Gesamtes Protokol
Meine Damen und
Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich
Ihnen noch folgendes mitzuteilen. In der gestrigen Sit-
zung wurde der Antrag der Fraktion der PDS zum
Vermögenszuordnungsgesetz auf Drucksache 14/17
zur federführenden Beratung an den Ausschuß für An-
gelegenheiten der neuen Länder und zur Mitberatung an
den Ausschuß für Wirtschaft und Technologie, an den
Rechtsausschuß und an den Haushaltsausschuß überwie-
sen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Federführung jedoch beim Rechtsausschuß liegen. Sind
Sie mit dieser Änderung einverstanden? – Das ist offen-
bar der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fortsetzung der Aussprache zur Regierungserklä-
rung des Bundeskanzlers
Die Themenbereiche sind jetzt Finanzen und Steuern.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 10 a bis
10 c sowie den Zusatzpunkt 3 auf:
10. a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Steuerentlastungsge-
setzes 1999/2000/2002
– Drucksache 14/23 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Aussschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Bildung und Forschung
Ausschuß für Tourismus
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Kindergeldauszahlung und zur Er-
stellung der Lohnsteuertabellen 1999
– Drucksache 14/28 –
c) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Wiedererhebung der Vermögensteuer
– Drucksache 14/11 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bar-
bara Höll, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Besteuerung von Luxusgegenständen
– Drucksache 14/27 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Es wird mir gerade mitgeteilt, daß das Plenum nach
dieser Debatte für zirka 30 Minuten wegen einer Frakti-
onssitzung der SPD unterbrochen werden soll. Ich bitte
um Ihr Einverständnis.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bun-
desminister der Finanzen, Oskar Lafontaine.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärungdas wichtigste Ziel der Bundesregierung deutlich ge-macht: Das ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.Ich glaube, daß alle in diesem Hause zustimmen werden,wenn ich sage, daß wir, solange die Arbeitslosenzahl imJahresdurchschnitt etwa 4 Millionen beträgt, nicht von
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einer zufriedenstellenden Situation, nicht von einemwohlbestellten Haus sprechen können.
Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß wir uns auchmit den Oppositionsparteien in dem Ziel einig sind, dieArbeitslosigkeit zurückzuführen. Diese Feststellung istmir wichtig.Die Diskussion geht also lediglich um die Frage:Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um dieArbeitslosigkeit zurückzuführen? Eine der Maßnahmen,die wir ergreifen wollen, ist eine Veränderung desSteuerrechts. Ich möchte aber zu Beginn darauf hin-weisen, daß ich nicht der Auffassung bin, daß man alleinoder auch nur in erster Linie mit dem Steuerrecht dieAufgabe bewältigen kann, die Arbeitslosigkeit zurück-zuführen. Das kann man auch nicht ausschließlich mitMaßnahmen zur Senkung der Lohnnebenkosten. Viel-mehr braucht man, wenn man die Arbeitslosigkeit zu-rückführen will, ein ganzes Bündel von Maßnahmen, dieaufeinander abgestimmt sein müssen. Eine dieser Maß-nahmen ist die Reform des Steuerrechts.
Ich sage das deshalb, weil – sicherlich aus Überzeu-gung – von Vertretern der jetzigen Oppositionsparteienim Bundestagswahlkampf immer wieder geäußert wur-de, das Steuerrecht sei der Schlüssel zur Bekämpfungder Arbeitslosigkeit. Ich werde nachher noch im einzel-nen darauf eingehen.Wir sind der Auffassung, daß das Steuerrecht einewichtige Rolle spielt. Aber wir würden das Steuerrechtinsbesondere angesichts der Tatsache, daß wir inDeutschland die niedrigste Steuerquote in Europa haben,überfordern, wenn wir glaubten, das Steuerrecht bietedie Möglichkeit, ganz entscheidende Impulse zu geben,mit denen die Arbeitslosigkeit zurückgeführt werdenkann.Die unterschiedlichen Steuerkonzepte standen bei derBundestagswahl zur Diskussion. Die ehemaligen Regie-rungsparteien haben ebenso für ihre Konzepte geworben,wie SPD und Grüne für die ihren geworben haben; dieKonzepte unterscheiden sich deutlich voneinander. Inso-fern kann man wirklich davon sprechen – da die Steuer-politik ein Hauptthema der Bundestagswahl war –, daßdie Mehrheit der Wählerinnen und Wähler die Steuerkon-zeption befürwortet und gutgeheißen hat, die wir Ihnenjetzt in Form eines Gesetzentwurfes vorstellen.
Unsere Steuerpolitik hat einen Ansatz, von dem wirglauben, daß er in den letzten Jahren viel zuwenig be-achtet worden ist, nämlich den Ansatz, daß das Steuer-recht auch Steuergerechtigkeit herstellen muß, um vonder großen Mehrheit der Bevölkerung angenommen zuwerden.
Verstößt man gegen den Grundsatz der Steuergerechtig-keit im Steuerrecht, dann ist das nicht in erster Linieeine ökonomische Frage, sondern betrifft in erster Liniedie Gesamtgesellschaft. Es geht hier um den Zusam-menhalt einer Gesellschaft. Der Zusammenhalt einerGesellschaft wird gestärkt und gefestigt, wenn die Steu-erzahlerinnen und Steuerzahler den Eindruck haben: Esgeht in unserem Staate gerecht zu.
Deshalb haben die Meinungsforschungsinstitute ins-gesamt von der Gerechtigkeitslücke gesprochen, unddiese hat die Diskussion im Vorfeld der Bundestags-wahlen bestimmt. Sie haben festgestellt, daß es Auftragder Wählerinnen und Wähler war, diese Gerechtigkeits-lücke zu schließen. Die Regierung Schröder nimmt dieseAufgabe an und setzt sie jetzt in die Tat um.
Unsere Steuerrechtsvorschläge zielen darauf ab, diegroße Mehrheit der Bevölkerung zu entlasten. Es ist kei-ne Aussage, die nur aus dem Dialog der Parteien ent-standen ist, wenn wir feststellen, daß die Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahren überpro-portional belastet worden sind, während andere Gruppenunserer Bevölkerung überproportional entlastet wordensind. Das gilt nach der Statistik insbesondere für dieBelastung der Arbeitnehmerschaft im Verhältnis zuBeamten, zu Selbständigen, zu Unternehmern und ande-ren Gruppen der Bevölkerung. Deshalb war es notwen-dig, gezielt die Arbeitnehmerschaft und die Familien zuentlasten.
Diesem politischen Anliegen trägt dieser GesetzentwurfRechnung.Dieser Gesetzentwurf unterscheidet sich an einerwichtigen Stelle von den üblichen Verhaltensweisen vonRegierungen – nicht nur in Deutschland, sondern invielen Staaten der Welt. Häufig sind vor den WahlenSteuersenkungen versprochen worden, während nachden Wahlen die Steuern erhöht wurden.
Eine solche Vorgehensweise bevorzugte auch die alteKoalition. Nicht zuletzt deshalb haben Sie in der Bevöl-kerung soviel Vertrauen verloren.
Wir setzen mit diesem Steuerreformentwurf genau dasum, was wir den Wählerinnen und Wählern vor derWahl versprochen haben. Das ist, so glaube ich, tatsäch-lich ein Neuanfang der Politik in Deutschland.
Bundesminister Oskar Lafontaine
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Diese Steuerreform ist arbeitnehmerfreundlich, sie istaber auch familienfreundlich. Ich habe kein Verständ-nis dafür gehabt, daß im Vorfeld der Auseinander-setzungen immer wieder, auch von Industrieverbänden,behauptet wurde – von der Sache her im übrigen fälsch-licherweise –, die Erhöhung des Kindergeldes schaffekeinen einzigen Arbeitsplatz. Der ökonomische Zu-sammenhang ist die eine Sache – klar ist, daß die Fami-lien, die auf jede Mark angewiesen sind, diese auch aus-geben, und somit wird sie in Nachfrage umgesetzt –,
aber uns geht es um etwas anderes: Es genügt nicht,immer nur die Bedeutung der Familie zu beschwören;wir müssen auch die materiellen Grundlagen dafürschaffen, daß die Familien in unserem Staate gefördertwerden.
Deshalb haben wir kein Verständnis dafür, daß die Op-positionsparteien so hartnäckig Widerstand gegen dieVerbesserung der Stellung der Familien im Steuerrecht
und die Erhöhung des Kindergeldes geleistet haben.
Ich bin der Auffassung: Es wäre auch in Ihrem Interesse,diese Haltung zu korrigieren. Es ist nicht übertrieben,wenn die Familienverbände und die Kirchen feststellen,daß die Familien auch im Steuerrecht in den letzten Jah-ren zu schlecht gestellt worden sind. Deshalb wollen wirdas korrigieren.
Im Zusammenhang mit einer Steuerreform, die ar-beitnehmerfreundlich und familienfreundlich ist, wirdvon Ihrer Seite, meine Damen und Herren, immer derVorwurf der Umverteilung erhoben. Dies ist ein ganzund gar spaßiger Vorwurf, und zwar deshalb, weil dasSteuerrecht stets – in welcher Form auch immer – eineUmverteilung darstellt. Die Frage ist nur, wem gegebenund wem genommen wird, wer der Nutznießer und werder Benachteiligte der Umverteilung ist.
Wenn also die einen Umverteiler die anderen Um-verteiler Umverteiler nennen, dann mag das zwar ganzspaßig sein; aber hier wird auch der Unterschied deut-lich: Man kann von unten nach oben umverteilen in demGlauben, daß damit die Wachstumskräfte und die Inve-stitionskräfte gestärkt würden; man kann aber auch fürmehr Steuergerechtigkeit sorgen und Ungerechtigkeitenabbauen im Hinblick darauf, daß wir in der Wirtschafts-politik zwei Augen haben müssen, Angebot und Nach-frage, und unter Beachtung der Tatsache, daß eine stän-dige Schwächung der Nachfrage zum Verlust von Ar-beitsplätzen führt.
Ihr Vorwurf der Umverteilung trifft uns mitten insHerz. Sie haben recht: Ihre Umverteilung haben wirrückgängig gemacht. Die Umverteilung von unten nachoben ist gestoppt. Jetzt wird der großen Mehrheit desVolkes gegeben. Das ist unser Wählerauftrag; und genauden setzen wir um.
Bei der sogenannten Gegenfinanzierung, meineDamen und Herren, sind natürlich auch die Vertei-lungswirkungen und die ökonomischen Auswirkungenzu beachten. Wir haben Ihrem Steuerkonzept widerspro-chen, weil es einen systematischen Fehler hatte; daßEntlastungswirkungen zwar immer wieder angepriesenworden sind, aber zuwenig darauf geachtet wurde, wasdie Entlastung für den einzelnen bedeutet.Es hat keinen Sinn, von Steuerentlastungen zu reden,wenn dabei – wie das in der Debatte immer wieder ge-schehen ist – die Begriffe völlig durcheinandergemengtwerden. Steuerentlastung für die Gesamtheit, also Net-toentlastung, sagt zunächst noch gar nichts darüber aus,wer der Nutznießer und wer der Benachteiligte einersolchen Entlastung ist. Wir haben das durchgerechnet.Im Gegensatz zu Ihrem Steuerkonzept werden bei unsdie Leistungsträger der aktiven Arbeitnehmerschaftnicht belastet, sondern entlastet. Das ist der Unterschiedzwischen Ihrem und unserem Konzept.
Sie haben – das ist ja nicht zu bestreiten – mit steuer-systematischen Gründen dafür geworben, die Schichtar-beiter zu besteuern. Sie haben – das ist ja nicht zu be-streiten – mit steuersystematischen Gründen dafür ge-worben, die Kilometerpauschale drastisch zu reduzieren.Sie haben – das ist ja nicht zu bestreiten – auch dafürgeworben – von der Steuerwissenschaft, wie ich meine,falsch beraten –, den Arbeitnehmerpauschbetrag deut-lich zu reduzieren. Aber Sie haben versäumt, durchzu-rechnen, was dies im einzelnen heißt. Dies korrigiert dieBundesregierung. Die Facharbeiter, die Krankenschwe-stern, die Fernfahrer, die Busfahrer, sie dürfen nicht dieVerlierer einer Steuerreform sein; sie sind bei uns dieGewinner der Steuerreform.
Natürlich, meine Damen und Herren, würden wirgern auch bei der Nettoentlastung noch größere Schrittemachen. Obwohl sich die Vorurteile hartnäckig halten,obwohl viele meinen, Deutschland sei ein Hochsteuer-land, sind die Tatsachen ganz, ganz andere. Tatsache ist,daß wir die niedrigste Steuerquote in der EuropäischenBundesminister Oskar Lafontaine
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Gemeinschaft haben. Wer in einer solchen Situationsagt, wir müßten die Steuerquote noch weiter zurückfüh-ren, der ist damit auch für schlechtere Schulen, schlech-tere Forschung, schlechtere Straßen, schlechtere Ausbil-dung, schlechtere Krankenhäuser, schlechtere Kinder-gärten usw. Man darf den Leuten doch nicht Dinge er-zählen, die nicht zusammenpassen!
Wer für ein weiteres Absenken der Steuerquote plä-diert, plädiert auch für ein deutliches Zurückfahren deröffentlichen Infrastrukturleistungen. Das muß einmalgesagt werden, um die Debatte wieder auf eine rationaleGrundlage zu stellen.
Wenn ich höre, meine Damen und Herren, wie vor-bildlich die Holländer sind, wie vorbildlich die Dänensind, dann bin ich manchmal versucht, in Deutschlanddie Steuer- und Abgabenquote Hollands oder Däne-marks einzuführen. Dann möchte ich das Geschrei der-jenigen hören, die Holland und Dänemark immer alsgroße Vorbilder in der Europäischen Gemeinschaft dar-stellen.
Natürlich entlasten wir nicht nur Arbeitnehmer undFamilien. Vielmehr greifen wir Vorschläge der Wirt-schaftsverbände auf, die darauf abzielten, die nominalenSteuersätze der Wirtschaft zu senken, sie aber gegenzu-finanzieren durch eine Verbreiterung der Bemessungs-grundlage. Darüber diskutieren wir jetzt viele Jahre.Interessanterweise haben eine Reihe von Vorschlägenzur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, die insbe-sondere in Nordrhein-Westfalen entwickelt worden sind,auch in das Steuerkonzept der ehemaligen RegierungEingang gefunden. Daran ist nichts Verwerfliches.Wenn wir da einer Auffassung sind, ist das in Ordnung.Nur besteht hier ein Konflikt, den man mit den Wirt-schaftsverbänden austragen muß. Die Wirtschaftsver-bände wollen nämlich in einem falschen Verständnisvon Lobbyismus die Öffentlichkeit glauben machen,man könnte amerikanische Steuersätze und deutscheAbschreibungsmöglichkeiten haben. Das geht nicht. Dasist unehrlich. Deshalb bitten wir hier um etwas mehrWahrhaftigkeit.
Meine Damen und Herren, es ist immer wieder kriti-siert worden, daß wir die Steuersätze erst schrittweisesenken. Aber das ergibt sich aus der Systematik: Wennwir Steuersubventionen abbauen, dann bauen sich dieMehreinnahmen des Staates erst langsam auf. Wenn wir,wie wir überall lesen, bei der niedrigsten Steuerquote inEuropa – ich wiederhole das – Haushaltsprobleme ha-ben, wäre es fahrlässig und nicht verantwortbar, Steuer-senkungen weiterhin auf Pump zu finanzieren. Deshalbmußten wir diesen Weg gehen und die Steuersätzeschrittweise in dem Maße senken, in dem der StaatMehreinnahmen hat.
Im übrigen haben wir 70 Subventionstatbestände inden Gesetzentwurf geschrieben. Selbstverständlich kannan diesen Listen einiges geändert werden. Die Bundes-regierung hätte ein ganz falsches Verständnis von par-lamentarischer Beratung, wenn wir der Auffassung wä-ren: Wir bringen ein solch umfangreiches Gesetz in dieAusschüsse ein, und es kommt genauso aus den Aus-schüssen, wie es in die Ausschüsse hineingegangen ist.Es gibt eine ganze Reihe von sachbezogenen Argumen-ten, bei denen wir nicht sicher sind, ob sie nicht eineÜberprüfung bestimmter Streichtatbestände erfordern.Aber eines möchte ich für die Bundesregierung sa-gen: Das Gesamtkonzept muß insoweit durchgehaltenwerden, als nicht in unvertretbarem Ausmaße Einnah-meausfälle beschlossen werden. Denn es ist klar: Steuer-senkungen will jeder, aber bei der Gegenfinanzierungsind dann viele zurückhaltend und zögerlich.
Insoweit glauben wir, eine in sich ausgewogene Vor-lage gemacht zu haben, die wir immer auch – das sageich auch bei allen anderen Maßnahmen, die ich anspre-che – im Hinblick auf die Europäische Gemeinschaftsehen müssen. Das ist vielleicht noch zuwenig bedachtworden. Aber wir müssen uns angewöhnen, fast alleVorlagen, die wir zu Steuer-, Sozial- und ähnlichen Ge-setzen machen, immer auch auf die Vereinbarkeit mitden Zielsetzungen der Europäischen Gemeinschaft hindurchzuchecken. Denn die Europapolitik wird mehr undmehr zur Innenpolitik, und das verlangt eine schrittweiseHarmonisierung der jeweiligen Vorschriften in den ein-zelnen Ländern.
Hier genau ergibt sich auch die Verbindung zu denLohnnebenkosten. Auch bei den Lohnnebenkosten ha-ben wir ein anderes Konzept als Sie. Im ersten Punkt desKonzeptes stimmen wir sicherlich überein. Dieser lautet:Die Lohnnebenkosten sind zu hoch; sie müssen auchdurch strukturelle Reformen gesenkt werden. Ich möchtehier ganz klar sagen – der Bundeskanzler hat es in seinerRegierungserklärung angesprochen –: Wer bei der Höheder Lohnnebenkosten glaubt, man komme ohne struktu-relle Reformen aus, der macht einen Fehler.
Worüber wir wieder streiten müssen, ist, wie das imeinzelnen aussehen soll. Das hatte ich hier an Hand derRentenformel erläutert. Ich will es wiederholen, damitman mir nicht den Vorwurf macht: Der redet nur so all-gemein daher. Wir haben bei der Rentenformel kritisiert,daß die Kürzungen über den gesamten Rententarif vor-genommen worden sind. Dann wurden wir mitten imWahlkampf mit der jetzt vielleicht schon wieder ver-gessenen Tatsache konfrontiert, daß die Unionsparteieninsbesondere vor der bayerischen Landtagswahl dieBundesminister Oskar Lafontaine
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Rentenkürzung für die Rentnerinnen und Rentnermit mindestens 45 Versicherungsjahren zurücknehmenwollten.Das macht nun im Rahmen von Reformvorstellungengar keinen Sinn, nämlich daß die höheren Renten vonKürzungen ausgenommen werden und die kleinstenRenten gekürzt werden. Solche Wege können wir nichtgehen. Deshalb mußten wir hier Ihre sogenannte Reformzurücknehmen,
zumal Sie selbst – das möchte ich bei der öffentlichenDiskussion der Redlichkeit halber sagen – Ihre soge-nannte Reform zurücknehmen wollten, allerdings an derfalschen Stelle.Bei der Senkung der Lohnnebenkosten wollen wireinem weiteren Prinzip unserer Regierungsarbeit Rech-nung tragen; das ist das Prinzip der Gerechtigkeit. Die-ses gilt auch für das Steuerrecht. Was meine ich da-mit? Auf Grund der Struktur der Zusammensetzung derSozialversicherungsbeiträge nimmt derjenige, der dieSozialkassen über Gebühr in Anspruch nimmt, auchUmverteilungseffekte in Kauf. Er belastet nämlich überGebühr den Teil der Arbeitnehmerschaft, der dieHauptlast der Sozialversicherungsbeiträge trägt. Insofernwar es ein Fehler von Ihnen, zur Finanzierung derdeutschen Einheit nicht in erster Linie die Steuer, son-dern die Sozialabgaben heranzuziehen. Das war einefalsche Umverteilung, die wir schrittweise korrigierenmüssen.
Das Gerechtigkeitsempfinden unseres Volkes besagt,daß die Finanzierung des Aufbaus Ost nicht in ersterLinie eine Aufgabe desjenigen Teils der Bevölkerungist, der Sozialversicherungsbeiträge zahlt, natürlich er-gänzt um die Beiträge der Unternehmerschaft; vielmehrist dies eine Aufgabe der Allgemeinheit, also aller Steu-erzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland, nachdem Prinzip der Leistungsfähigkeit. Deshalb war dieseine Fehlentscheidung, die Sie getroffen haben, derenUrsache und Entstehen wir verfolgen konnten. Ichwollte das hier noch einmal anmerken.Neben der Gerechtigkeit haben wir bei der Senkungder Lohnnebenkosten noch ein anderes Ziel im Auge,das darin besteht, Arbeit und Umwelt miteinander zuversöhnen. Es ist in der ganzen Europäischen Gemein-schaft nicht mehr streitig, daß es richtig ist, die Besteue-rung der Arbeitsplätze zurückzuführen und die Besteue-rung des Umweltverbrauchs schrittweise und maßvoll zuerhöhen. Deshalb sehen wir diese beiden Reformvor-stellungen im Zusammenhang. Sie dienen der Gerech-tigkeit. Sie entlasten die Arbeit, und sie dienen auch län-gerfristig bei der Neuordnung des Abgabenrechts demUmweltschutz. Insofern handelt es sich um eine wirkli-che Reform, die wir auf den Weg bringen mußten, vonder wir wußten, daß viele von Ihnen hier ähnliche Vor-haben umsetzen wollten, aber Sie konnten sich nichtdarauf verständigen. Deshalb mußte eine neue Regie-rung gewählt werden, um jetzt diese Reform in Angriffzu nehmen.
Auch bei den Lohnnebenkosten und der Energiever-brauchsbesteuerung möchten wir auf die Notwendigkeitder europäischen Harmonisierung hinweisen. Es istschlicht und einfach eine Tatsache, daß wir auch beidem Vergleich unserer Steuern und Abgaben mit ande-ren immer wieder die europäischen Nachbarn im Augehaben müssen und daß wir bei der Harmonisierung ei-nen Bedarf haben. Hier ergibt sich insgesamt eine großeAufgabe für die Europäische Gemeinschaft, die heuteangesprochen werden muß. Der Steuerwettbewerb, wirsagen: Steuersenkungswettlauf zwischen den einzelneneuropäischen Mitgliedstaaten, ergänzt um die soge-nannten Steueroasen, hat zu einem nicht haltbaren Zu-stand der Ungerechtigkeit innerhalb der EuropäischenGemeinschaft geführt. Man kann es nicht oft genug sa-gen: Während sich diejenigen, die Geld, hohe Einkom-men und Gewinne haben, durch Wohnsitzverlagerung,Kontoverlagerung, Firmensitzverlagerung oder Gewinn-verlagerung der nationalen Besteuerung entziehenkonnten und noch immer können, mußten die Arbeit-nehmer in ganz Europa immer höhere Lohnsteuern,Verbrauchsteuern und Sozialabgaben zahlen. Das müs-sen wir ändern, um Gerechtigkeit auch auf europäischerEbene herzustellen.
Im übrigen sind uns bei der Verwirklichung diesesPrinzips andere Staaten vorangegangen, Staaten, die– ich nenne Holland und Dänemark als Beispiele; icherwähne auch den extrem hohen Benzinpreis in Groß-britannien – uns immer wieder als Vorbilder hingestelltwurden. Diese Staaten sind bei der Veränderung derSteuer- und Abgabenstruktur in bezug auf Lohnneben-kosten und die Belastung durch Energieverbrauchsteu-ern vorangeschritten. Insofern sehen wir eine Maßnahmevor, die sich sehr wohl in den Kontext der europäischenZusammenarbeit einbetten läßt.Neben der Steuerpolitik und der Politik bei den Sozi-alversicherungsausgaben ist natürlich auch die Haus-haltspolitik stets heranzuziehen, wenn wir über die Be-kämpfung der Arbeitslosigkeit reden. Nur, meine Da-men und Herren, es ist mittlerweile unstreitig in ganzEuropa, daß auf Grund des hohen Schuldenaufbaus derletzten Jahre – das gilt nicht nur für Europa, das giltauch für die großen Industrienationen außerhalb Europas– die Möglichkeiten der Haushaltspolitik, die Arbeitslo-sigkeit zu bekämpfen, immer mehr reduziert wordensind.Auch hierzu noch einmal etwas zur Debatte der letz-ten Tage. Es mag ja sein, daß der eine oder andere diegegenwärtige Haushaltssituation als außerordentlich be-friedigend ansieht. Darüber will ich mich gar nichtstreiten. Nur, eine Kennziffer jeden Haushalts ist dieZins-Steuer-Quote. Bei einer Zins-Steuer-Quote von 26Prozent sind wir der Auffassung, daß der Haushalt imBundesminister Oskar Lafontaine
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Ungleichgewicht ist und daß die Spielräume der Haus-haltspolitik so gering sind, wie sie in der BundesrepublikDeutschland noch nie waren. Das ist doch eine Tatsache.
Ich wurde in früheren Jahren – wenn Sie mir dieseReminiszenz gestatten – immer mit dem Einwurf„Saarland“ konfrontiert. Das Erbe, das ich dort angetre-ten hatte, war noch relativ gemäßigt, weil die Zins-Steuer-Quote nur bei 19 Prozent lag. Es ist leider nichtgelungen, sie deutlich zu senken – sie liegt jetzt bei 21Prozent.
Aber Ihr Marsch bei der Zins-Steuer-Quote von 12Prozent auf 26 Prozent ist beachtlich und sollte keineSelbstzufriedenheit in Ihren Reihen hervorrufen.
Die Haushaltspolitik hat also keine großen Spielräume.Aber eines wollen wir im Bundeshaushalt wirklichwieder einführen, nämlich daß wir uns darum bemühen,auch dem Prinzip der Haushaltswahrheit und derHaushaltsklarheit wieder zum Durchbruch zu verhel-fen; denn dieser Wust von Schatten- und Nebenhaus-halten führt doch dazu, daß die wahre Verschuldung inDeutschland überhaupt nicht mehr bekannt ist.
Immer wieder geistern unterschiedlichste Zahlen überdie Verschuldung, die Zins-Steuer-Quote und andereMeßziffern des Haushaltes durch die Gegend, weil imHaushaltsbuch nicht mehr das steht, was eigentlich indas Haushaltsbuch hineingehört, nämlich die gesamteLast der Schulden, die gesamte Last der Ausgaben undnatürlich auch das gesamte Bündel der Einnahmen.Wenn wir darüber streiten, ob denn die Strukturendes Haushaltes so, wie Sie ihn übergeben, in Ordnungseien, dann ist ein ganz einfacher Sachverhalt Beweisdafür, daß sie eben nicht in Ordnung sind: Sie habensowohl im Haushalt 1998 als auch im Haushalt 1999Veräußerungen von Bundesvermögen in einer Grö-ßenordnung von über 20 Milliarden DM angesetzt. Dasist genau das strukturelle Defizit, das wir festgestellt ha-ben; denn das Tafelsilber steht nicht grenzenlos zur Ver-fügung. Was soll also die Diskussion? Bleiben wir dochbei den Tatsachen. Diese Defizite sind schlicht und ein-fach vorhanden.
Mittlerweile wird dies nicht nur in Deutschland sogesehen, sondern in ganz Europa. Diese Erkenntnisführte zu der Frage, die auch in der letzten Zeit die Ge-müter beschäftigt hat: Welche Politik kann zur schritt-weisen Zurückführung der Arbeitslosigkeit gemachtwerden, wenn die Möglichkeiten der Steuerpolitik, dieMöglichkeiten der Neuordnung der Sozialversiche-rungsstrukturen und die Möglichkeiten der Haushalts-politik zwar gegeben, aber begrenzt sind? Es wäre fahr-lässig, zu sagen, allein wegen des Vorhandenseins derMöglichkeiten könnte ein deutlicher und dramatischerAbbau der Arbeitslosigkeit eingeleitet werden.Wenn man sich solche Fragen stellt, dann blickt maneben auch über den Zaun zu anderen Ländern. Ich hattevorhin gesagt: Wer das Heil in der Steuerpolitik sucht,der muß schlicht und einfach von der Sache her beant-worten, warum in früheren Jahrzehnten bei höherenGrenzsteuersätzen, etwa bei der privaten Einkommen-steuer, und bei einer höheren Besteuerung der Unter-nehmen gleichwohl ein größeres Wachstum und einstärkerer Abbau der Arbeitslosigkeit oder gar ein Auf-wuchs der Beschäftigung vorzufinden waren. DieserSachfrage muß er sich zunächst einmal stellen.Bei den Lohnnebenkosten ist es ohne Zweifel so, daßsie auf Grund der Entscheidungen im Zusammenhangmit der Vereinigung ein Rekordniveau erreicht haben.Dies ist eine strukturelle Fehlentwicklung, insbesondereim Hinblick auf die personalintensiven Betriebe im Ein-zelhandel, im Mittelstand und im Handwerk.Bei der Haushaltspolitik sind die Spielräume nichtmehr vorhanden. Das muß man in aller Klarheit sagen.Also: Wo und wie kann angesetzt werden, um wiederzu mehr Beschäftigung zu gelangen?Wenn wir beispielsweise auf die Vereinigten Staa-ten blicken, dann sehen wir, daß dort eine selbstver-ständliche Diskussion im Gange ist, von der ich mirwünschen würde, daß sie auch in Deutschland in dersel-ben Sachbezogenheit und Unaufgeregtheit in Gangkommen könnte. Es handelt sich um eine Diskussiondarüber, was die Fiskalpolitik, also die Haushalts- undSteuerpolitik, was die Lohn – und Einkommenspolitikund was die Geldpolitik – vielleicht koordiniert – tunkönnen, um Wachstum und Beschäftigung zu erreichenund die Arbeitslosigkeit langsam abzubauen.Ich möchte Sie mit einem Zitat konfrontieren, umauch hier einmal etwas von der Debatte, die in anderenLändern stattfindet, einzuführen. Im Hinblick auf dasZusammenwirken von Haushaltspolitik und Geldpolitikhat mein französischer Kollege Dominique Strauss-Kahn kürzlich in einem Vortrag gesagt:Wir stehen doch vor verschiedenen Konzepten,entweder das Konzept Reagan/Volcker oder Clin-ton/Greenspan, was das Zusammenwirken vonHaushaltspolitik und Geldpolitik angeht.Er hat sich dafür ausgesprochen, daß wir in Zukunft ver-suchen sollten, eher dem Konzept Clinton/Greenspan zufolgen als dem Konzept Reagan/Volcker. Was ist damitgemeint? Damit ist gemeint, daß der Irrglaube, es seinicht notwendig, die Haushaltspolitik und die Geldpoli-tik zu koordinieren, zu erheblichen Beschäftigungsver-lusten führt.
Dieser Irrglaube hat nicht nur in Amerika dazu geführt,sondern auch in Deutschland, wie ich gleich ausführenwerde.Bundesminister Oskar Lafontaine
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Reagan hat eine expansive Haushaltspolitik mitgroßer Staatsverschuldung betrieben. Die Geldpolitikkonnte darauf nur mit Zinsen im zweistelligen Bereichreagieren. Eine solche Konstellation ist auf Grund derHaushaltsentwicklung nicht machbar. Sie ist auch garnicht wünschenswert, weil ein solches Bremsen derGeldpolitik längerfristig zu Beschäftigungsverlustenführen muß, wie sie Anfang der 90er Jahre in den Verei-nigten Staaten zu verzeichnen waren. Auf der anderenSeite besteht jetzt in Amerika eine Situation, in derHaushaltspolitik – in den USA gibt es sogar leichteÜberschüsse – und Geldpolitik so aufeinander abge-stimmt sind, daß, abgesehen von der Rezession zu Be-ginn der 90er Jahre, ein langsames und schrittweisesWachstum mit ständig zunehmenden Beschäftigungser-folgen stattgefunden hat. Was hindert uns eigentlichdaran, in der Zukunft eine ähnliche Abstimmung, undzwar nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene – das gehtjetzt nämlich nicht mehr –, sondern auf europäischerEbene, zu versuchen?
In diesem Zusammenhang möchte ich ein paar Be-merkungen zur Geldpolitik machen, wobei ich wirklichdarum bitten möchte, mich wörtlich zu zitieren und nichtirgendwelche Dinge in die Welt zu setzen, die von derSache her nicht gedeckt sind.Erstens. Niemand stellt die Unabhängigkeit der Geld-politik in Frage.
– Es kann sein, daß Sie nicht lesen oder nicht zuhören;das ist dann Ihre Sache.
Ich muß Ihnen noch einmal sagen: Niemand stellt dieUnabhängigkeit der Geldpolitik in Frage. Die Unab-hängigkeit der Geldpolitik hat einen einfachen Grund,der in den Schwächen all derjenigen liegt, die hier –rechts und links – jetzt zuhören. Wenn die Unabhängig-keit der Geldpolitik nicht gegeben wäre und die Politiküber die Geldpolitik zu entscheiden hätte, dann bestündevor Wahlen immer die Gefahr, daß sachgemäße Ent-scheidungen im Interesse des Hauptziels der Geldpolitik,der Wahrung der Preisstabilität, nicht getroffen würden;deshalb ist es richtig, die Geldpolitik einer unabhängi-gen Instanz zu übertragen und dem politischen Zugriffzu entziehen. Daran gibt es keinen Zweifel.
Wenn wir darin einig sind, dann ist das in Ordnung.Kein Zweifel besteht auch daran, daß das vorrangigeZiel der Geldpolitik – so heißt es überall in Amerika undin Europa – die Preisstabilität ist, weil alle ökonomi-schen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte gezeigthaben, daß ohne Einhaltung des Ziels der PreisstabilitätWachstum und Beschäftigung nicht in Gang kommenkönnen. Aber aus dem Begriff „vorrangiges Ziel“ ergibtsich schon, daß es daneben weitere Ziele der Geldpolitikgeben muß. Genau darüber diskutiert man in Amerikaund in Gesamteuropa. Die Antwort, die die Mehrheitmittlerweile gibt, ist einfach: In dem Maße, in dem diePreisstabilität gewahrt bleibt und gesichert ist – ich nen-ne einmal die deutschen Zahlen: jetzt beträgt die Inflati-onsrate 0,7 Prozent; die Bundesbank sagt: davon sind0,75 auf Grund von Qualitätssteigerungen überzeichnet;demnach hätten wir, wenn man das so rechnet, ein Mi-nus von 0,05 –, ist die Geldpolitik gehalten, Wachstumund Beschäftigung zu unterstützen. Das kann man fürrichtig oder falsch halten; es ist unsere Auffassung.
– Das steht wörtlich auch im Vertrag, Frau KolleginMatthäus-Maier, das ist richtig. In der jetzigen Situationstellt sich die Frage: Was kann die Geldpolitik tun?Ich möchte noch einen Irrtum ansprechen. MeineDamen und Herren, es hat keinen Sinn mehr, sich in die-sen drei, vier Wochen noch über die deutsche Geldpoli-tik zu streiten.
– Sie müssen zuhören und nachlesen. Ich sage Ihnennoch einmal: Wenn Sie nicht in der Lage sind, wörtlichzu zitieren, zuzuhören und nachzulesen, dann laufen SieGefahr, irgendwelche Märchen in die Welt zu setzen,weil Sie die Zusammenhänge nicht verstanden haben.Das liegt dann aber an Ihnen; es tut mir leid.
Deshalb ist die Frage, ob wir jetzt in Europa Spiel-räume haben, um über die Geldpolitik die Beschäftigungund das Wachstum zu unterstützen. Diese Frage wird inGesamteuropa beantwortet, und zwar auch ohne die De-batte hier. Acht europäische Banken sind dabei, dieGeldmarktzinsen Schritt für Schritt zurückzunehmen.
