instrument sehr vorsichtig umgegangen
sind.
Der Kollege Schauerte hat eben erwähnt, dass es nur
in einem Fall ein gewisses Geschmäckle, wie man in Ba-
den sagt, gegeben hat, nämlich als die handelnden Perso-
nen anschließend in das betreffende Unternehmen ge-
wechselt sind. Das sollte man nicht machen. Wir haben
auch in anderen Zusammenhängen erlebt – das hängt al-
les mit Gas zusammen –, dass in dem einen oder anderen
Fall Personen in solche Unternehmen gewechselt sind
bzw. wechseln.
Grundsätzlich ist die Ministererlaubnis ein wichtiges
Instrument; denn es kann natürlich Situationen geben
– darüber sind wir uns im Klaren; Kollege Lange hatte
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Herr Kollege Fuchs, ich möchte darauf hinweisen,ass wir zwei Legislaturperioden davor, als wir noch in
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Matthias Berningerder Opposition waren, bereits die Abschaffung der Mi-nistererlaubnis gefordert hatten. Mit unserer Wettbe-werbsposition konnten wir uns in der Koalition mit derSPD aber nicht durchsetzen. Deswegen würde mich inte-ressieren, wie es dazu gekommen ist, dass Sie als Teilder Koalition nun die Reichensteuer für die Union ver-treten. Auch das scheint mir ja ein Teil der Kompromiss-findung gewesen zu sein. Insofern wissen Sie, wie wiruns damals bei der Fusion von Eon und Ruhrgas gefühlthaben.
Verehrter Herr Berninger, ich darf Ihnen nur sagen,
dass Sie im Rahmen der 7. GWB-Novelle in der letzten
Legislaturperiode genau das Gegenteil von dem gefor-
dert haben, was Sie heute fordern. Das ist ja noch eine
Qualität höher und das sollten wir nicht wegreden.
Die Fraktion der Linken verlangt nun sogar die Ab-
schaffung der Ministererlaubnis und will dann die Bun-
desregierung ermächtigen, Fusionen zu verbieten. Das
nenne ich einen Abschied von der EU-Harmonisierung.
Wir kommen dann wieder zu nationalen Alleingängen.
Sie glauben, man könne die Globalisierung zurückdre-
hen. Für mich ist Ihre Methode sozusagen ein Morgen-
thau-Plan 50 Jahre später.
Sie beweisen damit nur, dass Sie von weltwirtschaftli-
chen Zusammenhängen überhaupt nichts verstehen. Ich
halte es für unverantwortlich, durch solche Anträge die
Ängste der Bevölkerung zu schüren, dass die Zusam-
menschlüsse dazu führen, dass Arbeitsplätze wegbre-
chen etc. Genau das versuchen Sie damit. Ich bin dage-
gen, dass wir den alles kontrollierenden Staat mit Ihren
Methoden schaffen.
Meiner Meinung nach sind die Ministererlaubnisse
notwendig. Aus übergeordneten Gründen müssen wir
gesamtwirtschaftlich entscheiden können. Deswegen
sollte das Instrument auch so erhalten bleiben und wei-
terhin so restriktiv angewendet werden, wie das alle Mi-
nister bisher getan haben. Ich bin überzeugt davon, dass
der Bundesminister für Wirtschaft dies genauso handha-
ben wird. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich dem Kollegen Rainer Wend von der SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich mussmeine Rede in zwei Teile unterteilen. Zunächst werdeich mich mit einigen wenigen polemischen Auseinander-setzungen beschäftigen. In einem zweiten Teil würde ichgsbdwSrdnbsswrdgnbvgwfGmdMtswaDsHSSdtnctAgwemKe
Ich will mich noch kurz zur Sache einlassen. Ichlaube, dass der Kollege Brüderle Recht hat,
enn er betont, wie wichtig das Kartellrecht ist. Dies istin Rückgrat unserer Marktwirtschaft, das wir stärkenüssen. Ich glaube auch, dass die Entscheidungen desartellamtes im Wesentlichen richtig waren. Ich glaubebenso, dass die Entscheidung des Kartellamtes zu Eon
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Dr. Rainer WendRuhrgas richtig war; denn es beurteilt eine mögliche Fu-sion unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten.Gleichwohl muss es eine Ministererlaubnis geben, dieaus politischen Gesichtspunkten zu einem anderen Er-gebnis kommen kann.
Das war in diesem Fall gegeben.Deswegen sage ich mit aller Klarheit: Wir brauchenein starkes Kartellamt für den Wettbewerb. Wir brau-chen eine Ministererlaubnis, die verantwortlich genutztwird, um auch anderen Interessen zur Geltung zu verhel-fen. Diese geltende Rechtslage ist in Ordnung. Daranmüssen wir nichts ändern.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 16/365 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. DerGesetzentwurf auf Drucksache 16/236 – Tagesordnungs-punkt 4 – soll abweichend von der Tagesordnung an die-selben Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu an-derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b so-wie Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf:16 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-tokoll vom 22. Oktober 1996 zum Überein-kommen Nr. 147 der InternationalenArbeitsorganisation über Mindestnormen aufHandelsschiffen– Drucksache 16/151 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
InnenausschussAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen Nr. 180 der InternationalenArbeitsorganisation vom 22. Oktober 1996über die Arbeitszeit der Seeleute und die Be-satzungsstärke der Schiffe– Drucksache 16/152 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungZP 8 a)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-tokoll vom 21. Mai 2003 über die strategischeUmweltprüfung zum Übereinkommen überdie Umweltverträglichkeitsprüfung im grenz-VdüFZsvddceKss
– Drucksache 16/341 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklungb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENFür starke soziale und ökologische Standardsin der Internationalen Finanz-Corporation
der Weltbank
– Drucksache 16/374 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachtenerfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 d sowieusatzpunkte 9 a bis 9 c auf. Es handelt sich um die Be-chlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspracheorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 17 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu dem Protokoll vom 27. November 2003 zurÄnderung des Europol-Übereinkommens undzur Änderung des Europol-Gesetzes– Drucksache 16/30 –
Beschlussempfehlung und des Berichts des In-nenausschusses
– Drucksache 16/251 –Berichterstattung:Abgeordnete Ralf GöbelFrank Hofmann
Dr. Max StadlerUlla JelpkeWolfgang WielandDer Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/251,en Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, dieem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-hen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-ntwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen deroalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-timmen der Fraktion der Linken und des Bündnis-es 90/Die Grünen angenommen.
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsDritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenom-men.Tagesordnungspunkt 17 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Seeaufgabengeset-zes– Drucksache 16/35 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Drucksache 16/376 –Berichterstattung:Abgeordneter Rainder SteenblockDer Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/376, den Gesetzentwurf anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratungeinstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 17 c:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom14. April 2005 über den Beitritt der Tschechi-schen Republik, der Republik Estland, derRepublik Zypern, der Republik Lettland, derRepublik Litauen, der Republik Ungarn, derRepublik Malta, der Republik Polen, derRepublik Slowenien und der SlowakischenRepublik zu dem Übereinkommen von 1980über das auf vertragliche Schuldverhältnisseanzuwendende Recht sowie zu dem Ersten unddem Zweiten Protokoll über die Auslegung desÜbereinkommens durch den Gerichtshof der
– Drucksache 16/41 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 16/391 –sdsDeigsEdds
– Drucksache 16/385 –Berichterstattung:Abgeordnete Erich G. FritzDr. Ditmar Staffelt
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsMartin ZeilUlla LötzerMargareta Wolf
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 16/385, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, umdas Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmigangenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-nommen.Zusatzpunkt 9 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu dem Abkommen vom 8. April 2005 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschland undRumänien über Soziale Sicherheit– Drucksache 16/37 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Arbeit und Soziales
– Drucksache 16/381 –Berichterstattung:Abgeordneter Max StraubingerDer Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt aufDrucksache 16/381, den Gesetzentwurf anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratungeinstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist einstimmig angenommen.Zusatzpunkt 9 c:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu der Zweiten Änderung desÜbereinkommens vom 25. Februar 1991 überdie Umweltverträglichkeitsprüfung im grenz-
– Drucksache 16/43 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit
– Drucksache 16/388 –sDIwgAknHddsdgZuIGdrbgeEdD
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Das Wort hat der Kollege Michael Leutert von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei-
gentlich können wir es kurz machen, da sich alle einig
sind, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Experten des in-
ternationalen Rechts gehen ebenfalls davon aus, dass
diese Reform überfällig ist.
Das Hauptargument für die Reform ist das Effektivi-
tätskriterium. Bevor ich dazu komme, möchte ich aller-
dings die unserer Meinung nach wichtigsten Neuerungen
unterstreichen, die es uns ermöglichen, diesem Gesetz-
entwurf zuzustimmen:
Erstens wird der Zeitraum von Verfahren höchstwahr-
scheinlich auf ein zumutbares Maß begrenzt.
Zweitens kann in Zukunft die Nichtbefolgung von
Urteilen förmlich festgestellt werden.
Drittens besteht nun die Möglichkeit, Auslegungspro-
bleme, die die Befolgung von Urteilen behindern, wie-
derum Sache des Gerichtshofes werden zu lassen.
Viertens und letztens wird – das ist eine wichtige Sa-
che – die Stellung des Kommissars für Menschenrechte
mit diesem Gesetzentwurf gestärkt.
Diese deutlichen Verbesserungen lassen bei der Be-
antwortung der entscheidenden Frage, nämlich ob diese
Änderungen zu einer Stärkung oder eher zu einer
Schwächung des Menschenrechtsschutzes führen, kei-
nen großen Spielraum. Es ist evident, dass der Schutz
der Menschenrechte gestärkt wird. Wie gesagt, aus die-
sen Gründen kann die Linke dem Gesetzentwurf zustim-
men.
Allerdings gibt es in unserer Fraktion – und, wie ich
gestern im Ausschuss bemerkte, auch in anderen Frak-
tionen – Bedenken hinsichtlich der Abweisung von
Beschwerden durch Einzelrichter, insbesondere dann,
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Jerzy MontagEuropa wächst auf verschiedenen Ebenen, in ver-schiedenen Organisationsstrukturen und in verschiede-nen Geschwindigkeiten. Im Europarat, der ältesteneuropäischen Organisation, sind die europäische Men-schenrechtskonvention und der Europäische Gerichtshoffür Menschenrechte entstanden. Das Europa des Europa-rates umfasst 46 Staaten mit fast 1 Milliarde Menschen.Die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Men-schenrechte schützen Menschenrechte in allen Mitglied-staaten. Einige will ich nennen: Die Schweiz wurde1991 verurteilt, den freien Kontakt zum Verteidiger zugewährleisten. England wurde 2005 an die Meinungs-freiheit von Greenpeace-Aktivisten erinnert. Die Türkeiwurde 2005 verurteilt, die Todesstrafe nicht weiter zuverhängen. In Deutschland musste 2004 erst das Bun-desverfassungsgericht ein Oberlandesgericht lehren,dass Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Men-schenrechte nicht unverbindliche Äußerungen sind. Siesind in Deutschland im Rahmen der Bindung aller staat-lichen Gewalt an Gesetz und Recht – Art. 20 Abs. 3Grundgesetz – verbindlich.Die Geschichte des Europäischen Gerichtshofes fürMenschenrechte ist eine Erfolgsgeschichte. Aber dieserErfolg macht aktuell Probleme. 2002 sind 30 000 Be-schwerden in Straßburg eingegangen, über 100 pro Tag.Die Belastung des Gerichts ist von meinen Vorredne-rinnen und Vorrednern schon angesprochen worden.Aufgrund dieser Belastung ist es richtig und notwendig,dass Maßnahmen ergriffen werden, um die Funktionsfä-higkeit des Gerichts und die Durchsetzung seiner Ent-scheidungen zu verbessern. Die einzelnen Instrumentedazu wie Einzelrichterentscheidungen, Dreierausschüsseund die Durchsetzung durch das Ministerkomitee habendie Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gesprochenhaben, bereits erwähnt.Herr Staatssekretär Hartenbach, wir müssen uns da-rüber im Klaren sein, dass Unzulässigkeitsentscheidun-gen von Einzelrichtern ohne Beschwerdemöglichkeit– davon haben Sie gesprochen – nicht unproblematischsind. Deswegen haben wir im Rechtsausschuss mitFreude zur Kenntnis genommen, dass es die Bundes-regierung auf sich genommen hat, die Situation nach In-Kraft-Treten dieser Vorschrift zu beobachten und demBundestag in einem angemessenen Zeitraum Bericht zuerstatten.Ich will am Schluss meine Hoffnung ausdrücken, dassdas Protokoll Nr. 14 zur Konvention zum Schutz derMenschenrechte die dringend benötigte Abhilfe schafft.Ich schließe mit der großen Zuversicht, dass die Bedeu-tung der europäischen Menschenrechtskonvention unddes Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mitBlick auf den Schutz der Menschenrechte in Zukunftnoch wachsen wird.Danke schön.
eSHAlihDEiaIedaVsVh–dbmfewbnIdhilbssa2gawwgdds
Deshalb ist es gut, richtig und vernünftig, dass in denetzten Jahren an vielen Stellen Anstrengungen zur Ver-esserung der Situation unternommen wurden, zum Bei-piel auch durch die Erhöhung des Budgets. Ich möchtechon betonen, Herr Müller-Sönksen, dass die Personal-usstattung des Gerichtshofes im Zeitraum zwischen002 und 2005 um 63 Prozent gestiegen ist. Anstrengun-en kann man also denjenigen, die dort arbeiten, nichtbsprechen.Aber all das reicht natürlich nicht aus. Das heißt, dassir uns sehr intensiv Gedanken darüber machen müssen,ie mit den Anträgen der Bürgerinnen und Bürger um-egangen wird. Interessant ist im Übrigen – ich denke,arüber sollte man auch auf politischer Ebene verhan-eln –, dass mehr als 50 Prozent der vor dem Europäi-chen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Ver-
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Christoph Strässerfahren allein aus vier Staaten kommen. Ich nenne einenStaat, der an dieser Stelle besonders auffällig ist: Russ-land ist allein mit 17 Prozent der Eingänge beim Europäi-schen Gerichtshof für Menschenrechte aktiv.Ich kann dazu eine weitere Bemerkung machen, diedas vielleicht in einem anderen Licht erscheinen lässt.Russland ist von den 46 Mitgliedstaaten des Europara-tes das einzige Land, das das 14. Zusatzprotokoll nochnicht unterzeichnet hat. Ich finde, dass wir der Bundesre-gierung bei der Anbahnung neuer sachlicher Beziehun-gen zwischen der Bundesrepublik Deutschland undRussland den Auftrag mitgeben sollten, vielleicht aucheinmal darauf zu dringen, dass Russland insoweit seineneuropa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen gerechtwird und diese Verträge zumindest unterzeichnet, aberauch ratifiziert. Ich glaube, das wäre eine wichtige politi-sche Forderung.Wichtig ist – das ist schon angesprochen worden; des-halb kann ich mich kurz fassen –, dass der Europaratbzw. die Minister des Ministerkomitees eine weitereMaßgabe beschlossen haben, nämlich die Einrichtungdes Instituts der sieben Weisen, zu dem auch JuttaLimbach gehören wird. Diese haben im Übrigen dieAufgabe – das ist noch nicht gesagt worden –, bis Herbstdieses Jahres einen Vorschlag zu machen, wie an dieserStelle weitere Verfahrenserleichterungen durchgeführtwerden können. Ich finde, dazu gehören einige beden-kenswerte Dinge, wie zum Beispiel die Einrichtung vonGeschäftsstellen des Europäischen Gerichtshofes fürMenschenrechte in den so genannten wichtigen Staaten.Ich denke, auch wir sollten die Arbeit dieses Rats derWeisen unterstützen.Ich möchte zum Schluss sagen, dass wir alle unsMühe geben sollten, dass der Europäische Gerichtshoffür Menschenrechte, der im Zuge des Völkerrechts unddes Menschenrechtsschutzes nun wirklich eine einzigar-tige Erscheinung ist, nicht an dem zugrunde geht, wasihn auszeichnet, nämlich an seinem Erfolg.Herzlichen Dank.
Zur Geschäftsordnung? – Bitte schön.
Ich spreche zur Geschäftsordnung, Herr Präsident. –
Bei der Abstimmung zum Tagesordnungspunkt 17 – da
ging es um abschließende Beratungen ohne Ausspra-
che –, die wir vor einer halben Stunde durchgeführt ha-
ben, gab es ein Gesetz zu dem Protokoll zur Änderung
des Europol-Übereinkommens und zur Änderung des
Europol-Gesetzes. Meine Fraktion hat irrtümlich gegen
dieses Gesetz gestimmt. Ich möchte hier zu Protokoll ge-
ben, dass wir für dieses Gesetz stimmen, und bitte Sie,
das aufzunehmen.
Vielen Dank.
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Worum geht es konkret? Zum einen geht es um einerennung von Aufsichts-, Regulierungs- und Durch-ührungsaufgaben im Bereich der Flugsicherung. Dasar bisher nicht der Fall. Die DFS war in ihrem Bereichür die Einhaltung der von ihr selbst erlassenen Vor-chriften verantwortlich. Zukünftig wird die DFS ein rei-er Dienstleister sein, der den Anforderungen des Bun-es- und Europarechts nachzukommen hat. Die bisheron der DFS wahrgenommene Aufsichtsfunktion solliner Aufsichtsbehörde übertragen werden. Dabei gehts darum, Interessenkonflikte zu vermeiden.Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Lösung, dieufsichtsfunktion auf ein neu zu schaffendes Bundes-ufsichtsamt für Flugsicherung zu übertragen, Herr
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Norbert KönigshofenKollege Friedrich, muss noch erörtert werden. Wir müs-sen prüfen, ob das der Weisheit letzter Schluss ist.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung derFlugsicherung setzt nicht nur EU-Vorgaben um. Die mitdem Gesetzentwurf eingeleitete Kapitalprivatisierungist durch die Single-European-Sky-Verordnungen nichtzwingend vorgeschrieben. Sie bereitet die DFS aber vielumfassender auf zukünftige Herausforderungen vor;denn sie stärkt die internationale Wettbewerbsfähigkeitder DFS nachhaltig.
Die DFS wird künftig viel leichter und konsequenter amwachsenden Luftverkehrsmarkt partizipieren und alsDienstleister auch andere Geschäftsfelder erschließenkönnen, zum Beispiel indem sie sich an anderen Unter-nehmen beteiligt. Ich denke, dass wir der DFS dadurchim europäischen Wettbewerb einen Vorsprung verschaf-fen. Das wird sich positiv auf den LuftverkehrsstandortDeutschland auswirken. Auch der Bund wird unmittel-bar von der Kapitalprivatisierung profitieren; denn dieVeräußerung von 74,9 Prozent der Anteile wird Geld inunsere klammen Kassen spülen.
Eine Sperrminorität von 25,1 Prozent verbleibt aller-dings beim Bund. Der Grund dafür ist einfach: Die DFSwird in Zukunft nicht ausschließlich am Markt agieren,sondern auch weiterhin hoheitliche Aufgaben wahrneh-men. Das gilt nicht nur für den zivilen Bereich. Die engezivil-militärische Zusammenarbeit bei der Flugsicherunghat sich in den letzten Jahren bewährt. Der vorliegendeGesetzentwurf erfüllt alle Voraussetzungen dafür, dassdies auch so bleiben wird.
Meine Damen und Herren, der Entwurf eines Geset-zes zur Neuregelung der Flugsicherung ist geeignet, dieDeutsche Flugsicherung für die Zukunft fit zu machen.Er stärkt den gesamten Luftverkehrsstandort Deutsch-land. Dass dieser Gesetzentwurf so schnell nach derWahl vorgelegt werden konnte, ist auch ein Verdienst derLuftverkehrspolitiker dieses Hauses; denn er beruht aufAnträgen und Initiativen, die CDU/CSU, SPD, FDP undGrüne in der letzten Wahlperiode gemeinsam auf denWeg gebracht haben. Damit ist der Gesetzentwurf auchAusdruck der guten Tradition in der Luftverkehrspolitik,dass wir wichtige Themen im Interesse unseres Landesgemeinsam angehen.Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlageneRichtung ist die richtige, um die DFS und den gesamtenLuftverkehrsstandort Deutschland zu stärken. Natürlichmuss noch eine Reihe von Details geprüft werden; even-tuell ist etwas zu ergänzen oder zu verbessern. Ich binaber sicher, dass uns dies im Verlauf des parlamentari-schen Verfahrens gelingen wird, sodass wir einen Ge-setzentwurf formulieren und verabschieden können, derfür den Luftverkehr insgesamt zukunftsweisend ist.vKwggutfnWdttbtsFudgrmsWnvaslGdtvZseBdwm
Was ist das Besondere an diesem Gesetzentwurf? Ers-ens. Die Flugsicherung soll privatisiert werden. Zwei-ens. Die Aufsicht über die Aufsicht erhält das neu zuildende Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. Drit-ens. Auch an die Beaufsichtigung der Aufsicht der Auf-icht ist gedacht. Das neue Bundesaufsichtsamt fürlugsicherung wird dem Bundesverkehrsministeriumnterstellt; von ebendiesem soll es beaufsichtigt werden.Bei so viel Aufsicht von oben dürfen wir aber nichten Blick nach unten, zum Shareholder Value, sozusa-en in die Firmenkassen, außer Acht lassen. Die Bundes-egierung will mit ihrem Gesetzentwurf nämlich weitausehr regeln, als uns durch die Vorgaben der Europäi-chen Union abverlangt wird. Sie will gleichzeitig denettbewerb zwischen den Flugdienstleistern eröff-en; denn Inhalt dieses Gesetzentwurfs ist auch die Pri-atkapitalisierung der Deutschen Flugsicherung. Wie fürlle privatisierten Dienste würde dann auch für die Deut-che Flugsicherung gelten: Kosten sparen und/oder Er-öse steigern. Auch in diesem Bereich würde Zeit zueld.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich gebe zu be-enken: Immer wenn es beim Umgang mit komplexenechnischen Systemen um Prüfen und Genauigkeit undor allem um die Sicherheit von Menschen geht, darf dieeit nicht drücken und darf der Profit nicht die Leitgrößeein,
rst recht dann nicht, wenn die Privatunternehmen imereich der Flugsicherung wenig Einfluss auf die Wahler technischen Systeme hätten, und auch deshalb nicht,eil niemand heute wissen kann, welche Technik über-orgen eingesetzt wird.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 753
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Dorothee MenznerWir halten fest: Wirtschaftlichkeit bei der Flugsiche-rung darf nicht vor Sicherheit gehen; die Gewerkschaftder Flugsicherung hat darauf hingewiesen.
Die Linke im Bundestag teilt die dort formulierten Be-denken. Die Linke meint: Bei absehbar noch mehr Luft-verkehrsbewegungen steigen die Anforderungen an diein diesem Bereich arbeitenden Menschen und die Anfor-derungen an das Zusammenspiel von Mensch undTechnik, und zwar sowohl bei der Flugsicherung alsauch bei der Flugfeldkontrolle. Zeit darf hier nicht Geldsein. Die Linke lehnt die beigepackte Privatisierung derFlugsicherung ab. Deshalb sind wir gegen diesen Ge-setzentwurf.Danke, meine Damen und Herren.
Das Wort hat nun der Kollege Winfried Hermann von
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Europäische Union hat mit dem Konzept„Single European Sky“ und einer ganzen Reihe von Ver-ordnungen, die seit diesem Jahr geltendes Recht sind,auch in Deutschland eine neue Situation geschaffen.Auch wenn man nicht genau diesen Gesetzentwurf ein-bringen muss, so muss man doch europäisches Recht indeutsches umsetzen. Deswegen diskutieren wir heuteüber diesen Gesetzentwurf. Er geht zurück – das istschon gesagt worden – auf eine Initiative aller Fraktio-nen der letzten Legislaturperiode. Wir haben uns ge-meinsam dafür ausgesprochen, die Privatisierung fortzu-setzen – aber nicht völlig ungesteuert, nicht einfach insBlaue hinein, sondern mit klaren politischen Regeln undVorgaben; wir haben einer simplen, platten Liberalisie-rung also nicht das Wort geredet.Was waren die Aufgaben? Europäischem Recht unddem Grundgesetz muss genügt werden. Wir müssen dieWahrung hoheitlicher Aufgaben sicherstellen. Aberauch ökonomische Fragen waren zu berücksichtigen:Wie kann die Deutsche Flugsicherung in einem offeneneuropäischen Markt optimal positioniert und gestärktwerden, auch um Arbeitsplätze in Deutschland zu si-chern und zu schaffen? Schließlich, nicht zu übersehen,wollen wir eine unabhängige staatliche Aufsichtsbe-hörde. Diese ist notwendig. Deswegen sollten wir nichtgegen Kontrolle anreden, Kolleginnen und Kollegen vonder Linken. Denn staatliche Hoheit kann nur über Kon-trollmechanismen wahrgenommen werden. Das ist übri-gens auch die Garantie für die Sicherheit.Wir haben als Grüne dieser Privatisierung und diesemKonzept auch deswegen zugestimmt, weil wir sicherge-stellt wissen wollten, dass bestimmte Aufgaben weiter-hin hoheitlich bleiben und auch durchgesetzt werdenkönnen.bBmckfgmrnbuishsitdFmvFesbpnFfwnDewnKfssMwwmFduGonz
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754 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Uwe Beckmeyer,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich bin froh, dass wir so weit gekommen sind.
Das Parlament hat sich in der letzten Legislaturperiode
mit diesem Thema schon häufiger beschäftigt und Auf-
träge formuliert, die die Bundesregierung und die Ver-
waltung angenommen haben.
Sicherheit im Luftraum ist – das will ich gerne
zugeben – eine sensible Angelegenheit. Über Deutsch-
land sind fast 7 000 Flugbewegungen pro Tag zu ver-
zeichnen. Sowohl der zivile als auch der militärische As-
pekt sind zu berücksichtigen. Alles das muss mit hoher
Präzision, gepaart mit Verantwortung bei der Privatisie-
rung und Kapitalisierung, bedacht werden.
Die Privatisierung des Kapitals in Höhe von 74,9 Pro-
zent ist ein Weg, den wir gehen können. Dabei müssen
wir den hoheitlichen Auftrag im Wege der Beleihung so
im Gesetz verankern, dass die Wahrnehmung der hoheit-
lichen Aufgaben auch weiterhin im staatlichen Einfluss-
bereich verbleibt. Der staatliche Einfluss soll über einen
solchen Beleihungsakt in die Gesellschaft hineingetra-
gen werden. Insofern bedarf es der präzisen Festlegung,
wie sie in einem solchen Gesetzentwurf vorgenommen
werden kann.
Es hat sich gezeigt, dass wir in Deutschland gut auf-
gestellt sind und dass wir uns auch im europäischen
Raum gut aufstellen. Wir haben mit dieser Gesellschaft
die Chance, über die nationalen Grenzen Deutschlands
hinauszugehen und das Aufgabengebiet auszuweiten.
Das ist eine Chance für die Deutsche Flugsicherung. Ich
glaube, dass wir auf dem richtigen Weg gehen.
Ich als Sozialdemokrat lege großen Wert darauf, dass
wir in dieser Frage im Parlament Konsens erzielen, wie
das schon in den vergangenen Legislaturperioden der
Fall gewesen ist, und dass wir in der Ausschussarbeit auf
der Grundlage dieses Gesetzentwurfs und mit den Anre-
gungen, die uns aus dem politischen, aber auch dem
wirtschaftlichen Raum erreichen, eine Lösung erzielen,
die die Gedanken und Inhalte, die heute formuliert wor-
den sind, aufnimmt. Ich bedaure, dass sich die Linke
schon jetzt festgelegt hat, ein solches Gesetz abzulehnen.
Dann ist man natürlich raus aus dem Geschäft und kann,
wenn man sagt, man wolle das grundsätzlich nicht, als
Berichterstatter kaum noch mitwirken. Ich sage an dieser
Stelle: Ich halte eine solche Position für grundlegend
falsch. Es ist zu bedauern, aber es ist halt so. Ich kann
mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.
Wichtig ist, dass am Ende des Tages eine runde Sache
steht, die Wirkung zeigt, die die Sicherheit sensibel re-
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Herzlichen Dank in diesem Sinne. Ich hoffe, dass wir
ier heute einen guten Weg einschlagen und dass wir uns
öglichst bald nach der Ausschussberatung und nach
en entsprechenden Beratungen unter den Berichterstat-
ern hier zu einer zweiten und dritten Lesung eines von
öglichst vielen Fraktionen getragenen Gesetzentwurfs
iedersehen.
Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache zu diesem Gesetzent-urf.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-urfs auf der Drucksache 16/240 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse sowie an den Rechtsaus-chuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitigeorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann istie Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten RenateKünast, Fritz Kuhn, Josef Philip Winkler, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNENSo genannter Muslimtest in Baden-Württem-berg – Verfassungsrechtlich problematischeGesinnungstests beenden– Drucksache 16/356 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine dreiviertel Stunde vorgesehen. – Ichehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-en.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollegeosef Winkler von der Fraktion des Bündnisses 90/Dierünen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 755
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Die baden-württembergischen Einbürgerungs-behörden führen seit Jahresbeginn auf der Grundlage ei-nes so genannten Gesprächsleitfadens eine umfassendeund bis in die Privatsphäre reichende Gesinnungsprü-fung von Einbürgerungsbewerbern durch. Diese Praxisentspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben im Staatsan-gehörigkeitsgesetz und vor allen Dingen nicht demGrundgesetz. Daher fordern wir die Bundesregierungmit dem vorliegenden Antrag auf, auf eine rechtmäßigePraxis der baden-württembergischen Behörden – zumBeispiel durch eine Klarstellung der Verwaltungsvor-schriften des Bundes – hinzuwirken.Die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft istAusdruck eines gelungenen Prozesses der Integration indie deutsche Gesellschaft. Voraussetzung sind zunächstausreichende Deutschkenntnisse. Außerdem gibt jederBewerber oder jede Bewerberin ein klares Bekenntnis zuunserer Verfassung ab und die Einbürgerungsbehördeführt mit jedem ein Gespräch, um die Haltung zu unsererfreiheitlich-demokratischen Grundordnung zu überprü-fen. Zusätzlich erfolgt bei jedem Einbürgerungsverfah-ren eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz.Das alles ist also gängige Praxis in unseren Einbürge-rungsbehörden bundesweit. Die baden-württembergi-sche Landesregierung hält dies als einzige Landesregie-rung nicht für ausreichend und führte zum 1. Januar2006 einen persönlichen Gesinnungstest ein.
Dies lehnen wir ab.
Das Innenministerium hat den baden-württembergi-schen Einbürgerungsbehörden eine Verwaltungsvor-schrift samt Gesprächsleitfaden für künftige Einbürge-rungen an die Hand gegeben, die ab dem 1. Januar 2006gilt. Pikanterweise haben es die FDP-Minister in Baden-Württemberg trotz vollmundiger Ankündigungen vonHerrn Minister Goll in der Presse bisher nicht ge-schafft – ich sage: leider –, die Verwaltungsvorschriftund den entsprechenden Gesprächsleitfaden aus demVerkehr zu ziehen.Laut einer Pressemitteilung des Innenministeriumsvom 14. Dezember 2005 wird mit der Verwaltungsvor-schrift das Ziel verfolgt, bei Einbürgerungsbewerbern,bei denen Zweifel an der Verfassungstreue bestehenund die die Staatsangehörigkeit eines der 57 Staaten ha-ben, die der Islamischen Konferenz angehören, oder diemuslimischen Glaubens sind – damit niemand verlorengeht –, das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischenGrundordnung zu prüfen.Erstens. Ich betone, das ist das angebliche Ziel. Zwei-tens werden wir sehen, was daraus noch folgt. Es wirdnämlich vom Innenministerium behauptet, dieser Ge-sprächsleitfaden sei bei allen Einbürgerungswilligen an-zbAuIMr–gwzmdsdissZGwsDisdlnhwweebrsn7
Ich hoffe, wir hören gleich, dass dieses Vorhaben auf-rund des massiven Protests der FDP in der baden-ürttembergischen Regierung nächste Woche zurückge-ogen wird. Das Innenministerium stellt somit alleuslimischen Einbürgerungsbewerber unter den skan-alösen Generalverdacht der verfassungsfeindlichen Ge-innung und leistet keinen Beitrag zur Integration, son-ern diskriminiert pauschal eine Gruppe allein wegenhrer Glaubenszugehörigkeit.
Eines ist natürlich klar: Islamisten und andere Verfas-ungsfeinde dürfen nicht eingebürgert werden; daran be-teht überhaupt kein Zweifel und daran darf auch keinweifel gelassen werden. Allerdings ist diese Art vonesinnungstest das falsche Instrument, weil es nichtirksam ist, um verfassungsfeindliche Akteure aufzu-püren.
Unser Staat ist gerade keine Gesinnungsgemeinschaft.eswegen ist dieses Verfahren verfassungswidrig. Diendividuelle Meinungsfreiheit ist grundrechtlich ge-chützt. Etliche der Fragen betreffen die Intimsphäre unden Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Sie zie-en auf subjektive Befindlichkeiten und Einstellungen ab,icht etwa auf objektive Fakten und Kenntnisse.Viele Antworten auf die Fragen gehen den Staat über-aupt nichts an, wie etwa die Frage, wie man es findet,enn jemand schwul ist, wenn der Sohn schwul ist oderenn Politiker schwul sind.
Warum, Herr Minister, fragen Sie nicht auch ab, wiein Mann reagiert, wenn sein Sohn oder seine Frau ihmrklärt, einen dunkelhäutigen Politiker gewählt zu ha-en? Das ist in Ihrer Vorstellung von Verfassungstole-anz nicht vorgesehen.Alles in allem haben wir es hier mit einer grundge-etzwidrigen Gesinnungsüberprüfung zu tun, wie wir sieoch aus den Zeiten der berüchtigten Berufsverbote der0er- und 80er-Jahre kennen. Ausgerechnet zur Prüfung
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756 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Josef Philip Winklerder Verfassungstreue wird ein Fragebogen gewählt, derdem Geist und den Prinzipien der Verfassung eklatantwiderspricht. Es stellt sich deshalb – ich komme zumSchluss – für mich schon die Frage nach der innerenEinstellung der baden-württembergischen Landesregie-rung zum Grundgesetz und zu unseren gemeinsamenWerten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Wir fordern die Bundesregierung auf: Machen Sie Ih-ren Einfluss auf den baden-württembergischen Minister-präsidenten geltend und fordern Sie ihn auf, diesenGesinnungstest zurückzuziehen, oder ändern Sie dieVerwaltungsvorschriften des Bundes, damit so etwas so-fort aufhört!
Das Wort hat nun der Innenminister von Baden-
Württemberg, Herr Heribert Rech.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! In der Grundfrage, so denke ich, sind wir unsalle einig: Wer Deutscher werden will, muss auf demBoden unser freiheitlichen demokratischen Grundord-nung stehen und sich zu ihr bekennen.
Wer unsere Staatsangehörigkeit besitzt, ist gleichberech-tigte Bürgerin oder gleichberechtigter Bürger unseresLandes. Sie oder er hat alle Bürgerrechte, kann inDeutschland wählen und gewählt werden, genießt Frei-zügigkeit innerhalb der Europäischen Union und kannohne Visum in viele Länder reisen. Freiheit heißt auch,Verantwortung zu tragen. Wer Rechte hat, hat aber auchPflichten.
Die deutsche Staatsangehörigkeit kann und darf eseben nicht zum Nulltarif geben; denn Freiheit kann aufDauer nur der Staat gewährleisten, der sich selbst seinerGrundlagen gewiss ist.
