Protokoll:
15025

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 25

  • date_rangeDatum: 13. Februar 2003

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:24 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Gratulation der Abgeordneten Ernst Hinsken und Rainer Eppelmann zum 60. Geburtstag 1873 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 1873 A Begrüßung des Parlamentspräsidenten Herrn Halilow aus Usbekistan und seiner De- legation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1884 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung zur aktuellen internationalen Lage . . . . . . . 1874 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Europa und Amerika müssen zu- sammenstehen (Drucksache 15/421) . . . . . . . . . . . . . . . . 1874 A Gerhard Schröder Bundeskanzler . . . . . . . . . . 1874 A Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 1879 D Joseph Fischer Bundesminister AA . . . . . . . . 1884 B Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . 1887 D Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1889 D Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 1891 C Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 1894 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . 1895 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 1896 B Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . 1896 D Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . 1898 B Dr. Ludger Volmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1899 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 1901 C Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . 1904 D Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1906 B Dr. Christoph Zöpel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 1907 A Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . 1909 A, B Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1910 A, 1914 D Tagesordnungspunkt 3: – Zweite und dritte Beratung über den von den Abgeordneten Peter Götz, Dr. Michael Meister, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neu- ordnung der Gemeindefinanzen (Ge- meindefinanzreformgesetz) (Drucksache 15/30) . . . . . . . . . . . . . . . 1909 C – Zweite und dritte Beratung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung der Gemeindefinan- zen (Gemeindefinanzreformgesetz) (Drucksachen 15/109, 15/384, 15/385, 15/386) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1909 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ge- meindefinanzen dauerhaft stärken (Drucksache 15/433) . . . . . . . . . . . . . . . . 1909 D Plenarprotokoll 15/25 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 25. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003 I n h a l t : Bernd Scheelen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1912 A Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1917 A Kerstin Andreae BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1918 D Dr. Andreas Pinkwart FDP . . . . . . . . . . . . . . 1920 B Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1921 B Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1923 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1924 D Gisela Piltz FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1925 D Dr. Hans-Ulrich Krüger SPD . . . . . . . . . . . . 1926 D Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 1928 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1929 C Bernhard Kaster CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 1931 B Namentliche Abstimmungen . . . . . . 1932 D, 1935 B Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1933 C, 1938 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hans-Joachim Otto (Frank- furt), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Finanzplatz Frankfurt stärken (Drucksache 15/369) . . . . . . . . . . . . . . . . 1935 D Tagesordnungspunkt 14: a) – c) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 11, 12 und 13 zu Petitionen (Drucksachen 15/363, 15/364 und 15/365) 1936 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsprogramm Bildung und Betreuung für Ganztagsschulen . . . 1936 B Edelgard Bulmahn Bundesministerin BMBF 1936 B Uwe Schummer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1940 B Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1941 D Christoph Hartmann (Homburg) FDP . . . . . . 1943 A Ute Berg SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1944 B Dr. Christoph Bergner CDU/CSU . . . . . . . . . 1945 B Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1946 C Heinz Schmitt (Landau) SPD . . . . . . . . . . . . 1947 C Marion Seib CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 1948 C Andrea Wicklein SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1949 D Hannelore Roedel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 1950 D Caren Marks SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1952 A Markus Grübel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1952 D Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 1954 A Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Verlängerung der Ladenöffnung an Samstagen (Drucksache 15/396) . . . . . . . . . . . . . . . . 1955 B Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1955 B Dr. Hermann Kues CDU/CSU . . . . . . . . . . . 1957 A Hubert Ulrich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1958 C Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1959 C Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1960 C Wolfgang Grotthaus SPD . . . . . . . . . . . . . . . 1961 D Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1963 B Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1964 A Wolfgang Grotthaus SPD . . . . . . . . . . . . . . . 1964 C Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . 1965 A Manfred Helmut Zöllmer SPD . . . . . . . . . . . 1966 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 1967 C Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Hilfsmittelversorgung von Pflegebedürftigen (Hilfsmittelsicherungs- gesetz – HSG) (Drucksache 15/308) . . . . . . . . . . . . . . . . 1969 A Dr. Erika Ober SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1969 B Matthias Sehling CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 1970 C Petra Selg BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 1972 C Daniel Bahr (Münster) FDP . . . . . . . . . . . . . 1973 A Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundes- regierung über Maßnahmen auf dem Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003II Gebiet der Unfallverhütung im Straßen- verkehr und Übersicht über das Ret- tungswesen 2000 und 2001 – Unfallverhü- tungsbericht Straßenverkehr 2000/2001 – (Drucksachen 14/9730, 15/99 Nr. 1.1, 15/388) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1974 A Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1974 B Gero Storjohann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 1975 B Ursula Sowa BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1976 D Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 1977 D Heidi Wright SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1979 A Klaus Hofbauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1980 B Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Dr. Norbert Röttgen, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Versorgungsausgleich umge- hend regeln – Keine Schlechterstellung von Frauen bei der Alterssicherung (Drucksache 15/354) . . . . . . . . . . . . . . . . 1981 D Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . 1982 A Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 1983 D Sibylle Laurischk FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 1985 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1986 C Ute Granold CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 1987 B Christine Lambrecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 1988 D Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Dieter Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für ein Ge- samtkonzept zur Verbesserung der Früherkennung und Behandlung von Demenz (Drucksache 15/228) . . . . . . . . . . . . . . . . 1990 B Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1990 C Hilde Mattheis SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1991 B Verena Butalikakis CDU/CSU . . . . . . . . . . . 1993 A Petra Selg BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 1994 D Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gegen Terror, Völkermord und Hungerkatastrophe in Simbabwe, um Destabilisierung des südlichen Afri- kas zu vermeiden (Drucksache 15/353) . . . . . . . . . . . . . . . . 1995 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Walter Riester, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans- Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Hungerkatastrophe in Sim- babwe weiter bekämpfen – Internationa- len Druck auf die Regierung Simbabwes aufrechterhalten (Drucksache 15/428) . . . . . . . . . . . . . . . . 1996 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Ulrich Heinrich, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Gemeinsame europäisch-afrikanische Initiative zur Lösung der Krise in Simbabwe starten (Drucksache 15/429) . . . . . . . . . . . . . . . . 1996 A Hans Martin Bury, Staatsminister für Europa 1996 B Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . 1997 B Walter Riester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1998 D Markus Löning FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2000 A Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 2001 A Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . . . 2002 D Brigitte Wimmer (Karlsruhe) SPD . . . . . . . . 2003 D Dr. Egon Jüttner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 2004 C Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 2005 C Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . . . 2006 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung über den von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes zur Neuordnung des gesellschaftlichen Spruchverfahrens (Spruchverfahrensneu- ordnungsgesetz) (Drucksache 15/371) . . . . . . . . . . . . . . . . 2006 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2006 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2007 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003 III Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Ulrich Klose (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Anträge der Fraktio- nen der CDU/CSU: – Zu der Abgabe einer Erklärung durch den Bundeskanzler: Zur aktuellen internationalen Lage (Drucksache 15/434) – Europa und Amerika müssen zusammenstehen (Drucksache 15/421) (Zusatztagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . 2007 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über den Bericht des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des gesellschaftlichen Spruchverfahrens (Spruchverfahrensneuord- nungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 9) 2007 C Bernhard Brinkmann (Hildesheim) SPD . . . . 2007 C Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 2008 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2009 C Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2010 B Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 2010 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003IV (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003 1873 25. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003 Beginn: 9.00 Uhr
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    (A) (B) (C) (D) 2006 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003 2007 (C) (D) (A) (B) Andres, Gerd SPD 13.02.2003 Breuer, Paul CDU/CSU 13.02.2003 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 13.02.2003 Göbel, Ralf CDU/CSU 13.02.2003 Günther (Plauen), FDP 13.02.2003 Joachim Janssen, Jann-Peter SPD 13.02.2003 Kaupa, Gerlinde CDU/CSU 13.02.2003 Künast, Renate BÜNDNIS 90/ 13.02.2003 DIE GRÜNEN Dr. Lippold CDU/CSU 13.02.2003 (Offenbach), Klaus W. Mayer (Baiersbronn), CDU/CSU 13.02.2003 Conny Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 13.02.2003 Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 13.02.2003 DIE GRÜNEN Dr. Nüßlein, Georg CDU/CSU 13.02.2003 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 13.02.2003 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 13.02.2003 Ronsöhr, CDU/CSU 13.02.2003 Heinrich-Wilhelm Thiele, Carl-Ludwig FDP 13.02.2003 Volquartz, Angelika CDU/CSU 13.02.2003 Wettig-Danielmeier, SPD 13.02.2003 Inge Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Ulrich Klose (SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die An- träge der Fraktion der CDU/CSU: – Zu der Abgabe einer Erklärung durch den Bundeskanzler: Zur aktuellen internationalen Lage (Drucksache 15/434) – Europa und Amerika müssen zusammenste- hen ((Drucksache 15/421) (Zusatztagesordnungspunkt 4) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenografischen Bericht Aus politischen Gründen werde ich mich an den Ab- stimmungen über die beiden CDU/CSU-Anträge zur Außenpolitik nicht beteiligen. Anlage 3 Zu Protokoll gegeben Reden Zur Beratung des Berichts des Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Neuordnung des gesellschaftli- chen Spruchverfahrens (Spruchverfahrensneu- ordnungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 9) Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD):Am Ende einer umfangreichen Tagesordnung der heutigen Plenar- sitzung befassen wir uns mit der ersten Lesung des Spruchverfahrensneuordnungsgesetzes. Worum geht es dabei? Das gesellschaftliche Spruchverfahren ist im Akti- engesetz und im Umwandlungsgesetz vorgesehen, um bei so genannten unternehmerischen Strukturmaßnahmen den Minderheitsgesellschaftern, die einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich bzw. Abfindung haben, mög- lichst effektiven Rechtsschutz zu gewähren, ohne dass die jeweiligen Strukturmaßnahmen durch Anfechtungskla- gen blockiert werden können. Die bisherige Praxis hat allerdings gezeigt, dass diese Verfahren übermäßig lange dauern und damit nicht ver- tretbare Zeitverzögerungen entstehen. So liegt die durch- schnittliche Verfahrensdauer bei etwa fünf Jahren. In ein- zelnen Fällen dauerten die Spruchverfahren sogar erheblich länger. Daher wurde in jüngster Zeit verstärkt an den Gesetzgeber appelliert, hier möglichst schnell für Ab- hilfe zu sorgen. Die hierfür erforderlichen Aktivitäten wurden auch durch die Regierungskommission „Corporate Gover- nance“ unterstützt und darüber hinaus wurden durch die Kommission auch konkrete Lösungsvorschläge unter- breitet. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird die Bundesregierung der Reformforderung gerecht und folgt ebenfalls den Empfehlungen der „Corporate Gover- nance“-Kommission. Dabei geht es auch um eine Verbes- serung des Anlegerschutzes. Im Abschlussbericht der Kommission wird unter anderem auch darauf hingewie- sen und eine Reform des Beschlussverfahrens empfohlen. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, durch verbesserte Ver- fahrensstrukturen auf der Grundlage der bewährten Teile der bisherigen Regelung ein gestrafftes und erheblich ver- kürztes Gerichtsverfahren zu ermöglichen. Dabei sollen die bisher geltenden Vorschriften behutsam überarbeitet und auch punktuell verbessert werden. Im Einzelnen sind insbesondere folgende Maßnahmen vorgesehen, auf die ich näher eingehen möchte: Es ist dies zum einen die ge- nerelle Einführung der gerichtlichen Auswahl und Bestel- lung der sachverständigen Prüfer bei so genannten Umstrukturierungsmaßnahmen wie zum Beispiel Unter- nehmensvertrag, Eingliederung, Umwandlung. Nach Möglichkeit soll es keine Erstellung flächendeckender Gesamtgutachten, sondern stattdessen die gezielte Beur- teilung spezieller Einzelfragen geben. Hiermit wird die Rolle der Sachverständigen im Spruchverfahren neu ge- regelt und damit auch der zeitliche Ablauf gestrafft. Es wird eine Neugestaltung der Kostenvorschriften durch Einführung eines Mindestwertes und einer Obergrenze für die Gerichtskosten bei gleichzeitiger Verdoppelung der Gebühren und eine stärkere Unterscheidung zwischen den Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten bei der Kostenverteilung geben. Lassen Sie mich abschließend noch auf die Empfeh- lungen des Bundesrates und die diesbezügliche Stellung- nahme der Bundesregierung zu sprechen kommen, die sich mit der Kostensituation befasst: Ich zitiere: „Bund und Kommunen werden durch die Gegenäußerung nicht mit Kosten belastet. Auch für die Länderhaushalte ent- stehen keine zusätzlichen Kosten. Wegen der Sorge des Bundesrates, es könnte zu einer Verringerung des Ge- richtsgebührenaufkommens kommen, wird sich die Bun- desregierung im weiteren Gesetzgebungsverfahren für eine Anhebung der im Regierungsentwurf vorgesehenen Mindest- und Höchstbeträge des für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Geschäftswertes einsetzen.“ Damit dürften auch diese Bedenken des Bundesrates ausgeräumt sein. Ich würde mich daher freuen, wenn dieser Gesetzent- wurf die gesamte Zustimmung des hohen Hauses finden würde. Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Seit dem vergangenen Jahr können erstmals in unserer Rechtsordnung Minder- heitsaktionäre auch gegen ihren Willen durch einen Hauptaktionär aus einem Unternehmen ausgeschlossen werden. Im Rahmen eines so genannten „Squeeze-out“ können diese Kleinaktionäre, sofern es sich nur noch um Splitterbesitz handelt, aus einem Unternehmen gegen eine Barabfindung „herausgequetscht“ werden. In diesem „Squeeze-out“-Verfahren darf selbstver- ständlich der Kleinaktionär nicht unter die Räder geraten. Daher gibt es ein gesetzlich fundiertes Recht des Minder- heitsaktionärs, einen angemessenen – und aus seinem Blickwinkel bedeutet dies natürlich einen möglichst hohen – Ausgleich für die Veränderungen zu seinen Las- ten zu erhalten. Dass der Mehrheitsaktionär seine Auf- wendungen möglichst klein halten möchte, bedarf auch keiner besonderen Ausführungen. Damit ist der Interes- senkonflikt strukturell angelegt, und es bedarf aus diesem Grunde auch Regeln zur Lösung dieses Konfliktes. Doch nicht nur im neuen „Squeeze-out“-Verfahren, sondern auch bei der Verschmelzung oder der Auf- und Abspaltung von Gesellschaften, bei den Abschlüssen von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen oder der Vermögensübertragung, um nur einige wenige Bei- spiele zu nennen, sind Regeln und Verfahren für einen fai- ren Interessenausgleich nötig. Der Gesetzgeber hat daher das so genannte Spruchver- fahren ins deutsche Gesellschaftsrecht eingeführt. Es han- delt sich hierbei um ein so genanntes echtes Streitverfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Dies geschah zunächst für den Bereich des Umwandlungsrechts. Seit fast vier Jahrzehnten finden wir dieses Verfahren aber auch in un- serem Aktiengesetz wieder. Ich darf uns alle nochmals an den Sinn dieses gesell- schaftsrechtlichen Spruchverfahrens erinnern. Es geht um den Rechtsschutz des Aktionärs gegenüber der Gesell- schaft, es geht um seinen Kapital- und Anlagenschutz, ohne die Gesellschaft durch langwierige Gerichtsverfah- ren handlungsunfähig zu machen. Wie sah denn nun die Praxis in den vergangenen Jah- ren aus? Zum einen hat sich das Spruchverfahren gerade für die Kleinaktionäre bewährt. Denn in vielen Fällen hat- ten die Minderheitsgesellschafter in diesen Verfahren Er- folg. Sie erstritten eine höhere Kompensation, als ur- sprünglich von den Gesellschaften festgelegt wurde. Zum anderen häuften sich doch vermehrt die Klagen über gewisse Unzulänglichkeiten des Spruchverfahrens. Beklagt wurde beispielsweise durchgängig die Dauer der Verfahren, die im Durchschnitt um die fünf Jahre lagen – in manchen Fällen allerdings auch erheblich länger dau- erten. Ich kann daher schon Verständnis für manch drastische Formulierung der Kritiker der gegenwärtigen Rechtslage und Rechtspraxis aufbringen. Ob wir allerdings wirklich eine Situation bei der Verfahrensdauer haben, „die derzeit mitunter praktisch auf Rechtsverweigerung hinausläuft“, so die Formulierung im Bericht der Regierungskommis- sion „Corporate Governance“ – Drucksache 14/7515, Sei- te 83 – will ich einmal dahingestellt sein lassen. Unstrit- tig ist die lange Verfahrensdauer ein Ärgernis, das es möglichst mit der Reform des Spruchverfahrens abzustel- len gilt. Der Reformdebatte nahm sich auch der 63. Deutsche Juristentag im September 2000 an. Die wirtschaftsrechtli- che Abteilung forderte uns als Gesetzgeber mit großer Mehrheit auf, das geltende Recht zu überprüfen. Wir Christdemokraten begrüßen es daher, dass die Bun- desregierung sich diesem Bereich des Gesellschaftsrechts endlich zugewandt und nunmehr einen Gesetzentwurf zur Neuordnung des Spruchverfahrens auch vorgelegt hat, nachdem dies für die vergangene Legislaturperiode be- reits geplant war. Die grundsätzliche Zustimmung zu einer Neuregelung ist auch bei den betroffenen Verbänden und in der wis- senschaftlichen Fachdiskussion gegeben, wenn ich das richtig überschaue. Wer soll auch etwas dagegen haben, dass endlich die Zersplitterung der gesetzlichen Regelung für das Spruch- verfahren beseitigt wird? Wer wird sich darüber beschwe- ren, dass wir eine Konzentration aller Vorschriften und Regeln anwenderfreundlich in einem eigenen Spruchver- fahrensgesetz erhalten? Hier dürfen Sie selbstverständlich auch unserer Zuneigung sicher sein. Allerdings wird es Sie nicht wundern, dass die Zu- stimmung im Grundsatz nicht die Kritik im Detail aus- schließt. In dieser Form hat sich auch der Bundesrat dem vorliegenden Entwurf im ersten Durchgang angenom- men. In konstruktiver Weise wurden eine Vielzahl von einzelnen Änderungswünschen gegenüber dem Regie- rungsentwurf eingebracht, über die es sich lohnt, auch Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 20032008 (C) (D) (A) (B) ernsthaft während der weiteren parlamentarischen Bera- tungen nachzudenken. Ich nenne nur beispielhaft die Zuständigkeitsregelung in § 2 Spruchverfahrensgesetz. Hier sollte präzise geregelt werden, wenn bei einer Verschmelzung mehrerer Antrag- steller verschiedener Rechtsträger mit unterschiedlichem Sitz vorhanden sind. Bisher wird dies nicht befriedigend gelöst. Auch über die Kostenregelung in § 15, die wesent- lich neue Elemente enthält und auch die Länder nicht un- wesentlich tangiert, sollte noch einmal gesprochen wer- den. Etwas intensiver möchte ich allerdings einen anderen Punkt in dieser Debatte noch ansprechen. Wir alle wissen, dass die Spruchverfahren weitgehend Gutachterprozesse sind. Völlig zu Recht sollen die Berichte und das Spezial- wissen der sachverständigen Prüfer, die im Vorfeld mit der Umstrukturierung befasst und nach den geltenden Vorschriften des Aktiengesetzes und Umwandlungsgeset- zes auch einzuschalten waren, stärker im Spruchverfahren Berücksichtigung finden. Folgerichtig sollen die vom Ge- richt bestellten Sachverständigen auch nicht mehr um- fangreiche Gesamtgutachten erstellen, sondern eher ge- zielt Einzelfragen beurteilen. Ich halte dies für ziemlich unstrittig und teile die Hoffnung, dass hierdurch eine Be- schleunigung des Verfahrens eintreten wird. Die ver- schiedenen Regelungen hierzu im vorliegenden Entwurf zählen sicherlich zu den Kernelementen der Reform. Ein wenig überrascht war ich allerdings, dass in § 7 Abs. 6 keine Regelung hinsichtlich der Vergütung des vom Gericht beauftragten Sachverständigen vorgesehen ist. Auf den ersten Blick mag dies als ein unwichtiger Punkt angesehen werden. Allerdings auch nur auf den ers- ten Blick, denn die Qualität und nicht zuletzt die Schnel- ligkeit, in der Gutachten dann in der Praxis erstellt wer- den, ist hiervon wesentlich abhängig und damit im Interesse letztendlich aller Beteiligten. In diesem Kontext will ich noch einmal auf den Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“ zu- rückkommen, um auch die Regierungsfraktionen noch ein wenig für dieses Anliegen zu sensibilisieren. Dort heißt es: Um die Verfahrensdauer zu verkürzen, ist des Weite- ren eine angemessene, verkehrsübliche Vergütung der Sachverständigen unerlässlich. Eine Vergütung von grundsätzlich 50 bis höchstens 150 DM pro Stunde, wie sie das Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen für gerichtlich be- auftragte Sachverständige vorsieht, stellt regelmäßig keinen hinreichenden Kostendeckungsbeitrag dar und bietet erst recht keinen hinreichenden Anreiz, den Prüfungsbericht zügig zu erstatten. Qualifizierte Wirtschaftsprüfer oder vergleichbare Sachverstän- dige sind zu derartigen Konditionen nicht zu haben. In der Praxis sind in den Spruch(stellen)verfahren daher häufig Gutachter geringerer Güte tätig. ... Die Regierungskommission ist vor diesem Hintergrund der Auffassung, dass eine verkehrsübliche Vergü- tung der Sachverständigen gewährleistet sein muss. Sie spricht sich insoweit dafür aus, dass mit der vor- geschlagenen gerichtlichen Bestellung des Sachver- ständigen künftig ein gesetzlich geregeltes Rechts- verhältnis auftragsähnlicher Art zwischen diesem und der Gesellschaft zustande kommen sollte, etwa nach dem Vorbild der §§ 306 Abs. 4 Satz 6 Aktien- gesetz, 308 Abs. 2 Satz 1 Umwandlungsgesetz, aus dem der Sachverständige sodann einen Anspruch auf angemessene, verkehrsübliche Vergütung gegen die Gesellschaft hätte. – Drucksache 14/7515, Seite 83 – Ich bin mir bewusst, dass eine verkehrsübliche Vergü- tung der Sachverständigen im vorliegenden Gesetzent- wurf auch eine Ausstrahlung auf andere Bereiche entfal- ten könnte. Vielleicht ist diese auch einer der Gründe, warum im Regierungsentwurf keine Regelung hinsicht- lich der Vergütung des vom Gericht beauftragten Sach- verständigen vorgesehen ist? Ich würde mir wünschen, wenn wir in unseren Beratungen diesen Punkt noch ein- mal aufgreifen und das Für und Wider intensiv diskutie- ren würden. Meine Fraktion hält den vorliegenden Gesetzentwurf insgesamt für diskussionswürdig. Wir Christdemokraten bieten allen Seiten des Hauses eine zügige Beratung an, damit den Betroffenen recht bald ein effektives Spruch- verfahren zur Verfügung steht. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der heute beratene Gesetzentwurf mit dem etwas spröde klingenden Titel kommt praktischen Bedürfnissen der Wirtschaft sowie Forderungen in Rechts- und Verwal- tungslehre nach. Das Spruchverfahren soll bei Umstrukturierungsmaß- nahmen von Gesellschaften nach dem Aktien- oder Um- wandlungsgesetz Minderheitsaktionären im Streit um Kompensationszahlungen effektiven Rechtsschutz ge- währleisten, ohne die unternehmerische Handlungsfrei- heit der Gesellschaften zu beeinträchtigen. In der Vergangenheit wurde oft kritisiert, das Spruch- verfahren dauere zu lange, lasse rechtsmissbräuchliche Anrufungen des Gerichts sowie kostentreibende Ver- schleppungstaktik zu und die verstreuten Verfahrensvor- schriften seien schlecht handhabbar. Der 63. Deutsche Juristentag 2000 forderte daher eine Überprüfung; die Regierungskommission „Corporate Governance“ emp- fahl eine Modernisierung bzw. Neuordnung. Solche Re- form wurde noch dringlicher auch zum Anlegerschutz, seit durch das Übernahmegesetz 2001 Mehrheits- aktionären ermöglicht wurde, Minderheitsaktionäre ge- gen Abfindung aus einer AG oder Kommandit-AG auszu- schließen. Der Entwurf der Bundesregierung fasst die bislang ver- streuten Einzelregelungen in einem Gesetz zusammen. Die Zuständigkeit für das Spruchverfahren bleibt beim Landgericht konzentriert. Die Regelungen zum Antrags- gegner, Bekanntmachung etc. wurden vereinheitlicht. Für die nicht antragstellenden, aber im Streit um Aus- gleich und Abfindung mit betroffenen Anteilseigner soll das Gericht auch künftig „gemeinsame Vertreter“ bestel- len könne, aber zur Kostenminderung regelmäßig nur noch einen statt mehrere. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003 2009 (C) (D) (A) (B) Ferner wird das Verfahren gestrafft und beschleunigt. Obligatorisch soll zur raschen Aufklärung des Sachver- halts eine mündliche Verhandlung stattfinden. Die An- tragsteller müssen ihre Einwände gegen die angebotenen Ausgleichs- oder Abfindungszahlungen nun binnen ver- längerter Frist konkret begründen. Allerdings sollte die Regelung noch verdeutlichen, dass Abweichungen mög- lich sind, wo Antragsteller wegen mangelnder Informa- tion noch nicht spezifiziert vortragen können. Verspätetes oder andere Beteiligte benachteiligendes Vorbringen soll das Gericht zurückweisen können, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Doch soweit der Entwurf dies bisher schon bei einfachem Verschulden ermöglichen will und die Kriterien hierfür erst durch die Rechtspre- chung entwickelt werden sollen, muss die Vorlage nach unserer Auffassung noch einmal überdacht werden. Meine Fraktion neigt stark dazu, stattdessen auf grobe Fahrlässigkeit abzustellen und dazu die bewährte Vor- schrift des § 296 Abs. 2 ZPO wörtlich in § 10 Abs. 2 Spruchgesetz zu übernehmen. Ferner sieht der Entwurf zwecks Verfahrensbeschleu- nigung vor, dass das Gericht den mündlichen Verhand- lungstermin umfassend vorzubereiten hat. Dabei kann es etwa geheimhaltungsbedürftige Unternehmensunterlagen auch „in camera“ beiziehen und verwenden, ohne sie an andere Beteiligte zu übermitteln. Der Amtsermittlungsgrundsatz wird zwecks Verfah- rensstraffung eingeschränkt, indem die Parteien selbst Tatsachen rechtzeitig und vollständig vorbringen müssen. Das Verhältnis zum Beibringungsgrundsatz bedarf hier al- lerdings noch größerer Klarstellung: Denkbar wäre, die richterliche Aufklärungspflicht gemäß § 139 ZPO für ent- sprechend anwendbar zu erklären. Flankierend schafft der Entwurf attraktive Möglichkei- ten zu einer gütlichen Einigung bzw. einem Vergleich. Zahlt das Unternehmen auf den gefundenen Spruch hin nicht, bleibt für die dann notwendige Leistungsklage sinnvollerweise das schon sachkundige Spruchgericht zu- ständig. Ferner soll der so genannte sachverständige Prüfer bes- ser in das Spruchverfahren eingebunden werden, um teure und zeitraubende Zweitgutachten zu vermeiden. Die neue abgewogene Kostenregelung wird rechtsmissbräuchliche und mutwillige Spruchverfahrensanträge verhindern helfen. Insgesamt meine ich, dass die Bundesregierung einen sehr durchdachten Entwurf vorgelegt hat zur Regelung ei- nes Wirtschaftsbereichs mit zunehmender praktischer Re- levanz. Mit den zahlreichen ergänzenden Vorschlägen des Bundesrats werden wir uns in der Ausschussberatung sorgfältig auseinander setzen. Rainer Funke (FDP): Die FDP-Fraktion begrüßt den Gesetzentwurf zur Neuordnung des gesellschaftlichen Spruchverfahrens. Insbesondere begrüßt die FDP-Frak- tion das Ziel des Entwurfes, durch verbesserte Verfah- rensstrukturen auf der Grundlage der bewährten bisheri- gen Regelung, ein gestrafftes und erheblich verkürztes Gerichtsverfahren zu ermöglichen. In der Tat dauern die Verfahren viel zu lange. Dies ist auch nachteilig für den Finanzmarkt Deutschland. Bei allem guten Willen gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, den wir sehr begrüßen, sind in dem bereits nachgebesserten Entwurf einige Schwachstellen zu beseitigen. Dies wird bei gutem Willen aller Beteilig- ten im Rechtsausschuss und im Berichterstattergespräch auch gelingen. So könnte der in § 1 geregelte Anwendungsbereich zum Beispiel auch für die Anfechtung eines Sachkapita- lerhöhungsbeschlusses erweitert werden. Auch die Zu- ständigkeit könnte noch stärker als bisher vorgesehen auf ein Landgericht konzentriert werden. Die Antragsfrist könnte von drei auf zwei Monate verkürzt werden und die Konzentration auf einen gemeinsamen Vertreter gemäß §6 wäre eher zweckmäßig und könnte der Kostenerspar- nis dienen. In diesem Zusammenhang sollten die Kosten- regelungen des § 15 überprüft werden. Wichtig scheint mir vor allem, die Rolle des unabhän- gigen Sachverständigen, der sein Gutachten in meinen Augen auf die streitigen Teile zu beschränken hat, zu stär- ken. Die Bestellung des Sachverständigen sollte auch zü- gig erfolgen, um das Verfahren weiter zu beschleunigen. Ich bin mir sicher, dass wir bei den Beratungen im Rechtsausschuss zu vernünftigen Lösungen gelangen wer- den. Dann ist es jedoch für die Umsetzung dieses Gesetzes ganz besonders wichtig, dass die Landesjustizverwaltun- gen gerade für dieses Spruchverfahren eine Konzentration auf bestimmte Spezialkammern beim Landgericht oder auf die Kammern für Handelssachen ermöglichen. Hier müssen die qualifiziertesten Richter eingesetzt werden, die auch über betriebswirtschaftliche und bilanzrechtliche Kenntnisse verfügen müssen. Hier zu investieren lohnt sich, denn langjährige Verfahren schaden nicht nur den betroffenen Aktionären, sondern vor allem den Unterneh- men mit ihrer Investitionsbereitschaft und damit der Schaffung von Arbeitsplätzen. Bei dieser Gelegenheit lassen Sie mich auch sagen, dass wir von der Bundesregierung nunmehr alsbald erwarten, dass die Vorschläge der Baums-Kommission zu Corporate Governance umgesetzt werden. Einer dieser Vorschläge war auch eine Novellierung des Spruchverfahrens. Bei der weiteren Umsetzung der Baums-Vorschläge sollten wir je- doch eine in sich geschlossene Regelung bevorzugen. Punktuelle Lösungen sollten wir ablehnen. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: Sie beraten heute in erster Le- sung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens. Mit der Neuregelung greifen wir wesentliche Empfehlungen der Regierungskommission „Corporate Governance“ aus dem Jahr 2001 auf. Die Novelle ist ein wichtiger Beitrag zur Mo- dernisierung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren. Oberstes Ziel ist es, die Verfahrensdauer spürbar zu verkürzen und damit den Rechtsschutz für Aktionäre er- heblich zu verbessern. Mehr Übersichtlichkeit und Trans- parenz schafft der Entwurf, indem die bisher in verschie- denen Gesetzen geregelten Verfahrensvorschriften in einem neuen Verfahrensgesetz konzentriert werden. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 20032010 (C) (D) (A) (B) Im gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahren können Minderheitsaktionäre, die nach dem Aktien- oder Um- wandlungsgesetz Ausgleichs- oder Abfindungszahlungen erhalten, die Höhe dieser Kompensation vor dem zustän- digen Landgericht überprüfen lassen. Ein solcher An- spruch auf Abfindungs- oder Ausgleichszahlung besteht bei Strukturmaßnahmen, wie zum Beispiel der Umwand- lung von Gesellschaften oder dem Ausschluss von Min- derheitsaktionären im Wege des so genannten Squeeze- out. Bei der Überprüfung der Kompensation trifft das Ge- richt seine Bewertung in der Regel aufgrund einer umfas- senden Unternehmensbewertung. Die Neuregelung sieht nun vor, dass das Gericht nicht regelmäßig neue, zeitrau- bende Gutachten in Auftrag geben muss, sondern ver- stärkt auf die bereits nach den Vorschriften des Aktien- und Umwandlungsgesetzes zur Vorbereitung der Struk- turmaßnahme erstellten Berichte und Prüfungsberichte zurückgreifen kann. Damit diese Unterlagen einen höhe- ren Beweiswert für das spätere Spruchverfahren erlangen, werden die vorbereitenden Prüfungsberichte künftig zwingend durch gerichtlich bestellte unabhängige Prüfer erstellt. Dies wirkt dem Eindruck einer Parteinähe des Be- richts von vornherein entgegen und erhöht die Akzeptanz der Prüfungsergebnisse auch für die Minderheitsaktio- näre. Zusätzliche Begutachtungsaufträge an Sachverstän- dige im Spruchverfahren können dann gezielt auf die Klärung verbliebener Streitpunkte beschränkt werden. Das wird zu einer erheblichen Verfahrensbeschleunigung führen. Das Spruchverfahren wird zudem durch neu einge- führte Verfahrensförderungspflichten für die Beteiligten geordnet und gestrafft. So muss der Minderheitenaktionär beispielsweise künftig umfassend darlegen und begrün- den, in welchen Punkten er die Berechnungsgrundlagen seiner Kompensation angreift. Durch die Reform soll die derzeit durchschnittliche Verfahrensdauer von rund fünf Jahren spürbar verkürzt werden. Dies entlastet die Gerichte und die Anleger kom- men so schneller zu ihrem Recht. Die wichtigsten Punkte der Neuregelung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Es werden ausschließlich vom Gericht ausgewählte und bestellte sachverständige Prüfer tätig. Der Einsatz von Sachverständigengutachten im Spruchverfahren wird auf Streitpunkte begrenzt und so ef- fizienter gestaltet. Den Beteiligten werden bei gleichzeiti- ger Rückführung des Amtsermittlungsgrundsatzes Verfah- rensförderungspflichten auferlegt. Die Kostenvorschriften werden neu gestaltet, um eine ausgewogene Risikovertei- lung sicherzustellen, die den Minderheitsaktionär nicht benachteiligt, gleichzeitig aber Missbrauchsfällen vor- beugt. Und die bisher verstreuten Regelungen werden in einem neuen Verfahrensgesetz zusammengestellt. Der Bundesrat hat sich am 20. Dezember 2002 mit dem Gesetzentwurf befasst und eine Reihe sehr nützlicher Än- derungshinweise gegeben. Ich denke, dass diese zum größten Teil im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufge- griffen werden können. Dies gilt insbesondere auch für die vom Bundesrat angesprochenen Mindest- und Höchst- geschäftswerte zur Berechnung der Gerichtskosten. Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Reformgesetz in den weiteren Beratungen schnell und parteiübergreifend auf den Weg bringen können. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Februar 2003 2011 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502500000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet!
Zunächst möchte ich dem Kollegen Ernst Hinsken zur

Vollendung seines 60. Geburtstages am 5. Februar und
dem Kollegen Rainer Eppelmann, der am 12. Februar
seinen 60. Geburtstag feierte, im Namen des Hauses
nachträglich herzlich gratulieren.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Zukunftsprogramm Bildung und Betreuung für
Ganztagsschulen

2. Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU zu den Antworten
der Bundesregierung auf die dringliche Frage in Druck-
sache 15/419

3. Abgabe einer Erklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen
internationalen Lage

4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger,
Dr. Wolfgang Schäuble, Peter Hintze, Volker Kauder und
der Fraktion der CDU/CSU: Europa und Amerika müssen
zusammenstehen – Drucksache 15/421 –

5. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Gemeindefinanzen dauer-
haft stärken – Drucksache 15/433 –

6. Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Otto
Solms, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Dr. Andreas Pinkwart,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Finanzplatz
Frankfurt stärken – Drucksache 15/369 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss


(Karlsruhe)

und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Katrin Dagmar Göhring-
Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN: Hungerkatastrophe in Simbabwe weiter

bekämpfen – Internationalen Druck auf die Regierung
Simbabwes aufrechterhalten – Drucksache 15/428 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Löning, Ulrich
Heinrich, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Gemeinsame europäisch-afrikanische
Initiative zurLösung derKrise in Simbabwe starten – Druck-
sache 15/429 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des gesellschafts-

(Spruchverfahrensneuordnungsgesetz)

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

Ferner sollen die Beratung des Jahreswirtschaftsbe-
richts mit dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates
auf Freitag, 9 Uhr, verschoben werden und der Tagesord-
nungspunkt 10 – EU-Agrarreform – abgesetzt werden.

Darüber hinaus mache ich auf eine nachträgliche Über-
weisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 16. Sitzung des Deutschen Bundestages über-
wiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Rechtsausschuss zurMitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Michael
Meister, Otto Bernhardt, Leo Dautzenberg, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU zur Aufhebung des Vermögensteuer-
gesetzes
– Drucksache 15/196 –
überwiesen:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit




Präsident Wolfgang Thierse

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:
ZP 3 Abgabe einer Erklärung durch den Bundeskanzler

zur aktuellen internationalen Lage
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert

Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble, Peter Hintze,
Volker Kauder und der Fraktion der CDU/CSU
Europa und Amerika müssen zusammenstehen
– Drucksache 15/421 –

Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungs-
antrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Über den Antrag
und den Entschließungsantrag werden wir später nament-
lich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
zweieinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundeskanzler Gerhard Schröder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1502500100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Deutschland trägt Verantwortung, Verantwortung im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus, Verantwor-
tung für die Durchsetzung einer bedingungslosen Abrüs-
tung des Irak, Verantwortung für den Frieden. Deutsch-
land trägt diese Verantwortung gemeinsam mit den
anderen Staaten der Vereinten Nationen und an dieser Ver-
antwortung für den Frieden halten wir unbeirrt fest.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutschland steht zu seinen Bündnispflichten in der
NATO.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn ein Partner angegriffen wird, dann werden wir ihn
verteidigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das haben wir bewiesen – nicht erst, aber vor allem – als
es um die Zustimmung zur Operation Enduring Free-
dom ging, und das haben wir bewiesen, als wir diese Ope-
ration verlängert haben. Das wird so bleiben.

Mir kommt es darauf an, dass den Bürgerinnen und
Bürgern unseres Landes, aber auch den Partnern in der
Welt klar wird: 10 000 Frauen und Männer der Bundes-
wehr sind mittlerweile an internationalen Einsatzorten
– auf dem Balkan, in Afghanistan – stationiert, um Men-
schen dort Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten. Dafür

gebühren diesen Soldatinnen und Soldaten unsere Hoch-
achtung und – mehr noch – unser tief empfundener Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Aber wir tun auch unsere Pflicht für den Frieden und
für die friedliche Entwaffnung des Irak. Gemeinsam mit
Frankreich, mit Russland und mit anderen unternimmt die
Bundesregierung alle Anstrengungen, um den Konflikt im
und um den Irak auf friedlichem Wege zu lösen. Das ist
möglich und darum kämpfen wir!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich füge hinzu – dies sage ich klar und deutlich unseren
Bürgerinnen und Bürgern, aber auch unseren amerikani-
schen Freunden –: Das verstehe ich unter meiner Verant-
wortung als Bundeskanzler.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, der Kampf gegen den inter-
nationalen Terrorismus, gegen das, was man aus guten
Gründen die asymmetrische Bedrohung unserer Welt
nennt, erfordert nach wie vor die höchste Aufmerksamkeit.
Wir können und wir müssen diesen Kampf gewinnen: im
Interesse der Sicherheit der Menschen und des Friedens in
der Welt. Vor dem Hintergrund dieses Interesses wollen
wir ihn gewinnen. Wir haben ihn aber keineswegs bereits
gewonnen. Auch wenn die Auseinandersetzung gegenwär-
tig durch andere gewiss wichtige Themen überlagert wird,
ist zu sagen: Diese Bedrohung besteht fort und sie muss in
den Mittelpunkt der politischen Anstrengungen, die wir
miteinander auf uns nehmen, gestellt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch das gilt es zu erwähnen: Das ist der Grund dafür,
dass unsere Special Forces, also unsere Spezialtruppen,
übrigens Seite an Seite mit den Amerikanern, in Afgha-
nistan gegen den internationalen Terrorismus kämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Am Montag dieser Woche haben die deutschen Solda-
ten zusammen mit den niederländischen in Kabul das
offizielle Kommando über die ISAF-Schutztruppe der
Vereinten Nationen übernommen. Auch das muss in die
deutsche Öffentlichkeit: Bis zu 2 500 Soldaten werden
dort ihre Arbeit leisten; und sie leisten sie gut. Ohne
Deutschland würde in diesem so schwierigen Gebiet sehr
viel weniger gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weil das so ist, will ich, dass wir das unserem Volk, aber
auch unseren Partnern in der NATO und in den Vereinten
Nationen selbstbewusst sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenige NATO-Mitglieder leisten, was wir leisten. Das
darf nicht vergessen werden!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



(A)



(B)



(C)



(D)


1874


(A)



(B)



(C)



(D)






Mit der Entsendung dieser Soldaten haben wir als Re-
gierung, aber auch als Abgeordnete des Deutschen Bun-
destages gegenüber den Betroffenen und ihren Angehöri-
gen eine große Verantwortung übernommen. Unsere
Bevölkerung und die Menschen in aller Welt haben ein
Recht darauf, zu wissen: Wir werden uns die Entschei-
dung über militärische Gewalt und die Entsendung von
Truppen niemals leicht machen. Das war so und das muss
so bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden niemals einen Zweifel daran lassen, dass wir
solche Entscheidungen, die für jeden von uns zu den
schwierigsten gehören, die man sich vorstellen kann, auf
der Grundlage fester Prinzipien treffen. Diese Prinzipien
sind universell; von ihnen lassen wir uns in unserem Han-
deln, aber auch in unseren Bündnissen leiten: Prinzipien
der Freiheit, des Friedens und des Rechts. Es wird und es
muss aber auch deutlich werden, dass wir diese Entschei-
dungen souverän, das heißt in unserer Verantwortung, zu
treffen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesrepublik – auch das gilt es in aller Welt klar
zu machen – hat in einem Maße internationale Verant-
wortung übernommen, wie es vor einigen Jahren kaum
vorstellbar gewesen wäre: Verantwortung auf dem Bal-
kan, vor allen Dingen aber auch Verantwortung nach den
verheerenden Terroranschlägen des 11. September 2001
in New York und Washington.

Den deutschen Beitrag, um den Frieden zu erhalten,
gegen diese asymmetrische Bedrohung zu kämpfen und
die Regionen in der Welt, die besonders bedroht sind, zu
stabilisieren, haben wir seit 1998 verzehnfacht: von
200 Millionen Euro im Jahr auf 2 Milliarden Euro im
Jahr 2002. Niemand in Deutschland muss sich angesichts
dieser enormen Leistungen verstecken und niemand muss
sein Licht unter den Scheffel stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutschland stellt heute nach den Vereinigten Staaten
von Amerika das zweitgrößte Truppenkontingent in
internationalen Einsätzen zur Sicherung und Wah-
rung des Friedens. Insgesamt haben seit 1998 mehr als
100 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in solchen
Einsätzen ihr Leben und allemal ihre Gesundheit riskiert.
Wir haben immer gewusst, dass es zu dieser Politik der
Solidarität keine Alternative geben konnte und vor allen
Dingen keine geben durfte.

Solidarität, wie wir sie geleistet haben und nach wie
vor leisten, schafft aber auch das Recht, ja die Pflicht, zu
differenzieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass angesichts der fortbestehenden Gefahr durch den in-
ternationalen Terrorismus, etwa der al-Qaida, alle Maß-
nahmen und Entscheidungen auch daraufhin überprüft
werden müssen, ob sie dem Kampf gegen diesen Terroris-

mus nützen oder schaden, das sollte für uns alle selbst-
verständlich sein.

Das gilt auch bezogen auf die aktuelle Irakkrise. Wer
diese Krise mit militärischen Mitteln lösen will, muss eine
Antwort auf die Frage haben, ob das die weltweite Allianz
gegen den Terrorismus, der auch mehr als 50 überwiegend
muslimische Nationen angehören, voranbringt oder ob es
diese Allianz gefährden und vielleicht sogar sprengen
könnte; denn das hätte verheerende Folgen für den Kampf
gegen den internationalen Terrorismus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Noch etwas anderes muss bedacht werden, wenn man
in dieser Situation verantwortungsvoll reden und entschei-
den will. Ich will ein Beispiel nennen, das mich bewegt,
weil ich Schwierigkeiten habe,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

die unterschiedlichen Betrachtungsweisen zu erklären,
nämlich Nordkorea.Kein Zweifel, in Nordkorea herrscht
ein diktatorisches Regime. Es gibt keinen Zweifel daran,
dass Nordkorea über Anlagen zur Herstellung atomarer
Sprengköpfe verfügt. Die Vereinigten Staaten sagen so-
gar, so jüngst ihr Sicherheitschef, dass es dort bereits ato-
mare Sprengköpfe gibt. Es besteht kein Zweifel, dass
Nordkorea über Trägersysteme verfügt, die diese Spreng-
köpfe in Ziele bringen können. Die Wahrscheinlichkeit,
dass man dort in der Lage ist, atomare und biologische
Waffen herzustellen, ist groß.

Dieses Land hat die internationalen Inspektoren des
Landes verwiesen und dieses Land erhält für eine fried-
liche Lösung der Krise das Angebot eines Dialogs, im
Einklang mit dem internationalen Recht.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Was würden Sie denn machen, Herr Bundeskanzler?)


– Ich bin mit einem solchen Dialogangebot einverstanden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Schauen wir uns jetzt den Irak an; denn da liegt mein

Problem. Der Irak wird ohne Zweifel von einem Diktator
beherrscht, den jeder von uns lieber heute als morgen los-
würde, gar keine Frage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Irak verfügt definitiv über keine atomaren Waffen und
definitiv über keine weit reichenden Trägersysteme, die das,
was er nicht hat, in Ziele bringen könnten. Es gibt Hinweise
darauf, dass der Irak in der Lage sein könnte, andere Mas-
senvernichtungsmittel herzustellen. Deshalb haben wir ge-
sagt – darin liegt die innere Begründung –: Die Inspekteure,
die dort arbeiten, müssen weiter arbeiten können. Wir müs-
sen wissen, ob der Irak über Waffen verfügt und über wel-
che. Wir müssen dafür sorgen, dass Waffen, wenn er über
solche verfügt, im Einklang mit der Resolution 1441 ver-
nichtet werden. Das ist die Aufgabe, die wir haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bundeskanzler Gerhard Schröder




Bundeskanzler Gerhard Schröder

Wir haben immer klargemacht, dass die Politik der
Bundesregierung eine Friedenspolitik ist. Das gilt für den
Wiederaufbau in Afghanistan wie auch für unsere
Bemühungen – darin dürfen wir nicht nachlassen – um
dauerhaften Frieden und dauerhafte Sicherheit im Nahen
Osten. Die vornehmste Aufgabe internationaler Politik
ist, Kriege zu verhüten. Daran orientieren wir uns.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Keine Realpolitik und keine Sicherheitsdoktrin dürfen
dazu führen, dass wir uns gleichsam schleichend daran
gewöhnen, Krieg als normales Mittel der Politik


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


oder, wie es einmal gesagt worden ist, als die Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln zu begreifen. Nein, wer
militärische Gewalt anordnet, der kann das nur auf der Ba-
sis ganz bestimmter Prinzipien und Möglichkeiten tun,
die in der Charta der Vereinten Nationen festgehalten
sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen: Auch als letztes Mittel der Konfliktlösung
unterliegt die Anwendung militärischer Gewalt strengsten
Beschränkungen. Ausnahmen bilden namentlich die
Selbstverteidigung gegen einen unmittelbar bevorstehen-
den bewaffneten Angriff, wie es in der Charta heißt, oder
die vom Sicherheitsrat mandatierte Abwehr einer unmit-
telbaren schweren Gefahr für den internationalen Frieden.
In diesem Sinne hat sich das Völkerrecht in einem über
Jahrhunderte währenden Prozess herausgebildet. Die Sat-
zung der Vereinten Nationen beruht auf diesem Grundsatz
des Gewaltverbots.

Übrigens, treibende Kraft dabei waren immer wieder
die Vereinigten Staaten von Amerika; denken wir an Na-
men wie Wilson oder Roosevelt. Kern dieses Prozesses ist
das Prinzip, die Stärke des Rechtes an die Stelle des
Rechts des Stärkeren zu setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ungeachtet aller aktuellen Meinungsverschiedenheiten
ist dies das gemeinsame Wertefundament, das uns fest mit
unseren amerikanischen Freunden verbindet. Die trans-
atlantische Freundschaft war nie eine eng oder egois-
tisch verstandene Zweckgemeinschaft. Sie ist und sie
bleibt eine Wertegemeinschaft. Diese Wertegemeinschaft
kann auch bei gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten
in ihrer Substanz nicht berührt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutsche und Amerikaner verbindet längst nicht mehr
nur die Dankbarkeit, die wir für die Befreiung von der
Nazidiktatur und die Chance für den demokratischen
Wiederaufbau empfinden. Nein, uns verbindet mehr. Uns
verbindet eine kulturelle Zusammengehörigkeit, die weit
in den Alltag unserer Völker hineinreicht. Und uns eint
eine Freundschaft, die auf gegenseitigem Respekt und der
Verfolgung gemeinsamer Ziele beruht und in der wir des-

halb zu unterschiedlichen Meinungen kommen und dies
ertragen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir streiten heute nicht um Details der Sicherheits-
politik, nicht um vordergründigen strategischen oder öko-
nomischen Nutzen. Wir streiten übrigens auch nicht über
Sein oder Nichtsein der NATO. Es geht uns darum, ob
Willensbildung multilateral bleibt. Bei dieser Frage geht
es auch um die gegenwärtige, vor allem aber um die künf-
tige Rolle Europas, und zwar des ganzen Europas. Dass
dieser Kontinent, dieses unser Europa, ohne engste Zu-
sammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland
seine Rolle nicht spielen kann, war immer eine gemein-
same Erkenntnis in diesem Hause.

Mir scheint, dass die Union vor dem Hintergrund der
aktuellen Probleme und Meinungen bereit ist, diese fun-
damentale Position aus taktischen Gründen aufzugeben.
Würde das der Fall sein, dann wäre das schlimm für Eu-
ropa und schlimm für Deutschlands Interessen in Europa.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Kein Zweifel, heute stellt sich die Frage der Verant-
wortung, von der ich gesprochen habe, vor allen Dingen
in der Golfregion. Ebenso wenig kann ein Zweifel daran
bestehen, dass verantwortlich dafür das Regime in Bag-
dad ist, über dessen Natur sich niemand – aber auch wirk-
lich niemand – Illusionen macht. Wir haben also dafür zu
sorgen, dass der Irak die Hindernisse ausräumt, die das
Regime einer friedlichen Entwicklung und der Herrschaft
des Rechts entgegenstellt. Wir unterstützen daher vorbe-
haltlos die Forderungen der internationalen Gemeinschaft
nach einer bedingungslosen Abrüstung des Irak und nach
seiner vollen und aktiven Kooperation mit den Waffen-
inspekteuren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Weltsicherheitsrat hat in seiner Resolution 687 im
April 1991 als Ziel und Rahmen eine ausgewogene und
umfassende Rüstungskontrolle in der Region und die Ein-
richtung einer von Massenvernichtungswaffen freien
Zone im Nahen und Mittleren Osten verbindlich festge-
schrieben – wohlgemerkt, in der gesamten Region. Die
dem irakischen Regime aufgegebene Abrüstung ist dem-
nach nur ein erster Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel,
das der Sicherheitsrat definiert hat. Durch seine wieder-
holten Verstöße gegen UN-Resolutionen steht der Irak
bisher diesen Zielen im Wege. Das ist der Grund, warum
der Weltsicherheitsrat in seiner Resolution 1441 vom
8. November 2002 einstimmig beschlossen hat, dass der
Irak lückenlos Bericht zu erstatten und verbliebene Po-
tenziale an Massenvernichtungswaffen vorbehaltlos und
nachprüfbar abzurüsten hat.

Diese Resolution trägt Deutschland mit. Wir haben ak-
tiv an ihrer Umsetzung mitgewirkt. Wir haben Personal,
Ausrüstung und Informationen – und zwar vollständige In-
formationen – für die Waffeninspekteure bereitgestellt. Wir
unterstützen die Resolution 1441 und ihr Ziel als Mitglied
und derzeitiger Vorsitzender des Weltsicherheitsrates.


(A)



(B)



(C)



(D)


1876


(A)



(B)



(C)



(D)






Genauso klar ist: Diese Resolution enthält keinen Au-
tomatismus zur Anwendung militärischerGewalt – kei-
nen Automatismus!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Wenn die Vorsitzende der CDU, wie sie das bei der Mün-
chener Sicherheitskonferenz getan hat, das Gegenteil be-
hauptet, dann irrt sie. Wenn sie dabei bleibt, dann führt sie
die Menschen in die Irre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die letzte Mission der Inspekteure in Bagdad hat, nach
allem, was wir bisher wissen, durchaus zu Fortschritten
geführt. Die Inspekteure, die morgen dem Weltsicher-
heitsrat erneut Bericht erstatten werden, haben nie einen
Zweifel am notwendigen Umfang ihrer Mission gelassen.
Unsere Verantwortung ist es, diese Inspekteure zu befähi-
gen, ihre Aufgabe erfolgreich zu Ende zu bringen.

Wie wir in unserer gemeinsamen Erklärung mit Frank-
reich und Russland, die von China unterstützt wird und
auf der Linie weiterer Mitglieder des Sicherheitsrats liegt,
betont haben, muss es darum gehen, sämtliche Möglich-
keiten für eine friedliche Lösung des Konfliktes auszu-
schöpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Das bedeutet: Die Inspektionen müssen fortgesetzt und
ausgeweitet werden.

Meine Damen und Herren, wir wissen aus unserer ei-
genen Geschichte, dass tief greifende Veränderungen oft
nur durch langfristige Prozesse erreicht werden können.
Das glückliche Ende des Kalten Krieges ist eben auch ein
Erfolgsbeweis für die Politik der Eindämmung und der
Abschreckung. Ohne dass je eine militärische Option zu
Gebote gestanden hätte, konnten am Ende die Ziele von
Freiheit, Frieden und Rechtsstaatlichkeit erreicht werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Entscheidend war in diesem Prozess das beharrliche Ein-
treten für unsere Werte und Prinzipien im Rahmen des
Bündnisses.

Auch damals gab es mitunter Meinungsverschieden-
heiten und vielen, die damals dabei waren, ist das auch
sehr wohl bewusst. Aber genauso wie heute stand die
prinzipielle Einigkeit im Ziel einer freiheitlichen, fried-
lichen Ordnung unseres Kontinents nie infrage. Auch
heute bekennen wir uns ausdrücklich zu unseren Bünd-
nisverpflichtungen und nehmen sie auch wahr.

Das Bündnis hilft Partnern, die in Gefahr sind. Das be-
zieht sich ausdrücklich auch auf die Türkei, die sich auf
unsere Solidarität bei einer Gefahrenabwehr jederzeit ver-
lassen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte auch sagen: Den Forderungen innerhalb der
NATO, die in dieser Hinsicht erhoben worden sind, haben
wir tatsächlich längst entsprochen. So habe ich schon im
Dezember öffentlich zugesagt – daran darf kein Zweifel be-
stehen; gelegentlich ist er aus anderer Richtung geäußert
worden –, dass die deutschen AWACS-Besatzungsmitglie-
der für den Schutz des Bündnisgebietes, damit auch für den
Schutz der Türkei, zur Verfügung stehen. Ich habe zugleich
darauf hingewiesen, dass es keine direkte oder indirekte Be-
teiligung an einem Krieg geben wird, und dabei bleibt es.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zusammen mit den Niederlanden stellen wir der Tür-
kei das modernste Gerät zur Raketenabwehr zur Verfü-
gung, das es in Europa zurzeit gibt, nämlich die Patriot-
Systeme. Übrigens: Wir haben diese Systeme auch nach
Israel geliefert. Ich denke, wir sind uns jedenfalls insoweit
einig, dass das eine notwendige und richtige Entschei-
dung gewesen ist.

Hinzu kommt – auch das müssen wir unseren Partnern
gelegentlich sagen –: Soldaten der Bundeswehr beschüt-
zen seit Ende Januar amerikanische Kasernen, Flug-
plätze und Einrichtungen. Etwa 1 000 deutsche Solda-
ten sind bereits für diese Aufgaben eingesetzt und es
werden deutlich mehr werden. Auch aufgrund der Tatsa-
che, dass wir diese Leistungen erbringen, halten wir mit
unseren Freunden aus Frankreich und Belgien einen
förmlichen Beschluss darüber vor den Erörterungen des
Sicherheitsrates für nicht angemessen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und haben uns im Einklang mit unseren Partnern in Frank-
reich genau so verhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für uns steht die Solidarität mit der Türkei und die So-
lidarität in der Allianz außer Frage; doch wir halten – an-
ders als die Opposition – die Aktionseinheit mit Frank-
reich gerade in der jetzigen Situation für unverzichtbar.
Wir sagen daher deutlich: In der deutschen Politik kann es
niemals darum gehen, diese Solidarität mit Frankreich
aufzukündigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/ CSU]: Das haben Sie doch gemacht!)


Wir alle wollen die Entwaffnung des Irak. Unter-
schiedlicher Meinung sind wir hinsichtlich der Wahl der
Mittel zur Durchsetzung und der Zeitvorstellung zur Er-
reichung des Ziels.

Meine Damen und Herren, der Bundesaußenminister
hat im Weltsicherheitsrat darauf hingewiesen, dass
während der Inspektionen von 1991 bis 1998 nachweis-
lich mehr Massenvernichtungswaffen im Besitz des Irak
abgerüstet worden sind als während des gesamten Golf-
krieges. Es spricht also alles dafür, dass kontrollierte
Abrüstung und wirksame Inspektionen ein durchaus taug-
liches Mittel zur Beseitigung der Gefahr, die von Mas-
senvernichtungswaffen ausgeht, sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bundeskanzler Gerhard Schröder




Bundeskanzler Gerhard Schröder

Wer angesichts dessen heute einer militärischen Option
den Vorzug gibt, muss glaubhaft machen, dass es keine
Alternative zum Krieg gibt. Die Bundesregierung – ich
sage es bewusst noch einmal – ist gemeinsam mit Frank-
reich, Russland, China und zahlreichen anderen Staaten
ausdrücklich nicht der Meinung, dass es keine friedliche
Alternative gibt. Es gibt eine und wir kämpfen darum, sie
zu realisieren.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Ebenso wie unsere europäischen Partner und die Ver-
einigten Staaten wollen wir dazu beitragen, auch im Na-
hen Osten eine dauerhafte und stabile Friedensordnung zu
schaffen. Dazu gehört die Sicherheit Israels ebenso wie
ein unabhängiger, lebensfähiger und demokratischer
Staat der Palästinenser.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine militärische Auseinandersetzung im Irak würde nach
unserer Einschätzung diesen Prozess nicht erleichtern,
sondern deutlich verlängern und deutlich erschweren.
Eine militärische Konfrontation und die Besetzung des
Irak würden im Übrigen die Reform- und Dialogbereit-
schaft in islamischen Ländern vermutlich weiter blockie-
ren und die Gefahr terroristischer Anschläge deutlich er-
höhen.

Wenn ich – und mit mir der Außenminister – so lei-
denschaftlich dafür kämpfe, dem Frieden eine Chance zu
geben


(Lachen bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der wird auch einmal erwähnt!)


– Sie werden das heute schon noch erleben; seien Sie da
ganz sicher –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


dann geschieht das eben auch aus Sorge um die Folgen für
die Region und aus Sorge um die Folgen für Israel. Eine
neue Welle des Kamikazeterrors mit seinen entsetzlichen
Opfern unter dem israelischen Volk und als Folge der Ver-
geltungsschläge auch unter dem palästinensischen Volk
müssen gerade wir vermeiden helfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Einer der wesentlichen Gründe, warum es den Verei-
nigten Staaten und uns nach dem 11. September 2001 ge-
lungen ist, eine breite Koalition gegen den Terror zu
schmieden, war die Ablehnung der Idee, es könne sich um
einen Kampf der Kulturen oder um einen Feldzug des
Westens gegen den Islam handeln.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir jetzt den Prozess der Abrüstung des Irak und der
politischen Befriedung für gescheitert erklärten, würden
wir, befürchte ich, Fanatikern, die diese Konfrontation der

Kulturen herbeipredigen und mit ihren schändlichen At-
tentaten auch herbeibomben wollen, Zulauf und Bestäti-
gung bescheren.

Dagegen beharren wir auf der Integrität einer jeden Zi-
vilisation gegen die Gewalt von Terroristen und auf der
Überlegenheit einer Friedensordnung des Rechts. Gerade
deshalb ist es unsere Pflicht und Schuldigkeit, jeden Stein
wirklich zweimal umzudrehen, um eine friedliche Lösung
zu erreichen. Das ist die Position der Bundesregierung
und ihrer Partner.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Alternative heißt eben nicht: Krieg oder Nichtstun.
Wer den Krieg ablehnt, ist nicht zum Appeasement ver-
dammt. Unser unmittelbares Vorgehen orientiert sich im
Wesentlichen an fünf Punkten:

Erstens. Die Resolution 1441 enthält keinen Automa-
tismus zur Anwendung militärischer Gewalt. Vordring-
liche Aufgabe ist es, sämtliche Mittel zur friedlichen Kon-
fliktlösung auszuschöpfen und in ihrer Anwendung zu
optimieren.

Zweitens. Irak muss umfassend und aktiv mit dem
Weltsicherheitsrat und den Waffeninspektoren kooperie-
ren. Wir brauchen eindeutige Klarheit über Massen-
vernichtungsmittel des Irak und, so es sie gibt, über deren
endgültige Abrüstung.

Drittens. Die Entscheidungskompetenz über den Fort-
schritt der Inspektionen und über sämtliche Konsequen-
zen liegt beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Viertens. Entscheidendes Instrument für die Beseiti-
gung verbotener irakischer Rüstungsprogramme ist und
bleibt ein wirksames Inspektions- und Verifikations-
regime. Es muss ausgebaut und den Erfordernissen ent-
sprechend verstärkt werden.

Fünftens. Unser Ziel ist es, dauerhafte Strukturen für
die Eindämmung von vom Irak ausgehenden Gefahren
sowie für Abrüstung und Stabilität in der gesamten Re-
gion zu schaffen.

Der französische Außenminister hat am 5. Februar im
Weltsicherheitsrat Vorschläge gemacht, die auf die Schaf-
fung eines effektiveren Inspektionsregimes abzielen.
Diese Vorschläge hat Frankreich inzwischen weiter kon-
kretisiert. Im Kern geht es darum, die Zahl der Inspekto-
ren zu verdoppeln oder zu verdreifachen, ihre Ausstattung
mit technischem Material, Infrastruktur und speziell qua-
lifiziertem Personal aufzustocken und zu diversifizieren
sowie die Koordinations-, Aufklärungs- und Eingriffs-
möglichkeiten der Inspektoren zu präzisieren und zu ver-
stärken. Diese Vorschläge werden von der Bundesregie-
rung ausdrücklich unterstützt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Parallel dazu arbeiten wir gemeinsam mit Frankreich
und anderen Partnern an Vorschlägen zur friedlichen,
vollständigen und dauerhaften Abrüstung. Diese Vor-
schläge beinhalten unter anderem die dauerhafte Über-
wachung einschlägiger Anlagen und wirksame Kontrol-


(A)



(B)



(C)



(D)


1878


(A)



(B)



(C)



(D)






len des Exports, aber auch des Endverbleibs kritischer
Güter unter Einbeziehung vor allem – aber durchaus nicht
nur – der Anrainerstaaten.

Inspektionen und Kontrollen sollten auch dazu führen,
dass wir Erkenntnisse über den Handel mit verbotenen
Kampfstoffen und Komponenten sowie Erkenntnisse
über die entsprechenden Vertriebswege zum weltweiten
Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungs-
mitteln wirksam nutzen können. Vor allem die Anrainer-
staaten des Irak müssen stärker als bisher eingebunden
werden. Die explosive Lage in der Region sowie die dort
vorhandenen Waffenpotenziale erfordern eine umfas-
sende Kooperation. Wir dürfen und wollen die Nachbar-
staaten des Irak und seine Partner in der Arabischen Liga
nicht aus ihrer Verantwortung für eine friedliche Lösung
entlassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hoffe, es ist sichtbar: Wir stellen uns unserer Verant-
wortung für den Erhalt des Friedens. Es kann nicht verkehrt
sein, selbst für die allergeringste Friedenschance auch au-
ßergewöhnliche Anstrengungen auf sich zu nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Diese Einschätzung wird im Übrigen auch von der Mehr-
heit unserer europäischen Nachbarn sowie von der Mehrheit
der Sicherheitsratsmitglieder geteilt. Auch aus diesem
Grunde unterstützen wir den Vorschlag der griechischen
EU-Präsidentschaft zur Einberufung eines Sondergipfels
am kommenden Montag. Ich denke, dass wir es schaffen
müssen – wie es Anfang Februar auch die 15 europäischen
Außenminister geschafft haben –, zu einer gemeinsamen
europäischen Position zurückzukommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland ist bereit, alle Mittel, die wir für ein nach-
haltiges, verschärftes Inspektionsregime zur lückenlosen
Abrüstungskontrolle mobilisieren können, zur Verfügung
zu stellen.

Welches die besten Mittel sind, werden wir in enger
Absprache mit den Inspekteuren und mit unseren Part-
nern im Sicherheitsrat beraten. Dabei sind wir fest davon
überzeugt: Es gibt noch Alternativen; es ist nicht zu spät,
die Entwaffnung des irakischen Regimes friedlich zu er-
reichen. Nicht nur im Sicherheitsrat, nicht nur in der Eu-
ropäischen Union, sondern auch im Bundestag, hier im
Hohen Hause, werden wir uns weiter um eine breite
Mehrheit für eine gemeinsame Position in dieser Hin-
sicht einsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Darüber hinaus, meine Damen und Herren, haben auch
die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie unsere Freunde
und Verbündeten nach wie vor einen Anspruch darauf,
von uns eine Antwort darauf zu erhalten, ob wir uns an ei-
ner Militäraktion beteiligen oder nicht. Diese Bundes-

regierung hat diese Frage mit Nein beantwortet und dabei
bleibt es.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Vor allem aber wollen die Bürgerinnen und Bürger
– sie müssen darauf vertrauen und sie können darauf ver-
trauen –, dass wir alle erdenklichen Anstrengungen unter-
nehmen, um den Frieden auch in jener Region stabiler zu
machen, um eine friedliche Lösung des Konfliktes zu er-
reichen. Ich will nicht akzeptieren, dass es nur darum
geht, Krieg zu führen mit den Freunden oder dem Frieden
eine Chance zu geben ohne sie. Wir können den Irak ent-
waffnen ohne Krieg.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Chance zu nutzen verstehe ich als Inhalt meiner
Verantwortung, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gewiss – ich weiß darum –, es gibt auch in unserem
Land eine Koalition der Willigen für einen Krieg. Nach
den Erklärungen aus jüngster Zeit gehört die CDU/CSU
dazu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


– Das haben Sie doch gesagt. – Denen, die die Chancen,
die ich erläutert habe, nicht nutzen wollen, setzen wir mit
der Mehrheit in unserem Volk den Mut zum Frieden ent-
gegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Dieser Mut zum Frieden ist das Mandat von Rot-Grün,
das uns am 22. September 2002 gewährt worden ist. Und
exakt an dieses Mandat werden wir uns halten, meine Da-
men und Herren.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich – Zurufe von der CDU/ CSU: Oh!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502500200

Ich erteile das Wort Kollegin Angela Merkel, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1502500300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute

schauen Millionen Menschen in Deutschland auf uns und

Bundeskanzler Gerhard Schröder




Dr. Angela Merkel
hören dieser Debatte zu. Sie machen sich Sorgen, ob wir,
die Politiker – egal ob Regierung oder Opposition –, un-
ser Land durch eine schwierige Zeit, insbesondere durch
den Irakkonflikt und durch den Kampf gegen den Terro-
rismus mit Klugheit und Weisheit führen können.

Die Menschen in diesem Lande wollen keinen Krieg.

(Hans-Werner Bertl [SPD]: Das ist wahr!)


Diejenigen, die in diesem Saale sitzen, wollen auch kei-
nen Krieg.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wie sehr Sie inner-
lich unter Druck stehen, hat man schon an der Lautstärke
Ihrer Stimme gemerkt.


(Lachen bei der SPD)

Dass Sie es aber nötig haben, die Opposition dieses Hau-
ses als Kriegstreiber zu verleumden,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Pfui!)

zeigt, in welcher Ecke Sie stehen. Aus dieser Ecke werden
Sie nicht herauskommen können.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wer als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch-
land den Eindruck erweckt, irgendjemand würde sich die
Entscheidung über Krieg und Frieden leicht machen und
die letzte Chance aus der Hand geben, der, sehr geehrter
Herr Bundeskanzler, hat nicht erfasst, worum es geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage Ihnen: Sie sind seit Wochen auf einem Irrweg.

Das Schlimmste ist – das sage ich mit großem Ernst; das
ist meine feste Überzeugung –, dass insbesondere Ihr Ver-
halten auf dem Marktplatz von Goslar den Krieg im Irak
leider nicht unwahrscheinlicher, sondern wahrschein-
licher gemacht hat; denn Sie haben den Druck auf Saddam
Hussein verringert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Mark [SPD]: Das ist unglaublich! – Weitere Zurufe von der SPD)


Im Gegensatz zu Ihnen war ich in München und weiß, was
ich gesagt habe. Niemand hat behauptet, dass es aufgrund
der Resolution 1441 einen Automatismus der Gewalt
gibt.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig! So ist es!)


Sie haben es auf dem Marktplatz von Goslar aber für not-
wendig erachtet, der Weltöffentlichkeit mitzuteilen, dass
Sie unter gar keinen Umständen – Ihnen ist es also egal,
was die Inspekteure herausfinden und worum sie bitten –
bereit sind, dafür zu sorgen, dass die Resolution 1441 mit
letzter Konsequenz umgesetzt werden kann.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist es!)

Das ist der Dissens und um den drücken Sie sich herum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun versuchen Sie mit zum Teil abenteuerlichen, di-
lettantischen Mitteln, über größere deutsche Zeitungen
aus dieser Ecke wieder herauszukommen.


(Widerspruch bei der SPD)

Sie müssen sich einmal vorstellen, was in München ab-
gelaufen ist. Dort standen ein Außenminister, der von
nichts wusste, und ein Verteidigungsminister, der gesagt
hat, dass wir durch die Regierungserklärung des Bundes-
kanzlers am heutigen Donnerstag über die Blauhelme in-
formiert werden. Fehlanzeige, Herr Bundeskanzler! Da-
von habe ich nichts gehört.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Des Weiteren waren dort eine Verteidigungsministerin aus
Frankreich, die erstaunt geguckt hat, ein portugiesischer
Verteidigungsminister und ein amerikanischer Verteidi-
gungsminister, mit denen natürlich auch niemand gespro-
chen hat, anwesend. Das ist das, was wir kritisieren. Herr
Bundeskanzler, ich glaube, wir tun dies zu Recht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Krieg zu vermeiden ist ein richtiger Wunsch. Die Poli-

tik ist ihm verpflichtet. Ich sage aber auch: Sie vermengen
die Dinge. Sie selber stehen angeblich dazu, dass die
NATO eine Wertegemeinschaft ist.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Was heißt hier „angeblich“?)


Sie selber wollen die Position der UNO stärken. Es ist
doch ganz natürlich, dass es hin und wieder Meinungs-
verschiedenheiten gibt. Ich kann Ihnen im Übrigen sagen,
dass ich mit den Amerikanern viele Verhandlungen über
Klimaschutzabkommen geführt habe.


(Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Wissen Sie noch, wo Sie stehen?)


– Entschuldigung, wenn Sie vor lauter Selbstverliebtheit
nicht mehr außer Landes kommen, wird man doch noch
davon berichten dürfen, wie man mit den Amerikanern
verhandelt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, wir streiten hier über die Frage:

Wie kann ich in einer Gemeinschaft von Freunden, denen
ich mich durch gemeinsame Werte verpflichtet fühle, ei-
nen möglichst großen Teil meiner eigenen Vorstellungen
umsetzen? Das kann ich nicht dadurch, dass ich Dinge
verkünde, ohne mich abzusprechen, und Teilbündnisse
schließe, ohne andere zu informieren.


(Hans-Werner Bertl [SPD]: Sagen Sie, was Sie wollen, Frau Merkel!)


Damit schwäche ich die Europäische Union, die NATO,
die UNO, den Sicherheitsrat und die Arbeit der Inspek-
teure.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weil Sie sich so verhalten haben, wie Sie sich verhal-

ten haben, haben Sie außenpolitischen Schaden ange-
richtet. Wenn ich von Schaden spreche, können Sie sicher
sein, dass ich mir das gut überlegt habe. Ich erinnere an
eine Gemeinsamkeit von Konrad Adenauer über Willy


(A)



(B)



(C)



(D)


1880


(A)



(B)



(C)



(D)






Brandt und Helmut Schmidt bis Helmut Kohl, die sich
jenseits aller innenpolitischen Auseinandersetzungen im-
mer einem Ziel verpflichtet gefühlt haben: Nie wieder
Krieg! Das heißt in der Umsetzung: Nie wieder ein deut-
scher Sonderweg!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, Sie versuchen den Eindruck zu

erwecken, Sie seien mit Frankreich und anderen Ländern
einer Meinung.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das bleibt nicht so!)


Der große Unterschied ist, dass sich der Präsident der
Französischen Republik seinen diplomatischen Hand-
lungsspielraum erhalten hat. Sie haben Ihren aufgegeben
und damit Deutschland in eine gewichtslose Klasse hi-
neingeführt, die nicht mehr das bewegen kann, was sie ei-
gentlich bewegen müsste.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb gestern:


(Zuruf von der SPD: Sie müssen die von heute lesen!)


Deutschland ist in einer Sackgasse angekommen und
hat, anders als Frankreich oder Russland, keine Hin-
tertüren offen. Solange Schröder in Berlin regiert,


(Franz Müntefering [SPD]: Ist alles gut!)

wird Washington ihn als Gegner sehen, in Paris und
London gilt er als überambitionierter Amateur.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, Sie können die „Süddeutsche Zei-

tung“ in Ihrer Parteitagsdiktion nicht als Helfershelfer der
Opposition bezeichnen. Deshalb rate ich Ihnen: Nehmen
Sie diese Worte ernst! Wenn es nicht um so viel ginge,
dann wäre die Sache mit dem „überambitionierten Ama-
teur“ sogar zum Lachen. Aber es geht hier nicht um eine
ganz normale Auseinandersetzung, sondern um das Ver-
halten Deutschlands in der Zukunft und damit um weit
mehr als nur um einen Konflikt.

Ich sage Ihnen sehr persönlich: 1990, als wir in Frieden
und Freiheit die deutsche Einheit in Übereinstimmung mit
Frankreich, Russland, den Vereinigten Staaten und Groß-
britannien erhalten haben, als ein Kollege aus Ihren Rei-
hen, Markus Meckel, genauso in die Zwei-plus-Vier-Ver-
handlungen wie viele andere eingebunden war, haben wir
uns nicht träumen lassen, dass Deutschland heute einen
Beitrag dazu leistet, dass Bündnisse geschwächt wer-
den und die transatlantische Partnerschaft gegen die
deutsch-französische Freundschaft ausgespielt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Widerspruch bei der SPD – Katrin Dagmar GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl die Höhe!)


Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich mache bei die-
sem Spiel nicht mit.


(Hans-Werner Bertl [SPD]: Das ist kein Spiel, Frau Merkel! – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das ist ernst, kein Spiel!)


– Das ist allerdings sehr ernst. Ich war bisher gegenüber
dem Bundeskanzler sehr freundlich.

Dass es der Bundeskanzler wagt, zu behaupten, dass
wir das Verhältnis zu Frankreich infrage stellen, um die
transatlantische Partnerschaft zu pflegen, ist eine Unge-
heuerlichkeit. Ich kann es Ihnen auch auf diese Art und
Weise sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, seit dem Bundestagswahlkampf

schüren Sie sehr subtil einen bestimmten Antiamerika-
nismus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Sie haben im Wahlkampf festgestellt: Mit mir sind Aben-
teuer nicht zu machen. Was soll das bedeuten? Mit wem
auf dieser Welt sind Abenteuer zu machen?


(Zurufe von der SPD: Mit Ihnen!)

Der Senator McCain hat auf der Sicherheitskonferenz

in München – die Sie vielleicht besser auch besucht hät-
ten, Herr Bundeskanzler – sehr deutlich darauf hingewie-
sen, dass er es ernst nimmt, wie eine große Zahl von Men-
schen in Deutschland denkt.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur in Deutschland!)


– Auch in Europa. – Derselbe Senator hat uns eindringlich
gebeten, unsererseits ernst zu nehmen, in welcher psy-
chologischen Situation sich die Menschen in den Verei-
nigten Staaten von Amerika befinden.


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das tun wir, Frau Merkel!)


Sie befinden sich nach dem 11. September in einer Phase,
in der sie bedroht und angegriffen werden. Ich rate uns
allen dringend, gemeinsam – ich betone: gemeinsam – im
Bündnis nach Lösungen zu suchen, statt Sonderwege zu
beschreiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Bundeskanzler, wer entscheidet eigentlich über
die Legitimität von Wünschen? Sie sind dem Wunsch
der Amerikaner umgehend nachgekommen – ich unter-
stütze das –, deutsch-amerikanische Einrichtungen in
Deutschland zu schützen. Warum kommen Sie dem
Wunsch der türkischen Regierung, ihr Land bzw. Ihren
Bündnispartner zu schützen, nicht nach, und zwar an
dem Tage – –


(Widerspruch bei der SPD – Hans-Werner Bertl [SPD]: Haben Sie eben nicht zugehört, Frau Merkel? Es ist eine klare Aussage gemacht worden! Nehmen Sie doch mal zur Kenntnis, was hier gesagt wird! – Zurufe von der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502500400

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller verständ-

lichen Erregung bei diesem uns sehr bewegenden

Dr. Angela Merkel




Präsident Wolfgang Thierse
Thema bitte ich Sie doch sehr darum, der Rednerin zu-
zuhören und die Zwischenrufe auf ein Minimum zu be-
schränken.


Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1502500500

Die amerikanische Regierung hat die deutsche Regie-

rung gebeten, ab Ende Januar amerikanische Einrichtun-
gen in Deutschland zu schützen. Die türkische Regierung
hat ihre NATO-Partner gebeten, umgehend Patriot-Rake-
ten zum Schutz der Türkei zu senden. Warum kommen
Sie diesem Wunsch nicht nach,


(Otto Schily, Bundesminister: Das tun wir doch!)


sondern meinen, selbst den Zeitpunkt bestimmen zu müs-
sen, zu dem die Türkei ein Recht auf diese Unterstützung
hat? Das ist die Frage, auf die Sie keine Antwort gegeben
haben.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich zitiere:
Gerade wir Deutschen, die wir durch die Hilfe und
Solidarität unserer amerikanischen ... Freunde und
Partner die Folgen zweier Weltkriege überwinden
konnten, um zu Freiheit und Selbstbestimmung zu
finden, haben nun auch eine Verpflichtung, unserer
neuen Verantwortung umfassend gerecht zu werden.
Das schließt – und das sage ich ganz unmissver-
ständlich – auch die Beteiligung an militärischen
Operationen zur Verteidigung von Freiheit und Men-
schenrechten, zur Herstellung von Stabilität und Si-
cherheit ausdrücklich ein.


(Zuruf von der SPD: Ja, genau!)

Herr Bundeskanzler, das waren Ihre Worte nach dem

11. September.

(Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Ja!)


Aber heute weigern Sie sich, die Legitimation der UNO
anzuerkennen,


(Widerspruch bei der SPD)

Resolutionen, die sie selbst verabschiedet hat, im Ernst-
fall auch wirklich durchsetzen zu können. In diesem
Punkt widersprechen wir Ihnen energisch, Herr Bundes-
kanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Geschichte des Irak – auch das vermisse ich –

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach 18 Minuten kommen Sie darauf!)

ist die Geschichte eines immerwährenden Verstoßes ge-
gen die Resolutionen der Weltgemeinschaft. Sie ha-
ben heute nur über die Anteile gesprochen, die Ihnen in
den Kram passen, Herr Bundeskanzler. Der Angriff des
Irak auf Kuwait ist von der UN mit einer Resolution be-
antwortet worden, die zum Schluss mit militärischen
Mitteln durchgesetzt wurde. Damals haben Sie Plakate
mit der Aufschrift „Kein Krieg für Öl“ geklebt. So ha-

ben Sie damals die UN-Resolution missachtet. Deshalb
stelle ich fest: Sie haben an dieser Stelle nichts dazuge-
lernt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist doch nicht so, dass die Weltgemeinschaft aus hei-

terem Himmel dazu kommt, darüber nachzudenken, even-
tuell, im allerletzten Fall, militärische Mittel einzusetzen.
Der ersten Resolution sind 16 weitere gefolgt. Es ist zum
Teil gelungen, den Irak zu entwaffnen, aber nach der
festen Überzeugung auch von Chefinspekteur Blix ist es
auch heute noch so, dass sich der Irak weigert, einem um-
fassenden Abrüstungskonzept entgegenzukommen.


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen Sie doch nicht!)


Herr Bundeskanzler, es gab 16 Resolutionen, der Chef-
inspekteur Butler hat gesagt, das mache weiter keinen
Sinn, und es gab einen erneuten Anlauf. Ich unterstütze
alles, was den Druck auf den Irak erhöht, und bin für alle
Versuche, kriegerische oder militärische Aktionen zu
vermeiden. Aber ich sage: Wir dürfen diese militärischen
Aktionen als letztes Mittel nicht ausschließen, weil sich
Saddam Hussein keinen Millimeter bewegen wird, wenn
er weiß, dass er alles tun und lassen kann und wir die Kon-
sequenzen letztendlich nicht ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben heute nur gesagt, worin keine Bedrohung

durch den Irak besteht. Ich erinnere daran, dass der Irak
seinerzeit Israelmit Scud-Raketen angegriffen hat. Was ist
eigentlich mit unserer Verantwortung vor dem Hintergrund
der deutschen Geschichte gegenüber dem Staat Israel? Und
warum haben Sie eigentlich 80 Millionen Dosen zur
Pockenimpfung gekauft, wenn Sie glauben, dass es keiner-
lei Bedrohung gibt?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was sagen Sie denn zu diesen Fragen? Sie müssen die
Menschen doch vollständig informieren, Herr Bundes-
kanzler.

Jeder hier in diesem Haus hat ein hohes Interesse da-
ran, dass der Druck auf den Irak erhöht wird. Wir sagen,
dass man deshalb die UN nicht schwächen darf – für uns
geht es um die Auseinandersetzung in der UNO –, indem
man schon vorher festlegt, wie man abstimmt. Das war Ihr
großer Fehler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, wenn wir über die Sicherheit und

über Partnerschaften sprechen, dann geht es auch darum,
dass der Stil und die Art und Weise, wie in diesen Part-
nerschaften Konflikte ausgetragen werden,


(Franz Müntefering [SPD]: Sie müssen über Stil sprechen! Das finde ich gut! Ich würde ein bisschen länger darüber nachdenken! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind nicht der Experte, Herr Müntefering, was Stil anbelangt!)


in einem Geist bestehen, der die gegenseitigen Partner an-
erkennt. Sie von der SPD und von den Grünen suchen sich


(A)



(B)



(C)



(D)


1882


(A)



(B)



(C)



(D)






im Augenblick die Partner so aus – und vereinnahmen sie
auch noch –, dass Sie andere Partnerschaften spalten.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katrin Dagmar GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Ihrem Antrag, Frau Merkel?)


Ich sage Ihnen: Mittel- und langfristig ist Deutschland ge-
nauso wie andere Länder auf Partnerschaften und auf ei-
nen starken Sicherheitsverbund angewiesen. Wir sind aus
eigener Kraft nicht in der Lage, die Sicherheit unseres
Landes und die Sicherheit Europas zu schützen. Deshalb
ist es unablässig erforderlich, bei allem Eintreten für den
Frieden alles daran zu setzen, die Zukunft dieser Partner-
schaften durch ein hohes Maß an Verlässlichkeit der Bun-
desrepublik Deutschland zu stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie meinen Vasallentreue!)


– Jetzt kommt Herr Volmer wieder und sagt: „Sie meinen
Vasallentum.“ Ich kann nur sagen: Ich rate uns allen, mit
diesem Wort verdammt vorsichtig zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer auf den Marktplatz von Goslar gehen muss, weil

er nicht die Kraft hat, die Auseinandersetzung im Bünd-
nis zu führen,


(Widerspruch bei der SPD)

der versündigt sich an der Gemeinschaft, der wir uns ver-
pflichtet fühlen. Deshalb sagen wir: Meinungsverschie-
denheiten müssen im Bündnis ausgetragen werden.


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Werden Sie doch auch! Darüber beschweren Sie sich doch gerade! Sagen Sie etwas zu Ihrem Antrag!)


Oberste Priorität hat das Ziel, zum Schluss im Bündnis
eine gemeinsame Entscheidung gegen die Diktatoren die-
ser Welt zustande zu bringen. Das ist die Aufgabe, vor der
wir stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb sage ich ganz ausdrücklich: Wir werden alles

unterstützen, was zwischen den Partnern möglich ist, um
einen Krieg zu verhindern. Wir werden vor allen Dingen
aber auch auf das hören, was die Inspekteure wünschen.
Wenn Herr Blix zum Beispiel sagt, dass es nicht darum
geht, die Zahl der Inspekteure beliebig zu vergrößern,
dann ist ein solches Wort für mich mindestens so wichtig
wie jede zehnte Titelgeschichte des „Spiegel“, Herr Bun-
deskanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb ist und bleibt es eben falsch, dass Sie sich fest-

gelegt haben zu Zeitpunkten, an denen es nichts zum Fest-
legen gab. Ich frage mich: Warum haben Sie das getan?


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben sich auf Kriegskurs festgelegt!)


Warum haben Sie sich als einziger mir bekannter Staats-
und Regierungschef bereits zu einem Zeitpunkt festge-

legt, als der UNO noch nicht einmal der erste Bericht vor-
lag?


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben sich festgelegt, Frau Merkel! Am Wochenende!)


Warum sagen Sie, obwohl Sie doch auch der UN-Charta
verpflichtet sind – die UN-Charta enthält ganz ausdrück-
lich die Möglichkeit, die eigenen Resolutionen auch mit
militärischen Aktionen durchzusetzen –, Deutschland
werde dabei nicht mitmachen?


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben sich auf militärische Aktionen festgelegt!)


Herr Bundeskanzler, ich sage – ich habe lange darüber
nachgedacht –: Es hat rein innenpolitische Gründe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie, Herr Bundeskanzler, haben nicht das, was ein souve-
räner Bundeskanzler haben müsste: die innere Freiheit, in
Bezug auf die internationale Staatengemeinschaft auch
frei und verantwortlich und in Partnerschaft zu entschei-
den.


(Zuruf von der SPD: Wir haben einen Wählerauftrag!)


Sie haben hier und heute von den Abstimmungen über
den Einsatz in Afghanistan gesprochen. Wir erinnern uns
genau. Damals, unter der ganz vehementen und für alle
noch fühlbaren Bedrohung des 11. September, haben Sie
es nicht geschafft, eine Mehrheit in Ihren Reihen zusam-
men zu bekommen,


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen haben letztes Mal vier Stimmen gefehlt!)


ohne diese Abstimmung gleichzeitig mit der Vertrauens-
frage zu verbinden. Herr Bundeskanzler, ich sage es ganz
ruhig und es ist ja auch vollkommen klar: Sie wissen, dass
Sie bei Entscheidungen für einen Einsatz deutscher Sol-
daten – in welcher Form auch immer; schon bei der Zur-
verfügungstellung von Patriot-Raketen für die Türkei –
keine eigene Mehrheit in diesem Hause haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie wissen, dass Ihre Stellung als Bundeskanzler der Bun-
desrepublik Deutschland eine zweite Vertrauensfrage
nicht durchhalten würde und dass deshalb Ihr eigener
Machtanspruch beendet wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, wer es nicht einmal schafft, in den

eigenen Reihen eine Zustimmung zur Änderung des Kün-
digungsschutzes hier im Lande zu bekommen,


(Lachen und Zurufe von der SPD)

der steht dann eben vor der Notwendigkeit, in der Außen-
politik Verlässlichkeit und Freundschaft mit Deutschland
aufzukündigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Angela Merkel




Dr. Angela Merkel
Die Wahrheit ist – und das nimmt Ihnen die Souveränität –,
dass Sie sich auf Ihre eigene Truppe nicht verlassen kön-
nen. Deshalb werfe ich Ihnen einen Mangel an Autorität
vor. Dieser Mangel an Autorität zeigt sich in außenpoliti-
scher Unverlässlichkeit und diese außenpolitische Unver-
lässlichkeit werden wir bitter bezahlen müssen, weil sie
die Autorität der Europäischen Union, der NATO und der
UNO aufs Spiel setzt. Dabei werden wir nicht mitmachen,
Herr Bundeskanzler.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei fall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502500600

Meine Damen und Herren, auf der Tribüne hat soeben

Parlamentspräsident Halilow aus Usbekistan mit sei-
ner Delegation Platz genommen. Wir begrüßen Sie sehr
herzlich.


(Beifall)

Wir wünschen Ihnen für Ihren Aufenthalt heute in unse-
rem Hause und in den nächsten Tagen in Deutschland so-
wie für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken alles Gute.

Ich erteile nun das Wort Bundesminister Joseph
Fischer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502500700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir disku-

tieren heute auf der Grundlage der Regierungserklärung
des Bundeskanzlers über eine der gefährlichsten Krisen der
vergangenen Jahre. Sie, Frau Merkel – das hat Ihre Lan-
dung beim Kündigungsschutz klar gemacht –, haben dage-
gen eine ausschließlich innenpolitische Rede gehalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bei allem Respekt: Hätte ich nicht nachgelesen, was Sie
bislang gesagt haben und was beim Abendessen in Mün-
chen Herr Stoiber gesagt hat, wäre mir die Haltung der Uni-
onsfraktion nicht bewusst. Ehrlich gesagt, sie ist mir nach
Ihrer heutigen Rede nicht klarer geworden. Mich erstaunt
schon, dass Sie nichts dazu gesagt haben, dass sowohl Sie
als auch – beim Abendessen in München – Herr Stoiber er-
klärt haben, Sie seien, wenn es nicht anders gehe und eine
militärische Aktion notwendig sei, für eine militärische Be-
teiligung Deutschlands. Das, Frau Merkel, hätten Sie heute
vor dem Deutschen Bundestag sagen sollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Exakt darauf hat sich der Bundeskanzler bezogen. Ich
kann Ihnen nur sagen: Hier ist der Unterschied völlig klar.
Ihr Kollege Pflüger war ja in München von herzerfri-
schender Deutlichkeit. Denn dort hat er gesagt: Wenn wir
gewonnen hätten – Konjunktiv! –, dann hätten wir den
Brief der Acht unterschrieben. Nun sage ich Ihnen: Sie

haben nicht gewonnen. Wenn Sie aber diese Position of-
fen im Bundestagswahlkampf vertreten hätten, dann hät-
ten Sie noch ganz anders verloren. Denn eines müssen Sie
wissen: Für diese Position gibt es in Deutschland keine
Mehrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Kommen wir zurück zum eigentlichen Thema. Sie ha-
ben fast die ganze Zeit nur über Stilfragen geredet. Wir
müssen aber über die Frage reden, wie wir die Krise lösen
können, und zwar so, dass es nach Möglichkeit nicht zu
einer weiteren Destabilisierung kommt. Das ist die ent-
scheidende Frage. Wir müssen Alternativen zum Krieg
finden und eine Politik machen, die diese Alternativen ge-
meinsam mit unseren internationalen Partnern durch- und
umsetzen will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben nichts gegen innenpolitische Kontrover-
sen. Ich weiß, dass Sie und eine große Anzahl von Kolle-
gen sich Sorgen machen. Schließlich rede auch ich im
Ausschuss mit den Kollegen, und zwar nicht nur kon-
frontativ, sondern auch vertrauensvoll unter vier, sechs
oder acht Augen. Die Sorge ist, dass wir langfristige Ent-
scheidungen treffen, wenn es zum Krieg kommt. Ich
möchte Ihre Gegenargumente gerne ernst nehmen – das
ist nicht der entscheidende Punkt –, zumal sie auch „va-
lable“ sind. Nur, lassen Sie uns nicht auf der Ebene dis-
kutieren, die Sie vorgegeben haben. Lassen Sie uns viel-
mehr ringen um eine Reduktion der Risiken und um einen
Weg zum Frieden. Darum geht es doch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für mich ist entscheidend: Wir sind dem Frieden ver-
pflichtet, Frau Merkel. Dazu haben Sie leider nichts Kon-
kretes gesagt. Sie haben sich lediglich abstrakt dazu be-
kannt. Aber wo ist das Angebot der Unionsfraktion, alles
zu tun – ich werde Ihnen nachher unsere Alternativen im
Einzelnen darstellen –, damit die nicht kriegerischen Mit-
tel ausgeschöpft werden können? Wenn die Opposition
ein entsprechendes Angebot machen würde, wäre ihre Po-
sition wesentlich glaubwürdiger. Ich weiß, dass viele von
Ihnen und vor allen Dingen auch Ihre Wählerinnen und
Wähler dies teilen; denn anders ist es nicht zu erklären,
dass 71 Prozent der deutschen Bevölkerung einen Krieg
ablehnen. Eine solch eindeutige ablehnende Haltung gibt
es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritan-
nien und in Frankreich, wo die Zahlen genauso hoch sind.
Als wir gestern in Spanien waren, habe ich gelesen, dass
91 Prozent der dortigen Bevölkerung einen Krieg ableh-
nen. Es ist doch nicht wahr, dass die europäischen Bevöl-
kerungen plötzlich antiamerikanisch geworden sind. Das
sind keine antiamerikanischen Mehrheiten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Man muss begreifen, dass vielen Menschen nicht klar
ist, wie wir nach dem 11. September, wie wir nach der tief
empfundenen Solidarität mit unseren angegriffenen ame-
rikanischen Partnern zu einer friedlichen Entscheidung


(A)



(B)



(C)



(D)


1884


(A)



(B)



(C)



(D)






im Fall des Irak kommen können. Das ist durch Ihre Rede
nicht klar geworden. Es ist auch den meisten Europäern
nicht klar. Wenn es darauf keine Antwort gibt, werden Sie
die Ablehnung nicht überwinden können. Bis heute habe
ich darauf keine wirklich überzeugende Antwort gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Schauen wir uns die Risiken an! Wir sind durch das
Grundgesetz verpflichtet, alles zu tun, um Krieg zu ver-
meiden, auch wegen der schlimmen humanitären Folgen.
Wir wissen doch: Wenn es zu einer bewaffneten Aktion im
Irak kommt, müssen viele unschuldige Menschen sterben.
Genau das muss uns doch verpflichten, alles zu tun, um
Alternativen zu finden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Das Zweite ist die regionale Stabilität. Dazu kann ich
Ihnen versichern: Diese Bundesregierung unter Bundes-
kanzler Schröder wird alles tun und tut alles, um das Exis-
tenzrecht und die Sicherheit Israels und seiner Menschen
zu schützen. Darüber gibt es mit uns überhaupt keine Dis-
kussion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen haben wir auch die Patriot-Raketen geliefert,
und zwar nicht erst, nachdem der Ernstfall eingetreten ist.
Für uns war und ist es eine Selbstverständlichkeit, dass
wir solidarisch zu Israel stehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Und die Türkei?)