– Ja, sie liegen höher; ich will das ja gerne aufgreifen.Aber daß es mittlerweile zu einer Veränderung der ge-samteuropäischen Geldpolitik gekommen ist, könnenSie daran erkennen, daß es ursprünglich einmal hieß –das können Sie überall nachlesen –, daß sich die Geld-politik, was die Geldmarktzinsen angeht, schrittweiseeinem höheren Niveau als dem deutschen annähernmüsse. Ursprünglich war einmal ein Ziel von 5 Prozentin der Diskussion. Dann kam ein Ziel von 4 Prozent indie Diskussion. Dann kam vor vielen Monaten die Ent-scheidung, den Repro-Satz um 0,3 Prozent anzuheben.Mittlerweile ist die Preisstabilität so stark, daß man ins-gesamt eine Annäherung nach unten vertreten kann. Ge-nau das ist doch gewollt: daß bei Wahrung der Preissta-bilität sinkende Geldmarktzinsen in Europa günstigereBedingungen für Wachstum und Beschäftigung schaf-fen. Meine Damen und Herren, es war an der Zeit, dieshier noch einmal klarzustellen.Bundesminister Oskar Lafontaine
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326 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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Herr Minister La-
fontaine, ich muß Sie darauf hinweisen, daß die für Sie
vereinbarte Redezeit schon überschritten ist. Das weitere
geht auf das Konto der SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. Die Fraktion hat mir in ih-
rer Großzügigkeit freigestellt, ruhig zwei, drei Minuten
länger zu sprechen.
Ich bin jetzt bei der vierten Minute und werde versuchen
alsbald zum Ende zu kommen.
Meine Damen und Herren, das Entscheidende ist, daß
wir Fehler der 70er und 80er Jahre und auch Fehler, die
zu Beginn der 90er Jahre gemacht wurden, nicht wie-
derholen. Hier wurde beispielsweise von Herrn Wiss-
mann – ich sehe ihn im Moment nicht – gesagt, wir sei-
en jetzt dabei, die alten Hüte der 70er Jahre wieder her-
vorzunehmen und eine veraltete Politik zu machen. Sol-
che Äußerungen finden sich auch in vielfältigen Stel-
lungnahmen, die leider eine Auseinandersetzung mit den
Fakten und Daten vermissen lassen.
Genau die Konstellation, die wir in den 70er Jahren
hatten, als nämlich die Lohnpolitik weit über das Pro-
duktivitätsziel hinausschoß – jeder erinnert sich an die
zweistelligen Forderungen der ÖTV –, die Geldpolitik
mit einem ganz harten Kurs gegenhalten mußte und da-
mit eben auch Wachstum und Beschäftigung ausbrem-
ste, müssen wir in Zukunft vermeiden. Deshalb müssen
wir über die Frage diskutieren, wie die wesentlichen
Politikbereiche in Deutschland und Europa zusammen-
spielen müssen.
Meine Damen und Herren, gerade weil es für unsere
Diskussion wichtig ist, möchte ich noch die Situation zu
Beginn der 90er Jahre ansprechen. Zu Beginn der 90er
Jahre haben Sie exakt den gleichen Fehler gemacht, na-
türlich gestützt durch eine besondere Situation, ohne aus
den früheren Konstellationen die immer zu Beschäfti-
gungseinbrüchen geführt haben, zu lernen. Sie haben
gegen den Rat auch der Bundesbank und der Sachver-
ständigen den Aufbau Ost über Gebühr kreditfinanziert,
also eine expansive Finanzpolitik betrieben. Auf Grund
von Plakaten, die ich in Berlin gesehen habe – man hört
diesen Quatsch ja schon wieder: gleicher Lohn für glei-
che Arbeit –, setzte man dann auch noch eine Lohndrift
in Gang, die weit über das Produktivitätsziel hinaus-
schoß. Man hatte genau die Konstellation der 70er Jahre,
und die Geldpolitik konnte nur durch scharfes Treten auf
die Bremse mit einem Diskontsatz von 83/4 Prozent ge-
genhalten. Dieses unabgestimmte Vorgehen, aus dem
Sie offensichtlich immer noch nichts gelernt haben, hat
dann zu einem deutlichen Wiederanstieg der Arbeitslo-
sigkeit geführt. Ich bitte Sie, einmal über diese Zusam-
menhänge nachzudenken und dann vielleicht auch zu
den entsprechenden Schlußfolgerungen zu kommen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldi-
gung, daß ich die Redezeit etwas überzogen habe.
– Das überlassen wir immer den Wählerinnen und
Wählern, verehrter Herr, und da haben Sie in letzter Zeit
ein bißchen schlecht ausgesehen.
Wir stellen fest, daß die Wählerinnen und Wähler uns
den Auftrag gegeben haben, die Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik zu ändern.
Sie haben uns den Auftrag gegeben, die Steuerpolitik zu
ändern. Sie haben uns den Auftrag gegeben, die Lohn-
nebenkosten zu senken und dabei Fehlentwicklungen
aus der deutschen Einheit zu korrigieren, und sie haben
uns den Auftrag gegeben, eine Wirtschafts- und Finanz-
politik zu machen, um die Arbeitslosigkeit abzubauen.
Ich will an einem Satz noch einmal deutlich machen,
warum Ihre Ablösung notwendig war. Wie oft haben Sie
hier gestanden und gesagt: Beschäftigungspolitik ma-
chen wir zu Hause! Die Regierung Schröder sagt: Be-
schäftigungspolitik machen wir zu Hause, aber mehr
und mehr auch auf europäischer Ebene. Deshalb wartete
ganz Europa auf eine neue deutsche Regierung.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Herr Lafontaine, Siehaben viel über Europa gesprochen. Das hatte durchauseinen Sinn. Aber wir hätten doch erwartet, daß Sie heutemorgen einmal zu den Spekulationen, die Sie selbst in dieWelt gesetzt haben, ein Wort sagen, nämlich ob Sie nunhier in Deutschland ein Finanzminister auf Abruf sind,
ob Sie also die Lage, in der Sie jetzt sind, nämlich dieNummer zwei zu sein, eben nicht so lange ertragen undwieder die Nummer eins werden wollen. Herr Lafontai-
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ne, dazu hätte von Ihnen heute morgen durchaus ein klä-rendes Wort kommen können.
– Die Tatsache, daß Sie so unruhig werden, zeigt doch,daß Sie sich offensichtlich mit dem Gedanken anfreun-den, Ihren Parteivorsitzenden zu verlieren.
Meine Damen und Herren, ich will zu Beginn aufeinige Punkte zu sprechen kommen, die Sie, Herr La-fontaine, in Ihrer Einführung dargelegt haben. LassenSie mich zunächst zu dem Thema der Zinsquote imBundeshaushalt etwas sagen. Es ist wahr, die Zinsquotedes Bundeshaushaltes ist relativ hoch. Sie ist aber auchdeshalb so hoch, weil wir die finanziellen Lasten, diemit der Überwindung der deutschen Teilung verbundenwaren, ganz überwiegend über den Bundeshaushalt fi-nanziert haben. Dazu, Herr Lafontaine, haben Sie nichtein einziges Wort gesagt.
Beim Bundeshaushalt haben wir schon eine etwas ande-re Lage als beim Haushalt des Saarlandes, den Sie bisvor kurzem noch zu verantworten hatten, Herr Lafontai-ne. Ich werde auch auf die Geldpolitik gleich noch zusprechen kommen.Lassen Sie mich vorweg etwas zu den versiche-rungsfremden Leistungen sagen, die Sie angesprochenhaben. Herr Lafontaine, richtig ist, daß auch die Sozial-versicherungssysteme in der Bundesrepublik Deutsch-land über eine gewisse Zeit – wie alle öffentlichenHaushalte – von den Konsequenzen aus der Überwin-dung der deutschen Teilung betroffen waren. Aber Sieselbst, die SPD-Bundestagsfraktion, wir alle haben indiesem Jahr gemeinsam eine Mehrwertsteuererhöhungbeschlossen.
Diese ist am 1. April 1998 in Kraft getreten. Der Bun-desrat hat dem mit der Mehrheit der SPD-geführtenBundesländer zugestimmt. Mit Leistungen aus demBundeshaushalt von jetzt insgesamt gut 100 Milliar-den DM im Jahr 1999 sind sämtliche sogenannten versi-cherungsfremden Leistungen, die die Rentenversiche-rung zu tragen hat, abgegolten. Das Thema versiche-rungsfremde Leistungen, Herr Lafontaine, ist erledigt.
Das, was Sie jetzt beginnen, ist eine Umverteilung ausdem Steuerhaushalt in die Sozialhaushalte. Ich zitiere hiereinmal aus dem Buch Ihres Ministerkollegen Bodo Hom-bach – der jetzt gerade nicht da ist –, einem Buch, das ichmit großem Interesse gelesen habe, das ich mir beinahesogar gekauft hätte, um einen Beitrag dazu zu leisten, daßer irgendwann einmal sein Haus bezahlen kann.
In diesem Buch schreibt Herr Hombach:Langfristig darf es aber nicht einfach bedeuten, daßbeitragsfinanzierte Lasten nun auf steuerfinanzierteLasten umgewälzt werden.Wörtlich heißt es weiter:Das hieße, von einer Tasche in die andere zu wirt-schaften.Herr Lafontaine, mit der Umfinanzierung aus dem Steu-erhaushalt in die Sozialhaushalte beginnen Sie genau mitdiesen Umfinanzierung von einer Tasche in die andere.
Nachdem Sie, Herr Bundeskanzler, am Dienstag inIhrer Regierungserklärung – man mußte schon ziemlichaufmerksam zuhören, um das auch wahrzunehmen – zuRecht einen Hinweis darauf gegeben haben, daß dieStaatsquote in Deutschland weiter sinken müsse, hättenwir nun von Ihnen, Herr Lafontaine, als dem dafür zu-ständigen Bundesfinanzminister erwartet, daß Sie diesesetwas konkreter darlegen. Denn aus der Summe vonAbgabenquote und Sozialleistungsquote, also aus demStaatsverbrauch, ergibt sich die Staatsquote. Gegenwär-tig sinkt die Staatsquote in der BundesrepublikDeutschland – richtigerweise.
Wenn Sie weitere Umfinanzierungen vornehmen, wirddie Staatsquote steigen. Nun sagen Sie bitte nicht, diessei nur eine akademische Größe, über die sich vielleichtirgendwelche Finanzpolitiker unterhalten, die aber ge-samtwirtschaftlich keine Bedeutung habe. Das Gegenteilist richtig.Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hat in denJahren von 1982 bis 1991 die Staatsquote in der Bundes-republik Deutschland von den gut 51 Prozent, die sievon Helmut Schmidt übernommen hatte, auf gut 46 Pro-zent abgesenkt. Das Ergebnis war, daß in diesen Jahrenin Deutschland 3,2 Millionen neue Arbeitsplätze entste-hen konnten.
Wenn Sie, Herr Lafontaine, ohne Rückführung der ge-samten Abgabenbelastung eine reine Umfinanzierungdurch Umschichtung von Geldern aus den Steuerhaus-halten in die Sozialhaushalte vornehmen, werden Sie dasZiel, das Sie sich gesetzt haben und das wir teilen, näm-lich die Absenkung der Arbeitslosigkeit, nicht erreichen.Damit schon zu Beginn – wir reden ja über dieSchluß- und die Eröffnungsbilanz – die richtigen Zahlenunserer weiteren Diskussion zugrunde gelegt werden,will ich nicht nur die Arbeitslosenzahlen, sondern vor-dringlich noch einmal die Beschäftigtenzahlen nennen.In der Zeit zwischen Dezember 1982 – das war der Be-ginn der 16jährigen Amtszeit von Helmut Kohl – undHerbst 1992 – das war der Höhepunkt des Aufbaus anneuer Beschäftigung – haben wir eine Zunahme der Zahlder sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 20,1Millionen auf 23,3 Millionen erlebt. Die Zahl der sozi-Friedrich Merz
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alversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschlandist also um 3,2 Millionen gestiegen. Von diesen 3,2Millionen zusätzlichen sozialversicherungspflichtigenBeschäftigungsverhältnissen gibt es heute in den altenBundesländern immer noch 1,8 Millionen.Damit wir von den richtigen und den gleichen Zahlenausgehen, Herr Lafontaine, wenn wir uns in den näch-sten Jahren hier im Hause häufiger über Mißerfolge undErfolge der Politik Ihrer Regierung unterhalten, halte ichfest: Wir haben heute in den alten Bundesländern immernoch 21,9 Millionen Beschäftigte. Ich nenne diese Zah-len deswegen und lasse sie auch im Protokoll festhalten,damit Sie nicht in einem Jahr herkommen und sagen:Wir haben dadurch, daß wir mehrere hunderttausendMenschen in die Frühverrentung oder in die Rente ge-schickt und ein paar hunderttausend Jugendlichen neueArbeit verschafft haben, das Problem der Arbeitslosig-keit gelöst. Herr Lafontaine, das Problem der Arbeitslo-sigkeit in Deutschland werden Sie nur lösen, wenn dieArbeitslosenquote sinkt und die Beschäftigtenquote inDeutschland steigt. Anderes lassen wir nicht durchge-hen.
Sie haben erfreulicherweise – ich sage das wirklichohne irgendwelche Hintergedanken – im wesentlichendarauf verzichtet, eine Rede über die Erblast zu halten,die Sie von Helmut Kohl und Theo Waigel übernommenhaben.
– Herr Poß, ich komme auf die Haushaltszahlen gleichnoch zu sprechen. Aber, Herr Bundeskanzler, diesenHinweis kann ich mir nicht verkneifen: Der einzige Teilihrer Regierungserklärung, den Sie am Dienstag in freierRede gehalten haben und in dem eine gewisse Emotionbei Ihnen zu erkennen war – ansonsten war Ihre Redevöllig emotionslos, wie das die Presse zutreffend be-schrieb –, war der Teil, in dem Sie sich mit der Ju-gendarbeitslosigkeit beschäftigt haben.
Herr Schröder und Herr Lafontaine, es ist in der Tatwahr: Wir haben in Deutschland ein Problem im Bereichder Jugendarbeitslosigkeit.
Dieses Problem stellt sich in den einzelnen Bundeslän-dern aber höchst unterschiedlich dar.
Ich will Ihnen die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeitnicht vorenthalten: Wir haben im Saarland eine Ju-gendarbeitslosigkeit von 11,2 Prozent, in Niedersachsenvon 11,5 Prozent, in Hamburg von 14,2 Prozent, inBrandenburg von 15,7 Prozent und in Sachsen-Anhalt,wo jetzt die DVU im Landtag sitzt – das eine hat etwasmit dem anderen zu tun –, von 16,5 Prozent.
Das ist in der Tat für die neue rotgrüne Regierungunter Oskar Lafontaine eine Erblast, die Sie mit nachBonn bringen. In Bayern liegt die Jugendarbeitslosigkeitbei 5,8 Prozent und in Baden-Württemberg bei7 Prozent.
In diesen Ländern gibt es das Problem in dem von Ihnenso emotional beschriebenen Umfang nicht, Herr Bun-deskanzler.
Lassen Sie mich noch einmal auf die Ausgangslagezu sprechen kommen, die Sie vorfinden. Zur Schlußbi-lanz der Regierung Helmut Kohl und zur Eröffnungsbi-lanz der Regierung Lafontaine
– Entschuldigung: der Regierung Schröder – gehört:
Die Währung ist stabil, die Arbeitslosigkeit sinkt, dieGesamtverschuldung ist rückläufig, das Staatsdefizitwird in diesem Jahr weit unter dem Maastricht-Kriterium von 3 Prozent, nämlich bei ungefähr 2,5 Pro-zent liegen. Damit liegen alle gesamtwirtschaftlichenRahmendaten und Plandaten für den Bundeshaushalt aufdem Tisch – und nicht erst seit dieser Woche, Herr La-fontaine, sondern schon seit drei oder vier Wochen. Esgab zu keinem Zeitpunkt irgendeine Zahl, die Sie nichtkennen konnten und die Ihnen die Beamten Ihres Hauses– Sie haben aus der gesamten Führungsetage nur einenBeamten übernommen – nicht vorgelegt haben. AlleRahmendaten und alle Plandaten liegen Ihnen vor.
Das Fazit lautet: Die neue Bundesregierung übernimmtnicht eine Erblast, sondern sie trifft auf alle Vorausset-zungen für einen dauerhaften wirtschaftlichen Auf-schwung in Deutschland in den nächsten Jahren.
Dies wird durch die gestern veröffentlichte Steuer-schätzung eindrucksvoll belegt.
Im Jahre 1998, im ersten Jahr eines beginnendenwirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland, werdendie Staatseinnahmen aller Gebietskörperschaften, alsodes Bundes, der Länder und der Gemeinden, um7,8 Milliarden DM höher sein, als noch im Mai diesesJahres geschätzt. Davon entfallen – ich will diesen Punktnur der Vollständigkeit halber erwähnen, weil an unshäufig die Kritik geübt worden ist, wir ließen die Ge-meinden allein – über 5 Milliarden DM auf die Kommu-nen. Dies ist ein großartiger Erfolg der Finanz- undWirtschaftspolitik des Jahres 1998, die wir noch zu ver-antworten hatten.
Friedrich Merz
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Herr Lafontaine, es gibt im nächsten Jahr nicht etwaeine große Lücke und Defizite auf Grund der Verhält-nisse, die Sie vorgefunden haben. Vielmehr werden dieGebietskörperschaften insgesamt im nächsten Jahr höhe-re Steuereinnahmen von insgesamt 38 Milliarden DMgegenüber dem laufenden Jahr 1998 haben. Davon ent-fallen mehr als 26 Milliarden DM auf den Bund. Sie fin-den einen Haushaltsplan und einen Etat für das nächsteJahr vor, Herr Lafontaine, der Ihnen 26 Milliarden DMhöhere Einnahmen als im laufenden Haushaltsjahr 1998bringt. Das heißt im Klartext: Der Bund hat gegenüberdem laufenden Jahr 1998 um 7,5 Prozent höhere Steuer-einnahmen. Ich komme auf dieses Thema noch zu spre-chen.Diese Zahlen zeigen zweierlei: Erstens. Die von Ih-nen häufig zitierte Steuerquote steigt. Zweitens. Sie fin-den im Bundeshaushalt den Spielraum für eine durch-greifende Steuerreform mit Nettoentlastungen beigleichzeitiger Verbreiterung der steuerlichen Bemes-sungsgrundlage vor.
Herr Minister Lafontaine, wenn Sie jetzt bestreiten,daß Sie bei diesen Steuermehreinnahmen des kommen-den Jahres den Spielraum für eine durchgreifende Steu-erreform haben, dann haben Sie mit den Steuereinnah-men, die Sie im nächsten Jahr zusätzlich haben werden,etwas anderes vor als eine vernünftige Steuerpolitik.
Ich sage Ihnen vorsorglich – denn es gab heute in denZeitungen wieder Hinweise auf Art. 115 des Grundge-setzes, der die Grenze der Neuverschuldung des Bun-deshaushaltes bestimmt –:
Die steigenden Steuereinnahmen, die sich langsam ab-bauende Arbeitslosigkeit in Deutschland, die zurückge-hende Verschuldung der öffentlichen Haushalte und dieanhaltende Preisstabilität verbieten Ihnen schon jetzt fürdas gesamte nächste Jahr die Feststellung der Störungdes gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Herr Lafontaine, es gibt jetzt im übrigen überhauptkeinen Grund mehr dafür, daß Sie dem Bundestag denEntwurf des Haushaltsplanes für das Jahr 1999 vorent-halten. Wir erwarten, daß Sie spätestens in der erstenDezemberwoche den Etatentwurf für das Jahr 1999vorlegen.
Nun lassen Sie mich noch einmal auf die Steuerpoli-tik im engeren Sinne zurückkommen und auf einigegrundlegende Unterschiede hinweisen, die uns in der Tattrennen. Zunächst zu dem von Ihnen immer wieder an-gesprochenen Begriff der Steuerquote. Herr Lafontaine,Sie wissen genauso gut wie wir, daß die volkswirt-schaftliche Steuerquote überhaupt nichts darüber aus-sagt, wie hoch die tatsächliche Steuerbelastung der ein-zelnen Steuerzahler ist. Ich will Ihnen auch sagen, war-um die Steuerquote kein Parameter für eine gute undvernünftige Steuerpolitik ist. Wir haben durch die An-hebung bzw. Verdoppelung des Grundfreibetrages, dieim Jahre 1996 – ich gebe zu, durch das Bundesverfas-sungsgericht erzwungen – vom Gesetzgeber durchge-setzt worden ist, und durch die Neuregelung beim Kin-dergeld rund 30 Prozent der Arbeitnehmerhaushalte inDeutschland steuerfrei gestellt. Das betrifft die von Ih-nen immer wieder zitierten unteren Einkommen.
Herr Lafontaine, Arbeitnehmer mit niedrigen Einkom-men zahlen also seit 1996 praktisch keine Steuern mehr.
Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang noch etwaszu Ihrer im wesentlichen nachfrageorientierten Steuer-und Finanzpolitik sagen: Wenn Ihre Theorie stimmenwürde, daß durch eine Stärkung der Massenkaufkraft,wie Sie das im Wahlkampf immer ausgeführt haben, dieProbleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen seien, dannhätte es im Jahre 1996 eine durchgreifende Veränderungauf dem Arbeitsmarkt geben müssen.
Denn, Herr Lafontaine, im Jahre 1996 hat es durchdie Verdoppelung des Grundfreibetrages und durch dieAnhebung des Kindergeldes eine Entlastung der Arbeit-nehmer in Deutschland in Höhe von netto 12 MilliardenDM gegeben. Die Wahrheit ist – wir haben das nicht an-ders erwartet –, daß im Jahre 1996 durch diese Maß-nahmen praktisch keine Veränderungen auf dem Ar-beitsmarkt eingetreten sind. Sie sagen jetzt ja noch nichteinmal eine Nettoentlastung für die Jahre 1999 ff. vor-aus, sondern Sie nehmen eine reine Umfinanzierung vor,wobei für die Steuerzahler netto keine D-Mark mehrherauskommt.Wir sagen Ihnen, Herr Lafontaine, voraus: Diese ein-seitig auf die Nachfragekraft konzentrierte Steuerpolitikder Bundesregierung wird auf dem Arbeitsmarkt keinepositiven Ergebnisse bringen.
Wenn Sie sich einmal über die Wirkungen einer so ein-seitig nachfrageorientierten Steuer- und Finanzpoli-tik informieren wollen, dann können Sie meinetwegendarauf verzichten, alle diesbezüglichen Dokumente deralten Regierung zu lesen. Sie brauchen nur ein Doku-ment der neuen Regierung heranzuziehen. Ich zitierenoch einmal aus dem Buch Ihres Kabinettskollegen Bo-do Hombach, der richtigerweise darauf hingewiesen hat– ich habe es gestern noch einmal nachgelesen, daß beieiner Zunahme des verfügbaren Einkommens einer Ar-beitnehmerfamilie um 100 DM für den Binnenmarkt27,23 DM übrigbleiben.
Friedrich Merz
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330 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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Er weist zudem darauf hin, daß aus der Sicht des Unter-nehmers eigentlich nicht 100 DM, sondern 121 DM auf-gewendet werden müssen, weil der Arbeitgeber natür-lich einen zusätzlichen Anteil an Sozialversicherungs-beiträgen zu zahlen hat.
Also, Herr Lafontaine, die Arbeitskosten und dieSteuerquote und damit die Steuerbelastung in Deutsch-land müssen gesenkt werden, damit wir zu einer durch-greifenden Entlastung der Familien und der Betriebekommen.Damit hier gar keine Mißverständnisse auftreten:Niemand von uns widerspricht der Anhebung des Kin-dergeldes.
Jeder von uns wünscht sich, daß wir noch höhere Lei-stungen an die Familien zahlen könnten. Aber was nütztes einem Familienvater, wenn er am 1. Januar 1999 einhöheres Kindergeld bekommt und am 1. Juli 1999 ar-beitslos wird? Das nützt ihm überhaupt nichts, Herr La-fontaine.
Entscheidend ist, daß wir die strukturellen Problemeauf dem Arbeitsmarkt – das sind die strukturellen Pro-bleme unseres Steuersystems und unserer Sozialversi-cherung – lösen. Hier sage ich Ihnen noch einmal: Wirvertreten eine völlig andere Philosophie.Das Problem, das die Bundesrepublik Deutschland iminternational sich verschärfenden Wettbewerb hat, istnicht in erster Linie eine Nachfrageschwäche, sonderndas Problem, das wir in der Bundesrepublik Deutschlandhaben, ist eine trotz aller Bemühungen der letzten Jahreanhaltende Investitions- und Wachstumsschwäche derdeutschen Volkswirtschaft.Ich will Ihnen das an einem ganz einfachen Beispielnachweisen, einem Beispiel, das nun wirklich nichts mitungezügeltem Shareholder-Kapitalismus zu tun hat,sondern es sind Fakten, die noch nicht einmal Ihre Ehe-frau in Frage stellen dürfte, Herr Lafontaine.
Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben im in-ternationalen Vergleich mit die geringste Risikoprämiefür eingesetzes Eigenkapital. Diese Risikoprämie, diesich als der Abstand zwischen den Zinsen definiert, dieSie für risikolose Staatsanleihen bekommen, und denZinsen, die Sie für risikobehaftetes Eigenkapital in un-ternehmerischer Tätigkeit bekommen, beträgt in derBundesrepublik Deutschland gegenwärtig zwischen 0,5und 1 Prozent.Das heißt im Klartext: Ein Unternehmer in Deutsch-land, der sein Geld nicht zur Bank trägt, sondern es alsInvestitionskapital in das Unternehmen steckt – risiko-behaftet, mit vollem persönlichen Risiko – hat inDeutschland gegenwärtig die Chance, 0,5 bis 1 Prozentmit Arbeit mehr zu verdienen, als wenn er es – ohne Ar-beit – auf der Bank ließe.
Die Risikoprämie in den wichtigsten Wettbewerbs-ländern der Bundesrepublik Deutschland – ich nenne nureinmal zwei: Großbritannien und die Vereinigten Staa-ten von Amerika – beträgt 10 Prozent.Jetzt lassen Sie mich, weil Sie es angesprochen ha-ben, noch ein Wort zu Amerika sagen. Sie können sichnatürlich nicht immer nur die Rosinen herauspicken undsagen: „Was dort in Amerika so gut ist, übernehmenwir,“ aber den Rest verschweigen Sie großzügig. HerrLafontaine, Sie wissen es, – und der Bundeswirt-schaftsminister wird es vielleicht aus eigener Anschau-ung noch besser wissen –, daß die Amerikaner die not-wendige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die wirhier von dieser Stelle aus immer wieder angemahnt unddie Sie immer wieder blockiert haben, längst hinter sichhaben.
Herr Lafontaine, das konnten Sie jetzt nicht sehen.Ich will fair bleiben, aber beim Bundeswirtschaftsmi-nister war ein leichtes Nicken zu erkennen.Die Amerikaner haben die strukturellen Reformendes Arbeitsmarktes und der Sozialversicherungssysteme– soweit man in Amerika überhaupt von Sozialversiche-rung sprechen kann – längst gemacht. Wenn Sie also mitAmerika vergleichen, Herr Lafontaine, dann bitte dochnur dann, wenn Sie gleichzeitig zugestehen, daß wir ei-nige grundlegende Reformen unseres Sozial- und Steu-ersystems zusätzlich brauchen.Da offensichtlich Tony Blair – lassen Sie mich nunetwas zu Großbritannien sagen – eines Ihrer großenVorbilder ist, lassen Sie mich anmerken, daß der Pre-mierminister von Großbritannien bereits zweimal nachseiner erfolgreichen Wahl die Körperschaftsteuersätzegesenkt hat. Herr Lafontaine, Sie stellen die Senkungder Körperschaftsteuersätze für das Jahr 2002 in Aus-sicht.
Bis dahin werden Sie durch die Verbreiterung dersteuerlichen Bemessungsgrundlage die Unternehmen inder Bundesrepublik Deutschland mit höheren Steuernmassiv belasten. Das ist die Wahrheit in Deutschland.
Ich will wegen der Kürze der Zeit darauf verzichten,zu einzelnen Aspekten – wir werden dazu noch Gele-genheit haben – Ihrer steuerpolitischen VorschlägeFriedrich Merz
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(D)
Stellung zu nehmen. Ich hätte gerne noch etwas zumThema steuerliche Bemessungsgrundlage, Teilwertab-schreibung und all diesen Dingen gesagt. Sie haben aberzugesichert – dafür bedanke ich mich –, daß darüber imLaufe des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal geredetwerden kann. Darüber muß geredet werden, weil es eineReihe von höchst problematischen Vorschlägen gibt, dieSie hier gemacht haben.Lassen Sie mich noch etwas Grundsätzliches sagen.
Herr Kollege Merz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Das tue ich deswegen
gern, weil er dann aufhören kann, zu schreien.
Herr Kollege Merz, ich höre
gern auf, zu schreien, wenn Sie aufhören, die Unwahr-
heit zu sagen.
Könnten Sie dem Hohen Hause bitte bestätigen – Sie
sind doch sicher in der Lage, Gesetzentwürfe zu lesen –,
daß die Körperschaftsteuer nach unserem Gesetzentwurf
im ersten Schritt schon im Jahre 1999 von 45 auf
40 Prozent gesenkt wird? Das Ziel von 35 Prozent ist für
das Jahr 2002 – wenn möglich, schon früher – angepeilt.
Könnten Sie dem Hohen Hause bitte bestätigen, daß da-
durch eine nachhaltige Entlastung der Wirtschaft er-
folgt?
Herr Poß, wenn es zu
Ihrer Beruhigung beiträgt, bestätige ich Ihnen gern, daß
Sie eine marginale Absenkung
– lassen Sie mich doch wenigstens aussprechen – des
Steuersatzes für die betrieblichen Einkünfte im Ein-
kommensteuergesetz und eine geringfügige Absenkung
des Körperschaftsteuersatzes zum 1. Januar 1999 vor-
schlagen. Gleichzeitig treten fast alle Maßnahmen in
Kraft, die zur Verbreiterung der Steuerbemessungs-
grundlage herangezogen werden. Dies heißt im Klartext:
Sie werden in den Jahren 1999, 2000 und 2001 die Be-
triebe in Deutschland mit erheblich höheren Steuern be-
lasten, als sie im laufenden Jahr 1998 belastet wurden.
Das ist die Wahrheit.
Herr Poß, wenn Sie uns nicht glauben, dann lesen Sie
doch die frei gehaltene Rede des Bundesfinanzministers,
dem ich gut zugehört habe!
Er hat sich ausdrücklich dazu bekannt, daß die Steuer-
belastung für die Betriebe steigen und für die Arbeit-
nehmer sinken muß. Das ist seine Philosophie.
Das ist die Wahrheit, Herr Poß.
Herr Poß möchte
noch einmal nachfragen.
Nein, ich möchte jetzt
gern zum Schluß kommen.
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Solms?
Dann lasse ich auch
noch eine weitere Zwischenfrage von Herrn Poß zu.
Herr Solms, bitte schön.
Herr Kollege,
würden Sie bitte, um die Fakten richtigzustellen, dem
Kollegen Poß mitteilen, daß von der rotgrünen Regie-
rung geplant ist, den Körperschaftsteuersatz erst zum
1. Januar 2000 in einer ersten Stufe zu senken.
Ich habe es hier: Die gewerblichen Einkünfte für Perso-
nengesellschaften werden zum 1. Januar 1999 gesenkt,
die Körperschaftsteuersätze zum 1. Januar 2000 in einer
ersten Stufe.
Ich habe es nun wirklich schriftlich hier. Ich bitte, es
entgegenzunehmen.
Herr Poß, möchten Sie
eine weitere Zwischenfrage stellen?
Bitte, Herr Poß.
Herr Kollege Merz,
können Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß Sie vorhinwahrheitswidrig behauptet haben, wir würden die Un-ternehmensteuersätze nicht vor dem Jahre 2002 senken?Das können wir ja dann dem Protokoll entnehmen.Friedrich Merz
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332 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
(C)
Herr Kollege Poß,
wenn es denn zur Klarheit beiträgt
– und zur Wahrheit –, will ich Ihnen gerne noch einmal
bestätigen, daß Ihre steuerpolitische Konzeption vorsieht
– das ist auch gar nicht ehrenrührig;
das haben Sie ausdrücklich so gewollt, ich habe Sie nur
auf die Konsequenzen hingewiesen –, daß die Steuerbe-
lastungen zuerst eintreten und die Steuerentlastungen
später. Das ist die Konsequenz.
Das, was der Kollege Solms gerade zitiert hat, ist die
Wahrheit. Sie planen zuerst die Steuererhöhungen und
stellen für das Wahljahr 2002 geringfügige Steuerentla-
stungen in Aussicht. Das ist die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß
noch einmal auf die Geld- und Zinspolitik zu sprechen
kommen. Herr Lafontaine, die Zeit reicht jetzt nicht
mehr aus, um ausführlich über diese Frage zu diskutie-
ren. Ich will nur den wesentlichen Kernpunkt unserer
Kritik an Ihren Äußerungen der letzten Wochen wieder-
holen. Man kann sich über die Funktion von Geldpolitik
und Notenbankentscheidungen durchaus unterhalten.
Aber wenn Sie ein Ergebnis in Ihrem Sinne gewollt
hätten, dann hätten Sie nicht mit diesen maßlosen An-
griffen die Deutsche Bundesbank in die Rolle hinein-
versetzen sollen, überhaupt nicht anders entscheiden zu
können, als sie in der letzten Woche entschieden hat.
Herr Lafontaine, das Ergebnis Ihrer Attacken – Sie ha-
ben in Wahrheit die Europäische Zentralbank und nicht
die Deutsche Bundesbank gemeint – ist heute in den
Zeitungen nachzulesen. Das erste Ergebnis ist nicht, daß
die Geldmarktzinsen sinken, sondern das erste Ergebnis
ist, daß es einen massiven Vertrauensschwund der Öf-
fentlichkeit in die Stabilität des Euro gibt. Das ist das
Ergebnis Ihrer Attacken auf die Notenbank.
Geldwertstabilität ist kein Selbstzweck und ist nicht
etwas, was irgendwo in den Büchern steht und was dun-
kel gekleidete Herren in den Elfenbeintürmen der No-
tenbanken für sich entscheiden. Geldwertstabilität – das
ist die Erfahrung von 50 Jahren Geldpolitik in der Bun-
desrepublik Deutschland – ist die Grundlage für die
Dauerhaftigkeit und Verläßlichkeit von Investitionen,
sie ist die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und
neue Arbeitsplätze, und, Herr Lafontaine, sie ist die
Grundlage für die Sicherheit von Renten, von kleinen
Einkommen und von kleinen Ersparnissen. Inflation ist
der Taschendieb des kleinen Mannes.
Wir werden Ihnen nicht durchgehen lassen, daß Sie
ein Ablenkungsmanöver starten, indem Sie es zulassen,
daß die zwei neuen beamteten Staatssekretäre Ihres
Hauses ständig über Deflation in Deutschland reden,
und damit eine höhere Geldentwertung in Deutschland
für die Zukunft billigend in Kauf nehmen. Mit uns wird
ein solcher Weg nicht zu machen sein.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie
mich zum Schluß etwas sagen, weil es notwendig ist, in
einer solchen grundsätzlichen ersten Aussprache über
die zukünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik darüber zu
sprechen. Sie werden sich auch mit der Flucht in eine,
wie Sie es formuliert haben, Politik der Wechselkurs-
zielzonen nicht den Erfordernissen in der Bundesrepu-
blik Deutschland entziehen können. Ich sage es sogar
umgekehrt: Die Erfahrungen, die die asiatischen Länder
gemacht haben – Indonesien, Malaysia, Korea, Thailand
–, Länder, die zum Teil seit Anfang der 80er Jahre eine
feste Wechselkursbindung an den Dollar vorgenommen
haben, sind genau andersherum gewesen. Dort, wo es
eine zu lange Bindung an Währungen gegeben hat, sind
Spekulationsblasen entstanden. Es war mit eine Ursache
für die Finanzkrise in Asien, daß die Wechselkurse nicht
die realen Austauschverhältnisse dargestellt haben.
