Protokoll:
12046

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 12

  • date_rangeSitzungsnummer: 46

  • date_rangeDatum: 9. Oktober 1991

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:59 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 12/46 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 46. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 9. Oktober 1991 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung (Stand der Verhandlungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik [GAP]; weitere aktuelle Themen) Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3829 B Jan Oostergetelo SPD 3830 A Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3830 B Jan Oostergetelo SPD 3830 B Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3830 C Peter Harry Carstensen (Nordstrand) CDU/ CSU 3830 C Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3830 D Peter Harry Carstensen (Nordstrand) CDU/ CSU 3831 B Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3831 B Dr. Werner Hoyer FDP 3831 C Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3831 C Dr. Uwe Jens SPD 3831 C Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3831 D Dr. Uwe Jens SPD 3832 A Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3832 B Meinolf Michels CDU/CSU 3832 C Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3832 D Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Linke Liste 3833 A Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3833 A Ulrich Heinrich FDP 3833 B Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3833 C Brigitte Adler SPD 3833 C Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3834 A Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/ CSU 3834 B Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3834 C Günther Bredehorn FDP 3834 C Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3834 C Rudolf Müller (Schweinfurt) SPD 3834 D Ignaz Kiechle, Bundesminister BML 3835 A Wolfgang Roth SPD 3835 B Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 3835 C Dr. Willfried Penner SPD 3836 A Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 3836 A Jürgen W. Möllemann, Bundesminister BMWi 3836 A Dr. Willfried Penner SPD 3836 B Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 3836 B Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde — Drucksachen 12/1238 vom 04. 10. 91 und 12/1260 vom 09. 10. 91 — Kurzfristige Maßnahmen zur Beendigung der dramatischen Entwicklung in Kroatien; diplomatische Anerkennung der Republiken Slowenien und Kroatien DringlAnfr 1, 2 08. 10. 91 Drs 12/1260 Claus Jäger CDU/CSU Antw StMin Ursula Seiler-Albring AA 3836 C, 3837 D II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Oktober 1991 ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 3836 D, 3837 D ZusFr Hans Koschnick SPD 3837 A ZusFr Norbert Gansel SPD 3837 B, 3838 B ZusFr Dr. Klaus Kübler SPD 3837 C ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos 3838 C Völkerrechtliche Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens DringlAnfr 3 08. 10. 91 12/1260 Ortwin Lowack fraktionslos Antw StMin Ursula Seiler-Albring AA 3839 A ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos 3839 B ZusFr Hans Koschnick SPD 3839 C ZusFr Gerd Weisskirchen (Wiesloch) SPD 3839 D ZusFr Norbert Gansel SPD 3840 A ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 3840 A ZusFr Otto Schily SPD 3840 B Versorgung der Obst- und Gemüseanbauer, insbesondere der Hopfenanbauer, mit Pflanzenschutzmitteln MdlAnfr 1, 2 Ulrich Heinrich FDP Antw PStSekr Gottfried Haschke BML 3840 C, 3841 D ZusFr Ulrich Heinrich FDP 3840 D, 3842 A ZusFr Klaus Lennartz SPD 3841 B, 3842 C ZusFr Gudrun Weyel SPD 3841 C ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 3841 C ZusFr Otto Schily SPD 3842 D Statistik über die radioaktiven Strahlenquellen in den neuen Bundesländern MdlAnfr 4, 5 Reinhard Weis (Stendal) SPD Antw PStSekr Bernd Schmidbauer BMU 3843 A, 3844 A ZusFr Reinhard Weis (Stendal) SPD 3843 B ZusFr Klaus Lennartz SPD 3843 C ZusFr Dr. Ulrich Janzen SPD 3843 D Beibehaltung eines Münzfernsprechers neben den Kartentelefonen auf Bahnhöfen MdlAnfr 6 Gudrun Weyel SPD Antw PStSekr Wilhelm Rawe BMPT 3844 C ZusFr Gudrun Weyel SPD 3844 D Zusatztagesordnungspunkt: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu den Abrüstungsvorschlägen von Präsident Bush und Präsident Gorbatschow Norbert Gansel SPD 3845 B Peter Kurt Würzbach CDU/CSU 3846 A Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste 3847 A Dr. Olaf Feldmann FDP 3847 D Gernot Erler SPD 3848 D Hans Raidel CDU/CSU 3849 D Vera Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE 3850 D Helmut Schäfer, Staatsminister AA 3851 D Uta Zapf SPD 3852 D Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU 3854 A Dr. Siegrid Semper FDP 3855 A Dr. Hermann Scheer SPD . 3856 A Heinrich Lummer CDU/CSU 3857 A Karl Lamers CDU/CSU 3858 A Nächste Sitzung 3858 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 3859* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. Oktober 1991 3829 46. Sitzung Bonn, den 9. Oktober 1991 Beginn: 13.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 09. 10. 91 Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 09. 10. 91 Brandt, Willy SPD 09. 10. 91 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 09. 10. 91 * Bulmahn, Edelgard SPD 09. 10. 91 Duve, Freimut SPD 09. 10. 91 Ehrbar, Udo CDU/CSU 09. 10. 91 ** Eymer, Anke CDU/CSU 09. 10. 91 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 09. 10. 91 ** Ganseforth, Monika SPD 09. 10. 91 ** Genscher, Hans-Dietrich FDP 09. 10. 91 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 09. 10. 91 Dr. Holtz, Uwe SPD 09. 10. 91 ** Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 09. 10. 91 Jeltsch, Karin CDU/CSU 09. 10. 91 Dr. Kappes, CDU/CSU 09. 10. 91 Franz-Hermann Kohn, Roland FDP 09. 10. 91 Koltzsch, Rolf SPD 09. 10. 91 Lintner, Eduard CDU/CSU 09. 10. 91 Lohmann (Witten), Klaus SPD 09. 10. 91 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Marx, Dorle SPD 09. 10. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 09. 10. 91 ** Nolte, Claudia CDU/CSU 09. 10. 91 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 09. 10. 91 Pfuhl, Albert SPD 09. 10. 91 Rempe, Walter SPD 09. 10. 91 Rühe, Volker CDU/CSU 09. 10. 91 Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 09. 10. 91 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 09. 10. 91 Dr. Scholz, Rupert CDU/CSU 09. 10. 91 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 09. 10. 91 Christian Dr. Soell, Hartmut SPD 09. 10. 91 Dr. von Teichman, FDP 09. 10. 91 ** Cornelia Tietjen, Günther SPD 09. 10. 91 Voigt (Frankfurt), SPD 09. 10. 91 Karsten D. Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 09. 10. 91 Wallow, Hans SPD 09. 10. 91 ** Yzer, Cornelia CDU/CSU 09. 10. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der 86. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
Gesamtes Protokol
Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204600000
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß sich das Kabinett u. a. mit dem Stand der Verhandlungen zur gemeinsamen Agrarpolitik befaßt habe. Ich erinnere daran, daß Sie im Anschluß Fragen auch zu anderen Bereichen stellen können weil uns letztes Mal sehr rasch der Atem ausgegangen war.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Ignaz Kiechle.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204600100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat sich in seiner heutigen Sitzung schwerpunktmäßig mit dem Stand der Verhandlungen zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik befaßt. Außerdem wurde der Stand der Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde erörtert.
Für die vor uns liegenden Verhandlungen zur Reform der Agrarpolitik hat die Bundesregierung Leitlinien beschlossen, die ich Ihnen hier vortragen möchte:
„Die Beseitigung der Überschüsse muß durch ein wirksames und ausgewogenes Bündel von Maßnahmen der Mengen- und Preissteuerung erreicht werden, daß die Leistungsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft nachhaltig verbessert. Hierzu gehört auch eine Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen für die nachwachsenden Rohstoffe. Die staatlichen Anreize zu einer extensiveren und umweltverträglicheren Landwirtschaft sind zu verstärken. Die Flächenstillegung allein kann die Oberschüsse auf Dauer nicht auffangen. Der Finanzmitteleinsatz ist effizienter zu gestalten, so daß statt Überschüsse zu finanzieren die Produktionsmengen gesenkt und die Einkommen stabilisiert werden.
Bei der Beratung der Vorschläge wird sich die Bundesregierung von folgenden Grundsätzen leiten lassen:
Stützpreissenkungen können nur gegen Einkommensausgleich erfolgen. Für die Erzeuger muß aber in
Zukunft wieder eine positive Entwicklung der Marktpreise möglich sein.
Für die Beteiligung der Landwirte an den mengenrückführenden Maßnahmen sind genügend Anreize zu schaffen, d. h. Ausgleichszahlungen erhalten nur Betriebe, die an mengenrückführenden Maßnahmen teilnehmen.
Der Einkommensausgleich muß dauerhaft und verläßlich sein. Eine Festschreibung ist wichtig. Der Einkommensausgleich darf den Aufbau wettbewerbsfähiger Betriebsgrößen und damit die strukturelle Entwicklung der Landwirtschaft nicht behindern, d. h. größere Betriebe dürfen beim Ausgleich nicht diskriminiert werden.

(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Sehr gut!)

Der Einkommensausgleich darf im GATT nicht unter die abbaupflichtigen Maßnahmen fallen. Ein ausreichender Außenschutz ist zu gewährleisten.
Die Vorschläge für die flankierenden Maßnahmen bedürfen der genauen Prüfung hinsichtlich ihrer Eignung und Durchführbarkeit, aber auch im Hinblick auf die Zuständigkeiten und die finanziellen Auswirkungen auf die Haushalte der Gemeinschaft, des Bundes und der Länder. Eine enge Abstimmung mit den Ländern ist erforderlich, insbesondere bei Maßnahmen, die ihre Mitfinanzierung erfordern.
Diese Leitlinien werden dazu beitragen, die vom Weltwirtschaftsgipfel in London bekräftigten Ziele zu verwirklichen. "
Auf der Basis dieser Leitlinien hat das Kabinett anschließend folgenden Beschluß gefaßt:
Erstens. Die Bundesregierung wird die Verhandlungen im EG-Ministerrat gemäß den niedergelegten Leitlinien für die Verhandlungen führen. Ich habe sie Ihnen eben verlesen.
Zweitens. Die Bundesregierung wird die EG-Kommission mit Blick auf das beginnende entscheidende Schlußstadium der Uruguay-Runde zu nachdrücklichen, den erfolgreichen Abschluß der Runde bis Ende dieses Jahres sichernden Verhandlungen ermutigen. Sie geht davon aus, daß die EG auf der Basis des neuen Ansatzes zur Reform der EG-Agrarpolitik spezifische bindende Verpflichtungen bei interner Stilt-



Bundesminister Ignaz Kiechle
zung, Außenschutz und Exportsubventionen verbunden mit einer Verbesserung des effektiven Marktzugangs eingehen wird. Die Bundesregierung ist weiter bereit, nach einem Zeitraum von fünf Jahren eine Überprüfung der Umsetzung dieser GATT-Schlüsse vorzunehmen.
Bezüglich des erforderlichen Einkommensausgleichs für die Landwirtschaft verweist die Bundesregierung auf ihre Haltung zu den Reformvorschlägen der EG-Kommission. Ich habe sie vorhin auch zitiert. Die bisherigen Hilfen im Rahmen der 3 %igen Umsatzsteuerregelung und des soziostrukturellen Einkommensausgleichs müsse volumenmäßig fortgeführt und so umgestaltet werden, daß sie EG- und GATT-konform sind.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204600200
Vielen Dank, Herr Minister. Als erster Fragesteller Herr Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1204600300
Herr Bundesminister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es jetzt nicht mehr um eine Ablehnung der EG-Vorschläge, sondern ich habe jetzt moderate Töne gehört. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie einer Stützpreissenkung zustimmen würden, anders als der Bauernverband und anders als Sie- es auf dem Bauerntag in Kassel gesagt haben? Würden Sie in jedem Fall dafür sorgen, daß die Stützpreissenkung in voller Höhe durch Einkommensübertragung wettgemacht wird?
Zweite Frage: Herr Bundesminister, würden Sie die von der EG-Kommission vorgesehene degressive Staffelung befürworten, indem z. B. für die Kleinerzeuger voller Ausgleich für die Preissenkungen beim Getreide ohne zwingende Rückführung der Getreideproduktion gewährt wird, oder wollen Sie alle Betriebsgrößen über einen Kamm scheren?

(Dr. Peter Struck [SPD]: Der will alle über einen Kamm scheren! Das ist doch klar!)


Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204600400
Herr Kollege Oostergetelo, die von mir verlesenen Leitlinien sagen aus: Stützpreissenkungen können nur gegen Einkommensausgleich erfolgen. Sie sagen auch aus, daß wir auf der Basis der Vorschläge unsere Verhandlungen führen werden, wobei andererseits gleichzeitig gesagt wird, daß die Höhe dieser Vorschläge in manchen Bereichen der Preissenkungstheorie der Kommission weit über das hinausgehen, was wir uns noch als erträglich vorstellen.
Damit ist Ihre zweite Frage, ob eventuelle Senkungen der Preise voll ausgeglichen werden müssen, mit Ja zu beantworten. Was die degressive Staffelung anbetrifft, darüber muß verhandelt werden. Wir können angesichts der Tatsache, daß wir in den fünf neuen Bundesländern völlig andere Betriebsgrößen haben, als wir sie bisher im Westen gekannt haben, keineswegs mit den Staffelungsvorschlägen einverstanden sein.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204600500
Zusatzfrage, Herr Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (SPD):
Rede ID: ID1204600600
Herr Minister, wollen Sie uns denn nicht konkret sagen, daß der relativ kleine
Vorteil für die Betriebe mit 20 Hektar Getreide von Ihnen nicht mitgetragen werden soll? Wollen Sie uns auch sagen, in welcher Höhe eine Stützpreissenkung für Sie noch akzeptabel ist? Wir würden es gerne wissen und die Bauern im Lande auch.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204600700
Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204600800
Herr Kollege Oostergetelo, Ihre erste Frage habe ich nicht verstanden. Vielleicht können Sie sie klarer formulieren. Dann werde ich sie Ihnen gerne beantworten.
Was die zweite Frage anbetrifft: Ich kann Ihnen hier nicht sagen und ich werde es auch nicht tun — ich bitte die Kollegen um Verständnis — , was eventuell äußerste Verhandlungslinie der Bundesregierung sein könnte, denn sonst kann ich es gleich schriftlich nach Brüssel übermitteln und kann das Verhandeln bleiben lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Abg. Jan Oostergetelo [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204600900
Im Augenblick nicht, aber Sie können sich gleich noch einmal wieder einreihen.
Herr Carstensen.