– Auf die Türkei komme ich noch zu sprechen.
Die Frage der regionalen Stabilität ist eine sehr ernste.

Dazu kann ich nur noch einmal sagen: In der Welt nach
dem 11. September hätte ich mir – das war der erste Dis-
senspunkt – eine andere Prioritätensetzung gewünscht.
Im Fall von Afghanistan gab es keine Alternative, weil
Afghanistan die staatliche Basis des Terrors von al-Qaida
war. Insofern war völlig klar, dass wir eine sehr schwie-
rige Entscheidung zu treffen haben würden, und wir
haben sie getroffen. Unsere Soldaten leisten dort eine
unverzichtbare, eine riskante, aber für den Frieden zwin-
gende Arbeit. Es gilt, ihnen dafür zu danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will Ihnen in dem Zusammenhang einmal etwas
sagen, Frau Merkel. Es gab den Hubschrauberabsturz, bei
dem sieben unserer Soldaten das Leben verloren haben.
Es war eine bewegende Trauerfeier. Dort waren wir mit
den Angehörigen zusammen. Ich habe mit der Ehefrau
von einem der tödlich verunglückten Soldaten gespro-
chen. Es fiel mir schwer, die richtigen Worte im privaten
Gespräch zu finden, was Sie verstehen werden. Ich habe
ihr unter dem Eindruck meines Besuchs dort 14 Tage vor-
her gesagt, dass die Präsenz unserer Soldaten im Rahmen

der friedenserhaltenden Maßnahmen der Vereinten Natio-
nen in Kabul unverzichtbar ist. Die Ehefrau hat mir unter
Tränen gesagt: Herr Fischer, auch wenn es bitter für mich
ist: Wir alle am Standort wissen dies. Aber bitte, bitte
nicht in den Irak! – Ich kann Ihnen versichern: Das war
eine eher konservativ denkende Frau.

Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass es eine
tiefe Sorge der Menschen in diesem Land gibt. Eine Re-
gierung kann sich davon nicht abkoppeln. Das ist aller-
dings nicht der alleinige und zwingende Grund. Aber,
Frau Merkel, Sie müssen dann schon sehr überzeugende
Gründe für einen Einsatz haben, das heißt, alle friedlichen
Mittel müssen wirklich ausgereizt sein. Der Bundeskanz-
ler hat Ihnen heute dargestellt, dass dies mitnichten der
Fall ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In der Welt nach dem 11. September müssen wir uns
mit der Frage des Terrors beschäftigen. Wenn es nach mir
gegangen wäre, dann würden wir diese Frage an die
Spitze der Prioritätenliste setzen und dort festhalten. Das
ist der entscheidende, der erste Punkt. Die Lösung regio-
nalerKrisen ist für mich der zweite Punkt. Wenn Sie sich
die Genesis des Konflikts anschauen, dann werden Sie
feststellen, dass die Ursache für den 11. September mit
seiner ganzen menschenverachtenden Brutalität letztlich
zusammengebrochene Strukturen in Afghanistan, ein ver-
gessener Konflikt, verbunden mit dem Terror waren. Die
Lösung regionaler Krisen hätte für mich also die zweite
Priorität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Damit komme ich zum Dritten, nämlich zur Verbin-
dung mit Massenvernichtungswaffen. Das nehmen wir
sehr, sehr ernst. Nur, wenn es so ist, dass Massenvernich-
tungswaffen heute ganz anders zugeordnet werden als
noch zu Zeiten des Kalten Krieges, als es sozusagen eine
Stabilität des Schreckens gegeben hat, dann brauchen wir
doch – der Bundeskanzler hat es mit dem Beispiel Nord-
korea klar gemacht – international ein wirksames und
nicht nur in einem Einzelfall wirkendes Nichtverbrei-
tungsregime und Kontrollregime. Exakt das ist die He-
rausforderung. In einer Welt wachsender Instabilität kön-
nen wir doch nicht allen Ernstes Kriege zum Zweck der
Abrüstung von Massenvernichtungswaffen zur Strategie
erheben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Exakt das ist der Punkt. Da nützt jegliche Warnung vor
„Isolierung“ und „Sonderweg“ nichts.

Herr Perle erzählt fünfmal die Woche, wir seien irrele-
vant. Ich frage mich: Warum erzählt er das so oft, wenn
wir tatsächlich so irrelevant sind?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Bundesminister Joseph Fischer




Bundesminister Joseph Fischer
Es ist mindestens viermal zu viel. Sie wissen genauso gut
wie ich, dass wir nicht irrelevant sind. Schauen Sie sich
die Leistungen, die wir im Bündnis erbringen, an!
Schauen Sie sich an, welche Handlungsmöglichkeiten das
Bündnis ohne Deutschland hat! Sie wissen ganz genau,
dass wir essenzielle Beiträge zur regionalen Stabilisie-
rung, zur Abrüstung, zur Rüstungskontrolle und zur Frie-
denserhaltung leisten und auch in Zukunft im Bündnis
leisten werden, Frau Merkel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für uns ist ganz entscheidend, dass wir um den Frieden
wirklich kämpfen und nicht kriegerische Alternativen so
weit wie möglich ausreizen. Lesen Sie die deutsch-fran-
zösisch-russische Erklärung! Der darin formulierten Posi-
tion fühlen wir uns verpflichtet. Für diese Politik steht
diese Bundesregierung und für diese Politik hat sie eine
Mehrheit bekommen. Die Bundesregierung wird ihr
Mandat erfüllen. Auch das kann ich Ihnen von dieser
Stelle aus versichern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage das, damit bei Ihnen keine falschen Hoffnungen
aufkommen.

Wenn wir mit einer Alternative zum Krieg Ernst ma-
chen wollen, dann müssen wir drei Elemente umsetzen
– der Bundeskanzler hat sie vorhin dargestellt –:

Erstens. Der Irak darf keine Massenvernichtungswaf-
fen haben. Dazu muss er entsprechend den UN-Resolu-
tionen 1284 und 1441 voll kooperieren. Das ist der ent-
scheidende Punkt.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Jetzt frage ich einmal umgekehrt: Haben wir heute
tatsächlich einen weiter gehenden Material Breach – die
Herren Pflüger und Schäuble haben diese Auffassung im
Ausschuss schon vertreten – und sollen deswegen Serious
Consequences, das heißt kriegerische Mittel, eingesetzt
werden? Wenn Sie dieser Meinung sind, dann hat das
deutsche Volk, die deutsche Öffentlichkeit ein Recht da-
rauf, das heute von Ihnen zu erfahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Wir sind nicht dieser Meinung.
Wir sind vielmehr der Meinung, dass Saddam Hussein

seinen Verpflichtungen voll und ganz nachkommen muss,
was er noch nicht getan hat, und dass der Druck aufrecht-
erhalten werden muss. Das Instrument dazu darf jetzt aber
nicht der Abbruch der Inspektionen sein, sondern – das ist
das zweite Element; das erste Element ist die volle Ko-
operation Husseins – die Schärfung der Inspektionen.
Das steht jetzt an. Die Arbeit von Blix, al-Baradei und
ihren Teams bietet eine wirkliche Alternative zum Krieg.

Unsere Risikoanalyse beruht auf der Beantwortung
folgender Frage: Ist der Irak heute gefährlicher als noch
vor einem Jahr oder gar in Zeiten des Golfkrieges? Wir
wissen heute doch, dass wir es aufgrund der Inspektionen

bereits mit einer erheblichen Risikominimierung zu tun
haben. Können Sie der Bevölkerung erklären, warum wir
bei fortschreitender Risikominimierung und einem klei-
ner werdenden Kooperationsdefizit des Irak die Inspek-
tionen abbrechen und einen Krieg beginnen sollen? Kön-
nen Sie das begründen? Ich kann es nicht begründen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das dritte Element steht im Zusammenhang mit der
UN-Resolution 1284. Vor allen Dingen bei Biowaffen gibt
es ein großes Problem. Wenn Sie sich die Details der Bio-
waffenproduktion einmal genau anschauen, dann werden
Sie feststellen: niedrige Drücke, niedrige Temperaturen,
kleine Technologie. Das heißt, wir bewegen uns nahezu
ausschließlich im Bereich der Dual-Use-Güter, also im Be-
reich derjenigen Güter, die in hohem Maße zivil, in der
Pharmazie, in der Medizin oder wo auch immer, genutzt
werden. Eine Kontrolle, ob im Irak tatsächlich Biowaffen
hergestellt werden, wird ohne ein langfristiges Verifika-
tions- und Kontrollregime nicht möglich sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ohne ein solches Regime nützt jegliche Ausfuhrkontrolle
nichts.

Ich habe mir das einmal im Detail angeschaut. Man
müsste dort im Grunde genommen den ganzen Pharma-
zie-, den ganzen Chemie- und vor allen Dingen den ganzen
medizinischen Sektor lahm legen, was für die Menschen in
diesem Land fatale Konsequenzen hätte. Wer tatsächlich
Alternativen zum Krieg will, der kommt um ein langfristi-
ges Verifikations- und Kontrollregime nicht herum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Frau Merkel, ich sage Ihnen ganz offen: Unsere Alter-
native zum Krieg ist, diese drei Elemente umzusetzen.
Wir machen dahin gehend Druck, dass der Irak voll ko-
operiert.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Wie?)

– Ich kann Ihnen gern sagen, wie. Etwa bei meinem Be-
such am Heiligen Stuhl in Rom habe ich mehr Bereit-
schaft gefunden – –


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

– Sehen Sie: Ihre Reaktion spricht wirklich für sich.


(Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will Ihnen einmal sagen, welche große Befürchtung
man am Heiligen Stuhl hatte. Die große Befürchtung ist,
dass es zu einem Krieg der Zivilisationen und auf mittlere
Sicht zu einer Islamisierung der arabisch-muslimischen
Welt mit fatalen Konsequenzen unter dem Gesichtspunkt
Terror kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen hat der Heilige Stuhl einen Sonderbotschafter
mit der klaren Botschaft nach Bagdad geschickt, dass es
überhaupt keinen Spielraum mehr – das ist die Botschaft
der Nachbarn, das ist auch unsere Botschaft – für etwas
anderes als eine volle Kooperation mit Blix gibt.


(A)



(B)



(C)



(D)


1886


(A)



(B)



(C)



(D)






Sie dürfen sich die Frage stellen, warum Blix noch ein-
mal eingeladen wurde und wie das im Zusammenhang mit
einer Schärfung der Instrumente steht, wie sie unsere
französischen Partner vorgeschlagen haben. Wenn wir
hier noch die Mittel der langfristigen Kontrolle und der
Verifikation hinzufügen, dann haben wir meines Erach-
tens in der Tat einen systematischen Ansatz, der eine Al-
ternative zum Krieg darstellt und auch an anderen Orten
als im Irak zum Einsatz kommen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Bezogen auf die NATO gebe ich Ihnen hier Folgendes
zu bedenken: Wissen Sie, was der Unterschied zwischen
Ihnen und uns ist? Wir haben von Anfang an – der Bun-
deskanzler hat es dargestellt – erklärt, was wir für den
Schutz der Türkei im Rahmen des Bündnisses zu leisten
bereit sind, nicht bezogen auf eine Aktion gegen den Irak,
sondern strikt defensiv im Rahmen des Bündnisses. Wir
leisten mehr als viele, die uns heute kritisieren. Auch das
muss man hinzufügen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kannst du laut sagen!)


Ich konnte ja in München Erfahrungen im Umgang mit
dem Verteidigungsminister eines befreundeten Landes
sammeln, in der Tat mehr als andere. Ich könnte Ihnen Ge-
schichten von der weltlichen Seite von Rom erzählen. Da
würden Sie sich wundern. Aber das will ich nicht tun. Aus
meiner Sicht, Frau Merkel, ist der entscheidende Punkt:
Wir müssen in der NATO zusammenbleiben.


(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Ja, genau!)

– Ja, jetzt passen Sie gut auf. – Ich war gestern bei Präsi-
dent Chirac und habe ihm erzählt, wie viel die Union auf
den Brief der Acht gibt. Das liegt hier ja heute in Form Ih-
res Antrags vor. Unser Ziel ist es, Frankreich, so weit es
geht, in der NATO mitzunehmen und für Zusammenhalt
zu sorgen. Daran habe ich die vergangenen Tage hart ge-
arbeitet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit Ihrem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben und der
den Brief der Acht unterstützt, betreiben Sie, wenn Sie das
ernst meinen, nichts anderes als die Isolation Frankreichs.
Das wissen Sie so gut wie ich. Genauso wird das auch dort
gesehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns ist von entscheidender Bedeutung: Wir werden
im Rahmen des transatlantischen Bündnisses und der Eu-
ropäischen Union unsere Politik, wirkliche Alternativen
zum Krieg zu suchen und sie mit unseren Partnern auch
umzusetzen, fortsetzen. Ein Bündnis freier Demokratien
und freier Völker wird auf Dauer nicht ohne Schaden blei-
ben, wenn man auf übergroße Mehrheiten in der Bevöl-
kerung keine Rücksicht nimmt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Demokratien sind oft eigenwillig, in Demokratien muss
man Überzeugungsarbeit leisten und für eine Sache wirk-
lich überzeugend eintreten. Ich kann da nur unterstrei-
chen, was der Bundeskanzler gesagt hat, nämlich dass wir
uns vor dem Hintergrund unserer Geschichte die Ent-
scheidung von Krieg und Frieden schwer und bisweilen
sogar extrem schwer machen. Darin sehe ich keinen Nach-
teil, sondern eine Konsequenz, die sich aus unserer Ge-
schichte ergibt. Trotzdem sind wir in der Lage, unsere
Verantwortung wahrzunehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unsere Politik ist deswegen Friedenspolitik in einer in-
stabilen Welt. Wir wollen unseren Beitrag zum Kampf ge-
gen den Terrorismus weiter leisten, und da, wo es keine an-
deren Alternativen zum Zerbrechen dieser Strukturen gibt,
auch unter dem Einsatz militärischer, polizeilicher und ge-
heimdienstlicher Gewalt. Wir wollen regionale Konflikte
lösen. Ich halte das für unverzichtbar. Das betrifft nicht nur
den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, der ge-
fährlichste besteht zwischen den beiden Nuklearmächten
Pakistan und Indien um Kaschmir. Aber auch der Kaukasus
bereitet uns große Sorgen. Das alles sind regionale Kon-
flikte, die morgen unsere Sicherheit bedrohen können. Wir
müssen verhindern, dass Gruppen, die heute noch nicht
kooperieren, in Zukunft kooperieren, weil wir Fehlent-
scheidungen treffen. Wir müssen dem Terrorismus den
Nährboden entziehen, indem wir mehr und mehr Menschen
Perspektiven geben, indem wir Demokratie und Beteili-
gung an der Globalisierung nicht nur in Sonntagsreden be-
schwören, sondern Menschenrechte tatsächlich ernst neh-
men. Das heißt also, wir müssen gerade in dieser uns direkt
benachbarten Region einen langfristigen Ansatz verfolgen.
Gleichzeitig müssen wir eine echte Abrüstung bei Massen-
vernichtungswaffen durchsetzen und verhindern, dass sich
Gewaltherrscher in den Besitz von Massenvernichtungs-
waffen bringen. Dazu brauchen wir ein international wirk-
sames Kontroll- und Abrüstungsregime, das auch Zähne
zeigen und zubeißen kann.
Frankreich hat dazu Vorschläge gemacht, die wir voll un-
terstützen, und auch wir machen Vorschläge, dies als kon-
krete Alternative zum Krieg im Irak umzusetzen. Das ist
unsere Aufgabe im Sicherheitsrat. Wenn Sie Ihre Worte
ernst meinen, dann müssen Sie uns unterstützen und dür-
fen uns nicht angreifen.

Ich danke Ihnen.

(Lang anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502500800

Ich erteile das Wort dem Kollegen Guido Westerwelle,

FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1502500900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir alle haben nach dem 11. September 2001 schon

Bundesminister Joseph Fischer




Dr. Guido Westerwelle
manche wichtige Debatte in diesem Hause geführt, gerade
zur Außenpolitik. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich in
dieser gesamten Zeit in Fragen der Außenpolitik im
Grunde genommen immer mehr auf die Opposition als
auf Ihre eigenen Fraktionen verlassen können.


(Widerspruch bei der SPD)

Das Problem, das wir heute haben, ist ein Bundeskanzler,
der der Opposition in diesem Hohen Hause vorwirft, sie
sei – so wörtlich – „eine Allianz der Willigen zum Krieg“.
Ein solcher Bundeskanzler hat den Tiefpunkt der Kultur
in diesem Hause erreicht, meine sehr geehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Genau das ist es, was Sie beide mit Ihren Reden heute

hier beabsichtigt haben: Sie wollen in diesem Lande eine
Arbeitsteilung beginnen, bei der Sie als Friedensfreunde
und wir von der Opposition als Kriegstreiber fungieren. In
Wahrheit ist es genau umgekehrt:


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie machen den Krieg wahrscheinlicher und wir sind
mehr für den Frieden, als Sie es mit dieser Politik jemals
erreichen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben hier von der Stärke des Rechts gesprochen;

es gehe darum, dass nicht das Recht des Stärkeren siege.
Das ist völlig richtig. Nur, wenn wir das Recht des Stär-
keren verhindern wollen, dann – das hätten Sie gemäß der
Tradition unseres Völkerrechts hinzufügen müssen –
brauchen wir ein Gewaltmonopol der Vereinten Nationen;
denn dann muss es jemanden geben, der das Recht durch-
setzen kann. Ein Diktator lässt sich nicht mit guten Wor-
ten entwaffnen. Sie haben nicht nur eine Verantwortung
für den Frieden in Deutschland, Sie haben auch eine Ver-
antwortung für die Sicherheit in Deutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben hier darauf hingewiesen, Herr Bundes-

außenminister, dass die große Mehrheit der Bevölkerung
in Europa im Grunde genommen Ihrer Politik zustimmt.
Das ist bemerkenswert. Wir alle wissen, wie solche Mei-
nungsumfragen zustande kommen. Wenn Sie bei einer
Meinungsumfrage die Frage stellen: „Sind Sie für den
Frieden?“, dann wird es dafür mit Sicherheit eine große
Zustimmung in diesem Lande geben. Auch jeder in die-
sem Saal würde zustimmen. Aber wenn Sie weiterfragen:
„Sind Sie der Meinung, dass Druck auf den Diktator aus-
geübt werden muss, um ihn entwaffnen zu können?“, er-
halten Sie ein sehr viel differenzierteres Bild. Politik ist
eben nicht so einfach.

Sie behaupten, Sie hätten die Mehrheit auf Ihrer Seite.
Dabei haben Sie doch vor kurzem in Hessen und Nieder-
sachsen für Ihre Politik – Friedenspolitik, wie Sie be-
haupten – plakatiert und die Menschen haben sich gegen
Sie entschieden, weil Friedenspolitik differenzierter und
nicht mit solch einfachen Worten betrieben werden kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Manch einer in meiner Generation und diejenigen, die

älter sind, werden sich noch an eine Diskussion Anfang

der 80er-Jahre erinnern. Wir haben noch sehr genau in Er-
innerung, wie damals für den NATO-Doppelbeschluss
gestritten wurde, zunächst von Bundeskanzler Helmut
Schmidt, der anschließend von den Sozialdemokraten im
Stich gelassen wurde, und von Herrn Genscher und in
Fortsetzung nach dem Regierungswechsel 1982/83 unter
der Bundeskanzlerschaft von Helmut Kohl. Gegen diesen
NATO-Doppelbeschluss, gegen die damalige Regierung
hat es eine große Zahl von Demonstrationen gegeben. Es
gab Sitzblockaden und Sie waren fleißig bei denjenigen,
die Transparente getragen und mit Sitzblockierern zu-
sammengearbeitet haben. Einige von Ihnen sind damals
weggetragen worden.

Die Geschichte hat etwas anderes gezeigt. Sie hat ge-
zeigt, dass die Standhaftigkeit der damaligen Regierung,
im Rahmen des NATO-Doppelbeschlusses das durchzu-
setzen, was international richtig war, erstens den Frieden
sicherer gemacht, zweitens die Vereinigung Deutschlands
überhaupt erst ermöglicht und drittens den europäischen
Prozess vorangebracht hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben damals Unrecht gehabt und in Wahrheit betrei-
ben Sie diese falsche Politik von den Regierungsbänken
weiter.

Sie haben sich mit dem Hinweis auf Meinungsumfra-
gen entlarvt, Herr Bundesaußenminister. Ihnen geht es
nicht um die Außenpolitik, sondern darum, dass eine ins
Schwanken geratene Regierung noch einmal einen Anker
erwischt. Aber das geht schief.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Innenpolitik ist ein falsches Motiv für die Außenpoli-
tik. Dementsprechend kann es nicht so weitergehen.

Im Übrigen ist es spannend zu beobachten, mit welch
unterschiedlichen Maßstäben Sie argumentieren. Zunächst
einmal hat Ihr Bundeskanzler darauf hingewiesen, dass bei
der Bewertung der Situation im Irak und bei der Bewer-
tung von Nordkorea unterschiedliche Maßstäbe angelegt
werden. Das, was Sie sagen, ist in der Tat richtig. Genau
darin liegt das Problem. Wenn nämlich die Völkergemein-
schaft zulässt, dass Nordkorea in den Besitz von Massen-
vernichtungswaffen, in diesem Falle von Atomwaffen,
kommt, und sie nicht mehr in der Lage ist, ein solches Re-
gime zu entwaffnen, dann entsteht eine Bedrohung der
Weltsicherheit und des Weltfriedens.

Wir als Oppositionsabgeordnete wollen nicht, dass ein
Diktator in unserer unmittelbaren Nachbarschaft jemals
in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kommt, die
er auch hier in Mitteleuropa zum Einsatz bringen kann.
Das ist die entscheidende Aufgabe wehrhafter Demokra-
ten: Wer Hussein entwaffnen will, muss die Vereinten Na-
tionen stärken. Er darf sie nicht durch einen nationalen Al-
leingang – weder einen amerikanischen noch einen
deutschen – schwächen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Mit welcher Festigkeit Sie, Herr Bundeskanzler, hier

vorgetragen haben, der Irak verfüge über keine entspre-
chenden Trägersysteme, ist bemerkenswert. Hier gibt es
eine Zahl von Abgeordneten, die Ende des letzten Jahres


(A)



(B)



(C)



(D)


1888


(A)



(B)



(C)



(D)






vom Bundesnachrichtendienst informiert worden sind.
Sie haben bis heute nicht gestattet, dass diese Erkennt-
nisse veröffentlicht werden. Geben Sie dem Bundesnach-
richtendienst doch endlich die Erlaubnis, auch der deut-
schen Öffentlichkeit seine Erkenntnisse zur Verfügung zu
stellen! Ich bin sicher, das Meinungsbild wird dann anders
sein.

Weil Sie hiermit Politik machen, will ich es an dieser
Stelle auch tun; denn ich kann nicht zulassen, dass die
deutsche Öffentlichkeit hinter die Fichte geführt wird. Es
ist eine konkrete Bedrohung, wenn ein irakischer Dikta-
tor in unserer unmittelbaren Nähe an Trägersystemen ar-
beitet, mit denen die Waffen auch uns in Mitteleuropa er-
reichen können. Jeder, der Verantwortung für unser Land
trägt, darf das nicht zulassen; er muss die Vereinten Na-
tionen stärken. Denn dieser Diktator lässt sich nur über
Druck entwaffnen. Sie rühmen sich der Waffeninspek-
teure im Irak. Heute wäre kein einziger Inspekteur im
Irak, wenn es nach Ihrer Politik gegangen wäre.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Allerschlimmste, was wir jetzt erleben, ist Ihre Be-

handlung unseres NATO-Mitgliedes Türkei. Sie haben
hier eine babylonische Sprachverwirrung eingeführt. Al-
lein die Lieferung von Patriot-Raketen ist eine Realsatire.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ja!)

Weil Sie sie aus Rücksichtnahme auf Ihren grünen pazifis-
tischen Koalitionspartner nicht liefern wollen, liefern Sie
sie an die Niederlande, die sie dann liefern dürfen. Das ist
in der Tat eine Windung in der Außenpolitik, die man er-
wähnen sollte.

Das Allerschlimmste aber ist: Gibt es eigentlich in der
Außen- und Sicherheitspolitik noch irgendeine Linie? Ei-
nerseits wollen Sie die Türkei in die Europäische Union
hineinholen. Aber wenn das NATO-Mitglied Türkei um
Schutz bittet, sind Sie nicht in der Lage, richtig zu ent-
scheiden. Das ist ein Widerspruch in sich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ihre Außenpolitik ist nur noch Innenpolitik. Das hat man
den Amerikanern früher zu Recht vorgeworfen.

Wir erinnern uns daran, als auf Grenada eine Inter-
vention der Amerikaner stattgefunden hat. Viele von de-
nen, die heute auf den Oppositionsbänken sitzen, haben
damals, in jüngeren Jahren, das Verhalten der Amerikaner
kritisiert. Viele von uns haben den amerikanischen Ver-
bündeten gesagt, dass das nicht der richtige Weg ist. Viele
haben damals auch in Deutschland gesagt: Es kann nicht
richtig sein, wenn Außenpolitik nur noch Instrument der
Innenpolitik, Instrument von Wahlkämpfen wird. Das war
richtig. Es war die deutsche Tradition, dass wir die Au-
ßenpolitik nicht zum Instrument der Innenpolitik, zum
Instrument von Wahlkämpfen gemacht haben.

Sie haben eine weitere Tradition gebrochen. Große so-
zialdemokratische Persönlichkeiten wie Bundeskanzler
Willy Brandt und Helmut Schmidt sind in die deutsche Ge-
schichte eingegangen, weil sie die Einbettung Deutsch-
lands in die Völkergemeinschaft vorangebracht haben.
Sie werden als Bundeskanzler der Sozialdemokratie in die

Geschichte eingehen als jemand, der Deutschland aus der
Völkergemeinschaft herausgeführt hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist schäbig, Herr Bundeskanzler, dass Sie sich nicht ein
wenig besser und geschichtsbewusster verhalten. Ihre Po-
litik ist unhistorisch. Sie ignoriert die gesamte Linie der
deutschen Außenpolitik der Kanzler, der Außenminister
Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel.

Ich frage mich nach der heutigen Rede, was eigentlich
schlimmer ist: ein Bundeskanzler, der falsch redet, oder
ein Bundesaußenminister, der es besser weiß und trotz-
dem falsch redet, weil er fürchtet, dass seine Grünen näher
an der radikal-fundamentalistischen Position des Bundes-
kanzlers sind?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Schämen Sie sich!)


Das ist genau die Frage, über die wir zu entscheiden ha-
ben. Sie sind Getriebene, Sie handeln nicht mehr. Diese
Bundesregierung hat Deutschland wirtschaftspolitisch
ruiniert und ist jetzt dabei, dieses Land auch noch außen-
politisch zu isolieren. Das Beste für dieses Land wären zü-
gige Neuwahlen. Dafür sollten Sie Ihren Platz frei ma-
chen, meine sehr geehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502501000

Ich erteile das Wort dem Kollegen Gernot Erler, SPD-

Fraktion.

(Zuruf von der CDU/CSU: Lasst doch mal den Klose reden!)



Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1502501100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Bundeskanzler hat eine sehr persönliche Regierungs-
erklärung abgegeben. Er hat erklärt, warum er kämpft und
wofür er kämpft. Da war ein Satz, der könnte das Motto
für all diese schwierigen Wochen sein. Er lautet: Es kann
nicht verkehrt sein, selbst für die allergeringste Friedens-
chance noch außergewöhnliche Anstrengungen auf sich
zu nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Bundeskanzler, für die SPD-Bundestagsfraktion
erkläre ich: Wir sehen diese außergewöhnlichen Anstren-
gungen. Wir sind froh, dass sie jetzt Früchte tragen. Wir
schauen aber nicht nur zu, sondern unterstützen diese
außergewöhnlichen Anstrengungen von Ihnen, vom Bun-
desaußenminister, vom ganzen Bundeskabinett mit aller
Kraft und mit tiefer Überzeugung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind da nicht allein. Eine sehr große Mehrheit der
Menschen in diesem Land unterstützt diesen Kampf und
wünscht sich sehnlich, dass er Erfolg hat – eine sehr große

Dr. Guido Westerwelle




Gernot Erler
Mehrheit, aber nicht alle. Zu den Unterstützern dieser Po-
litik gehört nicht die Opposition im Bundestag mit
CDU/CSU und FDP. Man hört zwar von ihnen, dass sie
den Krieg auch nicht möchten, aber man hört überhaupt
nicht – Frau Merkel hat dazu keinen einzigen Satz ge-
sagt –, was sie dafür eigentlich tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der Opposition, auch
bei Ihnen gibt es außergewöhnliche Anstrengungen, in der
Tat – aber in eine ganz andere Richtung. Sie strengen sich
wirklich an, die Bemühungen des Bundeskanzlers und des
Außenministers verächtlich zu machen, sie herabzusetzen.
Besonders gerne tun Sie das, wenn ausländische Gäste da-
bei sind.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! – Zuruf von der SPD: Schändlich!)


Sie diffamieren unsere Nein-Entscheidung zu diesem
Krieg als bloßes innenpolitisches Taktieren.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Genau das ist es auch!)


Das war die Hauptbotschaft der Reden von Frau Merkel
und auch von Herrn Westerwelle. Sie sprechen uns damit
die Ernsthaftigkeit unserer Sorgen und den Überzeu-
gungshintergrund unserer Entscheidung ab.

Sie flüchten sich auf Seitenbühnen und toben sich dort
in Ihrer Kritikwut an der Bundesregierung aus, ohne die
tatsächliche politische Entwicklung überhaupt zur Kennt-
nis zu nehmen. Gestern gab es auf Ihren Antrag eine
Aktuelle Stunde. Ich hätte mir gewünscht, dass ganz
Deutschland diese Aktuelle Stunde verfolgt hätte. Sie ha-
ben sich eine geschlagene Stunde lang ausschließlich mit
einer Presseveröffentlichung vom Wochenende beschäftigt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und was dahinter steckt!)


Aber Sie sind nicht mit einem Satz darauf eingegangen
– Sie hätten mit uns zusammen darüber nachdenken kön-
nen –, ob die deutsch-französisch-russische Initiative
nicht doch noch eine Chance bietet, den Irak ohne Krieg
zu entwaffnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie soll man Ihnen glauben, dass Sie wirklich das Ziel
verfolgen, diesen Krieg zu vermeiden? Das fällt schwer.

Darüber wollen Sie nämlich nicht diskutieren, weil Sie
dann mit Ihren wilden Angriffen auf die Bundesregierung
eine Bauchlandung erleben würden und jeder merken
würde, dass Ihre Behauptung von der deutschen Isolie-
rung schlicht und einfach nicht stimmt. Dann würde auch
Ihre These, das kategorische Nein der Bundesregierung
zu einem Krieg mache Deutschland handlungsunfähig,
widerlegt werden. Die letzten Tage haben exakt das Ge-
genteil bewiesen, aber Sie wollen das nicht wahrhaben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nein, wenn Sie es mit dem Willen, den Krieg zu ver-
hindern, ernst meinen, dann müssen Sie jetzt aus Ihrer

Ecke herauskommen und über den Schatten Ihrer Funda-
mentalopposition springen. Dann müssen Sie wenigstens
in diesem einen Punkt die Politik des Bundeskanzlers und
des Außenministers und damit auch die Ziele der deutsch-
französisch-russischen Initiative unterstützen. Wenn Sie
das nicht können oder nicht wollen, sollten Sie wenigstens
eines anerkennen: die ernsten Sorgen hinter unseren Ent-
scheidungen.

Kann es denn sein, dass das bisherige Regelwerk der
Weltgemeinschaft nach den Anschlägen vom 11. Septem-
ber auf genau diese Regeln und Werte – als Antwort darauf
hat das mächtigste Land der Erde im Alleingang und gegen
die Regeln des bisher geltenden Völkerrechts eine neue
strategische Doktrin beschlossen – aus den Angeln geho-
ben wird? Dürfen wir überhaupt zulassen, frage ich Sie,
dass beim Kernstück des Völkerrechts, dem Gewalt- und
Kriegsverbot, jetzt die Beweislast umgekehrt werden soll?

Noch immer gilt, dass Krieg nur als letztes Mittel, wenn
eine unmittelbare Bedrohung besteht und alle anderen Mit-
tel zur Abwendung dieser Bedrohung angewandt wurden,
aber versagt haben, zulässig ist. Die Initiative von Deutsch-
land, Frankreich und Russland nimmt dieses Kernstück des
Völkerrechts ernst. Der wichtigste Satz der gemeinsamen
Erklärung lautet: „Es gibt noch eine Alternative zum
Krieg.“ Nach dem geltenden Völkerrecht ist es aber nicht
in unser Belieben gestellt, dieser Alternative eine Chance
zu geben, sondern wir sind verpflichtet, das zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer die Arbeit der Waffeninspektoren jetzt abbrechen
und durch eine militärische Intervention ersetzen will, hat
die Beweislast. Er muss zeigen, dass eine unmittelbare
und tatsächliche – nicht eine potenzielle – Gefahr für ei-
nen Nachbarstaat oder die ganze Welt anders nicht ab-
wendbar ist. Wir weigern uns, diese Regeln der interna-
tionalen zivilisierten Gesellschaft außer Kraft setzen zu
lassen. Wir tun das aus Sorge darum, in was für eine Welt
uns das führen wird. Wir spüren – dabei bekommen wir
gelegentlich eine Gänsehaut –, an welcher Weggabelung
wir im Augenblick stehen.

Lange Zeit gab es auf der Grundlage internationaler
Verträge, an die sich auch die Hauptwaffenbesitzer zu hal-
ten haben, einen Konsens über Abrüstung als Prinzip für
den Frieden in der internationalen Politik. Die Entschei-
dung über den Irakkrieg führt aus diesem Konsens heraus
in eine neue, dichotomische Welt. Da soll zwischen Gut
und Böse unterschieden werden. Die guten Länder dürfen
alle Sorten von Waffen haben, die bösen aber nicht. Wenn
diese an entsprechenden Programmen arbeiten, müssen
sie notfalls durch Krieg entwaffnet werden. Alle Ent-
scheidungen darüber trifft nicht die zuständige Weltorga-
nisation, sondern – das notfalls auch ganz allein – die
stärkste und einzige Weltmacht. Der Irakkrieg wäre in die-
sem Kontext ein Präzedenzfall; das ist unsere tiefste
Überzeugung. Er würde das Tor in eine neue Weltordnung
aufstoßen, die nicht auf Vertrag oder Konsens, sondern al-
lein auf der Macht beruht, sie so durchzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben kein Vertrauen in eine Weltordnung, in der als

böse deklarierte Länder damit rechnen müssen, dass sie


(A)



(B)



(C)



(D)


1890


(A)



(B)



(C)



(D)






durch Krieg an verbotenen Waffenprogrammen gehindert
werden, wirklich böse Länder aber – wie heute Nord-
korea –, die schon über einsatzfähige Massenvernich-
tungswaffen verfügen, keine Bestrafung fürchten müssen.
Wir sagen voraus: In einer solchen Welt wird es nicht nur
eine Serie von Entwaffnungskriegen geben; darin wird auch
Nichtverbreitung keine Chance mehr haben. Es wird logi-
scherweise einen heimlichen Wettlauf um den Besitz dieser
Waffen geben, damit man nicht mehr sanktioniert werden
kann, damit das eigene Handeln sakrosankt wird. Das ist
keine Weltordnung, in der wir leben wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nein, wir bestehen auf der Rückkehr zu dem politi-
schen Ziel umfassender Abrüstung und Rüstungskontrolle
aller Länder auf der Basis internationaler Verträge. Die
Waffen selber sind die Gefahr, auch wenn sie in Händen
der guten Länder sind. Man kann sie nicht garantiert ge-
gen verbotenen Zugriff und Missbrauch schützen. Wo
sind denn Anthrax-Briefe verschickt worden mit der
Folge, dass Regierungsgebäude und Parlamentsgebäude
für mehrere Wochen geschlossen werden mussten? Wo
gelangte denn Plutonium auf den freien Markt? Das war
nicht in irgendwelchen Schurkenstaaten, sondern in der
zivilisierten Welt, mitten unter uns. Dies zeigt doch: Es
geht um die Waffen selber. Es geht um ein Regime mit der
Sicherheit der gemeinsamen Abrüstung. Ein Irakkrieg
führt zu einer Bewegung davon weg hin zu einer neuen
Weltordnung, in der auf diese Gefahren überhaupt keine
Antwort gefunden werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bundeskanzler hat unser Nein zu einer Abkehr von
den bisherigen Regeln der Weltgemeinschaft noch einmal
bekräftigt. Unser Nein ist kein Nein des Trotzes, des Tak-
tierens oder gar der fahrlässigen Infragestellung der west-
lichen Wertegemeinschaft. Dieses Nein ist – im Gegenteil –
ein Nein zu einer Veränderung der Werte und Regeln die-
ser Gemeinschaft, die ohne jeden Verständigungsprozess
durchgesetzt werden soll.

Hier stehen wir auf der Seite von Ex-Bundespräsident
Richard von Weizsäcker, der uns geraten hat, diese Dis-
kussion mit unserem amerikanischen Partner zu führen,
aber in Form einer Freundschaft des offenen Wortes und
nicht „in blinder Unterwerfung“.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind heute dem Kern unseres Mandates, das uns
von den Wählern verliehen worden ist, in besonderer
Weise sehr nah. Es geht um die Verantwortung über den
Tag hinaus. Wir stehen an einer Weggabelung. Dies ist der
Hintergrund unserer Entscheidung und unserer Position.
Wir haben das Gefühl, die vielen Menschen, die vielen
Wähler, die uns unterstützen, folgen nicht einer Stim-
mungslage, sondern teilen diese Grundüberzeugung. Dies
macht uns stark und fest.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1502501200

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Glos,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1502501300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Kollege Erler, ich greife Ihre Worte von der Ver-
antwortung über den Tag hinaus auf. Ich bin seit mehr als
25 Jahren Mitglied dieses Hauses. Aber was in den letz-
ten Wochen an außenpolitischem Vertrauen und Porzellan
zerschlagen worden ist, macht mich fassungslos.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Trotz der aktuellen Kriegsangst, die natürlich herrscht,
wenn Truppen aufmarschieren und sich ein Diktator bis
jetzt unbeugsam zeigt, müssen wir doch immer schauen,
dass wir die Grundlagen unserer Sicherheitspolitik, die
feste Nachkriegsarchitektur, auf die unser Land aufgebaut
ist, auch für die Zukunft bewahren können. Vertrauen ist
ein ungeheuer zerbrechliches Gut; das war auf der Si-
cherheitskonferenz in München deutlich zu spüren. Es ist
sehr schnell zerstört und es dauert sehr lange, bis es wie-
der aufgebaut ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir tragen

Verantwortung für unser Land, jetzt und weit über den Tag
hinaus. In den 57 Jahren, die seit der totalen Niederlage
im Zweiten Weltkrieg vergangen sind, hat sich Deutsch-
land dank der Politik kluger Staatsmänner zu einem
gleichberechtigten, geschätzten Partner entwickelt. Wir
gehören zur westlichen Wertegemeinschaft. Das ist für ein
Volk, von dem der Holocaust ausgegangen ist, weil es
dem Diktator nicht rechtzeitig das Handwerk gelegt hat,
nicht selbstverständlich.

Wir sind stolz darauf, dass wir über eine gefestigte De-
mokratie verfügen, dass wir geschätztes Mitglied eines
Bündnisses sind, dass wir eine marktwirtschaftliche Ord-
nung haben, dass wir uns den Prinzipien der freien Welt
verpflichtet fühlen und dass wir uns ein einmalig hohes
Niveau an Wohlstand und sozialer Sicherheit erarbeitet
haben. Maßgeblich dafür war das Vertrauen, das uns die
anderen entgegengebracht haben. Dieses Vertrauen dür-
fen wir nicht verletzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu diesem Wiederaufstieg Deutschlands haben die auf

gegenseitiges Vertrauen aufbauende transatlantische Part-
nerschaft, der Schutz durch die NATO in den Jahren des
Kalten Krieges, die irreversible Einbindung in die Euro-
päische Union und die Einbettung in eine liberale Welt-
wirtschaftsordnung in besonderem Maße beigetragen.
Angesichts des Dilettantismus der letzten Wochen spüre
ich, dass dies alles für die Zukunft beschädigt ist.

Es stimmt schon eigenartig, Herr Bundeskanzler, was
große deutsche Zeitungen schreiben; ich habe einige
dabei. So ist zum Beispiel zu lesen, Wilhelm II. feiere
wieder fröhliche Urstände. Die „Süddeutsche Zeitung“

Gernot Erler




Michael Glos
schreibt von „Gerhard II.“. Wenn man das liest, dann spürt
man, dass etwas zerbricht und dass etwas entsteht, von
dem wir in Deutschland geglaubt haben, dass wir es über-
wunden haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist auch zu spüren, wenn man sich im Fernsehen

die aktuellen Nachrichten ansieht. Die NATO befindet
sich in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Das von Ih-
nen mitgetragene Veto hinsichtlich der Planung für den
Bündnisfall für die Türkei ist konzeptionslos. Es wird vie-
ler diplomatischer Künste bedürfen, um all das zu repa-
rieren, was an Porzellan zerschlagen worden ist.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere
NATO-Partner wissen doch noch: Sie waren diejenigen,
auf die die Deutschen angewiesen waren. Die NATO war
die entscheidende Basis für die Sicherung des Friedens in
den Jahren des Kalten Krieges. Davon haben wir profitiert.
Deutschland war das potenzielle Aufmarschgebiet des
Warschauer Paktes. Ohne die NATO hätten wir unsere Wie-
dervereinigung in Frieden und Freiheit niemals erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Haupt [FDP])


Die NATO ist für uns nicht überflüssig geworden, seit-
dem uns an unserer östlichen Flanke keine Panzerarmeen
mehr feindlich gegenüberstehen. Die NATO ist für uns
notwendig, damit wir uns gegen die neuen terroristischen
Bedrohungen, die es auf der Welt gibt und die zunehmen,
verteidigen können; denn nur das gemeinsame Bündnis
verfügt über die entsprechenden Mittel.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht hinsichtlich der Außenpolitik ein Riss durch

Europa.

(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deswegen machen Sie diesen Antrag? Ihr Antrag ist der Riss!)


– Das steht alles in dem Antrag. Machen Sie sich keine
Sorgen, Frau Göring-Eckardt! Hören Sie zu! Sie können
nur lernen.


(Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich mache mir keine Sorgen!)


Der Aufruf der acht EU-Regierungschefs zur transat-
lantischen Solidarität – jetzt komme ich auf den Antrag zu
sprechen – ist Ausdruck der abnehmenden Gemeinsamkeit
der Europäer. Warum sind denn die Deutschen nicht gefragt
worden, ob sie diesen Antrag mit unterschreiben? Vielleicht
wären wir zu einem gemeinsamen Antrag gekommen, Herr
Bundeskanzler. Es gab aber nie den Versuch, eine gemein-
same Position in Europa herzustellen. Wenn man sich von
vorneherein von seinen Partnern distanziert und ihnen zu
verstehen gibt, egal was sie beschließen, man mache nicht
mit und, egal was die Weltgemeinschaft vorsieht, man gehe
einen Sonderweg, dann muss man sich nicht wundern,
wenn man am Ende alleine dasteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fas-
sungslosigkeit bei unseren amerikanischen Freunden gibt
es nicht nur bei George Bush, bei Rumsfeld und den Re-
publikanern. Vielmehr ist diese Sorge auch auf der ande-
ren politischen Seite sehr verbreitet.

Ich war nach der Sicherheitskonferenz abends in der
Residenz Nachbar von Senator Lieberman. Er war be-
kanntlich der Vizepräsidentschaftskandidat der Demokra-
ten. Als ich ihm gesagt habe, dass wir nur wegen etwas
mehr als 6 000 Stimmen den ersten Platz bei der Bundes-
tagswahl verfehlt hatten, entgegnete er, die Demokraten
in den USA hätten den ersten Platz nicht wegen der Stim-
menzahl, sondern wegen des Wahlsystems verfehlt, sonst
wäre er heute Vizepräsident. Aber trotz dieser Wahlaus-
einandersetzung ist man sich heute einig, dass man ge-
meinsam den Terrorismus bekämpfen muss, dass man ge-
meinsam gegen Schurkenstaaten vorgehen muss,


(Franz Müntefering [SPD]: Das liegt doch an Ihnen! Das können Sie doch auch haben!)


dass man gemeinsam Saddam Hussein in die Schranken
weisen muss. Es ist auch hier gesagt worden: Ohne ame-
rikanische Soldaten dort wären heute keine Waffenin-
spekteure im Irak.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was mir mindestens so viel Sorgen macht wie der mög-

licherweise bevorstehende Krieg, ist die Tatsache, dass
wir heute eine Art Sprachlosigkeit in den deutsch-ameri-
kanischen Beziehungen haben. Herr Bundeskanzler,
wenn Sie zum Telefon greifen und den amerikanischen
Präsidenten anrufen wollen, hebt auf der anderen Seite
niemand den Telefonhörer ab.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist etwas, was uns keine Schadenfreude bereitet, son-
dern es macht uns zutiefst besorgt. Ich darf einen Demo-
kraten zitieren. Tom Lantos, ein hochrangiges Mitglied
des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses,
hat gesagt:

Hätte es die heldenhaften Anstrengungen des ameri-
kanischen Militärs nicht gegeben, wären Frankreich,
Deutschland und Belgien heute sozialistische Sowjet-
republiken.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502501400
Sind Sie denn ei-
gentlich von allen guten Geistern verlassen, wenn Sie eine
Außenpolitik, zum Teil an Ihrem eigenen Außenministe-
rium vorbei, machen, nach dem Motto: „Den Herren Bush
und Blair werden wir es zeigen!“? Wer das als Deutscher
glaubt machen zu können, der leidet unter Großmanns-
sucht und vor Großmannssucht sollten wir uns hüten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Heute wird die Achse Moskau-Berlin-Paris beschworen.

Ganz davon abgesehen, dass das Wort „Achsenmächte“ in
Deutschland und in Europa keinen guten Klang hat, muss
man erst einmal abwarten, ob diese Achse am Schluss hält.
Tatsache ist zum Beispiel, dass unser Partner Frankreich
zwar immer bei internationalen Krisen zunächst einen ei-
genen Kurs verfolgt hat, aber am Ende doch auf der Seite
der westlichen Gemeinschaft gestanden ist. Es ist auch


(A)



(B)



(C)



(D)


1892


(A)



(B)



(C)



(D)






Tatsache, dass sich der russische Präsident Putin alle
Türen offen gelassen hat.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist das!)

Die Frage ist doch: Worum geht es in diesen Tagen und

Wochen? Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf hat
es wie folgt auf den Punkt gebracht:

Als erster Diktator seit Hitler vereint Saddam Hussein
in seiner Politik Elemente des europäischen Faschis-
mus und Stalinismus, blutigen Terror gegen die eigene
Bevölkerung, Aggressivität gegenüber anderen Staa-
ten, Antizionismus und Antisemitismus, den eindeuti-
gen Wunsch, die Kontrolle über bedeutende Teile der
weltweiten Ölversorgung zu erlangen, sowie eine un-
beirrbare Entschlossenheit, sich chemische, biologi-
sche und atomare Waffen zu beschaffen.

Deswegen war doch die Antwort der Völkerfamilie klar
und unmissverständlich: glaubwürdige Kooperation mit
der UNO, ungehinderte Arbeit der Inspektoren, nachprüf-
bare Entwaffnung und definitiver Verzicht auf Massen-
vernichtungswaffen. Der Bericht von Chefinspektor Blix
und die Analyse von US-Außenminister Powell lassen je-
doch erhebliche und begründete Zweifel am Irak auf-
kommen und diesen Zweifeln muss man nachgehen. Die
politische Führung des Irak hält sich nicht an die Abma-
chungen. Sie täuscht, vertuscht, sie trickst und taktiert.
Wenn Saddam an dieser Strategie festhält, bleibt – das be-
fürchte ich – als Ultima Ratio, als allerletztes Mittel,
nichts anderes übrig als der Einsatz militärischer Gewalt.
Ich befürchte, dass dieses Regime keine anderen Hoff-
nungen zulässt.

Ich glaube, hier ist niemand, dem es nicht lieb wäre,
wenn sich das auf andere Art und Weise erledigen würde.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Was tun Sie denn dafür?)


Niemand – vor allem die westliche Völkerfamilie nicht –
will Krieg. Wir kennen die Lehren aus der Geschichte der
Weltkriege. Wir wissen aber eines: Mit den Mitteln der
Friedensbewegung werden wir den Diktator in Bagdad
nicht zum Einlenken bewegen. Von der Bergpredigt las-
sen sich Christen und Nichtchristen, aber keineswegs
Saddam Hussein und Diktatoren seines Schlages beein-
drucken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Gernot Erler [SPD]: Es geht um die Inspektionen!)


Wir wissen auch – lassen Sie mich das in diesen erns-
ten Zeiten sagen –: Der gesinnungsethische Pazifismus
mag als Haltung des Einzelnen akzeptabel und durchaus
ehrenwert sein, zur Sicherung des weltweiten Friedens
und zur Eindämmung von Diktatoren taugt er allerdings
nicht. Hier ist Verantwortungsethik gefragt. Wer Sad-
dam Hussein gewähren lässt, wird früher oder später für
die Folgen des Wegsehens aufkommen müssen. Um wel-
che Folgen es sich dabei handelt, war in ZDF-Sendungen
an den letzten Abenden oder bei „Boulevard Bio“ deutlich
zu sehen. Wohin eine falsch verstandene Appeasement-
Politik führt, konnte die Welt im vergangenen Jahrhundert
in der Auseinandersetzung mit dem rechten und linken
Totalitarismus erleben.

Ich habe Verständnis für die theologischen und huma-
nitären Argumente unserer Volkskirchen. Ich freue mich
auch, wenn Fischer den Papst besucht; ich habe überhaupt
nichts dagegen. Ich bin Mitglied in meiner Kirche und
zahle im Gegensatz zu vielen Leuten auf der Regierungs-
bank Kirchensteuer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu allen Zeiten habe ich mich zu dieser Kirche bekannt.


(Zuruf von der SPD: Fällt Ihnen sonst nichts ein?)


Ich kann die ablehnende Mehrheit, die gegenwärtig Angst
hat, irgendwo verstehen. Ich habe auch Verständnis für
eine Minderheit in meiner Fraktion, die gegen einen mög-
lichen Militärschlag gegen den Irak ist. Wir müssen aber
auch die Folgen des Pazifismus im letzten Jahrhundert se-
hen. Hätte die Gemeinschaft der freien Völker Hitler da-
mals rechtzeitig durch politische und – als Ultima Ratio –
militärische Mittel in die Schranken verwiesen, wäre
Deutschland und der Welt sehr viel erspart geblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, all das gilt es zu bedenken. Die pazifisti-

sche Haltung der rot-grünen Bundesregierung ist wenig
glaubwürdig. Als es darum ging, den serbischen Diktator
Milosevic in die Schranken zu verweisen, hat sich Bun-
deskanzler Schröder zu einer deutschen Beteiligung bereit
erklärt; dies erfolgte im Übrigen bemerkenswerterweise
ohne ein Mandat der UNO. Das möchte ich hier auch noch
einmal feststellen. Ich halte es trotzdem für richtig. Heute
sieht es so aus, als ob die Bundesregierung den irakischen
Diktator für weniger brutal hält als den serbischen Dikta-
tor. Man weigert sich nämlich, selbst wenn die UNO dies
so fordern sollte – damit ist zu rechnen –, das zumindest
politisch zu unterstützen. Die Strategie des Bundeskanz-
lers im Irakkonflikt bestand und besteht bis jetzt in einem
sehr schwer erklärbaren Chaos-Schlingerkurs.

Ich möchte noch von einem weiteren Erlebnis auf der
Sicherheitskonferenz erzählen. Ein ehemaliger amerika-
nischer Botschafter hat mir am Samstagmittag beim Hi-
nausgehen gesagt – zu diesem Zeitpunkt waren die Pläne,
massiv mit Blauhelmen dort hineinzugehen, durch den
„Spiegel“ bekannt gemacht worden –, er habe gedacht,
wir hätten in Deutschland keine Soldaten mehr. Er glaub-
te, unsere Kapazitäten seien bis an den Rand bean-
sprucht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das habe ich mich auch gefragt!)


Ich habe gesagt: Sie sehen das falsch, Herr Botschafter.
Wir haben nur einen Mangel an grünen Helmen. Offen-
sichtlich sind genügend blaue Helme vorhanden.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich jetzt nicht verstanden!)


– Was wollen Sie? Man kann auf so etwas nur halb scherz-
haft antworten. Die anderen amüsieren sich nämlich in
hohem Maße über uns.

Diese diplomatischen Bocksprünge sind für unser
Land schlecht, weil sie das Vertrauen in die deutsche

Michael Glos




Michael Glos
Politik unterminieren. Daran können noch nicht einmal
wir als Opposition Vergnügen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was das auch für unsere Wirtschaft bedeutet, was es

für Folgen haben wird, wenn wir uns von Amerika, der
Lokomotive der Weltwirtschaft, weiter entfernen, wenn
amerikanische Investitionen ausbleiben und unsere Pro-
dukte in den USA nicht mehr gekauft werden – worauf
wir angewiesen sind –, all das müssen wir bedenken,
wenn wir in diesen Tagen über das Verhältnis zu den USA
reden.

Die Außenpolitik und vor allen Dingen unsere Bünd-
nisfähigkeit und Solidarität sind zu wertvoll, um inWahl-
kämpfen missbraucht zu werden. Herr Bundeskanzler,
Sie haben das im Bundestagswahlkampf getan. Schon da-
mals war ich fassungslos, weil ich geglaubt habe, die
Staatsräson würde dies einem verantwortlichen Bundes-
kanzler verbieten. Sie haben dieses Verhalten im nieder-
sächsischen und hessischen Wahlkampf wiederholt. Das
hat allerdings keine Auswirkungen mehr gehabt. Das
zeigt, wie reif die Wähler in Deutschland in dieser Hin-
sicht geworden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich meine, wir sollten bei all unseren Entscheidungen

immer auch unsere Bündnisfähigkeit und Glaubwürdig-
keit im Auge haben. Wir wissen: Wir können Diktatoren
nicht besiegen, wenn wir in unserer Haltung schwanken
und als freie Welt nicht entschlossen handeln. Hussein
setzt auf die Zerstrittenheit des Westens und hofft bis zu-
letzt, dass er an der Macht bleiben kann. Er versteht die
Sprache des Pazifismus nicht. Er versteht offensichtlich
nur die Sprache der Waffen, weil das seine Sprache ist.

Ich hoffe, dass eine bewaffnete Auseinandersetzung im
letzten Moment abgewendet werden kann. Aber im Zwei-
felsfall muss ganz klar sein, dass wir an der Seite unserer
Freunde aus der freien Welt, unserer Freunde im Sicher-
heitsrat und unserer amerikanischen Freunde stehen, was
die politische Unterstützung anbelangt.

Herr Bundeskanzler, ein letzter Punkt. Sie scheuen Ab-
stimmungen im Bundestag für eine notwendige Unter-
stützung offensichtlich wie der Teufel das Weihwasser.
Wenn Sie eine Zustimmung für den Einsatz von Patriot-
Raketen – meinetwegen auch mit deutschem Bedienungs-
personal – brauchen, wenn Sie eine Unterstützung für den
Einsatz deutscher Soldaten in den AWACS-Maschinen
benötigen, sich aber auf Ihre Reihen im Bundestag nicht
verlassen können, dann sage ich Ihnen: Auf uns ist Ver-
lass, wenn es um die Sicherheit unseres Landes für die Zu-
kunft geht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502501500

Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Peter Struck.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Noch einer, der überrascht war!)



Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1502501600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wir reden über die aktuelle internationale Lage. Ich
möchte zunächst ein Wort zur Situation in Afghanistan
sagen.

Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren in vie-
len Krisen und Konflikten und nicht zuletzt im Kampf ge-
gen den Terrorismus als ein sehr zuverlässiger Verbünde-
ter erwiesen. Das zeigt sich vor allen Dingen auch in
Afghanistan. Sie wissen, dass wir dort zu Beginn dieser
Woche zusammen mit den Niederländern eine noch
größere Verantwortung übernommen haben. Lassen Sie
mich meine persönlichen Eindrücke von dieser Über-
nahmezeremonie schildern.

Das Land ist absolut nicht sicher. Das haben auch die
Anschläge gezeigt, die anlässlich meines Besuches und
des Besuches des niederländischen Kollegen verübt wor-
den sind. Diejenigen, die die Raketen abgeschossen ha-
ben, wollten uns signalisieren: Seid euch nicht zu sicher!
Wir können auch anders, wenn wir wollen! – Es bestand
nie eine persönliche Gefahr für mich oder meine Beglei-
tung. Aber es ist ein politisches Signal gewesen, das wir
nicht unterschätzen sollten.

Die Fortschritte in Kabul sind jedoch unverkennbar.
Afghanistan erholt sich von den Wunden, die das Tali-
banregime geschlagen hat. Ich war das erste Mal im
Juli 2002 in Kabul. Damals konnte man die Schreckens-
starre der Menschen wegen der Talibanterroristen noch
mit den Händen greifen. Ein halbes Jahr später hat sich
dieses Land zu einem Lächeln geöffnet, insbesondere
wenn man mit Kindern spricht. Diese Entwicklung wäre
ohne den Einsatz der Bundeswehr nicht vorstellbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir dürfen auf den Einsatz unserer Soldaten für den
Frieden in diesem geschundenen Land stolz sein. Die
Menschen wenden sich vor allen Dingen den Bundes-
wehrsoldaten geradezu mit Liebe zu. Sie wissen, dass sie
uns bzw. den Bundeswehrsoldaten die Schritte zur Nor-
malität verdanken. Auch die Taliban wissen das. Die Tali-
ban wie auch die Hekmatyar-Rebellen und al-Qaida-Res-
te wollen den ISAF-Soldaten das Handwerk legen. Uns
liegen entsprechende Informationen unserer Dienste und
unserer Partnerdienste vor. Sie rächen sich mit Selbst-
mordanschlägen und Raketenangriffen. Unsere Soldaten
sind in ihrem Auftrag der Weltgemeinschaft, ein demo-
kratisches Afghanistan aufzubauen, höchst gefährdet.

Ich unterstreiche, was der Bundeskanzler dazu ausge-
führt hat. Auch angesichts der persönlichen Gefährdung für
ihr Leben, der die Soldaten vor allem in Afghanistan aus-
gesetzt sind, verdienen sie unseren höchsten Respekt und
unsere höchste Anerkennung für ihren Einsatz. Diese Auf-
fassung teilt sicherlich der gesamte Deutsche Bundestag.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich spreche das deshalb an, weil ich Ihnen meine Auf-
fassung zu den Äußerungen meines amerikanischen Kol-


(A)



(B)



(C)



(D)


1894


(A)



(B)



(C)



(D)






legen Donald Rumsfeld im amerikanischen Kongress
verdeutlichen möchte. Ich habe das übrigens auch dem
Kollegen Rumsfeld in einem Vieraugengespräch mitge-
teilt.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da wäre ich gern dabei gewesen!)


Das deutsche Engagement im Kampf gegen den Terro-
rismus hat die USA spürbar entlastet. Daran kann wohl
kein Zweifel bestehen. Angesichts der Tatsache, dass sich
abgesehen von dem Kommando Spezialkräfte der deut-
schen Bundeswehr keine anderen Special Forces mehr im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Afgha-
nistan aufhalten – alle anderen sind schon verschwun-
den –, meine ich, dass wir uns nichts vorwerfen zu lassen
haben, schon gar nicht von den Vereinigten Staaten von
Amerika.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir vergessen nie, dass wir durch die amerikanische
politische und wirtschaftliche Unterstützung in einem sta-
bilen demokratischen Land leben dürfen. Auch ich ver-
gesse das nie. Das heißt aber nicht, dass ich es akzeptiere,
dass Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Deutsch-
land in einem Atemzug mit Kuba und Libyen nennt. Das
ist inakzeptabel, unfair und mehr als ungehörig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das habe ich ihm auch persönlich gesagt. Ich will Ihnen
auch erläutern, warum ich das für absolut unfair und un-
amerikanisch halte. Das Gebot der Fairness ist schließlich
fast eine amerikanische Grundtugend.

Wir haben die Überflugrechte und die Nutzung der
US-Basen beschlossen. Wir haben beschlossen, dass
Truppenverlegungen über deutsches Territorium möglich
sind. Wir bewachen seit dem 24. Januar US-Einrichtun-
gen. Gestern waren für diese Aufgabe 999 Soldaten an
18 Standorten in 17 Objekten im Einsatz. Maximal kön-
nen 7 000 Soldaten abgestellt werden. Ich habe Rumsfeld
darauf angesprochen, was wohl unsere Soldaten, die in
der Winterkälte solche Einrichtungen schützen, darüber
denken, wenn ihr Land mit Libyen und Kuba gleichge-
setzt wird. Das geht nicht an und das kann man ihm nicht
durchgehen lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Abg. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Er ist ein Mann, der eine klare Sprache spricht. Das bin
ich aber auch und ich meine, das geht nicht.


(Zurufe von der CDU/CSU: Herr Präsident!)

– Melden Sie sich doch bitte lauter zu Zwischenfragen!
Ich habe nichts dagegen, Herr Präsident.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502501700

Herr Kollege Schäuble, Sie haben das Recht zu einer

Zwischenfrage. Bitte schön.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1502501800

Herr Bundesverteidigungsminister, könnte in Ihren

Ausführungen, dass die Bundeswehr und die Bundes-
republik Deutschland eine Menge leisten und dass im
Übrigen von amerikanischer Seite nicht mehr Unterstüt-
zung seitens der Bundeswehr nachgefragt worden ist,
nicht in Wahrheit die Beschreibung des Problems liegen,
nämlich dass durch die unverantwortlichen Äußerungen
des Bundeskanzlers die deutsch-amerikanischen Bezie-
hungen so geschädigt worden sind, obwohl der Dissens in
der Sache, was die Unterstützung selbst anbetrifft, nicht
so groß ist?


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1502501900

Nein, das sehe ich völlig anders, Herr Kollege

Schäuble. In den Debatten über eine mögliche Betei-
ligung Deutschlands oder anderer Länder am Irakkrieg,
die im Sommer begannen, war völlig klar, dass sich die
Bundesrepublik Deutschland – das hat der Bundeskanzler
im Sommer wie auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt er-
klärt – nicht an militärischen Maßnahmen beteiligen wird
und dass wir eine andere politische Zielrichtung verfol-
gen. Der Kanzler hat das ja dargelegt.

Das haben die Amerikaner auch akzeptiert. Sie haben
akzeptiert, dass wir nicht mit Bodentruppen oder sonst et-
was im Irak sind. Aber sie haben natürlich auch andere
Wünsche geäußert. Ich habe eben die Erfüllung einiger
Wünsche dargestellt.

Mein Punkt ist: Wenn ich zum Beispiel darauf hin-
weise, dass wir natürlich die Transporte von Rheinland-
Pfalz nach Bremerhaven absichern werden, wenn sie not-
wendig werden, dass wir die Straße von Gibraltar und die
Einfahrt in den Suezkanal im Zusammenhang mit der
Operation „Active Endeavour“ im Kampf gegen den in-
ternationalen Terrorismus schützen, dass unsere Marine
am Horn von Afrika ist, dass wir dem AWACS-Einsatz
zustimmen werden – das alles wissen Sie doch –, dann
kann ich nicht verstehen, dass ein amerikanischer Vertei-
digungsminister so tut, als sei das alles gar nichts und wir
seien genauso wie Fidel Castro oder Muammar al-Gaddafi.
Das kann ich nicht verstehen. Das muss man auch sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin in dem Gespräch mit Donald Rumsfeld in die-
ser Frage natürlich letztlich nicht einig geworden. Er – das
will ich der Fairness halber auch erwähnen – hat mir ge-
sagt, ich möge dem Bundestag mitteilen, diese Bemer-
kung über Libyen, Kuba und Deutschland habe sich nur
auf die Frage bezogen, die ihm ein Congressman gestellt
hat, wer sich alles am Krieg nicht beteiligen wolle. Das ist
schon eine eigenartige Begründung von Donald Rumsfeld.

Nachdem das geklärt war, haben wir noch einen Punkt
besprochen, den ich dem Deutschen Bundestag auch nicht
vorenthalten möchte. Es gibt Meldungen – sie sind auf der
Sicherheitskonferenz kolportiert worden –, amerikani-
sche Einheiten, die für andere Zwecke schon abgezogen
sind – ich sage jetzt nicht, für welche –, kämen nie wieder
nach Deutschland und US-Standorte in Deutschland wür-
den geschlossen und nach Polen verlagert werden. Ich

Bundesminister Dr. Peter Struck




Bundesminister Dr. Peter Struck
habe ihn auf diese Meldungen angesprochen. Er hat mir
klar erklärt – ich sage das hier auch dem Parlament –:
Diese Meldungen sind falsch.

Ich finde das sehr wichtig, denn es wird plötzlich eine
Situation hervorgerufen, als würden wir von den Verei-
nigten Staaten von Amerika für unbotmäßiges Verhalten
abgestraft werden. Das ist nicht so. Diese Klarstellung
begrüße ich.

Unterschiedliche Auffassungen gibt es in dieser einen
Frage. Man muss auch klar sagen, welche Positionen man
hat.

Ich möchte etwas zu den Themen Patriot und AWACS
sagen. Seit dem vergangenen Freitag liegt eine Anfrage
meines niederländischen Kollegen, der mit mir zusam-
men in Afghanistan, in Kabul, war, zur Überlassung einer
gewissen Zahl von Patriot-Lenkflugkörpern in leistungs-
gesteigerter Version vor. Die leistungsgesteigerte Version
haben nur wir und nicht die Holländer. Es geht also um
Missiles, nicht um Abschussbatterien. Wir haben dieser
Bitte entsprochen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wofür wollen sie die haben?)


Wir werden diese Patriot-Missiles zusammen mit den nie-
derländischen Batterien ab morgen oder übermorgen auf
dem Seeweg in die Türkei bringen. Dazu haben wir auch
entsprechende Vereinbarungen geschlossen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die Holländer fragen für die Türkei! Ist das denn wahr?)


– Stellen Sie eine Zwischenfrage. Dann will ich das noch
einmal beantworten. Sie sind ja sachkundig. Machen Sie
das!


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Nein, Sie dürfen nicht einfach nur so einen Unsinn da-
zwischenrufen. Stellen Sie eine Zwischenfrage! Dann
werde ich Ihnen das erklären.


(Lachen bei der CDU/CSU)



Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1502502000

Herr Minister, Sie haben gerade in einer etwas ge-

heimnisvollen Sprachregelung versucht, uns zu erklären,
dass uns die Holländer gebeten haben, Material zur Ver-
fügung zu stellen, damit die Niederländer es in die Türkei
bringen können. Können Sie mir erklären, warum es nicht
einen direkten Weg von Deutschland in die Türkei gibt,
warum der vielmehr über die Niederlande organisiert wer-
den muss?


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1502502100

Ich versuche das. Es gibt – da haben Sie nicht zuge-

hört – keine Bitte der Türkei an Deutschland, Patriot-Ra-
keten zu liefern.


(Erika Lotz [SPD]: Also!)

Es gibt eine Bitte der Türkei an die Niederlande, Patriot-
Batterien und -Raketen zu liefern.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


– Da müssen Sie nicht lachen, Herr Kollege. Wenn die
Türkei die Niederlande bittet, Patriot-Raketen – –


(Zuruf von der FDP: Die die Holländer nicht haben! – Gegenruf des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ja, sicher haben die Holländer die! Sie haben keine Ahnung!)


– Entschuldigung, natürlich haben die Holländer die. Ich
muss Ihnen das erklären. Sie sind kein Verteidigungspoli-
tiker. Sie können das nicht so wissen.


(Heiterkeit bei der SPD)

Es gibt Abschussrampen, die Holland, Deutschland und
die USA haben. Daneben gibt es bestimmte Missiles, Be-
waffnungen dafür. Die Bewaffnungen, die die Holländer
auf ihren Batterien haben, werden von der Türkei als nicht
so effizient angesehen wie die, die wir haben, die punkt-
genauer angreifende Raketen bekämpfen können.

Es gibt also eine Anfrage der Türkei an die Nieder-
lande. Die Niederlande hat gesagt: Wir liefern die Batte-
rien. Wenn gewünscht wird – so war es –, dass zielge-
nauere Raketen mitgeliefert werden sollen, dann tun wir
das. – Sie können sich gern wieder setzen, Herr Schauerte.

Wir tun das auch deshalb, weil wir, wie Sie wissen, Pa-
triot-Batterien einschließlich Raketen nach Israel liefern.
Ich denke, das ist auch im Sinne des Deutschen Bundes-
tages; wir haben darüber ja im Zusammenhang mit Israel
diskutiert. Das war eine vernünftige und richtige Ent-
scheidung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte Ihnen noch etwas vorhalten. Ich habe an

der Münchener Sicherheitskonferenz teilgenommen. Der
Bundeskanzler hat eben von der „coalition of the willing“
für den Krieg gesprochen, an der sich auch die Union
beteiligen will. Da haben Sie empört reagiert. Herr
Westerwelle hat die Union verteidigt und gesagt, sie sei
keine Kriegspartei.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502502200

Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Nolting?


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1502502300

Ja, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502502400

Bitte schön, Herr Nolting.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1502502500

Herr Minister, ich hatte Sie gestern im Verteidigungs-

ausschuss schon darauf angesprochen, dass es die Idee
gibt, Blauhelme im Irak einzusetzen. Der Kollege
Dr. Hoyer hatte Sie auf der Sicherheitskonferenz in Mün-
chen danach gefragt und Sie haben darauf verwiesen, der
Herr Bundeskanzler würde dazu heute Stellung nehmen.
Sie haben mir gestern erklärt, auch Sie würden heute dazu
Stellung nehmen. Können Sie uns sagen, wie dieser Ein-


(A)



(B)



(C)



(D)


1896


(A)



(B)



(C)



(D)






satz organisiert werden soll, welche Truppen von wem zur
Verfügung stehen und in welcher Größenordnung Blau-
helme eingesetzt werden sollen?


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Holländische Blauhelme! – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Truppen aus Amsterdam!)


Das ist eine Frage, die die Öffentlichkeit beschäftigt. Ich
denke, Sie sollten hier eine Information dazu geben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1502502600

Ich möchte zunächst noch einmal klarstellen, dass die

Antwort auf die Frage des Kollegen Hoyer anlässlich mei-
nes Referats bei der Sicherheitskonferenz, ob ich zu dem
Thema Blauhelme und deutsch-französischer Geheim-
plan etwas sagen wolle, war: Ich kann dazu nichts sagen.
Die Antwort hieß nicht: Ich will dazu nichts sagen. Ich
wollte zu dem Vorgang zu dem Zeitpunkt auch nichts sa-
gen, was natürlich richtig war. Der Kanzler hat jetzt darü-
ber gesprochen, welche Gespräche mit Frankreich laufen.
Die Bemerkung, es sei ein Geheimplan, ist absoluter Un-
sinn; das haben wir auch klargestellt. Das betrifft auch die
Frage der Blauhelme.

Dazu will ich Ihnen noch eines sagen: Eine solche Si-
tuation ist im Augenblick nicht ersichtlich. Wir werden se-
hen, wie sich die Situation weiter entwickelt, was im Si-
cherheitsrat beraten wird, welche Erfolge die Initiative
Deutschlands, Frankreichs und Russlands haben wird.

Nehmen Sie gern Platz, Herr Nolting. Es dauert ein
bisschen länger.

Ich sage Ihnen nur: Jeder deutsche Politiker, der auf die
Frage „Können Sie sich vorstellen, dass irgendwann im
Irak auch Blauhelme zum Einsatz kommen?“ Nein sagt,
hat nun wirklich sein Amt verfehlt. Natürlich kann das
einmal passieren. Wir sehen das im Augenblick nicht,
aber wir wollen es nicht theoretisch für alle Zeiten und
ewig ausschließen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502502700

Herr Minister, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Kol-

legen Nolting?


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1502502800

Also gut, noch eine kurze Zusatzfrage.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1502502900

Herr Minister, hat es denn in dieser wichtigen Frage

eine Abstimmung zwischen dem Bundeskanzleramt, dem
Bundeskanzler und Ihnen sowie den Fachleuten im Ver-
teidigungsministerium gegeben? Man bringt so etwas ja
nicht in die Öffentlichkeit, ohne dass es vorher entspre-
chende Planungen gibt. Ich gehe davon aus, dass Sie ge-
nau wie der Herr Bundesaußenminister auch darüber in-
formiert waren. Oder war das nicht der Fall und konnten
Sie deshalb nicht Stellung nehmen?


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1502503000

Diese Frage ist nach meinen Informationen gestern in

der Aktuellen Stunde und in der Fragestunde erörtert wor-
den. Staatsminister Schwanitz hat darauf geantwortet. Ich
habe seiner Antwort überhaupt nichts hinzuzufügen.


(Dirk Niebel [FDP]: Die Regierung hat doch gar nichts gesagt!)


– Herr Schwanitz hat Informationen gegeben. Warum soll
ich das hier noch einmal bestätigen?


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja oder nein?)

Jetzt noch einmal zur Position der Union: Wir disku-

tieren über eine unterschiedliche politische Bewertung ei-
ner Frage. Ich muss Ihnen das jedoch noch einmal vor-
halten, denn Herr Kollege Glos hat leider nicht darüber
gesprochen. Vielleicht kann das ja Herr Schäuble, der ir-
gendwann hier auch noch reden wird, klarstellen. Es geht
um die Frage: Was passiert, wenn im Irak tatsächlich mi-
litärische Maßnahmen erfolgen, von wem auch immer ini-
tiert? Die Position der Bundesregierung ist eindeutig.
Wenn Sie das nicht als Pathos abtun – darum bitte ich –,
dann möchte ich Ihnen auch einen persönlichen Eindruck
schildern – Joschka Fischer hat schon darüber gespro-
chen –: Ich habe am ersten Weihnachtstag in Köln-Wahn
zusammen mit den Angehörigen die sterblichen Überres-
te der sieben abgestürzten Soldaten empfangen. Das da-
mit verbundene Zeremoniell und die anderthalb Stunden
Vorgespräche, die ich mit den Angehörigen geführt habe
und die mir Fragen wie „Habt ihr auch den richtigen Hub-
schrauber zur Verfügung gestellt?“ gestellt haben – Sie
können sich sicherlich vorstellen, wie diese Gespräche
aussahen –, haben jedenfalls mich zu einer ganz persönli-
chen Erkenntnis gebracht: Ich möchte als Verteidigungs-
minister niemals wieder – das wünsche ich auch keiner
meiner Nachfolgerinnen bzw. keinem meiner Nachfol-
ger – in die Lage kommen, tote deutsche Soldaten in der
Heimat zu empfangen. Das kann man eigentlich nieman-
dem zumuten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jeder sollte wissen, was in einer solchen Situation auf ihn
zukommt.

Jetzt zur Position der Union: Über sie muss Klarheit
herrschen. Frau Merkel hat in München gesagt: Diktato-
ren verstehen – das ist sicherlich richtig – nur die Sprache
der Bedrohung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)

Wenn die friedliche Entwaffnung sich am Ende als Fehl-
schlag erweist, befürworten wir auch im Interesse der in-
ternationalen Sicherheit und der Autorität des UN-Sicher-
heitsrates ein militärisches Vorgehen.


(Barbara Wittig [SPD]: Hört! Hört! – Gernot Erler [SPD]: Das war eindeutig!)


Deutschland solle sich in diesem Fall nach seinem eige-
nen Vermögen beteiligen. Stoiber – ich saß bei seinem ers-
ten Auftritt neben ihm; er hat mich überrascht; denn am
Samstagmorgen hat er auf die Rede von Rumsfeld mit Be-
denken reagiert – hat gesagt: Die Gefahren durch den Irak
würden hier „so nicht in der Breite gesehen“. Er hat des

Günther Friedrich Nolting




Bundesminister Dr. Peter Struck
Weiteren mehr Zeit für die Inspektionen gefordert. Abends
beim Essen für die Teilnehmer der Sicherheitskonferenz
– ich war wieder dabei – hat er Folgendes gesagt: Sollte es
nicht gelingen, mit friedlichen Mitteln die Gefahren aus
dem Irak zu bannen, muss Deutschland auch bei einer mi-
litärischen Auseinandersetzung an der Seite der USA ste-
hen. Das bedeutet, das, was der Bundeskanzler vorhin ge-
sagt hat – Stichwort „coalition of the willing“ –, ist richtig.
Sie wollen in dem Fall, über den wir reden, militärisch an
der Seite der USA stehen. Dazu sage ich Ihnen: Das ist
falsch. Das muss man im Deutschen Bundestag deutlich
herausarbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: An welcher Seite wollen Sie denn stehen? An der Seite Saddam Husseins?)


Die Position der Bundesregierung ist völlig eindeutig.
Wir werden nach den Beratungen im UN-Sicherheitsrat
am Freitag, spätestens am Samstag im NATO-Rat eine
Entscheidung treffen, die den Interessen der Türkei abso-
lut gerecht werden wird; denn wir haben niemals einen
Zweifel daran gelassen – auch jetzt werde ich daran kei-
nen lassen –, dass die Türkei ein Bündnispartner der
NATO ist und den Schutz bekommt, den sie braucht,
wenn unmittelbare Gefahren drohen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Hat der Herr Bundeskanzler das gestern auch Herrn Aznar gesagt?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502503100

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt

von der FDP-Fraktion.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Also, ich finde schon, der Kanzler könnte bei einer solchen Debatte bis zum Schluss dableiben! Ein Skandal! Der Außenminister ist nicht da und der Kanzler ist nicht da! Sie nehmen das Thema nicht ernst!)



Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1502503200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube,

beiden wird in geeigneter Form mitgeteilt werden, dass es
besser wäre, wenn sie hier wären.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Holt sie her!)


Ich möchte nur ein paar Anmerkungen machen. Der
Außenminister hat wortreich eine internationale Lage-
analyse über die schwierigen Regionen dieser Welt aus-
geführt. Das alles ist zwar richtig gewesen. Aber leider
will sich die Welt nicht immer so entwickeln, wie es guten
Deutschen richtig erscheint. Sie entwickelt sich oft anders
und stellt uns vor andere Fragen als diejenigen, die von ei-
nem Planungsstab nach einer klugen Lageanalyse vorge-
tragen werden könnten. Die jetzige Lage, in der wir uns
befinden, ist ganz einfach: Die internationale Öffentlich-
keit hat versucht, Druck aufzubauen, damit das Regime

von Saddam Hussein wieder Inspektoren ins Land lässt,
um so im Irak Sachen auf die Spur zu kommen, die er-
kennbar noch vorhanden sein müssen und die andere
Menschen bedrohen.

Als sich die internationale Völkergemeinschaft daran-
gemacht hat, hat der deutsche Bundeskanzler im Bundes-
tagswahlkampf gesagt: Wir nicht. Wir sind am Ende nicht
dabei. Keine deutschen Soldaten in den Irak. – Es hatte
ihn im Übrigen auch niemand gebeten, deutsche Soldaten
in den Irak zu entsenden. – Der erste große strategische
Fehler deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ist mit
dieser Aussage gemacht worden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wer erklärt, wie dies der Herr Bundeskanzler und der

Bundesaußenminister hier getan haben, dass er in strikter
Bindung an das Völkerrecht vorgehen will, dass er das
Gewaltmonopol bei den Vereinten Nationen halten will,
dass er unilaterales Vorgehen nicht akzeptiert, der muss
eine Außen- und Sicherheitspolitik betreiben, die die Au-
torität des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen stärkt
und nicht schwächt. – Das ist der erste Punkt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Damit hat die Bundesrepublik Deutschland einem Dik-

tator angezeigt, er könne entkommen und seine Politik
weiterführen, ohne mit dem Letzten rechnen zu müssen.
Sie hat Frieden gesinnungsethisch definiert, aber nicht
verantwortungsethisch. Ich verwahre mich dagegen, dass
alle die, die Frieden und Sicherheitspolitik auch verant-
wortungsethisch definieren, wie dies die Fraktion der
Freien Demokratischen Partei hier tut, so dargestellt wer-
den wie vorhin auch die Union, als seien sie leichtfertig
eher bereit, Krieg als Mittel einzusetzen. Mit Vaclav Ha-
vel lasse ich mich gern in eine Reihe stellen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Zweite sage ich jetzt einmal bewusst an die Rei-

hen der Grünen gerichtet. Völkerrecht setzt sich, wie auch
Sie erfahren mussten, nicht von selbst durch. Sie haben es
beim Kosovo erfahren – sogar ohne Entscheidung des Si-
cherheitsrats der Vereinten Nationen. Sie mussten in der
damaligen Situation auch in Ihren Reihen dafür werben,
sich militärisch zu engagieren, weil Sie den Menschen im
Kosovo sonst nicht hätten helfen können.

Die Bundesregierung hat der Sicherheitsratsresolu-
tion 1441 zugestimmt. Diese Sicherheitsratsresolution
hat alle Komponenten zum Erreichen der Entwaffnung
des Irak – alle. Frankreich hat sich die letzte Option nicht
verschlossen, Russland nicht und China auch nicht. Des-
halb sage ich Ihnen: Wir werden das in diesem Parlament
noch einmal diskutieren. Ich kann nicht ausschließen,
dass der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland
und der Bundesaußenminister sowie die gesamte Regie-
rung am Ende ganz allein dastehen. Ich sage Ihnen, dass
Sie es nicht verantworten können, diese Linie heute dem
Deutschen Bundestag vorzutragen, weil Sie im Grunde
gegen Ihre eigene Position schon heute sagen, Sie wüssten
genau, was die Inspektoren vortragen würden. Ihr Bun-
deskanzler hat in Goslar gesagt: Selbst wenn wir den In-
spektoren noch vier Wochen mehr Zeit geben: Auch das
Ergebnis, das sie in vier Wochen vortragen werden, inte-


(A)



(B)



(C)



(D)


1898


(A)



(B)



(C)



(D)






ressiert uns nicht; auch wenn der Mann seine Waffen nicht
abräumt, werden wir ihn nicht mit militärischen Mitteln
dazu zwingen. – Ich finde, dass eine Weltgemeinschaft,
auch vertreten durch die Regierung der Bundesrepublik
Deutschland, die Wert darauf legt, dass sie aus der Ge-
schichte gelernt hat, die ein Gewaltmonopol beim Sicher-
heitsrat der Vereinten Nationen hält, diesem Gewaltmo-
nopol auch Autorität und Durchsetzungsfähigkeit
verschaffen muss; denn sonst trägt es nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich will damit sagen, dass Deutschland eine außeror-

dentlich große Möglichkeit strategischer Außen- und Si-
cherheitspolitik vergeben hat – aus Wahlkampfgründen –
in einem Moment, in dem dieses Land nach einer langen
Nachkriegsgeschichte den Vorsitz im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen hat und eigentlich alles hätte tun müs-
sen, um zusammenzuführen. Ein solcher nicht nur hand-
werklicher, sondern auch politisch-strategischer Fehler ist
in der Geschichte der Außenpolitik der Bundesrepublik
Deutschland ohne Beispiel.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zuletzt noch eine kurze Bemerkung zum Bundesver-
teidigungsminister. Herr Bundesverteidigungsminister,
Sie haben ruhig vorgetragen, Sie engagieren sich, Sie ha-
ben hier wortreich dargestellt, wie der Verlauf der Ver-
handlungen über die Patriot-Raketen gewesen ist, aber Sie
werden sich noch gewaltig anstrengen müssen. Sie kön-
nen weder der ganzen Weltöffentlichkeit noch einem
Bündnispartner erklären, selbst wenn Sie noch eine
Stunde Redezeit bekämen, wieso die Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland, die im NATO-Bündnis übri-
gens stärker integriert ist als Frankreich, dem Bünd-
nispartner Türkei Lieferungen verweigert


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


oder jedenfalls nicht politisch verständlich auf eine ent-
sprechende Anfrage antwortet. Die Türkei ist unser Bünd-
nispartner und definiert ihre Sicherheit selbst; wir können
dies nicht für sie tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die oberlehrerhafte Art in Deutschland, darzustellen, wie
die Sicherheitsempfindungen der Türkei aussehen, steht
im krassen Widerspruch dazu, die türkische Bevölkerung
immer wieder dazu einzuladen, zu uns nach Europa zu
kommen.

Dieses Bündnis hat uns jahrzehntelang geschützt. Wir
haben wie selbstverständlich erwartet, dass das Bündnis
sofort reagiert, wenn sich die Bevölkerung der Bundes-
republik Deutschland gefährdet fühlt. Warum um alles in
der Welt sind Sie nicht in der Lage, einer anderen Bevöl-
kerung die gleiche Sicherheit zu geben, die andere uns
jahrzehntelang gegeben haben? Das versteht niemand
mehr. Dass Sie dazu nicht in der Lage sind, ist der Grund
dafür, dass andere an uns zweifeln, dass andere fragen:
„Was denken die sich denn?“, und dass die Bundesregie-
rung allmählich jeden internationalen Kredit verspielt, im
Übrigen auch emotional.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502503300

Herr Kollege Gerhardt, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1502503400

Das war es eigentlich schon.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502503500

Das Wort hat jetzt der Kollege Ludger Volmer vom

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502503600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir reden heute hauptsächlich darüber, wie die UN-
Resolution 1441 umgesetzt werden kann. Wir reden darü-
ber, wie Saddam Hussein dazu bewegt und genötigt
werden kann, endgültig abzurüsten. An dem Ziel, ihn dazu
zu bewegen, arbeiten wir alle gemeinsam. Diese Zielset-
zung verbindet uns alle.

Dennoch möchte ich einige Fragen aufwerfen. Ich
möchte zum Beispiel die Frage aufwerfen, wie der Irak
überhaupt ins Visier geraten ist. Damit verbunden ist die
Frage: Warum ausgerechnet der Irak? Nach dem 11. Sep-
tember 2001 waren wir alle – einheitlich, ohne Zweifel,
ohne Zögern – solidarisch mit den Vereinigten Staaten.
Wir alle wussten – manchen Pazifisten fiel es schwer –,
dass man auch militärische Mittel braucht, um den inter-
nationalen Terrorismus einzudämmen und niederzukämp-
fen. Es ging kein Weg daran vorbei, solche Mittel auch ge-
gen das Taliban-beherrschte Afghanistan einzusetzen.
Bis dahin gab es keinen Dissens.

Aber dann begann die Diskussion über die Phase zwei
der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dann
wurden neue Ziele Gegenstand der Diskussion und eines
dieser Ziele war plötzlich der Irak. Wir haben schon da-
mals die Fragen gestellt: Warum der Irak? Wo ist eigent-
lich der Zusammenhang zwischen dem Irak und dem in-
ternationalen Terrorismus? Dieser Zusammenhang ist nie
nachgewiesen worden.

Ich wundere mich wirklich, dass diejenigen, die mei-
nen, dass der Irak ein Ziel bei der Bekämpfung des inter-
nationalen Terrorismus sein muss, nicht auf das vor
kurzem bekannt gewordene Tonband eingegangen sind,
das angeblich einen Aufruf von Bin Laden enthält. Warum
wird das in dieser Diskussion verschwiegen? Das ge-
schieht doch wohl deshalb, weil dieses Tonband eher ei-
nes beweist: Es gab keine Unterstützung von al-Qaida für
den Irak; vielmehr hatten der arabische Nationalismus, für
den der Irak steht, und der islamische Fundamentalismus,
für den Bin Laden steht, in der Vergangenheit nichts mit-
einander zu tun. Ich halte jede Sicherheitspolitik für ver-
fehlt, die diese beiden – gleichermaßen problematischen
– Stränge in Verbindung bringt und sie geradezu veran-
lasst, sich gegen uns zu verbünden. Eine solche Sicher-
heitspolitik ist nicht in unserem Interesse, sie ist nicht im

Dr. Wolfgang Gerhardt




Dr. Ludger Volmer
europäischen Interesse und ich kann mir auch nicht vor-
stellen, dass sie im amerikanischen Interesse ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir müssen doch alles daransetzen, dass die arabische
Welt und der islamische Fundamentalismus auseinander
gehalten werden. Deshalb frage ich mich, ob diese Si-
cherheitspolitik – sie begründet den geplanten Angriff auf
den Irak mit dem Kampf gegen den internationalen Ter-
rorismus – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in
Gang bringt: die Zusammenarbeit – es hat sie vorher nicht
gegeben – von Bin Laden und Saddam Hussein. Eine sol-
che verhängnisvolle Entwicklung müssen wir verhindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es wird die für manche Pazifisten durchaus unbequeme
Auffassung vertreten, dass man auch ein militärisches Be-
drohungsszenario braucht, um einen Despoten wie Sad-
dam Hussein in die Knie zu zwingen bzw. zu veranlassen,
die ihm in internationalen Resolutionen aufgetragenen
Verpflichtungen zu erfüllen. Man kann darüber streiten.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nein!)

Aber der Aufbau einer Drohkulisse impliziert auf jeden
Fall zweierlei:

Erstens muss man selber bereit und willens sein, die
Drohung auch umzusetzen. Wenn man sich dazu bekennt,
kann man schlecht sagen: Wir selbst halten uns heraus und
lassen andere kämpfen. Von daher muss man sich vorher
Gedanken darüber machen, ob man den Weg einer Droh-
politik einschlägt. Wir waren von Anfang an skeptisch.

Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang: Wenn die
an Saddam Hussein gerichtete Drohung in dem Sinne ef-
fektiv sein soll, dass er wirklich abrüstet, dann muss ihm
auch das Gefühl vermittelt werden, dass die Drohkulissen ir-
gendwann wieder abgebaut werden. Wenn Saddam Hussein
aber glauben kann, dass er auf jeden Fall angegriffen wird,
stellt sich doch die Frage, wo für ihn der Anreiz zur Abrüs-
tung liegt. Das ist vielmehr ein Anreiz zur Aufrüstung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich denke, dies gehört zu den Unklarheiten einer solchen
Drohpolitik.

Der Inhalt der UN-Resolution 1441, auf die wir uns be-
ziehen, ist klar: Sie hat die Abrüstung des Iraks zum Ziel.
Es gibt aber viele kompetente Sprecher in und rund um die
Administration in Washington, die andere Ziele verfolgen
und auch nach außen hin propagieren. Sie propagieren
nicht die Abrüstung des Iraks, sondern den Sturz des Dik-
tators. Nun hat keiner von uns irgendwelche Sympathien
für diesen Diktator; alle wären froh, wenn er weg wäre.
Unter sicherheitspolitischen Aspekten braucht man aber
klare politische Zielsetzungen, weil man sonst zu einer
antagonistischen und widersprüchlichen eigenen Haltung
kommt. Wenn Saddam Hussein den Glauben haben kann,
dass es um seinen Kopf und nicht um die Abrüstung des
Iraks geht, warum sollte er dann abrüsten? Wenn es um
seinen Kopf geht, wird er die Waffen behalten und aufrüs-
ten. Das ist eine der Unklarheiten, die sich bei einer Ana-
lyse dieser Drohkulisse ergibt.

Meine Damen und Herren, einige der Kollegen haben
argumentiert, wie richtig es damals war, mit dem NATO-
Doppelbeschluss den damals noch gegnerischen Block
durch Hochrüstung in die Knie zu zwingen.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nachrüstung!)

Ich will gar nicht darüber diskutieren, ob diese konserva-
tive Sicht der Dinge nicht auch etwas für sich hat.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da habt ihr auch falsch gelegen!)


Aber dass es dann zur Abrüstung in beiden Blöcken kam,
hing damit zusammen, dass die Drohpolitik, die mit ato-
marer Aufrüstung verbunden war, massiv an Rückhalt in
der eigenen Bevölkerung verloren hatte. Der Ausdruck
hiervon waren massenhafte Friedensdemonstrationen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Abenteuerlich, was Sie da reden!)


Diese wiederum waren in der Wahrnehmung der sowjeti-
schen Seite mit ein Grund dafür, dass Gorbatschow zu dem
Schluss kam, er könne abrüsten, ohne Gefahr zu laufen, ge-
genüber dem Westen in eine sicherheitspolitisch nachteilige
Lage zu geraten. Auch Perzeption und Fehlperzeptionen
sind Realitäten. Mit ähnlichen Fehlperzeptionen muss man
bei Saddam Hussein und in der arabischen Welt rechnen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Tolles Beispiel für Geschichtsklitterung!)


Wir sind deshalb so froh, dass der Heilige Stuhl, der
Papst, die katholischen Bischöfe und die EKD-Synode ein
so klares Bekenntnis gegen den Krieg abgegeben haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Das sind keine kleinen Gruppen schwärmerischer Frie-
densfreunde, das sind die wesentlichen Instanzen der
christlichen Welt. Sie haben ihre Verantwortung in zwei-
erlei Hinsicht wahrgenommen. Ich frage mich, warum die
Partei, die das große C in ihrem Namen führt und sich
christlich nennt, nicht zumindest aufmerksam wird, wenn
der Heilige Stuhl so dramatische Mahnungen formuliert.

Es gibt zum einen das moralische und das ethische Ar-
gument, dass ein Angriff auf den Irak ein massenweises
Sterben der Zivilbevölkerung nach sich ziehen wird.
Schon deshalb verbietet sich aus ethischen Gründen ein
Angriff auf den Irak.


(Dirk Niebel [FDP]: Was sagt denn der Heilige Stuhl zur Schwangerschaftsverhütung?)