Dies ist der falsche Weg. Die Ursachen für Krisen
internationaler, europäischer und auch nationaler Art
liegen nicht in den Wechselkursentwicklungen, sondern
in den entscheidenden politischen Weichenstellungen in
den nationalen Volkswirtschaften. Zu diesen Weichen-
stellungen, im Sinne des Arbeitsmarktes, im Sinne der
gesunden Entwicklung der Volkswirtschaft der Bundes-
republik Deutschland, Herr Lafontaine, fordern wir Sie
auf. Wenn Sie auf dem Weg, den Sie heute morgen be-
schrieben haben, weiter voranschreiten, wird es nicht
mehr Beschäftigung, sondern weniger Beschäftigung,
und nicht weniger Arbeitslose, sondern mehr Arbeitslose
in Deutschland geben. Dies wird unseren entschiedenen
Widerspruch zu jeder Zeit herausfordern.
Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ingrid Matt-
häus-Maier, SPD.
Meine sehr verehrtenDamen und Herren, der Kollege Merz hat behauptet, imJahr 1999, also im nächsten Jahr, werde der Körper-schaftsteuersatz nicht gesenkt,
sondern erst im Jahre 2002. Der Kollege Solms hat diesnoch ausdrücklich unterstützt. Ich weise darauf hin: Indem hier auf den Tischen liegenden Gesetzentwurf stehtauf Seite 2: Senkung des Körperschaftsteuersatzes füreinbehaltene Gewinne auf 40 Prozent ab 1. Januar 1999.Das gleiche steht im Gesetzestext auf Seite 137, und essteht in der Begründung zum Gesetzestext auf Seite 278.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 333
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(D)
Ich gehe davon aus, daß Sie vielleicht nicht bewußt dieUnwahrheit gesagt haben. Allerdings kommt es mir vor,als wäre es so, weil der Kollege Poß Sie darauf hinge-wiesen hat. Ich fordere Sie hiermit offiziell auf,
hier heute morgen Ihre unwahre Behauptung zurückzu-nehmen und zu bestätigen, daß der Körperschaftsteuer-satz sinkt.
Herr Kollege Merz,
Sie haben Gelegenheit zu einer Antwort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer so,
wenn man frei spricht und kein ausformuliertes Manu-
skript hat
– Entschuldigung –, daß man Gefahr läuft, mißverstan-
den zu werden. Ich will das noch einmal ausdrücklich
klarstellen: Ich bezweifle nicht, daß Sie nach dem Ge-
setzestext, der uns gegenwärtig vorliegt – das ändert sich
ja immer wieder –,
die Absicht haben, die Steuersätze des Körper-
schaftsteuergesetzes bereits im nächsten Jahr zu senken.
Ich lege aber Wert auf die Feststellung – ich bleibe
dabei –, daß die Bilanz zwischen Entlastung und Bela-
stung – –
– Wir können das ja gemeinsam, Frau Matthäus-Maier,
im Protokoll noch einmal nachlesen. Ich habe gesagt
und bleibe auch dabei, daß für das Jahr 1999, für das
Jahr 2000 und für das Jahr 2001 – vor dem Zeitpunkt,
für den Sie eine weitere Absenkung der Körper-
schaftsteuersätze vage in Aussicht stellen; das steht nicht
in diesem Gesetzentwurf –, für diese drei Jahre, für die
Wirtschaft und damit für die Arbeitsplätze in Deutsch-
land nicht eine geringere, sondern eine höhere Steuer-
belastung kommt. Das ist die Konsequenz Ihres Gesetz-
entwurfes.
Davon, Frau Matthäus-Maier, habe ich nicht nur nichts
zurückzunehmen, sondern den Nachweis, daß dies so ist,
werden wir Ihnen Jahr für Jahr in den nächsten drei Jah-
ren von dieser Stelle aus führen.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, um die Atmosphäre ein wenig zu besänf-
tigen, erlaube ich mir, der Kollegin Kerstin Müller herz-
lich zu ihrem 35. Geburtstag zu gratulieren.
Ich freue mich, daß Sie Ihren Geburtstag mit uns zu-
sammen verbringen. Alles Gute für Sie!
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Christine
Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachdemwir ja jetzt geklärt haben, wer lesen oder wer nicht lesenkann, Herr Solms, denke ich, daß wir zur Senkung vonUnternehmensteuern 1999 an dieser Stelle zumindestkeine so klaren Aussagen mehr zu machen brauchen. Ichbrauche das alles nicht noch einmal vorzulesen. Ich den-ke, Sie wissen jetzt mittlerweile, wo es steht.
Herr Merz, ich finde es allerdings etwas eigenartig,wenn Sie sagen, Sie hätten hier in freier Rede natürlichSchwierigkeiten gehabt, die Zuordnung der Steuersatz-senkungen auf die nächsten Jahre klar vorzutragen oderdas klar im Hinterkopf zu haben. Wir waren ja auch lan-ge genug in der Opposition. Jetzt sind wir Regierungs-parteien. Man sollte doch einmal von folgendem ausge-hen – das muß man wirklich einmal sagen, gerade an dieAdresse der Steuerfachleute; das gilt für Herrn Solmsgenauso, wie es für Herrn Merz gilt –: Die Leute, diesich hier hinstellen und zu einer Steuerreform reden, diejetzt von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegtworden ist und die in kürzester Zeit zuwege gebrachtworden ist, sollten wenigstens wissen, wie die Steuersät-ze in den nächsten Jahren aussehen.
Mit einem Punkt, Herr Merz, ist es mir als Frau – ichsage das wirklich bewußt – sehr ernst: Sie haben in Ih-ren Ausführungen Herrn Lafontaines Ehefrau, ChristaMüller, angesprochen. Anscheinend ist es für Sie uner-träglich, daß eine Frau so denken kann.
Eine weitere Bemerkung vorab: Ich dachte eigentlich,die CDU habe gelernt, daß die Vergleiche der Bundes-länder, mit denen Sie durch alle Lande gezogen sind,
Ihnen im Wahlkampf nicht dienlich waren. Dennschließlich haben sie nicht dazu geführt, daß Sie dieWahl gewonnen haben. Ich glaube, auch in dieser De-Ingrid Matthäus-Maier
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334 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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batte nutzen sie nichts; denn sie bringen uns in keinerWeise weiter.Zum Gesetzentwurf selbst: Dieser Gesetzentwurf istsolide durchgerechnet und sauber finanziert. Das ist dergroße Unterschied zu den Entwürfen, mit denen wir esin der Vergangenheit, in der letzten Legislaturperiode,zu tun hatten.
Mit diesem Gesetzentwurf wird die Investitionskraft derUnternehmen gestärkt, und die Binnennachfrage wirdentsprechend nachhaltig belebt. Es ist, Herr Merz, inkeiner Weise richtig, wenn Sie sagen, damit werde nurNachfragepolitik betrieben. In diesem Gesetzentwurf istvielmehr ein ausgewogenes Verhältnis von angebots-und nachfrageorientierter Politik verankert.Wir haben im Wahlkampf immer gesagt, daß wir dieBezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlastenwollen, daß wir das Zusammenleben mit Kindern be-günstigen wollen. Das haben wir hier umgesetzt. Zudemwurde – dies ist für die Ländervertreter, Herr Faltlhau-ser, sehr wichtig – der sehr schwierigen Situation der öf-fentlichen Haushalte Rechnung getragen. Auf Grunddieser angespannten Haushaltslagen mußte in der erstenund zweiten Stufe eine strikte Aufkommensneutralitätgewahrt werden, und erst in der dritten Stufe konnte eineNettoentlastung von rund 15 Milliarden DM vorgesehenwerden. Das ist richtig und finanzpolitisch äußerst ver-nünftig.Nun zu dem Punkt, der immer wieder angesprochenwird, nämlich inwiefern die Entlastung bei der Ein-kommensteuer mit dem Ziel der Senkung der Lohnne-benkosten und der Erhebung von Ökosteuern vereinbarist. Ich finde, diese Bereiche müssen zumindest punktu-ell in Verbindung gesehen werden. Schließlich kommtes doch darauf an, was den Leuten am Schluß bleibt.Das ist es, was interessiert. Die Zahlen aus bestimmtenTeilbereichen, die irgendwo herumschwirren, verunsi-chern die Leute nur.Alleinerziehende mit zwei Kindern und 2 500 DMbrutto im Monat werden, Stand 1998, insgesamt mit 277DM an Steuern und Abgaben belastet. Nach der Umset-zung der ökologisch-sozialen Steuerreform und derEinkommensteuerreform wird ebendiese alleinerzie-hende Mutter oder dieser alleinerziehende Vater mitzwei Kindern um monatlich 127 DM entlastet. Ich den-ke, das ist ein Schritt in die richtige Richtung; damitwird – unter Einbeziehung der Erhebung der Ökosteuernund der Senkung der Einkommensteuern – in diesenEinkommensgruppen der richtige Effekt erzielt.
Um der Kritik vorzubeugen, wir hätten die Tarifeweiter senken sollen: Natürlich wäre dies wünschens-wert gewesen; das wissen alle. Aber das Erbe der Kohl-Regierung – das muß auch in diesem Zusammenhangbetont werden – hat uns im Haushalt keinen Spielraumgelassen. Der Bundeshaushalt weist allein für 1999 ge-genüber der Waigelschen Vorstellung Risiken in Höhevon mehr als 10 Milliarden DM aus, und den Ländernund Kommunen geht es – ich denke, ich kann das be-urteilen – auch nicht besser.Eine alte Mär, mit der wir vielleicht endlich einmalaufräumen sollten, ist: Wir haben die Finanzierung des-wegen so geplant, weil wir den öffentlichen Kassen –wie es in den Petersberger Beschlüssen der altenKoalition vorgesehen war – Einnahmeausfälle in Höhevon 57 Milliarden DM ersparen wollten. Herr Waigelhat damit – das ist das Problem – immer wiederBegehrlichkeiten geweckt, die in keiner Weise erfülltwerden konnten. Es waren schlicht unseriöseVorschläge, mit denen er und auch andere aus der CDU,CSU und F.D.P. durch den Wahlkampf gezogen sind.Die Finanzpolitik steht jetzt endlich wieder auf einersoliden Grundlage.
Meine Damen und Herren, auch im Wirtschaftsbe-reich haben wir insgesamt gute Ergebnisse erzielt. DerSpitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte wird imnächsten Jahr, wie gesagt – das haben wir jetzt alle ge-lernt –, auf 45 Prozent und im Jahr 2000 auf 43 Prozentgesenkt. Die Körperschaftsteuer – das ist jetzt klar –wird im nächsten Jahr von 45 auf 40 Prozent gesenkt.Natürlich streben wir eine Unternehmensteuerre-form an. Demnächst wird dafür eine Arbeitsgruppe ein-gesetzt. Diese Unternehmensteuerreform hat als Ziel dierechtsformunabhängige Besteuerung von Unternehmen,und zwar mit einem Steuersatz von etwa 35 Prozent. Eswäre natürlich wunderbar – dafür werden wir uns ge-meinsam einsetzen –, wenn diese Reform nicht erst imJahr 2002, sondern schon im Jahr 2000 umgesetzt wer-den könnte.
Wir gehen auch einen Schritt in Richtung Gleichbe-handlung aller Einkunftsarten, indem wir zukünftig zumBeispiel – das ist ein heikles Thema, das weiß ich; ichnenne es trotzdem – Einkünfte in der Landwirtschaftüber einen bestimmten Sockel ähnlich bzw. gleich be-handeln wie gewerbliche Einkünfte. Wir haben hier na-türlich auch eine soziale Komponente eingeführt: Klei-nen bäuerlichen Familienbetrieben bis zu 15 Hektar solldie Durchschnittsbesteuerung erhalten bleiben. Das istauch in Ordnung so.Insgesamt – auch das muß man einmal zur Kenntnisnehmen – gehen wir einen sehr mutigen Schritt inRichtung Steuervereinfachung und Abbau von Steuer-vergünstigungen. Es gibt über 70 Maßnahmen zur Be-reinigung der Bemessungsgrundlage. Das ist vom Um-fang, von der Dimension her die größte Steuerreform,die in der Geschichte der Bundesrepublik jemals miteiner solch affenartigen Geschwindigkeit – positiv gese-hen – und so gut durchgerechnet vorgelegt worden ist.
Christine Scheel
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Außerdem ist es gelungen – da hatten Sie angeblichimmer Ihre Probleme –, durch eine frühzeitige Einbin-dung der Bundesländer in die Beratungen sicherzu-stellen, daß im Bundesrat die nötigen Abstimmungser-gebnisse erzielt werden können, um diese Reform sehrschnell auf den Weg zu bekommen.Es gibt einen negativen Begleiteffekt der Diskussio-nen, die in den letzten Tagen, in den letzten Wochen ge-führt worden sind. Man muß feststellen, daß die Erar-beitung dieses Konzeptes teilweise regelrecht zu einemSpießrutenlaufen geworden ist. Ich meine, es ist ziem-lich einmalig, daß, bevor ein Gesetz im Entwurf vor-liegt, von allen möglichen Gruppen und Kreisen aus derOpposition, aus der Bevölkerung und vor allen Dingenvon einigen wenigen aus der Wirtschaft Kritik geübtwurde, Nebelkerzen ins Blaue geworfen wurden. In denlaufenden Beratungen müssen sie aber feststellen, daßsich einige der Vorbehalte und auch Teile der Kritik er-übrigen. Dies ist natürlich etwas schwierig, weil so be-stimmte Stimmungen erzeugt werden.Es ist auch unwahr, daß insbesondere die kleinen undmittleren Unternehmen die Hauptlast dieser Reform zutragen haben. Kleine und mittlere Unternehmen werdenentlastet, und zwar in einer Größenordnung von etwa4 Milliarden DM. Belastet werden Großunternehmenund Konzerne. Das sind genau die, die in den letztenJahren einen Gestaltungsspielraum genutzt haben. Dashatte mit Steuergerechtigkeit und mit leistungsgerechterBesteuerung überhaupt nichts mehr zu tun. Das fahrenwir zurück, um die Gerechtigkeit auch innerhalb desUnternehmensbereiches wiederherzustellen.
Die Gesamtgewinnbelastung der Unternehmen wirdübrigens nicht geschmälert; es gibt eine zeitliche Ver-schiebung bei der Besteuerung. Heute werden sehr frühstille Reserven gebildet, die am Ende der Besteuerungirgendwann wieder aufgelöst werden. Dies wollen wir inder nächsten Zeit verhindern. Das ist auch richtig.So zeigt dieser Entwurf, daß die meisten Befürchtun-gen auch in der Frage der Unternehmensbesteuerungunbegründet sind und daß gerade im Bereich des Mittel-standes einiges getan wird.Ich sage Ihnen noch ein Beispiel. UnternehmerischeVerluste bleiben trotz neuer Mindestbesteuerung vollverrechenbar. Der Verlustrücktrag wird für Verlustebis 2 Millionen DM auf ein Jahr begrenzt. Bis En-de 2000 bleibt dies erhalten; dann haben wir sehr niedri-ge Steuersätze, dann ist das in Ordnung. Der Verlust-vortrag bleibt weiter unbegrenzt möglich. Die Mär, daßdie kleinen und mittelständischen Unternehmen von denMöglichkeiten, die sie heute haben, nicht mehr Ge-brauch machen können, ist einfach falsch. Deswegen istes notwendig und richtig, hier zu sagen, daß wir selbst-verständlich die ganze Zeit vor allem an die kleinen undmittelständischen Unternehmen gedacht haben.
Es ist auch für die Arbeitgeber sinnvoll, daß wir vom1. Januar an die Kindergeldauszahlungen nicht mehrüber die Arbeitgeber vornehmen. Dies wird nach Be-rechnungen des Deutschen Industrie- und Handelstageseine Entlastung von 60 Millionen DM bei den Verwal-tungskosten bringen. Das ist, finde ich, ein gutes Ange-bot an die Arbeitgeber.
Wenn hier von der Opposition immer wieder derTopf aufgemacht wird, wir würden die Unternehmen inder Bundesrepublik Deutschland über Gebühr schröp-fen, so möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, Herr Dr.Waigel, daß in den – –
– Ich sagte ja: Ich rufe in Erinnerung. Ich habe nicht ge-sagt, daß Sie etwas gesagt haben. Ich möchte nur bitten,daß Sie sich in Erinnerung bringen, daß die alte Regie-rung
in den Petersberger Steuerbeschlüssen zum BeispielRegelungen zum Thema außerordentliche Einkünftehatte. Das hatten Sie in gleicher Form vorgesehen, wiewir es jetzt tun: Wegfall des halben durchschnittlichenSteuersatzes, statt dessen progressionsmildernde Be-steuerung durch rechnerische Verteilung auf fünf Jahre.Deswegen braucht es hier von seiten der jetzigen Oppo-sition überhaupt kein Geschrei zu geben. Das ist das,was damals sinnvoll war; das haben wir übernommen.Was nicht sinnvoll war, haben wir eben anders gestaltet.
Aus bündnisgrüner Sicht sind die wesentlichen Re-formziele bei der Einkommensteuer erreicht worden: diedringende Entlastung von Durchschnittsverdienern,Aufkommensneutralität, Lichtung des Steuerdschungels.Aber in einigen Punkten wären wir – das müssen wir derEhrlichkeit halber sagen; ich finde es gut, daß wir das sohandhaben können – natürlich gern weitergegangen. Dasist klar.Wir hätten gerne eine stärkere Erhöhung des Kinder-geldes gehabt, um den Kinderfreibetrag überflüssig zumachen. Aber wir denken, daß wir in den nächsten Jah-ren noch Zeit genug haben, um gemeinsam einen Schrittweiterzukommen.
Nachbesserungsbedarf gibt es aus unserer Sicht auchbei der Kilometerpauschale. Nach wie vor setzen wiruns für eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungs-pauschale ein, die auch den Benutzern öffentlicher Ver-kehrsmittel gerecht wird.
Christine Scheel
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336 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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Wir wissen ja, daß die heutige Kilometerpauschale miß-brauchsanfällig ist und weit über den realen Kostenliegt.
Wir wollen uns auch weiterhin für eine weitere Ab-senkung des Spitzensteuersatzes stark machen, um ver-stärkt Impulse für ausländische Unternehmen, die hierinvestieren und bei denen es auch darum geht, was derManager verdient und wie hoch er besteuert wird, zusetzen.Zusammenfassend möchte ich sagen, daß vom vor-gelegten Steuerentlastungsgesetz mit Sicherheit Impulsefür mehr Beschäftigung und Binnennachfrage ausgehenwerden. Daß die bisher in der Bundesrepublik Deutsch-land geäußerten Befürchtungen im Ausland so über-haupt nicht gesehen werden, wie Sie das immer gerndarstellen, zeigt ein Artikel aus der „Financial Times“vom 13. Oktober 1998. Dort steht geschrieben:Dieser Steuerplan gibt einigen Grund zur Hoff-nung. Er ist ziemlich vernünftig und stufenweisevielleicht unvermeidbar angesichts des ungünstigenglobalen Wirtschaftsklimas. Aber seine Betonungauf Transparenz ist ein definitiver Schritt in dierichtige Richtung. Die Entscheidung, den Plan fis-kalisch neutral zu halten, ist ebenso begrüßens-wert. Mit einer Staatsverschuldung von immerhin2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts hat Deutsch-land nicht viel Spielraum für Neuverschuldung.
Das ist eine Aussage, die deutlich macht, wie wir imAusland wahrgenommen werden. Ich finde es sehrschön, daß das so ist.
Außerdem scheint die Börse die Aufregung der kon-servativen Kreise nicht ganz zu teilen. Der DAX hat sichsoweit konsolidiert; die Baisse ist überwunden.
Das hat sicherlich damit zu tun, Herr Glos, daß im Un-ternehmensbereich jetzt das nachgeholt wird, was woan-ders längst üblich ist, nämlich eine objektivierte Gewinn-ermittlung mit reeller Ausweisung der tatsächlichen Ge-winnsituation der Unternehmen. Das ist eine Anpassungan internationale Standards, die sonst von der Industrieimmer eingefordert wurde. Dies tun wir. Ich sage: DieSache ist rund und schafft Steuergerechtigkeit in diesemLand. Wir sind auf einem verdammt guten Weg.
Das Wort hat für die
F.D.P.-Fraktion der Abgeordnete Dr. Hermann Otto
Solms.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke
mich bei Frau Scheel, daß sie so sehr an den Mittelstand
gedacht hat. Nur, das hilft dem Mittelstand, der soge-
nannten Neuen Mitte, nichts. Sie hätten dafür etwas
durchsetzen müssen.
Der ganze Erfolg der Grünen bei der steuerpolitischen
Konzeption war, daß sie die SPD gezwungen haben, den
Spitzensteuersatz von 49 Prozent auf 48,5 Prozent zu
senken. Ein toller Erfolg, immerhin ein halber Prozent-
punkt. Das wird den mittelständischen Unternehmen
nicht helfen.
Ich bestätige ausdrücklich, Herr Poß und Frau Mat-
thäus-Maier, daß Sie bereits ab 1999 damit beginnen,
die Tarife zu senken. Nur, Sie beginnen vorsichtig zu
senken. Aber Sie setzen die Gegenfinanzierung sowie
den Abbau von Steuersubventionen und Abschreibungs-
bedingungen in der Wirtschaft sehr schnell durch.
Das Ergebnis wird sein, daß gerade in der Neuen
Mitte, die dazu beigetragen hat – während des Wahl-
kampfes auf vielfältige Weise vom Bundeskanzler ge-
ködert –, daß anders gewählt wurde, die Betrogenen zu
finden sein werden. Sie müssen die Zeche bezahlen. Die
Belastung für die mittelständischen Unternehmen steigt.
Das ist das Ergebnis. Das wird den Investitionsprozeß,
den wir brauchen, um Arbeitsplätze zu schaffen, eben
nicht in Gang setzen.
Herr Kollege
Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Poß?
Bitte schön.
Herr Kollege Solms, würden
Sie bestätigen, daß auch bei den Plänen von Herrn Wai-
gel, die erste Stufe voll gegenfinanziert war, weil der
Steuersenkungsspielraum auch nach Meinung von
Herrn Waigel nicht gegeben war, höchstens in einem
Umfang von 1,5 Milliarden DM? Diese Zahl hat er je-
denfalls in der Haushaltsdebatte und in seiner Vorlage
zur symmetrischen Finanzplanung genannt.
Der ursprüngli-che Plan war, die erste Stufe aufkommensneutral zu ge-stalten. Ihre erste Stufe ist gerade für die mittelständi-schen Unternehmen nicht aufkommensneutral, sondernführt zu einer erheblichen Mehrbelastung.
Christine Scheel
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Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel hatteauf Grund der guten Entwicklung bei den Steuerein-nahmen vor der Wahl in Aussicht gestellt, daß wir beider ersten Stufe schon eine Nettosteuerentlastung von10 Milliarden DM ermöglichen könnten.
Das ist alles bekannt. Die Haushaltszahlen und die Steu-ermehreinnahmen, wie es Herr Merz auch dargestellthat, würden das auch für Sie zulassen. Aber Sie brau-chen ja das Geld, um Ihre Wahlgeschenke zu finanzie-ren. Deswegen bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als denSteuerzahler, der zu hoch belastet ist, nicht zu entlasten.
Ich bin dem Bundesfinanzminister ausgesprochendankbar, daß er hier bestätigt hat – es ist ja erst ein ande-rer Eindruck erweckt worden –, daß er Systemkorrektu-ren und -reformen im Sozialsystem für notwendig hält.Ich bin dankbar, daß Sie das bestätigen.Nur, was Sie angekündigt haben, ist doch das genaueGegenteil von dem, was Sie tun. Sie wollen die Renten-reform mit dem Einbau eines Altersfaktors aussetzen.Sie wollen eine Frühverrentung einführen. IrgendeinFonds soll das finanzieren. Natürlich müssen das Ar-beitnehmer und Arbeitgeber bezahlen – das wird dazunicht gesagt. Sie wollen die Gesundheitsreform wiederso korrigieren, daß Mehrbelastungen herauskommen.Sie wollen die Lohnfortzahlung korrigieren. Sie wollenden Kündigungsschutz rückabwickeln.All das wird die Belastungen erhöhen und nicht sen-ken, wird weniger Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt er-möglichen und wird ihn belasten. Wenn schon Struktur-reformen, dann richtige!
Ich würde von Ihnen erwarten, daß Sie Ihren Haus-haltsplan, den Sie längst vorgelegt haben müßten – sowie wir unseren Haushaltsplan vor der Bundestagswahlvorgelegt haben –, jedenfalls vor der hessischen Land-tagswahl vorlegen, damit nicht der Eindruck einesWahlbetrugs oder Wahlmanövers entsteht.
Das heißt: spätestens im Januar des nächsten Jahres.Nein, die Tarifreform, die Sie vorlegen, ist nicht aus-reichend. Sie erreichen nämlich nicht die notwendigeSenkung der Steuerbelastung, die Voraussetzung dafürist, daß der Leistungsprozeß angeregt und finanziertwird und daß Investitionen in Gang kommen.Sie vergessen dabei – darüber ist kein Wort gesagtworden –, daß Sie den Solidaritätszuschlag nicht ab-schaffen oder senken wollen. Wenn Sie ihn zum Spit-zensteuersatz addieren, bleiben Sie bei über 50 Prozent.Das ist eine viel zu hohe Besteuerung, die eine entspre-chende Abwehr in der Öffentlichkeit erzeugen wird.
Das kann so nicht weitergehen.Wissen Sie, was Ihr zentraler Fehler ist? – Wie Siedie Menschen hinters Licht führen wollen. Sie rechnenSteuerbelastung und -entlastung und Kindergeld zu-sammen. Nur, das Kindergeld nützt den Familien mitKindern.
Das ist aber ein kleinerer Prozentsatz.Die große Masse der Arbeitnehmer, die zu einem gutTeil nicht vom Kindergeld begünstigt wird, wird da-durch nicht entlastet. Deren Steuerbelastung bleibt hoch.Gerade die vom Bundesfinanzminister angeführtenFacharbeiter – Krankenschwestern, Fernfahrer und werdabei alles zu nennen ist – werden eben fast nicht entla-stet, weil Sie den Tarif zwischen dem entlasteten Ein-gangssteuersatz und dem gesenkten Spitzensteuersatzkaum korrigieren. In diesem Bereich schlägt der Tarifzu.
Daher müssen die Facharbeiter weiterhin die hohenGrenzsteuersätze in Kauf nehmen.
Das führt dazu, daß es nicht nur die kleinen undmittleren Unternehmen sind, die diese Last zu tragenhaben, sondern daß es eben auch die Facharbeiter sind,die diese Last zu tragen haben. Das sind die beidenGruppen, die die Wirtschaft in Gang halten und den Lei-stungsprozeß voranbringen. Um deren Entlastung wärees in Wirklichkeit gegangen.
Das Steuerrecht wird durch Ihre Vorschläge auchnicht einfacher. Sie führen zwei neue Steuerarten ein.Wann hat es das gegeben? Wir haben in den letzten Jah-ren viele Steuerarten beseitigt. Eine Mindeststeuer undeine Stromsteuer sind die zwei neuen Steuerarten.Bei der Mindeststeuer ist sowieso die Frage, ob sieverfassungsrechtlich möglich ist. Sie wollen die soge-nannten passiven Einkünfte besteuern, obwohl bei-spielsweise die Tätigkeit im Immobilienbereich keinepassive Tätigkeit ist. Damit erreichen Sie außerdem einezusätzliche Steuerungerechtigkeit, weil Einkünfte unter-schiedlich behandelt werden: die einen mit Mindeststeu-er, die anderen ohne Mindeststeuer. Überlegen Sie sichnoch einmal, ob Sie dabei bleiben wollen.Die Stromsteuer führt uns zu dem Thema Einstieg indie ökologische Steuerreform. Was ist darüber alles ver-breitet worden, und was ist dabei herausgekommen? DieGrünen, ruhmreich wie häufig, sind angetreten mit5 DM pro Liter Benzin und sind bei 6 Pfennig mehr ge-landet. Tolle Leistung! 6 Pfennig Erhöhung der Mine-ralölsteuer wird das Verhalten der Verbraucher in kei-ner Weise ändern.
Dr. Hermann Otto Solms
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338 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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Das wird also keine ökologische Wirkung auslösen.Wegen eines um 6 Pfennig höheren Benzinpreises wirdniemand einen Kilometer weniger fahren. Das zeigt, daßdie ökologische Steuerreform nichts anderes als einegute Begründung für mehr Steuereinnahmen ist. Darumgeht es Ihnen ja auch.
Sie brauchen diese Steuereinnahmen eben, um dieverschiedenen Wahlgeschenke zu finanzieren.
– Die Wahlgeschenke, mit denen Sie die Wähler derMitte geködert haben, beispielsweise die Kindergelder-höhung, die Gesundheitspolitik, die Senkung der Ren-tenversicherungsbeiträge,
aber auch der interessante neue Vorschlag vom Bundes-finanzminister – den ich mit Interesse zur Kenntnis ge-nommen habe –, die Pflegeversicherung durch Steuernzu finanzieren. Das ist ein interessanter Vorschlag.Herr Lafontaine, wo waren Sie als Ministerpräsidentdes Saarlandes, als es um die Einführung der Pflegever-sicherung ging? Die F.D.P. hat damals händeringend ge-fordert und nach Unterstützung gesucht, die Pflegeversi-cherung einzuführen. Sie sollte allerdings anders finan-ziert werden, nicht im Umlageverfahren, sondern imKapitaldeckungsverfahren.
Man hätte natürlich die Lösung finden können, diePflegeversicherung für die pflegenahen Jahrgänge vor-übergehend steuerzufinanzieren und für die jüngerenJahrgänge ein eigenständiges, kapitalgedecktes Versi-cherungssystem aufzubauen. Aber, Herr Bundesfinanz-minister, auch das Saarland hat damals einem Antragdes Bundesrates zugestimmt – 16 : 0 Stimmen –, dieumlagefinanzierte Pflegeversicherung einzuführen. Ichwill keine alten Wunden wieder öffnen. Ich sage nur:Wir sehen jetzt, daß diese Entscheidung falsch war, weilsie dazu beigetragen hat, daß die Arbeitsplätze durchhöhere Lohnzusatzkosten auf Grund der Beiträge zurPflegeversicherung belastet werden. Wir erkennen, daßwir von diesem Weg herunterkommen müssen.
Insofern bin ich gern bereit, in der Zukunft über dieseFrage mit Ihnen zu diskutieren. Aber das muß im Sinneeiner Übergangsregelung durch Steuerfinanzierung ge-schehen, die zu einer individuellen, kapitalgedecktenPflegeversicherung hinführen muß.Ihre Pläne zu einer Steuerreform sind so chaotisch undwirr, weil Sie versucht haben, die unterschiedlichsten In-teressen miteinander zu verbinden. Dabei herausgekom-men ist eben nur der kleinste gemeinsame Nenner.Das Ergebnis der Steuerreform wird sein, daß dieje-nigen, auf die es ankommt, nämlich die Facharbeiter, dieLeistungsbereiten, die Leistungsträger der Gesellschaft,die Ingenieure, aber auch die kleinen und mittleren Un-ternehmen – zum Beispiel die Handwerker –, die dieArbeitsplätze anbieten müssen, die Geld in die Handnehmen müssen, um etwas auf den Weg zu bringen undzu investieren, enttäuscht sind, sich abwenden werdenund möglicherweise ins Ausland gehen werden. Genaudas ist die Gefahr, die damit verbunden ist.Das Hinausschieben auf neue Kommissionen führtdazu, daß wir wichtige Jahre verlieren, in denen wir imWettbewerb mit den Konkurrenzländern in Europa undin der Welt zurückfallen werden. Ich kann nur an Sieappellieren: Überprüfen Sie Ihre Pläne, machen Sie mituns eine Steuerreform, die für niedrigere Steuersätzesorgt und das Steuersystem einfacher und gerechtermacht. Nur dann erzielen wir die notwendige Wirkung.Wir müssen uns an den Konkurrenzländern und derenSteuersystemen messen. Wenn wir deren Niveau nichterreichen, dann fallen wir zurück. Ihre Pläne taugennichts.Vielen Dank.
Das Wort hat für die
PDS-Fraktion Frau Dr. Christa Luft.
Herr Präsident! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Wenn es wirklich so wäre,wie die Abgeordneten der Fraktionen von CDU/CSUund F.D.P., die hier gesprochen haben, gesagt haben,daß eine sinkende Steuerbelastung der Wirtschaft zumehr Arbeitsplätzen führt, dann hätte es in der Zeit derRegierung Kohl geradezu einen Beschäftigungsboomgeben müssen.
Denn es war die Regierung Kohl, die die Vermögen-steuer ausgesetzt hat. Sie hat die Körperschaftsteuer re-duziert. Sie hat den Solidarbeitrag für die Unternehmengesenkt, und sie hat die Gewerbekapitalsteuer abge-schafft. Der Anteil der Unternehmensteuern am Ge-samtsteueraufkommen in diesem Lande beträgt nochganze 18 Prozent.Ich habe aber nicht vernommen, daß die Wirtschaftinzwischen ihre nicht unerheblichen Ansprüche an dieFinanzierung öffentlicher Leistungen zurückgenommenhat. Ich denke beispielsweise an eine exzellente öffent-lich finanzierte Infrastruktur, die wir in diesem Landehaben und die ein hervorragender Wettbewerbsfaktor ist.Ich denke an Kultur und an eine gute Schulbildung derLehrlinge, die die Arbeitgeber aufzunehmen haben. Eswird immer wieder verlangt, daß die Lehrlinge, wenn siein die Ausbildung kommen, mehr Schulbildung mitbrin-gen müssen. Dies alles stellt höhere Anforderungen andie Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen. Das alles istteuer, das alles muß die öffentliche Hand bezahlen. Die-sen Zusammenhang zwischen dem, was man von der öf-fentlichen Hand fordert, und dem, was man in den öf-Dr. Hermann Otto Solms
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 339
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fentlichen Topf hineinzutun bereit ist, muß die Wirt-schaft natürlich erkennen und beachten.
Trotz der erheblichen Steuerentlastungen in den ver-gangenen Jahren beobachteten wir aber einen ganz rigi-den Personalabbau. Insbesondere die Großunterneh-men haben Scheinselbständige produziert, um sich vonSozialabgaben zu entlasten. Ihre wachsenden Gewinneaber investierten sie nicht in die Produktion, um damitBeschäftigung zu schaffen, sondern sie nutzten wach-sende Gewinne für Finanzanlagen und Immobilienge-schäfte. Wie man diese spekulativen Geschäfte bekämp-fen oder zumindest begrenzen kann, davon habe ich vonder CDU/CSU und vom F.D.P.-Sprecher leider nichtsvernommen.
Insofern ist das jetzt einsetzende Standortverschlechte-rungsgeschrei der Vertreter der Großindustrie wirklichfehl am Platze. Hoffentlich läßt sich die neue Bundesre-gierung davon auch nicht beeindrucken.Als durchsichtig empfinde ich es auch, wenn sich dieGroßindustrie nun zum Fürsprecher des Mittelstandesmacht.
Wenn sie wirklich mit dem Mittelstand solidarisch seinwollte, dann hätte sie ihn längst entlastet, indem sie sichan den erheblichen Kosten für die Ausbildung jungerMenschen beteiligt hätte. Damit läßt sie jedoch denMittelstand, Handwerk und Gewerbe, allein. Gleichwohlmacht sie sich jetzt zum angeblichen Fürsprecher desMittelstandes; das ist schon ziemlich zynisch.Wir jedenfalls halten den vorgesehenen Abbau dersteuerlichen Bevorzugung von Großunternehmen für ge-rechtfertigt. Wir halten das auch für fair gegenüber demMittelstand, der die meisten Arbeitsplätze und Ausbil-dungsplätze in diesem Lande schafft.
Wir könnten uns eine stärkere Förderung des Mittel-standes vorstellen, indem insbesondere eine direkteWirtschaftsförderung und nicht nur eine Förderung aufdem indirekten Wege, also über Steuerentlastungen er-folgt.