Die bedeutendste Grundlage unseres Staatswesens istunsere freiheitliche demokratische Grundordnung.Deshalb muss derjenige, der Mitglied unseres Staatsver-bandes werden will, ein eindeutiges und unmissver-ständliches Bekenntnis zu dieser unserer Grundordnungablegen.BWBefhdomEdelbrWJLbnuzwmsRundwMUrih
Was ist nun neu am Einbürgerungsverfahren inaden-Württemberg?
as hat zu teilweise sehr heftigen Reaktionen geführt?islang haben wir uns weitgehend darauf beschränkt, zurfragen, was der Einbürgerungsbewerber über unserereiheitliche demokratische Grundordnung weiß. Dasaben wir mit einem Wissenstest ermittelt. Darin fragtenie Behörden zum Beispiel: „Wie heißt der Landrat?“der: „Wie viele Einwohner hat Ihre Stadt?“Erlauben Sie mir an dieser Stelle, den Vater des Hu-anismus, Francesco Petrarca, zu zitieren:Es ist ein großer Unterschied, ob ich etwas weißoder ob ich es liebe; ob ich etwas verstehe oder obich nach ihm strebe.
s geht uns mit unserem neuen Ansatz mehr als bisherarum, festzustellen, ob der Einbürgerungsbewerberine innere Hinwendung zur Bundesrepublik Deutsch-and und zu ihrer Verfassungsordnung vollzogen hat
zw. ob er eine positive Einstellung zu den Werten unse-er Verfassungsordnung besitzt, also nicht nur bestimmteissensfragen beantworten kann.Deswegen führen unsere Einbürgerungsbehörden seitahresbeginn anhand eines flexibel zu handhabendeneitfadens ein Gespräch mit den Einbürgerungsbewer-ern. In diesem Gespräch geht es im Kern um das Verhält-is des Einbürgerungsbewerbers zu den Grundprinzipiennserer Verfassung, seine Haltung zur Menschenwürde,ur Gleichberechtigung von Mann und Frau, zum Ge-altmonopol des Staates, zu Toleranz, Selbstbestim-ung, Religionsfreiheit und seinem Demokratiever-tändnis im Allgemeinen.Ein Gespräch über unsere Verfassungsordnung – eineechtsordnung, auf die wir wahrhaftig stolz sein könnennd die uns so viel Freiheit und so viele Rechte wie nochie in unserer Geschichte gebracht hat – kann doch nichtiskriminierend sein.
Der Punkt, zu dem ich jetzt komme, ist mir besondersichtig, weil es dabei massive Fehlinterpretationen undissverständnisse gegeben hat.
nsere Einbürgerungsbehörden sollen im Einbürge-ungsgespräch den Leitfaden selbstverständlich nicht nurn Gesprächen mit Angehörigen islamischer Staateneranziehen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 757
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Minister Heribert Rech
Wenn entsprechende Zweifel vorliegen, dann soll dasGespräch anhand des Leitfadens selbstverständlich auchmit Einbürgerungsbewerbern aus anderen Staaten ge-führt werden.
Das ergibt sich schon daraus, dass das Bekenntnis zurfreiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Ein-bürgerungsvoraussetzung ist, die für alle Bewerber glei-chermaßen gilt. Auch bei Bewerbern aus islamischenLändern soll der Leitfaden keineswegs ausnahmslos aufalle Bewerber angewendet werden. Wenn die Behördeannehmen darf, dass sich der Bewerber zu unserer Ver-fassung bekennt, wäre ein Gespräch anhand des Leitfa-dens überflüssig.Ebenso unzutreffend ist der Vorwurf, dass Muslimedurch den Einbürgerungsleitfaden diskriminiert oderausgegrenzt würden. Der Einbürgerungsbehörde ist dieZugehörigkeit des Bewerbers zu einer Religion nicht be-kannt und sie wird auch nicht erfragt. Es geht also nichtum die Religion des Einbürgerungsbewerbers, sondernallein um seine Haltung zur Werteordnung des Grundge-setzes.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Ekin Deligöz von der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gestatte sie am Ende meiner Rede. Ich möchte an-gesichts der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeitdiesen Gedanken zusammenhängend zu Ende bringenkönnen.Ich stelle in diesem Zusammenhang mit großemNachdruck und aus tiefer persönlicher Überzeugungfest: Die überwiegende Mehrzahl der bei uns lebendenMuslime ist gesetzes- und verfassungstreu. Sie werden– in Baden-Württemberg wie anderswo – problemloseingebürgert, wenn die rechtlichen Voraussetzungen vor-liegen.
Ich bin mir sicher, dass sich hieran auch in Zukunftnichts ändern wird. Angehörige aus islamischen Staatenwerden auch in Zukunft die Mehrheit der in DeutschlandEingebürgerten stellen.Wir dürfen aber nicht ausblenden, dass es bei Ange-hörigen islamischer Staaten Strömungen gibt, die nichtmit den Werten des Grundgesetzes und unserer freiheitli-chWtuZdglSnsDaSdsdzmwmbn
er dies leugnet, verkennt die Ereignisse des 11. Sep-ember 2001 in New York und die Anschläge in Madridnd London mit ihren Tausenden von Opfern.
u den zentralen Botschaften des 11. September gehört,ass wir die Entstehung und Verfestigung von Parallel-esellschaften verhindern müssen.
Der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats des Ober-andesgerichts Düsseldorf hat in einem Vorwort zumtrafurteil gegen Metin Kaplan die Verblüffung des Se-ats zum Ausdruck gebracht und uns ins Stammbuch ge-chrieben,… dass eine Vielzahl von Zeugen …, und davonnicht wenige mit inzwischen deutscher Staatsange-hörigkeit, mit einer kaum zu glaubenden Unver-blümtheit oder besser Unverfrorenheit erklärten,dass für sie auch hier in Deutschland nicht die deut-schen Gesetze, ja nicht einmal die deutsche Verfas-sung, sondern das islamische Recht, die Scharia,maßgeblich sei.
ieselben Leute räumten aber auf Befragen des Gerichtsusdrücklich ein,… dass sie gerade wegen der Möglichkeit, ihre Re-ligion frei und ohne Behinderung auszuüben, alsowegen der ihnen aufgrund unserer Verfassung ge-währten Rechte und Freiheiten nach Deutschlandgekommen sind.o weit das Zitat des Vorsitzenden Richters.
Ich fasse zusammen. Ich verstehe nach wie vor nicht,ass es im Einbürgerungsverfahren nicht möglich seinoll, beispielsweise zu fragen, wie es der Bewerber miter Gleichbehandlung von Mann und Frau hält, wie eru Bildungschancen junger Mädchen steht und wie er esit der Toleranz gegenüber Andersgläubigen hält. Wasir vom Einbürgerungsbewerber verlangen, ist nichtehr und nicht weniger als ein klares und nachvollzieh-ares Bekenntnis zu unserer verfassungsmäßigen Ord-ung.
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758 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Minister Heribert Rech
So viel Verfassungspatriotismus darf, so viel Verfas-sungspatriotismus muss sein.Ich danke Ihnen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin
Ekin Deligöz.
Sehr geehrter Herr Minister, eigentlich wollte ich Ih-
nen eine Zwischenfrage stellen. Dazu haben Sie mir aber
keine Gelegenheit gegeben. Deshalb mache ich nun eine
Kurzintervention. Aber Sie können ja noch erwidern.
Sind Sie nicht der Meinung, dass es ausreicht, wenn
wir den Menschen bei der Einbürgerung abverlangen,
dass sie sich eindeutig zum Grundgesetz bekennen, und
dass wir im Rahmen des letzten Staatsbürgerschaftsge-
setzes eingeführt haben, dass es bei einem Einbürge-
rungsverfahren eine Regelanfrage beim Verfassungs-
schutz gibt, durch die genau das berücksichtigt wird, was
Ihnen wichtig ist, nämlich die Erfragung bestimmter
Sachverhalte aus der Vergangenheit des Bewerbers?
Wenn Sie nicht dieser Meinung sind, dann sollten Sie es
begründen; denn das hieße, dass Sie grundsätzlich der
Meinung wären – das interessiert mich ganz beson-
ders –, dass der Verfassungsschutz die erforderlichen
Antworten nicht liefern kann. Aber dann müssten wir
dieses Instrument hinterfragen und prüfen, ob es richtig
ist, und es stellte sich die Frage, warum Sie es unbedingt
haben wollten und nun die gleichen Argumente wie da-
mals anführen.
Ich möchte noch etwas hinzufügen. Ich komme aus
dem Allgäu und weiß, dass es dort bestimmte Menschen
gibt, die durchaus eine andere Einstellung beispielsweise
zur Homosexualität haben als die Mitglieder meiner
Fraktion. Meinen Sie, dass diese Menschen womöglich
ausgebürgert werden müssten?
Würden Sie beispielsweise manche Menschen in der
Kirche, die eine andere Position zur Homosexualität ha-
ben, ebenfalls ausbürgern? Ihre Auffassung dazu interes-
siert mich sehr.
Ein Letztes. Es stimmt, Sie polarisieren. Ich bekenne
mich dazu, dass ich Muslimin bin, und gleichzeitig bin
ich Mitglied dieses Parlaments. Ich hoffe, dass das nicht
als Outing, sondern als eine Selbstverständlichkeit ver-
standen wird. Es gibt nun einmal auch Menschen ande-
ren Glaubens in diesem Land.
Mich stört es sehr, wenn Sie den Islam mit Fundamenta-
lismus und Gewaltbereitschaft gleichsetzen. Es gibt auf-
geklärte Muslime in diesem Land,
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Lassen Sie mich doch mal zu Ende reden! – Unsere
erfassung anzuerkennen, bedeutet auch, zu tolerieren,
u respektieren und zuzulassen. Sie gilt für mich als ein-
ebürgerte Person genauso wie für Sie, einen gebürtigen
eutschen. Auch Sie müssen sich an die Verfassung hal-
en, wenn es darum geht, Gesinnung und Gedanken An-
ersgläubiger in diesem Land zu akzeptieren, zu tolerie-
en und vor allem zu respektieren. Das sollte für Sie
enauso gelten.
ören Sie endlich damit auf, alle Muslime unter Gene-
alverdacht zu stellen. Das haben wir nicht verdient.
as empfinden wir so. Das habe ich auch vorhin wieder
o empfunden. Hören Sie endlich damit auf!
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.
Denken Sie lieber darüber nach, wie wir gemeinsam
iese Gesellschaft weiterbringen können, wie wir ge-
einsam das Miteinander gestalten können, anstatt das
egeneinander und das Polarisieren zu schüren.
Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
ollegin, die Tatsache, dass es eventuell Deutsche mit
iner problematischen Einstellung zu unseren Verfas-
ungswerten wie Toleranz gibt – im Allgäu oder anders-
o –, rechtfertigt es nicht, Ausländer mit gleicher Ein-
tellung einzubürgern.
Das Wort hat nun der Kollege Hartfrid Wolff von derDP-Fraktion.
Hartfrid Wolff (FDP):Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ramatische Ereignisse des vergangenen Jahres wie
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 759
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Hartfrid Wolff
der Mord an Theo van Gogh in den Niederlanden oderjüngst die Vorstadtkrawalle in Frankreich machen einesdeutlich: Die Integration von Ausländern ist eine derwichtigsten Fragen, mit denen sich eine freiheitliche Ge-sellschaft auseinander setzen muss. Sie ist zu wichtig,um in Wahlkämpfen zerredet und an bierseligen Stamm-tischen oder in multikultiverträumten Altachtundsechzi-gerrunden erörtert zu werden.
Die Integration und die Einbürgerung von Ausländernmüssen auf einer sachbezogenen Ebene diskutiert wer-den. Wir haben vorhin gemerkt, wie nötig das ist. § 10des Staatsangehörigkeitsgesetzes verlangt ausdrücklichein Bekennen und eine Erklärung zur freiheitlich-demo-kratischen Grundordnung. Ich kann daran nichtsSchlechtes finden. Im Gegenteil. Auch aus Sicht derGrünen kann das Erfordernis des Bekennens zur demo-kratischen Grundordnung so falsch nicht sein. Schließ-lich stammt diese Regelung aus der Zeit, als die Grünenmitregierten.
Die Grünen haben offenbar gelegentlich Gedächtnis-lücken, wenn sie im Bereich der Innenpolitik an ihre ei-gene Regierungszeit zurückdenken.
In der Begründung des Antrags wird sehr deutlich, wo-rum es den Grünen geht. Sie wollen sich mit der FDP ei-nen Wettstreit um den Vorrang als Bürgerrechtsparteileisten.
Wir sind gerne bereit, der Maßstab für die Grünen zusein, und fühlen uns sogar geehrt.
Der Schutz vor verfassungsfeindlichen Bestrebun-gen und die Sicherheitsbelange der Bevölkerung ernst zunehmen ist Aufgabe jeder Regierung, auch der Landes-regierung von Baden-Württemberg. Ich bin aber auchder Meinung, dass nicht überzogen agiert werden darf.Dementsprechend ist auch die Vorlage des Fragenkata-logs des Innenministers von Baden-Württemberg sehrkritikwürdig.
Wenn ich gerade das Bekenntnis zur Verfassungsord-nung der Bundesrepublik einfordere, dann muss ichmich bei meinem eigenen Tun auch an diese halten. Daweckt der Fragenkatalog erhebliche Zweifel.
Ich kann nicht erkennen, inwiefern bestimmte Fragendes Katalogs einen Aufschluss über die Haltung zur frei-hEgViosSSgnzgTWn–cldnmrhGbbzdfnEtung
elbst den Fachleuten kommen Zweifel. So will dastuttgarter Ausländeramt laut einem Bericht der „Stutt-arter Nachrichten“ nur zehn von den 30 Fragen auchutzen.Das Vorgehen von Innenminister Rech ist wenig über-eugend. Dass es ihm offensichtlich nicht um die Inte-ration einbürgerungswilliger Ausländer geht, zeigt dieatsache, dass er den Ausländerbeauftragten Baden-ürttembergs, seinen Kabinettskollegen Ulrich Goll,icht beteiligt hat.
Sie haben sich vorhin beschwert, dass es eine öffentli-he Diskussion gab. Die Fachleute zu fragen, hätte viel-eicht geholfen.
Ich möchte festhalten, was in der Debatte klar gewor-en ist: Die CDU hat der Integration in diesem Fall ei-en Bärendienst erwiesen.
Zum Gelingen von Integration ist ein aktives Engage-ent jedes einzelnen Zugewanderten bei der Eingliede-ung in die deutsche Gesellschaft unabdingbar. Dazu ge-ört, die deutsche Sprache zu erlernen, dazu gehört, dierundwerte unserer Verfassung und Rechtsordnung vor-ehaltlos zu akzeptieren und selbst zu leben. Die Gleich-erechtigung von Mann und Frau etwa und die Freiheitur Gestaltung eigener Lebensentwürfe sind ein unab-ingbarer Teil dieser Werteordnung.
Kultur und Religion sind auf keinen Fall eine Recht-ertigung für menschenrechtswidrige Praktiken, zu de-en beispielsweise die Zwangsheirat gehört.
s ist wenig plausibel, derartige Werte einerseits poli-isch laut einzufordern – wie es hier die Grünen tun –nd zugleich die Betreffenden vor der Einbürgerung da-ach nicht fragen zu wollen.
Ich habe nicht das Gefühl, dass Migrantinnen und Mi-ranten in ihrer Mehrheit damit ein großes Problem
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760 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Hartfrid Wolff
haben. Ich habe vielmehr das Gefühl, dass sich sowohldie CDU in Baden-Württemberg als auch die Grünen imVorfeld der Landtagswahlen damit profilieren wollen.
Wir Liberalen werden kühlen Kopf bewahren
und ich glaube, das ist auch besser so. Wir wollen einefreiheitliche, eine offene Gesellschaft. Wir halten es fürrichtig, das offen anzusprechen. Aber wir werden wederkollektive Verdächtigungen noch ein Aushorchen der In-timsphäre unbescholtener Menschen akzeptieren.
Eine Politik einseitig zulasten von Minderheiten lehnenwir ab.
Freiheit und Sicherheit stehen stets in einem Span-nungsverhältnis. Aber Freiheit und Sicherheit bedingenauch einander. Die Rechtsstaatspartei FDP wird stets,auch bei der Einbürgerung, für die Freiheit eintreten,ohne die Sicherheit zu vernachlässigen.Vielen Dank.
Herr Kollege Wolff, das war Ihre erste Rede in die-
sem Haus. Ich beglückwünsche Sie dazu sehr herzlich
und wünsche Ihnen alles Gute.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Michael Bürsch,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieserGesinnungstest aus Baden-Württemberg ist eine Dop-pelsteilvorlage für die SPD:Zum einen können wir sehr deutlich machen, wie eineverfehlte Umsetzung des Staatsangehörigkeitsrechts aus-sieht.
Das hat Herr Rech hier noch einmal sehr deutlich bewie-sen. Das ist aus unserer Sicht ein abschreckendes Bei-spiel für die Anwendung des neuen Staatsangehörig-keitsrechts. Ich sage an die Adresse unseres neuenKoalitionspartners: Demokratie lebt auch vom Unter-schied und ist keine Harmonieveranstaltung. Wir neh-men uns also die Freiheit, an dieser Stelle deutlich zuzeigen, wie verfehlt wir diesen Weg in Baden-Württem-berg finden.SnrvtwsshIsPdbKhmm–aandDs
Was liegt uns hier vor? Ich weiß gar nicht, verehrteolleginnen und Kollegen, ob Sie tatsächlich Gelegen-eit hatten, sich diesen „wunderbaren“ Fragebogen ein-al genauer anzuschauen, also selber einmal den Lack-ustest zu machen. Da gibt es zum Beispiel die Fragenich stelle sie Herrn Uhl –:Halten Sie es für einen Fortschritt, dass Männer undFrauen in Deutschland kraft Gesetzes gleichberech-tigt sind?
Hätten Sie bei bestimmten Berufen Schwierigkei-ten, eine Frau als Autoritätsperson anzuerkennen?Sie müssen jetzt nicht antworten,
ber die Frage ist schon, wie Sie unter vier Augen daraufntworten würden.Herr Strobl – Sie sind aus Baden-Württemberg –, Ih-en stelle ich folgende Frage:Ihre Tochter bewirbt sich um eine Stelle inDeutschland. Sie bekommt jedoch ein ablehnendesSchreiben. Später erfahren Sie, dass eine Schwarz-afrikanerin aus Somalia die Stelle bekommen hat.Wie verhalten Sie sich?Wie verhalten Sie sich als Baden-Württemberger inieser Frage, tolerant, weltoffen?
ann ist noch die Frage: Wie ist Ihre Gesinnung in die-er Frage?
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 761
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Dr. Michael Bürsch
Das Ganze ist am allerschönsten, wo es um dieDemokratie geht. Verehrte Kolleginnen und Kollegen,ich wäre wirklich froh und dankbar, wenn mir das je-mand beantworten könnte. In dem Fragebogen heißt es:Was halten Sie von folgenden Aussagen?– „Demokratie ist die schlechteste Regierungsform,die wir haben, aber die beste, die es gibt.“
Über diesen Satz sollte man schon ganz vertieft nach-denken. Herr Uhl, wer belesen ist, wird entdecken, dassdieser Satz eine verdammte Ähnlichkeit mit einem Zitatvon Churchill hat.
Der Satz lautet nämlich: Demokratie ist eine höchstmangelhafte Regierungsform, aber immer noch die bestevon allen, die wir bisher probiert haben.
Da hat einer der Beamten, glaube ich, den Churchill alsTrojanisches Pferd mit hineingebracht. – Das alles ist indiesem blödsinnigen Fragebogen enthalten.
Was hier stattfindet, ist nicht nur Realsatire; das istnicht nur Absurdistan; darin steckt erheblich mehr. Dasist ernster, als es bei diesem Fragebogen vielleicht zu-nächst einmal rüberkommt.Ich sehe darin verschiedene wirklich kritikwürdigePunkte. Das ist nur die geballte Kritik, Herr Rech; ichhabe sie mir nicht ausgedacht, auch die SPD hat sie sichnicht ausgedacht. Es beginnt mit einem Verstoß gegenArt. 3 Grundgesetz. Das haben Sie nicht widerlegt,wenn Sie sagen, es werde nicht nach der Religion ge-fragt. Damit wird eine Diskriminierung vorgenommen.Eine Gesinnungsprüfung, werter Herr Rech, wird vomGrundgesetz nicht gewünscht und nicht gewollt. Mankann das zuspitzen: Wer Deutscher werden will, musskein Gutmensch – das ist nämlich das, was aus diesemFragebogen hervorgeht – sein. Es wird verlangt – darangibt es überhaupt keinen Zweifel –, dass sich die Men-schen, die hier eingebürgert werden sollen und wollen,zu den Verfassungsgrundsätzen bekennen.
– Das steht in § 10. – Die Frage ist nur, wie wir zu einerPrüfung dessen kommen, was dieses Bekenntnis aus-macht.
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Das Instrument, das hiermit vorgelegt worden ist, istbsolut unpassend und es ist verfassungswidrig, weil esus Gesinnungsfragen aufgebaut ist.Es gibt noch eine Frage, die damit zusammenhängt.ie steht allerdings nicht darin. Soll dann, wenn jemandiesen Gesinnungstest nicht besteht, die Staatsangehö-igkeit entzogen werden? Das ist ein Gegenstand, der ininem ganz anderen Fall – da geht es um falsche Anga-en – jetzt vor dem Verfassungsgericht anhängig ist.ach der Anlage dieses Fragebogens würde ich nichtinmal ausschließen, dass womöglich auch das noch ein-ezogen ist, dass also dann, wenn dieser Fragebogenicht ordentlich beantwortet wird, die Möglichkeit be-teht, die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Das wäre einlarer Verstoß gegen Art. 16 Grundgesetz.Es ist viel gesagt und geschrieben worden. Ich kannur ein wenig aus diesem ganzen Bild wiedergeben – dasst wirklich durch die Bank negativ, lieber Herr Rech –:ie Fragen offenbaren ein klischeehaftes Welt- undenschenbild über Muslime. Sie spiegeln platte Vorur-eile gegen Muslime wider. Sie sind von einer Misstrau-nskultur gegen die Menschen geprägt, die zu uns kom-en.
Nun zu der Frage, die auch hier schon gestellt wordenst. Wenn das denn der Verfassungs-TÜV sein sollte:ei ehrlicher Beantwortung der Fragen dürfte heraus-ommen, dass vermutlich viele Menschen nicht auf demoden unseres Grundgesetzes stehen; bei ehrlicher Be-ntwortung würden sie die Fragen nämlich anders beant-orten, als Herr Rech das vorgibt. Wer wirklich Verfas-ungsfeind ist, der – da kommen wir zu den praktischenragen – würde bei den Antworten das sagen, was dereneigte Fragesteller hören will, er würde lügen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage derollegin Köhler von der CDU/CSU-Fraktion?
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762 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Ja, gerne.
Herr Kollege Bürsch, Sie haben in Ihrem engagierten
Vortrag darauf hingewiesen, dass es auch in Deutschland
Antisemiten, Schwulenhasser –
Abweichende Meinungen.
– und Frauenfeinde gibt. Da haben Sie Recht; das ist
leider so. Aber warum, Herr Kollege, sollte dies ein
Grund sein, zusätzlich Antisemiten, Schwulenhasser und
Frauenfeinde einzubürgern?
Frau Kollegin, das hebt die sehr ernste Frage, wie In-
tegration aussieht und wen wir integrieren, auf eine völ-
lig falsche Ebene.
Es geht nicht darum, ob wir Antisemiten oder eine der
anderen von Ihnen benannten Gruppen hier integrieren
wollen. Auch das, was der Innenminister zum Schluss
geantwortet hat, führt in eine völlig falsche Richtung.
Wir können die Gesinnung nicht überprüfen. Ich wieder-
hole, was ich gesagt habe: Es kann nicht darum gehen,
dass wir nur Gutmenschen einbürgern nach dem Motto,
dass wir hier nur den weltoffenen, toleranten, gewalt-
freien Frauenversteher wollen. Oder wer soll das bitte
schön sein?
Ich sage Ihnen: Es geht darum, dass bestimmte Krite-
rien erfüllt werden müssen. Das kann man durch An-
frage beim Verfassungsschutz klären. Man kann klären,
ob Menschen straffällig geworden sind. Wer sich hier als
Antisemit äußert oder betätigt, der macht sich strafbar.
Insofern sind das klare Kriterien.
Wer wirklich Verfassungsfeind ist, wird aber mit die-
sem Test nicht bloßgestellt. Die Praktiker – das zeigt der
Rücklauf von Ihren Ausländerbehörden; das ist Ihnen
auch schon gesagt worden – können mit dem Fragenka-
talog überhaupt nichts anfangen. Das Ganze bedeutet ei-
nen hohen bürokratischen Aufwand. Es ist nicht klar,
wie die Antworten ausgelegt werden. Das funktioniert
doch nicht nach dem einfachen Motto, dass einer, wenn
er Ja sagt, akzeptabel ist, wenn er Nein sagt, aber nicht.
Da gibt es so große Auslegungsspielräume, dass man da-
mit überhaupt nicht arbeiten kann. Es gibt keine objek-
tiven Bewertungskriterien. Das Ganze ist also eine
Übung – –
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Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Kollege Bürsch, nachdem sich die Union
u meinem Erstaunen so vehement in den baden-
ürttembergischen Landtagswahlkampf einmischt – um
twas anderes als um einen Landtagswahlkampfgag han-
elt es sich seitens der Union ja in Wahrheit nicht –,
ürde mich doch interessieren, wie Sie die Tatsache be-
erten, dass jenseits dieses Gags die baden-württember-
ischen Kirchen deutlich gemacht haben, dass es hier
m mehr gehen darf als um Landtagswahlkampf zuguns-
en der CDU. Die katholische und die evangelische Kir-
he haben übereinstimmend deutlich gemacht, dass dies
ein Instrument sein kann, dass es ein Instrument wäre,
as in der auch von Ihnen kritisierten Richtung zu be-
erten ist. Wie würden Sie es auch angesichts der Ge-
amtdiskussion bewerten, dass die von der Union ange-
chlagenen Töne bisher offensichtlich keinen Anklang
efunden haben, sondern ganz im Gegenteil verstanden
orden ist, dass es sich eher um eine populistische Wei-
erführung des Wahlkampfes handelt?
Herr Kollege, ich akzeptiere die Frage gerne. Sieberfordert mich nicht. Ich gebe Ihnen gerne eine Ant-ort auf der Grundlage dessen, was ich hier vortrage: Esibt eine absolut breite Ablehnung des vorgeschlageneneges.
ie reicht über die Kirchen und die Gewerkschaften bisn die Reihen derjenigen in der Verwaltung, die das bear-eiten müssten. Es herrscht allgemeine Zustimmung,ass wir natürlich prüfen müssen, wer zu uns kommt undass er mit unserer Verfassung konform geht. Aber dereg, der hier gewählt wird, ist völlig falsch. Derchlimmste Verdacht, der geäußert worden ist – das isteine Erfindung von uns hier in Berlin –, ist, dass dasanze nur mit Wahlkampf zu tun hat. Das erinnert anie Unterschriftenaktion 1999 in Hessen, die Sie alleennen. Die Aktion soll eine bestimmte Stimmung ge-en Ausländer entfachen.
as ist aus meiner Sicht der schlimmste Verdacht. Dage-en müssen sich die Kirchen – zu Recht – wehren.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 763
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Dr. Michael Bürsch
Ich will einmal anführen, was zu dieser Gesinnungs-überprüfung gesagt worden ist. Maria Böhmer, Integra-tionsbeauftragte: nicht zielführend, Max Stadler: hilflo-ser Versuch, Birgit Homburger: inakzeptabel. Es gibtauch entsprechende Stellungnahmen in Zeitungen, spe-ziell in Zeitungen aus Frankfurt.
Ich möchte Ihnen gerne folgende Zitate ans Herz le-gen. Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt:Niemand bestreitet, dass deutschen Staatsbürgern inspe eine Bindung an freiheitliche Werte abverlangtwerden kann – und dass es daran gelegentlich man-gelt. Aber wer glaubt, mit einer Mischung ausDummheit und Diskriminierung dagegen vorgehenzu können, den sollte man seinerseits mal nach sei-ner „inneren Einstellung“ zum Grundgesetz fragen.Die ebenfalls sehr objektive „Frankfurter AllgemeineZeitung“ schreibt:Zweifel an der Gesinnung des Bewerbers sind nurdurch dessen nachprüfbares Verhalten in derSchule, am Arbeitsplatz, im Alltag– „im Alltag“, Herr Binninger –auszuräumen, nicht durch noch so verfängliche Fra-gen.Herr Rech, diese ganze Aktion verdient also die Be-wertung mangelhaft, unzulänglich. Machen Sie Schlussdamit!
Ich komme zu dem positiven Teil der heutigen De-batte, nämlich zu der Frage, wie eine richtige Integra-tionspolitik aussieht. Für diese Integrationspolitik stehtdie SPD. In den letzten fünf Jahrzehnten haben wir ge-merkt, dass Parallelgesellschaften nicht funktionieren.Auch der Ansatz „Multikulti“ hat seine Schwächen undhilft uns bei der Integration nicht weiter.
Was aber noch weniger funktioniert – dafür gibt esebenfalls genügend Belege –, ist das Modell Assimila-tion, also Unterordnung der Einwanderer als Geduldetedes Gaststaates.
Ich erinnere an die Erkenntnis von Max Frisch: Wir rie-fen Arbeitskräfte und es kamen Menschen. – Diese Er-kenntnis müssen wir auch in den nächsten Jahren beach-ten.Wofür die SPD und ich plädieren, ist ein dritter Weg.Die aufnehmende Gesellschaft und die Menschen, die zuuKKfssWlpimtddI4e2MgMLmiuabultcemidwntlsseüdddssdtgD
Ich komme zu dem Antrag der Grünen. Es ist deut-ich geworden: Inhaltlich gibt es eine große Überein-timmung mit dem, was die Grünen hier mit Recht kriti-ieren. Aber, werte Freunde von den Grünen, der Weg zuinem gemeinsamen Beschluss und zu einem Konsensber die Anforderungen führt darüber, dass man überieses Thema auch reden kann. Ich bedauere es sehr,ass es heute eine Entscheidung geben soll und dassann Schluss bzw. Ende der Fahnenstange ist. Wir wärenehr daran interessiert gewesen, darüber in den Aus-chüssen zu diskutieren; denn für uns gilt immer nochas strucksche Gesetz: Nichts kommt aus dem Bundes-ag so heraus, wie es hineingekommen ist. Wir hättenern darüber geredet.Unser Antrag hätte zum Beispiel so gelautet: Dereutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
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764 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Dr. Michael Bürschsich für eine Integrationspolitik einzusetzen, die sowohlden Maßstäben der Verfassung wie auch dem liberalenVerständnis von Integration im 21. Jahrhundert ent-spricht.
Das wäre unser Antrag gewesen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Sevim Dagdelen von
der Fraktion Die Linke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Zwar ist das neue Jahr noch sehr jung,dennoch habe ich für das Unwort des Jahres 2006 be-reits einen Favoriten: Muslimtest.
Bekanntlich werden diejenigen Begriffe zum Unwortdes Jahres gekürt, die die Menschen in ihrer Würde ver-letzen. Die zu Jahresbeginn in Baden-Württemberg ein-geführte Einbürgerungspraxis, der Muslimtest, hat besteChancen, dieses Kriterium zu erfüllen. Dieser Muslim-test stellt nämlich eine institutionelle Diskriminierung,eine öffentliche Demütigung und eine Stigmatisierungvon Menschen muslimischen Glaubens dar.
Migrantinnen und Migranten in Deutschland fühlen sichdurch diesen Test herabgesetzt und entwürdigt. Mit demTest wird allen Migrantinnen und Migranten aus musli-mischen Ländern ein kriminelles Potenzial und man-gelnde Integrationsbereitschaft respektive -fähigkeit un-terstellt.In dem Gesprächsleitfaden spiegelt sich zudem dieVorstellung einer deutschen Leitkultur wider. Hinterden Fragen verbirgt sich nämlich das Bild einer kulturel-len Rückständigkeit von Muslimen. Für diejenigen, dieden ersten notwendigen Schritt in Richtung Integrationmachen und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen,ist dies ein Schlag ins Gesicht, liebe Kolleginnen undKollegen der CDU und der CSU.
Die Fraktion Die Linke hält die bislang einmaligeProzedur in Baden-Württemberg im Hinblick auf dasgeltende Gleichheitsgebot und das Persönlichkeitsrechtfür besonders bedenklich. Es ist nicht einzusehen, wa-rum Menschen eines bestimmten Glaubens intensivergeprüft werden sollen als zum Beispiel einbürgerungs-willige Christen oder Hindus. Ferner ist nicht einzuse-hwsRuSSdwnswvnOsmgIlfwidtWtefstbdDgukkRRdHtnidz
Auch wenn das Ländle Baden-Württemberg nun dietreichung einiger Fragen vornehmen und die Anwen-ung dieser Vorschrift auf alle Einbürgerungskandidatenie angekündigt ausdehnen sollte, ist ein solcher Gesin-ungstest nicht akzeptabel. Wir können nicht von Men-chen, die sich einbürgern wollen, erwarten, das zu sein,as wir nicht sind. Wir Deutsche sind leider nicht freion Sexismus, Antisemitismus und Rassismus. Wir sindicht vorurteilsfrei gegenüber dem Geschlecht, sexuellerrientierung und Ethnien. Wir wollen das gerne sein,ind es aber nicht. Die gesellschaftliche Realität zeigtilitanten Rechtsextremismus, Antisemitismus, Gewaltegenüber Schwulen und Frauen, Homophobie undslamphobie.Im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswah-en bieten dieser Fragebogen und der Ruf nach Verschär-ung des Zuwanderungsrechts Anlass zur Sorge. Es istohl kein Zufall, dass die gegenwärtige Debatte mittenn den Wahlkampf fällt und dass Baden-Württembergabei auch noch eine Vorreiterrolle übernommen hat.Ich möchte Sie hier ausdrücklich warnen: Wenn Par-eien, Politikerinnen und Politiker bei Wählerinnen undählern weit verbreitete Vorurteile und ablehnende Hal-ungen bewusst bedienen – das tut man hier –, um Wahl-rfolge zu erzielen, fügen sie der Demokratie und demriedlichen Zusammenleben in der Bundesrepublikchweren Schaden zu.
Was wir brauchen, ist eine integrationsfördernde Poli-ik, die auf den Rückgang der Einbürgerungszahlen,esonders in Baden-Württemberg – dieser ist nämlicheutlich stärker als im Bundesdurchschnitt –, reagiert.as heißt für mich: Wir brauchen ein liberales Staatsbür-erschaftsrecht, damit über 7 Millionen Menschen innserem Land gleiche Rechte und gleiche Chancen be-ommen. Herr Minister Rech wie auch die Regierungs-oalition sollten sich die Frage stellen, wie sie diesenückgang – Sie könnten dabei ruhig zuhören, Herrech –
er Einbürgerungszahlen stoppen können, anstatt neueürden aufzubauen. Wer die Einbürgerung nicht erleich-ert, sondern weiter erschwert, fördert die Integrationicht.Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD,n Ihrer Koalitionsvereinbarung halten Sie fest, dass Sieie Vorschriften über das Staatsangehörigkeitsrecht prä-isieren und eine einheitliche Verwaltungspraxis in allen
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 765
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Sevim DagdelenLändern sicherstellen wollen. Jetzt haben Sie die Gele-genheit, mit einer einheitlichen Verwaltungspraxis dieseDiskriminierung zu stoppen und auf eine rechtmäßigePraxis hinzuwirken.
Die Fraktion Die Linke wird deshalb dem Antrag vonBündnis 90/Die Grünen zustimmen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Clemens Binninger,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Die deutsche Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut.Bei der Einbürgerung stellen wir zu Recht ganz konkreteAnforderungen.
Dabei ist, glaube ich, eines wichtig: Die Zuerkennungder deutschen Staatsbürgerschaft steht am Ende einer er-folgreichen Integration, nicht am Anfang. Alles anderewäre der falsche Weg.
Darüber, dass wir uns dabei von konkreten Wertvorstel-lungen leiten lassen, gibt es sicherlich hier im Haus kei-nen Streit. Es sind unsere Verfassung, die in ihr nieder-gelegten Grundrechte und unsere Werteordnung.Das heißt aber auch im Umkehrschluss: Wer unsereVerfassung nicht akzeptiert, wer unsere Werteordnungbekämpft oder negiert, der hat kein Recht darauf, deut-scher Staatsbürger zu werden.
Wer zum Beispiel – das sage ich jetzt besonders an dieAdresse der Grünen – die Gleichberechtigung von Mannund Frau nicht akzeptiert, wer die freie Entfaltung derPersönlichkeit nicht toleriert, wer den Rechtsstaat oderdas Gewaltmonopol des Staates in Zweifel zieht, der hatkeinen Anspruch darauf, deutscher Staatsbürger zu wer-den.