Wir wissen, dass der Diktator, indem er seine Waffen in zi-
vile Gebiete disloziert, mit dazu beiträgt, dieses Elend her-
beizuführen. Aber da wir dieses wissen, können wir nicht
mehr arglos so tun, als ginge es nur um militärische Ziele.
Wir wissen heute, dass es Zehntausende von Toten und
Millionen von Flüchtlingen geben wird. Das ist ethisch
einfach nicht vertretbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



(A)



(B)



(C)



(D)


1900


(A)



(B)



(C)



(D)






Zum anderen hat der Heilige Stuhl deutlich gemacht,
dass wir alles vermeiden müssen, was den Eindruck er-
weckt, es ginge hier um den fundamentalen Kampf
der westlich-christlichen Welt gegen die arabisch-
islamische Welt.Auch vor diesem Hintergrund – das ist
die Rückmeldung aus allen arabischen Staaten – war es
sinnvoll, notwendig und ein mutiger Akt, dessen Be-
rechtigung sich jetzt wieder erweist, dass Frankreich
und Deutschland von Anfang an gesagt haben: Wir be-
harren auf einer friedlichen Lösung; denn alles andere
wäre in der Wahrnehmung – und sei es eine Fehlwahr-
nehmung, denn auch diese wäre Realität – der arabi-
schen Welt so erschienen, als würde sich die gesamte
westlich-christliche Welt gegen die arabisch-islamische
Welt verbünden. Dann hätten wir den Kampf der Kultu-
ren, den wir unbedingt vermeiden müssen. Auch auf
diese Mahnung des Vatikans reagieren wir mit unserer
Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn nun immer wieder die Blocklogik der 80er-
Jahre zitiert wird, dann frage ich diejenigen, die so dis-
kutieren, als ginge es hier um eine symmetrische Ausei-
nandersetzung, um den Krieg zwischen Staaten, Blöcken
oder Regionen: Wo ist denn heute der eine und wo der an-
dere Block? Laufen Sie damit nicht in die Falle, indirekt
den Kampf der Kulturen zu propagieren? Tun Sie dies
nicht, wenn Sie sagen: Jeder, der nicht für uns ist, ist ge-
gen uns; alle westlich-christlichen Staaten müssen zu ei-
nem bestimmten Fähnlein eilen? Besteht nicht genau
dann die Gefahr, dass die anderen zu einem anderen
Fähnlein eilen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502503700

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege Volmer.


Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502503800

Deshalb frage ich mich: Wenn diese Blocklogik heute

nicht mehr bedeutsam ist und nicht mehr wirkt, wenn wir
heute völlig andere, asymmetrische Konfliktstrukturen
haben, wenn es die erste Aufgabe ist, den internationalen
Terrorismus zu bekämpfen, der durch Asymmetrie ge-
kennzeichnet ist, warum dann dieser Rückfall in einen
symmetrischen Staatenkrieg? Das ist Atavismus, ein
Rückfall in eine längst überwundene Historie. Wir brau-
chen eine neue Sicherheitspolitik und eine friedliche Lö-
sung für den Irak. Deshalb unterstützen wir mit Nach-
druck die Politik der Bundesregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502503900

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Schäuble

von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])



Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1502504000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Das Merkwürdige an dieser Debatte ist der Wi-
derspruch zwischen dem, was wir in den Ausschüssen des
Bundestags diskutieren, was in Kreisen der sich beruflich
mit diesem Thema beschäftigenden Diplomaten und Si-
cherheitspolitiker in der internationalen Gemeinschaft, in
der EU, in der NATO, in der UNO, sowie der Diplomaten
im Auswärtigen Dienst diskutiert wird, dem, was die Jour-
nalisten, die sich kontinuierlich mit Außenpolitik be-
schäftigen, schreiben und kommentieren, und der Stim-
mung in der Bevölkerung.

Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
– das hat er übrigens auch vorher in der SPD-Fraktion an-
gekündigt – gesagt, er setze nicht darauf, was andere
Staatsmänner denken und reden, sondern auf die Stim-
mung in der Bevölkerung. Damit ist die Sache in einer
Demokratie noch nicht abgeschlossen. Aber der Bundes-
kanzler ist daraufhin in mehreren großen deutschen Ta-
geszeitungen mit Wilhelm II. verglichen worden,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Na, so was!)

und zwar, weil auch dieser damals viel Zustimmung in der
Bevölkerung hatte, bis weit in das Elend des Ersten Welt-
kriegs hinein. Es war nur leider die falsche Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Verantwortliche politische Führung hat – gerade in ei-
ner Frage, in der die Menschen in besonderer Weise be-
troffen sind, die man deshalb ernst nehmen und für die
man Verständnis aufbringen muss – die Aufgabe, den
Menschen zu erklären, welcher Weg nach sorgfältiger
Prüfung wahrscheinlich der sicherere in eine Zukunft von
Frieden und Freiheit ist.


(Zuruf von der SPD: Ja, eben!)

Nun möchte ich Ihnen sagen: Für die Bundesrepublik

Deutschland ist es seit 50 Jahren ganz sicher der bessere
Weg, wenn wir in die zwei folgenden Elemente deutscher
Außenpolitik fest eingebunden sind: in die europäische
Einigung und in die atlantische Partnerschaft. Das ist das
Grundaxiom deutscher Außenpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer als Regierungschef – ob im Handeln oder nur im Re-
den – dagegen verstößt, gefährdet die Zukunftsinteressen
unseres wiedervereinten Deutschlands.

Durch die Ausführungen des Bundesverteidigungs-
ministers – Herr Bundesverteidigungsminister, ich wün-
sche Ihnen gute Besserung; es war anstrengend für Sie;
ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen gesundheitlich bald wie-
der gut geht, und bedanke mich für Ihre Antwort auf
meine Zwischenfrage – ist deutlich geworden, dass nie-
mand in den letzten Monaten von der Bundesrepublik
Deutschland eine weitergehende militärische Beteiligung
an etwa notwendig werdenden Maßnahmen zur Durch-
setzung der Resolution des Weltsicherheitsrates gefordert
hat, als die Bundesregierung im Wesentlichen zu geben
bereit ist. Das ist der Punkt. Das betrifft zum Beispiel
AWACS.

Dr. Ludger Volmer




Dr. Wolfgang Schäuble

Wir haben in unserem Entschließungsantrag, den wir
anlässlich dieser Debatte vorgelegt haben, darauf hinge-
wiesen. Ich empfehle ihn Ihrer Aufmerksamkeit. Darin
steht, was Sie von der Fraktionsvorsitzenden gerne gehört
hätten; sie hat es übrigens gesagt. In dem Abschnitt „Vor
diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bundestag die
Bundesregierung auf“ steht unter dem letzten Spiegel-
strich:

Für den Fall, dass eine Erzwingung der Resolu-
tion 1441 des Sicherheitsrats mit militärischen Mit-
teln unausweichlich werden sollte, gemeinsam mit
unseren Partnern in der EU diese Maßnahmen im
Rahmen unserer Möglichkeiten

– dann erfolgt eine Aufzählung –
– wie mit AWACS-Flugzeugen, MEDEVAC-Kräf-
ten, ABC-Spürpanzern, Patriot-Abwehr-Systemen,
der Gewährung von Überflugrechten, dem Schutz
der amerikanischen Basen in Deutschland und mit
Schiffen im Persischen Golf – zu unterstützen und
dabei die verfassungsmäßigen Rechte des Bundes-
tags zu wahren.

Auf Letzteres komme ich gleich zu sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Mehr ist von uns nicht gefordert worden. Warum haben
Sie also Anfang August diese Debatte begonnen, in der
Sie Kriegsängste und antiamerikanische Ressentiments
züchten und schüren? Völlig umsonst, ohne jede Not und
ohne Verantwortung des Regierungschefs!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Allerdings sind wir unseren Partnern – das haben Ihnen

wahrscheinlich Herr Rumsfeld, den auch ich in München
erlebt habe, Herr Lieberman und auch andere gesagt – die
politische Solidarität schuldig geblieben,


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP])

und dies auch in der heutigen Regierungserklärung und in
der Rede des Außenministers.

Herr Außenminister, auch auf Sie komme ich noch zu
sprechen. Es ist schön, dass wir zumindest amtlich einen
Außenminister haben. In der Sache merkt man nichts von
Ihnen. Die außenpolitischen Interessen werden mit Füßen
getreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie erwecken in jeder Rede den Eindruck, als sei die ei-
gentliche Gefahr für den Frieden die amerikanische Re-
gierung. Das empört unsere amerikanischen Verbündeten;
da haben sie Recht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dass wir 50 Jahre lang in gesichertem Frieden leben
konnten, verdanken wir mehr der amerikanischen Verläss-
lichkeit als den Reden der rot-grünen Friedensbewegung.
Das muss einmal gesagt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was die richtige Politik ist, darüber kann man lange

diskutieren. Darüber diskutiert man auch in Amerika.

Herr Bundesaußenminister, ich habe Sie vor zwei Wochen
im Auswärtigen Ausschuss gefragt: Gibt es nicht auch
Überlegungen hinsichtlich eines langfristigen Überwa-
chungsregimes, das in jedem Fall im Irak sicherstellen
muss, dass dort, wenn die biologischen Waffen etc. besei-
tigt worden sind, nicht wieder neue erworben werden? In
unserem Antrag steht der Grundgedanke:

Jeder Versuch, nachhaltig und kontrolliert sicher-
zustellen, dass der Irak sein Streben nach Massen-
vernichtungswaffen dauerhaft aufgibt, verdient grund-
sätzlich Unterstützung.
Mit der angeblichen deutsch-französischen Initia-
tive, die vom Kanzler in ein Nachrichtenmagazin
lanciert wurde, ist das Gegenteil erreicht worden,
weil damit nicht die Bereitschaft des Irak zur Ko-
operation gefördert, sondern offenbar der unter
Führung der Vereinigten Staaten von Amerika auf-
gebaute Druck auf den Irak gemindert werden sollte.

Wenn man eine solche Lösung anstrebt, muss man sie
mit den Amerikanern an der Spitze machen und nicht
gegen die Amerikaner. Weil Sie jede Initiative gegen die
Amerikaner anstatt gegen Saddam Hussein richten,
schwächen Sie die Vereinten Nationen, schwächen Sie
die NATO und zerstören Sie die europäische Einigung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Um die Sache geht es dabei gar nicht; Sie brauchen uns

wirklich nicht zu unterstellen, wir seien weniger für den
Frieden als Sie und würden die Ängste der Menschen we-
niger ernst nehmen als Sie. Ich habe immer gesagt: Ich bin
evangelischer Christ, aber wenn der Papst sagt,


(Uta Zapf [SPD]: Grundsätzlich nichts Verwerfliches!)


dass die Anwendung militärischer Mittel immer nur das
allerletzte Mittel sein dürfe, und wenn der Papst sagt,
dass Krieg immer ein Versagen der Menschheit ist, dann
hat er wohl Recht. Nur, leider kommt, weil wir Menschen
eben Menschen sind, Versagen häufig vor. Deswegen
müssen wir alles dafür tun, dass es nicht zum Krieg
kommt. Ich bin den beiden Kirchen dankbar, dass sie zum
Frieden mahnen. Wir müssen das ernst nehmen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und uns nicht daran halten!)


Ich habe dieser Tage jemanden getroffen, der gesagt
hat: Am kommenden Samstag gibt es wieder eine große
Friedensdemonstration. Der Herr Bundestagspräsident
hat schon angekündigt, dass er dabei mitmarschieren wird.
Ich hoffe, Sie beten für den Frieden, dass Saddam Hussein
einlenkt – dann bin ich sehr dafür. Appellieren Sie an Sad-
dam Hussein, einzulenken und sich dem Völkerrecht zu
unterwerfen! Wenn er das tut, dann ist der Friede gesi-
chert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann hat dieser Gesprächspartner, dem ich begegnet bin,
aber gesagt: Das wird eine Demonstration wie damals
beim NATO-Doppelbeschluss. Da habe ich zu ihm ge-
sagt: Sagen Sie einmal, haben Sie eigentlich heute nicht
das Gefühl, dass alle Befürchtungen der vielen Hundert-


(A)



(B)



(C)



(D)


1902


(A)



(B)



(C)



(D)






tausenden, die damals gegen den Vollzug des NATO-Dop-
pelbeschlusses demonstriert haben, nicht eingetreten sind,
sondern dass im Gegenteil – trotz aller Sorgen, die man
auch damals ernst nehmen musste – diejenigen Recht ge-
habt haben, die gesagt haben, dass Festigkeit, Verlässlich-
keit und Partnerschaft der bessere Weg sind, um den
Frieden für die Zukunft zu sichern? Darauf hat mein Ge-
sprächspartner gesagt: Da haben Sie Recht; das habe ich
inzwischen eingesehen, wir hatten damals Unrecht. Da-
rauf sagte ich: Dann seien Sie doch dieses Mal nicht so si-
cher, möglicherweise werden Sie wieder Unrecht haben!

Sie können doch nicht bestreiten, dass der Vollzug des
NATO-Doppelbeschlusses die große atomare Bedrohung
durch sowjetische Raketen, die auf unserem Land gelegen
hat, beseitigt hat, und zwar nicht durch Ihre Reden, son-
dern durch unser Handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wird immer wieder die Frage gestellt: Warum Irak,

ist nicht Nordkorea gefährlicher? – Das mag sein. Wenn
Nordkorea so gefährlich ist, Herr Bundesaußenminister,
dann sollten Sie bald einmal im Sicherheitsrat die Initia-
tive ergreifen, damit er sich damit beschäftigt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut er doch schon!)


Aber warum Irak? – Weil der Irak seit mehr als zehn Jah-
ren durch Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen, die völkerrechtlich bindende Qualität haben
– wir reden doch von der Durchsetzung des Völkerrechts –,
verpflichtet ist – ich kann Ihnen die Resolution 1441 noch
einmal vorlesen; es gibt seit 1991 ein ganzes Bündel von
Resolutionen –, sicherzustellen – das kann nur der Irak –,
dass er keine Massenvernichtungswaffen hat und auch
nicht den Besitz von Massenvernichtungswaffen anstrebt.
Dazu muss er die notwendigen Auskünfte liefern und
dazu müssen die Waffen, die er hat, unter der Kontrolle
der UNO-Inspektionen vernichtet werden. Das ist das Ziel
der Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-
nen.

Die Bedrohung, die sich aus der Verknüpfung von in-
ternationalem Terrorismus und asymmetrischer Kriegs-
führung – und was es in der neuen Unordnung in dieser
globalen Welt sonst noch alles an Bedrohungen gibt – mit
Massenvernichtungswaffen und Trägertechnologien er-
gibt, ist durch den 11. September für die meisten Men-
schen – auch in unserem Lande – noch aktueller sichtbar
geworden. Deswegen finde ich es richtig und nicht falsch,
wenn die Weltgemeinschaft der Vereinten Nationen aus
dem 11. September unter anderem die Konsequenz zieht,
die Durchsetzung dessen, was das Völkerrecht, was die
Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur
Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen im Irak seit
zehn Jahren fordert, ernster zu nehmen, als es uns bisher
gelungen ist. Seit zehn Jahren haben diplomatischer
Druck, Bemühungen und Wirtschaftssanktionen Saddam
Hussein nicht zum Einlenken bewegt. Es wären jetzt
keine Inspektoren im Irak, wenn die Vereinigten Staaten
von Amerika nicht militärischen Druck aufgebaut hät-
ten. Auch das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich hoffe noch immer, dass es eine Chance gibt und
man das allerletzte Mittel nicht anwenden muss. Ich bin
aber ganz sicher, dass es diese Chance nur dann gibt, wenn
die Europäer geschlossen und gemeinsam mit unseren at-
lantischen, unseren amerikanischen Verbündeten und
möglichst gemeinsam in den Vereinten Nationen alle mit-
einander Druck auf Saddam Hussein ausüben. Er ist der
Verantwortliche. An ihm liegt es, ob der Frieden gewahrt
werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer darüber täuscht, schwächt die Chancen für eine

friedliche Lösung. Sie machen durch Ihre Politik den Frie-
den nicht sicherer, sondern den Krieg wahrscheinlicher.
Das ist der Kern der Vorwürfe, die wir gegen Ihre Politik
erheben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie haben schweren Schaden in das deutsch-amerikani-
sche Verhältnis gebracht und die atlantische Partnerschaft
als Grundlage unserer eigenen Sicherheit diskreditiert.

Herr Struck, mit Verlaub, es tut einem weh, wenn ein
Bundesverteidigungsminister so argumentieren muss, wie
Sie es im Zusammenhang mit der Türkei und den Nieder-
landen gemacht haben: Die Türkei hat in den Niederlan-
den wegen der Patriot-Systeme angefragt, über die die
Niederländer gar nicht verfügen. Bei uns hat sie nicht an-
gefragt.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Weil wir welche haben!)


Deswegen stellen wir den Niederlanden auf die Bitte der
Türkei die Patriot-Systeme zur Verfügung. Machen Sie
sich nicht lächerlich!


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Winkeladvokat!)


Es gibt nur einen einzigen Grund: Sie haben der Türkei
gesagt, fragt nicht uns, fragt die Niederlande. Die Situa-
tion wurde doch von Ihnen eingeleitet. Sie wollen im
Bundestag nicht die notwendige Zustimmung dafür her-
beiführen. Ich sage Ihnen: Sie haben sie, wir stimmen zu.
Michael Glos hat doch schon erklärt, dass wir das tun wer-
den. Es wird keinerlei Probleme geben. Lassen Sie diese
Mätzchen, denn sie untergraben das Vertrauen in die Ver-
lässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland.

Was denken die Menschen in der Türkei, in den Nie-
derlanden, in Amerika und sonst wo auf der Welt über uns
als Partner? 50 Jahre lang haben wir gesagt, die Amerika-
ner werden verlässliche Partner sein, sie werden uns doch
nicht im Stich lassen, wenn wir bedroht werden. Jetzt
führen wir ein solches Affentheater auf. Das ist eine
Schande für unser Land! Das sollten Sie korrigieren.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)


Ich will auf ein anderes schwieriges Thema eingehen.
Es war die Aufgabe deutscher Außenpolitik in der Nach-
kriegszeit, die deutsch-französischen Beziehungen als
ein Kernelement der europäischen Einigung dauerhaft und
eng mit der atlantischen Partnerschaft zu verbinden. Auch

Dr. Wolfgang Schäuble




Dr. Wolfgang Schäuble
bei der Diskussion über die Präambel des Élysée-Vertrags,
dessen 40-jähriges Jubiläum wir vor ein paar Wochen fei-
erlich begangen haben, ist ein Stück weit der Konflikt zwi-
schen Atlantikern und Gaullisten sichtbar geworden.

Es war immer unsere Politik, nicht zwischen Paris und
Washington wählen zu müssen, sondern darauf zu achten,
sie miteinander zu verbinden. Sie haben in den letzten
Wochen ohne Sinn und Verstand genau diese Balance auf-
gegeben.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist eine große Gefahr, es schwächt Europa.

Frankreich ist klug und in der Diplomatie erfahren ge-
nug, um nicht in diese Falle zu treten. Präsident Chirac hat
immer gesagt: Wir werden erst am Schluss darüber befin-
den, wie wir uns entscheiden werden.

Herr Bundesaußenminister, ich hätte mir das als Koali-
tionspartner nicht gefallen lassen. Sie haben im Sicher-
heitsrat zum ersten Mal den Vorsitzwahrgenommen und
es wurde angekündigt, dass der amerikanische Außenmi-
nister in einer langen Rede zusätzliche Beweise, Hinweise
oder sonstige Belege vorlegt. Bevor Sie die Sitzung eröff-
net hatten, erklärte der Regierungssprecher in Berlin, dass
sich, was auch immer der amerikanische Außenminister
vortragen und vorlegen werde, an der Haltung der Bun-
desregierung nichts ändern werde. Das ist ein solcher Af-
front gegen den Sicherheitsrat und gegen Sie, dass Sie das
einfach nicht akzeptieren dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch die Tonart der Regierungserklärung ist ganz

wichtig. Die Tonart und die Entschlossenheit des Kanz-
lers heute morgen waren fest gegen unsere Verbündeten
gerichtet.


(Ute Kumpf [SPD]: Die war gut! Was ist dagegen zu sagen?)


– Ich möchte Sie geradezu beschwören und an Sie appel-
lieren: Erwecken Sie nicht länger den Eindruck, als würde
Deutschland unter dieser Regierung wieder einen Son-
derweg gehen. Der deutsche Weg, der Weg, den Sie ein-
schlagen wollen, führt in die Irre. Er führt uns nicht
zurück zu Wilhelm II., aber er führt uns in eine Zukunft,
in der Sicherheit und Frieden weniger gesichert sind, als
es bisher der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen auf dem Weg verlässlicher Partnerschaft

bleiben. Wir müssen europäische Einigung und atlanti-
sche Partnerschaft zusammenhalten. Je mehr eigene
Beiträge wir übrigens auch zur atlantischen Partnerschaft
leisten und je weniger Kritik wir üben und je weniger Rat-
schläge wir unseren amerikanischen Verbündeten ertei-
len, umso eher werden wir mit unseren Argumenten im
transatlantischen Dialog Gehör finden können. Wer selber
außer Rat und Nörgelei nichts zu bieten hat,


(Lachen bei der SPD)

sondern nur solche Mätzchen macht, wie Patriots über die
Niederlande in die Türkei zu schicken,


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das ist jetzt wunderbar!)


der muss sich nicht wundern, wenn er in Amerika nicht
mehr als relevant angesehen werden wird.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)

Dies liegt nicht im deutschen Interesse und dies dient

auch nicht der atlantischen Partnerschaft. Wir schwächen
damit die Vereinten Nationen und machen den Frieden
nicht sicherer.

Herr Bundeskanzler, wo immer Sie im Augenblick sit-
zen mögen, aber der Vizekanzler vertritt Sie


(Abg. Gerhard Schröder [SPD] erhebt sich – Joseph Fischer, Bundesminister: Der Bundeskanzler sitzt da drüben bei den Abgeordneten! – Michael Glos [CDU/CSU]: Da soll er bleiben! – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Ist er schon zurückgetreten? – Joseph Fischer, Bundesminister: Sein Vorgänger hat oft zwischen den Abgeordneten Platz genommen!)


– schön –, ich wollte Sie nur ansprechen, denn mein letz-
tes Wort in dieser Rede sollte ein Appell, eine Bitte an Sie
sein: Es geht um zu wichtige Entscheidungen für die Zu-
kunft unseres Landes, als dass Sie der Versuchung nach-
geben sollten, Stimmungen in der Bevölkerung einfach
nur für kurzfristige Zwecke zu nutzen. Setzen Sie die Pri-
oritäten im Sinne verantwortlicher Regierungspolitik


(Joseph Fischer, Bundesminister: Das sagt ausgerechnet Schäuble!)


im Interesse der Zukunft unseres Landes und klären Sie
die Menschen entsprechend auf und informieren Sie sie.

Auch in der Demokratie besteht eine Führungsver-
antwortung. Es kann nicht sein, dass wir jeder Stimmung
nachgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Das sagt einer von der CDU!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502504100

Herr Kollege Schäuble, kommen Sie bitte zum

Schluss.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1502504200

Sie schüren am Ende nur die Ängste der Menschen,

statt dass Sie den Menschen mehr Vertrauen und mehr Zu-
versicht dahin gehend vermitteln, dass wir mit einer Poli-
tik der Verlässlichkeit und Berechenbarkeit auch in der
Zukunft in der Lage sein werden, Frieden, Sicherheit und
Freiheit für unser Land zu garantieren.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502504300

Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Weisskirchen von

der SPD-Fraktion.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1502504400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

ber Kollege Schäuble, hören Sie bitte kurz zu, damit ich


(A)



(B)



(C)



(D)


1904


(A)



(B)



(C)



(D)






aufnehmen kann, was Sie gesagt haben. Sie sind es, der
hier gesagt hat, diese Bundesregierung verfolge einen
Sonderweg.

Das sagen Sie gerade in diesem Saal, in dem es Sozi-
aldemokraten gegeben hat, die den Sonderweg verurteilt
haben, den die Konservativen nach rechts zu den Deutsch-
nationalen gegangen sind. Das war ein Teil Ihrer Partei
und das ist Ihre Vergangenheit. Dorthin gehören Sie.


(Beifall bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie sind ein Schwätzer!)


Das sagen Sie der Sozialdemokratie.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schlimmer als Stiegler!)

Herr Dr. Schäuble, Sie haben zu Beginn vom Anti-

amerikanismus gesprochen. Ich frage Sie: Wer war denn
in der Weimarer Republik derjenige,


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Hören Sie auf!)


der nach Wilson die Verbindung zu den USA

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Man fragt sich doch, wer was getrunken hat!)

– hören Sie genau zu – gehalten hat, der dafür gesorgt hat,
dass in der Weimarer Republik wenigstens die Chance auf
eine Demokratie aufrecht erhalten worden ist? Diese Ver-
bindungslinie gehört zur Sozialdemokratie und nicht zur
rechten Seite dieses Parlamentes! Das will ich Ihnen ein-
mal ganz deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Ein bisschen lauter bitte!)


Zur Außenpolitik. Ich kann mich noch sehr gut da-
ran erinnern – vielleicht erinnern auch Sie sich, Herr
Dr. Schäuble –, als es darum ging, den KSZE-Prozess zu
erfinden, der mit dafür gesorgt hat, dass die Mauern in
Europa eingestürzt sind. Wo war denn da die Union?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wo war sie, als diese Alternative entwickelt wurde? Nein,
so einfach können Sie es sich nicht machen, lieber Kol-
lege Dr. Schäuble.

Ich komme zu einem zweiten Punkt, der von Ihnen an-
gesprochen wurde und der mich sehr verwundert hat. Sie
haben der Bundesregierung in der Debatte Pazifismus
vorgeworfen. Wer hat denn schon 1998, also noch in
Bonn, versucht, den Weg zu ebnen – das war für uns un-
geheuer schmerzhaft; wir haben es zum Teil miterlebt und
mit erlitten –, dass der Einsatz des Militärs, eingebettet in
einen politischen Prozess, zulässig und vielleicht sogar
notwendig ist, um Diktatoren zu Fall zu bringen? – Es war
diese Regierung, die dafür gesorgt hat, dass diese Chance
genutzt wurde!


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ohne eigene Mehrheit!)


Pazifismus kann man uns nicht vorwerfen und Anti-
amerikanismus genauso wenig.

Erinnern Sie sich daran, was vor zwei Tagen zum Bei-
spiel Dustin Hoffman hier in Berlin gesagt hat.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war wohl auch antiamerikanisch!)


Ist das etwa auch antiamerikanisch?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ist es antiamerikanisch, wenn zum Beispiel der ehe-

malige Präsident Jimmy Carter in diesen Tagen genau die
Alternative beschreibt, die die Bundesregierung gemein-
sam mit Frankreich und anderen Ländern im Weltsicher-
heitsrat endlich zur Geltung zu bringen versucht? Ist das
etwa antiamerikanisch? – Nein!


(Zuruf des Abg. Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU])


– Lieber Genosse!

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Pardon, entschuldigen Sie bitte diesen Fehler, lieber
Herr Schmidt.


(Christian Schmidt [Fürth][CDU/CSU]: Solche Verunglimpfungen wollen wir doch bitte unterlassen! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: „Genosse Glos“ wollte er sagen!)


Sie haben vielleicht gelesen, woher der Ursprungsge-
danke stammt, der nun auch von der Bundesregierung
verfolgt wird. Die Idee stammt aus dem Carnegie
Endowment for International Peace. Im August des
Jahres 2002 wurde dies als eine denkbare Alternative vor-
geschlagen, um die bisherigen Inspektorenregimes zu
verändern und zu verbessern, damit Saddam Hussein die
Chance auf Massenvernichtungswaffen verliert. Das ist
die Alternative, die auch in den USA längst bekannt ist.

In der „Washington Post“ war vor zwei Tagen von
Jessica Mathews, der Präsidentin von Carnegie Endow-
ment, zu lesen. Sie beschreibt dort Punkt für Punkt – es ist
in vielen Teilen also identisch –, was im Weltsicherheits-
rat von Paris und Berlin gemeinsam formuliert wird. Was
ist denn daran antiamerikanisch, wenn wir eine Debatte,
die es in den USA gibt, aufnehmen und zu einer wirkli-
chen Alternative entwickeln? Ich kann keinen Antiameri-
kanismus erkennen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen an einer
wirklichen Weggabelung. Wir sollten wenigstens noch
eine Sekunde darüber nachdenken, ob das, was morgen
Hans Blix und Mohammed al-Baradei vor dem Welt-
sicherheitsrat berichten werden – nämlich dass sich durch
die Inspekteure eine Chance abgezeichnet hat –, genutzt
werden kann. Wir wissen natürlich nicht im Detail, was
die Inspekteure morgen berichten werden. Soweit wir bis-
her gehört haben, sagen auch sie, dass der Irak begonnen
hat, sich an die Forderungen, an die Vorschläge, an den
Willen und an die Erfüllung dessen, was Resolution 1441
verlangt, anzunähern. Das ist noch lange nicht genug, das
wissen wir doch auch. Deswegen kommt es darauf an, die
Frage nach der Alternative zu stellen: Heißt die Alternative
Krieg oder Fortsetzung einer robusten Inspektorenrolle?

Gert Weisskirchen (Wiesloch)





Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Die Alternative heißt für uns ganz eindeutig und klar: Alle
Instrumente, die es innerhalb dieses Rahmens gibt, müs-
sen voll ausgenutzt werden, damit die Alternative Krieg
vermieden werden kann. Das ist der entscheidende Punkt,
um den es jetzt geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Ihnen das, was
Karol Wojtyla dazu gesagt hat, nicht reicht, nämlich dass
der Krieg in der Tat eine Niederlage der Menschlich-
keit und der Menschheit wäre – ich finde gut, Herr
Dr. Schäuble, dass Sie das bestätigt haben –, nehmen Sie
doch die Debatte, die gegenwärtig im amerikanischen
Kongress läuft, wo in einem Hearing die Frage beant-
wortet werden soll: Was geschieht eigentlich danach, falls
es zu einem Krieg käme? Man liest und hört von manchen
Kollegen, wenn der Irak falle, werde ein Dominostein fal-
len, alle anderen Dominosteine in der Region würden
dann auch fallen, dann werde es Demokratie und Harmo-
nie in der Region geben, die Region werde befriedet sein.
Das ist in der Tat auch gesagt worden; aber, entschuldigen
Sie, das löst doch die Probleme nicht. Besteht nicht eher
die Gefahr, dass, wenn es einen Krieg gegen den Irak
gäbe, danach eine Fülle zusätzlicher Probleme auftreten
könnte, viel gefährlichere als die, auf die wir jetzt durch
Eindämmungspolitik eine andere Antwort zu finden ver-
suchen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Mister Christoph hat
in der „Herald Tribune“ vor einigen Tagen die Frage ge-
stellt, ob es denn einen besseren Weg gebe als den Krieg.
Die Antwort hat er selber in der Überschrift gegeben: Ja,
Containment, Eindämmung, ist die bessere Alternative,
und darum geht es. Diese Alternative zur Geltung kom-
men zu lassen, darum müssen wir uns bemühen. Dafür
setzen wir uns ein, und deswegen sagen wir: Das, was die
Bundesregierung tut, ist genau das, was nicht nur die
Menschen, die in Deutschland, ja in Europa leben, son-
dern auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages, die
die Regierung tragen, wünschen. Wir fordern es und wir
setzen die gesamte politische Kraft, über die wir verfügen,
ein, damit die Regierung Erfolg hat und der Krieg am
Ende vermieden wird. Das ist die zentrale Botschaft, die
heute hier im Deutschen Bundestag von uns ausgeht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502504500

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502504600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Warum reden wir eigentlich nicht Klartext? Denjenigen,
die meinen, jetzt sei Krieg angesagt, geht es nicht um
Menschenrechte. Es geht ihnen auch nicht um einen Dik-
tator namens Hussein. Es geht um eine militärische Neu-
ordnung der Welt, wieder einmal.

Ich stimme allen zu, die sagen: Die Welt muss neu und
besser geordnet werden. Ich stimme auch allen zu, die sa-

gen: Menschenrechte sind ein unteilbares Gut. Und ich
stimme allen zu, die sagen: Gerechtigkeit, allemal soziale,
ist ein hoher, aber durch Diktatoren wie Saddam Hussein
unterdrückter Wert.

Aber all das steht nicht auf der Tagesordnung, auch
nicht in der Debatte, die wir heute Vormittag hier führen.
Der Streit geht darum, ob Deutschland den Vorhaben und
den Vorgaben der US-Administration folgen soll oder
nicht. Die CDU/CSU will dabei sein, an der Seite von
Bush und Rumsfeld, notfalls gegen die UNO. Die PDS
will das nicht. Soweit ich es beurteilen kann, will es Rot-
Grün auch nicht. Aber viel wichtiger ist: Dreiviertel aller
Deutschen wollen das nicht.

Ich komme gleich direkt zur Irakfrage. Vorher will ich
allerdings noch auf Vorwürfe eingehen, die offensichtlich
aus der Propagandazentrale der CDU stammen. Es ist
wirklich absurd, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn
Sie erneut die antiamerikanische Keule gegen alle
schwingen, die einem Kriegskurs nicht folgen wollen.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Nach demselben Denkmuster wären Sie antifranzösisch.
Frau Merkel, Ihr Stiefvater, Herr Adenauer, würde Sie

enterben, wenn er das, was Sie heute hier aufführen, noch
erleben müsste.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genauso gefährlich ist der Versuch, Europa in ein altes
und ein neues Europa, je nachdem, welcher Staat den Be-
fehlswünschen der USA folgt oder nicht, einzuteilen. Ich
finde, ein altes Europa mit einem neuen Denken ist besser
als eine neue Welt mit einem alten Denken. Deutlicher ge-
sagt: Krieg löst keine Probleme. Kriege potenzieren Pro-
bleme. Das gilt auch in Bezug auf den Irak. Deshalb sollte
der Bundestag heute einen einzigen klaren Satz be-
schließen: Deutschland wird sich weder direkt noch indi-
rekt an einem Krieg im Irak beteiligen. Mit einem klaren
Ja zu diesem schlichten, aber sehr wichtigen Satz wären
Sie übrigens auch wieder auf dem Boden des Grundge-
setzes. Den verlassen Sie nämlich, wenn Sie über eine
Kriegsbeteiligung jenseits des Völkerrechts reden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Sie haben sich vorhin sehr aufgeregt. Wer aber über
Präventivkriege schwadroniert, wie Sie es tun, der be-
wegt sich jenseits des Völkerrechts und des Grundgeset-
zes. Deshalb ist der Vorwurf, Sie befänden sich auf
Kriegspfaden, so unbegründet nicht. Sie selbst bieten
doch die Argumente für solche Vorwürfe.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Wir reden hier übrigens nicht nur über einen möglichen
Krieg gegen den Irak. Wir debattieren auch über die Zu-
kunft der UNO.Die US-Führung hat unmissverständlich
erklärt: Ist die UNO mit uns, dann ist das okay, ist die
UNO nicht mit uns, dann ist das egal. Wer vor diesem
Hintergrund wie Sie von der Opposition zur Rechten die
bedingungslose Solidarität einfordert, der startet zugleich
einen Angriff auf die Vereinten Nationen.


(A)



(B)



(C)



(D)


1906


(A)



(B)



(C)



(D)






Die PDS ist grundsätzlich gegen einen Krieg; das ist
bekannt. Ich bin fest davon überzeugt, dass am nächsten
Samstag Millionen Menschen – unter anderem auch in
Berlin ab 12 Uhr – erneut ihr Nein zum Krieg demons-
trieren werden. Ich fände es gut, wenn sich viele von uns
dort wiederfinden würden, um gemeinsam mit den vielen
Menschen, die sagen, dass Krieg kein Mittel ist, auf die
Straße zu gehen, um das sehr deutlich zu unterstreichen.

Danke schön.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502504700

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Christoph Zöpel von

der SPD-Fraktion.


Dr. Christoph Zöpel (SPD):
Rede ID: ID1502504800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Uns alle hier und auch alle, die in anderen Län-
dern des westlichen Bündnisses – also selbstverständlich
auch in den USA – derzeit darum ringen, dass der Westen
in der Welt weiter prägend sein kann, leiten beste Motive.
Jenseits mancher parteipolitischer Kontroversen geht es
darum.

Ich glaube nur, wenn wir im Westen darüber reden, was
der Westen ist, dann sollten wir als erstes feststellen, dass
er kein regionaler Ausschnitt dieser Welt, sondern eine
universelle Geisteshaltung ist. Im Westen herrscht vor
allem die Überzeugung, dass das Lebensrecht und die
Würde jedes Menschen, sei er Amerikaner, Deutscher,
Iraker, Israeli oder Palästinenser, überall gilt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Westen wird nur Erfolg haben, wenn er das vermitteln
kann.

Zum Westen gehört auch unsere Geistesgeschichte,
zum Beispiel die französische Revolution, die Erklärung
der Menschenrechte und der Gedanke des permanenten
Friedens, der zuerst in Frankreich – bereits im Jahre 1713 –
durch Saint Pierre und später durch Kant formuliert
wurde. Dazu gehört auch die Überzeugung, dass Demo-
kratien miteinander reden. Wenn das die Werte sind, um
die wir hier ringen, kommen wir weiter. Zu diesem Rin-
gen gehört auch, zu erkennen, wo die Gefährdungen des
Westens liegen. Es ist unstreitig, dass es die Gefährdung
durch den Terrorismus gibt. Es gibt aber auch andere Ge-
fährdungen. Sie liegen dann vor, wenn wir die Universa-
lität des Westens nicht praktizieren.

Die „Süddeutsche Zeitung“ ist heute mehrmals ge-
nannt worden. Sie hat weise und weniger weise Autoren.
Ich zitiere einen sehr weisen Autor, Heiner Geißler:

Heute steht der Westen vor dem psychologischen
und politischen Problem, dass die Zahl der Men-
schen, die den westlichen Regierungen, vor allem
der amerikanischen, mit Argwohn begegnen und ih-
nen von der Folter bis zum Angriffskrieg jedes Un-

recht zutrauen, weltweit rapide zunimmt – auch in
Europa und den USA. Das Misstrauen geht so weit,
dass viele inzwischen davon überzeugt sind, dass die
USA ihre Kriegsdrohung gegen den Irak auch dann
wahrnehmen, wenn gar keine Massenvernichtungs-
waffen gefunden werden.

Das ist so exzellent formuliert, dass ich Heiner Geißler zi-
tieren wollte, weil ich jedem Satz zustimme.

In dieser Situation ist es für den Westen eine Heraus-
forderung, zu erreichen, dass wir die Basis dessen, was
wir leben wollen, der Welt nicht doppelbödig, sondern
eindeutig vermitteln. Dazu sollten wir alle einen Beitrag
leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dazu gehört, dass ein Militärschlag – ich gehe weiter –,
ein Krieg, der Zehntausende von Ziviltoten fordern
könnte, wirklich nur die Ultima Ratio sein kann, wenn al-
les, aber auch alles versucht wurde, um ihn zu verhindern.
Das ist die Position, die die Mehrheit dieses Hauses hof-
fentlich teilt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Weg, das zu erreichen – auch da nehme ich Heiner
Geißler auf –, hat für Europa zwei Elemente. Das eine
Element ist, dass Europa weiß, was Krieg gegen die Zi-
vilbevölkerung bedeutet. Kein Land hat ihn mehr als
Deutschland verschuldet und Millionen Europäer haben
ihn gemeinsam erfahren.

Heiner Geißler nennt als zweites Element, das man
auch schon bei Kant findet, die Vernunft, die Basis für
Menschenrechte. Sie lässt sich nur durch den öffent-
lichen Dialog durchsetzen. Sie werden nun lächeln:
Heiner Geißler empfiehlt dazu den Gebrauch der Medien.
Alles, was im „Spiegel“ stand, war für mich ein Beitrag
zur Vernunft. Ich will das sehr deutlich sagen. Alles, was
ansonsten dazu angemerkt wird, bringt nichts.


(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Jetzt zitiere ich Herrn Klose!)


In der Debatte, die wir hier führen, hat mich der Satz
überrascht, die Fragen internationaler Politik und von
Krieg und Frieden hätten niemals Wahlkämpfe berührt.
Herr Kollege Westerwelle, Sie sind deutlich jünger als
ich. Daher kann ich Ihnen nicht anrechnen, dass Sie die
50er-Jahre nicht kennen. Aber auch die Geschichtsbücher
können Sie nicht gelesen haben. Die politische Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland war durch De-
batten und Wahlkämpfe über Außenpolitik geprägt.


(Beifall bei der SPD)

Stunden dieses Parlaments, die in Erinnerung geblieben
sind, waren davon bestimmt. Sie beinhalteten auch immer
die Möglichkeit – sie ist oft eingetreten –, dass derjenige,
der Anklage erhoben hat, irrte, oder auch derjenige, der
sich verteidigt hat.

Ein Sozialdemokrat, den viele Konservative heute für
sich in Anspruch nehmen möchten, Kurt Schumacher, hat
zu Konrad Adenauer „Kanzler der Alliierten“ gerufen,
weil er Angst hatte, deutsche Politik könne zu einseitig an

Petra Pau




Dr. Christoph Zöpel
die Amerikas geklammert sein. Er hat wahrscheinlich ge-
irrt; denn entgegen den Annahmen der Sozialdemokraten
ist es Adenauer gelungen, diplomatische Beziehungen zu
Russland aufzunehmen und die Kriegsgefangenen
zurückzubringen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Aber die Debatte war notwendig.

Es gab die Debatte über den Élysée-Vertrag. Sie war
hauptsächlich von Ihnen von CDU und CSU initiiert.
De Gaulle war über das verzweifelt, was die Hälfte von
CDU/CSU über den Élysée-Vertrag gesagt hat. De Gaulle
selber hat erklärt, dass die Präambel den Vertrag aufhebe.
Es ist nicht unrichtig, an dieser Stelle darüber nachzuden-
ken, ob Europa im Bündnis nicht teilweise andere Inte-
ressen als die Vereinigten Staaten hat. Das hat de Gaulle
zusammen mit denjenigen in Deutschland, die für ihn wa-
ren, besser erkannt, als es anderen gelungen ist.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Die SPD hat der Präambel zugestimmt!)


– Es geht mir um Debatten. Sie sind sehr wichtig. Ent-
schieden wird nach der demokratischen Mehrheit.

Wir haben eine Debatte darüber gehabt, ob der KSZE-
Vertrag Europa weiterbringen würde. Eine der beiden Par-
teien, die hier eine Fraktionsgemeinschaft führen, hat ihn
bis zuletzt für eine Gefährdung des Bündnisses gehalten.
Wie man heute sieht, haben sie offensichtlich Unrecht ge-
habt. Diese Debatten gab es immer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um die Ratifizierung der Verträge, die die Regierung
Brandt mit Osteuropa abgeschlossen hat, hat es nach Auf-
lösung des Bundestages einen heftigen Wahlkampf gege-
ben. Herr Kollege Westerwelle, man muss also schon
ziemlich daneben sein, um zu behaupten, es habe nie
außenpolitische Wahlkampfdebatten gegeben.


(Beifall bei der SPD)

In der aktuellen Debatte gibt es historische Vergleiche,

die durchaus zutreffen können, und falsche Feuilletonis-
ten dürfen schreiben, was sie wollen; Politiker hingegen
sollten vorsichtiger sein. Es ist schon abwegig, wenn auch
nur zitiert wird, dass eine Persönlichkeit des 19. Jahrhun-
derts, die Agadir mit dem Panzer erreichen wollte und
Fregatten in die Welt schickte, mit Gerhard Schröder zu
vergleichen sei. Es ist ganz abwegig! Hier geht es um den
Frieden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer das deutsche Bemühen um Frieden, das in der Welt
auffällt, mit einer deutschen Politik vergleicht, die Panzer
und Fregatten in die Welt schickte, sollte ein wenig in sich
gehen, um es vorsichtig zu formulieren.


(Beifall bei der SPD)

Worum geht es in der sicherheitspolitischen Auseinan-

dersetzung im Kern? Im Kern geht es um die Logik des
Kalten Krieges. Der Kalte Krieg ist aus einer sicher-
heitspolitischen Logik entstanden: Wenn ein Gegner uns

gegenüber das Schlimmste unternimmt, dann erfolgt ein
Militärschlag. Diese Logik kann aber nur dann funktio-
nieren, wenn auch die Option besteht, dass der Militär-
schlag vermeidbar ist. Es gab und gibt in der amerikani-
schen Debatte zu viele Stimmen – auch Geißler sieht das
so –, die den Präventivschlag als einzige, unvermeidbare
Möglichkeit formuliert haben. Deshalb war und ist es not-
wendig, dass die zwingende Alternative zum vernichten-
den Schlag bzw. die Möglichkeit, ihm zu entgehen, auch
gegenüber Saddam Hussein zum Ausdruck gebracht wird.
Das tut diese Regierung und das tut Frankreich.

Über den Satz, Deutschland isoliere sich in der Völ-
kergemeinschaft, würde ich einmal nachdenken, Herr
Kollege Westerwelle.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ja, das habe ich vorher gemacht!)


Wörtlich genommen bedeutet er, dass mehr als 1 Milli-
arde Chinesen, Russland, Frankreich und derzeit weitere
Mitglieder des Sicherheitsrats nicht zur Weltgemeinschaft
gehören. Diese Logik steht dahinter.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir besprechen es hier noch einmal!)


– Dass die Chinesen zur Weltgemeinschaft gehören, wer-
den doch nicht einmal Sie bestreiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Markus Löning [FDP]: Das ist ja unerträglich, was Sie hier sagen!)


Jetzt zu Europa: Es ist nicht schön, dass es derzeit
keine gemeinsame europäische Außenpolitik gibt. Aber
bleiben wir doch bei den Fakten. Zehn Regierungschefs
quer durch die politischen Lager haben nicht unterschrie-
ben, als eine amerikanische Zeitung – die übrigens kein
diplomatischer Akteur ist – dazu aufgefordert hat. Fünf
Regierungschefs haben unterschrieben. Wir sind glück-
lich und zufrieden, dass wir der Mehrheit der zehn an-
gehören statt der Minderheit der fünf, zu denen zu
gehören Ihnen von CDU und CSU ein echtes Anliegen ist.
So viel zur Europäischen Union.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zu meiner letzten Bemerkung, die ich sehr
ernst meine. Es geht um das europäische Sicherheits-
interesse. Die Vereinigten Staaten und Europa befinden
sich in geohistorischer und geopolitischer Hinsicht in ei-
ner unterschiedlichen Situation. Wenn sich in den Län-
dern mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung der Ein-
druck durchsetzte, es ginge um einen Krieg des Westens
gegen den Islam, dann sind die Antworten nicht mit den
traditionellen militärischen, sondern mit polizeilichen
Mitteln zu geben. Wir sind wesentlich gefährdeter als die
Vereinigten Staaten. Zwischen den Vereinigten Staaten
und dem Kern der islamischen Länder liegt der Atlanti-
sche Ozean. Zwischen uns und den islamischen Ländern
hingegen liegt eine nicht kontrollierbare Grenze.


(Dirk Niebel [FDP]: Richtig! Es können auch Biowaffen hereinkommen! Die anderen haben sie bloß noch nicht eingesetzt!)


– Die gibt es in mehr Staaten als dem Irak. Auch wenn sie
dort entfernt würden, wäre die Gefahr nicht gebannt. Un-


(A)



(B)



(C)



(D)


1908


(A)



(B)



(C)



(D)






sere Hauptgefährdung besteht darin, dass handlungsun-
fähige islamische Staaten nicht mehr in der Lage sind, bei
der Kontrolle von Menschenströmen, von normaler Kri-
minalität, von Gewaltkriminalität und der Kontrolle von
mit Migration verbundener terroristischer Aktionen mit
uns zu kooperieren. Darin besteht die eigentliche Gefähr-
dung, vor der die Menschen Angst haben.

Meine Wertschätzung der Experten in München, die oft
zitiert wurden, hat sehr gelitten. Kein einziger dieser Ex-
perten ist auf die wirkliche Gefährdung Europas durch eine
auf den Missbrauch einer Religion gestützte, mit Gewalt
und möglicherweise mit Terrorismus verbundene Migra-
tion eingegangen. Das aber ist die Sicherheitsanalyse, die
wir brauchen. Die entsprechende Sicherheit werden wir nur
bekommen, wenn die islamische Welt uns glaubt. Jeder tote
Moslem ist genauso ein unersetzliches Opfer wie jeder tote
Christ und jeder tote Agnostiker. Ich meine, das sollte die
Basis der notwendigen Verständigung sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502504900

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-

ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Druck-
sache 15/434. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt na-
mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.

Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer die
Plätze eingenommen? Können Sie mir ein Zeichen ge-
ben? – Gut. Dann eröffne ich die Abstimmung.

Hat noch ein Mitglied des Hauses seine Stimme nicht
abgegeben? – Sind jetzt alle Stimmen abgegeben? – Dann
schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Auszählung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)

Wir setzen die Abstimmungen fort: Abstimmung über
den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/421 mit dem Titel „Europa und Amerika müssen zu-
sammenstehen“. Auch hier ist namentliche Abstimmung
vorgesehen.

Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind noch an
ihren Plätzen. Ich eröffne die Abstimmung.

Wir befinden uns in der zweiten namentlichen Abstim-
mung. Anschließend wird der nächste Tagesordnungs-
punkt aufgerufen. Eine dritte namentliche Abstimmung
erfolgt erst zu späterer Zeit.

Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimme abgegeben? – Das scheint der Fall zu sein. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch
das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.2)

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatz-
punkt 5 auf:
3. – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordne-

ten Peter Götz, Dr. Michael Meister, Friedrich Merz,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur Neuordnung der Ge-
meindefinanzen (Gemeindefinanzreformgesetz)

– Drucksache 15/30 –

(Erste Beratung 10. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes zur Neuordnung der Gemeinde-
finanzen (Gemeindefinanzreformgesetz)

– Drucksache 15/109 –

(Erste Beratung 16. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-

ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 15/384 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Scheelen
Heinz Seiffert


(8. Ausschuss)

– Drucksachen 15/385, 15/386 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Steffen Kampeter

ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gemeindefinanzen dauerhaft stärken
– Drucksache 15/433 –

Über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU
sowie über den Antrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen werden wir später namentlich
abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich diejenigen
Kolleginnen und Kollegen, die der Aussprache nicht bei-
wohnen wollen, den Plenarsaal zu verlassen, damit die Red-
ner Gehör finden können. Diejenigen Kollegen, die der Aus-
sprache folgen wollen, bitte ich, ihre Plätze einzunehmen.

Ich gebe Ihnen noch das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung über den Entschließungsantrag zu
der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bun-
deskanzler zur aktuellen internationalen Lage bekannt.
Antragsteller war die CDU/CSU-Fraktion. Abgegebene
Stimmen 572. Mit Ja haben gestimmt 268, mit Nein ha-
ben gestimmt 301 bei drei Enthaltungen. Der Entschlie-
ßungsantrag ist damit abgelehnt.

Dr. Christoph Zöpel

1) Seite 1909 D
2) Seite 1914 D




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A)



(B)



(C)



(D)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 572;
davon

ja: 269
nein: 300
enhalten: 3

Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg

Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder

(Bad Dürrheim)


Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn (Zingst)

Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann

Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Doris Meyer (Tapfheim)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Bernd Neumann (Bremen)

Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)


Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von
Stetten

Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Dr. Christian Eberl
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann

(Homburg)


Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht


(A)



(B)



(C)



(D)





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ina Lenke
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Eberhard Otto (Godern)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein

Nein
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Bauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger

Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großbaum
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann

(Wackernheim)


Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Klaus Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka

Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann (Bramsche)

Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-
Hanewinckel

Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)


Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)


Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Swen Schulz (Spandau)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt (Pforzheim)

Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Ich eröffne jetzt die Aussprache zum Tagesordnungs-
punkt 3 sowie zum Zusatzpunkt 5. Es geht um die Ge-
meindefinanzreform. Als erster Redner hat das Wort der
Kollege Bernd Scheelen von der SPD-Fraktion.


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1502505000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! In den acht Staatskanzleien der von CDU und CSU
regierten Länder in München, Stuttgart, Wiesbaden, Saar-
brücken, Hamburg, Magdeburg, Dresden und Erfurt und
möglicherweise auch in einem Wohnzimmer in Hannover
sitzen jetzt die Ministerpräsidenten und die Chefs der
Staatskanzleien vor dem Fernseher und verfolgen die De-
batte über diesen Punkt im Deutschen Bundestag. Die
Frage ist: Warum tun Teufel, Koch, Stoiber und die ande-
ren das?


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie wollen den Herrn Scheelen hören!)


– Ich glaube nicht, Herr Michelbach, dass die Minister-
präsidenten und die Chefs der Staatskanzleien Sie hören
wollen. Herr Stoiber wird Sie gut kennen und wird si-
cherlich nicht Ihretwegen vor dem Fernseher hocken.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der weiß, was ich sage!)


Es geht um Senkung der Gewerbesteuerumlage.Die
Sorge, die die Ministerpräsidenten umtreibt, ist, dass wir
Ihrem Antrag zustimmen könnten; denn das wäre der Su-
per-GAU, und zwar sowohl für Sie als auch für die Mi-
nisterpräsidenten der von Ihnen regierten Länder.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die haben doch im Bundesrat zugestimmt!)


Deswegen setzen die Ministerpräsidenten ihre ganze
Hoffnung in die Koalition aus SPD und Grünen und wün-
schen sich, dass der von Ihnen eingebrachte Gesetzent-
wurf heute keine Mehrheit findet. Ich kann diejenigen, die
vor dem Fernseher sitzen, beruhigen. Sie können die
Fernseher wieder ausschalten und im Interesse ihrer Län-

der weiterarbeiten; denn wir werden Ihrem Gesetzentwurf
nicht zustimmen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Wer setzt Ihnen so etwas ins Gehirn?)


Sollten wir Ihnen signalisieren, dass wir diesem Ge-
setzentwurf zustimmen, würden Sie sehr wahrscheinlich
sofort eine Sitzungsunterbrechung beantragen und diesen
Gesetzentwurf zurückziehen; denn Sie haben ihn ja nur
gestellt, weil Ablehnung gesichert ist. Was Sie der Öf-
fentlichkeit nicht sagen, ist, dass dieser Gesetzentwurf
nicht nur den Bund Geld kostet, sondern auch die Länder,
und zwar zu gleichen Teilen. Was Sie wollen, ist die
Zurückführung der Gewerbesteuerumlage in diesem Jahr
in einer Größenordnung von 1,1 Milliarden Euro für die
Länder und in der gleichen Größenordnung für den Bund,
aufwachsend auf 1,3Milliarden Euro in den nächsten Jah-
ren. Das sind Größenordnungen, die sich die Länder – das
wissen Sie ganz genau, meine Damen und Herren – über-
haupt nicht leisten können.

Das Maastricht-Kriterium ist im vorigen Jahr ja nicht
nur infolge der Neuverschuldung des Bundes überschrit-
ten worden, sondern im Wesentlichen infolge der Neu-
verschuldung der Länder. Die haben den deutlich
größeren Anteil daran. Sollten wir durch einen Beschluss,
wie Sie ihn heute – angeblich – herbeiführen wollen, die
Einnahmebasis der Länder noch verschmälern, dann
würde das in diesem Jahr einen zusätzlichen Beitrag dazu
leisten, an diesem 3-Prozent-Kriterium zu schrappen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das haben Sie doch schon lange überschritten!)


– Aber Sie, Herr Michelbach, wollen ja, dass das noch
weiter überschritten wird;


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nein, Sie müssen mal selber im Bund sparen!)


sonst würden Sie einen solchen Gesetzentwurf nicht ein-
bringen.

Wie ernst Sie und die Länder, die mit ihrer Mehrheit im
Bundesrat den Gesetzentwurf auch eingebracht haben,


(A)



(B)



(C)



(D)


1912

Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Dr. Peter Gauweiler
Henry Nitzsche
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz

Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Dagmar
Göring-Eckardt

Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann

Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Ingolstadt)

Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl

Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf (Frankfurt)

Fraktionslos
Dr. Gesine Lötzsch
Petra Pau

Enthalten
CDU/CSU
Manfred Carstens (Emstek)

FDP
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dr. Max Stadler


(A)



(B)



(C)



(D)






aber auch nur deswegen, weil sie sicher sein können, dass
er hier und heute keine Mehrheit findet, es mit diesem Ge-
setzentwurf meinen, zeigt Folgendes: Die Länder haben in
ihren Haushalten für das kommende Jahr eine solche Aus-
gabenposition nicht eingestellt. Daran sieht man, wie ernst
Sie das meinen. Es ist sogar umgekehrt: Länder wie Hes-
sen haben Einnahmepositionen infolge des Steuervergüns-
tigungsabbaugesetzes, das Sie vehement bekämpfen, in
ihren Haushalt eingestellt. Sie sagen ja überall, Sie mach-
ten das nicht mit. Aber um Ihre Haushalte wenigstens op-
tisch einigermaßen in Schuss zu bringen, rechnen Sie die
Einnahmen aus diesem Gesetz, das Sie ablehnen, schon
mit ein. Das zeigt sehr deutlich, wie doppelzüngig und
pharisäerhaft in dieser Frage von Ihnen argumentiert wird.

Ihr Ziel ist, den Bürgern und der Öffentlichkeit mit die-
sem Gesetzentwurf zu suggerieren, dass an dem schlech-
ten Zustand derGemeindefinanzen der Bund schuld ist.
Jedes Mal, wenn ein Schwimmbad geschlossen wird,
wenn Straßen nicht repariert werden können, wenn es
durch die Frostaufbrüche Schlaglöcher gibt, wollen Sie
und Ihre Oberbürgermeister und Bürgermeister sich hin-
stellen und sagen: Das hat der Bund verursacht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer ist denn der Wachstumskiller? Wer vernichtet denn Wachstum? – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: So ist es auch! – Dem kann man nur zustimmen!)


Dieses Manöver ist außergewöhnlich durchsichtig; denn
Sie könnten ja, wenn Sie wollten, zeigen, dass Sie es wirk-
lich ernst meinen. Sie könnten uns damit in Zugzwang
bringen. Sie könnten nämlich in den Ländern, in denen
Sie regieren – ich habe die Länder vorhin aufgezählt –,
das, was die Gewerbsteuerumlage Ihnen vermeintlich zu
viel in die Kassen bringt, in eigener Machtvollkommen-
heit an die Gemeinden zurückgeben. Das tun Sie aber
nicht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Weil die Länder auch kein Wachstum mehr haben!)


Beweis: Antrag der SPD-Fraktion im Bayerischen Land-
tag, die Bayerische Staatsregierung möge doch, da sie das
vor einem Jahr schon einmal gefordert hat, die Mittel, die
Bayern von den Gemeinden bekommen hat, an diese
zurückgeben. Den Antrag haben Sie abgelehnt. Auch das
zeigt wieder, wie doppelzüngig, pharisäerhaft und verlo-
gen Ihre Argumentation in dieser Frage ist.

Was ist der Hintergrund dieses Gesetzentwurfs? Das ist
nach Meinung der Opposition die Steuerreform 2000.
Darin war vereinbart, dass Senkungen bei solchen Steu-
ern, die den Bund und die Länder betreffen, zum Beispiel
bei der Körperschaftsteuer, auch von den Gemeinden mit-
getragen werden, die sonst an den Ausfällen zum Beispiel
der Körperschaftsteuer nicht partizipieren. Deswegen
wurde als Stellmechanismus die Gewerbesteuerumlage in
Stufen angehoben. Wenn man Maßnahmen zur Gegenfi-
nanzierung nicht gleich mit beschlossen hätte, wären die
Mindereinnahmen bei der Körperschaftsteuer so groß ge-
wesen, dass keine Ebene diese hätte tragen können. Bei
den Ausfällen sind die Gemeinden also nicht beteiligt,
aber bei den Maßnahmen zur Gegenfinanzierung.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal Ihren Kämmerern!)


Vor diesem Hintergrund hatte man sich geeinigt, die
Gewerbesteuerumlage in Stufen anzuheben und sie ab
dem Jahr 2006 wieder zu senken. Das ist übrigens mit Zu-
stimmung der kommunalen Spitzenverbände und auch
der Gemeinden erfolgt.

Das Problem ist, dass die Konjunktur genau in dem
Jahr, in dem die größte Steuerentlastung in der Geschichte
dieser Republik stattgefunden hat, eingebrochen ist und
dass dieser Konjunkturabschwung dazu geführt hat, dass
alle staatlichen Ebenen weniger Steuereinnahmen haben.
Die Gemeinden haben vor allem unter geringeren Gewer-
besteuereinnahmen zu leiden.

Jetzt wird deutlich, dass der Scherbenhaufen, den Sie
uns 1998 hinterlassen haben – das gilt auch für die Steuer-
politik –, beseitigt werden muss, und zwar insbesondere in
der Weise, dass man dafür sorgt, dass die Gewerbesteuer
nicht mehr eine rein ertragsabhängige Steuer ist. In den
16 Jahren der Kohl-Regierung wurden alle ertragsunab-
hängigen Bestandteile aus dieser Steuer herausgenommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

Mittlerweile ist offensichtlich, dass diese Steuer nur noch
von wenigen Großen gezahlt wird. Sie haben auf diesem
Gebiet eine sehr kurzsichtige Politik betrieben.

Genauso kurzsichtig wie die Aushöhlung der Gewer-
besteuer, die Sie zu verantworten haben, ist jetzt die For-
derung, die Gewerbesteuerumlagenerhöhung zurück-
zunehmen. Wenn das Geld, um das es geht, wirklich da
ankäme, wo es hingehört, dann könnte man darüber reden.
Ihrem Antrag liegt aber eine ganz andere Systematik zu-
grunde. Ihr Antrag folgt dem Motto: Wer hat, dem wird
gegeben, und wer nichts hat, der hat Pech gehabt. Dieje-
nigen, die noch einigermaßen anständige Gewerbesteuer-
einnahmen haben, zahlen eine relativ hohe Gewerbe-
steuerumlage. Würden wir Ihrem Antrag folgen, dann
würden wir genau denen einen hohen Anteil zurückgeben.
Diejenigen, die aufgrund sinkender Gewerbesteuerein-
nahmen Schwierigkeiten haben, würden keinen Vorteil
davon haben, dass wir die in Ihrem Antrag aufgestellten
Forderungen umsetzten. Von daher macht es keinen Sinn,
Ihrem Antrag zu folgen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele.
Die drei im Hinblick auf die Gewerbesteuerzahlung

einnahmestärksten Städte in dieser Republik – Hamburg,
München und Frankfurt am Main – haben Gewerbe-
steuereinnahmen in Höhe von etwa 3,4 Milliarden Euro.
In diesen Städten wohnen 4 Prozent der Bevölkerung, der
Anteil der Gewerbesteuereinnahmen dieser Städte an den
Gewerbesteuereinnahmen in der gesamten Republik liegt
aber bei 15 Prozent. Würde man die Gewerbesteuerum-
lage abschaffen, dann wäre der Effekt, dass genau dieser
Zustand beibehalten würde. Eine solche Politik kann nicht
sinnvoll sein. Wir werden diese Politik nicht mitmachen.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Fragen Sie einmal den Herrn Ude, ob er das auch so sieht!)


Die Situation der Gemeinden ist natürlich schwierig.
Das wissen wir. Wir haben durch die Verabschiedung ver-
schiedener Gesetze – ich will sie hier nicht im Einzelnen

Bernd Scheelen




Bernd Scheelen
aufzählen – schon Gegenmaßnahmen ergriffen. Wir ha-
ben die Einnahmebasis der Gemeinden in der Größen-
ordnung von 1 Milliarde Euro gesichert, und zwar gegen
Ihren erbitterten Widerstand. Wir denken auch über wei-
tere Sofortmaßnahmen nach, aber nicht in der Weise, wie
Sie das tun.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Der Stolpe denkt darüber nach!)


Sofortmaßnahmen in diesem Jahr müssen, erstens, finan-
ziell deutlich spürbar sein und sie müssen, zweitens, dort
wirken, wo es nötig ist. Würden wir Ihrem Antrag folgen,
wäre das in keiner Weise gewährleistet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie wissen, dass wir eine Kommission zur Reform

der Gemeindefinanzen eingesetzt haben. Diese Kom-
mission beschäftigt sich sowohl mit der Einnahmesitua-
tion als auch mit der Ausgabensituation.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Eine Kommission für den Sankt-Nimmerleins-Tag!)


– Das bekommen Sie von der Bayerischen Staatsregie-
rung permanent eingeimpft. Herr Michelbach, Sie dürfen
nicht alles glauben, was die Ihnen sagt. Da sind Sie auf
dem falschen Dampfer.

Diese Kommission wird in diesem Jahr einen Vor-
schlag vorlegen. Ich hoffe, dass Sie, die Vertreter der Op-
position, Ihre Verantwortung – seit dem 2. Februar ist sie
gewachsen – wahrnehmen und dass Sie konstruktiv an ei-
ner Gemeindefinanzreform, die den Gemeinden stetige
und verlässliche Einnahmen sichert und die ihnen auch
auf der Ausgabenseite behilflich ist, mitarbeiten.

Außerdem leiden die Gemeinden heute unter Vorgän-
gen, die im Zusammenhang mit den Zuweisungen durch
die Länder stehen. Auch die geringer werdenden Einnah-
men auf der Länderseite führen dazu, dass die Verbund-
masse in den Ländern geringer wird. Ihr Ansatz ist auch
in dieser Hinsicht sehr punktuell: Sie greifen nur einen
einzigen Punkt heraus; die anderen beiden Punkte haben
Sie nicht im Visier. Wir dagegen versuchen sämtliche
Punkte zu berücksichtigen.

Frau Roth, die Präsidentin des Deutschen Städtetages,
hat gefordert, diese Reform möglichst sofort und nicht

erst nächstes Jahr durchzuführen. Dazu kann ich nur sa-
gen: Das ist nichts als Wahlkampf, wahrscheinlich im
Hinblick auf Schleswig-Holstein. Der Deutsche Städte-
tag, deren Präsidentin Frau Roth ist, hat – wie ich finde,
zu Recht – gefordert, dass die Kommission Modellrech-
nungen anstellt.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502505100

Herr Kollege, achten Sie bitte auf das Signal am Red-

nerpult.


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1502505200

Wenn Sie gestatten, Frau Präsidentin, mache ich eine

letzte Bemerkung.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502505300

Eigentlich darf ich das nicht gestatten. Sie haben Ihre

Redezeit schon um zwei Minuten überzogen.


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1502505400

Dann will ich nur noch sagen: Nehmen Sie Ihre Ver-

antwortung wahr! Arbeiten Sie konstruktiv mit und zie-
hen Sie Ihren Antrag zurück!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502505500

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich Ih-

nen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Antrag „Europa und Amerika müssen zusam-
menstehen“, Drucksache 15/421, bekannt. Abgegebene
Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 231, mit Nein ha-
ben gestimmt 302, Enthaltungen 37. Der Antrag ist damit
abgelehnt.

Wir fahren fort in der Debatte. Das Wort hat jetzt der
Abgeordnete Peter Götz.


(A)



(B)



(C)



(D)


1914

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon

ja: 232
nein: 302
enhalten: 37

Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann

Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert

Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Gitta Connemann

Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)



(A)



(B)



(C)



(D)





Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg

Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder

(Bad Dürrheim)


Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn (Zingst)


Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Doris Meyer (Tapfheim)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)


Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Hans-Michael Goldmann
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Eberhard Otto (Godern)

Dr. Andreas Pinkwart

Nein
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl

Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann

(Wackernheim)


Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)





Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


(A)



(B)



(C)



(D)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Klaus Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann (Bramsche)

Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann

Christel Riemann-
Hanewinckel

Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)


Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Swen Schulz (Spandau)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt (Pforzheim)

Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener

Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Dr. Peter Gauweiler
Henry Nitzsche
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Dagmar
Göring-Eckardt

Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk

Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Ingolstadt)

Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf (Frankfurt)

FDP
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dr. Max Stadler
Fraktionslos
Dr. Gesine Lötzsch
Petra Pau

Enthalten
CDU/CSU
Manfred Carstens (Emstek)

FDP
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Dr. Christian Eberl
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann

(Homburg)


Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein


(A)



(B)



(C)



(D)







Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1502505600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Kollege Scheelen, um die Sorgen der Mi-
nisterpräsidenten der CDU- und CSU-geführten Länder
brauchen Sie sich nicht zu kümmern, denn sie haben ge-
nau den gleichen Antrag über den Bundesrat eingebracht.


(Zuruf des Abg. Bernd Scheelen [SPD]: Wir sind für die gesamte Republik verantwortlich!)


Die Ministerpräsidenten haben wie die Menschen in die-
sem Land ganz andere Sorgen, als Sie hier darzustellen
versucht haben.

In der Debatte heute Vormittag wurde sehr deutlich,
dass der Bundeskanzler die Außen- und Sicherheitspolitik
Deutschlands an die Wand gefahren hat und weltweit Ver-
trauen zerstört hat.


(Widerspruch bei der SPD)

Innenpolitisch, sehr geehrter Herr Kollege Scheelen, sieht
es trotz der weißen Salbe, die Sie auszustreichen versu-
chen, nicht besser aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Auswirkungen der verfehlten Arbeitsmarkt-, Finanz-
und Wirtschaftspolitik sind katastrophal: Rekorddefi-
zite in den staatlichen Haushalten, die Zahl der Arbeits-
losen wächst in beängstigender Geschwindigkeit auf
5 Millionen zu, über 38 000 Pleiten im vergangenen Jahr
schlagen negativ in der Bilanz dieser Bundesregierung zu
Buche.


(Bernd Scheelen [SPD]: Und zigtausend Neugründungen!)


Ein Licht am Horizont ist leider nicht erkennbar.

(Bernd Scheelen [SPD]: Bei dieser Opposition ganz klar!)

Was tun Sie? – Nichts. Sie wurschteln weiter hilflos, kon-
zeptionslos und ohne Hand und Fuß vor sich hin.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihr gestern noch schnell gezimmerter Antrag zu der heu-
tigen Debatte bestätigt dies nur.

Versuchen Sie nicht, alle notwendigen Entscheidungen
Kommissionen zu überlassen. Auf diese hören Sie am
Ende ja doch nicht. Das heißt, Sie verstreichen auch hier
weiße Salbe. Von vollmundigen Ankündigungen haben
die Kommunen jetzt genug. Damit ist ihnen nicht gehol-
fen. Sie wollen Entscheidungen der Verantwortlichen hier
im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Städte und Gemeinden stehen am Rande des Ruins.

In vielen Kommunen gehen die Lichter aus. Für die meis-
ten ist es bereits fünf nach zwölf. Sie haben es mit Ihrer
verfehlten Politik in wenigen Jahren geschafft, die Finan-
zen der Kommunen zu ruinieren, und haben damit auch
die Axt an die Grundstruktur der kommunalen Selbst-
verwaltung angelegt. Der Deutsche Städte- und Gemein-
debund ruft in diesen Tagen zu einer Kampagne auf:
Rettet die Kommunen!


(Bernd Scheelen [SPD]: Vor der CDU/CSU!)


Warum wohl? Früher waren starke Städte und Gemeinden
ein Element des Erfolgsmodells deutscher Politik. Dieses
war auch ein Exportschlager, denn viele junge Demokra-
tien in Mittel- und Osteuropa haben dieses Modell nach-
geahmt.

Wie sieht es heute aus? Die Schere zwischen kommu-
nalen Einnahmen und kommunalen Ausgaben geht, wie
die Darstellung des Deutschen Städtetages sehr deutlich
macht, seit drei Jahren immer weiter auseinander. In die-
sem Jahr liegt das Gesamtdefizit der kommunalen Haus-
halte bei 10 Milliarden Euro. Nach Ablauf der Regie-
rungszeit von Helmut Kohl war noch ein Überschuss von
2 Milliarden Euro in den kommunalen Kassen. Damals
gab es aber auch noch eine kommunalfreundliche Politik
in diesem Haus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD – Bernd Scheelen [SPD]: In 2000 waren es 4Milliarden!)


Was macht Rot-Grün? Sie nehmen durch Ihre Regie-
rungstätigkeit den Kommunen einfach die Einnahmen
weg. Ein typisches Beispiel sind die Versteigerungserlöse
für die UMTS-Lizenzen, die Sie zulasten kommunaler
Einnahmen einkassiert haben; genau das Gleiche gilt für
die Einnahmen aus der Erhöhung der Gewerbesteuerum-
lage, um die es heute geht. Das Schlimmste ist: Gleich-
zeitig wurden den Städten, Gemeinden und Landkreisen
ständig neue Ausgaben und Aufgaben aufs Auge ge-
drückt. Diese Rechnung kann nicht aufgehen.


(Bernd Scheelen [SPD]: Sie wissen ganz genau, dass das nicht stimmt, Herr Götz! – Weitere Zurufe von der SPD)


Meine Damen und Herren, es geht munter weiter mit
den Beschlüssen zulasten kommunaler Haushalte. Der
Bundeskanzler verspricht den Menschen immer mehr und
bessere öffentliche Leistungen, lässt aber andere dafür be-
zahlen. Ich nenne das unanständig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich nenne nur zwei aktuelle Beispiele aus diesen Ta-

gen. Denken Sie nur an die 4 Milliarden Euro für Ganz-
tagsschulen, die der Bund für vier Jahre anbietet,


(Ute Kumpf [SPD]: Das ist gut so!)

oder an die Verpflichtung zur Betreuung von Kindern un-
ter drei Jahren. Beide Beschlüsse stellen Trojanische
Pferde für die Städte und Gemeinden dar. Denn wieder be-
kommen sie eine neue Aufgabe aufs Auge gedrückt, auf
deren Finanzierung sie am Ende sitzen bleiben.

Verstehen Sie mich richtig: Auch die Union will die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.


(Ute Kumpf [SPD]: Wann denn? Im Jahre 2030 wahrscheinlich!)


Wir haben dazu umfassende Konzepte vorgelegt. Aber die-
ses gesellschaftspolitisch wichtige Ziel auf dem Rücken
der kommunalen Haushalte durchzusetzen, das ist ein
politisches Armutszeugnis.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)





Peter Götz
Die finanzielle Lage der Städte und Gemeinden ver-
schlechtert sich dadurch weiter.

Diese Politik ist kurzsichtig, durchschaubar und führt
nicht nur die Kommunen, sondern ganz Deutschland mit-
tel- und langfristig in den Ruin.

Die konkreten Folgen werden zunehmend sichtbar. Al-
lein in Nordrhein-Westfalen unterliegen schon heute zwei
Drittel aller Städte und Gemeinden Haushaltssicherungs-
konzepten.Alle kreisfreien Städte bis auf vier Großstädte
sind dabei – Kommunalpolitik am Gängelband staatlicher
Aufsicht. Wenn die Gemeinderäte vor Ort nicht mehr
selbst über ihre örtlichen Angelegenheiten entscheiden
können, ist dies das Ende der kommunalen Finanzautono-
mie. Das ist die logische Konsequenz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
von der SPD, die Entwicklung macht deutlich: Sie bewe-
gen sich mit Ihrem ständigen Griff in die kommunalen
Kassen auch am Rande der Verfassungswidrigkeit. In
Art. 28 unseres Grundgesetzes steht aus gutem Grund
klipp und klar geschrieben:

Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein,
alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im
Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu
regeln. ... Die Gewährleistung der Selbstverwaltung
umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigen-
verantwortung ...

Daran halten Sie sich in keiner Weise. Im Gegenteil: Die
ständige Übertragung neuer Aufgaben und die Wegnahme
kommunaler Steuereinnahmen zerstören die kommunale
Selbstverwaltung und führen zu mehr Zentralismus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das wollen wir nicht. Wir wollen keinen Zentralismus

und vom Sozialismus haben die Menschen in diesem
Land ebenfalls genug.

Herr Bundesminister Stolpe plant die Einrichtung ei-
nes Sonderfonds für finanzschwache Kommunen in
Höhe von 1 Milliarde Euro.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Er weiß zwar noch nicht genau, woher er das Geld be-
kommt, ob von den Flutopfern oder aus den Goldreser-
ven; aber immerhin hat er offensichtlich erkannt, wohin
die kommunalfeindliche Politik dieser Bundesregierung
geführt hat.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Was eben bestritten wurde!)


Besser wäre es, Herr Kollege Grund, eine Politik zu ma-
chen, die die Gemeinden nicht erst ruiniert, sondern sie ei-
genverantwortlich ihre Aufgaben wahrnehmen lässt. Das
ist unser Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die CDU/CSU will einen wirksamen Schutz der Kom-

munen vor weiteren Aufgaben- und Kostenverlagerungen.
Wir wollen, dass in Deutschland wieder der Grundsatz gilt:
Wer bestellt, bezahlt. Wir wollen auch, dass dieser Grund-
satz in unserer Verfassung festgeschrieben wird.

Wir brauchen erstens Sofortmaßnahmen zur schnel-
leren Verbesserung der kommunalen Einnahmen. Die
Rücknahme der ungerechtfertigten Erhöhung der Gewer-
besteuerumlage ist dafür eine Möglichkeit; damit könnten
Sie ein Zeichen setzen. Das geht schnell und verschafft
den Kommunen kurzfristig Luft zum Atmen.

Zweitens. Mittelfristig brauchen wir eine umfassende
Neuordnung der Gemeindefinanzen.

Drittens müssen wir den Mut aufbringen, nicht mehr
leistbare Aufgaben infrage zu stellen.

Dies eröffnet zusammen mit Entbürokratisierung
und dem Abbau von Vorschriften und Regulierungen eine
Fülle neuer Gestaltungschancen für die Kommunen.
Selbstverwaltung und Eigenverantwortung sind besser als
Zentralismus und Staatsdirigismus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir wollen starke Städte

und Gemeinden. Sie sind die beste Grundlage für einen
gut funktionierenden Staat. Wir wollen, dass Deutschland
die rote Laterne in Europa endlich abgibt und wieder ein
starkes Land wird. Die Kommunen können dazu einen
wichtigen Beitrag leisten. Geben Sie ihnen die Chance
dazu!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502505700

Das Wort hat die Abgeordnete Kerstin Andreae.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502505800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bevor ich zum Thema Gewerbesteuerumlage
komme, möchte ich Sie, Herr Götz, auf eine Sache hin-
weisen. Sie sagen, man müsse das Konnexitätsprinzip
umsetzen. Nehmen Sie einmal das Beispiel der bedarfs-
orientierten Grundsicherung im Alter:Wir haben direkt
für die Kommunen für die Gewährung der bedarfs-
orientierten Grundsicherung 410 Millionen Euro in den
Haushalt eingestellt.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das reicht doch nicht!)


Das sind 100 Millionen Euro mehr als der ermittelte Be-
darf. Weiterhin ist festgelegt worden, dass es nach zwei
Jahren eine Überprüfung dahin gehend gibt, ob diese Fi-
nanzmittel ausreichen.

So setzen wir das Konnexitätsprinzip um.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir setzen es nicht so um, wie es unter Kohl im Zusam-
menhang mit dem Kindergartengesetz geschehen ist. Der
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz wurde zwar
festgesetzt; aber die Kommunen haben keine Mittel dafür
bekommen, dies umzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: 1918 Das ist doch gar nicht wahr! – Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Stimmt doch nicht!)


(A)


(B)


(C)


(D)


(A)


(B)


(C)


(D)





Sie sprechen von der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Dazu sage ich Ihnen: Dass wir im Koalitionsver-
trag die Schaffung von Einrichtungen für die Betreuung
von Kindern unter drei Jahren festgeschrieben und die Fi-
nanzierung zugesichert haben, ist eine wahre Politik für
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu legen wir
etwas vor; da lassen wir die Kommunen nicht allein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zum Thema Gemeindefinanzen: Mich freut es, dass es
inzwischen oben auf der Agenda steht. In dem von uns
vorgelegten Antrag mit der Überschrift „Gemeindefinan-
zen dauerhaft stärken“ steht – das stellen Sie fest, wenn
Sie ihn bis zum Schluss durchlesen –, dass wir bis zum
Jahresbeginn 2004 ein Konzept vorlegen werden. Dies
schafft langfristig Abhilfe in Bezug auf die Misere bei den
Gemeindefinanzen.

Ich stimme ja mit Ihnen darin überein, dass es den Kom-
munen finanziell nicht gut geht und wir ihnen helfen müs-
sen. Aber wir müssen ihnen vor allem mit einem langfris-
tigen Konzept helfen. Das werden wir mit der Reform der
Gemeindefinanzen tun. Dies ist ein Konzept, in dem die
Verstetigung und die Stärkung der Gemeindefinanzen an
erster Stelle steht, ein Konzept, das die Modernisierung der
Gewerbesteuer auf den Weg bringen wird.

Wir sind nicht wie die FDP der Auffassung, dass die
Abschaffung der Gewerbesteuer der richtige Weg ist. Ich
bin mir sehr sicher: Die Abschaffung der Gewerbesteuer
verlagert die Steuern, die jetzt bei den Unternehmen an-
fallen, auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
auf die Bürgerinnen und Bürger. Wir brauchen die Ge-
werbesteuer als ein Band zwischen Kommune bzw. Ge-
meinde und örtlicher Wirtschaft. Denn diese kommunale
Steuer festigt das wichtige Band zwischen diesen beiden
Ebenen. Wir werden die Gewerbesteuer also moderni-
sieren.

Aber Sie haben Recht: Wir brauchen eine kurzfristige
Abhilfe. Wir haben ein Konzept, ein Gesetz vorgelegt, in
dem es um eine kurzfristige Abhilfe geht. Das ist das Steu-
ervergünstigungsabbaugesetz.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Steuererhöhungen!)


– Sie sagen, das seien Steuererhöhungen. In diesem Zu-
sammenhang möchte ich Sie an Ihren Herrn Müller ver-
weisen, der gesagt hat, dass ab 2004 Steuererhöhungen
durchaus wieder denkbar sind. Da wäre ich also an Ihrer
Stelle ganz vorsichtig.

Dieses Steuervergünstigungsabbaugesetz beinhaltet
Maßnahmen, wodurch den Kommunen in 2003 Mittel an
die Hand gegeben werden können. In 2004 sind das
2,1 Milliarden Euro und in 2005 3,2 Milliarden Euro. In
diesem Gesetz stehen konkrete Maßnahmen: zum Bei-
spiel die Abschaffung der gewerbesteuerlichen Organ-
schaften.

Zur Vorbereitung meiner Rede habe ich mir noch ein-
mal die Debatte zur ersten Lesung unseres Gesetzentwur-

fes angesehen. Herr Schild und Herr Scheelen haben deut-
lich gesagt – dafür war ich sehr dankbar –: Natürlich wol-
len wir die Abschaffung der gewerbesteuerlichen Or-
ganschaften. Das ist das richtige Mittel. Das ist eine
sofortige, kurzfristige Abhilfe für die Finanzmisere der
Kommunen.

Wir wollen eine Mindestbesteuerung mit einem
Sockel. Wir haben gestern lange darüber diskutiert, ob es
einen oder ob es keinen Sockel geben sollte. Wir wollen
eine Eingrenzung der Verlustverrechnung. Das sind Maß-
nahmen, die den Kommunen kurzfristig Geld bringen.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Dann sind die Unternehmen pleite!)


Sie schlagen jetzt als Abhilfe die Absenkung der Ge-
werbesteuerumlage vor. Die Punkte, die gegen diese Maß-
nahme sprechen, sind schon genannt worden. Der eine ist,
dass die Ausfälle in der Gewerbesteuer konjunkturbedingt
sind. Eine Absenkung des Körperschaftsteuertarifs durch
die Steuerreform hat das Steueraufkommen der Gemein-
den unberührt gelassen. Worum es ging, war eine Betei-
ligung der Kommunen im Rahmen der Steuereinnah-
menquote. Daran sind sie weniger beteiligt worden, als
eigentlich erforderlich gewesen wäre.

Herr Scheelen hat es vorhin gesagt: Eine 10-prozentige
Absenkung der Gewerbesteuerumlage könnten die Län-
der, die zwei Drittel davon bekommen, vornehmen. Aber
sie können es nicht finanzieren. Wir können nicht den
Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Wir brauchen ein
Gesamtkonzept. Dieses legen wir vor. Wir werden eine
langfristige Stärkung und Sicherung der Gemeindefinan-
zen vornehmen. Dieses Instrument bringt aber – das ist für
mich das entscheidende Argument – vor allem den fi-
nanzschwachen Kommunen nichts; es gibt ihnen nichts
an die Hand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie das Steuervergünstigungsabbaugesetz im
Bundesrat ablehnen – Sie kündigen ja immer wieder an,
dass Sie außer dem Körperschaftsteueranteil sowieso
nichts durchgehen lassen –, dann schieben Sie Maßnah-
men, die den Kommunen kurzfristig wirklich helfen kön-
nen, auf die lange Bank. Sie schaffen eben keine kurzfris-
tige Abhilfe für die Kommunen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Bei der gewerbesteuerlichen Organschaft geht es drunter und drüber!)


– Die Abschaffung der gewerbesteuerlichen Organschaft
ist ein Element dafür.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Da gibt es einen Kahlschlag bei manchen Kommunen!)


Die großen Städteverbände – alle drei – haben mit
ihren Verunsicherungen in der Anhörung, die wir gemein-
sam erlebt haben, durchaus ein bisschen den Druck ge-
nommen und sind inzwischen alle der Meinung, dass wir
die gewerbesteuerlichen Organschaften wieder abschaf-
fen müssen. Sie wissen, dass wir Zerlegungsregelungen
schaffen können und dass wir den ostdeutschen Kommu-
nen dabei helfen können. Wir müssen dieses Instrument

Kerstin Andreae




Kerstin Andreae
aber in die Hand nehmen. Es schafft kurzfristig Abhilfe
für die Kommunen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie machen die Kommunen in Ostdeutschland kaputt!)


Sie sagen immer: Steuer nur bei Ertrag. Ich finde, da
haben Sie Recht. Wir sagen: Bei Ertrag dann aber auch
wirklich Steuer. Deswegen wollen wir eine Mindestbe-
steuerung mit Sockel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollen eine Verlustverrechnung eingrenzen und wir
wollen die Abschaffung der gewerbesteuerlichen Organ-
schaften.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wenn man aus Freiburg kommt, ist man weit weg von den neuen Bundesländern!)


Ich bitte Sie wirklich herzlich: Verweigern Sie im Bun-
desrat nicht die Zustimmung zu diesen Maßnahmen! Sie
helfen den Kommunen kurzfristig. Schieben Sie diese
Maßnahmen nicht auf die lange Bank!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502505900

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Pinkwart.


Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP):
Rede ID: ID1502506000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bereits bei der Einbringung dieses Gesetzent-
wurfs war die Haushaltslage der Kommunen in Deutsch-
land katastrophal. Sie hat sich seitdem noch verschärft.
Wurde im letzten Quartal des vergangenen Jahres von der
Bundesregierung noch die Hoffnung verbreitet, dass die
Wirtschaft in diesem Jahr wieder Tritt fassen würde,
musste auch sie ihre Prognosedaten nach unten korrigie-
ren. Frau Kollegin Andreae, wenn Sie dieses Steuerver-
günstigungsabbaugesetz – Sie erlauben mir, es hier tref-
fender als Nettoeinkommensenkungsgesetz bezeichnen
zu dürfen – weiterhin auf den Weg bringen wollen, dann
wird sich – das sage ich Ihnen voraus – die wirtschaftliche
Situation in Deutschland noch dramatischer entwickeln
und damit die Einnahmesituation nicht nur des Bundes,
sondern auch der Länder und der Kommunen weiter ver-
schlechtern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dabei haben wir bereits dramatische Zahlen bei Städ-

ten und Gemeinden. Der Finanzierungssaldo der Ge-
meinden befindet sich im freien Fall. Das Defizit der ge-
meindlichen Haushalte wird sich gegenüber 2001 mehr
als verdoppeln und den negativen Nachkriegsrekord von
9,9 Milliarden Euro erreichen.

Um den Investitionsbedarf der Kommunen zur Erhal-
tung der technischen, sozialen und kulturellen Infrastruk-
turen zu decken, müsste das kommunale Investitions-

niveau um bis zu 50 Prozent über das heutige Niveau stei-
gen. Stattdessen sinken aber die investiven Ausgaben un-
aufhaltsam – mit allen negativen Auswirkungen auf
Wachstum und Beschäftigung. Allein das Handwerk be-
zieht mehr als 13 Prozent der Aufträge von den Kommu-
nen und ist daher Hauptleidtragender dieser Entwicklung.

So hat sich die Investitionslücke allein in den letzten
vier Jahren um rund 40 Milliarden Euro vergrößert. Die
Folgen sind überall sichtbar und sind für unsere Bürge-
rinnen und Bürger spürbar. Die Schulgebäude und Sport-
anlagen werden nur notdürftig instand gehalten und sind
teilweise in einem inakzeptablen Zustand. Reparaturen
von Gehwegen und Straßen werden aufgeschoben, Perso-
nal in den Kindertageseinrichtungen weiter ausgedünnt.
In Nordrhein-Westfalen mussten am Jahresende 2002
105 Kommunen ein Haushaltssicherungskonzept be-
schließen. Annähernd zwei Dutzend Städte und Gemein-
den in Nordrhein-Westfalen befinden sich in einer so kri-
tischen Finanzlage, dass sie nicht einmal mehr die
Voraussetzungen für ein Haushaltssicherungskonzept er-
füllen.

Frau Kollegin Scheel, ich empfehle vor diesem Hinter-
grund, die geplante Anhörung im Finanzausschuss, in der
wir uns mit dem internationalen Insolvenzrecht für Staa-
ten beschäftigen wollen, zu verschieben und die Beratun-
gen über die Gemeindefinanzreform im Finanzausschuss
vorzuziehen, damit wir eine Insolvenzwelle in den deut-
schen Kommunen abwenden können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich fordere hiermit für die FDP-Fraktion die Bundes-
regierung auf, die Kommissionsarbeit zum Gemeindefi-
nanzreformgesetz dringend zu beschleunigen und dabei
Sorge dafür zu tragen, dass sich nicht nur die Einnahme-
situation verbessert, sondern dass die Städte und Gemein-
den auch von der überbordenden Bürokratie und von
unnötigen Standards und Normen befreit werden, dass sie
aber auch befreit werden von zusätzlichen Lasten, die ih-
nen vom Gesetzgeber, aber jüngst eben auch von den Ge-
werkschaften auferlegt worden sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht nicht
an, dass unsere Kommunen die Melkkühe der Gefällig-
keitspolitiker in Bund und Land sowie der Gewerkschaf-
ten bleiben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So rechnet der Innenminister des Landes Nordrhein-
Westfalen – Sie wissen, er ist kein Vertreter der FDP– an-
gesichts des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst und
des In-Kraft-Tretens des Grundsicherungsgesetzes damit,
dass sich die Haushaltsdefizite der nordrhein-westfä-
lischen Kommunen von dem erschreckend hohen Niveau
von 2,68Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf die Re-
kordmarke von 4 Milliarden Euro in diesem Jahr erhöhen
werden.

Nun hat Frau Hendricks für die Bundesregierung an-
gekündigt, dass Ihr Gemeindefinanzreformmodell ein
Nullsummenspiel auf der Einnahmeseite und bei der Leis-
tungsverteilung werden soll. Ich darf Ihnen hierzu Herrn


(A)



(B)



(C)



(D)


1920


(A)



(B)



(C)



(D)






Behrens, den Innenminister Nordrhein-Westfalens – Mit-
glied in der SPD –, mit Blick auf den Bundesfinanzmi-
nister zitieren:

Nach seinen Plänen
– damit meint er Herrn Eichel –

kommt das Geld zu spät und es ist deutlich zu wenig.
Diesem Zitat können wir uns sehr gern anschließen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich darf Sie deshalb – die Kolleginnen und Kollegen
der SPD in diesem Hohen Hause werden zustimmen –
doch bitten, vor dem Hintergrund dieser katastrophalen
Lage unserer Kommunen in Deutschland und der Bewer-
tung, die ich auch aus SPD-Ländern vortragen durfte, die-
ser Gesetzesvorlage zuzustimmen.

Das Gegenargument, das Sie noch im vergangenen
Jahr bei der ersten Lesung vorgebracht haben, nämlich die
Länder würden dieser Gesetzesänderung nicht zustim-
men, ist Ihnen aus der Hand geschlagen worden. Die Län-
der haben diesem Gesetzentwurf im Bundesrat zuge-
stimmt. Sie sind bereit, anders als es von Herrn Scheelen
vorgetragen worden ist, die Gewerbesteuerumlage abzu-
senken. Es steht also nichts mehr im Wege.

Wenn Sie allerdings – das sage ich ganz deutlich –
gleich in der namentlichen Abstimmung diesem Entwurf
nicht zustimmen, tragen Sie, die Kolleginnen und Kolle-
gen der SPD- und der grünen Fraktion, die Verantwortung
dafür, dass die Kommunen in eine weitere desolate Situa-
tion hineingeführt werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das ist so logisch, als wenn Sie für Möllemann verantwortlich wären! – Ute Kumpf [SPD]: Herr Pinkwart, Sie sind doch Professor!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502506100

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Schild.


Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1502506200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir nehmen mit Genugtuung, Herr Kollege Pinkwart, zur
Kenntnis, dass Sie den Antrag, den Sie offensichtlich An-
fang der Woche in den Deutschen Bundestag einbringen
wollten und der den Titel trug „Gemeindefinanzen refor-
mieren, Gewerbesteuer abschaffen, Finanzkraft der Ge-
meinden stärken“, zurückgezogen haben. Das war in der
Tat ein Dienst an den Gemeinden. Ich werte es als Ein-
sicht; denn dieser Antrag, der ein Ladenhüter aus der letz-
ten Wahlperiode ist, hätte nun den Gemeinden wirklich
nicht geholfen.


(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Götz, ich will etwas zu unserem Verhält-

nis zu den Kommunen in diesem Land sagen. Dieses wird
nicht durch Zentralismus oder Staatsdirigismus geprägt;
das sind Propagandablasen, die Sie hier vortragen. Wir ha-
ben alle Gesetze in der letzten Wahlperiode in enger Ab-

stimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden ent-
worfen und dann im Deutschen Bundestag beschlossen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch nicht!)


– Das stimmt.
Es stimmt auch – und das ist schlimm –, dass all diese

Gesetze auf Ihren entschiedenen Widerstand gestoßen
sind. All das, was wir hier zum Wohle der Gemeinden im
Deutschen Bundestag beschlossen haben, ist von Ihnen
nicht mitgetragen worden. Nun kommen Sie erneut mit
dem, was Sie uns bereits seit über einem Jahr immer wie-
der präsentieren, nämlich mit dem Vorschlag, die Gewer-
besteuerumlage zu senken.

Wir begrüßen, dass sich der Bundestag mit dem Thema
„Kommunalfinanzen“ befasst. Dazu haben wir auch allen
Grund.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber machen tun wir nichts!)