Wir brauchen hier einen anderen Ansatz; den sollten wirnicht aus dem Auge verlieren.Vorbehaltlos ja sagen wir ebenfalls zur stärkeren Be-steuerung von Veräußerungsgewinnen beim Handelmit Wertpapieren und privaten, nicht selbstgenutztenGrundstücken. Das ist endlich der Einstieg in die Spe-kulationsbekämpfung. Auch wir haben das lange gefor-dert, und diese Tendenz unterstützen wir ausdrücklich.
Meine Damen und Herren, das hat nichts mit Sozial-neid zu tun, sondern das ist ein Gebot sozialer Gerech-tigkeit. Es ist unsere Verpflichtung, die Sozialpflicht desEigentums, die die Verfassung dieses Landes vorsieht,einzufordern.
Es muß doch aufhören, daß das Steuerrecht für eine Ge-sellschaftspolitik zielgebend ist, wie es die alte Bundes-regierung vorhatte. Es muß doch umgekehrt sein: Ge-sellschaftspolitische Ziele müssen Steuerpolitik undSteuerrecht bestimmen.
Insofern unterstützen wir die Intention des neuen Bun-desfinanzministers.Aber, Herr Bundesfinanzminister, es gibt auchSchritte in Ihrem uns vorgelegten Paket, das ja ziemlichumfangreich ist, die uns auf dem Wege zu mehr sozialerGerechtigkeit viel zu kurz ausgefallen sind. Ich nennezum Beispiel die Senkung des Eingangssteuersatzes unddie Kindergelderhöhung.Die marginale Senkung des Eingangssteuersatzes1999 wird – das vermute ich – durch Mieterhöhungen,durch Erhöhung von Abgaben und von Tarifen aufge-fressen werden, wie sie sich in den Kommunen undüberall in diesem Lande anbahnt.Bei dem Schrittmaß, mit dem Sie die Kindergelder-höhung angehen – Sie wollen es in vier Jahren um40 DM anheben –, bräuchten wir mehr als eine Genera-tion, um an das Existenzminimum von Kindern heran-zukommen. Das ist keine akzeptable Aussicht,
zumal diese Regierung bei der Familienpolitik neueMaßstäbe setzen will, was wir natürlich ausdrücklichunterstützen. Frau Scheel, wir werden Sie an das erin-nern, was Sie eben gesagt haben: daß auch Sie sich einhöheres Schrittempo bei der Erhöhung des Kindergeldesvorstellen könnten. Wir werden darauf zurückkommenund meinen, daß im Laufe dieser Legislaturperiode da-für noch Nachbesserungen notwendig sind.Warum könnte man nicht, Herr Bundesfinanzminister– auch das sollte in dem Katalog der Überlegungen ei-nen Platz finden können –, einen ermäßigten Mehrwert-steuersatz für Kinderbekleidung und Kinderschuhe insAuge fassen?
Wer Kinder oder Enkelkinder hat, der weiß, wie vieleHundertmarkscheine jeden Monat herausgehen, vor al-lem bei Kindern, die sich noch in der Wachstumsphasebefinden.
Auf jeden Fall – das ist unsere grundsätzliche Kritikan Ihrem Entwurf –: Mit den vorgesehenen richtigen,aber doch sehr marginalen Verbesserungen für untereEinkommen und Familien läßt sich nicht kaschieren, daßSie die Wurzeln der in 16 Jahren Kohl-Regierung ent-standenen sozialen Schieflage in diesem Lande nur sehr,sehr zaghaft anpacken. Der Zustand wird doch eher ein-gefroren. Ich nenne den Grundfreibetrag.Dr. Christa Luft
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340 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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Die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimumsauf 13 000 DM im Jahre 1999 läßt sich nun wahrlichnicht als große Errungenschaft verkaufen. Die SPD warin der vergangenen Legislaturperiode der Auffassung,daß dieser Grundfreibetrag bereits 1996 auf 13 000 DMzu erhöhen sei. Die Bündnisgrünen sprachen damals vonmindestens 14 000 DM, um dem Gebot des Bundesver-fassungsgerichtes nach Steuerfreistellung des Existenz-minimums gerecht zu werden. Berücksichtigt man dieErhöhung der Lebenshaltungskosten seit 1996, dannsind 13 000 DM und auch die 14 000 DM, die ab demJahr 2002 als steuerfreies Existenzminimum vorgesehensind, zu gering.Die Nationale Armutskonferenz hat sich Anfangdieses Monats dafür ausgesprochen, den Grundfreibe-trag auf etwa 17 000 DM anzuheben, und das ist auchunsere Forderung.
Den Spitzensteuersatz wollen Sie, beginnend mitdem Jahr 2000, senken. Wir sehen, ehrlich gestanden,dafür keine Spielräume. Auch das ist kein Ausdruck vonSozialneid. Ich kann daran erinnern, daß es erst wenigeMonate her ist, daß die Finanzexpertinnen und -expertender SPD-Bundestagsfraktion ebenfalls keine Spielräumefür eine Absenkung des Spitzensteuersatzes gesehen ha-ben. Ich frage mich: Wo ist denn dieser Spielraum inden wenigen Monaten hergekommen?Was tatsächlich an Vergünstigungen für Besserver-dienende und Unternehmen abgebaut wird, bleibt bis-lang noch unklar. Jeden Tag gelingt es mal diesem, maljenem Minister, mal auch den Unternehmerverbänden,die Streichliste weiter schrumpfen zu lassen. Herr Bun-desfinanzminister, Sie werden sich, wenn das mit derSchrumpfung der Streichliste so weitergeht, bei gleich-bleibender Wirtschaftsentwicklung ganz erhebliche Fi-nanznöte organisieren.Unsere Forderung ist, daß die Mehreinnahmen durchdie Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht zurFinanzierung der Senkung der Spitzensteuersätze bei derEinkommen- und Körperschaftsteuer, sondern zur Erhö-hung des Grundfreibetrages und zur Senkung des Ein-gangssteuersatzes genutzt werden.
Damit könnte ein wirksamer Beitrag zur Entlastung ge-rade unterer und mittlerer Einkommen und auch derkleinen und mittleren Unternehmen geleistet werden.Ein darüber hinausgehendes freies Finanzierungsvolu-men sollte für eine steuerbegünstigte Investitionsrück-lage verwendet werden, die aus unserer Sicht für denMittelstand ebenfalls unendlich wichtig wäre.Wenn ich sage, daß Sie soziale Ungerechtigkeit ehereinfrieren als spürbar abbauen, dann meine ich damitbeispielsweise, daß Sie unverständlicherweise auf diesofortige Wiedererhebung der Vermögensteuer ver-zichten. Milliarden lassen Sie sich auf diese Weise ent-gehen. Wir können das nicht verstehen und stoßen heutemit einem entsprechendem Antrag dazu die Debatte indiesem Hause wieder an.Eine weitere Kritik: Die Steuerreformpläne erweckenüber weite Teile den Eindruck, als habe man bei derSPD nicht so richtig mit dem Wahlsieg gerechnet. Dennsonst müßten Sie doch schon viel mehr ausgearbeiteteKonzepte in der Schublade haben. Aber hier wird vielesauf dem Verschiebebahnhof verschoben,
indem man eine Kommission hierfür, eine Kommissiondafür bildet. Früher haben wir in der DDR gesagt: Wenndu nicht mehr weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis!
Ich denke, die SPD hatte Zeit genug, ihre Pläne ausgear-beitet in der Schublade zu haben.Ich komme zum Schluß und sage Ihnen, meine Da-men und Herren: Der Bundeskanzler hat in seiner Regie-rungserklärung mehr Mut zum Ausprobieren neuer Mo-delle gefordert. Auf steuerpolitischem Gebiet, meinenwir, könnte ein Weg dafür sein, beispielsweise über eineWertschöpfungsabgabe nachzudenken, mit der nichtnur die Personalkosten mit Sozialversicherungsausgabenbelegt werden, sondern die gesamte Wirtschaftsleistung.Das würde die personalintensiven kleinen und mittlerenUnternehmen entlasten. Die PDS wurde bei der Bun-destagswahl 1998 von 30 Prozent der Selbständigen inden neuen Ländern gewählt. Sie können uns glauben –wir sind dort mit vielen im Gespräch –, daß diese sicheinen solchen Weg sehr wünschen.
Ich muß Sie bitten,
zum Schluß zu kommen.
Ja.
Man könnte auch neue Modelle ausprobieren. So
könnte eine Debatte über eine Devisentransaktionssteu-
er, zunächst zwischen den Ländern der Europäischen
Union und schließlich darüber hinaus, angeschoben
werden. All das wären aus unserer Sicht angemessene
Innovationen.
Wir werden an Ihrer Seite stehen, Herr Bundes-
finanzminister, wenn es darum geht, durch die Steuer-
politik soziale Gerechtigkeit zu befördern, Anreize für
die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu stimulieren und die
Binnennachfrage anzufachen.
Danke schön.
Das Wort hat für die
SPD-Fraktion die Kollegin Frau Ingrid Matthäus-Maier.
Sehr geehrter HerrPräsident Seiters! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Eine Bemerkung vorweg: Auch Herr Merz hat einesüffisante Bemerkung darüber gemacht, daß sich ChristaMüller, die Frau des Finanzministers, zur Wirtschafts-Dr. Christa Luft
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und Finanzpolitik äußert. Das geht nun schon die ganzeWoche so. Ich habe mir das angehört. Es begann mitHerrn Schäuble und ging mit anderen weiter, so kam daszum Beispiel gleich mehrfach in der Rede von HerrnWissmann vor, der ja ein ausgewiesener Spezialist fürdas partnerschaftliche Zusammenleben von Mann undFrau ist.
Ich sage Ihnen – ich hoffe, daß damit die Debatte dar-über in dieser Woche ein Ende hat,
– wer austeilt, muß auch einstecken, meine Damen undHerren, ich war dabei, als Herr Wissmann hier geredethat: Die Zeiten, in denen Ehepartner von führendenPolitikern Denk- und Diskussionsverbot hatten, sindendgültig vorbei. Und das ist gut so.
Wenn Sie meinen, daß Sie mit solch einem Macho-Gerede Wähler und Wählerinnen zurückgewinnen, lie-gen Sie schief. Deswegen bitte ich Sie, das zu lassen.
Die SPD hält Wort: Keine drei Wochen nach derKanzlerwahl liegt dem Deutschen Bundestag der Ge-setzentwurf zur großen Steuerreform vor. Die SPD istvon der Opposition in die Regierungsverantwortung ineinem Tempo durchgestartet, von dem die heutige Op-position nur träumen kann.
Aber nicht nur das Tempo der Politik hat sich geändert,auch der Inhalt der Politik und schließlich auch noch –das ist ganz wichtig – der Stil der Politik. Nachdem esvorher jede Menge Steuerlügen gegeben hat, können wirnämlich ein Gesetzespaket vorlegen, in dem genau dasverwirklicht wird, was wir vor der Wahl versprochenhaben. Das hat es in diesem Lande in steuerpolitischenFragen selten gegeben. Es ist gut, daß wir das ändern.
Wir haben versprochen, drei Schwerpunkte anzuge-hen: Erstens. Wir stoppen die bisherigen Umverteilun-gen zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Familien undentlasten eine Familie mit zwei Kindern und durch-schnittlichem Einkommen stufenweise. Im nächstenJahr werden es 1 000 DM sein, im Jahre 2002 sogar2 700 DM.Zweitens. Wir senken die Steuersätze für die Unter-nehmen, für die großen, aber auch für den Mittelstand,und reduzieren dafür Ausnahmeregelungen, Schlupflö-cher, Steuervergünstigungen und Rückstellmöglichkei-ten auf ein international übliches Niveau.Drittens. Wir steigen in eine ökologische Steuerre-form ein, in der die Entlastung der Arbeit durch eineVerteuerung der Energie finanziert wird. Wir beginnendamit schon 1999. Der Rentenversicherungsbeitrag, sohat es Herr Riester vorgestern gesagt, wird am 1. Januar1999 auf 19,5 Prozent abgesenkt, nachdem Sie ihn dau-ernd angehoben haben.Drei Wochen, nachdem wir die politische Mehrheiterhalten haben, haben wir in drei wichtigen Fragen das,was wir versprochen haben, eingehalten. Darauf sind wirstolz, meine Damen und Herren.
Zum ersten Schwerpunkt gehören die Anhebung desGrundfreibetrages und die Absenkung des Eingangs-steuersatzes. Beides, besonders aber die Anhebung desGrundfreibetrages, ist geboten, – vor allen Dingen ver-fassungsrechtlich. Meine Damen und Herren von derOpposition, ich habe nie verstanden, warum Sie nichtmit uns zusammen den Grundfreibetrag, also das steu-erfreie Existenzminimum, auf 14 000 DM im Jahr erhö-hen wollen. Sie haben doch immer das Thema Lohnab-standsgebot, also einen ausreichenden Abstand zwischenSozialhilfe und niedrigen Einkommen, in die Debattegebracht. Sie reden doch so gerne davon, daß sich Lei-stung lohnen muß. Dies ist ein guter Satz; er darf abernicht auf Ihre Weise interpretiert werden. Sie argumen-tieren nämlich folgendermaßen: Leistung muß sich loh-nen! Frage: Wer leistet etwas? Antwort: Derjenige lei-stet etwas, der viel verdient. Folge: Derjenige, der vielverdient, muß noch etwas oben draufgelegt bekommen.Sie wollen daher die Steuersätze insbesondere für Spit-zenverdiener senken.Das ist nicht unsere Philosophie. Für uns ist derjenigeLeistungsträger, der eine Familie ernährt, der Kindergroßzieht, der morgens ins Büro oder an die Werkbankgeht. Diese Menschen sind bei Ihnen und Ihrer Steuer-politik schmählich unter die Räder gekommen. Das hörtauf.
Frau Kollegin Matt-
häus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Thiele?
Bitte.
Frau Kollegin Matt-häus-Maier, würden Sie dem Hohen Haus bestätigen,daß in der letzten Periode das Existenzminimum für alleSteuerpflichtigen, auch für Kinder, von der alten Koali-tion erheblich erhöht wurde, daß der Familienleistungs-ausgleich komplett neu geregelt wurde und daß das Kin-dergeld von seinerzeit 70 DM auf derzeit 220 DM er-Ingrid Matthäus-Maier
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höht wurde? Wir haben also erhebliche Leistungen fürdie Familien erbracht.
Und können Sie bestätigen, daß durch das Jahressteu-ergesetz 1996 und durch den Fortfall des Kohlepfennigsim Jahre 1996 die Bürger in unserem Lande mit etwa30 Milliarden DM entlastet wurden und daß insbesonde-re die niedrigen Einkommen diese Entlastung erfahrenhaben?
Herr Kollege, essteht fest, daß nicht Sie, die alte Koalition, sondern wir,der Bundestag, zusammen mit dem Bundesrat und demVermittlungsausschuß das Kindergeld erhöht haben.Ich darf daran erinnern, daß Herr Waigel bis zum letztenTag dagegen war, das Kindergeld von 70 DM weiter an-zuheben. Wir haben es gegen Ihren Widerstand durch-gesetzt.
Bis zum letzten Tag in diesem Wahlkampf haben Siegesagt: 250 DM Kindergeld ist nicht drin. Viele vonIhnen haben die Erhöhung des Kindergeldes herab-würdigend als eine Art Steuergeschenk bezeichnet, wasman besser sein lasse, womit man sich Wähler kaufenwürde. Ist Ihnen nicht klar, daß nicht nur der normaleSteuerzahler das Recht auf ein steuerfreies Existenz-minimum hat – das erreichen wir über den Grundfreibe-trag –, sondern daß auch die Familien mit Kindern dasRecht auf Steuerfreiheit in Höhe der Kosten für dieAusgaben für die Kinder haben? Die Steuerfreistellunggeschieht in Deutschland zu 95 Prozent über das Kin-dergeld. Deswegen ist es notwendig, daß wir entgegenIhren dauernden Äußerungen das Kindergeld auf250 DM anheben.Auch den Grundfreibetrag wollen Sie nicht auf14 000 DM anheben. Wenn sich Ihre Meinung in dieserFrage geändert hat – nach Ihrer Zwischenfrage zuschließen, könnte das der Fall sein –, dann kann ich nursagen: Machen Sie mit uns mit! Das Angebot liegt vor.Es ist nichts einfacher, als daß Sie zustimmen.
Daß auch Spitzenforscher – ich will das einmal so sa-gen – nicht vor Torheit in dieser Frage geschützt sind,sieht man daran, daß in ihrem Herbstgutachten die sechswirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute mei-nen, man könnte auf die Erhöhung des Transfers – ge-meint war das Kindergeld – verzichten, um etwas ande-res mit dem Geld zu finanzieren.
Ich darf Ihnen einmal § 31 des Einkommensteuergeset-zes vorlesen, damit dieser Quatsch, von einem Wahlge-schenk zu reden, aufhört.Die steuerliche Freistellung eines Einkommensbe-trags in Höhe des Existenzminimums eines Kindeswird durch den Kinderfreibetrag . . . oder durch dasKindergeld . . . bewirkt.Sie sehen, ein Blick in das Gesetz erleichtert manchmaldie Rechtsfindung.
Wir werden im Jahre 2002 die Höhe des Kindergel-des auf 260 DM anheben. Wir finanzieren das durcheine wirklich maßvolle Reduzierung des Ehegatten-splittings, beginnend oberhalb eines zu versteuerndenEinkommens von 170 000 DM.
Ich habe in diesem Hause oft darüber gesprochen, aberlassen Sie mich eines dazu sagen: Wir gelten steuerlichauf der ganzen Welt als ein besonders ehefreundlichesLand, nicht aber als ein kinderfreundliches. Denn wennSie sechs Kinder haben und großziehen, erhalten Siekeine so hohe Steuerentlastung wie ein Ehepaar miteinem hohen Einkommen, das keine Kinder hat. Wosind wir eigentlich hingekommen?
Erst ab dem siebten Kind haben Sie mehr Kindergeld,als im Vergleich dazu der maximale Splittingvorteil er-geben würde. Wenn wir das ein wenig umschichten,dann ist das eine maßvolle, richtige Reform.Frau Eichhorn sagte in diesen Tagen, sie habe Zwei-fel an der Wirksamkeit der Kindergelderhöhung. Denndas Kindergeld für das erste und das zweite Kind seinicht so wichtig. Wichtiger sei die Höhe des Kindergel-des für Familien mit mehr Kindern. Liebe Frau Eich-horn, vielleicht ist Ihnen entgangen, daß eine Familiemit vier oder fünf Kindern auch ein erstes und einzweites Kind hat. Auch diese Familie wird also eindeu-tig entlastet.
Herr Merz sagte in seiner Rede, eine Erhöhung desKindergeldes sei nicht in Ordnung.
– Also gut, es ist doch in Ordnung. – Eigentlich finde eres nicht so gut. Denn was habe der Familienvater davon,wenn er mehr Kindergeld habe, aber arbeitslos werde?Das führt zu einer grundsätzlich unterschiedlichenBetrachtungsweise dessen, was wir hier tun. Meine Par-tei war immer der Ansicht, es sei ein vernünftiges Mit-einander von Nachfragepolitik und Angebotspolitik er-forderlich. Klar ist auch: Wenn ein Familienvater nichtgenug Geld in der Tasche hat, um einzukaufen, dannCarl-Ludwig Thiele
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kann auch die Wirtschaft nicht die Produkte verkaufen,die sie gerne verkaufen möchte.Ich weiß, daß Sie das nie glauben, wenn die SPD dassagt. Das betrifft das alte Wort von Ford: Autos kaufenkeine Autos. Aber ich las in diesen Tagen ein Wort desBMW-Chefs Pischetsrieder; vielleicht überzeugt Sie daseher. Er sagte:Arbeitsplätze werden nicht von Unternehmen ge-schaffen,– das ist eben ein weitverbreiteter Irrtum –sondern von Kunden. Nur wenn wir Kunden fin-den, die unsere Produkte oder Dienstleistungen soattraktiv finden, daß sie bereit sind, Teile ihres Ein-kommens dafür auszugeben, dann können wir mehrArbeitsplätze schaffen.Deswegen sage ich Ihnen: Eine richtige Mischung vonAngebots- und Nachfragepolitik zu schaffen, diese Poli-tik unterscheidet uns von Ihrer. Dafür hat uns der Wäh-ler eine Mehrheit gegeben. Denn Ihre Politik war abge-wirtschaftet.
Wir werden die Steuerreform in Stufen durchführen.Im Jahre 2002 wird es zu einer Nettoentlastung in Höhevon 15 Milliarden DM kommen.In den Zeitungen ist zu lesen, daß man uns mehr Mutgewünscht hätte, daß wir kleinmütig seien. Mein Ein-druck ist, daß viele, die so vornehm von „mehr Mut“sprechen, mehr Schulden meinen.
Manche sagen es auch. Ich habe zum Beispiel ein In-terview mit Herrn Wohlers, einem Vertreter der For-schungsinstitute, gelesen. Er sagte zur Steuerreform un-serer Koalition, ein etwas höheres Staatsdefizit kollidie-re nicht mit den Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages. Ich hätte eigentlich erwartet, daß dieser Herrnicht nur den Maastricht-Vertrag kennt, sondern auchArt. 115 des Grundgesetzes. Nachdem Herr Waigel unseinen Haushalt lieferte, der bei den Ausgaben für Inve-stitionen nur 1 Milliarde DM über dem Betrag der Ver-schuldung liegt, wäre es wirklich fahrlässig zu meinen,hier könnte man netto noch etwas drauflegen.
Oder ein von mir wirklich geschätzter Journalistschreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ noch offener:Es ehrt Rotgrün, daß es keine Schuldenwirtschaftbetreiben will. Auf dem Wege zu einer durchschla-genden Steuerreform aber ist soviel Seriosität hin-derlich. Es wäre besser, die Steuersätze kompro-mißlos zu drücken und dafür steigende Haushalts-defizite in Kauf zu nehmen.Nein, ich antworte: Finanzpolitische Seriosität ist niehinderlich. Gerechte Steuern und solide Finanzen gehö-ren zusammen. Wir haben vor der Wahl versprochen:Unsere Steuerreform ist bescheidener, aber solide finan-ziert. Dafür haben wir den Wählerauftrag. Das werdenwir tun.
Ein weiterer Schwerpunkt: Senkung der Unterneh-mensteuersätze, nicht nur für die Großen, sondern auchfür Mittelstand, Handwerk und Einzelhandel auf 35 Pro-zent in Stufen und dafür Beseitigung bzw. Reduzierungvon Ausnahmen und Rückstellungsmöglichkeiten.Das Feldgeschrei, das entstanden ist, hatte ich erwar-tet. Ich will nicht verhehlen: Ich habe meine Partei im-mer gewarnt, daß die Steuersenkungen sehr schnell ein-kassiert würden, aber bei jeder Gegenfinanzierungsmaß-nahme ein großes Wehklagen anheben würde. Aber hierhandelt insbesondere die Wirtschaft nach dem Systemder Rosinenpicker. Sie sagt: Steuersätze wie in Amerikaund die Ausnahmen weg. Tatsächlich aber wollen siesich die Rosinen aus beiden Systemen herauspicken,nämlich niedrige Steuersätze wie in Amerika und vieleAusnahmen wie in Deutschland. Beides geht aber nichtzusammen. Das werden wir auch nicht tun.
Drei Argumente, warum dieses Wehklagen nicht be-sonders glaubwürdig ist. Erstes Argument: Hätten wirder Steuerreform von CDU/CSU und F.D.P. im letztenJahr zugestimmt – wozu uns die Wirtschaftsverbändeaufgefordert hatten –, dann würde der Großteil der Ge-genfinanzierungsmaßnahmen, über die sie jetzt klagen,bereits im Gesetzblatt stehen. Es kann ja wohl nicht sein,daß Gegenfinanzierung bei Schwarzgelb besser als beiRotgrün ist.Zweitens. Sie finden bei denen, die uns sagen, wirsollten die Steuersätze senken und viele Ausnahmenabschaffen, dann, wenn es um Ihren persönlichen ge-schäftlichen Bereich geht, immer wieder genau die ent-gegengesetzte Haltung.Mir kommt ein neues Buch in die Hand: „Aktie, Ar-beit, Aufschwung“ mit einem Vorwort von Rolf E.Breuer. Beredte Forderung, daß die Steuersätze gesenktund keine Ausnahmen gemacht werden sollen. Dann le-se ich auf Seite 153:Weiteren Auftrieb könnte der Finanzplatz durch ei-ne andere steuerliche Ausnahmebestimmung er-halten: eine zeitlich befristete Senkung der Steuer-sätze für ausländische Experten. Dabei sollte mannicht bei Halbherzigkeiten bleiben. Das Beste wäreeine vollständige Steuerfreiheit auf fünf Jahre. Dashätte mit den sonstigen Ausnahmebestimmungen,etwa Verlustzuweisungen und Sonderpauschbeträ-ge für einzelne Berufsgruppen, nichts gemein.Nein, es ist unglaubwürdig, das Prinzip zu fordern undbei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit vonuns Politikern dann eine Sondervorschrift für die eigeneKlientel zu verlangen.
Ingrid Matthäus-Maier
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344 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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Drittes Beispiel – ich muß zugeben, ich wußte nichtrecht, ob ich mich nun ärgern sollte oder ob es geradezuunverschämt ist –: Heute morgen steht in der Zeitung,wie sich die Versicherungswirtschaft über unsere Plänebeschwert. Eigentlich hatte ich erwartet, es kämen Dan-kesschreiben. Ich erinnere mich daran, daß im Steuerre-formpaket der alten Koalition zum Beispiel eine scharfeBesteuerung der Lebensversicherung vorgesehen war,und zwar im Bestand. So etwas gibt es bei uns nicht.Trotzdem beschwert sich die Versicherungswirtschaft.Ich lese Ihnen einmal einen Kommentar von meiner ört-lichen Zeitung, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, vor. Sieschreibt:Jammern gehört zum Geschäft, das ist beim Versi-cherungsverband nicht anders als bei anderen Lob-byisten. Doch sollten die Versicherer bei ihrer Kri-tik an den Bonner Steuerplänen die Kirche im Dorflassen. . . . Viele Konkurrenten im Ausland benei-den die hiesigen Unternehmen seit langem um dieüppigen Abschreibungs- und Rückstellungsregeln . . .Platte Drohungen, man werde Stellen abbauen,Ausbildungsplätze kürzen oder gar ins Auslandabwandern, sind vor diesem Hintergrund ziemlichfehl am Platze. Rationalisieren wird die Branche,die in den letzten sechs Jahren bereits rund 20 000Stellen strich, weiterhin, auch ohne die BonnerPläne.Daß Sie uns deswegen angreifen und uns den Ar-beitsplatzabbau, den die Unternehmen zwecks Rationa-lisierung ohnehin vorhatten, in die Schuhe schiebenwollen, weise ich zurück. Manche bekommen den Halsnicht voll.
Nun zum Mittelstand. Viele vergessen, daß sowohlvon der Verbesserung des Grundfreibetrages als auchvon der Senkung des Eingangssteuersatzes und der Er-höhung des Kindergeldes selbstverständlich auch derMittelstand, Handwerker und Einzelhändler, profitiert.Da gesagt wird, es gebe diese und jene Mehrbelastung:Wenn es Mittelständler gab – und vereinzelt muß es die-se gegeben haben –, die exzessiv von Ausnahmevor-schriften Gebrauch gemacht haben, die wir abschaffen,dann kann es sein, daß diese stärker belastet werden.Tatsache aber ist: Auch der Mittelstand wird durch unserKonzept entlastet.
Wir haben gerade die Frist für Sonderregelungen zugun-sten des Mittelstandes verlängert.Diese – ich darf es einmal etwas frech formulieren –Spitzensteuersatzfetischisten, die so tun, als käme in al-ler erster Linie dem Mittelstand die Spitzensteuersatz-senkung zugute, darf ich einmal darauf aufmerksam ma-chen, daß der Spitzensteuersatz für die gewerblichenBetriebe – und darum geht es –, der 47 Prozent beträgt,von einem Mittelständler, zum Beispiel Handwerker,dann erreicht wird, wenn er als Verheirateter im Jahrmehr als 214 000 DM zu versteuern hat. Ich weiß ausvielen Gesprächen in meinem Wahlkreis, daß die Masseder Einzelhändler, der Handwerker, des Mittelstandes,nicht 214 000 DM zu versteuerndes Einkommen im Jahrhat. Deswegen ist eines klar: Wer etwas für den Mittel-stand tun will, der muß auch den Mut haben, mittel-standsfreundliche Sonderregelungen zu machen. Das tunwir mit unserem Paket, und dabei bleibt es.Wissen Sie, woran es mich erinnert, wenn sich zumBeispiel Herr Henkel als Schutzpatron des Mittelstandesaufführt? Ich habe noch die Zeiten miterlebt, in denenHerr von Heereman der Präsident des Bauernverbandeswar, ein Großgrundbesitzer – den Hof im Münsterlandhätten Sie einmal sehen sollen. Wenn es darum ging, dieSubventionen für die großen Bauern zu streichen oderanzutasten, dann setzte er die kleinen Bauern in Hessenund Bayern in Gang, damit sie für ihn die Kartoffeln ausdem Feuer holen. So kommt es mir vor, wenn sich HerrHenkel zum Mittelstand äußert. Nein, die Bedrohungkommt nicht durch das Steuerrecht, sondern durch diegroßen Konzerne, die die kleinen schlucken.
Letzter Punkt: Herr Solms, Sie haben gesagt, wir er-fänden neue Steuern, und nannten die sogenannte Min-deststeuer.
Nein, wir führen keine neue Steuer ein. Wir begrenzendie Möglichkeit der Verrechnung von Verlusten. Ge-stern habe ich in der Zeitung die Anzeige gelesen:„Hohe Verlustzuweisungen locken – Flugzeugleasing“.Darin ist von Verlustzuweisungen in Höhe von198 Prozent in vier Jahren die Rede. Dazu kann ich nursagen: Wir verhindern, daß Einkommensmillionäredurch die Verrechnung der Verluste aus anderen Ein-kunftsarten überhaupt keine Steuern mehr zahlen, wäh-rend die Edeka-Verkäuferin enorm zur Kasse gebetenwird.
Das ist keine Steuer. Wir stellen eine Mindestbemes-sungsgrundlage her. Wer will, mag sich an solchenVerlustzuweisungsgesellschaften gerne auch in Zukunftbeteiligen. Aber die Gewinne, die er daraus zieht, wer-den wir kräftig reduzieren.Das, meine Damen und Herren, hat der Wähler ge-wollt. Ihre Politik, die empirisch, durch Erfahrung ge-scheitert ist, wollte er nicht mehr. Er hat uns die Chancegegeben, all das, was wir vor der Wahl zur Steuerpolitikgesagt haben, umzusetzen. Das werden wir tun. Damitwerden Sie sich abfinden müssen.
Das Wort hat für dieCDU/CSU-Bundestagsfraktion die Kollegin Gerda Has-selfeldt.Ingrid Matthäus-Maier
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Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Lobes-hymne, Frau Matthäus-Maier, auf das, was Sie uns alsSteuerreform vorgelegt haben, war völlig unangebracht.In Wahrheit ist es nichts anderes als ein Finanzierungs-manöver, ein Umverteilungsmanöver, ein Abkassie-rungsmanöver.
Es belastet zusätzlich diejenigen, die Arbeitsplätze zurVerfügung stellen sollen. Es belastet die Betriebe, dieUnternehmen, es belastet die Wirtschaft zugunsten desKonsums. Das kann es nicht sein, wenn es darum geht,Herr Lafontaine, daß diese Steuerreform auch – natür-lich nicht alleine – dazu beitragen soll und muß, diewirtschaftliche Situation zu verbessern und für mehr In-vestitionen und für mehr Arbeitsplätze zu sorgen.
Daß mit diesem Vorhaben ein Umverteilungsmanö-ver verbunden ist, hat der Finanzminister selbst zugege-ben. Er hat zugegeben, daß diejenigen, die die Arbeits-plätze zur Verfügung stellen sollen, in der Vergangen-heit schon entlastet wurden und jetzt nicht mehr entlastetwerden müssen. Er hat völlig außer acht gelassen, wiedie Situation im internationalen Vergleich ist. Herr La-fontaine, wir müssen uns dort orientieren, wo wir sind.Wir sind nicht auf einer Insel der Seligen. Wir haben unsan die Bedingungen in den anderen Ländern anzuglei-chen.
Wir können nicht einfach zusehen, daß wegen der besse-ren steuerlichen Bedingungen in anderen Ländern umuns herum die Arbeitsplätze aus Deutschland weg verla-gert werden und die Arbeitslosen, diejenigen, die drin-gend auf Arbeit angewiesen sind, dann die Leidtragen-den sind.Ich weiß sehr wohl, daß die Steuerreform dies nichtalles alleine schultern kann, aber sie ist ein ganz wichti-ges, wenn nicht sogar das wichtigste Instrument zur Be-kämpfung der Arbeitslosigkeit.
Deshalb muß sich jede Steuerreform daran messen las-sen: Ist sie dazu geeignet, Wachstumskräfte zu stimulie-ren, ist sie dazu geeignet, das Steuerrecht an die interna-tionalen Bedingungen anzugleichen, ist sie dazu geeig-net, Arbeitsplätze und Investitionen zu schaffen?Da stellt sich natürlich die zentrale Frage: Brauchenwir dazu mehr Nachfrage, oder brauchen wir mehr Inve-stitionen? Diese Frage ist von den Fachleuten beant-wortet, die brauchen wir uns gar nicht erneut zu stellen.Wir haben nicht in erster Linie ein Nachfrageproblem.Unser Problem liegt auf der Angebotsseite. Die Bedin-gungen für die Unternehmer müssen verbessert werden.
Da steht an allererster Stelle die Senkung der Steuer-sätze. In unserem Konzept war eine deutliche Senkungauf 15 Prozent Eingangssteuersatz, 39 Prozent Spitzen-steuersatz und 35 Prozent Steuersatz für die Unterneh-men vorgesehen. Wir brauchen die Senkung nicht erstirgendwann, sie darf nicht nur in Aussicht gestellt wer-den. Wir brauchen sie als erstes. Die Senkung der Steu-ersätze ist der zentrale Punkt.
Sie haben sie nur in Trippelschritten vorgesehen; beimEingangssteuersatz ganz minimal und beim Spitzensteu-ersatz nur als Kosmetik.Wenn Sie von 35 Prozent Steuersatz bei Unterneh-men sprechen, so wollen wir das erst einmal sehen.
Das sind nichts als vage Versprechungen. Die Gegenfi-nanzierung haben Sie ohnehin schon verbraten. Sie ver-braten sie schon jetzt zu Lasten derjenigen, die die Ar-beitsplätze zur Verfügung stellen sollen, um das Kinder-geld zu erhöhen. Das nämlich ist Ihre Finanzierungs-quelle. Einen Steuersatz von 35 Prozent haben wir alsonoch nicht.Im übrigen ist das Problem, das sich verfassungs-rechtlich zeigt, noch gar nicht gelöst. Herr Lafontainesprach heute davon, es müsse gerecht zugehen, es müseSteuergerechtigkeit herrschen. Wie ist es – vorausge-setzt, Sie schaffen die 35 Prozent wirklich – denn mitder Gerechtigkeit, wenn Einkommen aus unselbständi-ger Arbeit um vieles höher besteuert wird als Einkom-men aus selbständiger Arbeit? Diese Spreizung derSteuersätze müssen Sie nicht nur dem Verfassungsge-richt, sondern auch den Betroffenen erst einmal erklä-ren!
Mit Gerechtigkeit hat dies überhaupt nichts zu tun.
Notwendig wäre es, neben niedrigeren Steuersätzenund durch sie eine Nettoentlastung zu erreichen.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Von Ihnen wirdimmer wieder argumentiert: Das können wir uns nichtleisten, weil die Haushaltsspielräume nicht so sind. –Erst vor wenigen Wochen haben Wirtschaftsfor-schungsinstitute deutlich gemacht, daß für das Jahr 1999Entlastungsspielräume von 20 bis 30 Milliarden DMmöglich seien.