Wenn wir diesbezüglich Zweifel haben – nur darum gehtes doch –, müssen wir nachfragen. Das wird die großeMwhgbdmHPv–kidRbFkadwhDFedaE„llseAWgw
Es ist doch nicht hinnehmbar, dass wir Personen ein-ürgern und nach der Einbürgerung erleben müssen,ass sie sich im Umfeld von Terrorismus und Extremis-us bewegen, wir aber nichts mehr dagegen tun können.eribert Rech hat ja vorhin Beispiele aus dem Kaplan-rozess zitiert. Wir müssen alles tun, um diese Dingeorher zu verhindern.
Herr Bürsch, entspannen Sie sich ein bisschen! Dazuomme ich noch.Es kann uns nicht gleichgültig sein, dass jemand hiern Deutschland in einer Parallelgesellschaft lebt, danneutscher Staatsbürger wird und anschließend mit allenechten und Freiheiten, die er hat, unsere Werteordnungekämpft. Wer hier wegsieht, gefährdet den innerenrieden unseres Landes. Und wir sehen nicht weg.
Es geht darum – Herr Bürsch, jetzt hören Sie einmalurz zu –, wie man in der Praxis verfährt. Bisher werdenbstrakte Begriffe abgefragt: Stehen Sie zur freiheitlich-emokratischen Grundordnung? – Diese Frage wirdahrscheinlich immer mit Ja beantwortet werden. – Wieeißt der Landrat? – Solche Fragen helfen nicht weiter.eshalb geht Baden-Württemberg den Weg, konkreteragen zu Lebenssachverhalten zu stellen.Lassen Sie mich – weil es sich um eine wirklich sehrrnste Angelegenheit handelt – einige Dinge klarstellen,ie die Grünen und die Linken heute Nachmittag hier,ber auch in der Presse verbreitet haben.
s beginnt schon beim Titel des Antrags der Grünen:Muslimtest“. Im gesamten Gesprächsleitfaden, in al-en 30 Fragen, tauchen nicht einmal die Wörter „Mus-im“ oder „Islam“ auf. Sie erzeugen hier ein völlig fal-ches Bild.
Fakt ist: Im gesamten Gesprächsleitfaden wird nichtinmal konkret nach der Religion gefragt. Fakt ist: Dienwendung dieses Gesprächsleitfadens ist in keinereise auf bestimmte Staaten oder Personengruppen ein-egrenzt. Nur wenn Zweifel bestehen, wird er ange-andt, und zwar bei allen Einbürgerungswilligen.
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Herr Kollege, gestatten Sie Zwischenfragen? Ich habe
drei Interessenten: der Kollege Beck von den Grünen,
Herr Winkler von den Grünen und ein Kollege von der
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin, wenn Sie mir bei der Redezeit ein
bisschen entgegenkommen – ich habe nur sechs Minu-
ten –, würde ich alle Zwischenfragen zulassen.
Die Redezeit ist unabhängig von der Beantwortung
von Zwischenfragen. Wir beginnen mit Herrn Beck. Er
hat sich zuerst gemeldet.
Herr Kollege Binninger, sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass einige Kommunen wie Heidelberg Un-
terlagen zu Unterrichtungen des Innenministeriums des
Landes Baden-Württemberg vorliegen haben, in denen
der Adressatenkreis dieser Maßnahme präzise beschrie-
ben wird, nämlich erstens „Muslime“ und zweitens
„Fundamentalisten und politische Extremisten“, was be-
deutet, dass man die Gruppe der Muslime gleichsetzt mit
Fundamentalisten und politischen Extremisten? Ich
finde, diese Gleichsetzung ist eine ungeheuerliche Diffa-
mierung der Glaubensgemeinschaft der Muslime in un-
serem Land. Das muss aus der Welt geschafft werden.
Herr Beck, ich weiß nicht, worauf Sie sich beziehen.
– Moment! Wir sollten uns über eines einig sein, näm-
lich darüber, dass wir hier über eine Verwaltungs-
vorschrift des Innenministeriums Baden-Württemberg
sprechen, welches diesen Gesprächsleitfaden an die
Ausländerbehörden gesandt hat. Das sind die entschei-
denden Dokumente – nicht irgendeine Notiz einer Aus-
länderbehörde, die Ihnen zugespielt worden ist.
In diesen beiden Dokumenten – Verwaltungsvor-
schrift und Gesprächsleitfaden – taucht nicht einmal der
Begriff „Muslime“ auf, taucht nicht einmal die Eingren-
zung auf bestimmte Staaten auf. Vielmehr ist klarge-
stellt, dass er auf alle angewandt wird, wenn Zweifel be-
stehen. Insofern diskriminieren Sie und nicht wir!
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Herr Kollege Binninger, Sie haben völlig Recht und
s ist völlig unstrittig, dass in dem Gesprächsleitfaden
as Wort „Muslime“ nicht auftaucht.
Das hätten Sie heute Mittag hier sagen können!
Wenn Sie mir etwas genauer zugehört und sich nicht
chon präventiv erregt hätten, wäre Ihnen aufgefallen,
ass ich eine Pressemitteilung des Innenministeriums
aden-Württemberg vom 14. Dezember 2005 zitiert
abe. In dieser Pressemitteilung des Innenministeriums
aden-Württemberg, die ich mit Briefkopf vorliegen
abe, werden einige islamische Autorinnen und Autoren
itiert. Die Pressemitteilung kulminiert in Folgendem:
Aufgrund all dieser Informationen habe das Innen-
ministerium Zweifel, ob bei Muslimen generell da-
von auszugehen sei, dass ihr Bekenntnis bei der
Einbürgerung auch ihrer tatsächlichen inneren Ein-
stellung entspreche. Diese Zweifel auszuräumen sei
das Ziel eines Gesprächs, das die Einbürgerungsbe-
hörden … mit Einbürgerungsbewerbern aus den
57 islamischen
haben Sie das Wort verstanden? –
Staaten, die der Islamischen Konferenz angehö-
ren …, anhand eines vom Innenministerium vorge-
gebenen Gesprächsleitfadens führen würden …
Eine Diskriminierung von Muslimen sehe das In-
nenministerium bei diesem Verfahren nicht.
ie Quelle ist das Innenministerium. Den Verweis auf
ie Homepage kann ich Ihnen geben. Sind Sie bereit, zu-
ugestehen, dass ich das erstens so in meiner Rede ge-
agt habe und zweitens die Ableitung relativ leicht fällt,
ass im Gesprächsleitfaden Muslime gemeint sein könn-
en?
Herr Kollege Winkler, die ausgeprägteste Eigenschafter Grünen scheint selektive Wahrnehmung zu sein.
enn man ein Ziel verfolgt, dann nimmt man nur dasahr, was man sehen möchte. Ich bleibe bei dem, wasch gesagt habe. Entscheidend ist: Der Gesprächsleitfa-en und die Verwaltungsvorschrift machen keinerleiingrenzungen. Angewandt wird er auf alle, hinsichtlicherer Zweifel bestehen. Das ist ungeachtet irgendeinerressemeldung das Entscheidende.
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Jetzt haben wir noch eine Zwischenfrage. Herr Kol-
lege Dr. Keskin.
Herr Kollege, sind Sie mit mir der Meinung – die
auch sehr viele Kritiker dieses Tests teilen –, dass das ei-
gentliche Ziel dieses Testes ist, dass viele Menschen es
nicht mehr wagen sollen, einen Antrag auf Einbürgerung
zu stellen? Das heißt, das eigentliche Ziel dieses Testes
ist, viele Menschen von der Einbürgerung fernzuhal-
ten. – Das ist das eine.
Zum anderen: Sie meinen, die Muslime unter den Ge-
neralverdacht stellen zu müssen, dass diese verfassungs-
feindlich seien bzw. nicht auf dem Boden des Grundge-
setzes stünden. Die Kritiker sagen – diese Meinung teile
ich –, dass hier Wahlpropaganda gemacht wird und die
Migrantinnen und Migranten vor den Wahlen in Baden-
Württemberg erneut instrumentalisiert werden, um für
die Initiatoren dieser Kampagne Stimmen einbuchen zu
wollen.
Herr Kollege, ich glaube, an einem Punkt bedarf es
der Klarstellung. Es gibt kein Bundesland in der Bundes-
republik Deutschland, das in seiner mehr als 50-jährigen
Geschichte so viele Menschen unterschiedlichster Her-
kunft erfolgreich integriert hat wie Baden-Württemberg.
Es gibt außer Baden-Württemberg kein Bundesland, das
einen Geburtenüberschuss und einen positiven Zuwan-
derungssaldo hat. Baden-Württemberg hat von jeher im-
mer eine differenzierte Integrationspolitik betrieben: Wir
stärken jene, die unsere Grundrechte und Gesetze akzep-
tieren, aber denen, die Recht und Gesetz mit Füßen tre-
ten, wird die Grenze aufgezeigt. Das ist der entschei-
dende Unterschied.
Insofern kann ich Ihnen bei Ihrer Einschätzung über-
haupt nicht zustimmen.
Ich sage an die Adresse der Linken: Da, wo Sie in der
Vergangenheit – unter anderem Namen – regiert haben,
sind Ihnen die Leute immer davongelaufen. Sie hatten
nie Fragen der Integration zu klären. Aber zu uns nach
Baden-Württemberg sind sie gekommen. Das ist der Un-
terschied zwischen Ihnen und uns.
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Frau Kollegin, ich glaube, dass die Kritiker – es gibt
ie; das will ich nicht bestreiten – einem Trugschluss un-
erliegen, nämlich dem – auch heute Mittag wird hier
mmer wieder versucht, diesen krampfhaft zu
rzeugen –, dass dieser Gesprächsleitfaden nur für Mus-
ime sei. Das stimmt einfach nicht. Auch wenn Sie das
etzt noch zehnmal wiederholen, bleibe ich dabei: Das
timmt nicht.
enn die Kritiker des Gesprächsleitfadens das wüssten,
ürde ihre Kritik sicherlich anders ausfallen. Das ist für
ich gar keine Frage.
Herr Kollege Riegert.
Herr Kollege Binninger, sind Sie erstens in der Lagend bereit, mir und den anderen Mitgliedern des Hohenauses zu erklären, was der Unterschied zwischeninem Gesinnungstest, einem Test und einem Ge-prächsleitfaden ist, und halten Sie zweitens baden-ürttembergische Beamte von ihrer Grundgesinnung,hrer demokratischen Auffassung und ihrer Ausbildunger für geeignet, einen solchen Gesprächsleitfaden in derraxis anzuwenden?
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Klaus Riegert
Herr Kollege Riegert, was diese Diskussion heuteNachmittag so schwierig macht, ist, dass Sie von denGrünen und Sie von den Linken bereits mit einer festge-legten Meinung hierher kamen, von der Sie sich, egalwie die Fakten sind, nicht abbringen lassen.
Den Fakt, dass die Anwendung des Gesprächsleitfa-dens nicht auf Muslime beschränkt ist, durften Sie be-reits zur Kenntnis nehmen. Da Sie auch kritisiert haben,dass die Ausländerbehörden nicht mitmachen und derGesprächsleitfaden seinen Zweck nicht erfüllt, will ichIhnen zumindest sagen, dass dieser nicht etwa in einemstillen Kämmerlein des Ministeriums erarbeitet wurde,sondern gemeinsam mit einer anerkannten deutsch-türki-schen Migrationsforscherin und zusammen mit denPraktikern der Ausländerbehörden.Nun steht den Kollegen vor Ort, die dieses Gesprächführen müssen, ein Gesprächsleitfaden zur Verfügung,der kein Gesinnungstest ist, sondern eine Handreichung,deren Anwendung flexibel gehandhabt wird.
Die Entscheidung, ob alle 30 oder nur fünf Fragen ge-stellt werden, bleibt dem jeweiligen Sachbearbeiter vorOrt überlassen. Möglicherweise sind in der Praxis auchnicht alle Fragen relevant; das wird sich zeigen.
Aber heute – das sollten Sie zur Kenntnis nehmen –lassen Sie die Sachbearbeiter in den Ausländerbehördenalleine, was die Fragen betrifft. Das führt zu einer völliguneinheitlichen Handhabung,
beginnend mit der Frage nach dem Namen des Landratsbis hin zur Frage nach der Bedeutung des technischenBegriffs „Grundordnung“. Um diesen Zustand zu än-dern, brauchen wir einen einheitlichen Gesprächsleitfa-den,
der flexibel angewandt werden kann, der bewusst nichtauf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion be-schränkt ist und der nur dann angewandt wird, wenn wirZweifel haben, ob jemand unsere Verfassung akzeptiertoder ob er sie ablehnt. Das kann doch nicht falsch sein.–aWMgnssWflnddrwüduenzszgZdgbNWmr
Zum Schluss meiner Rede
es freut mich, wenn es Ihnen gefallen hat – möchte ichuf den Kollegen Bürsch eingehen. Es stimmt in der Tat:ir brauchen eine Integrationspolitik, durch die dieenschen, die zu uns kommen wollen, erfolgreich undleichberechtigt integriert werden. Im Interesse aller, dieach Deutschland kommen, muss uns daran gelegenein, dafür zu sorgen, dass wir die kleine Minderheit, dieich nicht integrieren will, nicht einfach passieren lassen.ir alle – deutsche wie ausländische Mitbürger, die er-olgreich integriert worden sind – sind aufgefordert, al-es dafür zu tun, dass jemand, der unsere Verfassungicht achtet und unsere Grundwerte ablehnt, nicht dieeutsche Staatsbürgerschaft bekommt; denn das würdeen inneren Frieden in unserem Land gefährden. Da-über kann hier im Hause doch nicht ernsthaft gestrittenerden.
Sie, Herr Bürsch, haben gesagt, dass wir uns jetztber den richtigen Weg unterhalten müssen. Der Weg,en man in Baden-Württemberg geht, ist ein Angebot,nd in Hessen wird man ähnlich verfahren. Wenn Siein besseres Angebot haben, fordere ich Sie auf, es zuennen.
Interessanterweise steht in der Verwaltungsvorschriftum Staatsbürgerschaftsrecht, das von Rot-Grün verab-chiedet wurde, ein Satz, der einigermaßen deutlich auf-eigt, was getan werden muss –
enau das, was man in Baden-Württemberg tut –: Wennweifel bestehen, dass Handlungen vorgenommen wer-en, die gegen unsere demokratische Grundordnung undegen unsere Grundrechte gerichtet sind, soll der Bewer-er dazu schriftlich und mündlich befragt werden.
ichts anderes wird in Baden-Württemberg gemacht.arum also empören Sie sich darüber?
Ich glaube, dass wir Integrationspolitik so betreibenüssen, dass die Menschen, die unsere Werte akzeptie-en, zu uns kommen und bei uns bleiben können und hier
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 769
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Clemens Binningerakzeptiert werden, dass aber diejenigen, die unsereWerte bekämpfen wollen, hier nichts verloren haben.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/356 mit dem Titel „So genannter Muslimtest in
Baden-Württemberg – Verfassungsrechtlich problemati-
sche Gesinnungstests beenden“. Wer stimmt für den An-
trag? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen?
– Das war von unserer Seite eindeutig. Aber ich wieder-
hole gerne die Abstimmung, wenn Sie sie anzweifeln.
Wie gesagt, von unserer Seite her war es eindeutig.
– Gibt es Widersprüche? – Nein.
Das Präsidium hier vorne hat das Abstimmungsver-
halten zur Kenntnis genommen; wir brauchen die Ab-
stimmung nicht zu wiederholen.
– Hier vorne wird das Ergebnis von allen Seiten akzeptiert.
Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Frak-
tion – –
– Herr Beck.
Frau Präsidentin! Das Abstimmungsergebnis war
nicht eindeutig. Ich meine, wir hatten die Mehrheit. Ich
bitte darum, auszuzählen.
Gibt es Gegenrede? – Nicht der Fall.Die Sitzungsleitung ist einstimmig der Auffassung,dass die Abstimmung eindeutig war.
– Alle drei, die wir hier im Präsidium sitzen, haben dasso gesehen.zHPohnlr–HsMsSdgLF
Der Sitzungsvorstand ist über das Ergebnis einig. Ichitiere § 51 unserer Geschäftsordnung. Da heißt es:Ist der Sitzungsvorstand über das Ergebnis der Ab-stimmung nicht einig, so wird die Gegenprobe ge-macht. Bleibt er auch nach ihr uneinig, so werdendie Stimmen gezählt. Auf Anordnung des Sitzungs-vorstandes erfolgt die Zählung …ier sind wir uns aber einig.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir vomräsidium sind uns einig. Gleichwohl ist der Geschäfts-rdnungsantrag von Herrn Beck gestellt worden. Des-alb lasse ich zur Sicherheit über den Geschäftsord-ungsantrag des Kollegen Beck abstimmen, der daautet, die Abstimmung zu wiederholen. Habe ich dasichtig verstanden?
Sie wollen auszählen, das heißt einen Hammelsprung.
Ich lasse über den Geschäftsordnungsantrag deserrn Beck abstimmen. Wer stimmt dafür? – Wertimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die eindeutigeehrheit ist gegen den Geschäftsordnungsantrag.
So sind wir bei der Feststellung des vorherigen Ab-timmungsergebnisses: Der Antrag ist abgelehnt mit dentimmen der CDU/CSU-Fraktion, den meisten Stimmener SPD-Fraktion und allen Stimmen der FDP-Fraktionegen die Stimmen der Fraktionen Die Grünen und Dieinke bei Enthaltung einiger Abgeordneter der SPD-raktion.Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 8 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieDeutsche Nationalbibliothek
– Drucksache 16/322 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
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770 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Vizepräsidentin Gerda HasselfeldtNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehedazu keinen Widerspruch. Dann ist dieses so beschlos-sen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bun-desregierung Herr Staatsminister Bernd Neumann.
B
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ge-
schichte der Deutschen Bibliothek, um die es in dieser
Debatte geht, wird in den Vorlagen ausführlich beschrie-
ben. Ihre Geschichte weist über viele Jahre eine ge-
trennte Entwicklung auf. Beide Häuser wurden ehrgeizig
betrieben. Die deutsche Einheit hat sie wieder zusam-
mengeführt. Jetzt wollen wir die Deutsche Bibliothek fit
machen für das 21. Jahrhundert.
Der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz-
entwurf über die Deutsche Nationalbibliothek aktuali-
siert und strafft das geltende Gesetz über die Deutsche
Bibliothek aus dem Jahr 1969. Wesentliche Ziele dieses
Gesetzes sind, den Sammelauftrag der Deutschen
Bibliothek auf Netzpublikationen auszuweiten und den
Namen der Bibliothek ihrer tatsächlichen Funktion ent-
sprechend in Deutsche Nationalbibliothek zu ändern.
Zum ersten Punkt. Die Bibliothek hat die in Deutsch-
land einzigartige Aufgabe, lückenlos alle deutschen und
deutschsprachigen Titel zu sammeln und an Ort und
Stelle zugänglich zu machen. Sie hat im Gegensatz zu
den anderen Bibliotheken auch das Pflichtexemplarrecht
für ganz Deutschland, das jeden Verleger verpflichtet,
von seinen Neuerscheinungen zwei Exemplare bei ihr
abzuliefern.
In den letzten Jahren hat neben den traditionellen Ver-
öffentlichungsformen die Zahl der digitalen Veröffentli-
chungen sprunghaft zugenommen. Diese Netzpublika-
tionen werden in Deutschland bisher nicht systematisch
gesammelt. Ihre Verfügbarkeit zu sichern, ist für eine
Kulturnation aber unverzichtbar. Daher muss zur Be-
wahrung und Nutzung des so genannten digitalen Kul-
turerbes der Sammelauftrag der Bibliothek auch auf in-
novative Veröffentlichungsformen ausgeweitet werden.
Dies hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme bekräf-
tigt.
Zum zweiten Punkt. Spätestens mit der Erweiterung
dieses von mir eben geschilderten Sammelauftrages, der
unstreitig ist, nimmt die Bibliothek de facto die Funktion
einer Nationalbibliothek wahr. Zukünftig soll dies auch
in ihrer Bezeichnung zum Ausdruck kommen. Mit Blick
auf die vielfältigen Aktivitäten und Funktionen der
Deutschen Bibliothek auf internationaler Ebene ist die
neue Namensgebung nicht nur angemessen, sondern
entspricht internationalem Gebrauch. Die anderen Län-
der haben auch nationale Bibliotheken.
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as ist auch der Grund, weswegen wir als neue Bundes-
egierung an der Position unserer Vorgängerregierung
esthalten. Es ist nämlich richtig.
Ich habe die große Bitte an die Kolleginnen und Kol-
egen des Deutschen Bundestages, dass sie diese in den
eratungen der Ausschüsse wenn möglich übernehmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Hans-Joachim Otto,
DP-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen underren! Sehr geehrter Herr Staatsminister, im Kern,ämlich bezogen auf die Erweiterung des Sammelauftra-es auf alle Darstellungen und Dokumente in öffentli-hen Netzen, können wir uns sehr schnell einigen. Dasst sinnvoll und notwendig. Das ist übrigens so sinnvoll,ass ich mich selbstkritisch frage, warum wir nichtchon längst darauf gekommen sind, zumal die Deutscheibliothek schon vor längerer Zeit damit begonnen hat,emäß ihres digitalen Sammelauftrages zu handeln.Ich möchte mich bei meinen kurzen Anmerkungenier auf zwei Punkte beschränken, die wir bei den Bera-ungen in den zuständigen Ausschüssen dann vertiefenüssen:
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 771
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Hans-Joachim Otto
Erstens. Ist es wirklich so, dass die Deutsche Biblio-thek zukünftig voll umfänglich die Funktion einer Natio-nalbibliothek erfüllt, und ist daher eine Namensände-rung sinnvoll? Ich will das Ergebnis vorwegnehmen:Ich habe große Zweifel. Im Gegensatz etwa zur Biblio-thèque nationale de France in Paris oder zur Österreichi-schen Nationalbibliothek reichen die Bestände der Deut-schen Bibliothek nur bis zum Jahre 1913. Im Gegensatzbeispielsweise auch zu den Nationalbibliotheken in Lon-don, Paris und Washington verfügt die Deutsche Biblio-thek über keinerlei ausländische Literatur – von Schrift-werken aus den deutschsprachigen Ländern Österreichund Schweiz einmal abgesehen. Erst in einer Kombina-tion mit den wesentlich umfangreicheren Sammlungenetwa der Bayerischen Staatsbibliothek in München oderder Staatsbibliothek hier in Berlin könnte man mit Mühevon einer Nationalbibliothek sprechen.Es wäre daher durchaus eine Verkennung der Ge-schichte und auch der gegenwärtigen Sammlungsland-schaft, jetzt von einer Nationalbibliothek zu sprechen,obwohl deren historisches Gedächtnis nur bis zumJahre 1913 reicht. Der Bundesrat hat insoweit meinesErachtens Recht, wenn er sagt – Zitat –: Diese Namens-gebung löst Erwartungen aus, die sie nicht einlöst. – Ichwill konkretisieren: die sie teilweise nicht einlöst.Lieber Bernd Neumann, über die Namenswahrheitund die Namensklarheit müssen wir uns deswegen nocheinmal unterhalten. Ich finde, dass die Namenswahrheiteher dafür spricht, beim bisherigen Etikett zu bleiben.Daneben halte ich die Namensänderung auch deshalb fürpolitisch unklug, weil sie zwangsläufig föderalistischeBeißreflexe bei den Ländern auslöst.Das Wort „Nationalbibliothek“ erweckt zwangsläufigden Eindruck, als wolle man die übrigen Bibliothekendieses Landes dominieren. Deswegen haben beispiels-weise die Library of Congress in Washington und dieBritish Library in London bewusst darauf verzichtet,sich in Nationalbibliothek umzutaufen. Ich frage also:Warum sollten gerade wir Deutschen bei unserer födera-len Verfasstheit den bewährten und auch historisch be-setzten Namen „Deutsche Bibliothek“ in den fragwürdi-gen Namen „Nationalbibliothek“ eintauschen, zumal dienationalbibliothekarische Funktion meines Erachtensauch streitig ist?
Zweitens. Dies ist nur ein kleiner Punkt, aber ichfinde, hier sollten wir Parlamentarier ein bisschen selbst-bewusster auftreten. Ich finde es unverständlich, dasssich im Verwaltungsrat der zukünftigen Bibliothek un-ter den 13 Mitgliedern – allein fünf davon werden vonder Bundesregierung als ihre Vertreter benannt –
nicht ein einziger Vertreter dieses Parlaments befindensoll.
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Deswegen: In der Sache brauchen wir uns sicherlichicht lange zu streiten. Das Gesetz wird von uns im Prin-ip befürwortet. Aber das großsprecherische EtikettNationalbibliothek“ halte ich für politisch zumindestnklug. Darüber hinaus möchte ich Sie von allen Frak-ionen um Unterstützung für die Forderung bitten, dassuch zukünftig Abgeordnete des Deutschen Bundestagsn angemessener Weise im Verwaltungsrat und in denremien der Bibliothek vertreten sind.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Christoph Pries, SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatsministereumann! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-en!Bibliotheken sind ein Kapital, das geräuschlos un-berechenbare Zinsen spendet.eine andere Bibliothek in unserem Land wird durchieses Goethezitat besser charakterisiert als die bislangnter dem Namen „Die Deutsche Bibliothek“ firmie-ende Einrichtung in Frankfurt.
Danke schön. – Besagtes Kapital hat sich in drei Keller-tagen unter der Deutschen Bibliothek angesammelt. Estellt nicht weniger als das kulturelle Gedächtnis und Be-usstsein unseres Landes dar. Gleichwohl: So geräusch-os, wie Goethe sich das vorstellt, fallen die Zinsen lei-er nicht an; denn es ist eine Auseinandersetzungarüber entbrannt, welcher Name zukünftig Aufgabend Funktion dieser Einrichtung am besten darstellt.Die Bundesregierung strebt mit ihrem Entwurf einesesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek, der unseute vorliegt, neben einer Aufgabenerweiterung einemtitulierung in „Deutsche Nationalbibliothek“ an.er Bundesrat, dessen Zustimmung nicht erforderlichst, möchte hingegen an der bisherigen Namensnennungesthalten. Die Ländervertretung ist der Ansicht, dass diembenennung mit einem Bedeutungsverlust andererroßer Bibliotheken einhergehen würde. Gemeint ist
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772 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Christoph Priesspeziell die Staatsbibliothek zu Berlin sowie die Bayeri-sche Staatsbibliothek.Diese Ansicht teile ich nicht. Abgesehen davon, dassich nicht glaube, dass eine schlichte Umbenennung dieBedeutung anderer Einrichtungen infrage stellen würde,halte ich die weiteren Argumente des Bundesrates auchsachlich für nicht tragfähig. Es ist eben nicht so, dass dieneue Bezeichnung einen Anspruch erhöbe, den die Deut-sche Bibliothek nicht erfüllen kann. Vielmehr erfüllt siedie Ansprüche an eine Nationalbibliothek bereits seitmehr als 90 Jahren. Der neue Name würde daher ledig-lich der tatsächlichen Funktion entsprechen.
Alle Publikationen in und über Deutschland, alle inDeutschland veröffentlichten ausländischen Publikatio-nen, sämtliche deutschsprachige Literatur des Auslandswerden hier gesammelt, Herr Otto.
Jedes Jahr kommen acht Regalkilometer hinzu, allein600 bis 800 Bücher täglich. Daneben wird die National-bibliografie herausgegeben und umfangreiche Dienst-leistungen für das gesamte nationale und internationaleBibliothekswesen erbracht. Keine Bibliothek inDeutschland vermag diese Aufgaben in vergleichbarerWeise und in vergleichbarem Umfang zu leisten.Begibt man sich ins Internet und sucht nach Hinwei-sen auf „Die Deutsche Bibliothek“, so findet man zahl-lose Diskussionsrunden. In den meisten Fällen geht esdabei jedoch nicht um Auftrag, Ausstattung oder Ge-schichte, sondern um die angeblich fehlerhafte Namens-nennung. Die Geister scheiden sich an der Großschrei-bung des Artikels „Die“ im Namen der Bibliothek. Dader Erweiterungsauftrag der Bibliothek – mein KollegeTauss wird diesen Teil des Gesetzentwurfs noch nähererläutern – darin besteht,
ein Abbild des Internets zu speichern, wäre ein Teil derneuen Aufgabe somit die Beschäftigung mit sich selbst.Sicherlich kann eine Auseinandersetzung im Netz derNetze, ob der Artikel „die“ groß- oder kleingeschriebenwird, als Teil der deutschen Kultur erachtet werden. Ichdenke aber, dass diese Diskussion nunmehr geschlossenund ein Name vergeben werden sollte, der der Bedeu-tung des Hauses angemessen ist.Meines Erachtens ist ein neuer Name auch der ge-samtdeutschen Geschichte des Hauses geschuldet: 1912in Leipzig gegründet und in Zeiten der Teilung an zweiStandorten geführt, die nach dem Fall der Mauer fusio-nierten. Ich kann mir keinen Namen vorstellen, der bes-ser als „Deutsche Nationalbibliothek“ passt.SsVtWWdLÜdhllnzGng„HlFHGmMwtfsgeJeuuR
o viel zum Thema Namensnennung, Herr Otto.Neben der Beibehaltung des bestehenden Namenschlägt der Bundesrat in seiner Stellungnahme vor, zweiertreter der Länder in den Verwaltungsrat der Biblio-hek zu entsenden. Auch wenn ich Verständnis für diesenunsch habe, so ist es doch gewiss kein frommerunsch. Über den Beirat, der den Verwaltungsrat undie Generaldirektorin der Bibliothek berät, können dieänder schon jetzt ihre Interessen geltend machen. Imbrigen möchte ich darauf hinweisen, dass es sich beiem Objekt unserer Debatte um eine Bundeseinrichtungandelt, deren Finanzierung somit allein dem Bund ob-iegt.Die Vorschläge des Bundesrates beruhen ausschließ-ich auf reinen Länderinteressen. Sie haben lediglich ei-en gewissen dramaturgischen Symbolwert. Die Be-eichnung „Deutsche Nationalbibliothek“ folgt demebrauch, dem internationalen Verständnis der Funktio-en sowie den einschlägigen Definitionen einer derarti-en Einrichtung. Ich denke deshalb, dass der NameDeutsche Nationalbibliothek“ redlich verdient ist.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 773
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Zuerst einmal freue ich mich, dass die neue Bun-desregierung – Herr Neumann hat bereits darauf hinge-wiesen – den Entwurf der alten eins zu eins übernommenhasatbwaDfdDMedmnsgBh–dObmdlgIffnnrbeBMdhb
Ich glaube, dass es ein sehr guter, wichtiger und über-älliger Schritt ist, den Auftrag um die Bewahrung undie Nutzung des digitalen Kulturerbes zu erweitern.ass dazu die Stärkung der Medienkompetenz ältererenschen im digitalen Bereich gehört, ist, glaube ich,ine Selbstverständlichkeit. Wir machen damit deutlich,ass alle Personen Zugang zu diesem Kulturgut habenüssen. In dieser Hinsicht gibt es für die künftige Natio-albibliothek noch einiges zu tun.Die Umbenennung in Deutsche Nationalbibliothekollten wir mit dem notwendigen Selbstbewusstsein an-ehen, und zwar gerade vor dem Hintergrund, dass derund diese Bundesinstitution alleine finanziert. Dasalte ich für richtig.
Dass das ausgerechnet jemand von den Grünen sagt,arüber können Sie sich noch eine Weile wundern, Herrtto.Ich glaube, dass mit dem Namen „Deutsche National-ibliothek“ nicht nur das beschrieben wird, was dort ge-acht wird, sondern dass damit auch unser Anspruch aniese Bibliothek und an das, was wir kontrollieren wol-en, formuliert wird. Insofern, finde ich, ist die Aufre-ung über diesen Namen nicht angebracht.
ch bin ganz sicher, dass der Einspruch, den die Länderormuliert haben, weniger mit Föderalismus als mitalsch verstandenem Selbstbewusstsein zu tun hat. Es isticht notwendig, an dieser Stelle zu bohren. Es wirdoch viele Diskussionen im Rahmen der Föderalismus-eform geben. Dann sollte aber die Selbstgefälligkeit einisschen in den Hintergrund treten. Man sollte sich aufinen Zusammenschluss unter anderem aus Deutscherücherei und Deutscher Bibliothek in Frankfurt amain verständigen und sich darüber freuen, dass wirann eine wunderbare Bibliothek haben.
Der letzte Punkt, auf den ich gern eingehen möchte,at mit der Nationalbibliothek nur mittelbar zu tun. Eretrifft die Lage der Bibliotheken in unserem Land.
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774 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Katrin Göring-EckardtDen damit verbundenen Herausforderungen müssen wiruns in Zukunft stellen.
Wenn man auf die Internetseite „bibliothekssterben.de“geht, dann sieht man, dass jedes Jahr in DeutschlandHunderte Bibliotheken zugemacht werden. Es ist fast je-den Tag eine. Dieser Situation dürfen wir uns nicht nurim Kulturausschuss stellen, sondern darauf müssen wirauch im Parlament eingehen. Wir müssen uns fragen,welche Bedeutung diese Entwicklung für die Zukunfthat.Ich möchte an dieser Stelle einen Zahlenvergleich an-führen. Die erste Fußballbundesliga hatte in der Saison2004/05 11,56 Millionen Besucher. Die Bibliothekenhatten mehr; dort waren es 11,75 Millionen aktive Besu-cher, also Menschen, die tatsächlich etwas ausgeliehenhaben. Sie werden sicherlich länger als 90 Minuten ge-braucht haben, um die Bücher zu lesen oder die Filme zusehen, die sie ausgeliehen haben.Ich glaube, dies zeigt sehr deutlich, welche große Be-deutung die Bibliotheken in unserem Land nach wie vorhaben. Trotz der Schließungen gibt es mehr Nutzerinnenund Nutzer. Wir müssen uns aber fragen, was es eigent-lich bedeutet, dass Bibliotheken gerade in kleinen Kom-munen zunehmend geschlossen werden, was das fürKinder, für die Zugänge sowie für die Bildung und ins-besondere für die kulturelle Bildung in unserem Landbedeutet. Wir tun uns einen großen Gefallen, wenn wirdenjenigen Ländern, die laut PISA sehr viel weiter sindals wir, nacheifern, zum Beispiel Finnland, wo jedeSchule eine Bibliothek besitzt oder wo es eine 100-pro-zentige Verbindung zu den kommunalen Bibliothekengibt.Wir sollten uns aufraffen und in den nächsten Mona-ten im Deutschen Bundestag über ein deutsches Biblio-theksgesetz diskutieren, und zwar in fruchtbarer Ausei-nandersetzung mit den Bundesländern. Ich würde michfreuen, wenn wir uns in besonderer Weise für den Aus-bau der Partizipationsmöglichkeiten gerade von Kindernund Jugendlichen verantwortlich zeigten.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Monika Grütters,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Mag es auch kontrovers diskutiert werden, dasswir es gleich zu Beginn der Legislaturperiode, HerrStaatsminister Neumann, und auch noch in derselbenPlenarsitzung kulturpolitisch einerseits mit der Erweite-rung des Sammlungsauftrages der Deutschen Bibliothekund andererseits mit der Neudefinition des zentralenPlatzes der Republik, unseres Schlossplatzes nämlich, zutdSlksgabDudssuzZae2vdVskknß1dWBbwsDdSnuDzmlKB
Ihre Vorläufer aus Leipzig und Frankfurt wurden imuge der Wiedervereinigung zusammengeführt. Das istuch ein wichtiger politischer Punkt. Sie hat das Pflicht-xemplarrecht für ganz Deutschland und sie ist mit fast2 Millionen Einheiten darüber hinaus die größte Uni-ersalbibliothek Deutschlands mit einem entsprechen-en Dienstleistungsauftrag. Schon das allein steht imergleich zu den beiden anderen, die sich für den An-pruch, nationale Bibliothek zu sein, vielleicht in Kon-urrenz befinden.
Sie haben zu Recht die „Beißreflexe“ erwähnt. Dieenne ich als Berlinerin ganz gut. Auch wir anerkennenatürlich die Leistungen der Bayerischen und der Preu-ischen Staatsbibliothek, die beide sehr viel älter sind.661 wurde die Preußische Staatsbibliothek gegründet,ie sich durch ihre Autografensammlung auszeichnet.ir wissen, dass da Mozarts „Zauberflöte“ undeethovens „Neunte“ liegen. In der Bayerischen Staats-ibliothek, die bereits im 16. Jahrhundert gegründeturde, gibt es große Handschriften- und Zeitschriftenbe-tände. Aber eine Analogie zum Sammelauftrag dereutschen Bibliothek lässt sich bei allem Respekt vorer Professionalität und jeweiligen Einzigartigkeit derammlungstradition in Bayern und Berlin damit alleineicht begründen.