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1204601000
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß die von Ihnen angesprochene Reduzierung der Überschüsse primär über die Mengenregulierung gelöst werden muß, und daß die Preissteuerung, die Sie angesprochen haben, in den letzten Jahren und sicherlich auch in den nächsten Jahren ein untaugliches Mittel ist? Sind Sie mit mir der Meinung — um auch auf das einzugehen, was gerade eben Gegenstand der Frage gewesen ist — , daß die Stützpreisgestaltung dann, wenn der Markt reguliert ist, d. h. der Markt das aufnehmen kann, was produziert wird, letztendlich eine, so will ich es einmal ausdrücken, „sekundäre" Rolle spielen kann, weil das Marktgleichgewicht andere Preise als die sich im Stützpreissystem abzeichnenden bzw. festgelegten Preise entstehen läßt?
Eine weitere Frage, die mich bei den Forderungen nach einem Einkommensausgleich — was von mehreren Seiten erhoben wird — , interessiert: Wie bewerten Sie die Forderungen insbesondere der Opposition nach einem Einkommensausgleich angesichts dessen, daß der Vorsitzende der SPD, Herr Engholm, kürzlich gefordert hat — wie in der „Welt" vom 3. September zu lesen war —, gerade die Gasöl-Betriebsbeihilfe abzubauen?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204601100
Herr Minister Kiechle.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204601200
Es geht aus den beschlossenen Leitlinien hervor, daß wir die Märkte primär über Mengensenkungen in Gang bringen wollen. Daher haben wir auch stets den Teil der Vorschläge der Kommission, der da heißt, Ausgleichszahlungen sollen nur diejenigen erhalten, die auch an der Flächen-



Bundesminister Ignaz Kiechle
stillegung z. B. im Getreidebereich teilnehmen, gestützt.
Die Preissenkung war von Anfang an zur Mengenkontrolle untauglich. Wer weniger pro Einheit bekommt, produziert mehr aus dem Zwang der Verhältnisse heraus; es sei denn, es wäre eine Preissenkung, die einem Teil der Betriebe das wirtschaftliche Aus bringt. Dies wollten wir immer vermeiden. Daher möchte ich Ihnen zustimmen, daß es für diesen Zweck ein untaugliches Instrument ist. Da die GAP-Reform aber gleichzeitig auch Auswirkungen auf spätere oder gleichzeitig laufende Verhandlungen der Welthandelskonferenz haben wird, halten wir es für nicht ausgeschlossen, daß der Zwang der Verhältnisse Preissenkungen mit sich führen wird — dort dann nur gegen vollen Ausgleich.
Die Stützpreise sind dann sekundär — so haben Sie es formuliert; dem kann auch ich zustimmen — , wenn der Markt stimmt. Wenn Angebot und Nachfrage stimmen, können sich die Marktpreise nämlich erholen. Dies ist seit langem unser Credo; siehe daher auch unsere Lösung bei der Milch. Allerdings setzt das voraus, Herr Kollege, daß der Außenschutz ebenso stimmt. Denn wenn das nicht stimmte, dann würden sich die Preise am Markt auch bei Gleichheit von Angebot und Nachfrage nicht mehr erholen.
Einkommensausgleich wird von vielen zu Recht gefordert. Wer aber gleichzeitig im Kostenbereich der Landwirte, etwa bei der Dieselkraftstoffbeihilfe, Abbau fordert, stützt natürlich nicht die Einkommen, sondern verringert sie.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1204601300
Herr Bundesminister, ich stimme Ihnen zu, daß es notwendig ist, zu einer Abkopplung der Marktpreise von den Stützpreisen zu kommen. Ist dann nicht auch eine zeitliche Vorgabe gegeben, d. h. erst die Mengen zu reduzieren und sich dann über die Stützpreise Gedanken zu machen, und nicht erst die Stützpreise zu reduzieren und sich nachher Gedanken über die Mengen zu machen?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204601400
Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204601500
Das wäre vielleicht die idealere Form. Da wir aber auf der Basis der vorliegenden Kommissionsvorschläge, die amtlich sind und offiziell auf dem Tisch liegen, verhandeln müssen, müssen wir eine Systematik finden, die beides gleichzeitig — ohne der Landwirtschaft Schaden zuzufügen — ermöglicht. Daher, bei Senkung der Stützpreise, die bei Überschußlage gleichzeitig auch die Marktpreise bilden: Ausgleich. Wenn im Rahmen des Ausgleichs und bei genügendem Außenschutz dann der Markt wieder bessere Preise hergibt, kommt dies zwar erst mit einem Zeitverzug zustande, aber dieser Zeitverzug ist durch die direkten Ausgleichsmaßnahmen abgestützt.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204601600
Herr Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1204601700
Herr Minister, ich habe mich aus liberaler Sicht über die Formulierung „Verbesserung des effektiven Marktzugangs" insbesondere unter Gesichtspunkten der Außenwirtschaftspolitik und Entwicklungspolitik sehr gefreut, habe aber die Frage, ob darin nicht ein gewisser Widerspruch zu der anderen Formulierung im ersten Teil des Papiers zu sehen ist, wo davon gesprochen wird, daß ein ausreichender Außenschutz zu gewährleisten sei. Frage: Besteht hier ein gewisser Widerspruch, und wie wird er gegebenenfalls aufgelöst?

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204601800
Effektiver Marktzugang muß nicht bedeuten, daß wir bei allen Produkten Maßnahmen zu treffen hätten, die anderen erlauben, auf unseren Märkten Zugang zu haben. Effektiver Marktzugang kann sich auch bei Produkten, die in der Eigenproduktion der Gemeinschaft weniger vorhanden sind, dadurch auswirken, daß man z. B. auf dem Bananen-Markt, wo es nur in Deutschland eine liberale Regelung gibt, bei allen anderen aber nicht, bessere Regelungen in ganz Europa schafft. So kann man Produkt für Produkt vorgehen. Effektiver Marktzugang heißt eben auch: nach Maßgabe dessen, was die Europäische Gemeinschaft zu Lasten ihrer Bauern zulassen kann, ohne deren Existenz zu gefährden.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204601900
Keine Zusatzfrage.
Herr Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1204602000
Ich gehe davon aus, daß ich zwei Fragen habe.
Der Bundesminister für Landwirtschaft hat ja etwas verklausuliert deutlich gemacht, daß diese Regierung nach langem Drängen der Sozialdemokraten endlich bereit ist, bei den GATT-Verhandlungen voranzugehen und Flagge zu zeigen.

(Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das war die erste Frage!)

— Das war noch nicht meine erste Frage.

(Heiterkeit)

Das wurde in der Tat höchste Zeit.
Ich stelle Ihnen die Frage: Warum sagen Sie bei diesen Ausführungen eigentlich nicht ehrlich, daß das natürlich zur Folge haben muß, daß Landwirte, die über höhere Produktion verfügen, mit Einkommenseinbußen rechnen müssen? Wir Sozialdemokraten drängen ja darauf, daß die Landwirte mit geringer Produktion möglichst keine Einkommenseinbußen hinzunehmen haben.
Meine zweite Frage — —

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204602100
Einfacher ist es, wenn der Minister auf die erste Frage antwortet. — Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204602200
Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir die GATT-Verhandlungen zu einem Erfolg führen möchten. In diesem Fall spricht die Europäische Gemeinschaft, weil sie — und nicht etwa ein Mitgliedstaat — Verhandlungs-



Bundesminister Ignaz Kiechle
partner ist, die entscheidenden Worte. Wir haben auch nie Zweifel daran gelassen, daß das natürlich nicht bedeuten kann: Koste es, was es wolle. Es muß für beide eine faire Möglichkeit geben.
Sie haben versucht, das Wort ehrlich dergestalt in Ihre Frage zu kleiden, als ob ich mich hier unehrlich ausgedrückt hätte. Das habe ich nicht getan. Ich antworte Ihnen aber ehrlich: Wir wollen die Einkommenseinbußen möglichst verhindern.

(Dr. Uwe Jens [SPD]: Auch für große?)

Die Kommission hat dazu einen durchaus praktischen und brauchbaren Ansatz geliefert. Sie ist allerdings in den Dimensionen viel zu weit gegangen. Der Ausgleich für größere Betriebe kann nicht dergestalt heruntergesetzt werden, daß eine Reihe dieser Betriebe in dem neuen System diskriminiert würde. Aber das ist dann Ergebnis der Verhandlungen. Die Briten und die Dänen denken in diesem Punkt genauso wie wir.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204602300
Nächste Frage.

Prof. Dr. Uwe Jens (SPD):
Rede ID: ID1204602400
Herr Minister, wenn die GATT-Verhandlungen zum Erfolg geführt werden sollen, gibt es zwei Essentials. Ich frage, ob Sie folgende Punkte genauso wie ich sehen:
Erstens. Es geht nicht mehr an, daß die EG als Agrarexporteur auf den Weltmärkten die Preise für Dritte-Welt-Länder kaputtmacht. Muß deshalb nicht der Agrarexport ganz und gar eingestellt werden?
Zweitens. Müssen wir nicht die Grenzen so weit öffnen, daß zumindest die Länder Osteuropas, also Polen, Ungarn, aber auch die Ukraine und Rußland, eine Chance haben, mit ihren Agrarexporten auf den europäischen Markt zu kommen?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204602500
Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204602600
Es gibt sicher eine Reihe von Essentials. Aber sie werden nicht nur von denen, die von den Europäern etwas fordern, formuliert, sondern auch von den Europäern, die ihrerseits eine Menge Forderungen haben. Denn nicht alle am Weltmarkt sind sich — außer den Europäern — da einig.
Aber ganz konkret zu Ihrer Frage: Die EG exportiert Lebensmittel im Wert von etwa 60 Milliarden DM und importiert Lebensmittel im Wert von etwa 100 Milliarden DM. Wir sind Netto-Importeur. Aber in den Bereichen, in denen wir besonders viel exportieren — das sind Getreide, Rindfleisch und zum Teil auch Milchprodukte —, können wir das nur mit hohen Subventionen. Dieser Teil — da stimme ich Ihnen zu — muß abgebaut werden. Es wird in einem Kompromiß, den Frankreich und andere Länder — Griechenland und auch Spanien — bejahen könnten, sicher nicht möglich sein, zu sagen: Export soll verboten werden. Auch dies hätte mit Liberalität nichts zu tun.
Aber wir müssen erkennen, daß wir teuer produzierte Inlandsprodukte nicht mehr im selben Umfang wie bisher durch Exporterstattungen exportieren können, wenn wir in Frieden mit unseren Handelspartnern leben wollen. Hier setzt das Reformkonzept, das wir hinsichtlich dessen, was die Kommission vorgelegt hat, umformulieren, im wesentlichen an.
Für die Ostländer wird sich im Laufe der nächsten Jahre sicherlich eine Entwicklung anbahnen, die auch uns auf diesen Märkten tangieren wird. Wir sollten uns gegenseitig gar nichts vormachen. Wenn wir bejahen, daß es nicht nur ein westliches, sondern auch ein östliches Europa gibt und daß dieses Europa wieder ein gemeinsames Europa werden soll, dann will ich über den Zeithorizont, bei dem dies möglich sein wird, hier nicht reden. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Aber irgendwann werden wir sie — zuerst über Zwischenstufen und später ganz — in der Gemeinschaft haben, falls sie das wünschen. Dann erklärt sich von selbst, daß der Agrarmarkt davon betroffen wäre.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204602700
Ich mache darauf aufmerksam — ich habe noch zehn Wortmeldungen — , daß wir uns auf beiden Seiten kurz fassen müssen.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Der Herr Minister muß einmal etwas kürzer antworten!)

Herr Michels.

Meinolf Michels (CDU):
Rede ID: ID1204602800
Herr Minister, hier wurde soeben von den größeren Betrieben gesprochen. Sie werden mir bei der Feststellung, daß die Grenzen sehr fließend sind und sie überall anders gesehen werden, recht geben. Sie werden mir auch zustimmen, daß die Marktfruchtbetriebe laut Agrarbericht die schlechtesten Ergebnisse erzielt haben.
Meine Frage geht dahin: Macht sich die Regierung, wenn der Stützpreis gesenkt werden soll und der Außenschutz umstritten ist, Gedanken darüber oder hat sie schon Planungen erarbeitet, wie sich ein allmählicher Abbau der Interventionsregelung insgesamt auf einen dann stärker florierenden Markt positiv auswirken könnte?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204602900
Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204603000
Die Marktfruchtbetriebe, die direkt verkaufen und ohne eigene Veredelung wirtschaften, haben es am schwierigsten, da die Getreidepreise bereits innerhalb von sechs Jahren von 44,50 DM netto auf 31 oder 32 DM netto zurückgegangen sind,

(Meinolf Michels [CDU/CSU]: So sieht es aus!)

allerdings ohne jeden Ausgleich.

(Meinolf Michels [CDU/CSU]: Eben!)

In dem neuen System würde hierfür ein Ausgleich gezahlt, und zwar unabhängig von der Größe der jeweiligen Betriebe. Daß der Ausgleich ausreichend sein muß, wird Gegenstand der Verhandlungen sein müssen. Nur so können wir im Zusammenhang mit der Reform, bis Angebot und Nachfrage wieder bessere Preise erlauben, den Betrieben eine gewisse Sicherheit geben. Der Außenschutz ist dafür unverzichtbar. Sonst können wir ein solches System nicht durchhalten.




Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204603100
Herr Schumann.