– Herr Michelbach, Sie stehen auf der Rednerliste. Sie ha-
ben nachher Gelegenheit, dem Hohen Haus zu verkünden,
wie die Bayerische Staatsregierung mit ihren Gemeinden
umspringt.


(Ute Kumpf [SPD]: Saumäßig!)

Dazu lässt sich sicherlich vieles sagen und auch der Kol-
lege Pronold hat dazu vor kurzem schon einiges gesagt.
Es verwundert aber doch, wenn sich einerseits der bayeri-
sche Staatsminister für die Finanzen rühmt, im Land
Bayern für das Jahr 2003 eine sehr geringe Verschuldung
vorgesehen zu haben, und auf der anderen Seite die Kom-
munen beispielsweise die Kosten für das Lehrpersonal
übernehmen müssen und eine Stadt wie München doppelt
so viel Schulden aufnehmen muss wie der gesamte Frei-
staat Bayern. Sie können dazu nachher gern ein paar
Worte sagen.


(Beifall bei der SPD – Bernd Scheelen [SPD]: Bayerische Regierungskunst!)


Ich möchte noch etwas anderes mit aller Deutlichkeit
sagen. Das Engagement, das Sie in den letzten Wochen
und Monaten für die Kommunen entwickelt haben, haben
wir in den vielen Jahren davor deutlich vermisst.


(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Da ging es den Kommunen auch noch besser!)


– Nein. Was Sie vorhin beschrieben haben, nämlich die
starke Abhängigkeit der Gewerbesteuer von der Konjunk-
tur, hat den Kommunen sicherlich schon immer, allerdings
nicht in dieser Prägnanz, Probleme bereitet.

Hier ist mehr als einmal gesagt worden, dass Sie es wa-
ren, die dazu beigetragen haben, diese Steuer zu einer
Großbetriebssteuer zu machen.


(Beifall bei der SPD)

Alle Elemente, die das etwas hätten mildern können, sind
aus dem Gewerbesteuergesetz herausgenommen worden.
Dies ist auch noch gar nicht so lange her.

Wer hat denn vor nicht allzu langer Zeit, in der letzen
Wahlperiode, im Deutschen Bundestag den Antrag auf

Dr. Andreas Pinkwart




Horst Schild
Absenkung der Bemessungsgrundlage bei der Gewerbe-
steuer um 20 Prozentpunkte eingebracht?


(Joachim Poß [SPD]: Das CDU/CSU-Konzept! – Bernd Scheelen [SPD]: Mit massiven Ausfällen!)


Das waren doch nicht wir. Man muss schon ein stabiles
Maß an Verdrängungsfähigkeit besitzen, wenn man dies
alles heute nicht mehr zur Kenntnis nimmt und sich hier
zum Retter der Gemeinden aufschwingt.


(Bernd Scheelen [SPD]: Was kümmert die ihr Geschwätz von gestern?)


Die Senkung der Umlage der Gewerbesteuer ist kein
Allheilmittel für die Kommunen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Da war ein Ausgleich vorgesehen!)


– Kollege Seiffert, wir können uns über vieles unterhal-
ten. Der Wahlkampf ist nun Gott sei Dank vorbei.


(Bernd Scheelen [SPD]: In Schleswig-Holstein steht er bevor!)


Wir werden im Rahmen der Kommission, die sich mit der
Neuordnung der Gemeindefinanzen befasst – in dieser
sind die von Ihnen regierten Länder genauso vertreten
wie die von uns regierten Länder –, auch einen Konsens
finden müssen, um auf dessen Grundlage das Problem
möglichst schnell einer Lösung zuzuführen. Der Zeit-
punkt ist bereits genannt worden. Wir wollen, dass es zum
1. Januar 2004 in Kraft tritt.

Bislang ist uns aber nicht klar geworden, welche Vor-
schläge denn die Union für eine grundlegende Gemeinde-
finanzreform hat. Dies würde uns, aber auch die Kommu-
nen, die Städte und Gemeinden, interessieren. Dazu hören
wir aber nichts.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Was hat denn die SPD-Fraktion für Vorstellungen?)


Ein einziger Vorschlag wird hier konstant immer wie-
der eingebracht. Aber auch diesen scheinen Sie nicht so
ganz ernst zu meinen. Die jüngste Forderung, die Gewer-
besteuersenkung in das Steuervergünstigungsabbau-
gesetz aufzunehmen, ist doch grotesk. Sie kündigen an,
diesen Gesetzentwurf vollständig abzulehnen, bringen
aber vor zwei Tagen einen Antrag in den Finanzausschuss
ein, in den Entwurf des Steuervergünstigungsabbaugeset-
zes, den Sie ablehnen wollen, die Absenkung der Ge-
werbesteuerumlage aufzunehmen. Wie das funktionieren
soll, müssen Sie einmal erklären.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Die Logik werden Sie noch erkennen! Warten Sie einmal ab!)


Wollen Sie den Gemeinden nun helfen oder nicht? War
die Mehrheit im Bundesrat für die Absenkung der Ge-
werbesteuerumlage im zweiten Anlauf ein Versehen oder
haben Sie es nur mit der Angst zu tun bekommen, weil
Ihre Großzügigkeit gegebenenfalls nicht seriös finanziert
werden kann? Schließlich hätten Bund und Länder eine
Senkung der Umlage zu verkraften. Nicht von ungefähr –

auch das ist schon angesprochen worden – hat die Bayeri-
sche Staatsregierung den bayerischen Kommunen die
Möglichkeit der Senkung des Landesanteiles an der Um-
lage immer wieder verwehrt.

Ich will Ihnen einmal sagen, was passiert, wenn wir
Ihrem Vorschlag näher treten würden. Bestenfalls würden
wir folgenden Effekt provozieren: Die Länderhaushalte
haben bis auf ein oder zwei absolut keinen Spielraum. Sie
werden die Mittel für die Kommunen schlichtweg an an-
derer Stelle streichen und die Kommunen hätten in der
Summe nichts gewonnen.

Wir lehnen Ihren Antrag aber nicht nur wegen der of-
fenkundigen mangelnden Ernsthaftigkeit ab, mit der Sie
die Anliegen der Kommunen verfolgen. Wir halten die
Senkung der Umlage als Soforthilfe für die Gemeinden
für nicht geeignet. Die Streuung der Einnahmen von
Gemeinde zu Gemeinde werden durch eine solche Maß-
nahme nur noch verstärkt. Sehen Sie sich einmal die Fi-
nanzdaten im Gemeindefinanzbericht 2001 an: Frankfurt
am Main minus 38 Prozent; Wiesbaden plus 5 Prozent;
Bochum plus 17 Prozent; Darmstadt plus 56 Prozent;
Göttingen plus 26 Prozent. Die Gemeinden in den neuen
Ländern haben dagegen ein geringes Gewerbesteuerauf-
kommen zu verzeichnen. Was wollen Sie also mit einer
Neujustierung der Gewerbesteuerumlage erreichen? Die
Gemeinden, die am meisten haben, werden am stärksten
entlastet, München vielleicht 20-mal so stark wie Gelsen-
kirchen und vielleicht 50-mal so stark wie Halle an der
Saale. Das sind die Zahlen auf Grundlage des Gemeinde-
finanzberichts.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das können Sie nicht vergleichen! – Bernd Scheelen [SPD]: Die CDU/CSU als Anwalt der Besserverdienenden!)


Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
wir bestreiten doch nicht, dass das Gewerbesteuerauf-
kommen in den letzten beiden Jahren drastisch eingebro-
chen ist. Von Ihnen wird aber immer wieder die Propa-
ganda im Lande verbreitet, dieser Einbruch habe etwas
mit unserer Steuerreform zu tun. In einem Schreiben ei-
nes großen Energieunternehmens an eine Stadt in meinem
Wahlkreis heißt es:

In diesem Zusammenhang erlauben wir uns eine An-
merkung. Die Entwicklung des Gewerbesteuerauf-
kommens hat grundsätzlich nichts mit der Ausnut-
zung von Steuervergünstigungen zu tun. Sie ist
vielmehr primär konjunkturbedingt.

Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
Wir müssen die Gewerbesteuer wieder zu einer ver-

lässlichen und stetigen Steuerquelle für die Gemeinden
machen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Abschaffen!)

– Nein, Herr Kollege Seiffert. Darüber werden wir uns
noch einmal unterhalten müssen. So einfach wird es aber
sicher nicht.


(Zuruf des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU])


– Herr Michelbach, Sie sind doch gleich dran.


(A)



(B)



(C)



(D)


1922


(A)



(B)



(C)



(D)






Ihre Anträge – das möchte ich mit aller Deutlichkeit sa-
gen – tragen nicht dazu bei, den Kommunen eine verläss-
liche und stetige Steuerquelle zu geben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502506300

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Bernhardt,

dem wir alle zu seinem heutigen Geburtstag sehr herzlich
gratulieren.


(Beifall – Bernd Scheelen [SPD]: Dann dürfen wir ja keine Zwischenrufe machen! Das ist aber schade!)



Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1502506400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

kommunalen Spitzenverbände meines schönen Heimat-
landes Schleswig-Holstein


(Bernd Scheelen [SPD]: Wo am 2. März Wahl ist!)


haben in diesen Tagen eine Entschließung vorgelegt. In
diesen Gremien sitzen mindestens genauso viele Sozial-
demokraten wie Christdemokraten.


(Bernd Scheelen [SPD]: Leider nicht!)

In dieser Entschließung heißt es: Die finanzielle Situation
unserer Kommunen war seit Bestehen der Bundesrepu-
blik Deutschland noch nie so schlecht wie heute.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Das ist die Ausgangslage.
In dieser Situation bringen Sie hier einen Antrag ein, in

dem Sie schreiben, die Situation bei den Kommunen sei
kritisch. Nein, die Lage ist katastrophal. Sie haben den
Ernst offensichtlich noch nicht verstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Bericht der Sachverständigen steht, dass der Bun-

desregierung der Blick für die Ökonomie insgesamt fehle.
Nach den bisherigen Reden der Sozialdemokraten – es
war sogar ein Volkswirt darunter – habe auch ich diesen
Eindruck gewonnen. Ihnen fehlt der Blick für die Ökono-
mie insgesamt.


(Ute Kumpf [SPD]: Was?)

Sie können froh sein, dass wir Ihr Steuererhöhungsgesetz
im Bundesrat ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir rein egoistisch parteipolitisch vorgehen würden,
dann müssten wir diesem Gesetz zustimmen, weil es dann
mit der deutschen Wirtschaft weiter bergab ginge. Wir hel-
fen Ihnen, indem wir Ihr unsägliches Gesetz im Bundesrat
mit unserer Mehrheit – Gott sei Dank – ablehnen.

Wenn man die Lebensläufe der Abgeordneten im
Handbuch des Deutschen Bundestages durchsieht, dann

fällt auf, dass zwei Merkmale unter den Abgeordneten be-
sonders häufig zu finden sind. Zum einen ist eine hohe
Anzahl von Abgeordneten – bei Ihnen etwa 80 Prozent –
Mitglied in einer Gewerkschaft. Das merkt man – leider –
bei mancher Ihrer Entscheidungen.

Ein zweites Kriterium, das auffällt, wenn man sich die
Lebensläufe ansieht, ist – das gilt besonders für die bei-
den großen Fraktionen, aber teilweise auch für die ande-
ren –, dass mehr als die Hälfte aller Mitglieder dieses
Hauses kommunalpolitisch tätig waren oder sind. Das
merkt man bei den Einlassungen von der linken Seite die-
ses Hauses leider nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sollten sich wieder einmal zu Hause bei Ihren Bürger-
meistern und Stadtkämmerern informieren.


(Horst Schild [SPD]: Brauchen wir gar nicht!)

Ich habe das getan. Ich nenne Ihnen nur zwei Zahlen.

Im letzten Jahr der Regierung Kohl – viele haben Sehn-
sucht nach dieser Zeit –


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


betrugen die Nettogewerbesteuereinnahmen der Kom-
munen in Schleswig-Holstein 570 Millionen Euro, im
letzten Jahr – das war Ihr viertes Regierungsjahr – nur
noch 410 Millionen Euro. Das heißt, sie sind in vier Jah-
ren um 30 Prozent zurückgegangen. Um es noch konkre-
ter zu sagen – ich komme aus einer Mittelstadt in Schles-
wig-Holstein, aus Rendsburg, 30 000 Einwohner –:


(Bernd Scheelen [SPD]: Vergleichen Sie mal die Zahlen von 1995 bis 2000!)


Uns kostet das zurzeit jedes Jahr 750 000 Euro Gewerbe-
steuereinnahmen. Das sind die Realitäten vor Ort. Sie
sollten sich wieder einmal bei Ihren Kommunen sehen
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun haben Sie im Jahre 2000 gegen unsere Stimmen

die Gewerbesteuerumlage von 20 auf 30 Prozent erhöht.
Ich muss Sie immer wieder an Ihre Begründung erinnern.
Sie haben damals zwei Gründe genannt. Als einen Grund
haben Sie genannt, dass Ihre heiß geliebte Steuerreform
letztlich zum Ankurbeln der Konjunktur führe. Deshalb
sollten sich die Kommunen an den eingeplanten Ausfäl-
len dieser Steuerreform beteiligen. So steht es im Gesetz.


(Bernd Scheelen [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)


– Natürlich stimmt das. Vielleicht haben Sie es nicht ge-
lesen. Ich habe es vor der Debatte noch einmal gelesen.
Ich sage nur: Was aus der Konjunktur geworden ist, das
wissen wir.

Sie haben eine zweite Argumentation gebracht. Sie ha-
ben damals gesagt: Wir werden die Branchenabschrei-
bungstabellen verändern und dies führt dazu, dass die
Kommunen mehr Einnahmen erzielen. Ich sage an dieser
Stelle: Gott sei Dank haben Sie sie nicht verändert, denn
dann wäre es in der Wirtschaft noch weiter bergab ge-
gangen. Schon heute werden zum Teil Scheingewinne

Horst Schild




Otto Bernhardt
versteuert. Aber damit ist die Geschäftsgrundlage für die
damals beschlossene Erhöhung


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Blanke Willkür!)


weggefallen. Schon von daher sind Sie moralisch ver-
pflichtet, unserem Antrag zuzustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, ich möchte wegen der ge-
samten Ökonomie, die wir nie vergessen dürfen, noch
einmal betonen: Der Kreislauf ist folgender – ich bitte alle
Nichtökonomen, besonders auf der linken Seite, zu-
zuhören –:


(Zuruf von der SPD: Der Weltökonom!)

Wenn die Kommunen nicht in der Lage sind, Investitio-
nen in Auftrag zu geben, leiden vor Ort das Handwerk und
die mittelständische Wirtschaft. Ich nenne Ihnen eine Zahl
aus dem Jahr 2002. Sie stammt nicht von mir, sondern
vom Verband der Vereine Creditreform. Es sind im Jahre
2002 38 000 Firmen Pleite gegangen und das hat
600 000Arbeitsplätze gekostet. Das ist das Ergebnis Ihrer
Politik.


(Bernd Scheelen [SPD]: 70 000 Neugründungen!)


– Unterm Strich ist viel mehr herauszubekommen, Herr
Kollege. Das wissen Sie.

Aber der Kreislauf der Wirtschaft geht noch weiter.
Wenn immer mehr Leute arbeitslos werden, brechen un-
sere sozialen Systeme zusammen. Das ist ein weiterer
Punkt, der zur Betrachtung der Gesamtökonomie gehört.

Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Wenn Sie
sich hierhin stellen und sagen, Sie hätten tolle Pläne für
die Gemeindefinanzierung, hilft das den Kommunen
heute nicht. Diese Pläne können frühestens ab 1. Ja-
nuar 2004 in Kraft treten. Bis dahin wird es durch die
schwierige Situation der Kommunen aber ein deutliches
Stück weiter bergab gehen.

Natürlich warten Sie auf Aussagen, wie wir uns eine
Gemeindefinanzreform vorstellen. Es gibt noch keine ab-
schließende Entscheidung, aber ich sage sehr deutlich: Ich
bin nach wie vor dafür, die Gewerbesteuer abzuschaffen.


(Bernd Scheelen [SPD]: Ihre Leute aber nicht!)


Aber das kann man nur im Rahmen einer Neuordnung der
Finanzen insgesamt und nicht isoliert machen. Hier geht
es schließlich um einen Brocken von 23 Milliarden Euro.


(Bernd Scheelen [SPD]: Das müssen Sie mal Herrn Rüttgers in Nordrhein-Westfalen sagen!)


Dafür muss es auch einen Ersatz geben, auf den die Kom-
munen Einfluss haben. Das alles ist klar.

Wenn Sie unserem Gesetzentwurf heute zustimmen, be-
deutet das, dass die Kommunen in der Bundesrepublik
Deutschland noch in diesem Jahr rund 2,25Milliarden Euro
mehr erhalten. Das wollen die Stadtkämmerer hören. Ich
glaube nicht, dass dieMinisterpräsidenten amFernseher sit-
zen.Nein, es sind dieBürgermeister und die Stadtkämmerer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, das ist zwar noch nicht die
Lösung des Problems, aber es ist ein ernst zu nehmender
Betrag. Bezogen auf die Legislaturperiode geht es hier um
10 Milliarden Euro mehr für die Kommunen. Deshalb
kann ich an die Kommunalpolitiker in der sozialdemo-
kratischen Fraktion nur appellieren, sich dies noch einmal
genau zu überlegen; denn eines wissen die Kämmerer
auch: Wenn dies heute abgelehnt wird, gäbe es in diesem
Jahr keinen zusätzlichen Cent für die Kommunen. Damit
liefe der gesamtwirtschaftliche Kreislauf so weiter wie
bisher. Die Kommunen könnten keine Investitionen täti-
gen. Der Verband der Vereine Creditreform sagt, dass in
diesem Jahr 42 000 Firmen Pleite gehen. Wir wissen, was
das für die Sozialversicherung bedeutet.

Deshalb lautet mein dringender Appell: Lösen Sie sich
von dem, was Ihnen die Haushaltsabteilung des Finanz-
ministeriums auf den Tisch gelegt hat! Stellen Sie bei Ih-
rer Abwägung gesamtwirtschaftliche Überlegungen an!
Jede Steuererhöhung, die Sie beschließen – dies gilt ins-
besondere auch für die Mindestbesteuerung von Kapital-
gesellschaften –, führt uns letztlich weiter nach unten.


(Zuruf von der SPD: Das sind keine Steuererhöhungen! Kapieren Sie es bitte endlich!)


Ich appelliere an Ihren ökonomischen Sachverstand:
Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir noch in die-
sem Jahr etwas für unsere Kommunen leisten! Sie haben
es dringend nötig. Die Situation dort ist nicht kritisch, sie
ist katastrophal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502506500

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502506600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte gerne ein paar Äußerungen des Geburtstagskindes
– herzlichen Glückwunsch auch von mir – aufgreifen


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Bis jetzt war es richtig gut!)


und die Widersprüche deutlich machen, die es in Ihrer Ar-
gumentation – nicht nur in Ihrer persönlichen, sondern
auch in der der Union – gibt.

Auf der einen Seite wird gesagt – das ist ja auch richtig –,
dass es vielen Kommunen finanziell sehr schlecht geht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Von Krokodilstränen haben sie nichts!)


Das ist in Deutschland regional sehr unterschiedlich. Der
Kollege hat darauf hingewiesen, dass es Kommunen mit
einem Plus und Kommunen mit einem Minus von 20 bis
30 Prozent gibt. In meinem Landkreis Aschaffenburg hat-
ten wir im sehr schwierigen letzten Jahr zum Beispiel ein
Plus von über 40 Prozent.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie können das doch nicht mit strukturschwachen Räumen vergleichen!)



(A)



(B)



(C)



(D)


1924


(A)



(B)



(C)



(D)






In den Städten und Gemeinden in Bayern und auch in an-
deren Ländern sind die Schwankungsbreiten enorm groß.

Das zeigt uns, dass durch das jetzige System, mit dem
die Gewerbesteuer veranlagt wird, die Probleme der
Kommunen nicht gelöst werden können. Es kann keine
solide und berechenbare Grundlage für die kommunalen
Haushalte sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist der Grund, das heißt, das jetzige System ist für die
heutige Wirtschaftssituation mit international operieren-
den Unternehmen nicht mehr geeignet, eine vernünftige
Einnahmequelle für die Kommunen darzustellen. Das ist
das Erste.

Sie sagen, dass es unterschiedlich ist; ich gebe Ihnen ja
Recht. Danach argumentieren Sie aber sofort, dass man
für die Betriebe mehr tun muss. Bezogen auf die Bran-
chentabellen wurde uns zugestanden – wir haben sie
damals nicht umgesetzt –, dass es zu keiner Verschlechte-
rung gekommen ist. Ich finde es aus wirtschaftspoliti-
schen Gründen völlig richtig, dass wir damals auf die Ver-
schärfungen verzichtet haben. Sie halten uns vor, wir
hätten die Branchentabellen nicht umgesetzt und die Ge-
werbesteuerumlage erhöht, wodurch es zu einem größe-
ren Problem gekommen sei. Deswegen, um also die Um-
lage wieder auf den alten Stand zu bringen, müssten wir
Ihrem Gesetzentwurf zustimmen. Das geht so nicht auf.

Kollegin Andreae hat völlig zu Recht gesagt: Genau
dort, wo heute eine vernünftige Einnahmesituation gege-
ben ist, würde die Umlage, wenn man die Erhöhung
zurücknähme, positiv greifen. Dort, wo wenig Geld in der
Kasse ist, hätte man auch von der Umlageveränderung
nicht so viel. Dieser Zusammenhang muss hier deutlich
gemacht werden.

Schauen wir uns einmal die Zahlen an. Wenn wir all die
Maßnahmen – die alten Abmachungen mit den Kommu-
nen, den Gesetzentwurf und die Branchentabellen – um-
setzen würden, müssten die Kommunen im Jahre 2003 auf
etwa 400 Millionen Euro verzichten. Die Anhebung der
Gewerbesteuerumlage befindet sich rein quantitativ in ei-
nem anderen Kontext. Es handelt sich dabei um knapp
3Milliarden Euro. Wenn ich mir die Anträge zur Senkung
der Umlage anschaue, obwohl auch CDU/CSU-geführte
Länder – von Schleswig-Holstein bis nach Bayern, wo ich
herkomme – dagegen sind, dann frage ich mich schon,
wie man das zusammenbringt.

Wir wissen, dass etwa zwei Drittel der Umlage in die
Länderhaushalte eingestellt werden. Wenn das nicht der
Fall wäre, hätten wir quer durch alle Länder verfassungs-
widrige Haushalte. Wenn die Kommunen den Ländern
wirklich so sehr am Herzen liegen und die Probleme dort
tatsächlich so groß sind, dann sollten die Länder einmal
ehrlich sagen, warum sie die Umlage in ihre Haushalte ein-
stellen und die Mittel nicht an die Kommunen weitergeben.
Diese Frage müssen die unionsgeführten Länder beantwor-
ten. Es besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen dem,
was Sie in Ihrem Gesetzentwurf formulieren, und dem, was
in den unionsgeführten Ländern gemacht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir werden uns bald sehr intensiv mit der Frage be-
schäftigen müssen – die Kommission arbeitet und es lie-
gen bereits viele Zwischenberichte vor –, wie es mit den
Kommunalfinanzen weitergeht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Abwärts!)

Wir werden nur dann eine gute Entscheidung treffen kön-
nen, wenn diese von den kommunalen Spitzenverbänden
mitgetragen wird. Die kommunalen Spitzenverbände sind
der Auffassung, dass man vernünftige Berechnungs-
grundlagen braucht, um ein zukunftsfähiges Gesetz auf
den Weg zu bringen. Deswegen halten wir mehr davon,
uns gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden
einer positiven Lösung zuzuwenden als durch Aktionis-
mus Hilfe vorzutäuschen, die aber denen, für die sie ge-
dacht ist, am Ende nichts bringt.

Abschließend noch eine Bemerkung. Wir können uns
selbstverständlich vorstellen, bereits in diesem Jahr die
Höhe der Umlage zu prüfen und dies nicht erst im nächs-
ten Jahr zu tun.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Stimmen Sie doch zu!)


Die Zahlen müssen auf den Tisch kommen, sodass alle Be-
teiligten wissen, wie das Steueraufkommen in Deutsch-
land verteilt ist.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Damit ist den Kommunen nicht geholfen! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Machen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502506700

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gisela Piltz.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1502506800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wenn ich nicht mehr weiterweiß, dann gründ‘ ich einen Ar-
beitskreis. Das habe ich in der Politik schon früh gelernt.


(Bernd Scheelen [SPD]: Mit Erfolg!)

Nach diesem Motto gründet die Bundesregierung fleißig
eine Kommission – wir haben sie jetzt anders genannt –
nach der nächsten: Hartz-Kommission, Rürup-Kommission
und schließlich die Gemeindefinanzreformkommission.


(Bernd Scheelen [SPD]: Was macht die Union gerade? Wie heißt denn noch der ehemalige Bundespräsident?)


Die zweite Weisheit der Arbeitskreispolitik lautet, dass
Verweisungen in derartige Gremien nicht immer für eine
hohe Priorität der Themen sprechen.


(Joachim Poß [SPD]: Die FDP ist doch ein einziger Arbeitskreis!)


Die Bundesregierung macht schon bei den Kommissio-
nen, deren Name vom Renommee des Vorsitzenden ge-
prägt wird, kaum Anstalten, die dort gefundenen Lösun-
gen eins zu eins umzusetzen. Das haben wir im Parlament
kurz vor Weihnachten schmerzlich erleben müssen.


(Beifall bei der FDP)


Christine Scheel




Gisela Piltz

Aber immerhin: Sozialreform und Arbeitsmarkt sind
der Bundesregierung wichtig genug, um sich in der Öf-
fentlichkeit mit den Kommissionen zu schmücken: Hartz,
Rürup. Das klingt nach Kompetenz, Schnelligkeit, um-
fassenden Aufträgen und neuen, innovativen Wegen.
Dann aber gibt es noch diese Gemeindefinanzreform-
kommission. Sie hat keinen prominenten Namen, mit
dem sie sich schmücken kann. Ob das auf den Sachver-
stand der Beteiligten schließen lässt, kann ich nicht beur-
teilen. Aber es spricht offensichtlich auch nicht gerade für
die Besetzung dieser Kommission.

Diese Kommission verschiebt eine Sitzung nach der
anderen und hat nach fast einem Jahr noch immer kein Er-
gebnis vorzulegen. Sie braucht, wie jetzt mitgeteilt wurde,
sogar noch fast ein halbes Jahr mehr Zeit. Dabei hat sie
vorsichtshalber nicht einmal den Auftrag, über die Finan-
zierung und die Aufgaben der Kommunen umfassend
nachzudenken. Die Bundesregierung zeigt aus unserer
Sicht deutlich: Das Thema ist ihr einfach nicht wichtig ge-
nug. Das ist nach unserer Auffassung eine politische
Bankrotterklärung gegenüber den Kommunen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie bei der Hartz- und der Rürup-Kommission
Druck machen, warum machen Sie das nicht auch in die-
sem Zusammenhang?

Die Gemeindefinanzreform ist ein zentrales Thema für
ein funktionierendes Gemeinwesen in diesem Staat. Die
Kommunen bilden die Basis unserer Gesellschaft. Sie
sind näher am Bürger als alle anderen Ebenen. Sie aber,
meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen,
lassen auch heute wieder die Kommunen im Regen ste-
hen. Sie könnten wenigstens kurzfristig helfen und den
dringend benötigten Spielraum zur Verfügung stellen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen ja die Gewerbesteuer ganz abschaffen!)


Denn inzwischen stehen die Kommunen gegenüber dem
Bund und den Ländern erheblich schlechter da als Anfang
2000, als Sie die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage
beschlossen haben. Daher fordern wir die Rücknahme
dieser Erhöhung.


(Beifall bei der FDP)

Dass jetzt noch quasi auf Kosten der Kommune Gewinne
gemacht werden, halte ich persönlich für eine Frechheit.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch die Gewerbesteuer ganz abschaffen, dachte ich immer!)


Mit unserer Forderung stehen wir übrigens nicht allei-
ne. Alle kommunalen Spitzenverbände sehen das genau-
so. Sie jedoch, meine Damen und Herren von der SPD und
den Grünen, handeln offensichtlich gegen die Interessen
der Kommunen. Aber wie Sie das Ihren Kommunalpoliti-
kern vor Ort beibringen wollen, ist Gott sei Dank Ihr Pro-
blem, nicht unseres.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie haben ja gar keine mehr!)


Was wir heute wollen, ist eine schnelle Hilfe für die
Kommunen, die vor allen Dingen deshalb notwendig ist,
weil die verfehlte Politik der Bundesregierung die Kom-
munen erst in diese schwierige Lage gebracht hat. Die
Kommunen warten dringend auf eine umfassende Finanz-
reform.


(Horst Schild [SPD]: Aber nicht auf die Vorschläge der FDP! Darauf warten sie wahrhaftig nicht!)


Dabei müssen die Einnahmen verlässlich gestaltet wer-
den. Das geht aus unserer Sicht – auch wenn heute das
Gegenteil behauptet wurde – nach wie vor nur über die
Abschaffung der wettbewerbsfeindlichen Gewerbesteuer.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Heinz Seiffert [CDU/CSU])


Darüber hinaus müssen aber auch die Aufgaben und
Ausgaben zwischen den staatlichen Ebenen neu geregelt
werden. Ich habe allerdings den Eindruck, dass wir bei
dieser Regierung lange darauf warten können.

Meine Fraktion wird heute dem Antrag, die Erhöhung
der Gewerbesteuerumlage zurückzunehmen, zustimmen,
aber eben nicht, um die Gewerbesteuer zu perpetuieren,
sondern um dringend notwendige finanzielle Spielräume
für die Kommunen zu schaffen. Denn im Gegensatz zu Ih-
nen nehmen wir die Sorgen der Kommunen ernst.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Das wäre das erste Mal!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502506900

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Ulrich

Krüger.


Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD):
Rede ID: ID1502507000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Die aktuelle Situation der kommunalen
Haushalte ist in der Tat durch steigende Ausgaben im Ju-
gend- und Sozialhilfebereich und durch Einbrüche bei
den Steuereinnahmen bei gleichzeitiger Talfahrt der kom-
munalen Investitionen geprägt. Sparbemühungen der ver-
gangenen Jahre haben – das ist auch einzugestehen – viel-
fach die vorhandenen Potenziale aufgezehrt und die
Handlungsspielräume nahezu auf null verengt.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Angesichts dieser Situation ist unstreitig nach Lösun-

gen zu suchen, welche das Steueraufkommen von Städten
und Gemeinden in ihrer Gesamtheit auf einem Niveau
verstetigen, das verantwortungsbewusstes kommunales
Handeln auf Dauer gewährleistet.

Die Bundesregierung hat daher, wie ich meine, richtig
gehandelt, als sie im März des vergangenen Jahres eine
Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen unter
umfassender Beteiligung von Vertretern kommunaler
Spitzenverbände, der Länder, Wirtschaftsverbände und
Gewerkschaften eingesetzt hat. Dabei ist mein Vertrauen
in Minister Beckstein aus Bayern offenbar größer als das


(A)



(B)



(C)



(D)


1926


(A)



(B)



(C)



(D)






Ihre, Frau Kollegin Piltz. Ich habe jedenfalls keine Zwei-
fel, dass diese Kommission, in der der nordrhein-westfä-
lische Innenminister Fritz Behrens die A-Länder und der
Kollege Beckstein die B-Länder vertreten, qualitativ
hochwertig mit entsprechendem Sachverstand besetzt ist.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die tagt doch nie!)


Es geht in der Tat nicht an – darin sind wir uns schnell
einig –, dass in einem Bundesland wie Nordrhein-West-
falen, das eben bereits erwähnt wurde, die Kommunen
allein im Kalenderjahr 2001 ein Minus von 550 Milli-
onen Euro Gewerbesteuer verkraften müssen und dem-
gemäß die vom Kollegen Pinkwart erwähnten 105 von
396 Kommunen ein Haushaltssicherungskonzept schrei-
ben müssen.

Hier ist nach vernünftigen und auf Dauer tragfähigen
Ansätzen zu suchen. Darin liegt eine wichtige Aufgabe für
jeden, der es mit der kommunalen Selbstverwaltungsga-
rantie ernst meint. Dabei ist allerdings eine umfassende
Reform der kommunalen Finanzen notwendig, und zwar
eine Reform an Haupt und Gliedern, die auch in die Zu-
kunft weist, statt einer Notreparatur mit untauglichem
Werkzeug.

Zentraler Punkt aller Reformbemühungen ist und
bleibt die modernisierte kommunale Gewerbesteuer. Ihr
Hebesatzrecht stärkt die kommunale Finanzautonomie.
Gleichzeitig belohnt sie die Kommune mit einer zusätzli-
chen Einnahme, welche sich ihrer gesamtwirtschaftlichen
Verantwortung durch die Bereitstellung von Gewerbe-
und Industrieflächen stellt.

Sämtliche Bestrebungen zur Abschaffung der Gewer-
besteuer – meinetwegen zugunsten einer so genannten
Bürgersteuer – sind demgegenüber wirtschaftspolitische
Selbsttore.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Welche Kommune würde denn überhaupt noch das im
Vergleich zu Bauland wesentlich preiswertere Gewerbe-
oder Industrieland ausweisen, wenn es ihr, gerade im
Speckgürtel größerer Städte, auch möglich wäre, die gut
verdienenden Angestellten und Freiberufler in attraktive
Wohngebiete zu ziehen und sich über den Anteil an der
Einkommensteuer bzw. über die allgemeinen Mittel-
zuweisungen zu finanzieren?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zwei-

fel darüber sein sollten, fragen Sie bitte die Wirtschafts-
förderer Ihrer Region, welches Gewicht die Gewerbe-
steuerprognosen für viele Städte bei der Ansiedlung
großer Unternehmen in der Vergangenheit gehabt haben.
Ein Modell, das auf die Abschaffung der Gewerbesteuer
zielt, wird daher den ureigenen Interessen von Gewerbe
und Industrie zuwiderlaufen. Oder – um ein kleines Zah-
lenspiel zu wagen, Herr Kollege Pinkwart –: Dann hätten
im Jahr 2001 in Nordrhein-Westfalen nicht 105, sondern
wahrscheinlich 150 Kommunen ein HSK verfasst.

Eine Lösung der kommunalen Einnahmeprobleme
kann daher zum einen nur in einer modernisierten Ge-
werbesteuer liegen, welche insbesondere die Freibe-

rufler und die Selbstständigen einbezieht, wobei diese be-
kanntermaßen die von ihnen gezahlte Gewerbesteuer in
einem pauschalen Verfahren mit der Einkommensteuer
verrechnen dürfen. Zum anderen bedarf es auch einer Ver-
besserung und Verstetigung der Einnahmen durch eine
Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.

Hier, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU und FDP, liegt es nun allerdings auch an Ihnen
und Ihren Kollegen im Bundesrat, dafür zu sorgen, dass
die diesbezüglichen Kommunen, Bund und Land stärken-
den Aspekte des Steuersubventionsabbaugesetzes mög-
lichst schnell in die Tat umgesetzt werden,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: So ist es!)


wenn es Ihnen denn mit der Stärkung der kommunalen
Selbstverwaltungshoheit ernst ist. Eines muss nämlich
klar sein: Eine Gewerbesteuer als wesentliche kommu-
nale Steuer, welche in den letzten Jahren in der Tat und
bedauerlicherweise zu einer Steuer für wenige Großbe-
triebe mutiert ist, kann für keinen Rat der Stadt die not-
wendige verlässliche Bemessungsgrundlage darstellen,
die der Bürger zu Recht verlangt.

Wer es daher mit der Sanierung unserer kommunalen
Finanzen ernst meint, der muss diese Dinge auf der Ein-
nahmeseite der Kommune bedenken und insbesondere
auch konstruktiv an der Verbesserung der Ausgabeseite
mitwirken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Stichwort, das ich Ihnen hier zurufe, ist beispiels-

weise die von der Hartz-Kommission empfohlene Zu-
sammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe für Er-
werbsfähige. Ich hoffe, dass Sie Ihren eigenen Antrag,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, so verste-
hen, dass Sie in dieser Kommission unter diesen Aspek-
ten mitwirken wollen, und insofern hoffe ich auf die
Einhaltung Ihres diesbezüglich für mich konkludent ab-
gegebenen Versprechens.

Angesichts dieser fundamentalen Herausforderungen,
welche im Übrigen einen Schlussstrich unter eine nahezu
30-jährige Diskussion ziehen würden, sind – ich muss sa-
gen: leider – sowohl Ihr aktueller Gesetzentwurf wie auch
die Vorstellungen der FDP untauglich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Senkung der Gewerbesteuerumlage würde das

vorgezeichnete Grundübel nicht beseitigen, sondern nur
diejenigen Kommunen begünstigen – das ist schon er-
wähnt worden –, welche zurzeit noch über nennenswerte
Gewerbesteuereinnahmen verfügen, jedoch diejenigen
ins Abseits stellen, denen wegen fast gen null tendierender
Einnahmen in Wirklichkeit am stärksten geholfen werden
müsste. Damit würde der Unterschied zwischen einer
aufkommensstärkeren und einer aufkommensschwachen
Kommune und damit das Ungleichgewicht gestärkt, ohne
dass das grundsätzliche Problem der Nichtberechenbar-
keit kommunaler Steuern auf der Einnahmeseite ange-
gangen worden wäre.

Wenn Sie, verehrte Damen und Herren von der Oppo-
sition, daher etwas für die Kommunen tun wollen, kann ich
Sie nur auffordern, in der Gemeindereformkommission

Dr. Hans-Ulrich Krüger




Dr. Hans-Ulrich Krüger
konstruktiv und zum Wohl unserer Kommunen mitzuar-
beiten, anstatt Anträge zu stellen, bei denen im Dunkeln
verborgen bleibt, woher beispielsweise die von den Län-
dern allein in diesem Jahr zu tragenden 1,135 Milliar-
den Euro kommen sollen.

Die Bayerische Staatsregierung – sie ist bereits mehr-
fach erwähnt worden – kann es offenbar nicht sein. Auch
kann es offenbar nicht der Ministerpräsident des Landes
Hessen sein, der die 140 Millionen Euro aus dem Steuer-
subventionsabbaugesetz bereits verplanen musste – ob-
wohl er dieses Gesetz bekämpfen möchte –, um seinen
Haushalt einigermaßen im Gleichgewicht zu halten. Wo
also sollen die zusätzlichen Summen als Anteil der Län-
der herkommen? Wo sollen da ehrlicherweise Spielräume
sein? Sagen Sie es uns, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der SPD)

Unterstützen Sie daher bitte mit uns allen diejenigen

– wir nehmen das sehr ernst –, die das Selbstverwaltungs-
recht der Kommunen auch in Zukunft als ein starkes und
unabhängiges Selbstverwaltungsrecht erleben möchten.
Unterstützen Sie die Arbeit der Kommission zur Reform
der Gemeindefinanzen. Legen Sie mit uns bitte Wert da-
rauf, dass dort eine nachhaltige und umfassende Moderni-
sierung der Gewerbesteuer geregelt wird. Sorgen Sie mit
uns auch für eine effiziente Zusammenlegung von Arbeits-
losen- und Sozialhilfe und schaffen Sie damit ein verlässli-
ches Korsett für die Kommunen, in dessen Rahmen dann
meinetwegen zu irgendeinem Zeitpunkt auch eine Diskus-
sion über die Gewerbesteuerumlage geführt werden kann!

Das ist der richtige, der solide, der ehrliche Weg, der
letzten Endes uns allen in Form gesicherter industrieller
Standorte dienen und der in Form gesicherter kommuna-
ler Investitionen verlässlich sein wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502507100

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Michelbach.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1502507200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir erleben in Deutschland die finanzpolitische
Geisterfahrt einer überforderten Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Am Steuer sitzt ein Geisterfahrer namens Hans Eichel, der
jedes Gebot der ökonomischen Vernunft missachtet und
ein finanzpolitisches Stoppschild nach dem anderen über-
fährt. Eigentlich hätten es unsere Kommunen verdient,
dass der Herr Bundesfinanzminister heute selbst an dieser
für die Kommunen wichtigen Entscheidung teilnimmt


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


und damit auch dokumentiert, dass ihm die kommunalen
Finanzen wichtig sind im Hinblick auf das Gesamtwohl.

Seine Fahrt in die falsche Richtung macht sich an ver-
schiedenen Orientierungsfehlern fest: an der wachstums-
feindlichen Erhöhung des Staatsanteils am Volkseinkom-
men durch immer mehr Steuern und Abgaben, an den
unzureichenden Einsparungen auf der Ausgabenseite, an
der hohen Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte,
an dem Verstoß gegen den Wachstums- und Stabilitäts-
pakt, an der Investitionsvernichtung durch die einseitigen
Belastungen der Kommunalfinanzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer einen sol-
chen chaotischen Zickzackkurs fährt, wer die Inlands-
nachfrage immer weiter verhindert, wer alles immer nur
– wie in Ihrem Antrag – auf die Weltwirtschaft schiebt,
wer Wachstum vernichtet und gleichzeitig die Verschul-
dung erhöht, erleidet einen Totalschaden. Er vernichtet
die Grundlagen für die Einnahmen der öffentlichen Haus-
halte, insbesondere der Kommunen, die sich am Ende der
Fahnenstange befinden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung erweist sich geradezu als un-

fähig, eine moderne und wachstumsorientierte Wirt-
schafts-, Finanz- und Sozialpolitik zu entwickeln und
letzten Endes auch durchzusetzen. Darunter leiden unsere
Bürger, unsere Betriebe und insbesondere unsere Kom-
munen. Dabei sind wir bereit zu einer konstruktiven Zu-
sammenarbeit zum Wohle der Kommunen und zum
Wohle der Wirtschaft. Nicht bereit dagegen sind wir, Ih-
rer Steuererhöhungspolitik zuzustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Wir bauen Subventionen ab! Dazu haben Sie nie den Mut gehabt!)


Notwendig sind eine Förderung der Wachstumskräfte,
eine Verbesserung der Investitionschancen bei Wirtschaft
und Kommunen, eine Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte durch Ausgabenreduzierung, gezielte Beschäf-
tigungsanreize am Arbeitsmarkt und eine Verbilligung des
Faktors Arbeit durch Senkung der Lohnzusatzkosten auf
unter 40 Prozent. Meine Damen und Herren, es muss end-
lich gehandelt werden. So kann es nicht weitergehen.
Sonst ruinieren Sie endgültig unsere wirtschafts-, finanz-
und sozialpolitischen Fundamente in diesem Land.

Deutschland hat 2002 – deshalb ist das, was Sie jetzt dis-
kutieren, besonders verwerflich – die EU-Defizitgrenze
von 3 Prozent mit einem unverantwortlichen gesamtstaat-
lichen Defizit von 3,8 Prozent weit überschritten. Auch im
Jahr 2003 wird gegen die Vorgaben des Wachstums- und
Stabilitätspakts bei der Defizitquote und auch bei der Ge-
samtverschuldung deutlich verstoßen werden. Alle anders
lautenden Versprechungen des Bundesfinanzministers
sind – wie vor den Wahlen – wieder die Unwahrheit und
werden wider besseres Wissen gemacht. Die Überschrei-
tung der Defizitobergrenze hat alleine er selbst zu verant-
worten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Finanzierungsdefizit des Bundes einschließlich

der Sozialversicherungen – hören Sie genau zu – beträgt,
bezogen auf die vom Finanzplanungsrat festgelegte Be-
messungsgröße von 45 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts, rund 4,6 Prozentpunkte. Wie wollen Sie denn auf


(A)



(B)



(C)



(D)


1928


(A)



(B)



(C)



(D)






unter 3 Prozent kommen, wenn Sie selbst ein so schlech-
tes Beispiel geben? Die Kommunen sollen also nach
Ihrem Dafürhalten sparen, während Sie im Bund einen
großen Schluck aus der Pulle nehmen. Das ist Ihre Fi-
nanzpolitik. So darf es nicht weitergehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die deutliche Überschreitung durch den Bund ist trotz der
finanziellen Verschiebebahnhöfe zulasten der Länder und
Kommunen die Hauptursache für das Finanzdesaster.
Übrigens, akzeptieren Sie endlich, dass Bayerns Kommu-
nen noch die geringste Verschuldung und die höchste In-
vestitionsquote aufweisen. Wenn Sie die bayerischen Ver-
hältnisse auf Ihre Finanzpolitik übertragen würden, dann
ginge es uns allen besser.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bundesfinanzminister hat es versäumt, in den kon-

junkturell guten Jahren die notwendigen Konsolidie-
rungsmaßnahmen zu ergreifen und die Wachstumskräfte
gezielt zu stärken. Ich kann die Regierungskoalition nur
warnen, die angelaufenen Bemühungen in der SPD-Frak-
tion zur Aufweichung des Wachstums- und Stabilitäts-
paktes der EU weiter zu verfolgen. Nach dem Verlust Ih-
rer Glaubwürdigkeit in vielen politischen Bereichen
sollten Sie zumindest die Stabilität unserer Währung so-
wie die finanziellen Fundamente unseres Landes nicht
weiter gefährden. Ich bitte Sie: Lassen Sie die Finger vom
Wachstums- und Stabilitätspakt! Die von Ihnen beabsich-
tigte Aufweichung ist eine riesige Gefahr für unser Land,
für die Arbeitsplätze, für die Betriebe und für unsere
Währung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit zerstören Sie jegliches Vertrauen in die Zukunft.

Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung insbe-
sondere im Bereich der Wirtschafts-, der Finanz- und der
Sozialpolitik. Nur so ist die zweifellos vorhandene fi-
nanzpolitische Krise zu meistern. Es darf kein zusätz-
liches Potenzial an Risiken für die öffentlichen Kassen
mehr entstehen. Wir brauchen eine wachstumsfördernde
Konzeption, klare Signale und zielgenaue Sofortmaßnah-
men.

Heute haben Sie die Chance, Sofortmaßnahmen zur
Stärkung der Kommunen, des Wirtschaftskreislaufs und
insbesondere der Investitionsbereitschaft auf den Weg zu
bringen. Frau Scheel, nicht prüfen, sondern endlich etwas
machen – das ist das Motto, nach dem jetzt gehandelt wer-
den muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das heißt konkret: Rücknahme der Erhöhung der Gewer-
besteuerumlage als Sofortmaßnahme für die Gesundung
der Kommunalfinanzen, Verzicht auf das so genannte
Steuervergünstigungsabbaugesetz als vertrauensbildende
Maßnahme zur Konjunkturförderung, ein Steuerabbau-
programm als Entlastungssignal für mehr Wachstum,
keine Erweiterung und Erhöhung der Gewerbesteuer, son-
dern eine innovative und wettbewerbsfähige Gemeinde-
finanzreform. Mit diesen wachstumsfördernden Maßnah-
men ließe sich eine finanzpolitische Wende herbeiführen.

Ich bitte Sie herzlich: Stimmen Sie unserem Gesetz-
entwurf zu, dessen Ziel die Rücknahme der Erhöhung der
Gewerbesteuerumlage ist. Geben Sie unseren Kommunen
und unserer Wirtschaft mehr Freiraum für Investitionen
sowie für mehr wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und
Dynamik in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Legen Sie endlich ein konkretes Konzept für eine Ge-
meindefinanzreform vor! Das, was Sie im Steuervergüns-
tigungsabbaugesetz festgelegt haben, wird für viele Kom-
munen insbesondere in den neuen Bundesländern einem
Kahlschlag im Bereich der gewerbesteuerlichen Organ-
schaften gleichkommen. Bringen Sie einmal ein Gesamt-
konzept auf den Weg. Geben Sie heute Gas für die Kom-
munalfinanzen und für die wirtschaftliche Verbesserung.
Dann machen Sie schnell eine Gemeindefinanzreform aus
einem Guss! Dazu werden wir unseren Beitrag leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Da bin ich aber sehr gespannt!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502507300

Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä-

rin Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1502507400


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst, Kollege Michelbach: Niemand betreibt die
Aufweichung der Kriterien des Stabilitäts- und Wachs-
tumspaktes.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ja, ja, freilich!)


Aber selbstverständlich ist Gegenstand des Stabilitäts-
und Wachstumspaktes, dass Dinge, die so etwas wie
höhere Gewalt sind, ihre Berücksichtigung finden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach, jetzt kommt der Irakkrieg schon im Vorlauf, oder was?)


Sollte es zu einer kriegerischen Entwicklung kommen
– die Bundesregierung tut alles dafür, das noch zu verhin-
dern; wir haben heute Morgen darüber gesprochen –, wer-
den sich die Europäische Union und auch die G 7 auf diese
veränderte Situation ökonomisch einstellen müssen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die bemühen sich doch in Brüssel schon!)


Nichts anderes ist im Gespräch und nichts anderes ist ver-
nünftig. – So viel vorweggeschickt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu dem Gesetzentwurf, der heute vorliegt, will ich
nicht mehr sprechen. Von den Kolleginnen und Kollegen
der Grünen und der SPD ist dazu, denke ich, alles gesagt
worden, was gesagt werden musste. Ich will jetzt auf das
eingehen, was auch hier unter der Hand behauptet worden
ist: dass die Kommission gar nicht arbeite und wir gar
nicht wüssten, was wir wollten.

Hans Michelbach




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

Die letzte Gemeindefinanzreform ist 1970, vor jetzt
rund 33 Jahren, umgesetzt worden. In den 70er-Jahren
und zu Beginn der 80er-Jahre – das sage ich nur für die
historisch Interessierten – gab es noch keinen Druck für
eine Gemeindefinanzreform. In den 80er-Jahren und spe-
ziell in den 90er-Jahren entwickelte sich ein solcher
Druck. In dieser Zeit trugen Sie 16 Jahre lang die Regie-
rungsverantwortung, von Ende 1982, wie wir uns erin-
nern, bis Ende 1998.

Wir hatten schon bei Übernahme der Regierungsver-
antwortung in die Koalitionsvereinbarung geschrieben:
Wir wollen eine kommunale Finanzreform auf den Weg
bringen. – Wir wurden an der zügigen Umsetzung dessen
durch Klagen von Südländern gegen den bundesstaat-
lichen Finanzausgleich gehindert. Wir mussten in der
vergangenen Legislaturperiode zunächst das Urteil zum
bundesstaatlichen Finanzausgleich, das dann ergangen
ist, umsetzen und die Neuregelung des Solidarpakts II zu-
gunsten der neuen Bundesländer auf den Weg bringen.
Die Arbeiten an der Gemeindefinanzreform mussten also
zurückstehen, weil wir die Urteile des Bundesverfas-
sungsgerichts umsetzen mussten.


(Horst Schild [SPD]: Leider wahr!)

Übrigens haben diese Urteile den klagenden Ländern
Hessen, Baden-Württemberg und Bayern alles andere als
Recht gegeben; viel Arbeit hat uns das trotzdem gemacht.
Wir haben auch den Solidarpakt II mit einer Laufzeit bis
2019 beschlossen, also sehr weitsichtig zugunsten der
neuen Bundesländer gehandelt. Eine solch weitsichtige
Politik haben Sie – darauf will ich nur einmal hinweisen –
niemals geleistet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt also zur Gemeindefinanzreform. Im März des
vergangenen Jahres hat das Bundeskabinett den Be-
schluss zur Einsetzung einer Kommission zur Reform
der Gemeindefinanzen gefasst. Die Länderministerrun-
den, also die Konferenz der Innenminister der Länder, die
Konferenz der Finanzminister der Länder und die Konfe-
renz der Arbeits- und Sozialminister der Länder, haben
dann etwa zwei Monate gebraucht, um sich unter sich da-
rüber zu verständigen, wer Mitglied der Kommission
werden soll. Natürlich muss die Vertretung von A- und
B-Ländern, also SPD- und CDU/CSU-regierten, von
Flächenländern und Stadtstaaten, von Ost und West aus-
gewogen sein. Das alles muss natürlich stimmen. Also
dauerte es nach der Beschlussfassung durch das Bundes-
kabinett etwa zwei Monate, bis die Kommission zum ers-
ten Mal tagen konnte. Seither hat die Kommission in der
Tat erst zweimal getagt.

Jetzt gehen ganz kluge Leute von Ihnen übers Land und
sagen: Die arbeiten ja gar nicht. Die tagen ja gar nicht. – In
dieser Kommission sitzen, wie Sie wissen, Landesminis-
ter, Bundesminister, die Präsidenten von Wirtschaftsver-
bänden und die Vorsitzenden von Gewerkschaften. Sie
wissen sehr wohl, dass dies nicht diejenigen sind, die die
Facharbeit zu leisten haben; dies sind diejenigen, die am
Schluss die politische Bewertung vornehmen, um dann
– das ist einfach so – dem Gesetzgeber eine Empfehlung
vorzulegen.

Darum arbeiten unterhalb dieser Kommission zwei Ar-
beitsgruppen. Die eine kümmert sich um die Einnahme-
seite, also namentlich um die Gewerbesteuer – die Grund-
steuer kommt sicherlich auch noch ins Blickfeld –, und
die andere kümmert sich um die Frage: Wie werden wir in
Zukunft Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe miteinander ver-
zahnen und welche finanzverfassungsrechtlichen Schluss-
folgerungen müssen wir ziehen, wenn die Verantwortung
für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger zum Beispiel nicht
mehr bei den Kommunen, sondern bei der Bundesanstalt
für Arbeit liegt? Wenn das der Fall wäre, dann müssten fi-
nanzverfassungsrechtliche Schlussfolgerungen gezogen
werden. Auch das gehört zum Konnexitätsprinzip. Wenn
die Erfüllung einer Aufgabe verlagert wird, dann muss an
dem entsprechenden Ort das nötige Geld zur Verfügung
gestellt werden. Darüber sind wir uns im Prinzip einig.
Das Konnexitätsprinzip muss für alle Ebenen des Bundes
gelten, jedenfalls wenn man grundsätzliche Lastenver-
schiebungen vornimmt.

Die beiden genannten Arbeitsgruppen arbeiten. Beide
Arbeitsgruppen haben Arbeitskreise eingerichtet. Der
eine heißt „Quantifizierung“. Dort wird – das deutet der
Name schon an – mit mathematischen Modellen gerech-
net, und zwar anhand von 200 Modellkommunen, die von
den kommunalen Spitzenverbänden vorgeschlagen wor-
den sind. In diesem Arbeitskreis werden also die ver-
schiedenen Systeme durchgerechnet: Welche Änderungen
ergeben sich hinsichtlich der Steuereinnahmen der Kom-
munen und welche Auswirkungen haben das Modell A,
das Modell B oder das Modell C auf die Modellkommu-
nen? So lassen sich die Wirkungen der denkbaren Mo-
delle abschätzen.

Deshalb: Wenn die FDP vorschlägt, die Gewerbesteuer
einfach abzuschaffen – das hat die FDP schon immer vor-
geschlagen –, dann macht sie es sich sehr leicht, wie üb-
lich. Auch Mitglieder der CDU haben dies gefordert. Das
ist aber nicht die Mehrheitsmeinung, jedenfalls nicht die
einvernehmliche Meinung in der CDU. Die CDU weiß
doch überhaupt nicht, was sie will. Als Herr Rüttgers aus
Nordrhein-Westfalen gefordert hat, die Gewerbesteuer
abzuschaffen, wurde er von den Bürgermeistern und
Oberbürgermeistern, die der CDU angehören, so kräftig
zurückgepfiffen, dass er in den Zügeln gestolpert ist. So
ist die Lage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Was ist denn mit Ihrer Partei? Sagen Sie doch einmal, was ihr wollt!)


– Ja, Sie wollen immer nur, dass wir schnell machen. Ich
habe deshalb bewusst darauf hingewiesen, dass die letzte
Gemeindefinanzreform vor 33 Jahren stattgefunden hat.

Der andere Arbeitskreis trägt den Namen „Adminis-
trierbarkeit“. Dort werden die verschiedenen Modelle
also im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit in der Verwal-
tung geprüft. Man geht der Frage nach, ob die einzelnen
Modelle in den kommunalen Finanzverwaltungen über-
haupt zu handhaben sind.

Wenn man eine grundsätzliche Änderung vornimmt,
dann muss man sein Vorgehen doch wohl so gründlich
vorbereiten müssen. Wir haben nie etwas anderes ver-


(A)



(B)



(C)



(D)


1930


(A)



(B)



(C)



(D)






sprochen, als dass wir zum Ende der ersten Hälfte dieses
Jahres, also Ende Juni 2003, dem Gesetzgeber eine Emp-
fehlung vorlegen. Die Kommission wird also Vorschläge
machen. Ich hoffe, diese Vorschläge werden – in dieser
Kommission sitzen auf der Regierungsseite viele Kolle-
gen aus den Ländern – einvernehmlich sein und der Ge-
setzgeber wird sich diese Vorschläge in groben Zügen zu
Eigen machen können. Wenn die Vorbereitungen weiter-
hin so laufen wie bisher und sich niemand verweigert,
dann muss das auch klappen.

Wir werden unser Wahlversprechen einhalten: In der
ersten Hälfte des Jahres wird die Kommission die Emp-
fehlung erarbeiten und in der zweiten Hälfte des Jahres
wird das Gesetzgebungsverfahren durchgeführt; das ent-
sprechend geänderte Gesetz wird zum Januar 2004 in
Kraft treten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meinetwegen können Sie ungläubig in den Seilen hän-

gen und denken, wir seien nicht schnell genug. Ich sehe
dabei insbesondere zwei junge Kollegen an, die offenbar
über eine langjährige Erfahrung mit dem Gesetzgebungs-
verfahren in diesem Parlament verfügen.


(Holger Haibach [CDU/CSU]: Zumindest kommunalpolitische Erfahrungen!)


Sie werden schon noch merken, dass man umfassende
Verfahren sorgfältig vorbereiten muss. Wir sind nicht die-
jenigen, die zum Beispiel die Zahl der Modellkommunen
festgelegt haben. Das waren die kommunalen Spitzenver-
bände, die Wert darauf gelegt haben. Im Übrigen: Die Ver-
fahrensweisen in der gesamten Kommissionsarbeit wur-
den bisher einvernehmlich beschlossen.

Die nächste Bundestagswahl ist erst in drei Jahren und
neun Monaten. Ich bin guten Mutes, dass Sie, wenn Sie
das begriffen haben, vernünftig werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502507500

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Kaster.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernhard Kaster (CDU):
Rede ID: ID1502507600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Mit der Gesetzesinitiative der CDU/CSU-
Fraktion und des Bundesrates kann jetzt die Chance ge-
nutzt werden, einerseits unseren stark gebeutelten Städten
und Gemeinden im Sinne einer Soforthilfe auf gesetzes-
technisch einfachem, aber effektiven Wege wieder ein
wenig Luft zu verschaffen und andererseits einen drin-
gend notwendigen wirtschaftspolitischen Impuls für In-
vestitionen vor Ort und für die am Boden liegende Bau-
branche auszulösen. Wer sich dem verweigert, hat die
dramatische Lage der kommunalen Haushalte scheinbar
immer noch nicht erkannt. Sprechen Sie mit den Bürger-
meistern vor Ort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerade in den letzten Tagen und Wochen beglückt die
Regierungskoalition die deutsche Öffentlichkeit mit
immer neuen Bekundungen wirtschaftspolitischen Um-
denkens, neuen Thesenpapieren und der angeblichen Be-
reitschaft, sinnvolle Maßnahmen zur Belebung des Ar-
beitsmarktes auch zusammen mit der Union auf den Weg
bringen zu wollen. Wir erwarten hier im Deutschen Bun-
destag konkrete Taten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit der Zustimmung zu unserer Gesetzesinitiative hätten
Sie heute die Chance, ein Zeichen dafür zu setzen, dass
Sie mit den Veränderungen ernst machen und zumindest
einen schnellen Beitrag zur Schadensbegrenzung leisten
wollen. Die Bürger in unserem Land haben kein Ver-
ständnis mehr dafür, wenn Lösungen auf die lange Bank
geschoben werden oder wenn wie hier auf die von Ihnen
jetzt schon seit fünf Jahren angekündigte Gemeinde-
finanzreform verwiesen wird. Daran ändern auch die lan-
gen Berichte über Arbeitskreise, Kommissionen etc.
nichts. Wir wollen hier im Bundestag konkrete Vorschläge
sehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die vorgeschlagene Absenkung der Gewerbesteuer-

umlage auf das Niveau, das vor der Gesetzesänderung im
Jahr 2000 galt, würde der beabsichtigten Reform des Ge-
meindefinanzsystems überhaupt nicht im Wege stehen.
Ganz im Gegenteil: Es wäre ein Zeichen, das angäbe, in
welche Richtung die Gemeindefinanzreform entwickelt
werden muss. Es muss endlich Schluss damit sein, dass
die grundgesetzlich verankerte Mitverantwortung des
Bundes für die Gemeindefinanzen so nach Gutsherrenart
– das ist mir insbesondere noch einmal bei dem Redebei-
trag von Frau Scheel aufgefallen – praktiziert wird,
schlichtweg nach dem Motto: Die Letzten beißen die
Hunde. Gemeinden und Städte dürfen nicht mehr länger
Almosenempfänger der Bundes- oder Länderpolitik sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Pinkwart [FDP])


Meine Damen und Herren, die schlimmste strukturelle
Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik – so die
kommunalen Spitzenverbände – ist längst nicht mehr ein
Thema ausschließlich für Bürgermeister, Gemeinderäte
oder Kämmerer. Das Thema betrifft die Bürgerinnen und
Bürger vor Ort tagtäglich direkt. Betroffen sind die Eltern,
die zwischenzeitlich die Schulen ihrer Kinder in Eigenregie
renovieren. Betroffen sind die vielen Kulturschaffenden
im Ehrenamt oder im Hauptamt, die um die Offenhaltung
von Theatern, Bürgerhäusern oder Hallen fürchten müs-
sen. Betroffen sind viele Feuerwehrkameraden, die nur
noch mit Mühe veraltete Fahrzeuge instand halten kön-
nen. Betroffen sind viele soziale Einrichtungen oder Ein-
richtungen der freiwilligen Jugendarbeit, deren laufende
Sach- und Personalkosten nicht mehr finanzierbar sind.
Betroffen sind auch viele Beschäftigte, die um ihren Ar-
beitsplatz bei der Kommune oder einer kommunalen Ein-
richtung bangen müssen. Das hat im Übrigen auch etwas
mit dem Tarifabschluss zu tun, der vor kurzem getroffen
wurde. Betroffen sind aber vor allem auch viele Hand-
werksfirmen insbesondere der Bauwirtschaft, die ganz
gravierend unter der stagnierenden Investitionstätigkeit
unserer Gemeinden leidet.

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks




Bernhard Kaster

Im Vergleich zu 1992 sind die kommunalen Investi-
tionen um ein ganzes Drittel eingebrochen. Der Investi-
tionsstau sowohl im Hochbau wie auch im Tiefbau ist dra-
matisch. Der Investitionsbedarf aller Gemeinden, Städte,
Landkreise und Zweckverbände beziffert sich für den
Zeitraum von 2000 bis 2009 inzwischen auf 665 Milliar-
den Euro. Allein im Jahre 2003 wird die Investitionstätig-
keit nochmals um 11,8 Prozent zurückgehen. Die heutige
Gesetzesinitiative befreit daher unsere Kommunen selbst-
verständlich nicht von ihren großen Sorgen, die hier ge-
schildert worden sind; sie wäre aber ein wichtiges Signal
und könnte vor allem einen wichtigen Investitionsimpuls
geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was bedeuten 2,3 Milliarden Euro mehr in 2003 oder

2,6 Milliarden Euro mehr in 2004 konkret? Für viele
große Städte bedeutet dies eine Verbesserung der finanzi-
ellen Lage in zweistelliger Millionenhöhe; das ist nachre-
chenbar. Ich will es aber einmal am Beispiel einer kleinen
Stadt verdeutlichen: In der Saar-Mosel-Stadt Konz, in
meinem Wahlkreis gelegen, circa 20 000 Einwohner, hät-
ten diese Mehreinnahmen in 2003 und 2004 einen Effekt
von jährlich etwa 140 000 bis 160 000 Euro. Für Kommu-
nen in dieser Größenordnung ist das in der derzeitigen Si-
tuation eine sehr große Hilfe.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mir sind viele Bürgermeister bekannt, die Klage darü-

ber führen, dass manche dringend notwendige und sinn-
volle Investition trotz möglicher Mitfinanzierung durch
Land, Bund oder europäische Programme daran scheitert,
dass die Kommunen nicht mehr in der Lage sind, ihren Ei-
genanteil von 10 oder 20 Prozent zu erbringen. Das belegt
eindeutig, dass die wirtschaftliche Wirkung der Senkung
der Gewerbesteuerumlage, der Investitionsimpuls um
ein Mehrfaches über den Summen von 2,3 Milliarden
oder 2,5 Milliarden Euro läge.

Mit der Umlagensenkung würde aber noch eine wei-
tere Wirkung einhergehen: Für sehr viele Städte und Ge-
meinden mit defizitärem Haushalt – das sind leider Tau-
sende – wäre der 10-prozentige Differenzbetrag, ob
15 000 Euro in einer kleinen Gemeinde, 200 000 bis
500 000 Euro in einer Kleinstadt oder 4, 5 oder 15 Milli-
onen Euro in einer großen Stadt, letztlich die Rettung zum
Haushaltsausgleich.

Meine Damen und Herren, dramatisch ist nicht nur die
Finanzsituation, dramatisch ist letztlich die Aushöhlung
der Selbstverwaltung in unserem Land. Welche Gestal-
tungsspielräume verbleiben unseren Gemeinde- und
Stadträten noch? Die Bilanz, die wir heute ziehen müssen,
ist eindeutig: Die Selbstverwaltung, die Interessen von
Städten und Gemeinden sind bei Rot-Grün im Bund in
den denkbar schlechtesten Händen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bei näherem Hinsehen – das betrifft leider auch die Ar-
gumentation bezüglich der Gemeindefinanzreform – ist
der Hang von Sozialdemokraten zu Zentralismus, Steu-
erung und Betreuung von oben unverkennbar. Liegt der
Grund nicht vielleicht auch darin, dass einer großen

Mehrheit der Sozialdemokraten die Selbstverwaltung, die
Entscheidungsfreiheit vor Ort letztlich suspekt ist? Die-
sen Eindruck habe ich bei manchen Debattenbeiträgen.

Von der bisher immer wieder angekündigten Gemein-
definanzreform erwarten wir daher leider neues Unge-
mach. Zudem ist das Thema „Reformierung des Gemein-
definanzsystems“ beim Bundesfinanzminister am denkbar
schlechtesten aufgehoben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Erhöhung der Gewer-

besteuerumlage im Jahre 2000 war falsch. Die damaligen
Begründungen, insbesondere im Hinblick auf die Gewer-
besteuerentwicklung, haben sich in der Vergangenheit un-
bestritten als unrichtig erwiesen. Es mag auch in der Po-
litik verzeihbar sein, wenn eine Fehlentscheidung
getroffen wurde; aber es ist unverzeihbar, wenn ein of-
fensichtlicher Fehler nicht korrigiert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb: Beenden Sie die Abwärtsspirale unserer Ge-
meinden und Städte! Geben Sie sich einen Ruck und stim-
men Sie der Absenkung der Gewerbesteuerumlage zu!
Nicht nur die Bürgermeister, sondern auch die Bürger
werden es Ihnen danken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502507700

Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-

tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gemein-
definanzreformgesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/384, den Gesetzentwurf abzulehnen. Die
Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstim-
mung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen
besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung.


(Monika Heubaum [SPD]: Worüber stimmen wir ab: über die Beschlussempfehlung oder über das Gesetz? – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Es gibt zwei Anträge, einen von der CDU/CSU-Fraktion und einen von der Regierungskoalition!)


– Offensichtlich ist da irgendetwas unklar. Ich bitte Sie ei-
nen Moment um Geduld.

Ich sage es noch einmal: Wer den Gesetzentwurf ab-
lehnen will, muss mit Rot stimmen. Wer dem Gesetzent-
wurf zustimmen will, muss mit Blau stimmen. Wer sich
enthalten will, muss sich enthalten. Ich habe nicht danach
gefragt, ob Sie der Beschlussempfehlung zustimmen oder
sie ablehnen wollen, sondern ob Sie den eingebrachten
Gesetzentwurf ablehnen oder ihm zustimmen wollen. Das
heißt, wer den Gesetzentwurf ablehnen will, muss mit
Nein stimmen. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will,


(A)



(B)



(C)



(D)


1932


(A)



(B)



(C)



(D)






muss mit Ja stimmen. Dies ist die Vorlage, die ich hier
habe, und auch nach Rücksprache das richtige Vorgehen.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der Fall
zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen.

Es gibt eine zweite namentliche Abstimmung, aber ich
muss erst das Ergebnis der ersten Abstimmung abwarten.
Ich kann jedoch die Zeit nutzen, um Ihnen zu erklären,
warum wir genau so, wie ich es gesagt habe, richtig ab-
gestimmt haben. Wenn es Anträge gibt, dann wird über die
Beschlussempfehlung abgestimmt. Wenn es aber Geset-
zesvorlagen gibt, dann wird über die Gesetzesvorlage ab-
gestimmt. Das war das offensichtliche Missverständnis:

Es ist kein Antrag, über den es eine Beschlussempfehlung
gibt, sondern ein Gesetzentwurf.

Die Sitzung ist bis zum Vorliegen des Ergebnisses der
namentlichen Abstimmung unterbrochen.


(Unterbrechung von 14.41 bis 14.47 Uhr)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502507800

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-

führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung bekannt. Abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben
gestimmt 274, mit Nein haben gestimmt 300. Es gab
keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit abge-
lehnt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 573;
davon

ja: 274
nein: 299

Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Gitta Connemann

Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg

Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder

(Bad Dürrheim)


Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn (Zingst)

Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld

Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Stephan Mayer (Altötting)

Cornelia Mayer

(Baiersbronn)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Doris Meyer (Tapfheim)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Bernd Neumann (Bremen)

Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


(A)



(B)



(C)



(D)


Helmut Rauber
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub

Dr. Christian Eberl
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann

(Homburg)


Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Eberhard Otto (Godern)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein

Nein
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann

Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann

(Wackernheim)


Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann

Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Klaus Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Eveline Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann (Bramsche)

Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich


(A)



(B)



(C)



(D)






Wir kommen nun zur Abstimmung über den vom Bun-
desrat eingebrachten Entwurf eines Gemeindefinanzre-
formgesetzes, Drucksache 15/109. Der Finanzausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 15/384, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/433 mit dem Titel „Gemeindefinanzen
dauerhaft stärken“. Die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab-
stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne
die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich

schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben. Wir setzen die Beratungen fort.

Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Hans-Joachim Otto

(Frankfurt), Dr. Andreas Pinkwart, weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion der FDP
Finanzplatz Frankfurt stärken
– Drucksache 15/369 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

Es handelt sich um eine Überweisung im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 15/369 an den Finanzausschuss zu überwei-
sen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-
Hanewinckel

Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)


Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte (Hameln)


Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Swen Schulz (Spandau)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt (Pforzheim)

Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Dagmar
Göring-Eckardt

Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt (Ingolstadt)

Werner Schulz (Berlin)

Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf (Frankfurt)

Fraktionslos
Dr. Gesine Lötzsch
Petra Pau




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 c auf. Es
handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu de-
nen keine Aussprache vorgesehen ist.

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 11 zu Petitionen
– Drucksache 15/363 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Sammelübersicht 11 ist mit den Stimmen des ganzen Hau-
ses angenommen worden.

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 12 zu Petitionen
– Drucksache 15/364 –

Wer stimmt dafür ? – Gibt es Gegenstimmen? Enthal-
tungen? – Auch Sammelübersicht 12 ist damit einstimmig
angenommen worden.

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 13 zu Petitionen
– Drucksache 15/365 –

Wer stimmt dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Auch Sammelübersicht 13 ist damit ein-
stimmig angenommen worden.

Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zukunftsprogramm Bildung und Betreuung
für Ganztagsschulen

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst für
die Bundesregierung Frau Ministerin Edelgard Bulmahn.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Das schlechte Abschneiden deut-
scher Schülerinnen und Schüler bei der internationalen
PISA-Vergleichsstudie hat die großen Mängel unseres
Schulsystems offenbart. Im letzten Juli habe ich nach Ver-
öffentlichung des PISA-Ländervergleichs an dieser Stelle
deutlich gemacht, dass die Mängel so gravierend sind,
dass sie eine nationale Antwort erfordern. Deshalb haben
wir rasch gehandelt. Mit dem am Montag den Ländern
vorgelegten Entwurf einer Verwaltungsvereinbarung ha-
ben wir eine der notwendigen Antworten gegeben. Unse-
ren konsequenten Reformprozess werden wir weiterhin
fortsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe meine Kolleginnen und Kollegen aus den
Ländern zu einer abschließenden Erörterung der Verwal-
tungsvereinbarung Anfang März eingeladen. Lassen Sie
uns alle gemeinsam an einem Strang ziehen, damit die
Vereinbarung schnell unterzeichnet und mit der Umset-
zung zügig begonnen werden kann; denn viele Millionen
Eltern und viele Lehrerinnen und Lehrer wollen dies. Sie
wollen den Kindern und Jugendlichen endlich die Bil-
dungschancen bieten, die diese brauchen. Solche Bil-
dungschancen werden, auch in unserem Land, dringend
benötigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung wird die Länder mit dem Inves-
titionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ in
den kommenden Jahren mit rund 4 Milliarden Euro
beim Aufbau von Ganztagsschulen unterstützen. Für
dieses Jahr sind bereits 300 Millionen Euro im Haushalt
eingestellt. In den kommenden Jahren werden es jeweils
1 Milliarde Euro sein. Im Jahr 2007 sind es 700 Milli-
onen Euro.

Meine sehr geehrten Herren und Damen von der Op-
position, diese Gelder stehen bereit; denn die Bundesre-
gierung weiß, wo sie ihre Prioritäten setzen muss.


(Beifall bei der SPD)

Die Verantwortung für die Schulbildung haben die Länder
nach dem Grundgesetz seit Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland. Neu ist, dass der Bund sie bei der Wahrneh-
mung dieser Verantwortung mit 4 Milliarden Euro unter-
stützt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Milliardenprogramm des Bundes kommt auch den
Kommunen zugute. Dadurch können nämlich zusätzliche
Aufträge an den Mittelstand vergeben werden, insbeson-
dere an das Handwerk vor Ort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben das Programm ganz bewusst unbürokratisch
und transparent gestaltet. Mit der Verwaltungsvereinba-
rung gewährleisten wir, dass die Länder selber entschei-
den können, welche Vorhaben sie fördern. Wir stellen die
Verantwortung der Länder und der Schulträger also nicht
infrage.

Der Ausbau der Ganztagsschulen ist ein wichtiger
Schritt, um das deutsche Bildungssystem in zehn Jahren
wieder an die Weltspitze zu bringen. Ein wesentlicher
Schritt hierzu sind neben der Entwicklung von Bildungs-
standards – ich werde gemeinsam mit der Vorsitzenden der
KMK noch in diesem Monat eine Expertise vorstellen –
die regelmäßige Bewertung der Leistungen von Schulen,
die Einsetzung eines nationalen Bildungsrates, die Schaf-
fung einer nationalen Bildungsberichterstattung, wie wir
sie im Deutschen Bundestag beschlossen haben, sowie die
gemeinsame Entwicklung besserer Unterrichtskonzepte
und -methoden, wie wir es im Juli letzten Jahres in der
Bund-Länder-Kommission vereinbart haben.


(A)



(B)



(C)



(D)


1936


(A)



(B)



(C)



(D)






Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass ein solches Kon-
zept erheblich zur Qualitätsverbesserung der schulischen
Bildung beiträgt.


(Beifall bei der SPD)

Nur ein solches Konzept, das gemeinsam von Bund und
Ländern, von Lehrerinnen und Lehrern, Schülern und El-
tern getragen wird, wird eine grundlegende Veränderung
und eine erhebliche Verbesserung unseres Bildungssys-
tems zur Folge haben. Dazu ist es notwendig, dass sich je-
der dieser Verantwortung stellt. Niemand darf sich ins Ab-
seits stellen und sich zurückziehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es muss – das muss ich deutlich sagen – zu einem Um-
denken in der Bildungspolitik kommen. Sie darf nicht
mehr von der Frage nach Zuständigkeiten geprägt sein.
Lassen Sie mich auch ganz klar sagen, dass es ein Skan-
dal ist, dass in Deutschland die soziale Herkunft über die
Bildungschancen entscheidet; das gibt es in keinem ande-
ren Land dieser Welt. 32 Staaten haben an der PISA-Ver-
gleichsstudie teilgenommen, aber nur in Deutschland ist
die soziale Herkunft der entscheidende Faktor für die
Wahrnehmung der Chance auf Bildung, für den Bil-
dungserfolg und damit für den Lebenserfolg. Das ist ein
Skandal, dem ein Ende bereitet werden muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen, dass jedes Kind mit seinen Begabungen
und seinen Schwächen eine Chance erhält. Unser Ziel
bleibt es, Chancengleichheit zu verwirklichen, und dafür
sind gute Ganztagsschulen notwendig. Davon haben wir
in Deutschland mehrere; man muss sie sich nur einmal an-
schauen. Gute Ganztagsschulen schaffen eine wichtige
Voraussetzung für eine intensive, frühe, individuelle För-
derung der Kinder und Jugendlichen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Genau das ist die Achillesferse in unserem Schulsys-
tem: Wir haben eine mangelhafte, unzureichende indivi-
duelle und frühe Förderung. Deshalb setzen wir genau an
diesem Punkt an. Wir müssen schon in der Grundschule
beginnen. Deshalb ist das Ganztagsschulprogramm kein
Programm für die Sekundarstufe II. Wir müssen auch im
Kindergarten ansetzen, bei einer besseren Zusammenar-
beit zwischen Grundschule und Kindergarten. Denn die
Defizite, die in jungen Jahren entstehen, sind meist später
nur noch sehr schwer auszugleichen. Hier muss das Motto
des finnischen Bildungssystems „Jedes Kind kann es
schaffen, vorausgesetzt, wir sind gut genug, es entspre-
chend zu fördern“ Vorbild sein.

Um eines ganz deutlich anzusprechen: Uns geht es mit
der Ganztagsschule nicht um Suppenküchen, wie einige
immer wieder – ich sage: dümmlicherweise – behaupten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht uns auch nicht um ein bisschen Hausaufgaben-
hilfe, sondern es geht uns darum, dass wir Ganztagsschu-
len schaffen, die die frühe, individuelle Förderung eines

Kindes wirklich zu dem zentralen Punkt ihres pädagogi-
schen Konzepts und ihrer Aufgabe in der Schule machen.
Klar ist dabei, dass es nicht das pädagogische Konzept ge-
ben kann, das für alle Schulen gilt. Jede Schule muss ihr
eigenes Konzept, ihr eigenes Profil entwickeln können,
das sich an den Gegebenheiten vor Ort orientieren muss.
Deshalb sind wir so dezidiert für eine größere Selbststän-
digkeit der Schulen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine Ganztagsschule an einem sozialen Brennpunkt in ei-
ner Großstadt wird anders aussehen als eine Ganztags-
schule auf dem Land. Wer das nicht begreift, hat seine
Schulaufgaben nicht gemacht.

Entscheidend für den Bund ist das Vorhaben, durch
eine Pädagogik der Vielfalt – das ist das entscheidende
Stichwort – die unterschiedlichen Stärken und Begabun-
gen unserer Kinder frühzeitig zu erkennen und auch früh-
zeitig individuell optimal zu fördern. Das können wir er-
reichen. Das zeigen uns die besten Schulen in
Deutschland, das zeigen uns die vielen Beispiele in ande-
ren Ländern. Das können wir zum Beispiel erreichen
durch die Verknüpfung des Unterrichts mit Zusatzange-
boten, mit einem Wechsel von stärker freizeitorientierten
und stärker unterrichtsorientierten Phasen über Vormittag
und Nachmittag hinweg, durch die Lösung des starren
45-Minuten-Takts, die Raum gibt für freien Unterricht
und für projektorientierten Unterricht, durch die Einbe-
ziehung von Angeboten der Jugendhilfe, der Musikschu-
len, der Sportvereine, durch die Kooperation der Schulen
vor Ort mit sozialen und kulturellen Einrichtungen, mit
Betrieben, durch eine kontinuierliche, intensive Beteili-
gung von Eltern, Schülern und außerschulischen Partnern
an der Schulentwicklung


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und – auch das sollte nicht verschwiegen werden – durch
eine deutlich bessere Qualifizierung und Ausbildung der
Lehrerinnen und Lehrer, sowohl der zukünftigen als auch
der bereits berufstätigen, die sich dabei auch stärker als
Team und nicht als bloße Fachlehrer verstehen müssen.

Mit dem Startsignal für das Ganztagsschulprogramm
leiten wir eine konsequente Bildungsreform für Deutsch-
land ein. Die Reaktionen vor Ort zeigen, dass diese Ini-
tiative der richtige Schritt ist. Wir haben schon zahlreiche
Anfragen von Schulträgern vor Ort erhalten. Ich sage das
auch deshalb ausdrücklich, weil dies mit dem Vorurteil
aufräumt, unsere Schulleitungen, die Lehrerinnen und
Lehrer würden das Angebot, das sie jetzt erhalten, nicht
offensiv und kreativ aufgreifen. Sie tun es und wir müs-
sen ihnen jetzt auch die Möglichkeit dazu geben.

Eine kurze Anmerkung noch an die Opposition: Ange-
sichts dieser großen Aufgabe, vor der wir stehen, brauchen
wir eine neue Kultur der Zusammenarbeit, eine Kultur der
Zusammenarbeit, wie wir sie im Forum Bildung hatten.
Ich wünsche mir, dass auch die Opposition nicht vergisst,
was wir vor knapp einem Jahr im Forum Bildung ge-
meinsam beschlossen haben – gemeinsam mit drei CDU-
Landesministerinnen und -ministern, Annette Schavan,
Hans Joachim Meyer und Hans Zehetmair –, dass nämlich

Bundesministerin Edelgard Bulmahn




Bundesministerin Edelgard Bulmahn
Ganztagsschulen eine erhebliche und wichtige Vorausset-
zung dafür sind, dass Kinder besser und individuell ge-
fördert werden. Ich denke, es gehört auch zur Bildung,
dass man von der Arbeit und den Erkenntnissen anderer
Kenntnis nimmt und sie berücksichtigt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502507900

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe

ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-
mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen „Gemeindefinanzen dauerhaft stärken“ be-
kannt. Abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben gestimmt
298, mit Nein haben gestimmt 276, Enthaltungen keine.
Der Antrag ist damit angenommen.


(A)



(B)



(C)



(D)


1938

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 573;
davon

ja: 297
nein: 276

Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler

Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann

(Wackernheim)


Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Klaus Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick

Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann (Bramsche)

Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula

Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-
Hanewinckel

Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)


Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Swen Schulz (Spandau)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast


(A)



(B)



(C)



(D)





Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt (Pforzheim)

Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Dagmar
Göring-Eckardt

Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Werner Schulz (Berlin)

Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf (Frankfurt)

FDP
Sibylle Laurischk

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun

Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg

Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken

Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder

(Bad Dürrheim)


Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn (Zingst)

Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Stephan Mayer (Altötting)

Conny Mayer (Baiersbronn)

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Doris Meyer (Tapfheim)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Bernd Neumann (Bremen)

Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier




Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Nächster Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kol-
lege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Werner Lensing [CDU/CSU]: Jetzt kommt Qualität! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Nicht herummäkeln, Herr Kollege!)



Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1502508000

Frau Präsidentin! Werte Damen! Werte Herren! 4 Mil-

liarden Euro für 10 000 neue Ganztagsschulen – das war
eine Antwort auf den grottenschlechten Vergleich, den wir
mit der PISA-Studie vorgelegt bekommen haben.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Der Vergleich war in Ordnung!)


Sie müssen Folgendes bedenken: Wenn ich morgens
einen schlechten Film sehe, wird er nicht dadurch besser,
dass ich ihn nachmittags noch einmal laufen lasse. Es geht
nicht nur darum, die Zeit zu verlängern, sondern es geht
auch darum, mehr Qualität in die Bildung hineinzubrin-
gen. Masse ist nicht gleich Klasse.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb müssen wir auch fragen, wofür die Gelder mo-

bilisiert werden. Hierzu gibt es auch in der PISA-Studie
sehr differenzierte Ergebnisse. Wenn beispielsweise ein
Schüler in Bayern aufgrund der Stundentafel und nicht so
vieler Unterrichtsausfälle wie in Nordrhein-Westfalen

nach Beendigung der allgemeinen Schulausbildung ins-
gesamt ein Jahr länger Unterricht hatte als ein Schüler in
Nordrhein-Westfalen, dann ist dies ein Bildungsvorteil,
der allein dadurch erreicht wird, dass dort eine Unter-
richtsgarantie gegeben und auch eingehalten wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Schlüssel liegt natürlich in den Ländern und hier
muss mehr Personal eingestellt werden.

Frau Bulmahn, am 10. Februar sagten Sie in der „Ber-
liner Zeitung“:

Die neuen Ganztagsschulen sollen zum Ort für eine
neue Pädagogik werden, der Raum und Zeit für eine
intensive individuelle Förderung bietet.


(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Sie geben 4 Milliarden Euro und wollen aus gutem Grund
– denken Sie an die Länderkompetenz – kein eigenes
Konzept mitliefern. Am Ende erwarten Sie aber die wun-
derbare Offenbarung einer völlig neuen Pädagogik zwi-
schen Raum und Zeit. Ich glaube, dass hier ein Programm
vorgelegt wird, das dem Anspruch, den Sie öffentlich ein-
fordern, überhaupt nicht gerecht werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Hauptsache, Sie reden wie immer alles schlecht!)


Sie kennen sich ja in Niedersachsen hervorragend aus.
Ich empfehle Ihnen: Schauen Sie sich den neuen Film in


(A)



(B)



(C)



(D)


1940

Melanie Oßwald
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck

Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz

Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Dr. Christian Eberl
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann

(Homburg)


Klaus Haupt
Ulrich Heinrich

Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Eberhard Otto (Godern)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Fraktionslos
Dr. Gesine Lötzsch
Petra Pau


(A)



(B)



(C)



(D)






Niedersachsen an. Er zeigt, wie Christian Wulff das auf-
arbeiten wird, was Frau Bulmahn in Hannover hinterlas-
sen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Da lacht selbst der Redner! Beifall! Er nimmt sich selber nicht so ganz ernst!)


Wir lesen heute in der Verwaltungsvereinbarung von
einem Haushaltsvorbehalt. Davon war im Wahlkampf
überhaupt keine Rede.


(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie irgendeine verfassungsrechtliche Kompetenz? Offensichtlich nicht!)


Wenn Sie diesem Programm eine echte Priorität einge-
räumt und eine fünfjährige Finanzierungsgarantie gege-
ben hätten, dann wäre das eingetreten, was Sie im Wahl-
kampf großspurig versprochen haben. Länder und
Kommunen sollten sich zumindest auf Ihre Zusagen ver-
lassen können.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Bei dieser Regierung leider nicht!)


Es ging Ihnen um Stimmungs- und Stimmengewinn,
große Zahlen, ein bombastisches Nebelprogramm und
eine beschränkte Haftung für das, was Sie am Ende zah-
len werden. Die Rechnung kommt später. Ihre dazu-
gehörige Devise lautet: linke Tasche, rechte Tasche.
Zulasten der Kommunen und zugunsten des Bundes ha-
ben Sie noch zum 1. Januar 2003 die Gewerbesteuerum-
lage auf 30 Prozent erhöht.


(Nicolette Kressl [SPD]: So ein Blödsinn!)

– Das haben Sie getan. – Sie wissen, dass in Nordrhein-
Westfalen 70 Prozent der Städte und Gemeinden schon
heute nicht mehr in der Lage sind, einen ausgeglichenen
Haushalt zu verabschieden. Nun fordern Sie in Ihrer Ver-
waltungsvereinbarung auch noch eine Kofinanzierung.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Genau!)

Länder und Kommunen haben ohnehin den Löwenanteil
der Kosten für die Ganztagsschulen zu bezahlen.


(Zurufe von der SPD)

– Ich weiß nicht, warum Sie immer dazwischenschreien.
Wenn Sie sich die Argumente gelassen anhören, haben Sie
die Möglichkeit, anschließend in Ihren Reden dagegenzu-
halten. Offenkundig tut Ihnen die Wahrheit weh. Deshalb
schreien Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Löwenanteil der Kosten für die Ganztagsschulen

liegt bei den Betriebs- und Personalkosten. Diese müssen
von den Ländern und den Kommunen aufgebracht wer-
den. Hier haben Sie eine automatische Bremse eingebaut.
Sobald eine Kommune die Förderung beschließt, kommt
die Kofinanzierung hinzu und damit das Aus. Der Antrag
landet in der Schublade. Die maroden Finanzen der Kom-
munen sind kein mystisches Ereignis. Sie sind das Ergeb-
nis auch Ihrer Politik. Darüber haben wir in den letzten
zwei Stunden miteinander diskutiert.

Allein Ihre Erhöhung der Gewerbesteuerumlage kostet
die Kommunen jährlich 2 Milliarden Euro. Das Geld lan-
det bei Eichel. Das sind innerhalb von fünf Jahren 10Mil-
liarden Euro. Im gleichen Zeitraum geben Sie zweckge-
bunden über Kofinanzierung 4 Milliarden Euro für die
Förderung von Ganztagsschulen zurück. Nachts rauben
Sie den Kommunen eine Kuh. Am nächsten Morgen brin-
gen Sie unter großem Trommelwirbel ein Glas Milch.
Dafür wollen Sie Beifall.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Für einen Zeitraum von fünf Jahren stellen Sie für ein
Bauprogramm mit Innenausstattung 4 Milliarden Euro
zur Verfügung. Dabei stehen die Räume in den Schulen
nachmittags ohnehin zur Verfügung. Wichtiger wären die
Förderung inhaltlicher Konzepte und die Neueinstellung
von Lehrern gewesen. Voraussetzung dazu wäre ein fairer
Lastenausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemein-
den, dem Sie sich bis heute verweigern.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie haben fertig!)

Ich möchte Ihnen folgenden Vorschlag machen. Lassen

Sie uns gemeinsam überlegen, wie das Geld bedarfsge-
recht, mit Wahlfreiheit und im Interesse der jungen Men-
schen für eine Nachmittagsbetreuung in den Schulen ein-
gesetzt werden kann. Lassen Sie uns gemeinsam auch die
kleinen Einheiten fördern, vorneweg die Familien, die
Nachbarschaften und die kleinen Netzwerke.


(Kerstin Griese [SPD]: Wir tun das doch!)

Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir neben dem
heutigen Bau- und Ausstattungsprogramm eine wirkliche
Offensive für eine kindgerechte Gesellschaft starten kön-
nen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502508100

Herr Kollege, Sie müssen auf Ihre Redezeit achten.


Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1502508200

Wir sind dazu bereit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind breit!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502508300

Herr Kollege Schummer, dies war Ihre erste Rede in

diesem Hause. Unsere herzliche Gratulation und Ihnen
politisch und persönlich alles Gute.


(Beifall)

Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin

Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502508400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Erst einmal ein Satz vorweg zur CDU/CSU. Ich bin sehr
gespannt, ob die CDU/CSU-regierten Länder am Ende
das Geld nehmen werden oder nicht. Wenn man Sie so

Uwe Schummer




Grietje Bettin
reden hört, dann hat man die Erwartung, dass daraus auch
Konsequenzen folgen müssten. Schauen wir mal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun aber zu den Inhalten. Es gibt in den letzten Jahren
zum Glück einen wachsenden Konsens über die Notwen-
digkeit eines qualifizierten flächendeckenden Ganztags-
angebots an Schulen in Deutschland, und zwar nicht nur
aus sozialpolitischen Gründen. Frau Ministerin Bulmahn
hat dazu schon einiges gesagt.

Schule nur am Vormittag – mit diesem Modell hat sich
Deutschland international weitgehend isoliert. Kaum ein
anderes Land setzt seine Schüler schon mittags vor die
Tür. Die Folge: Das deutsche Schulsystem ist trotz aller
Reformversuche der 70er-Jahre de facto immer noch ein
ständisches Schulsystem. In Deutschland ist der Zusam-
menhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg so
groß wie in keinem anderen Land. Wir sind laut PISA-
Studie Weltmeister der sozialen Ausgrenzung. Dies ist der
traurige Befund der Studie. Begabung, Leistungsvermö-
gen und Leistungsbereitschaft sind für den Schulerfolg
– so die bittere Erkenntnis – leider nur zweitrangig.

Ein Viertel aller 15-Jährigen in Deutschland können
nicht richtig lesen oder schreiben. Davon entfällt ein we-
sentlicher Anteil auf Kinder von Migrantinnen und Mi-
granten. Diesen Zusammenhang aufzulösen, das ist die
dringendste bildungspolitische Herausforderung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist nicht hinzunehmen, dass am Beginn des 21. Jahr-
hunderts die Schullaufbahn eines Kindes nahezu genauso
sehr vom Geldbeutel und von der sozialen Schicht der
Eltern abhängt wie am Ende des 19. Jahrhunderts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Länder, die in der PISA-Studie gut abgeschnitten ha-
ben, bieten meist gute etablierte Ganztagsangebote der
Schulen. Besonders deshalb werden die Ganztagsangebote
als eine Chance wahrgenommen, die unselige Verkettung
von sozialer Herkunft und Schulerfolg zu durchbrechen
und den deutschen Sonderweg der Halbtagsschule ein
Stück weit aufzugeben.

Das Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Be-
treuung“ der rot-grünen Bundesregierung leistet eine wirk-
same strukturelle Hilfe zum Aufbau und Ausbau von
Ganztagsangeboten in den Ländern. Diese Hilfe umzuset-
zen liegt allerdings in der Pflicht und Verantwortung der
Länder. Der Entwurf der Verwaltungsvereinbarung formu-
liert keinerlei qualitative Anforderungen. Das ist auch gut
so. Die Gestaltungskompetenz liegt nun bei den Ländern.

Vor allem aber müssen Schulen ihr pädagogisches
Konzept autonom auf die Bedürfnisse und Notwendig-
keiten vor Ort abstimmen können. Ein enges Korsett an
Vorgaben wäre sehr kontraproduktiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das begreift die Union nicht!)


– Nein. – Die Länder sind daher aufgefordert, die Richtli-
nie für die Vergabe der Mittel inhaltlich möglichst offen zu
gestalten. Das Investitionsprogramm bietet die große
Chance, pädagogische Vielfalt zu fördern. Erst pädagogi-
sche Vielfalt und eine Profilbildung der Schulen erlauben
pädagogischen Wettbewerb unter verschiedenen Systemen.