Folgerichtig wird mit dem erweiterten Sammelauftragnseres Erachtens auch der Versuch unternommen, dieeutsche Bibliothek in Deutsche Nationalbibliothek um-ubenennen, eben weil sie die einzige Bibliothek ist, dieit der vollständigen Publikation in und über Deutsch-and sowie der Herausgabe der Nationalbibliographieernaufgaben erfüllt. Umso wichtiger ist es, diejenigeibliothek, die diesen Anspruch qua Sammlungscharak-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 775
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Monika Grütterster am ehesten erfüllt, den internationalen Partnern ge-genüber kenntlich zu machen.Herr Otto und Frau Jochimsen, es sei mir der Hinweiserlaubt, dass wir in Berlin sowohl eine Neue als aucheine Alte Nationalgalerie haben, die sich in schwesterli-cher Koexistenz sehr wohl mit den Staatsgalerien inStuttgart oder Bayern vertragen.
Unabhängig davon, dass das Gesetz über die Deut-sche Nationalbibliothek nicht zustimmungspflichtig ist,werden die Abgrenzungen zu den anderen ebenbürtigenTraditionshäusern in Bayern und in Berlin und auch eineneue Bezeichnung natürlich – Sie haben es erwähnt –Gegenstand der parlamentarischen Beratung in den Aus-schüssen sein. Ein Hinweis nur: Ich hoffe, dass wir vonhier aus sehr deutlich sagen können, dass Ängste der Bi-bliotheken, der Gesetzentwurf könnte als Vorwand auchfür Mittelkürzungen herhalten, gänzlich unbegründetsind. Es dürfte, so hoffe ich einmal mehr, sehr auf-schlussreiche Beratungen darüber geben, Herr Otto undFrau Jochimsen, sei es bei der Diskussion über den Pa-last oder der über den nationalen Charakter der Deut-schen Bibliothek, ob Schiller mit seinem Diktum Rechthatte – ich zitiere –: „Zur Nation euch zu bilden, ihr hof-fet es, Deutsche, vergebens.“ Deutschland, so wollen esdoch vor allem die Kulturpolitikerinnen, FrauJochimsen, und die Kulturpolitiker, Herr Otto, ist ebenzuallererst eine Kultur- und dann eine politische Nation.Vielen Dank.
Frau Kollegin Grütters, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag.
Wir gratulieren Ihnen sehr herzlich und wünschen Ihnen
alles Gute für die weitere Arbeit.
Nun hat das Wort der Kollege Jörg Tauss, SPD-Frak-
tion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Auch unsererseits herzlichen Glückwunsch zuden Reden, die die neue Kollegin und der neue Kollegegehalten haben. Das lässt für die künftige Zusammenar-beit, auch im Kulturausschuss, hoffen.Ich freue mich sehr über diese erste Lesung. Sieknüpft an die umfangreichen Vorarbeiten der alten Bun-desregierung und an die Gespräche an, die wir dazu imParlament bereits geführt haben. Die Geschichte derDeutschen Bibliothek und die aktuelle Auseinanderset-zung sind schon hinreichend angesprochen worden.kGhisIfGuuEShEBcm–weszslhidIeeODlDABsb
Kollege Otto, Sie sind beeindruckt, das freut mich. Ichill nur für das Protokoll festhalten: Kollege Otto ist be-indruckt. – Also: Bits und Bytes sind flüchtig. Aus die-em Grunde ist es wichtig, dass wir uns diesem Themauwenden.Sie haben gefragt: Warum sind wir eigentlich nichtchon früher darauf gekommen? Diese Frage ist natür-ich berechtigt. Man kann sie immer wieder stellen. Ichabe eine passende Antwort: Sie – zumindest die FDP;ch weiß nicht, wie Sie persönlich dazu standen – warenamals dagegen.
n aller Bescheidenheit zitiere ich mich ausnahmsweiseinmal selbst. Die SPD-Fraktion hat 1996 einen Antragingebracht, der folgende Worte enthielt – Zitat, Kollegetto –:Besondere Bedeutung kommt künftig auch denBibliotheken zu. Zusammen mit den Hochschulenmuss es zu ihren Aufgaben gehören, die „infor-mationelle Kontinuität“ in der Gesellschaft zugewährleisten. Ansonsten könnte sich die Informa-tionsgesellschaft – angesichts der Flüchtigkeit elek-tronischer Informationen und rascher technischerVeränderungen – als eine Gesellschaft von „infor-mationellen Generationsinseln“ im Strom der Zeiterweisen, die untereinander nicht mitteilungsfähigsind.aran waren Thierse und Tauss beteiligt. Wahrschein-ich kam es deswegen zu dieser schönen Formulierung.as ist uns schon damals eingefallen. Leider ist dieserntrag abgelehnt worden.Nichtsdestotrotz sind wir heute so weit: Die Deutscheibliothek ist – ich glaube, das ist in diesem Hause un-trittig – jenseits der Namensgebung die zentrale Archiv-ibliothek in Deutschland. Sie ist das zentrale bibliogra-
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776 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Jörg Taussphische Informationszentrum in Deutschland. Es ist keinVorwurf, festzustellen, dass sie erst seit 1913 in ihrerFunktion als Nationalbibliothek beauftragt ist, Medien-werke wie Bücher und Tonträger zu sammeln.Verleger und Buchhändler haben damals ein tollesWerk vollbracht. Ihre weit reichende Entscheidung, dienun wirklich toll war, hat ein lückenloses „Literaturkon-tinuum“ – so hieß es damals – ins Leben gerufen. Damithat man es geschafft, die Literaturversorgung inDeutschland sicherzustellen und die Versorgung der wis-senschaftlichen Bibliotheken mit neuer Literatur zu or-ganisieren. Ich wiederhole: Das war ein tolles Werk.Daraus ist in der Tat die Aufgabe der Schaffung einerNationalbibliothek erwachsen. Ich stimme der KolleginGöring-Eckardt völlig zu: Das Betonen des Nationalenist an dieser Stelle ähnlich positiv wie die FrankfurterNationalversammlung, die meiner Ansicht nach eben-falls nicht überflüssig war. In diesem Sinne können wirmit Stolz sagen: Hiermit haben wir etwas, was auch einStück weit deutsche Nation und kulturelle Nation inDeutschland auszeichnet.Für digitale Publikationen – ich habe es angespro-chen – hat es bisher an einer systematischen Erschlie-ßung, Archivierung und Nutzbarmachung gemangelt.Das wollen wir mit diesem Gesetzgebungsprozess korri-gieren. Wir erinnern uns in dem Zusammenhang an diezahlreichen Online-Magazine, auch im wissenschaftli-chen Bereich. Wenn wir uns nicht um das kümmern, wasan Veröffentlichungen auch in digitaler Form erfolgt,werden wir langfristig kulturell und auch wissenschaft-lich Probleme haben.Aus diesem Grunde finde ich gut, was wir tun, liebeKolleginnen und Kollegen. Wir haben damit auch einegewisse Vorreiterrolle. Andere Länder, Australien undKanada etwa, folgen in diesem Bereich. Großbritannienhat seit 2003 eine Regelung, wie wir sie jetzt vorsehen.Lieber Kollege Otto, über den Namen würde ichungern reden, aber Ihren Vorschlag, beispielsweise auf-grund eines gemeinsamen Antrags auch über die Reprä-sentanz des Parlaments in der Deutschen National-bibliothek zu reden, halte ich für wichtig und interessant.Diese Diskussion sollten wir im Gesetzgebungsverfah-ren führen.
Wir sind dafür offen. Das wird, glaube ich, ein interes-santer Gesetzgebungsprozess, der für die Kultur inDeutschland, für das Bibliothekswesen einen wichtigenSprung nach vorn bedeutet.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
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Piltz, Dr. Max Stadler, Ina Lenke, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Lage der Kommunen dokumentieren und ver-
bessern
– Drucksache 16/127 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Heidrun Bluhm, Dr. Dagmar Enkelmann
und der Fraktion der LINKEN
Verbindliches Mitwirkungsrecht der kommu-
nalen Spitzenverbände bei der Erarbeitung
von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie
im Gesetzgebungsverfahren
– Drucksache 16/358 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
P 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für starke und handlungsfähige Kommunen
– Drucksache 16/371 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
in Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!er ehemalige Bundespräsident Heuss hat einmal ge-agt: Ohne Städte ist kein Staat zu machen. Das ist dasotto, das ich mir als kommunalpolitische Sprecherinür diese Legislaturperiode vorgenommen habe. Das giltber nicht nur für mich, sondern für meine gesamteraktion.
Der FDP-Fraktion ist es wichtig, mit ihrem Antragleich zu Beginn dieser Legislaturperiode den Blick auf
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 777
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Gisela Piltzdie Kommunen zu lenken, der dritten Säule unseresStaates, die – das muss man einfach feststellen – in denvergangenen Jahren in unserem Haus keine große Rollegespielt haben – aus unserer Sicht: leider.
– Herr Scheelen, es war so. Sie als kommunalpolitischerSprecher Ihrer Fraktion hätten das ändern können. Siehaben es aber leider nicht getan.
Wir hoffen auf Besserung.
Als wir in der letzten Legislaturperiode mit Ihnenüber die Lage der Kommunen diskutieren wollten, hatuns immerhin noch die CDU/CSU im Ausschuss unter-stützt. Ich bin gespannt, was Sie von der CDU/CSUheute machen.
Für Rot-Grün war das völlig undenkbar. Es gebe schließ-lich bei den kommunalen Spitzenverbänden genügendMaterial, hat man uns im Ausschuss gesagt. Das wäreso, als wenn wir im Deutschen Bundestag aufgrund derStatistiken der Arbeitgeberverbände – von mir aus auchaufgrund der Statistiken der Gewerkschaften – über dieArbeitslosigkeit diskutieren wollten oder wenn wir überunsere Einstellung zur Kirchenpolitik anhand einer En-zyklika des Papstes diskutieren wollten. So kann manmit einem solchen Thema wirklich nicht umgehen.
Leider sind die Kommunen für den Deutschen Bun-destag häufig nur eines: ausführendes Organ, irgendwieda, am Ende einer Art Nahrungskette. Vor allen Dingensind sie diejenigen, die bezahlen müssen, weil wir dasKonnexitätsprinzip immer noch nicht im Grundgesetzverankert haben. Alle Fraktionen haben sich in der letz-ten Legislaturperiode unserem Antrag verweigert. Siekönnen jetzt zeigen, dass Sie es besser können.
Es ist wirklich nicht besonders schwierig, hier in Ber-lin Verbesserungen bei der Kinderbetreuung zu verspre-chen. Sie müssen aber auch sagen, woher das Geld kom-men soll. Sie dürfen es nicht den Kommunen überlassen,das zu regeln und zu bezahlen. Das ist aber leider gangund gäbe. Da sind sich die alte und die neue Bundesre-gierung völlig einig. Die große Koalition hat in ihremKoalitionsvertrag die Überschrift „Solide Basis fürKommunalfinanzen“.
Das würden wir alle bestimmt unterschreiben. Wir sindsehr gespannt, was da passiert. Sie können es eigentlichnur besser machen als die rot-grüne Bundesregierung.DzGKnBshmAkPsslwGDszwasgttenkDmHis
enn sehr schnell nach der Gründung einer Kommissionur Reform der Gemeindefinanzen ist Ihnen von Rot-rün die Luft ausgegangen. Nach dem Scheitern dieserommission haben Sie keinen weiteren Versuch unter-ommen.
esonders dreist finde ich, dass Sie zuerst die Gewerbe-teuerumlage erhöht und dann die Rücknahme der Er-öhung als Gemeindefinanzreform verkauft haben. Dasuss Ihnen erst einmal jemand nachmachen.
uch da hoffen wir auf Besserung.Aber wir setzen in die große Koalition ehrlich gesagteine großen Hoffnungen. Denn Sie wollen über diesenunkt sowohl im zeitlichen als auch im sachlichen Zu-ammenhang mit der Unternehmensbesteuerung ent-cheiden. Da das Motto Ihrer Bundesregierung ja eigent-ich „Trippelschritte wagen“ heißen sollte, können wirohl lange darauf warten, dass etwas passiert.Sie alle wissen, dass wir uns für die Abschaffung derewerbesteuer einsetzen.
as hatte auch die CDU in ihrem letzten Wahlprogrammtehen. Ich bin jetzt sehr gespannt – genauso wie in Be-ug auf die Gesundheitsreform –, wie Sie das schaffenollen: Abschaffung auf der einen Seite, Verbreiterunguf der anderen Seite. Das sind die beiden Pole, zwi-chen denen sich diese Regierung bewegt. Wir sind sehrespannt, wo Sie sich treffen: in Deutschland, am Äqua-or oder sonst wo. Aber ich glaube, die Kommunen hät-en wirklich eine kluge Lösung verdient.
In meinem Bundesland, in NRW, sind – nur damit Sieine Ahnung bekommen, wie schlecht es den Kommu-en geht – 194 von 427 Städten, Kommunen und Land-reisen in der Haushaltssicherung.
avon befinden sich 105 Städte nach einem nicht geneh-igten Haushaltssicherungskonzept in der vorläufigenaushaltsführung. Das heißt, sie sind faktisch pleite undnsolvent. Was tun Sie dagegen? Wo sind Ihre Vor-chläge?
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778 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Gisela PiltzDie Zahl hat sich seit 2002, also vor allen Dingen in derRegierungszeit von Rot-Grün, fast verdoppelt. Die Kas-senkredite allein in NRW betragen fast 10 MilliardenDM, bundesweit über 23 Milliarden DM.
– Euro; das ist noch schlimmer. – Dadurch soll den Ge-meinden wenigstens ein kleines bisschen Luft verschafftwerden. Die Verschuldung liegt bei 90 Milliarden DM.
– Euro. Ich werde es nie lernen.
– Das ist schön, Herr Körper. Ich bei Ihnen auch nicht;dann sind wir uns ja einig.Ich behaupte, es ist nicht nur aus finanzieller Sichteine Katastrophe, was hier passiert, sondern auch ausgesellschaftspolitischer Sicht. Bürgerinnen und Bürgererleben die Politik vor allen Dingen zuerst in der Ge-meinde. Wenn dort nichts funktioniert, weil kein Geld daist, dann erleben sie einen schlechten Staat. Vor allenDingen: Wen wollen wir eigentlich noch dazu bewegen,für ein kommunales Parlament zu kandidieren, wenndort nur noch der Mangel verwaltet wird? Ehrenamtlichtätig zu sein und sich dann auch noch beschimpfen zulassen, das ist keine gute Kombination und das solltenwir unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht länger zu-muten. Auch die Kommunalpolitiker haben das aus un-serer Sicht nicht verdient.Genauso ist das für die Wirtschaft eine Katastrophe.Wo keine Aufträge verteilt werden, kann kein Umsatzgemacht werden. Deshalb gibt es viele Unterneh-menspleiten, was wiederum keine guten Auswirkungenauf die Konjunktur hat. Da kann auch Ihr 25-Milliarden-Programm – diesmal Euro – überhaupt nichts nützen. Siesehen, ich bin lernfähig, im Gegensatz zu Ihnen. Ich bingespannt, was Sie gleich sagen werden; ich habe eineAhnung.Wir Liberale wollen jedenfalls, dass die Kommunal-politik wieder ein Thema im Deutschen Bundestag wird.
Deshalb brauchen wir eine Bestandsaufnahme, die imInteresse aller und eigentlich auch eine Selbstverständ-lichkeit sein sollte. Wir sind bereit, gemeinsam mit derKoalition den Kommunen zu helfen. Die Bestandsauf-nahme ist ein erster Schritt. Aber sie wäre ein wichtigesSignal an die Kommunen. Ich hoffe, Sie enttäuschen sienicht direkt zu Beginn Ihrer Amtszeit.Vielen Dank.
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ie Verantwortlichen in den Städten, Gemeinden undreisen können seit langer Zeit endlich wieder optimis-isch und zuversichtlich in die Zukunft schauen.
ommunale Haushalte werden entlastet und sichern da-it neue strukturelle Handlungsfreiheit. Vor dem Hinter-rund der in den letzten Jahren in astronomische Höhenestiegenen kommunalen Kassenkredite – auch Sieatten davon gesprochen – von 5,8 Milliarden Euro imahr 1998 auf inzwischen 23,7 Milliarden Euro im ver-angenen Jahr ist dies nicht nur berechtigt, sondern auchringend notwendig.Die Kommunen bewerten den erst wenige Monate al-en Koalitionsvertrag ganz überwiegend positiv. Dies hatiele Gründe. Sie reichen von der vorgesehenen Reformer Gemeindefinanzen über städtebauliche Anpassungn die demographische Entwicklung bis hin zu konkre-en Hilfestellungen beim Integrationsprozess von Mi-ranten vor Ort, um nur einige Beispiele zu nennen.Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, den Präsidentenes Deutschen Städte- und Gemeindebundes zu zitieren.r erklärt öffentlich:Der Koalitionsvertrag enthält zahlreiche Ansätze, indenen die Forderungen des Deutschen Städte- undGemeindebundes aufgegriffen werden. Deshalbwäre es falsch, eine ablehnende Generalkritik andem Koalitionsvertrag zu üben.
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Peter GötzSinngemäß ähnliche Äußerungen hören Sie von den Re-präsentanten des Deutschen Städtetages und des Deut-schen Landkreistages.Ich will einen zweiten Punkt nennen. CDU, CSU undSPD haben sich auf eine Föderalismusreform verstän-digt, die künftig eine direkte Aufgabenübertragung desBundes auf die Kommunen ausschließt. Wir alle wissen,dass eines der kommunalen Probleme darin begründetist, dass die Kommunen ständig neue Aufgaben übertra-gen bekamen, ohne das notwendige Geld für die Erfül-lung dieser Aufgaben zu erhalten. Wenn es uns im Rah-men der anstehenden Änderung des Grundgesetzesgelingt, den Grundsatz „Wer bestellt, bezahlt“ durchzu-setzen, dann sind die Kommunen die Gewinner dieserFöderalismusreform.
Sollten Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen derOpposition, die Kommunen tatsächlich am Herzen lie-gen, dann lade ich Sie schon heute dazu ein, dieser not-wendigen Grundgesetzänderung zuzustimmen.Die jüngsten Pressemitteilungen, beispielsweise vonden Grünen, machen jedoch schnell klar, dass es ihnengar nicht um die Kommunen geht.
Sie scheinen sich vielmehr darauf zu konzentrieren, Ihreeigene Politik der letzten Jahre nachträglich schönzu-reden, übrigens nicht nur mit diesem Antrag.
Wenn Frau Sager gestern öffentlich kritisiert, dasssich der Bund nach der Föderalismusreform bei denGanztagsschulen nicht mehr einmischen darf, dannmacht sie damit deutlich, dass es ihr nicht um die Stär-kung der kommunalen Finanzautonomie, sondern umrein zentralistische Ideologien geht.
Wir wollen eine Politik, bei der die Kommunen eigen-verantwortlich mit entscheiden können, was sie in ihrerStadt und in ihrer Gemeinde für richtig und für wichtigerachten.
Am Beispiel der Übernahme der Unterbringungs-kosten für Langzeitarbeitslose wird deutlich, wer füreine kommunalfreundliche Politik steht. Auch das nurzur Erinnerung: Noch im Oktober vergangenen Jahres– es ist also noch gar nicht so lange her – beschloss dasalte rot-grüne Kabinett einen Gesetzentwurf, der einerückwirkende und zukünftige Absenkung des AnteilsdvIgBgdaIK2dsÜSubmUbdSvkWDuLrkihHz
n der Koalition haben wir damit sichergestellt, dass denommunen die zugesagte Entlastung in Höhe von,5 Milliarden Euro tatsächlich zugute kommt. Ich finde,ies ist ein wichtiger Beitrag zur Entlastung der dramati-chen Situation bei den kommunalen Finanzen.
brigens waren neben den Ländern die kommunalenpitzenverbände am Zustandekommen dieser wichtigennd für sie positiven Entscheidung beteiligt.Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenver-ände meldete daraufhin, dass die deutschen Städte, Ge-einden und Landkreise den Koalitionsbeschluss zu dennterkunftskosten für Langzeitarbeitslose ausdrücklichegrüßen. Die Präsidenten des Deutschen Städtetages,es Deutschen Landkreistages und des Deutschentädte- und Gemeindebundes haben am 9. Dezember desergangenen Jahres in Berlin übereinstimmend dazu er-lärt – ich zitiere noch einmal –:Es ist gut, dass sich die Haltung des Bundes in denvergangenen zwei Monaten deutlich gewandelt hat.Von 0 über 19 auf 29 Prozent – das ist eine Trend-wende. Damit kommt es in 2005 zu keinen Rück-zahlungen der Kommunen. Und für 2006 haben wireine Grundlage für unsere Haushaltsplanung.eiter heißt es in der Pressemitteilung:Der Vorschlag des Bundes, der auch von den Bun-desländern mit herbeigeführt wurde, sei für dieKommunen ein vertretbarer Kompromiss.as ist, wie ich finde, ein guter Aufschlag für die vonns angestrebte kommunalfreundliche Politik in dieseregislaturperiode.
Es steht uns gut an, heute, zu Beginn des neuen Jah-es, das ja erst einige Wochen alt ist, sowohl der Bundes-anzlerin als auch der Bundesregierung
m Namen der Städte, Gemeinden und Landkreise dafürerzlich Dankeschön zu sagen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den großenerausforderungen im Bereich der Arbeitsmarkt-, So-ial- und Wirtschaftspolitik müssen Deutschlands öffent-
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780 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Peter Götzliche Finanzen wieder in Ordnung gebracht werden.Dazu gehören auch die Kommunalfinanzen. In der Ko-alitionsvereinbarung steht – Frau Kollegin Piltz, Sie ha-ben das vorhin richtig zitiert –:Die Kommunalfinanzen müssen auch zukünftig aufeiner soliden Basis stehen.Wir alle wissen: Das ist wesentlich leichter gesagt alsgetan. Wir alle im Bund, in den Ländern und in denKommunen sind gefordert, aktiv und konstruktiv daranmitzuwirken.Ein Schlüssel liegt unter anderem in der Frage, wiedie Unternehmen künftig besteuert werden und was mitder Gewerbesteuer passieren soll. Bis zum Herbst 2006sollen die Eckpunkte einer Unternehmensteuerreformvorliegen. Das geht nur unter Einbindung und Berück-sichtigung der Gewerbesteuer als wichtigste kommu-nale Steuer. Unser Ziel ist, diese Reform zum1. Januar 2008 in Kraft treten zu lassen. Auch hier liegtuns sehr an einer guten, konstruktiven Zusammenarbeitmit den Kommunen.Wir wollen, dass die Städte, Gemeinden und Land-kreise ihre Verwaltungshaushalte wieder ausgleichenund aufgelaufene Kassenkredite zurückführen können.Wir wollen, dass sie wieder aus eigener Kraft dringendnotwendige Reparaturen an Straßen, Schulen und Kin-dergärten durchführen können. Die Kommunen müssenwieder in der Lage sein, den Investitionsstau aufzulösenund eigenverantwortlich Aufträge an die lokale Wirt-schaft zu erteilen. Dadurch entstehen vor allem im Mit-telstand und im heimischen Handwerk Wachstum undArbeitsplätze. Wir wollen, dass in Deutschland kommu-nale Selbstverwaltung stattfinden kann.Nur mit leistungsstarken Städten, Gemeinden undLandkreisen wird dieser Staat gesund. Lassen Sie unsgemeinsam dafür arbeiten!Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Kunert,
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnenund Kollegen! Die Lage der Kommunen wurde in denletzten Jahren im Bundestag immer wieder besprochenund die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltungunterstrichen. Nur müssen wir heute feststellen, dass dieim Grundgesetz garantierte kommunale Selbstverwal-tung durch die Bundespolitik zunehmend infrage gestelltwird. Bundesregierung und Bundestag kennen die Pro-bleme der Kommunen und dennoch wurden hier keineHausaufgaben gemacht.
Die Kommunen, die einen ausgeglichenen Haushalt auf-weisen und ihren notwendigen Investitionsbedarf aus ei-gessnmsDAdHlvadiubDDDsKmPuvddWKgbWBnedsnhsnzs
enn wenn Sie die Lage der Kommunen nur anhand vonufgabenübertragungen dokumentieren wollen, greifties zu kurz. Viele Gesetze des Bundes greifen in dieoheit der Kommunen ein. Angesichts der jährlich vor-iegenden Finanzberichte der kommunalen Spitzen-erbände haben wir bereits eine Dokumentation, in deruf die notwendigen Konsequenzen hingewiesen wird,enen wir uns stellen sollten.Die Kommission zur Reform der Gemeindefinanzenst gescheitert. Aber dann setzen wir eben eine neue ein,m endlich die Gemeindefinanzreform auf den Weg zuringen.
ies wiederum vermissen wir im Antrag der Grünen.
ie Wahrnehmung der Aufgaben der öffentlichenaseinsvorsorge darf nicht nach Kassenlage erfolgen,ondern ist an den Bedürfnissen der Menschen in denommunen auszurichten. Wer starke Kommunen will,uss sie stark machen und dies erfordert eine solide undlanungssicherheit bietende Politik.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssennsere eigene Arbeit, zum Beispiel bei Gesetzgebungs-erfahren, qualifizieren. Deshalb sind wir gut beraten,ie kommunalen Spitzenverbände in unsere Arbeit undie der Bundesregierung einzubeziehen.
ir schlagen vor, ein Gesetz über die Mitwirkung vonommunen erarbeiten zu lassen. Wussten in der Ver-angenheit alle Abgeordneten in diesem Haus, wie sicheschlossene Gesetze in den Kommunen auswirken?ussten Sie, dass eine Kommune, nur weil sie an einerahnstrecke liegt, den gesamten Vermögenshaushalt ei-es Jahres für die Umstellung des Bahnübergangs auflektronische Steuerung ausgeben musste? Wann wurdeie Wirksamkeit des Altschuldenhilfe-Gesetzes analy-iert und wie kann man den Kommunen helfen, die heuteoch erhebliche Altschulden in der Wohnungswirtschaftaben?Als kommunale Mandatsträgerin finde ich den Vor-chlag von Frau von der Leyen absurd, den Kommuneneue Prioritätensetzungen vorzuschlagen, die wiederumulasten der Kommunen gehen sollen. In sozialpoliti-cher Hinsicht hätte dieser Vorschlag von uns kommen
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Katrin Kunertkönnen – das will ich klarstellen –; nur, Staatsaufgabenmüssen in Zukunft auch vom Staat finanziert werden.
Der Bund darf in Zukunft keine Politik auf KostenDritter machen. Das muss ein Anspruch an unsere Arbeitsein. Die Vorgehensweise der Bundesregierung bei derBerechnung des Bundesanteils an den Kosten der Un-terkunft war aus unserer Sicht unseriös und für uns in-akzeptabel. Ich bin gespannt, worin der rot-schwarze„Faden“ bestehen soll. Erst schreiben wir in das Gesetzhinein, dass 29,1 Prozent der Kosten erstattet werden;dann wird angedroht, dass wir das mal eben von denKommunen zurückfordern, und jetzt steht es wieder imGesetz. Es wird auch noch so getan, als sei das ein gro-ßer Tag für die Kommunen.Die Gesetzgebung in unserem Haus muss sich durchmehr Transparenz, innovative Verfahren und Praxisnäheauszeichnen. Wir sind der Meinung, dass wir durch einverbindliches Mitwirkungsrecht der kommunalen Spit-zenverbände unsere Arbeit und die Gesetze verbessernkönnen. Konsultationsmechanismen nach dem VorbildÖsterreichs, besondere Anhörungsrechte, Kostenfolge-und Gesetzesfolgeabschätzung sind zu regeln. Eine ge-ringere Dichte in Bezug auf Standards, weniger Büro-kratie und einfachere Verwaltungsverfahren könnten denKommunen die notwendigen Handlungsspielräume er-weitern. Damit würden wir den Kommunen mehr Frei-heit einräumen. Ein verbindliches Mitwirkungsrecht derSpitzenverbände könnte die künftigen Gesetze, die die-ses Haus passieren, den kommunalpolitischen TÜV be-stehen lassen.Ich möchte noch Anmerkungen zum Antrag derGrünen machen, den wir natürlich unterstützen.Erstens stimmen wir dem Antrag grundsätzlich zu.Aber wir sollten im Ausschuss darüber reden, dass dasKonnexitätsprinzip im Grundgesetz verankert werdenmuss, und über eine Gemeindefinanzreform reden. Dasfehlt in Ihrem Antrag.Zweitens. Wir haben sicherlich ebenfalls keinen Dis-sens, was die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer an-geht. Nur muss ich Ihnen deutlich widersprechen: Wirhaben konkrete Vorstellungen dazu. Vielleicht solltenwir unsere Positionspapiere austauschen, damit wir nichtin Ihren Begründungstexten erscheinen. Wir schlageneine Verbreiterung der Bemessungsbasis der Gewerbe-steuer und die Abschaffung der Gewerbesteuerumlagevor. Letzteres würde den Kommunen 5 Milliarden Euroeinbringen.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sieum Zustimmung zu unserem Antrag. In den Ausschüs-sen werden wir uns zu den anderen Anträgen politischgeordnet verhalten. Wenn es politisch gewollt ist, kön-nen wir die Lebensmittelpunkte der Menschen im Landattraktiver gestalten und den kommunalen Mandatsträ-gern wieder mehr Lust an ihrer Arbeit bereiten.Schönen Dank.
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s geht vielmehr darum, wie wir damit umgehen.Frau Kollegin Piltz, ich verstehe, dass es Ihre Frak-ion gejuckt hat, hier noch einmal fast wortgleich einen
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782 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Michael Hartmann
Antrag aufzulegen, den wir, wenn ich mich recht erin-nere, im Dezember 2004 schon einmal beraten haben.Sie wollen jetzt den Kolleginnen und Kollegen von derUnion die Frage stellen: Wie hältst du es mit dem, wasdu damals gesagt hast?
Das mag ein nettes parlamentarisches Spiel sein. Es magIhnen auch ein gewisses Vergnügen bereiten. Wir als So-zialdemokraten werden das sicher auch vonseiten unse-res früheren Koalitionspartners immer wieder erleben.
Sie erleben es jetzt bei Ihrem Wunschkoalitionspartner.Aber sagen Sie mir doch bitte einmal, was Sie zur Ver-besserung der kommunalen Situation vorschlagen! DerAntrag enthält dazu nichts, aber auch gar nichts.
Es geht doch am Schluss darum – meine Damen undHerren, da haben wir sicherlich wieder viele Schnittstel-len –, einmal die kommunale Finanzkrise genau anzu-schauen. Die kommunale Finanzkrise ist – die Ehrlich-keit gebietet, dies auszusprechen – ein Teil derFinanzkrise der öffentlichen Hand überhaupt. Wenn mandie Ebenen Bund, Land und Kommune miteinander ver-gleicht, muss man ja sogar sagen, dass der Schulden-stand der Kommunen relativ immer noch am geringstenist. Das hilft keinem Kämmerer; das weiß ich sehr wohl.Aber das darf man lobend in Richtung Kommunen sa-gen:
Die Kommunen schaffen es mit viel Kreativität, zu spa-ren. Sie schaffen es tatsächlich, den Mangel gescheit,klug und variabel zu verwalten.
Im Kern geht es also erstens um die Sanierung der öf-fentlichen Haushalte, zweitens natürlich um den Abbauder Arbeitslosigkeit – die hohe Arbeitslosigkeit verur-sacht das Schuldendilemma der Kommunen mit – unddrittens nach wie vor um die Reform der sozialen Siche-rungssysteme.Es geht übrigens auch darum – das sage ich bewusstin Richtung der Kolleginnen und Kollegen von denFreien Demokraten –, dass wir unsere Kommunen vorder vorgesehenen EU-Dienstleistungsrichtlinie schüt-zen. Denn was sie an kommunalen Finanzmöglichkeitenzerschlagen würde, ist geradezu skandalös. Vielleichtsollten Sie sich auch damit einmal etwas intensiver be-fassen.
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as sehen Sie im Koalitionsvertrag.An den Zahlen sehen Sie übrigens, dass die Gewer-esteuer verdammt wichtig ist. Deshalb ist auch ihr Er-alt, solange uns nichts Besseres einfällt, verdammtichtig. Wenn die Gewerbesteuer zerschlagen wäre,ann wäre das Licht tatsächlich schon in allen Städtennd Gemeinden ausgegangen, meine Damen und Herrenon der FDP.
Ich will das gerne anhand von Zahlen belegen; das isticht einfach so dahingesagt. 2004 hatten wir 56,4 Mil-iarden Euro kommunale Steuereinnahmen; davon wa-en 22,7 Milliarden Euro aus der Gewerbesteuer. Dasar ein Plus von 33,2 Prozent gegenüber dem Jahr 2003.005 hat sich das fortgesetzt. Wir hatten 58,6 Milliardenuro kommunale Steuereinnahmen; 24,8 Milliardenuro davon entfielen auf die Gewerbesteuer. Das warieder eine Steigerung, und zwar von 9,4 Prozent. 2006rwarten wir eine weitere Steigerung der kommunalenteuereinnahmen auf 60,7 Milliarden Euro. 26,1 Milliar-en Euro davon entfallen auf die Gewerbesteuer. Das istine erneute Steigerung um 5,3 Prozent.
Dazu kommen die Kosten, die der Bund für die Un-erbringung der Langzeitarbeitslosen, an Ganztagsschul-örderung und im Rahmen des Tagesbetreuungsausbau-esetzes übernimmt. Der Kollege von der Union hat dieschon ausgeführt. Also tun Sie bitte nicht so, als würdeer Bund seiner Pflicht gegenüber den Kommunen nichterecht werden. Das ist falsch und wider besseres Wis-en geredet.
Wenn allerdings die drei sich überbietenden Anträgeer Oppositionsfraktionen dazu führen, dass wir unsdas gebe ich unumwunden zu – stärker mit der Ausga-ensituation der Kommunen befassen, dass wir uns ge-auer ansehen, was das Explodieren der Sozialhaushalteit all seinen Konsequenzen bedeutet, dass wir uns miter Frage der Kassenkredite stärker beschäftigen undass wir die Standards, die unsere Kommunen belasten,tärker abbauen, dann finden Sie aufseiten der Koali-ionsfraktionen immer offene Ansprechpartner. Insofern
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 783
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Michael Hartmann
sehen wir Ihre heutigen Anträge als den Beginn einerpositiven Debatte über die Zukunft der Kommunen.Danke sehr.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist richtig: Wir debattieren wieder über die
Situation der Kommunen und der kommunalen Haus-
halte. Das ist gut und notwendig. Der Antrag, den die
FDP vorgelegt hat, war ja quasi der Aufschlag zur heuti-
gen Debatte. Diesen Antrag haben Sie schon einmal ein-
gebracht.
Er ist jetzt ein bisschen angepasst. Ich teile die Einschät-
zung des Kollegen Hartmann, dass es eigentlich darum
geht, das vermutlich etwas verquere Abstimmungsver-
halten der CDU/CSU noch einmal zu dokumentieren.
Das ist Ihr gutes Recht und kann tatsächlich erhellend
sein.
Ich möchte mit einer Sache noch ein bisschen aufräu-
men. Das ist die Thematik der Gewerbesteuerumlage.
Sie sagen zu Recht, die Gewerbesteuerumlage ist ge-
senkt worden und das hat dazu geführt, dass die Kom-
munen mehr Geld haben. Aber die Steigerung der Ge-
werbesteuer, so wie Sie sie jetzt gerade anhand von
Zahlen noch einmal dargestellt haben, Herr Hartmann,
hat mit der Gewerbesteuerumlage nichts zu tun.
Die Steigerung der Gewerbesteuer hat damit zu tun, dass
wir steuerliche Maßnahmen vorgenommen haben, die
dazu führen, dass die Gewerbesteuer ansteigt.
Herr Dautzenberg, das waren wir, das war Rot-Grün.