Dr. Fritz Schumann (PDS/LL):
Rede ID: ID1204603200
Herr Bundesminister, Sie haben die Flächenstillegungen als eines der Mittel genannt, um die Mengenrückführung zu bewerkstelligen. Stimmen Sie mit mir überein, daß die gegenwärtige Verteilung der stillgelegten Fläche in der EG zumindest ungesund ist, wenn von 1,2 Millionen ha in der EG 600 000 ha in den neuen Ländern stillgelegt werden. Ich denke da auch an soziale Folgen insbesondere in strukturschwachen Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Was gedenkt die Bundesregierung in Zukunft zu tun, um dort steuernd einzugreifen?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204603300
Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204603400
Wir habem immer erklärt, daß die gesamte EG an der Flächenstillegung teilnehmen muß, wenn sie, bezogen auf die Angebots- und Nachfrageproblematik innerhalb der EG, wirksam sein soll. Das ist bisher nicht genügend gelungen, obwohl sich im Laufe von drei Jahren immer mehr andere Länder beteiligt haben.
Das jetzt vorliegende System sieht folgendermaßen aus — ich rede jetzt nicht über die Höhe der festzulegenden Daten; darüber muß verhandelt werden — : Die Prämie, die gegeben wird, weil die Stützpreise eventuell gesenkt werden, erhält nur derjenige, der mindstens 15 % seiner marktordnungsproduktgebundenen Flächen stillegt.
Was das wiederum bedeutet, mache ich an einem Beispiel klar: Gesetzt den Fall, es würde eine 10 %ige Preissenkung erfolgen, ergäbe das eine Ausgleichsprämie von 200 DM; bei 15 % wären es 300 DM usw. Diese Ausgleichsprämie erhält nur derjenige, der eine Flächenstillegung im Umfang von 15 % mitmacht. Das heißt im Klartext: Alle werden sie mitmachen; denn auf 200 oder 300 DM/ha kann keiner freiwillig verzichten, zumal er für die 15 %ige Flächenstillegung auch noch eine Prämie erhält. — Hier gibt es allerdings einen Streitpunkt im Zusammenhang mit größeren Betrieben; das will ich hier durchaus sagen. — Insofern würde die Verteilung wieder gleichmäßig erfolgen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204603500
Herr Heinrich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1204603600
Herr Minister, erfreulicherweise sind wir in der Bundesrepublik einvernehmlich der Meinung, daß die Mengen gewaltig zurückgefahren werden müssen. Wir wissen aber, daß in Europa diese Meinung nicht so uneingeschränkt besteht. Wir wissen, daß es erhebliche Meinungsunterschiede zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gibt. Wir wissen auch, daß Frankreich in der Vergangenheit nie bereit war, die Mengen in der Form zurückzuführen, wie es unserer Meinung nach nötig wäre.
Was gedenkt die Bundesregierung in der Zukunft im Rahmen der Verhandlungen schwerpunktmäßig zu tun, um Frankreich dazu zu bewegen, an der Mengenrückführung stärker teilzunehmen? Ich meine, der Druck muß hier wesentlich erhöht werden.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204603700
Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204603800
Herr Kollege Heinrich, es gibt diese Meinungsunterschiede. Sie beruhen auf einer, ich glaube, 200jähriger fast Ideologie in Frankreich, daß Getreideexporte das grüne Gold Frankreichs darstellen, das es auf den Weltmarkt zu schikken galt.
Aber Frankreich denkt um. Frankreich hat in seinem Haushalt 1992 umgerechnet etwa 250 Millionen DM bereitgestellt, um die aus Brüssel zur Verfügung stehenden Flächenstillegungsbeihilfen national aufzustocken, was bisher nie geschah. Das neue Konzept
— wie immer es zum Tragen käme — würde das System individualisieren. Der Landwirt in Frankreich, der nicht teilnimmt, würde einen Ausgleich für niedrigere Preise — falls sie gesenkt werden, und ich fürchte, daß ein bestimmter Prozentsatz nicht zu verhindern sein wird — nicht bekommen. Insoweit wäre der Ausgleich nicht mehr vom Wohlwollen der Regierung — zumal die Prämie aus Brüssel kommt und nicht national zu bezahlen ist — , sondern von den eigenen Entscheidungen der Bauern abhängig. Darum bin ich ziemlich zuversichtlich.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204603900
Frau Adler.

Brigitte Adler (SPD):
Rede ID: ID1204604000
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
— Auch ich habe eine Frage an den Herr Minister Kiechle. Sie haben eben die ganze Zeit über Flächenstillegung gesprochen. In Ihren Ausführungen vorhin wurde aber auch die Extensivierung genannt.
Wie wir wissen, hat die Flächenstillegung in diesem Jahr und in den vergangenen Jahren überhaupt nichts gebracht. Das gilt auch, wenn der Landwirt — wovon Sie jetzt ausgehen — nachweisen muß, daß er einen bestimmten Prozentsatz seiner Fläche mit Marktordnungsprodukten stillgelegt hat.
Meine Frage: Wie sieht es mit dem Ausgleich bei Extensivierungsmaßnahmen aus, von denen ich mir sehr viel mehr verspreche, vor allem dann, wenn sie flächendeckend nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in der ganzen EG durchgesetzt werden? Das hätte gleich einen zweiten Pluspunkt zur Folge, nämlich daß dadurch unsere Umwelt und vor allem unser Trinkwasser geschützt wird.
Meine zweite Frage. Der Außenschutz ist angesprochen worden. Inwieweit werden Sie bei den Verhandlungen zusammen mit Ihrem Kollegen, der neben Ihnen sitzt, auch die Frage der Substitute ansprechen? Denn die Veredelung hier bei uns in der Bundesrepublik erfolgt ja in großem Maße über die Substitute der Drittländer, nicht nur der Länder der Dritten Welt.
Bei den Exportsubventionen wird es zu einem Verdrängungswettbewerb kommen. Wir bekommen Ware aus Osteuropa; wir bekommen vielleicht Ware aus den anderen Industriestaaten dieser Welt, die dann nachher als Exportsubventionen auf den Markt der Entwicklungsländer drängen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204604100
Frau Abgeordnete, Sie haben jetzt eine sehr verschränkte Frage gestellt.
— Die erste Frage bezog sich auf die Extensivierung,



Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
und die zweite heißt: Was geschieht mit den Substituten?

(Brigitte Adler [SPD]: Gut! — Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: So kurz kann man das machen, Frau Präsidentin!)


Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204604200
Unabhängig davon, ob Sie von der Extensivierung mehr halten als von der Flächenstillegung, Frau Kollegin, haben wir derzeit kein anderes exaktes und kontrollierbares Instrument. Gleichzeitig aber gibt es für die Extensivierung durchaus Vorschläge der Kommission. Sie sind nur noch etwas vage. Die Ausführungsbestimmungen, die die Kommission sich vorstellt, liegen noch nicht vor.
Wir selbst werden über ein großes Pilotprojekt, ähnlich wie seinerzeit die Flächenstillegung in Niedersachsen, in einem anderen Bundesland versuchen, Existensivierung durchführbar und kontrollierbar zu machen oder zumindest zu testen, ob sie dort möglich ist, um die Dinge weiterzuentwickeln.
Ich halte eine ganze Menge von Extensivierung. Nur, jetzt, wo es schnell gehen muß und wo wegen der GATT-Verhandlungen etwas Konkretes auf den Tisch gelegt werden muß, sind Flächenstillegungen das einzige, was helfen kann.
Sie haben uns im übrigen im letzten Jahr eine ganze Menge gebracht. Denn wir hätten eine automatische Preissenkung um 3 % gehabt, wenn wir die Produktion von 170 Millionen Tonnen überschritten hätten. Das haben wir nicht, weil über eine Million Hektar nicht bebaut worden sind.
Auch dort ist Umweltrelevanz zu beachten. Denn auf den Flächen — dabei geht es ja um Millionen Hektar — wird weder gedüngt, noch werden Pflanzenschutzmittel angewandt.
Die Substitute sind angesprochen. Die EG-Kommission hat den Auftrag, bei den GATT-Verhandlungen darüber zu verhandeln.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204604300
Ich sage jetzt schon: Ich verlängere die Befragung der Bundesregierung auf Grund der noch vorliegenden freien Fragen bis 13.45 Uhr. Da ich die freien Fragen noch zulassen will, höre ich mit diesem Komplex um 13.35 Uhr auf. Ich kann es nicht ändern. Bitte, auf beiden Seiten kurz fassen.
Nächster Fragesteller ist Herr Mayer (Siegertsbrunn).

Dr. Martin Mayer (CSU):
Rede ID: ID1204604400
Herr Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß der Außenschutz für im Inland erzeugte landwirtschaftliche Produkte eine Schlüsselrolle für die Zukunft der europäischen Landwirtschaft spielt, daß ohne diesen Außenschutz alle übrigen Maßnahmen, z. B. Mengenreduzierungen, praktisch wirkungslos bleiben und daß deshalb diesem Außenschutz im Rahmen der Verhandlungen allerhöchste Priorität eingeräumt werden muß?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204604500
Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204604600
Die Antwort lautet ja, und zwar ganz uneingeschränkt.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204604700
Herr Bredehorn.

Günther Bredehorn (FDP):
Rede ID: ID1204604800
Herr Minister, Sie haben ja erklärt, daß Sie die Einkommensrückgänge, die den Betrieben durch Preissenkung, Extensivierung und Mengenrückführung entstehen, voll ausgleichen wollen. Dankenswerterweise haben Sie ausgeführt, daß Sie eine Degression, d. h. die Ruinierung der wettbewerbsfähigen Betriebe, wie es vorhin von den Kollegen der SPD anklang, verhindern wollen. Das kann man ja durchaus begrüßen. Haben Sie aber Vorstellungen, um wieviel teurer dann die gesamte EG-Agrarpolitik werden wird?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204604900
Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204605000
Ich muß ich auf die Schätzungen, die die EG-Kommission selbst gemacht hat, zurückziehen. Denn wir verfügen nicht über das internationale Datenmaterial, das die Kommission natürlich hat.
Die Antwort auf Ihre Frage lautet: Ich habe nicht gesagt: überhaupt keine Degression. Ich habe nur gesagt: Die Degression, die die Kommission jetzt vorgeschlagen hat, halten wir fur inakzeptabel. Wir selbst haben durchaus bei der Flächenstillegung eine Degression im nationalen Bereich bisher ebenfalls schon gehabt. Daran könnte ein Modell, das zum Kompromiß führt, eventuell gemessen werden.
Das gilt natürlich nicht für Einbußen aus Stützpreissenkungen. Es gilt nur für die dann daraus folgenden gesetzlich oder durch Richtlinie vorgeschriebenen Flächenstillegungen.
Der zweite Teil Ihrer Frage bezog sich auf die Kosten. Darauf kann ich Ihnen nur generell antworten. Die Kommission sagt: Für eine Übergangszeit von etwa drei bis fünf Jahren werden die Kosten etwas höher sein als bisher; danach werden sie absinken. —Ich füge dem hinzu: Wenn die Kommission auf die vorgeschlagene Preissenkung von 40 %, die sie ja durch einen Direktausgleich an die jeweiligen Bauern ausgleichen müßte, verzichten würde, dann wären die Kosten von Anfang an niedriger, und sie könnte denselben Zweck erreichen, vielleicht ausgenommen die Komponente, wieviel mehr Getreide in den Futtertrog geht.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204605100
Herr Müller.

Rudolf Müller (SPD):
Rede ID: ID1204605200
Herr Minister, MacSharry will die Mengen über eine Preissenkung zurückführen. Sie haben sich auf Versammlungen und in allen Veröffentlichungen immer gegen eine Preissenkung ausgesprochen. Das Kabinett hat sich jetzt für Preissenkungen entschieden; gegen Ihre Meinung, nehme ich an. Das heißt also: Das Kabinett steht nicht mehr hinter Ihnen. Können Sie jetzt noch weiterhin Minister bleiben, oder werden Sie zurücktreten?

(Zurufe von der SPD: Sehr gut! — Lachen bei der CDU/CSU)





Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204605300
Herr Minister.

Ignaz Kiechle (CSU):
Rede ID: ID1204605400
Lieber Herr Kollege MülLer, Sie sehen mich schmunzeln; ich kenne Sie persönlich ja gut genug.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist noch keine Antwort!)

Das Kabinett hat heute Leitlinien verabschiedet, mit denen ich zufrieden bin. Ich habe nie gesagt, daß Preissenkungen einen Nutzen haben. Ich habe immer behauptet, sie schaden den europäischen Bauern. Sie schaden ihnen auch diesmal. Nur, diesmal ist der Unterschied, daß es nicht nur um Preissenkungen geht, sondern auch um einen Ausgleich. Darüber müßten Sie ja eine gewisse Genugtuung empfinden, nachdem Sie selbst durch den Mund von Herrn Oostergetelo ja gesagt haben, wir sollten die Vorschläge von MacSharry in Gänze annehmen. Aber das halten wir für nicht machbar und für nicht tragbar.
Ich sage es jetzt noch einmal ganz langsam: Wenn der Gang der Verhandlungen — die Vorschläge liegen nun auf dem Tisch — dazu führt, daß wir gewisse Preisrückgänge durch Stützpreissenkungen nicht verhindern können, dann wird das nur geschehen, indem ein voller Ausgleich erfolgt. Ich bin keiner von den Politikern, die dann sagen: Wenn es nicht nach meinem Willen geht, dann greife ich zu letzten Mitteln. Das müßte ich nur dann machen, wenn es — sagen wir einmal — um säkulare Entscheidungen gegen meine Überzeugung ginge. Mir geht es um die Einkommen der Bauern, und diese sind diesmal wenigstens so in der Diskussion, daß sie nicht tangiert werden sollen oder zumindest ausgeglichen und gestützt werden sollen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204605500
Herr Müller, es tut mir leid, aber ich muß hier abbrechen — wenngleich noch zwei Minuten bleiben — , denn sonst kommen die freien Fragen überhaupt nicht zum Zuge.
Ich darf die Fragesteller Herrn Penner — obwohl es bei ihm allerdings ganz klar war — , Herrn Roth, Herrn von Hammerstein, Herrn Dr. Kolb und Herrn Gansel fragen, ob sich ihre Fragen noch auf das Thema Landwirtschaft beziehen.

(Wolfgang Roth [SPD]: Ich will den Bundeswirtschaftsminister fragen!)

— Ja, gut. — Erst Herr Penner oder erst Herr Roth?

(Wolfgang Roth [SPD]: Meine Frage ist sachlich näher an dem Thema, das wir gerade besprechen!)

— Dann Herr Roth, bitte.