Die gestalterische Autonomie darf aber nicht missver-
standen werden. Schule mit angehängter Nachmittagsver-
wahrung ist mit Bündnis 90/Die Grünen nicht zu machen.
Darüber herrscht in diesem Hause sicherlich Einigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Vorlage eines plausiblen pädagogischen Konzepts,
das die Vormittags- und Nachmittagsbetreuung sinnvoll
aufeinander abstimmt, muss eine unabdingbare Vorausset-
zung sein, wenn man Mittel aus dem Programm erhalten
will. Auch deshalb ist es selbstverständlich und unerläss-
lich, die Verwendung der Mittel einer effektiven, wissen-
schaftlich begleiteten Qualitätskontrolle zu unterziehen.

Sowohl die Schulen als auch die Länder müssen sich
letztendlich am Erfolg der von ihnen durchgeführten
Maßnahmen messen lassen. Dafür scheint mir die Ein-
richtung einer unabhängigen länderübergreifenden und
wissenschaftlich arbeitenden Zentralstelle für schulische
Evaluation sinnvoll. Sie könnte allgemeine Eckpunkte zur
Evaluation entwickeln und anwenden und die Schulen
und die Bildungspolitik beratend begleiten.

Insgesamt sind die Kriterien im Entwurf der Verwal-
tungsvereinbarung erfreulich weit gefasst. Nicht nur Bau-
maßnahmen wie die berühmte Suppenküche, sondern
auch Sachmittel wie Computer und deren Pflege und War-
tung können finanziert werden.

Wir als Grüne fordern hierbei länderübergreifend, dass
alle Schulen und Schularten in das Programm einbezogen
werden. Grundschulen sollen ebenso auf die Mittel zu-
greifen können wie Schulen in freier Trägerschaft. Be-
sondere Berücksichtigung müssen dabei Schulen in Bal-
lungsräumen erfahren. Dort ist der Bedarf an ganztägigen
Angeboten sowohl in bildungs- als auch in sozialpoliti-
scher Hinsicht am größten. Das hat nicht nur PISA allzu
deutlich gezeigt.

Wer nun allerdings meint, Ganztagsschulen seien die Lö-
sung all dieser Probleme, hat die Komplexität der Situation
nicht verstanden. Die Folgestudie der UNICEF zu PISAhat
deutlich gezeigt, dass das gegliederte Schulsystem mit sei-
nem Anspruch, Kinder nach ihrer Leistungsfähigkeit zu sor-
tieren, völlig gescheitert ist. Vielmehr ist die Heterogenität
auch in Deutschland alltägliche schulische Wirklichkeit.

Ich sehe, dass die Uhr schon blinkt. – Es ist mir wich-
tig festzuhalten, dass sich die Bundesregierung erfreuli-
cherweise hat in die Pflicht nehmen lassen. Sie trägt aktiv
zur Verbesserung der Situation in den deutschen Schulen
bei. Die Länderhoheit in Sachen Kultur bleibt mit diesem
Investitionsprogramm unangetastet. Die Länderpolitiker
sind nun gefordert, diese Schritte entschlossen zu gehen.
Wir werden den Prozess weiterhin aktiv begleiten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



(A)



(B)



(C)



(D)


1942


(A)



(B)



(C)



(D)







Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502508500

Nächster Redner ist der Kollege Christoph Hartmann,

FDP-Fraktion.


Christoph Hartmann (FDP):
Rede ID: ID1502508600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Anstrengungen der Regierung bei der Ein-
führung der Ganztagsschulen neuen Typs begrüßen wir
durchaus.


(Beifall bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Beifall auf der falschen Seite!)


Wir sagen Ihnen aber auch, warum die Umsetzung in der
jetzigen Form nicht zustimmungsfähig ist.


(Beifall bei der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Was sagt denn Rheinland-Pfalz dazu?)


Wir lehnen das von Rot-Grün vorgelegte Konzept aus fol-
genden Gründen ab: Wir Liberale wollen nämlich, dass
Frauen und Männer mit ihren Familien generell mehr
Freiheit bekommen, ihren eigenen Lebensentwurf mit Be-
ruf und Familie besser vereinbaren zu können.


(Nicolette Kressl [SPD]: Es ist keine Pflichtschule! Sie haben nicht richtig gelesen!)


Deshalb brauchen wir die Ganztagsschule als Betreu-
ungsangebot an Eltern und Kinder. Allerdings muss die
Ganztagsschule ein freiwilliges Angebot bleiben.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie dürfen! Sie müssen nicht! – Nicolette Kressl [SPD]: Es ist keine Pflicht!)


Denn nicht für alle Kinder und Eltern ist die Ganztags-
schule die geeignete Betreuungsform. Deshalb muss die
Ganztagsschule im gleichberechtigten Wettbewerb mit
anderen Bildungsträgern stehen.


(Beifall bei der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Wer sagt etwas anderes? – Dr. Uwe Küster [SPD]: Nur Herr Hartmann sagt etwas anderes!)


Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Re-
gierung, sich allerdings hier hinstellen und sich feiern, ist
– vorsichtig formuliert –


(Jörg Tauss [SPD]: Berechtigt!)

mutig.


(Nicolette Kressl [SPD]: Wir sind immer mutig!)


Dafür gibt es mehrere Gründe. Frau Ministerin, Sie haben
zu einer guten Zusammenarbeit aller Fraktionen aufgeru-
fen. Ich begrüße das. Aber ich muss Ihnen sagen: Fangen
Sie als Erstes an, vor Ihrem eigenen Haus zu kehren. Denn
die Informationspolitik der Bundesregierung ist katastro-
phal.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)


Ab Freitag lag die Verwaltungsvereinbarung den Me-
dien vor. Ab Montag konnten wir dies in verschiedenen
Zeitungen lesen. Wir selbst wollten am Montag diese Ver-

einbarung von Ihrem Haus bekommen. Ihr Haus sah sich
nicht dazu in der Lage, sie herauszugeben.


(Beifall bei der FDP)

Wir haben sie dann von den Medien zugespielt bekom-
men. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Art
des Umgangs mit dem Parlament ist – vorsichtig formu-
liert – eine Zumutung durch Sie, sehr verehrte Frau Mi-
nisterin.


(Beifall bei der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber Herr Hartmann!)


Neben der Informationspolitik sind einige inhaltliche
Probleme der Verwaltungsvereinbarung zu nennen. Die
größte Schwachstelle ist die Finanzierung. Dass Bundes-
länder keinen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen, ist
heute an der Tagesordnung. Die Finanzlage der Kommu-
nen ist prekär. Auf Länder und Kommunen kommen aber
aufgrund der hier in Rede stehenden Verwaltungsverein-
barung immense Kosten zu. Das ist zum einen der zehn-
prozentige Eigenanteil an den Gesamtinvestitionen, das
sind zum anderen aber auch die Folgekosten nach Aus-
laufen des Programms und es sind vor allem die notwen-
digen Personalkosten, die von den Ländern zu tragen sind.
Wie sollen die gebeutelten Kommunen und Länder diese
Zusatzbelastung tragen?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Lesen Sie die Verfassung! Personalausgaben können durch den Bund nicht finanziert werden!)


– Ich komme gleich dazu, Herr Kollege. Ihr Programm kön-
nen sich nur die reichen Länder und Kommunen leisten.


(Beifall bei der FDP)

Der zweite Punkt betrifft das pädagogische Konzept.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Da kommt jemand und verschenkt Geld und Sie sagen, Sie wollen es nicht!)


Sie sagen, es muss ein pädagogisches Konzept geben, von
dem Sie die Zuschüsse abhängig machen. Sie sagen aber
mit keinem Wort, wie dieses pädagogische Konzept aus-
sehen soll. Genau deswegen ist das Wort „pädagogisches
Konzept“ eine Worthülse und nur weiße Salbe für die Öf-
fentlichkeit.


(Beifall bei der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Sie sind doch immer für Freiheit! – Weiterer Zuruf von der SPD: Zentralist!)


Die beschriebenen Probleme haben Sie sich selbst zu-
zuschreiben. Herr Kollege, es ist eben falsch, was der
Staatssekretär gestern im Ausschuss behauptet hat, näm-
lich dass der Bund generell keine Möglichkeit habe, Per-
sonalstellen im Bildungswesen zu finanzieren. Das liegt
nur daran, dass Sie sich des Art. 104 a Grundgesetz be-
dienen wollen, womit Sie sich selbst Handschellen ange-
legt haben. Sie könnten diese abstreifen, indem Sie diese
4 Milliarden in ein Programm für komplett finanzierte
Modellvorhaben umwidmen, wie die FDP es Ihnen vor-
schlägt. So könnten Sie auch die Folge- und die Personal-
kosten bezahlen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Na klasse!)





Christoph Hartmann (Homburg)

Sie könnten ein passgenaues pädagogisches Konzept ent-
wickeln, das mit Kindern und Eltern abgestimmt ist.


(Beifall bei der FDP)

Sämtliche Bundesländer, auch die ärmeren, könnten von
Ihrem Programm profitieren.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Also nicht bloß goldenes Besteck, sondern jetzt wollen Sie auch den goldenen Teller!)


Die Umsetzung wäre auch problemlos, wenn Sie eben
nicht auf Art. 104 a Grundgesetz abstellen, sondern die
von Ihnen im Koalitionsvertrag angekündigte Bundesstif-
tung Bildung mit den entsprechenden Geldern ausstatten,
um so die Modellvorhaben zu finanzieren.


(Beifall bei der FDP)

Frau Ministerin, ich fordere Sie auf: Retten Sie Ihr

Programm, investieren Sie auch in Personal. Bildung fin-
det in erster Linie durch Menschen statt und nicht nur
durch Ausrüstung. So wären Ihre 4 Milliarden Euro wirk-
lich sinnvoll investiert, nämlich in die Zukunft von Bil-
dung und Betreuung in diesem Land.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502508700

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Berg, SPD-

Fraktion.

(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wird es besser! Herr Hartmann, jetzt kommt die Steigerung! – Gegenruf des Abg. Christoph Hartmann [Homburg] [FDP]: Wir sind gespannt!)



Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1502508800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hartmann,
Sie fingen so hoffnungsvoll an, aber leider hatten Sie dann
doch nicht die Kraft, Ihre Polemik im Interesse der Sache
zurückzudrängen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Politik hat für mich und für uns da ihre Berechtigung
und ihre große Aufgabe, wo sie die Lebenssituation der
Menschen aufgreift und dort den Hebel für positive Ver-
änderungen ansetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gerade am Beispiel Bildungspolitik und speziell an den
Ganztagsschulen kann man verdeutlichen, dass die Bun-
desregierung, dass wir genau so handeln.

Ein kurzer Rückblick. Was war die Auslangslage? Wo
setzt unser 4-Milliarden-Projekt für Ganztagsschulen an?
Unser Bildungssystem stand auf dem Prüfstand und be-
kam im internationalen Vergleich schlechte Noten. Die
PISA-Studie sorgte dafür, dass diese für uns als Nation so
bedrückende Tatsache öffentlichkeitswirksam und breit

diskutiert wurde. Darüber, dass das Thema Bildung nun in
den Fokus des öffentlichen Interesses geraten ist, können
wir Bildungspolitikerinnen und -politiker natürlich froh
sein. Wichtig ist aber, dass wir nicht bei der Analyse des
Problems stehen bleiben, sondern Maßnahmen ergreifen,
die uns aus der Misere herausbringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine dieser Maßnahmen – nicht das Allheilmittel; das
ist ganz wichtig –, eine Antwort auf die von PISA be-
nannten Probleme der schulischen Bildung ist die Ganz-
tagsschule. Gerade sie bietet den Raum und die Zeit,
Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Begabun-
gen, und zwar die Guten und die Starken ebenso wie die
Schwachen, individuell zu fördern.


(Ulrike Flach [FDP]: Dann muss man aber die Lehrer haben, Frau Berg!)


– Genau. – Als Ort des Lernens und Lebens bietet sie
Institutionen und Vereinen in ihrem Umfeld an, dass sie
sich einbinden können. Trotz knappster Kassen hat die
Bundesregierung den Bundesländern für den Zeitraum
von 2003 bis 2007 4 Milliarden Euro angeboten und da-
mit einen gesellschaftspolitisch wichtigen und notwen-
digen Anstoß gegeben – nicht mehr, aber auch nicht we-
niger –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


der die Länder in die Lage versetzt, schnell und in großem
Umfang das Ganztagsangebot auszubauen.

Im Übrigen – das will ich hier auch einmal sagen – ste-
hen sogar Arbeitgeberpräsident Hundt und der Baden-
Württembergische Handwerkskammertag, eine Person
und eine Institution, die ja nun wirklich nicht in dem Ver-
dacht stehen, Sozialdemokraten blindlings hinterherzu-
laufen, hinter diesem Konzept und begrüßen es.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Die haben es verstanden!)


Wie reagiert nun die Opposition? Das Stimmengewirr
könnte nicht diffuser sein. Annette Schavan aus Baden-
Württemberg signalisierte ihre Zustimmung, nachdem ihr
klar wurde, dass die Länder über die pädagogischen Kon-
zepte selbst entscheiden dürfen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das hat lange gedauert!)

– Hat sie das schon wieder revidiert?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das kommt vielleicht noch!)


Im Ausschuss für Bildung und Forschung gab es aufsei-
ten der CDU gestern einen Eiertanz ohnegleichen und es
wurden vom Bund gerade die pädagogischen Konzepte
gefordert – von Ihnen wurde das ja auch noch einmal an-
gesprochen –, die Frau Schavan dem Bund auf keinen Fall
übertragen möchte, die sie für sich und die Länder rekla-
miert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Vielstimmiger Chor der CDU! Kakophonie!)



(A)



(B)



(C)



(D)


1944


(A)



(B)



(C)



(D)






Katherina Reiche nörgelte vorgestern in der „Berliner
Zeitung“ einmal wieder, dass der Bund ja lediglich Bau-
maßnahmen fördern wolle, aber nicht Lehrer und Inhalte
der schulischen Ausbildung. Das sei nicht im Sinne der
Sache.

Blicken Sie eigentlich selbst noch durch bei diesem
Stimmenwirrwarr in Ihren eigenen Reihen, meine Damen
und Herren von der Opposition?


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Nicht so richtig!)

Hier wird Opposition eindeutig nur um der Opposition
willen betrieben, letztlich – das ist das Traurige an der Sa-
che – auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler, der
Eltern und Lehrer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hoffe allerdings, dass die Verantwortungsbewussten
unter Ihnen sich letztlich durchsetzen werden.

Mein Appell an die Bedenkenträger: Legen Sie Ihre
ideologischen Scheuklappen ab und lassen Sie uns im In-
teresse der Kinder und ihrer Eltern nach dem Motto
„Bund und Land – Hand in Hand“ diesen Erfolg verspre-
chenden Weg zu mehr Chancengerechtigkeit und ge-
sellschaftlicher Teilhabe von Kindern und Jugendlichen
gemeinsam gehen! Sie haben nach den für uns so enttäu-
schenden Wahlergebnissen vom 2. Februar medienwirk-
sam die gewachsene Bedeutung Ihrer Oppositionsrolle
herausgestrichen. Sie haben eine konstruktive Mitarbeit
versprochen. Nicht an Ihren Worten, an Ihren Taten wer-
den wir Sie messen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Geben Sie sich endlich einen Ruck und springen Sie auf
den bereits anfahrenden Zug auf, auch wenn die Bundes-
regierung ihn ins Rollen gebracht hat! Kein Bürger und
keine Bürgerin würde es verstehen, wenn Sie, nur weil Sie
den Zugführer nicht selbst eingestellt haben, darauf ver-
zichteten, ans Ziel zu gelangen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502508900

Frau Kollegin Berg, ich gratuliere Ihnen recht herzlich

zu Ihrer ersten Rede in diesem Hause und wünsche auch
Ihnen persönlich und politisch alles Gute.


(Beifall)

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege

Dr. Christoph Bergner, CDU/CSU-Fraktion.

(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt nörgeln Sie mal nicht, Herr Kollege!)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1502509000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Minister, wenn das von Ihnen vorgestellte Förderpro-
gramm eine Antwort auf die PISA-Studie sein soll, dann
muss ich sagen, dass sie sehr oberflächlich ist. Wenn man

sich – Herr Tauss, das ist kein Nörgeln – die Förderkrite-
rien vor Augen führt, die dieses Programm bestimmen,
dann stellt man fest, dass es nur ein einziges Kriterium
gibt: Die Schulzeit soll länger sein als die herkömmliche
Unterrichtszeit. Sie werden es mir sicherlich nicht übel
nehmen, dass meine Ansprüche an die Bildungspolitik
über solche simplen Muster hinausgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Kollegin Bettin, Sie haben gesagt, dass Sie darauf
gespannt seien, wer die Zuwendungen vom Bund nehmen
werde. Das ist für mich nicht die entscheidende Frage.
Denn wer wird schon Geld ablehnen, wenn er es bekom-
men kann?


(Zuruf von der SPD: Aha!)

Wir stehen aber als Haushalts- und Bildungspolitiker des
Bundes in der Verantwortung und müssen deshalb fragen,
ob die geplanten Investitionen in Höhe von 4 Milliarden
Euro sinnvoll eingesetzt werden. Genau daran haben wir
Zweifel angemeldet. Ich wäre ja gern bereit, konstruktiv
über schulbezogene Betreuungsangebote zu diskutieren.


(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Aber zuvor müsste beispielsweise die Frage beantwortet
sein, warum Ihr Programm nicht an die Vorgaben der In-
stitutionen der Kinder- und Jugendhilfe – hier hat der
Bund eine ganz andere Gestaltungskompetenz – an-
knüpft. In den neuen Bundesländern haben wir mit den
Schulhorten als schulbezogene Betreuungsangebote hin-
reichende Erfahrungen. Sie denken aber nur in den Kate-
gorien der Ganztagsschule, obwohl in der OECD-Studie
die Länder, die ein großes Angebot an Ganztagsschulen
haben, sowohl im oberen als auch im unteren Bereich der
Skala zu finden sind. Das ist der erste Punkt.


(Jörg Tauss [SPD]: Lesen Sie einmal die Vereinbarung!)


Zweiter Punkt. Wenn Sie an eine Ausdehnung der
Schulzeit und damit auch der Schulpflicht denken, dann
müssen Sie zumindest in Rede stellen, dass Sie damit in
Konflikt mit den Rechten und der Verantwortung der El-
tern kommen.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist Quatsch!)


In dem Bundesland, aus dem ich komme, hat es bereits
Verfassungsklagen gegen die Entscheidung zugunsten be-
treuter Halbtagsschulen gegeben. Aufgrund dieser Verfas-
sungsklagen ist mir die Dimension des Problems bewusst.
Ich denke, wem es um das Kindeswohl und die Erziehung
der Kinder geht, der kann die Gesichtspunkte, die hinter
solchen Verfassungsklagen stehen, nicht einfach in den
Wind schreiben.

Der dritte und wesentlichste Punkt, der mich an der
Ernsthaftigkeit Ihres Vorhabens zweifeln lässt, ist die
Frage: Warum wollen Sie eine Bildungsreform über ein
Bauprogramm durchführen?


(Nicolette Kressl [SPD]: Blödsinn!)

Sie haben, offenbar einer Auflage des Bundesfinanzminis-
ters folgend, die Mittel in einen investiven Titel eingestellt.

Ute Berg




Dr. Christoph Bergner
Sie können die Zuweisungen an die Länder aber nur über
Art. 104 a des Grundgesetzes ausreichen. Das bedeutet,
dass Sie den Nachweis führen müssen, dass die Mittel
„zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher
Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des
wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind“. Weil wir
das im Ausschuss problematisiert haben, hat uns nun die
Bundesregierung bzw. das Bundesbildungsministerium
ein Rechtsgutachten zur Verfügung gestellt, dessen Aus-
sagen ich höchst problematisch finde. Es läuft nämlich auf
die simple Aussage hinaus, dass Schulbaumaßnahmen
Wirtschaftsförderung sind.


(Nicolette Kressl [SPD]: Warum machen Sie denn alles so schlecht?)


Übrigens steht ein merkwürdiger Bildungsbegriff dahin-
ter, wenn man zwischen Wirtschaft und Bildung eine so
enge Verbindung konstruiert; aber davon will ich einmal
absehen.


(Christoph Hartmann [Homburg] [FDP]: Das ist der Ausgleich für die Eigenheimzulage!)


Wenn Sie tatsächlich dieser Meinung sind, dann frage
ich mich, warum in der Vergangenheit alle Versuche in
den neuen Bundesländern, Schulbauprogramme für das
allgemein bildende Schulwesen über EFRE-Mittel zu fi-
nanzieren, fehlgeschlagen sind und warum Mittel aus der
Gemeinschaftsaufgabe zur regionalen Wirtschaftsförde-
rung nicht in Schulbauprogramme geflossen sind.

Sie betreiben hier eine Verfälschung des Haushalts-
rechts, die mich an der Ernsthaftigkeit Ihres gesamten
Programms zweifeln lässt. Das ist der Punkt, den ich in
die Debatte werfen will.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin mit dem Kollegen Hartmann von der FDP einer

Meinung: Wenn es Ihnen mit dem Anliegen ernst gewe-
sen wäre, dann hätten Sie einen Zuwendungstitel einge-
richtet, der den Ländern und vor Ort die Spielräume für
einen sachgerechten Mitteleinsatz gegeben hätte. Da-
rüber, ob das über Modellvorhaben oder ein Förderpro-
gramm geschehen sollte, hätten wir noch reden können.
So aber legen Sie ein Bauprogramm auf, das – das kann
ich Ihnen vorhersagen – bei den Schulträgern als ein ob-
rigkeitsstaatlicher Beglückungsversuch wahrgenommen
werden wird.


(Widerspruch bei der SPD)

Irgendwo wird man sich anpassen und die Programme so
herrichten – –


(Zuruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502509100

Herr Kollege Bergner, Ihre Redezeit ist zu Ende.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1502509200

Ich hätte gern noch auf den Zwischenruf des Kollegen

Küster geantwortet.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502509300

Sie müssen trotzdem zum Schluss kommen. Sie haben

Ihre Redezeit überzogen.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1502509400

Das Thema „PISA-Studie und die Herausforderungen

der Bildungspolitik“ sollte uns mehr wert sein, finde ich,
als ein Programm, das im Grunde nur auf die Außenwir-
kung des Begriffs „Ganztagsschule“ setzt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502509500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ekin Deligöz, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502509600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Schummer, auch wenn es Ihre erste Rede war, muss
ich Ihnen sagen: Man muss ganz klar machen, worum es
uns geht und worum es Ihnen anscheinend geht. Uns geht
es in der Tat nicht um die Spitzenförderung oder Begabten-
förderung, sondern uns geht es um die Breitenförderung,


(Zurufe von der CDU/CSU: Uns auch!)

um die Kinder von Migranten, um die sozial Schwäche-
ren und auch um die Schlüsselkinder, die es in diesem
Land gibt.


(Marion Seib [CDU/CSU]: Kein Dissens! – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Kein Dissens!)


Es geht darum, ihnen Alternativen und schulische Gestal-
tungsmöglichkeiten zu bieten. Das ist das Zentrum dieses
Programms und nichts anderes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn wir uns die PISA-Studie anschauen, dann stellen
wir fest: Das ist die Antwort, die darauf gegeben werden
muss. Was hat uns PISA denn gezeigt? Schauen Sie sich
Bayern an! In Bayern gibt es zwar Begabte, aber Bayern
hat auch die höchste Sitzenbleiberquote und eine hohe
Schulabbrecherquote.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf die Ergebnisse von PISAmüssen wir reagieren, weil
das unsere Aufgabe ist.

Herr Bergner, Sie haben von Bauprogrammen, Sup-
penküchen und Investitionen gesprochen. Ja, auch das
gehört dazu. Das ist ein Teil der kommunalen Förderung.
Erst letzte Woche hat das Familienministerium eine Stu-
die vorgestellt, die gezeigt hat, dass jeder Euro, der in den
Bereich der Kinderbetreuung investiert wird, vierfach
wieder zurückkommt, und zwar vor allem durch die Er-
werbstätigkeit der Eltern.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Und wo sind die Arbeitsplätze für die Eltern?)



(A)



(B)



(C)



(D)


1946


(A)



(B)



(C)



(D)






Viele Frauen setzen auf die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie und wir wollen sie darin unterstützen. Ja, auch das
ist unsere Programmatik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie hier schon großartig die Verfassung zitieren,
dann sollten Sie auch erwähnen, dass die Bildungspolitik
eine der ureigensten Aufgaben der Länder ist, dass die
Länder hier Personalhoheit haben, gerade bei den Leh-
rern, die in den meisten Bundesländern, wenn nicht in al-
len, verbeamtet sind. Es geht hierbei nicht darum, die Län-
der zu entmachten, wo ihre ureigenen Aufgaben betroffen
sind, sondern es kann nur darum gehen, sie in ihren Auf-
gaben zu unterstützen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Tun Sie es! Sie bekommen Zustimmung, wenn Sie sie unterstützen!)


Nur das können wir gewährleisten. Wir wollen ihnen nicht
ihre Zuständigkeiten nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Hartmann hat uns auf die Pädagogik angespro-
chen. Herr Hartmann, Sie haben es falsch verstanden. Es
liegt kein Missverständnis vor; wir wollen die Pädagogik
nicht vorschreiben, sondern wir wollen eine Vielfalt an
pädagogischen Konzepten. Wenn sich Frau Hohlmeier,
Ministerin in Bayern, dafür entscheidet, dass ihre Kinder
in eine Ganztags-Waldorfschule gehen, dann soll sie das
tun können. Wenn Eltern möchten, dass ihr Kind in eine
kirchliche Schule, in ein Montessori-Gymnasium oder in
eine staatliche Schule geht, dann soll auch das möglich
sein. Erziehung ist und bleibt die eigentliche Aufgabe der
Eltern; deshalb sollten wir eine Vielfalt an pädagogischen
Formen zulassen und nicht von vornherein einschränken.
Eine solche Einschränkung kann nicht das Ziel der Päda-
gogik der heutigen Zeit sein.


(Marion Seib [CDU/CSU]: Die Pädagogik wird nur durch Lehrer vermittelt, nicht durch Gebäude!)


Zum Schluss möchte ich aus dem Manifest „Keine Zu-
kunft ohne Kinder – Manifest pro Ganztagsschule und für
ganztägige Bildung in Krippen und Kindergärten“ zitie-
ren:

Mehr Zeit in der Schule darf nicht bedeuten, dass
Kinder und Schüler mehr „pauken“ und mehr Leis-
tungsstress ertragen müssen. Mehr Zeit bedeutet
sinnvollen Wechsel zwischen anstrengenden, anre-
genden und erholsamen Zeitphasen. Vor allem aber
bietet mehr Zeit die Möglichkeit erweiterter persön-
licher und menschlicher Beziehungen zwischen Leh-
renden und Lernenden – vielleicht die wichtigste
Voraussetzung für die Erhöhung pädagogischer Effi-
zienz und Leistung.

Sie werden mir sicherlich Recht geben, wenn ich be-
haupte, dass das, was ich gerade zitiert habe, stimmt. Die-
ses Manifest haben Wassilios Fthenakis, ein anerkannter
Professor der Frühpädagogik, Dieter Hundt – er ist uns al-

len bekannt –, Frau Rita Süssmuth und – siehe da! –
Katherina Reiche unterschrieben.


(Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD: Oh!)


Ich finde, Sie sollten sich in diesen Dingen einmal di-
rekt von Katherina Reiche beraten lassen und Sie sollten
Ihre Informationen nicht nur aus ihren Interviews in der
„Berliner Zeitung“ beziehen. Ich bin mir nämlich ziemlich
sicher: Zu diesen Interviews steht sie längst nicht mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502509700

Nächster Redner ist der Kollege Heinz Schmitt, SPD-

Fraktion.


Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1502509800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn es heute um die Ausweitung von Ganz-
tagsschulangeboten geht, dann brauchen wir nicht mehr
über graue Theorie zu diskutieren. In meinem Bundes-
land, Rheinland-Pfalz, gibt es seit Beginn dieses Schul-
jahres ein neues Programm zur Förderung von Ganztags-
schulen und Ganztagsbetreuung. Dieses Programm ist
sehr erfolgreich angelaufen. Rheinland-Pfalz ist mit
81 neuen Ganztagsschulen in dieses Schuljahr gestartet.


(Beifall bei der SPD)

Von Rheinland-Pfalz lernen heißt bekanntlich siegen ler-
nen.

Voraussetzungen für ein Ganztagsschulangebot sind
eine Mindestzahl an teilnehmenden Schülern und vor al-
len Dingen ein pädagogisches Konzept.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] und der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Die Schulen müssen, wenn ihre Bewerbung Erfolg haben
soll, vier Säulen vorweisen: unterrichtsbezogene Ergän-
zungen, themenbezogene Projekte, Angebote für eine un-
terstützende Förderung und Angebote für eine Freizeitge-
staltung unter pädagogischer Anleitung. Im Durchschnitt
haben sich an den jeweiligen Schulen rund ein Drittel der
Schülerinnen und Schüler für das neue Ganztagsangebot
angemeldet. Für das zweite Programmjahr werden wei-
tere 84 Schulen ein Ganztagsschulangebot machen. Be-
worben hatten sich 163 Schulen.

Diese hohen Zahlen belegen die große Nachfrage von
Eltern und Schülern nach einer Ergänzung des normalen
Schulangebots durch ein Ganztagsangebot. Die Anmel-
dung erfolgt – auch das ist wichtig; es wird immer wieder
verkannt – auf freiwilliger Basis. Es ist daher schlicht
falsch, wenn die Union und ihre bildungspolitische Spre-
cherin, Frau Reiche, noch immer behaupten, wir planten
eine Zwangsumwandlung in Ganztagsschulen oder wir
verfolgten einen bürokratischen Ansatz ohne pädagogi-
sches Konzept.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Danke schön.

Ekin Deligöz




Heinz Schmitt (Landau)


Die Ganztagsschule wird von vielen Eltern für ihre
Kinder gewünscht und sie trägt vor allen Dingen den ge-
sellschaftlichen Veränderungen und den familiären Ver-
hältnissen Rechnung.

Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung zu dem
Programm für Ganztagsschulen in meinem Bundesland
ist eindeutig. Sie kommt im Wesentlichen zu folgenden
Ergebnissen: Die Schulleiter berichten von einem großen
Motivationsschub für das Kollegium. Die Lehrkräfte ste-
hen in einem besseren pädagogischen Bezug zu den
Schülern. Die Schüler selbst fühlen sich besser aufgeho-
ben und gefördert. Die Eltern fühlen sich entlastet und se-
hen bessere Entwicklungschancen für ihre Kinder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich wird auch die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf durch Ganztagsschulen gefördert.

Diese Ergebnisse bestätigen mir die Schulleiter in mei-
nem Wahlkreis. Ein Schulleiter spricht von einem „zün-
denden Erfolgsmodell“ für alle Beteiligten. Beispiel: Zu
Beginn dieses Schuljahres hatte die Schule dieses Schul-
leiters 110 Ganztagsschüler; nach einem halben Jahr sind
es 230 Schüler, die das neue Angebot wahrnehmen. Eine
enorme Zunahme an Akzeptanz und Vertrauen also inner-
halb nur eines halben Jahres. Auch das Engagement der
Eltern für ihre Schule hat eine neue Qualität erreicht. Die
Schüler wiederum nehmen die Betreuungsangebote
ebenso dankbar auf: Schwächere Schüler steigern ihre
Leistungen. Die besseren Schüler werden gleichzeitig
durch zusätzliche Angebote gefördert, angeregt und zu-
sätzlich motiviert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Veränderungen gelten aber auch für soziale Be-
lange: Schüler nehmen die Betreuer als Bezugspersonen an
und fühlen sich mit ihren kleinen und größeren Anliegen
und Problemen gut aufgehoben. Schließlich leiten vielfäl-
tige Projekte und Angebote zu einer sinnvollen Freizeitge-
staltung an und stärken den Zusammenhalt und die soziale
Kompetenz bei den Schülern und Lehrern. Alle Beteiligten
waren also voll des Lobes für das neue Ganztagsmodell.

Dass Rheinland-Pfalz erfolgreich und Vorreiter ist, hat
sich mittlerweile auch schon in einigen CDU-regierten
Ländern herumgesprochen.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Immer öfter kommen Pädagogen aus dem benachbarten
Baden-Württemberg über den Rhein,


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

um sich vor Ort – Herr Fischer ist nicht da – über die neue
Ganztagsschule zu informieren.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Machen Sie das mal!)

Ich hoffe, dass dieses rege Interesse auch die Landesre-
gierung in Stuttgart und damit die Bänke der Opposition
hier im Bundestag dauerhaft und nachhaltig erreicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Ganztagsschule hat für
frischen Wind in Schulen und Klassenzimmern gesorgt.
Genau das ist es, was wir nach PISAunbedingt benötigen.
Wir müssen nämlich Motivation und Engagement, aber
auch Freude am Lehren und Lernen in unsere Schulen
zurückbringen. Die Bundesregierung unterstützt mit
ihrem Programm „Zukunft, Bildung und Betreuung“
solch wichtige Reformanstrengungen an unseren Schu-
len. Wir verbessern nachweislich die Situation an den
Schulen, stellen die Weichen für mehr Chancengleichheit
und für eine individuelle Förderung der Schüler. Wir pas-
sen also die Schulen an die gesellschaftlichen und fami-
liären Realitäten an, öffnen die Schule nach außen und
vernetzen sie mit der Berufs- und Lebenswelt. Daher ist
der Kurs der Bundesregierung richtig. Dieser Kurs ist
ohne Alternative. Wir haben den richtigen Weg zur Ver-
besserung unseres Bildungssystems eingeschlagen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502509900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Marion Seib, CDU/

CSU-Fraktion.

(Nicolette Kressl [SPD]: Jetzt wird wieder genörgelt!)



Marion Seib (CSU):
Rede ID: ID1502510000

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Nach den vielen pädagogischen Bekenntnissen, die wir
eben zur Kenntnis genommen haben, stelle ich eines fest:


(Jörg Tauss [SPD]: Erfolgsstory!)

Wir sind uns ja eigentlich alle einig. Die zukunftsfähige
Ausbildung unserer Kinder ist zweifellos die größte und
wichtigste Gemeinschaftsaufgabe von Bürgern, Staat und
Gesellschaft in den nächsten Jahren. Selbst die Wege zur
Erreichung dieses Ziels laufen über weite Strecken paral-
lel.

Ihre Vorgehensweise, Frau Bulmahn, bei der Vorstel-
lung der Verwaltungsvereinbarung war jedoch reichlich
überzogen. Deswegen kommt Misstrauen auf. Am
Montag beruft die Bildungsministerin nämlich eine Pres-
sekonferenz ein und faxt erst wenige Minuten vorher den
Entwurf der Verwaltungsvereinbarung an die Länder.
Derweil beantragen die Regierungsfraktionen zu demsel-
ben Thema schnell noch eine Aktuelle Stunde. Über Ihren
Umgang mit dem Parlament kann man da nur noch den
Mantel des Schweigens decken.


(Lachen des Abg. Klaus Barthel [Starnberg] [SPD] – Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Durch diesen hastigen Aktionismus verschleiern Sie, dass
den Ländern anstelle von Wohltaten doch wieder finanzi-
elle Mühlsteine um den Hals gelegt werden. Sie bleiben
auf halbem Weg stehen. Während der Bund seine Förde-
rung ausschließlich auf Investitionen für Ausbau, Reno-
vierung und Ausstattung der Schulen beschränkt, liegen


(A)



(B)



(C)



(D)


1948


(A)



(B)



(C)



(D)






die eigentlichen Probleme – die Vorredner haben es be-
reits hinreichend dargestellt –


(Zuruf von der SPD: Hinreichend genörgelt!)

bei der Finanzierung der Personal- und Betriebskosten.
Darauf weisen wir seit Monaten hin.

Natürlich ist es begrüßenswert, wenn der Bund den
Ländern und Kommunen 4 Milliarden Euro für den wei-
teren Ausbau von Ganztagsangeboten bereitstellt,


(Jörg Tauss [SPD]: Aber?)

doch dank der misslungenen Steuer- und Wirtschaftspoli-
tik der Bundesregierung stehen viele Länder und Kom-
munen vor dem Ruin.


(Widerspruch bei der SPD – Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: So ist es!)


Allein die Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung
würde genügend Geld in die leeren Kassen der Länder
spülen, um eine Finanzierung der Ganztagsangebote dau-
erhaft sicherzustellen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Höre ich da den Ruf nach Steuererhöhungen?)


– Nein.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Haben Sie Jein gesagt?)

Eine isolierte Verwaltungsvereinbarung hebt die Bil-

dungsdefizite nicht auf. Das gesamte Bildungssystem
muss nachhaltig verbessert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Anstatt leichtfertig die Schulkapazitäten aufzublähen,

müssen wir für Lehrerförderung und Personalbildung sor-
gen. Lehrerausbildung und -weiterbildung kostet die Län-
der sehr viel Geld; sie müssen tief in die Tasche greifen.
An dieser Stelle dürfen wir nicht nur den halben Weg se-
hen, sondern müssen das Endziel im Auge haben und ver-
suchen, dieses Ziel zu erreichen.

Wir haben in Bayern eine Lehrerplanstellengarantie.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Planwirtschaft in Bayern!)

Jeder ausscheidende Lehrer wird durch einen jungen Leh-
rer ersetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich frage Sie, meine verehrten Kollegen: Was nützt Ihnen
das schönste Ganztagsangebot, wenn am Nachmittag we-
gen Krankheit oder Lehrermangel weder Unterricht noch
Betreuung stattfindet?

Wir sollten vor allem darauf achten, dass Qualitätskri-
terien für alle Schulen erarbeitet und aufrechterhalten
werden.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Sagen Sie das mal der Frau Hohlmeier!)


– Bei uns funktioniert das. Die Lehrer in Bayern haben ein
Minimum an Fortbildungstagen zu absolvieren. Ab dem
nächsten Schuljahr gibt es Evaluationsteams, die Hilfe-
stellung zur Verbesserung der Unterrichtsqualität an Schu-

len geben sollen. Deswegen ist die PISA-Evaluierung in
Bayern in dieser Hinsicht ganz hervorragend gelungen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich die Gedanken auf den Punkt bringen:

Erstens. Unser Bildungssystem muss nachhaltig und
langfristig verändert werden. Zweitens. Hierzu ist die
Formulierung von pädagogischen Anforderungen an
zukünftige Lehrer genauso wichtig wie die nachhaltige
Qualitätssicherung in den Schulen. Drittens. Dazu ist eine
verbesserte und dauerhafte Finanzausstattung der Länder
und Kommunen unbedingte Voraussetzung. Viertens. Der
Bund unterstützt die Länder bei der Finanzierung der Bil-
dungsaufgaben am besten,


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Tun wir ja!)

indem er endlich einer aufgabengerechten Neuverteilung
der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern zu-
stimmt


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Da höre ich doch schon wieder etwas von Steuererhöhungen! Unglaublich!)


und eine Umsatzsteuerumverteilung vornimmt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Gebäude

alleine reichen nicht. Wer Bildung will, braucht Lehrer.
Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502510100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein,

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Andrea Wicklein (SPD):
Rede ID: ID1502510200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Circa 40 Milliarden Euro – diese gewaltige
Summe müssen wir im nächsten Jahr allein für Zins-
zahlungen ausgeben. Es handelt sich um den zweitgrößten
Einzelposten im Bundeshaushalt. Das unterstreicht die
Notwendigkeit, den Kurs der Haushaltskonsolidierung
konsequent fortzusetzen. Wir werden das tun und 2006
einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Glauben Sie daran?)


Dies ist aber nur der eine Teil einer erfolgreichen
Haushaltspolitik. Der andere beinhaltet, weiter in Zukunfts-
bereiche zu investieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit unserem Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung
und Betreuung“ vollziehen wir eine intelligente, nachhal-
tige Konsolidierungspolitik. Die begrenzten finanziellen
Mittel setzen wir zielgerichtet zum größtmöglichen Nut-
zen für die Gemeinschaft und für jeden Einzelnen ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Marion Seib




Andrea Wicklein

Warum aber lenken wir diese Mittel ausgerechnet in
den Ausbau von Ganztagsschulen? Das erschreckendste
Ergebnis der PISA-Studie ist ohne Zweifel, dass es un-
serem Bildungssystem besonders schlecht gelingt, Be-
nachteiligungen aufgrund der sozialen Herkunft auszu-
gleichen. Auf der Behebung dieses Defizits muss unser
Hauptaugenmerk liegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gegenseitige Schuldzuweisungen oder lange Debatten
über Zuständigkeitsfragen oder ein ewiges Schlechtreden
unseres Konzepts sind deshalb völlig fehl am Platze.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht um die Zukunft unseres Bildungssystems und da-
mit um die Zukunft unseres Landes. Wir sollten diese
Chance gemeinsam nutzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ganztagsschule bedeutet für uns mehr denn je Betreu-
ung, Erziehung und Bildung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dabei geht es uns nicht nur um eine zahlenmäßige Aus-
weitung des Platzangebotes. Es geht vor allem auch um
eine verbesserte Qualität von Betreuung.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Da sind wir uns schon einig!)


Nach der PISA-Studie haben die meisten der erfolgrei-
chen Staaten Ganztagsschulsysteme.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Finnland nicht!)


Das sollten Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-
sition, nicht ignorieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Betrachtet man die Versorgungsquote, also das Ver-
hältnis von Platzzahlen zu Kinderzahlen, so zeigen sich
immer noch sehr große Unterschiede zwischen Ost- und
Westdeutschland. Für Kinder im Hortalter lag sie 1998
in Westdeutschland bei 6 Prozent, in Ostdeutschland da-
gegen – fast zehnmal so hoch – bei circa 58 Prozent.
Während in Westdeutschland nur circa 19 Prozent aller
Kita-Plätze Ganztagsplätze mit Mittagessen waren, ge-
hörten in Ostdeutschland fast alle Plätze zu dieser Kate-
gorie. Dieses infrastrukturelle Erbe ist besonders bedeut-
sam vor dem Hintergrund, dass in Ostdeutschland eine
ganztägige Betreuung auch 13 Jahre nach dem Fall der
Mauer einen enorm positiven Stellenwert besitzt und im
Übrigen einen wichtigen Standortfaktor darstellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit kreativen Konzepten können sich Ganztagsschulen
zu einem Ort der Begegnung und zu einem Zentrum der
Kommunikation entwickeln. Durch die Beteiligung von
Vereinen und Verbänden oder durch sportliche, musika-

lische und künstlerische Elemente können sie Kindern
und Jugendlichen aus allen sozialen Schichten neue
Zukunftschancen eröffnen. Besonders in den struk-
turschwachen Regionen fällt der Ganztagsschule eine
große Bedeutung zu.

Die soziale und geistige Kompetenz unserer Kinder
und Jugendlichen entwickelt sich auch in Abhängigkeit
vom Elternhaus und dessen Umgebung. Hohe Arbeits-
losigkeit verbunden mit Frustration und Tristesse be-
fördern eher Intoleranz, Verschlossenheit und Minder-
wertigkeitsgefühle. Ein ganz auf die Verhältnisse vor Ort
zugeschnittenes pädagogisches Konzept fördert die Bil-
dung von Teamfähigkeit und Toleranz, das Selbstbe-
wusstsein, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die So-
lidarität im Umgang miteinander.


(Beifall bei der SPD)

Die vorliegende Verwaltungsvereinbarung trägt den

besonderen Bedingungen in Ostdeutschland Rechnung.
Denn nicht nur der Neubau, sondern auch zusätzliche
Ganztagsangebote, Ausstattungsinvestitionen und die da-
mit verbundenen Dienstleistungen können in Ganztags-
schulen oder auch in Schulen mit angegliedertem Hort
finanziert werden. Durch Bildung, Erziehung und Betreu-
ung in Ganztagsschulen schaffen wir die Voraussetzung,
dass die soziale Herkunft nicht länger über die Zukunft
unserer Kinder entscheidet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir investieren in die Zukunft unseres Bildungssystems
und damit in die Zukunft unseres Landes.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502510300

Frau Kollegin Wicklein, auch Ihnen unsere herzlichen

Glückwünsche für Ihre erste Rede hier in diesem Hohen
Hause sowie persönlich und beruflich alles Gute!


(Beifall)

Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin

Hannelore Roedel, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Hannelore Roedel (CSU):
Rede ID: ID1502510400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Deutschland hat zusammen mit südeuropä-
ischen Ländern wie Italien und Spanien die niedrigste
Geburtenrate Europas. Rund 30 Prozent der jetzigen jungen
Generation werden aus verschiedenen Gründen – durchaus
nicht immer geplant – kinderlos bleiben. Angesichts die-
ser demographischen Entwicklung muss alles, was Fami-
lien in unserem Land hilft und fördert, getan werden.


(Zuruf von der SPD: Tun wir doch!)

Dazu gehört ein flexibles und qualitativ gutes Angebot an
Betreuungsmöglichkeiten bis hin zur Ganztagsbetreuung.


(A)



(B)



(C)



(D)


1950


(A)



(B)



(C)



(D)






Wenn Kind und Karriere kein Widerspruch mehr sein sol-
len, dann muss auch die voll arbeitende Mutter für ihr Kind
Betreuung finden, auch in Form der Ganztagsschule.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen begrüßen wir das Ganztagsschulprogramm
von Frau Bulmahn als richtigen Schritt auf dem Weg zu
einer nachhaltig familienfreundlichen Gesellschaft, vor
allem nachdem Sie, Frau Ministerin, nach einem Blick in
das Grundgesetz doch noch realisiert haben, dass die Kul-
tushoheit bei den Ländern liegt,


(Jörg Tauss [SPD]: Was jetzt?)

und dies bei der Durchführung Ihres Programms nun auch
berücksichtigt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bindung der Förderung an pädagogische Konzepte

mag zwar gut klingen; unsere Schulen sind aber weit fort-
schrittlicher, als Sie es vielleicht wissen. Ich kenne kaum
eine Schule, die nicht schon über pädagogische Konzepte
verfügt. Für uns ist wichtig, dass auch mit dem neuen Pro-
gramm gewährleistet bleibt, dass die einzelnen Schulen
auf die Bedürfnisse genau ihrer Kinder und ihrer Eltern
eingehen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Doch zu kritisieren bleibt etwas anderes; denn Sie ha-

ben im wahrsten Sinne des Wortes zu kurz gedacht. Die
Realität ist nämlich die, dass der Bund mit diesem Pro-
gramm großzügig Steine und Beton für die Schulen fi-
nanziert,


(Nicolette Kressl [SPD]: Sie haben es nicht gelesen, oder? Was ist mit Computern? Was ist mit Dienstleistungen?)


dass aber die Kosten für das, was die Schulen mit Leben
erfüllt, nämlich Personal, an den Ländern und Kommunen
hängen bleibt.

Was wird die Folge dieses Programms sein? Über kurz
oder lang werden wir landauf, landab eine Menge neuer
und kindgerechter moderner Schulen haben – mit allem
Drum und Dran –, aber keine Lehrer. Schulen ohne See-
len? Wenn Sie uns das öffentlichkeitswirksam als rot-grü-
nes Geschenk verkaufen, dann scheint mir das eher ein
trojanisches Pferd zu sein – vor allem, wenn man bedenkt,
dass die Länder, um überhaupt diesen Zuschuss zu be-
kommen, auch noch 10 Prozent Eigenmittel aufbringen
müssen.

Die Zeche zahlen Länder und Kommunen und die Re-
gierung sonnt sich im Glanz ihrer nationalen Antwort auf
PISA. Kommunen und Ländern steht aber das Wasser bis
zum Hals.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Durch die falsche Wirtschafts- und Steuerpolitik von Ih-
nen sind ihnen die wesentlichen Finanzgrundlagen weg-
gebrochen. Wenn natürlich die Länder jetzt nach den Mit-
teln aus Berlin greifen – wie auch ein Ertrinkender nach
einem Strohhalm greift –, dann bleibt eines doch gewiss:
Auf Dauer können Länder und Kommunen eine Bil-
dungspolitik auf hohem Niveau nur dann durchführen,

wenn ihnen eine solide finanzielle Grundlage garantiert
ist.


(René Röspel [SPD]: Steuererhöhung?)

Dafür zu sorgen ist nicht Aufgabe der Länder, sondern der
Bundesregierung.

Die rot-grünen Bildungsexperten sind auch auf dem
Holzweg, wenn sie glauben, der PISA-Misere allein mit
Ganztagsschulen entkommen zu können.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das sagt doch niemand!)


Die Ergebnisse von PISA im nationalen und internationa-
len Vergleich belegen ganz deutlich, dass die Gleichung
„mehr Ganztagsschulen gleich mehr Bildung“ eben nicht
aufgeht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Entscheidender als die Frage Ganz- oder Halbtagsschule
ist das, was in der Schule passiert. Allein die Rahmen-
bedingungen für Ganztagsbetreuung zu verbessern kann
weder die Ergebnisse von PISA steigern noch den Fami-
lien Lust auf Kinder machen.


(René Röspel [SPD]: Sie haben so gut angefangen!)


Eine familienfreundliche Politik schafft man nicht
durch staatlichen Zwang; vielmehr müssen die Eltern
selbst entscheiden können, ob und in welchem Umfang
die Betreuung ihres Kindes innerhalb oder außerhalb der
Familie erfolgen soll. Wir Politiker müssen mit einem
ausreichenden Angebot an Betreuungsmodellen dafür
sorgen, dass die Eltern Wahlfreiheit wirklich haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was Familien heute am dringendsten brauchen, ist eine

Politik, die wieder mehr Menschen und damit auch Müt-
ter und Väter in Arbeit bringt, die den Menschen Mut zur
Selbstständigkeit gibt, die die Leistungsbereitschaft för-
dert und die die finanziellen Grundlagen von Kommunen
und Ländern stärkt. Das neue Investitionsprogramm ist
deshalb ein wichtiger Schritt. Wenn es aber nur bei einer
kurzfristigen Anschub- und Baufinanzierung bleibt, dann
tun Sie den Familien nichts Gutes. Am Ende kommen
dann vielleicht eben doch nur Sparschulen mit einer an-
geschlossenen Suppenküche heraus.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502510500

Es gibt eine Menge neuer Kolleginnen und Kollegen,

die engagiert im Bildungsausschuss tätig sind. Auch Sie,
liebe Kollegin Roedel, gehören dazu. Ich gratuliere Ihnen
herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag
und wünsche auch Ihnen persönlich und politisch alles
Gute.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Caren
Marks, SPD-Fraktion.

Hannelore Roedel






Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1502510600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und

Kolleginnen! Erziehung, Bildung und Betreuung sind un-
trennbare, sich ergänzende Voraussetzungen für: erstens
ein besseres Bildungsniveau junger Menschen, zweitens
die individuelle Förderung von Kindern und drittens eine
bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.


(Beifall bei der SPD)

Mit dem Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und

Betreuung“ lösen wir eines unserer zentralen Wahlver-
sprechen ein. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist
ein Kernelement sozialdemokratischer Politik.

Der Ausbau von Ganztagsschulen trägt dazu bei, dass
Frauen und Männer ihren Wunsch nach Kindern realisie-
ren können, ohne dass sie auf die Teilhabe am Arbeits-
und Wirtschaftsleben verzichten müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Potenzial und das Know-how insbesondere vieler
Frauen geht unserer Gesellschaft verloren, weil es an
Ganztagsbetreuung mangelt. Während die Union uns ein-
seitige Förderung außerhäuslicher Kinderbetreuung vor-
wirft, begrüßen Wirtschaft und Eltern unsere Familienpo-
litik ganz besonders.


(Beifall bei der SPD)

Jahrelang haben CDU/CSU und FDP die Kinderbe-

treuung vernachlässigt und weder bundes- noch landes-
politisch angemessen gefördert. Jetzt lautstark die För-
derung der Kinderbetreuung unserer Bundesregierung
anzugreifen und keine eigenen Konzepte zu entwickeln


(Zuruf von der CDU/CSU: Schulpolitik ist Ländersache!)


zeigt auf allen Politikfeldern, dass Union und FDP zurzeit
nur ein Geschäft verstehen: Deutschland schlechtzureden,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt überhaupt nicht!)


Problemlösungen auszuweichen und sich aus der Verant-
wortung zu stehlen,


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Alles falsch!)


unser Land kinder- und familienfreundlicher zu gestalten.
Mit dem Ausbau von Ganztagsschulangeboten schaffen

wir für Eltern die Möglichkeit einer partnerschaftlichen Ver-
teilung von Familien- und Erwerbsarbeit. Für Alleinerzie-
hende ist Betreuung die Grundvoraussetzung, um auf dem
Arbeitsmarkt überhaupt eine Chance zu haben. Mit einem
verbesserten schulischen Angebot stellen wir aber auch die
Chancengleichheit und die individuelle Förderung der Kin-
der in den Mittelpunkt. Uns geht es nicht um die einfache
Verlängerung der Schulzeit, sondern um kreative pädagogi-
sche Konzepte. Schule soll zu einem Ort werden, der für
Schüler und Lehrer das Lehr- und Lernklima verbessert; ein
Ort, mit dem sich Schüler und Lehrer gleichermaßen iden-
tifizieren können; ein Ort, der das familiäre Netz der Kinder
nicht ersetzen soll und kann, aber sinnvoll ergänzt;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


ein Ort, der Kinder stark macht, durchs Leben zu gehen,
und Kindern soziale Kompetenzen und Verantwortung
vermittelt. Das sind die Leitlinien unserer Politik.

CDU/CSU hingegen haben bei auftauchenden Proble-
men – wie es sich zum Beispiel beim Graffiti-Bekämp-
fungsgesetz wieder einmal zeigt – den falschen Ansatz-
punkt. Sie vernachlässigen den präventiven Ansatz und
glauben, dem Phänomen des Graffiti-Sprühens in erster
Linie mit den Mitteln des Strafrechts begegnen zu kön-
nen.

Bildung und Betreuung fördern und sicherstellen, das
ist die große gemeinsame Herausforderung, aber auch die
große Chance, die sich dem Bund, den Ländern und den
Kommunen derzeit stellt. Eltern, Kinder und Wirtschaft
werden kein Verständnis dafür aufbringen, wenn sich die
Union mit Zuständigkeitsfragen aufhält und bei ihrem
traditionellen Familienbild bleibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine ablehnende und blockierende Haltung der CDU/
CSU-geführten Landesregierungen und Kommunen wer-
den wir thematisieren. Wir werden den Menschen dabei
ganz deutlich machen, welche Chancen konservative Re-
gierungen auf Kosten von Kindern und Eltern nicht nutzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist der Ausbildungsstand am besten?)


Kinder sind unsere Zukunft. Die Qualität ihrer Erziehung,
Bildung und Betreuung entscheidet darüber, wie leis-
tungsfähig, wie innovativ, aber auch wie human, wie de-
mokratisch und auch wie sozial integriert unsere Gesell-
schaft der Zukunft sein wird. Ich denke, auch das ist ein
ganz besonderer Aspekt des Ausbaus von Ganztagsschulen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502510700

Nächster Redner ist der Kollege Markus Grübel,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wo ist Frau Reiche?)



Markus Grübel (CDU):
Rede ID: ID1502510800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Frau Marks, als Baden-Württemberger fällt
es mir etwas schwer, mir von Ihnen etwas über Bildungs-
politik aus Niedersachsen erklären lassen zu müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Das ist männlicher Chauvinismus! – Jörg Tauss [SPD]: Arroganz ersetzt Kompetenz nicht!)


Hier trennen uns im Ergebnis Welten. Politik sollte aber
immer damit anfangen, die Sachverhalte zur Kenntnis zu
nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



(A)



(B)



(C)



(D)


1952


(A)



(B)



(C)



(D)






Nun zum Thema: Der Bund möchte den Ländern und
Gemeinden 4 Milliarden Euro für Bildung und Betreuung
zur Verfügung stellen. Das, Frau Ministerin Bulmahn, ist
die gute Nachricht. Mit maximal 400 000 Euro pro Schule
kann durchaus etwas gebaut werden. Diese Aktion ist also
deutlich mehr als das, was der Kanzler zurzeit im Bereich
Wirtschaft und Arbeitsmarkt auf den Weg bringt. Eine we-
sentliche Verbesserung wird damit aber nicht erreicht. Es
ist eher ein Tropfen auf den heißen Stein.


(Ute Kumpf [SPD]: Haben Sie Kinder, Herr Grübel? – Nein!)


Die Begeisterung im Land hält sich daher, abgesehen von
der rot-grünen Regierungskoalition, durchaus in Grenzen.
Das hat auch seine Gründe.


(Jörg Tauss [SPD]: Frau Schavan hat es begrüßt!)


Der Bund investiert in Beton, Steine und Farbe.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Wieder nichts gelesen!)


– Jetzt lassen Siemich einmal ausreden.Diskutieren können
wir hinterher. – Der Entwurf der Verwaltungsvereinbarung
zwischen demBund und den Ländern versteht unter den In-
vestitionen „insbesondere erforderliche Renovierungs-,
Umbau-,Ausbau- undNeubaumaßnahmen“.Mit denFolge-
kosten stehen die Länder und Gemeinden dann alleine da.
DieKosten für zusätzliche Lehrer, für zusätzliche pädagogi-
sche Betreuungskräfte, für Zuschüsse zum Abmangel für
Schülermensen, fürdieGebäudeunterhaltungetc.bleibenals
dauernde Lasten bei den Kommunen und Ländern hängen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Das muss auch so sein!)


Dies trifft die Kommunen in einer Zeit, in der nur noch
wenige Städte und Gemeinden ihre Haushalte überhaupt
ausgleichen können.


(Ute Kumpf [SPD]: Esslingen ist nicht arm! Und der OB macht das auch!)


– Ich kann Ihnen dazu etwas sagen. Esslingen hatte im
letzten Jahr einen Gewerbesteuereinbruch um mehr als
die Hälfte. Das ist auch für eine Gemeinde, der es gut
geht, weil es in Baden-Württemberg eine gute Wirt-
schafts- und Infrastrukturpolitik gibt, eine schwierige Si-
tuation, Frau Kollegin.


(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Bei uns im Ruhrgebiet ist sie nur um ein Viertel eingebrochen! Wie beurteilen Sie das denn?)


– Auf einem niedrigen Niveau ist es natürlich schwerer,
entsprechend tief einzubrechen.

Dies trifft die Kommunen in einer Zeit, in der Betreu-
ungseinrichtungen geschlossen und die Öffnungszeiten
von Jugendhäusern und ähnlichen Einrichtungen aus
Kostengründen reduziert werden müssen. Dies trifft die
Kommunen in einer Zeit, in der Büchereien und Musik-
schulen geschlossen werden müssen.


(Jörg Tauss [SPD]: Was?)


Dies trifft sie in einer Zeit, in der Geld für Sprachkurse ge-
strichen werden muss.


(Jörg Tauss [SPD]: Aha!)

– Herr Tauss, wir können gern einmal von Gemeinde zu
Gemeinde gehen und uns die Haushaltssanierungskon-
zepte ansehen und schauen, was dort alles in den Berei-
chen, die für uns gemeinsam wichtig sind, gestrichen wer-
den muss, weil die Einnahmen aus der Gewerbesteuer
fehlen.

Dies trifft die Kommunen in einer Zeit, in der Ge-
bühren für Kinderbetreuungseinrichtungen teilweise
drastisch erhöht werden müssen. Dies trifft eine Gesell-
schaft, in der die finanzielle Schere zwischen Menschen
bzw. Familien mit Kindern und solchen ohne Kinder deut-
lich auseinander geht.


(Nicolette Kressl [SPD]: Wer hat das denn durch das Kindergeld verringert?)


– Überkompensiert durch Inflation, Ökosteuer, Versiche-
rungsteuer usw. All dies trifft die Familien viel mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies trifft die Länder, die ihre Personalkosten – auch für
Lehrer – kaum mehr bezahlen können.

Die Löcher, die die Bundesregierung bei den Ganz-
tagsschulen stopfen will, werden an vielen anderen Stel-
len aufgerissen: auch bei der Bildung, der Betreuung und
in der Familienförderung. Wie sich in einer solchen Si-
tuation die Lage in den Schulen, bei der familienergän-
zenden Kinderbetreuung und für die Familien überhaupt
verbessern soll, bleibt Ihr Geheimnis, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Regierungskoalition.

Wer für die Betreuung und Bildung in unserem Land
etwas tun will, der setzt bei Sprach- und Leseförderung
an, der verbessert die Betreuungsqualität auch im Vor-
schulbereich, der setzt die von der Kultusministerkonfe-
renz vereinbarten Bildungsstandards um,


(Nicolette Kressl [SPD]: Nichts dagegen!)

der fördert die Familien, der stärkt die Erziehungskompe-
tenz der Eltern – das darf ich jetzt ausdrücklich auch für
die Familienpolitiker der Union sagen –,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

der sorgt aber in erster Linie dafür, dass die Länder und
Gemeinden wieder eine angemessene Finanzausstattung
bekommen und ihre ureigenen Aufgaben selbst erfüllen
können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Das hatten sie vorher auch und keine Ganztagsbetreuung! – Baden-Württemberg ist nicht arm und hat trotzdem keine Ganztagsbetreuung!)


Ich kann hier nahtlos an die Diskussion um die Gemein-
definanzen anschließen, die wir eben geführt haben.

Die Verantwortlichen in den Ländern und Gemeinden
werden dann ohne den goldenen Zügel mit angemessener
Finanzausstattung sehr viel mehr für die Bildung, sehr
viel mehr für die Betreuung und sehr viel mehr für die Fa-
milienförderung tun, als das geplante Investitionspro-
gramm je erreichen kann.

Markus Grübel




Markus Grübel

An dieser Baustelle sollten Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Regierungskoalition, endlich wieder ar-
beiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502510900

Herr Kollege Grübel, ich spreche Ihnen ebenfalls herz-

liche Glückwünsche für Ihre erste Rede in diesem Hause
aus und wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.


(Beifall)

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kol-

lege Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1502511000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass wir im Bundestag angesichts 4 Milliarden Euro an
freiwilliger Leistung des Bundes im Bildungsbereich eine
solche Debatte führen, ist schon bemerkenswert. Mir ist
aufgefallen, dass die eine Gruppe von Abgeordneten in
dieser Debatte aus der Begeisterung heraus plädieren, et-
was für die Betroffenen, für die Kinder und die Familien
zu schaffen, dass die andere Gruppe dies aber zerredet.
Die Beiträge der Abgeordneten der CDU/CSU, die ich mir
hier angehört habe – die Abgeordneten kommen aus Nie-
dersachsen, aus Sachsen-Anhalt, zwei aus Bayern und ei-
ner aus Baden-Württemberg –, wiesen eine Vielfalt und
Widersprüchlichkeit auf, die für sich sprechen. Ange-
sichts dessen wundert es mich nicht, dass Sie ohne eine
Linie, ohne ein Angebot und ohne eine politische Vision
in die Bundestagswahlen gegangen sind. Auch deshalb
haben Sie diese Bundestagswahl verloren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben gedacht, Sie kämen daran vorbei, klare Positio-
nen bekannt zu geben, die die Bedürfnisse im Bildungs-
bereich und die Sorgen von jungen Familien, von Frauen
wie von Männern betreffen. Dafür haben Sie von den
Wählerinnen und Wählern die Quittung bekommen.


(Beifall bei der SPD)

Deshalb regieren wir. Das freut uns und ärgert Sie.

Sie hatten gedacht, dass der Umfang der Initiative des
Bundes zur Unterstützung der Länder, die Frau Ministerin
Bulmahn seit über einem Jahr vorbereitet, von uns am Ende
nicht eingehalten werden würde oder könnte. Sie hätten sich
sicher nichts mehr gewünscht, als uns in einer Debatte vor-
werfen zu können, wir seien mit dem Ziel von 4 Milliarden
Euro gestartet, herausgekommen sei aber nur 1 Milliarde
Euro an Unterstützung. Doch wie hoch ist der Umfang? – Er
beträgt 4 Milliarden Euro. Das ärgert Sie zum Zweiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Uns freut dies. Es ist eine große Leistung der Regierung,
eine große Leistung von Gerhard Schröder, Edelgard
Bulmahn und Hans Eichel.

Als Drittes wird Sie ärgern, wenn die Bildungsminis-
terin und die 16 Ministerinnen und Minister aus den Län-
dern hoffentlich nicht mit Sekt, sondern ganz kinder-
freundlich mit biologischem Apfelsaft anstoßen und
sagen: Topp, diese Verwaltungsvereinbarung gilt! Darauf
bauen wir jetzt auf.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


All diese Punkte ärgern Sie; denn dann müssen Sie wie-
der zurückrudern und müssen die Kritik, die Sie mehr oder
minder daran geäußert haben, zurücknehmen. Einige wa-
ren ja vorsichtiger und haben gesagt, es sei ein sinnvoller
Beitrag. Dahinter steht offensichtlich die Staatsführung
aus Bayern, dass man das, was man konstruktiv aufgreifen
könnte, vorweg nicht in Grund und Boden reden sollte.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schauen Sie nach Bayern, was dort passiert!)


Andere haben gesagt, das könne doch nicht alles sein.
Das ist auch unsere Meinung. Uns bieten sich deshalb
Chancen: Sie haben die Chance, dreifache Frustration ab-
zuarbeiten. Wir haben die Chance auf dreifachen Nutzen:
zum Ersten den Nutzen für die ökonomische Lage; die
Studien sind schon zitiert worden, die besagen, dass dies
einen Beitrag für einen Wirtschaftsaufschwung in mittle-
rer Sicht bringen kann; zum Zweiten einen Nutzen für die
Familien und für die Vereinbarkeit von Beruf und Fami-
lie. Im Übrigen: Wenn die CDU/CSU dem folgen sollte,
wird sie wieder bessere Wahlergebnisse bei diesen Men-
schen haben, weil Sie sie dann besser vertreten würden.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Ein dritter Nutzen liegt darin, dass es für die Kinder mehr
Zeit und Gestaltungsfreiheit in der Schule gibt und für die
Schulen mehr Möglichkeiten, mit Kindern Zeit zu gestal-
ten. Das muss der entscheidende Ausgangspunkt sein.

Sie beschwören immer die Sorgen der Kommunen.
Diese kann man nachvollziehen. Deswegen machen wir
eine andere Steuerpolitik als die, die Sie uns immer emp-
fehlen. Sie empfehlen uns immer, die Steuern zu senken
und die Verschuldung zu erhöhen. Es müssen aber doch
vielmehr die Sorgen der Menschen im Mittelpunkt stehen,
die nicht wissen, wo sie ihr Kind pädagogisch gut betreut
finden, oder die Sorgen von Pädagogen, die sagen, sie hät-
ten gerne mehr Zeit, um mit den Kindern arbeiten zu kön-
nen. Wenn Sie diesen Bezugspunkt haben, nehmen Sie
das Programm als viel hilfreicher, initiativreicher und
positiver wahr.

Sie werten das als reine Investition in Bauen und Be-
ton ab. Wir könnten doch einmal zusammen darüber nach-
denken, ob unsere Schulbauten, unsere Schulstrukturen
tatsächlich, wenn wir uns in die Kinder hineindenken, den
Ansprüchen der Pädagogik genügen oder nicht. Es wird
sehr viele kleinere und größere Wünsche geben, dieses
oder jenes so umzugestalten, auch baulich, dass es kind-
gerecht ist. Da ist unser Angebot – 90 Prozent vom Bund,
10 Prozent Kofinanzierung –,


(Beifall bei der SPD)

sehr wohl eine Hilfe, die von denen, die aus der Praxis,
nämlich aus den Ländern, kommen, aufgegriffen wird.

Der FDP muss man eine Antwort gönnen. Ich bin ge-
spannt, ob der Senator Lange, Ihr letzter Mohikaner aus


(A)



(B)



(C)



(D)


1954


(A)



(B)



(C)



(D)






dem Bildungsbereich in Hamburg, anregen wird, das
4-Milliarden-Bund-Länder-Programm als Versuchspro-
gramm zu finanzieren – 50 Prozent vom Bund und 50 Pro-
zent von den Ländern –, um damit ein 8-Milliarden-Pro-
gramm zu bekommen.


(Christoph Hartmann [Homburg] [FDP]: Bundesstiftung, nicht Bund und Länder! Ich habe nicht „Bund und Länder“ gesagt!)


– Sie hatten angeregt, ein Modellprogramm zu machen.
Ich sage Ihnen dazu nur: Die Zeit für Modellprogramme
geht an der Wirklichkeit der Menschen vorbei. Die Men-
schen erwarten, dass das Vorhaben Schritt für Schritt Rea-
lität wird und nicht in Modellen stecken bleibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Fazit: Es mag sein, dass man in zehn oder 15 Jahren
manches vergessen haben wird, was diese Bundesregie-
rung von Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Edelgard
Bulmahn eingeleitet hat. Man wird sich an den Schulen
und in der deutschen Bildungsgeschichte aber ganz gewiss
daran erinnern, dass mit dieser Bundesregierung die Um-
wandlung des nicht mehr zeitgemäßen Halbtagsschulsys-
tems in Deutschland in ein besseres Angebot für Kinder,
Eltern und Lehrer, in Ganztagsangebote begonnen worden
ist. Dafür lohnt es zu kämpfen, und in 15 Jahren freuen Sie
sich, freuen wir uns und freuen sich vor allem die Kinder.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502511100

Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlän-
gerung der Ladenöffnung an Samstagen
– Drucksache 15/396 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt.

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1502511200


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Gemessen an der Furore, die der Ladenschluss in
der Vergangenheit ausgelöst hat, ist die Teilnahme an der

Debatte hier eher etwas gering. Aber vielleicht ist das
Thema auch schon über die letzten Jahre, wenn nicht
Jahrzehnte zu oft debattiert worden, als dass noch Neues
dabei zu finden wäre. Die Konfliktlinien sind seit Jahr und
Tag gleich. Die Auffassungen reichen von einer Befür-
wortung der völligen Abschaffung des Ladenschlussge-
setzes bis hin zur Ablehnung jedweder Änderung des gel-
tenden Rechts. Dabei bestimmen häufig nicht die
Sachargumente, sondern leider auch viele sehr ideologi-
sche und politische Positionen die Diskussion.

Mit dem jetzt vorgelegten Entwurf des Gesetzes zur
Verlängerung der Ladenöffnung an Samstagen setzt die
Bundesregierung auf eine Reform mit einer maßvollen
Ausweitung der Ladenöffnungszeiten. Wir laufen nicht
mit ideologischen Scheuklappen herum. Wir haben uns
den Blick für das Notwendige bewahrt.

Wenn ich das sage, rufe ich noch einmal das Ifo-Gut-
achten und die Bewertung des Ifo nach der letzten Libe-
ralisierung Mitte der 90er-Jahre in Erinnerung. Für das
Jahr 1999 gilt hier Folgendes: Eine Erweiterung der La-
denöffnung bis 20 Uhr an Werktagen, von Montag bis
Freitag, und an Samstagen bis 16 Uhr, so heißt es, ist von
den Verbrauchern angenommen worden. Das begrüßen
wir ausdrücklich. Vor allem die wochenendnahen Tage
von Donnerstag bis Samstag werden von gut 50 Prozent
der Verbraucher zum Kauf in den verlängerten Öffnungs-
zeiten genutzt.

Wie sieht das Interesse der Verbraucher bezüglich ei-
ner weiteren Verlängerung der Öffnungszeiten aus? Im
Ifo-Gutachten heißt es: 45 Prozent der Verbraucher plä-
dieren für die Abschaffung der gesetzlichen Ladenschluss-
zeiten an den Wochentagen, also von Montag bis Sams-
tag, während sich 36 Prozent dagegen aussprechen. Am
Samstag wollen 46 Prozent eine auf wenige Stunden be-
fristete Öffnung, während sich 44 Prozent der Verbrau-
cher grundsätzlich negativ äußern.

Der Einzelhandel selbst ist ebenfalls außerordentlich ge-
spalten. Die Befürworter und Kritiker der Ladenschluss-
liberalisierung stehen sich, so hieß es 1999 – drei Jahre
nach der Reform –, in großen Gruppen gegenüber.
Während 32 Prozent der Einzelhändler für eine Ladenöff-
nung nach 18.30 Uhr eintreten, sind 26 Prozent für eine völ-
lige Aufhebung der gesetzlichen Restriktionen und 40 Pro-
zent für die Schließung der Geschäfte um 18.30 Uhr.

Zu den Befürwortern der vollständigen Liberalisierung
gehören naturgemäß meist die größeren Unternehmen
und Geschäfte, während die kleinen und mittleren Ge-
schäfte dagegen opponieren. Für ein generelles Verbot der
Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen sprechen sich
57 Prozent der Geschäfte aus. 12 Prozent sind für eine
zeitlich befristete Öffnung und 21 Prozent für eine völlige
Aufhebung der Ladenschlussregelung an diesen Tagen.

Das zeigt in der Bewertung der Interessen der größeren
Unternehmen, der kleineren und mittleren Unternehmen,
der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer und der Städte: Eine Verlänge-
rung der Ladenöffnungszeiten am Samstag um vier Stun-
den, nämlich von 16 Uhr auf 20 Uhr, ist im Sinne eines
Interessenausgleichs sinnvoll und vernünftig. Vor dem

Dr. Ernst Dieter Rossmann




Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
Hintergrund dieser Gesamtkulisse haben wir uns ent-
schlossen, diesen und keinen anderen Weg zu gehen.


(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, in dem Regierungsentwurf ist damit auch

eine zeitgemäße und bedarfsorientierte Öffnung vorgese-
hen. Die Einzelhandelsumsätze – das wissen Sie sehr
wohl – bleiben seit Jahren unter den allgemeinen Wachs-
tumsraten. Die Branche verliert pro Jahr 20 000 bis 30 000
Arbeitsplätze. Der Anteil der Ausgaben der Verbraucher
zugunsten des Einzelhandels ist nach den Berechnungen
des Statistischen Bundesamtes in den letzten zehn Jahren
von 32 Prozent auf 25 Prozent gesunken. Die Differenz,
die ich hier beschrieben habe, fließt heute in andere
Dienstleistungen, zum Beispiel in den Gesundheits- oder
Bildungsbereich.

Mit anderen Worten: Mit der Erweiterung wollen wir
dem Einzelhandel die Chance geben, insbesondere an den
verbraucherstarken Tagen – in diesem Fall geht es um den
Samstag – den Abwärtstrend zu stoppen und umzukehren.
Das wird gelingen, wenn er sich an den Bedürfnissen der
Verbraucherinnen und Verbraucher orientiert. Seit der
Änderung des Ladenschlussgesetzes im Jahre 1996 hat
der Samstag im Käuferverhalten an Bedeutung gewon-
nen.


(Abg. Hartmut Schauerte [CDU/CSU] setzt sich auf einen Platz der FDP-Fraktion)


– Herr Schauerte könnte sich gerade in Bezug auf den La-
denschluss einmal in besonderer Weise für die kleinen
und mittleren Betriebe einsetzen.


(Klaus Brandner [SPD]: Das hätten wir erwartet!)


Diese schützen wir mit diesem Gesetz, indem wir ihnen
mehr Spielraum geben; wir liefern sie den großen Unter-
nehmen nicht aus. Das wäre eine gute Sache. Herr
Schauerte, Sie passen ganz gut auf die Plätze der FDP.


(Beifall bei der SPD)

Ein Bedarf an längeren Öffnungszeiten an Samstagen

zeigen auch die Erfahrungen in Niedersachsen mit den
verlängerten Ladenöffnungszeiten während der Welt-
ausstellung EXPO 2000. Die Verbraucherinnen und
Verbraucher haben die längeren Öffnungszeiten am
Samstag rege genutzt. Gleichwohl müssen wir auch hier
wiederum zwischen den ländlichen Gebieten und den
großen Städten unterscheiden. Das, was wir hier sehen,
ist hochdifferenziert. Ich hoffe sehr darauf, dass die De-
batte heute nicht wieder schwarzweiß wird. Sie muss die-
ser differenzierten Situation angemessen Rechnung tra-
gen.

Ich glaube, wir haben recht daran getan, die Unter-
nehmen des Einzelhandels durch die Erweiterung des
Öffnungsrahmens an Samstagen in die Lage zu verset-
zen, sich besser auf Verbraucherwünsche einzustellen und
ihre Leistungen dem Bedarf und dem Kundenaufkommen
anzupassen. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Nie-
mand wird verpflichtet, sein Geschäft bis 20 Uhr offen zu
halten.


(Klaus Brandner [SPD]: So ist es!)


Jeder soll nach Maßgabe und geschäftlichem Interesse
seinen Laden offen halten oder ihn schließen, wenn er das
für richtig hält.


(Zuruf von der SPD: Ja, Spielräume schaffen!)

Das ist eine Frage von Angebot und Nachfrage inner-
halb eines vernünftigen Zeitraumes.


(Klaus Brandner dige Entscheidungen!)


Ich will hinzufügen: Die Pflicht zur Schließung um
14 Uhr an Samstagen vor verkaufsoffenen Sonn- und Fei-
ertagen werden wir aufheben. Auch das ist vernünftig. Es
war den Verbraucherinnen und Verbrauchern bereits in
der Vergangenheit nicht zu vermitteln, dass zwar ein
Sonntagsverkauf bei bestimmten Anlässen genehmigt
wird, sie aber am vorhergehenden Samstag bereits um
14 Uhr vor verschlossenen Türen stehen müssen. Auch
hier haben wir mit dem Gesetzentwurf vereinfacht und
modernisiert. Zehn Regelungen werden aufgehoben. Wir
werden unter anderem die Vorschriften für Warenauto-
maten und Friseurbetriebe aus dem Ladenschlussgesetz
streichen. Eine Notwendigkeit für diese Regelungen ist
nicht mehr erkennbar.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält – das
will ich noch einmal sagen – eine maßvolle Anpassung
der Ladenöffnungszeiten, die die veränderten Verbrau-
chergewohnheiten berücksichtigt, die Ergebnis umfäng-
licher Vorarbeiten, Anhörungen und wissenschaftlicher
Untersuchungen ist und die vor diesem Hintergrund eine
Balance zwischen den sehr unterschiedlichen Interessen
darstellt.


(Beifall des Abg. Klaus Brandner [SPD])

Ich bin schon auf die aus Bayern angekündigten Initia-

tiven gespannt. Ich erinnere mich zum Beispiel an die
Auffassung der Religionsgemeinschaften zu dieser De-
batte, die an uns herangetragen worden ist.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie wollen mehr Sonntage als Arbeitstage!)


Sie befürchten, dass an den Wochenenden nicht mehr
genügend Zeit für die Familie bleibt


(Beifall des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU])


und dass in erster Linie Frauen, die als Arbeitnehmerinnen
im Einzelhandel tätig sind, die Betroffenen sind.

Ich bitte Sie: Lassen Sie uns nicht das Kind mit dem
Bade auskippen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Keine halben Sachen!)


Lassen Sie uns die Bereiche regeln, die in Übereinstim-
mung mit dem Hauptverband des Deutschen Einzelhan-
dels, dem HDE, realisiert werden können. Der Präsident
des HDE hat ganz klar und deutlich gesagt:

Jetzt muss endlich Schluss sein mit der Diskussion
über weitere Vorschläge für eine Ladenschlussre-
form. Wir brauchen die Änderung des Ladenschluss-
gesetzes möglichst schnell, aber keineswegs noch


(A)



(B)



(C)



(D)


1956


(A)



(B)



(C)



(D)






mehr lange Debatten über Vorschläge, die sich dann
auch noch gegenseitig blockieren.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns den vorliegenden Ge-
setzentwurf bitte sachlich beraten und zügig beschließen.
Der Einzelhandel und die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher warten schon darauf.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502511300

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Kues,

CDU/CSU-Fraktion.

(Klaus Brandner [SPD]: Er will mehr Sonn tage als Arbeitstage haben!)



Dr. Hermann Kues (CDU):
Rede ID: ID1502511400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr

Staatssekretär, zu dem, was Sie vorgetragen und wie Sie be-
gründet haben, was mit diesem Gesetzentwurf alles an Pro-
blemen gelöst wird, kann ich nur feststellen: Das ist nichts
Ganzes und nichts Halbes, weil Sie keine Linie haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Uns sind zwei Dinge wichtig: Erstens. Wir wollen, dass

der Sonntag konsequent geschützt wird.

(Zuruf von der SPD: Das wollen wir auch!)


Zweitens. Wir wollen, dass den Werktagen die bürokra-
tischen Fesseln genommen werden. Das sind unsere
Punkte.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Ihre Länder sehen das mit dem Sonntag aber anders!)


– Für unsere Fraktion erkläre ich: Wir legen großen Wert
darauf, dass der Sonntag eine Angelegenheit der Nation
bleibt. Er ist ein Kulturgut und damit wichtig. Er soll nicht
angegriffen werden. Wir wollen, dass am Sonntag Zeit für
Familien, Verwandte und Freunde bleibt. Er ist auch für
soziale und gesellschaftliche Kontakte wichtig. Er ist
auch als Ruhepause wichtig. Er gehört zum Sieben-Tage-
Rhythmus: Man muss zur Besinnung kommen können,
Sport treiben können, und wer möchte, muss auch für die
Kirche Zeit haben. Das ist unser Anliegen beim Sonntag.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Genau das findet in unserem Gesetzentwurf Platz!)


Die Zeit am Sonntag – das ist eine jahrhunderte-, jahr-
tausendealte Tradition – ist nicht unmittelbar von Nütz-
lichkeitserwägungen bestimmt. Das ist unseres Erachtens
der wichtige Punkt. Deswegen sagen wir: Der Sonntag
soll bleiben, wie er ist; die Menschen sollen ihn für sich
haben.

Auf der anderen Seite sagen wir aber auch: Wir wollen
keine bürokratischen Regelungen an den Werktagen,
die Schritt für Schritt verändert werden. Vertrauen wir da-

rauf, dass in den Regionen eine vernünftige Entwicklung
in Gang kommt.


(Zuruf von der SPD: Was wollen Sie denn?)

Man muss auf dem Land andere Regelungen finden kön-
nen als in der Stadt. Einzelhändler, die sich auf gemein-
same Werbemaßnahmen verständigen, werden sich auch
auf vernünftige Öffnungszeiten verständigen können.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)

Wir setzen auf die Vernunft der Leute. Wir setzen auf Sub-
sidiarität. Die Menschen sollen selbst entscheiden kön-
nen, wann es sich für sie lohnt und unter welchen Um-
ständen es sich privat und familiär einrichten lässt, die
Öffnungszeiten zu verändern.


(Zuruf der Abg. Ute Kumpf [SPD])

Auch wir vertreten die Position – das sage ich ganz

deutlich –, dass keiner seinen Laden öffnen muss. Die
Frage ist, ob er ihn öffnen darf. Diese Freiheitwollen wir
ihm an den Werktagen lassen.


(Beifall des Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU] – Ute Kumpf [SPD]: Wann? Auch nachts?)


Ich bin sicher, dass es vernünftige Regelungen geben
wird. Es ist klug, wenn sich der nationale Gesetzgeber auf
einen zentralen Punkt konzentriert, nämlich auf den Sonn-
tagsschutz. Auf der anderen Seite sollten wir uns aber zu
unbürokratischen Regelungen für die Werktage bekennen.

Diejenigen, die einfallsreich sind, die etwas unternehmen
wollen, die eine besondere Dienstleistung anbieten wollen,
dürfen in Deutschland nicht gezwungen sein, erst eine Tank-
stelle pachten zu müssen, damit das machbar wird.


(Ute Kumpf [SPD]: Also doch nachts! Rund um die Uhr!)


Das ist der falsche Weg. Wir wollen mehr Freiheit für die
Menschen.

Die Argumente wurden alle schon genannt. Ich glaube
nicht, dass es zu einem Rund-um-die-Uhr-Einkauf kommt,
weil der Kunde zwar König ist, aber auch Nachtruhe
braucht. Das wird sich einpendeln. Wir stellen ja bereits
fest, dass die jetzigen Öffnungszeiten keineswegs völlig
ausgenutzt werden.

Die Frage, was mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern wird, ob sie übermäßig belastet werden, lässt sich
klären. Es gibt andere Regelungen, durch die dem Miss-
brauch ein Riegel vorgeschoben wird. Es gibt tarifliche
Vereinbarungen. Die wöchentliche Arbeitszeit beläuft sich
im Schnitt auf 37,5 Stunden. Es gibt das Arbeitszeitgesetz,
das dort greift, wo keine tariflichen Regelungen getroffen
wurden. Wir brauchen eine Lösung, die Spielraum lässt für
Fantasie und die vor allem denjenigen Möglichkeiten
schafft, die im Dienstleistungsbereich ein Angebot ma-
chen wollen, anstatt arbeitslos zu sein und ihr Geld vom
Arbeitsamt zu beziehen. Das sollten wir unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Brandner [SPD]: Herr Kues, kommen bei Ihnen die besten Fantasien um Mitternacht oder zwischen zwei und drei?)


Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt




Dr. Hermann Kues

Wenn man sich im Übrigen mit dem Werdegang dieses
Gesetzentwurfes beschäftigt, bekommt man eine Ahnung
davon, wie Sie Politik machen. Sie leben mit Ihren politi-
schen Initiativen von der Hand in den Mund. Sie wissen
heute nicht, was Sie sich morgen vornehmen wollen, und
tun so – Herr Staatssekretär, das klang auch in Ihrer Rede
an –, als wenn man Politik durch Symbolik ersetzen
könnte. Noch Anfang Dezember, also vor gut zwei Mona-
ten, hat die Bundesregierung auf eine Anfrage des Kolle-
gen Jüttner geantwortet, eine Änderung des Ladenschluss-
gesetzes sei nicht vorgesehen. Jetzt will sie plötzlich ein
Zaubermittel entdeckt haben und dadurch den Eindruck
erwecken, als würden mutige Entscheidungen gefällt. Das
ist keine mutige Entscheidung, sondern eine bürokratische
Entscheidung. Die hilft uns nicht weiter!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Brandner [SPD]: Das müssen Sie mir konkret vorführen!)


Denn wir befinden uns auf dem Arbeitsmarkt, bei der
steuerlichen Belastung, bei den Abgaben und bezüglich
der Sozialsysteme in einer wirtschaftlichen Struktur-
krise ungeahnten Ausmaßes. Im Verhältnis dazu ist der
Ladenschluss geradezu eine Bagatelle. Das ist Politik nach
der Devise „Heute so, morgen vielleicht ganz anders!“ Ihr
Motto scheint zu lauten: Als sie das Ziel aus den Augen
verloren hatten, verdoppelten sie die Anstrengungen.

Unser Ansatzpunkt – das will ich noch einmal klar sa-
gen – ist eindeutig: Zur Sieben-Tage-Woche gehört ein
freier Tag. Das ist Kultur und Tradition. Das muss der Ge-
setzgeber schützen. Wie sich das auf Dauer entwickeln
wird – diese persönliche Bemerkung sei mir gestattet –,
hängt nicht in erster Linie vom staatlichen Rahmen ab,
sondern davon, ob wir als Bürgerinnen und Bürger den
Sonntag praktizieren, ob wir ihn also durch unser Verhal-
ten inhaltlich füllen. Wenn er zu einer leeren Hülle ver-
kommt – das sage ich auch ganz deutlich –, dann ist er auf
Dauer immer schwerer zu verteidigen.

Ich bin dafür, lieber weniger zu regeln und das ge-
scheit, als alles Mögliche regeln zu wollen, neue Büro-
kratie zu produzieren, im Endeffekt das eigentliche Ziel
aber aus den Augen zu verlieren.

Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung.

(Zuruf von der SPD: In jedem Fall!)


Wir haben im Wahlkampf viel über die Bedeutung der
Familien geredet. Hinbekommen haben wir in der letzten
Legislaturperiode wenig und in dieser eigentlich so gut
wie gar nichts. Politik muss auch Zeit für Familien si-
chern. Ich glaube, die erfolgreichste familienpolitische
Leistung der letzten Jahre und der künftigen Jahre wird es
sein, dass wir den Sonntag verteidigen. Denn das, glaube
ich, gibt Zeit für Familien, gibt Zeit für Kinder, gibt Zeit
für Freunde;


(Ute Kumpf [SPD]: Freundinnen!)

das muss unser Ziel sein. Unnötige bürokratische Rege-
lungen haben hier nichts zu suchen.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502511500

Nächster Redner ist der Kollege Herbert Ulrich, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

(Zuruf von der SPD: Was wollen Sie eigentlich? Rund um die Uhr einkaufen? – Gegenruf von der CDU/CSU: Wir wollen keine halben Sachen!)



Hubert Ulrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502511600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir reden heute über den von der Regierungsko-
alition eingebrachten Antrag zur Erweiterung der La-
denöffnungszeiten am Samstag. Diese Debatte hat eine
lange Vorlaufzeit, wie wir eben gehört haben.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Die Leute haben immer weniger Geld!)


Bei dieser Erweiterung geht es schlichtweg um eine logi-
sche Folgerung der Änderungen des Jahres 1996, weil
sich seit 1996 herausgestellt hat, dass der Samstag von
den Konsumentinnen und Konsumenten sehr viel deutli-
cher und sehr viel stärker angenommen wird als erwartet.
Insofern ist es logisch und konsequent, insbesondere den
Samstag bis 20 Uhr freizugeben.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Eine weitere Maßnahme in diesem Gesetzentwurf ist
die Herausnahme der Friseurgeschäfte aus dem Ladenöff-
nungsgesetz, was ich für sehr sinnvoll halte. Es werden
insgesamt zehn Verwaltungsvorschriften gestrichen. Die
Sonntage bleiben von diesen ganzen Regelungen un-
berührt.

Die Diskussion um die Erweiterung der Ladenöff-
nungszeiten zerfällt eigentlich in zwei Diskussionskom-
plexe. Zum einen geht es immer wieder um die Rechte
der Beschäftigten, insbesondere bei den Gewerkschaf-
ten. Zum anderen geht es um mehr Verbraucherfreund-
lichkeit. Gerade bei der Verbraucherfreundlichkeit müs-
sen auch wir als Politik zur Kenntnis nehmen, dass sich
die Bedarfsstrukturen in den letzten Jahren und Jahrzehn-
ten einfach völlig verändert haben. Was wir brauchen, ist
gerade bei den Ladenöffnungszeiten mehr Familien-
freundlichkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hierbei geht es um eine Entzerrung von Arbeitszeit und
Einkaufszeit. Da läuft heute vieles nicht mehr zusammen,
und das macht eine Flexibilisierung dieser Zeiten not-
wendig. Man muss wissen: Zwei Drittel aller Beschäftig-
ten in Deutschland wollen eine Liberalisierung und
50 Prozent aller Verbraucher wollen sie ebenfalls.

Die andere Seite ist natürlich die Diskussion um die
Rechte der Beschäftigten. Aber hier muss man ganz klar
und offen sagen: Es geht nicht um Mehrarbeit für die
Menschen, die im Einzelhandel beschäftigt sind, es geht
um eine andere Verteilung der Arbeit. Die Arbeit dort ist
in Tarifverträgen geregelt und an diesen Tarifverträgen
will schlichtweg niemand etwas ändern.


(A)



(B)



(C)



(D)


1958


(A)



(B)



(C)



(D)






Aber es kann nicht sein, dass von rund 90 Prozent der
36 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland eine hohe Flexibilität verlangt wird, was die
Arbeitszeiten angeht – zwei bis drei Schichten sind da
normal –, aber bei einer Gruppe, nämlich den Menschen,
die im Einzelhandel beschäftigt sind, diese Diskussion
hinten runterfällt. Da hat man ein Ungleichgewicht, das
durch nichts zu begründen ist. Der Polizist muss in drei
Schichten arbeiten, die Krankenschwester, der Schichtar-
beiter in der Industrie sowieso, Feuerwehrleute und viele
andere auch.

Hier muss man einmal ein deutliches Wort an die
Adresse der Gewerkschaften und eine deutliches Wort an
die Adresse von Herrn Bsirske sagen, auch wenn er Grü-
ner ist. Es kann nicht sein, dass die Gewerkschaften eine
solche Diskussion durch einen wirklichen Strukturkon-
servatismus ewig behindern. Da muss auch von deren
Seite eine gewisse Offenheit in die Debatte hinein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es kann nicht sein, dass ich als Gewerkschaft auf der
einen Seite – zu Recht, sage ich – mehr Arbeitsplätze ein-
fordere, auf der anderen Seite aber nicht bereit bin, mei-
nen Teil dazu zu leisten. Ich finde es auch völlig verkehrt
– um das an dieser Stelle noch einmal zu sagen –, dass sich
der Herr Zwickel jetzt in einer solchen Diskussion, wie
wir sie hier insgesamt haben, aus dem Bündnis für Arbeit
verabschiedet. Es muss auch einmal anerkannt werden,
dass die Lohnnebenkosten sowohl im Einzelhandel als
auch in anderen Bereichen ein Problem darstellen, das
gelöst werden muss.

Das andere Extrem ist in den Anträgen von FDP und
CDU/CSU die Freigabe der Ladenöffnungszeiten. Eine
völlige Freigabe der Ladenöffnungszeiten würde natür-
lich eine Menge Probleme mit sich bringen.


(Gudrun Kopp [FDP]: An Werktagen!)

– Ja, auch an Werktagen. Insbesondere die mittelständi-
schen Betriebe und die Klein- und Kleinstbetriebe würden
unter einer solchen Freigabe sehr stark leiden.


(Ute Kumpf [SPD]: Vor allem im Mittelstand! Das bringt große Probleme für den Mittelstand!)


Sie befinden sich heute bereits in einer sehr großen Kon-
kurrenzsituation durch Internethandel, Tankstellen und
Bahnhöfe und vor allen Dingen durch die Discounter und
die großen Einkaufszentren draußen auf der grünen
Wiese.


(Dirk Niebel [FDP]: Die können ja nicht länger aufmachen, weil ihr es nicht erlaubt!)


Die Geschäfte in innenstädtischen Lagen haben eine
Menge Wettbewerbsnachteile, insbesondere die Klein-
und Kleinstbetriebe. Sie haben die Hochbaukosten, müs-
sen Ablösegebühren für Stellplätze zahlen und ein höhe-
res Mietkostenniveau finanzieren. Die Verkaufsflächen
pro Mitarbeiter sind in Innenstädten deutlich kleiner als
draußen auf der grünen Wiese. Die Personalkosten betra-
gen im Innenstadtbereich 16,3 Prozent, auf der grünen
Wiese 7,6 Prozent.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502511700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Niebel?


Hubert Ulrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502511800

Ja.


(Zuruf von der SPD: Das war ein Fehler!)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502511900

Nein, das sehe ich nicht. Erstens sind Zwischenfragen

parlamentarisch sehr hilfreich und zweitens wissen Sie,
dass meine Fragen in aller Regel qualitativ sehr hochwer-
tig sind.