Es war richtig, die Gewerbesteuer im Rahmen der Ge-
meindefinanzreform zu reformieren. Wir teilen die Kri-
tik, dass die Gemeindefinanzreform nicht umfassend
war und dass es einen breiteren Arbeitsauftrag hätte ge-
ben können. Aber man muss ganz klar erkennen: Die
Gewerbesteuer steigt an. Sie ist ein Standbein der Kom-
munen. All jenen, die entweder in der Vergangenheit
oder heute immer noch munter über die Abschaffung der
Gewerbesteuer spekulieren – im Rahmen der Unterneh-
mensteuerreform wird es wieder passieren; Herr Götz,
Sie haben das angekündigt –, sage ich: Es geht um weit
über 20 Milliarden Euro. Die Körperschaftsteuer macht
das um Längen nicht aus. Diese weit über 20 Milliarden
Euro müssen kompensiert werden. Ich kann nur davor
warnen, dass bei einer möglichen Abschaffung der Ge-
werbesteuer die Kompensation so aussehen soll, dass die
Wirtschaft nicht mehr zahlen soll, dass die Bürgerinnen
und Bürger belastet werden und dass die Kommunen die
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Da kann ich Ihnen überhaupt nicht zustimmen; dennch habe eine dezidiert andere Position. Ich teile Ihnenicht nur meine, sondern auch die Position der grünenraktion mit, wenn ich Ihnen sage, dass die Gewerbe-teuer im Rahmen unseres Steuerpaketes für die Kom-unen eine wichtige Steuer ist. Spekulationen über diebschaffung der Gewerbesteuer müssen unter zwei Ge-ichtspunkten sehr genau betrachtet werden: Verteilunger Lasten zwischen Wirtschaft und Bürgerschaft undwischen Stadt und Land. Insofern teile ich die Einschät-ung, die Sie angesprochen haben, nicht. Dabei decktich meine Auffassung ganz klar mit der Position derrünen Fraktion.
Nun zur Grundsteuerreform; denn in unserem Antragibt es ja noch einige andere Punkte. Herr Hartmann,enn Sie sagen, dass sich die vorliegenden Anträge iner Frage überbieten, wer einen Kommunalbericht ein-ordert, dann haben Sie unseren Antrag wohl nicht genauelesen; denn uns geht es nicht um einen Kommunalbe-icht. Die Lage der Kommunen muss nicht erneut dezi-iert dokumentiert werden, um feststellen zu können,elche Kommune viel und welche wenig hat. Uns gehts vielmehr darum, dass ein umfassendes Paket ge-chnürt wird; dieses Vorhaben haben Sie zugegebener-aßen auch in Ihrem Koalitionsvertrag thematisiert.ber lassen Sie Ihren Worten nun auch Taten folgen!
ann würde es einmal nicht dabei bleiben, dass einoalitionsvertrag sozusagen nur ein Verschiebungsver-rag ist, in den man zwar schreibt, was man eigentlichill, diese Vorhaben dann aber auf die lange Bankchiebt.
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784 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Kerstin AndreaeFühren Sie eine Reform der Gewerbesteuer durch,und zwar in dem Sinne, wie es Rot-Grün diskutiert hat,und führen Sie eine Reform der Grundsteuer durch! ImMärz 2004 war der rheinland-pfälzische FinanzministerMittler bei uns in der grünen Fraktion.
Er hat mit uns über das Grundsteuermodell diskutiertund gesagt, dass ein entsprechender Gesetzentwurf zeit-nah eingebracht wird. Das war im März 2004. Es istnicht mehr lange hin bis zum März 2006; dann sind zweiJahre vergangen. Unter „zeitnah“ verstehe ich, auchwenn es nur um kleine Schritte geht, etwas anderes.
Erklären Sie uns auch, wie die Übertragung desWohngeldes an die Kommunen ab dem Jahr 2007 gere-gelt werden soll!
Die Art und Weise, wie Sie darüber diskutiert haben, warein schlechter Einstand: Zuerst hat Herr Müntefering ge-sagt, dass die Kommunen nur 19 Prozent bekommen,und später hat er angedeutet, dass sie, wenn sie nichtmitmachen, nur 15 Prozent bekommen werden.
Jetzt sprechen Sie von 29,1 Prozent, wie es auch verab-redet war. Aber Sie haben noch nicht dargelegt, wie esim Jahr 2007 aussehen soll, haben allerdings angekün-digt, dies zu tun. Wir sind gespannt, was Sie machenwerden.In Genshagen haben Sie den Beschluss gefasst, dasses für die energetische Sanierung von Kindergärten undSchulgebäuden Kommunalkredite der KfW geben soll.Das ist eine gute Idee. Wir haben lange über die energe-tische Sanierung von Gebäuden diskutiert. Bringen Sienun einen Vorschlag ein, wie Sie sich das vorstellen!
Frau Kollegin, ich lasse keine weitere Zwischenfrage
mehr zu, weil Sie Ihre Redezeit überschritten haben.
Da Sie meine Redezeit während meiner Beantwor-
tung der letzten Frage leider haben weiterlaufen lassen,
nehme ich mir jetzt noch ganz kurz das Recht, Folgendes
zu sagen: Ich möchte Sie bitten, am Ball zu bleiben.
Starke und handlungsfähige Städte sind für die Men-
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Das Wort hat die Kollegin Antje Tillmann, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-egen! Liebe Frau Kollegin Piltz, es wäre ein Leichtesewesen, dem Antrag der FDP mit dem Titel „Lage derommunen dokumentieren und verbessern“ zuzustim-en, da es für alle Probleme, die man nicht lösen willder kann, zwei Möglichkeiten gibt: einen Arbeitskreisinzusetzen oder die Erstellung eines Berichts zu for-ern. In beiden Fällen hat man Monate Ruhe, weil manrst die Ergebnisse der Arbeit der jeweiligen Gremienbwarten muss.
Leider konzentrieren Sie sich, liebe Kolleginnen undollegen von der FDP, in Ihrem Antrag nur auf den ers-en Teil, nämlich auf das Dokumentieren. Vom „Verbes-ern“ ist in Ihrem Antrag im Weiteren nicht mehr dieede.
enau das ist der Grund, warum wir Ihrem Antrag heuteicht zustimmen werden: Viele Forderungen, die Sie da-in erheben, sind längst von der Zeit überholt.
azu werde ich gleich vortragen.Die Debatte zeigt doch ganz deutlich: Keine der Frak-ionen hier im Haus bestreitet, dass die Situation derommunen ausgesprochen schwierig ist. Wofür brau-hen wir neue Zahlen? Die Diskussion über Hartz IV hateutlich gezeigt, dass wir, selbst wenn die Zahlen vorge-egt werden, nicht davor bewahrt werden, politische Ent-cheidungen zu treffen; denn die Diskussion überartz IV hat gezeigt: Obwohl die Zahlen vorlagen, wa-en beide Seiten nur damit beschäftigt, zu klären, ob esie richtigen Zahlen sind.
Liebe Frau Kollegin Andreae, Sie scheinen vergessenu haben, dass Sie zu der Regierung gehört haben,
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 785
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Antje Tillmanndie den 0-Euro-Vorschlag gemacht hat, die gesagt hat,die Kommunen kriegen 3,5 Milliarden Euro weniger alsbis dahin. Erst die neue Bundesregierung hat mit denKommunen vereinbart, 29,1 Prozent der Unterkunfts-kosten zu erstatten, was 3,5 Milliarden Euro für dieKommunen entspricht.
Liebe Frau Kollegin Kunert, Sie haben gefragt, ob je-der hier im Haus bei Gesetzentwürfen eigentlich weiß,welche Auswirkungen die entsprechenden Gesetze aufdie Kommunen haben werden; Sie haben das Altschul-denhilfe-Gesetz angesprochen. Ja, Frau Kollegin, jederkönnte es wissen, wenn er die Gesetzentwürfe lesenwürde. Denn schon vor einiger Zeit haben wir einge-führt, dass bei Gesetzesvorhaben die Auswirkungen aufdie kommunalen Finanzen berücksichtigt werden. Je-der weiß das. Die Frage ist nur, wie wir das umsetzen.Ich denke, diese Regierung hat gut begonnen damit, diekommunalen Finanzen mit im Auge zu behalten. Das hatdie Debatte um Hartz IV gebracht.
Frau Kollegin, gestatten sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Scheel?
Ja.
Frau Kollegin, können Sie sich noch daran erinnern,
dass die gesetzgeberischen Entscheidungen im Bereich
der Einkommensteuer, im Bereich der Unternehmensbe-
steuerung insgesamt, aber auch im Bereich der Vertei-
lung der verschiedensten Steuern auf Bund, Länder und
Kommunen mit den Stimmen der von der FDP mitre-
gierten Länder im Bundesrat gemeinsam getragen wur-
den? Wie stehen Sie dazu? Sie tun ja so, als hätte die
FDP-Fraktion hier eine völlig andere Auffassung als Ihre
Minister, die ihre jeweiligen Länder damals im Bundes-
rat vertreten haben. Das ist doch gespaltene Zunge,
oder?
Frau Kollegin Scheel, Sie sprechen jetzt mit der Kol-
legin Tillmann; sie ist von der CDU/CSU-Fraktion.
Entschuldigung.
Bleibt Ihre Frage dann aufrechterhalten?
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Ich beantworte diese Frage ausgesprochen gerne, weilie mir die Gelegenheit gibt, klarzustellen, dass es umie Regierung geht, an der Sie beteiligt waren, Fraundreae. Sie haben eben so schön gesagt, die Gewerbe-teuerumlage sei gesenkt worden. Aber Sie haben dabeiatürlich vergessen zu erwähnen, dass sie kurz zuvor,001, massiv erhöht worden ist. Es war genau Ihre Kör-erschaftsteuerreform 2001, die den Kommunen zwi-chen 2001 und 2003 finanziell das Genick gebrochenat.Wenn Sie sich jetzt immer als Retter der Kommunenarstellen und darauf verweisen, dass Sie Steuerpläneehabt hätten, diese aber im Bundesrat blockiert wordeneien, dann muss ich dazu sagen: Welcher Minister wars denn, der noch im November die Verlustabschrei-ungsgesellschaften weiter gefördert hat und damit ver-indert hat, dass den Kommunen mehrere 100 Millionenuro Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer zufließen?rst die neue Regierung hat dafür gesorgt, dass Verlust-bschreibungsgesellschaften im Einkommensteuerrechticht mehr möglich sind.
Liebe Kollegen, aus meiner Sicht gibt es kein Er-enntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.
rei Dinge sind es, die für die Kommunen dringend ge-an werden sollten. Das Erste ist – Herr Götz hat eschon kurz angesprochen – die Umsetzung der Ergeb-isse der Föderalismuskommission. Liebe Frau Piltz,ch kann Sie nur dringend bitten, Ihre Kollegen davon zuberzeugen, den Ergebnissen der Föderalismusreformuzustimmen. Denn da haben wir das Konnexitätsprin-ip vereinbart. Nun droht Ihre Fraktion, die Ergebnisseicht mitzutragen, wenn sie nicht mit einer Reform desänderfinanzausgleichs verbunden werden. Dabei wis-en Sie, dass wir den Länderfinanzausgleich nicht inner-alb von einem Jahr sanieren können. Also lassen Siens bitte den Kommunen die Sicherheit geben; das warine große Bitte der Vertreter der kommunalen Spitzen-erbände in der Föderalismuskommission, in der sieassive Mitwirkungsrechte hatten. An der Stelle könnenir tatsächlich helfen, anstatt nur Berichte zu fordern.
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786 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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)Antje Tillmann
Das Zweite, was wir dringend angehen sollten, ist dieUnternehmensteuerreform. Liebe Kollegen von denGrünen, diese Reform steht im Koalitionsvertrag. Natür-lich kann sie noch nicht umgesetzt sein; denn den Koali-tionsvertrag gibt es ja erst seit zwei Monaten. Fragen Sieuns in zwei Jahren noch einmal! Wenn wir sie bis dahinnicht angegangen haben, dürfen Sie uns zu Recht kriti-sieren. Aber in nur zwei Monaten ist so etwas nicht zumachen, gerade weil zum Beispiel die Gewerbesteuersehr sensibel behandelt werden muss. Ich sage an dieser Stelle als Steuerberaterin auchganz offen: Wenn wir Gerichte damit befassen, ob einKükensortierer Gewerbetreibender oder Selbstständigerist – ein Gewerbetreibender zahlt Gewerbesteuer, einSelbstständiger nicht –, dann werden wir keine Unter-nehmensteuerreform bekommen, die das Steuerrecht tat-sächlich vereinfacht. Deshalb ist es mir ein großesAnliegen, zumindest zu prüfen, ob es eine andere Mög-lichkeit für die Kommunen gibt. Aber ich sage in Rich-tung der Kommunen gleichzeitig: Wir haben im Koali-tionsvertrag auch festgelegt, dass wir die Gewerbesteuerohne eine definitive Sicherheit für die kommunalen Fi-nanzen – da ist das Votum der Kommunen natürlich ge-fragt – nicht abschaffen werden.Der dritte Punkt – da bitte ich die kommunalen Ver-treter in unseren Reihen, aber auch die Handelnden inden Kommunen, mitzuhelfen –: Wenn wir es nicht schaf-fen, die Bürger in den Kommunen an der Mitgestal-tung des kommunalen Haushaltes zu beteiligen, dannwerden sich die Kommunalvertreter immer wieder derForderung ausgesetzt sehen, Schwimmbäder, Turnhallenund Sportplätze sanieren zu müssen, aber bitte nicht dieGebühren zu erhöhen. Deswegen kommt bei der Reformder kommunalen Steuern sehr wohl ein Modell infrage,bei dem die Bürger Mitgestaltungsmöglichkeiten be-kommen. Dann können sie mit entscheiden, ob sie eineErhöhung akzeptieren oder ob sie lieber auf eine Investi-tion verzichten. Eine solche Beteiligung wünsche ichmir auf kommunaler Ebene.Die Einführung einer dritten Kammer – nur so könntees mit dem verbindlichen Mitbestimmungsrecht derKommunen funktionieren – würde nur dazu führen, dassdieser Staat nicht mehr zu regieren ist. Das wäre auchmit dem Ergebnis der Beratungen der Föderalismuskom-mission nicht vereinbar, die das Ziel hatte, zu einer Ent-flechtung zu kommen.Diese Regierung nimmt die Anliegen der Kommunensehr ernst. Viele der Kollegen hier haben die kommuna-len Interessen im Auge. Wir können die Aufgabe bewäl-tigen, wir haben die nötigen Angaben dazu und brauchenkeinen Bericht mehr. Wir müssen nun die Punkte, diewir angegangen sind, Schritt für Schritt umsetzen, zügig,aber nicht übereilt. Dazu fordere ich alle auf. Dann wirdsich auch die Situation der Kommunen verbessern.
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in solcher Antrag liegt jedes Jahr fast zur selben Zeit iniesem Hohen Hause vor. Wie oft wir einen solchen An-rag schon beraten haben, lässt sich gar nicht mehr genaueststellen. Der Kollege Hartmann hat schon darauf hin-ewiesen, dass das im Dezember 2004 der Fall gewesenst. Soweit ich weiß, gab es einen solchen Antrag auchm Jahre 2003. Davor ist ein solcher wahrscheinlichuch schon mehrfach eingebracht worden.
Um Sie nicht zu sehr auf die Folter zu spannen,öchte ich Ihnen vorweg sagen: Auch dieses Mal wer-en wir diesen Antrag ablehnen. Das gilt auch für dienträge der Grünen
nd der PDS.
Ja, der Linken. Ich erinnere mich gut, dass die Kolle-in Dr. Gesine Lötzsch, die in der vorderen Reihe sitzt,n den letzten drei Jahren bei jedem Redebeitrag, den sieier abgegeben hat, vorher gesagt hat, sie sei Abgeord-ete der PDS. Das hat sich mir eingeprägt. Ich bitte umachsicht, dass ich mich noch nicht umstellen konnte.
Die FDP fordert einen Bericht zur Lage der Kommu-en. Deren Lage bezeichnet sie als „extrem zugespitzt“.as ist die wortgleiche Formulierung aus dem Antragon 2004.
as zeigt, dass Sie noch nicht ausreichend gewürdigt ha-en, was sich in der Zwischenzeit getan hat, vor alleminsichtlich der Finanzsituation der Kommunen.
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Bernd ScheelenDie Finanzsituation ist nach wie vor schwierig – daswissen wir alle; darüber müssen wir uns nicht streiten –,entspannt sich aber. Das kann man an Zahlen festma-chen. Sie weisen in Ihrem Antrag auf die Kassenkreditehin – damit kann man am besten Horror verbreiten –,verschweigen aber beispielsweise die durchaus positiveEntwicklung beim Defizit. Das lag im Jahre 2003 nochbei 8,5 Milliarden Euro, im Jahre 2004 bei 3,8 Milliar-den Euro. Wir gehen davon aus, dass das Defizit im ver-gangenen Jahr weiter deutlich gesenkt werden konnteund dass die Null in der Zukunft nicht nur bloße Hoff-nung sein wird.Die Hauptursache dafür, dass sich die Finanzsituationder Gemeinden durchaus positiv entwickelt, sind dieEinnahmen aus der Gewerbesteuer; die Zahlen sindhier schon mehrfach genannt worden. Die Steigerungder Einnahmen 2004 gegenüber 2003 liegt bei über ei-nem Drittel, genau bei 35,7 Prozent. Das ist für dieKommunen sehr viel Geld. Das führt dazu, dass dieSteuereinnahmen der Kommunen in dem Jahr gegenüber2003 insgesamt um 9,4 Prozent gestiegen sind. Die Steu-erschätzung vom November letzten Jahres geht davonaus, dass im vergangenen Jahr ein Zuwachs von etwa4 Prozent zu verzeichnen sein wird. Genau kann man daserst sagen, wenn die Zahlen vorliegen. Für dieses Jahrwird ebenfalls eine Steigerung von über 3 Prozent pro-gnostiziert.Dabei ist noch nicht berücksichtigt, was die Koalitionin ihrer Vereinbarung niedergelegt hat und was sie anGesetzesvorhaben auf den Weg gebracht hat. Das, waswir Ende letzten Jahres an Subventionsabbau beschlos-sen haben, wird den Gemeinden weitere Einnahmen inHöhe von 1,4 Milliarden Euro bringen. Das zeigt, dasswir in der alten Koalition auf dem richtigen Wege waren,und das zeigt auch, dass wir in der neuen Koalition aufdem richtigen Wege sind, um den Kommunen bei derBewältigung ihrer schwierigen Aufgaben zu helfen.
– Jederzeit, Frau Piltz; ich lade Sie herzlich ein.
– Selbstverständlich würde ich diese Rede auch in Kre-feld in meinem Stadtrat halten, wo ich immer noch Bür-germeister bin. Dort halte ich in jeder Rede der regieren-den CDU vor, dass sie offensichtlich eine falscheWirtschaftspolitik macht; denn von den Gewerbesteuer-mehreinnahmen kommt in Krefeld erstaunlicherweisenichts an.
Das ist aber ein örtliches Problem, das die Mehrheit dortzu verantworten hat. Frau Piltz, ich lade Sie herzlichein, zu einer Sitzung in den nächsten Monaten zu kom-men.Frau Kollegin Piltz, all die Berichte, die Sie hier an-fordern – das hat der Kollege Hartmann schon zu RechtgTwpSBsEDmamBdlggmBndgEKLLdaehhtgmEderdtd1G
arin steht nämlich, was der Bund zugunsten der Kom-unen bisher alles getan hat und was in Zukunft nochuf sie zukommt.In dem zweiten Teil Ihres Antrages befassen Sie sichit Art. 84 Grundgesetz. Sie verlangen dort, dass dieundesregierung im Einzelnen die Aufgaben benennt,ie sie den Kommunen nach ebendiesem Artikel aufer-egt hat. Wir sollen darlegen, wie die finanziellen Aus-leichszahlungen dazu aussehen.Ich habe einmal in einer kleinen Ausgabe des Grund-esetzes unter Art. 84 nachgeschaut; das hilft ja manch-al. Die Überschrift lautet: „Landeseigene Verwaltung;undesaufsicht“. Ich habe den Text aller fünf Absätzeoch einmal gelesen. Das Wort „Kommunen“ kommtarin nicht vor. Das zeigt sehr deutlich, dass im Grund-esetz davon ausgegangen wird, dass der Staat zweibenen hat, nämlich den Bund und die Länder. Dieommunen sind Teile der Länder.
Insofern sind Ihre Anträge sinnvollerweise in denandesparlamenten einzubringen. Sie regieren ja in fünfändern mit. Die Berichte, die Sie hier von uns einfor-ern, sollten Sie in diesen Landesregierungen schon maluf den Weg bringen. Danach können wir uns hier nochinmal darüber unterhalten.
Die Fraktion Die Linke – das habe ich jetzt gelernt –
at einen Antrag eingebracht, der relativ einseitig ist. Sieaben es tatsächlich geschafft, auf einer Seite einen An-rag zu formulieren. In diesem Antrag verlangen Sie einesetzlich abgesichertes Mitwirkungsrecht der Kom-unen. Das kann man ja wollen; das wollen auch viele.s gibt auch viele Sympathien dafür. Dort gibt es aberasselbe Problem wie beim Antrag der FDP: Davor stehtinfach die Verfassung. Sie müssen das mit den Ländernegeln. Wenn Sie das mit den Ländern geregelt haben,ann kommen Sie gerne wieder mit einem solchen An-rag. Wir können ihn hier dann durchaus positiv behan-eln.Ich will Ihnen sagen, was wir getan haben, als wir998 mit dem Regieren hier anfingen. Wir haben eineemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung
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Bernd Scheelenverabschiedet. In der sind diese Mitwirkungsrechte inden §§ 41 und 47 ziemlich exakt definiert. Darin stehtgenau, wie die Kommunen vor und nach dem Beginn derVerhandlungen über einen Gesetzentwurf zu beteiligensind. Das ist ziemlich genau geregelt. Das ist das, wasdie Verfassung zulässt. Das haben wir bereits getan. In-sofern erübrigt sich auch Ihr Antrag.Der Antrag der Grünen enthält eine Menge von dem,was im Koalitionsvertrag sowieso vorgesehen ist. Wirwerden uns über die Unternehmensteuerreform unterhal-ten müssen. Dabei wird die Gewerbesteuer eine Rollespielen. Es steht aber auch ganz klar im Koalitionsver-trag, dass die Gewerbesteuer nur dann aufgegeben wer-den kann, wenn es einen besseren Ersatz gibt.
– Nein, wir brauchen einem Antrag nicht zuzustimmen,der nur das beschreibt, was wir sowieso machenwerden. Er enthält allerdings auch ein paar Punkte, diewir nicht durchführen werden.
Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ebenfalls ab.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/127, 16/358 und 16/371 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien
– zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Pau,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Hakki Keskin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Abriss des Palastes der Republik stoppen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Anna Lührmann, Volker
Beck , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Abrissmoratorium für den Palast der Repu-
blik
– Drucksachen 16/98, 16/60, 16/366 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank
Wolfgang Thierse
Christoph Waitz
Dr. Lukrezia Jochimsen
Grietje Bettin
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Ein gutes Haus braucht einen guten Platz.Wir hatten ihn, und taten wie beschlossen.Hier legte Liebknecht einst in heißen Tagendas Fundament für eine bessere Welt.Wir haben darauf gebaut und dürfen sagen:Dies ist ein Baugrund, der uns sicher hält!Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Mit diesen ebenitierten Sätzen begann vor 32 Jahren der Richtspruchum Palast der Republik. Er endet beziehungsreich:Denn hinter diesen festen Marmorsteinen,da schlägt das ganze Herz der Republik.
in Prachtbau, der den Sieg des Sozialismus dokumen-ieren sollte, war hier entstanden, ein internationalesrestigeprojekt mit identitätsstiftender Wirkung für dieDR-Bürger. Durch seine Modernität war es ein Stückebaute Westsehnsucht. Als Mann vom Bau erlauben Sieir die Bemerkung: Eine technische Meisterleistung.Aber in seiner damals futuristischen Dimension inusmaß und Kanten war hier ein architektonischerremdkörper entstanden und er ist es bis heute geblie-en.
s war eine städtebauliche Fehlentscheidung auf der his-orisch geprägten Spreeinsel. Dieser bewusste Beschlusser SED diente dazu, die Mitte der Stadt, das Zentrumer Republik durch ein Symbol für sich zu sichern. Deralast wurde Platzhalter für ein Gesellschaftsmodell.Mit der gezielten Sprengung des Stadtschlosses950 hatte man Berlin seiner Mitte beraubt. Ein gewach-enes Ensemble hatte man zerstört. Doch die Vergangen-eit lässt sich nicht wegsprengen.
Bausünden hat es in Berlin und nicht nur hier gege-en, sondern in beiden Teilen, in Ost wie in West.
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Wolfgang Börnsen
Doch diese Stadt und ihre Bürger haben besonders inden letzten 16 Jahren auch mit Hilfe des Bundes ein phä-nomenales Wiederaufbauprogramm umgesetzt.
Der Reichstag, unser Parlament, ist dafür ein Paradebei-spiel. Mit Faust und Fingerspitzengefühl ist Deutsch-lands Hauptstadt zu einer vitalen, attraktiven und in ih-ren Ecken auch wunderbar schmuddeligen europäischenMetropole herangereift.
Einen Bestandsschutz für eine gesichtslose Ruinekann es nicht geben.
Die hier tagende Volkskammer war ein Scheinparlament.Die Alibi-Abgeordneten haben sanktioniert, was dieSED-Führung diktierte. Mauer, Stacheldraht und Schieß-befehl gehörten dazu. Dieser Teil der DDR-Geschichtehat keine Zukunft verdient.
Der Palast der Republik ist zu einem Ballast für un-sere Republik geworden, und zwar bereits viel zu lange.Zweimal hat unser Bundestag das Ende des Palastes be-schlossen, wohlüberlegt, begründet und fraktionsüber-greifend.
Wankelmütig zu werden, weil derzeit eine fragwürdigeMehrheit anderer Auffassung ist, wäre verantwortungs-los. Nur die Grünen betreiben eine Wendehalspolitik.
Drei Monate Opposition haben genügt, um sechs JahreAbrissbefürwortung infrage zu stellen. Welch peinlicherPopulismus!
Dass zwei PDS-Senatoren in der Palastfrage dem Regie-renden Bürgermeister seit Jahren in den Rücken fallen,gehört in die gleiche Kategorie.Der Restpalast muss weg, weil diese Ruine im HerzenBerlins hässlich ist und diese schöne Stadt entstellt.
Die Brache nach dem Abbau bringt eine Atempauseund bietet Zeit, noch manche offenen Fragen zu klären.Mehr bringt sie nicht. Die große leere Grünfläche wirdedssdWzlKsdGdbFudgkndlsAWdsd–aBkfAMJv
Das Wort hat der Kollege Christoph Waitz, FDP-
raktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren! Wieder beschäftigt sich der Deutsche Bun-estag mit dem Abriss des Palastes der Republik. Wiedereht es um die Frage, wie der Schlossplatz in Berlinünftig gestaltet werden soll. Das ist nicht nur für Berli-er eine wichtige Frage.Eigentlich sollte alles klar sein. Der Deutsche Bun-estag hat vor zwei Jahren beschlossen, die jetzige Pa-astruine abreißen zu lassen. Der Abriss ist nicht nur be-chlossen, sondern durch den Berliner Senat auch inuftrag gegeben worden.
ie heute in den Berliner Zeitungen zu lesen ist, wirdie Baustelle eingerichtet. Wer jetzt noch den Abrisstoppen will, braucht nach Auffassung meiner Fraktion,er liberalen, sehr gute Gründe.
Das werden wir sehen.Der Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen resultiertus der Sorge, dass sich die bisherigen Planungen für dieebauung des Schlossplatzes als Luftschloss erweisenönnten. Diese Planungen und Baumaßnahmen könntenür den Steuerzahler teurer werden als bislang gedacht.nsatzpunkt dieser weit verbreiteten Sorge ist eineachbarkeitsstudie aus dem Sommer des vergangenenahres, die der Öffentlichkeit bislang nicht vollständigorliegt.
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Christoph Waitz
Es ist schon erstaunlich, wenn jetzt ohne vollständigeKenntnis dieser Machbarkeitsstudie daraus eine „Un-machbarkeitsstudie“ für die Öffentlichkeit produziertwird.
Festzuhalten ist jedoch, dass sich auch bei möglichenProblemen einer künftigen Bebauung – in wessen Ver-antwortung auch immer – nichts an der Ausgangssitua-tion für die Entscheidung des Bundestages geänderthat.
Fakt ist nämlich, dass sich Berlin mit dem Palast der Re-publik an einem zentralen Platz einen außerordentlichenstädtebaulichen Missstand leistet.
Dort, wo jeden Tag Tausende von Touristen flanieren,steht eine Ruine, deren Anblick und morbider Charmewirklich nicht als tourismusfördernd eingeschätzt wer-den kann.
Anders sieht die Situation für die Fraktion der Linkenaus. Frau Jochimsen, Sie haben für Ihre Fraktion festge-stellt, dass Sie den Palast der Republik nicht wiederha-ben wollen. Ich glaube Ihnen das. Denn gerade der abge-rissene Palast der Republik ist für die Linke einewillkommene politische Gelegenheit, sich in den Augenvieler Ostdeutscher wieder in eine Opferrolle zu manöv-rieren,
durch die politisch nutzbare Solidarität geweckt wird,weil durch scheinbar unverständige Politiker der Palastbeseitigt wird, mit dem viele Berliner und ostdeutscheBürger positive Erinnerungen verbinden.Es lohnt sich aber ein Blick in die Vergangenheit undauf den Vorgängerbau an dieser Stelle: das Stadtschloss.Denn der Abriss des Berliner Stadtschlosses wäre nichtnötig gewesen.
Nach Auffassung der Kommunisten sollte vielmehrsprichwörtlich ein fauler Zahn gezogen werden. Der Ab-riss des Schlosses war ein politisches Symbol für dieÜberwindung von Feudalherrschaft und Diktatur. Er warein Zeichen für den ganz bewussten Neuanfang eines so-zialistischen Staates auf deutschem Boden. Der Neubaudes Palastes – Herr Börnsen hat in die gleiche RichtungawwdlzGwPtVaDaNVeieDdKiknvvStdSwcdalfumdls
Wir wollen, dass statt der Palastruine auf demchlossplatz ein Gebäude entsteht, welches die architek-onischen Proportionen der Planungen Schinkels wie-erherstellt. Wir wollen, dass durch die Integration derchlossfassade in dieses Gebäude symbolisch deutlichird, dass dieser deutsche Staat zu seiner geschichtli-hen Verantwortung steht, Verantwortung nicht nur fürie großen Stunden der deutschen Geschichte, sondernuch für Fehler und Verbrechen, die im Namen Deutsch-ands begangen wurden.
Die FDP-Fraktion wird beide Anträge ablehnen. Da-ür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.Ich bedanke mich für Ihre Geduld, Frau Präsidentin,nd bei Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Auf-erksamkeit.
Herr Kollege Waitz, für Sie war das die erste Rede iniesem Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen im Namen al-er Kolleginnen und Kollegen und wünsche Ihnen per-önlich und politisch alles Gute.
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerNächster Redner ist der Kollege Wolfgang Thierse,SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Unsere heutige Debatte hat eine längere Vorgeschichte.Diese beginnt spätestens 1950 mit dem Abriss desHohenzollernschlosses, um – wie die Absicht der SED-Herrschaft war – ausreichend Platz für Demonstrationenzu haben. Sie ging weiter über Planungen für ein sozia-listisches Stadtzentrum und mündete im Bau des Palas-tes der Republik, der auch – ich bitte, das nicht zu ver-gessen – eine Kundgebungstribüne für die SED-Herrschaften sein sollte.
Die Debatte wäre zu Ende gewesen, wenn nicht we-gen der Asbestverseuchung der Palast bis auf sein Ske-lett, bis auf einen Hohlkörper, hätte zurückgebaut wer-den müssen. Erst damit entstand eine offene Situationund damit die drängende Frage: Was machen wir mit derkostbarsten Stelle der Stadt Berlin, ihrem historischenUrsprungsort, was machen wir mit der Schlossinsel?Der Bund und das Land Berlin haben zur Beantwor-tung dieser Frage eine internationale Expertenkom-mission eingesetzt, deren Mitglied ich war. Diese Kom-mission hat einen Vorschlag gemacht. Dessenwichtigster Aspekt ist eine dominant öffentliche, nichtprivatwirtschaftliche Nutzung. Ein Ort für Stadtbürger,für die Bürger des Landes und ihre Gäste sollte entste-hen. Diese Nutzung heißt Humboldt-Forum. Die außer-europäischen Sammlungen der Stiftung PreußischerKulturbesitz, die wissenschafts- und kulturgeschichtli-che Sammlung der Humboldt-Universität, die Beständeder Landesbibliothek und eine Agora, ein Platz für öf-fentliche Veranstaltungen, Begegnungen und Feste, soll-ten hier vereinigt werden. Der Vorschlag für die baulicheGestaltung sah einen Neubau in der Kubatur des ehe-maligen Schlosses mit drei Barockfassaden und demwunderbaren Schlüter-Hof vor.Diesem Vorschlag der internationalen Kommissionhat sich der Deutsche Bundestag im Juni 2002 mit sehrgroßer Mehrheit angeschlossen.
Im November 2003 hat der Bundestag – wiederum mitgroßer Mehrheit – diesen Beschluss bestätigt. Ich sehekeinen wirklich überzeugenden Grund, diese Beschlüsseaufzuheben.
Ich sehe keinen überzeugenden Grund, dem Antrag derLinksfraktion zu folgen, den Palast dauerhaft zu erhal-ten. Ich sehe keinen überzeugenden Grund, dem Antragder Grünen zu folgen, den Palast noch ein bisschen zuerhalten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Anhänger desPalastes und Gegner unserer Beschlüsse hat es in denvSsDeniIWrcsAniDhANssDdSDpDsJngiVRSdsG
ir sollten jedenfalls in beiden Fällen ideologisch ab-üsten.Neuerlich heißt es, der Palast sei eine interessante Lo-ation, gerade als skelettierter Hohlkörper sei er interes-ant für Kunstaktivitäten. Ja, wer wird das bestreiten?ber soll das ein ernsthaftes Argument sein, daraus ei-en Dauerzustand im Zentrum der Stadt zu machen, anhrer empfindsamsten Stelle?
as Ganze sei nicht finanziert und nicht finanzierbar,eißt es.
ls müsste die Finanzierung des Palastes und seinerutzung nicht auch geregelt werden!
Nun liegt genau zu dieser Frage eine Machbarkeits-tudie vor. Deren Ergebnisse stehen nicht im Wider-pruch zu den Bundestagsbeschlüssen.
ie Ergebnisse der Studie besagen, dass die Realisierunges Humboldt-Forums in der Gebäudekubatur deschlosses möglich ist.
er Vorschlag heißt: Das soll ein Projekt öffentlich-rivater Partnerschaft werden.
ie Baukosten werden auf 670 Millionen Euro veran-chlagt. Es kommen Finanzierungskosten hinzu. Proahr würde der öffentliche Haushalt mit circa 30 Millio-en Euro auf 30 Jahre hin belastet. Die Gutachter schla-en einen zweistufigen Investorenwettbewerb und einennternationalen Architektenwettbewerb vor. Zu derenorbereitung werden gegenwärtig die detailliertenaumprogramme unter maßgeblicher Mitwirkung dertiftung Preußischer Kulturbesitz erarbeitet. Die Arbeit,ie Planungen und die Entscheidungen können also undie müssen weitergehen. Es soll kein Gras über dasanze wachsen. Ich bin kein Anhänger der grünen
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792 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Wolfgang ThierseWiese. Ich will keine Pause, keinen Stillstand bei diesemgroßen Projekt im Zentrum unserer Hauptstadt.
Mit dem Beginn des Palastrückbaus aber kann derBlick nach vorn gerichtet werden, können ideologisierteund emotionalisierte Konfrontationen überwunden wer-den. Das wünsche ich mir jedenfalls, das hoffe ich. Dennworum geht es? Nicht um das alte Schloss, wie pole-misch-verzerrend immer wieder behauptet wird, sondernum einen Neubau, der zugleich Geschichte vergegen-wärtigt und der eine faszinierende Perspektive ermög-licht. Das Humboldt-Forum im Herzen Berlins ist einverheißungsvolles Projekt.
Wofür steht es? Der europäischen Kultur, die auf derMuseumsinsel versammelt ist und die zu präsentierendie Idee dieser Museumsinsel gewesen ist, sollen künftigdie nicht europäischen Kulturen unmittelbar begegnen,nicht als Folklore, sondern weg von der ehemals koloni-alistischen Perspektive als Dialog der Kulturen, alsDialog der Künste. Das ist das wirklich moderne Projekt,um das es geht.