– Von der Steuerschätzung, deren Ergebnis in die-sen Tagen bekanntgegeben wurde, Herr Poß, hat HerrLafontaine bei seinen Ausführungen überhaupt nicht ge-sprochen; er hat sie einfach totgeschwiegen. Eine derwichtigsten Nachrichten in diesen Tagen, wenn wir überSteuerpolitik diskutieren, ist doch, daß die Steuerschät-zung ergeben hat, daß in diesem Jahr 7,8 Milliarden DMmehr zu erwarten sind, als dies Anfang des Jahres zu-nächst einmal angenommen werden mußte. Herr Lafon-taine, da können Sie nicht einfach zur Tagesordnungübergehen und das totschweigen. Das ist eine Tatsache.Das ist nicht von allein gekommen, sondern das ist das
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346 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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Ergebnis der vernünftigen, soliden, sparsamen Haus-halts- und Finanzpolitik von Theo Waigel.
Die Spielräume, die wir haben, müssen genutzt wer-den, um die Steuerpflichtigen zu entlasten, nicht, um Ih-re Haushaltslöcher zu schließen, die daraus entstandensind, daß Sie das Geld schon verbraten haben. Es gehtdarum, diese Entlastungsspielräume den Steuerpflichti-gen, den Frauen und Männern in unserem Land, zugutekommen zu lassen; es geht darum, Spielräume für Ar-beitsplätze und Investitionen zu schaffen.
Sehr wichtig ist dabei auch, das Ganze gerecht zu ge-stalten, es solide zu finanzieren und dabei natürlich dieBemessungsgrundlage zu verbreitern. Auch das hattenwir vorgesehen. Allerdings hatten wir vorgesehen – dasist ein ganz entscheidender Unterschied –, das nur inVerbindung mit deutlichen Steuersatzsenkungen zumachen. Das haben Sie so nicht vorgesehen. Wir habenes auch vom zeitlichen Ablauf her anders vorgesehen alsSie. Sie machen es nämlich so, daß Sie die steuerlicheEntlastung weit in die Zukunft hinein verschieben; erstin einigen Jahren soll sie kommen.
Selbst die Kindergelderhöhung zum jetzigen Zeit-punkt führt nicht zu einer Nettoentlastung. Das Ausmaßdieser Entlastung ist eigentlich lächerlich. Sie finanzie-ren obendrein das Ganze über Belastungen,
und zwar nicht erst dann, wenn die Entlastung eintritt,sondern schon jetzt, nämlich über zusätzliche Belastun-gen für diejenigen, die Arbeitsplätze zur Verfügungstellen sollen. Das machen Sie, um konsumtive Ausga-ben zu finanzieren.
Das führt nicht nur nicht zu zusätzlichen Arbeitsplätzen,sondern es ist darüber hinaus kontraproduktiv.
Es wird mit Sicherheit dazu führen, daß wir einen Ver-lust von Arbeitsplätzen haben. Alles, was sich in denletzten Wochen und Monaten auf Grund unserer Politikam Arbeitsmarkt positiv getan hat, nämlich daß die Ar-beitslosenzahlen zurückgegangen sind und daß dieStaatsquote zurückgegangen ist, all das, was wir in denvergangenen Jahren trotz schwierigster Ausgangspositi-on durch die Wiedervereinigung geleistet haben, wirddurch Ihre einseitige nachfrageorientierte Steuerpolitikwieder aufs Spiel gesetzt.
Es wird einem dann gelegentlich gesagt, man habe javiele Nachbesserungen vorgenommen. Welche Nach-besserungen haben Sie, gerade für den Mittelstand,denn vorgesehen? Sie haben nur etwas verschoben; Siehaben nur Anspar- und Sonderabschreibungen nichtgleich abgeschafft, sondern wollen das erst in ein paarJahren tun. Beim Verlustrücktrag genauso. Sie habenhier nur minimale Korrekturen vorgenommen; Sie habennichts Substantielles gemacht. Sie haben vor allem zukeiner Zeit – das ist meines Erachtens ein ganz wichtigerPunkt – über die Verringerung der Staatsquote disku-tiert. Bei Ihnen waren weder die Verringerung derStaatsquote und der Staatsausgaben noch Ausgabenkür-zungen ein Thema. Wir haben diese Trendwende bei denStaatsausgaben eingeleitet; Sie verspielen sie wieder.Meine Damen und Herren, Sie hätten die gute Gele-genheit gehabt, am Anfang Ihrer Regierungszeit durchVorlage eines vernünftigen, ausgewogenen, vor allemzielgerichteten Steuerreformkonzeptes dazu beizutragen,mehr Arbeitsplätze und mehr Investitionen in Deutsch-land zu ermöglichen. So aber, wie Sie sich in der ver-gangenen Legislaturperiode einer sinnvollen Lösungverweigert haben, sind Sie auch heute zu einer richtigenLösung nicht bereit. Sie haben damit schon am AnfangIhrer Regierungszeit eine große Chance selbst vertan.
Ich gebe das Wortfür Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen Klaus Müller.Klaus Wolfgang Müller (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine ver-ehrten Damen und Herren! Auch ich kann es mir nichtverkneifen, noch einmal auf den Kollegen Merz zurück-zukommen. Ich habe heute morgen gelernt, daß es ihmleider nicht möglich war, sich das Buch des HerrnStaatsministers Hombach zu leisten. Nun ist es ja so, daßauch Bundestagsabgeordnete von Steuersatzsenkungenprofitieren. Ich schlage vor, daß Sie das Geld, das abdem 1. Januar 1999 auch bei Ihnen mehr im Geldsäckelist, für dieses Buch ausgeben und so die Wirtschaft för-dern. Es gibt noch mehrere andere Bücher – eines vondem Herrn Finanzminister, eines von den Herren Mos-dorf und Kleinert –, bei denen das Geld sicherlich gutangelegt ist.
Aber jetzt zum Thema: Neben der Ökosteuer und derEinkommensteuerreform werden wir in dieser Legisla-turperiode noch ein drittes Reformpaket anschieben: ei-ne wirtschafts- und finanzpolitisch sinnvolle Unter-nehmensteuerreform. Dabei stehen wir vor einer etwasparadoxen Situation: Einerseits klagen Unternehmen,Verbände und demnächst bestimmt auch die Opposition– Herr Solms hat damit heute schon angefangen – überdie hohen Steuersätze für Unternehmen. Andererseitshat man sich im Zuge der größten Fusion der jüngerendeutschen Geschichte, der von Daimler und Chrysler, si-cherlich nicht aus ideologischen Gründen für den Steu-erort Deutschland entschieden. Ich bin sicher, das hatetwas mit der steuerpolitischen Realität in diesem LandeGerda Hasselfeldt
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zu tun. Auch daran, daß der Anteil des Steueraufkom-mens der deutschen Wirtschaft von 1980 bis 1996 von27 Prozent auf 15 Prozent gesunken ist, erkennen wir,daß die Realität anscheinend anders ist, als es die Kla-gen glauben machen wollen. Wie kann das sein ange-sichts der vielzitierten hohen Tarife?Das Problem des deutschen Steuerrechtes im Bereichder Unternehmen ähnelt dem Dilemma bei der Einkom-mensteuer: Die Steuertarife sind vergleichsweise hoch,die Bemessungsgrundlage aber, also der ausgewieseneGewinn der Unternehmen, ist im Vergleich zu anderenLändern auffällig gering. Für eine seriöse Debatte in denkommenden Wochen und Monaten müssen wir alsozwischen den nominellen Steuersätzen und der realenSteuerbelastung unterscheiden.Wenn wir jetzt die Steuerreform im Unternehmensbe-reich durchführen wollen, sind wir, so glaube ich, gutberaten, aus der Debatte um die Einkommensteuerre-form zu lernen. Kollegin Christa Luft, wir setzen nichtumsonst Arbeitskreise ein – nicht weil wir nicht wüßten,was wir sonst tun sollten, sondern weil wir die Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler, die Unternehmerin-nen und Unternehmer und ihre Funktionäre von Anfangan dabeihaben wollen. Ob in einer Bund-Länder-Kommission oder im Rahmen des Bündnisses für Ar-beit, es sind sicherlich verschiedene Möglichkeitendenkbar. Aber wichtig ist eben, daß man dies nicht le-diglich von oben herab vorschlägt und durchsetzt, son-dern es gemeinsam diskutiert.
Trotz des Shareholder-value-Gedankens gilt inDeutschland der handelsrechtliche Bilanzierungsgrund-satz: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Deswe-gen sollten wir gemeinsam diskutieren, wie wir es inZukunft mit der Bewertung von immateriellem Vermö-gen, materiellem Anlagevermögen, Wertpapieren, Ver-bindlichkeiten und mit der Rückstellungsbildung haltenwollen. Fragen der Bilanzierungsvorschriften und dasVerhältnis von Steuer- und Handelsrecht werden wirsehr sorgsam diskutieren müssen, da das sehr viele Un-ternehmen betrifft. Sinnvoll wäre hier eine Umkehr derBeweislast. Das heißt, je breiter wir die Bemessungs-grundlage machen, je realitätsnäher die Bilanzierung,desto weiter können die Grenzsteuersätze sinken. Ich binfroh, daß sowohl Bundeswirtschaftsminister Müller ge-stern als auch Finanzminister Lafontaine heute ausge-führt haben, daß unser Ziel eine schrittweise Reduzie-rung der Sätze auf 35 Prozent ist. Mit konstruktiver Un-terstützung der Verbände und vielleicht sogar der Oppo-sition werden wir dieses Ziel, so glaube ich, erreichen.Zumindest in dem Ziel müßten wir uns mit dem ehe-maligen Finanzminister Herrn Dr. Theo Waigel eigent-lich einig sein, der im August letzten Jahres an dieserStelle ausführte:Wir brauchen das Stopfen der Schlupflöcher, damitmehr Geld zur Schaffung von arbeitsplatzschaffen-den Investitionen eingesetzt wird als zur Suche nachdem günstigen Steuersparmodell.Ich kann nur sagen: Dieses Ziel, Herr Waigel, verfolgenauch wir.
Internationale Vergleichbarkeit und Vereinfachung istunser Ziel. Die internationale Vergleichbarkeit ist insbe-sondere auch deshalb von Bedeutung, da in der Wirt-schaftspolitik die Zeit der Nationalstaaten längst vorbeiist. Wenn wir wirksam politisch gestalten wollen, dannim europäischen Rahmen.In einer europäischen Steuerharmonisierung liegtdie politische Aufgabe der kommenden Jahre.
Selbstverständlich gehören dazu ein stabiler Euro undeine unabhängige und transparente Europäische Zentral-bank.
Eine europäische Einigung über die steuerliche Be-handlung von Kapital und Gewinnen eröffnet auch dennationalen Regierungen neue Gestaltungsmöglichkeiten.Kapitalflucht und Betriebsverlagerungen verlieren danneinen Teil ihres Schreckens. Ich gehe davon aus, daß dieeuropäische Steuerpolitik und -harmonisierung ein we-sentliches Thema der deutschen Ratspräsidentschaft seinwird.Im Hinblick auf die Europäische Union ist noch einanderer Punkt von Bedeutung. Spätestens mit der EU-Osterweiterung wird die Weiterentwicklung des euro-päischen Finanzsystems auf der Tagesordnung stehen.Auch wenn die Fragen einer europäischen Steuerhoheitverfassungsrechtlich und die Diskussion eines Finanz-ausgleichs politisch nicht ganz einfach sind, sollten wiruns dieser Debatte stellen.Aber auch auf deutscher Ebene ist die Finanzverfas-sung reformbedürftig. Gerade die Gemeinden habenunter dem steuersystematisch sinnvollen Wegfall derGewerbekapitalsteuer gelitten. Auch wenn die Einnah-meausfälle durch höhere Umsatzsteueranteile teilweisekompensiert worden sind – ein Autonomieverlust war esallemal. In unseren Augen sind Städte und Gemeindenim Hinblick auf die Agenda 21 wichtige Träger desNachhaltigkeitsprozesses. Hier müssen wir wiederHandlungsspielräume schaffen. Deshalb haben wir unsim Koalitionsvertrag entschlossen, die Finanzkraft derGemeinden zu stärken und das Gemeindefinanzsystemeiner umfassenden Prüfung zu unterziehen.Wir haben uns vorgenommen, die Neuordnung derFinanzverfassung für das Jahr 2005 vorzubereiten. Dafürwollen wir eine Enquete-Kommission einrichten. ImVordergrund stehen dabei natürlich finanzpolitischeFragen, insbesondere, wie es für alle Länder wieder at-traktiv sein kann, zusätzliche Einnahmen zu erzielen.Ich möchte den Bogen aber gerne noch etwas weiterspannen und an die Antrittsrede des neuen Bundesrats-präsidenten, Herrn Ministerpräsident Eichel, vor einerWoche anknüpfen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu, daßdie Bundesländer nicht zu „regionalen Verwaltungskör-perschaften des Bundes absinken“ dürfen. Ich kann mirvorstellen, daß das auch auf die Unterstützung der CDUtrifft.Klaus Wolfgang Müller
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Wir sollten deshalb neu über die Verzahnung undAufgabenverteilung von Bund und Ländern und überdie Funktion der Mischfinanzierungen und Gemein-schaftsaufgaben nachdenken. Die Rahmen- und die kon-kurrierende Gesetzgebung dürfen die Länder nicht zugefesselten Tigern machen. Es geht bei der Diskussionauch um eine größere Transparenz und um erweiterteparlamentarische Spielräume für unsere Kolleginnenund Kollegen in den Länderparlamenten.Aufgabenzuweisungen seitens des Bundes dürfen inZukunft nicht mehr allein zu Lasten von Ländern undGemeinden gehen und diese mit den Kosten belasten.Wir erinnern uns nur ungern an die Nebenwirkungen desRechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz oder dieVerpflichtungen aus dem Bundesnaturschutzgesetz. DasKonnexitätsprinzip – auf deutsch: „Wer bestellt, der be-zahlt“ – muß gelten, insbesondere solange Länder undGemeinden nicht über eigene Einnahmespielräume ver-fügen.Im Rahmen der Enquete-Kommission sollten wir unsGedanken über das steuerpolitische Trennsystem ma-chen, ohne dabei allerdings die berechtigten Interessender Länder an stabilen Steuereinnahmen zu ignorieren.Wir werden uns Gedanken über die Gratwanderung derLänder zwischen Pluralität und Wettbewerb untereinan-der machen müssen.Ich gehe davon aus, daß wir hier über Fraktionsgren-zen hinweg eine konstruktive Debatte erleben werden,inklusive der Beiträge der Ministerpräsidentin und Mini-sterpräsidenten von Bayern bis Schleswig-Holstein.Rotgrün hat sich für die kommenden vier Jahre vielvorgenommen. Wie heißt es so schön: Packen wir's an!Vielen Dank.
Das Wort hat der
bayerische Staatsminister der Finanzen, Professor
Dr. Kurt Faltlhauser.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
HerrPräsident! Meine Damen und Herren! Es gibt nicht nurin Kirchen und in barocker Umgebung Weihrauchfaß-schwenker. Die gibt es auch – das wissen wir alle – inder Politik:
Die neugewählte Finanzausschußvorsitzende, FrauScheel, hat sich heute in die Reihe der politischen Weih-rauchschwenker eingereiht, indem sie verkündet hat:Diese Steuerreform ist die größte, die bisher in der Bun-desrepublik Deutschland vorgelegt wurde, sozusagen dieGröStaZ.Das fordert natürlich einen Vergleich heraus. Wirmüssen in das Jahr 1982 zurückgehen. Damals ist derBundeskanzler, der jetzt hier in den Reihen sitzt, mit ei-ner Steuerreform angetreten, die in drei Stufen umge-setzt wurde und ein Entlastungsvolumen von44 Milliarden DM umfaßte, 44 Milliarden DM in einerZeit, in der das Steueraufkommen insgesamt etwas mehrals die Hälfte von heute ausmachte. Sie müssen dasGanze also etwa auf 88 Milliarden DM Nettoentlastungverdoppeln. Dann wollen Sie das, was Sie heute vorle-gen, damit vergleichen?Was wichtiger ist: Gestartet wurde diese Steuerre-form damals schon mit einem ersten Schritt von11 Milliarden DM Nettoentlastung.
Der Kollege Uldall hat erst neulich noch einmal eineZusammenstellung gemacht. Die würde ich Ihnen emp-fehlen. Danach gab es mehr als 10 Milliarden DMSteuerentlastung für die Wirtschaft. Das Ergebnis: Ineiner langanhaltenden wirtchaftlichen Wachstumsent-wicklung wurden Arbeitsplätze geschaffen. Das war inden 80er Jahren das Resultat der drei Stufen einer – auchsystematisch – vernünftigen Steuerreform.
Jetzt sagt der neue Finanzminister Lafontaine: MitSteuern alleine kann man ja letztlich keine Arbeitsplät-ze schaffen; das wird die wirtschaftliche Entwicklungnicht entsprechend beeinflussen. Herr Lafontaine – HerrSchlauch, unterbrechen Sie einmal kurz die Unterhal-tung, dann kann er zuhören –, genau das Gegenteil ha-ben aber alle wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten inden 80er Jahren bestätigt: Durch die vernünftig gestal-tete Nettoentlastung der Bürger wurden damals tatsäch-lich Arbeitsplätze geschaffen. Sogar das Institut vonHerrn Flaßbeck, das DIW, hat damals bestätigt, daß diesdas Ergebnis der Steuerpolitik war. Heute wollen Siegewissermaßen zur Steuerpolitik sagen, sie könne so-wieso nicht helfen, aber nur, weil Sie einen Vorschlaggemacht haben, der völlig unzureichend ist.Natürlich haben Sie, Frau Matthäus-Maier, 5 ProzentSenkung der Körperschaftsteuersätze für 1999 ange-kündigt. Haben wir denn vergessen, daß die Bundesre-gierung, die am 27. September abgelöst wurde, die Kör-perschaftsteuer um 16 Prozentpunkte gesenkt hat? Daswaren noch Zeiten: 16 Prozent! Das sind große Schritte.
Genau das wurde damals gemacht: Entlastung derWirtschaft zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Und heute– wir haben es genau nachgerechnet – das Gegenteil: Ih-re Steuerreform führt zu einer Belastung der Wirt-schaft von insgesamt 16,5 Milliarden DM.Damit wollen Sie die Konjunktur und die Wettbe-werbsfähigkeit dieses Landes fördern? Ich glaube, es istder gegenteilige Weg, den Sie gehen. Ich habe von Ge-rechtigkeit gehört. Vor den Wahlen, Herr Lafontaine,habe ich immer gehört, Sie wollen Arbeitsplätze schaf-fen! Hätten Sie doch das Instrument des SteuerrechtsKlaus Wolfgang Müller
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genutzt, um Arbeitsplätze zu schaffen! Sie haben die Sa-che hier völlig verfehlt.
Die große Reform in den 80er Jahren, die ich geradeerwähnt habe, und die Petersberger Beschlüsse verdie-nen vom Volumen und vom Konzept her den Begriff„groß“, Frau Scheel. Das, was hier vorgelegt wird, kön-nen Sie bestenfalls als Mickymausreform darstellen.
Lassen Sie mich noch etwas zur Unausgewogenheitdes Konzeptes sagen. Wir haben errechnet, Herr Lafon-taine, daß die Unternehmer, die vom Steueraufkommeninsgesamt 21 Prozent erbringenen, 77 Prozent der ge-samten Gegenfinanzierung tragen. Im übrigen – das sageich insbesondere als Bayer –: Die Landwirtschaft, diebisher 1 Prozent des Steueraufkommens erbringt, wirdjetzt durch die Gegenfinanzierung mit 3 Prozent bela-stet. Eine Verdreifachung der steuerlichen Belastung –das nenne ich Bauernlegen, meine Damen und Herren.Mir ist aber jetzt eine zweite Anmerkung zum neuenFinanzminister noch wichtiger. Herr Lafontaine, Sie ha-ben heute hier ausdrücklich noch einmal betont: Siewollen die Unabhängigkeit der Bundesbank und deskünftigen Systems der europäischen Zentralbanken nichtantasten. Gleichzeitig haben Sie gesagt – ich habe genaumitgeschrieben –, daß Sie in Zukunft Haushalts- undGeldpolitik abstimmen wollen.
Die Haushaltspolitik ist Aufgabe der Exekutive, diesesFinanzministeriums und dieser Regierung, und des Bun-destages. Sie ist Aufgabe der Politik. Die Philosophieder Geldpolitik in diesem Land und jetzt auch in Europaist, daß Geldpolitik alleine von der Bundesbank und inZukunft von der Europäischen Zentralbank gemachtwird, alleine und unbeeinflußt. Wer abstimmen will, willbeeinflussen. Wer abstimmen will, will die Unabhän-gigkeit dieses Systems gezielt aushöhlen. Das ist derPunkt! Sie haben es hier gesagt.
Dieser Punkt verstößt auch gegen den Artikel 108 desMaastrichter Vertrages, in dem es ausdrücklich heißt –ich erlaube mir, Herr Lafontaine, das vorzulesen –:Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft – –
– Offenbar nicht.
Herr Staatsminister,
darf ich Sie kurz unterbrechen? – Ich möchte die Kolle-
ginnen und Kollegen, die im hinteren Teil des Saales
Gespräche führen, bitten, diese Gespräche draußen zu
führen. – Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ichmöchte fortfahren, indem ich noch einmal anfange, denletzten Satz des Artikels 108 des Maastrichter Vertragszu zitieren:Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaftsowie die Regierungen der Mitgliedstaaten ver-pflichten sich, diesen Grundsatz– der Nichtbeeinflussung –zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitgliederder Beschlußorgane der EZB oder der nationalenZentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufga-ben zu beeinflussen.Jetzt frage ich einmal: Was bedeutet „abstimmen“ dennanderes als beeinflussen?
Dieser Vorschlag und diese Rede des Bundesfinanzmi-nisters waren nichts anderes als ein Angriff auf die Un-abhängigkeit des Systems der europäischen Zentralban-ken.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu dem Wortmachen, das dem Finanzminister offenbar so sehr ge-fällt, die Zins-Steuer-Quote. Die Zins-Steuer-Quote, dieSie mit 23 Prozent angegeben haben, beträgt nach mei-nen Unterlagen – die Zahl kann jedermann aus der Bi-bliothek dieses Hauses herausholen – 17 Prozent.
– 17 Prozent. Ich gebe es dem Finanzminister dannweiter. – Wichtig sind jedoch nicht Ihre 23 Prozent imSaarland oder die 4 Prozent in Bayern. Wichtig ist dieSteigerungsrate. Von 1969 bis 1982 – das ist die Zeit derRegierungen von Brandt und Schmidt – ist diese Quotevon 2,8 Prozent auf 12,1 Prozent gestiegen. Währendder Regierungszeit von Stoltenberg und Waigel ist sielediglich von 12,1 Prozent auf 17 Prozent gestiegen,obwohl die Lasten der deutschen Einigung bewältigtwerden mußten.
Das ist der entscheidende Unterschied. Trauen Sie sichja nicht, hier mit irgendwelchen Zahlen anzukommen;da schauen Sie schlecht aus.
Zum Abschluß möchte ich – ich bitte Sie, daß Sie mirdiese Zeit noch gönnen – etwas zu einer AngelegenheitStaatsminister Dr. Kurt Faltlhauser
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350 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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zwischen Bund und Ländern sagen, Herr Finanzmi-nister. Sie haben mit diesem Steuergesetz vorgeschla-gen, das Kindergeld zu erhöhen. Wir widersprechendem nicht. Nur, man muß das finanzieren, und vor allemmuß man in dem Gesetz auch festlegen, wer das bezah-len soll. Das steht in keiner Zeile in diesem Gesetz. Indiesem Zusammenhang erinnere ich mich – der ehema-lige Finanzminister Waigel wird das sicherlich auchtun – an folgendes: Damals saßen uns in der nordrhein-westfälischen Vertretung unter anderem Herr Schleußerund Frau Matthäus-Maier
gegenüber. Sie haben uns damals gesagt, daß unbedingtins Grundgesetz hineingeschrieben werden muß – einungewöhnlicher Vorgang –, daß bei der Umstellung derKindergeldzahlungen die Länder tatsächlich entlastetwerden müssen. Die Länder sollten also ihren entspre-chenden Anteil haben. Das wurde ungewöhnlicherweisein Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes festgelegt. In § 1des Finanzausgleichsgesetzes wurde nach langen Ver-handlungen die Quote von 74 Prozent zu 26 Prozentfestgelegt. Wenn dies rechtlich so klar ist, Herr Lafon-taine, dann müssen Sie Ihren Haushalt so gestalten, daßdie 1,8 Milliarden DM, um die die Kindergelderhöhungdie Länder über diese Quote hinaus belastet – insgesamtkostet die Kindergelderhöhung 5,7 Milliarden DM –,den Ländern unmittelbar weitergegeben werden; sonstmachen Sie sich eines Gesetzesbruchs und eines Verfas-sungsbruchs schuldig.
Das hat nichts zu tun mit dem üblichen Streit um dieDeckungsquote, der durch alle Regierungen hindurch-geht. Das ist ein abgekoppeltes Geschäft. Das müssenSie den Ländern zugestehen. Darüber hinaus müssen Sieübrigens auch weitere Beträge – ich habe das auf der Fi-nanzministerkonferenz entsprechend vorgetragen – voninsgesamt 9,5 Milliarden DM vorsehen.Ich komme – in einem letzten Schlußsatz, Herr Präsi-dent – noch einmal auf etwas zurück: Ich hatte eigent-lich nach so langer Ablehnung eines guten Steuerkon-zeptes, der sogenannten Petersberger Beschlüsse, er-wartet, daß eine neue Regierung mit Mut und mit Ge-staltungskraft eine Steuerreform vorlegt, die Arbeits-plätze schaffen kann. Das Gegenteil ist der Fall. Es istbitter enttäuschend.Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.
Das Wort hat für die
F.D.P.-Fraktion der Kollege Carl-Ludwig Thiele.
Sehr geehrter HerrPräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirberaten heute in erster Lesung ein Gesetz, welches dieÜberschrift „Steuerentlastungsgesetz“ trägt.Schon der Titel dieses Gesetzes ist falsch und irrefüh-rend. Es handelt sich nämlich um ein Steuererhöhungs-gesetz.
Denn obwohl in den nächsten vier Jahren die Steuerein-nahmen nach der Steuerschätzung ohne die Steuererhö-hung durch die Ökosteuer um 160 Milliarden DM stei-gen werden, will die neue rotgrüne Koalition lediglichim vierten Jahr, im Jahr 2002, die Bürger um 15 Milliar-den DM entlasten. Selten hat es eine solch drastischeSteuererhöhung gegeben, die ohne entsprechende Ent-lastungen der Bürger zu einer weiteren Strangulierungder Wirtschaft unseres Landes führen wird.
Viele Bürger haben nach dem Wahlsieg der neuen Ko-alition gehofft, daß diese neue Koalition zu neuen Ufernaufbrechen würde und daß eine Steuerreform vorgelegtwürde, die diesen Namen tatsächlich verdient. Das Ge-genteil ist der Fall. Dies haben wir insbesondere Ihnen,Herr Bundesfinanzminister Lafontaine, zu verdanken;denn diese Koalition kennt einen Kanzler – der in denKoalitionsverhandlungen nicht anwesend war – und einenRegierungschef, nämlich Sie, Herr BundesfinanzministerLafontaine. Deshalb ist es gut, daß diese Debatte als zen-trale Debatte auch ohne Anwesenheit des Kanzlers, abermit Ihrer Anwesenheit hier geführt werden kann.
Nach Ihrem Selbstverständnis, Herr Minister Lafon-taine, hatte in den vergangenen Jahren nicht nurDeutschland, sondern letztlich auch Europa auf den Ma-kroökonomen Oskar Lafontaine gewartet. Ich habe denEindruck, daß Ihr persönliches Ziel nicht die Bundesre-publik Deutschland, sondern Europa ist. Sie sind hierauf der Durchreise und wollen zukünftig weite Teile Eu-ropas mit Ihrer Auffassung von Politik und Wirtschaftbeglücken.Ihre Auffassung von Politik vertraut eben nicht denBürgern in unserem Lande. Ihre Auffassung von Politikvertraut nur auf den allmächtigen, alles regelnden Staat:Steuerung der Konjunktur durch Nachfrage, Beschädi-gung der Unabhängigkeit der Bundesbank und der Eu-ropäischen Zentralbank, Aufweichen der Stabilitätskrite-rien. Damit gehen Sie das Risiko ein, die Stabilität desEuro langfristig zu gefährden. Das ist die falsche Politikzur Lösung der Probleme unseres Landes.
Das jetzt vorgelegte Steuerkonzept trägt eindeutig dieHandschrift einer strukturkonservativen SPD. Die Grü-nen mit ihren ursprünglichen Vorstellungen fanden so-wieso nicht statt. Wenn Frau Scheel erklärt, Sie wolltensich jetzt bemühen, dann muß ich dazu sagen: Das reichtnicht, Sie werden sich durchsetzen müssen! Sie habensich nicht durchgesetzt, und Sie werden sich auch zu-künftig nicht durchsetzen, weil Ihre Politik der SPDziemlich egal ist.
Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser
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Denn – das möchte ich noch einmal in die Diskussionbringen – wo bleibt eigentlich die drastische Vereinfa-chung des Steuerrechts? Wo bleibt die Umsetzung desBareis-Gutachtens, nämlich die Streichung aller Aus-nahmen, die die Grünen ursprünglich vorgesehen haben?Wo bleiben die deutlichen Steuersenkungen über dengesamten Tarif?Nichts ist vom Steuerkonzept der Grünen übrigge-blieben. Das einzige, was in diesem Steuergesetz übrig-geblieben ist, ist eine massive steuerliche Mehrbela-stung, die für die Wirtschaft seitens der neuen Koalitionauch eingeräumt wird.Den einfachen Bürgern wird vorgegaukelt, daß eineSteuerentlastung für sie stattfinde. Aber nicht einmal dasist richtig. In der Steuertabelle der Koalition wird das zuversteuernde Einkommen in D-Mark miteinander vergli-chen. Dabei unterschlagen Sie die schleichende Steuer-erhöhung durch den Progressionstarif. Eine Familie mitzwei Kindern und 60 000 DM zu versteuerndem Ein-kommen wird in drei Jahren ein erheblich höheres steu-erpflichtiges Einkommen haben als in diesem Jahr. Beieiner Steigerung der Bruttolohns um 4 Prozent hat eineFamilie mit zwei Kindern bei erhöhtem Kindergeld imJahr 2001 300 DM mehr Steuern zu zahlen als derzeit.Wenn ein Ehepaar keine Kinder hat, dann haben dieseBürger in unserer Gesellschaft sogar 1 000 DM mehrSteuern zu zahlen, als sie es derzeit tun müssen. Das istkeine Entlastung der Bürger; das ist ein schamloses Ab-kassieren der Bürger durch den Staat.
In den nächsten vier Jahren steigen die Steuerein-nahmen um 160 Milliarden DM, um etwa 20 Prozentdes derzeitigen Steueraufkommens. Davon lediglich15 Milliarden DM zurückzugeben bedeutet mehr Staats-einnahmen, Abzocken der Bürger. Die Neue Mitte wirdvon Ihnen als Melkkuh der Nation betrachtet.
Herr Bundesfinanzminister, ich frage Sie: Wie sollenauf diesem Wege die von Ihrer Regierung propagiertenneuen Arbeitsplätze entstehen? Wie sollen mit diesemSteuerreformkonzept die Weichen für die Zukunft unse-res Landes so gestellt werden, daß mehr in zukünftigeArbeitsplätze investiert wird? Wie sollen bei diesemSteuerkonzept ausländische Investoren ermutigt werden,in Deutschland und nicht in anderen – auch europäi-schen – Mitbewerberländern zu investieren? Das wirdmit diesem Konzept nicht passieren!Sehr geehrter Herr Finanzminister, das Problem inDeutschland besteht nach wie vor nicht darin, daß wirzuwenig Staatseinnahmen haben; vielmehr besteht dasProblem darin, daß wir zu viele Staatsausgaben haben.
Ein ernster Sparwille ist bei Ihnen nicht vorhanden. DieSanierung der öffentlichen Haushalte über die Ausga-benseite findet nicht statt. Deshalb wird nach Ihrem Re-zept die Staatsquote nicht sinken. Das ist der Punkt, derallerorts vermißt wird. Es kann doch nicht angehen, daßder Sozialstaat weiter ausufert. Diejenigen, die Vorsorgebetreiben, werden höher belastet, während diejenigen,die keine Vorsorge betreiben, durch einen ausuferndenSozialstaat zu Lasten der Leistungsfähigen in unseremLand belohnt werden.Zugleich entdecken Sie neue Mehrbelastungen inIhrem Haushalt in Höhe von 10 Milliarden DM imJahr 1999. Wenn man sich die Pressemeldungen genaueranschaut – den Haushaltsentwurf haben wir ja bis heutenicht –, dann kann man feststellen, daß von den10 Milliarden DM angeblicher Mehrbelastung allein3 Milliarden DM dadurch entstehen, daß Bremen unddas Saarland zusätzlich mit 3 Milliarden DM beglücktwerden sollen.
Sie, Herr Finanzminister Lafontaine, haben sichschon in Ihrer Zeit als Ministerpräsident des Saarlandesvom Bund die Kosten Ihrer politischen Führung bezah-len lassen. Daß Sie nun auch als neuer Finanzministereine Morgengabe in dieser Größenordnung Ihrem Nach-folger im Saarland – zu Lasten aller anderen Steuerzah-ler, zu Lasten der neuen Bundesländer, die dringend aufHilfe angewiesen sind, und zu Lasten von Investitionenim neuen Haushalt – zukommen lassen, das ist schon ei-ne besondere Form der Vetternwirtschaft.
Die F.D.P. bekennt sich zur freien und zur sozialenMarktwirtschaft. Aber Leistung muß sich in unseremLande auch lohnen, und das kann nicht dadurch erfol-gen, daß für diejenigen, die Leistung erbringen, dieSteuerlast erheblich erhöht wird. Die F.D.P. hat in dervergangenen Legislaturperiode darauf gedrängt, daß dieBürger um 30 Milliarden DM netto entlastet werden.Das, Frau Matthäus-Maier, hat – ebenso wie die Erhö-hung des Kindergeldes – nicht die SPD durchgesetzt.Wenn Sie ehrlich sind, dann werden Sie zugeben müs-sen, daß die Mehrheit in den letzten vier Jahren bei derKoalition aus CDU/CSU und F.D.P. und nicht bei Ihnenwar.
Diese Koalition hat den Familienleistungsausgleichdurchgesetzt und die Leistungen für Kinder in unsererGesellschaft von 70 DM auf 220 DM erhöht.
Herr Kollege Thie-
le, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Wagner?
Ja.Carl-Ludwig Thiele
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352 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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Herr Kollege Thiele,
wären Sie bereit, zuzugeben, daß das, was Sie als Be-
glückungsaktion des Herrn Lafontaine für das Saarland
bezeichnet haben, auf einem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts beruht und daß Ihre Regierung die weite-
ren Hilfen für Bremen und das Saarland im Haushalt
1999 – zwar ohne Zahlen, aber dem Grunde nach – vor-
gesehen hatte, über den wir in erster Lesung beraten ha-
ben?
Herr Kollege Wagner,
Sie werden mir vermutlich zustimmen, daß im derzeit
geltenden Finanzausgleichsgesetz geregelt ist, welche
Mittel die Länder Bremen und Saarland bis zum Jahr
1998 erhalten. Mir ist aber kein Gesetz bekannt, welches
den Bundestag und den Bundesfinanzminister zwingt,
entsprechende Sonderzuweisungen für Bremen und
das Saarland in den Haushalt 1999 einzustellen. Eine
gesetzliche Grundlage gibt es also nicht. Es gibt das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich vermute, daß
der Herr Finanzminister irgendwann einen Entwurf zur
Änderung des Finanzausgleichsgesetzes vorlegen wird,
weil er ja eine gesetzliche Grundlage für diese Morgen-
gabe braucht. Dann werden wir darüber diskutieren
können, ob diese Mittel seitens des Saarlandes und sei-
tens Bremens tatsächlich zum Schuldenabbau verwandt
wurden, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt
hatte, oder nur dazu, den Spardruck von den Haushalten
in Bremen und dem Saarland zu nehmen.