Wolfgang Roth (SPD):
Rede ID: ID1204605600
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sind in dem heutigen Kabinettsbeschluß natürlich in erheblichem Maße einen Kompromiß eingegangen, was die GATT-Verhandlungen anbetrifft. Da das, was heute beschlossen wurde, einerseits Versprechungen an die deutsche Landwirtschaft beinhaltet, aber andererseits auch die Ausgangsposition für die GATT-Verhandlungen berührt, die noch im Dezember abgeschlossen werden sollen, will ich Sie fragen, ob Sie glauben, daß mit dieser agrarpolitischen Position die GATT-Verhandlungen in diesem Jahr erfolgreich beendet werden können.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204605700
Herr Minister Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1204605800
Frau Präsidentin! Herr Kollege Roth, ich gehe davon aus, daß der heutige Kabinettsbeschluß, der sich zum einen mit der künftigen Agrapolitik der Gemeinschaft und zum anderen mit den GATT-Verhandlungen beschäftigt, den Weg frei macht für ein positives Ergebnis dieser Verhandlungen. Vielleicht ist bei der detaillierten Erörterung des Agrarteils ein bißchen untergegangen, was in den beiden Punkten, die das GATT betreffen, beschlossen wurde. Ich zitiere das noch einmal — es ist ja von großer Bedeutung — : Die Bundesregierung wird die EG-Kommission mit Blick auf das beginnende und entscheidende Schlußstadium der Uruguay-Runde zu nachdrücklichem, den erfolgreichen Abschluß der Runde bis Ende dieses Jahres sichernden Verhandlungen ermutigen. Bisher haben die ja nicht stattgefunden. Das war blockiert, seitdem im vergangenen Jahr im November ein Stillstand eingetreten war. Das soll jetzt überwunden werden.
Zweitens. Sie geht davon aus, daß die EG auf der Basis des neuen Ansatzes zur Reform der EG-Agrarpolitik — nun kommt der entsprechende Satz — „spezifische, bindende Verpflichtungen" — das meint Abbauverpflichtungen, nicht Aufbauverpflichtungen, bei interner Schützung, Außenschutz und Exportsubventionen, verbunden mit einer Verbesserung des effektiven Marktzugangs eingehen wird. Das war bisher der Knackpunkt. Das ist heute beschlossen worden, daß wir dazu die EG-Kommission ermuntern, neben den Aspekten, die der Kollege Kiechle völlig zutreffend in Ergänzung dargestellt hat.
Ich glaube nicht, daß man behaupten kann, daß sich dadurch die Chancen nicht erheblich verbessert hätten. Denn bisher stagnierten die Verhandlungen im wesentlichen an drei Punkten: Erstens geistiges Eigentum, da können wir uns einigen.

(Hans Koschnick [SPD]: Das glaube ich!)

— Sie können sich daran vielleicht beteiligen, aber Sie müssen das erst aufbauen. Zweitens Dienstleistungen. Auch dort ist eine Einigung denkbar. Drittens Agrarpolitik. Hier ist in der Tat die Position der EG bei den letzten Verhandlungen im November einer der Gründe gewesen, warum wir nicht zu einem Ergebnis kamen.
Der Bundeskanzler hat heute im Kabinett noch einmal unterstrichen, daß aus seiner Sicht ein Scheitern der GATT-Verhandlungen — ich zitiere wörtlich —„eine Katastrophe" sei. Ich glaube, schärfer kann man nicht formulieren, daß jetzt zwingend engagiertes Handeln erforderlich ist. Ich werde am Wochenende auf der EG-Handelsministerkonferenz diese pointierte Position zur Geltung bringen.

(Dr. Wolfgang Roth [SPD] meldet sich zu einer weiteren Frage)





Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204605900
Herr Roth, wenn wir die Befragung um 13.45 Uhr schließen, hat Ihr Kollege Penner keine Chance mehr.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Penner ist wichtig!)


Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1204606000
Hat die Bundesregierung eine Meinung zur Änderung des Art. 16?

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID1204606100
Der Bundeskanzler hat noch am letzten Wochenende nach den Verhandlungen von CDU und CSU in ihren Führungsgremien klar vor der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß er eine Ergänzung des Grundgesetzes in Art. 16 nach wie vor für notwendig hält.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Was ist mit dem Justizminister? Der Wirtschaftsminister meldet sich auch noch! Er wird das richtigstellen!)


Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1204606200
Da der Kollege Waffenschmidt zu Recht auf den parteipolitischen Charakter dieser Veranstaltung hingewiesen hat, möchte ich hier deutlich sagen, daß die Bundesregierung, die die Bundesregierung tragenden Parteien am morgigen Tag ein Gespräch führen werden, an dem auch die Sozialdemokraten beteiligt sein werden, das sich mit dem jetzigen Thema beschäftigen wird.
Ich glaube, es ist vernünftig, wenn dieses Gespräch jetzt nicht durch taktische Geplänkel vorbelastet wird. Es ist jedenfalls auch bekannt, daß jedenfalls eine der der Regierungskoalition angehörenden Parteien keine Absicht hat, eine Verfassungsänderung vorzunehmen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204606300
Herr Penner.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1204606400
Hat Bundesinnenminister Schäuble während seiner Amtszeit dem Kabinett jemals einen förmlichen Vorschlag zur Änderung des Art. 16 gemacht?

(Dr. Peter Struck [SPD]: Waffenschmidt, nun mal nicht kneifen!)


Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID1204606500
Ich darf darauf hinweisen — —

(Wolfgang Roth [SPD]: Nicht hinweisen, sagen, was ist!)

— Ich sage jetzt ja, was ist, Herr Kollege. Freuen Sie sich doch darauf, daß ich etwas Gutes sagen werde.
Der Kollege Schäuble hat mehrfach im Kabinett, außerhalb des Kabinetts, vor allem hier im Parlament, deutlich gemacht, daß ein Gesetzgebungsverfahren eingeleitet werden kann, wenn dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen und Voraussetzungen deutlich sind,

(Heiterkeit bei der SPD)

und dabei muß die sozialdemokratische Partei bei einer Änderung des Grundgesetzes mitstimmen.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1204606600
Damit schließe ich die Regierungsbefragung.

(Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204606700
Meine Damen und Herren Kollegen, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf :
Fragestunde
— Drucksache 12/1238 —
Wir kommen zunächst zu den dringlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung ist Frau Staatsminister Seiler-Albring gekommen. Ich rufe die erste dringliche Frage des Abgeordneten Claus Jäger auf:
Welche kurzfristigen Maßnahmen erwägt die Bundesregierung angesichts der dramatischen Entwicklung in Kroatien, um dazu beizutragen, den fortschreitenden Verwüstungen und dem Blutvergießen in Kroatien durch die jugoslawische Bundesarmee ein Ende zu machen?
Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204606800
Herr Abgeordneter Jäger, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft hat die Bundesregierung die Konfliktparteien am 6. Oktober dazu aufgefordert, die am 4. Oktober in Den Haag eingegangenen Verpflichtungen bis zum 7. Oktober, 24 Uhr zu erfüllen. Das Politische Komitee der Gemeinschaft wird heute, also am 9. Oktober, über restriktive Maßnahmen gegen diejenigen Konfliktparteien beraten, die diese Verpflichtungen nicht in vollem Umfang erfüllen.
Im bilateralen Verhältnis wird eine Sperre der Lieferung von Öl und Ölprodukten geprüft, die ihre volle Wirkung allerdings erst bei einer gemeinsamen Aktion möglichst vieler Staaten entfalten würde.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204606900
Herr Kollege Jäger, haben Sie eine Zusatzfrage?

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1204607000
Frau Staatsminister, ist dafür Sorge getragen, daß Maßnahmen, die jetzt sowohl von der Europäischen Gemeinschaft als auch bilateral von der Bundesregierung erwogen werden, so angesetzt werden, daß sie nicht die Falschen treffen, nämlich die um ihre Freiheit und die Durchsetzung ihres Selbstbestimmungsrechts kämpfenden Kroaten und Slowenen?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204607100
Herr Kollege Jäger, davon können Sie ausgehen. Ein Beispiel dafür ist die Wiedereinführung von Hermes-Krediten gezielt für Slowenien und Kroatien, um eine positive Entscheidung für diejenigen zu fällen, die sich in diesem Konflikt in Richtung der Friedensbemühungen der Europäischen Gemeinschaft bewegen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204607200
Weitere Zusatzfrage, Herr Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1204607300
Frau Staatsminister, werden die Überlegungen der Bundesregierung, welche Sanktionen oder sonstigen Maßnahmen gegebenenfalls ergriffen werden, auch dadurch beeinflußt, daß nach dem Staatsstreich der Serben innerhalb Jugoslawiens eine autorisierte und von der Völkergemeinschaft zu akzeptierende jugoslawische Zentralgewalt praktisch nicht mehr besteht?




Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204607400
Herr Kollege Jäger, Sie wissen, daß am 4. Oktober — darauf habe ich vorhin schon abgehoben — in Den Haag eine Konferenz zwischen der Präsidentschaft und den am Konflikt Beteiligten stattgefunden hat. Am Ende von Verhandlungen, die im guten Geiste zu erfolgen haben, kann die Anerkennung dieser beiden Republiken stehen.
Im Sinne dieser Vereinbarung von Den Haag sind eine Reihe von Auflagen gemacht worden. Die neuesten Entwicklungen, die sich in einem Memorandum of agreement vom gestrigen Abend niederschlagen, lassen erwarten, daß seitens beider Konfliktparteien in die richtige Richtung gehandelt wird.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204607500
Zusatzfrage des Abgeordneten Hans Koschnick.

Hans Koschnick (SPD):
Rede ID: ID1204607600
Frau Staatsminister, Sie sprachen von Slowenien und Kroatien, an die man denken müsse, anders als Serbien. Mindestens so schwierig ist nach meiner Meinung die Situation der Republik Bosnien-Herzegowina. Haben Sie im Zusammenhang mit möglichen Embargomaßnahmen bedacht, daß Sie damit diese Republik treffen können, obwohl sie sich ausdrücklich gegen jede militärische Gewalt in diesem Konflikt gewandt hat?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204607700
Herr Kollege Koschnick, die Suspendierung und schließliche Kündigung z. B. des Kooperationsabkommens mit Jugoslawien würde die Möglichkeit eröffnen, gezielt Handelsembargos gegen eine Konfliktpartei einzuleiten, die sich diesen Friedensbemühungen widersetzt. Das heißt, es wäre dann möglich, diejenigen, die bereit sind, den Friedensprozeß aktiv zu unterstützen, ob das Slowenien, ob das Kroatien oder die anderen Teilrepubliken sind, positiv zu diskriminieren und die anderen negativ zu diskriminieren.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204607800
Zusatzfrage des Abgeordneten Norbert Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1204607900
Frau Staatsminister, wird die Bundesregierung nach der De-facto-Machtübernahme durch die Führung der jugoslawischen Bundesarmee und die serbische Mehrheit im Staatspräsidium sich gegenüber dem Zentralgerüst Jugoslawiens so verhalten, wie sie es vor einer Woche auf der KSZE-Konferenz in Moskau bei Staatsstreichen oder Putschen in Mitgliedsstaaten der KSZE vorgeschlagen hat, und ihre politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen auf ein Minimum reduzieren?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204608000
Herr Kollege Gansel, nicht nur in Moskau, sondern schon auf dem Außenministertreffen in Berlin vom 19. Juni dieses Jahres wurde sehr deutlich gesagt, daß alle KSZE-Außenminister der Ansicht sind, daß Jugoslawien zunächst einmal die Gelegenheit haben soll, die Angelegenheiten der jugoslawischen Völker autonom zu regeln. Die in der Konsequenz der Friedenskonferenz und der Vereinbarung vom 4. Oktober zu erwartenden Verhaltensweisen lassen uns davon ausgehen, daß in Richtung Friedensprozeß entsprechende Schritte gemacht werden. Sollte sich hier — und da
werden wir die Aussage von Lord Carrington abzuwarten haben, der, wie Sie wissen, morgen mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen auch darüber sprechen wird — tatsächlich erweisen, daß die Friedensbemühungen scheitern — ich gehe heute davon aus, daß sie nicht scheitern —, und dies von Lord Carrington so gesagt wird, wird sich die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für die Anerkennung derjenigen Teilrepubliken einsetzen, die dies wollen, und eine entsprechende Reduzierung ihrer anderen Aktivitäten vornehmen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204608100
Zusatzfrage des Kollegen Dr. Klaus Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1204608200
Frau Staatsministerin, teilt die Bundesregierung die Auffassung von verschiedenen Kommentatoren und anderen, daß das Verhalten der serbischen Gruppe im Staatspräsidium die Qualität eines Staatsstreichs hat?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204608300
Die Bundesregierung hat das Vorgehen dieser Gruppe eindeutig verurteilt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204608400
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Claus Jäger auf:
Wird die Bundesregierung nach zahlreichen Ankündigungen und In-Aussicht-Stellungen jetzt endlich zusammen mit anderen dazu bereiten europäischen Regierungen die diplomatische Anerkennung der Republiken Slowenien und Kroatien als souveräne Staaten vornehmen?
Frau Staatsministerin, Sie haben wieder das Wort.
Ursula Seiler-Albring, Staatsminsterin: Vielen Dank, Herr Präsident. — Herr Kollege Jäger, in der Haager Vereinbarung vom 4. Oktober, auf die ich mich vorhin schon bezogen habe, ist zum ersten Mal die Perspektive einer Anerkennung zum Abschluß des Verhandlungsprozesses festgeschrieben worden. Sollte Lord Carrington zum Ergebnis kommen, daß eine Fortführung der Friedenskonferenz nicht möglich ist, wird sich die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für eine Anerkennung Sloweniens und Kroatiens einsetzen. Ich betone noch einmal, daß die Bundesregierung in dieser Frage Wert auf ein möglichst geschlossenes Vorgehen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft legt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204608500
Herr Kollege Jäger, eine Zusatzfrage.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1204608600
Frau Staatsministerin, da Sie mir ja in einer der letzten Fragestunden zu demselben Fragenkomplex bereits signalisiert hatten, daß die Bundesregierung mit einem solchen Schritt, wenn sie ihn für erforderlich hält, keineswegs warten wird, bis auch der letzte Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft mitmacht, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung schon in der Lage, zu sagen, beim Mittun welcher Staaten oder, sagen wir besser, wie vieler Staaten der EG sie einen solchen Schritt in die Tat umsetzen wird?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204608700
Herr Kollege Jäger, ich bleibe bei meiner Auskunft, die ich Ihnen in der entsprechenden Fragestunde erteilen