So etwas gibt es nirgendwo auf der Welt. So entstehteine der faszinierendsten Museumslandschaften über-haupt in der Mitte der deutschen Hauptstadt. Das istnicht Vergangenheitsfixierung, sondern Zukunftsorien-tierung, einer globalisierten Welt wahrlich angemessen.
In einem Bau, der an Geschichte erinnern soll, sollzugleich ein Projekt der Zukunftsorientierung entstehen.Darum geht es und dafür bitte ich um Ihre Unterstüt-zung. Deshalb sollten Sie der Beschlussempfehlung desAusschusses folgen. Richten wir den Blick endlich nachvorne!
Das Wort hat der Kollege Gregor Gysi, Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Geschichte der Auseinandersetzungen überden Palast der Republik ist hier beschrieben worden. Beiden Reden von Herrn Börnsen und Herrn Waitz ist miraufgefallen, dass man immer wieder versucht, Politiküber Gebäude zu machen. Das ist etwas, was ich am al-lerwenigsten verstehe.–ndshsaIBdwwzAh–heiWLtTg–ebgnSswe
Das will ich Ihnen gerade sagen. So bekloppt bin ichicht.Ich will Sie daran erinnern, dass die SED-Führungas Stadtschloss loswerden wollte. Natürlich konnte sieagen: Es wurde durch den Krieg zerstört. Aber manätte es auch wieder aufbauen können. Aus ideologi-chen Gründen hat man es nicht getan.Sie machen nichts anderes. Es fällt Ihnen nicht einmaluf.
ch wiederhole: Sie machen nichts anderes. Herrörnsen, Sie haben hier eine lange ideologische Begrün-ung geliefert, weshalb Sie den Palast der Republik los-erden wollen. Verstehen Sie: Das ist dieselbe Denk-eise.
Jetzt schildere ich Ihnen Folgendes: Anfangs hatte ichu diesem Palast keine rechte Beziehung.
ber ich habe dann festgestellt: Die jüngere Generationat da viel Zeit verbracht.
Es tut mir Leid: Das stimmt. Wenn Sie das nicht wahr-aben wollen, dann ist das Ihr Problem. Schauen Sie sichinmal die Umfrage an: Eine Mehrheit im Osten willm Augenblick diesen Palast erhalten. Dass Sie dieahrheit nicht zur Kenntnis nehmen, ist etwas anderes.assen Sie mich trotzdem ausreden!Immer mehr Vertreter der jüngeren Generation teil-en mir mit, dass sie dort in der Disko, im Café oder imheater waren und dass sie wollen, dass der Palast ir-endwie erhalten bleibt.
Hören Sie zu! – Dann habe ich mich für die Erhaltungingesetzt. Ich stand zum Beispiel auf dem Dach des Ge-äudes und habe alles mögliche gemacht. Dann kam ir-endwann der Berlinwahlkampf und ich habe mit denje-igen Leuten gesprochen, die den Wiederaufbau destadtschlosses wollten, einen Verein gebildet haben etc.Übrigens, man kann auch über das Gebäude Stadt-chloss Negatives sagen. Was soll das? Es war wederie Versailles noch wie Sanssouci. Auch das muss maninmal deutlich sagen.
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Dr. Gregor GysiAber davon abgesehen: Ich habe auch den Wunschderer verstanden, die den Wiederaufbau des Stadt-schlosses wollten. Verstehen Sie! Da hat in mir eine Ent-wicklung stattgefunden, die Sie noch nicht vollzogen ha-ben.
– Ja. Sie wissen ja gar nicht, welche. –
Ich habe gesagt: Vielleicht müssen wir in diesem Falldarauf verzichten, Sieger und Verlierer zu kreieren;vielleicht müssen wir einen anderen Weg gehen.
Damals haben wir die Idee entwickelt, einerseits denvorhandenen Kern zu erhalten und andererseits den Pa-last nicht wieder einfach aufzubauen, sondern etwaswieder aufzubauen, was Elemente des Schlosses inte-griert, sodass wir uns zu beiden Teilen der Geschichtebekennen, und das, nachdem wir vorher die öffentliche,gemeinnützige Nutzung dieses Gebäudes in der Haupt-stadt Deutschlands festgelegt haben.
Was ist daran so schlimm?
Warum müssen Sie unbedingt eine große Gruppe vonVerlierern kreieren, um sich selbst vorübergehend alsSieger zu fühlen? Das ist der falsche Ansatz.
So kommen wir nicht weiter. Das ist der Punkt, den ichkritisiere.Es ginge anders; es ginge vernünftiger. Verstehen Sie!Als ich das gesagt habe, waren zuerst auch die Palast-anhänger sauer. Aber sie haben sich dann damit ausei-nander gesetzt und haben gesagt: Irgendetwas ist dran.Vielleicht müssen wir hier in Berlin und nicht nur in Ber-lin diesbezüglich zueinander finden.
Ich will nicht die Kostengründe ansprechen. Ich stellenur fest: Erst war nur von Grundstücken die Rede; jetztlese ich etwas von 1,2 Milliarden Euro. Es wird eben al-les immer teurer. Ich will das aber gar nicht so billig ma-chen. Es wäre jetzt gar nicht der richtige Zeitpunkt, aus-schließlich in diese Richtung zu argumentieren.
Die Erfahrungen besagen natürlich: Berlin ist pleite;der Bund ist pleite; Geld haben wir nicht. Dieses großeProblem kommt noch hinzu.–SdruruDrmlwwLddegmznKahHohlDstg
Ich sage Ihnen: Ich glaube, es war ein Fehler, Siegernd Verlierer kreieren zu wollen. Heute ist darüber be-ichtet worden, dass es falsch war, die Fusion von Eonnd Ruhrgas zu genehmigen.
er Bundestag hat noch die Chance, seinen Beschluss zuevidieren. Noch besteht die Möglichkeit, zu sagen: Wirachen es anders, wir nehmen einfach alle mit, wir ver-angen von jedem eine Art Kompromissbereitschaft undir machen etwas, was ins 21. Jahrhundert gehört, et-as, was mit der Zukunft dieser Gesellschaft und diesesandes wirklich zu tun hat; wir bekennen uns damit zuem einen Stück Vergangenheit Schloss und zu dem an-eren Stück Vergangenheit Palast und machen dennochtwas völlig Neues, etwas anderes, etwas Gemeinnützi-es und etwas Öffentliches daraus. Haben Sie doch ein-al die Kraft, darauf zu verzichten, Sieger und Verliereru kreieren!
Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann, Bünd-
is 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Wir stimmen heute doch nicht über die Frageb, ob wir ein Schloss wollen oder ob wir den Palast be-alten wollen. Das ist heute doch gar nicht das Thema.
eute geht es vielmehr darum,
b wir im Herzen Berlins eine Brache, eine Grünflächeaben wollen oder ob wir weiterhin den Rohbau des Pa-astes der Republik kulturell zwischennutzen wollen.as ist die Frage, über die wir heute abstimmen. Darüberollten wir jetzt auch reden.
Herr Thierse, die Grundlagen, auf denen der Bundes-agsbeschluss von 2002 beruht, haben sich sehr wohleändert. Nach Auffassung des Großteils der Mitglieder
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Anna Lührmannder Expertenkommission, auf die Sie sich eben berufenhaben und auf die sich auch der Beschluss berufen hat,kommt die Machbarkeitsstudie zu dem Ergebnis, dassbestimmte Teile, wie sie damals vorgeschlagen wordensind, jetzt nicht realisierbar sind. Deshalb spricht sich einGroßteil der Expertenkommission jetzt für ein Morato-rium aus. Dem sollten wir uns hier heute anschließen.
Alle Experten gehen heute von Kosten für die öffent-liche Hand von bis zu 1,2 Milliarden Euro aus. Sehr ge-ehrte Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: GlaubenSie wirklich ernsthaft daran, dass das hoch verschuldeteLand Berlin oder der Bund in naher Zukunft eine solchenorme Summe für den Aufbau des Schlosses ausgebenwird? Ich glaube das nicht. Deshalb ist ein Moratoriumder richtige Weg.
Sie, Herr Thierse, und auch Sie, Herr Börnsen, spre-chen hier von Luftschlössern. Sie haben keinerlei kon-kret realisierbare Pläne dafür anzubieten, was mit demSchlossplatz passieren soll.
Ich wette mit Ihnen, Herr Börnsen: Wenn ich so alt binwie Sie, werde ich noch nicht erlebt haben, dass derGrundstein für dieses Schloss liegt.
– Ich wette auch gern mit Ihnen, Herr Thierse. Wir wer-den dann zu gegebener Zeit darüber diskutieren.Sie fragen sich vielleicht, liebe Kolleginnen und Kol-legen, warum ich als junge Hessin,
die sechs Jahre alt war, als die Mauer gefallen ist, zumThema „Palast der Republik“ spreche.
Ich kann Ihnen hierzu ernsthaft sagen: Mit dem alten Pa-last der Republik habe ich nicht so wahnsinnig viel zutun. Nur eine kurze Anmerkung: Gerade in meiner Ge-neration gibt es viele Menschen, die wollen, dass wir dieGeschichte eben nicht auf dem Schrotthaufen entsorgen,sondern uns damit auseinander setzen.
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Die Vergangenheit – das sage ich auch an die Adresseon Herrn Gysi – ist noch einmal ein anderes Thema.ir geht es heute um die Gegenwart und um die Zu-unft.
ch war im August zufällig im Volkspalast. Ich war vonen Möglichkeiten, die selbst eine solch unrenovierteuine für die Kultur bietet, sehr beeindruckt.
enauso beeindruckt wie ich waren über eine halbe Mil-ion Besucherinnen und Besucher sowie die Feuilletonsroßer Zeitungen, von der „New York Times“ über dieFAZ“ bis zur „taz“, also wirklich keine linksradikaleneitungen. Diese Kultur sollte man aufrechterhalten. Ge-ade diese lebendigen Ausstellungen lassen sich mit ei-em sehr geringen Zuschuss aus Steuermitteln realisie-en.Damit ist ein zweiter Grund dafür genannt, dass ichier stehe. Ich stehe hier als Haushälterin meiner Frak-ion. Für mich als Haushälterin ist die Frage: Warumollten wir diesen einzigartigen Palast der Kultur,
er finanzierbar ist, einem nicht finanzierbaren Konzeptür ein Luftschloss opfern?
ir geht es darum, hier ein gutes kulturelles Angebot fürie Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt, für die Bür-erinnen und Bürger in Deutschland, aber gerade auchür die Touristen aufrechtzuerhalten. Deshalb finde ichs sehr wichtig, dass wir mit der Zwischennutzung wei-ermachen können und dann in Ruhe darüber nachden-en, wie wir den Rohbau sinnvoll in ein zukünftiges Ge-äude integrieren können.Ich will dazu noch anmerken: Der Rohbau ist ja nichtichts wert. Die Stahlträger, die da stehen, haben nochinen Wert von über 100 Millionen Euro. Den Rohbauu integrieren, das ist ein Konzept, das funktionierenürde, das ist ein Konzept, das umsetzbar ist – im Ge-ensatz zu dem Luftschloss, das Sie vorschlagen.
Lassen Sie mich zum Schluss zusammenfassen, wo-um es heute geht, zumal jetzt einige Kolleginnen undollegen, die nicht die gesamte Debatte verfolgen konn-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 795
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Anna Lührmannten, dazugestoßen sind. Wir haben heute in dieser Ab-stimmung die Wahl zwischen einem Luftschloss, also ei-ner leeren Grünfläche im Herzen Berlins, und einemlebendigen Kulturpalast für Kunst und Wissenschaft.Darüber stimmen wir heute ab. Daher bitte ich Sie: Stim-men Sie unserem Antrag heute zu, liebe Kolleginnenund Kollegen, und lehnen Sie die Beschlussempfehlungdes Kulturausschusses ab.Vielen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Pflüger.
Ich freue mich über die Reaktionen. – Ich finde, dass
eine Bemerkung von Herrn Gysi hier nicht unwider-
sprochen stehen bleiben sollte, nämlich dass die Frage
des Abrisses eine Frage von Gewinnern und Verlie-
rern sei.
Herr Kollege Gysi, wenn Sie das den Leuten nicht einre-
den, gewinnen alle, wenn wir das Schloss wieder auf-
bauen. Denn eine Stadt, die sich zu ihrer Geschichte be-
kennt, ist eine gute Stadt. Das hat nichts mit Gewinnern
und Verlierern zu tun.
Ich glaube, Herr Kollege Gysi, dass es für jede Stadt
wichtig ist, dass sie sich zu ihrer Geschichte, in diesem
Fall zur brandenburgisch-preußischen Geschichte, be-
kennt, dass sie aber die Vergangenheit und die Moderne
zusammenführt. Mit dem Humboldt-Forum, mit der
Agora als einem Ort des geistigen Austausches tun wir
beides. Auf der Geschichte bauen wir die Zukunft auf.
Das ist gut für die Stadt. Deshalb stimmen Sie bitte an-
ders ab, als Sie es hier angekündigt haben! Nehmen Sie
zur Kenntnis, was, glaube ich, auch die große Mehrheit
der Berliner in dieser Frage will!
Der letzte Punkt, Herr Kollege Gysi. Ich glaube in der
Tat nicht, dass die Aussage richtig ist, dass der Palast
der Republik zur Identität der Deutschen gehöre. Sie
haben das zwar nicht gesagt; aber man hört es immer
wieder. Ich glaube, dass der Palast der Republik für
SED-Diktatur steht. Ein Bauwerk, das Diktatur symbo-
lisiert, gehört nicht zur Identität der Deutschen. Es hat
weder mit der Identität der Deutschen noch mit einer de-
mokratischen Geschichte und Zukunft zu tun.
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ie bedeutet nicht, dass man sich immer jene Teile aus-ucht, mit denen man gerade meint umgehen zu können.eshalb war es damals ein großer Fehler, das Schloss zuprengen. Aber es ist auch ein großer Fehler, wenn ge-agt wird: Weg mit dem Palast! Erst das Außenministe-ium, dann der Palast. Was machen Sie überhaupt mitem Staatsratsgebäude? Was soll aus dem Mittelteil wer-en? Soll das dann rübertransportiert werden?Ich will gar nicht auf die offenen Fragen eingehen,ondern Ihnen zwei Dinge sagen. Ich habe von der jün-eren Generation gesprochen; da haben Sie nur gelacht.ch habe aber erlebt, dass andere Menschen andere Vor-tellungen mit dem Gebäude verbunden haben als ich.etzt gibt es eine neue, gesamtdeutsche, junge, künstleri-che Generation, die dort etwas veranstaltet, die daserne macht. Sie hat dieses Gebäude für sich angenom-en. Darüber können wir Ältere uns nicht einfach hin-egsetzen, indem wir so tun, als wüssten wir immer al-es besser, und den Jungen alles vorschreiben.
Das ist das eine. Ich glaube, wenn wir fähig werden,n Kompromissen zu denken – wenn wir das Gebäudetehen lassen, aber auch etwas anbauen, was uns an daschloss erinnert, was uns an alle Teile der deutschen Ge-chichte erinnert, und wenn wir etwas für die Zukunftachen –, dann haben wir eine Zukunft. Wenn wir im-er sagen, das eine muss weg und etwas Älteres mussieder hin, dann gibt es doch Gewinner und Verlierer.as ist meine Sorge.Ich habe dazugelernt. Ich war anfangs einer von de-en, die gesagt haben, der Palast müsse so bleiben. Alsch aber im Berliner Wahlkampf mit vielen gesprochenabe, die das Schloss wollten, wurde mir klar, dass ich esir zu einfach gemacht hatte. Ich musste hier einen an-eren Weg gehen. Ich ärgere mich darüber, dass dieehrheit des Bundestages den Weg, hier etwas Gesamt-eutsches zu machen, noch nicht vollzogen hat.Gebäude – es tut mir Leid – sind nicht ideologisch.ir haben aus noch viel schlimmerer Zeit Gebäude, dieir nicht deshalb abreißen werden, weil da ganz falscheeute Mist erzählt haben.
Politikerinnen und Politiker, die auch noch Architek-en sein wollen, sind die Letzten. Das sollten wir denrchitekten überlassen. Da wäre ich für eine schöneusschreibung, die wir sogar zusammen formulierenönnten.
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Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Renate Blank. – Vielleicht schaffen wir es, in diesen
letzten vier Minuten noch zuzuhören.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege
Gysi, Sie haben in Ihrer Rede – ich nehme jetzt nicht Be-
zug auf Ihre Kurzintervention – kein Wort zu Ihrem An-
trag gesagt. Ziehen Sie Ihren Antrag also zurück? Stim-
men Sie nun für oder gegen einen Abriss der Ruine?
Diese Frage müssen Sie noch beantworten, nachdem Sie
mit keinem Wort darauf eingegangen sind.
Kollege Gysi, Sie unterstellen uns, Politik über dieses
Gebäude zu machen. Sie vergessen dabei, dass in diesem
Gebäude eine Politik betrieben wurde, die Menschen so-
zusagen kaputtgemacht hat; denn dort gab es die größte
Abhör- und Bespitzelungsmaschinerie der DDR. Es gibt
in diesem Zusammenhang weder Sieger noch Verlierer.
Die Linke stellt sich halt gern als Verlierer dar, um Mit-
leid zu erregen. Aber nicht mit uns!
Sie sagen, dass das Schloss 1950 bedauerlicherweise
abgerissen wurde. Kollege Gysi, vielleicht erinnern Sie
sich daran, dass Honecker im Jahre 1988 sagte, es sei ein
Fehler gewesen, dieses Schloss abzureißen. Er sagte dies
aber erst, nachdem er von Auslandsreisen zurückkehrte
– von Paris oder England –, auf denen er festgestellt
hatte, von welchem Vorteil es ist, wenn man repräsenta-
tive Gebäude hat. Der Abriss des Schlosses lässt sich
nicht mehr korrigieren. Aber der Palast muss weg.
An die Adresse der Grünen muss ich sagen, dass mich
Ihr Sinneswandel schon wundert. All die Jahre waren
Sie anderer Meinung. Jetzt plötzlich führen Sie das Ar-
gument an, der Abriss und der Wiederaufbau kosteten zu
viel Geld. Darauf kann ich Ihnen nur sagen, dass wir in
diesem Hause viel Geld für andere Dinge bereitstellen.
Daher sollte auch Geld vorhanden sein, um Berlins Mitte
wieder zu einer ansehnlichen Stätte zu machen.
Auch eine zwischenzeitlich entstehende Grünfläche
wäre kein Problem; denn sie würde der Erholung dienen.
Im Grunde genommen sind wir mit dem Abriss in
Verzug. Hätte es keine Verfahrensfehler gegeben, müss-
ten wir heute nicht mehr diskutieren und der Abriss wäre
schon längst erfolgt. Sie hätten dann auch nicht
200 versprengte Demonstrierende vor der Ruine des Pa-
lastes der Republik mobilisieren müssen.
Man hat versucht, den Palast als Kultstätte hochzu-
stilisieren. Der Versuch ist zwar legitim. Aber die Gel-
der, die dort für Kulturveranstaltungen ausgegeben wur-
den, sind alle dem Hauptstadtkulturfonds, der aus
Bundesmitteln gespeist ist, entnommen worden.
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Sie wollen uns jetzt weismachen, dass diese Ruine
ymbolträchtig ist. Wir sind der Meinung, dass dies kei-
eswegs der Fall ist. Im Gegenteil: Durch die Palastruine
ls Solitärbau wird dem historischen Ensemble ein
chwerer Schaden zugefügt.
ürde der Palast erhalten bzw. wieder aufgebaut wer-
en, wäre das Zentrum der Stadt endgültig deformiert
nd zusammenhanglos. Wir brauchen an dieser Stelle
lso dringend einen Wiederaufbau.
Ich gehe davon aus, dass die Brachfläche Anlass gibt,
uch über private Finanzierungen nachzudenken. Wir
üssen uns auch mit der Machbarkeitsstudie intensiv
useinander setzen. Man kann in diesem Zusammenhang
arüber diskutieren, wie die Nutzung ausschauen sollte.
uf jeden Fall sollte die Kubatur des Schlosses – das ist
chon ausführlich beschrieben worden – wieder aufge-
aut werden.
Es ist schon sehr verwunderlich, verehrte Kollegin
us Hessen, dass sich Westler plötzlich für diese Pa-
astruine so stark machen und sie als geschichtsträchtige
nd wertvolle Architektur bezeichnen.
as ist aber nicht der Fall. Es handelt sich um eine häss-
iche Ruine,
ie ganz schnell abgerissen werden muss.
Aus meiner Sicht beginnt mit dem Abriss der Pa-
astruine die Zukunft der Mitte Berlins. Ich glaube, dass
s Ende dieses Monats oder Anfang nächsten Monats
ndlich so weit sein wird.
ann diskutieren wir über die Neunutzung und nicht
ehr über einen Abriss.
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
ollegen Gregor Gysi.
Es sind doch bloß wenige Sätzchen; das halten Sieoch noch aus.
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Dr. Gregor GysiSelbstverständlich kenne ich unseren Antrag. Sie ha-ben mich missverstanden, Frau Kollegin Blank. Ichmöchte, dass wir den Rohbau erhalten und mit Elemen-ten des Schlosses komplettieren, um die Geschichte ins-gesamt darzustellen.Ein Zweites wollte ich Ihnen sagen: Es wurde immervon irgendwelchen Nostalgikern gesprochen. GünterGrass und Dario Fo sind gegen einen Abriss. Sie selbsthaben von Künstlerinnen und Künstlern sowie Schrift-stellerinnen und Schriftstellern gesprochen, die sich in-zwischen gegen einen Abriss einsetzen. Das alles wirdmehr oder weniger negiert.Ein einziges und letztes Beispiel: Der Bundestagsprä-sident kommt, glaube ich, aus Ihrer Fraktion. Er hat am27. August 2005 in einem Interview in der „Berliner Zei-tung“ erklärt:In Deutschland krachen die Sozialsysteme, dieMaastricht-Kriterien werden gebrochen, die Bil-dungssysteme müssen umstrukturiert werden – inso einer Situation setzt das Land Zeichen mit einernostalgischen Fassade für 900 Millionen Euro.Inzwischen sind wir bei 1,2 Milliarden Euro.Ich finde, wenn er Recht hat, hat er Recht. Wir solltenwirklich noch einmal darüber nachdenken, ob wir nichteine gemeinsame Lösung finden – ich bleibe dabei –,statt zu sagen: Irgendeiner muss gewinnen. Der Abrisserfolgt kurz und schnell und ist falsch und nicht repara-bel.
Frau Kollegin Blank, bitte.
Kollege Gysi, auch wenn Sie es zum dritten, fünften
oder zehnten Mal sagen: Ihre Aussage wird dadurch
nicht besser.
Ich sage Ihnen zudem: Wir brauchen dort – deswegen
der Hinweis auf die spätere Nutzung – auch privates Ka-
pital; das wollen wir gewinnen. Wir brauchen in diesem
Bereich bürgerschaftliches Engagement.
Kollege Gysi, mir ist klar, dass Sie sich in der Opposi-
tion gern als Opferlamm darstellen. Aber das wird Ihnen
in diesem Fall nicht gelingen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/366.Zu dieser Abstimmung liegen mir Erklärungen nach§ 31 unserer Geschäftsordnung vor, und zwar von SwenSchulz , Jörg-Otto Spiller, Detlef Dzembritzki,Klaus Uwe Benneter, Petra Merkel , Dr. DitmarStaffelt, Gunter Weißgerber, Mechthild Rawert, LotharMHBF„BABdbdKedevddSsnDkpZ1)2)
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seinereschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derraktion Die Linke auf Drucksache 16/98 mit dem TitelAbriss des Palastes der Republik stoppen“. Unteruchstabe a seiner Beschlussempfehlung empfiehlt derusschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion desündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/60 mitem Titel „Abrissmoratorium für den Palast der Repu-lik“.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vereinbart,ass über die Beschlussempfehlung des Ausschusses fürultur und Medien zu den beiden genannten Anträgen ininer namentlichen Abstimmung abgestimmt wird. Werie Anträge ablehnt, muss also mit Ja für die Beschluss-mpfehlung des Ausschusses stimmen.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dieorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze anen Urnen besetzt? Auch an der hinteren Urne? – Das ister Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seinetimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ichchließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-en und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.as Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-annt gegeben.2)Wir setzen unsere Beratungen fort.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatz-unkt 4 auf:11 Erste Beratung des von den Abgeordneten JosefPhilip Winkler, Volker Beck , WolfgangWieland, Claudia Roth und der Frak-tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
– Drucksache 16/218 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeP 4 Erste Beratung des von den Abgeordneten UllaJelpke, Sevim Dagdelen, Petra Pau und der Frak-tion der LINKEN eingebrachten Entwurfs einesZweiten Gesetzes zur Änderung des Aufent-haltsgesetzes und anderer Gesetze– Drucksache 16/369 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAnlagen 2 bis 6Ergebnis Seite 801 C
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die diesemTagesordnungspunkt nicht folgen wollen, den Saal zuverlassen und ihre Gespräche außerhalb des Saales fort-zusetzen. – Sie verlängern durch Ihr Verhalten die Dauerunserer heutigen Sitzung wesentlich. Deshalb noch ein-mal die herzliche Aufforderung, die Gespräche außer-halb des Saales fortzusetzen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeJosef Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wol-len wir die inhumane Praxis der Kettenduldungen fürlangjährig in Deutschland lebende Flüchtlinge endlichbeenden.
Ausländerinnen und Ausländern, die sich am31. Dezember 2005 seit mindestens fünf Jahren rechtmä-ßig oder geduldet in Deutschland aufhalten, kann vonden Ausländerbehörden eine Aufenthaltserlaubnis erteiltwerden; das ist Inhalt unseres Gesetzentwurfs. In Härte-fällen, zum Beispiel bei Traumatisierten oder minderjäh-rigen Flüchtlingen ohne Begleitung ihrer Eltern, kannvon der Fünf-Jahres-Frist abgesehen werden. Mit der Er-teilung der Aufenthaltserlaubnis wird es insbesondereden geduldeten Jugendlichen endlich ermöglicht, eineAusbildung anzutreten oder zu arbeiten. Damit ist ihneneine sinnvolle Zukunftsperspektive eröffnet.Leider bietet das Zuwanderungsgesetz für die großeGruppe der langjährig Geduldeten nicht die gewünschteLösung. Was fehlt, ist eine unbürokratische Regelung,die es den Ausländerbehörden möglich macht, den Be-troffenen einen rechtmäßigen Aufenthalt zu erlauben.Diese Lücke würde mit dem durch uns vorgelegten Ge-setzentwurf geschlossen.Der kürzlich bekannt gewordene Referentenentwurfdes Bundesinnenministeriums zur Änderung des Zuwan-derungsgesetzes enthält demgegenüber leider keineÜbergangs- oder Bleiberechtsregelung für langjährig ge-duldete oder Asyl suchende Flüchtlinge, obwohl imKoalitionsvertrag angekündigt war, das Zuwanderungs-gesetz im Hinblick auf humanitäre Lösungen für Men-schen mit einer Kettenduldung zu evaluieren, und ob-wohl auch die Innenministerkonferenz kürzlich denGesetzgeber aufgefordert hat, Verbesserungsvorschlägevorzulegen – natürlich nachdem sie sich selber nicht zueinem besseren Vorschlag durchringen konnte.Der Anspruch des Zuwanderungsgesetzes, die Ket-tenduldungen abzuschaffen, kann ohne eine Bleibe-rechtsregelung nicht erfüllt werden. Bisher konnte nureine Minderheit der geduldeten Flüchtlinge die auslän-dhvilETfzneldDhADhkdrfGnzsdAeEsudumrse1fsdhhsdnp
Ich komme zum Schluss. Die Innenministerkonfe-enz, die diese Lücke durch einen Beschluss hättechließen können, hat sich im Dezember letzten Jahresrneut als unfähig erwiesen, eine Lösung für die rund50 000 geduldeten Mitbürgerinnen und Mitbürger zuinden. Sogar einige unionsgeführte Bundesländer habenich einer Lösung nicht prinzipiell verschlossen. Aberas Einstimmigkeitsprinzip der Innenministerkonferenzat auch diesmal selbst einen Minimalkompromiss ver-indert.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sieehr herzlich bitten, unseren Antrag zu unterstützen. Erient der notwendigen Integration von Menschen, dieach jahrelanger Ungewissheit eine tragfähige Zukunfts-erspektive in Deutschland brauchen.Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Reinhard Grindel, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!An den Beginn unserer Debatte gehört eine Feststellung:Wir haben im Rahmen der Beratung des neuen Zuwan-derungsgesetzes ausführlich über eine Bleiberechtsrege-lung diskutiert. Wir haben uns damals gemeinsam– CDU/CSU, SPD, FDP und auch die Grünen – gegeneine Bleiberechtsregelung entschieden. Wir haben abersehr wohl eine Verbesserung der Aufenthaltssituationausreisepflichtiger Ausländer beschlossen, die aus recht-lichen oder tatsächlichen Gründen nicht ausreisen kön-nen. Darüber hinaus haben wir eine Härtefallregelungvorgesehen.Kollege Winkler, das Zuwanderungsgesetz ist jetztseit einem Jahr in Kraft. Einzelne Gesetzesänderungenwirken erst seit einigen Monaten. Deswegen ist es völligrichtig, dass wir uns in der großen Koalition darauf ver-ständigt haben, die Erfahrungen mit diesen beiden Maß-nahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes intensiv zuuntersuchen.Die von Ihnen angesprochene Gesetzesänderung hatdamit nichts zu tun. Da geht es um die Umsetzung vonelf EU-Richtlinien.Ich finde in Ihrer Antragsbegründung keinen einzigenAnsatzpunkt, warum schon zum jetzigen Zeitpunkt eineneuerliche Rechtsänderung nötig sein soll; denn es gibtkeine Lücke. In Wahrheit wollen Sie mit Ihrem Antragvom Zuwanderungskompromiss abrücken, den Sie mituns beschlossen haben.
Sie sind nicht für mehr Integration, sondern für mehr Zu-wanderung.
Genau das wollen wir nicht.
Sie haben das Thema Integration aufgeworfen.Manchmal ist nicht nur interessant, was in einem Antragsteht, sondern auch, was nicht drin steht. Sie haben alseinziges Tatbestandsmerkmal für eine Bleiberechts-regelung einen fünfjährigen Aufenthalt in Deutschlandgefordert.
Sie verlangen keine ausreichenden Deutschkenntnisse.Sie verlangen nicht, dass die Kinder in Deutschland zurSchule gehen.
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ie nehmen nicht zur Kenntnis, dass wir jetzt die Pro-leme lösen müssen, die sich aus der mangelnden Inte-ration vieler Ausländer ergeben, die bereits auf Dauern Deutschland leben. Sie wollen auch Ausländern einleiberecht geben, die kein Wort Deutsch können, diehre Kinder auf eine Koranschule schicken, die noch nie-als in Deutschland gearbeitet haben
nd hier keinen ausreichenden Wohnraum haben. Dasat mit Integration nichts, aber auch gar nichts zu tun,ondern nur mit ungesteuerter Zuwanderung, die wiricht wollen.
Es geht ja noch weiter: Sie wollen sogar solchen Aus-ändern ein Bleiberecht geben, die in Deutschland straf-ällig geworden sind
nd die ihren längeren Aufenthalt selbst herbeigeführtaben, Ausländern, die sich über Jahre geweigert haben,nsere Gesetze zu befolgen, Ausländern, die durch dasernichten von Pässen, durch mangelnde Kooperations-ereitschaft mit den Ausländerbehörden und durch Täu-chung über ihre Identität ihre Abschiebung selbst verei-elt haben und damit die Sozialkassen der Kommunenrheblich belasten. Ich sage für die CDU/CSU: Wir wer-en keinem Bleiberecht zustimmen, das das jahrelangeeharrliche Nichtbeachten unserer Rechtsvorschriftenuch noch prämiert. Das kann keine richtige Botschaftes Gesetzgebers sein.
Sie sprechen die Bürgerkriegsflüchtlinge an. Unsereevölkerung hat hier in vorbildlicher Weise Solidaritätit den Menschen auf dem Balkan bewiesen. Wir habenehr Flüchtlingen Schutz gewährt als jedes andere Landn Europa. Die meisten Flüchtlinge sind nach Ende derriegshandlungen freiwillig in ihre Heimat zurückge-ehrt und haben angefangen, unter schwierigsten Bedin-ungen ihr Land aufzubauen. Einige Zehntausende – dasst wahr – haben durch viele Tricks über Jahre ihre
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Reinhard GrindelRückkehr verhindert. Ich finde, es ist die falscheBotschaft, wenn Sie mit einer solchen Bleiberechtsrege-lung denjenigen, die auf den Balkan zurückgekehrt sindund dort ihr Land aufbauen, jetzt im Grunde genommensagen: Ihr seid dumm gewesen, weil ihr nur so lange denSchutz in Deutschland in Anspruch genommen habt, wiees nötig war, und das deutsche Recht geachtet habt. Ihrhättet durch jahrelanges Taktieren mit euren Ausweispa-pieren und andere Maßnahmen, die die Abschiebungweiter verzögern, dafür sorgen können, künstlich eurenAufenthalt in Deutschland zu verlängern. Auf diese Artund Weise hättet ihr in Deutschland bleiben können.
Das ist nicht die richtige Perspektive. Eine Bleibe-rechtsregelung, wie Sie sie ausgestalten wollen, eine Re-gelung, durch die sich die Bürgerkriegsflüchtlinge, die inihre Heimat zurückgekehrt sind, weil es die geltendeRechtslage erfordert, im Nachhinein als Betrogene füh-len müssen, kann nicht richtig sein. Dies würde auch dieAufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerungerlahmen lassen; denn sie wüsste, dass in zukünftigenFällen, die wir hoffentlich nicht bekommen werden,viele Flüchtlinge bleiben werden, weil sie von dieserBleiberechtsregelung Gebrauch machen. Auch das istdie falsche Perspektive.
Es besteht kein Zweifel, dass mit einer umfassendenBleiberechtsregelung ein Sogeffekt nach Deutschlandentstünde. Das gilt erst recht für den Vorschlag derLinkspartei, der noch nicht einmal eine Stichtagsrege-lung enthält.In Europa wurden bereits Erfahrungen mit Bleibe-rechtsregelungen gemacht: In Spanien ist die Zahl derregistrierten Ausländer im Anschluss an die dortigeLegalisierungskampagne allein im Jahr 2005 um700 000 Personen gestiegen. Die Zuwanderung nachSpanien hat also in nur einem Jahr um 20 Prozent zuge-nommen. – Die Legalisierungskampagne, die in Portugaldurchgeführt wurde, ist bereits nach kurzer Zeit abge-brochen worden – darüber haben wir auch im Visa-Un-tersuchungsausschuss gesprochen –, weil der Ansturmvon Ausländern zu groß war; denn Schlepper- undSchleuserbanden reagieren sofort auf neue Rechtslagen.Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, einer massi-ven Schieflage der Sozialsysteme und großer Integrati-onsprobleme in den Kommunen ist es unverantwortlich,die Einführung einer Bleiberechtsregelung vorzuschla-gen, wenn nicht die Vorbedingung, die Sicherung des ei-genen Lebensunterhalts, erfüllt ist. Wir lehnen das ab.Völlig abwegig ist die Einführung zusätzlicherHärtefallregelungen, wie Sie sie vorschlagen; denndadurch wäre schon nach wenigen Monaten ein Bleibe-recht möglich. Diese Regelung soll für Opfer von Ge-walttaten gelten. Der Linkspartei reicht schon die Be-hauptung aus, die Gewalttat sei im Ausland verübtworden. Aus der täglichen Praxis wissen wir, dass da-durch Schutzbehauptungen Tür und Tor geöffnet wür-dnmtaKhkhdwpshMtdwgwrIhdibaFvKdsDns–
eil – indem behauptet wurde, traumatisiert zu sein undsychologische Probleme zu haben – immer wieder ver-ucht wurde, rechtlich wirksame Abschiebungen zu ver-indern.
it einer solchen Härtefallregelung – das ist die Reali-ät, die uns die Ausländerbehörden immer wieder schil-ern –
ird der Zuwanderung durch die Hintertür Tür und Toreöffnet und wird die Integration gefährdet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre schön,enn wir die Erfahrungen, die wir mit dem Zuwande-ungsgesetz gemacht haben, in Ruhe auswerten könnten.ch will Sie daran erinnern, dass wir uns bei den Ver-andlungen über das Zuwanderungsgesetz einig waren,ass eine allgemeine Bleiberechtsregelung nicht sinnvollst. Der Kollege Beck war an all diesen Verhandlungeneteiligt; Herr Kollege Winkler, Sie wissen das.Auch wäre es schön, wenn den Worten der Grünenuch Taten folgen würden. Ihr Fraktionsvorsitzenderritz Kuhn hat vor Ihrer Klausurtagung in einem Inter-iew in der „Welt“ erklärt, die Grünen müssten zurenntnis nehmen, dass Ausländer, wie er sich ausge-rückt hat, auch Stress bringen. Des Weiteren hat er ge-agt:Wir Grüne müssen uns diesem Streß aussetzen undAntworten auf drängende Probleme finden, … abernicht naiv blauäugig.
azu sage ich: Ihr Antrag löst keine Probleme. Er trägticht zur Verbesserung der Integration bei, sondernchafft mehr Stress. Er gefährdet die Integration und istmit Verlaub – blauäugig.Herzlichen Dank.