Diese Diskussion werden wir noch führen. Eine gesetz-
liche Grundlage für die 3 Milliarden DM ist derzeit nicht
vorhanden.
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wag-
ner?
Gern, ja.
Herr Kollege Thiele,
können Sie mir sagen, welche Beweggründe der ehema-
lige Bundesfinanzminister Dr. Waigel hatte, Hilfen für
Bremen und das Saarland in den Haushaltsentwurf 1999
hineinzuschreiben?
Außerdem ist doch von allen Finanzministern in unserer
Republik festgestellt worden, daß beide Bundesländer
ihre Aufgaben erfüllt haben, was den Schuldenabbau
angeht. Ich verstehe Ihre jetzige Haltung nicht, wenn Sie
behaupten, das sei für Schönwetterzeiten des Saarlandes
oder Bremens gedacht. Das ist unzutreffend; das müssen
Sie mir bitte zugeben.
Herr Kollege Wagner,
ich möchte Sie doch bitten, sich einmal mit dem neuen
Finanzstaatssekretär Diller zu unterhalten, der zu dem
Haushaltsentwurf des jetzigen Abgeordneten und dama-
ligen Bundesfinanzministers Dr. Waigel erklärt hat, er
sei so gut, daß er von der SPD neu in den Bundestag
eingebracht werden könne.
In diesem Haushalt des ehemaligen Bundesfinanzmi-
nisters Dr. Waigel gibt es keine Leistung für das Saar-
land und Bremen. Es ist überhaupt nichts beziffert. Inso-
fern soll diesen beiden Ländern eine Morgengabe über-
reicht werden. Wir werden darüber diskutieren müssen.
Aber es ist ganz interessant, daß eine solche – nicht un-
wichtige – Information derzeit zwischen den Zeilen aus
der Presse herausgelesen werden kann. Dies zeigt, daß
es Ihnen nicht darum geht, zu sparen und über die Aus-
gabenseite die öffentlichen Haushalte zu sanieren, son-
dern daß es Ihnen nur um Umverteilung und stärkere
Belastung der Bürger und der Wirtschaft unseres Landes
geht.
Der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand hat
festgestellt, daß die Bürger schon im nächsten Jahr ent-
lastet werden könnten. Aber Sie tun es nicht. Sie könn-
ten die Bürger entlasten, aber Sie wollen es nicht. Sie
brauchen das Geld, um es in Ihrem Sinne umzuverteilen.
Dann aber erzählen Sie den Bürgern nicht, daß Sie sie
entlasten wollten. Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Bleiben Sie bitte einfach bei der Wahrheit!
Ich möchte hier abschließend feststellen: Die neue
rotgrüne Koalition will mehr Staat, mehr Bürokratie,
mehr Umverteilung zu Lasten der Leistungswilligen.
Das ist der falsche Weg. Deshalb werden Sie von den
gesamten Medien und dem gesamten wissenschaftlichen
Sachverstand kritisiert. Es kommt doch nicht von unge-
fähr, daß sich diejenigen, die Sie im Wahlkampf positiv
begleitet haben, enttäuscht abwenden, weil sie etwas an-
deres erwartet haben. Es kommt auch nicht von unge-
fähr, daß viele Bürger, die möglicherweise durch Wäh-
len der SPD eine große Koalition wollten, sich jetzt ge-
täuscht sehen und von den Reformkonzepten, die Sie
tatsächlich vorgelegt haben, enttäuscht sind. Nehmen
Sie einfach diese Kritik auf, orientieren Sie sich an dem
Steuerkonzept der F.D.P.,
das von allen gelobt worden ist. Dann können wir Sie
auf diesem Wege auch positiv begleiten.
Herzlichen Dank.
Ich gebe das Wortfür die SPD-Fraktion dem Kollegen Joachim Poß.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 353
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Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Weil hier einige mit Zahlen, Daten, Faktenund Wahrheiten auf Kriegsfuß stehen, möchte ich zu-nächst einmal etwas zu den Steuersenkungsspielräu-men sagen, die wir auf Grund der neuen Steuerschät-zung haben. Sie hat gegenüber der Mai-Schätzung fest-gestellt, daß wir in diesem Jahr unter anderem900 Millionen DM weniger an die EU abführen müssen,der Bund 700 Millionen DM mehr zu erwarten hat, beiden Ländern 2,4 Milliarden DM mehr eingehen sollenund die Gemeinden insbesondere als Nachzahlung ausder Gewerbesteuer 4,9 Milliarden DM mehr erhalten.Das ergibt Schätzabweichungen von insgesamt7,8 Milliarden DM. Für 1999 kommen die Steuerschät-zer zu folgendem Ergebnis: für den Bund minus 1 Mil-liarde DM, für die Länder minus 1,2 Milliarden DM, fürdie Gemeinden plus 1,1 Milliarden DM. Das heißt imKlartext: Der Steuersenkungsspielraum beim Bund für1998 und 1999, den der frühere BundesfinanzministerWaigel, auf das Jahr bezogen, noch mit rund 1,5 Milli-arden DM beziffert hat, wird durch die Steuerschätzungkeineswegs vergrößert, sondern eher verringert. Das istdie Feststellung, die hier zu treffen ist.
Von Abgeordneten dieses Hauses – nicht von Kon-junkturforschern, auch wenn sie Professoren sind, dieoffensichtlich die Zusammenhänge nicht kennen –, obsie jetzt Hasselfeldt oder Thiele heißen, muß ich dieKenntnis des Art. 115 des Grundgesetzes verlangen.
Danach haben wir den Spielraum von 20 bis30 Milliarden DM für Steuersenkungen eben nicht. Dasist die Wahrheit, meine Damen und Herren, die hierfestzustellen ist. Wir haben diesen Steuersenkungsspiel-raum nicht.
Historische Wahrheit ist aber, Herr Kollege Thiele,daß die alte Koalition ein umsetzungsfähiges Steuerre-formkonzept nicht vorgelegt hat.
Ihre Vorschläge waren unfinanzierbar.
Sie haben aus wahltaktischen Gründen der Bevölkerungeine Schaufensterauslage ohne Preisauszeichnung prä-sentiert.
Für diese Absicht hatte Waigel in seinem Haushalt kei-nerlei Vorsorge getroffen.
Das hat er doch am 2. September in seiner Haushaltsre-de, in seinen Ausführungen zur „symmetrischen Finanz-politik“ hier festgestellt. Das heißt: Wenn Sie bei derBundestagswahl noch einmal gewonnen hätten, was derWähler ja Gott sei Dank verhindert hat, dann hätten Sieerst noch die Entscheidung über die Finanzierung treffenmüssen. Dabei hätten Sie dann die Mehrwertsteuererhö-hung ins Auge fassen müssen, die Sie ja schon angekün-digt hatten, die bereits im Konzept enthalten war. Ichfrage mich nur, was Herr Philipp vom Handwerksver-band,
der unser Konzept so kritisiert, dazu sagt. Natürlichhätten Sie das nur mit einer Mehrwertsteuererhöhungfinanzieren können, was im Moment, wie wir wissen,für die Binnenkonjunktur Gift wäre.
Sie hätten Ausgaben streichen müssen, ohne konkret sa-gen zu können, welche.Nein, meine Damen und Herren, der wesentlicheUnterschied zwischen alter und neuer Regierung ist der:Bei Kohl, Waigel & Co. galt nur das Versprechen, dasgebrochene Wort. Wir halten unser Wort. Das ist derwesentliche Unterschied.
Deswegen werden wir unsere Steuerreform in dreiStufen in den Jahren 1999, 2000 und 2002 umsetzen.Was erreichen wir damit? Damit nähern wir uns demVerfassungsgebot der Besteuerung nach der wirtschaft-lichen Leistungsfähigkeit, das bei Ihnen in den letztenJahren und Jahrzehnten unter die Räder gekommen ist.Die alte Bundesregierung und insbesondere die F.D.P.haben das Steuerrecht verwüstet, aber hier spielen siesich als große Reformer auf. So sind die Tatsachen.
Jetzt ist es an der Zeit, die wahren Leistungsträgerder Gesellschaft zu entlasten: Arbeitnehmer und Fami-lien, aber auch den Mittelstand. Es darf doch nicht soweitergehen, daß die Finanzierung unserer Gemein-schaftsaufgaben nur noch von Arbeitnehmern, Verbrau-chern und Teilen des Mittelstandes vorgenommen wird.Wir dürfen nicht akzeptieren, daß Krankenschwestern,Handwerker, Industriefacharbeiter und Ingenieure weiterdie Lastesel der Nation sind, die sie bei Ihnen waren.
Unsere Steuerreform ist auch mutig. Darauf ist schonhingewiesen worden. Steuersubventionen von mehr als40 Milliarden DM abzubauen, gegen den Widerstandder Betroffenen, ist ein mutiger Schritt. Bei Stoltenbergwaren es 18 Milliarden DM, Herr Kollege Faltlhauser.Unser Entwurf unterscheidet sich in entscheidendenPunkten von Ihrer Vorlage:
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354 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
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Unsere Steuerreform führt zu mehr Steuergerechtigkeit,sie ist solide finanziert, sie ist wirtschaftspolitisch ver-nünftig – alles Anforderungen, die Ihr Konzept nicht er-füllt hat. Ihr Konzept hätte – was Sie genau wissen – da-zu geführt, daß Bund, Länder und Kommunen eine un-gedeckte Finanzierungslücke von über 50 MilliardenDM hätten hinnehmen müssen. Sie hätten hier denStaatsruin beschlossen. Das war doch unsolide bis zumgehtnichtmehr, was Sie sich geleistet haben.
Die Kritik der Verbände nehmen wir doch lockerhin. Was hat denn der BDI zu dem Gesetzentwurf deralten Regierung geschrieben? „Im Unternehmensbereichsehen wir nur Verlierer“, hat der BDI 1997 geschrieben,wobei er die Vorschriften zur Objektivierung der Ge-winnermittlung meinte, die Abschaffung des halbendurchschnittlichen Steuersatzes für außerordentlicheGewinne. Das hat er angesprochen, aber auch die Be-schneidung des Verlustvortrages, was Sie vorhatten. Dashaben wir gar nicht vor. Eine Verschlechterung der Be-dingungen bei der degressiven Abschreibung wolltenSie durchsetzen. Dagegen haben wir uns gewehrt. In un-serem Konzept hat die degressive Abschreibung Be-stand. Das heißt, unser Entwurf, wenn man die Sicht desBDI zugrunde legt, ist in diesen Teilbereichen wirt-schaftsfreundlicher als Ihr Entwurf. Ich bedauere nur,daß der BDI, der zu den Wahlverlierern gehört, und spe-ziell Herr Henkel nicht die Kraft aufbringen, das aucheinmal sachlich festzustellen.
Im übrigen ist eine wie auch immer geartete Steuer-und Abgabenreform kein Wundermittel zur Bekämpfungder Arbeitslosigkeit und auch keine Jobmaschine. Dasgilt für jedes Konzept.
Herr Lafontaine hat heute morgen zu Recht darauf hin-gewiesen. Seriöse wirtschaftswissenschaftliche Untersu-chungen haben ergeben – egal, ob man Ihr Konzept, dasnicht finanzierbar ist,
oder unseres zugrunde legt –, daß man, wenn es gutgeht,150 000 bis 250 000 Arbeitsplätze schaffen kann.
Das ist gut für die Menschen, die davon profitieren, aberdas geht auch nicht von heute auf morgen. UnseremKonzept werden dieselben Qualitäten zugetraut. Ichkann Ihnen da eine einschlägige RWI-Untersuchungzeigen.
– Nein, die wäre dann vom DIW. Sie kennen sich da of-fenbar nicht so gut aus.
Meine Damen und Herren, es muß endlich Schlußdamit sein, daß Sie den Standort schlechtreden. Erin-nern wir uns: Das Bundeswirtschaftsministerium hat erstvor wenigen Monaten – fast verschämt – gemeldet, daßDeutschland aus der Sicht internationaler Investorenkonkurrenzfähig ist und die ausländischen Investitionenin Deutschland kräftig gestiegen sind.
Unsere Steuerreform wird einen geeigneten Beitrag so-wohl zur dauerhaften Stabilisierung der wirtschaftlichenEntwicklung als auch zur Wiederherstellung einer ge-ordneten Finanzwirtschaft leisten. Darauf lege ich gro-ßen Wert: Unsere Steuerreform ist ein Beitrag zur Wie-derherstellung des inneren Friedens in unserem Volke,indem endlich mehr Steuergerechtigkeit verwirklichtwird.
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter Rauen.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz einerAnkündigung von Bundeskanzler Schröder, in den Ko-alitionsvereinbarungen Nachbesserungen für den Mittel-stand vorzunehmen, ist das Gesetz noch schlimmer ge-worden, als ursprünglich anzunehmen war.
Dieses Gesetz kassiert den Mittelstand ab; es entlastetihn nicht, sondern belastet ihn ganz massiv. Herr La-fontaine, Sie haben vor ein paar Tagen gesagt, daß nurdie Verbände gegen das Gesetz seien und die Unter-nehmer selbst nichts dagegen sagen würden. Frau Matt-häus-Maier, für mich braucht nicht Herr Henkel zu spre-chen. Ich bin seit 32 Jahren selbständiger Bauunterneh-mer und habe alle Höhen und Tiefen eines Unterneh-mers erlebt.
Ich habe Geld verdient, war aber auch in Gefahr, inKonkurs zu gehen und vor dem Nichts zu stehen. Ichweiß also sehr genau, wovon ich hier rede. Wenn Sie,Herr Poß, sagen, daß die Gewinnermittlungsvorschriftenin aller Regel die kleinen und mittleren Unternehmennicht betreffen würden, dann ist dieses ausweislich desGesetzentwurfes unwahr, irreführend und fast schon zy-nisch.
Joachim Poß
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Welchen Begriff haben Sie überhaupt vom Mittel-stand? Der Mittelstand in Deutschland umfaßt dieEigentümer-Unternehmer, vom Einzelhändler bis hinzum modernen 500-Mann-Betrieb im Maschinen- undAnlagenbau. Das sind 98 Prozent aller Unternehmen, sieerwirtschaften über 50 Prozent des Bruttoinlandspro-duktes, in ihnen arbeiten zwei Drittel aller Menschen,und sie bilden über 80 Prozent unserer jungen Menschenaus. Es sind die Betriebe, die von 1983 bis 1990 in denalten Bundesländern 3 Millionen und von 1991 bis 1996– ebenfalls in den alten Bundesländern – über 1 Millionzusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben; auch in denneuen Bundesländern tragen diese Betriebe maßgeblichzur Beschäftigung bei.
Wer diese Betriebe be- und nicht entlastet, vernichtetmittelfristig Arbeitsplätze. Genau das tut diese Reform.Ausweislich Ihrer Zahlen im Gesetzentwurf entlastenSie die Wirtschaft in der dreistufigen Reform durch Ta-rifsenkungen um ca. 13 Milliarden DM, während Siegleichzeitig durch veränderte Gewinnermittlungsvor-schriften die Wirtschaft um ca. 35 Milliarden DM bela-sten. Sie holen sich dieses Geld teilweise bei den großenKonzernen, vor allem aber – trotz aller Dementis, Be-teuerungen und Täuschungen – überwiegend beim Mit-telstand. Die Abschaffung des hälftigen Steuersatzes beiBetriebsveräußerungen trifft den Mittelstand ins Mark,
vor allem die Hunderttausende von Unternehmern, diealles in den Betrieb gesteckt haben, um Arbeitsplätze zuschaffen und zu sichern, und die den Betriebswert alsAltersversorgung angesehen haben.
– Herr Poß, auch wir hatten die Abschaffung des hälfti-gen Steuersatzes des § 34 Einkommensteuergesetz vor-gesehen, jedoch mit der Maßgabe, daß sich der durch-schnittliche Steuersatz dann zwischen den Grenzen von15 und 39 Prozent bewegt und nicht zwischen 23,9 und53 Prozent liegt.
– Halten Sie jetzt einmal den Mund, Herr Poß!Auch der ab 2002 vorgesehene Tarif von 19,9 Pro-zent Eingangssteuersatz und 48,5 Spitzensteuersatz mil-dert diese Zumutung für den Mittelstand nur unwesent-lich. Mit der Abschaffung der Sonderabschreibungenund der Ansparabschreibung ab dem Jahr 2000 bzw.2001 treffen Sie die Kleinbetriebe mit einem Einheits-wert unter 400 000 DM zutiefst in ihrer Liquidität, ohnesie andererseits maßgeblich zu entlasten. Für den Mittel-stand sind jedoch vor allem die Maßnahmen der Gegen-finanzierung gravierend, die bei der alten Bundesregie-rung nicht vorgesehen waren. Ich kann den Sachverhaltaus zeitlichen Gründen nur an zwei Beispielen deutlichmachen:Erstes Beispiel: Mit der Streichung der Teilwertab-schreibung legen Sie nicht nur die Axt an das Steuer-recht, Sie gefährden damit auch die Existenz vieler Be-triebe.
Sie zwingen Betriebe nicht nur, sich in der Steuerbi-lanz besser darzustellen, als sie sind – wenn Sie dies inder Handelsbilanz täten, würden Sie sich strafbar ma-chen, sogar möglicherweise wegen Konkursverschlep-pung ins Gefängnis gehen –, Sie zwingen sie sogar, aufWaren oder Betriebsanlagen, die nichts mehr wert sind,Steuern zu zahlen. Was muß demnächst ein Textilhänd-ler mit Modeartikeln tun, die nicht mehr zu verkaufensind und daher nichts mehr wert sind? Sie zwingen ihn,die Ware zum Einkaufspreis zu bilanzieren und damitSteuern zu zahlen, obwohl er durch diese Waren keineEinnahmen hat.
Was soll ich als Bauunternehmer mit genormten Ge-rüst- und Schalungsteilen tun, die auf drei Jahre abge-schrieben werden, die aber nach einem Jahr kaputt sind?Ich muß sie weiter bilanzieren, Steuern zahlen und nachLiquidität suchen, um die neuen Gerüst- oder Scha-lungsteile zu kaufen, damit meine Leute arbeiten kön-nen.
Das ist schlicht und einfach die Wahrheit über das, wasSie mit der Teilwertabschreibung bewirken.
Zweites Beispiel: Begrenzung des Verlustrücktragsauf ein Jahr, Rückführung auf 2 Millionen DM und Ab-schaffung ab dem Jahr 2001. Das ist ein Frontalangriffauf die Existenz moderner mittelständischer Betriebe.Ich habe einen Betrieb in Baden-Württemberg vorAugen, den ich kürzlich besucht habe. Er wurde vor16 Jahren gegründet; er hat 280 hochbezahlte Speziali-sten als Mitarbeiter und beschäftigt sich mit modernstemAnlagenbau und der Entwicklung von Prototypen, die inder ganzen Welt reißenden Absatz finden. Der Gründerund Firmenchef nannte mir als die beiden Probleme fürseine Firma, erstens qualifizierte Mitarbeiter zu findenund zweitens – auf Grund überbordender Gewährlei-stungs- und Bürgschaftsverpflichtungen – Kapital zu be-schaffen. Dieser Betrieb verdient gutes Geld, bezahltviel Steuern, läuft aber auch permanent Gefahr, aufGrund der Produktenhaftpflicht – zum Beispiel in Ame-rika – ein oder zwei Geschäftsjahre total „in den Sand zusetzen“. Dieser Betrieb soll nun nicht mehr – ansonstenverkraftbare – Verluste auf ein oder zwei Jahre zurück-tragen können, um sich Liquidität beim Finanzamt zubesorgen, Liquidität, die er möglicherweise bei denKreditinstituten nicht mehr bekommt. Das gilt glei-Peter Harald Rauen
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chermaßen für Hunderttausende von mittelständischenBetrieben.
Wer solche Gewinnermittlungsvorschriften durchsetzenwill, hat vom Mittelstand in Deutschland keine Ahnung.
Meine Damen und Herren, viel aufschlußreicher imRahmen der Gegenfinanzierung ist aus meiner Sicht eineMaßnahme, die Sie nicht durchführen, obwohl die alteBundesregierung den Mut dazu hatte. Ich spreche vonder Begrenzung der Verlustvorträge auf 50 Prozentder Gewinne bei einem Freibetrag von 2 Millionen DMfür mittelständische Betriebe. Ihr Verzicht auf diese Ge-genfinanzierung begünstigt nicht den Mittelstand. ImGegenteil: Er begünstigt ausschließlich die Großindu-strie, die es verstanden hat, durch Mantelkäufe nach demUmwandlungssteuerrecht unter anderem große Verlustepreiswert einzukaufen. Daß es in Deutschland zur ZeitVerlustvorträge in Höhe von zirka 400 Milliarden DMgibt, hat nur zum Teil mit operativen Verlusten zu tun,in hohem Maße aber mit diesen Mantelkäufen. Mit die-sen Verlustvorträgen ist in Deutschland teilweise einschwunghafter Handel getrieben worden, weil man sichdamit leicht Liquidität verschaffen konnte.
Ein großes deutsches Unternehmen hatte – Stand En-de 1996 – einen Verlustvortrag in Höhe von 16,6 Milli-arden DM. Dieses Unternehmen hat in 1997 ausweislichdes eigenen Geschäftsberichtes einen Gewinn von 4,3Milliarden DM gemacht. Zahlung von Körperschaft-und Gewerbeertragsteuer: null DM. Stünde das Gesetzder alten Bundesregierung im Gesetzblatt, würde dieserKonzern 1998 bei einem gleichen Gewinn 2,15 Milliar-den DM mit Verlusten verrechnen können, aber von denanderen 2,15 Milliarden DM Körperschaft- und Gewer-beertragsteuer in Höhe von über 1 Milliarde DM zahlen.Ich kann Ihnen aus der Erinnerung fünf ähnlich gela-gerte Fälle großer deutscher Konzerne nennen.Von dieser Maßnahme läßt die neue Bundesregierungdie Finger. Es ist ja auch einfacher, Zehntausende klei-ner Betriebe mit der Novellierung der Sonder- und An-sparabschreibung um Liquidität zu bringen,
als sich mit den Interessen derjenigen anzulegen, mitdenen man jahrelang im gleichen Aufsichtsrat gesessenhat.
Ich muß zum Schluß kommen. Die rund 3 Millionenselbständigen Unternehmen des Mittelstandes werdendies alles sehr genau beobachten. Wer in Deutschlandgegen den Mittelstand Arbeitslosigkeit abbauen will,mag bei der Arbeitsbewirtschaftung möglicherweise Er-folge vorweisen können, nicht aber bei der Zunahmevon Arbeitsplätzen bzw. von Beschäftigung, was zumehr Zahlungen von Steuern und Abgaben führen wür-de, wodurch letztlich der Staat finanziert wird.Ich bleibe dabei: Dieser Gesetzentwurf zur Steuerre-form ist ein Mittelstands- und Arbeitsplatzvernichtungs-programm.
Das Wort für die
PDS-Fraktion hat Frau Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Der Bundeskanzler pries in seiner Re-gierungserklärung die Steuerreform als Einsicht in öko-nomische Notwendigkeiten, in welcher sich modernerPragmatismus mit einem starken Sinn für soziale Fair-neß verbindet. Frau Professor Luft sagte schon, daß wirviele Maßnahmen der Steuerreform begrüßen. Aber diesoziale Fairneß vermissen wir an einigen Stellen. Odermeinen Sie, daß betroffene Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer die Halbierung der Freibeträge im Rahmenvon Abfindungen als sozial fair empfinden werden unddaß die bereits ab 1. Januar 1999 vorgesehene Strei-chung des Vorkostenabzuges bei eigenheimzulagebe-günstigten Wohnungen den Häuslebauern Freude ma-chen wird? Wo ist die Individualisierung des Steuer-rechtes, wo seine größere Transparenz?Es gibt auch viel Diskussionsstoff bezüglich der Öko-steuer.Ich sage aber auch: Wir unterstützen Ihren Antrag be-züglich der Kindergeldauszahlung und der Erstellungder Lohnsteuertabellen. Hier tut Eile tatsächlich not.Aber ich frage Sie: Warum lassen Sie sich andererseitsbis zum Sankt-Nimmerleins-Tag Zeit? Wer mehr sozialeGerechtigkeit will, wer Armut bekämpfen will, mußReichtum begrenzen.
Gerade weil die alte Regierung von Christdemokratenund Liberalen eine große finanzielle Erblast hinterlassenhat, reicht es nicht aus, nur erste kleine Entlastungs-schritte zu machen, die zum Teil schon gesetzlich ver-ankert waren und nur erste Schritte sein können. Esreicht nicht aus, in der Regierungserklärung die alte Lei-er der staatlichen Ausgabenbeschränkung und der Miß-brauchskontrolle – nur neu arrangiert – weiter zu spie-len. Es gilt, den Mut aufzubringen, tatsächliche Einnah-meerhöhungen anzustreben.Hier sind wir bei dem Stichwort Vermögensteuer.Im Koalitionsvertrag stellen Sie in Aussicht, eine Sach-verständigenkommission einzuberufen, die die Grundla-ge für eine wirtschafts- und steuerpolitisch sinnvolleVermögensbesteuerung schaffen soll. Ich frage Sie: Wassoll denn das, meine Damen und Herren von der Regie-rungskoaltion? Ein elegantes Begräbnis? – Damit sindwir von der PDS nicht einverstanden.Wir fordern Sie deshalb mit unserem Antrag auf, biszum 30. März nächsten Jahres einen Gesetzentwurf fürdie Wiedererhebung der Vermögensbesteuerung auf derBasis einer reformierten Bemessungsgrundlage vorzule-gen.
Peter Harald Rauen
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Ich muß Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegenvon der SPD und von den Grünen: Sie scheinen verges-sen zu haben, daß Sie selber schon fix und fertige Ge-setzentwürfe dazu hatten: Drucksache 13/5504 undDrucksache 13/4838. Nehmen Sie sie, schauen Sie, woIhre Berührungspunkte sind. Sie sind zu finden. Sie vonder SPD haben unter anderem noch vor zwei Jahren fasteinheitliche Tarife für natürliche und juristische Perso-nen gefordert.Sie legten Vorschläge für die Neugestaltung der Frei-beträge vor. Von den Grünen gab es dazu ein Ände-rungsgesetz. Sie können also sofort handeln. Ich verste-he nicht, warum sich die Regierung berechtigterweiseden Vorwurf von Matthias Geis gestern in der „Zeit“machen läßt:Wir warten auf Reformkonzepte, die diesen Namenverdienen. In den Schubladen jedenfalls liegt we-nig.Herr Bundeskanzler, seien Sie froh, daß die PDS alslinke Opposition im Bundestag ist. Wir werden Sie ver-anlassen, ruhig ein bißchen tiefer in Ihren Schubladen zukramen und auch die alten Gesetzentwürfe hervorzuho-len. Auf dieser Basis soll ein Neuvorschlag zur Vermö-gensbesteuerung bis zum 30. März vorgelegt werden.
Im Grundgesetz ist nicht nur der Schutz des Eigen-tums verankert. Im Grundgesetz ist eben auch das Sozi-alstaatsprinzip verankert, die Verantwortung des Staa-tes für den Ausgleich sozialer Gegensätze und für einegerechte Sozialordnung. Diese Verantwortung muß erunserer Meinung nach vor allem auch mit der Erhebungvon Steuern wahrnehmen.Wir unterbreiten Ihnen noch einen zweiten Vor-schlag. Herr Poß hat zu Recht darauf hingewiesen, daßes notwendig ist, zum Prinzip der Besteuerung nach derwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zurückzukehren.Deshalb schlagen wir Ihnen vor: Erarbeiten wir gemein-sam ein Gesetz zur Besteuerung des Erwerbs von Lu-xusgütern; denn die Menschen, die sich zum Beispielein Schmuckstück im Wert von 10 000 DM kaufen kön-nen, können auch auf die 16 Prozent Mehrwertsteuer die6 Prozent einer erhöhten Verbrauchssteuer drauflegen.
Lassen Sie uns hier anfangen. Dann haben wir wirk-lich ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit und für Aus-gleich gesetzt, auch bei der Steuerreform.Ich danke Ihnen.
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 14/23, 14/11 und 14/27 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Das Steuerentlastungsgesetz auf Drucksache 14/23
soll zusätzlich an den Ausschuß für Tourismus und an
den Ausschuß für Bildung und Forschung überwiesen
werden. Der Haushaltsausschuß soll diesen Gesetzent-
wurf zur Mitberatung gemäß § 96 der Geschäftsordnung
erhalten. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen zur Kindergeldauszahlung und zur Erstellung
der Lohnsteuertabellen 1999 auf Drucksache 14/28. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalition und der PDS bei Enthaltungen der Fraktionen
von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die sozialdemo-
kratische Bundestagsfraktion beabsichtigt die Durchfüh-
rung einer kurzen Fraktionssitzung. Daher unterbreche
ich die Sitzung für etwa 30 Minuten. Der Wiederbeginn
wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag
der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an der NATO-Luft-
überwachungsoperation über dem Kosovo
– Drucksachen 14/16, 14/32 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel
Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
Aussprache über diese Vorlage namentlich abstimmen
werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist
für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden des Auswärtigen
Ausschusses, Hans-Ulrich Klose.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Gemäß § 66 Abs. 1 der Geschäfts-ordnung erstatte ich Ihnen im Einvernehmen mit denKollegen Vorsitzenden des Rechts-, Haushalts- undVerteidigungsausschusses Bericht über die Beratung desAntrages der Bundesregierung „Deutsche Beteiligung ander NATO-Luftüberwachungsoperation über dem Koso-vo“, „NATO Kosovo Air Verification Mission“, Druck-sache 14/16.Dieser Antrag ist am Dienstag dieser Woche demAuswärtigen Ausschuß federführend und den genanntenAusschüssen zur Mitberatung überwiesen worden. Un-mittelbar nach der Konstituierung am heutigen MorgenDr. Barbara Höll
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haben sich die Ausschüsse in ihren ersten Arbeitssitzungeingehend mit diesem Antrag befaßt.Der Rechtsausschuß empfiehlt, dem Antrag zuzu-stimmen. Der Beschluß wurde mit den Stimmen derFraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses90/Die Grünen sowie der F.D.P. gegen die Stimmen derFraktion der PDS bei einer Enthaltung seitens der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen gefaßt.Der Haushaltsausschuß hat mehrheitlich mit denStimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion bei drei Stimmenthal-tungen der Fraktion der SPD
gegen die Stimmen der Fraktion der PDS empfohlen,dem Antrag zuzustimmen.Der Verteidigungsausschuß hat mit den Stimmender Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses90/Die Grünen und der F.D.P. gegen die Stimmen derFraktion der PDS ebenfalls den Beschluß gefaßt, demPlenum zu empfehlen, dem Antrag der Bundesregierungauf Drucksache 14/16 seine Zustimmung zu erteilen.Der Auswärtige Ausschuß hat in Anwesenheit desBundesministers des Auswärtigen und des Bundesver-teidigungsministers beraten und beschlossen. Beidendanke ich für die ausführlichen Erläuterungen. Ich stellefest, daß sich schon in der ersten Sitzung des Ausschus-ses eine gute Zusammenarbeit zwischen Parlament undRegierung gezeigt hat. So soll es sein, und so soll esbleiben.Der Auswärtige Ausschuß hat in Kenntnis der Votender mitberatenden Ausschüsse beschlossen. Er empfiehltdem Hohen Hause mit der großen Mehrheit der Stim-men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-Fraktionund der F.D.P.-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionder PDS die Annahme des Antrags der Bundesregie-rung. Damit verbindet sich unsere Hoffnung auf eine,wie es im Antrag heißt, „Stabilisierung der Verhältnisseim Kosovo“ und auf die Schaffung eines Umfeldes, wel-ches zu einer dauerhaften und tragfähigen Friedensre-gelung beiträgt und auf die Abwendung einer humanitä-ren Katastrophe abzielt. In diesem Sinne empfehlen alleAusschüsse die Zustimmung zu dem Antrag.Ich bedanke mich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt der
Bundesaußenminister Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bun-desregierung bittet heute den Deutschen Bundestag, derEntsendung deutscher Kräfte zur Teilnahme an einerNATO-Operation zur Luftüberwachung der VN-Sicherheitsratsresolutionen 1160 und 1199 zuzustim-men. Die Bundesregierung beabsichtigt, nach der Zu-stimmung des Deutschen Bundestages an dieser Opera-tion mit unbewaffneten, unbemannten und ferngesteu-erten Aufklärungsflugzeugen teilzunehmen.Für die Bedienung einschließlich des Schutzes diesesempfindlichen Geräts sollen bis zu 350 Soldaten einge-setzt werden. Darüber hinaus soll deutsches Personal imfliegenden NATO-Frühwarn- und -führungssystemAWACS eingesetzt werden.Ich möchte nochmals den Zusammenhang zu derSondersitzung des 13. Deutschen Bundestages her-stellen, der in seiner letzten Sitzung beschlossen hat, aneiner möglichen NATO-Militäraktion teilzunehmen. DieKonsequenz dieses Beschlusses war dann eine in letzterMinute erreichte Einigung zwischen dem US-Sondergesandten Richard Holbrooke und der Regierungin Belgrad. Sie hat eine Militäraktion verhindert. Diesegeplante Militäraktion hatte zum Zweck, eine humanitä-re Katastrophe im Kosovo angesichts zahlloser Flücht-linge, zerstörter Dörfer, zerstörter Wohnungen und desdrohenden Winters abzuwehren.Heute können wir sagen, daß die humanitäre Kata-strophe – alle vor Ort berichten dies – abgewehrt werdenkonnte. Ich denke, das ist ein erster wichtiger Erfolg.
Die Flüchtlinge sind zum überwiegenden Teil in ihreDörfer und Häuser zurückgekehrt. Worauf es jetzt an-kommt, ist, die Abwendung der humanitären Katastro-phe in eine Verstetigung des friedlichen Zusammenle-bens, des friedlichen Alltags, des Wiederaufbaus, derHilfe zum Wiederaufbau und einer politischen Lösungzu führen.Holbrooke hatte drei Körbe verhandelt. Die Umset-zung von allen drei Körben wird für die Abwendung derhumanitären Katastrophe, für die Beendigung des Krie-ges und für eine politische Lösung letztendlich unab-weisbar sein. Es besteht hier ein Sachzusammenhang;deswegen müssen wir den Bundestag heute erneut miteinem Beschluß beschäftigen und werden ihn in abseh-barer Zukunft mit einem weiteren Beschluß zu beschäf-tigen haben. Ich füge gleich hinzu: Das liegt nicht an derBundesregierung, sondern allein an den Problemen, diesich aus dem Konsultationsprozeß des NATO-Rates undder Beschlußfassung dort ergeben. Wir hätten dies gernin einem Beschluß zusammengefaßt.Lassen Sie mich in aller Kürze auf die Realisierungder drei Körbe zu sprechen kommen.Zum ersten, dem humanitären Korb: Mit dem nachMeinung westlicher Beobachter und der entsprechendenNATO-Stellen weitestgehend umgesetzten Rückzug derjugoslawischen Truppen und Sondereinheiten ist dieRückkehr der Flüchtlinge ermöglicht worden. Damit isteine humanitäre Katastrophe abgewendet worden.Der zweite Korb ist die Überwachung dieses Prozes-ses. Auch dieser Korb ist sowohl für die Sicherheit derMenschen im Kosovo als auch für den Fortgang der po-litischen Lösung unabweisbar. Dafür hat die Bundesre-Hans-Ulrich Klose
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 359
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gierung in ihrer ersten Kabinettssitzung beschlossen, daßwir uns mit bis zu 200 zivilen Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern an der OSZE-Mission beteiligen.Ich habe es an anderer Stelle schon gesagt: Hierinliegt ein entscheidender Schritt nach vorne für die Rolleder OSZE im Peacekeeping, das heißt im Überwachendes Friedens, in der Durchsetzung des Friedens mit zi-vilen Mitteln in Europa. Ich sehe hier ebenfalls einengroßen Fortschritt.