Staatsministerin Ursula Seiler-Albring
durfte, daß sich die Bundesregierung um ein möglichst geschlossenes und ein möglichst komplettes Vorgehen der Europäischen Gemeinschaft bemühen wird.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204608800
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1204608900
Frau Staatsministerin, bedeutet Ihre Antwort wenigstens soviel, daß die Bundesregierung für den Fall, daß es ihr gelingt, alle übrigen Staaten der Europäischen Gemeinschaft — mit Ausnahme der derzeitigen Präsidentschaft, die ja hier offensichtlich besondere Probleme hat — zu gewinnen, nicht warten wird, bis auch Den Haag mittut?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204609000
Herr Kollege Jäger, ich würde es bedauern, wenn sich die Präsidentschaft der Europäischen Gemeinschaft dem verschlösse. Ich glaube, man muß anerkennen, daß die Präsidentschaft ihr Mögliches tut; nicht zuletzt z. B. durch die Konferenz vom 4. Oktober, um die Konfliktparteien zu einem vernünftigen, abgestimmten Vorgehen zu veranlassen.
Der gestern abend abgeschlossene Waffenstillstand mit den entsprechenden Vereinbarungen scheint mir einen Erfolg dieser Präsidentschaft sehr wohl möglich sein zu lassen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204609100
Herr Kollege Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1204609200
Frau Staatsminister, es ist ja schon ungewöhnlich, eine völkerrechtliche Anerkennung von Bedingungen abhängig zu machen. Noch ungewöhnlicher ist es, wenn Bedingungen eingetreten sind, erneut Bedingungen zu fordern. Das haben wir mehrfach erlebt. Deshalb frage ich Sie jetzt, ob unabhängig davon, ob ein Waffenstillstand gehalten oder gebrochen wird, die Bundesregierung bereit ist, den Prozeß der Unabhängigkeit der Republiken, die mit den anderen nicht mehr zusammenleben wollen und zusammenleben können, dadurch zu flankieren, daß sie auf dem Verhandlungswege innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und zwischen den Republiken die völkerrechtliche Anerkennung möglich macht?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204609300
Herr Kollege Gansel, ich wiederhole es gern noch einmal: Die Bundesregierung ist fest entschlossen, die Bewertung von Lord Carrington, ob der Friedensprozeß gescheitert ist, abzuwarten und dann zu entscheiden, inwieweit sie im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft — ein Vorgehen, das ich vorhin versucht habe zu skizzieren — vorgehen will.
Ich erinnere auch noch einmal daran, daß die KSZE-Außenministerkonferenz vom Juni einstimmig, damals waren es 35 Staaten, der Ansicht war, daß man nach Möglichkeit den jugoslawischen Völkern die Regelung ihrer Zukunft überlassen soll. Wenn es im Rahmen der Friedenskonferenz gelingt, dieses zu ermöglichen, ist das sehr wohl im Sinne der deutschen Bundesregierung.

(Norbert Gansel [SPD]: Da waren auch noch keine Panzer aufgefahren! Da wurde auch noch nicht geschossen!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204609400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1204609500
Frau Staatsminister, teilt denn die Bundesregierung wenigstens die in den Medien fast einhellige und unter denen, die sich besonders mit der Materie beschäftigen, praktisch einhellige Auffassung, daß das Moratorium vom 7. Juli, mit dem ja erreicht werden sollte, daß die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens um drei Monate aufgeschoben würde, damit man diese Zeit für Friedensgespräche nutzen könnte, letztlich ein großer Fehler war, weil dieses es seitdem ermöglicht hat, unendliche Grausamkeiten — in Mißbrauch dieses Moratoriums — in Kroatien zu begehen?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204609600
Herr Kollege Lowack, als die Troika dieses Brioni-Abkommen mit den entsprechenden beteiligten Republiken abgeschlossen hat, war davon auszugehen, daß es innerhalb dieser drei Monate möglich sein müßte, im Rahmen dieses Moratoriums zu einer Regelung dieses Konfliktes zu kommen. Sonst hätte man dieses Moratorium nicht abgeschlossen.
Daß sich inzwischen die militärischen Aktivitäten in der Weise, wie Sie geschildert haben, entwickelt haben, ist unbestreitbar. Die Bewertung dieser Aktivitäten durch die Bundesregierung ist ebenso eindeutig.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204609700
Kollege Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1204609800
Wie beurteilt die Bundesregierung die Chance Sloweniens und Kroatiens, mit der jugoslawischen Bundesregierung über die Regelung der Folgen der Unabhängigkeit zu verhandeln, nachdem sich die jugoslawische Bundesregierung zum Teil in Zagreb aufhält und nicht zurückgehen will, bevor nicht der Verteidigungsminister, der auf sie schießen läßt, zurückgetreten ist, und das Staatspräsidium eine verfassungsmäßige Besetzung hat, so daß kein legitimierter und entscheidungsfähiger Verhandlungspartner vorhanden ist?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204609900
Herr Kollege Gansel, aus der Tatsache, daß an dem Abschluß des Memorandums of agreement, das ich vorhin bereits erwähnt habe, für Jugoslawien General Raseta, für Kroatien der Deputy Minister of Defense Adamic teilgenommen hat, also zwei in diesem Konflikt sehr intensiv verwickelte Stellen, mit dem Ergebnis — das ist eine Nachricht, die wir heute morgen durch unser Generalkonsulat in Zagreb bekommen haben — sehr weitgehender Bedingungen, an die sich offensichtlich beide Konfliktparteien bis zu dieser Stunde halten, schließe ich, daß es sehr wohl möglich sein wird, sich über die Zukunft der Republiken, wenn sie unabhängig werden wollen oder sich innerhalb eines losen



Staatsministerin Ursula Seiler-Albring
Verbandes zusammenfinden wollen, am Verhandlungstisch vernünftig auseinanderzusetzen.

(Norbert Gansel [SPD]: Ihr Wort in Gottes Ohr!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204610000
Gibt es den Wunsch nach weiteren Zusatzfragen zur Dringlichkeitsfrage 2 des Kollegen Jäger? — Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Dringlichkeitsfrage 3 des Abgeordneten Lowack auf:
Ist die Bundesregierung im Hinblick auf die gegenwärtige Entwicklung in Jugoslawien bereit, die am Wochenende erklärte Unabhängigkeit Sloweniens sofort völkerrechtlich anzuerkennen?
Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204610100
Herr Kollege Lowack, in der Haager Vereinbarung vom 4. Oktober ist zum erstenmal die Perspektive einer Anerkennung zum Abschluß des Verhandlungsprozesses festgeschrieben worden. Sollte Lord Carrington zu dem Ergebnis kommen, daß eine Fortführung der Friedenskonferenz nicht möglich ist, wird sich die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft für eine Anerkennung Sloweniens einsetzen. Die Bundesregierung legt großen Wert auf ein möglichst geschlossenes Vorgehen auch in dieser Frage.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204610200
Zusatzfrage, Herr Kollege Lowack.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1204610300
Frau Staatsminister, was hat eigentlich die Bundesregierung in der Zeit Februar/März davon abgehalten, bereits klarzustellen, daß jeder bewaffnete Angriff von serbischer Seite zu Konsequenzen führen würde, in einer Zeit, in der die Bundesregierung von maßgeblicher Seite immer wieder darauf hingewiesen wurde, daß ein Massaker erwartet werden müßte, und besteht aus dieser Nichthandlung oder dem Nichts-Unternehmen nicht eigentlich die Verpflichtung, heute um so konsequenter für eine Anerkennung Sloweniens und Kroatiens einzutreten?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204610400
Ich glaube, Herr Kollege Lowack, daß die Bundesregierung in ihren Äußerungen sehr deutlich gemacht hat, daß sie für den Fall des Scheiterns der Friedensbemühungen Lord Carringtons die Anerkennung der von Ihnen genannten beiden Teilrepubliken so schnell wie möglich betreiben wird. Aber ich glaube, es ist völlig unbestritten — diese Ansicht ist nicht nur im aktuellen Fall geäußert worden, sondern ist auch vermittelte und immer wieder geäußerte Ansicht des Auswärtigen Amtes und der gesamten Bundesregierung —, daß in diesem Jahrhundert die gewaltsame Änderung von Grenzen und ein Landgewinn, der auf kriegerischen Auseinandersetzungen beruht, keine Chance auf Anerkennung mehr haben. Insofern müssen die Konsequenzen all denjenigen, die das betreiben, klar und offen vor Augen sein.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204610500
Zweite Zusatzfrage.

Ortwin Lowack (CSU):
Rede ID: ID1204610600
Ich darf die zweite Zusatzfrage mit einem herzlichen Dankeschön beginnen.
Hat die Bundesregierung entweder für sich oder innerhalb der Europäischen Gemeinschaft schon einmal erörtert, daß der unter völkerrechtlichen Aspekten sicherste Weg wäre, die Anerkennung mit einem gleichzeitigen Angebot über Verhandlungen zur Aufnahme der genannten Teilrepubliken in die Westeuropäische Union zu verbinden?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204610700
Herr Kollege Lowack, ich glaube, wir sollten einen Schritt nach dem anderen machen und die Anerkennung — sofern der Friedensprozeß nichts anderes mit sich bringt — zunächst einmal abwarten, bevor wir weitere Schritte in Betracht ziehen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204610800
Zusatzfrage, Herr Kollege Koschnick.

Hans Koschnick (SPD):
Rede ID: ID1204610900
Frau Staatsminister, eine einzige Frage: Sind Sie immer noch — wie ich — der Meinung, daß die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung nicht differenziert nach verschiedenen Republiken Jugoslawiens gesehen werden kann, sondern im Gesamtzusammenhang gesehen werden muß?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204611000
Herr Kollege Koschnick, ich kann Ihnen da nur zustimmen. Ich habe vorhin versucht, klarzumachen, daß das der sinnvollere Weg ist.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204611100
Zusatzfrage des Kollegen Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1204611200
Sie haben, Frau Staatsminister, in Ihrer ersten Antwort angedeutet, daß es einen europäischen Gesamtkontext gibt, in dem die Frage der Anerkennung von Slowenien eine Rolle spielt. Würden Sie sagen, daß dieser europäische Kontext auch beinhalten kann, daß man versucht, über Mehrheitsentscheidungen zur Anerkennung zu kommen, oder sagen Sie, das ist ein Gesamtkontext, der nur in einer geschlossen vertretenen Meinung Europas vollzogen werden kann?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204611300
Herr Kollege, Sie wissen mit Sicherheit sehr gut, daß im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zur Zeit das Einstimmigkeitserfordernis herrscht, daß es aber — davon abgesehen — natürlich möglich ist, daß sich verschiedene Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu konkretem anderen Vorgehen entschließen. Ich verweise nur auf das Schengener Abkommen.
Sie wissen darüber hinaus, daß die deutsche Bundesregierung bzw. die deutsche Delegation bei der Regierungskonferenz zur Politischen Union zur Zeit sehr darauf drängt — und sie wird alles ihr Mögliche tun — , Mehrheitsentscheidungen auch im Bereich der noch zu definierenden und zu entwickelnden gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einzuführen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204611400
Herr Kollege Gansel.




Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1204611500
Frau Staatsminister, können Sie mir den Widerspruch erklären, der doch wohl darin besteht, daß die Europäische Gemeinschaft und führende Vertreter der Gemeinschaft immer wieder erklären, sie würden die gewaltsame Veränderung der Grenzen Sloweniens und Kroatiens nicht anerkennen, aber gleichzeitig die Anerkennung der Staaten, um deren Grenzen es dabei geht, von weiteren Bedingungen abhängig machen?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204611600
Herr Kollege Gansel, ich sehe darin keinen Widerspruch. Vielmehr ist es im Prinzip ein sehr konsequentes Vorgehen, das darauf beruht, daß es in einer Zeit, in der z. B. im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft Grenzen fallen, zu bedauern ist, wenn es in anderen Teilen Europas Bewegungen gibt, die möglicherweise eine Zersplitterung der Kräfte mit sich bringen, die eigentlich gebündelt werden und am Wohle des jeweiligen Volkes ausgerichtet sein sollten.
Aber wenn das in Jugoslawien tatsächlich nicht der Fall sein sollte — ich verweise noch einmal auf den 4. Oktober —, dann sind — dies ist mittlerweile in einem Dokument festgelegt — die am Konflikt Beteiligten, u. a. dann auch der Präsident bzw. die Präsidentschaft, bereit, am Ende dieser Verhandlungen, die, wie ich gesagt habe, in einem offenen und guten Geist geführt werden müssen, die Anerkennung der betreffenden Teilrepubliken vorzunehmen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204611700
Herr Kollege Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1204611800
Frau Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die völkerrechtliche Anerkennung Sloweniens, aber auch anderer jugoslawischer Republiken durch die Bundesrepublik zusammen mit anderen europäischen Staaten Nachahmung in anderen Teilen der Welt finden und damit einen Beitrag dazu leisten würde, daß die Stellung der betroffenen Republiken bei den Vereinten Nationen und ihr Bemühen, dort Schutz zu finden, erheblich gestärkt würden?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204611900
Ich kann das nicht ausschließen, Herr Kollege Jäger.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204612000
Herr Kollege Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1204612100
Von welchen langfristigen Zielsetzungen der Konfliktparteien in Jugoslawien geht die Bundesregierung bei ihrer Jugoslawien-Politik aus?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1204612200
Die Bundesregierung wird sich mit den Anerkennungsbemühungen der beiden hier in Rede stehenden Teilrepubliken auseinandersetzen und all das ihr Mögliche tun, um den Völkern in Jugoslawien nach Beendigung dieser Konflikte eine Perspektive zu geben. Sie ist mit Sicherheit auch bereit, hier materielle Hilfen einzusetzen.