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Reinhard GrindelAnke Eymer Steffen Kampeter Dr. Joachim Pfeiffer Andrea Astrid VoßhoffIlse FalkDr. Hans Georg FaustEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer
Dirk Fischer
Bernhard KasterVolker KauderEckart von KlaedenJürgen KlimkeJens KoeppenKristina Köhler
Manfred KolbeNorbert KönigshofenDBRRDTHDr. Friedbert Pflügereatrix Philipponald Pofallauprecht Polenzaniela Raabhomas Rachelans Raidelr. Peter RamsauerKai WegnerMarcus WeinbergPeter Weiß
Gerald Weiß
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschGeorg Fahrenschon Alois Karl Sibylle Pfeiffer Marco Wanderwitz
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 567;davonja: 430nein: 119enthalten: 18JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AlbachPeter AltmaierThomas BareißNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtClemens BinningerRenate BlankPeter BleserAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachKlaus BrähmigMichael BrandHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeMonika BrüningGeorg BrunnhuberGitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornDKHDEJDHDNERDJPDURHMMMMKOHGUUMJBERKFJAHSDDABHU – Jerzy MontagNEN]: Eine peinli-p Winkler [BÜND-as war wirklich un-dEAmsr. Maria Flachsbarthlaus-Peter Flosbacherbert Frankenhauserr. Hans-Peter Friedrich
rich G. Fritzochen-Konrad Frommer. Michael Fuchsans-Joachim Fuchtelr. Jürgen Gehborbert Geisberhard Giengeralf Göbelr. Reinhard Göhnerosef Göppeleter Götzr. Wolfgang Götzerte Granoldeinhard Grindelermann Gröheichael Grosse-Brömerarkus Grübelanfred Grundonika Grüttersarl-Theodor Freiherr zuGuttenberglav Guttingolger Haibacherda Hasselfeldtrsula Heinenda Carmen Freia Hellerichael Hennrichürgen Herrmannernd Heynemannrnst Hinskenobert Hochbaumlaus Hofbauerranz-Josef Holzenkampoachim Hörsternette Hübingerubert Hüppeusanne Jaffker. Peter Jahrr. Hans-Heinrich Jordanndreas Jung
artholomäus Kalbans-Werner KammerDHTMGDDJDDADKDPIEDDDWDDFLMPDMDHCSBBHMDFEHRDUVizepräsidentin Dr. h. c. SLiebe Kolleginnen und Kolen Schriftführerinnen undrgebnis der namentlichenbgegebene Stimmen 569. Miit Nein haben gestimmt 120,chlussempfehlung ist damit anr. Rolf Koschorrekartmut Koschykhomas Kossendeyichael Kretschmerunther Krichbaumr. Günter Kringsr. Martina Krogmannohann-HenrichKrummacherr. Hermann Kuesr. Karl A. Lamers
ndreas G. Lämmelr. Norbert Lammertatharina Landgrafr. Maximilian Lehmeraul Lehriederngbert Liebingduard Lintnerr. Klaus W. Lippoldr. Michael Lutherorothee Mantelolfgang Meckelburgr. Michael Meisterr. Angela Merkelriedrich Merzaurenz Meyer
aria Michalkhilipp Mißfelderr. Eva Möllringarlene Mortlerr. Gerd Müllerildegard Müllerarsten Müller
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802 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Wenn de facto die AbschiebuAusländern politisch nicht mehser Tatsache Rechnung getrageDie Diskussion über eine Altrig Geduldete wurde bereits imZuwanderungsgesetz in den Jaer FDP)) :lleginnen und Kollegen!n Migrantinnen und Mi-rsönlichen Perspektive inIS 90/DIE GRÜ-au!)ltsstatus fehlt, wird selbstauer die Motivation, sichchwert. Deshalb begrüßelem der Kettenduldungennderten Familien wiederdem BÜNDNIS 90/i Abgeordneten derng von lange geduldetenr vertretbar ist, muss die-n werden.fallregelung für langjäh- Zusammenhang mit demhren 2003 und 2004 ge-dBRzmWbsfsgfdglBter Auffassung, dass die unbeetroffenen durch eine vernünfegelung verbessert werdenum Zuwanderungsgesetz entit der jetzt vorliegenden vergl
friedigende Situation dertige und unbürokratischemuss. Der FDP-Entwurfhielt eine Regelung, dieeichbar ist.ÜNDNIS 90/DIEs stimmt!)einig: Ohne einen gleich-ang können Zuwandererschen Abhängigkeit be- Grundlage für ökonomi-t ein entscheidender Inte-licht den Zuwanderern,zu stehen, sie fördert da-nicht nur des Berufstäti-angehörigen. Sie ermög-hafft Akzeptanz in derndel, dies ist auch im In-zen.dem BÜNDNIS 90/i Abgeordneten derCDU/CSU]: Das istr Grünen nicht ent- Abg. Josef Philip0/DIE GRÜNEN]:Sevim DagdelenDr. Diether DehmWerner DreibusDr. Dagmar EnkelmannWolfgang Gehrcke-ReymannDr. Gregor GysiHeike HänselLutz HeilmannHans-Kurt HillCornelia HirschInge Höger-NeulingDr. Barbara HöllUlla JelpkeDr. Lukrezia JochimsenDr. Hakki KeskinKatja KippingMonika KnocheJan KorteKatrin KunertOskar LafontaineMichael LeutertUlla LötzerDr. Gesine LötzschUlrich MaurerDorothee MenznerKornelia MöllerKersten NaumannWolfgang NeskovicDr. Norman PaechPetra PauBodo RamelowElke ReinkePaul Schäfer
Volker Schneider
Dr. Herbert SchuiDr. Ilja SeifertDr. Petra SitteFrank SpiethDr. Kirsten TackmannDr. Axel TroostAlexander UlrichGert WinkelmeierJörn WunderlichSabine ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKerstin AndreaeVolker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderMatthias BerningerGrietje BettinAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertHans Josef FellJoseph Fischer
Kai Boris GehringBritta HaßelmannWPPUDTUSFRMUMDAJWBCKECIDRSHDJWJ
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804 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Die Grünen gehen mit ihrem Gesetzentwurf aber ineinigen Punkten etwas zu weit. So findet die von uns ge-forderte Mitwirkungspflicht im Grünen-Entwurf leiderkeine Berücksichtigung. Das ist bedauerlich. Denn es istunseres Erachtens sehr wohl relevant, dass geduldeteAusländer die Behörden nicht täuschen oder behindern,was ihren aufenthaltsrechtlichen Status anbelangt. Auchhaben wir in unserem Vorschlag einen seit mindestenssechs Jahren ununterbrochenen Aufenthalt als Bedin-gung vorgesehen gehabt. Schließlich erscheint es unssinnvoll, auch die Frage nach einem – auch zukünftig –gesicherten Lebensunterhalt zu stellen. Unter den Härte-fallbedingungen des vorliegenden Entwurfs werfen diePunkte zwei und drei aus unserer Sicht die Frage auf, in-wieweit sie nicht zu unpräzise sind und damit die Rege-lung zu weit aushöhlen könnten.Dennoch ist es uns ein ernstes Anliegen, in der Frageder so genannten Altfälle den Tatsachen endlich ehrlichins Auge zu sehen. Genau deshalb stimmt die FDP-Frak-tion dem vorliegenden Entwurf zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Michael Bürsch von
der SPD.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Kollegen
Grindel ist auf eines Verlass: auf die Hartnäckigkeit sei-
ner Vorurteile und die Plattheit seiner Argumente.
Man könnte ihn sozusagen als den Erfinder der tibetani-
schen Gebetsmühle gegen angemessene Einwanderung
und Integration bezeichnen; so viel vorweg.
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Herr Grindel, das Thema ist ernst genug, dass man sich
hm mit der nötigen Differenziertheit und Seriosität wid-
en sollte.
s geht in der heutigen Diskussion um die Abschaffung
o genannter Kettenduldungen und um eine Bleibe-
echtsperspektive für langjährig geduldete, in Deutsch-
and integrierte Flüchtlinge, die keinen Aufenthaltstitel
esitzen.
Anders als Sie habe ich an den gesamten Verhandlun-
en der Vermittlungsgruppe zum Zuwanderungskompro-
iss teilgenommen. Ich kann den damaligen baden-
ürttembergischen CDU-Innenminister Schäuble und
ndere zitieren, die nachhaltig darauf hingewirkt haben,
ie Kettenduldungen abzuschaffen.
Das war gar nicht nur eine Initiative von unserer Seite,
as kam von Praktikern: von Ihren Innenministern, die
enau gesehen haben, welches Leid, aber auch welche
nbill wir mit den Kettenduldungen verursachen.
Dafür gibt es immer noch keine Lösung, obwohl wir
n der Vergangenheit immer wieder versucht haben, Lö-
ungen für diese geduldeten Menschen zu finden. Auch
nser damaliger Bundesinnenminister Schäuble hat 1990
ine solche Initiative ergriffen und damals gab es eine
ösung. Wir wollen Menschen helfen, die hier im Lande
ind, seien es Kriegsflüchtlinge oder andere, die kein
syl erhalten haben, die aber auch nicht abgeschoben
erden. Immer wieder erhalten diese Ausländer so ge-
annte Kettenduldungen. Es sind sehr viele Menschen
avon betroffen. Sie sind wirtschaftlich und gesellschaft-
ich meist bereits eingegliedert, arbeiten täglich hart und
ind zu einer Stütze unserer heimischen Wirtschaft ge-
orden, auf die viele Arbeitgeber nicht mehr verzichten
ollen.
Herr Abgeordneter Bürsch, der Abgeordnete Grindel
ürde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Wenn es, wie üblich, der Wahrheitsfindung dient,ann werde ich Herrn Grindel gerne seine Frage beant-orten.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 805
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Bitte schön, Herr Grindel.
Herr Kollege Bürsch, habe ich Sie gerade richtig ver-
standen, dass Sie den Eindruck erwecken wollten, dass
in unserem Koalitionsvertrag angekündigt wird, dass wir
Kettenduldungen abschaffen wollen? Meiner Erinnerung
nach steht in dem Koalitionsvertrag, dass wir das über-
prüfen wollen, was zum humanitären Aspekt der Zuwan-
derung im aktuellen Zuwanderungsgesetz steht.
Darüber hinaus möchte ich Sie, da Sie eben ausdrück-
lich auf die Beschäftigung der Menschen angespielt ha-
ben, fragen: Stimmen Sie mir zu, dass die Frage der Be-
schäftigung im Entwurf der Grünen keine Rolle spielt
– im Entwurf der Linken ist das sowieso nicht der Fall –,
dass also die Beschäftigung keine Tatbestandsvorausset-
zung ist?
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Grindel. Ich habe ver-
sucht, deutlich zu machen, dass wir in vielen Verhand-
lungen Stunden und Tage zusammengesessen haben, um
einen Kompromiss beim Thema Zuwanderung zu fin-
den. Es hat sich dabei zwischen CDU/CSU und SPD der
Konsens ergeben, dass Kettenduldungen abgeschafft
werden müssen. Das ist in den Gesetzestext, insbeson-
dere in § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz, eingeflossen.
Diese Vorstellung liegt diesem Gesetz zugrunde. Las-
sen Sie uns gemeinsam die Kettenduldung abschaffen!
Thomas Schäuble aus Baden-Württemberg war derje-
nige, der aufgrund seiner Erfahrungen am vehementes-
ten für die Abschaffung geworben hat. Wir haben in den
Koalitionsvertrag geschrieben, wir wollen evaluieren
und daraus Schlussfolgerungen ziehen. Das ist ein ganz
wesentlicher Punkt. Nach der Evaluation, der Bewer-
tung, der Analyse soll eine Änderung erfolgen. Das ist
Sinn und Zweck einer Evaluation.
Zu Ihrer zweiten Frage. Auf die wirtschaftlichen
Gegebenheiten, die vorliegen müssen, komme ich noch
zu sprechen. Wo Regelungen dazu untergebracht werden
müssen, darüber können wir uns mit den Grünen strei-
ten. Rein juristisch bin ich Ihrer Meinung, dass man den
für uns Sozialdemokraten essenziellen Punkt in das Ge-
setz aufnehmen muss und er nicht in die Begründung ge-
hört. In diesem Punkt werden wir, wie ich denke, sogar
einer Meinung sein.
Wir reden über viele Menschen, die wirtschaftlich
und gesellschaftlich bereits eingegliedert sind. Wir reden
nicht zuletzt über Kinder und Jugendliche, die das
Land, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, nie ken-
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Herr Abgeordneter Bürsch, Sie sind sehr gefragt.
uch der Abgeordnete Josef Winkler würde Ihnen gerne
ine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstan-
en?
Ja.
Bitte schön, Herr Winkler.
Vielen Dank. – Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, dass
as, was der Kollege Grindel eben gesagt hat, dass im Ge-
etzentwurf der Grünen ein Automatismus verankert sei
nd dass zum Beispiel auch Straftätern ein Aufenthalts-
echt erteilt werden müsse, falsch ist? Wir haben vielmehr
ine Ermessensregelung im Gesetz vorgesehen, dass das
ufenthaltsrecht einem Ausländer erteilt werden kann,
er sich seit fünf Jahren rechtmäßig oder geduldet in
eutschland aufhält. Natürlich wird dem Antrag eines
traftäters beispielsweise dann nicht stattgegeben. Stim-
en Sie, Herr Bürsch, mir darüber hinaus zu, dass in
iesem Punkt ein deutlicher Unterschied zu dem Gesetz-
ntwurf der Linken besteht, in dem eine solche Ermes-
ensregelung nicht vorgesehen ist?
Herr Kollege, Sie gehen jetzt in die Feinheiten der ju-istischen Betrachtung und Wertung. Ich stimme Ihnenu. In der Tat: Bei Ihnen ist das als Ermessensregelungusgelegt. Das heißt, es wird in jedem Einzelfall geprüft,b dem Antrag stattgegeben werden kann, weil zum Bei-piel die Verankerung in Deutschland gegeben ist und
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806 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Dr. Michael Bürschweil auch der Lebensunterhalt selbst gesichert werdenkann. Genau dies ist bei der Kannregelung, die im Ent-wurf der Grünen steht, der Fall.
Der Vorschlag der Linken sieht hier eine Mussregelungvor. Das unterscheidet die beiden Vorschläge in der Tat.Ich stimme Ihnen also zu. Soweit mein juristischer Sach-verstand reicht, kann ich sagen, dass Sie das richtig be-schrieben haben.Die SPD-Fraktion dringt darauf, für diese beschrie-bene Personengruppe, für die Eltern, die hier integriertsind, und für die Kinder und Jugendlichen, eine Lösungzu finden. Das neue Aufenthaltsgesetz hat sich für dieLösung dieser Problematik noch nicht als perfekt erwie-sen. Wir müssen feststellen, dass das neue Aufenthalts-gesetz zwar rechtliche Instrumentarien wie die Aufent-haltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25Abs. 5 Aufenthaltsgesetz zur Verfügung stellt, dass dieLösungen, die wir im Gesetz angelegt haben, aber nochnicht diese Wirkungen entfalten, insbesondere wohl des-halb nicht, weil sie in der Praxis restriktiv ausgelegt wer-den.Im Dezember 2005 hat sich die Innenministerkonfe-renz ja auch schon mit diesem Thema befasst. Dort istman aber daran gescheitert, eine nachhaltige Lösung fürdiese Altfälle zu finden. Wir haben uns im Koalitions-vertrag darauf geeinigt – darauf ist verwiesen worden –,„das Zuwanderungsgesetz anhand der Anwendungspra-xis“ – so ist der Wortlaut – zu evaluieren. Wir wollendeshalb prüfen, ob eine befriedigende Lösung gerade fürdas Problem der Kettenduldung gefunden werden kann,und wir wollen uns mit der Frage beschäftigen, ob den inDeutschland aufgewachsenen und geduldeten Kinderndurch das Zuwanderungsgesetz eine gerechte und faireChance geboten wird. Auf diese Gruppe müssen wir be-sonders hinweisen.
Wir wollen eine Regelung, durch die wir den Großteildieser Altfälle endlich lösen können. Dabei geht es da-rum, eine Lösung zu finden, mit der eine gute Abwägungzwischen den Sicherheitsinteressen, der Steuerung vonZuwanderung, der menschlichen Perspektive sowie deneigenen deutschen wirtschaftlichen Interessen gelingt.Klar ist – darauf haben Sozialdemokraten wie HerrWiefelspütz und andere in den letzten Wochen immerwieder hingewiesen –, dass wir keine Bleiberechtsrege-lung wollen, die für jeden Einzelnen ohne Ansehung derPerson eine Aufenthaltserlaubnis in Aussicht stellt.Menschen, die durch kriminelles Verhalten, durch Dro-gendealerei und durch Bandenkriminalität in Erschei-nung getreten sind, müssen nicht in Deutschland bleiben,Herr Grindel. Das ist doch Konsens. Ich glaube, da wer-den Sie auch die Grünen nicht auf einem anderen Tripfinden.
–hsdadlneVtddwSfdwsaFnnSMntwvPsradmdsdwd
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 807
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– Das ist auf gutem Wege, Herr Kollege.
– Ich weiß, wer in Schleswig-Holstein mein nächsterNachbar ist. Insofern habe ich über das Thema auch mitdem schleswig-holsteinischen Innenminister RalfStegner gesprochen.Aber besonders möchte ich auf die Gruppe hinweisen,die für die Entscheidung der Eltern gar nichts kann,nämlich die Kinder, die hier zum großen Teil eine vor-zügliche Ausbildung gemacht haben und denen dieMöglichkeiten genommen werden, hier, wo sie integriertsind und wo sie am ehesten so etwas wie Heimatgefühlempfinden können, zu leben. Das sollten wir im eigenenInteresse ändern. Das hat mit Nächstenliebe oder Al-truismus gar nichts zu tun. Das kommt unserem Landzugute.Ich habe vorhin in der Debatte über die baden-württembergische Regelung gesagt: Integration ist einGewinnspiel. Da kommen Qualitäten, Kompetenzen undFähigkeiten zu uns, die uns einen Gewinn bringen.
Herr Grindel, Sie müssen hier nicht immer die negativenBeispiele wie die Drogendealer, die Kriminellen unddiejenigen nennen, die nur von unseren Sozialhilfesyste-men profitieren wollen. Das ist eine Diskreditierung der-jenigen, die zu uns kommen.
Ich jedenfalls erlebe Menschen mit hervorragenden Qua-litäten, die ich nicht nur gerne als Gast bei uns habe, son-dern für deren Einbürgerung ich im gemeinsamen Inte-resse werbe, weil das ein absoluter Gewinn ist.Wir als SPD werden in den nächsten Wochen undMonaten alles tun, um eine ausgewogene Altfallrege-lung zu finden. Dabei werden wir nicht blauäugig vorge-hen, sondern wir werden unsere Interessen im Auge be-halten. Wir werden aber auch prüfen, um welcheMenschen es geht. Wir werden uns die Anwendung desZuwanderungsrechts anschauen. Wir können aber schonjetzt sagen, dass es trotz des In-Kraft-Tretens des Auf-enthaltsgesetzes Anfang letzten Jahres noch keine be-friedigende Lösung gegeben hat. Deshalb werben wirdafür, dass sich die Innenministerkonferenz weiter mitdiesem Thema beschäftigt; denn wir wollen dafür sor-gen, dass es schnell – möglichst noch in diesem Jahr –eine Bleiberechtsregelung für die gut integrierten, schonliGkDgigIiBwdrsdDwiigwrv–ükfeSrisF
er Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen – die Kolle-innen und Kollegen mögen mir das bitte nachsehen –st eindeutig richtig gemeint, aber er ist noch nicht gutemacht.
ch bitte darum, diese Kritik zu akzeptieren. Der Entwurfst handwerklich nicht gut gemacht. Ich nenne hier daseispiel, dass dort statt § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz,ie es richtig heißen müsste, Abs. 4 steht. Ich empfehle,iesen Entwurf noch einmal zu überprüfen.
Der andere Punkt ist schon genannt worden. Die Vo-aussetzungen für ein Bleiberecht müssen in den Tatbe-tand und nicht in die Begründung aufgenommen wer-en. Auch ist fraglich, ob der Entwurf von Bündnis 90/ie Grünen so, wie er heute vorliegt, wirklich zu einerirksamen Bleiberechtsregelung führen wird. Zwar wirdn dem Entwurf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnisn das Ermessen der Ausländerbehörden gestellt, wasrundsätzlich richtig ist. Aber es ist keine wirkliche Ant-ort auf die Frage, wann wir in Einzelfällen auf die Vo-aussetzung, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten,erzichten können.Zum Entwurf der Linken nur so viel: Dieser Antrag das will ich in aller Deutlichkeit sagen – schießt weitber das Ziel hinaus. Es fehlt eine Stichtagsregelung, dielarstellt, dass wir nur die Altfälle lösen wollen, und esehlt eine Ermessensregelung, die den Behörden erlaubt,ine Aufenthaltserlaubnis zu verweigern. An diesertelle kommen wir wahrscheinlich nicht weiter. Im Üb-igen verweise ich auf die Arbeit in den Ausschüssen.
Schießen Sie nicht über Ihre Redezeit hinaus.
Denn wir werden dieses Thema weiter behandeln und
ch freue mich auf die kritische, wohlwollende und für-
orgliche Auseinandersetzung.
Danke.
Das Wort hat die Abgeordnete Ulla Jelpke von derraktion Die Linke.
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808 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
)
)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der Tag, an dem
das Aktionsbündnis von Flüchtlingsorganisationen „Hier
geblieben!“ zu bundesweiten Aktionen aufruft. Ich
möchte Sie daran erinnern, dass das nicht das erste Mal
ist. Vielmehr kämpfen diese Gruppen seit Jahren für ein
Bleiberecht in diesem Land, nicht zuletzt im Zusammen-
hang mit dem Zuwanderungsgesetz, bei dem das Ver-
sprechen von Rot-Grün eindeutig gebrochen worden ist,
wie auch alle meine Vorredner bestätigt haben.
Wir unterstützen diesen Aktionstag ausdrücklich. Die
Fraktion Die Linke hat auch dazu aufgerufen, den
Aktionstag zu begleiten. Wir sind der Meinung, dass der
vorliegende Gesetzentwurf der Grünen ein Schritt in
die richtige Richtung ist. Denn er würde immerhin
120 000 so genannten geduldeten Menschen ein Bleibe-
recht verschaffen und damit ihre Kettenduldung been-
den. Er würde außerdem 20 000 Asylbewerberinnen und
Asylbewerbern ein Aufenthaltsrecht geben; denn wie
eben bereits festgestellt wurde, können diese Menschen
das Land nicht verlassen.
Dennoch kann ich es mir nicht verkneifen, die Grünen
zu fragen, warum sie diese Regelung erst jetzt anstreben.
Warum ist sie nicht im Rahmen des Zuwanderungsgeset-
zes in den seinerzeit geführten Debatten verabschiedet
worden?
Ich erinnere mich noch sehr genau, dass damals die PDS
genau dasselbe gefordert hat, was wir heute in unserem
Gesetzentwurf fordern. Ich wundere mich sehr, dass Sie
die Rechtslage nicht geändert haben, als Sie der Regie-
rung angehörten und die Macht dazu hatten. Jetzt, wo
Sie der Opposition angehören, spielen Sie sich meines
Erachtens sehr grob auf und fordern für die Migrantin-
nen und Migranten Rechte ein, die offensichtlich gegen-
wärtig nicht durchsetzbar sind.
Nichtsdestotrotz werden wir Ihren Gesetzentwurf unter-
stützen.
Ich denke, dass dieses Vorhaben Sie nicht gerade
glaubwürdig macht. Herr Grindel, ich frage mich, in
welchem Land Sie eigentlich leben. Sie haben – wie alle
Abgeordneten – in den vergangenen Tagen E-Mails be-
kommen, in denen Sie aufgefordert wurden, sich für ein
Bleiberecht bzw. die Abschaffung der Kettenduldung
einzusetzen. Wenn Sie diese E-Mails genau gelesen hät-
ten, dann wäre Ihnen aufgefallen, dass Ihre Reaktion auf
die darin geschilderten Fallbeispiele zynisch und men-
schenverachtend ist, wie ich meine. Wenn eine Familie
14 Jahre in Deutschland lebt, aber abgeschoben werden
soll, weil sie keine Ersatzpapiere hat, und nun aus huma-
nitären Gründen im Duldungsstatus verbleibt, dann frage
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ir wollen vielmehr eine Regelung, die es kontinuierlich
rmöglicht, die Kettenduldungen jedes Jahr aufs Neue
u verhindern.
Eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Arbeitserlaub-
is zu verbinden – auch hierin beispielsweise gibt es
bereinstimmungen mit dem Gesetzentwurf der
rünen –, muss ein Grundrecht sein. Ein Nachweis, dass
an eine Arbeit hat oder dass man seinen Lebensunter-
alt auf andere Weise sichern kann, wie es Herr Grindel
ieder gefordert hat, darf keine Voraussetzung sein. Ich
inde, es ist zynisch, den betroffenen Menschen, denen
in Arbeitsverbot und eine Residenzpflicht auferlegt
erden, vorzuhalten, dass sie sich nicht selbst ernähren
önnen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Zum Schluss möchte ich an das anknüpfen, was Herrürsch ausgeführt hat. Ich freue mich, dass Sie einsehen,ass Ihr Zuwanderungsgesetz unzureichend ist. Ich ladeie ein, mit uns einen gemeinsamen Antrag im Sinne deretroffenen zu erarbeiten.
ie haben gesagt, nicht nur wegen der vielen E-Mailsüsse etwas getan werden. Darauf bin ich sehr gespannt.ch werde Sie beim Wort nehmen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 809
)
)
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem
Kollegen Jerzy Montag.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Der Kollege Grindel
hat in seiner Rede zu diesem Tagesordnungspunkt den
durchsichtigen Versuch unternommen, die Geschichte
des Zuwanderungsgesetzes umzuschreiben. Da ich per-
sönlich dem Kompromiss zugestimmt habe – genauso
wie alle anderen Mitglieder meiner Fraktion und die
grüne Partei –, will ich an dieser Stelle sagen: Wir waren
immer für eine humane und liberale Bleiberechtsrege-
lung. Wir wollten, dass in das neue Gesetz eine Rege-
lung aufgenommen wird, die das Schicksal der Men-
schen erleichtert, die durch den Rost gefallen sind und
seit vielen Jahren in einer Kettenduldungssituation leben
müssen. Wir haben zähneknirschend dem Kompromiss
zugestimmt, damit das Zuwanderungsgesetz zumindest
als Skelett in Kraft treten kann. Es waren ausschließlich
Sie, Herr Kollege Grindel, und Ihre Fraktion, die eine
humane Verbesserung des Gesetzes verhindert haben.
Also versuchen Sie jetzt nicht, die Geschichte umzu-
schreiben und so zu tun, als ob wir gestern etwas anderes
gewollt hätten als heute. Wir waren schon immer für
eine Bleiberechtsregelung. Aber Sie und Ihre Kollegen
waren diejenigen, die uns daran gehindert haben.
Zu einer Erwiderung hat das Wort der Abgeordnete
Grindel.
Herr Kollege Montag, ich finde, dass das Beispiel,
das der Kollege Bürsch genannt hat, eindeutig zeigt, dass
Sie auf dem falschen Weg sind. Er hat den Fall eines Ira-
ners als angeblichen Beleg dafür angeführt, dass das be-
stehende Zuwanderungsgesetz nicht ausreicht. Darauf-
hin mache ich den Zuruf, warum er diesen Fall nicht
dem zuständigen SPD-Innenminister vorträgt, damit die-
ser von der von uns gemeinsam verabschiedeten Härte-
fallregelung Gebrauch macht. Darauf erwidert Herr
Bürsch – das alles ist im Protokoll nachzulesen –: Das ist
auf einem guten Weg. – Es ist doch eine Irreführung der
Öffentlichkeit, wenn man zuerst einen Einzelfall als Bei-
spiel für das Nichtfunktionieren des Gesetzes anführt
und dann auf meinen Zuruf, warum man nicht von der
Härtefallregelung Gebrauch mache, erwidert, das sei auf
einem guten Weg. Also reicht doch das, was wir verab-
schiedet haben, ganz offensichtlich aus.
Bei der einen Fallgestaltung im Rahmen des Aufent-
haltsrechts geht es um Personen, die aus bestimmten
Gründen – rechtlichen oder tatsächlichen –, die sie nicht
selber zu verantworten haben, nicht abgeschoben wer-
den können. Für die anderen gibt es die Härtefallrege-
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zw. die angesprochen worden sind, hervorgerufen hat.ch lasse zwei dieser Meldungen zu.
Es gab Meldungen zu Kurzinterventionen, die sichicht auf den letzten Redebeitrag von Herrn Grindel be-iehen. Ich gebe zunächst das Wort zu einer Kurzinter-ention der Kollegin Krista Sager und dann dem Kolle-en Bürsch.
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810 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
)
)
Herr Grindel, ich kann nur hoffen, dass Sie in den
nächsten Wochen darüber nachdenken, wie es geschehen
konnte, dass Sie als Volkspartei in einem so breit aufge-
stellten Parlament, das deutlich heterogener als das Par-
lament ist, das wir in der letzten Legislaturperiode hat-
ten, hier eine Meinung vertreten, mit der Sie eindeutig
isoliert dastehen und in die Minderheit gekommen sind.
Das hat offensichtlich auch etwas damit zu tun, dass in
allen hier vertretenen Parteien – es sind immerhin vier –
reflektiert wird, wie inzwischen die Stimmung in der
Bevölkerung ist, und zwar nicht nur in der Bevölkerung,
sondern auch in den großen christlichen Kirchen. Für ei-
nen Vertreter einer Partei, die das C im Namen trägt,
finde ich es bemerkenswert, dass Sie sich zu den war-
nenden Worten der christlichen Kirchen gerade in Bezug
auf die Familien und Kinder, die von dieser Situation be-
troffen sind, überhaupt nicht positioniert haben. Ich
finde es auch bemerkenswert, dass Sie auf der einen
Seite versuchen, wieder Anschluss an die Familiendis-
kussion zu finden und sich als modernisierte Familien-
partei zu profilieren, andererseits aber der Gesichtspunkt
des Kindeswohls in Ihrem Beitrag überhaupt keine Rolle
gespielt hat.
Eines ist doch wohl auch klar: Die Härtefallregelung
war ein reiner Kompromiss. Es war abzusehen, dass wir
mit diesem Kompromiss nicht hinkommen. Es ist doch
deutlich geworden, dass wir es hier mit mindestens
140 000 Menschen zu tun haben. Wir können mit einer
Härtefallregelung, die für Einzelfälle gemacht ist, nicht
das Problem von mindestens 140 000 Menschen in die-
sem Land lösen. Deswegen bewegen Sie sich, bitte!
Herr Bürsch.
Ich würde die Handhabung der Kurzinterventionen
übrigens nicht so bürokratisch sehen. Es soll doch immer
dafür gesorgt werden, dass wir hier etwas lebhafter dis-
kutieren.
Herr Grindel, Ihre Attacke in meine Richtung ver-
langt eine juristische Klarstellung. Sie haben nämlich
Jura studiert. Deshalb ein kleines Privatissimum: Es gibt
einen deutlichen Unterschied zwischen einer rechtlichen
Regelung und einem Härtefall. Der Härtefall zeichnet
sich dadurch aus, dass man bei ihm Gnade vor Recht er-
gehen lässt.
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ber ein Ermessen ist etwas, was rechtlich beurteilt
ird, bei dem es Spielräume gibt und bei dem es eine
achvollziehbarkeit im Rahmen der Rechtsweggarantie
es Art. 19 Abs. 4 gibt. Das ist der entscheidende Unter-
chied.
Insofern können Sie nicht darauf verweisen, dass es
ärtefallregelungen gibt. Sonst müssten alle diejenigen,
ie wir hier im Auge haben, nämlich 200 000 Menschen,
urch das winzige Nadelöhr einer Härtefallregelung ge-
en. Gnade vor Recht ist, wie es ist. Die Chancen sind
elativ gering. Der Härtefall ist nicht justiziabel. Sie kön-
en bei einem Härtefall auf dem Rechtsweg nicht gel-
end machen, dass das Ermessen vielleicht nicht richtig
usgeübt wurde.
Im Übrigen nehme ich wie die gesamte SPD mit
reude zur Kenntnis, dass wir uns über das Thema „Kin-
er, die hier groß geworden sind und hier integriert sind,
nd ihre Bleiberechte“ wirklich konstruktiv unterhalten
önnen.
Herzlichen Dank. Damit ist diese Debatte beendet.
Nein, das geht nicht mehr. Wie ich gesagt hatte, warenur diese beiden Kurzinterventionen zugelassen. Icheise Herrn Bürsch darauf hin, dass es nicht um Büro-ratie geht, sondern um unsere Geschäftsordnung, diech an dieser Stelle außerordentlich großzügig ausgelegtabe.
Ich habe keine Sorge, dass irgendeine Debatte, die diennenpolitikerinnen und -politiker führen, in diesemaus nicht lebendig ist.
Es hat ganz sicher auch der Wahrheitsfindung gedient.Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-ürfe auf den Drucksachen 16/218 und 16/369 an die iner Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-en. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht derall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 811
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtUmfassende Berichterstattung des Bundes zurForschungs- und Technologiepolitik sicherstel-len– Drucksache 16/266 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieDie erste Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt istdie Kollegin Cornelia Pieper von der FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung hat das Thema „Bildung und Inno-
vation“ zu ihrem Schwerpunktthema in dieser Legisla-
turperiode gemacht. Das ist gut so; das begrüßen wir.
Auf ihrer jüngsten Klausurtagung in Genshagen haben
Sie ein Investitionsprogramm in Höhe von 25 Milliar-
den Euro vorgeschlagen. Davon sollen rund 6 Milliar-
den Euro für Innovationen, für Forschung und Entwick-
lung eingesetzt werden. Auch das begrüßen wir. Aber
wir wollen, meine Damen und Herren von der Regie-
rungskoalition, auch Taten sehen und nicht nur Worte
hören.
Das heißt, wir müssen in diesem Haus über die haus-
haltspolitische Umsetzung debattieren und diese dann
hoffentlich auch erfolgreich abstimmen, Herr Tauss.
Zukunftsinvestitionen sind wichtig. Ich kann die
Worte der Kanzlerin nur unterstreichen. Sie hat in ihrer
Regierungserklärung gesagt:
… Bildung und Innovation … sind mehr denn je
der Rohstoff unseres Landes … Wir müssen besser
sein als andere, und zwar immer so viel besser, wie
wir teurer sind …, weil wir unseren Wohlstand er-
halten wollen.
Recht hat sie. Doch wo stehen wir in Deutschland im
OECD-Vergleich, also im Vergleich mit den größten In-
dustrienationen? Da sind wir eben nicht Spitze. Deutsch-
land liegt mit 2,52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
deutlich hinter Schweden, Japan und den USA zurück.
Die Forschungsausgaben sind wesentlich langsamer ge-
wachsen als in den anderen Industrienationen. Ein Bei-
spiel: Zwischen 2000 und 2002 sind sie in Deutschland
um 6 Prozent, in Schweden um 30 Prozent und in den
USA um 25 Prozent gewachsen.
– Herr Tauss, es ist wichtig, dass diejenigen, die der rot-
grünen Regierungskoalition angehört haben, ihre Fehler
korrigieren.