Der Kollege Scharping und das Auswärtige Amtwerden je 80 Personen, das Bundesinnenministeriumwird 40 Personen – jeweils als Höchstgrenze – bereit-stellen und in den Kosovo entsenden. Die Entsendungwird im Dezember, nachdem alle Vorarbeiten getroffensind und die Einstellungen entsprechend abgeschlossenwurden, vorgenommen werden.Wenn man sich dazu durchringt, diesen Schritt zu tun– ich sehe in diesem zivilen Peacekeeping einen wirk-lich historischen Durchbruch –, dann wird es entschei-dend sein, daß man den Menschen, die man dort hin-schickt, optimale Bedingungen schafft. Ich weiß, sehrviele Kolleginnen und Kollegen – auch und gerade aufder linken Seite des Hauses – haben, als sie in der Son-dersitzung zugestimmt haben, auf Grund der rechtlichenAspekte und auch der politischen Folgen, die sich darausergeben können, offene Fragen gehabt. Ich weiß, es gibtnach wie vor Fragen und Probleme in diesem Zusam-menhang. Ich bitte aber alle, die sich mit der Zustim-mung schwertun, zu bedenken, daß die Verifikation derOSZE-Mission daran hängt, daß die militärische, aberunbewaffnete Luftraumüberwachung ebenfalls stattfin-det.
Die Bundesregierung bittet Sie heute um Ihre Zu-stimmung; denn es geht nicht nur um die Verifikationam Boden; vielmehr muß diese Verifikation am Bodendurch eine militärische, aber unbewaffnete Luft-raumüberwachung gestützt werden. Da es sich hier umhochgeheimes Gerät handelt – der Kollege Scharpingwird noch auf das Erfordernis einer klaren Vereinbarungmit der Regierung in Makedonien zu sprechen kommen–, wird es hier ebenfalls zum Einsatz von bewaffnetenKräften seitens der Bundeswehr zwecks Bewachung desunbemannten Fluggeräts kommen. Der Fall, der hiereingetreten ist, ist konstitutiv. Deswegen muß der Ge-setzgeber, der Deutsche Bundestag, darüber abstimmen.Ich hoffe, Sie werden mit Ja stimmen.Lassen Sie mich noch auf den dritten und, ich glaube,schwierigsten Punkt zu sprechen kommen, den Korb 3,die politische Lösung. Wir müssen davon ausgehen, daßdie beiden beteiligten Konfliktparteien sich ausschlie-ßende, hochsymbolisch aufgeladene Interessen verfol-gen. Die albanische Seite will die Unabhängigkeit, dieSezession des Kosovos. Ich kenne keine politische Kraftin Belgrad, die bereit ist, dies zu akzeptieren.Wir haben hier eine sehr schwierige Situation. DieHaltung des Westens ist klar definiert. Die Haltung desWestens, die der Bundesrepublik Deutschland, die derVorgängerregierung und auch die dieses Hauses warimmer die, daß wir Sezession, Unabhängigkeit nichtunterstützen; vielmehr unterstützen wir die Durchset-zung der Menschenrechte und ein weitgehendes Auto-nomiestatut, allerdings im Rahmen der BundesrepublikJugoslawien. Dies ist Gegenstand der Holbrooke-Milosevic-Vereinbarung.
Gestern habe ich, wie ich heute den Ausschüssen be-richtete – auch hier möchte ich es noch einmal erwähnen–, in einem Gespräch im Ministerium mit Vertretern derKosovo-Albaner aus Pristina und auch mit hier lebendenExilalbanern auch darauf hingewiesen, daß wir mit gro-ßer Sorge die Entwicklung von Gewalteinsatz auf alba-nischer Seite sehen. Der Friedensprozeß setzt Gewalt-verzicht auf beiden Seiten voraus.
Damit es in diesem Friedensprozeß im Interesse derBevölkerung tatsächlich zu positiven Ergebnissen kom-men kann, brauchen wir jetzt diese OSZE-Mission unddie dazu notwendige Luftraumüberwachung. Sie ist Be-standteil dieser Mission. Wir brauchen jetzt vor allenDingen eine Einigung über das entsprechende Statut, einAutonomiestatut für die Dauer von drei Jahren. Aufder Grundlage dieses Statuts kann dann im Kosovo einkonstitutioneller Prozeß beginnen, begründend auf frei-en Wahlen, begründend auf einem aus diesen freienWahlen hervorgegangenen Regionalparlament, begrün-dend auf einer eigenen Justiz, begründend auf einereigenen Polizei. Ich denke, das ist es, was jetzt angegan-gen werden muß. Hier liegen allerdings noch erheblicheSchwierigkeiten. Nur glaube ich nicht, daß wir, ohnedaß wir hier zu einem positiven Abschluß kommen, tat-sächlich eine Entwicklung hin zu dauerhafter Gewalt-freiheit und zu Frieden in dieser Region erleben werden.An einer solchen Entwicklung haben wir aber großesInteresse.
Ich bitte Sie also, dem Antrag der Bundesregierungzuzustimmen. Ich möchte auch all diejenigen, die ausnachvollziehbaren Gründen mit einem Ja Schwierigkei-ten haben, bitten, nochmals über ihre Entscheidungnachzudenken. Ich sage Ihnen ganz persönlich – dasgilt für den Kollegen Scharping und für den KollegenSchily –:
Wir schicken unbewaffnete zivile Mitarbeiterinnen undMitarbeiter in eine sehr schwierige Mission. Die Bun-desregierung tut dies als Ganzes; aber ich betone auchBundesminister Joseph Fischer
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die persönliche Seite. Gerade dann, wenn wir politischvon der Notwendigkeit einer stärkeren Rolle der OSZEüberzeugt sind, müssen wir den Menschen, die bereitsind, dieses Risiko in unserem Auftrag einzugehen, op-timale Bedingungen schaffen. Dazu gehört ein Ja zurheutigen Beschlußvorlage.Ich bedanke mich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetzt
der Abgeordnete Paul Breuer, CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierungbetreffend die Beteiligung der Bundeswehr an derNATO-Luftraumüberwachungsoperation über dem Ko-sovo. Es geht uns darum, daß Deutschland seinen ver-antwortungsvollen und verantwortungsbewußten Beitragdazu leistet, daß die Menschen im Kosovo nicht nur vorder humanitären Katastrophe geschützt werden, die sichhier angedeutet hatte und zum Teil schon eingetretenwar, sondern auch auf Dauer eine Lebens- und Friedens-perspektive im Kosovo erhalten.
Es wäre natürlich gut gewesen, Herr Minister Fischer,wenn wir heute auch über die Entsendung der Schutz-und Evakuierungstruppe, der sogenannten ExtractionForce, hätten debattieren und entscheiden können. Aberes ist richtig: Die Zeitabläufe bei der NATO ließen diesnicht zu. Gleichwohl müssen wir heute beides im Zu-sammenhang debattieren und würdigen.Meine Damen und Herren, für uns muß feststehen,daß Milosevic im Abkommen mit dem US-Sonder-botschafter Holbrooke nicht zu derart weitreichendenZugeständnissen, wie sie zustande gekommen sind, hättegebracht werden können, wenn nicht auch der DeutscheBundestag, wenn nicht Deutschland seine Verantwor-tung in der Art und Weise wahrgenommen hätte, wiewir es getan haben.
Deswegen ist es für mich unverständlich – wir werdenim Laufe der Debatte sicherlich noch einiges dazu hö-ren –, daß es in diesem Hause nach wie vor Kollegengibt, die meinen, die Debatte von gestern über Rechts-grundlagen usw. erneut führen zu müssen.Wir müssen heute sagen: Es war ein Erfolg der inter-nationalen Staatengemeinschaft, es war ein Erfolg insbe-sondere der NATO, Milosevic zu diesen Zugeständnis-sen zu bringen. Wir können das, was wir heute einleiten,nur auf der Basis dieses Prozesses, der unter Druck zu-stande kam, weiter beraten.Es ist wichtig, daß wir nun den zweiten Schritt tun,indem wir unseren Willen bekunden, die Einhaltung die-ser Zusagen auch wirkungsvoll zu überwachen. Solangenicht eindeutig nachprüfbar ist, inwieweit die Bundesre-publik Jugoslawien in allen vereinbarten Teilen die Zu-sagen einhält, muß die Drohkulisse der NATO so beste-henbleiben, wie sie besteht.
Der Abzug der serbischen Sicherheitskräfte, der wohlweitestgehend erfolgt ist – das wurde auch von der Bun-desregierung deutlich gemacht –, ist nur der ersteSchritt. Vorrangig wird sein, wie rasch die Modalitätendafür geschaffen werden können, daß alle Flüchtlinge,die zum Teil nach wie vor in den Wäldern hausen müs-sen, die Angst haben und vom Winter bedroht sind, inihre zerstörten Dörfer oder andere Liegenschaften zu-rückkehren können.Ich begrüße ausdrücklich, daß sich die neue Bundes-regierung zur, wie sie sagt, Kontinuität deutscher Au-ßen- und Sicherheitspolitik bekennt. Aber es mußschon erlaubt sein, darauf hinzuweisen, daß es die alteKoalition war, die die neue VerantwortungsrolleDeutschlands in der Staatengemeinschaft zu Beginn der90er Jahre maßgeblich befördert hat, und daß Sie damalsauf einer anderen Seite gestanden haben.
Ohne uns hätten das Ansehen Deutschlands in der Weltund die Berechenbarkeit der deutschen Außen- und Si-cherheitspolitik damals schweren Schaden erlitten.Wir nehmen die innere und äußere Anpassungsfähig-keit des neuen Außenministers zur Kenntnis. Der Lernpro-zeß, den Sie, Herr Minister Fischer, vollzogen haben, istnun in gleichem Maße auch von Ihren Kolleginnen undKollegen in der bündnisgrünen Fraktion nachzuvollziehen.Ich möchte darauf hinweisen – weil man es muß –,daß am 16. Oktober bei der Abstimmung des alten Bun-destages immerhin nur 26 von 47 Mitgliedern der Grü-nen-Fraktion dem Einsatz zugestimmt haben. Das waretwas mehr als die Hälfte. Bei so wenig Unterstützungaus den eigenen Reihen von einer Kontinuität der Politikzu reden, das, Herr Minister Fischer, ist schon etwasverwegen. Auch das muß deutlich gesagt werden.
Wir werden schon genau darauf achten, und zwarheute wie in Zukunft, ob die neue Bundesregierung inder Lage ist,
für Auslandseinsätze hier im Deutschen Bundestag, indiesem Hohen Hause, die erforderlichen Mehrheiten si-cherzustellen. Um es klar zu sagen, Herr KollegeSchlauch: Wir stellen uns unserer Verantwortung, garkeine Frage; das wissen Sie auch. Aber wir sind natürlichnicht dazu bereit, Unstimmigkeiten bei Ihnen durch unse-re Stimmen zu überdecken. Wir achten genau darauf undwerden Sie in namentlicher Abstimmung fordern.
Bundesminister Joseph Fischer
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Spielen Sie also bitte nicht – da möchte ich Sie per-sönlich ansprechen, Herr Minister – die Qualität desheute und in der kommenden Woche zu beratenden Ein-satzes herunter! Sie sprachen eben von einem zivilenPeacekeeping. Dieser Einsatz, und zwar sowohl dieLuftverifikation wie der Einsatz am Boden, der Einsatzder 2 000 OSZE-Beobachter ist eine höchst gefährlicheUnternehmung und kein Weihnachtsspaziergang.Wenn ich heute in der „Bild“-Zeitung lese – sicheretwas falsch, etwas überzogen dargestellt –, daß dieBundesrepublik Jugoslawien Waffeneinkäufe bei derRussischen Föderation tätige – ich denke, ich weiß esrichtig einzuschätzen; da besteht nach wie vor ein Rü-stungsabkommen –, dann weiß ich, daß deutsche Streit-kräfte dort auch modernsten Waffensystemen begegnenkönnen.Wenn man weiß, daß es ständig – täglich – Provoka-tionen zwischen UCK und serbischen Sicherheitskräftengibt – wir sehen beide Seiten –, dann weiß man, in wel-ches schwierige Szenario jeder einzelne OSZE-Beobachter dort jeden Tag kommen kann, dann weißman, wie notwendig es ist, daß bewaffnete Streitkräfteals Schutz- und Evakuierungstruppe, und zwar gut aus-gebildet, bestausgebildet, zur Verfügung stehen. Hierdann von einem zivilen Peacekeeping zu reden, könnte,wenn man es so verstehen will, schon dazu dienen, daßSie Ihren Leuten, insbesondere in der Grünen-Fraktion,verkaufen wollen, daß das alles einfach sei, und daß Sieeine hohe Zustimmungsrate bekommen wollen. Das istnicht zugelassen. Wir müssen den Menschen in unseremLande, den Beobachtern und den Soldaten, schon klarsagen, daß es um eine gefährliche Operation geht. Nurwenn wir dies feststellen, besteht auch mental die Si-cherheit, daß diese Menschen wohlbehalten wieder nachHause kommen können.
Das ist verantwortliche Politik, meine Damen und Her-ren.In diesem Zusammenhang will ich eines sagen: Wennes darum geht, die deutschen Truppenteile für dieSchutz- und Evakuierungstruppe festzustellen, zu identi-fizieren – das wird ja in der kommenden Woche gesche-hen –, dann fordern wir schon, daß es die Besten sind,die die Bundeswehr hat. Das heißt dann, daß in der Ein-satzreserve – die braucht man nicht nach Mazedonien zuschicken – das Kommando Spezialkräfte vorgehaltenwird. Das sind die in bestimmten Szenarien am bestenausgebildeten Soldaten. Es kann nicht sein, daß deshalb,weil die Grünen-Fraktion in der Vergangenheit etwasdagegen hatte, daß diese Truppen aufgestellt werden,möglicherweise davon abgesehen wird. Auch das willich hier deutlich feststellen.
Ein letztes Wort zur Finanzierung des Einsatzes.Dieser Einsatz kostet viel Geld. Er wird – so schreibenSie es ja in der Vorlage – in diesem Jahr das Geld desVerteidigungsetats kosten; das soll aus dem Einzelplan14 erwirtschaftet werden. Ich spreche jetzt einmal mitder Sprache, in der die SPD-Opposition – jetzt in derRegierung – in der Vergangenheit mit uns geredet hat.Sie haben den damaligen Finanzminister, den KollegenDr. Waigel, ständig dazu aufgefordert, daß er das Geldaus dem Gesamthaushalt geben solle. Ich fordere auchSie jetzt dazu auf. Sollten Sie, Herr Minister Scharping,damit Schwierigkeiten haben: Unsere Unterstützung istIhnen sicher.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt derBundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-gung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieMaßnahmen, die die internationale Staatengemeinschafttrifft, müssen im Zusammenhang gesehen werden. Dar-auf hat mein Kollege Fischer hingewiesen. Der Aufbaumilitärischen Drucks hat zu dem Abkommen zwischenHerrn Milosevic und Herrn Holbrooke geführt. Ich willan dieser Stelle sagen, damit das auch für die weiterenDebatten klar ist: Die Bundesrepublik Deutschland hatkeine Schwierigkeiten mit dem serbischen Volk undhegt keine Animositäten und schon gar nicht Feindschaftgegen das serbische Volk; sie bedauert aber, daß dasserbische Volk eine diktatorische Regierung hat, die daseigene Land und andere unter Druck setzt.
Mit diesem Abkommen und den Folgevereinbarun-gen ist erstens die Verifikation am Boden, also die Mis-sion durch die OSZE, und zweitens die bemannte undunbemannte Verifikation in der Luft geregelt. Hierfürgibt es mehrere Rechtsgrundlagen, über die ich Sie jetztinformiere: Neben diesem Abkommen, das häufig er-wähnt wird, gibt es ein zweites zwischen dem NATO-Oberbefehlshaber und dem jugoslawischen General-stabschef; außerdem gibt es einen entsprechenden Be-schluß des Ständigen Rates der OSZE und schließlichauch die Resolution des Weltsicherheitsrates mit derNummer 1203, die all dies aufgreift und bekräftigt unddie Staatengemeinschaft ermuntert, in diesem Sinne zuverfahren.Hinsichtlich der Bedenken gegenüber einer Verifika-tion am Boden kann ich das Haus darüber informieren,daß mittlerweile alle Staaten begonnen haben, ihre Be-obachter zu notifizieren, also anzumelden. Das gilt übri-gens für alle europäischen Staaten, einschließlich Ruß-lands und der Ukraine, sowie für die Vereinigten Staatenvon Amerika. Ich sage das deshalb, damit sich einzelneMitglieder des Hauses oder möglicherweise eine Frakti-on nicht hinstellen und sich für klüger halten kann alsdie internationale Staatengemeinschaft, Rußland und dieUkraine eingeschlossen.
Paul Breuer
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Im übrigen unterliegen diese 2 000 Beobachter einerGefahr. Es hat keinen Sinn, daran vorbeizureden. DieGefahr ergibt sich daraus, daß in dem Abkommen zwargeregelt ist, daß die Bundesrepublik Jugoslawien fürdie Sicherheit der OSZE-Beobachter die Gewährleistungzu übernehmen hat, daß aber die UCK eigene Interessenverfolgt. Im Kosovo gibt es nicht nur von beiden Seitenverursachte Scharmützel, sondern auch den Anspruch,bestimmte Gebiete mit angemaßter ziviler Autoritätzu kontrollieren. Aus diesem Widerstreit einerseits zwi-schen den Garantien des Abkommens und anderer-seits den Ansprüchen, die die UCK stellt, ergeben sichRisiken. Es gibt leider auch andere, aber ich wolltedas an diesem einen Beispiel deutlich machen. Es sollteuns also bewußt sein, daß wir mit der Entsendungder Verifikateure auch ein gewisses Risiko eingehen,das für diese Menschen erheblich werden kann. Das ist– ich stimme dem Kollegen Breuer ausdrücklich zu –kein Spaziergang, sondern ein mit Risiko behafteter Ein-satz.Um so wichtiger wird es sein, daß die Verifikation inder Luft funktioniert. Da wird eine Drohnenbatterie derBundeswehr entsandt; diese Informationen haben Siealle. Deswegen will ich mich jetzt auf den Hinweis be-schränken, daß die Stationierung dieser Batterie erst er-folgen wird, wenn es zu einer entsprechenden Vereinba-rung mit der mazedonischen Regierung gekommen ist.Dazu konnte es wegen des Regierungswechsels in die-sem Lande nicht kommen. Er hat nicht so gut funktio-niert wie hier. Aber das ist eine eher scherzhafte Bemer-kung am Rande.Ich möchte darauf aufmerksam machen – damitkomme ich auf eine Bemerkung zurück, die ich in derersten Debatte am Dienstag schon gemacht habe –, daßwir für politische Lösungen nur ein sehr enges Zeitfen-ster haben. Auch wenn das Abkommen eine Zeit vondrei Jahren vorsieht und wenn jetzt für ein halbes JahrEntscheidungen innerhalb der OSZE oder der NATOgetroffen werden, für die politische Lösung gibt es ver-mutlich nur ein sehr enges Zeitfenster. Es gibt hier einegegenseitige Verantwortung. Man muß das auf mehrerenSeiten klarmachen. Deswegen will ich in diesem Zu-sammenhang sagen, daß Waffenlieferungen gleich wel-chen Staates – das gilt auch für Rußland – und aus wel-chen Motiven auch immer in dieses Gebiet hinein ange-sichts der Chance eines Friedensprozesses ein unver-antwortliches Verhalten darstellen. Dabei ist es ganzegal, von wem es kommt.
Ich will auch deutlich machen, daß beispielsweise in-nerhalb der OSZE die Weigerung Rußlands, im Rahmender OSZE-Maßnahmen auch eine unabhängige Bericht-erstattung durch Journalisten aus dem Kosovo heraus zuermöglichen, die Situation ebenfalls eher erschwert alserleichtert.
Denn für eine demokratische Entwicklung braucht manmehreres, darunter auch eine unabhängige und freiePresse.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund desengen Zeitfensters, eines nicht sehr konsistenten Ver-haltens einzelner Staaten und der Risiken, die dadurchentstehen, wird es um so wichtiger sein, auch die Ent-scheidungen sorgfältig vorzubereiten, die sich mit dersogenannten Notfalltruppe ergeben werden. Ich will Siedarüber informieren, daß im Militärausschuß der NATOdie entsprechenden Operationspläne abgeschlossen sind.Das geschah gestern abend und ist heute dann folgerich-tig im Verteidigungsausschuß wie im Auswärtigen Aus-schuß berichtet worden.Ich greife diesen Gesichtspunkt deshalb auf, weil ausden Planungen der NATO und aus den Absichten allerMitgliedstaaten ganz eindeutig hervorgeht, daß mitdieser Notfalltruppe nichts verbunden ist, was militäri-sche Intervention bedeuten würde. Der Auftrag ist viel-mehr absolut klar: den OSZE-Beobachtern im Falleeines Risikos, das sehr verschieden eintreten kann, dieHilfe zu geben, die sie brauchen, und sie notfalls aus denGebieten, in denen sie bedroht sind, herausholen zukönnen.Ich weiß, welche Diskussionen hier und da darumherumgeflochten werden. Ich will deswegen in allerDeutlichkeit sagen: Es ist eine Notfalltruppe, die helfensoll, gegebenenfalls auch zu evakuieren. Sie hat aberkeinen Auftrag, die OSZE-Mission in dem Sinne durch-zusetzen, daß militärisch interveniert würde.
Ich sage das in aller Deutlichkeit, weil hier im Hausehäufiger einmal das Wort der militärischen Interventioneine Rolle gespielt hat.Mit Blick auf aktuelle Berichterstattung und weil Sieschon etwas dazwischenrufen, Herr Kollege Rossma-nith, will ich auch sagen: Es gibt jetzt Gerüchte über ei-nen angeblichen Geheimbericht. Das Bundesministeri-um der Verteidigung pflegt nicht nur in diesem Jahr,sondern seit vielen Jahren die gute Praxis, die Ausschüs-se regelmäßig über die Umstände des Einsatzes der Sol-daten im Rahmen von SFOR zu informieren. In diesemZusammenhang ist dem Verteidigungsausschuß bzw.seinem damaligen Vorsitzenden am 15. Oktober ein Be-richt zur Verfügung gestellt worden, der referiert, wasDiplomaten aus den Kreisen Moskauer Militärattachésbeispielsweise in Belgrad hören. Das wird heute öffent-lich als ein angeblicher Geheimbericht dargestellt. Dasist er nicht. Diese Darstellung könnte man noch hinneh-men. Aber die Prüfung von Fragen, die sich mit mögli-chen Luftschlägen der NATO ergeben, die Gott seiDank nicht erforderlich geworden sind, in einen Zu-sammenhang mit der Aufstellung einer Notfalltruppe zubringen, die die OSZE-Beobachter schützen soll, wasBundesminister Rudolf Scharping
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etwas Grundverschiedenes und etwas ganz anderes ist,ist in jeder Hinsicht unzulässig
und erweckt übrigens auch in der Öffentlichkeit denEindruck, als wolle man gewissermaßen herbeischrei-ben, was von keinem der NATO-Partner gewollt ist,nämlich militärische Intervention gewissermaßen „aufTeufel komm raus“.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn mandiese Maßnahmen alle im Zusammenhang sieht, dannbleibt am Schluß nur eine einzige Feststellung: Wenn wires mit der Verifikation und mit dem Schutz der Men-schen, die sie in unserem Auftrag übernehmen, ernst mei-nen, wenn wir es mit dem Friedensprozeß, der eine Chan-ce, aber noch längst keine Gewißheit ist, ernst meinen,wenn wir es mit den über 50 000 Menschen, die die Wäl-der verlassen konnten, aber noch keine dauerhafte Sicher-heit in ihren Wohngebieten haben, ernst meinen, dann istes dringend erforderlich, daß wir neben den Maßnahmen,die unter Begleitung des Militärs getroffen werden undauch getroffen werden müssen, die politischen Bemühun-gen unterstützen und verstärken, damit das – so befürchteich – leider nur sehr schmale Zeitfenster, das uns zur Ver-fügung steht, genutzt wird und die eingesetzten Menschennicht länger als unbedingt erforderlich einem Risiko aus-gesetzt sind, das sie jetzt eingehen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der
Abgeordnete Ulrich Irmer, F.D.P.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Die F.D.P.-Fraktion wird dem Antragder Bundesregierung zustimmen. Dieser Antrag ist dielogische Folge des Beschlusses, den der 13. DeutscheBundestag am 16. Oktober gefaßt hat.Ich möchte auf eines hinweisen: Das Beste an demBeschluß vom 16. Oktober ist jetzt, in der Rückschau,daß die damals als möglich beschlossene militärischeZwangsmaßnahme bisher nicht ergriffen werden mußte.Richtig ist es aber, daß die Drohkulisse aufrechterhaltenbleiben muß, weil wir nicht wissen, wie sich ein unbere-chenbares Regime wie das von Milosevic in Zukunftverhalten wird.
Manchmal erlebt man ja Situationen, die einen etwasgespenstisch anmuten.
Wenn ich höre, wie Herr Außenminister Fischer dasvorschlägt und gut begründet, überkommt mich ein we-nig die Erinnerung
an eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt.Was haben wir uns in diesem Hause alles anhören müs-sen! Ich will einmal daran erinnern, daß wir seinerzeit,als die Rechtsgrundlage für die Beteiligung der Bun-deswehr an friedenserhaltenden Maßnahmen noch unge-klärt war, der SPD vorgeschlagen haben, man mögedurch eine Klarstellung im Grundgesetz diese Zweifelbeseitigen, und daß die SPD dies abgelehnt hat, nichtweil sie rechtliche Bedenken hatte, sondern weil sie espolitisch nicht wollte. Das ist erst wenige Jahre her.
Ich habe noch im Ohr, wie insbesondere eine Kolle-gin und ein Kollege aus der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen – ich nenne sie mit Namen –, Frau KolleginBeer – sie nickt zustimmend; danke, Frau Kollegin –und der Kollege Ludger Volmer, uns, als wir die Betei-ligung Deutscher an den AWACS-Einsätzen beschlos-sen haben, vorgehalten haben, wir täten dies nicht aushumanitären Gründen, wir täten dies nicht, um den Frie-den zu erhalten, sondern wir täten dies ganz bewußt undbösartig, um die deutsche Außenpolitik zu militarisieren.
Und heute steht der frühere Fraktionssprecher und jetzi-ge Außenminister, Joseph Fischer, vor uns und emp-fiehlt uns dringend – in Richtung seiner Fraktion fast be-schwörend – die Zustimmung zu dem Vorschlag derBundesregierung. Ich kann nur sagen: Ich freue michüber diese Entwicklung. Aber ich sage in Abwandlungeines alten Spruches: Welch eine Wendung durchJoschkas Fügung.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch et-was sehr Ernstes sagen. Herr Fischer hat auf den drittenKorb der Vereinbarungen Holbrooke-Milosevic hinge-wiesen. Wir müssen uns über eines klar sein: Wir habenimmer betont, militärische Maßnahmen können nur dasletzte Mittel sein, wenn politische Maßnahmen nicht ge-fruchtet haben. Ich beschwöre alle Beteiligten, eineFriedenslösung für den Kosovo zu suchen. Ich rege an,daß die Staatengemeinschaft ein zweites Dayton-Abkommen initiiert und vorbereitet. In diesen Prozeßmüssen alle Interessen eingebunden werden. Die Posi-tionen stehen sich heute unversöhnlich gegenüber. Dieeinen wollen nicht Autonomie, sondern Unabhängigkeit,die anderen sagen: An unserem Staatsverband wird kei-nen Deut gerüttelt. Hier muß, auch durch äußerenDruck, eine Vereinbarung politischer Natur zustandekommen. Ansonsten werden wir Jahr für Jahr, auch inferner Zukunft, hier stehen und werden immer wiedersolche Beschlüsse zu fassen haben wie heute.Auch das Völkerrecht muß weiterentwickelt werden.Das Völkerrecht ist nicht darauf eingestellt, daß es Kon-flikte innerhalb von Staaten gibt. Wir müßten im Völ-kerrecht für Situationen wie im Kosovo Regeln entwik-Bundesminister Rudolf Scharping
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keln, wonach eine Bevölkerung ihre legitimen Rechtewahrnehmen kann, ohne sich aus einem Staatsverbandzu lösen.Ich wiederhole: Die F.D.P.-Fraktion stimmt der Vor-lage der Bundesregierung zu.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es spricht jetzt die
Abgeordnete Heidi Lippman-Kasten, PDS.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Entscheidung des bereits
abgewählten 13. Bundestages vom 16. Oktober, durch
einen völkerrechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr im
Rahmen der NATO Jugoslawien gegebenenfalls zu
bombardieren, stellte einen tiefen Einschnitt in die deut-
sche Geschichte dar.
Wer allerdings erwartet hatte, daß Rotgrün neue frie-
denspolitische Wege beschreiten würde, der wurde arg
enttäuscht. Der unter Mißachtung des Völkerrechts zu-
stande gekommene Beschluß wurde, nachdem Abkom-
men über die Entschärfung des Konflikts erzielt wurden,
nicht etwa zurückgenommen, sondern der Angriffsbe-
fehl wurde aufrechterhalten.
Durch die Entsendung von Kampftruppen nach Ma-
zedonien, über die wir in den nächsten Tagen beraten
werden, wird Mazedonien als bisher unbeteiligtes Land
in den Strudel des Konfliktes hineingezogen,
und zwar ohne daß Mazedonien bis heute einer Statio-
nierung zugestimmt hat. Man hofft lediglich darauf, daß
die neue Regierung zustimmen wird.
Die aktuelle Debatte und auch die Koalitionsverein-
barung beweisen, daß die neue Regierung nicht den ver-
sprochenen Wechsel bringen wird, sondern die altbe-
kannte Machtpolitik der Regierung Kohl nahezu nahtlos
von Kanzler Schröder und Außenminister Fischer fort-
gesetzt wird und die Dominanz des Militärischen in der
Außenpolitik unseligerweise fortbesteht.
Statt sich auf den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes
rückzubesinnen, wonach die Bundeswehr nur zu Vertei-
digungszwecken eingesetzt werden darf, machen Sie
sich durch Ihre Zustimmung zu Kampfeinsätzen im vor-
auseilenden Gehorsam zu Befehlsempfängern der USA
und der NATO.
An der Verschärfung der Situation im Kosovo trägt
die bisherige deutsche Außen- und Innenpolitik ein Teil
Mitverantwortung, zum Beispiel auf Grund des Rück-
nahmeabkommens, das 1996 Herr Kinkel mit Herrn
Milosevic unterzeichnet hat, mit dem man die Apart-
heids- und Vertreibungspolitik gegen die Kosovo-
Albaner unterstützte. Denkbare Sanktionen unterhalb ei-
nes militärischen Einsatzes wurden nicht ausreichend
genutzt, und auch im Dayton-Vertrag wurde die Koso-
vo-Frage ausgeklammert.
Die PDS-Fraktion hat die Entsendung einer OSZE-
Beobachtermission begrüßt.
Nicht einverstanden sind wir mit der Stationierung von
Bundeswehrkräften im Rahmen eines NATO-Einsatzes.
Denn dadurch wird der zunächst positiv erscheinende
Ansatz der Einbeziehung der OSZE, die Ausweitung
und Stärkung ihrer Rolle bei der zivilen Konfliktbear-
beitung, konterkariert.
Meine Damen und Herren, das bleibt, auch wenn sich
die UN-Resolution 1203 als Mandat für die Überwa-
chungs- und sogenannten Notfallmaßnahmen interpre-
tieren lassen sollte, ein falscher Weg. Meine Fraktion
wird dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen.
Ich warne ausdrücklich davor, daß die heutige Ent-
scheidung zu einem Präzedenzfall dafür wird, künftige
humanitäre, zivile Missionen generell durch das Militär
zu unterstützen. An die neue Regierung appelliere ich:
Verzichten Sie auf eine bellizistisch ausgerichtete Poli-
tik, und beenden Sie Ihre Politik militärischer Interven-
tionen! Dann werden Sie auch unsere Unterstützung be-
kommen.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Lipp-
mann-Kasten, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen
Hause. Ich gratuliere Ihnen dazu.
In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und im Sinne
eines flüssigen Ablaufs der namentlichen Abstimmung
bitte ich um Ruhe in diesem Haus.
Jetzt hat noch einmal Bundesminister Joseph Fischer
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung wurdevon der CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich gebeten – dawir keinen Formalstreit wollen und es aus unserer Sichtdarüber nichts zu streiten gibt, komme ich diesemWunsch im Einverständnis mit den anderen Fraktionengerne nach –, eine aktuelle Unterrichtung über die Irak-Krise zu geben. Wir haben darüber heute morgen imAuswärtigen Ausschuß bereits ausführlich unterrichtetUlrich Irmer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 365
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und diskutiert. Ich will in der gebotenen Kürze diewichtigsten Punkte hier vortragen.Wir sehen die Zuspitzung der Lage im Irak als sehr,sehr ernst an. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß es inder kommenden Woche zu einer sehr ernsten Konfron-tation kommen könnte.Die Bundesregierung unterstützt vorbehaltlos diePosition des Sicherheitsrates. Alle Mitglieder des Si-cherheitsrates verurteilen das Vorgehen des Irak undfordern den Irak auf – der Sicherheitsrat vertritt, wennman die jetzige Situation mit der Situation in der letztenIrak-Krise vor etwa einem halben Jahr vergleicht, einesehr einmütige Haltung –, die Resolution des Sicher-heitsrates und die Vereinbarung zwischen dem UN-Generalsekretär Kofi Annan und der irakischen Regie-rung vollständig und rückhaltlos zu erfüllen.
Ich möchte vor der Abstimmung in aller Kürze, es istwirklich nur im Telegrammstil möglich, – –
– Ich schleudere nicht. Sie wollten die Unterrichtung.Ich wußte ganz genau, daß es nicht um eine Unterrich-tung geht. Ich dachte mir, daß wir uns in einer solch zu-gespitzten Situation, in einer solchen Krise zumindestdarin einig sind, daß wir die Position des Sicherheitsra-tes inhaltlich voll unterstützen.
Ich weiß gar nicht, wo es da ein Schleudern gibt.Wenn es am Ende zu einem Zusammenprall kommt,ist es, so sage ich Ihnen, allein die Schuld der irakischenRegierung
und eines, wie ich finde, verbrecherischen Regimes,
dessen Vorgehensweise von der Völkergemeinschaftund auch von der Volksrepublik China, von Rußland,von Frankreich, von allen ständigen und nichtständigenMitgliedern abgelehnt wird.
– Dies ist eine ernsthafte Unterrichtung in einer Situa-tion, in der es unter Umständen in der nächsten Wocheeine militärische Konfrontation geben kann, die das, wasseit dem Golfkrieg im Bereich des Denkbaren ist, durch-aus übersteigen kann. Solch eine Unterrichtung quittie-ren Sie – seien Sie mir nicht böse – mit nicht gerade sehrkompetenten Zwischenrufen. Deshalb frage ich mich,was der Wunsch nach Unterrichtung in diesem Hausewirklich soll.
Ich dachte, Sie wollten eine ernsthafte Unterrichtunghaben.Ich wollte Ihnen nochmals klarmachen, daß es nunvor allem beim Irak liegt, der Arbeit der UN-Abrüstungsbehörde entgegenzukommen, sie aktiv zuunterstützen, um die Aufhebung der schwer auf demLand lastenden Maßnahmen des Boykotts und der Isola-tion, die vor allen Dingen die Bevölkerung treffen, zuerreichen. Hier betreibt die irakische Regierung ein zy-nisches Spiel mit den Schwächsten in der eigenen Be-völkerung.
Die Aufhebung dieser Maßnahmen ist gebunden andie volle Erfüllung der UN-Sicherheitsratsresolution.Das ist die Haltung der Bundesregierung. Ich möchtehier noch einmal klarmachen, warum. Die Haltung desIrak ist nicht akzeptabel. Wir unterstützen die Haltungdes Sicherheitsrates. Die Präsidentschaft des Sicher-heitsrates haben gegenwärtig die USA inne. Insofernunterstützen wir selbstverständlich alle Bemühungen,um einen Zusammenprall zu verhindern. Wir haben mitFrau Albright und mit Präsident Clinton gesprochen, derBundeskanzler hat gestern noch mit Präsident Clintontelefoniert. Ziel der US-Regierung ist es, eine militäri-sche Konfrontation zu verhindern. Das bedeutet, daß derIrak auf die Grundlage der Erfüllung der Sicherheitsrats-resolution zurückgehört.