Herr Kollege Ulrich, Sie haben gerade zu Recht fest-
gestellt, dass die kleinen Betriebe in Innenstadtlagen in
aller Regel hohe Kosten haben, weil die Mieten dort hoch
sind, weil sie Stellplätze zur Verfügung stellen müssen
und Ähnliches. Würden Sie mir zustimmen, dass die von
Ihnen angesprochenen Kosten unabhängig von der La-
denöffnungszeit immer gleich hoch sind


(Beifall bei der FDP)

– die Miete bleibt gleich, egal, ob ich acht, zwölf oder
24 Stunden am Tag öffne –, dass ich bei Freigabe der La-
denöffnungszeiten aber – wenn ich es möchte, nicht weil
ich es muss – die Möglichkeit hätte, über einen längeren
Zeitraum auch mehr Umsatz zu machen?


(Gudrun Kopp [FDP]: Eine sehr gute Frage!)



Hubert Ulrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502512000

Herr Niebel, die Arbeitskosten sind aber insbesondere

bei den kleinen Unternehmen sehr viel anders verteilt als
bei den großen, die das sehr viel deutlicher und besser
ausgleichen können. Insofern müssen Sie die Arbeitskos-
ten von den Restkosten deutlich trennen. Darin liegt das
Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Frage war doch nicht so gut! – Zuruf von der SPD: Setzen! Fünf!)


Ich möchte mit dem, was ich eben gesagt habe, eigent-
lich verdeutlichen, dass wir Konzepte brauchen, um dem
klassischen Tante-Emma-Laden auch heute noch Überle-
bensmöglichkeiten zu geben. Wir brauchen Konzepte für
eine Existenzerhaltung dieser so genannten Tante-Emma-
Läden, auch wenn es von der Zahl her bereits heute deut-
lich weniger gibt als noch vor einigen Jahrzehnten.
„Tante-Emma-Laden“ ist für mich heute einfach eine Um-
schreibung für Klein- und Kleinstbetriebe.

Die perverseste Form von Einzelhandel, die wir im
Moment in Deutschland haben, sind die so genannten
Factory Outlet Center, die eine generelle Konkurrenz für
unsere Innenstädte darstellen. Wenn man nach Amerika
guckt, stellt man fest, dass sie auch dort zu ganz großen
Problemen geführt haben. In den Vereinigten Staaten
– auch das sollte nicht unerwähnt bleiben – gibt man heute

Hubert Ulrich




Hubert Ulrich
bereits zig Millionen US-Dollar aus, um die Innenstädte
wieder zu beleben. Dort versucht man eine Entwicklung
zurückzudrehen, in der wir uns gerade befinden. Deshalb
müssen wir von der Politik aus einfach ein Zeichen set-
zen, um das zu stoppen.

Wir haben bereits in der letzten Runde zu den La-
denöffnungszeiten vom City-Privileg gesprochen, von
dem ich persönlich sehr viel halte, von dem auch wir als
Grüne sehr viel halten. Dabei geht es um eine deutliche
Bevorteilung der Innenstadtlagen gegenüber der grünen
Wiese. Ich denke, man sollte in diesem Haus parteiüber-
greifend ernsthaft darüber nachdenken, dass man die Ent-
scheidung den Kommunen überlassen sollte. Die Kom-
munen sollten entscheiden, was eine Innenstadtlage und
was eine grüne Wiese ist, und sie sollten durch eine zeit-
liche Differenzierung der Ladenöffnungszeiten den Ge-
schäften in Innenstadtlagen einen größeren Spielraum
und somit auch einen klaren Wettbewerbsvorteil geben.

Dabei gibt es eine Menge Verbündete. Beispielsweise
tritt der Deutsche Städte- und Gemeindetag für ein solches
Innenstadt- oder City-Privileg ein.


(Ute Kumpf [SPD]: Der Mittelstand!)

Bestimmte Einzelhandelsverbände, der Zentralverband
des Deutschen Handwerks und eine ganze Reihe von
Bundesländern haben am 30. Januar dieses Jahres im
Bundesrat eine Prüfbitte gestellt, um die räumliche und
zeitliche Differenzierung der Ladenöffnungszeiten zu
eruieren. Ich denke, auch der Deutsche Bundestag sollte
diesen Gedanken aufgreifen und einmal ernsthaft darüber
diskutieren.

Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren bereits
eine ganze Menge Maßnahmen ergriffen, um dem Einzel-
handel und auch dem Mittelstand unter die Arme zu grei-
fen. Eine ganz wichtige Maßnahme – auch das soll hier
nicht unerwähnt bleiben – ist die Anrechnung der Gewer-
besteuer auf die persönliche Einkommensteuer. Dadurch
werden insbesondere die Personengesellschaften im Ver-
gleich zu den Kapitalgesellschaften deutlich besser gestellt.

Ein weiterer wichtiger und großer Schritt war der Auf-
bau eines Niedriglohnsektors. Ich denke, auch hier haben
wir sehr viel erreicht. Der Hauptverband des Deutschen
Einzelhandels rechnet aufgrund dieser Maßnahme mit
100 000 neuen Jobs. Wir haben außerdem dem Mittel-
stand und insbesondere den kleinen Betrieben – auch das
geht in die gleiche Richtung – durch die Verankerung ei-
ner Mittelstandskomponente in Basel II und durch den
Verlustvortrag Vorteile verschaffen können, die sie in der
Vergangenheit nie hatten. Wir, die rot-grüne Koalition
und insbesondere das Bündnis 90/Die Grünen, nehmen
die Probleme des Mittelstands also ernst. Wir tun etwas,
was die heutige Opposition in ihren Regierungszeiten nie
gemacht hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Könnte man sich noch für ein City-Privileg erwärmen,
dann hätte man zusammen mit den eben genannten Maß-
nahmen ein echtes Gesamtkonzept zur Stärkung von
Klein- und Kleinstbetrieben sowie der Geschäfte in City-
lagen.

Mittelstand wurde in der Vergangenheit insbesondere
bei der FDP immer groß geschrieben. Wann immer es aber
um die Umsetzung ging, kam bei Ihnen nur Kleinge-
drucktes heraus. Das finde ich schade.

Meine Redezeit ist, wie ich gerade sehe, leider um.

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mach ruhig weiter!)

Deshalb nur noch einen Satz: Ich appelliere an das Haus,
über die von mir vorgetragenen Vorschläge ernsthaft
nachzudenken.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: So viele Kröten, wie die Grünen schlucken müssen, kann man gar nicht über die Straße tragen!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502512100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-

Fraktion.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1502512200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Wir

diskutieren heute Nachmittag darüber, ob die Laden-
schlusszeiten an Samstagen um weitere vier Stunden ver-
längert werden sollen. Ich finde diese Debatte peinlich
und auch unnötig, weil der Wirtschaftsstandort Deutsch-
land – man muss sich nur die hohen Steuern und Abgaben
sowie die hohe Arbeitslosenzahl anschauen – große Pro-
bleme hat. Trotzdem diskutieren wir über jede weitere
Stunde, um die die Ladenöffnungszeiten verlängert wer-
den sollen. Diese Debatte geht völlig an dem vorbei, was
tatsächlich notwendig wäre.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Ja, völlig kleingeistig)


Herr Kollege, Sie haben zwar das City-Privileg und
auch viele andere Regelungen angesprochen. Aber das
Beste wäre, wenn wir nicht nur daran dächten, Kosten,
Steuern und Abgaben zu senken, sondern auch mit der
Task Force für den Bürokratieabbau Ernst machten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll das
Gesetz über den Ladenschluss zukünftig nicht mehr elf,
sondern nur noch neun Seiten umfassen. Insofern sind ei-
nige Regelungen – man höre und staune – tatsächlich
weggefallen. Aber es befinden sich noch immer genügend
Klein- und Kleinstregelungen in diesem Gesetz. Ich
möchte Ihnen nur eine einzige vorlesen, die den Geist, der
durch dieses Gesetz weht, sehr deutlich macht. In § 3 des
Gesetzes über den Ladenschluss, den Sie unverändert las-
sen, steht: „Die bei Ladenschluss anwesenden Kunden
dürfen noch bedient werden.“ Das ist ja prima. Hoffent-
lich geht das nicht zu weit über 20 Uhr hinaus. Es ist ein-
fach peinlich, dass wir uns in der jetzigen hochbrisanten


(A)



(B)



(C)



(D)


1960


(A)



(B)



(C)



(D)






Wirtschaftslage auch noch um solche Kleinigkeiten küm-
mern. Ihnen fehlt der große Wurf.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Sie distanzieren sich von Ihrem eigenen Gesetz! Interessant!)


Wir haben Sie gebeten, zu unserem Vorschlag einer kon-
sequenten, unbürokratischen Regelung Ja zu sagen, näm-
lich zu der Abschaffung von gesetzlichen Regelungen
der Ladenschlusszeiten an Werktagen. Auch für uns
bleibt der Sonntag verfassungsrechtlich geschützt. Et-
waige Sonderregelungen fallen in die Kompetenz von
Ländern und Kommunen. Der Bund soll damit nichts wei-
ter zu tun haben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Nein, der Schutz des Sonntags ist eine nationale Aufgabe!)


Alle Bedenken, die gerade von Gewerkschaftsseite
kommen, können wir mit dem Hinweis auf das Arbeits-
schutzgesetz für nicht tarifgebundene Firmen, die Bran-
chentarife für tarifgebundene Firmen, die Regelungen zur
Festsetzung der Höchstarbeitszeiten und die Möglichkei-
ten des Ausgleichs entkräften. Von daher sollte es keine
Probleme geben. Ich finde es aber bedenklich, wenn die
Gewerkschaft Verdi mit Protesten und Demonstrationen
droht


(Klaus Brandner [SPD]: Wie auch die Handwerker am Brandenburger Tor!)


und ankündigt, dass sie als Ausgleich für die längeren Öff-
nungszeiten weitere Zuschläge fordern werde. Im Augen-
blick wird für samstags von 14 bis 16 Uhr ein Zuschlag
von 20 Prozent gezahlt. Diese Regelung möchten die Ge-
werkschaften auf die Zeit bis 20 Uhr ausdehnen. Ich
möchte nicht, dass es zu einer Änderung des Manteltarifs
in dem Bereich kommt.


(Klaus Brandner [SPD]: Das machen doch die Verbände!)


Mein Vorredner, Herr Ulrich, war ja mit erfrischend neuen
Gedanken ausgestattet und hat gesagt: Das geht zu weit.
Auch den Gewerkschaften muss dringend einmal gesagt
werden, wo ihre Grenzen sind.


(Ute Kumpf [SPD]: Aber nicht so!)

Wir können uns nicht das diktieren lassen, was vorgestern
Geltung hatte.


(Beifall bei der FDP)

Herr Staatssekretär Staffelt, Sie haben den HDE ge-

nannt. Ich möchte da eine kleine Korrektur anbringen.
Der HDE hat gesagt: Der Gesetzentwurf der rot-grünen
Regierung ist besser als nichts. Wir dürfen demnächst we-
nigstens samstags vier Stunden länger öffnen. Besser fän-
den wir natürlich die konsequente Lösung, das Laden-
schlussgesetz für Werktage völlig fallen zu lassen.


(Ute Kumpf [SPD]: Das sagen aber nicht die Kleinen vom HDE! – Weitere Zurufe)


– Sechsmal 24 Stunden. Vielen Dank. – Das heißt nicht
– das sage ich noch einmal ausdrücklich –, dass 24 Stun-

den lang geöffnet werden muss, aber jeder soll die Chance
dazu haben. Auch zum Besten der kleineren mittelständi-
schen Unternehmen soll für jeden und jede die Chance be-
stehen, in der Zeit zu öffnen, von der er oder sie meint,
branchenspezifisch am besten Umsätze machen zu kön-
nen.


(Beifall bei der FDP)

Es liegt doch im ureigenen Interesse der Marktteilneh-

mer, der Anbieter und derjenigen, die Dienstleistungen
nachfragen, dass sie es selbst regeln können. An die Re-
gierungsseite sage ich: Trauen Sie doch den Menschen
mehr zu!


(Klaus Brandner [SPD]: Sagen Sie uns mal etwas zum Sonntag!)


Wir brauchen Gott sei Dank nicht überall politische Ein-
griffe und gesetzgeberische Maßnahmen. Wir brauchen
keinen Gesetzgeber, der den Schlüssel der Ladentür her-
umdreht und den Marktteilnehmern vorschreibt, wann sie
was wie machen dürfen.

Ich sage Ihnen noch einmal: Die Lage des Handels ist
dramatisch. Für das Jahr 2003 – Sie wissen es – wird ein
weiterer Umsatzrückgang von 1,5 Prozent prognostiziert.
Auch die stark gestiegenen Kosten für Energie sowie die
stark gestiegenen Steuern und Abgaben und der Konsum-
verzicht der Verbraucher setzen dem Handel enorm zu.


(Karl-Josef Laumann die noch zehn Jahre weitermachen, haben wir wieder Bezugsscheine!)


Das sind die Probleme! Wir können den Marktteilneh-
mern auf diesem Gebiet wenigstens zu etwas mehr Frei-
heit – weniger Bürokratie, weniger Vorschriften – verhel-
fen. Deshalb kann es eigentlich nur eine logische
Konsequenz geben, nämlich die, dass das gesamte Haus
den Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion be-
schließt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1502512300

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Grotthaus,

SPD-Fraktion.


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1502512400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich zuerst einmal zu
dem Stellung beziehe, was der Kollege Kues gesagt hat.
Ich erinnere daran, dass wir im Dezember den Gesetzent-
wurf der FDP und den Antrag der CDU/CSU beraten ha-
ben, in denen es darum ging, die Ladenöffnung praktisch
rund um die Uhr freizugeben. Wir haben das damals ab-
gelehnt,


(Dirk Niebel [FDP]: Ein Fehler!)

und zwar mit dem Hinweis darauf, dass ein Regierungs-
entwurf vorgelegt wird und wir diesen Regierungsentwurf
in jedem Fall unterstützen werden.


(Klaus Brandner [SPD]: Wir halten Wort!)


Gudrun Kopp




Wolfgang Grotthaus
Die Regierung hat Wort gehalten. Wir werden auch Wort
halten. Ich werde in meinen Ausführungen auch darlegen,
weshalb wir glauben, dass dies richtig ist.

Wir haben damals gesagt, dass es keinen Sinn hat,
24 Stunden geöffnet zu haben, weil dies nicht dem Bedarf
der Verbraucher entspricht.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das sollen die selbst entscheiden!)


Wir haben dies auch in Gesprächen mit den Arbeitgeber-
verbänden festgestellt. Uns ist gesagt worden: Es ist
tatsächlich so, dass es für die Zeit nach 20 Uhr keinen Be-
darf mehr gibt.


(Dirk Niebel [FDP]: Waren Sie mal am Bahnhof Friedrichstraße?)


– Herr Niebel, Ihre Zwischenfrage vorhin war schon qua-
lifiziert und Ihre Zwischenrufe bewerte ich als noch qua-
lifizierter. Von daher bitte ich Sie, Ihre Energie für andere
Dinge zu verwenden, vielleicht für bessere Beiträge, die
Sie ja noch leisten können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Kollege Kues hat gesagt, wir hätten keine Linie,
bei uns sei das nichts Halbes und nichts Ganzes. Herr Kol-
lege Kues, wenn sich Ihre Linie nur darin äußert, dass Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer rund um die Uhr zur
Verfügung zu stehen haben, dann sage ich: Mit uns nicht!


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das heißt das ja gar nicht!)


Ich erinnere daran, dass das Ladenschlussgesetz auch ein
Arbeitsschutzgesetz ist. Wenn Sie unter dem Abbau von
Bürokratie letztlich den Abbau von Arbeitnehmerrech-
ten verstehen – alles deutet darauf hin –, dann sagen wir
noch einmal: Mit uns nicht!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Die Arbeitnehmer sollen selbstständig sein können!)


– Mir wird Angst und Bange, wenn ich aus Ihrem Munde
höre, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
selbstständig sein sollen. Ich lade Sie dazu ein, sich ein-
mal anzuschauen, wie es in den Bereichen aussieht, für
die Sie die Selbstständigkeit verlangen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was ist denn mit der Ich-AG?)


Dort gibt es Personen, die von Menschen, die Ihre Ideo-
logie teilen, am langen Gängelband geführt werden. Ich
wiederhole: Sie sind herzlich eingeladen, sich das einmal
anzuschauen.

Wir haben die Flexibilität betont. Diese Flexibilität
wird für den Zeitraum zwischen 6 Uhr und 20 Uhr gelten,
aber nicht für den Zeitraum zwischen 20 Uhr und 6 Uhr.
Die Kollegin Kopp hat die Tarifhoheit beim Zustande-
kommen der Tarifverträge betont. Frau Kollegin Kopp,
diese Tarifverträge werden durch die Verabschiedung die-
ses Gesetzes nicht beeinflusst. Die vorhandene Tarifho-
heit wird strengstens beachtet werden.


(Lachen des Abg. Dr. Hermann Kues [CDU/CSU])


Wir sehen aber immer wieder, dass Sie versuchen, sich
in die Tarifhoheit einzumischen. Dazu sagen wir: Nicht
mit uns! Es gibt einen Arbeitgeberverband und Gewerk-
schaften, die darüber verhandeln werden. Mir wäre es lieb
gewesen, wenn Sie sich ähnlich geäußert und die Grenzen
gewerkschaftlichen Handelns aufgezeigt hätten, als die
Ärzte gedroht haben, an einem Tag in der Woche zu strei-
ken, wodurch sie ihrem Auftrag, im Gesundheitswesen je-
derzeit zur Verfügung zu stehen, nicht nachkommen wür-
den.


(Gudrun Kopp [FDP]: Dazu haben wir uns auch geäußert!)


Dies haben Sie nicht getan. Deshalb sage ich Ihnen: Sie
beweisen immer wieder, dass Sie auf einem Auge blind
sind. Das wissen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer in diesem Lande. Auch deswegen werden Sie in die-
sen Kreisen nicht ernst genommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Hermann Kues [CDU/ CSU]: In Niedersachsen haben sie uns dafür gewählt!)


Der Regierungsentwurf enthält die – aus unserer Sicht
passgenaue – Regelung – ich habe schon gesagt, dass wir
darüber mit den Arbeitgeberverbänden gesprochen haben –,
die Ladenschlusszeiten am Samstag von 16 Uhr auf
20 Uhr zu erweitern. Die Läden werden künftig in der Zeit
von 6 Uhr bis 20 Uhr offen sein dürfen; sie dürfen also
maximal 14 Stunden geöffnet haben. Dank der verlänger-
ten Ladenöffnungszeiten an den traditionell umsatzstar-
ken Samstagen können sich Einzelhandelsunternehmen
besser auf die Bedürfnisse der Verbraucher und auf das
Kundenaufkommen einstellen. Durch eine stärkere Kun-
denorientierung erhalten sie die Chance, die Wachs-
tums- und Beschäftigungspotenziale des Einzelhandels
voll zu nutzen. Im Vordergrund steht dabei immer stärker
der Dienstleistungs- und Erlebnisaspekt. Das Käufer-
verhalten hat an Bedeutung gewonnen und dem trägt die
Regierung mit ihrem Gesetzentwurf Rechnung.

Der Gesetzentwurf der Regierung berücksichtigt den
im Ladenschlussgesetz enthaltenen Ausgleich zwischen
den Interessen der Beschäftigten, der Geschäftsinhaber
und der Verbraucher. Das Thema Ladenschluss – dies ist
allen in diesem Hause bekannt – wird von weiten Teilen
der Gesellschaft diskutiert. Die Lockerung des Laden-
schlusses dürfte deshalb kein Tabu sein und sie ist in un-
serer Fraktion nie ein Tabu gewesen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Die Opposition hat, wie erwähnt, weiter gehende Vor-

schläge, die insbesondere den Arbeitsschutz betreffen,
aufheben wollen. Ich wiederhole: Wir werden das nicht
mitmachen.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Wer wollte den Arbeitsschutz aufheben?)


– Ihnen muss einmal der Sinn des Ladenschlussgesetzes
klar werden.

Mit dem Gesetzentwurf der Regierung bleibt es bei der
Begrenzung der Öffnungszeit an den übrigen Werktagen
bis 20 Uhr. Die Beschäftigten werden weiterhin vor


(A)



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1962


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(C)



(D)






ungünstigen Arbeitszeiten, insbesondere in den späten
Abendstunden, geschützt. Aus dem gleichen Grund set-
zen wir uns auch – zumindest dies scheint in diesem
Hause unstrittig zu sein – für den Erhalt der Sonn- und
Feiertage als gesetzlich geschützte Ruhetage ein.

Die Diskussionen und die Debatten über dieses Thema
machen deutlich, dass es uns gelingen muss, eine Balance
zwischen den Interessen der Unternehmen und den Inte-
ressen der Beschäftigten im Einzelhandel herzustellen.
Wir wissen durchaus, dass wir mit diesem Gesetz nicht
alle Probleme im Einzelhandel lösen. Wir wissen, dass die
Problematik der Belebung der Innenstädte damit in kei-
ner Weise behoben wird. Die Novelle des Ladenschluss-
gesetzes ist nur eine Facette, bei der mit positiven Impul-
sen zu rechnen sein wird.

Wir werden nach der Änderung des Ladenschlussge-
setzes weitere notwendige Initiativen ergreifen müssen.
Wir werden uns damit zu beschäftigen haben, inwieweit
das Bauordnungs- und Planungsrecht, das in die Hoheit
der Länder fällt, dahin gehend geändert werden muss, um
die Innenstädte stärker zu beleben. Wir werden uns mit
der großflächigen Ansiedlung von Einkaufszentren auf
der „grünen Wiese“ beschäftigen müssen. Wir werden da-
rüber zu reden haben, inwieweit auch auf diesem Gebiet
Eingriffe möglich sind.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502512500

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Kopp gestatten?


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1502512600

Der Frau Kopp antworte ich immer gern.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1502512700

Das ist sehr nett; herzlichen Dank, Herr Kollege

Grotthaus. – Sie haben eben ausgeführt, wenn ich es rich-
tig verstanden habe, dass unser Gesetzentwurf arbeits-
rechtliche Regelungen beschneiden wolle. Würden Sie mir
bitte sagen, an welcher Stelle wir dieses beabsichtigen?


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1502512800

Das Ladenschlussgesetz beinhaltet keine Fragen des

Arbeitszeitgesetzes, sondern ist ein Arbeitsschutzgesetz,

(Klaus Brandner [SPD]: Sonderregelung natürlich!)

das dem Schutz der Interessen derArbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer dient. Von daher greifen Sie, wenn Sie
es den Läden gestatten wollen, rund um die Uhr zu öffnen,


(Klaus Brandner [SPD]: Sonntags vor allen Dingen!)


unmittelbar in schutzwürdige Interessen der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer ein. Nichts anderes beab-
sichtigen Sie.


(Beifall bei der SPD Gudrun Kopp [FDP]: Stimmt nicht!)


Ich halte also fest: Einen allumfassenden Anspruch in
Bezug auf die Revitalisierung der Innenstädte erhebt die-
ses Gesetz nicht. Es wäre auch der falsche Ansatz, alle
Probleme des Einzelhandels und seiner Beschäftigten
über dieses Gesetz regeln zu wollen. Wir ermöglichen es
den Einzelhandel mit diesem Gesetz, die Handelsumsätze
voll abzuschöpfen, indem wir die Öffnungszeiten gemäß
den Verbraucherbedürfnissen regeln und anpassen. Hier
hat, wie wir meinen, die Regierung solide gearbeitet und
einen für alle Seiten tragfähigen Kompromiss vorgelegt.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal das grundle-
gende Ziel des Regierungsentwurfs: Die Bundesregierung
reagiert mit dieser Gesetzesvorlage auf ein verändertes
Verhalten der Verbraucher, in deren Interesse eine Aus-
weitung der Öffnungszeiten an Samstagen liegt. Die Fest-
legung auf um vier Stunden verlängerte Öffnungszeiten
am Samstag zielt wiederum darauf ab, die Beschäftigten
des Einzelhandels vor Tätigkeiten zu sozial ungünstigen
Zeiten zu schützen. Wir haben dies getan, um dem
tatsächlichen Verbraucherverhalten, wie ich es gerade be-
schrieben habe, Rechnung zu tragen. Dabei kommt unsere
Gesetzesvorlage, die ja schon einen Kompromiss dar-
stellt, wie wir meinen, gut weg. Uns wurde bei den Ge-
sprächen mit den Verbänden signalisiert, dass diese Lö-
sung tatsächlich kompromissfähig ist. Von daher sehen
wir der Anhörung, die am 10. März stattfinden wird, mit
Interesse entgegen und sind gespannt, ob dann die Ver-
bände, die mit uns geredet haben, dies ebenfalls noch ein-
mal in aller Öffentlichkeit bestätigen werden.

Dies deckt sich im Übrigen auch – Herr Staatssekretär
Staffelt hat es schon erwähnt – mit den Erfahrungen aus den
Versuchen mit verlängerten Ladenöffnungszeiten anläss-
lich der EXPO. Ich bin mir sicher, dass diese Fakten dazu
dienen werden, nach der Anhörung zu einem Kompromiss
in diesem Haus zu kommen. Ich bin mir auch sicher, dass
bei der zweiten und dritten Lesung die Gemeinsamkeiten
doch ein bisschen stärker herausgestellt werden.

Es kommt, so meine ich abschließend festhalten zu kön-
nen, darauf an, den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten
und uns nicht von ihm überrollen zu lassen; das will doch
keiner von uns. An dieser Stelle hat die Bundesregierung
gehandelt, gestaltet und modernisiert. Daran mitzuwirken
sind alle, Herr Kollege Ulrich, eingeladen. Deswegen habe
ich mit Freude Ihre Bemerkung zum Gewerkschaftskolle-
gen Bsirske, der ja Ihr Parteikollege ist, wahrgenommen.
Sie können in den nächsten Wochen die Gelegenheit nut-
zen, den Kollegen Bsirske davon zu überzeugen, –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502512900

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1502513000

– dass er diesem Entwurf zustimmt. Auch darauf sind

wir gespannt.
Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Aufmerksam-

keit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wolfgang Grotthaus






Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502513100

Bevor ich dem Kollegen Singhammer das Wort erteile,

erhält der Kollege Niebel Gelegenheit zu einer Kurzinter-
vention.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502513200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege

Grotthaus, entsprechend Ihrem Wunsch, meine Energie
nicht in einen Zwischenruf zu stecken, sondern sie ander-
weitig zu verwenden, werde ich das in einer Kurzinter-
vention tun.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie springen aber auch auf alles an!)


Sie haben in Ihrer Rede festgestellt, es gebe keinen Be-
darf für Einkäufe nach 20 Uhr. Nun möchte ich Ihnen
nicht die Pflicht aufdrücken, sich einmal kundig zu machen
und Informationen darüber einzuholen, weshalb an Tank-
stellen, in Bahnhöfen und auf Flughäfen eingekauft wird.


(Klaus Brandner [SPD]: Wollen Sie das abschaffen?)


Aber Sie selbst sind wahrscheinlich auch schon öfter in
der Situation gewesen, dass Sie nach 20 Uhr und vor
22 Uhr beim Edeka im Bahnhof Friedrichstraße einge-
kauft haben. Da stehen die Schlangen bis in die Bahn-
hofsvorhalle und die Leute werden nur kontingentiert he-
reingelassen. So hoch ist der Bedarf um diese Zeit.

Ich habe zwar im „Kürschner“ gelesen, dass Sie Mit-
glied der IG BCE und der IG Metall sind, ich habe aber
nicht finden können, dass Sie einmal Einzelhändler oder
gar Lebensmitteleinzelhändler gewesen wären. Deswe-
gen frage ich Sie, welches Recht Sie sich als Gesetzgeber
eigentlich herausnehmen, wenn Sie jemandem sagen wol-
len, wann er arbeiten und wann er nicht arbeiten darf. Mit
welchem Recht versuchen Sie, uns zu unterstellen, wir
wollten den Arbeitsschutz abbauen, obwohl doch das Ar-
beitszeitgesetz in Kraft bleibt, Tarifverträge und arbeits-
vertragliche Regelungen in Kraft bleiben, kein Mensch im
Einzelhandel wird mehr arbeiten müssen, als das heute
der Fall ist, und sich nur die Arbeitszeiten den Gegeben-
heiten einer modernen Gesellschaft anpassen?

Als Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
sollten Sie wissen, dass viele Berufsgruppen in diesem
Land nicht von Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr ar-
beiten. Sie selbst gehören einer solchen Berufsgruppe im
Moment an. Es gibt Freiberufler, die an jedem Wochen-
ende in ihrem Büro, ihrer Kanzlei oder ihrer Praxis sind.
Es gibt Krankenschwestern, die zu allen Tages- und
Nachtzeiten arbeiten. Das gilt ebenso für Feuerwehrleute,
Polizistinnen und Polizisten, Soldatinnen und Soldaten
und eine Vielzahl weiterer Berufsgruppen. Einzig das
antiquierte Ladenschlussgesetz wollen Sie aus ideolo-
gischen Gründen aufrechterhalten.

Geben Sie den Menschen die Freiheit, selber zu ent-
scheiden, wann sie ihre Geschäfte öffnen bzw. wann sie
konsumieren! Was Sie uns hier verkaufen wollen, ist hin-
terwäldlerische, mittelalterliche Politik.


(Beifall bei der FDP – Zustimmung des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502513300

Herr Kollege Grotthaus, möchten Sie antworten? –

Bitte schön.


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1502513400

Herr Kollege Niebel, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie

meine Gewerkschaftszugehörigkeit angesprochen haben.
Ich bin stolz darauf, schon fast 40 Jahre in der Gewerk-
schaft zu sein. Sie sollten einmal überlegen: Vielleicht
hätten auch Sie, wenn Sie Mitglied einer Gewerkschaft
wären, einen anderen Sozialisationsprozess erlebt und
vielleicht hätten Sie dann für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in diesem Staat mehr Verständnis; denn das
vermisse ich bei Ihnen sehr oft.

Ich spreche Sie deswegen persönlich an, weil Sie mich
auf meine Gewerkschaftszugehörigkeit angesprochen
haben. Ich sage Ihnen noch einmal: Ich bin stolz darauf.
Wenn man uns Sozialdemokraten als Gewerkschafter be-
zeichnet, dann empfinde ich das nicht als Schimpfwort,
sondern als Lob, da wir uns für die Menschen in diesem
Staat einsetzen, die Hilfe brauchen.


(Beifall bei der SPD)

Zu dem, was Sie zu den Einkäufen an Tankstellen,

Flughäfen und Bahnhöfen gesagt haben: Das erlebe auch
ich, Herr Kollege Niebel, aber ich sehe ebenso, wie viele
Menschen dort stehen. Sie können nicht Berlin mit der
Stadt, aus der ich komme, oder mit anderen Mittelzentren
vergleichen.


(Dirk Niebel [FDP]: Der Händler muss doch nicht aufmachen, wenn er nicht will!)


Ist es denn so wichtig, nach 20 Uhr einkaufen zu kön-
nen? Ist es nicht sinnvoll, abzuwägen, ob die Arbeitneh-
merinteressen, die Interessen des Einzelhandels und die
Verbraucherinteressen in Übereinstimmung gebracht
werden können?

Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben uns mit dem
HDE unterhalten.


(Gudrun Kopp [FDP]: Wir auch!)

– Dann werden wir ja eine sehr interessante öffentliche
Anhörung haben. – Der HDE hat uns gesagt, der Bedarf
sei nach 20 Uhr nicht mehr vorhanden.


(Gudrun Kopp [FDP]: Dann können sie doch zumachen! Kein Problem!)


Wir werden uns an diesen Bedarf anpassen. Von daher
stellt sich für uns diese Frage nicht. Wir orientieren uns
nicht an der einzelnen Tankstelle in einem bestimmten
Gebiet, in dem es vielleicht nicht viele Einzelhändler
gibt, sondern wir sorgen dafür, dass die Familie an Sams-
tagen, wenn sie komplett ist, ihren Erlebniseinkauf täti-
gen kann.

Von daher werden Sie uns von unserem Entschluss,
dem Regierungsentwurf zuzustimmen, nicht abbringen
können. Da nützen noch so viele Kurzinterventionen und
Zwischenfragen nichts.


(Beifall bei der SPD)



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1964


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Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502513500

Das Wort hat nun der Kollege Johannes Singhammer,

CDU/CSU-Fraktion.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1502513600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Deutschland kann sich halbe Sachen nicht mehr leis-
ten. Vor wenigen Tagen, am Montag dieser Woche, haben
Zehntausende Einzelhändler, Gastronomen und Hand-
werker einen verzweifelten Hilferuf an die Politik gerich-
tet und gegen die rot-grüne Bundesregierung demons-
triert: Tausende in München, Tausende in Berlin,
Tausende in Hamburg, Tausende in Düsseldorf. Insgesamt
haben in den vergangenen zwei Wochen mehr als
200 000 Menschen in Deutschland auf Protestkundge-
bungen ihren Unmut zum Ausdruck gebracht.

Wenn Einzelhändler und Handwerksmeister ihr Ge-
schäft verlassen, Umsatzverluste in Kauf nehmen und
sich bei Schnee und Kälte vielleicht zum ersten Mal an ei-
ner Demonstration beteiligen, dann muss die Situation in
Deutschland schon dramatisch sein. In der Tat: Der Ein-
zelhandel hat im vergangenen Jahr das schlechteste Er-
gebnis seit dem Kriegsende 1945 zu verkraften. Auch die
Vorhersagen für das eben begonnene Jahr 2003 geben we-
nig Anlass zur Hoffnung: 9 000 Konkurse im vergangenen
Jahr, 9 000 Konkurse in diesem Jahr. Solch düstere Pro-
gnosen erreichen uns. In wenigen Wochen – das fürchten
wir alle – wird in Deutschland die Schallmauer von 5Mil-
lionen Arbeitslosen überschritten.

Die Botschaft nicht nur dieser Demonstranten, sondern
aller Menschen in Deutschland an die politisch Verant-
wortlichen ist klar und eindeutig: Schluss mit unnötigen
Vorschriften, die blockieren! Weg mit hemmender Büro-
kratie! Öffnet die Schranken für mehr Eigenverantwor-
tung und Freiheit! Gebt dem Handel Entscheidungsfrei-
heit über Ladenöffnungszeiten!


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Da sehen wir mal: Sie korrigieren Ihre eigene Politik!)


Macht keine halben Sachen, sondern klare und einfache
Lösungen!

Der rot-grüne Gesetzentwurf, nur an Samstagen die
Öffnungszeiten zu verlängern, genügt nicht. Sie von Rot-
Grün sprechen immer wieder von Reformen und Reform-
tempo. Das Zustandekommen Ihres Gesetzesvorschlages
ist dafür wieder ein schlechtes Beispiel: Die Bundesre-
gierung hat für die Regelung, die Öffnungszeiten um nur
vier Stunden pro Woche zu erweitern, ein halbes Jahr
benötigt. Mit diesem Tempo werden Sie der Situation in
Deutschland nicht gerecht.

Unser Vorschlag, der der Union, ist klar und großzügig
und beinhaltet keine zusätzliche Bürokratie: Erstens. Wer
einkaufen will, soll das künftig rund um die Uhr tun kön-
nen. Zweitens. Sonntage und Feiertage bleiben uns heilig.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Mit dieser Regelung
haben alle Ladenunternehmer die gleichen Chancen wie
bisher Tankstellen und Geschäfte in Bahnhöfen oder in
Flughäfen. Jetzt werden Ladenbesitzer nicht mehr gegen-

über dem zunehmenden Internethandel benachteiligt,
der ohne Ladenöffnungsregeln rund um die Uhr anbieten
kann. Familien mit Kindern können Kindererziehung,
Büro- und Berufszeiten, Haushalt und Einkauf besser pla-
nen. Die Unternehmer haben die Chance, sich exakt die
Tageszeiten herauszusuchen, die für sie am interessantes-
ten und am besten sind. Ein Öffnungszwang, wie er im-
mer wieder unterstellt wird, existiert nicht, sondern Öff-
nungsfreiheit.

Rot-Grün bleibt dagegen beim alten Wahlspruch seiner
Regierungszeit in den vergangenen viereinhalb Jahren:
Wo immer eine Schwierigkeit auftaucht, sehen Sie
zunächst die Probleme und nicht die Chancen. Wir sagen:
Wir müssen die Chancen erkennen. Mut lohnt sich und
Angst lähmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Richtig ist natürlich, dass dies für die einzelne Verkäu-

ferin und den einzelnen Verkäufer zu Umstellungen
führen wird. Aber das Arbeitszeitgesetz ändert sich ent-
gegen dem, was Sie, Herr Grotthaus, soeben gesagt ha-
ben, dadurch nicht. Vielmehr wird in ihm für jeden die
maximale tägliche Arbeitszeit festgeschrieben. Die Ver-
teilung der Arbeitszeiten sowie Zuschläge für mehr Früh-
oder Spätarbeit können und werden die Tarifvertragspar-
teien regeln, wie sie das bisher auch getan haben. Ich
meine, es ist in vielen Fällen besser, künftig nach 18 Uhr
eine Stunde mehr zu arbeiten und dafür mehr Sicherheit
in Bezug auf den Arbeitsplatz zu haben, als keinen Ar-
beitsplatz mehr zu haben. In vielen Bereichen ist es für die
Beschäftigten besonders attraktiv – das zeigt sich derzeit
in den Tarifverträgen –, während der späten Ladenöff-
nungsstunden beschäftigt zu sein.

Die Rentabilität wird steigen. Längere Ladenöff-
nungszeiten führen zu verbesserten Betriebsergebnissen.
Eine Untersuchung des Kölner Instituts für Handelsfor-
schung zeigt, dass die Verlängerung der Ladenöffnungs-
zeit um eine Stunde die Umsatzrendite statistisch um
0,14 Prozentpunkte erhöht. Das heißt also, mehr Gele-
genheit kann auch mehr Umsatz bringen.

Ihnen von Rot-Grün passt das nicht. Nachdem der Chef
der SPD-Fraktion, Herr Müntefering, die Devise ausge-
geben hat „Weniger privater Konsum, dafür mehr Geld
für den Staat!“, macht Ihre Politik in Bezug auf die La-
denöffnungszeiten natürlich Sinn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir halten diese Weichenstellung allerdings für grund-
sätzlich falsch.


(Hubert Ulrich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Singhammer, Sie sollten zuhören!)


– Sie haben sich in manchen Bereichen durchaus als frei
denkender Kollege gezeigt, deshalb nehme ich den Zwi-
schenruf gerne entgegen.

Besonders mittelständischen Betrieben bieten sich
neue Chancen, trotz aller Schwierigkeiten bei der Um-
stellung. Es steht nirgendwo geschrieben, dass nur große
Konzerne und Verkaufsketten von einer Freigabe des La-
denschlusses profitieren. Die flexiblen Öffnungszeiten




Johannes Singhammer
für kleine Betriebe eröffnen auch neue Chancen. Es ist
nicht so, dass Tante Emma – falls sie überhaupt noch exis-
tiert – jetzt plötzlich 24 Stunden hinter der Ladentheke
stehen müsste, um konkurrenzfähig zu bleiben.


(Klaus Brandner [SPD]: Das würde die auch gar nicht aushalten!)


Das ist nicht das Thema. Jeder hat künftig die Chance, die
für ihn günstigsten Geschäftszeiten herauszusuchen.

Noch etwas: Anwohner von Geschäften brauchen kei-
ne Angst vor Lärm rund um die Uhr zu haben; denn selbst-
verständlich gelten auch weiterhin die Lärmschutzvor-
schriften.

Offene Läden während der Woche und Ruhe an Sonn-
und Feiertagen, das ist die richtige Balance zwischen Frei-
heit und Respekt vor den kulturellen und religiösen
Grundfundamenten unseres Landes.

Wenn Rot-Grün das Wort Reform in den Mund nimmt,
dann bedeutet das meist Stillstand, Zögerlichkeit und
halbe Sachen. Wir wollen den Aufbruch, damit es den
Menschen in Deutschland wieder besser geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502513700

Das Wort hat nun der Kollege Manfred Zöllmer, SPD-

Fraktion.

(Klaus Brandner [SPD]: Jetzt kommt wieder ein Fachmann!)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1502513800

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Lieber Kollege Singhammer, ich muss leider fest-
stellen: Sie haben argumentativ sehr schwach begonnen,
dafür dann aber ganz stark nachgelassen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Der Spruch kommt mir irgendwie bekannt vor!)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundes-
regierung wird das Ladenschlussgesetz modernisiert. Der
Samstag wird den anderen Werktagen gleichgestellt und
die Pflicht zur Schließung um 14 Uhr vor verkaufsoffenen
Sonntagen wird aufgehoben. Der Sonntag bleibt ge-
schützt. Diese Regelung ist bedarfsorientiert und zeit-
gemäß. Damit wird das Ladenschlussgesetz den Wün-
schen und Bedürfnissen der Verbraucherinnen und
Verbraucher und des Einzelhandels angepasst.


(Gudrun Kopp [FDP]: Woher wissen Sie das?)

Mit dieser Änderung werden aber auch die Belange der
Beschäftigten berücksichtigt. Das unterscheidet unseren
Gesetzentwurf von Ihren Vorschlägen.


(Beifall bei der SPD)

Was will die Opposition? Sie wollen – das haben Sie in

Ihren Beiträgen hier sehr deutlich gemacht – letztendlich
das Ladenschlussgesetz abschaffen, die FDP komplett – –


(Gudrun Kopp [FDP]: An Werktagen!)


– Selbstverständlich, das wollte ich auch gerade sagen;
Sie müssen gar nicht hektisch werden.

Es geht darum, dass alle Geschäfte bis zu 24 Stunden
am Tag – bis auf den Sonntag – öffnen können. Ich muss
feststellen: Diese Vorschläge der Opposition sind leider
Ausdruck Ihres politischen Realitätsverlustes.


(Gudrun Kopp [FDP]: Umgekehrt auch!)

Gesetze regeln nun einmal das Zusammenleben der Men-
schen und sie regeln genauso wirtschaftliche Zusammen-
hänge. Das Ladenschlussgesetz hat eindeutig und unbe-
streitbar eine Lenkungs- und auch eine Schutzfunktion.
Diese besteht zu Recht, denn wir müssen, wenn wir über
Öffnungszeiten reden, vier Aspekte berücksichtigen:

Da gibt es das Bedürfnis der Verbraucherinnen und
Verbraucher, möglichst bequem und ohne Zeitdruck ein-
kaufen zu gehen.

Da ist der Einzelhandel, der eine größere Flexibilität bei
den Öffnungszeiten fordert, um seine Umsätze zu erhöhen.

Da ist die Schutzfunktion des Ladenschlussgesetzes.
Es gilt, die notwendigen Arbeitnehmerschutzrechte zu be-
wahren und zu erhalten – wir haben das hier eben gehört.

Last but not least ist da der Aspekt des Erhalts der Ur-
banität unserer Städte, des Erhalts der zentralen Funktio-
nen unserer Innenstädte.

Bei einer Reform des Ladenschlussgesetzes müssen
alle vier Aspekte berücksichtigt werden. Verbraucherinnen
und Verbraucher kaufen ein, um ihren täglichen Bedarf zu
decken. Das Stichwort Erlebniseinkauf zeigt aber, dass
Einkaufen heutzutage auch andere Bedürfnisse befriedigt.

Untersuchungen haben längst belegt, dass der Samstag
eine entscheidende Bedeutung für das Kaufverhalten hat.
An diesem Tag – für die meisten ein Tag ohne alltägliche
Hektik und Verpflichtungen – braucht es eine deutliche
Änderung der Öffnungszeiten, um einen Einkauf ohne
Stress zu ermöglichen. Heutzutage sieht es häufig so aus,
dass die Kundinnen und Kunden am Samstag um 16 Uhr
fast mit Gewalt aus den Geschäften vertrieben werden
müssen. Hier ist tatsächlich Regelungsbedarf vorhanden.

Wir und dieser Gesetzentwurf nehmen die Bedürfnisse
und Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher in
unserer Gesellschaft ernst. Gott sei Dank wird endlich die
unsinnige Regelung beseitigt, vor einem verkaufsoffenen
Sonntag am Samstag die Geschäfte um 14 Uhr schließen
zu müssen. Diese Regelung war niemandem verständlich.
Sie war überflüssig wie ein Kropf.

Sie, CDU/CSU und FDP, argumentieren im Zusammen-
hang mit Ihren Anträgen allen Ernstes: Weil andere
schlechte Arbeitszeiten haben, können die Interessen der im
Einzelhandel Beschäftigten keine Rolle spielen. Ich muss
feststellen: Sie sind nicht in der Lage, ausgewogene, faire
und für alle Seiten vertretbare Lösungen zu entwickeln. Wir
dürfen unsere Augen nicht davor verschließen, dass im Ein-
zelhandel überwiegend Frauen arbeiten. Wie soll denn eine
Versorgung von Kindern gewährleistet sein, wenn die Mut-
ter bis Mitternacht im Laden stehen muss?

Ich verfolge die Debatten in diesem Haus seit einiger
Zeit sehr aufmerksam, weil ich gern wissen möchte, was
die Opposition eigentlich an konkreten Vorschlägen an-


(A)



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1966


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zubieten hat. Hier, im Falle des Ladenschlussgesetzes, ha-
ben wir einen der ganz wenigen Fälle, bei dem CDU/CSU
und FDP klar sagen, was sie eigentlich politisch wollen.
Sonst überbieten sie sich ja geradezu darin, rhetorische
Nebelkerzen zu werfen, um ihre politischen Absichten im
Unverbindlichen zu lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb bin ich sehr dankbar, dass Sie in dieser Frage die
Katze aus dem Sack gelassen und klar gesagt haben, was
Sie eigentlich wollen.


(Dirk Niebel [FDP]: Das haben wir auch schon früher gemacht!)


Eine Prüfung Ihres Vorschlages zeigt eindeutig: Ihre
Vorschläge sind arbeitnehmerfeindlich,


(Dirk Niebel [FDP]: Quatsch!)

Ihre Vorschläge schaden letztendlich den Strukturen des
Einzelhandels und der Urbanität in den Städten.


(Dirk Niebel [FDP]: Auch Quatsch!)

Ich kann nur feststellen: Sie, die Opposition, sind nicht
fähig, unterschiedliche gesellschaftliche Bedürfnisse zu
berücksichtigen. Deshalb sitzen Sie zu Recht auf den Op-
positionsbänken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502513900

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1502514000

Ja. – Der Vorschlag der Bundesregierung zur Änderung

des Ladenschlussgesetzes liegt auf dem Tisch. Zukünftig
können Verbraucherinnen und Verbraucher an sechs Ta-
gen 14 Stunden lang einkaufen. Dies liegt in ihrem Inte-
resse. Dies gibt einen wichtigen positiven Impuls zur
Stärkung des privaten Konsums. Dies unterstützt auch
den Mittelstand in unserem Lande und achtet die berech-
tigten Interessen der im Einzelhandel beschäftigten Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb wird die
SPD-Fraktion diesen Vorschlag unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502514100

Herr Kollege Zöllmer, dies war Ihre erste Rede im

Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratuliere
mit allen guten Wünschen für die weitere Arbeit.


(Beifall)

Die unvermeidlichen Schwierigkeiten im Kampf mit

den vorgegebenen Redezeiten machen einmal mehr deut-
lich, dass manchmal der Bedarf an Zeit größer ist als die
zur Verfügung gestellte.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP])


Nun erteile ich als letztem Redner in dieser Debatte
dem Kollegen Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1502514200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Ich würde zunächst einmal empfehlen, bei diesem
Thema, das konkret den Ladenschluss und seine Rege-
lungen betrifft, abzurüsten. In der Sache sind wir gar nicht
so weit auseinander; wir werden einen Weg finden. Das ist
auch mehr als überfällig. Wir selber haben vor einigen
Jahren noch andere Positionen vertreten, aber wir haben
inzwischen dazugelernt.


(Klaus Brandner [SPD]: Das sind ganz neue Töne von Herrn Schauerte!)


Unser Streit geht jetzt darüber, ob wir in dieser Sache ge-
nug gelernt haben. Wir haben den Verdacht, dass Sie et-
was weniger gelernt haben als wir.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So freundlich haben Sie das lange nicht formuliert! Wollen Sie etwas von uns?)


Dieser Verdacht ist auch irgendwie berechtigt.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502514300

Wie ich den Kollegen Schauerte kenne, hat er an die-

ser Freundlichkeit lange geübt. Man sollte ihn jetzt nicht
unnötig provozieren, von dieser gefundenen Linie abzu-
weichen.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1502514400

Das Ladenschlussgesetz war entgegen mancher Be-

hauptung nie ein reines Arbeitnehmerschutzgesetz, son-
dern immer auch ein Unternehmer- und Mittelstand-
schutzgesetz. Es enthielt immer beide Elemente. Es ist in
einer Zeit entstanden, in der wir wirtschaftspolitisch sehr
viel anders gedacht haben als heute.


(Gudrun Kopp [FDP]: Sind Sie sicher? – Klaus Brandner [SPD]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)


Ich möchte nicht weiter auf die Gesetzesbegründung ein-
gehen und empfehle Ihnen auch gar nicht, sich die Ent-
stehungsgeschichte anzusehen. Dann bekommen wir alle
ganz braune Ohren. Also lassen wir das besser sein! Es
entstand unter ganz anderen Voraussetzungen.

Auch die deutschen Einzelhändler haben in den letzten
Jahren gelernt, dass die strenge Ablehnung der Öffnung
der Ladenschlusszeiten, die sie vor drei, vier oder fünf
Jahren noch von uns gefordert haben, keinen Sinn machte.
Hier gilt wieder, dass auf der Arbeitnehmerseite, die etwas
stärker bei Ihnen zu Hause ist, dieser Lernprozess etwas
langsamer vor sich geht, genau wie bei Ihnen auch. Das
spiegelt sich wunderschön. Das ist ein Parallelverlauf.


(Heiterkeit bei der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Aber wir haben die richtige Geschwindigkeit, Herr Schauerte!)


Es lohnt sich aber nicht, mit Heftigkeit darüber zu reden.

Manfred Helmut Zöllmer




Hartmut Schauerte

Was wollen wir? Wir wollen keine Öffnung für
24 Stunden. Wir arbeiten hier ja im Rahmen der Reform-
diskussion in unserer Gesellschaft an einem symptomati-
schen Modell zum Warmlaufen. Regelungen, die wirklich
notwendig sind, muss es natürlich geben. Soziale Markt-
wirtschaft ist nie regelungsfrei gewesen. Das soll sie auch
nicht werden. Aber Regelungen, die vielleicht noch einen
behaupteten, aber erkennbar keinen faktischen Nutzen
mehr haben, müssen wir deutlich, das heißt gegen null,
zurückfahren. Genau das ist hier der Fall.

Ich möchte ein paar Widersprüche aufzeigen. Sie sagen
zum Beispiel, wir müssten über das City-Privileg reden.
Das heißt eigentlich, dass Sie meinen, wir müssten in den
Innenstädten sehr wahrscheinlich andere, sprich längere
Ladenöffnungszeiten haben als draußen auf der grünen
Wiese, damit die Städte lebendiger werden. Also folgen
Sie eigentlich unserer Idee, dass längere Ladenöffnungs-
zeiten mindestens in der City Vorteile haben könnten.
Dies wäre logisch. Was soll das sonst? Der Ansatz des
Städtetages ist doch: Wir möchten längere Ladenöff-
nungszeiten. Sie sagen, darüber müsse man nachdenken.
Also haben Sie doch kapiert, dass dieser Ansatz vielleicht
sinnvoll ist.

Nun frage ich zurück: Auch wenn es an einer Stelle
nützlich ist, könnte man es an anderen Stellen dennoch
nicht wollen, weil man regulierend eingreifen, also das
Verhalten der Kunden durch konkrete Regelungen beein-
flussen will. Dies ergäbe ein ganz neues Reglement des
Handels. Ob wir dies durchhalten könnten, bezweifle ich.
Sie haben bei Ihren Vorschlägen also nicht bis zum Ende
gedacht.

Ich kenne viele Unternehmer, die befürchten, dass sie
ihr Geschäft schon deshalb länger aufmachen müssen,
weil sie gar nicht mehr wissen, was der Nachbar macht.
Dies ist eine berechtige Sorge des Mittelstandes. Die Ent-
wicklung im Einzelhandel ist katastrophal. Darüber müs-
sen wir nicht reden und ich muss Ihnen auch nicht die
Zahlen nennen, die kennen Sie alle. Die Binnennachfrage
ist total auf den Hund gekommen. Helfen da jetzt mehr
Schutz, mehr Enge und mehr Restriktionen oder ergeben
sich durch die Öffnung der Ladenschlusszeiten doch noch
Chancen?


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig!)

Lassen Sie uns darüber einfach nur intelligent und ohne

Grabenkämpfe nachdenken! Wie wollen wir uns denn
beim Kündigungsschutz, bei der Arbeitsmarktpolitik und
bei der Gesundheitspolitik überhaupt bewegen, wenn wir
uns bei diesem Thema jetzt schon wieder festfahren? Das
ist meine Sorge. Diese Frage hat für mich symptomati-
schen Charakter. Hoffentlich bestimmt sie nicht die Me-
lodie der gesamten Reformdiskussion, die in diesem Jahr
vor uns liegen muss. Dies wäre schlimm für unser Land.
Lassen wir diese Freiheit doch ein bisschen zu!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt komme ich zur Arbeitnehmersicht. Natürlich

will niemand, dass eine Mutter bis 24 Uhr im Laden ste-
hen muss, wenn sie ihr Kind in dieser Zeit fremd versor-
gen lassen muss. Diese Vorstellung ist geradezu idiotisch.


(Gudrun Kopp [FDP]: Genau!)


Aber wie viel Millionen Menschen gibt es, die sehr gern
zu einer völlig anderen Zeit als bisher das machen möch-
ten, was sie können, nämlich verkaufen,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es!)

weil dies viel besser in ihre Familien-, Lebens- oder Bil-
dungsplanung passen würde?


(Klaus Brandner [SPD]: Dann machen wir Bürokratie!)


– Warum eröffnen wir ihnen diese Chance nicht?
Wir haben doch selbstbewusste Arbeitnehmer und

selbstbewusste Arbeitnehmervertreter, Gewerkschaften.
Vieles von dem, worüber wir gerade diskutieren, ist am
Ende tarifverhandlungsfähig. Warum muss der Staat das
regeln?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

An einer Stelle gibt es vielleicht einen Bruch; das gebe

ich gerne zu. Es geht um den Sonntag. Ich bin durch den
Glauben bzw. – wenn man das so benennen will – ideolo-
gisch geprägt. Für mich ist das eine Glaubensfrage.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist schon richtig!)


– Es gibt auch Leute, die das anders sehen. – Aus meiner
Religiosität heraus trete ich dafür ein, dass der Sonntag
von diesen Überlegungen soweit wie möglich ausgenom-
men wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen haben wir diese Einschränkung vorgenom-

men. Sie ist ein gewisser Systembruch. Das, was ich eben
gesagt habe, müsste eigentlich auch für den Sonntag gel-
ten. Aber bitte nehmen Sie mir ab: Mit einer Ge-
schäftsöffnung am Sonntag habe ich ein Problem; das
gebe ich offen zu. Das muss besonders geregelt werden.
Dies wird zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
nicht unterschiedlich beurteilt. Im Gegenteil: Ich be-
haupte, dass es von allen, die sonst miteinander streiten
mögen, bei entsprechender Grundüberzeugung ähnlich
gesehen wird. Deswegen sollte hier eine Ausnahme ge-
macht werden, an der wir unter allen Umständen festhal-
ten sollten.

Bitte entscheiden Sie sich hinsichtlich des Laden-
schlusses schnell. Es ist schon so lange über das Thema
diskutiert worden, es ist so ausgelutscht.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie wissen, dass das nicht verzögert wird!)


– Es ist interessant, dass Sie das erwähnen. Sie verzögern
doch.


(Klaus Brandner [SPD]: Nein, wir verzögern gar nichts!)


– Ich kann Ihnen auch sagen, warum Sie verzögern wol-
len: Sie sind von der Gewerkschaftsseite gebeten worden,
die Tarifverhandlungen zu diesem Thema abzuwarten, da-
mit das schön zusammenpasst. Eigentlich gehört eine sol-
che Motivation nicht in ein Gesetzgebungsverfahren.

Meine Bitte: Machen Sie schnell! Wir alle wissen, dass
die 20-Uhr-Regelung kommt, zumindest eine Regelung,


(A)



(B)



(C)



(D)


1968


(A)



(B)



(C)



(D)






nach der länger geöffnet wird. Wir sind der Meinung, man
sollte konsequenter sein. Mauern Sie sich bitte nicht so
früh in Ihren gewerkschaftlichen Ängstlichkeiten ein. Ih-
nen wird in den kommenden Monaten noch viel mehr zu-
gemutet werden müssen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502514500

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-

fes auf Drucksache 15/396 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? – Das ist offenkundig nicht der
Fall. Dann haben wir die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Hilfs-

(Hilfsmittelsicherungsgesetz – HSG)

– Drucksache 15/308 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Dr. Ober, SPD-Fraktion.


Dr. Erika Ober (SPD):
Rede ID: ID1502514600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bun-
desrat problematisiert in dem von ihm eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Sicherung der Hilfsmittelversorgung von
Pflegebedürftigen die Abgrenzungsstreitigkeiten zwischen
Kranken- und Pflegekassen. Es geht dabei um die Frage,
wer für die Versorgung von Pflegebedürftigen mit Hilfs-
mitteln sowohl im ambulanten als auch stationären Bereich
zuständig ist. Die Entscheidung über die Zuständigkeit
dürfe nicht vom Einzelfall abhängen – so der Entwurf.

Der Bundesratsentwurf hat weiter zum Ziel, Rechtssi-
cherheit für alle Beteiligten zu schaffen. In ihm wird als
Lösung eine Klarstellung der Hilfsmittelgewährung nach
§ 40 Pflege-Versicherungsgesetz vorgeschlagen. Für den
ambulanten Bereich bestätigt der Bundesrat durch Ergän-
zung des § 40 SGB XI die Subsidiaritätsklausel. Diese
Nachrangigkeitsklausel stellt aber schon jetzt ausdrück-
lich klar, dass die Pflegekassen nur dann herangezogen
werden, wenn die Hilfsmittelversorgung durch die Kran-
kenkasse nicht greift. Eine solche Ergänzung ist deshalb
aus unserer Sicht nicht nötig.


(Beifall bei der SPD)

Der bestehende Paragraph regelt bereits eindeutig die

Leistungspflicht der Pflegeversicherung. Diese tritt nur

ein, wenn eine Leistungspflicht der GKV, also der gesetz-
lichen Krankenversicherung, nicht vorliegt. Die Trennung
der Auflistung von Hilfsmittelverzeichnis und Pflege-
hilfsmittelverzeichnis mit klarer Nachrangigkeit der Leis-
tungspflicht der Pflegeversicherung ist im Gesetz bereits
geregelt.


(Beifall bei der SPD)

Manche Krankenkassen haben diese bestehende Sub-

sidiaritätsklausel in der Praxis bei der Bewilligung nicht
hinreichend beachtet. So ist es in der Vergangenheit zu be-
kannten Fehlbuchungen zulasten der Pflegeversicherung
gekommen. Letztendlich könnte die Verschiebung von
der Kranken- zur Pflegeversicherung zu Leistungskür-
zungen bei Pflegebedürftigen führen. Meistens wurden
aber diese Fehlbuchungen korrigiert. Der Bundesrat weist
in der Begründung seines Gesetzentwurfs ausdrücklich
darauf hin, dass die meisten Krankenkassen die genannte
Rechtsauffassung bezüglich der Nachrangigkeit der Pfle-
geversicherung teilen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die meisten, nicht alle!)


– Hören Sie bis zum Ende zu! Wir machen einen Vor-
schlag.


(Beifall bei der SPD)

Einen anderen Weg hat die AOK Bayern beschritten.

Sie strebt eine Methode der Einzelfallentscheidung an.
Wenn aber ein Sachbearbeiter einer Kranken- und Pflege-
kasse in jedem Einzelfall entscheiden würde, stünden Tür
und Tor offen, Kosten der Krankenversicherung auf die
Pflegeversicherung zu verlagern. Auf diese Weise könn-
ten die Kosten der gesetzlichen Krankenkassen gedrückt
werden. Das kann so aber nicht sein und der Gesetzgeber
sieht dies unter Berücksichtigung der bestehenden
Rechtslage auch nicht vor.


(Beifall bei der SPD)

Im stationären Bereich sieht der Bundesratsentwurf

klarstellende Ergänzungen der §§ 75 Abs. 2 und 80 Abs. 2
vor. Die Zuständigkeit für die Grundausstattung der
Pflegeheime mit Hilfsmitteln soll geklärt werden. Der
Bundesrat bezieht sich hierbei auf ein Urteil des Bundes-
sozialgerichtes aus dem Jahre 2000, in dem es die Ansicht
vertrat, die Leistungspflicht der Krankenversicherung
ende dort, wo die Vorhaltepflicht des Pflegeheimes ein-
setze. Hierzu ist aber zu sagen: Die Partner der Selbstver-
waltung müssen auch jetzt die Grundausstattung der
Heime mit Hilfsmitteln regeln. Sie haben eigentlich die
Pflicht dazu. Zum stationären Bereich hat das Bundes-
sozialgericht in seinen letzten Urteilen aus dem Jahre 2002
ausdrücklich bestätigt, dass die Ausstattung der Pflege-
heime mit Hilfsmitteln zu regeln ist, konkret in § 80 a SGB
XI in Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen. Deshalb
ist eine solche Ergänzung nicht zwingend nötig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Daneben soll die Bundesregierung in § 84 SGB XI
durch eine Ergänzung ermächtigt werden, zu entscheiden,
welche Hilfsmittel bei Bemessung der Pflegesätze zu
berücksichtigen wären und damit als Anlagegüter gelten

Hartmut Schauerte




Dr. Erika Ober
und unter die Investitionspflichten der Länder nach § 9
SGB XI fallen würden.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die
genannten Ergänzungen des Bundesratsentwurfes sind
aus fachlicher Sicht nicht zu beanstanden, aber bei sach-
gerechter Anwendung geltenden Rechtes nicht zwingend
erforderlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es sind lediglich Handlungsanweisungen.
In der stationären Pflege gibt es keinen Individualan-

spruch auf Leistungspflicht. Hier ist die Selbstverwal-
tung gefragt. Wenn allerdings der Gesetzgeber weiter
unterschiedlich interpretiert wird und die Selbstverwal-
tung die ihr zugestandene Flexibilität gegen das Gesetz
nutzt, dann sollten die Abgrenzungsschwierigkeiten im
Zuge einer gesetzgeberischen Maßnahme ausgeräumt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine solche Maßnahme müsste dann aber auch über die
im Bundesratsentwurf beschriebenen Detailfragen hin-
ausgehen. Klärungsnotwendigkeit besteht nämlich auch
bei medizinischer Behandlungspflege, geriatrischer Re-
habilitation sowie bei der Pflegeüberleitung und auch
dem Case-Management.

Folgt man also der Auffassung, dass Krankenkassen
trotz eindeutiger Rechtslage konkrete Handlungs-
anweisungen benötigen, also nicht nur bei der Hilfsmit-
telversorgung, so sollten sie Teil einer Lösung der
gesamten leistungsrechtlichen Schnittstellenfrage zwi-
schen Kranken- und Pflegeversicherung sein, damit eine
Doppelbefassung der Gesetzgebungsorgane vermieden
wird.

Die Kostenträger müssen sich verbindlich und eindeu-
tig an die gesetzlichen Vorgaben bei der Aufgaben- und
Finanzierungsverteilung zwischen Pflege- und Kranken-
kasse halten. Die Kostenträger tragen die Verantwortung
dafür, dass den Pflegebedürftigen die Leistungen voll-
ständig zur Verfügung stehen.

Bereits in der Koalitionsvereinbarung haben wir
angekündigt, uns in der laufenden Legislaturperiode
der Schnittstelle zwischen gesetzlicher Krankenversi-
cherung und Pflegeversicherung nochmals zu widmen.
Leistungseinschränkungen oder Leistungskürzungen
durch strategische Verschiebungen werden wir nicht
mittragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine isolierte Herangehensweise, wie sie im Bun-
desratsentwurf mit kleinstem Lösungsansatz der
Schnittstellenproblematik praktiziert wird, bringt im
Hinblick auf eine Gesamtlösung keinen nachhaltigen
Fortschritt.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502514700

Frau Kollegin Dr. Ober, ich darf Ihnen herzlich zu Ih-

rer ersten Rede im Deutschen Bundestag gratulieren. Ich
vermute, dass die große Begeisterung in Ihrer eigenen
Fraktion nicht nur auf den Inhalt Ihrer Rede, sondern auch
auf das ungewöhnliche Ereignis zurückzuführen ist, dass
Sie Redezeit eingespart haben, die andere nutzen können.
Das kommt im Deutschen Bundestag so selten vor, dass
es einer ausdrücklichen Würdigung bedarf.


(Beifall)

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Matthias

Sehling für die CDU/CSU-Fraktion.


Matthias Sehling (CSU):
Rede ID: ID1502514800

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Die Pflegeversicherung besteht jetzt insgesamt acht
erfolgreiche Jahre. Ihre Einführung im Jahre 1995 hat sich
bei allen Schwierigkeiten im Einzelfall als insgesamt
richtige Entscheidung erwiesen. Sie war in der damaligen
Koalition – unter Federführung von Bundessozialminister
Norbert Blüm – zwar eine schwierige Geburt, aber eine
mutige Entscheidung. Sie regelt das letzte große allge-
meine Lebensrisiko, die Pflegebedürftigkeit, im Wege ei-
ner sozialen und einer privaten Pflichtversicherung. Sie
dient der Sicherung der Bürger, der Belebung des Pflege-
dienstleistungsmarktes und der Entlastung der Sozialhil-
feträger. Auch das soll erwähnt werden.

Nicht nur angesichts der jetzt schärfer erkennbaren de-
mographischen Entwicklung, sondern auch im Detail hat
diese soziale Sicherung einen aktuellen Nachbesserungs-
bedarf. Der heute in erster Lesung zu beratende Bundes-
ratsentwurf eines Hilfsmittelsicherungsgesetzes – als Ab-
geordneter aus Bayern bin ich stolz darauf, dass er auf
eine bayerische Initiative aus dem Hause von Bayerns So-
zialministerin Christa Stewens zurückgeht –


(Dr. Christian Eberl [FDP]: Nicht nur!)

befasst sich mit solchen Detailärgernissen aus der Praxis.

In der Vergangenheit kam es zu teilweise grotesken
und auch entwürdigenden Abgrenzungsschwierigkeiten
– es ging dabei um die Verschreibungsmöglichkeit und
Kostentragung von Hilfsmitteln – zwischen den im Wett-
bewerb stehenden gesetzlichen Krankenkassen einerseits
und den betroffenen Pflegebedürftigen und Pflegeheimen
andererseits. Darum geht es heute. Bis zum Bundessozi-
algericht wurden Prozesse geführt, wer welche Hilfsmit-
tel zu leisten oder vorzuhalten hatte.

Der Bundesrat will mit diesem Entwurf eines Hilfs-
mittelsicherungsgesetzes solche Streitfragen ausdrück-
lich und endgültig regeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])


Es geht darum, Klarheit und Rechtssicherheit bei der Ver-
ordnung und Finanzierung von Hilfsmitteln zu erreichen.
Das wird den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen
ebenso wie den verschreibenden Ärzten, den Kranken-
kassen, den Pflegekassen und den Pflegeheimträgern zu-


(A)



(B)



(C)



(D)


1970


(A)



(B)



(C)



(D)






gute kommen. Im Sinne von mehr Qualität in den Pflege-
heimen soll den vertragschließenden Partnern auf Lan-
desebene die Aufgabe erteilt werden, durch Rahmenver-
träge die nötige Grundausstattung von Pflegeheimen mit
Hilfsmitteln verbindlich zu vereinbaren.

In dem Gesetzentwurf werden zwei große Fallgruppen
zu Streitfragen über Hilfsmittel geregelt. Erstens. Im Falle
der ambulanten Pflege geht es um die Frage der Zustän-
digkeit zwischen der Krankenkasse und der Pflegekasse.
Zweitens. Im Falle der stationären Pflege geht es um die
Frage der Zuständigkeit zwischen der Krankenkasse und
dem Pflegeheim.

Der Bundesrat schlägt für den Bereich der ambulan-
ten Pflege vor, dass solche Hilfsmittel von der Kranken-
versicherung zu leisten sind, die sowohl der Krankenbe-
handlung als auch zugleich der Erleichterung der Pflege
dienen. Der unwürdige Streit etwa darüber, wer den Roll-
stuhl zu zahlen hat, der sowohl zu Spazierfahrten als auch
zum Transport vom Bett ins Bad genutzt wird, muss ein
Ende haben.

Die Bundesregierung macht es sich in ihrer Ge-
genäußerung zum Bundesratsentwurf sehr einfach. Sie
hält diese Neuregelung für überflüssig – wir haben gerade
von der Vorrednerin gehört, dass das auch von der SPD-
Fraktion geteilt wird –, weil im Gesetz eine Subsidiaritäts-
klausel enthalten sei, die die vorrangige Leistungspflicht
der Krankenversicherung ohnehin anordne. Wenn dies
so klar ist, frage ich: Warum haben etwa der AOK-Bun-
desverband und seine Mitgliedskassen damit angefangen,
dies im Einzelfall und damit meist auf dem Rücken der
Versicherten umständlich und lang andauernd zu prüfen?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])


Die Haltung der AOK hat im Übrigen zu unzulässigen
Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen
geführt. Es gibt nun Krankenkassen, die einen Rollstuhl
pflichtgemäß bezahlen, und andere, die sich davor ge-
drückt und jahrelange Prozesse in Kauf genommen haben.
Dieses unwürdige Geschacher muss der Gesetzgeber mit
einer ausdrücklichen Entscheidung beenden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])


Das Hilfsmittelsicherungsgesetz soll ein weiteres
großes Problemfeld endgültig klären. Es geht um die Ver-
sorgung mit Hilfsmitteln in Pflegeheimen. Welche
Hilfsmittel hat das Pflegeheim als Grundausstattung vor-
zuhalten? Welche Hilfsmittel kann und muss der Heimbe-
wohner oder die Heimbewohnerin von seiner Kranken-
versicherung beantragen? Selbst in dem so genannten
Zweiten Bericht der Bundesregierung über die Entwick-
lung der Pflegeversicherung vom März 2001 wurde ein-
geräumt, dass es sich bei den in der Praxis auftretenden
Abgrenzungsstreitigkeiten um Probleme bei der Aufga-
benbeschreibung im Gesetz handelt. Ich füge hinzu: Das
ist eine direkte Folge der ungeheuren Wettbewerbsverzer-
rung unter den gesetzlichen Kassen.

Auch hier lassen die von der Bundesregierung ungelös-
ten Aufgaben des Molochs Risikostrukturausgleich
grüßen. Weder die Bundesgesundheitsministerin noch der

Staatssekretär, der gestern im Gesundheitsausschuss offi-
ziell die Eckpunkte vorgelegt hat, haben in irgendeiner
Weise erkennen lassen, wie sie die Ungereimtheiten und
Fehlentwicklungen beim kassenübergreifenden Finanz-
ausgleich namens RSA, dem berühmt-berüchtigten Risi-
kostrukturausgleich, lösen wollen. Wenn sich wie hier die
Krankenkassen darum prügeln, möglichst wenige Leis-
tungen von Versicherten in Pflegeheimen übernehmen zu
müssen, ist auch das eine Folge der unerwünschten Sche-
renentwicklung der Kassen untereinander, nämlich der
Entwicklung zu den Versorgerkassen einerseits und den
Yuppiekassen mit den niedrigen Beiträgen andererseits.

Die Grundidee der Regelungen des heute eingebrachten
Hilfsmittelsicherungsgesetzes lautet: Sofern die Hilfsmit-
tel zu einer genau definierten und teilweise auch pflege-
satzfähigen Grundausstattung des Pflegeheims gehören,
muss das Hilfsmittel vom Pflegeheim vorgehalten wer-
den. Umgekehrt: Gehört das benötigte Hilfsmittel nicht
zur Grundausstattung, ist die Krankenversicherung des
Heimbewohners bzw. der Heimbewohnerin zuständig. So
einfach wäre das.

In ihrer spezifischen Gegenäußerung zieht sich die
Bundesregierung weiterhin auf den Ohne-mich-Stand-
punkt zurück. Die vorgeschlagene Regelung gelte nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ohnehin,
eine Gesetzesregelung sei also überflüssig.

Nachdem wir Mitglieder dieses Hohen Hauses alle die
Lebensweisheit „Vor Gericht und auf hoher See sind wir
in Gottes Hand“ kennen, möchte ich doch den Vorzügen
einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung das Wort re-
den. Viel Streit und viel Enttäuschung wäre den Betroffe-
nen erspart geblieben, wenn der Gesetzgeber seine Haus-
aufgaben mit klaren gesetzlichen Entscheidungen schon
früher gemacht hätte.

Der Bundesrat sorgt im Hilfsmittelsicherungsgesetz im
Übrigen auch für die effektive Durchsetzung der Be-
schaffung der Grundausstattung mit Hilfsmitteln durch
die Pflegeheime. So sollen die schon jetzt auf Landes-
ebene abzuschließenden Rahmenverträge zwischen den
Pflegekassen und den Pflegeeinrichtungen künftig eigene
verbindliche Inhalte über die Grundausstattung der Pfle-
geheime mit Hilfsmitteln enthalten.

Ein weiteres Mal unverständlich ist – Sie ahnen es – die
Ablehnung auch dieses Vorschlags durch die Bundesre-
gierung unter Hinweis auf eine ohnehin existierende
Rechtsprechung. In der Praxis wird aber in Kollektivver-
träge erfahrungsgemäß nur das hineingeschrieben und hat
auch nur das vor Schiedsämtern und Gerichten der ersten
Instanz Bestand, was ausdrücklich im Gesetz vorgesehen
ist. Das ist halt so. Darum sollte man sich schon der Mühe
unterziehen, den Inhalt des Rahmenvertrags ausdrücklich
und verpflichtend in das SGB XI aufzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])


In dem Gesetzentwurf des Bundesrates wird schließ-
lich eine Verordnungsermächtigung der Bundesregie-
rung vorgesehen. Danach kann mit Zustimmung des Bun-
desrates festgestellt werden, welche Hilfsmittel, die zur
Grundausstattung eines Pflegeheims gehören, bei der

Matthias Sehling




Matthias Sehling
Bemessung der Pflegesätze zu berücksichtigen sind. Da-
mit wird die Kostenlast für die Beschaffung von Hilfs-
mitteln nicht alleine den Pflegeheimen aufgebürdet. Viel-
mehr trägt die Pflegeversicherung selbst einen Anteil zu
deren Finanzierung bei. Wenn eine Hilfsmittelpflegesatz-
verordnung erlassen würde, würde durch die teilweise
Anerkennung der Pflegesatzfähigkeit von Hilfsmitteln er-
neut für ein Stück mehr Qualität in den Pflegeheimen ge-
sorgt werden.

Besonders geistreich und allgemein weiterführend
– deshalb möchte ich Ihnen das nicht vorenthalten – er-
scheint in diesem Zusammenhang die – natürlich erneut –
ablehnende Einlassung des Bundesgesundheitsministeri-
ums. In einer Stellungnahme zu der Verordnungsermäch-
tigung heißt es: „Eine unmittelbare Verbesserung der
Rechtslage im Bereich der Hilfsmittelversorgung Pflege-
bedürftiger ist mit dieser Verordnungsermächtigung nicht
verbunden.“ Deshalb lehne man sie ab. Dazu kann ich nur
sagen: Sehr wahr. Jetzt müsste die Bundesregierung nur
noch ihren Teil dazu beitragen und von der Verordnungs-
ermächtigung alsbald Gebrauch machen. Nur dann – aber
dann umso mehr – wäre sehr bald eine spürbare Verbes-
serung der Hilfsmittelversorgung in den Pflegeheimen
auch tatsächlich festzustellen.

Insgesamt stellt dieser Entwurf eines Hilfsmittelsiche-
rungsgesetzes eine Sammlung äußerst hilfreicher, prakti-
scher Verbesserungen des Pflege-Versicherungsgesetzes
– SGB XI – dar, die die CDU/CSU-Fraktion begrüßt und
unterstützt.


(Peter Dreßen [SPD]: Wer ist eigentlich für weniger Bürokratie?)


An dieser Stelle möchte ich Ihnen, verehrte Kollegen
der Regierungsfraktionen, ein offenbar schon in Verges-
senheit geratenes Dokument vom 16. Oktober letzten Jah-
res in Erinnerung rufen. Sie wissen schon, was ich meine:
Ihre Koalitionsvereinbarung. Auf Seite 55 haben Sie sich
unter der Überschrift „Mehr Qualität und mehr Wettbe-
werb im Gesundheitswesen“ selbst geschworen:

Wir stimmen die Leistungen der Kranken- und Pfle-
geversicherung und der Rehabilitation besser aufei-
nander ab.


(Peter Dreßen [SPD]: Machen wir!)

Dazu möchte ich einmal mehr mit Goethes Faust sa-
gen: „Die Kunde höre ich wohl, allein mir fehlt der
Glaube.“


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502514900

Herr Kollege Sehling, ich darf auch Ihnen zu Ihrer ers-

ten Rede herzlich gratulieren. Ich wünsche Ihnen für die
weitere Arbeit alles Gute, insbesondere bei der präzisen
Einhaltung der Redezeit, was das Präsidieren ungemein
erleichtert.


(Beifall)

Nun hat das Wort die Kollegin Petra Selg für Bündnis 90/

Die Grünen.


Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502515000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrats sieht
vor, die Versorgung Pflegebedürftiger mit Hilfsmitteln
gesetzlich neu zu bestimmen. Es ist richtig, dass es in der
Praxis momentan oft unklar ist, welche Hilfsmittel das
Pflegeheim vorzuhalten hat und welche Hilfsmittel der
Heimbewohner oder die Heimbewohnerin von der Kran-
kenversicherung beanspruchen kann.

Die Ursache dafür ist eine manchmal recht unklare
Rechtslage. Zwar hat das Bundessozialgericht die beste-
henden Gesetze in der Vergangenheit immer weiter kon-
kretisiert. Trotzdem – das weiß ich – fehlt den betroffenen
Akteuren im Gesundheitswesen ein klares Verständnis für
die bestehenden Regelungen. Deshalb kommt es oft zu
Zuständigkeitsstreitigkeiten. Das belastet das Heimperso-
nal, die Heimbewohner und vor allem unsere Sozialge-
richte. Diesbezüglich teile ich die im Gesetzentwurf zum
Ausdruck kommende Haltung: Wir müssen dringend Ab-
hilfe schaffen.

Der Bundesregierung ist das durchaus bewusst. Wir ar-
beiten bereits an der Lösung dieses Problems. Ich bin des-
halb der Meinung, dass diese Gesetzesinitiative zum jet-
zigen Zeitpunkt das falsche Mittel ist, um dieses Problem
zu lösen. Zwar bin ich der Meinung, dass die im Gesetz-
entwurf vorgeschlagenen Neuregelungen durchaus
brauchbar und sinnvoll sind. Fachlich ist daran absolut
nichts auszusetzen. Das Problem dabei ist nur, dass sie
sich auf den heutigen Regelungsrahmen beziehen. Es ist
also eine Beschreibung des Istzustandes. Wir haben das
Problem erkannt und wollen darum den Regelungsrah-
men im Zuge der anstehenden Gesundheitsreform verän-
dern.


(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das dauert zu lange!)


– Das dauert nicht zu lange. Warten Sie es ab! Wenn Sie
mithelfen, geht es schneller.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden auch das Verhältnis zwischen der Kran-

ken- und der Pflegeversicherung auf den Prüfstand stel-
len, um bestehende Abgrenzungsprobleme der Pflege-
versicherung und der Krankenversicherung endlich
aufzuheben und so die Verschiebebahnhöfe zu beseitigen.
Unser Ansatz ist damit breiter und umfassender als der in
diesem Gesetzentwurf, denn er betrifft natürlich und
selbstverständlich auch die Frage der Hilfs- und Heilmit-
telversorgung in den Heimen. Ich kann Ihnen sagen: Wir
machen unsere Hausaufgaben. Ich denke, wir sind sogar
Meisterschüler.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Vor diesem Hintergrund macht es meiner Ansicht nach
heute keinen Sinn, diese neue Regelung zu beschließen,
da sie aufgrund der Gesundheitsreform bereits morgen
wieder überholt sein könnte. Dies würde nicht nur die
Ressourcen des Gesetzgebers über Gebühr beanspruchen
– Sie sind ja immer so für Entbürokratisierung; da denke
ich mir: warum jetzt noch so ein Gesetz? –, es würde auch


(A)



(B)



(C)



(D)


1972


(A)



(B)



(C)



(D)






bei den betroffenen Akteuren des Gesundheitswesens im
Moment unnötigerweise Verwirrung hervorrufen.

Deshalb schlage ich vor, diesen Gesetzentwurf im Aus-
schuss vor dem Hintergrund der anstehenden Reformen
neu zu prüfen. Dabei wird sich herausstellen, dass die Vor-
haben der Bundesregierung den genannten Problemen be-
reits in weiten Teilen Rechnung tragen. Ich verweise auch
darauf, dass gestern nur Eckpunkte vorgestellt wurden.
Damit es nicht so lange dauert, sind Sie herzlich aufge-
fordert, mitzumachen, wenn es darum geht, diese Pro-
bleme im Rahmen der Reformen endgültig zu beseitigen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502515100

Angesichts der beispiellosen Disziplin bei der Einhal-

tung der Redezeiten könnte ich ins Schwärmen geraten.
Ich werde mir das heutige Datum in sämtlichen Kalendern
als leuchtendes Beispiel für nachfolgende Debatten ver-
merken.

Nun hat als letzter Redner in dieser Debatte der Kollege
Daniel Bahr das Wort, bei dem ich sozusagen schon der
guten Ordnung halber darauf hinweisen muss, dass er kaum
die Chance hat, die gerade drei Minuten, die ihm seine
Fraktion zugestanden hat, noch einmal zu unterbieten.


Daniel Bahr (FDP):
Rede ID: ID1502515200

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Angesichts der mir zur Verfügung stehenden drei Mi-
nuten wird das in der Tat schwierig sein; ich will mich
aber dennoch bemühen.

Die FDP unterstützt den vorliegenden Gesetzentwurf
des Bundesrates.


(Peter Dreßen [SPD]: Wir hätten uns gewundert, wenn es anders gewesen wäre! Wurmfortsatz der CDU!)


Damit wird nämlich die Finanzierung von Hilfsmitteln im
Sozialgesetzbuch konkretisiert. Für uns ist sehr entschei-
dend, dass der hilfsbedürftige Mensch neben seinen kör-
perlichen Beeinträchtigungen nicht noch zusätzlich unter
den Streitigkeiten der Kostenträger zu leiden hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren von der Koalitionsfraktion,

ich verstehe nicht, warum Sie sich dem verwehren. Ich
habe viele gute Argumente gehört. Wir sind uns einig,
dass hier Handlungsbedarf besteht. Ich habe den Ein-
druck, dass Sie dem Antrag aus dem Bundesrat nicht zu-
stimmen wollen, weil er nicht aus Ihren Reihen kommt.
Das wäre bei einem so wichtigen Thema schade.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Leider ist die Stellungnahme der Bundesregierung ent-

täuschend. Es verwundert mich schon, wenn die Bundes-
regierung in dieser Stellungnahme zum Gesetzentwurf
des Bundesrates anmerkt – Sie haben das zitiert, Frau

Dr. Ober –, dass das vorliegende Gesetz „zwar fachlich
zutreffend, aber ... nicht zwingend erforderlich“ sei.
Gleichzeitig betont die Bundesregierung, dass sie den
Sachverhalt zusammen mit den anderen Schnittstellenfra-
gen zwischen Kranken- und Pflegeversicherung lösen
möchte – was ja nichts anderes heißt, als dass es auch nach
Ansicht der Bundesregierung notwendig ist, diesen Sach-
verhalt zu regeln.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auch die Behauptung der Bundesregierung, die Rechts-
lage sei eindeutig, kann nicht zutreffen, denn wie wir
hören, werden andauernd entsprechende Gerichtsurteile
gefällt. Deswegen ist diese Stellungnahme hier nicht
nachvollziehbar.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio-
nen, es bleibt einfach unverständlich, aus welchem Grund
Sie Regelungen, die zu mehr Rechtssicherheit führen und
die Kompetenzen der behandelnden Ärzte stärken, weiter
auf die lange Bank schieben möchten. Wir stimmen Ihnen
zwar zu, dass wir eine Lösung sämtlicher Schnittstellen-
fragen im SGB brauchen. Aber insbesondere der Um-
stand, dass die Bundesregierung auch in der Stellung-
nahme zu diesem Gesetz keinerlei Angaben darüber
macht, wann sie denn ein solches Gesetz vorlegen wird,
lässt befürchten, dass ein solches Gesetz noch lange auf
sich warten lässt. Die Zeit haben wir nicht mehr.

Der Handlungsbedarf ist bereits heute gegeben. Es ist
leider eine Tatsache, dass einige Krankenkassen trotz ein-
schlägiger Gerichtsurteile immer wieder Rechtsstreitig-
keiten wegen der Kostenübernahme von Hilfsmitteln ge-
sucht haben. Die verkündeten Urteile werden von den
Krankenkassen regelmäßig als Einzelfallentscheidungen
ohne generelle Bindewirkung interpretiert. Wir brauchen
daher eine eindeutige Lösung, um Pflegebedürftigen und
Pflegenden eine zeit- und kostenintensive Auseinander-
setzung mit den Krankenkassen zu ersparen. Insbeson-
dere weil eine erhebliche Zahl der Krankenkassen bisher
auf einer Einzelfallprüfung besteht und es keine strikte
Orientierung an Hilfsmittelverzeichnissen gibt, ist es
sinnvoll, die Kostenerstattung bei besonders streitträchti-
gen Hilfsmitteln eindeutig gesetzlich zu regeln.


(Beifall bei der FDP)

Das Hilfsmittelsicherungsgesetz stellt klar, dass Hilfs-

mittel, die der Krankenbehandlung dienen und vom Arzt
für medizinisch erforderlich gehalten werden, von den
Krankenkassen zu erstatten sind. Das Gesetz trägt somit
zu mehr Rechtssicherheit bei und beendet das unwürdige
Gezerre um die Finanzierungszuständigkeit. Herr Kollege
Dreßen, ich wünsche mir, dass Sie im Rahmen der An-
hörung noch überzeugt werden,


(Zuruf von der FDP: Das ist schwierig!)

denn das ist der Sache dienlich und das wäre auch den vie-
len Pflegenden und Pflegebedürftigen dienlich.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Petra Selg






Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502515300

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird

Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/308
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das
ist erkennbar nicht der Fall; dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (14. Ausschuss) zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über Maßnah-men auf dem Gebiet der Unfallverhütung imStraßenverkehr und Übersicht über das Ret-tungswesen 2000 und 2001 – Unfallverhütungs-bericht Straßenverkehr 2000/2001 –
– Drucksachen 14/9730, 15/99 Nr. 1.1, 15/388 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Gero Storjohann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch; dann können wir so verfahren.

Als erster Rednerin erteile ich für die Bundesregierung
das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Angelika
Mertens.

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1502515400


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gesell-
schaftliche Einstellung zur Mobilität findet ihren Nieder-
schlag in der Regel in Form von Leitbildern. Zwischen der
autogerechten Stadt – das war das Leitbild der 50er-Jah-
re – und der nachhaltigen Mobilität, dem Leitbild der
90er-Jahre, gab es das Leitbild der 70er-Jahre, wo es hieß:
Der Mensch hat Vorrang. Dieses Leitkonzept stand ganz
unter dem Eindruck der inzwischen aufgekommenen
Ökologiediskussion und der Sicherheit. Die Verringerung
der Umweltbelastung und der Verkehrsunfallfolgen wur-
den zu einem wichtigen Aspekt der Verkehrspolitik. Es
war die Zeit der Fußgängerzonen; Tempo 100 auf Bun-
desstraßen wurde eingeführt, ebenso wie die Beweis-
umkehr am Zebrastreifen. Ich erinnere auch an die Ein-
führung des Sicherheitsgurtes und, was ganz wichtig ist,
der 0,8-Promille-Grenze.


(Heidi Wright [SPD]: 0,5!)

– Nein, 0,8. Wir sind in den 70er-Jahren, liebe Kollegin.

In diese Zeit fiel auch das In-Kraft-Treten des Gemein-
deverkehrsfinanzierungsgesetzes, um Verlagerungseffekte
von der Straße auf den ÖPNV auch finanziell zu unterstüt-
zen. Ziel der Verkehrspolitik war es, den Mobilitätsbedarf
der Wirtschaft und die Mobilitätsbedürfnisse der Men-
schen zu befriedigen. Das war immer so und das wird auch
immer so bleiben. Die heutigen Mobilitätsbedarfe und
Mobilitätsbedürfnisse sind lediglich qualifizierter gewor-
den als zum Beispiel zu Zeiten eines Goethe, der immer-
hin als Minister für Wegebau in Sachsen-Weimar tätig war.

Mobilität ist mit der Zeit immer wichtiger geworden.
Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Handel
und Gewerbe ist Mobilität existenziell. Im Freizeitbereich
bedeutet Mobilität gesellschaftliche Teilhabe, neue Er-
kenntnisse und vor allen Dingen auch Spaß. Es ist also
Aufgabe der Verkehrspolitik, diese Mobilität zu gewähr-
leisten und sie so sicher, umweltfreundlich und sozial ge-
recht wie möglich zu gestalten.


(Beifall bei der SPD)

Die Straße wird auch in Zukunft der Verkehrsträger

Nummer eins bleiben. Wenn wir Rückblick halten, werden
wir feststellen: Wir sind seit den 70er-Jahren des immer-
hin vorigen Jahrhunderts ein ganzes Stück vorangekom-
men in dem Ziel, die Straßen sicherer zu machen. Trotz der
starken Verkehrszunahme sank die Zahl derVerunglück-
ten in den letzten zehn Jahren um etwa 3 Prozent. Die Zahl
der Unfälle mit schweren Unfallfolgen ist noch wesentlich
stärker zurückgegangen. So verringerte sich die Zahl der
getöteten Verkehrsteilnehmer von 11 300 im Jahre 1991
um 36Prozent auf 6 997 und die Zahl der Schwerverletz-
ten um 27Prozent auf 95 040 im Jahre 2001.

Das bevölkerungsbezogene Risiko, im Straßenverkehr
getötet zu werden, liegt im Berichtszeitraum bei ungefähr
neun getöteten Personen auf 100 000 Einwohner. In den
Niederlanden, in Schweden und besonders auch in Groß-
britannien liegt das Risiko bei sechs bis sieben Getöteten
pro 100 000 Einwohner; Belgien, Spanien, Frankreich
und Österreich weisen dagegen etwa doppelt so hohe Ri-
sikowerte auf. Insofern liegen wir mit neun Getöteten bei
100 000 Einwohnern vergleichsweise – ich sage das sehr
vorsichtig – gut.

Aber es ist mehr drin. Eine Begründung für dieses Ziel
ist ganz einfach: Jeder Getötete und Verletzte im Straßen-
verkehr ist einer zu viel. Dass man Leid und Schmerz
nicht messen kann, weiß jeder, der einen Angehörigen
oder einen Freund im Straßenverkehr verloren hat. Über
das Ziel weniger Tote und weniger Verletzte im Straßen-
verkehr gibt es zwar einen großen gesellschaftlichen Kon-
sens. Aber das Verhalten der jeweiligen Verkehrsteilneh-
mer ist nicht immer zielführend.

Im Berichtszeitraum haben wir zwei Programme auf-
gelegt: 1999 das Programm „Besser sicher – Sicher bes-
ser“ und 2001 das „Programm für mehr Sicherheit im
Straßenverkehr“. Beide Programme zeigen zielgerichtet
Mittel und Wege auf, Menschenleben durch Unfallver-
meidung zu schützen. Unfallfolgen zu mindern und den
volkswirtschaftlichen Schaden zu minimieren muss ein
weiteres Ziel sein. Der so entstehende volkswirtschaftliche
Schaden wird pro Jahr auf 35 Milliarden Euro beziffert.

Wir haben folgende Schwerpunkte gesetzt: das Ver-
kehrsklima verbessern, schwächere Verkehrsteilnehmer
schützen, Unfallrisiken junger Fahrer reduzieren, Gefah-
renpotenziale schwerer Nutzfahrzeuge minimieren und
die Verkehrssicherheit auf Landstraßen erhöhen. Zwei
von drei im Straßenverkehr Getöteten sind Opfer von Un-
fällen auf Landstraßen. Deshalb muss ein Hauptaugen-
merk auf die Bekämpfung der Ursachen von Unfällen auf
Landstraßen gerichtet sein.

Im Berichtszeitraum umgesetzt wurden: die Änderung
der StVO, um die Anordnung von Tempo-30-Zonen zu er-


(A)



(B)



(C)



(D)


1974


(A)



(B)



(C)



(D)






leichtern, das Verbot von Radarwarngeräten, das Verbot
von Telefonieren am Steuer ohne Freisprecheinrichtung
– das sollten sich alle hinter die Ohren schreiben –, die Ver-
kehrssicherheitskampagne „Gelassen läuft’s“ und die eu-
ropaweite Einführung der einheitlichen Notrufziffer 112
für Rettungsdienste. Ganz besonders wichtig war, so
glaube ich, die Einführung der 0,5-Promille-Grenze.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Woran wird gearbeitet? Wir wollen die allgemeine Ver-
kehrserziehung weiter ausbauen. Das BMVBW und die
zuständigen Kultusminister wollen gemeinsam Wege zur
Verbesserung aufzeigen. Wir wollen des Weiteren die
StVO zusammen mit den Bürgern vereinfachen, die sich
schon rege daran beteiligen. Außerdem werden wir die Si-
cherheitsstandards für die Straßen erhöhen. Zurzeit wird
ein standardisiertes Verfahren zur Beurteilung der Sicher-
heitsbelange in allen Phasen des Straßenentwurfs ent-
wickelt, das durch die Straßenbauverwaltungen der Län-
der erprobt wird. Zur Analyse von Sicherheitsmängeln in
regional begrenzten Straßennetzen werden Richtlinien er-
arbeitet und Erfahrungen mit Sicherheitsanalysen durch
die örtlich zuständigen Behörden gesammelt. Ganz wich-
tig ist auch: Der zweijährlich erscheinende Unfallverhü-
tungsbericht Straßenverkehr wird zu einem Controlling-
Instrument weiterentwickelt, um die Veränderungen im
Verkehrsverhalten und Unfallgeschehen zu erfassen und
im jeweils aktuellen Bericht Empfehlungen für die künf-
tige Verkehrssicherheitsarbeit auszuweisen.