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812 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Cornelia Pieperweil es wichtig ist, unter dem Aspekt von Wachstum undBeschäftigung zu bewerten, wie sich Forschung und In-novation auch in Bezug auf neue Arbeitsplätze – dasmuss das Ziel sein – auswirken. Wir alle wissen, dass dieIndustrienationen, die im internationalen Vergleich mehrin Bildung und Forschung investieren, auch ein höheresWirtschaftswachstum und eine niedrigere Arbeitslosig-keit haben.Das ist unser Ziel. Das wollen wir mit diesem Antragerreichen. Wir bitten Sie: Unterstützen Sie das, damit wirwieder zu dem alten Verfahren mit der zuverlässigen Be-richterstattung durch die Bundesregierung bzw. die unab-hängigen Wirtschaftsinstitute zurückkommen! StimmenSie unserem Antrag zu! Das wäre auch im Interesse desInnovationsstandorts Deutschland das Beste.Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Ilse Aigner von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Bundesregierung macht mit dem Verspre-chen ernst, Forschung und Innovation in Deutschland zustärken.
Allein dafür werden bis 2009 6 Milliarden Euro zusätz-lich bereitgestellt. Wir können das Geld mit gutem Ge-wissen investieren, weil uns die Erkenntnisse der Inno-vationsforschung die Sicherheit geben, dass es Zinsenbringen wird. Als Grundlage für einen klaren Blick brau-chen wir eine solide Datenbasis und treffende Analy-sen, die den Istzustand in unserem Land feststellen undweltweite Entwicklungen aufzeigen. Ich will an dieserStelle unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel zitieren:Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität.Derzeit stützen wir uns auf den Bundesbericht For-schung, der die Politik von Bund und Ländern sowie dieStrukturen und Ressourcen der Wissenschaft darstellt,allerdings nicht immer ganz neutral, und auf den Berichtzur technologischen Leistungsfähigkeit, der im Auftragdes BMBF erstellt wird. Wenn ich recht informiert bin,hat die Vorarbeiten dafür unser hochgeschätzter KollegeProfessor Riesenhuber bereits in den 80er-Jahren geleis-tet. In den 90er-Jahren wurde die Berichterstattung sys-tematisch verbreitert. Es war 1998 eine gute Entschei-dung des Deutschen Bundestages, sich diesen Berichtjährlich vorlegen zu lassen.
Ja, es stimmt: Die Berichte zur technologischen Leis-tungsfähigkeit haben uns den Spiegel vorgehalten unddsnhwsBgtwsIsdzItmmdttmeeOadlhDEGpjerteAwesdw
Sechstens. Als Parlamentarier brauchen wir aber auchine unabhängige Expertise. Bisher basierten die Be-ichte zur technologischen Leistungsfähigkeit auf Auf-rägen des BMBF an Forschungsinstitute. Wenn manhrlich ist, muss man zugeben, dass man allein mit deruftragsstellung schon Politik machen kann. Deshalbürden wir gerne darüber diskutieren, ob die Berufungines Gutachtergremiums für die Erstellung der Analy-en nicht besser wäre. Der Analyseteil muss strikt voner Politikdarstellung abgegrenzt sein und darf nicht,ie in den letzten Jahren geschehen,
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006 813
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Ilse Aignerjährlich als Kapitel im Bundesbericht Forschung auftau-chen.Siebtens. Mehr Gehör verschaffen würden wir der In-novationspolitik gerade dadurch, dass wir sie mit Ge-sichtern verbinden. Das spricht meines Erachtens für einGutachtergremium zur Erstellung des Analyseteils. DenSachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirt-schaftlichen Entwicklung kennt man.
Er steht besonders für seinen Bericht und deshalb erwar-tet die Öffentlichkeit, dass die Politik auf seine Empfeh-lungen reagiert. Ein solches Modell sollten wir auch fürdie Innovationsberichterstattung prüfen, um letztendlichdas Politikfeld, das wir als unabdingbar für die Zu-kunftsfähigkeit unseres Landes erkannt haben, noch pro-minenter und erfolgreicher zu machen.In diesem Sinne freue ich mich auf eine interessanteund konstruktive Diskussion im Ausschuss.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Petra Sitte von der Fraktion
Die Linke.
Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Auf denersten Blick scheint dieser Antrag vor allem aus dem Ar-beitsalltag von Abgeordneten zu erwachsen. Die FDPwill, was ich verstehen kann, zu einer von ihr als sinn-voll erfahrenen Berichts- und Informationspraxiszurückkehren. Es ist gesagt worden, dass der Bundesfor-schungsbericht mit Länderteil, der dazugehörige Fakten-bericht und der Bericht zur technologischen Leistungs-fähigkeit Deutschlands als Studie von außen inverschiedenen Abständen wieder vorgelegt werden sol-len. Meine Vorrednerin hat gerade etwas zur Qualifizie-rung dieser Berichte gesagt. Insgesamt gesehen ist dasschon der Griff zur Fernbedienung. Er hat aber seineBerechtigung, auf der einen Seite unter dem Blickwinkelder Informations- und Kontrollrechte des Parlaments,auf der anderen Seite unter dem Blickwinkel, dass Tau-sende Informationen auf der Ebene der Bundesregierungzusammenlaufen.Aber wer diese Monumentalstudien schon einmal ge-lesen hat, ahnt den Riesenaufwand bei der Aufreihungdieser Tausenden Informationen
und stöhnt, wie ich, noch nachträglich über die Lesezeit.Ich habe die Berichte einmal auf meine Waage gelegt:Sie wogen über 1 Kilogramm. Zumindest der Umfangdieser Berichte ist ein Indiz dafür, dass die Forschungs-förderungspolitik von Bund und Ländern einer dringen-den Reform zur Effektivierung der Förder- und Vergabe-praxis bedarf. Aber auch darüber besteht hierosmsAlawOhkfsdgkDöasraanRgicdmFFsddudgsBgbSsadg
as erscheint mir aber problematisch, weil es hier umffentliche Forschungsförderung geht. Daher solltenuch die Interessen der Adressaten dieser Förderpolitiktärker in den Mittelpunkt gestellt werden.Gemeint sind einerseits die Erfahrungen von Forsche-innen und Forschern und von Mitarbeiterinnen und Mit-rbeitern der Wissenschaftseinrichtungen insbesondereuch wegen ihrer Verantwortung für künftige Generatio-en sowie die Erfahrungen dieses Kreises, da es einenechtfertigungsdruck bei der Begründung für die Aus-abe dieser Gelder gibt. Wir wissen alle, wie schwer esst, Gelder für diese Bereiche gegenüber den Ansprü-hen aus anderen Bereichen zu verteidigen.Gemeint sind andererseits auch die vitalen Interessener Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und des Ge-einwesens schlechthin, die letztlich Nutznießer dieserorschungsleistungen sein sollten. Es geht also auch umorschung an wesentlichen sozialen und ökonomischenowie an wesentlichen kulturellen und ökologischen Wi-ersprüchen dieses Landes.Gemeint sind letztlich auch die eher explosiven Pro-ukte des Genius. Aber als „Beipackzettel zu Risikennd Nebenwirkungen“ von Forschungsergebnissen sindiese Berichte leider ungeeignet. Das heißt, sie sind un-eeignet, um Orientierungs- und Sinndebatten auf ge-ellschaftlicher Ebene anzustoßen.Nun kann man durchaus sagen, das alles sollten dieerichte nicht leisten. Dann frage ich aber: Warum ei-entlich nicht, wenn wir schon einen solchen Aufwandetreiben? Warum sollen diese Berichte nicht an diesertelle ansetzen, die entsprechenden Interessen berück-ichtigen und damit an Aussagekraft gewinnen? Es istllemal höchste Zeit, dass mehr Transparenz bezügliches Umgangs mit unserem Gesellschaftsvermögen her-estellt wird.Danke schön.
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814 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2006
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Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Keine Angst, das, was ich in der Hand halte, istnicht meine Rede – sie ist deutlich übersichtlicher –,sondern der Gegenstand meiner Rede.
Der Bundesbericht Forschung erscheint in der Regel– wenn man die besondere Situation nach einer Vertrau-ensfrage ausnimmt – einmal in der Legislaturperiode,also alle vier Jahre. Der Faktenbericht zum Bundesbe-richt Forschung zur Aktualisierung der Datenlage er-scheint alle zwei Jahre. Der Bericht über die technologi-sche Leistungsfähigkeit Deutschlands erscheint jedesJahr. Dieses Berichtswesen ist historisch gewachsen.Man muss einfach sagen, dass der Bundesbericht For-schung mit seiner Fülle an Informationen in der Tat eineausgezeichnete Grundlage für den forschungspolitischenund wissenschaftspolitischen Dialog geboten hat undbietet.
Trotzdem muss ich sagen – das ist an der einen oderanderen Stelle schon angeklungen –: Die Attraktivitätder Berichterstattung zu Forschung und Innovationkann weiter gesteigert werden. Damit meine ich nichtdas Volumen. Es gibt aber ein großes Potenzial, die kon-zeptionelle Qualität, die Attraktivität, die Transparenz,aber auch die Glaubwürdigkeit des Berichtwesens zusteigern.Weil allerdings die Grenze – das wurde in Teilenschon erwähnt – zwischen der unabhängigen Aufberei-tung von Daten und Fakten im Rahmen der Analyse undPolitikberatung einerseits und der politischen Berichter-stattung sowohl der Bundesregierung als auch der Län-der andererseits – für 100 Seiten sind die Länder verant-wortlich – in der Vergangenheit schwer auszumachenwar, hat im Januar 2005 die rot-grüne Koalition eineVeränderung dieses Berichtswesens beschlossen, wasAnlass für den Antrag der FDP geboten hat.Die Zielsetzung war eine klare Trennung zwischenden Fakten, Daten und Analysen auf der einen Seite undden Darlegungen der politischen Ziele und Schwer-punkte der Bundesregierung oder Landesregierungen aufder anderen Seite. Wenn Sie einmal in den Bericht hi-neinschauen, dann werden Sie erkennen, dass das eineoder andere Land seinen Beitrag mit der Feststellung be-ginnt, dass dieses Land eine ausgezeichnete Forschungs-landschaft hat. Dieses ist aber kein Faktum, keine Ana-lyse und kein Datum – diese sollten eigentlich in einemForschungsbericht enthalten sein –, sondern es handeltsich um die Bewertung einer Landesregierung.
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Nun schaue ich auf die Uhr. Ich habe eigentlich allesesagt, was ich sagen wollte, aber noch vier Minuten Re-ezeit.
as ist mir noch nie passiert. Das hätte ich mir schon oftn anderer Stelle gewünscht.Erlauben Sie mir deshalb, diese vier Minuten derannah Veit zu widmen. Das ist das kleine Töchterchennseres Kollegen Rüdiger Veit, das gestern das Licht derelt erblickt hat.
eine Grüße gehen an die junge Familie. Ich wünscheer Hannah ein schönes Leben und eine friedliche Welt.
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René RöspelDafür sind dann wieder wir zuständig. Die drei Minutenmag sie genießen.
Das waren genau drei Minuten und 59 Sekunden. Wirsollten ihr vielleicht wünschen, dass sie in ihrem Lebenein paar mehr Minuten hat, die sie genießen kann.
Das Wort hat die Abgeordnete Priska Hinz vomBündnis 90/Die Grünen.Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichfinde es durchaus erstaunlich, dass die FDP durch ihrenAntrag zeigt, dass sie die Wirksamkeit der Forschungs-förderung und sogar die Bedeutung des Innovations-standortes Deutschland von einer Berichterstattung ab-hängig macht – und das als Partei, die eigentlich dieEntbürokratisierung auf ihre Fahnen geschrieben hat.
– Frau Pieper, das ist ein typischer Oppositionsantrag;ich verstehe das gut. Man beschäftigt die Regierungmöglichst umfassend rund um die Uhr; dann kann sie an-sonsten keinen Unfug treiben.
Dass sich Frau Aigner dem anschließt, zeigt, dass siedie Oppositionsrolle noch nicht ganz hinter sich gelassenhat. Vielleicht sollten Sie einmal nachfragen, wie das zu-ständige Bundesministerium dazu steht, dass es perma-nent Daten und Fakten sammeln und Berichte schreibensoll.
Fakt ist – das hat Kollege Röspel schon gesagt –, dassdas bisherige Berichtswesen zu Forschung und Entwick-lung optimiert und vor allen Dingen durch die internatio-nale Begutachtung und eine verbesserte Darstellung derWirkung von Investitionen auf Wachstum und Beschäfti-gung aussagekräftiger werden sollte. Das kann ebensowie ein Bericht der Bundesregierung, der sich darauf be-zieht und in dem Schwerpunkte und Grundlinien deut-lich gemacht werden, nur sinnvoll sein. Denn nur dannkann ein Parlament auch wirklich steuern. Damit ist einebessere Schwerpunktsetzung möglich.Ich möchte angesichts dieses Antrages allerdings in-haltlich auf die Forschungsförderung und die Schwer-punktsetzung, die unter Rot-Grün stattgefunden hat,eingehen. Denn Frau Pieper hat gesagt: Die neue Bun-desregierung legt jetzt großen Wert auf Forschungsför-derung und auf Forschung und Bildung.bOrWwiSBMWjNnWtDiftdiFjlNbdFn2WRz
ir haben vor allen Dingen viel bei den Kürzungenettgemacht, die die CDU/CSU-FDP-Regierung vorhern diesem Bereich vollzogen hatte.
chließlich haben wir durch die Schwerpunktsetzung imereich der Förderung von Technologien für neueärkte auch zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen.
ir haben jährlich weit über 1 Milliarde Euro für Pro-ekte in den Schlüsseltechnologien, wie zum Beispiel derano-, der Informations- und der Kommunikationstech-ologien und auch der Biotechnologie, ausgegeben.
ir haben in Deutschland inzwischen 350 Biotech-Un-ernehmen; wir stehen damit in Europa an der Spitze.as ist ein Ergebnis gerade auch der Grünen; das kannch Ihnen an dieser Stelle nur sagen.
Wir haben die Forschung für Mensch und Umwelt ge-ördert. Wir haben in die Gesundheitsforschung inves-iert und ein neues Rahmenprogramm „Forschung fürie Nachhaltigkeit“ aufgelegt. Was besonders wichtigst: Wir haben in den letzten zwei Jahren den Pakt fürorschung und Innovation ins Leben gerufen, in demährliche Mittelzuwächse in Höhe von 3 Prozent festge-egt sind.
icht zuletzt haben wir die Exzellenzinitiativen ins Le-en gerufen.
Die Bundesbildungsministerin Schavan erklärt jetztauernd, es gebe zusätzlich 6 Milliarden Euro für dieorschung. Dazu sage ich ihr, dem gesamten Bundesmi-isterium und der CDU/CSU nur: Davon sind,6 Milliarden originär von Rot-Grün.
ir hätten die Exzellenzinitiativen schon längst, wennoland Koch nicht monatelang verhindert hätte, dass esu einer Einigung zwischen Bund und Ländern kommt.
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Priska Hinz
Wir wüssten gern, welche Schwerpunktsetzung dieBundesforschungsministerin mit den übrigen Mittelnvorhat. Da will ich weder auf einen jährlichen noch aufeinen zweijährlichen Bericht warten; ich möchte heuteund jetzt die Antwort darauf: Was wird eigentlich mitden übrigen Mitteln gefördert? Bislang haben wir davonnichts gehört, außer dass die alten Programme fortge-führt werden. Da waren wir ja richtig gut, kann ich nursagen.
Es bleibt also vonseiten der Bundesforschungsminis-terin noch viel zu tun. Vor allen Dingen soll sie endlichklären, was sie im Bereich der Forschungsförderung ei-gentlich noch tun kann, wenn der Kompromiss zur Föde-ralismusreform tatsächlich umgesetzt wird. Es ist frag-lich, ob sie dann noch für die Forschung zuständig seinwird, die sie jetzt für sich reklamiert.Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael
Kretschmer von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Wissenschaftsstandort Deutschland muss sich mit den
besten der Welt messen. Wir wollen, dass unsere For-
scher ganz vorn, in der ersten Liga, mitspielen. Dafür
brauchen wir ideale Bedingungen, nicht nur für den For-
schernachwuchs, sondern für alle Bereiche. Wir sind
froh und stolz darauf, dass wir sagen können: Keine
Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland hat so klar und deutlich einen Akzent auf
Forschung, Innovation und Wissenschaft gelegt wie die
amtierende mit einem 6-Milliarden-Programm.
Es ist wichtig, dass man sich klar macht, wo man die
Akzente setzt. Dabei ist ein Berichtswesen, eine Kritik
des aktuellen Zustands, eine Beschreibung dessen, was
funktioniert und was nicht so gut funktioniert, richtig.
Deswegen sagen wir ganz klar: Wir brauchen ein umfas-
sendes und gutes Berichtswesen; wir brauchen gute und
unabhängige Berichte.
Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode ge-
sagt: Wie es vorgesehen ist, so geht es nicht. Denn das
Ministerium hat in der Tat versucht, den Ausschuss und
die Forschungspolitiker etwas zu überfahren, anstatt eine
ausführliche Debatte darüber zu beginnen, was wir ha-
ben wollen bzw. was wir brauchen. Deswegen stehen wir
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Ich schließe hiermit die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 16/266 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass Sieamit einverstanden sind. Dann ist die Überweisung soeschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf.Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Änderung des Abkommensvom 31. März 1992 zur Erhaltung der Klein-
– Drucksache 16/38 –
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Vizepräsidentin Katrin Göring-EckardtBeschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit
– Drucksache 16/389 –Berichterstattung:Abgeordnete Josef GöppelChristoph PriesAngelika BrunkhorstLutz HeilmannCornelia BehmInterfraktionell ist verabredet, eine Aussprache voneiner halben Stunde durchzuführen. – Dazu sehe ich kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der KollegeChristoph Pries von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen!Ich bin sehr froh …, dass der Konsens, der seit vie-len Jahren beim Thema des Schutzes der Wale indiesem Parlament herrscht, fortbesteht.Dieser Satz stammt aus der letzten Bundestagsdebattezum Thema Walfang am 22. Mai 2003. Sein Urheber istder Kollege Matthias Berninger vom Bündnis 90/DieGrünen. Ich schließe mich der Auffassung des damali-gen Staatssekretärs ausdrücklich an und hoffe, dass un-ser Konsens auch in der laufenden Legislaturperiodefortbesteht. Die SPD-Bundestagsfraktion ist dazu bereit.Dies gilt zum einen für den weltweiten Schutz derWale im Rahmen der Internationalen Walfangkommis-sion. Seit 1986 haben alle Bundesregierungen das Verbotdes kommerziellen Walfangs aktiv unterstützt. Das wirdauch so bleiben. Die Koalition aus CDU, CSU und SPDbekennt sich ausdrücklich zur Fortsetzung des Wal-fangmoratoriums.
Ich sage hier ganz deutlich: Auch der Walfang zu angeb-lichen Forschungszwecken muss beendet werden.
Unser parlamentarischer Konsens gilt aber auch fürden Schutz unserer heimischen Kleinwale in der Nord-und Ostsee. Sie sind Gegenstand der heutigen Debatte.Im Zentrum unserer Bemühungen steht der Erhalt desSchweinswals, auch Kleiner Tümmler oder Braunfischgenannt.Der Schweinswal ist die mit Abstand häufigste Walartin Nord- und Ostsee. Trotzdem war sie 1970 fast völligverschwunden. Heute gilt der Schweinswal als bedrohteArt. Er wird durch zahlreiche internationale AbkommengtNUBTvVndMdVSgOS3FAz1sKvDsugAfrhsgns4BfPdvbdAwEUtdav
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Wie bei der Erarbeitung des Jastarnia-Planes bereits ge-schehen, werden wir eine direkte Beteiligung der FischerumZnsJuwsdzvDSosASdsJ„wssdlmD–shwr
Ich erteile der Abgeordneten Angelika Brunkhorst
on der FDP-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieseebatte wird sehr harmonisch verlaufen; denn derchutz der Wale ist ein generelles Anliegen aller Frakti-nen des Deutschen Bundestages. Daher hat es zu die-em Thema bereits im Jahre 2003 einen gemeinsamenntrag der FDP, des Bündnisses 90/Die Grünen und derPD gegeben. Sein Titel lautete „Umfassender Schutzer Walbestände – Verbot kommerziellen Walfangs kon-equent durchsetzen“. Darüber hinaus hat die FDP imahre 2004 durch eine Kleine Anfrage mit dem TitelVereinbarkeit von EU-Fischereipolitik und Arten- so-ie Tierschutz von Schweinswalbeständen in der Ost-ee“ auf die verschiedenen Probleme hingewiesen, dieich für die deutschen Gewässer ergeben.Angesichts der Bedrohung der Walbestände sowohlurch äußere Einflüsse als auch durch den kommerziel-en Walfang wird ganz deutlich, dass diese Tierart nochehr geschützt werden muss.
enn ihre Ursachen, die bereits angesprochen wurdendie Eutrophierung der Meere, der Eintrag von Schad-toffen und die Zunahme von Unterwasserlärm –, beste-en fort und verstärken sich. Die Überfischung – dasurde schon gesagt – führt für diese Wale auch zu Nah-ungsknappheit.
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Angelika BrunkhorstKleinwale und Delphine finden leider den Tod durchBeifang. Der unbeabsichtigte Fang von Meeressäugernist zum Problem geworden. Wir möchten einen nachhal-tig betriebenen Fischfang in den deutschen Gewässerngewähren. Deswegen muss die Industriefischerei bzw.– wie man so schön sagt – die Gammelfischerei beendetwerden. Das ist für den Erhalt der Wale unabdingbar.
Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt die Fangmethodenab, die wahllos Meerestiere für die Verarbeitung zuFischöl und Fischmehl anlanden. Wir wollen eine deutli-che Minderung des Beifangs von Meeressäugern errei-chen. Daher sind wir der Meinung, dass die schonbeschriebenen umweltfreundlichen Fangmethoden zumEinsatz kommen müssen.Die Treibnetzfischerei ist in der Ostsee ab 2008 ver-boten. Nun müssen wir darauf hinwirken, dass auf euro-päischer Ebene eine kohärente Fischereipolitik betriebenwird, die einerseits dazu beiträgt, dass die Fischbeständenachhaltig bewirtschaftet werden, und die andererseitsdie wirtschaftlichen Perspektiven der deutschenFischereiwirtschaft, die Vorreiter beim Meeresschutzist, erhält.
Wie wir meinen, dient das zugleich dem Schutz der ein-zigen in den deutschen Gewässern vorkommenden Wal-art, dem Schweinswal. Dabei geht es aber auch um dieGlaubwürdigkeit Deutschlands im Hinblick auf seine ab-lehnende Haltung zum kommerziellen Walfang über-haupt.Wir begrüßen daher nachdrücklich den vorliegendenGesetzentwurf zur Neufassung des ASCOBANS-Abkommens. Die Ausdehnung des Schutzgebieteswestlich von Großbritannien, um Irland herum, sowiewestlich von Frankreich, Portugal und Spanien ist will-kommen. Wir meinen, dass dieses in Deutschland imJahre 1994 in Kraft getretene internationale Abkommendadurch weiteren Vorschub erhält.Wir haben uns beim ASCOBANS-Sekretariat erkun-digt, welche Staaten tatsächlich Partner dieses Abkom-mens sind: Mittlerweile sind es zehn Anrainerstaaten,nämlich neben Deutschland auch Belgien, Dänemark,Finnland, die Niederlande, Polen, Schweden, das Verei-nigte Königreich und seit Ende letzten Jahres auchFrankreich und Litauen. Natürlich wäre es sehr willkom-men, wenn die von meinem Vorredner bereits genanntenLänder wie Norwegen ebenfalls beitreten würden; daswird sich vielleicht noch ergeben.Mit der Erweiterung des Seegebiets desASCOBANS-Abkommens wird auch den wissenschaft-lichen Erkenntnissen, die vorliegen, Rechnung getragen:auf ein ausgedehnteres Verbreitungsgebiet hinzuwirken.Damit finden die zusammenhängenden Bestände, dieVerbreitungsgebiete und die Wanderungskorridore öko-logisch sinnvoll Berücksichtigung. Zudem denken wir,dass die Anknüpfung der bereits vorhandenen Schutzge-biete im Atlantik, im Mittelmeer sowie im SchwarzenMfahbtmcDSrSdssdvudwisgggvzlgmkEbbbeDGt
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ingbert Liebing
on der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnennd Kollegen! Über den Gesetzentwurf zur Ausweitunges ASCOBANS-Abkommens zum Schutz der Klein-ale in der Nord- und Ostsee haben wir gestern bereitsm Umweltausschuss diskutiert. Wie heute schon festge-tellt wurde, gibt es über die Fraktionsgrenzen hinwegroße Einigkeit. Die Ausweitung des Vertragsgebietesibt Sinn, weil wir wissen, dass die Kleinwale sehr vielrößere Verbreitungsgebiete haben, als das früher einmalermutet wurde. Und es gibt auch Sinn, die Verbindungum Kleinwalschutz im Mittelmeer zu schaffen. Das al-es ist gut und dient dem Schutz der Kleinwale und ei-entlich bräuchten wir über das, was hier zur Abstim-ung vorliegt, gar nicht groß zu diskutieren, sondernönnten gleich abstimmen.
Dennoch haben die Grünen diese Debatte beantragt.inen konkreten Anlass dafür gibt es nicht, wie sie mirei den Ausschussberatungen gestern selbst bestätigt ha-en. Wahrscheinlich brauchen sie diese Grundsatzde-atte über den Walschutz, um mal wieder ein Thema zurigenen Profilierung zu haben. Dann allerdings, meineamen von den Grünen, verstehe ich nicht, dass dierünen-Fraktion nur von Ihnen beiden Kolleginnen ver-reten ist.
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Ingbert Liebing– Dann müssten Sie dem Thema nur geringe Bedeutungbeimessen; daran habe ich aber meine Zweifel.
Wenn wir diese Debatte schon führen, dann bitte or-dentlich, und dann müssen wir ein paar Fakten zurKenntnis nehmen. Vom Kollegen Pries ist bereits ausge-führt worden, dass wir in den letzten Jahren eine Erho-lung der Schweinswalbestände zu verzeichnen hatten.Im Sommer werden uns die Ergebnisse einer aktuellenZählung der EU vorliegen, die noch weiter gehende Be-standserholungen dokumentieren. Wir befinden uns alsoauf einem guten Weg und dies ist sicherlich auch ein Er-gebnis des ASCOBANS-Abkommens und der darin ver-abredeten Maßnahmen.Es ist aber auch ein Erfolg technischer Schutzmetho-den der Fischerei, zum Beispiel des Einsatzes von Pin-gern, von akustischer Vergrämung. Es ist gut, dass esauch hier immer wieder Fortentwicklungen gibt. Denndie ersten technischen Instrumente, die auf den Stellnet-zen eingesetzt wurden, gaben ja noch permanent akusti-sche Signale ab, was dazu führte, dass die Schweinswaleeher verwirrt wurden. Jetzt gibt es interaktive Pinger, dienur dann Signale aussenden, wenn sich Schweinswalenähern. Auch hier ist die Fischerei also dabei, mit eige-ner, neuer Technik etwas Gutes für den Schutz derSchweinswale zu tun. Auch das hat dazu geführt, dassdie Beifänge in der deutschen Nordsee deutlich reduziertworden sind.Auch auf der Ebene der EU ist viel erreicht worden,um fischereirechtlich dem Walschutz in der Nord- undOstsee Rechnung zu tragen.Die wissenschaftlichen Erkenntnisse belegen – dassagte ich bereits –, dass die Kleinwale ein sehr viel grö-ßeres Verbreitungsgebiet haben, als es früher angenom-men wurde. Ihr Verbreitungsgebiet lässt sich räumlicheben nicht eng abgrenzen. Diese falsche Annahme warzum Beispiel Grundlage für die Ausweisung eines spezi-ellen Walschutzgebietes in meiner Heimat direkt vor denInseln Sylt und Amrum. Dort sei die Kinderstube derSchweinswale, war damals die Begründung, eine Be-gründung, die heute aufgrund der neuen wissenschaftli-chen Erkenntnisse so nicht mehr haltbar ist.Das gibt mir Veranlassung, klarzustellen: Der Schutzder Kleinwale ist richtig und wichtig. Es ist gut, dass wiruns allesamt in diesem Hause von allen Fraktionen die-sem Ziel verschrieben haben. Man muss den Schutz derSchweinswale aber auch richtig betreiben. Deswegenfordere ich Sie, meine Damen von den Grünen, auf, Ih-ren Fraktionskollegen Rainder Steenblock nach seinenErinnerungen zu diesem Thema zu fragen. Als Umwelt-minister in Schleswig-Holstein hatte er das Thema ge-nauso falsch angefasst wie sein grüner Nachfolger KlausMüller, der Ihrer Fraktion in diesem Hause auch einmalangehört hat. Fragen Sie die beiden einmal, was sie mitihrem Aktionismus erreicht haben! Sie haben versucht,sich mit naturschutzrechtlichen Regelungen zu profilie-ren, die effektiv aber überhaupt nichts gebracht haben.Tatsächlich waren die fischereirechtlichen Wege weitausesfdTmdMahSkdpSadaknAuSPatdruAACdGvnjlid
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter von
er Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!estern wurde ein toter Finnwal aus dem Hafenbeckenon Warnemünde gezogen; Sie haben das sicherlich ge-auso verfolgt wie die Aktion von Greenpeace vor derapanischen Botschaft. Nun kommen Finnwale norma-erweise nicht in der Ostsee vor. Auch woran er verendetst, bleibt vorerst Spekulation.Dass es den Walen weltweit alles andere als gut geht,as wissen wir, darüber wurde hier schon breit disku-
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Eva Bulling-Schrötertiert. Diese Einschätzung trifft auch auf die Kleinwale inden europäischen Gewässern zu. Das Abkommen zurErhaltung der Kleinwale in Nord- und Ostsee,ASCOBANS, trägt dem seit einigen Jahren Rechnung.Hauptgefahrenquellen für Schweinswale sind weiter-hin Fischereinetze, insbesondere Kiemennetze, wie siefür den Fang von Kabeljau, Lachs oder Steinbutt ver-wendet werden. Von diesen Netzen gibt es mehr als ge-nug. Schließlich haben die EU-Fischereiminister entge-gen allen wissenschaftlichen Empfehlungen geradebeschlossen, den Bestand an Kabeljau in Nord- und Ost-see über unsinnig hohe Fangquoten weiter zu dezimie-ren. Damit handelt die EU entgegen den Empfehlungendes Internationalen Rates für Meeresforschung. Auchwenn es ums Meer geht, steht Nachhaltigkeit in Europanur auf dem Papier. Die kurzfristigen Interessen derFischereiwirtschaft gehen vor. Ist es nicht grotesk, dassim Bürokratiemoloch Europa gerade dort die Politik völ-lig versagt, wo allein gesamteuropäisches Handeln dieFischbestände und auch die Einkommen der Fischerlangfristig schützen müsste?Nun haben wir für die Kleinwale das ASCOBANS-Abkommen. Das ist dem Inhalt nach begrüßenswert,verpflichtet völkerrechtlich allerdings zu nichts. Es wer-den mit ihm nicht einmal Walschutzgebiete festgesetzt.Die vorgesehene Erweiterung ist lediglich eine Erweite-rung des Geltungsbereiches des Abkommens auf denWestatlantik und die Irische See. Im Wesentlichen gehtes um wissenschaftliche Zusammenarbeit und um dieErstellung von Plänen, wie der Schutz von Kleinwalenumgesetzt werden soll.Zur Umsetzung können unter anderem Walschutz-zonen gehören, beispielsweise solche, die Schleswig-Holstein eingerichtet hat. Im letzten Jahr hat das Landauch endlich die Stellnetzfischerei in dem Gebiet verbo-ten. Allerdings müssen die deutschen Küstenfischer mitansehen, wie die dänischen weiterhin fleißig Stellnetzeauslegen, in denen nach wie vor Tausende Schweinswalegrausam verenden. Herr Liebing, hier wäre die Koalitiongefragt, tätig zu werden. Sie haben das ja auch angespro-chen.Die Stellnetze haben zusammen eine Länge von meh-reren Tausend Kilometern. Ein befreundeter Umwelt-schützer hat uns von Kontrollfahrten erzählt, auf denenUnmengen verendeter Tiere in den Netzen hingen, unddas, obwohl Dänemark zu den Unterzeichnerstaaten vonASCOBANS gehört.Die Norweger sind dem Abkommen gar nicht erstbeigetreten. Zuverlässige Informationen über dieSchweinswalbeifänge der norwegischen Kiemennetz-flotte existieren praktisch leider nicht. Die Walschutzor-ganisation WCDS schätzt die maximale Höhe solcherBeifänge, die nicht die jeweilige Population gefährden,auf 1 Prozent des Bestandes. Real sind es jährlich aberschon circa 5 bis 6 Prozent. Das ist wesentlich zu viel.Mit anderen Worten: Irgendwann werden die Schweins-wale auch in der Nord- und Ostsee genauso wie im Mit-telmeer an den Rand der Ausrottung getrieben.dddldeassdshFKbwdagssuagsnEewwnssSGGSSaRE–m
Ich rede vom Verbreitungsgebiet.Was also ist zu tun? Die Verbesserung der Fang-ethoden muss auf Reduzierung der Beifänge abzielen.
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Cornelia BehmDer Überfischung der Meere muss Einhalt geboten wer-den. Das heißt, TACs und Quoten müssen tatsächlicheiner bestandserhaltenden Fischerei dienen. Kontrollenmüssen die Einhaltung sicherstellen. Schadstoffeinträgein die Meere müssen verhindert werden. Eine Verklap-pung von Abfällen auf See darf es nicht mehr geben.Einwandige Öltanker müssen stillgelegt werden. Stoff-einträge aus der Landwirtschaft müssen und könnendurch Minimierungsstrategien weiter reduziert werden.Lärm und Störungen verursachende Nutzungen undUnterwasseraktivitäten durch den Menschen müssen aufdas notwendige Maß beschränkt werden. Meeresschutz-gebiete müssen ausgewiesen und vor allen Dingen vonallen anthropogenen Aktivitäten freigehalten werden.Bei der Abwendung möglicher katastrophaler Folgendes Klimawandels muss Deutschland weiter Antrieb undVordenker sein.Leider aber ist festzustellen, dass die neue Bundesre-gierung in Bezug auf die wichtigsten Maßnahmen, diedem Schutz der Kleinwale dienen, längst nicht so ambi-tionierte Ziele verfolgt, wie das unter grüner Regie-rungsbeteiligung der Fall war. Das betrifft sowohl dieUnter dem Strich: Den schönen Worten im Abkom-men müssen Taten folgen, sonst werden weder derJastarnia-Plan, das heißt der ASCOBANS-Rettungsplanfür die Schweinswale in der Ostsee, noch andere Pläne,die die Erhaltung der Kleinwale als Teil des Naturerbesder nordeuropäischen Meere zum Ziel haben, erfolgreichsein.Es sollte uns Parlamentariern ein Anliegen sein, dieseFragen nicht allein der Regierungsdiplomatie zu überlas-sen, sondern ein wachsames Auge auf die Umsetzungder Pläne zu haben. Deshalb führen wir heute hier dieseDebatte.
Herzlichen Dank. Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Abkommens vom 31. März 1992 zur Erhaltung
der Kleinwale in der Nord- und Ostsee auf Druck-
sache 16/38. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 16/389,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
Beifangproblematik als auch den Fischereiaufwand. Ich
erinnere daran, dass die 2004 von der EU beschlossenen
Maßnahmen, um Beifänge von Kleinwalen in der EU-
Fischerei drastisch zu reduzieren, wesentlich auf das
Drängen der damaligen grünen Ministerin Renate
Künast zurückgehen. Allerdings müssen Beifänge noch
immer nicht angelandet und auf die erlaubten Fangmen-
gen angerechnet werden. Das wäre tatsächlich ein wirk-
samer Anreiz zur Verminderung der Beifänge. Hier be-
steht dringend Handlungsbedarf.
Bei den Verhandlungen über TACs und Quoten im
vergangenen Dezember hat die Bundesregierung kein
Ruhmesblatt errungen. Sie hat insbesondere für den
Dorsch in der Ostsee einer weiteren Überfischung zuge-
stimmt, anstatt die bekanntermaßen höchst gefährdeten
Bestände durch ein befristetes Fangverbot zu schützen.
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em Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
en. – Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich der
timme enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die-
er Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses
ngenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Genießen Sie die Einsichten des heutigen Tages und
aben Sie einen schönen Abend.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 20. Januar 2006,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.