Sie werden hieraus keine kleinliche parteipolitischeMünze schlagen können. Das verspreche ich Ihnen.Ich möchte hier nochmals klarmachen, meine Damenund Herren: Das atomare Potential des Irak ist weitest-gehend erfaßt und zerstört. Das sogenannte atomareDossier kann nach Meinung der UN-Abrüstungskom-mission geschlossen werden. Beim Lenkwaffen-Dossiergibt es noch Probleme, gibt es noch offene Fragen, auchwenn sie weitestgehend abgearbeitet sind. Bei den Che-miewaffen gibt es noch sehr ernste Fragen, die aller-dings nach Meinung von Herrn Butler, dem Leiter derUN-Abrüstungskommission für den Irak, innerhalb vondrei bis vier Monaten hätten abgearbeitet werden kön-nen. Dann wäre in der Tat die Möglichkeit eröffnet ge-wesen, zumindest eine teilweise Aufhebung des von denVereinten Nationen angeordneten Boykotts gegenüberdem Irak zu beraten und dann auch zu beschließen. Beiden biologischen Waffen sind nach wie vor noch sehrviele ernste Fragen offen. Das ist die Situation. Der Irakhat sich aus dieser Zusammenarbeit verabschiedet, ob-wohl die UN-Abrüstungsbehörde seinen Vorstellungenimmer wieder entgegengekommen ist. Daß er sich dar-Bundesminister Joseph Fischer
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aus verabschiedet hat, ist die eigentliche Ursache derKrise.Ich sage Ihnen nochmals: Wenn es auch manchmalschwierig ist, die Dinge zu Ende zu denken, kann esnicht akzeptiert werden – niemand im UN-Sicherheits-rat, weder ein ständiges noch ein nicht ständiges Mit-glied, ist bereit, das zu akzeptieren – daß Massenver-nichtungsmittel in den Händen von Saddam Husseinverbleiben. Das kann nicht akzeptiert werden.
Hier muß die irakische Führung wissen, daß die Völker-gemeinschaft – ich betone nochmals: alle Mitglieder desUN-Sicherheitsrates – nicht bereit ist, dieses zu akzep-tieren. Ich entnehme Ihrem Beifall, daß Sie hier dieHaltung der Bundesregierung unterstützen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der letzte Redner in
der Debatte ist der Abgeordnete Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist in einer
Situation, in der nicht ausgeschlossen werden kann, daß
es bis zum nächsten Zusammentreten des Deutschen
Bundestages zu schwerwiegenden militärischen Hand-
lungen kommt, angemessen, daß die CDU/CSU-
Fraktion um diese Unterrichtung gebeten hat und daß
wir uns hier im deutschen Parlament abstimmen. Unser
Interesse muß sein, daß die deutsche Stimme in dieser
zugespitzten Situation klar, deutlich und von einem
möglichst breiten Konsens getragen wird.
Nur dann haben wir auch einen Einfluß auf die Ent-
wicklung.
Wir stimmen dem zu, was hier gesagt worden ist:
natürlich die Unterstützung für den Weltsicherheitsrat,
natürlich weiterhin alle Bemühungen. Aber die Frage ist
offengeblieben: Was passiert – und das zeichnet sich
ab –, wenn das nicht zu einem Erfolg führt?
Saddam Hussein hat einseitig die Kooperation mit der
Weltgemeinschaft aufgekündigt. Tony Blair, der engli-
sche Premierminister, hat heute gesagt: Dies hat
schwerwiegende Konsequenzen für die ganze Welt.
Wenn es nötig ist, mit Waffengewalt – und das kann in
den nächsten Tagen erfolgen – durch die amerikanischen
Freunde, durch die Engländer auf einer klaren rechtli-
chen Grundlage der Vereinten Nationen zu handeln,
dann ist meine herzliche Bitte, damit der deutsche Ein-
fluß zum Tragen kommt, daß wir uns darüber verständi-
gen, daß Deutschland an der Seite derjenigen steht, die
dafür sorgen, daß dem Irak nicht durchgehen kann, sich
aus der Weltgemeinschaft durch die Aufkündigung die-
ser Vereinbarung zu entfernen. Das ist eine Haltung, die
wir von der Bundesregierung in dieser Situation erwar-
ten.
Im Februar hat der damalige Bundeskanzler, Helmut
Kohl, – wir waren in München zusammen auf der Si-
cherheitskonferenz; Herr Kollege Scharping hat sich
damals schon sehr eindeutig geäußert – gesagt: Wenn es
zur Anwendung von Waffengewalt kommt, dann stehen
wir an der Seite unserer amerikanischen Verbündeten.
Wir werden alle Möglichkeiten nutzen – auch logistisch,
was die Basen angeht –, um sie zu unterstützen. Herr
Außenminister Fischer und Herr Bundeskanzler, das ist
das, was wir gerne auch von Ihnen hören möchten.
Bis zur letzten Minute muß versucht werden, den Irak
wieder in die Weltgemeinschaft und in die Verabredung
zurückzuführen.
Falls das scheitert, muß klar sein: Deutschland steht an
der Seite unserer Freunde und Verbündeten, auch wenn
es zu einer militärischen Aktion kommt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Debatte wird fortgesetzt. Deswegen
erteile ich jetzt das Wort dem Abgeordneten Gernot Er-
ler, SPD.
Ich bitte, daß die Kolleginnen und Kollegen vielleicht
doch noch einmal die Plätze einnehmen.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Ich sehe einen Unter-schied, Herr Kollege Rühe, zwischen Ihrer Position undder, die der Bundesaußenminister dargelegt hat. DerBundesaußenminister hat deutlich gemacht, daß es auchin einer solchen prekären Situation vernünftiger ist, nocheinmal in einem Restoptimismus auf eine Lösung zusetzen, die eben nicht zu einem militärischen Einsatzführt. Sie dagegen machen hier nichts weiter als einenAppell, der darauf abzielt, einer anderen Lösung zuzu-stimmen. Dazu muß ich sagen: Ich finde das, was HerrFischer hier vorgetragen hat, sympathischer
und konstruktiver, und ich finde, daß das in einer besse-ren deutschen Tradition steht.
Wir haben in den letzten Stunden und Tagen durch-aus noch Signale bekommen, die anzeigten, daß es eineMöglichkeit gibt, in letzter Minute noch ein Einlenkender irakischen Führung zu erreichen. Herr Fischer hatmit aller notwendigen Deutlichkeit hier zum Ausdruckgebracht, daß es keine andere Möglichkeit gibt. UnsereAppelle richten sich an niemand anderen als an die ira-Bundesminister Joseph Fischer
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kische Führung, als an Saddam Hussein selbst. Er hat esin der Hand, Unheil von seinem Land und seiner Bevöl-kerung abzuwenden. Darüber sind wir uns doch hof-fentlich einig.Wir sind uns auch darüber einig – das hat Herr Fi-scher deutlich gesagt –, daß es einfach nicht akzeptabelist – es ist vor allem deshalb nicht akzeptabel, weil hierdie Autorität der Vereinten Nationen, der Weltorgani-sation, auf dem Spiel steht –, daß sich der Irak einseitigaus seinen Verpflichtungen verabschiedet hat. Aber esgab auch Signale in den letzten Stunden, die darauf hin-deuteten, vielleicht durch eine Vermittlung, um die ge-radezu gebeten wurde, einen Ausweg aus der Falle, diehier entstanden ist, zu finden.Herr Rühe, leider haben Sie dazu gar nichts gesagt.Das heißt, ich hab den Eindruck, daß Sie eher wünschen,daß es hier zu einer solchen Auseinandersetzung kommt.
Herr Rühe, warum haben Sie denn dem Außenmini-ster nicht zugestimmt, daß bis zum letzten Moment – ichhabe darauf gewartet, daß Sie, Herr Rühe, das sagen –hier verhandelt wird? Ich habe nur festgestellt, daß einesolche Äußerung nicht gekommen ist.
Ich möchte noch etwas Grundsätzliches zu der gan-zen Politik gegenüber dem Irak anmerken. Wir habenheute morgen hier eine sehr akzeptable und sehr ver-nünftige Diskussion mit dem Außenminister im Aus-wärtigen Ausschuß geführt. Wir müssen auch darübernachdenken, daß die bisherige Politik des Embargos denIrak in eine Situation von individueller Ausweglosigkeitgeführt hat. Es ist eine grundsätzliche Überlegung, ob esrichtig ist, eine solche Situation aufrechtzuerhalten. Esmuß auch in Zukunft wieder die Möglichkeit geben, einpolitisches Mittel in der Hand zu haben.Wir haben eine ganz ähnliche Situation bei Milosevicin der Bundesrepublik Jugoslawien.
Hier haben wir kein politisches Mittel mehr in der Hand.– Ich sehe Herrn Kinkel. Sie haben uns einmal im Aus-wärtigen Ausschuß über Gespräche mit Milosevic be-richtet. Sie haben gesagt: Er hat mir geantwortet: Ihrkönnt machen, was ihr wollt, ihr könnt mir nicht mehrweh tun; ihr könnt mich mit nichts mehr bedrohen. –Deswegen waren auch die Möglichkeiten reduziert, mitihm überhaupt ein Agreement, einen Konsens zu finden.Leider verhält es sich ähnlich – das ist eine grundsätzli-che Frage – in bezug auf den Irak.
Deswegen müssen wir gemeinsam darüber nachdenken.Solche Fragen, wie es überhaupt zu solchen Fallenkommen kann, in der Außenpolitik mitzubedenken, istwichtiger, als einseitige Forderungen zu stellen, diemeines Erachtens spekulativ sind.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat jetzt
der Abgeordnete Klaus Kinkel, F.D.P.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Auch ich bin in der Tat derMeinung, daß wir eine sehr zugespitzte Situation in derRegion haben. Anders als im Februar, wo es relativ lan-ge danach aussah, daß die Situation durch politisch-diplomatische Gespräche bereinigt werden könnte, istdie Situation diesmal komplizierter, weil eben SaddamHussein zum wiederholten Male das, was er dem Gene-ralsekretär der Vereinten Nationen fest zugesagt hatte,nicht eingehalten hat. Das ist der entscheidende Unter-schied.Trotzdem glaube ich, daß wir uns hier im Haus ge-meinsam – deshalb bin ich an das Rednerpult gegangen– über folgende Verfahrensweisen einig sein sollten:Erstens. Es muß alles, aber auch wirklich alles ver-sucht werden, um auf politisch-diplomatischem Wege zueiner Lösung zu kommen. Deshalb fordere ich KofiAnnan nochmals auf – ich habe das heute schon an an-derer Stelle getan –, unverzüglich in den Irak zu reisenund genau wie im Februar den Versuch zu machen, dochnoch in letzter Minute zu einer politisch-diplomatischenLösung zu kommen, zumal der Irak erklärt hat, daß er zusolchen Gesprächen mit Kofi Annan bereit ist. Das istAufgabe des Generalsekretärs. Der Sicherheitsrat solltenicht nur darüber reden, sondern ihm den Auftrag ertei-len, hinzureisen und diese letzte politisch-diplomatischeAnstrengung zu machen, um doch noch zu einer friedli-chen Lösung zu kommen.
Zweitens. Wenn das nicht gelingt, dann allerdingsglaube ich, daß es diesmal wirklich zwingend notwendigist, Saddam Hussein zu zeigen, wohin die Reise zu ge-hen hat. Denn – ich habe mich mit der Materie auchselbst sehr beschäftigt; was der Kollege Fischer vorhinerklärt hat, ist zutreffend – wir haben nach wie vor ab-solute Unsicherheit im Bereich der biologischen Waf-fen. Was das für die Region und für die Welt bedeutenkann, brauche ich hier nicht auszumalen.Das würde bedeuten, daß wir, wenn die Amerikanerbereit sind und die notwendige Rechtsgrundlage gege-ben ist – ich glaube, daß sie gegeben ist; ich habe michgestern noch einmal damit beschäftigt –, auf Grund derSicherheitsratsresolution 687 – vor allem der alten,aber auch der neuen Resolution vom 5. November –Gernot Erler
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politische und logistische Unterstützung zu leistenhaben. Zu mehr werden wir nicht gefordert werden, aberdas ist notwendig; die alte Bundesregierung hat es imFebruar zugesagt.
Dazu sollten wir uns in einer so ernsten Situation dannaber gemeinsam bereit finden.Deshalb nochmals mein Appell – ich glaube, es sollteunser aller Appell sein –, alles politisch und diploma-tisch Mögliche zu versuchen. Für meine Begriffe hat ne-ben Rußland und Frankreich, die Einfluß haben, imGrunde – wenn überhaupt – nur Kofi Annan die Chance,die Sache nochmals zu wenden.Deshalb der Appell an den Sicherheitsrat: Gebt ihmden Auftrag! Redet nicht immer nur darüber, sonderngebt ihm in der Funktion als Sicherheitsrat den klarenAuftrag, dorthinzureisen! Im Sicherheitsrat wird näm-lich immer herumgeredet – heute kann ich das einmaldeutlich sagen. Gebt ihm den Auftrag, als Generalse-kretär dorthinzureisen und eine diplomatische, politischeLösung zu suchen. Wenn das allerdings keinen Erfolghat, müssen diejenigen, die handeln, wissen, daß sie un-sere politische und logistische Unterstützung haben.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Rednerin ist
die Abgeordnete Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine
Fraktion sieht die aktuelle Entwicklung im Irak mit
allergrößter Sorge. Wir wissen wohl, daß die Situation
noch ein Stückchen ernster und gefährlicher ist als zu
dem Zeitpunkt, zu dem wir sie im Frühjahr hier disku-
tieren mußten.
Gerade in dieser Minute, in diesen Stunden laufen die
letzten diplomatischen Bemühungen, um zu erreichen,
daß Kofi Annan überhaupt noch einen Vermittlungsver-
such starten kann.
Ich finde es richtig, daß wir in dieser Situation vom
Bundesaußenminister Fischer über die aktuelle Situation
unterrichtet wurden.
Ich finde es vollkommen fahrlässig, Herr Kollege Rühe,
wenn diese Situation parteipolitisch mißbraucht wird,
um hier jetzt – zu einem Zeitpunkt, zu dem wir die in-
ternationale Unterstützung und Verurteilung Saddams
benötigen, um klarzumachen, daß dieser Diktator, dieser
Vernichter der Zivilisation im Irak, international auf der
Anklagebank sitzt – mit einer Bundesregierung, die ge-
nau diesen diplomatischen Weg unterstützt, eine militä-
rische Diskussion zu führen, die uns aus dem Dilemma,
das doch offensichtlich ist, nicht herausführt.
Es ist nun einmal so, Herr Kollege Rühe – als Vertei-
digungsminister haben Sie sehr viel zurückhaltender ge-
redet, als Sie das eben getan haben –,
daß Luftangriffe allein keine politische Lösung für diese
Situation im Irak sind. Wir wissen doch, daß die Men-
schen zu leiden haben und daß wir in der fatalen Situa-
tion sind, daß Saddam glaubt, sich in dieser Notsituation
auch noch selbst stärken zu können, und daß er Luft-
schläge deshalb fast schon provoziert. Das ist doch das
Zynische an dieser Politik des – man kann es eigentlich
nicht mehr so nennen – irakischen Regimes. Eigentlich
müßte man von einem Amoklauf sprechen, der geradezu
eingefordert wird. Die Herausforderung an die interna-
tionale Staatengemeinschaft besteht doch darin, nicht
einfach zu sagen: „Wir hauen jetzt drauf“, sondern nach
einer Lösung in dieser Region zu suchen.
Das heißt, daß wir jede Sekunde nutzen müssen, die
Diplomatie zu unterstützen, zu stärken, um die Arbeit
der UNSCOM nicht leichtfertig – wie etwa durch einen
Luftangriff – aufs Spiel zu setzen. Wir müssen vielmehr
mit allen Mitteln versuchen, die UNSCOM dort wieder
arbeiten zu lassen – auch im Sinne der Bevölkerung im
Irak – und müssen in sehr engen Kontakten mit den
Partnern und den Verbündeten in genau diese Richtung
wirken.
Wenn das geschieht, Herr Kollege Rühe, dann wird –
da bin ich zuversichtlich – unsere Regierung rechtzeitig
verantwortlich diskutieren und unterrichten; denn das,
was dort bei einem Militärschlag passiert, wird schlim-
mere Folgen als alles andere zusammen haben.
Ich will hier betonen: Unsere Sorge gilt auch Israel
und der Bevölkerung dort. Fahrlässige Militärschläge
könnten auf Grund des unberechenbaren und verant-
wortungslosen Regimes im Irak eine Eskalationsspirale
hervorrufen. Das heißt, daß wir dort mit Fingerspitzen-
gefühl und nicht mit Parteipolitik zu agieren haben. Die
können wir jetzt nicht gebrauchen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner istder Abgeordnete Wolfgang Gehrcke, PDS.
Dr. Klaus Kinkel
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 369
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(D)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Zwischenruf war: „Das
fehlt uns gerade noch“. Darauf habe ich geantwortet:
„Ja, das fehlt Ihnen auch noch.“
Man hätte diese Debatte nach der sehr ernsthaften
und differenzierten Information durch den Bundesau-
ßenminister vermeiden können, wenn es nicht die maß-
lose und, wie ich fand, schamlose Rede von Volker Rü-
he gegeben hätte – maßlos und schamlos!
Der Bundesaußenminister hat hier das Gefühl signali-
siert, daß in der Tat auch die Bundesregierung versuchen
wird, ihren Einfluß geltend zu machen, so daß nicht auf
die Ultima ratio, den Militärschlag, gesetzt wird, son-
dern daß alle Möglichkeiten zur Verhandlung, die
Saddam Hussein dazu zwingen, die Resolution des UN-
Sicherheitsrates einzuhalten und die übrigens auch das
Leiden der Zivilbevölkerung im Irak mildern können,
genutzt werden, um diesen Militärschlag zu verhindern.
Für diesen Militärschlag gibt es ein Wort, das man hier
im Bundestag auch ansprechen sollte: Krieg. Es handelt
sich um Krieg, bei dem Menschen in großer Zahl um-
kommen werden. Wenn man dies zu einer scharfmache-
rischen Rede nutzt, in der nicht gesagt wird: „Nutzt alle
Verhandlungen!“, sondern die Losung ausgegeben wird:
„Jetzt Augen zu und durch!“, dann versündigt man sich
an der Sicherheitspolitik und macht das eigene Anliegen
unglaubwürdig.
Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, daß vor
dem Hintergrund der komplizierten Situation, die wir in
der europäischen Region, im Kosovo und anderswo, ha-
ben, ein solcher Militärschlag nicht ohne Auswirkungen
bleiben wird.
Der Bundesaußenminister hat deutlich gemacht, daß
sich der UN-Sicherheitsrat, was die Verurteilung der
Politik von Saddam Hussein angeht, einig ist. Er muß
aber gleichzeitig sagen, daß in der Frage eines Militär-
schlages die Meinungen im UN-Sicherheitsrat sehr un-
terschiedlich sein werden. Auch das mahnt zur Beson-
nenheit, zu Verhandlungen und zur Vernunft. Dieses
Zeichen sollte von diesem Hause ausgehen und nicht
solche Reden wie die, wie wir sie uns hier anhören
mußten.
Danke sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe damit
die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be-
kannt, daß es zwei schriftliche Erklärungen zur Ab-
stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung gibt. Es han-
delt sich zum einen um eine schriftliche Erklärung der
Kollegin Annelie Buntenbach und anderer1) und zum
anderen um eine schriftliche Erklärung des Kollegen
Winfried Nachtwei und anderer.2)
Wir kommen damit zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung
an der NATO Luftüberwachungsoperation über dem
Kosovo, Drucksachen 14/16 und 14/32. Der Ausschuß
empfiehlt, dem Antrag zuzustimmen. Die Fraktion der
CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung.
Bevor ich die Abstimmung eröffne, bitte ich um Ihre
Aufmerksamkeit für folgenden Hinweis: Es sind sechs
Urnen aufgestellt; jeder Urne ist eine bestimmte Buch-
stabengruppe zugeordnet. Sie dürfen Ihre Stimmkarte
ausschließlich in diejenige Urne werfen, deren Buchsta-
bengruppe den Anfangsbuchstaben Ihres Nachnamens
umfaßt. Achten Sie bitte darauf, daß die von Ihnen be-
nutzte Abstimmungskarte Ihren Namen trägt.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle
Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab-
stimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Damit schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die unterbrocheneSitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-stimmung über die Beschlußempfehlung des Auswär-tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierungzur deutschen Beteiligung an der NATO-Luftüber-wachungsoperation über dem Kosovo auf den Druck-sachen 14/16 und 14/32 bekannt. Abgegebene Stim-men 582. Mit Ja haben gestimmt 540, mit Nein habengestimmt 30, Enthaltungen 12.——————1) Anlage 22) Anlage 3
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370 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
(C)
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 582;davon:ja: 540nein: 30enthalten: 12JaSPDAdler, BrigitteAndres, GerdArnold, RainerBachmaier, HermannBahr, ErnstBarnett, DorisBartels, Dr. Hans-PeterBarthel , EckhardtBarthel , KlausBecker-Inglau, IngridBehrendt, WolfgangBerg, Dr. AxelBertl, Hans-WernerBeucher, Friedhelm JuliusBierwirth, PetraBindig, RudolfBinding , LotharBodewig, KurtBrandner, KlausBrandt-Elsweier, AnniBrase, WilliBrecht, Dr. EberhardBrinkmann ,BernhardBrinkmann ,RainerBruckmann, Hans-GünterBulmahn, EdelgardBurchardt, UrsulaBürsch, Dr. MichaelBury, Hans MartinBüttner , HansCaspers-Merk, MarionCatenhusen, Wolf-MichaelDäubler-Gmelin, Dr. HertaDanckert, Dr. PeterDeichmann, ChristelDiller, KarlDreßen, PeterDreßler, RudolfDzembritzki, DetlefDzewas, DieterEckardt, Dr. PeterEdathy, SebastianEich, LudwigElser, MargaEnders, PeterErler, GernotErnstberger, PetraFaße, AnnetteFischer , LotharFograscher, GabrieleFollak, IrisFormanski, NorbertFornahl, RainerForster, HansFreitag, DagmarFriedrich , LiloFriedrich , PeterFriese, HaraldFuchs , AnkeFuhrmann, ArneGanseforth, MonikaGleicke, IrisGloser, GünterGöllner, UweGradistanac, RenateGraf , GünterGraf , AngelikaGrasedieck, DieterGroßmann, AchimGrotthaus, WolfgangHaack ,Karl-HermannHacker, Hans-JoachimHagemann, KlausHampel, ManfredHanewinckel, ChristelHartenbach, AlfredHasenfratz, KlausHeil, HubertusHemker, ReinholdHempel, FrankHempelmann, RolfHendricks, Dr. BarbaraHerzog, GustavHeubaum, MonikaHiller , ReinholdHilsberg, StephanHöfer, GerdHoffmann , IrisHoffmann ,JelenaHoffmann ,WalterHofmann , FrankHolzhüter, IngridHumme, ChristelIbrügger, LotharImhof, BarbaraIrber, BrunhildeIwersen, GabrieleJäger, RenateJanssen, Jann-PeterJanz, IlseJens, Dr. UweJung , VolkerKahrs, JohannesKasparick, UlrichKaspereit, SabineKastner, SusanneKirschner, KlausKlappert, MarianneKlemmer, SiegrunKlose, Hans-UlrichKörper, Fritz RudolfKolbow, WalterKramme, AnetteKressl, NicoletteKröning, VolkerKrüger-Leißner, AngelikaKubatschka, HorstKüchler, ErnstKühn-Mengel, HelgaKüster, Dr. UweKumpf, UteKunick, KonradLabsch, WernerLafontaine, OskarLambrecht, ChristineLange, BrigitteLange , ChristianLarcher von, DetlevLehder, ChristineLehn, WaltraudLeidinger, RobertLennartz, KlausLeonhard, Dr. ElkeLewering, EckhartLörcher, ChristaLohmann ,Götz-PeterLotz, ErikaLucyga, Dr. ChristineMaaß , DieterMante, WinfriedManzewski, DirkMarhold, TobiasMark, LotharMascher, UlrikeMatschie, ChristophMatthäus-Maier, IngridMattischeck, HeideMehl, UlrikeMerten, UlrikeMertens, AngelikaMoosbauer, ChristophMosdorf, SiegmarMüller , JuttaMüller , MichaelMüntefering, FranzNeumann ,VolkerNeumann , GerhardNiehuis, Dr. EdithNiese, Dr. RolfNietan, DietmarOhl, EckhardOnur, LeylaOpel, ManfredOrtel, HolgerOstertag, AdolfPalis, KurtPapenroth, AlbrechtPenner, Dr. WillfriedPfannenstein, GeorgPflug, JohannesPick, Dr. EckhartPoß, JoachimRehbock-Zureich, KarinRenesse von, MargotRennebach, RenateReuter, BerndRobbe, ReinholdRossmann, Dr. Ernst DieterRoth , BirgitRoth , MichaelRübenkönig, GerhardRupprecht, MarleneSauer, ThomasSchäfer, Dr. HansjörgSchaich-Walch, GudrunScharping, RudolfScheelen, BerndScheer, Dr. HermannScheffler, SiegfriedSchild, HorstSchily, OttoSchloten, DieterSchmidbauer ,HorstSchmidt ,DagmarSchmidt , SilviaSchmidt , UllaSchmidt ,WilhelmSchmidt-Zadel, ReginaSchmitt , HeinzSchneider, CarstenSchnell, Dr. EmilSchöler, WalterScholz, OlafSchönfeld, KarstenSchösser, FritzSchreiner, OttmarSchröder, GerhardSchröter, GiselaSchubert, Dr. MathiasSchütz , DietmarSchuhmann ,RichardSchulte , BrigitteSchultz ,ReinhardSchultz , VolkmarSchumann, IlseSchurer, EwaldSchuster, Dr. R. WernerSchwall-Düren, Dr. AngelicaSchwanhold, ErnstSchwanitz, RolfSeidenthal, BodoSimm, ErikaSkarpelis-Sperk, Dr. SigridSonntag-Wolgast,Dr. CornelieSorge, WielandSpanier, WolfgangSpielmann, Dr. MargritSpiller, Jörg-OttoStaffelt, Dr. DitmarSteen, Antje-MarieStiegler, LudwigStöckel, RolfStreb-Hesse, RitaStruck, Dr. PeterStünker, JoachimTappe, JoachimTauss, JörgTeuchner, JellaThalheim, Dr. GeraldThierse, WolfgangThönnes, FranzTitze-Stecher, UtaTröscher, AdelheidUrbaniak, Hans-EberhardVeit, RüdigerViolka, SimoneVogt , UteVizepräsidentin Petra Bläss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 371
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Wagner, Hans GeorgWegener, HediWegner, Dr. KonstanzeWeiermann, WolfgangWeis , ReinhardWeisheit, MatthiasWeißgerber, GunterWeisskirchen ,GertWeizsäcker von,Dr. Ernst UlrichWelt, Hans-JoachimWend, Dr. RainerWester, HildegardWestrich, LydiaWettig-Danielmeier, IngeWetzel, Dr. MargritWieczorek, Dr. NorbertWieczorek ,HelmutWieczorek , JürgenWiefelspütz, DieterWiese , HeinoWiesehügel, KlausWimmer ,BrigitteWistuba, EngelbertWittig, BarbaraWodarg, Dr. WolfgangWohlleben, VerenaWolf , HannaWolff , WaltraudWright, HeidemarieZapf, UtaZöpel, Dr. ChristophZumkley, PeterCDU/CSUAdam, UlrichAigner, IlseBarthle, NorbertBauer, Dr. WolfBaumann, GünterBaumeister, BrigitteBelle, MeinradBernhardt, OttoBlank, RenateBlens, Dr. HeribertBleser, PeterBlüm, Dr. NorbertBöhmer, Dr. MariaBonitz, SylviaBorchert, JochenBörnsen ,WolfgangBosbach, WolfgangBrähmig, KlausBrauksiepe, Dr. RalfBreuer, PaulBrudlewsky, MonikaBrunnhuber, GeorgBühler , KlausBüttner ,HartmutBuwitt, DankwardCaesar, CajusDeittert, HubertDeß, AlbertDiemers, RenateDörflinger, ThomasDött, Marie-LuiseDoss, HansjürgenEppelmann, RainerEymer, AnkeFalk, IlseFaust, Dr. Hans GeorgFink, UlfFischbach, IngridFischer , Axel E.Frankenhauser, HerbertFriedrich ,Dr. GerhardFriedrich ,Dr. Hans-PeterFritz, Erich G.Fromme, Jochen-KonradGehb, Dr. JürgenGeis, NorbertGeißler, Dr. HeinerGirisch, GeorgGlos, MichaelGöhner, Dr. ReinhardGrill, Kurt-DieterGröhe, HermannGrund, ManfredHasselfeldt, GerdaHauser ,HansgeorgHauser , NorbertHeinen, UrsulaHeise, ManfredHelias, SiegfriedHenke, Hans JochenHinsken, ErnstHintze, PeterHörster, JoachimHofbauer, KlausHohmann, MartinHoletschek, KlausHollerith, JosefHornhues, Dr. Karl-HeinzHornung, SiegfriedHüppe, HubertJaffke, SusanneJanovsky, GeorgJork, Dr.-Ing. RainerKansy, Dr. DietmarKarwatzki, IrmgardKauder, VolkerKlaeden von, EckartKlinkert, UlrichKönigshofen, NorbertKohl, Dr. HelmutKolbe, ManfredKors, Eva-MariaKoschyk, HartmutKossendey, ThomasKraus, RudolfKrogmann, Dr. MartinaKrüger, Dr. PaulKues, Dr. HermannLamers, KarlLamers ,Dr. Karl A.Lammert, Dr. NorbertLaumann, Karl-JosefLengsfeld, VeraLensing, WernerLetzgus, PeterLietz, UrsulaLink , WalterLischewski, Dr. ManfredLohmann ,WolfgangLuther, Dr. MichaelMaaß ,ErichMarschewski, ErwinMayer ,Dr. MartinMeckelburg, WolfgangMeister, Dr. MichaelMerz, FriedrichMichels, MeinolfMüller , BernwardMüller , ElmarMüller, Dr. GerdNooke, GünterObermeier, FranzOst, FriedhelmOswald, EduardOtto , NorbertPaziorek, Dr. PeterPfeifer, AntonPflüger, Dr. FriedbertPhilipp, BeatrixPofalla, RonaldPretzlaff, MarliesProtzner, Dr. BerndPützhofen, DieterRachel, ThomasRaidel, HansRamsauer, Dr. PeterReichard , ChristaReiche, KatherinaReinhardt, ErikaRepnik, Hans-PeterRiegert, KlausRomer, FranzRonsöhr, Heinrich-WilhelmRossmanith, KurtRöttgen, NorbertRuck, Dr. ChristianRühe, VolkerRüttgers, Dr. JürgenSchäfer, AnitaSchäuble, Dr. WolfgangSchauerte, HartmutSchemken, HeinzScherhag, Karl-HeinzScheu, GerhardSchlee, DietmarSchmidbauer, BerndSchmidt ,AndreasSchmidt , ChristianSchmidt ,Dr.-Ing. JoachimSchnieber-Jastram, BirgitSchockenhoff, Dr. AndreasScholz, Dr. RupertSchorlemer Freiherr von,ReinhardSchuchardt, Dr. ErikaSchwarz-Schilling,Dr. ChristianSeehofer, HorstSeiffert, HeinzSeiters, RudolfSiemann, WernerSpäte, MargareteStetten Freiherr von,Dr. WolfgangStörr-Ritter, DorotheaStorm, AndreasStraubinger, MaxStrobl, ThomasSüssmuth, Dr. RitaTiemann, Dr. SusanneTöpfer, EdeltrautUhl, Dr. Hans-PeterVaatz, ArnoldVolquartz, AngelikaVoßhoff, AndreaWaigel, Dr. TheodorWeiß , GeraldWeiß ,PeterWidmann-Mauz, AnnetteWiese , HeinzWilhelm , Hans-OttoWillner, GertWillsch, Klaus-PeterWittlich, WernerWöhrl, DagmarWolf, AribertWülfing, ElkeWürzbach, Peter KurtZeitlmann, WolfgangZöller, WolfgangBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAltmann , GilaBeck , MarieluiseBeck , VolkerBeer, AngelikaBerninger, MatthiasDeligöz, EkinDückert, Dr. TheaEichstädt-Bohlig, FranziskaEid, Dr. UschiFell, Hans-JosefFischer , AndreaFischer ,JosephGöring-Eckardt, KatrinGrießhaber, RitaHermann, WinfriedHermenau, AntjeHeyne, KristinHöfken, UliHustedt, MichaeleKöster-Loßack, Dr. AngelikaLippelt, Dr. HelmutLoske, Dr. ReinhardMüller , KerstinMüller ,Klaus WolfgangNachtwei, WinfriedÖzdemir, CemProbst, SimoneRoth , ClaudiaScheel, ChristineSchlauch, RezzoSchmidt , AlbertVizepräsidentin Petra Bläss
Metadaten/Kopzeile:
372 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998
(C)
Sterzing, ChristianVollmer, Dr. AntjeVoß, Sylvia IngeborgWilhelm , HelmutWolf , MargaretaF.D.P.Braun ,HildebrechtBrüderle, RainerBurgbacher, ErnstEssen van, JörgFlach, UlrikeFrick, GiselaFriedhoff, Paul K.Friedrich , HorstFunke, RainerGerhardt, Dr. WolfgangGoldmann, Hans-MichaelGuttmacher, Dr. KarlheinzHaupt, KlausHeinrich, UlrichHirche, WalterHomburger, BirgitHoyer, Dr. WernerIrmer, UlrichKinkel, Dr. KlausKolb, Dr. Heinrich LeonhardKopp, GudrunLenke, InaNiebel, DirkNolting, Günter FriedrichOtto ,Hans-JoachimParr, DetlefPieper, CorneliaRexrodt, Dr. GünterSchmidt-Jortzig, Dr. EdzardSchüßler, GerhardSchwaetzer, Dr. IrmgardSehn, MaritaSolms, Dr. Hermann OttoStadler, Dr. MaxThiele, Carl-LudwigThomae, Dr. DieterTürk, JürgenWesterwelle, Dr. GuidoNeinSPDHiksch, UweBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKnoche, MonikaPDSBalt, MonikaBläss, PetraFink, Dr. HeinrichFuchs, Dr. RuthGebhardt, FredGehrcke-Reymann,WolfgangGrehn, Dr. KlausGysi, Dr. GregorHübner, CarstenJelpke, UllaJünger, SabineJüttemann, GerhardKenzler, Dr. EvelynKnake-Werner, Dr. HeidiKutzmutz, RolfLippmann-Kasten, HeidiLötzer, UrsulaLüth, HeidemarieMarquardt, AngelaMüller ,ManfredNaumann, KerstenNeuhäuser, RoselOstrowski, ChristineRössel, Dr. Uwe-JensSchenk, ChristinaSchur, Gustav-AdolfSeifert, Dr. IljaWolf, Dr. WinfriedEnthaltungenSPDGilges, KonradHauer, NinaKortmann, KarinNahles, AndreaOesinghaus, GünterRöspel, RenéCDU/CSUCarstens , ManfredWimmer , WillyBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBuntenbach, AnnelieSchewe-Gerigk, IrmingardSimmert, ChristianStröbele, Hans-ChristianEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung imRahmen ihrer Mitgliedschaft in den ParlamentarischenVersammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, derOSZE oder der IPUAbgeordnete(r)Verheugen, Günter, SPDZierer, Benno, CDU/CSUDamit ist die Beschlußempfehlung und zugleich derAntrag der Bundesregierung angenommen.Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tages auf Mittwoch, den 18. November 1998, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.