Ich möchte noch einmal auf das Problem mit den jun-
gen Fahrern zurückkommen. Sie sind unsere Sorgenkin-
der; denn die Zahl der jungen Fahrer als Hauptverursacher
von Unfällen mit Personenschäden ist in den letzten Jahren
wieder angestiegen. Zurzeit gibt es eine Diskussion über
den – ich stelle das verkürzt dar – „Führerschein mit 17“.
Die Projektgruppe wird im Frühjahr einen Abschluss-
bericht vorlegen, über den wir ernsthaft und vorurteilsfrei
diskutieren sollten. Wir sollten uns aber davor hüten, ein
Allheilmittel daraus zu machen. Ich jedenfalls habe noch
eine ganze Menge Fragen.

Zum Schluss möchte ich dem Deutschen Verkehrs-
sicherheitsrat und der Deutschen Verkehrswacht für ihre
Arbeit herzlich danken. Ich glaube, dass sie uns in unse-
rem Bemühen, Unfälle zu vermeiden, sehr geholfen haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502515500

Das Wort hat nun der Kollege Gero Storjohann für die

CDU/CSU-Fraktion.


Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1502515600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wir diskutieren heute den Unfallverhütungsbericht
der Bundesregierung für die Jahre 2000 und 2001. Trotz
einer starken Verkehrszunahme sank die Zahl der Verun-
glückten in den letzten zehn Jahren um rund 3 Prozent auf

circa 500 000 Verunglückte pro Jahr. Die Zahl der Unfälle
mit schweren Unfallfolgen sind erheblich zurückgegan-
gen. 1991 gab es noch 11 300 im Straßenverkehr Getötete,
2001 waren es knapp 7 000. Dies ist ein Rückgang um
38 Prozent. Die Zahl der Schwerverletzten sank zwischen
1991 und 2001 um 27 Prozent. Trotz alledem stecken hin-
ter diesen Zahlen noch viele ungelöste Probleme. Es geht
hierbei um schreckliche Einzelschicksale.

Gestatten Sie mir deswegen, dass ich beispielhaft ei-
nige Dinge anspreche, zunächst das Problem mit den
Kleinlastern. Um 147 Prozent ist deren Unfallquote seit
1991 – gegen den allgemeinen Unfalltrend – gestiegen.
Die Polizei in Schleswig-Holstein – daher komme ich –
musste bei Kontrollen jeden dritten Kleinlaster aus den
Verkehr ziehen. Übermüdete Fahrer, hohes Tempo und
ungesicherte Ladung waren die Gründe. Im „Spiegel“ war
davon zu lesen, im ARD-Nachrichtenmagazin „Fakt“
wurde darüber berichtet, nur im Unfallverhütungsbericht
der Bundesregierung steht über dieses Problem kein ein-
ziges Wort.


(Volkmar Uwe Vogel [CDU/CSU]: Das kann doch nicht sein!)


Wir müssen darauf hinwirken, dass von diesen Fahr-
zeugen zukünftig keine erhöhten Unfallzahlen ausgehen.
Wir müssen politisch darauf drängen, dass gleichermaßen
in die Verbesserung der Technik und die Schulung der
Fahrzeugführer dieser Kleinlaster investiert wird. Die
CDU/CSU-Fraktion bekennt sich – so wie es die Staats-
sekretärin eben auch getan hat – ausdrücklich zur Mobi-
lität. Für uns ist das aber kein neues Bekenntnis; wir ha-
ben das schon seit Jahren gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir fordern die Bundesregierung natürlich auf, kurzfristig
ihren Beitrag zur Verkehrssicherheit in diesem Bereich zu
leisten.

Wie sieht es mit jungen Fahrerinnen und Fahrern
aus? Die 18- bis 25-Jährigen bleiben die zentrale Risiko-
gruppe. 2001 verunglückten mehr als 110 000 junge Fahr-
zeugführer im Straßenverkehr; davon wurden 1 606 töd-
lich und 21 014 schwer verletzt. Das sind Besorgnis
erregende Zahlen. Hier sehe ich auch erheblichen Hand-
lungsbedarf.

Der 41. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar hat
kürzlich diskutiert und dazu folgenden Vorschlag unter-
breitet: begleitetes Fahren ab 17 auf freiwilliger Basis.
Ausgangspunkt für dieses Modell ist die unbestrittene Er-
kenntnis aus der Unfallforschung, dass das Unfallrisiko
bei jungen Fahranfängern fünffach höher ist als bei „alten
Hasen“. Neben dem jugendlichen Alter ist der Haupt-
unfallgrund mangelnde Erfahrung und mangelnde Fahr-
praxis.

Hier setzt das begleitete Fahren an. Es soll die Fahr-
ausbildung unter Begleitung vertiefen, damit fahrprakti-
sche Erfahrungen gesammelt werden können. Dadurch
werden Fahranfänger befähigt, ab dem 18. Geburtstag ei-
genständig und ohne Begleitung, aber mit erheblich ver-
ringertem Unfallrisiko am Straßenverkehr teilzunehmen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Da habe ich meine erheblichen Bedenken!)


Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens




Gero Storjohann

Wir sind aufgefordert, vertieft über diverse Lösungs-
wege zur Senkung der Unfallzahlen bei jungen Menschen
nachzudenken. Besonders die Vermeidung des Praxis-
lochs zwischen Führerscheinprüfung und selbstständiger
Teilnahme am Verkehr gilt es, zu überwinden. Im Aus-
land, zum Beispiel in Schweden, hat man mit dem beglei-
teten Fahren gute Erfahrungen gemacht. Auch Österreich
hat dieses Modell bereits eingeführt.

Wir sollten zudem die Möglichkeit einer freiwilligen
zweiten Ausbildungsphase für Fahranfänger in Erwägung
ziehen. Durch die zweite Ausbildungsphase sollen die
Kenntnisse der Fahranfänger im Rahmen des bisherigen
Fahrschulausbildungsumfangs, also ohne Zusatzkosten
für den Fahranfänger, vertieft werden.


(Volkmar Uwe Vogel [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Das wäre ein Gewinn für mehr Sicherheit im Straßenver-
kehr. Als Belohnung für die Teilnahme an einer solchen
freiwilligen zweiten Ausbildungsphase kann ich mir gut
vorstellen, die Probezeit zu verkürzen. Auch der Führer-
schein auf Probe selbst muss optimiert werden. Hierzu er-
warten wir Ansätze der Regierung. Frau Staatssekretärin,
wir warten dabei auch auf Ihre Vorschläge. Werden Sie
tätig!

Das Ziel aller Bemühungen muss jedoch die Bereit-
schaft zur eigenverantwortlichen Mitwirkung der
Verkehrsteilnehmer sein. Rücksichtnahme gegenüber
schwächeren Verkehrsteilnehmern, Verantwortungsbe-
wusstsein, Fairness und kooperatives Verhalten im
Straßenverkehr müssen gestärkt werden. Dazu gehört je-
doch auch, unsere Autofahrer nicht zu überfordern. Vor al-
lem muss der Schilderwald gelichtet werden. Häufig führt
insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften die
stete Überprüfung einer sparsamen, aber sinnvollen Be-
schilderung zu einer besseren Übersichtlichkeit auf den
Straßen.

Das gilt auch für Autobahnen und Schnellstraßen. Dort
brauchen wir nicht unbedingt fest installierte Straßen-
schilder; diese machen bei rasch wechselnden Verkehrs-
lagen häufig keinen Sinn. Was wir brauchen, ist auch mo-
derne Elektronik. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
fordert daher einen verstärkten Ausbau von Verkehrs-
beeinflussungsanlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese steuern den Verkehrsablauf auf hoch frequentierten
Straßen. Sie geben verkehrs- und witterungsabhängige In-
formationen sowie Warnungen und vermindern die Ver-
kehrsunfälle und ihre Folgen. Ebenso sind umfangreiche
technische Verbesserungen an Fahrzeugen zu fördern. Im
zu diskutierenden Bericht ist die Rede von „mitschwen-
kenden Scheinwerfern“ und „Spurhalteassistenten“, von
„Schlupfsensorik zur Feststellung des Reibwertes auf der
Straße“ und von „Navigationssystemen mit Sprachinfor-
mation des Fahrers zur Reduzierung der Blickabwende-
zeiten“. Das ist zwar alles schön und gut; es steht aber nur
auf dem Papier. Wir erwarten hier eine konkrete Umset-
zung.

Wie verhält es sich mit Fahren mit Licht bei einge-
schränkten Lichtverhältnissen? Was ist mit Reifen ohne
Profil und ausgeschlagenen Lenkstangen? Wie steht es

um abgefahrene Bremsbeläge, poröse Schlauchverbin-
dungen und defekte Beleuchtungsanlagen? Hierüber ver-
liert der Bericht kein Wort. Dabei fahren auf unseren
Straßen zunehmend Schrottautos – ein Risiko für uns alle.
Politisch bedanken können wir uns hierfür bei Rot-Grün.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie die Fachpresse der letzten Tage und Wochen
lesen, dann stellen Sie fest, dass die Bürger bei der In-
standhaltung und Wartung ihrer Fahrzeuge sparen. Das
geht zulasten der eigenen Verkehrssicherheit. Deswegen
sage ich: Die Leute müssen mehr Geld in den Taschen ha-
ben, um der Verkehrssicherheit insgesamt zu dienen. Wir
sehen: Politik wirkt in alle Lebensbereiche hinein; falsche
Politik erhöht auch Risiken.

Wir dürfen eines nicht vergessen: Im Mittelpunkt der
Politik müssen der Mensch und seine Gesundheit stehen.
Das gilt insbesondere für die Verkehrspolitik. Deshalb
sind die Aufklärung und Information der Verkehrsteil-
nehmer zu intensivieren. Hierbei leisten die Deutsche
Verkehrswacht und der Deutsche Verkehrssicherheitsrat
wertvolle Arbeit. Beide müssen finanzielle Mittel in der-
selben Höhe wie bisher erhalten. In der von Rot-Grün ge-
planten Zusammenlegung der Haushaltsansätze sehen wir
von der CDU/CSU-Fraktion eine Gefahr für die Eigen-
ständigkeit der Deutschen Verkehrswacht; deshalb plä-
dieren wir mit Nachdruck für die Einzelausweisung der
Titel.

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, die Teilnahme am
Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegensei-
tige Rücksichtnahme. Wenn Ihre Verkehrspolitik diese
Grundregel aus der Straßenverkehrsordnung in der Um-
setzung häufiger und schneller beachten würde, dann
wären wir alle schon ein großes Stück weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502515700

Herr Kollege Storjohann, ich darf Ihnen zu Ihrer ersten

Rede im Deutschen Bundestag herzlich gratulieren, ver-
bunden mit allen guten Wünschen für die weitere Arbeit.


(Beifall)

Ich erteile nun der Kollegin Ursula Sowa, Bünd-

nis 90/Die Grünen, das Wort.


Ursula Sowa (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502515800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Für viele von Ihnen mag der vorliegende Be-
richt eine reine Routineangelegenheit sein; denn er wird
alle zwei Jahre mit den jeweils neuesten Zahlen – teil-
weise haben wir sie heute schon gehört – hier im Plenum
vorgestellt.

Der vorliegende Bericht bezieht sich auf die letzten
beiden Jahre. Ich muss sagen, dass für mich als neue Ab-
geordnete dieser Bericht teilweise spannender zu lesen
war als mancher Bericht, der beispielsweise im „Spiegel“
steht. Das Spannende daran ist, dass jede und jeder von
uns damit zu tun hat. Gerade wir Abgeordnete können ein


(A)



(B)



(C)



(D)


1976


(A)



(B)



(C)



(D)






Lied davon singen, was es heißt, mobil zu sein, denn wir
müssen, ob wir es wollen oder nicht, oft auf das Auto oder
andere Verkehrsmittel zurückgreifen. In den Wahlkreisen
werden wir mit Wünschen nach Umgehungsstraßen und
– je nachdem, welchem politischen Spektrum wir an-
gehören – auch insgesamt mit dem Wunsch nach mehr
Straßen konfrontiert.

Alles in allem: Der Verkehr in Deutschland nimmt wei-
terhin zu.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

Es ist nun reine Interpretationssache, wie wir mit den Zah-
len des so genannten Unfallverhütungsberichtes umge-
hen. Es ist einerseits eine Abnahme, andererseits aber
auch eine Zunahme an Unfällen zu verzeichnen. Abge-
nommen hat die Zahl der Unfalltoten; sie liegt bei etwa
7 000 Verkehrsopfern. Zum Vergleich: 1971 waren es
noch 21 000. Zugenommen hat allerdings allgemein die
Zahl der Unfälle. Diese Zahl ist doch ganz beachtlich, sie
beträgt nämlich 2,37 Millionen. Davon sind 2 Millionen
Unfälle nur mit Sachschaden und 375 000, wie es im
Amtsdeutsch heißt, Unfälle mit Personenschaden. Diese
Zahlen können wir hier bewerten. Ich gehe davon aus,
dass wir uns einig sind, dass diese Zahlen gewaltig ge-
senkt werden müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])


Bei der Antwort auf die Frage, wie wir das schaffen
können, liegen wir, wie ich glaube, gar nicht so weit aus-
einander. Jede Regierung hat bisher Geld in Auf-
klärungskampagnen gesteckt. Ich bin mir sicher: Jede
weitere Straßenbaumaßnahme geschieht unter dem
Aspekt höchstmöglicher Sicherheit, genauso wie die Au-
toindustrie größtes Interesse hat, Autos so sicher wie mög-
lich zu machen. Trotzdem sind wir mit diesem Unfallberg
konfrontiert, der jährlich einen volkswirtschaftlichen
Schaden von – diese Zahl wurde schon genannt – 35 Mil-
liarden Euro verursacht. Was tun? Meine Vorrednerin und
mein Vorredner haben Wege aufgezeigt, aber, wie ich
feststellen muss, die Verkehrsströme in Deutschland als
mehr oder weniger gegeben hingestellt. Es hieß, sie seien
zu kanalisieren und – wortwörtlich – so sicher, umwelt-
freundlich und sozial gerecht wie möglich zu gestalten.
Dagegen ist schwer etwas zu sagen. Ich tue es hiermit
trotzdem.

Meiner Meinung nach müssen wir stärker denn je die
Lage unseres Landes berücksichtigen. Das meine ich im
Wortsinne, nämlich geographisch. Deutschland liegt mit-
ten in Europa und wird ab 2004 noch stärker als Transit-
land beansprucht werden. Deshalb ist die Zunahme des
Autoverkehrs schon einmal vorprogrammiert und damit
natürlich leider auch die Zunahme der Unfälle – wenn wir
nicht gegensteuern. Die Zahlen aus Großbritannien, die
vorhin genannt wurden, kann man meiner Meinung nach
nicht heranziehen, da es ein großer Unterschied ist, ob
man von einem Transitland und einer Insel spricht.

Trotzdem werden wir, so meine ich, da wir diesen Un-
fallberg nicht einfach wegzaubern können, nicht darum
herumkommen, die Verkehrspolitik mit wichtigen ande-

ren Politikfeldern zu verknüpfen, um gemeinsam eine zu-
kunftsfähige Verkehrspolitik zu machen. Insofern müssen
wir uns ganz klar vor Augen führen: Mobilität muss eine
dienende Funktion haben, da andere Bedürfnisse wichti-
ger für uns sind. Ich darf aus dem „Konzept Nachhaltig-
keit“ der Enquete-Kommission, das zwar ein paar Jahre
alt ist, aber an Aktualität überhaupt nichts verloren hat,
sinngemäß zitieren: Wir sollten selbstbewusst unsere Le-
benswelt und unsere Lebensbedürfnisse selber definieren.
Wichtig ist der Raum, in dem wir wohnen, aufwachsen,
lernen, arbeiten, uns erholen und entfalten. Genau diese
Bedürfnisse müssen im Mittelpunkt stehen.

Die heutige Stadt- und Raumplanung muss die gra-
vierenden Veränderungen in den Bereichen Arbeit und
Freizeit nachvollziehen und sich davon ausgehend immer
wieder neu definieren. Sie kann aber gerne dabei einen al-
ten Leitspruch heranziehen, denn die Stadt der kurzen
Wege ist absolut in.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wohnungen und Büroarbeitsplätze, soziale Infrastruktur
wie auch Freizeiteinrichtungen können und sollen jetzt in
kompakten Stadtstrukturen gemischt werden. So viel aus
Sicht eines Mitglieds im Verkehrs- und Bauausschuss.

Abschließend möchte ich auf die Kampagne „Gelas-
sen läuft’s“ aufmerksam machen, die im Unfallverhü-
tungsbericht erwähnt wurde und die ich sehr gut finde.
Diese Kampagne soll in den Köpfen der Menschen ein
neues Leitbild für das Verhalten im Verkehr verankern.
Dem aggressiven Kampf auf der Straße werden gegensei-
tige Rücksichtnahme und Verantwortung, Souveränität
und Gelassenheit entgegengesetzt. Diese Form der Kultur
wünsche ich mir – nicht nur auf der Straße, sondern als
neues Mitglied in diesem Hause auch hier.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502515900

Ich darf auch Ihnen, Frau Kollegin Sowa, herzlich zu

Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag gratulieren.

(Beifall)


Ganz offensichtlich haben Sie das Motto „Gelassen
läuft’s“ auch Ihrer Rede zugrunde gelegt. Vielleicht ge-
lingt Ihnen das bei weiteren Auftritten im Hause in ähn-
licher Weise.

Nun erteile ich dem Kollegen Horst Friedrich das Wort.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1502516000

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Um das Wort von der Routine aufzugreifen: Si-
cherlich ist es Routine, wieder ein neues Rekordergebnis
vorzulegen, was die Zahl der Verkehrstoten angeht. Wir
haben seit Einführung der Statistik wiederum den absolut
niedrigsten Stand erreicht. Es sind noch immer zu viele,

Ursula Sowa




Horst Friedrich (Bayreuth)

aber trotz der Verkehrszunahme sind es weniger und das
passt eigentlich in die Linie.

Wenn man das so stehen ließe, könnte man sagen: Es
ist alles wunderbar und man braucht im Endeffekt nichts
zu ändern. Die Frage ist aber, liebe Kolleginnen und Kol-
legen: Worauf sind diese Zahlen zurückzuführen? Hat das
mit den Regulierungen zu tun oder nicht eher mit der
Erhöhung der passiven Sicherheit in den Fahrzeugen mit
allen technischen Einrichtungen, mit einer deutlichen
Verbesserung des Rettungswesens in Deutschland – die
Eintreffzeit der Rettungsfahrzeuge liegt mittlerweile so-
wohl am Tag als auch in der Nacht deutlich unter zehn Mi-
nuten – sowie mit einer deutlichen Verbesserung des Aus-
baus der Infrastruktur, der für das Unfallgeschehen
ebenfalls signifikant ist?


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Richtig!)

Den letzten Punkt will ich allerdings etwas relativie-

ren. In Kenntnis der Zahlen des Straßenbauberich-
tes 2001, den wir kürzlich hier diskutiert haben, ist fest-
zustellen, dass nur noch ein Drittel aller Brücken und zwei
Drittel der Fernverkehrswege in Deutschland uneinge-
schränkt zu nutzen sind. In einigen Bundesländern ist so-
gar nur noch ein Drittel der Fernverkehrswege uneinge-
schränkt zu nutzen. Am schlechtesten steht in diesem Fall
wiederum Berlin da, wo nur noch 30 Prozent aller Fern-
verkehrswege uneingeschränkt nutzbar sind.

Dass das signifikant für das Unfallgeschehen ist, be-
weisen die Zahlen aus Hessen, wo vor kurzem zwei Un-
fallschwerpunkte auf Autobahnen dadurch entschärft
worden sind, dass man dort neue Straßenbeläge aufge-
bracht und die Autobahnen saniert hat. Unmittelbar da-
nach sind die Unfallzahlen um 30 Prozent zurückgegan-
gen. Das zeigt, dass es notwendig ist, beim Erhalt der
Infrastruktur anzusetzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das Geld dafür haben wir gegeben!)


Bei dem, was Sie, Frau Staatssekretärin, vorgestellt ha-
ben, fehlt meines Erachtens die Vision.


(Beifall bei der FDP)

Ich vermisse die Vision von null Verkehrstoten im Stra-
ßenverkehr und einen entsprechend breiten, globalen An-
satz bei den Maßnahmen.

Sie haben einiges aufgezählt. Ich beginne mit dem
Thema der Promillegrenze. Es ist in der Diskussion, dass
sich die Senkung der Promillegrenze von 0,8 auf 0,5 sig-
nifikant auf das Unfallgeschehen ausgewirkt hat. Zu ei-
nem anderen Punkt in diesem Zusammenhang haben Sie
allerdings nichts gesagt. Fakt ist, dass die Promillewerte
derer, die sich jenseits der absoluten Fahruntüchtigkeit be-
wegen, zunehmen; sie liegen bei 1,6 und mehr.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Leider!)

Die Promillewerte erreichen astronomische Höhen. Au-
ßerdem sind die, die gegen die Promillegrenze verstoßen,
immer jünger. Da bewegt sich aus unserer Sicht zu wenig.

Das nächste Thema ist das von Ihnen angesprochene
Verbot des Telefonierens mit Handy ohne Freisprech-
anlage. Das bewehren Sie mit Bußgeld und Sie drohen

dem Fahrer Strafe an. Warum haben Sie es nicht einmal
damit versucht, zu sagen: „Wer sich in sein Auto eine Frei-
sprechanlage einbauen lässt, hat eine verminderte Versi-
cherungsprämie zu zahlen“?


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Das wäre eine viel effizientere Lösung, auch wenn Sie da-
rüber lachen. Wenn ich dem Autofahrer signalisiere:
„Wenn Sie sich eine Freisprechanlage einbauen lassen,
dann müssen Sie eine entsprechend reduzierte Versiche-
rungsprämie zahlen“, ist das viel effizienter als die jetzige
Realität.

Was haben Sie denn erreicht? Sie haben ein Verbot in
die Welt gesetzt, an das sich kaum jemand hält. Sie ver-
setzen die Polizei in die Situation, dass sie die Einhaltung
dieses Verbotes nicht kontrollieren kann, und senken da-
mit die Schwelle, dieses Verbot einzuhalten, sodass im-
mer mehr sagen: Es macht ja nichts, wenn ich dagegen
verstoße; es merkt ja sowieso keiner. Genau das erreichen
Sie damit.

Daran schließt sich die Frage an: Warum haben Sie
noch nicht verboten, während des Fahrens das Naviga-
tionssystem zu bedienen? Auch das ist in dieser Hinsicht
ein Thema.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Auch das Lenkrad muss man während der Fahrt bedienen!)


– Herr Kollege Weis, Ihre dummen Zwischenbemerkun-
gen können Sie sich schenken.

Nun zur Diskussion über den Führerschein mit
17 Jahren. Ob das, was damit initiiert werden soll, das
Problem löst, wage ich zu bezweifeln. Was soll ein Be-
gleiter des Fahrers, der mindestens 30 Jahre alt sein und
eine entsprechende Fahrerfahrung haben muss, tatsäch-
lich machen? Wer führt denn das Fahrzeug? Wer trägt das
Rechtsrisiko, wenn etwas passiert? Wie kann er eingrei-
fen? Ganz zu schweigen davon, dass der Fahrer den Über-
gang von der Fahrschule zu dem, der nach der Fahrschule
neben ihm sitzt, erst einmal verkraften muss. Ich glaube,
das, was Sie dazu vorgelegt haben, ist noch nicht das Ende
der Fahnenstange.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Hier würde ich sehr viel tiefer ansetzen, zum Beispiel da-
ran, das Fahrlehrerausbildungsrecht zu verändern. Das ist
nach wie vor ein Weiterbildungsberuf und kein Ausbil-
dungsberuf. Noch immer ist das pädagogische Profil viel
zu deutlich ausgeprägt.

Wir sind der Meinung: Im Hinblick auf die Vision „null
Verkehrstote“ hat die Bundesregierung noch einen weiten
Weg vor sich. Diese Aufgabe muss sie erst einmal erfüllen.

Danke sehr.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502516100

Das Wort hat nun die Kollegin Heidi Wright, SPD-

Fraktion.


(A)



(B)



(C)



(D)


1978


(A)



(B)



(C)



(D)







Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1502516200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auto

fängt mit „au“ an. Das ist ein weiser Spruch meiner Mutter
an ihre Enkel. Diesem Eingangssatz folgt eine längere An-
sprache an die Familie, dass das Autofahren teuer und ge-
fährlich ist, dass man eigentlich gar nicht wegfahren müsse
und zu Hause bleiben könne oder dass man auch mit dem
Zug fahren könne. Keine Angst, ich halte hier keine Rede
gegen das Auto und schon gar nicht gegen die Mobilität.
Aber grundsätzlich und keineswegs altbacken ist festzu-
stellen: Mobilität fängt nicht mit dem Auto an und ist nicht
auf das Auto beschränkt. Das Gute liegt nicht immer fern.

Den Fakten des Straßenverkehrs will ich mich aber
keineswegs verschließen und diese auch hier nochmals
bewusst machen. Wir haben eine enorme und steigende
Verkehrsdichte. Allein die PKW-Dichte lag Anfang 2002
bei 540 PKW pro 1 000 Einwohner. Damit verfügt mehr
als jeder Zweite über einen PKW. Das ist Rekord, der
natürlich im Hinblick auf die Wachstumstheorie fragen
lässt: Wie viel mehr denn noch?

540 PKW pro 1 000 Einwohner, also mehr als 43 Mil-
lionen PKW in Deutschland – das ist die eine Zahl. Die
andere ist, dass diese PKWmehr als 522 Milliarden Kilo-
meter pro Jahr zurücklegen. Das ist unglaublich viel.

Nach all diesen Daten will ich zunächst einmal ein Lob
an all die Verkehrsteilnehmer loswerden, die bedacht und
rücksichtsvoll fahren und allermeistens seit Jahrzehnten
unfallfrei am Verkehrsgeschehen teilnehmen. Ich will ein
Lob an die Kolleginnen und Kollegen der Verkehrspolizei
loswerden, die meistens regeln, damit nichts passiert, und
immer hinzukommen, wenn Schlimmes passiert ist. Wenn
Schlimmes passiert, sind die Kräfte der Rettungsdienste
im Einsatz. Polizistinnen und Polizisten, Rettungssanitä-
ter und Notärzte sind mit die Ersten, die in tragischen Si-
tuationen Betroffenen und Angehörigen zur Seite stehen.
Dafür auch aus diesem Hause Anerkennung!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Der Bericht zum Unfallgeschehen, der uns heute vor-
liegt, kann positiv bewertet werden. Bei der Beobach-
tung des Verkehrsgeschehens zeigt sich bei allem Ver-
besserungsbedarf die erfreuliche Erkenntnis: Der Mensch
ist lernfähig. Der Verkehr nimmt zu und das Unfallge-
schehen nimmt ab.

Seit 1975 lässt sich der Deutsche Bundestag den Un-
fallbericht in zweijährlichem Abstand vorlegen. Seit 1991
haben wir rückläufige Zahlen bei den getöteten und
schwer verletzten Verkehrsteilnehmern. Dennoch, 6 977
tote Verkehrsteilnehmer im Jahre 2000 sind 6 977 zu viel.
Auch das ist ein Preis der Mobilität.

Mobilität, verehrte Kolleginnen und Kollegen, muss im-
mer mit dem Anspruch der Verbesserung der Verkehrssi-
cherheit einhergehen. Dieser Aufgabe stellt sich die
Politik. Im Berichtszeitraum sind zwei Programme des Bun-
desministeriums für Verkehr aufgelegt worden, die wichtige
Ziele verfolgen. Diese Ziele zu erreichen ist aber sicherlich
eine fortwährende Aufgabe. Die Bundesregierung hat dafür
im Berichtszeitraum wichtige Regelungen getroffen.

Eine davon will ich noch einmal aufgreifen; es ist die
0,5-Promille-Regelung. Ich habe sie sehr begrüßt und in
meinem Weinland Franken enorm dafür geworben. Ich
bitte jeden, doch einmal zu überlegen – jeder Vernünftige
hat das natürlich bereits vor dieser Regelung getan –, sein
Auto auch vor Erreichen der 0,5 Promille stehen zu las-
sen. Hier muss das Signal an die Jugendlichen gehen: Es
gibt nur eine Konsequenz, entweder Auto oder Alkohol,
entweder Fete oder Fahren.

Eine Beschäftigung mit den Unfallursachen und den
Unfallverursachern zeigt eine deutliche Unterscheidung
zwischen jungen und älteren Verkehrsteilnehmern sowie
zwischen Männern und Frauen. Das Fazit könnte sein:
Nur noch Frauen ab 25 ans Lenkrad!


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das wird aber bequem für uns!)


Dass das natürlich nicht meine ernsthafte Forderung ist,
will ich gleich zugeben. Ich will aber nochmals feststel-
len: Frauen sind die besseren Verkehrsteilnehmer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Brisanz, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt bei
den jungen Verkehrsteilnehmern. Es ist festzuhalten:
Junge Fahrer fahren gefährlich. Bei Unfällen mit jungen
PKW-Fahrern waren diese in fast 63 Prozent der Fälle
Hauptunfallverursacher. Das zeigt ganz klar den Hand-
lungsbedarf auf. Ob dieser darin bestehen kann, dass wir
die Fahrerlaubnisgrenze auf 17 Jahre absenken, verneint
wohl jeder. Ob wir den jüngeren Verkehrsteilnehmern ei-
nen Begleiter zur Seite setzen, bringt aber auch mehr
Stirnrunzeln als Kopfnicken.

Zunächst die klare Message an die jungen Leute: Den
Führerschein mit 17, gerade mal so, gibt es natürlich
nicht. So einfach war das auch nie angedacht. Es gibt den
Führerschein mit 17 in den USA. Es gibt begleitetes Fah-
ren in Österreich und in Schweden. Es gibt bei uns eine
Projektgruppe „Begleitetes Fahren“ der Bundesanstalt für
Straßenwesen. Es wird ein Gutachten dieser Projekt-
gruppe und dann eine Befassung in den politischen Gre-
mien geben. Dann schauen wir einmal. Aber so viel vorab:
Erfahrungen aus dem Ausland sind in weiten Teilen mit
den Gegebenheiten in Deutschland nicht vergleichbar.
Gibt es in Schweden vielleicht hier und dort die Gefahr
der Kollision mit einem Elch, so wartet bei uns der Elch
eigentlich an jeder Ecke.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Dann in Form eines LKW!)


Es ist Fakt: Wir sind das dichtest befahrene Land in Eu-
ropa. Wir liegen nicht abgelegen peripher und befinden
uns auch nicht im Highway-Land mit einer Geschwindig-
keitsbegrenzung von 70 Meilen pro Stunde.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: An die sich auch niemand hält!)


Ich habe in den letzten Wochen ganz klar die Absage an
die vereinfachte Formel des Führerscheins mit 17 gehört
und zum Thema begleitetes Fahren Achselzucken wahrge-
nommen. Ich habe jetzt Herrn Storjohann gehört, der sich
wohl als Begleiter outet. Ich habe gar niemanden erlebt,
der gerne ein Begleiter wäre. Ich habe auch niemanden




Heidi Wright
erlebt, der gerne amtlich begleitet fahren möchte. Ich
halte die Sache für überflüssig wie einen Kropf. Sie ist,
wenn sie wirklich mehr Verkehrssicherheit bringen soll,
aufwendig und umständlich und wird dann von den Ju-
gendlichen ganz bestimmt nicht angenommen werden.
Jugendliche haben weder Zeit noch Geld, sich vor dem
18. Lebensjahr intensiv mit dem Führerschein oder mit
dem begleiteten Fahren abzumühen. Jugendliche sind
durch ÖPNV, Fahrrad und Billigflieger mobil. Es ist mir
wichtig, den Jugendlichen klar zu machen: Die Freiheit
beginnt nicht mit dem Führerschein und der Führerschein
ohne Verantwortung ist eine Freiheit zulasten anderer.

Ich komme zum Schluss zu unseren ungelösten politi-
schen und gesellschaftlichen Aufgaben. Fakt ist: Wir müs-
sen alles daransetzen, junge Verkehrsteilnehmer zu einem
stärkeren Sicherheitsbewusstsein und zu einem verant-
wortlichen Umgang im Straßenverkehr zu bringen. Ich
finde, die Verkehrssicherheitskampagne „Gelassen läuft’s“
ganz prima. Aber ob dieses Konzept die Jugendlichen er-
reicht, wage ich zu bezweifeln. Der Altersgruppe bis
25 müssen wir uns sicherlich anders nähern.

Wir werden uns auf Koalitionsebene mit Vertretern der
Fahrlehrerverbände treffen, vonseiten der SPD-Fraktion
eine Verkehrssicherheitskonferenz im ersten Halbjahr
durchführen und Herr Bundesminister Stolpe will nach
Vorlage des Gutachtens Experten zu einer Anhörung auf
politischer Ebene laden.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502516300

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1502516400

Letzter Satz. – Ich weiß von den Bemühungen der Ver-

kehrssicherheitsinstitute, die hier heute schon gelobt wur-
den, dass sie über Jugendmedien wie die „Bravo“, Ju-
gendrundfunk und -fernsehen das Thema
Verkehrssicherheit ebenfalls aufgreifen werden. Der Un-
fallverhütungsbericht


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Zweiter Satz!)


ist ein guter Bericht und zeigt eine gute Verkehrssicher-
heitslage. Aber nichts ist so gut, als dass es nicht noch ver-
bessert werden könnte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502516500

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Klaus Hofbauer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus Hofbauer (CSU):
Rede ID: ID1502516600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Wright,
wenn Sie die Männer beim Autofahren nicht so zurück-

gesetzt hätten, hätte ich Ihnen etwas von meiner Redezeit
abgetreten. Aber ich hoffe, dass wir das in Zukunft so ma-
chen können.

Der vorgelegte Unfallverhütungsbericht zeigt deutlich,
dass das Unfallgeschehen und die Unfallhäufigkeit un-
trennbar mit der Verkehrsinfrastruktur zusammenhängen.
Logische Konsequenz daraus ist der umfassende Ausbau
von Autobahnen, Bundesstraßen, Ortsumgehungen und
Verkehrsanlagen. Nicht zuletzt die beständige Zunahme
des Verkehrs zwingt uns dazu. Das steigende Verkehrs-
aufkommen darf nicht mit einem Anstieg der Unfallzah-
len einhergehen. Deswegen ist für uns – auch aufgrund
dieses Berichtes – die klare und deutliche Aussage: Der
Ausbau und die Verbesserung von Verkehrswegen sind
wichtige und bedeutende Voraussetzungen für mehr Si-
cherheit im Straßenverkehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der Ausbau von Straßen ist auch ein eindeutiger und über-
zeugender Beitrag, um Unfälle zu verhüten.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Umgehungsstraßen sind Menschenschutz!)


Deswegen möchte ich einen Punkt ansprechen, der im
Bericht sicherlich zu kurz gekommen ist bzw. relativ we-
nig beachtet wurde. Wir befinden uns mitten in der Dis-
kussion über die EU-Osterweiterung.Wir stellen schon
heute fest, dass in den letzten zehn Jahren nach Öffnung
der Grenze der Verkehr bei uns in Deutschland rasant zu-
genommen hat. Es ist Tatsache, dass wir ab 2004 noch
einmal eine deutliche Zunahme verzeichnen werden. Hin-
sichtlich des Straßengüterverkehrs zwischen der EU und
den Beitrittsländern wird eine Zunahme um rund 200 Pro-
zent prognostiziert. Das sind seriöse Angaben von ver-
schiedenen Stellen, die Konsequenzen in der Verkehrssi-
cherheit und insbesondere beim Bau von Straßen
erfordern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Einfuhr von Waren aus Polen hat sich von 1997 bis

2001 fast verdoppelt. Ich darf hier einfach einmal einen
Grenzübergang in meinem Wahlkreis, in Furth im Wald,
erwähnen. Gestern stand in der Zeitung: „Januar brach
alle bisherigen Lkw-Rekorde“. Wir stehen erst am Anfang
der Zunahme des LKW- und des Güterverkehrs. Das er-
fordert insbesondere im Bereich der Verkehrssicherheit
grundlegend neue Gedanken. Wir haben bereits jetzt
lange Schlangen. Wir haben übermüdete LKW-Fahrer.
Dies sind erhebliche Gefahren, denen wir begegnen müs-
sen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf einen
Punkt aus der Praxis an den Grenzen ansprechen, der mir
einige Sorge bereitet. Leider Gottes ist die Polizei nicht
mehr in der Lage, umfassende Kontrollen durchzuführen.
Das heißt, dass viele LKWs auf unseren Straßen unter-
wegs sind, die unseren Ansprüchen nicht entsprechen.
Das bedeutet Gefahr für die Menschen; das bedeutet Ge-
fahr für die Verkehrsteilnehmer.

Am 1. April 2004 werden die Zollkontrollen über
Nacht wegfallen. Natürlich ist der Zoll nicht für die Ver-


(A)



(B)



(C)



(D)


1980


(A)



(B)



(C)



(D)






kehrssicherheit zuständig. Aber was zum Beispiel die Be-
ladung von Pkws oder von Lkws anbelangt, gibt der Zoll
Hinweise an die Grenzpolizei. Diese Zusammenarbeit
wird es in Zukunft nicht mehr geben.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Deswegen müssen wir neue Formen der Kontrolle finden.
Denn wir dürfen nicht zulassen, dass sich Lkws, die un-
seren Erfordernissen nicht entsprechen, auf unseren
Straßen tummeln.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,

wir sind uns auch darin einig, dass die Eigenverantwor-
tung in der Verkehrserziehung und in der gesamten Si-
cherheitsarbeit im Verkehr eine ganz entscheidende Rolle
spielt. Deswegen möchte ich einen Gedanken aufgreifen,
den unser Vorsitzender, Herr Oswald,


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sehr guter Mann!)


in den letzten Tagen in einer Zeitschrift dargestellt hat:
Die Deutsche Verkehrswacht ist Garant und eine tra-
gende Säule der Verkehrssicherheitsarbeit.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen danken, die in
diesem Bereich tätig sind. Für mich ist ganz entscheidend,
dass hier unheimlich viele ehrenamtlich tätig sind. Wenn
ich die Zahl richtig in Erinnerung habe, hat die Verkehrs-
wacht 90 000 Mitglieder, die ausschließlich ehrenamtlich
tätig sind. Ihnen gilt ein besonderer Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich darf ein Beispiel aus meiner Heimatstadt erzählen.

Wir sind ein kleines Städtchen mit ungefähr 17 000 Ein-
wohnern und einer Schulzentrale mit 4 000 Schülerinnen
und Schülern. Dort sind 100 Schüler in der Betreuung der
Überwege und für die Verkehrssicherheit tätig. Wir stel-
len fest: Seitdem diese jungen Menschen tätig sind, ist
kein Unfall mehr passiert. Dies ist doch ein deutliches
Zeichen, was man mit dem Ehrenamt auch im Straßen-
verkehr erreichen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Diese 100 jungen Leute – jeder von Ihnen könnte solche
Beispiele aufzeigen – werden ausgebildet und werden ganz
anders an zukünftige Verkehrssituationen herangehen.

Ich möchte unsere Konsequenzen aus diesem Bericht
ganz kurz in fünf Punkten zusammenfassen:

Erstens. Der Ausbau der Infrastruktur trägt dazu bei,
Unfälle zu vermeiden. Deshalb muss der Ausbau von Ver-
kehrswegen oberste Priorität haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Die Verkehrspolitik muss verstärkt den

neuen Herausforderungen der EU-Osterweiterung Rech-
nung tragen. Insbesondere der Ausbau der Verkehrsinfra-
struktur in den Grenzregionen ist eine zentrale Forderung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drittens. Stärkere Verkehrskontrollen an den Grenzen
sind notwendig, um vor allem die Sicherheit beim Lkw-
Verkehr zu gewährleisten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Viertens. Wir müssen moderne Technologien und elek-

tronische Verkehrsleitung nutzen, um eine noch größere
Verkehrssicherheit zu erreichen. Es sind Forschung und
Entwicklung in unserer Wirtschaft zu fördern – von ihr
gehen sehr große Impulse aus –, damit Deutschland eine
Vorreiterrolle übernehmen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Fünftens. Nicht zuletzt muss die Eigenverantwortlich-

keit der Verkehrsteilnehmer gestärkt werden; dies müssen
wir als Schwerpunkt ansehen. Dazu gehören die Aner-
kennung und Förderung von Tausenden von ehrenamt-
lichen Helfern, die im Verkehrsbereich tätig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Bericht sind viele gute Ansätze enthalten.

Wir dürfen beim Erreichten aber nicht stehen bleiben,
sondern müssen im Interesse unserer Verkehrsteilnehmer
weiter daran arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502516700

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses

für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zum Unfallverhü-
tungsbericht Straßenverkehr 2000/2001 der Bundesregie-
rung, Drucksachen 14/9730 und 15/388. Der Ausschuss
empfiehlt, in Kenntnis des Berichts der Bundesregierung
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Möchte sich
jemand enthalten? – Dann ist diese Beschlussempfehlung
bei nicht kompletter Beteiligung der anwesenden Kollegin-
nen und Kollegen – diese Präzisierung erwartet man vom
Präsidium – einstimmig angenommen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Widmann-Mauz, Dr. Norbert Röttgen, Ilse Aigner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Versorgungsausgleich umgehend regeln – Keine
Schlechterstellung von Frauen bei der Alterssi-
cherung
– Drucksache 15/354 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache 45 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich erteile das Wort der Kollegin Annette Widmann-
Mauz, CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Hofbauer






Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1502516800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

„Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen“, das stellte
bereits der römische Dichter Ovid fest. Am Beginn des
21. Jahrhundert haben sich die Lebenswirklichkeiten in
der deutschen Gesellschaft wie auch in ganz Europa tief
greifend verändert. Die Menschen haben andere Lebens-
pläne und Wünsche als noch vor 50 Jahren. Dieser Wan-
del bereichert unsere Gesellschaft in gleichem Maße, wie
er uns vor neue Herausforderungen und Probleme stellt.

In Deutschland wird gegenwärtig jede dritte Ehe ge-
schieden. In 55 Prozent der Fälle sind minderjährige Kin-
der betroffen. Angesichts dieser sich wandelnden Struktu-
ren besteht insbesondere in der Familienpolitik immer
wieder Handlungsbedarf. Auch beim Familienrecht muss
diesem Wandel Rechnung getragen werden.


(Joachim Stünker [SPD]: Na so was! Das ist ja ganz was Neues!)


Es muss darum gehen, die veränderten Lebenswirklich-
keiten und Bedürfnisse der Menschen unvoreingenom-
men wahrzunehmen und auf diese angemessen zu reagie-
ren. Die Politik ist gefordert, die Menschen in ihrer
individuellen Lebenswirklichkeit konstruktiv zu beglei-
ten und mit geeigneten Gesetzen die entsprechenden Rah-
menbedingungen zu schaffen.

Leider nehmen Sie, meine Damen und Herren von Rot-
Grün, diesen Auftrag an die Politik nicht allzu wichtig;


(Joachim Stünker [SPD]: Unglaublich!)

denn der von der Arbeitsgruppe Recht und der Gruppe der
Frauen unserer Fraktion heute eingebrachte Antrag zeigt
einen Sachverhalt auf, der geradezu symptomatisch zu
sein scheint für die Rechts-, Frauen- und Familienpolitik
dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn seit dem 1. Januar 2003 sehen sich Frauen und Män-
ner, die sich scheiden lassen wollen, erheblichen Rechts-
unsicherheiten gegenüber.


(Joachim Stünker [SPD]: Welchen denn?)

Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 5. Sep-
tember des Jahres 2001 darf in Scheidungsverfahren die
Barwertverordnung für den Versorgungsausgleich seit
diesem Jahr nicht mehr in der bisherigen Form angewen-
det werden.

Bei der Barwertverordnung werden, wie Sie wissen,
die Rentenansprüche der Partner aus der Ehezeit addiert
und in gleiche Hälften geteilt.


(Joachim Stünker [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)



(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Rot-Grün hat es versäumt, ja – das will ich schon sagen –
verschlampt, in der vom Bundesgerichtshof vorgegebe-
nen Frist bis zum Jahr 2002 eine einwandfreie Nachfol-
geregelung des Versorgungsausgleichs vorzulegen.


(Joachim Stünker [SPD]: Das stimmt doch gar nicht, was Sie sagen!)


Insbesondere die damals noch zuständige Bundesjus-
tizministerin Däubler-Gmelin hat wohl ein Jahr lang
überhaupt nichts in dieser Sache unternommen. Dies ist
mehr als bedauerlich; denn der Versorgungsausgleich ist
ein ausgesprochen sinnvolles Instrument im Scheidungs-
recht. Mit ihm wird dem Gedanken Rechnung getragen,
dass in der Ehezeit erworbene Versorgungsansprüche der
Ehepartner das Ergebnis einer gemeinsamen Lebensleis-
tung sind. Gerade aus frauenpolitischer und aus familien-
politischer Sicht ist dieser Ansatz elementar. Denn es ist
richtig, dass insbesondere Frauen, aber auch Familien-
männer, die während der Ehe zumindest zeitweise auf
eine Erwerbstätigkeit verzichten und sich auf die Familien-
arbeit konzentrieren, bei einer Scheidung nicht ihren An-
spruch auf eine eigene Alterssicherung verlieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wird die Ehe geschieden, ist der Versorgungsausgleich

ein wichtiger Baustein für die soziale Sicherung des wirt-
schaftlich schwächeren Ehegatten im Alter und bei Inva-
lidität. Es entspricht unserem Sinn für Gerechtigkeit, dass
insbesondere die in der Ehezeit erworbenen Anrechte in
der gesetzlichen Rentenversicherung, Pensionsanrechte
sowie Rentenleistungen aus betrieblicher Altersversor-
gung oder auch aus privaten Rentenversicherungsverträ-
gen unter den Eheleuten ausgeglichen werden und damit
zur eigenständigen Alterssicherung beitragen.

Um diesen Ausgleich der Ansprüche bei einer Ehe-
scheidung gerecht und auch zügig durchführen zu können,
brauchen wir eine allgemeine Berechnungsgrundlage. Bis
Ende des Jahres 2002 war mit der Barwertverordnung
diese Grundlage gegeben. Jetzt befinden wir uns aufgrund
der Versäumnisse dieser Bundesregierung auf sehr
wackeligem rechtlichen Boden.

Damit nicht genug. Im Oktober 2002 legten Sie, Frau
Justizministerin, nach einjähriger Tatenlosigkeit Ihres
Hauses und dem notwendig gewordenen Abgang Ihrer
Vorgängerin einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des
Versorgungsausgleichs vor, den man schlichtweg als un-
brauchbar bezeichnen muss. Die Kritik der Rechtsexper-
tinnen und Rechtsexperten wollte gar nicht mehr auf-
hören. Daraufhin haben Sie diesen unausgegorenen
Gesetzentwurf auch wieder in der Versenkung verschwin-
den lassen – mehr als zu Recht, wie ich finde.

Gerade aus frauenpolitischer Sicht war dieser Gesetz-
entwurf eine reine Katastrophe. Viele Frauen hätten mit
der Umsetzung dieses Gesetzentwurfs unverantwortliche
Einschnitte in ihre Alterssicherung hinzunehmen gehabt.
Zum Beispiel hätten Frauen, die vor ihren geschiedenen
Männern in Rente gegangen oder berufsunfähig gewor-
den wären, aus unerfindlichen Gründen erst warten müs-
sen, bis ihr ehemaliger Ehegatte ebenfalls in Rente geht.
Erst dann hätten sie ihren Anspruch auf Versorgungsaus-
gleich realisieren können. Sie wären so von den Lebens-
umständen des ehemaligen Partners abhängig gewesen
und wären mit gravierenden Versorgungslücken in der ei-
genen Alterssicherung konfrontiert gewesen.

Ebenso lebensfremd war Ihr Vorschlag, den Versor-
gungsausgleich schuldrechtlich auszugestalten. Was war
denn hier Ihr Ziel, Frau Justizministerin? Wollten Sie ge-


(A)



(B)



(C)



(D)


1982


(A)



(B)



(C)



(D)






schiedene Eheleute ein Leben lang in Rechtsstreitigkeiten
aneinander ketten?


(Lachen bei der SPD – Joachim Stünker [SPD]: Diese böse Ministerin!)


Es ist Ihnen inzwischen wohl selbst klar geworden, dass
Sie sich mit dieser Idee auf dem Holzweg befunden ha-
ben. Hätten Sie diesen Vorschlag umgesetzt, wären eigene
Versorgungsanwartschaften für die betroffenen Frauen
und Männer in Zukunft passé gewesen. Sie hätten häufig
im hohen Alter mit eigenen Anträgen eine monatliche
Geldrente von ihrem ehemaligen Ehemann oder ihrer ehe-
maligen Ehefrau einfordern müssen. Ob sie dann über-
haupt etwas erhalten hätten, steht in den Sternen. Immer
neue Rechtsstreitigkeiten wären vorprogrammiert gewe-
sen, unter Umständen Jahrzehnte nach der Scheidung.
Dies kann doch nun wirklich niemand wollen.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie weit sich
diese Bundesregierung von der Lebenswirklichkeit der
Menschen in unserem Lande entfernt hat. Man könnte fast
den Eindruck gewinnen, dass die Anspruch stellenden
Frauen und Männer dazu gebracht werden sollten, auf ihre
Rechte zu verzichten, um nicht immer wieder vor Gericht
erscheinen zu müssen. Wahrscheinlich wäre dies dann so-
gar auch passiert und die Betroffenen hätten sich in ihrer
Verzweiflung die Ausgleichsrechte gegen viel zu geringe
Beträge abkaufen lassen, um nicht ständig wieder in die
sprichwörtliche Höhle des Löwen zurückkehren zu müs-
sen. Das kann nicht in unserem Interesse sein.

Wollen Sie, dass diese Frauen und Männer auf Sozial-
hilfe angewiesen sind, nur weil Sie nicht fähig sind, prak-
tikable rechtliche Regelungen rechtzeitig auf den Weg zu
bringen? Ich glaube, hier sind Sie dem Hohen Haus nach-
her eine Erklärung schuldig, Frau Justizministerin.

Durch diesen Politikstil wird deutlich, was insbeson-
dere Frauen von dieser Bundesregierung zu erwarten ha-
ben, nämlich weniger als nichts. Man kann sich bei dieser
Regierung nicht einmal darauf verlassen, dass es zu kei-
ner Verschlechterung des Status quo kommt. Ein neuer
Gesetzentwurf, mit dem eine Neuregelung des Versor-
gungsausgleichs erreicht werden könnte, wurde bislang
nicht vorgelegt. Es wird von Ihnen lediglich immer darauf
verwiesen, dass alles nicht so schlimm sei und dass sich
alles regeln werde. Verehrte Kolleginnen und Kollegen
der Regierungskoalition, das ist ein Irrtum. Unter Ihrer
Verantwortung regelt sich nichts von selbst oder wird bes-
ser, im Gegenteil.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In jedem betroffenen Scheidungsverfahren müssen

jetzt Gutachter bestellt werden, um die Ansprüche einzeln
aufzuzeigen. Diese stehen nicht an jeder Ecke. Ich denke,
ich muss Ihnen nicht erzählen, was ein solches Gutachten
kostet. Es wäre eigentlich nur fair, wenn die Betroffenen
ihren nicht hinnehmbaren finanziellen und zeitlichen so-
wie nicht zu unterschätzenden nervlichen Mehraufwand
dieser rot-grünen Bundesregierung einfach in Rechnung
stellen könnten.


(Detlef Parr [FDP]: Sehr gute Idee! – Joachim Stünker [SPD]: Schadenersatz, genau! – Weiteren Zuruf von der SPD: Toll!)


– Anhand Ihrer Zwischenrufe erkenne ich, dass Sie über
diesen nicht hinnehmbaren Zustand, der durch Ihre eige-
nen Schlampereien herbeigeführt worden ist, geflissent-
lich hinweggehen. Es bleibt zu hoffen, dass Ihre Untätig-
keit nicht etwa ideologisch begründet ist.


(Joachim Stünker [SPD]: Wie wäre es mit der Ökosteuer?)


Sie sorgen wohl nur für Frauen und Männer, die eine
lückenlose Erwerbsbiografie vorweisen können. Das ist
nicht unserer Ansatz. Wir wollen die Wahlfreiheit in un-
serem Land gewährleistet wissen. Es gibt nun einmal auch
in unserem Land eine Vielzahl von Frauen und inzwi-
schen auch Männern, die sich für eine gewisse Zeit aus-
schließlich oder teilweise der Familie widmen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Lebensentwurf verdient unseren Respekt und

unsere Anerkennung. Diesen Müttern und Vätern muss
gerade auch dann, wenn es zum Scheitern der Ehe kommt,
unsere Unterstützung zukommen. Diesen Menschen dür-
fen Sie diese Quittung nicht geben. Sie von Rot-Grün sind
verpflichtet, dafür zu sorgen, dass es hier zu einer zügigen
Regelung kommt, die sorgsam, umsichtig und verantwor-
tungsbewusst ist. Tun Sie endlich Ihre Arbeit!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502516900

Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin Zypries.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502517000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Eines stimmt: Das Recht des Versorgungsaus-
gleichs gehört zu den schwierigsten Materien überhaupt.


(Joachim Stünker [SPD]: So ist es!)

Sehr geehrte Frau Vorrednerin,


(Werner Kuhn [Zingst] [CDU/CSU]: Das ist Frau Widmann-Mauz!)


deshalb muss ich zunächst einmal eines klarstellen: Sie
reden immer vom Versorgungsausgleich und führen in Ih-
rer Begründung die Barwertverordnung an. Das sind zwei
ganz verschiedene Dinge.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Versorgungsausgleich ist das eine. Mit der Bar-
wertverordnung, von der Sie hinten in Ihrem Antrag ge-
sprochen haben – darauf nehmen Sie andauernd Bezug –,
regelt man nur den Ausgleich ganz bestimmter An-
sprüche, vor allem der zusätzlichen Betriebsrenten. Nur
das wird durch die Barwertverordnung berechnet.


(Joachim Stünker [SPD]: So ist es! Und nicht hälftig! Das wäre auch falsch!)


Ich erkläre das jetzt einmal von vorne:

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommen Sie wieder so belehrend daher! Joachim Stünker Annette Widmann-Mauz Bundesministerin Brigitte Zypries [SPD]: Ich glaube, Sie müssen es ihnen buchstabieren!)





Familienrichterinnen und -richter nutzen die Barwert-
verordnung für die Aufstellung einer Bilanz der ange-
wachsenen Versorgungsansprüche, die neben den An-
sprüchen gegenüber der BfA bestehen. Es ist nicht immer
einfach, diese Bilanz aufzustellen; denn es gibt unter-
schiedliche Versorgungsrechte. Es gibt betriebliche Zu-
satzversorgungen, die auf eine feste Zahlung hinauslau-
fen, es gibt betriebliche Versorgungssysteme, die
dynamisiert sind, es gibt die Riester-Rente, es gibt Le-
bensversicherungen und es gibt seit dem 1977 geschaffe-
nen Recht des Versorgungsausgleichs einen bunten Strauß
von verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten.

Der Unterschied dieser Rechte besteht in der Dynami-
sierung. Dazu benötigen wir die Barwertverordnung. Die
Barwertverordnung dient dazu, diese unterschiedlichen
Rechte gegenüberzustellen, zu berechnen und dadurch ei-
nen richtigen Ausgleich zu finden.

Technisch wird das so gehandhabt, dass diese ver-
schiedenen Anrechte nach dem Prinzip der gesetzlichen
Rentenversicherung vergleichbar gemacht werden. Das
heißt, auf der Basis des Anspruchs gegenüber der BfA
werden die anderen Ansprüche hinzugerechnet. Das be-
deutet, die Rechte, die nicht wie die Anrechte aus der ge-
setzlichen Rentenversicherung in ihrem Wert steigen,
werden in die Bilanz nicht mit dem monatlichen Nomi-
nalbetrag, sondern mit dem so genannten dynamisierten
Betrag eingestellt. Daher kommt dieses Wort.

Dieser Dynamisierung der Anrechte, die nicht voll-
dynamisch sind und denen auch kein Deckungskapital zu-
grunde liegt, dient die Barwertverordnung. Dazu braucht
man verschiedene Parameter. Der Bundesgerichtshof hat
in seiner Entscheidung von 2001 gerügt, dass die zu-
grunde liegenden Annahmen über die Sterbewahrschein-
lichkeit – sprich: über die Lebenserwartung der Men-
schen – und die Invalidisierungswahrscheinlichkeit
veraltet sind. Das ist richtig; denn die Barwertverordnung
ist inhaltlich seit 1984 nicht mehr geändert worden. Die
Lebenserwartung ist seitdem aber gestiegen.

Natürlich ist ein Versorgungsrecht mehr wert, wenn
man von einer höheren Lebenserwartung ausgehen kann.
Die Unterbewertung der von der Barwertverordnung be-
troffenen Anrechte führt also im Ergebnis dazu, dass die
während der Ehe erworbenen Versorgungsanrechte nicht
hälftig zwischen den Ehegatten verteilt werden. In dem
Fall, den der Bundesgerichtshof zu entscheiden hatte,
hätte die Frau mehr Geld bekommen müssen.

Es klingt erst einmal ganz einfach: Wir passen die
zwei Parameter, Sterbewahrscheinlichkeit und Invalidi-
sierungswahrscheinlichkeit, einfach an. Das kann man
sich zwar vorstellen, aber so einfach ist die Welt nun ein-
mal nicht. Die Annahmen über die Lebenserwartung und
die Wahrscheinlichkeit der verminderten Erwerbsfähig-
keit sind eben nur ein Teil der veralteten Parameter der
Barwertverordnung. Weitere wichtige Punkte sind der
Rechnungszins, der in der Barwertverordnung im Mo-
ment mit 5,5 Prozent angegeben ist – man geht davon
aus, dass das zu hoch ist –, die Rentendynamik, die un-
terschiedlichen Barwertfaktoren für Männer und Frauen,

die sich unterschiedlich entwickelt haben, sowie minder-
oder superdynamische Wertentwicklungen, die wir da-
mals, als diese Verordnung gemacht wurde, noch gar
nicht kannten.

Festhalten lässt sich aber: Die Umrechnung als solche
bedeutet immer eine erhebliche Veränderung im Nomi-
nalwert der umzuwertenden Anrechte. Das kann in vielen
Fällen nicht mehr gerecht sein. Wir haben es also mit ei-
nem Verlust an Gerechtigkeit zu tun. Das hat übrigens
auch schon die Regierung Kohl erkannt. 1984 wollte sie
die Barwertverordnung wegen ihrer Mängel zum
Jahre 1987 auslaufen lassen. Sie sehen, man hat schon da-
mals gewusst, dass sich das Leben selbst im 20. Jahrhun-
dert ändert.

Wir in der rot-grünen Regierungskoalition haben uns in
der letzten Legislaturperiode entschieden – das fordern
Sie, wenngleich Sie es anders beschrieben haben –, den
Versorgungsausgleich in toto anzupacken. Wir wollen ei-
nen besseren Ausgleich bei nicht volldynamischen An-
rechten. Unsere Überlegungen konzentrieren sich darauf,
die Durchführung des Versorgungsausgleichs im Wege
der Realteilung auszubauen. Das heißt, die Anrechte wer-
den grundsätzlich in dem System, in dem sie erworben
sind, geteilt. Man muss keine gegenseitige Berechnung
mehr vornehmen.

Da ein solches System der verfassungsrechtlichen und
auch der versicherungsmathematischen Absicherung be-
darf, müssen erst umfangreiche Vorarbeiten beendet wer-
den. Die neue Entwicklung im System der Alterssiche-
rung – Stichwort: Riester-Rente und andere Formen der
privaten Altersvorsorge – haben unsere geplante Struktur-
reform nicht nur zeitlich verzögert, sondern auch inhalt-
lich sehr erschwert. Die Entscheidung des Bundesge-
richtshofes ist nun mitten in diese Arbeiten geplatzt.
Weder meine Amtsvorgängerin noch ich waren zunächst
von der Idee begeistert, das Auslaufmodell Barwertver-
ordnung einfach nur zu verlängern, weil, wie schon er-
wähnt, neben den vom BGH behandelten beiden Punkten
noch zahlreiche andere problematisch sind.

Deshalb hat das Haus zunächst vorgeschlagen, die be-
troffenen Anrechte im Wege des schuldrechtlichen Ver-
sorgungsausgleichs zum Ausgleich zu bringen. Das hätte
für den Übergang bis zur Strukturreform in der ganz über-
wiegenden Zahl der Fälle eine Art Moratorium bedeutet.
Sie haben Recht: Man hätte diesen Versorgungsausgleich
abspalten und ihn später anpacken müssen, was im
Grunde kein Problem ist. Im Übrigen wird auch heute
schon über § 10 a EStG der Versorgungsausgleich wieder
angepackt. Oft stellt man nämlich nach zehn bis 15 Jah-
ren fest, dass die Wertberechnungen, die damals zugrunde
gelegt wurden, nicht mehr stimmen.

Unsere Lösung hätte sich also in den vergleichsweise
wenigen Fällen ausgewirkt, in denen der Versorgungsaus-
fall schon eingetreten wäre oder unmittelbar bevorstand.
Dies hätte das zur Folge, was Sie explizit fordern: Die
Frauen wären besser gestellt worden.

Diesen schuldrechtlichen Versorgungsausgleich haben
wir aber nur für die Übergangszeit geplant. In der
grundsätzlichen Strukturreform – das habe ich eben schon
angesprochen – wollen wir ihn natürlich nicht.


(A)



(B)



(C)



(D)


1984


(A)



(B)



(C)



(D)






Der von uns vorgelegte Entwurf war nicht unbrauch-
bar. Er hat nur einen sehr viel übergreifenderen Ansatz
verfolgt und war deshalb in der Kürze der Zeit einigen
nicht vermittelbar. Die Kritik hat aber gezeigt, dass die
Strukturreform notwendig ist. Deswegen haben wir das
Thema noch einmal diskutiert. Ich bin nach wie vor der
Auffassung, dass wir den Versorgungsausgleich dringend
ändern müssen. Diese Reform ist überfällig. Das Recht ist
völlig zersplittert. Kein Mensch kennt sich aus. Man
benötigt wissenschaftliche Gutachten, um überhaupt zu
einem Ergebnis zu kommen. Das ist kein befriedigender
Zustand. Da müssen wir ran!

Deswegen habe ich entschieden, den Gesetzentwurf zum
Übergangsrecht in der vorgelegten Fassung nicht weiter zu
verfolgen, sondern eine Erhöhung der beiden Parameter Le-
benserwartung und Invalidisierungswahrscheinlichkeit, die
der Bundesgerichtshof gerügt hat, vorzunehmen. Ich hoffe,
dass wir damit in diesen Bereich Ruhe hineinbringen und
hinsichtlich der grundsätzlichen Überarbeitung des Versor-
gungsausgleichs beschleunigt zu Lösungen kommen, mit
denen nicht nur die Praxis leben kann, sondern die vor allen
Dingen die Anforderungen erfüllen, von denen wir meinen,
dass sie berechtigt sind.

Das bedeutet, dass selbstverständlich sämtliche Le-
bensentwürfe von Frauen gerecht berücksichtigt werden.
Das ist nämlich eine alte Forderung der Sozialdemokra-
ten, die keineswegs der Auffassung sind, dass nur diejeni-
gen, die gearbeitet haben, im Alter eine Versorgung erhal-
ten sollen, sondern dass auch diejenigen, die auf andere
Art und Weise dafür gesorgt haben, dass die Familie zu-
sammengehalten wird und in der Form leben kann, in der
sie leben möchte, bei der Scheidung einer Ehe eine ange-
messene Versorgung erhalten.


(Dirk Manzewski [SPD]: Das sind Sozialdemokraten!)


– Vielen Dank! So ist es.

(Beifall bei der SPD)


In diesem Sinne werden wir den Entwurf einer Bar-
wertverordnung vorlegen. Ich gehe davon aus – ich habe
mit einem Teil der Ländervertreter bereits darüber ge-
sprochen –, dass sie kurzfristig, wahrscheinlich spätestens
im Mai, wird in Kraft treten können.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das Jahr müssen Sie noch sagen!)


– Dieses Jahr natürlich.
Die Arbeiten am Versorgungsausgleich werden wir so

zügig vorantreiben, dass wir auch das in dieser Legisla-
turperiode zu einem Abschluss bringen können.

Ich hoffe, der Unterschied zwischen Versorgungsaus-
gleich und Barwertverordnung wurde deutlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Joachim Stünker [SPD], zur CDU/CSU gewandt: Jetzt müssen Sie Ihren Antrag zurücknehmen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502517100

Danke schön. – Das Wort hat jetzt die Abgeordnete

Sibylle Laurischk.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1502517200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen Abgeordnete! Mit der Aufgabe, die
Barwertverordnung neu regeln zu müssen, hat die frühere
Justizministerin, Frau Däubler-Gmelin, ein schwieriges
Erbe hinterlassen. Ausschlagen kann es die neue Ministe-
rin nicht; aber es fällt offenbar schwer, das Erbe anzutre-
ten. Das Nichtstun bringt jetzt auch noch alles durch-
einander.

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 5. Septem-
ber 2001 die Barwertverordnung zu Recht als mit den
heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen und rechtspoli-
tischen Rahmenbedingungen nicht mehr vereinbar erach-
tet. Er hat den Gesetzgeber deshalb aufgefordert, bis zum
Ende des vergangenen Jahres eine Neuregelung vorzule-
gen. Nach der BGH-Entscheidung ging das Justizministe-
rium zunächst einmal auf Tauchstation. Erst nach dem
Amtsantritt der neuen Justizministerin wurde – kurz vor
Fristablauf – ein Entwurf vorgelegt, der von der juristi-
schen Fachwelt sofort und nahezu einhellig abgelehnt
wurde. Der Entwurf wurde dann wieder zurückgezogen.

Die Folge: Scheidungswillige müssen den Versor-
gungsausgleich zwar nicht im rechtsfreien Raum lösen,
weil der BGH weitsichtig genug war, in seiner Entschei-
dung zu erklären, dass zur Wahrung der Rechtseinheit und
im Interesse der Rechtssicherheit in der Übergangszeit,
bis zum In-Kraft-Treten einer Neuregelung der Barwert-
ermittlung – jedenfalls im Regelfall –, die Barwertver-
ordnung weiterhin zugrunde zu legen ist. Sie wird also
auch angewandt.

Man kann ein Scheidungsverfahren bis zur Neurege-
lung der Barwertverordnung auch ruhen lassen. Man kann
das Scheidungsverfahren abtrennen und hinsichtlich des
Versorgungsausgleiches abwarten.


(Zuruf von der SPD: Mit dem Versorgungsausgleich!)


– Ja, mit dem Versorgungsausgleich.

(Christine Lambrecht [SPD]: Der wird abgetrennt! – Joachim Stünker [SPD]: Die Scheidung wird ausgesprochen!)


Der ist nämlich Gegenstand auch für die Regelung, die
dann mit der Barwertverordnung zu treffen ist.

Deshalb fordert die FDP das Bundesjustizministerium
auf, unverzüglich den Entwurf einer Neuregelung einer
Barwertverordnung vorzulegen.

Aus Sicht meiner Fraktion ist es damit aber nicht ge-
tan. Wir sollten das rot-grüne Versagen bei der Umsetzung
höchstrichterlicher Vorgaben


(Erika Lotz [SPD]: Na, na, na!)

zum Anlass nehmen, das gesamte System des familien-
rechtlichen Versorgungsausgleichs auf den Prüfstand zu
stellen.


(Beifall bei der FDP)

Wir leben in einer Zeit, in der sich die Biografie von

Frauen grundsätzlich geändert hat – auch gegenüber den

Bundesministerin Brigitte Zypries




Sibylle Laurischk
70er-Jahren, als der Versorgungsausgleich mit der Schei-
dungsrechtsreform eingeführt wurde.


(Zuruf von der SPD: Also?)

Die Grunddaten der bisherigen Barwertverordnung sind

aber bis zu 60 Jahre alt. Die veränderte Lebenssituation
von Frauen und auch von Männern muss deshalb drin-
gend ihren Niederschlag in der Gesetzgebung finden. Der
Versorgungsausgleich sollte ursprünglich den Lebensun-
terhalt von geschiedenen Frauen im Alter sicherstellen.
Dies waren damals zum überwiegenden Teil Frauen, die
entweder nur ein paar Jahre oder nie erwerbstätig gewe-
sen waren. Mittlerweile ist es für Frauen selbstverständ-
lich, berufstätig zu sein. Nur wenige haben noch eine
reine Hausfrauenbiografie.

Das Versorgungsausgleichsverfahren ist unglaublich
langwierig und zieht oft ein ansonsten unkompliziertes
Scheidensverfahren unnötig in die Länge. Oft braucht die
Klärung der Versorgungsausgleichsansprüche sechs bis
acht Monate, zunehmend noch länger. Nicht die Gerichte
sind schuld daran, sondern eine mühsam arbeitende Ren-
tenversicherungsbürokratie, die bei der Klärung von
Rentenansprüchen mit Auslandsbezug oft völlig zum Er-
liegen kommt. Hier kann ein Scheidungsverfahren man-
gels Klärung der Versorgungsausgleichsansprüche gut
und gern auch zwei Jahre und länger dauern.

Ein unkomplizierter Verzicht auf den Versorgungsaus-
gleich, der sich bei geringen Ausgleichsansprüchen an-
bietet, ist ohne vorherige Klärung der Ansprüche und rich-
terliche Genehmigung oder ohne Gang zum Notar – aus
meiner Sicht eine überholte Bevormundung von schei-
dungswilligen Frauen und Männern – nicht möglich.


(Joachim Stünker [SPD]: Das wollen Sie abschaffen oder was?)


Ich nenne auch noch einen anderen Grund für meine For-
derung, den Versorgungsausgleich insgesamt neu zu regeln:


(Joachim Stünker [SPD]: Wie denn?)

Die versicherungsmathematischen Grundlagen des Ver-
sorgungsausgleichs sind kaum noch nachvollziehbar und
für Laien unverständlich.


(Joachim Stünker [SPD]: Das waren sie für Laien schon immer!)


Da bleibt ganz schnell das Prinzip der Rechtssicherheit
und der Rechtsklarheit auf der Strecke. Deshalb fordere
ich für meine Fraktion nachdrücklich, das Versorgungs-
ausgleichsrecht neu zu konzipieren und zu entbürokrati-
sieren.


(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD)

Sehr geehrte Frau Ministerin, die FDP-Bundestags-

fraktion ist gespannt, welche Vorschläge Sie der Öffent-
lichkeit vorlegen werden. Ihr Vortrag heute gibt Anlass
zur Hoffnung. Lassen Sie das Erbe Ihrer Vorgängerin
nicht länger in der Schublade! Räumen Sie auf!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502517300

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-

Gerigk.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit Verlaub, Frau Widmann-Mauz, der Titel Ihres An-
trags: „Versorgungsausgleich umgehend regeln – Keine
Schlechterstellung für Frauen bei der Alterssicherung“
vermittelt den Eindruck, als beabsichtige die Bundes-
regierung eine Neuregelung des Versorgungsausgleichs
zulasten der Frauen. Sie wissen ganz genau: Das ist nicht
der Fall. Fakt ist: Die bestehende Regelung, die es im-
merhin seit 1977 gibt, geht oft zulasten der Frauen. Das
werden wir schleunigst ändern. Die Ministerin hat es ge-
rade angesprochen.

Wo liegt das Problem? – Die Barwertverordnung, die
als Umrechnungstabelle benutzt wird, um dynamische
Rentenansprüche, also die der gesetzlichen Rentenversi-
cherung, gegenüber nicht dynamischen wie Betriebsren-
ten oder Leistungen aus berufsständischen Versorgungs-
werken wie bei Architektenkammern oder Ähnlichem
vergleichbar zu machen, führte in ihrer Anwendung häu-
fig zu Verzerrungen und zum Teil zu erheblichen Leis-
tungskürzungen bei den geschiedenen Anspruchsberech-
tigten. Das waren in der Hauptsache eher Frauen.

Durch diesen Transfer gingen im Einzelfall bis zu 70 Pro-
zent des Nominalwerts verloren. Genau das hat der Bun-
desgerichtshof beanstandet und die Anwendung der Bar-
wertverordnung ab 1. Januar 2003 untersagt. Natürlich
hätte schon jetzt eine Regelung in Kraft sein können.
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU, Schadenfreude auf Ihrer Seite ist überhaupt nicht
angebracht. Das Problem ist lange bekannt. Schon 1984
wollte die damalige Bundesregierung das Verfahren än-
dern; sie hat es bis 1998 nicht getan. Wir werden das jetzt
machen, aber das braucht natürlich Zeit.

Die Ministerin hat gerade darauf hingewiesen, wie
kompliziert das System ist. Nach der Barwertverordnung
werden in die Berechnung natürlich biologische Daten
wie die durchschnittlichen Angaben für das Lebensalter,
Sterbetafeln usw. einbezogen. Da die Anwendung einer
veralteten Umrechnungstabelle zu ungerechten Verzer-
rungen geführt hat, müssen wir die Tabelle jetzt endlich
anpassen.

Die Ministerin hat ausgeführt, dass derzeit ein renten-
mathematisches Modell erstellt wird. Mit den Ergebnis-
sen rechnen wir sehr bald. Wenn die Bundesländer zu-
stimmen – das sage ich an die Adresse der CDU/CSU –,
kann die neue Verordnung in der Tat noch vor der Som-
merpause veröffentlicht werden.

Der Versorgungsausgleich ist ein sehr komplexes und
schwieriges Rechtsgebiet. Das zeigt sich auch darin, dass
seit In-Kraft-Treten immer wieder Korrekturen aufgrund
verfassungsgerichtlicher Vorgaben notwendig wurden.
Der Versorgungsausgleich muss über die sehr unter-
schiedlichen Systeme der Rentenversicherung und Alters-
vorsorge hinweg für einen gerechten Ausgleich zwischen
den geschiedenen Ehegatten sorgen. Zudem muss der Ver-
sorgungsausgleich aber auch gewährleisten, dass bereits
zum Zeitpunkt der Scheidung die Ansprüche gerecht und
transparent zwischen den ehemaligen Ehegatten geregelt
werden können. Die besondere Schwierigkeit besteht


(A)



(B)



(C)



(D)


1986


(A)



(B)



(C)



(D)






darin – das liegt auf der Hand –, dass zum Zeitpunkt der
Scheidung das Renteneintrittsalter häufig noch in weiter
Ferne liegt und daher verlässliche Aussagen über die
in Jahrzehnten zu gewährenden Vorsorgeleistungen nur
schwer möglich sind.

Der Druck für eine generelle Reform des Versorgungs-
ausgleichs ist erkennbar vorhanden. Das Ministerium
arbeitet – so haben wir gerade gehört – seit längerem an ei-
ner Strukturreform. Es hat ein versicherungsmathemati-
sches Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse wir
sicherlich noch vor der Sommerpause erwarten können.

Meine Fraktion sieht die Lösung des Problems nicht
nur in der Anpassung der Barwertverordnung, die jetzt
übergangsweise notwendig ist, sondern in einer generel-
len Reform des Versorgungsausgleichs. Ziel muss es
sein, gemeinsam mit den Versorgungsträgern praktikable
und gerechte Regelungen für geschiedene Ehegatten zu
finden, die eine eigenständige Altersvorsorge auch derje-
nigen Frauen und Männer absichern – da sind wir sehr
nahe bei Ihnen, Frau Widmann-Mauz –, die sich in der
Ehe für einen gewissen Zeitraum ausschließlich der Fa-
milienarbeit widmen oder einer niedriger entlohnten Teil-
zeitarbeit nachgehen. In diesem Punkt stimme ich ganz
mit Ihnen überein. Ziel der Strukturreform muss es aber
auch sein, dass die Ehegatten bereits zum Zeitpunkt der
Scheidung über ihre Ansprüche informiert werden, damit
spätere Streitigkeiten, oft nach Jahrzehnten, vermieden
werden können und die ehemaligen Ehegatten nicht in ih-
rer Planung für die Altersvorsorge behindert werden.

Der Zugang zu den Versorgungsleistungen muss auch
unabhängig möglich werden – da gebe ich Ihnen Recht;
das haben Sie vorhin vorgetragen –; denn es ist schon ein
Problem, wenn eine geschiedene Ehefrau auf Leistungen
warten muss, bis der ehemalige Ehegatte Rente bezieht.
Wir möchten, dass der Versorgungsanspruch nicht erst
fällig wird, wenn auch der ehemalige Ehepartner das Ren-
tenalter erreicht hat. Für uns sind Regelungen durch Re-
alteilung der Versorgungsleistungen denkbar, nach denen
die erworbenen Rentenansprüche grundsätzlich gegen-
über dem Versorgungsträger ausgeglichen würden.

Wenn wir einen entsprechenden Gesetzentwurf vorle-
gen – ich denke, das wird Mitte des Jahres sicherlich mög-
lich sein –, würden wir Sie sehr gern beim Wort nehmen.
Wir hoffen, dass wir einen solchen Entwurf dann gemein-
sam verabschieden können. Das ist sicherlich auch im In-
teresse derjenigen, die das Geld tatsächlich brauchen. Lei-
der sind das in der Hauptsache immer noch die Frauen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502517400

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ute Granold.


Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1502517500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Frau Kollegin, die Formulierung unseres Antrages ist

schon richtig gewählt. Die Barwertverordnung ist Teil des
Versorgungsausgleichs und mit einer nicht mehr gelten-
den Barwertverordnung lässt sich kein Versorgungsaus-
gleich regeln. Das ist der Punkt, um den es heute geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist dringender Handlungsbedarf gegeben.


(Joachim Stünker [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! In Deutschland wird nahezu jede dritte Ehe geschieden und mit jeder Scheidung ist grundsätzlich auch der Versorgungsausgleich durchzuführen. Dieser regelt die Frage, wie und in welchem Umfang von Ehegatten erworbene Anwartschaften auf Altersversorgung geteilt werden. Im September 2001 hatte der Bundesgerichtshof die so genannte Barwertverordnung außer Kraft gesetzt, weil sie auf veralteten demographischen Grundlagen beruhte. Mithilfe der Barwertverordnung konnten die Familiengerichte Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung mit denen in betrieblichen und freiberuflichen Altersversorgungssystemen vergleichbar machen und so zwischen den Eheleuten teilen. Ebenfalls im September 2001 gab das höchste deutsche Zivilgericht dem Bundesgesetzgeber auf, die Barwertverordnung bis spätestens zum 31. Dezember 2002 den heutigen Verhältnissen anzupassen. Doch über ein Jahr lang ist absolut nichts geschehen. Dann, Mitte Oktober 2002, übersandte das Bundesjustizministerium den Fachverbänden, den Bundesländern und auch dem BGH selbst einen Gesetzentwurf zur Stellungnahme mit einer Frist von einem Monat. Statt sich hierbei wegen der inzwischen eingetretenen Eilbedürftigkeit auf das Wesentlichste und Notwendigste, nämlich die Novellierung der veralteten biometrischen Daten, zu beschränken, sollte – offenbar mit allzu heißer Nadel gestrickt – ein neues und sehr kompliziertes Verfahren zum Ausgleich der Versorgungsanwartschaften als Übergangslösung eingeführt werden. Dieses Vorhaben der Bundesregierung wurde, wie es in letzter Zeit bei Regierungsplänen ja schon an der Tagesordnung ist, von Experten auf das Schärfste kritisiert und zurückgewiesen. Nicht nur, dass die durch die BGH-Entscheidung entstandene Regelungslücke nicht geschlossen wurde. Es kommt hinzu, dass der Versorgungsberechtigte – in sehr vielen Fällen handelt es sich um Frauen – nicht mehr einen Anspruch auf die Hälfte der Anwartschaften des anderen Ehegatten, so wie es das Gesetz vorsieht, sondern einen völlig ungesicherten schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch gegenüber dem Besserversorgten hätte. Das ist eine eindeutige Schlechterstellung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage. Im Gegensatz zu anderen Fällen – wir erinnern uns, dass vor nicht allzu langer Zeit gegen den erbitterten Widerstand der Praxis die Novelle der Zivilprozessordnung durchgeboxt wurde – hat sich die Regierung hier einsichtig gezeigt und den Gesetzentwurf nach der verheerenden Kritik zurückgezogen. – Das ist wirklich das einzig Positive, was man zu diesem ganzen Vorgang anmerken kann. – Aber auch das hat wieder viel zu lange gedauert. Obwohl bereits im November letzten Jahres klar war, dass das Irmingard Schewe-Gerigk Ute Granold Gesetzesvorhaben keine Chance haben kann, hat sich bis zur Stunde kaum etwas bewegt. Ein weiteres Mal wurden vergangene Woche die Landesjustizverwaltungen, die bereits Ende vergangenen Jahres wegen der Untätigkeit der Bundesregierung Sturm gelaufen waren, aufgefordert, zu einem neuen Vorstoß der Regierung Stellung zu nehmen. (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Hört! Hört!)





Dieses Mal beschränkte man die Neuregelung zunächst
auf die vom BGH geforderte Berücksichtigung aktueller
biometrischer Daten. Das war eigentlich überflüssig;
denn es gibt jetzt keine Alternativen mehr. Es brennt vor
Ort! Bereits seit sechs Wochen sind die deutschen Ge-
richte nahezu handlungsunfähig.


(Lachen bei der SPD)

Etwa 70 000 Verfahren sind betroffen. Unsere Familien-
richter, ohnehin hoffnungslos überlastet – Frau Kollegin,
hören Sie mir einfach zu; ich werde das auch tun, wenn
Sie gleich reden werden –, können derzeit entweder nur
durch die Einholung teurer versicherungsmathematischer
Sachverständigengutachten, die den individuellen Barwert
ermitteln, entscheiden, das Versorgungsausgleichsverfah-
ren vom Scheidungsverfahren abtrennen oder das Schei-
dungsverfahren insgesamt aussetzen.

Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin seit mehr als 20 Jah-
ren als Scheidungsanwältin tätig und habe jetzt meinen
Mandanten das Unglaubliche zu erklären: Lahmlegen der
deutschen Gerichte wegen Tatenlosigkeit der Bundes-
regierung, weil sie seit anderthalb Jahren nicht in der Lage
ist, zunächst einmal nur eine einfache Tabelle hinsichtlich
Sterbe- und Individualisierungswahrscheinlichkeiten zu
aktualisieren. An dieser Stelle sollte man nicht vergessen,
dass es die Regierung selbst war, die bereits in einem
Schreiben vom 30. November 2000, also knapp ein Jahr
vor der hier in Rede stehenden Entscheidung des BGH,
Handlungsbedarf festgestellt hat. Ich zitiere:

Das Recht des Versorgungsausgleichs in Bezug auf
nicht volldynamische Anrechte bedarf vor dem Hin-
tergrund der in der Rechtsprechung und Literatur er-
hobenen gewichtigen Einwände aus der Sicht der
Bundesregierung der Überarbeitung, um Mängeln
des geltenden Rechts abzuhelfen. Angesichts der
zum Teil auch gegen die Grundstrukturen des gelten-
den Rechts erhobenen Einwände erstrecken sich
diese Überlegungen auch auf alternative Gestal-
tungsmöglichkeiten im Sinne einer grundsätzlichen
Weiterentwicklung des Versorgungsausgleichsrechts.

Dieses Zitat ist übrigens Bestandteil der Entscheidung des
BGH vom September 2001.

Das Ganze ist sage und schreibe zweieinhalb Jahre her.
Das ist in der Tat ein Skandal.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei sollte es sich eigentlich ganz von selbst verstehen,
dass ein vom höchsten deutschen Zivilgericht erteilter
Gesetzgebungsauftrag, der im Übrigen klar definiert ist,
innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens von immerhin

eineinviertel Jahren erledigt wird – dies umso mehr, als
die Menschen in unserem Land von dieser Untätigkeit der
Regierung unmittelbar und hautnah betroffen sind.

Wir dürfen nun gespannt sein, ob die Bundesregierung
wenigstens insofern lernfähig ist, als es künftig besser und
schneller geht. Gelegenheit hierzu gibt es aktuell wieder.
Unser höchstes deutsches Gericht hat dieser Tage eine
Entscheidung zur gemeinschaftlichen elterlichen Sorge
nicht verheirateter Eltern von nicht ehelichen Kindern ge-
fällt und dabei den Gesetzgeber ein weiteres Mal aufge-
fordert, tätig zu werden und bis Ende dieses Jahres eine
Übergangsregelung zu schaffen. Warten wir es ab!

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert mit dem
heute vorliegenden Antrag die Bundesregierung eigent-
lich zu einer Selbstverständlichkeit auf, nämlich ihrer
Pflicht als Verordnungsgeber endlich nachzukommen
und den Menschen und Gerichten verlässliche und ge-
rechte Rechtsgrundlagen an die Hand zu geben sowie die
seit langem bekannte und auch dringend gebotene Struk-
turreform des Versorgungsausgleichs auf den Weg zu
bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Heubeck AG, das Beratungsinstitut für Altersvor-

sorge, ist, wie ich gehört habe, beauftragt, die Aktualisie-
rung vorzunehmen. Das ist wenigstens etwas. Wir alle,
insbesondere die an Prozessen Beteiligten, hoffen sehr,
dass in kürzester Zeit die Aktualisierung der Barwertver-
ordnung vorliegt, sodass wir im Versorgungsausgleich
eine Entscheidung treffen und die überlasteten Familien-
richter ein bisschen entlasten können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502517600

Frau Kollegin Granold, soweit ich sehe, war das Ihre

erste Rede. Dazu möchte ich Ihnen im Namen des ganzen
Hauses gratulieren, auch wenn es manchmal nicht so ganz
einfach war.


(Beifall)

Außerdem haben Sie die Redezeit nicht ganz ausgeschöpft.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es ist aber alles gesagt, was gesagt werden musste!)


Das ist sehr lobenswert, weil wir noch eine lange Tages-
ordnung haben.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christine
Lambrecht.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1502517700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kollegin Granold, bei der ersten Rede ist man immer so
ein bisschen unter einer Glocke; da gesteht man vieles zu.
Trotzdem muss es auch bei einer ersten Rede erlaubt sein,
von dieser Stelle aus schlicht falsche Behauptungen rich-
tig zu stellen. Die Gelegenheit dazu möchte ich jetzt auch
nutzen, weil das gerade im Interesse der Betroffenen, die


(A)



(B)



(C)



(D)


1988


(A)



(B)



(C)



(D)






Sie als Anwältin und Anwaltskollegin hier angesprochen
haben, so nicht stehen bleiben kann.

Sie haben behauptet, Versorgungsausgleiche könnten
wegen des Auslaufens bzw. wegen der mangelnden Mög-
lichkeit der Anwendung der Barwertverordnung nicht
mehr vorgenommen werden. Das ist natürlich falsch; wei-
terhin werden Versorgungsausgleiche geregelt.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das hat auch niemand behauptet! – Gegenruf des Abg. Joachim Stünker [SPD]: Doch!)


– Doch, genau das hat sie gesagt. Das können wir gern im
Protokoll nachlesen. Sie müssen vielleicht besser zuhö-
ren. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass Sie es ein-
fach nicht verstehen.

Der Versorgungsausgleich kann selbstverständlich
dann geregelt werden, wenn es um gesetzliche Renten-
versicherungsansprüche und wenn es um Beamtenversor-
gungen geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist
natürlich das Gros der Versorgungsausgleiche.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Darum geht es und deswegen war die Behauptung falsch.
Es ist mir wichtig, das ausdrücklich zu sagen.

Um was geht es ansonsten? Es geht ansonsten um Ver-
sorgungsausgleiche, die andere Anwartschaften betreffen.
Auch in solchen Fällen wären selbstverständlich eine
Scheidung und eine Abtrennung des Versorgungsaus-
gleichs – der muss abgetrennt werden – möglich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt muss man sich fragen: Wie viele Fälle sind es

dann noch, bei denen es wirklich so brennt, wie Sie es dar-
gestellt haben?


(Sibylle Laurischk [FDP]: Eine Menge!)

So brennen, dass ein Abtrennen des Versorgungsausgleichs
nicht hinnehmbar ist, kann es wirklich nur dann, wenn
entweder schon eine Rente oder eine sonstige Versorgung
gezahlt wird oder wenn man ganz, ganz kurz davor steht.
Nur über diese wirklich wenigen Ausnahmefälle, die
keine gesetzliche Rentenversicherung und keine Beam-
tenversorgung betreffen, bei denen die Rente direkt be-
vorsteht oder schon Rente gezahlt wird, sprechen wir.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen ist die Überschrift, die Sie für Ihren Antrag
gewählt haben, falsch. Sie erweckt den Eindruck, als ob
der Versorgungsausgleich insgesamt jetzt umgehend zu
regeln wäre. Es geht aber nur darum, eine neue Barwert-
verordnung bzw. eine Strukturreform zu schaffen, die
dann auch diese wenigen Fälle betrifft.

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, mir von der
CDU/CSU eingebrachte Anträge genau anzuschauen. Ich
prüfe: Was steht drauf und was ist drin? Der erste Teil des
Titels Ihres Antrages lautet: „Versorgungsausgleich umge-
hend regeln“. Ich habe klargestellt, dass es keineswegs da-
rum geht; vielmehr geht es – zu Recht – darum, für einige

wenige Fälle jetzt eine Regelung zu treffen. Der zweite
Teil des Titels Ihres Antrags lautet: „Keine Schlechterstel-
lung von Frauen bei der Alterssicherung“. Dafür werden
Sie insbesondere auf der linken Seite dieses Hauses volle
Zustimmung finden; denn wir sind es, die beim besten Wil-
len nicht dafür sorgen wollen, dass Frauen bei der Alters-
sicherung schlechter gestellt werden.

Uns geht es aber nicht nur darum, die Alterssicherung
für den Fall zu verbessern, dass es zu einer Scheidung
kommt, sondern es geht uns auch darum, dafür zu sorgen,
dass Frauen aufgrund selbst erworbener Alterssiche-
rungsansprüche besser gestellt werden. Da haben wir eine
ganze Menge auf den Weg gebracht. Davon könnten Sie
sich eine Scheibe abschneiden.


(Beifall bei der SPD)

Es geht um eine bessere Anrechnung von Kindererzie-
hungszeiten und es geht um eine Regelung, die statt des
Erziehungsurlaubs eine Elternzeit vorsieht. Durch diese
Regelung können Frauen jetzt beides, Kinder und Beruf,
unter einen Hut bekommen. So können sie eine eigene Al-
terssicherung erwerben. Das ist bahnbrechend.


(Beifall bei der SPD)

Wenn es Ihnen darum geht, eine Schlechterstellung der

Frauen bei der Alterssicherung zu verhindern, dann frage
ich mich wirklich – als Sie davon gesprochen haben, dass
Sie ermöglichen wollen, dass mehr Menschen veränderte
Lebenssituationen wahrnehmen können –, warum Sie
ideologische Scheuklappen tragen und Ihre Zustimmung
bisher versagt haben.


(Beifall bei der SPD)

Aber Sie haben dazugelernt und deswegen werden Sie

bestimmt unsere Initiative mittragen, die Rahmenbedin-
gungen dahin gehend zu verändern, dass Kinderbetreu-
ungsangebote geschaffen und vorhandene ausgeweitet
werden, damit mehr Frauen eine eigene Alterssicherung
erwerben können.

Wie gesagt, ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Ihre
Anträge sehr genau zu lesen. In Ihrem Antrag verwei-
sen Sie auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom
5. September 2001. In diesem Beschluss hat der Bundes-
gerichtshof die Bundesregierung als Verordnungsgeber
dringend aufgefordert, den Berechnungsmodus zu ver-
ändern. Die Ministerin ist darauf ausführlich eingegan-
gen. Ich will den Kollegen eine weitere Nachhilfestunde
ersparen. Zumindest die eine Seite des Hauses hat das
nämlich verstanden.

In Ihrem Antrag behaupten Sie – ich lese Ihre Anträge
so genau, weil man in ihnen immer wieder etwas Infames
finden kann –:

Nach fast zweijähriger Tatenlosigkeit legte das Bun-
desministerium der Justiz im Oktober 2002 einen
Gesetzentwurf zur Neuregelung des Versorgungs-
ausgleichs vor.

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs ist vom 5. Sep-
tember 2001 und dennoch sprechen Sie mit Hinweis auf
den Oktober 2002 von „fast zweijähriger Tatenlosigkeit“.
Sie müssen einmal anfangen, rechnen zu lernen!


(Beifall bei der SPD)


Christine Lambrecht




Christine Lambrecht
Sie verwechseln dort etwas. Zwischen dem 5. September
2001 und Oktober 2002 liegen 13 Monate und keine zwei
Jahre. Zwei Jahre sind nämlich 24 Monate. Ich will Ihnen
einmal eines sagen: Offensichtlich ist keiner von Ihnen
mit Versorgungsausgleichen betraut.


(Beifall bei der SPD – Ute Granold [CDU/CSU]: Mehr als Sie!)


Falls doch, kann ich nur die Hände über dem Kopf zu-
sammenschlagen. Wenn Sie so den Versorgungsausgleich
Ihrer Mandanten berechnen, dann werden diese wenig
Spaß an den Ergebnissen haben.


(Beifall bei der SPD)

Ich kann Sie nur aufrufen: Beenden Sie Ihre Schaden-

freude darüber, dass es für ganz wenige Fälle zu einer Ver-
zögerung von sechs Wochen oder von einigen Monaten
gekommen ist! Gehen Sie endlich dazu über, in einer so
wichtigen Frage sachlich zusammenzuarbeiten, die
Scheuklappen abzulegen und veränderte Lebenssituatio-
nen wahrzunehmen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Warum haben Sie denn Ihren Antrag zurückgezogen? Da war die Ministerin ja noch ehrlicher als Sie!)


Sie sind herzlich dazu eingeladen, im Rechtsausschuss
eine weitere Lehrstunde zu nehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So was von arrogant! Die kann gar nicht mehr laufen, so arrogant ist die!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502517800

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/354 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Dr. Dieter Thomae, Dr. Heinrich L. Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für ein Gesamtkonzept zur Verbesserung
der Früherkennung und Behandlung von
Demenz
– Drucksache 15/228 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1502517900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffe,

dass wir den nächsten Tagesordnungspunkt mit etwas we-
niger Echauffement, als es die Vorrednerin am Ende des
vorherigen Tagesordnungspunktes an den Tag gelegt hat,
angehen können.

Vor einigen Wochen war im ersten deutschen Fernse-
hen der Spielfilm „Mein Vater“ zu sehen. Götz George
spielt da einen Vater, der an Alzheimer erkrankt und in er-
schütternder Weise allmählich das Gedächtnis verliert.
Als dieser Film lief, saßen nur wenige in der ersten Reihe.
Deutschland suchte nicht den Superstar. Die Zuschauer
konnten sich bei diesem Film nicht mit der Sonnenseite
des Lebens beschäftigen; also schauten sie weg, weil nicht
sein kann, was nicht sein darf.