(Otto Schily [SPD): Das war doch nicht der

Inhalt der Frage!)
— Doch, natürlich war das Ihre Frage.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204612300
Gibt es weitere Zusatzfragen dazu? — Das ist nicht der Fall.
Dann, Frau Staatsministerin, bedanke ich mich herzlich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Gottfried Haschke erschienen.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Ulrich Heinrich auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, falls die Versorgung mit Pflanzenschutzmitteln, wie von der Biologischen Bundesanstalt in einer gemeinsamen Befragung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit berichtet wurde, in Zukunft nicht sichergestellt werden kann, um zu gewährleisten, daß der Export unseres qualitativ hochwertigen deutschen Hopfens in Zukunft nicht beeinträchtigt wird?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Gottfried Haschke (CDU):
Rede ID: ID1204612400
Herr Kollege Heinrich, Ihre Frage beantworte ich folgendermaßen: Pflanzenschutzmittel können von der Biologischen Bundesanstalt für Land-und Forstwirtschaft, BBA genannt, nur zugelassen werden, wenn ein entsprechender Antrag vorliegt, der den Anforderungen des § 12 des Pflanzenschutzgesetzes entspricht, und die Prüfung ergibt, daß das Pflanzenschutzmittel den Zulassungsanforderungen
gemäß § 16 das Pflanzenschutzgesetzes genügt.
Für eine ausreichende Versorgung mit Pflanzenschutzmitteln ist es daher von entscheidender Bedeutung, daß die Hopfenwirtschaft in enger Kooperation mit der Industrie dafür sorgt, daß sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in den USA die entsprechenden Anträge gestellt werden. Hierauf wurde die Hopfenwirtschaft bereits mehrfach hingewiesen.
Gleichwohl ist davon auszugehen, daß in Zukunft nur eine eingeschränkte Palette an Pflanzenschutzmitteln zur Verfügung stehen wird. Für eine langfristige Lösung der Pflanzenschutzprobleme ist es deshalb unabdingbar, daß auch die Anbauformen und Produktionstechniken im Hopfenanbau sich dieser Entwicklung anpassen.
Die Bundesregierung unterstützt im Rahmen ihrer Möglichkeit die Bemühungen der Hopfenwirtschaft zur Sicherung des Exports von hochwertigem Aromahopfen in die USA. So hat z. B. die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Washington zahlreiche Gespräche mit der amerikanischen Zulassungsbehörde im Hinblick auf die Erteilung von Importtoleranzen geführt. Auch haben mit Vertretern des Verbandes Deutscher Hopfenpflanzer e. V. intensive Gespräche stattgefunden, in deren Verlauf die BBA eine Unterstützung von Versuchen zum biologischen Pflanzenschutz im Hopfenanbaugebiet angeboten hat.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204612500
Zusatzfrage, Herr Kollege Heinrich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1204612600
Herr Staatssekretär, Sie haben zitiert, wie die Gesetzeslage für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln ist. Die Gesetze haben wir gemacht. Wir nehmen damit in Kauf, daß entsprechende Wettbewerbsverzerrungen beim Export von Hopfen



Ulrich Heinrich
stattfinden; denn unsere Gesetze sind hier strenger angelegt als die in anderen Staaten. Herr Staatssekretär, deshalb meine Frage: Sind Bestrebungen der Bundesregierung erkennbar, diese Wettbewerbsverzerrungen abzubauen?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Ich möchte Ihnen hier widersprechen. Die Qualitätsanforderungen und die Toleranzen sind gerade bei den Abnehmern, besonders in den USA, härter als anderswo. Deshalb ist es dringend erforderlich, daß beim Pflanzenschutz im Hopfenbereich äußerste Sorgfalt waltet.
Ich habe Ihnen auch gesagt, es ist unumgänglich, andere Anbaumethoden einzuführen, um mit weniger Pflanzenschutzmitteln auszukommen. Ich möchte hier nicht auf fachliche Fragen eingehen. Bloß, bei Gerüsten von sechs Metern muß mit einem entsprechenden Druck gearbeitet werden, wo ein Mehrfaches von Pflanzenschutzmitteln erforderlich ist, als wenn diese Gerüste nur halb so hoch sind.
Die Bundesregierung ist sehr bemüht, daß der Hopfenwirtschaft die Exportmärkte erhalten bleiben, und lenkt ihre größte Aufmerksamkeit darauf, daß die entsprechenden Pflanzenschutzmittel, die zur Verfügung stehen, geprüft werden und daß es auch zur Testung von neu angemeldeten Pflanzenschutzmitteln kommt.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204612700
Herr Kollege Heinrich, eine zweite Zusatzfrage.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1204612800
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade den biologischen Forschungsbereich angesprochen. Was unternimmt die Bundesregierung, um hier schneller voranzukommen?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: In dieser Frage sind die entsprechenden Institute beauftragt. Man ist dabei, mit Vertretern des Ministeriums und der Forschungsinstitute eine Arbeitsgruppe zu bilden, um auf diesem Gebiet weiterzukommen, da es ja bei anderen Insekten und Schädlingen bzw. bei anderen Kulturpflanzen schon möglich ist, den Pflanzenschutz auf biologische Weise durchzuführen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204612900
Eine Zusatzfrage des Kollegen Klaus Lennartz.

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1204613000
Herr Staatssekretär, bei der letzten gemeinsamen Anhörung des Landwirtschaftsausschusses und des Umweltausschusses ist sehr deutlich geworden, daß — wie Sie es vorhin formuliert haben — von seiten der Amerikaner höhere Importbeschränkungen vorliegen. Konkret ist die Frage: Was unternehmen Sie tatsächlich, um den weiteren Export deutschen Hopfens nicht zu gefährden? Welche konkreten Maßnahmen werden oder sind geplant, um den ökologischen Anbau überhaupt zu gewährleisten, damit es nicht zu derartigen Exportbeschränkungen kommt?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen an dieser Stelle sagen, daß die Bundesregierung alles unternimmt, damit auf diesem Gebiet ein Fortschritt erzielt wird, obwohl ich ehrlich sagen muß, daß es auf dem Gebiet des Hopfens und des Schädlings, der Spinne, die dort den Schaden verursacht, zur Zeit noch keinen Fortschritt in der biologischen Bekämpfung gibt. Diese Dinge befinden sich noch in der Forschung und in der Entwicklung.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204613100
Zusatzfrage, Frau Kollegin Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1204613200
Herr Staatssekretär, meinen Sie mit „daß die Bundesregierung alles unternimmt", daß die Bundesregierung eine Gesetzesnovelle plant oder daß sie Subventionen für solche Firmen plant, die ganz spezielle Mittel aus Kostengründen nicht mehr zur Zulassung anmelden?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Da kann ich Ihnen hier keine Zusage machen; denn wir müssen bedenken, daß es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, für einzelne Produkte Pflanzenschutzmittel entwickeln zu lassen. Dafür sind die Forschungsinstitute und die Industrie verantwortlich. Aber es muß darüber gewacht werden, daß ordentlich geprüft wird. Diese Prüfung und diese Entwicklung kosten große Summen. Die Bundesregierung ist, wenn es erforderlich ist, daß etwas Neues entwickelt wird, was der deutschen Landwirtschaft und dem Export dient, auf alle Fälle bereit, entsprechende Unterstützung zu gewähren.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204613300
Zusatzfrage des Kollegen Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID1204613400
Herr Kollege Haschke, teilen Sie die Auffassung, daß die beste Exportförderung für deutschen Hopfen wie auch übrigens für deutsches Bier in dem Ruf einer makellosen Qualität liegt, den diese Produkte bei uns immer gehabt haben, und daß deswegen die Bemühungen der Bundesregierung besonders wichtig sind, daß diese Qualität und ihr Ruf in keiner Weise leiden?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Da stimme ich Ihnen voll zu.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204613500
Ich rufe die Frage 2 des Abg. Heinrich auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um den gesetzlich geforderten integrierten Pflanzenschutz mit einer breiten Palette von Pflanzenschutzmitteln für den Obst- und Gemüseanbau sicherzustellen und damit die heute schon bestehenden Engpässe auf diesem Gebiet zu beseitigen?
Herr Staatssekretär, Sie haben bereits wieder das Wort.
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: In allen Mitgliedstaaten der EG hat sich gezeigt, daß sich die pflanzenschutzmittelherstellende Industrie zunehmend auf Anwendungsgebiete beschränkt, die wirtschaftlichen Erfolg versprechen. Dadurch wird ein sachgerechter Pflanzenschutz zum Teil erschwert, zum Teil nicht mehr möglich, da Alternativen noch nicht entwickelt oder nur teilweise entwickelt sind und sich auf absehbare Zeit gar nicht entwickeln lassen.
Aus diesen Gründen hat sich die Bundesregierung bei der am 15. Juli 1991 verabschiedeten Richtlinie des Rates 91/414 der EWG über das Inverkehrbringen



Parl. Staatssekretär Gottfried Haschke
von Pflanzenschutzmitteln dafür eingesetzt, daß der Kreis der Antragsteller nicht mehr auf den Hersteller, den Vertriebsunternehmer und den Einführer beschränkt, sondern allgemein gefaßt wird — somit haben auch andere Personen die Möglichkeit, einen Zulassungsantrag zu stellen — und daß eine Bestimmung zum Schutz der Lückenindikation Art. 9 Abs. 1 eingeführt wird. Danach ist die Ausdehnung des Anwendungsgebiets eines zugelassenen Pflanzenschutzmittels unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Es ist zu erwarten, daß durch die Möglichkeit der Ausdehnung des Anwendungsbereichs eines zugelassenen Pflanzenschutzmittels der sich in Kulturen mit geringer Anbaufläche abzeichnende Engpaß bei den Pflanzenschutzmitteln abgemildert werden kann.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204613600
Herr Kollege Heinrich, Ihre erste Zusatzfrage.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1204613700
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die wirtschaftliche Situation beleuchtet, die die Firmen eben nicht dazu bringt, entsprechende Mittel zu entwickeln, weil das Verfahren zu teuer wird. Heißt das im Klartext für die Bundesregierung, daß das gesetzlich verankerte Ziel des integrierten Pflanzenschutzes in der jetzigen Situation nicht erreicht werden kann?
Wenn Sie das bestätigen: Welche entsprechenden Aktivitäten muß die Bundesregierung und müssen wir dann entfalten, um dem entgegenzusteuern? Denn wir waren uns in diesem Hause immer einig, daß der integrierte Pflanzenschutz Anwendung finden sollte.
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Es gibt keine Abstriche in der Auffassung, daß der integrierte Pflanzenschutz Anwendung finden muß. Aber es ist eben leider Tatsache, daß es bei geringen Anbauflächen, bei besonderem Feingemüse usw., für die Firmen unwirtschaftlich ist, etwas in dieser Richtung zu entwickeln. Man muß natürlich darauf bedacht sein, daß etwas, was schon vorhanden ist, im internationalen Rahmen geprüft und mit genutzt wird und daß weiter daran gearbeitet wird, daß bei der Lückenindikation langfristige Lösungen gefunden werden.
Die Bundesregierung ist daran durchaus interessiert, aber kann nun nicht allein dafür verantwortlich sein, daß für jedes Produkt, für jede Gemüse- oder Obstart, hier in Deutschland ein spezielles Pflanzenschutzmittel entwickelt wird. Die Hilfestellung ist durchaus da, und es wird — wie ich das auf die vorige Frage schon sagte — in der Forschung durchaus unterstützt. Trotzdem müssen wir, das sei auch auf diese Frage wieder erwähnt, mehr und mehr auf den biologischen Pflanzenschutz achten. Hier müssen die Bemühungen auf seiten der Forschung in jedem Fall verstärkt werden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204613800
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Heinrich.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1204613900
Herr Staatssekretär, ich möchte das noch etwas erweitern. Wir stellen fest, daß — —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204614000
Herr Kollege Heinrich, ich darf Sie kurz unterbrechen. Wir schwimmen immer ein bißchen von den Usancen der Fragestunde weg. In der Fragestunde werden an sich kurze Fragen ohne Einleitung und ohne Nachklapp gestellt, und die Regierung hat zu antworten.

Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1204614100
Jawohl, Herr Präsident, ich werde mich kürzer fassen.
Herr Staatssekretär, wir haben in anderen als nur dem Obst- und Gemüseanbaubereich, also Sonderkulturen, die gleichen Entwicklungen, daß wir nämlich mit unserem integrierten Pflanzenschutz nicht mehr die selektiven Mittel zur Verfügung haben, die wir eigentlich bräuchten, um dem Gesetz Rechnung zu tragen. Was gedenkt die Regierung hier zu unternehmen?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Es muß auf alle Fälle auf dieser Strecke weitergearbeitet werden. Aber wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir im Interesse des Umweltschutzes und der Ökologie teilweise auf Pflanzenschutzmittel verzichten müssen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204614200
Zusatzfrage des Kollegen Lennartz.

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1204614300
Herr Staatssekretär, in welchem Umfang fördert die Bundesregierung die Erpro bung des ökologischen Pflanzenanbaus und die Markteinführung ökologisch angebauter Produkte, um letztendlich zu verhindern, daß noch mehr Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen, die damit unser Trinkwasser gefährden?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Das ist natürlich durchaus zu fördern. Aber es ist ja kein Geheimnis, daß die entsprechenden Abnehmer und der entsprechende Markt für diese ökologisch erzeugten Produkte da sein müssen. Wenn dieser Markt vorhanden ist, gibt es durchaus genügend Interessenten, die sich daran beteiligen, entsprechende Produkte, frei von chemischen Mitteln — Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel — , anzubauen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204614400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1204614500
Herr Staatssekretär, bezweifeln Sie, daß es einen solchen Markt gibt?
Gottfried Haschke, Parl. Staatssekretär: Nein, es gibt durchaus einen Markt. Aber er entspricht noch nicht den Wünschen und Vorstellungen der interessierten Bürger; das ist kein Geheimnis. Er kann und muß durchaus noch ausgeweitet werden, zumal noch genügend Fläche vorhanden ist. Wir haben uns gerade heute im Hause über die Frage von Flächenstilllegungen und von Extensivierung unterhalten. Es ist ja niemand mehr gezwungen, Höchsterträge von den Flächen herunterzuholen. Demzufolge muß diesem ökologischen Pflanzenanbau mehr Beachtung geschenkt werden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204614600
Dazu keine weiteren Zusatzfragen. Dann bedanke ich mich sehr für die Beantwortung, Herr Staatssekretär.



Vizepräsident Hans Klein
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Bernd Schmidbauer drängt und brennt schon auf die Beantwortung der Fragen, wenn ich die Gesten richtig verstanden habe.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Reinhard Weis auf:
Kann die Bundesregierung einen aktuellen statistischen Überblick darüber geben, wie derzeit in den neuen Bundesländern die ca. 20 000 in der Industrie vorhandenen radioaktiven Strahlenquellen genutzt und gesichert werden?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1204614700
Herr Kollege Weis, nach den der Bundesregierung vorliegenden Angaben sind in den neuen Bundesländern ca. 18 000 Strahlenquellen vorhanden. Der weitaus größte Teil — rund 15 000 Quellen — wird nicht mehr genutzt. Diese Quellen werden überwiegend bereits zentral aufbewahrt oder sind — noch — unterirdisch in ehemaligen Trinkwasserbrunnen eingebaut. Der Ausbau der Brunnenquellen ist eingeleitet worden.
Auf die Industrie entfallen — darauf bezog sich Ihre Frage im Hinblick auf die 20 000 Strahlenquellen — die verbleibenden ca. 3 000 Strahlenquellen. Ca. 2 000 dieser Quellen sind in Geräte eingebaut, die Meß- und Regelzwecken dienen, wie z. B. der Werkstoffprüfung oder Füllstandsmessung. Die restlichen 1 000 Quellen sind in Anlagen zur Bestrahlung technischer und medizinischer Produkte eingebaut. Mehr als 50 % dieser Quellen werden zur Zeit für die genannten Zwecke genutzt. Die gegenwärtig nicht genutzten Quellen werden vor Ort oder an von der zuständigen Behörde bestimmten Stellen aufbewahrt.
Sowohl die Nutzung von Strahlenquellen als auch die Aufbewahrung nicht mehr benötigter Strahlenquellen unterliegt der atomrechtlichen Aufsicht der zuständigen Landesbehörden, insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung des Strahlenschutzes und die erforderliche Sicherung.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204614800
Zusatzfrage, Herr Kollege Weis.

Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1204614900
Die Bundesregierung kann also versichern, daß Entlassungen von Strahlenschutzbeauftragten in Betrieben und auch Umprofilierungen von Betrieben nicht dazu führen, daß mit solchen Strahlenquellen ein unsachgemäßer und gefährlicher Umgang in der Öffentlichkeit möglich ist?
Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Hier gibt es, wie Sie wissen, Herr Kollege Weis, mehrere Problembereiche. Wir haben zum einen Strahlenquellen im industriellen Bereich, die erkannt sind und die letztendlich unter Kontrolle gebracht werden oder gebracht worden sind. Es gibt zum anderen teilweise Quellen, die in Statistiken der SAAS nicht aufgenommen wurden. Sie kennen den einen Fall von vor wenigen Wochen.
Wir sind derzeit der Meinung, daß wir einen relativ guten Überblick über diese Strahlenquellen in der ehemaligen DDR besitzen. Wir gehen davon aus, daß die Länderbehörden diese Strahlenquellen bei stillgelegten Betrieben erfaßt haben und daß dafür Sorge getragen wird, daß sie entsprechend untergebracht werden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204615000
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Weis.

Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1204615100
Sie haben aber nicht die Sicherheit, daß die Länderbehörden diese Defekte oder diese Fehlstellen tatsächlich abdecken?
Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Wir gehen davon aus, daß wir diese Sicherheit haben. Die Bundesaufsicht ist bemüht, zusammen mit den Ländern, die die Verantwortung haben, dafür zu sorgen, daß die Sicherheit gewährleistet ist.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204615200
Herr Kollege Lennartz.

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1204615300
Herr Staatssekretär, ist das sichergestellt, oder ist das nicht sichergestellt?
Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Würden Sie das präzisieren? Ich weiß nicht, was Sie meinen.

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1204615400
Der Herr Präsident hat gesagt, wir sollen kurz und knapp formulieren.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204615500
Sie müssen nur sagen, was Sie wirklich meinen.

Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1204615600
Herr Staatssekretär, Sie haben formuliert: „die Länder sollen" und „wir gehen davon aus, daß". Meine Frage ist: Haben Sie sichergestellt, daß die Daten vorliegen? Ja oder nein? Liegen Ihnen die Daten vor?
Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lennartz, ich würde Ihnen sehr gerne eine sehr präzise Antwort geben. Die Daten, die vorliegen, können wir zur Kenntnis nehmen. Dabei ist auch gewährleistet, daß die entsprechende Aufsicht, Kontrolle und Sicherstellung gegeben ist.
Ich sagte aber in einem Nebensatz dem Kollegen Weis, der sich mit diesen Themen schon intensiv beschäftigt hat, daß nicht auszuschließen ist, daß es auch Quellen gibt — ich nenne hier NVA und Stasi —, die nicht bei der zuständigen Behörde registriert wurden, weshalb wir sowie die zuständigen Landesbehörden nicht sicherstellen können, daß wir nicht in dem einen oder anderen Fall Strahlungsquellen neu auffinden. Dann werden von uns natürlich die entsprechenden Maßnahmen getroffen.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204615700
Bitte, Herr Kollege.

Dr. Ulrich Janzen (SPD):
Rede ID: ID1204615800
Herr Staatssekretär, zu den Strahlenquellen in den Ländern der ehemaligen DDR zählen für mich die Uranabbaugebiete. Wie weit wird von Ihrer Seite gesichert, daß die Bevölkerung auf die Gefährdung, die dort teilweise noch immer vorhanden ist, aufmerksam gemacht wird und dadurch weiß, daß dort etwas passiert?



Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Auch wenn ich darauf hinweisen darf, daß Ihre Frage mit den angesprochenen Strahlenquellen nicht in Zusammenhang steht, möchte ich Ihnen eine Antwort geben: Sie wissen, daß wir uns gerade in diesen Gebieten — ich nenne Wismut — intensiv bemühen, daß sichergestellt wird, daß für die Bevölkerung dort keine Gefährdung von den Halden und dem Uranbergbau ausgeht. Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem entsprechenden Konzept, hat aber in der Zwischenzeit auch dafür gesorgt, daß keine unmittelbare Gefährdung der Bevölkerung zu befürchten ist.
In der Frage ging es um technische Strahlenquellen, um Kobaltquellen und ähnliche Dinge, wie ich sie aufgeführt habe.

(Klaus Lennartz [SPD]: Es ist aber die gleiche Strahlenschutzverordnung!)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204615900
Herr Kollege Janzen, es gibt nur eine Zusatzfrage, wenn man nicht selber der Fragesteller ist.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Reinhard Weis auf:
Wie gewährleistet die Bundesregierung einen kontrollierten Umgang mit diesen Strahlenquellen?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Bernd Schmidbauer, Parl. Staatssekretär: Der Vollzug des Atom- und Strahlenschutzrechts beim Umgang und bei der Aufbewahrung radioaktiver Stoffe obliegt auch in den neuen Ländern den zuständigen Landesbehörden. Die Bundesregierung hat im Rahmen der Bundesaufsicht über die Länder nach Art. 85 des Grundgesetzes dafür Sorge getragen, daß zunächst die Gemeinsame Einrichtung der Länder und danach schrittweise bis zum 1. Juli 1991 die inzwischen eingerichteten Fachbehörden der neuen Länder die gebotenen aufsichtlichen und genehmigungsrechtlichen Schritte eingeleitet haben. Diese Maßnahmen galten insbesondere auch der Weiterverwendung bzw. der Aufbewahrung von Strahlenquellen. Ich verweise in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Weis, auf die Antwort auf Ihre schriftliche Anfrage vom 23. August 1991.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204616000
Keine Zusatzfrage.
Dann können wir, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe, damit Sie nicht umsonst da waren, noch den Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation aufrufen. Die Beantwortung der Fragen geschieht durch den Parlamentarischen Staatssekretär Wilhelm Rawe.
Ich rufe Frage 6 der Abgeordneten Gudrun Weyel auf :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im Rahmen der Erneuerung der Telefonanlagen an manchen Bahnhöfen nur noch Kartentelefone vorhanden sind, so daß z. B, Kinder ihre Eltern nicht anrufen können, und ist sie der Meinung, daß zum jetzigen Zeitpunkt zumindest an Bahnhöfen noch ein Münzfernsprecher für die Öffentlichkeit zur Verfügung stehen sollte?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1204616100
Vielen Dank, Herr Präsident.
Frau Kollegin Weyel, die Deutsche Bundespost Telekom baut auf Grund der guten Nutzung durch die Bevölkerung verstärkt Kartentelefone auf. Davon sind auch Standorte mit öffentlichen Telefonstellen auf Bahnhöfen der Deutschen Bundesbahn betroffen. Auf Grund einer geringen Anzahl von Beschädigungen durch Beraubung und durch Vandalismus bieten die Kartentelefone eine größere Verfügbarkeit für die Kunden.
Vorgabe für die Installation von Kartentelefonen ist, daß in zumutbarer Entfernung eine Verkaufsstelle für Telefonkarten verfügbar sein soll. Auf Bahnhöfen, wo zumeist eine größere Zahl öffentlicher Telefonstellen betrieben wird, ist zur Zeit der parallele Aufbau von Münz- und Kartentelefonen die Regel. In Einzelfällen kann es bei kleinen Bahnhöfen mit nur einer öffentlichen Telefonstelle tatsächlich vorkommen, daß dort ausschließlich ein Kartentelefon vorhanden ist. In diesen Fällen befindet sich jedoch zumeist ein Münztelefon in zumutbarer Entfernung.
Die Deutsche Bundespost Telekom prüft zur Zeit, ob auch günstigere Telefonkarten mit einem Wert unter 12 DM vor allen Dingen für Schüler und Studenten ausgegeben werden können, damit diese die Kartentelefone besser nutzen können.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204616200
Frau Kollegin Weyel, eine Zusatzfrage? — Wir sind allerdings schon am Ende der Fragestunde.

(Gudrun Weyel [SPD]: Nein, nein, die Fragestunde hat erst um 13.45 Uhr angefangen!)

— Ja, nutzen Sie die Zeit. Ihre Frage wird noch zugelassen.

(Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Schon vor 13.45 Uhr wurde die Zeit auf die Fragestunde angerechnet, Frau Kollegin Weyel!)


Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1204616300
Herr Staatssekretär, was empfehlen Sie Eltern mit zehnjährigen Kindern, die an kleinen Bahnhöfen z. B. aus der Schule oder aus schulischen Veranstaltungen ankommen und sich von ihren Eltern abholen lassen müssen? Welche zumutbare Entfernung geben Sie für solche Kinder an?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich denke, es wird viel zweckmäßiger sein, wenn Sie mir solche Einzelfälle mitteilen. Ich prüfe sie sehr gerne nach. In der Regel sind die Abstände nicht größer als 100 oder 200 m, und die kann man auch als Schüler durchaus zurücklegen. Nur, ich denke, es ist viel besser, wenn Sie mir den Einzelfall schildern. Dann bin ich gerne bereit, auf die Generaldirektion Telekom mit dem Ziel einzuwirken, daß man dort gegebenenfalls für Abhilfe sorgt.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1204616400
Ich glaube, die Einzelfallregelung nützt nicht sehr viel; denn Tatsache ist, daß wir gerade in ländlichen Bereichen einen immer stärkeren Rückzug sowohl der öffentlichen Verkehrsträger —

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204616500
Die Frage!




Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1204616600
— ja, ich komme dazu — als auch der Post haben. Meine Frage lautet: Gibt es irgendwelche Vorstellungen in Ihrem Hause, wie man auch in den ländlichen Bereichen die Versorgung so sicherstellen kann, daß ganz allgemein sowohl minderjährige als auch ältere und behinderte Personen ungehinderten Zugang zu einer öffentlichen Fernsprechzelle mit Münzbetrieb haben?
Wilhelm Rawe, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich hatte ja deutlich gemacht, daß es die Regel ist, daß man Münz- und Kartentelefone gleichzeitig aufbaut. Trotzdem muß man sich mit der Entwicklung vertraut machen, daß die Menschen immer mehr Kartentelefone wollen; das merken wir insbesondere in den neuen Ländern. Deswegen kann ich sehr wohl mit der Generaldirektion Telekom erneut darüber verhandeln, daß man dort, wo es eben möglich ist, verträgliche Lösungen findet. Aber ich kann nicht dauernd in das Geschäftsgebaren der Deutschen Bundespost Telekom hineinreden.

Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204616700
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Der Kollege Dr. Brecht ist nicht da. Mit seiner Frage wird entsprechend der Geschäftsordnung verfahren. Ich schließe die Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den Abrüstungsvorschlägen von Präsident Bush und Präsident Gorbatschow
Die Fraktion der SPD hat zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Norbert Gansel das Wort.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1204616800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat diese Aktuelle Stunde zu der Abrüstungsinitiative von Präsident Bush und der Antwort von Präsident Gorbatschow beantragt; das ist unsere parlamentarische Pflicht. Der Bundestag muß debattieren, was die Menschen bewegt und wenn sich die Dinge bewegen.
Die SPD-Fraktion begrüßt vor allem die Entscheidung beider Präsidenten, die Alarmstufen bei den strategischen Atombombern und einem Teil der strategischen Atomraketen aufzuheben sowie ihre Kontrolle zu straffen. Damit ist die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen, jene schreckliche Gefahr, verringert worden; gebannt ist sie aber noch nicht.
Präsident Bush will sämtliche bodengestützten atomaren Kurzstreckenraketen und sämtliche nukleare Artillerie aus Europa abziehen und zerstören. Das ist gut. Besser wäre es gewesen, er hätte auch alle luftgestützten taktischen Atomwaffen einbezogen. Wir werden uns nicht damit abfinden, daß weit über 1 000 amerikanische Atombomben weiter in Westdeutschland verbleiben sollen.
Es ist gut, daß Präsident Gorbatschow bei den taktischen Atomwaffen mit den USA gleichziehen will. Besser wäre es gewesen, die Sowjetunion hätte die
USA übertroffen und auch die Abrüstung ihrer luftgestützten taktischen Atomwaffen angekündigt. Dadurch wären die USA in einem dynamischen Prozeß weiterer einseitiger, aber wechselseitiger Abrüstungsmaßnahmen unter Zugzwang gesetzt worden.
Immerhin hat Gorbatschow auch für diese Waffen ein Verhandlungsangebot gemacht. Wir wollen heute von der Bundesregierung wissen, ob sie dieses Angebot gegenüber den USA und in der NATO unterstützt und ob sie die Chance nutzen will, daß jetzt alle Atomwaffen aus Deutschland verschwinden können.
Wir wollen auch wissen, ob die Bundesregierung weiterhin Überlegungen der NATO unterstützt, nach 1995, also nach einer Bundestagswahl, in der Bundesrepublik eine neue luftgestützte Atomrakete mit einer Reichweite von 480 km zu stationieren. Trifft es zu, daß für die Lagerung dieser Raketen schon jetzt Bunker in der Bundesrepublik gebaut werden, und wird der Bunkerbau nunmehr eingestellt werden?
Wenn es nach dem Abzug eines Teils der taktischen Atomwaffen aus der Bundesrepublik neue Atomwaffen gäbe, dann würde aus der Bush-Initiative keine Abrüstung werden, sondern eine Modernisierung. Wir werden sie entschieden bekämpfen; denn diese Atomwaffen sind ein Anachronismus.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Die große Chance einer neuen Qualität der Abrüstung, die Bush mit seiner Initiative eröffnet hat, muß genutzt werden. Statt langwieriger Verhandlungen über Teilabrüstungen, die durch Modernisierungen überholt werden, müssen weitere einseitige, wechselseitige Abrüstungsmaßnahmen getroffen werden. Verhandelt werden muß dann nur noch über die Verifikation. Es liegt im existentiellen Interesse Deutschlands, daß dies auch und vor allem für unser eigenes Territorium gilt.
Der Oberbefehlshaber der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, Generaloberst Burlakow, hatte am 26. April erklärt, alle sowjetischen Atomwaffen seien Ende 1990 aus der einstigen DDR abgezogen worden. Das war schon ein Zeichen für die Bereitschaft zu einseitigen Maßnahmen. Aber darauf muß auch Verlaß sein.
Aus Äußerungen sowjetischer Regierungsmitglieder hat sich im Juni ergeben, daß sich doch noch sowjetische Atomwaffen in den neuen Bundesländern befinden. Auf dem Hintergrund von Widersprüchen und Beobachtungen gab es Anlaß für Zweifel, ob Ende August alle Atomwaffen abgezogen waren, wie es die sowjetische Regierung dann später erklärte. Ich habe deshalb eine gemeinsame deutsch-sowjetische Verifikation gefordert. Generaloberst Burlakow hat seine Bereitschaft dazu in einem Gespräch mit Björn Engholm erklärt. Diese Erklärung hat der sowjetische Verteidigungsminister Schaposchnikow mir gegenüber in Moskau in der vergangenen Woche bestätigt.
Es ist gut, daß die Bundesregierung auf der Grundlage unserer Initiative die sowjetische Bereitschaft genutzt hat. Sie hat inzwischen offenbar gezielt Inspektionen an den Standorten Torgau und Zeithain durch-