Gerade deshalb hat die FDP diesen Antrag formuliert;
gerade deshalb ist es wichtig, dass sich der Bundestag
nicht abwendet, sondern dieses Thema heute, wenn auch
zu später Stunde, debattiert. Gefühle von Scham, Angst
und Ausweglosigkeit treten in unserem Land bei weit über
1 Million Menschen und ihren Angehörigen auf, wenn die
Diagnose Demenz oder gar Alzheimer gestellt wird. Eine
70-jährige Frau im mittleren Stadium der Erkrankung be-
schreibt ihre Beschämung und Verzweiflung mit den Wor-
ten – ich zitiere –:

Ich merke, dass es immer mehr bergab geht. Mir ist
das furchtbar unangenehm, dass da oben etwas nicht
in Ordnung ist. Das ist dann genauso, wie wenn
früher über jemanden gesagt wurde: Die ist nicht
mehr ganz normal. Man hat aber keine Schuld daran.
Ich nehme das sehr schwer.

Das wahre Ausmaß solcher Beeinträchtigungen wird
meistens erst sehr spät bemerkt mit enorm belastenden
Folgen für unser Pflegesystem, mehr aber noch für die Fa-
milien und Freunde der Betroffenen. Ich kann Ihnen da
aus meiner eigenen Familie sehr genau berichten. Wir
wissen, dass vor dem Hintergrund der demographischen
Entwicklung die Zahl dieser Erkrankungen erheblich zu-
nehmen wird. In der Altersgruppe der 65- bis 70-Jährigen
erkranken etwa 3 Prozent der Bevölkerung, im Alter von
80 Jahren etwa jeder Fünfte, im Alter von 90 Jahren be-
reits jeder Dritte. Deshalb ist es, wie ich denke, unsere
Pflicht, für ein Gesamtkonzept zur Verbesserung der
Früherkennung und Behandlung von Demenz zu sorgen.

In einem Ratgeber für die häusliche Betreuung de-
menzerkrankter älterer Menschen wird die Bedeutung ei-
ner frühzeitigen Diagnose nachdrücklich herausgestellt.
Ich möchte daraus zitieren.

Durch die Diagnose werden viele „merkwürdige“
Verhaltensweisen des Erkrankten verständlich. Versa-
gen und Fehlverhalten erhalten „Krankheitswert“. Ein
krankengerechter Umgang wird dadurch erleichtert.
Angehörige können sich frühzeitig mit dem zu er-
wartenden Verlauf der Krankheit auseinander setzen,
wichtige Informationen einholen und langfristig pla-
nen.
Der Erkrankte und seine Angehörigen sind mit den
Problemen nicht mehr allein. Professionelle Helfer
und andere betroffene Angehörige stehen als Ge-
sprächspartner zur Verfügung.


(A)



(B)



(C)



(D)


1990


(A)



(B)



(C)



(D)






Behandlungs- und Betreuungsangebote für den Er-
krankten und entlastende Hilfen für die pflegenden
Angehörigen können rechtzeitig genutzt werden.

Meine Damen und Herren, diese Broschüre, „Wenn
das Gedächtnis nachlässt“ überschrieben, ist vom Bun-
desministerium für Gesundheit unter damals noch grüner
Führung herausgegeben worden. Das gibt mir die Hoff-
nung, dass dieser Antrag fraktionsübergreifend befürwor-
tet wird. Gemeinsam sollten wir dafür Sorge tragen, Leid
zu verringern und gleichzeitig das Pflegesystem zu entlas-
ten. Früh erkannte krankhafte Veränderungen des Gehirns
können nicht medikamentös und auch medikamentös so
behandelt werden, dass Krankheitsverlauf und Leistungs-
verluste deutlich hinausgezögert werden.

Neuere gesundheitsökonomische Untersuchungen
zum Nutzen der medikamentösen Behandlung der Alz-
heimer-Krankheit und der Demenzerkrankungen weisen
nach, dass der therapeutische Effekt unter anderem darin
besteht, dass der Zeitpunkt der Pflegeheimeinweisung
verzögert oder diese vielleicht sogar ganz verhindert wer-
den kann und die Gesamtkosten für den Kranken, insbe-
sondere was die Aufwendungen der Pflegeversicherung
anbetrifft, verringert werden. Das muss in der Öffentlich-
keit bekannter werden. Wir brauchen eine gesellschaftlich
breit angelegte Informations-, Qualifizierungs- und Prä-
ventionskampagne. Wir müssen den Menschen in unse-
rem Land die Möglichkeit geben, rechtzeitig etwas für
ihre Gesunderhaltung zu tun, mithilfe einer frühzeitigen
Behandlung möglichst lange ein eigenständiges Leben zu
führen und die eigene Lebensqualität zu verbessern.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich
Sie daran erinnern, dass wir diese Thematik mit im Er-
gebnis leider viel zu geringen Auswirkungen im Bereich
des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes diskutiert ha-
ben. Wir haben dem Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz
über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg zugestimmt
und es mit breiter Mehrheit in diesem Haus verabschiedet.
Ich wünsche mir, dass die Forderungen, die wir in unse-
rem Antrag erhoben haben, ebenso breite Unterstützung
finden. Wir sind bereit, über Formulierungen und ent-
sprechende Ergänzungen zu diskutieren und im Rahmen
der Ausschussarbeit zu einer Positionierung des Bundes-
tages in klarer und eindeutiger Form zu kommen. Ich
wünsche mir eine vorbehaltlos geführte und dem Thema
dieser Problematik angemessene Debatte.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502518000

Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Hilde Mattheis. Es

ist, soweit ich weiß, auch ihre erste Rede. Ich sage das
jetzt immer vorher, dann gehen die Kollegen etwas vor-
sichtiger mit den Rednern um.


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1502518100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP-

Fraktion legt heute einen Antrag vor, der die Überschrift

„Für ein Gesamtkonzept zur Verbesserung der Früherken-
nung und Behandlung von Demenz“ erhalten hat. Elf
knappe und allgemeine Forderungen sollen – das ist der
Anspruch – ein Gesamtkonzept umreißen. Unter anderem
werden die Verbesserung der Früherkennung und Erfor-
schung sowie die Sicherstellung einer größtmöglichen
Selbstbestimmung der betroffenen Personen gefordert. Es
wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Aus-, Fort-
und Weiterbildung von Hausärzten und Fachärzten in die-
sem Bereich zu verbessern.

Dass hier die Notwendigkeit der Weiterentwicklung
und Verbesserung besteht, wird niemand bestreiten, der
sich mit der Thematik Demenz auseinander gesetzt hat. Es
wird auch niemand bestreiten, dass die Verbesserung der
Versorgungssituation älterer, kranker Menschen eine
wichtige Zukunftsaufgabe und Herausforderung ist.

Allerdings ist der Anspruch der Antragsteller, mit die-
sen elf Forderungen eine Gesamtkonzeption für ein kom-
plexes Thema zu bieten und auf eine zentrale Zukunfts-
aufgabe eine umfassende, der Situation angemessene
Antwort zu geben, deutlich überzogen.

Was ist also der Hintergrund, vor dem wir angemes-
sene Antworten brauchen, um bisherige Maßnahmen wei-
terentwickeln und das, was unter Rot-Grün bereits be-
gonnen wurde, weiterverfolgen zu können?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlef Parr [FDP]: Das haben wir nicht verlangt, Frau Kollegin!)


Die Lebenserwartung der Menschen steigt und damit
die Zahl der Älteren und Hochbetagten. Die Kehrseite
dieser Entwicklung ist, dass häufiger Alterskrankheiten
auftreten. Sie haben das richtig dargestellt. Heute sind
circa 1Million Menschen von Demenz betroffen. Bis zum
Jahr 2020 werden es in Deutschland voraussichtlich
1,4 Millionen Menschen sein. Die Deutsche Alzheimer-
Gesellschaft vermutet eine hohe Dunkelziffer.

Demenzerkrankungen sind derzeit nicht heilbar. Fach-
leute sind sich einig, dass medikamentöse und nicht medi-
kamentöse Behandlungsansätze ineinander greifen müs-
sen, um die Belastungen für die Betroffenen und die
Angehörigen erträglich zu machen und den Krankheitsver-
lauf zu verzögern. Durch bessere Frühdiagnose und früh-
zeitige Therapiemaßnahmen könnte der Beginn einer De-
menz in 15 bis 20 Prozent der Fälle hinausgezögert werden.


(Detlef Parr [FDP]: Mit hochwertigen Medikamenten, Frau Kollegin!)


– Ja. Ich habe gerade gesagt: mit Medikamenten und
durch andere Therapieformen.

Diese Fakten machen die gesundheits- und gesell-
schaftspolitische Herausforderung deutlich. Die Bun-
desregierung unter CDU/CSU und FDP – Sie merken, das
war die alte – hat 1997 die Notwendigkeit, einen ganz-
heitlichen Ansatz anzuerkennen, aus Kostengründen ab-
gelehnt.


(Erika Lotz [SPD]: Hört! Hört!)

Offensichtlich hat man jetzt vergessen, die Kosten zu be-
ziffern.


(Beifall des Abg. Peter Dreßen [SPD])


Detlef Parr




Hilde Mattheis

Das nun in einigen Ihrer Forderungen erkennbare Um-
denken in der Sache ist erfreulich. Allerdings sind elf
knappe Forderungen – das habe ich schon ausgeführt –
bestenfalls Stichworte für einzelne Problembereiche, in
denen die rot-grüne Bundesregierung in den vergangenen
Jahren bereits wichtige Weichenstellungen vorgenom-
men hat, durch die sie Verbesserungen für Demenzkranke
und deren Angehörige erzielen konnte.

Mit der Novellierung des Heimgesetzes wurde die
Rechtsstellung der Heimbewohnerinnen und Heimbewoh-
ner verbessert. Der Heimbeirat wurde für Dritte geöffnet.
Die Heimaufsicht wurde gestärkt, ihre Eingriffsinstru-
mente wurden verbessert. Die Zusammenarbeit von Heim-
aufsicht, Medizinischem Dienst der Krankenversicherung
und Trägern der Sozialhilfe wurde optimiert. Mit unserem
Pflege-Qualitätssicherungsgesetz wurde die Pflegequalität
weiterentwickelt und die Verbraucherrechte wurden ge-
stärkt. Mit dem von uns auf den Weg gebrachten Pflege-
leistungs-Ergänzungsgesetz wurde für Pflegebedürftige
mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf in häusli-
cher Pflege der Anspruch auf einen zusätzlichen Betreu-
ungsbedarf in Höhe von bis zu 460 Euro je Kalenderjahr
festgeschrieben. Für die Entwicklung neuer Versorgungs-
konzepte und -strukturen wurden insgesamt 10 Milli-
onen Euro je Kalenderjahr bereitgestellt. Hier sind aller-
dings die Länder und die Kommunen aufgefordert, sich
noch stärker zu engagieren und für die Kofinanzierung zu
sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch das bestehende Beratungsangebot für Pflege-
bedürftige und ihre pflegenden Angehörigen wurde ver-
bessert. Ich nenne einzelne Forschungsprojekte zum Be-
reich Demenz, die zum Beispiel vom BMBF unterstützt
bzw. finanziert wurden. Besonders hervorheben möchte
ich an dieser Stelle das Kompetenznetz Demenz. In die-
sem haben sich 13 universitäre, vor allem psychiatrische
Zentren zusammengeschlossen. Beteiligt sind auch Kran-
kenhäuser, niedergelassene Ärzte, Industrieunternehmen
und Patientenorganisationen wie zum Beispiel die Deut-
sche Alzheimer-Gesellschaft. Das Kompetenznetz soll
einheitliche, fortschrittliche Richtlinien für die Diagnos-
tik und die Therapie demenzieller Erkrankungen in
Deutschland entwickeln. In einem aktuellen Ressortfor-
schungsprojekt des BMGS wird eine „Gerontopsychiatri-
sche Handreichung für Hausärzte und Allgemeinmedizi-
ner“ erarbeitet, durch die vor allem die Früherkennung
und Frühbehandlung von Demenzen gefördert wird.

Es wurden verschiedene Untersuchungen zu unter-
schiedlichen Fragestellungen in Auftrag gegeben. Im
Rahmen des Modellprogramms „Altenhilfestrukturen der
Zukunft“ werden insgesamt 20 Modellprojekte gefördert.

Diese Maßnahmen werden durch eine gezielte Öffent-
lichkeitsarbeit unterstützt, um vor allen Dingen Ver-
ständnis für die Situation demenzkranker Menschen zu
wecken und Anleitungen zum Umgang mit zu ihnen ge-
ben. Sie sollen aber auch Maßnahmen zur Vermeidung
von Pflegebedürftigkeit oder zur Verhinderung einer Ver-
schlimmerung aufzeigen. Leider laufen diese Modellvor-
haben nur zögerlich an. Das ist unverständlich; denn der

Anreiz lautet: Für weniger Geld mehr Qualität. Ein ge-
lungenes Wohnprojekt ist zum Beispiel in Erfurt zu be-
sichtigen.

All dies, was ich hier nur ansatzweise darstellen
konnte, müsste die Antragsteller dahin gehend überzeugt
haben, dass ihre Forderungen – bis auf eine, auf die ich
noch zu sprechen komme – nicht weit entfernt von unse-
ren Vorstellungen sind. Ohne die bestehenden Defizite
zum Beispiel im Bereich der gezielten Prävention, der
frühzeitigen Diagnostik und der ganzheitlichen, umfas-
senden Therapie – das will ich nicht außer Rede stellen –
kleinreden zu wollen, kann festgestellt werden: Die Rich-
tung stimmt.

Jetzt komme ich auf die letzte Forderung im vorlie-
genden Antrag zu sprechen. Diese lautet:

Finanzierung der ärztlichen Leistungen außerhalb der
gedeckelten Gesamtvergütung und Herausnahme der
für Vorsorge und Therapie von Demenzerkrankungen
benötigten Arzneimittel aus den Richtgrößenverein-
barungen.

(Erika Lotz [SPD]: Jetzt hören wir, worum es überhaupt geht!)

Das heißt, Sie wollen, dass alle vertragsärztlichen Leis-

tungen und die damit verbundenen Kosten sowie benö-
tigte Arzneimittel außerhalb der jetzt geltenden Vereinba-
rungen abgerechnet werden können.


(Peter Dreßen [SPD]: Wer zahlt?)

Sie wollen in diesem Falle die Möglichkeiten der Ab-
rechnung von ärztlichen Leistungen und Arzneimitteln
aus der Vereinbarung über Richtgrößen herausnehmen.
Ihnen ist natürlich klar, dass die Kosten in unkalkulierbare
Höhen steigen würden.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Schlagen Sie doch einmal etwas vor!)


Schlimmer jedoch finde ich, dass Sie damit bei Er-
krankten und deren Angehörigen die Angst schüren, sie
hätten keinen ausreichenden Anspruch auf das richtige
Medikament.


(Beifall bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Sie bekommen nicht die Medikamente, die helfen!)


Sie wissen genau, dass im Rahmen des neuen Steuerungs-
instruments der Arzneimittelvereinbarung ausdrücklich
Zielvereinbarungen zwischen den Kassenärztlichen Ver-
einigungen und der GKV vorgesehen sind. Niemand hin-
dert zum Beispiel die Kassenärztliche Vereinigung daran,
Arzneimittel einzusetzen, die einen Fortschritt für die
Versorgung von Demenzkranken bedeuten würden.


(Detlef Parr [FDP]: Man bekommt sie wegen der Budgetierung eben nicht!)


Wer also behauptet, Demenzkranke seien im GKV-System
unterversorgt, der verunsichert die Menschen.

Wir unterstützen Ihren Antrag nicht. Ich fürchte – und
das ist meine letzte Bemerkung –, dass alle richtigen For-
derungen in Ihrem Antrag nur dazu herhalten mussten,
diese letzte zu umrahmen. Wenn dies nicht so ist, würde


(A)



(B)



(C)



(D)


1992


(A)



(B)



(C)



(D)






mich das freuen; denn dann würden Sie ernsthaft die wich-
tigen von uns eingeleiteten Reformschritte unterstützen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502518200

Von mir aus im Namen des Hauses herzlichen Glück-

wunsch zu Ihrer ersten Rede.

(Beifall)


Auch die nächste Rede ist, wie ich gerade gehört habe,
die erste hier im Parlament. Ich gebe jetzt das Wort der
Abgeordneten Verena Butalikakis.


Verena Butalikakis (CDU):
Rede ID: ID1502518300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Auch ich will noch einmal betonen, wie wichtig
die Thematik des vorliegenden FDP-Antrages ist – da
scheinen wir uns hier im Hause auch einig zu sein. Ich
kann nur bestätigen, Frau Kollegin, was Sie gesagt haben,
dass nämlich die Demenz sicherlich eine der großen He-
rausforderungen an unsere Gesellschaft darstellt, und
zwar sowohl in gesundheitlicher als auch in sozialer und
auch in finanzieller Hinsicht – diesen Aspekt haben Sie in
Ihrer Rede leider etwas falsch behandelt.

Umso entscheidender ist eigentlich, dass diese Thema-
tik bisher sehr fahrlässig behandelt wurde. Meine Vorred-
nerin hat gerade noch einmal belegt, dass mit der Aufzäh-
lung von angelaufenen Modellvorhaben eben nicht das
zu erreichen ist, was der Antrag der FDP eigentlich be-
zweckt, nämlich die Vorlage einer Gesamtkonzeption.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei der Recherche zu dieser Rede habe ich natürlich

zurückgeblickt. Als im April des vergangenen Jahres der
Vierte Bericht der Bundesregierung zur Lage der älte-
ren Generation mit dem Schwerpunktthema „Risiken,
Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger – unter be-
sonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen“
erschien, wurde vonseiten der Bundesregierung eine be-
langlose Stellungnahme abgegeben und vonseiten der Re-
gierungsfraktionen, die vielleicht einmal zuhören sollten,
ein noch belangloserer Antrag eingebracht. Die Diskus-
sion im Plenum war ergebnislos. Dabei dokumentiert die-
ser Altenbericht sehr eindrucksvoll die gravierenden
Mängel bei der Erkennung und Versorgung der Demenz-
krankheiten und vor allem auch die Mängel im System
und in den Systemen. Er stellt eine große Anzahl konkre-
ter Forderungen auf. Passiert ist allerdings gar nichts, das
hatte ich eingangs schon gesagt.

Zu Recht beklagen deshalb Fachärzte und Hausärzte,
Selbsthilfegruppen, Pflegekräfte und Experten genauso
wie übrigens auch Teilnehmer der Expertenkommission,
die den Vierten Altenbericht erstellt haben, dass die Bun-
desregierung den Blick auf die Gegenwart und vor allem
in die Zukunft scheut. Dabei gibt es viel zu tun. Der Kol-
lege Parr hat schon darauf hingewiesen: Es gilt, die von
einer Demenzerkrankung betroffenen Menschen sowie

die pflegenden Angehörigen und die Fachkräfte mit den
Problemen, die diese Krankheit mit sich bringt, nicht al-
leine zu lassen. Es gilt, Rahmenbedingungen zu schaf-
fen, damit diese Krankheit eingedämmt und die Belastun-
gen reduziert werden.

Bei zügiger und richtiger Hilfe für die Menschen ergibt
sich ein in den heutigen Zeiten wichtiger zweiter Effekt. Wir
kommen nämlich zu Einsparungen im Gesamtsystem der
sozialen Sicherung, und zwar sowohl heute wie auch mor-
gen – und das auch unabhängig von allen anderen Refor-
men; ich werde das nachher noch erläutern. Ich glaube, es
wäre ein wichtiger Beitrag für die so genannte Generatio-
nengerechtigkeit, wenn wir es heute schaffen würden, die
Strukturen zu legen, die auch morgen eine besondere finan-
zielle Belastung der jungen Generation ausschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Manchmal hat man ja den Eindruck, dass so ein paar
Zahlen nicht oft genug gesagt werden können, weil da-
hinter wirklich menschliche Schicksale stecken. Deshalb
gehe ich noch einmal auf das ein, was gerade der Vierte
Altenbericht ausführlich darlegt, aber auch viele andere
wissenschaftliche Untersuchungen, nämlich: Wie sieht
die Lage der Demenzkranken derzeit aus? Nach konser-
vativen, also ganz vorsichtigen Schätzungen leiden der-
zeit über 900 000 Menschen in Deutschland an einer mit-
telschweren oder schweren Demenz, etwa zwei Drittel
davon an einer Alzheimer-Krankheit. Andere Berechnun-
gen, die auch leichtere Demenzformen berücksichtigen,
sprechen dann – das ist Ihre Zahl – von 1,2 bis sogar
1,6 Millionen Demenzkranken. Ganz wichtig ist, dass bei
den über 85-Jährigen die Prävalenz bei 50 Prozent liegt.

Zwei Drittel der Demenzkranken werden in Privat-
haushalten versorgt; wir reden hier über – wie gesagt nach
den vorsichtigen Schätzungen – 600 000 Menschen. Das
entspricht zwar überwiegend den Wünschen der Betroffe-
nen, aber es bedeutet natürlich für die Angehörigen große
psychische, physische und finanzielle Belastungen.

Noch ein ganz wichtiger Punkt: Zwei Fünftel der De-
menzkranken – also bei meinen vorsichtigen Schätzungen
ungefähr 180 000 Menschen – in Deutschland erhalten
keine oder zu geringe Leistungen aus der Pflegeversiche-
rung. Das liegt sicherlich einerseits an der Unkenntnis der
Antragsteller, zeigt aber andererseits ganz deutlich, dass
wir bei der Unterstützung viel mehr tun müssen und dass
die Informationspolitik deutlich besser werden muss.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Unser Antrag ist abgelehnt worden! – Peter Dreßen [SPD]: Das muss auch finanziert werden!)


– Informationspolitik ist ja nun nicht so kostenreich, Herr
Kollege.

Kommen wir noch kurz zur ärztlichen und medizini-
schen Versorgung. Da gibt es offensichtlich sehr unter-
schiedliche Einschätzungen, wie meine beiden Vorredner
gezeigt haben. Es ist sicherlich richtig und wissenschaft-
lich belegt, dass derzeit nur circa 50 Prozent der Demenz-
erkrankungen in einem frühen Stadium entdeckt werden.
Das heißt, über die Hälfte der Betroffenen werden erst
diagnostiziert, wenn die Symptome ganz offensichtlich
vorhanden sind.

Hilde Mattheis




Verena Butalikakis

Das ist natürlich umso bedauerlicher, wenn wir an die
Entwicklung der jetzt vorliegenden modernen Medika-
mente denken. Bei der Medikation und bei der Früher-
kennung kommt den Hausärzten eine Schlüsselrolle zu.
Hier müssen wir für Fortbildung sorgen; auch darauf ha-
ben Sie hingewiesen. Ganz deutlich kann man aus dem ak-
tuellen Arzneimittelverordnungsreport erkennen, – man
braucht sich nur die Anzahl der Betroffenen und die An-
zahl der verordneten Medikamente anzusehen –, dass
tatsächlich eine generelle Unterversorgung mit Medika-
menten besteht, aber vor allem mit Antidementiva. Es ist
schon so, dass gesagt wird: Wir haben ein Budget und
müssen sparen. Es wird auf Kosten der Patienten gespart.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Die Lebenswirklichkeit!)


Das wird natürlich umso unverständlicher, wenn mitt-
lerweile Forschungsergebnisse belegen, dass eine richtige
Medikation das Fortschreiten der Erkrankung zeitlich weit
hinauszögern kann und damit natürlich Kosten im weiteren
Bereich deutlich eingespart werden können, weil die Un-
terbringung im Heimbereich sehr viel später erfolgt und der
daraus resultierende große Kostenblock erst später anfällt.

Den Blick in die Zukunft haben schon andere gewor-
fen; auch ich will es tun: In den nächsten 50 Jahren steigt
die Zahl der Hochbetagten um das Doppelte. Im Jahre
2050 werden wir – bei all den bekannten Entwicklungen
in der Gesellschaft – 2 bis 2,8 Millionen Demenzkranke
in Deutschland haben. Die Frage wird sein: Wer kümmert
sich dann um die Erkrankten? Denn das, was heute die Fa-
milien leisten, wird dann sicherlich in einem geringeren
Maße möglich sein.

Natürlich steigen die Kosten der Pflege. Auch hier eine
Zahl: Wenn man von dem normalen demographischen
Faktor ausgeht, dann kommt es bis zum Jahr 2050 zu ei-
ner Steigerung um 64 Prozent. Deshalb dürfen wir auch
die ökonomische Dimension der Demenz nicht länger
unterschätzen.

Die von mir aufgezählten Daten und Fakten – ich habe
jetzt einen Kurzdurchlauf gemacht – zeigen eines ganz
deutlich: Jetzt muss gehandelt werden. Deswegen unter-
stützen wir den Antrag der FDP. Denn wir wollen jetzt
eine Gesamtkonzeption für den Umgang mit dem Thema
Demenz. Konkretes ist von der Bundesregierung und
auch von der Regierungskoalition nicht zu erwarten. Ich
habe vorhin schon auf den Antrag hingewiesen. Er wim-
melte von wunderbaren Konjunktiven: sollte, könnte,
müsste. Es gab aber keine konkrete Forderung und vor al-
len keine zügige Umsetzung.

Die Bundesministerin reagiert in ihrer Stellungnahme
auf die 77 konkreten Empfehlungen der Expertenkom-
mission, indem sie weitere Expertisen, ein Gutachten zu
aktuellen Zahlen und die weitere Erprobung bereits als er-
folgreich gepriesene Modelle ankündigt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das wird die Gabriel-Kommission werden!)


Sie kündigte ein Altenhilfestrukturgesetz an. Das kann
aber natürlich erst dann entstehen, wenn die Ergebnisse
aller Untersuchungen vorliegen, also zumindest nicht in
dieser Legislaturperiode; sonst hätte sie es in dem Bericht

geschrieben. Man sieht: Hier wird in großen zeitlichen Di-
mensionen gedacht. Das bestätigt sie, als sie sehr deutlich
darauf hinweist, dass sich die Bundesregierung in ihrer
Initiative zu einem längerfristig geplanten Aktionspro-
gramm Demenz bestätigt fühlt.

„Längerfristig geplant“? Alle Ergebnisse und Untersu-
chungen, die Vorschläge und Forderungen liegen auf dem
Tisch. Jetzt muss die Konzeption erstellt werden. Denn
sonst ist es zu spät. Aber das ist der Reformkurs von Rot-
Grün: ein bisschen schieben, bloß nichts leisten.

Der Kollege Zöller hat mich gerade noch einmal auf
das Pflegeleistungsänderungsgesetz hingewiesen. Das
war der richtige Schritt. Da gibt es gar keinen Zweifel.
Aber wie man mit 460 Euro pro Jahr, also 1,26 Euro pro
Tag, viel zusätzliche Betreuungsleistungen ermöglichen
will, muss uns noch einmal vorgerechnet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Parr [FDP])


Dasselbe gilt für einen weiteren Teil des viel gepriese-
nen Pflegeleistungsänderungsgesetzes. Da werden immer
20 Millionen Euro in den Raum gestellt, die zusätzlich zur
Verfügung stünden. Ein Blick in den entsprechenden Ti-
tel in Kapitel 15 02 des Haushaltsplanes zeigt ganz deut-
lich, dass im Bundeshaushalt 2003 für Pflegeprojekte und
-einrichtungen 10,13 Millionen Euro weniger zur Verfü-
gung stehen. Wir reden also nicht von 20 Millionen Euro,
sondern definitiv von einem Betrag, der unter 10 Milli-
onen Euro liegt.

Ich will mir jetzt die Zusammenfassung sparen, weil
meine Zeit drastisch abläuft. Wir werden noch sehr viele
Einzelheiten in die Ausschussberatung einbringen – ich
habe das schon mit dem Kollegen Parr besprochen –, so-
wohl was die wissenschaftliche Fachbegrifflichkeit als
auch was die Zusammenfassung für ein konkretes Kon-
zept betrifft. Ich stimme Ihnen zu, dass man sich Gedan-
ken über ein intelligentes Finanzierungssystem machen
muss. Ich und meine Fraktion wollen es unbedingt auch
systemübergreifend sehen.

Ich hatte gehofft – insofern teile ich die Einschätzung
des Kollegen Parr –, dass wir es schaffen würden, bei die-
ser wichtigen Thematik tatsächlich zu einem Konsens zu
kommen. Aber ich sehe, dass Rot-Grün tatsächlich in kei-
nem Bereich die Kraft zu vernünftigem Handeln hat, noch
dazu wenn Eile geboten ist.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502518400

Frau Kollegin, herzlichen Glückwunsch im Namen des

Hauses zu Ihrer ersten Rede.

(Beifall)


Jetzt gebe ich das Wort der Abgeordneten Petra Selg.


Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502518500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist

wirklich schade, dass es nicht einmal bei diesem Thema
gelingt, parteipolitischen Hickhack außen vor zu lassen.


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(B)



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(D)


1994


(A)



(B)



(C)



(D)






Rot-Grün hat das versucht. Aber nein, die Kollegin der
CDU/CSU muss auch bei diesem Thema draufhauen. Das
finde ich peinlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im vorliegenden Antrag wird die Bundesregierung auf-
gefordert, die Früherkennung und Behandlung von De-
menz zu verbessern. Angeregt wird unter anderem, ein
flächendeckendes und qualitätsgesichertes Früherken-
nungsprogramm aufzubauen sowie auf Evidenz basie-
rende Leitlinien für die Demenzfrüherkennung und -be-
handlung festzulegen.

Eines vorneweg: Es freut mich unwahrscheinlich, dass
endlich auch bei der FDP das soziale Gewissen aufblitzt.
Das habe ich bei ihr in der letzten Zeit leider vermissen
müssen. Ich hoffe sehr, dass das kein Strohfeuer bleibt.

Das ändert allerdings nichts daran, dass Ihre Verbesse-
rungswünsche uns und der Bundesregierung schon lange
bekannt sind. Wir kümmern uns in vielen Bereichen um
die Umsetzung dieser Wünsche. Von dem, was in dem
FDP-Antrag formuliert ist, steht vieles – ich sage ehrli-
cherweise: nicht alles – bereits im Vierten Altenbericht
der Bundesregierung, der im letzten Jahr erschienen ist.


(Verena Butalikakis [CDU/CSU]: Das muss umgesetzt werden! Darum geht es doch!)


– Ich weiß, dass das umgesetzt werden muss. Ich komme
gleich dazu. Lassen Sie mich einfach ausreden. – Aber
vieles, was Sie in Ihrem Antrag formulieren, wie die
Finanzierung Ihrer Wünsche – Frau Mattheis hat das auf-
geführt –, erscheint mir sehr fragwürdig. Darüber müssen
wir noch reden.

Außerdem arbeitet das Ministerium schon jetzt daran,
Frühbehandlung und Früherkennung von Demenzen zu
fördern. In einem aktuellen Forschungsprojekt des Mi-
nisteriums wird eine „Gerontopsychiatrische Handrei-
chung für Hausärzte und Allgemeinmediziner“ erarbeitet.
Diese soll die Ärzte im Umgang mit Dementen unterstüt-
zen und vorhandenes Wissen – das ist bisher das größte
Problem – besser vermitteln.

Weiterhin fördert das Bundesministerium für Bildung
und Forschung das „Kompetenznetz Demenzen“, in
dem sich 13 universitäre, vor allem psychiatrische Zen-
tren zusammengeschlossen haben. Beteiligt sind auch
Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und insbesondere
Allgemeinmediziner. Darüber hinaus sind, was ich sehr
gut finde, Patientenorganisationen wie zum Beispiel die
Deutsche Alzheimer Gesellschaft in dieses Kompetenz-
netz eingeschlossen. Dieses Netzwerk erarbeitet zurzeit
Leitlinien für Diagnostik und Therapie demenzieller Er-
krankungen. Ziel soll sein, die Versorgungsqualität bei
Demenz deutlich zu verbessern.

Diese zwei Beispiele zeigen, dass wir den Handlungs-
bedarf bei demenziellen Erkrankungen sehr wohl erkannt
haben und, liebe Frau Kollegin von der CDU/CSU, be-
reits heute handeln. Das kann und soll natürlich nicht
heißen, dass wir bei dem Erreichten stehen bleiben. Im
Gegenteil: Wir werden diese Anstrengungen noch weiter
vorantreiben; denn wir wissen, dass Demenz eine der
größten Herausforderungen der Zukunft für unser Ge-
sundheitswesen ist.

In diesem Zusammenhang ist es aber auch sehr wich-
tig, zu erwähnen, dass sich unsere Gesellschaft insgesamt
stärker mit dem Thema Demenz und ihren Folgen ausei-
nander setzen muss. Noch heute bestehen hinsichtlich die-
ser Krankheit Tabus, die verschwinden müssen.

Das ist einer der Gründe, weshalb ich und meine Frak-
tion in dieser Legislaturperiode die Einsetzung einer
Enquete-Kommission fordern, die sich mit den heutigen,
vor allem aber mit den zukünftigen Lebensbedingungen
von psychisch kranken, von behinderten, vor allen Dingen
aber von immer älter werdenden Menschen in unserer Ge-
sellschaft auseinander setzen soll. In der gegenwärtigen
Diskussion um die Reform unserer Sozialsysteme drohen
diese Gruppen – da sie keine großen Lobbyverbände hin-
ter sich haben – in unserer Gesellschaft durch den Rost zu
fallen. Vor diesem Hintergrund ist es für uns wichtig, diese
Enquete-Kommission zu installieren, die sich die Verbes-
serung der Lebensbedingungen dieser Menschen zum Ziel
setzen und zukunftsfähige Konzepte für die Einbindung
der Betroffenen in unsere Gesellschaft entwickeln soll.

Ich denke, wir müssen endlich offen und auf breiter ge-
sellschaftlicher Basis darüber reden, wie wir mit der
zunehmenden Alterung unserer Bevölkerung gesamtge-
sellschaftlich umgehen müssen. Eine solche Enquete-
Kommission könnte das leisten. Sie könnte vor allem auf
den Ergebnissen der Enquete-Kommission „Demographi-
scher Wandel“ aufbauen. Wir hätten endlich eine Platt-
form, um unbequeme und bisher wenig diskutierte The-
men wie Alzheimer und Demenz in die Öffentlichkeit zu
tragen. Deshalb lehnt unsere Fraktion diesen Antrag auch
nicht von vorneherein ab. Ich hoffe, dass wir im Aus-
schuss über dieses Thema angemessen und ohne partei-
politisches Hickhack diskutieren können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502518600

Danke schön. Ich schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/228 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatz-
punkte 7 und 8 auf:
9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.

Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, Hermann
Gröhe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Gegen Terror, Völkermord und Hungerkata-
strophe in Simbabwe, um Destabilisierung des
südlichen Afrikas zu vermeiden
– Drucksache 15/353 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Petra Selg




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte

Wimmer (Karlsruhe), Walter Riester, Karin
Kortmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Katrin Dagmar
Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hungerkatastrophe in Simbabwe weiter
bekämpfen – Internationalen Druck auf die Re-
gierung Simbabwes aufrechterhalten
– Drucksache 15/428 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Ulrich Heinrich, Rainer Brüderle, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gemeinsame europäisch-afrikanische Initiative
zur Lösung der Krise in Simbabwe starten
– Drucksache 15/429 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wider-
spruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Herr Staatsminister Bury.

H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1502518700


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Simbabwe galt bis vor wenigen Jahren als einer
der Hoffnungsträger Afrikas. Als erstes Land des südli-
chen Afrika befreite es sich von einem nachkolonialen
rassistischen System. Deutschland stand im simbabwi-
schen Befreiungskampf auf der Seite der unterdrückten
schwarzen Bevölkerung und hat sich auch danach in er-
heblichem Umfang für die junge simbabwische Demo-
kratie engagiert.

Heute ist Simbabwe ein zerrissenes und wirtschaftlich
zerrüttetes Land, das seine Bevölkerung nicht mehr
ernähren kann. Wir wollen im Interesse der dort lebenden
Menschen erreichen, das Simbabwe zu seinen demokrati-
schen Wurzeln zurückkehrt.

Unser Ansatzpunkt hierfür ist eine harte und konse-
quente Haltung gegenüber der simbabwischen Regierung.
Denn die Negativbilanz ist kein Zufall und auch keine un-
vermeidbare Folge der Kolonialzeit. Die schwerwiegende
innenpolitische Krise wurde durch die Regierung bewusst
herbeigeführt. Das sich immer mehr als Diktatur darstel-
lende De-facto-Einparteienregime unter Robert Mugabe

betreibt unter Inkaufnahme verheerender sozialer, wirt-
schaftlicher und humanitärer Entwicklungen eine verant-
wortungslose Politik, die ausschließlich dem eigenen
Machterhalt dient.

Deutschland hat sich deswegen maßgeblich und sehr
früh für die Einführung von Sanktionen gegen die sim-
babwische Nomenklatura eingesetzt. Hierzu zählen eine
Visumssperre und das Einfrieren von Konten ebenso
wie ein Waffenembargo.

Wir wollen, dass diese Sanktionen bestehen bleiben,
und setzen uns vehement für eine Verlängerung des Sank-
tionsregimes der EU gegenüber Simbabwe ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hoffe, dass morgen in Brüssel die entsprechende Eini-
gung erzielt wird. Dies wäre ein wichtiger Erfolg einer ge-
meinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an der Durchführung
des wichtigen EU-Afrika-Gipfels haben wir hohes Inte-
resse. Der für Anfang April in Lissabon geplante Gipfel
kann aber nur dann stattfinden, wenn sichergestellt ist,
dass Mugabe nicht daran teilnimmt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir sehen auch keinen Anlass, unsere suspendierte bi-

laterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit
Simbabwe wieder aufzunehmen. Ausnahmen soll es wei-
terhin nur für humanitäre Hilfsmaßnahmen und für die
Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen bei
der Konfliktprävention und bei der Stärkung der Zivilge-
sellschaft geben. Denn beides kommt der Not leidenden
Bevölkerung unmittelbar zugute.

Eine nachhaltige Verbesserung der Situation in Sim-
babwe kann nur erreicht werden, wenn es gelingt, auch
die afrikanischen Staaten zur Aufgabe ihrer Beschrän-
kung auf „stille Diplomatie“ und ihres Kurses der fast be-
dingungslosen Solidarität mit Simbabwe zu bewegen.
Hierfür setzen wir uns im Dialog mit diesen nachdrück-
lich ein. Durch Beharrlichkeit und vor dem Hintergrund
der auch für die Nachbarstaaten zunehmend untragbar
werdenden Situation in Simbabwe versuchen wir diese
Länder von der Notwendigkeit effizienterer politischer
Maßnahmen zu überzeugen.

Ich lehne es jedoch ab, meine Damen und Herren, die-
ses Ziel durch einen Entzug der Unterstützung für Süd-
afrika oder die Staaten der neuen gesamtafrikanischen Re-
forminitiative NEPAD erreichen zu wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das südafrikanische Modell eines friedlichen politi-
schen Wandels hat als Vorbild für die Region und den
ganzen Kontinent weiterhin Gültigkeit und verdient un-
sere Unterstützung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Mit Südafrika verbindet uns auch eine umfassende und
strategische Partnerschaft, die nicht leichtfertig aufs Spiel


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1996


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gesetzt werden sollte. Und generell gilt, dass die afrikani-
schen Reformstaaten nicht Urheber der Krise in Sim-
babwe sind. Ihre politischen Einflussmöglichkeiten blei-
ben zudem begrenzt.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Die Bundesregierung bemüht sich, auch außerhalb
Afrikas den internationalen Druck auf Simbabwe zu er-
höhen. So unterstützen wir die Entscheidung des Inter-
nationalen Währungsfonds, ein Verfahren zum Entzug
des Stimmrechts und aller damit verbundenen Rechte für
Simbabwe einzuleiten.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Das ist gut!)


Im Rahmen der Vereinten Nationen haben wir Afrika zu
einem Schwerpunktthema unserer Mitgliedschaft im
Sicherheitsrat gemacht. In engem Kontakt mit den dort
vertretenen europäischen Staaten prüfen wir zurzeit, ob
Simbabwe als Thema auf die Tagesordnung gesetzt wer-
den kann. Damit würde – nach den Beschlüssen der EU –
der internationale Druck auf Simbabwe nochmals deut-
lich erhöht werden. Es gilt nun, die Widerstände Chinas
und der afrikanischen Staaten gegen eine Befassung des
Sicherheitsrats mit dem Thema Simbabwe zu überwin-
den.


(Beifall im ganzem Hause)

Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass die konsequente

Haltung großer Teile der Weltgemeinschaft gegenüber
Simbabwe mittel- bis langfristig zu Erfolgen führen wird.
Auch im Falle Südafrikas war eine Sanktionspolitik nach
längerer Zeit erfolgreich. Im Interesse der Menschen in
Simbabwe und im Interesse von Demokratie, Rechts-
staatlichkeit und der Einhaltung der Menschenrechte wird
die Bundesregierung den Druck auf das Regime in Sim-
babwe aufrechterhalten.

Ich bedanke mich für die Unterstützung, die insbeson-
dere im Antrag der Koalitionsfraktionen, aber auch insge-
samt in der heutigen Debatte zum Ausdruck kommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502518800

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1502518900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Schat-

ten des Irakkonflikts diskutieren wir heute Abend über ein
anderes Regime, das seine eigene Bevölkerung quält und
eine immer größere Bedrohung für die ganze Region dar-
stellt, nämlich über das Mugabe-Regime in Simbabwe.

Simbabwe ist das Land, in dem Milch und Honig
fließen – so beschrieb mir vor zehn Jahren eine Frau ihre
Heimat. In der Tat: Damals war Simbabwe noch ein ge-
segnetes Land, eine afrikanische Musterdemokratie, die
Schweiz des südlichen Afrikas. Inzwischen ist es auf dem
Weg ins Armenhaus, zur Folterkammer und zu einem ab-

schreckenden politischen und wirtschaftlichen Desaster.
Robert Mugabe hat Simbabwe mit Diktatur, Willkür, Kor-
ruption und seiner als „Landreform“ titulierten Massen-
enteignung von Farmen in den wirtschaftlichen und hu-
manitären Niedergang gestürzt.

Bis zu 1Million Menschen, vor allem schwarze Farm-
arbeiter und ihre Familien, befinden sich auf der Flucht
vor Mugabes Kriegsveteranen, die inzwischen weite Teile
des Landes beherrschen. Knapp 4 000 der insgesamt
4 500 kommerziellen Farmen wurden unter schlimmen
Begleiterscheinungen zwangsgeräumt. Immer stärker ist
auch das öffentliche Leben durch staatlich organisierten
Terror und Gewalt gekennzeichnet. Demokratie und
Menschenrechte zählen nicht mehr, oppositionelle Politi-
ker, kritische Journalisten und Richter werden mit dem
Tode bedroht; die letzten Wahlen wurden manipuliert.

Auch wirtschaftlich liegt die früher hinter Südafrika
stärkste Volkswirtschaft im südlichen Afrika am Boden.
Die Arbeitslosenquote im formellen Sektor liegt bei über
70 Prozent, die Inflationsrate lag im letzten Jahr bei
200 Prozent und die Prognosen für dieses Jahr liegen bei
500 Prozent. Ausländische Beteiligungen sind stark rück-
läufig, frühere Devisenbringer wie Bergbau und Touris-
mus sind völlig eingebrochen. Auch der ehemals hoch
rentable Agrarbereich erzielt aufgrund der chaotischen
Landreform nur noch einen Bruchteil der früheren Devi-
seneinkünfte.

In der Landwirtschaft wurde der größte Teil der oh-
nehin geringen Ernte entweder gestohlen, mutwillig von
den Kriegsveteranen zerstört oder er ist aufgrund von
Misswirtschaft verdorben. Simbabwe, das noch bis vor
kurzem Lebensmittelexporteur war, benötigt nun monat-
lich etwa 150 000 Tonnen Nahrungsmittel für die
Ernährung der Bevölkerung. Regierung und Hilfsorgani-
sationen können nur etwa ein Drittel davon bereitstellen.
Deswegen rechnen Experten damit, dass zwischen sieben
und neun Millionen Menschen akut vom Hungertod be-
droht sind. Besonders beunruhigend ist, dass Robert
Mugabe die Nahrungsmittelknappheit skrupellos zum
Machterhalt ausnützt. Vielerorts werden Nahrungsmittel
nur noch an Mitglieder seiner regierenden ZANU-PF-Par-
tei ausgegeben. Distrikte, die bei den letzten Wahlen
mehrheitlich für die Opposition gestimmt haben, werden
durch Mugabes Privatarmee regelrecht ausgehungert.

Dies ist eine Vorstufe zu einem gezielten Völkermord
an Oppositionsanhängern und ethnischen Minderheiten.
Ich zitiere die öffentliche Äußerung des ehemaligen Par-
lamentssprechers Didymus Mutasa: Uns würde es mit nur
6 Millionen Menschen besser gehen. Ich meine unsere ei-
genen Leute, die den Freiheitskampf unterstützen. Die
anderen zusätzlichen Menschen wollen wir gar nicht. –
„Die „anderen zusätzlichen Menschen“ sind immerhin
mindestens 7 Millionen.

Die Welt – auch Europa – hat schon Anfang der 90er-
Jahre einen afrikanischen Völkermord zugelassen, ob-
wohl die Vorboten eindeutig waren. Ich spreche von
Ruanda. In der Folge haben sich weder die Europäer im
Allgemeinen noch wir Deutschen im Besonderen mit
Ruhm bekleckert, als es darum ging, mit unserer Afrika-
politik zu mehr Frieden und Stabilität beizutragen. Stich-

Staatsminister Hans Martin Bury




Dr. Christian Ruck
worte sind dabei: Große Seen, Westafrika und Sudan.
Dies gilt im Grunde genommen auch für Simbabwe.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist richtig, Herr Bury, dass die offizielle Entwick-

lungszusammenarbeit mit Simbabwe eingefroren und
dafür die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen in-
tensiviert worden ist. Richtig war auch das Einfrieren der
privaten Vermögenswerte Mugabes im Ausland, das EU-
Waffenembargo und das EU-Einreiseverbot. Die Sank-
tionen laufen am 18. Februar dieses Jahres aus. Natürlich
ist es dringend geboten, sie zu verlängern. Alles andere
wäre in der Tat ein schwerer Schlag gegen die Glaubwür-
digkeit der europäischen Außenpolitik.

Mit besonderer Aufmerksamkeit blicken wir nach
Frankreich. Für mich ist es ein trauriger Rückschlag,
dass Präsident Chirac weiter auf der Einladung für
Mugabe zum Frankreich-Afrika-Gipfel beharrt, bei dem
es zynischerweise um Menschenrechte und Good Gover-
nance geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist ein Signal in die falsche Richtung und kein gutes
Zeichen für die jüngst wieder beschworene deutsch-fran-
zösische Zusammenarbeit in der Außenpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen eine weiterhin harte Haltung gegenüber

Mugabe und seinem Regime im Besonderen und gegen-
über Bad Governance in Afrika im Allgemeinen. In diesem
Zusammenhang fordern wir von der deutschen Außen-
politik, Herr Bury, und dem Kanzleramt einen Politik-
wechsel gegenüberAfrika. Ich möchte gerne wissen, was
der Außenpolitiker im Hause gegenüber dazu sagt. Wir
müssen weg von der Politik des freundlichen Desinteres-
ses, garniert mit erheblicher Entwicklungshilfe, hin zu
dem Versuch, eine international abgestimmte Gegenoffen-
sive gegen das zunehmende Chaos in Afrika zu organisie-
ren. Es ist auch im deutschen Interesse, dass die Zonen der
Ordnungslosigkeit in Afrika eingedämmt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Den wichtigsten Schlüssel zu einem Regierungswech-

sel in Simbabwe oder zumindest zu einem Einlenken von
Mugabe hat allerdings die Regierung in Südafrika.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Richtig!)

Aber Südafrikas Präsident Mbeki hält sich trotz aller Be-
kenntnisse zu Menschenrechten, Demokratie und den
ambitiösen Zielen von NEPAD auffällig zurück. Seine
Strategie der stillen Diplomatie hat bisher zu keiner er-
kennbaren Verbesserung der Lage in Simbabwe geführt.

Ganz im Gegenteil: Sein Verhalten deuten viele als
eine stille Anerkennung dessen, was dort passiert. Süd-
afrika hält das Terrorregime durch seine Treibstoff- und
Stromlieferungen, aber auch durch seine Kreditvergaben
künstlich am Leben, obwohl selbst Libyen inzwischen
kein Öl mehr liefert. Mittels einer geschickten Sanktions-
politik könnte Südafrika den Rücktritt von Robert
Mugabe binnen kürzester Zeit herbeiführen und damit
Millionen von Menschen aus der Gefahr befreien.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen ist Simbabwe die Nagelprobe für Afrikas
Bekenntnis zu Menschenrechten, Rechtstaatlichkeit und
Demokratie. Simbabwes Nachbarländer stehen in der
Pflicht, Mugabe zum Einlenken zu bewegen. Vor allem
Südafrika ist als Protagonist von NEPAD moralisch ver-
pflichtet, tätig zu werden. Der SADC-Vertrag von 1994
gibt der SADC die rechtliche Möglichkeit, Sanktionen ge-
gen Simbabwe einzuleiten.

Herr Bury, wenn die Grundsätze und Prinzipien von
NEPAD und des SADC-Übereinkommens weiterhin mit
Füßen getreten werden, dann müssen wir Europäer unsere
Zustimmung zu beiden Abkommen infrage stellen, weil
sie sonst wirklich zu einer Farce werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir dürfen dem Terror von Robert Mugabe nicht länger

zusehen. Millionen von Menschen sind in Gefahr. Auch
die Glaubwürdigkeit der Afrikaner und das Vertrauen der
Welt, dass Afrika von Süden her eine neue Zukunft aus
eigener Kraft schafft, stehen auf dem Spiel.

Wir waren alle parteiübergreifend angesichts der Infor-
mationen betroffen, die wir auf der Veranstaltung, die wir
zusammen mit der Afrikastiftung vor zwei Wochen
durchgeführt haben – viele von uns waren dabei –, erhal-
ten haben. Wir sollten versuchen, einen gemeinsamen
Antrag vorzulegen. Wir sind gerne dazu bereit, wenn wir
auf substanzielle Aussagen unseres Antrages nicht
verzichten müssen. Die Zeit drängt allerdings. Ich sage
ausdrücklich: Die Zeit für Beschwichtigungen ist vorbei!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502519000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Riester.


Walter Riester (SPD):
Rede ID: ID1502519100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mehrere Regionen in Afrika stehen erneut vor einer Hun-
gerkatastrophe. Fast 40 Millionen Menschen, vor allem
in Äthiopien und im südlichen Afrika, sind davon betrof-
fen; circa 7 Millionen davon leben in Simbabwe. Beson-
ders betroffen sind Kinder, Mütter und gesundheitlich ge-
schwächte Personen.

Im Wesentlichen sind vier Ursachen für die immer
wieder auftretende Katastrophe verantwortlich: erstens,
die immer häufiger auftretenden Dürreperioden, zweitens
eine hoch subventionierte Agrarindustrie mit teilweise
nicht angepassten Agrarprodukten, drittens die schwie-
rige und ungerechte Bodenbesitzstruktur sowie viertens
die mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit einiger afrika-
nischer Regierungen, sich für die Lösung dieser prekären
Lage einzusetzen, ohne die Neuverteilung von Land poli-
tisch zu instrumentalisieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die katastrophale Situation in weiten Teilen Afrikas ist
sicherlich kein Anlass für innenpolitische Auseinander-


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1998


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setzungen in dieser Debatte, die bedauerlicherweise erst
so spät am Abend geführt wird. Der Beifall zu vielen Pas-
sagen der Rede des Staatsministers, der nach meiner Auf-
fassung sehr klare Aussagen zur Position der Regierung
machte, war ermutigend.

Die Situation in Simbabwe ist zurzeit äußerst brisant
und sowohl politisch als auch humanitär schwierig. Die
Rahmenbedingungen sind schlecht. Im Kontext deutscher
Entwicklungszusammenarbeit ist Simbabwe nur als
potenzielles Kooperationsland eingestuft. Die Regierung
von Robert Mugabe hat sich als Partner staatlicher Ent-
wicklungszusammenarbeit selbst disqualifiziert.

Ich werde auf zwei der wesentlichen Rahmenbedin-
gungen der Krise eingehen, nämlich auf die politische
und die wirtschaftliche Situation Simbabwes.

Präsident Mugabe, der seit nunmehr 23 Jahren an der
Macht ist, hat die Trennung von Staat, Regierung und
Partei aufgehoben und blockiert mögliche und dringend
notwendige Demokratisierungsprozesse. Seine Regierungs-
führung ist insbesondere durch Repression und politi-
sche Gewalt, besonders gegen die immer stärker wer-
dende Opposition unter Morgan Tsvangirai, geprägt. Den
knappen Vorsprung gegenüber seinem politischen Gegner
von der Reformpartei bei der Wahl im März 2002 konnte
er nur durch Manipulation mittels fiktiver Wählerstim-
men und Gewalt erzielen.

Die Opposition und andere zivilgesellschaftliche
Kräfte werden systematisch an der Teilhabe am politi-
schen Leben gehindert und unterdrückt. Es geht so weit,
dass der Oppositionsführer unter einem dubiosen Mord-
komplottverdacht vor Gericht gestellt und die interna-
tionale Öffentlichkeit anfangs von der Verhandlung aus-
gesperrt wurde.

Seit den 90er-Jahren ist die Gesellschaft durch eine
Günstlingswirtschaft geprägt, die nur dazu dient, die
Macht Mugabes zu festigen. Die Unterstützung der
Regierung entscheidet über die Teilhabe an den noch spär-
lich vorhandenen Gütern.

So ist auch die Landreform zu bewerten. Präsident
Mugabe versucht, durch die Neuverteilung des Bodens im
Rahmen der Landreform, seine Unterstützer aus den Rei-
hen der Polizei, des Militärs und der eigenen Partei zu ver-
sorgen. Die Landreform wird hier als politisches In-
strument zur Machterhaltung der Herrschaft Mugabes
missbraucht und nicht dazu genutzt, ungerechte Landbe-
sitzverhältnisse aus der kolonialen Vergangenheit zu re-
vidieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU])


In Simbabwe handelt es sich also nicht nur um eine dro-
hende wirtschaftliche Krise; die nationale Ökonomie lei-
det vor allem unter den Folgen der Miss- und Klientel-
wirtschaft.

Die allgemeine Wirtschaftslage Simbabwes ist seit
den 90er-Jahren durch die Rezession geprägt. Das Brutto-
inlandsprodukt ging um 12 Prozent zurück. Die Inflations-
rate lag im Dezember bei 198 Prozent und die Arbeits-

losenquote – das ergibt sich aus den Unterlagen, die ich
gelesen habe – liegt nicht bei 70, sondern sogar bei
80 Prozent. Ich denke, dass man sich angesichts dieser Di-
mension nicht über die korrekte Zahl streiten muss. Die
wirtschaftliche Situation hat für die Menschen katas-
trophale Folgen.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Richtig!)

Die Gesellschaft ist geprägt von Armut. Drei Viertel der
Menschen Simbabwes leben unter der Armutsgrenze.

Die fiskalische Situation Simbabwes wird durch
Kapitalflucht und Devisenmangel zusätzlich verschärft.
Kapital und Devisen wären aber für die Importe so
wichtiger Güter wie Nahrungsmittel und Erdöl dringend
notwendig. Zudem liegt die einst exportorientierte Land-
wirtschaft – Sie sagten es bereits, Herr Ruck – brach.
Zwar leidet das Land unter einer periodischen Dürre. Je-
doch kann man sich nicht der Tatsache verschließen, dass
der Hauptverursacher der zusammenbrechenden Nahrungs-
mittelproduktion die missglückte und machtpolitisch
missbrauchte Landreform ist. Sowohl politisch als auch
wirtschaftlich kehrt die Regierung Mugabes immer mehr
zum Staatsinterventionismus zurück.

Wie soll und kann sich die Bundesregierung gegenüber
Simbabwe verhalten? Ich finde es gut, dass der Staats-
minister eingangs die politische Position sehr deutlich
skizziert hat. Die Hilfe für Simbabwe darf natürlich nicht
abbrechen. Viele Menschen würden dadurch noch mehr
leiden und hungern.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit darf
allerdings die Position Mugabes nicht stärken. Es muss
also ein Weg beschritten werden, der das technisch
Mögliche und das entwicklungspolitisch Notwendige
verbindet. Klar ist, dass die entwicklungspolitische und
die außenpolitische Linie kohärent sein müssen. Die
auswärtige Politik muss den politischen Dialog mit allen
mulitlateralen Gremien führen, zur gegebenen Zeit natür-
lich auch mit der simbabwischen Regierung. Das sollte
vor allem in enger Abstimmung mit den EU-Partnern und
den SADC-Staaten erfolgen.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit muss also
abgestimmt, entwicklungspolitisch sinnvoll und nach-
haltig sein. Die Auswahl von Mitteln, Trägern und
Empfängern muss gezielt erfolgen und sich auf reform-
willige und reformfähige simbabwische Partner konzen-
trieren. Das Kriterium der Bedürftigkeit, also Armut und
Hunger, muss bei der Auswahl der Zielgruppen das
entscheidende Kriterium sein. Regierungsnahe Personen
und Funktionäre, Polizei und Militär müssen jedoch von
bilateraler Hilfe ausgeschlossen werden, da dadurch das
bestehende Regime gestärkt würde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Handlungsansatz der Bundesregierung ist
richtig. Die Einstellung der bilateralen Entwicklungs-
zusammenarbeit ist Grundvoraussetzung dafür, das
Regime Mugabes nicht zu unterstützen. Es ist ein poli-
tischer Dialog gefragt, der die Opposition stärkt und zu-
dem vor willkürlicher staatlicher Gewalt schützt. Die
Stärkung der Nichtregierungsorganisationen und anderer

Walter Riester




Walter Riester
zivilgesellschaftlicher Kräfte kann dazu beitragen, dass
Hilfelieferungen Bedürftige erreichen und nicht als In-
strument zur Machterhaltung missbraucht werden.

Lassen Sie mich auf das zurückkommen, was ich an-
fangs gesagt habe. Auch wenn sich für uns und die Weltöf-
fentlichkeit Simbabwe als Zentrum schlechter Regierungs-
führung in Afrika und als Kristallisationspunkt der
Hungerkatastrophe darstellt, dürfen wir den Rest Afrikas
nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen in Zukunft da-
rauf hinarbeiten, politischen und ökologischen Krisen
rechtzeitig entgegenzuwirken. Zudem müssen Handlungs-
optionen erarbeitet werden, um auf umweltbedingte
Gefahren im Vorfeld reagieren zu können.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502519200

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Markus Löning.


Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1502519300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Riester, in dem, was Sie und auch die anderen Kollegen
zur Einschätzung der Situation in Simbabwe und zur Ein-
schätzung dessen, was Robert Mugabe seinem Land an-
tut, gesagt haben, sind wir uns, fraktionsübergreifend ei-
nig. Mugabe ist ein furchtbarer Despot. Er fälscht Wahlen,
er schüchtert Leute ein durch Enteignung, Mord und Ver-
treibung – 1,5 Millionen Landarbeiter hat er vertrieben –,
er zerstört die wirtschaftliche Grundlage und damit auch
die Ernährungsgrundlage seines Landes in einer brutalen
Art und Weise, die nicht zu tolerieren ist. Er tritt die Men-
schenrechte mit Füßen, wie die jüngsten Attacken auf die
indische Minderheit und der Prozess, den Sie erwähnt ha-
ben, beweisen.

Ich glaube, es ist gut, dass wir uns in dieser Ein-
schätzung einig sind. Ich halte auch die von der EU ver-
hängten wirtschaftlichen und politischen Sanktionen
gegen Simbabwe für richtig. Sehr gut finde ich, dass sie
auch persönliche Sanktionen gegen Herrn Mugabe ver-
hängt und sein Vermögen sowie das seiner Freunde einge-
froren hat, soweit es sich in der EU befindet. Ich halte den
Versuch für richtig, den Diktator auch persönlich am
Portepee zu fassen.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Wenn es funktioniert!)


– Richtig, das ist der entscheidende Punkt. Es muss auch
funktionieren.

Am Montag will der EU-Ministerrat diese Sanktionen
verlängern. Herr Bury, es gibt offensichtlich einen Kom-
promiss zwischen den Botschaftern, der nach Meldungen
der Agenturen ein bisschen anders aussieht als der, den
Sie hier geschildert haben. Der Kompromiss lautet, dass
mit Mehrheitsentscheidung im Ministerrat eine Ein-
reisegenehmigung für Herrn Mugabe erteilt werden kann.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Ein Skandal!)


Wir unterstützen die Verlängerung der Sanktionen,
denn man kann die Sanktionen jetzt nicht aussetzen. Den-
noch sollte man beachten, dass die Sanktionen bis jetzt
nicht zu einer Verbesserung der Situation in Simbabwe
beigetragen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das müssen wir uns der Ehrlichkeit halber vor Augen
führen.

Deswegen schlagen wir vor, den Ansatz in der Politik
gegenüber Simbabwe etwas zu verändern. Man muss die
Sanktionen fortsetzen – es wäre ein katastrophales Signal,
wenn wir sie jetzt zurücknehmen würden –, aber den Weg,
den die Union vorschlägt, wollen wir nicht mitgehen. Wir
glauben nicht, dass erfolglose Sanktionen dadurch erfolg-
reich werden, dass wir einfach versuchen, die Sanktionen
noch härter zu machen und auch noch die Nachbarländer
mit in die Haftung zu nehmen. Das scheint uns nicht der
richtige Weg zu sein.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Aber die Nachbarn könnten das machen!)


Ich habe mir auch den Antrag von Rot-Grün angese-
hen. Es ist ein bisschen schwierig, darin die Linie zu finden.
In dem Antrag wird sehr viel abgehandelt: Genfood, Dia-
log mit der Zivilgesellschaft und eine Menge Gutes und
Schönes. Irgendwo aber habe ich einen Absatz gefunden,
über den ich mich sehr gefreut habe. Er könnte aus unserem
Antrag sein, denn er beschreibt den Weg, den wir vorschla-
gen. Dieser Weg sieht so aus: Wenn wir als Europäer fest-
stellen, dass es nicht funktioniert, wenn wir allein Sanktio-
nen verhängen, müssen wir den Schulterschluss mit den
afrikanischen Nachbarn Simbabwes suchen.

Natürlich spielt Südafrika dabei eine Schlüsselrolle.
Herr Bury, Frau Ministerin, an dieser Stelle ist besonders
die SPD gefragt. Der ANC ist Partnerpartei der SPD, Sie
sitzen gemeinsam mit dem ANC in der Sozialistischen In-
ternationale. Ich nehme an, dass Sie miteinander reden.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in Südafrika gemeinsam
mit dem ANC sehr viel gemacht. Es muss dort Netzwerke
geben. Ich gehe davon aus, dass Sie dort auch Einfluss
nehmen können. Tun Sie das. Nehmen Sie Einfluss auf
den ANC, damit der ANC und Herr Mbeki ihre Politik än-
dern und zu einer gemeinsamen europäisch-afrikanischen
Initiative Ja sagen,


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. KlausJürgen Hedrich [CDU/CSU])


sodass wir gemeinsam Einfluss auf Simbabwe nehmen
können, damit Herr Mugabe seinen Kurs dort ändert.
Ohne Südafrika – wir müssen eigentlich noch mehr afri-
kanische Länder ins Boot holen – wird es keinen Erfolg
geben. Dafür ist die Rolle, die Südafrika spielt, einfach zu
wichtig.

Herr Mugabe wird ja nun wohl zu den Konferenzen in
Paris und Lissabon reisen können. Wir haben darüber in
der Fraktion eine lange und sehr leidenschaftliche Debatte
geführt und sind zu dem Schluss gekommen: Wenn die
Franzosen wünschen, dass er kommt, dann müssen Sie,
Herr Bury – die Bundesregierung ist hier gefordert –, ge-
meinsam mit den Vertretern der anderen afrikanischen Staa-


(A)



(B)



(C)



(D)


2000


(A)



(B)



(C)



(D)






ten die Konferenzen in Paris und Lissabon nutzen, Herrn
Mugabe unter Druck zu setzen und dafür sorgen, dass er
sich, soweit dies möglich ist – das wird auf dieser Konferenz
sicherlich schwer zu erreichen sein –, einer geschlossenen
Front von europäischen und afrikanischen Ländern gegen-
übersieht. Vielleicht wird er dann seinen Kurs ändern bzw.
wird das irgendetwas bewegen. Es wäre der Bevölkerung
von Simbabwe sehr zu wünschen, dass dies gelingt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502519400

Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä-

rin Dr. Uschi Eid.

Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502519500


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns
alle gemeinsam besorgt, ja bestürzt die Entwicklung in
Simbabwe. Wir glaubten eigentlich, dass die Zeit der
Apartheid und des Rassismus beendet sei. Aber jetzt müs-
sen wir zusehen, wie in Simbabwe neuer Rassismus ent-
steht, der von der unverantwortlichen Politik der Regierung
Mugabes gegen weiße Bevölkerungsteile geschürt wird.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Nicht nur!)


Das alte Unrecht der Kolonialzeit muss dringend beseitigt
werden. Daran führt kein Weg vorbei. Aber das alte Un-
recht darf nicht durch neues Unrecht ersetzt werden.
Dafür ist kein Platz in dieser Welt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist auch kein Platz für ein korruptes Regime wie das von
Mugabe. Er erhält seine Macht um jeden Preis und er geht
dabei über Leichen. Seine Politik führt – darauf ist schon
hingewiesen worden – zu Hunger und Unterdrückung.

Platz ist in unserer Welt für das selbstbewusste, das of-
fene, das reformbereite und das der Zukunft zugewandte
Afrika. Gerade wir, die wir gegen den Rassismus der
Weißen in Südafrika und Namibia gekämpft haben, und
die wir die Menschen in diesen Ländern in ihrem Kampf
gegen das menschenunwürdige System der Apartheid un-
terstützt haben, sind jetzt besonders aufgerufen, diesen
neuen Rassismus politisch zu bekämpfen und das demo-
kratische Afrika und das Afrika, das international aner-
kannte Werte und Standards respektiert, zu stärken. Genau
das tut die Bundesregierung.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU): Na!)

Wir tun es aber nicht, Herr Hedrich – das sage ich in

aller Deutlichkeit –, indem wir andere afrikanische Staa-
ten für die Politik in Simbabwe in Geiselhaft nehmen. Das
aber fordern Sie in Ihrem Antrag. Wir sind dagegen. Wir
tun es auch nicht, indem wir den intensiven Dialog der G 8
und Europas mit Afrika wieder abbrechen. Dazu sind wir
nicht bereit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nein, wir tun es, indem wir noch intensiver mit unseren
afrikanischen Partnern – und zwar auf gleicher Augen-
höhe – über ihre gemeinsame Verantwortung für Afrika
sprechen. Unsere Strategie ist klar: erstens Abbruch der
Beziehungen mit der Regierung Mugabe bei gleichzeiti-
ger Unterstützung der demokratischen und reformwilli-
gen Kräfte in der Bevölkerung und zweitens Dialog mit
unseren afrikanischen Partnern, um den Druck auf Mu-
gabe zu erhöhen und dazu beizutragen, dass die politische
Verantwortung für die weitere Entwicklung übernommen
wird. Ich kann Ihnen versichern: Alle Mitglieder der Bun-
desregierung bis hin zu Bundespräsident Rau haben in al-
len Gesprächen mit Vertretern Südafrikas immer wieder
gefordert, den Druck Südafrikas auf Simbabwe zu ver-
stärken. Die Südafrikaner, die Malawier, die Lesother, alle
SADC-Politiker haben immer wieder versichert, dass sie
alles versucht hätten.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)


– Waren Sie dabei, Herr Ruck? Ich glaube, nicht.

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Noch nicht!)


Wir wissen zum Beispiel genau, dass Simbabwe jetzt
an der Reihe gewesen wäre, die Vizepräsidentschaft bei
der SADC zu übernehmen. Die SADC-Staaten haben ge-
nau dies verhindert. Mugabe ist nicht Vizepräsident ge-
worden. Es sollte verhindert werden, dass im nächsten
Zyklus dann Simbabwe die Präsidentschaft der SADC
übernimmt. Genau das ist also nicht passiert. Das ist auf
Druck der anderen Politiker des südlichen Afrika gesche-
hen. Darüber sind wir auch froh.

Die Bundesregierung hat von Anfang an mit Entschie-
denheit gegen die systematische Zerstörung des Rechts-
staats in Simbabwe Stellung bezogen. Gerade wir waren
es, die sich schon sehr früh für konsequente Sanktionen
eingesetzt haben, und wir sind es, die jetzt innerhalb der
Europäischen Union für eine Verlängerung der Geltungs-
dauer der Sanktionen eintreten.

Darüber hinaus hat das BMZ – das wurde auch er-
wähnt – bereits im Jahre 2000 die bilaterale Entwick-
lungszusammenarbeit, also die staatliche Entwicklungs-
zusammenarbeit, in großen Teilen ausgesetzt und nach
den letzten massiv manipulierten Wahlen im März 2002
vollständig eingestellt. Gleichzeitig haben wir die Zu-
sammenarbeit auf nicht staatlicher Ebene intensiviert. Wir
machen weiter mit HIV-/Aidsbekämpfung, Demokratie-
förderung und Krisenprävention.

Was die Zusammenarbeit mit Ländern der Region
angeht, so haben wir im Politikdialog mit Südafrika und
mit anderen Regierungen des südlichen Afrikas darauf
hingewirkt, dass die Verantwortung gegenüber dem
Nachbarn wahrgenommen wird und der Druck auf das
Regime in Simbabwe zunimmt. Darum werden wir uns
auch in Zukunft konsequent bemühen.

Wir müssen dabei aber berücksichtigen – dabei dürfen
wir auch nicht ahistorisch sein –, dass viele Menschen im
südlichen Afrika zu Zeiten der Apartheid bei Mugabe in
Simbabwe Schutz und Unterstützung fanden und dass es
dort historisch gewachsene Freundschaften und Loyalitä-
ten gibt, die eine rigorose Isolationspolitik, wie wir sie

Markus Löning




Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid
uns vorstellen und wie sie international gefordert wird,
sehr erschweren.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Da haben Sie leider Recht!)


– Herr Hedrich, Ihre Regierung hätte ja schon sehr viel
früher damit anfangen können, aber auch Mitglieder Ihrer
Partei pflegten sehr gute Freundschaften zu Mitgliedern
von Mugabes Regime. Sie erinnern sich: Wir waren ge-
meinsam in Simbabwe. Herr Mutambuka gehörte auch zu
denen, die in der CDU gute Freunde hatten, und er war si-
cherlich kein Demokrat.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Das war eine schöne Reise!)


Bei aller Enttäuschung über die so genannte stille Di-
plomatie muss auch gesehen und verstanden werden, dass
Südafrika nicht Verursacher der Krise ist und nicht dafür
verantwortlich gemacht werden kann. Wenn unsere Poli-
tik gegenüber den Nachbarstaaten Simbabwes nicht von
Augenmaß und strategischem Weitblick geprägt ist, dann
werden wir das Gegenteil von dem erreichen, was wir
wollen und zu Recht erwarten.

Lassen Sie mich noch kurz etwas zur Forderung der
CDU/CSU im Zusammenhang mit NEPAD sagen. Mit
NEPAD haben sich die afrikanischen Staaten zu grundle-
genden wirtschaftlichen und politischen Reformen sowie
zu global gültigen Werten, zu Demokratie, Menschen-
rechten, Rechtsstaatlichkeit und verantwortlichem Regie-
rungshandeln bekannt. Sie haben sich darüber hinaus zu
ihrer kollektiven Verantwortung für die afrikanische Ent-
wicklung, zur Verantwortung für die Entwicklungschan-
cen der Zukunft, aber auch zu Fehlern der Vergangenheit
und Gegenwart bekannt.

Diese neue Entwicklungsstrategie NEPAD hat ihre
Rolle als Vorreiter von Reformen schon mehrfach unter
Beweis gestellt,


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Wo denn?)


am deutlichsten bei der Gründung der Afrikanischen
Union im Jahre 2002,


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Mädchen!)


weil nämlich da das in der OAU verankerte Prinzip der
Nichteinmischung radikal über Bord geworfen wurde.
Die Afrikanische Union bekennt sich zu Demokratie,
guter Regierungsführung und Menschenrechten in allen
Mitgliedstaaten, was letztlich die Möglichkeit von Sank-
tionen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen und
gegen Diktatoren einschließt.

Diesem Bekenntnis zu gemeinsamer Verantwortung
entspricht die konkrete Bereitschaft von heute bereits
zwölf afrikanischen Staaten, sich einem gegenseitigen
Bewertungs- und Beurteilungsprozess zu unterwerfen.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist doch alles Schall und Rauch!)


Die Vorbereitungen dafür werden in Kürze abgeschlossen
sein. Damit werden Demokratie, gute Regierungsführung,

Marktwirtschaft und Menschenrechte erstmals zum Ge-
genstand eines förmlichen Dialogs zwischen afrikanischen
Staaten. Das muss man anerkennen und genau dies unter-
stützen wir.

Die gegenseitige Wertung wird einen umfassenden und
nachhaltigen Prozess der politischen Transformation
auf dem afrikanischen Kontinent auslösen. Falls dieser
Prozess transparent und glaubwürdig durchgeführt wird,
bietet er die Grundlage für eine Neuausrichtung unserer
Entwicklungszusammenarbeit mit den Reformstaaten
in Afrika.

Vor diesem Hintergrund fordern wir von unseren afri-
kanischen Partnern selbstverständlich, dass sie die kol-
lektive Verantwortung, der sie sich verschrieben haben,
auch im Falle Simbabwes konsequent wahrnehmen. Um
genau diese Forderung geht es, wenn über die Unterstüt-
zung von NEPAD durch die G-8-Staaten diskutiert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, dass Herr Hedrich „Mädchen“ zu einer erwachsenen Frau sagte, war aber nicht in Ordnung!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502519600

Herr Hedrich, Ihre Adresse an die Frau Staatssekretä-

rin war nicht ganz parlamentarisch.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus-Jürgen

Hedrich.


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1502519700

Frau Präsidentin, ich gebe zu, dass mein Zwischenruf

nicht ganz parlamentarisch war. Ich nehme Ihren Hinweis
zur Kenntnis. Ich bitte um Entschuldigung.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502519800

Gut, entschuldigt und verziehen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Geloben Sie Besserung!)



Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1502519900

Ich gelobe auch Besserung. – Frau Präsidentin! Meine

sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere
daran, dass heute Morgen jemand von diesem Pult aus den
politischen Gegner zunächst beschuldigt hat, ein Kriegs-
treiber zu sein. Dann hat er behauptet, der politische Geg-
ner vernachlässige die Prinzipien seiner Politik. Lassen
Sie uns solche Behauptungen einmal auf den hier disku-
tierten Fall transferieren!

In der gestrigen Sitzung des Auswärtigen Ausschus-
ses – er tagte nicht geheim – wurde darauf hingewiesen,
dass die Europäische Union vor zwei Optionen steht:

Die erste Option ist – Hans Martin Bury hat darauf hin-
gewiesen –, dass der europäisch-afrikanische Gipfel in
Lissabon – das ist der Wunsch der Bundesregierung –


(A)



(B)



(C)



(D)


2002


(A)



(B)



(C)



(D)






nicht stattfindet. Wenn Mugabe dorthin kommt, schließen
wir uns dem Wunsch der Bundesregierung an.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In derselben Sitzung hat der Vertreter des Auswärtigen

Amtes erklärt – damit ist die zweite Option verbunden –,
man sei aber dafür, dass Mugabe nach Paris, interessan-
terweise zum französisch-afrikanischen Gipfel, komme
und dass man der Teilnahme Mugabes dort allein schon
deshalb zustimmen wolle und müsse, weil Frankreich an-
gedroht habe, der Verlängerung derSanktionen nicht zu-
zustimmen, wenn Deutschland und die übrigen EU-Staa-
ten darauf bestünden, das Mugabe nicht kommen dürfe.
Ich halte eine solche Politik für unwürdig und der Euro-
päischen Union nicht angemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann die Bundesregierung, lieber Herr Bury – ich

möchte mich aber auch an die Ministerin wenden –, des-
halb nur auffordern: Wenn Sie möchten, dass Ihre Politik
nur ein Fünkchen Konsistenz enthält, dann müssen Sie die
Prinzipien, die Sie heute Morgen beschworen haben, nicht
nur auf den Fall Saddam Hussein, sondern auch auf den
Fall Mugabe und auf die Fälle anderer Diktatoren in glei-
cher Weise anwenden; sonst wird Ihre Politik unglaub-
würdig und setzt sich zu Recht des Vorwurfs der Belie-
bigkeit aus.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie erwecken nämlich den Anschein, dass Ihnen Sim-
babwe im Augenblick nicht so wichtig ist. Die Bedeutung
dieses Falles – da darf ich mich beim Kollegen Walter
Riester ganz herzlich bedanken – ist aber sehr deutlich ge-
worden.

Ich wiederhole: Bleiben Sie in Ihrer Politik konsequent!
Sie darf nicht, weil jetzt die Beantwortung irgendwelcher
anderer Fragen im deutsch-französischen Verhältnis an-
steht, auf dem Altar zweifelhafter Gemeinsamkeit geopfert
werden. Wenn dieser Mann, Mugabe, die Chance bekäme,
sich auf diesem Gipfel in Paris zu präsentieren, dann wäre
das ein Schlag in die Gesichter aller Demokraten im süd-
lichen Afrika. Deshalb darf ich die Bundesregierung bit-
ten, dementsprechend zu handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Übrigen habe ich mir sagen lassen – aber das ist

eine Pikanterie –, dass sich die Zahl der Französisch spre-
chenden Bürger in Simbabwe auf 18 Personen beläuft,
wobei der französische Botschafter eingeschlossen ist.
Das ist aber mehr eine Sache von Chirac. Um diese Frage
brauchen wir uns nicht so sehr zu kümmern.

Die Parlamentarische Staatssekretärin hat auf NEPAD
verwiesen. Ich teile ihre Einschätzung, dass NEPAD, eine
in Afrika entstandene Initiative, positiv zu bewerten ist.
Ich sage aber auch: Mugabe ist der Testfall.


(Karin Kortmann [SPD]: Aber es gibt doch keine Sippenhaft!)


– Nein, es gibt keine, aber Mugabe ist der Testfall. – Wie
wollen eigentlich die Führer dieser Initiative, Obasanjo
von Nigeria und Thabo Mbeki von Südafrika, uns Eu-
ropäern und ihren eigenen Bürgern klar machen, dass sie

für alle afrikanischen Staaten – das ist ja der Ansatz – De-
mokratie, Menschenrechte, Freiheit der Presse und der
Meinungsäußerung einfordern, aber gleichzeitig einen
um die Ecke herum herrschenden Diktator nicht darauf
aufmerksam machen, diese umzusetzen. Mugabe wäre
morgen oder, um es korrekter zu formulieren, übermorgen
am Ende, wenn Thabo Mbeki den Daumen senken würde.
Wir fordern Mbeki auf, den Daumen zu senken, damit
dieses terroristische Regime endlich zusammenbricht.
Das hat das Volk von Simbabwe verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Daran muss man dann auch den einen oder anderen erin-
nern.

Vielleicht hatten Sie Gelegenheit, mit Sam Nujoma, den
ich nun seit fast 30 Jahren kenne, bei seinem letzten Be-
such zu sprechen. Da haben wir ihn gefragt: Mr. President
– er versteht sehr gut Deutsch –, was war eigentlich Ihre
Überlegung, dass Sie Robert Mugabe zu seiner Wieder-
wahl gratuliert haben, bevor die Auszählung der Stimmen
begonnen hatte? – Da hat Sam in der ihm eigenen Art for-
muliert: Ja, gab es denn einen Zweifel, dass er gewinnen
könnte? Jeder weiß, dass, wenn es eine freie Wahl in Sim-
babwe gegeben hätte, der Oppositionsführer, den Sie vorhin
zu Recht erwähnt haben, selbst bei den ungünstigsten Pro-
gnosen mit einem Ergebnis von 80 Prozent das Rennen ge-
macht hätte. In einer solchen Situation müssen wir von den
Nachbarn einfordern, nicht nur im eigenen Lande – Nami-
bia ist ja Gott sei Dank nach wie vor ein viel versprechen-
des Beispiel in der Region – demokratischen Prinzipien
und Menschenrechten zur Anwendung zu verhelfen.

Die Glaubwürdigkeit, liebe Frau Staatssekretärin, von
NEPAD misst sich auch daran, welche Stellung die afri-
kanischen Führer zu den konkreten Beispielen der Ver-
letzung von Menschenrechten in anderen Staaten bezie-
hen. Bis heute müssen wir leider feststellen, dass die
afrikanischen Führer es nicht geschafft haben, hier eine
eindeutige Position zu beziehen. Damit diskreditiert sich
auch der Prozess von NEPAD. Wenn diesem Prozess
Glaubwürdigkeit zukommen soll, dann müssen wir darauf
bestehen, dass Mugabe abgelöst wird; denn er ist ein Hin-
dernis für ein solides Verhältnis zwischen Europa und
Afrika und ein Schänder der Menschenrechte in Afrika.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502520000

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Brigitte Wimmer.


Brigitte Wimmer (SPD):
Rede ID: ID1502520100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich zähle jetzt nicht mehr die zu Recht von allen Seiten
gekommenen Beschreibungen auf, mit denen die Lage in
Simbabwe skizziert wurde. Für mich hat das mit am präg-
nantesten und deutlichsten unsere Ministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul schon im August drastisch und eindeutig
in einer Pressemitteilung formuliert – ich zitiere –:

Den Spitzenplatz der Verantwortungslosigkeit nimmt
die verbrecherische Clique des Diktators Mugabe in

Klaus-Jürgen Hedrich




Brigitte Wimmer (Karlsruhe)


Simbabwe ein… Für die akute Hungersnot in Sim-
babwe sei die Regierung durch ihre Misswirtschaft
und menschenverachtende Willkür mit verantwort-
lich.

Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass die Regierung das
so sieht.

Ich möchte aber noch einmal zwei Aspekte aufgreifen:
Ich finde es unerträglich, dass nach übereinstimmenden
Aussagen durch systematische Behinderung der Ver-
teilung von Nahrungsmitteln an bestimmte bedürfti-
ge Bevölkerungsgruppen versucht wird, die Opposition
buchstäblich auszuhungern, indem man ihre Mitglieder
verhungern lässt. Diese Aussagen sind ernst. Sie wurden
von glaubwürdigen Zeuginnen und Zeugen gemacht und
sind übereinstimmend.

Deswegen muss unsere erste und wichtigste Forderung
sein: Die Regierung in Simbabwe muss der ungehinder-
ten Verteilung von Nothilfe durch unabhängige nationale
und internationale Hilfsorganisationen nicht nur zustim-
men, sondern sie auch gewährleisten und sicherstellen.
Wir können nicht zulassen, dass mit Nahrungsmitteln
gnadenlos Politik gemacht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bundesregierung leistet zu Recht alles ihr Mög-
liche, um die Nichtregierungsorganisationen bei ihrer hu-
manitären Arbeit zu unterstützen. Ich weiß nicht, wie es
Ihnen geht, wenn Sie die Berichte sehen und hören. Man
kann es fast nicht glauben. Ich denke, unsere Regierung
macht an diesem Punkt die richtige Politik, indem sie mit
aller Energie versucht, die Hilfe an die Menschen zu brin-
gen, ohne das Regime zu unterstützen.

Das Zweite ist: Ich stimme absolut der klaren Position
von Staatsminister Bury zu, dass es darum geht, Simbabwe
bei den Vereinten Nationen zu einem Thema zu machen.
Ich finde die Initiative gut.

Wir sollten auch die Bemühungen der Länder unter-
stützen, die Lage in Simbabwe bei der Tagung der Men-
schenrechtskonvention, die im März in Genf beginnt,
auf die Tagesordnung zu setzen. Es ist wichtig, dass in die-
sem Rahmen darauf hingewiesen wird, welche schreck-
lichen Menschenrechtsverletzungen es in Simbabwe gibt.

Wir tun das – da wende ich mich an die CDU/CSU –
aus Sorge um die Entwicklung im südlichen Afrika. Des-
wegen ist der Appell an die südafrikanischen Staaten rich-
tig. Aber wir sollten das nicht vom hohen Ross und aus ei-
ner weißen Sicht tun, sondern aus einer Position der
Gleichberechtigung heraus. Staatssekretärin Eid hat da-
rauf hingewiesen, dass der Menschenrechtsschutz bei der
Gründung der Afrikanischen Union im Sommer 2002 in
den Prinzipienkatalog aufgenommen worden ist. Daraus
erwächst den afrikanischen Staaten eine Verantwortung.
Selbstverständlich muss man an diese Verantwortung ap-
pellieren. Dabei hat Südafrika eine ganz wichtige Rolle,
aber nicht allein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es hat überhaupt keinen Sinn, sich hier vom hohen
Ross gegen NEPAD, gegen Südafrika zu wenden, sondern
man muss sich auf gleicher Augenhöhe und gleichberech-
tigt treffen. Die EU und die afrikanischen Staaten müssen
gemeinsam dazu beitragen, die Situation in Simbabwe zu
verändern.


(Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Wir müssen gemeinsam dazu beitragen, den Menschen in
Simbabwe zu helfen, und zwar ohne Überheblichkeit,
sondern mit aller Kraft und aller Leidenschaft. Wir müs-
sen unsere Regierung auf dem schwierigen, aber richtigen
Weg unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502520200

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jüttner.


Dr. Egon Jüttner (CDU):
Rede ID: ID1502520300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-

ren! Um politisch zu überleben – ich will das noch einmal
unterstreichen und daran erinnern –, schürte Präsident
Mugabe bereits vor den Präsidentschaftswahlen vor ei-
nem Jahr den Hass gegen die weißen Großfarmer. Mit-
hilfe so genannter Kriegsveteranen organisierte er deren
Vertreibung, verbunden mit Mord und Folter, mit der
Folge, dass die Landwirtschaft, einst das Rückgrat des
Landes – das wurde bereits betont –, inzwischen völlig zu-
sammengebrochen und die Hälfte der Bevölkerung vom
Hungertod bedroht ist.

Die dringend erforderlich gewordene Nahrungsmittel-
hilfe der Vereinten Nationen wird von Mugabe als politi-
sche Waffe missbraucht. In den städtischen Regionen
werden Lebensmittel nach Parteizugehörigkeit verteilt. In
ländlichen Gebieten, in denen überwiegend die Opposi-
tion gewählt wurde, wird die Nahrungsmittelhilfe selten
oder gar nicht verteilt. Es ist deshalb unbegreiflich, dass
die für das Welternährungsprogramm Verantwortlichen
daraus trotz ursprünglicher und mehrfacher Ankündigun-
gen bis jetzt keinerlei Konsequenzen gezogen haben.


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


– Das stimmt.
Die Menschenrechtslage hat sich in Simbabwe dras-

tisch verschlechtert. Von Rechtsstaatlichkeit kann inzwi-
schen keine Rede mehr sein. Horden so genannter Kriegs-
veteranen machen auf Geheiß Mugabes nicht nur Jagd auf
die noch verbliebenen Weißen, sondern bedrohen, foltern
und ermorden auch – und das vor allem – Schwarze, die
sie für politische Gegner Mugabes halten. Es wurde mehr-
fach darauf hingewiesen: Bis zu 1 Million Menschen,
meist schwarze Farmarbeiter und ihre Familien, sind des-
halb auf der Flucht vor diesen Kriegsveteranen. Schläger-
trupps und Milizen sorgen zudem für eine brutale
Unterdrückung der Opposition. Dies reicht von Ein-
schüchterungen und Misshandlungen bis hin zu politisch
motivierten Morden. Oppositionsführer Tsvangirai ist


(A)



(B)



(C)



(D)


2004


(A)



(B)



(C)



(D)






mittels einer dubiosen Beweislage – das hat Herr Riester
bereits dargestellt – des Hochverrats angeklagt. Ihm droht
die Todesstrafe.

Menschenrechtsorganisationen, die Menschenrechts-
verletzungen im Lande dokumentieren und Folteropfern
medizinische und psychologische Hilfe anbieten, werden
mit Polizeiaktionen überzogen. Ihren führenden Mitglie-
dern wird mit Verhaftung und Folter gedroht. BBC be-
richtete vor wenigen Tagen sogar von geheimen Folter-
kammern in der Hauptstadt Harare.

Das Schlimme ist: Menschenrechtsverstöße werden
nicht geahndet und entsprechend ungestraft fortgesetzt,
weil Gerichtsurteile ignoriert und Gesetze selektiv ange-
wandt werden. Oppositionellen wird der Schutz des Staa-
tes verweigert. Medien- und Pressefreiheit ist längst nicht
mehr gewährleistet. Unabhängige Medien im Lande wer-
den schikaniert und Journalisten bei ihrer Arbeit behin-
dert, eingeschüchtert und teilweise festgenommen.

Diese fortdauernden, massiven Menschenrechtsverlet-
zungen kann die zivilisierte Welt nicht länger hinnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch wenn die bestehenden Sanktionen, wie zum Beispiel
Reisebeschränkungen und Kontosperren in Bezug auf die
Mitglieder der Staats- und Parteiführung, in ihrer Wirkung
begrenzt sind, so müssen sie dennoch auf weitere Ge-
folgsleute Mugabes, so meine ich, ausgedehnt werden. Vor
allem müssen die von der EU verhängten Sanktionen
schnellstens verlängert werden. Es ist unerträglich, dass
der dringend erforderliche Beschluss über die Fortsetzung
der Sanktionen noch immer aussteht. Hier ist der deutsche
Außenminister gefordert, alles daranzusetzen, dass die Eu-
ropäische Union mit einer Zunge spricht.

Insbesondere Frankreich, das Mugabe nach Paris ein-
geladen hat, muss deutlich gemacht werden, dass Europa
geschlossen handeln muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei der Schwere der Menschenrechtsverletzungen, ja bei
einem sich möglicherweise anbahnenden Genozid müs-
sen nationale Interessen einzelner Länder zurückgestellt
werden.

Außerdem muss die Bundesregierung ihr ganzes poli-
tisches Gewicht dafür einsetzen, dass sich die Europä-
ische Union auf der nächsten Menschenrechtskonferenz
in Genf auf eine gemeinsame Position zu Simbabwe ver-
ständigt.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Es muss sichergestellt werden, dass auf der 59. Sitzung
der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen
der im vergangenen Jahr von afrikanischen Staaten zu Fall
gebrachte Resolutionsentwurf zur Menschenrechtssitua-
tion in Simbabwe erneut unverändert eingebracht und
auch beschlossen wird. Die Menschenrechtsverletzungen
in Simbabwe müssen durch die Vereinten Nationen ver-
urteilt und ein Sonderberichterstatter der Vereinten Natio-
nen muss eingesetzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wichtig ist außerdem, dass die Opposition im Lande
von außen unterstützt und damit auch der innere Wider-
stand gegen das Regime gestärkt wird. Außerdem muss
alles unternommen werden, damit sich auch Südafrika
– das wurde hier wiederholt dargelegt – endlich seiner
Verantwortung gegenüber dem Nachbarland Simbabwe
bewusst wird.

Meine Damen und Herren, nur durch massiven inter-
nationalen Druck auf Mugawe besteht die Chance, dass
seine menschenverachtende Politik beendet und somit
eine noch größere Katastrophe verhindert wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502520400

Zu einer Erklärung zur Aussprache erhält nun die

Staatssekretärin noch einmal das Wort.

Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502520500


Frau Präsidentin! Ich möchte eines klarstellen: Afrika
ist ein großer Kontinent mit über 50 Ländern. Wir, die
Bundesregierung und Europa, können es uns nicht leisten,
den Dialog mit einem ganzen Kontinent wegen eines ein-
zigen Landes zu gefährden. Das wäre strategisch falsch.
Es wäre falsch in unserem Interesse. Und es wäre falsch
aus historischen Gründen. Deswegen, glaube ich, ist es
auch falsch, Herr Hedrich, zu sagen: Simbabwe ist der
Testfall für NEPAD.

Wir müssen im Rahmen der neuen afrikanischen Ent-
wicklungsstrategie den Dialog zwischen Europa und
Afrika weiterführen; denn sonst machen wir uns un-
glaubwürdig, wenn die Frage gestellt wird: Warum nicht
der Sudan, warum nicht die Elfenbeinküste, warum nicht
Angola, warum ausgerechnet Simbabwe? Wir müssen an-
erkennen, dass NEPAD bereits sehr positive Erfolge hatte.
Dass Südafrika einen Frieden zwischen der demokrati-
schen Republik und Ruanda vermittelt hat, ist ein Erfolg.
Aufgrund dieser Erfolge können wir den Dialog mit
NEPAD jetzt nicht nur wegen eines Landes wie Sim-
babwe abbrechen, wie Sie es insinuiert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502520600

Das war jetzt eine gewisse Schwierigkeit, denn ich darf

eigentlich nicht die Debatte verlängern. Ich glaube, es ist
fair, wenn ich Herrn Hedrich darauf antworten lasse.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das sehen wir auch so!)


Ich habe gedacht, dass sich „Erklärung zur Ausspra-
che“ auf etwas Frau Eid Betreffendes bezieht. Jetzt hat sie
sich aber auf die ganze Aussprache bezogen. Daher gebe
ich Ihnen die Möglichkeit zur Antwort; ich glaube, das ist
fair.

Dr. Egon Jüttner






Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1502520700

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Ich bin auch sofort

fertig. – Frau Staatssekretärin, damit kein Missverständ-
nis aufkommt: Sie wissen, dass ich aufgrund der Erfah-
rungen mit anderen Initiativen, die wir aus Afrika kennen,
eine grundsätzliche Skepsis gegenüber NEPAD habe.


(Zuruf von der SPD: Das ist aber etwas anderes!)


Wenn die Afrikaner NEPAD als eigene Initiative definieren,
dann müssen sie sich gefallen lassen – wie auch wir –, an
ihren eigenen Forderungen und Prinzipien gemessen zu
werden. Wir können nur feststellen: In dem Fall Simbabwe
versagt NEPAD. Das ist mein Punkt, nicht mehr und nicht
weniger.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502520800

Ich glaube, damit haben wir beiderseits die Stand-

punkte geklärt. Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 15/353, 15/428 und 15/429 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 9 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuord-
nung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfah-
rens (Spruchverfahrensneuordnungsgesetz)

– Drucksache 15/371 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

Es wird gebeten, die Reden der Abgeordneten
Brinkmann, Gehb, Ströbele, Funke und Hartenbach zu
Protokoll geben zu dürfen. Damit sind Sie, denke ich, ein-
verstanden? – Dann verfahren wir auch so.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/371 an den Rechtsausschuss
vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. Februar, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche allen Kolle-
ginnen und Kollegen einen schönen Restabend.