Norbert Gansel
geführt und keine Atomwaffen festgestellt. Das ist gut. Denn bei der nuklearen Abrüstung ist nur die Verifikation wirklich erfolgreich, die keine Waffen mehr feststellt. Das negative Ergebnis ist positiv. Solche Inspektionen durch deutsch-amerikanische Kornmissionen wollen wir, wenn in Westdeutschland die amerikanischen Atomwaffen abgezogen werden, ebenfalls haben.
Meine Damen und Herren, es sind auch bei der konventionellen Abrüstung weitere Truppenreduzierungen angekündigt worden. Das belastet die sowjetische Seite zusammen mit dem Abzug ihrer Soldaten aus der einstigen DDR in außerordentlichem Maße. Deshalb gehört in diese Debatte auch der Appell an die Bundesregierung, daß das deutsch-sowjetische Wohnungsbauprogramm planmäßig realisiert wird und möglichst vorzeitig erfolgt. Dabei zu helfen und den heimkehrenden sowjetischen Soldaten Wohnung und eine zivile Perspektive zu geben, wäre auch ein deutscher Beitrag zur Abrüstung und dazu, den Frieden in Europa sicherer zu machen.
Danke sehr.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204616900
Das Wort hat der Abgeordnete Würzbach.

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1204617000
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Beide Vorschläge, die bahnbrechende amerikanische Initiative und die darauf — das will ich zugeben — schnell erfolgte sowjetische Reaktion, sind große und bisher beispiellose Schritte zu einem sichereren Frieden auf der nördlichen Erdhalbkugel. Beide Schritte entsprechen unseren deutschen und den gesamteuropäischen Interessen sowie der politischen Zielsetzung der Bundesregierung seit Übernahme der Verantwortung.
Beide Vorschläge zeigen, daß die Rüstungsspirale als Folge der Militarisierung des Ost-West-Konflikts nun — nach dessen politischer Auflösung — wieder zurückzuschrauben nötig und erfreulicherweise endlich auch politisch möglich geworden ist. Wir sollten nun die gleiche Beharrlichkeit und — wo angebracht — , wie gezeigt, auch die nötige Dynamik bei Abrüstung und damit verbundener und zu verbindender überprüfbarer Vertrauensbildung aufbringen, wie wir es damals zur Herstellung einer glaubwürdigen Abschreckung tun mußten. Das geschah damals ohne und zuweilen gegen die Opposition hier im Hause.
Beide Vorschläge werte ich als wichtige Schritte, um die militärischen Altlasten des Kalten Krieges zu beseitigen. Beide sind im Vergleich zu allen vorangegangenen komplizierten und langwierigen Verhandlungen ungleich weitreichender. Das Ziel jeder Abrüstung muß ganz konkret sein: mehr Sicherheit, sichererer Frieden, mehr Stabilität. Diese Ziele sind in diesen beiden Initiativen enthalten. Beides aber — das sollten wir nicht vergessen — sind Vorschläge, und es ist klug, jetzt nicht in Hektik und in Ungeduld zu verfallen, sondern gründlich an die Konkretisierung der Vorschläge beider Seiten, an deren Realisierung und
— dies füge ich hinzu — an die Verifizierung bei deren Durchführung heranzugehen. Hier fehlt von beiden Seiten übrigens noch Konkretes.
Der Verzicht auf taktische Atomwaffen und nukleare Artillerie ist sehr zu begrüßen. Diese Waffen sind seit längerer Zeit wegen der politischen Umbrüche militärisch sinnlos geworden. Ich stelle in diesem Zusammenhang mit Freude fest, daß auch andere
— ich meine die europäischen Atommächte — bereit sind, nachzuziehen, oder zumindest ihre Bereitschaft erklärt haben, zum geeigneten Zeitpunkt zur Überprüfung bisheriger Strategien und vorhandener Potentiale zu kommen.
Mit Genugtuung stelle ich fest, daß der sowjetische Präsident schnell auf die weitgehenden Vorschläge der Vereinigten Staaten von Amerika geantwortet hat. Es sollte sowohl im westlichen Interesse als auch im Interesse der entstandenen oder möglicherweise noch entstehenden souveränen Republiken und der neuen Sowjetunion liegen, daß diese Waffen nun wirklich schnell vernichtet werden, auch um eine mögliche Weitergabe an andere Republiken — mit all den damit verbundenen unwägbaren Folgen — zu verhindern und auch — dies ist ein wichtiger politischer Punkt — um die zentrale Handlungsfähigkeit der Sowjetunion in diesem Bereich der Sicherheitspolitik gerade jetzt zu festigen.
Aber ich will festhalten — hier unterscheiden wir uns, Kollege Gansel — : Selbst nach der erheblichen Reduzierung auf beiden Seiten wird hier eine Vielzahl von Atomwaffen für eine geraume Zeit vorhanden sein und in den Strategien beider Seiten eine tragende Rolle spielen. Ich füge nun hinzu: Manche Kriterien dieser Strategien sind nach den politischen Entwicklungen der letzten Jahre und dann realisierten Abrüstungserfolgen im Rahmen der Gesamtstrategie neu zu definieren. Dies möglicherweise auch gemeinsam zwischen Ost und West zu tun ist angeraten und erfordert besonders viel Umdenken und Geduld. Zu beidem rate ich uns allen.
Nach meiner politischen Beurteilung haben die jüngsten Vorschläge von Ost und West auch dazu beigetragen, die bisherige Abrüstungspolitik von dem Ost-West-Gegensatz abzukoppeln und Möglichkeiten zu mehr Kooperation statt bisheriger Konfrontation zu entwickeln.

(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

Dies wird konkret besonders bei dem Angebot deutlich, ein gemeinsames Raketenabwehrprogramm zu entwickeln. Hierbei spielen sicherlich Erfahrungen mit Israel im Golfkrieg eine besondere Rolle.
Auch wenn diese Schritte wirklich vollzogen sind, bleibt noch eine Menge zu tun. Ich will abschließend nur ein Beispiel nennen: Die Gefahr, die von atomaren Schwellenländern — nicht nur, aber besonders in der Dritten Welt — ausgehen kann, fordert Ost und West zu verstärkten und besonders zu gemeinsamen Anstrengungen heraus. Ein solches koordiniertes Vorgehen auf allen sicherheitspolitischen Feldern kann dann langfristig den Übergang zu einer neuen Art der Sicherheitspolitik bewirken.



Peter Kurt Würzbach
Die CDU/CSU begrüßt die Vorschläge aus Ost und West. Ich will hier abschließend rhetorisch fragen: Wer von uns — egal, wo er hier sitzt — hätte vor einem Jahr oder vor noch kürzerer Zeit an solche Erfolge geglaubt?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204617100
Herr Abgeordneter Modrow, Sie haben das Wort.

Dr. Hans Modrow (PDS/LL):
Rede ID: ID1204617200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abrüstungsinitiativen der UdSSR und der USA bringen weitere Schritte auf dem Weg zu mehr Sicherheit und Stabilität.

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: So fängt es schon wieder an! Die Reihenfolge stimmt doch nicht! Was soll denn das?)

— Die Reihenfolge stimmt nicht? Nun müssen Sie davon ausgehen, daß ich sozusagen meine Sicht zu einer bestimmten Reihenfolge habe.

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Das ist wahr! Daran zweifle ich überhaupt nicht!)

— Warum soll ich die jetzt wegwerfen, Herr Lummer, wenn die Initiativen von Gorbatschow dieses Ausmaß, diese Größe und diese Bedeutung besitzen?
Vor allem die bedeutsame Aufhebung des ständigen Alarmzustandes der strategischen Offensivwaffen, mit denen permanent ein militärisches Tschernobyl und damit die Zerstörung der Welt drohte, kann nicht hoch genug bewertet werden. Lassen Sie uns aber dennoch präzise sein: Dieser Abbau von Waffensystemen, zumal von taktischen Kernwaffen, wurde von beiden Seiten schon lange Zeit gefordert und von diesen auch versprochen. Nach der inzwischen eingetretenen Entwicklung ist er längst überfällig; gewiß: besser spät als überhaupt nicht.
Von einem historischen Durchbruch sollte man nach meiner Meinung noch nicht reden. Die amerikanische Seite droht sogar mit Rücknahme ihrer Maßnahmen, während Gorbatschow die Vernichtung der atomaren Artilleriegranaten, der Minen und der Sprengkörper für atomare Kurzstreckenraketen und einen einjährigen Teststopp als endgültig ankündigt; aber bei den luftgestützten taktischen Atomwaffen ist auch er nicht sehr genau.
Es soll die Bedeutung der Schritte beider Präsidenten keineswegs schmälern. Wenn ich dazu auffordere, jetzt keine falsche Euphorie zu verbreiten und die Menschen über die Lage nicht im unklaren zu lassen. Zunächst wird im wesentlichen nur das abgerüstet, was veraltet ist und nicht mehr gebraucht wird. Es bleibt seitens der USA und der NATO bei der sogenannten Modernisierung luftgestützter Raketenwaffen, bei der Entwicklung von Raketenabwehrprogrammen, von ballistischen seegestützten Raketen, und es bleibt bei der atomaren Abschreckung, auch wenn sie künftig den irritierenden Beinamen „minimal" tragen soll. Auch „minimal" reicht zur Vernichtung aus! Es bleibt bei den bisherigen NATO-Planungen, wonach spätestens ab 1995 neue atomare Abstandsraketen und moderne Bomben eingeführt und
in der Mehrzahl auf deutschem Boden stationiert werden sollen. Mit Zustimmung der Bundesregierung wurde kürzlich im zuständigen NATO-Gremium der Beschluß gefaßt, in Ramstein und an anderen Standorten der alten Bundesländer dafür die entsprechenden unterirdischen Bunkerkammern zu errichten. Diese Waffen waren und sind aber gerade für uns Deutsche und für alle Europäer Grund zu besonderer Besorgnis.
Man kann nicht in Freude über sensationelle und historische Abrüstungsschritte sprechen und modernere Waffensysteme einführen wollen. Wenn es um eine größere Verantwortung deutscher Politik geht, dann müßte die Bundesregierung gerade in diesem Bereich andere Zeichen setzen: Sie müßte endlich alle Modernisierungs- und Umrüstungspläne der NATO ablehnen, die Entwicklung des Jägers 90 einstellen und die kostenaufwendige Umstrukturierung der Bundeswehr aufgeben. Sie müßte sich in der NATO für die Beseitigung aller taktischen Kernwaffen in Europa, auch der luftgestützten, einsetzen sowie für einen kernwaffenfreien Status der gesamten Bundesrepublik, wie er für die neuen Bundesländer im Zuge der deutschen Einheit festgeschrieben wurde, eintreten. Sie müßte endlich wirkungsvolle Schritte unternehmen, damit deutsche Konzerne nicht mehr ungehindert andere Länder aufrüsten können, darunter in hochexplosiven Krisenregionen, als hätte es den Golfkrieg nicht gegeben.
Mit neuem Denken und Handeln bleibt es völlig unvereinbar — ich glaube, auch für das Demokratieverständnis überhaupt —, wenn ohne Auftrag des Parlaments und im Widerspruch zur Verfassung vor den Vereinten Nationen bereits verkündet wird, Deutschland werde demnächst mit seinen Streitkräften auf internationaler Ebene auch aktiv werden. Es gilt also, nicht nur über Abrüstung zu reden, sondern für Abrüstung auch zu handeln.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Genau das haben wir getan!)

Das ist es, was jetzt gefordert wird.

(Beifall bei der PDS/Linke Liste)


Hans Klein (CSU):
Rede ID: ID1204617300
Herr Abgeordneter Dr. Olaf Feldman, ich erteile Ihnen das Wort.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1204617400
Vielen Dank, Herr Präsident! — Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP begrüßt die Abrüstungserklärung von Präsident Bush und die von Präsident Gorbatschow, die daraufhin erfolgte. Die Reihenfolge wollen wir doch hier noch einmal ganz klar feststellen.

(Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE]: Aber Gorbatschow hat schon viel früher Abrüstungsvorschläge gemacht!)

Wer, Herr Kollege Gansel, hätte vor einigen Jahren gedacht, daß die USA und die Sowjetunion nach dem Aufrüstungswettlauf jetzt gewissermaßen in einen Abrüstungswettlauf eintreten würden?

(Norbert Gansel [SPD]: Sie und ich!)

Viele hier in diesem Hause nicht. Nur einige von uns
— beileibe nicht alle hier im Deutschen Bundestag —



Dr. Olaf Feldmann
haben damals deutliche Abrüstungsschritte gefordert. Jetzt endlich sind die Signale von Konfrontation auf Kooperation umgestellt. Meine Damen und Herren von der Opposition, darüber können und sollten wir uns freuen.

(Erwin Horn [SPD]: Tun wir doch auch!)

— Dann sollten Sie dieser Freude auch deutlich Ausdruck geben.
Als Mitglied der FDP-Fraktion kann ich mit besonderem Stolz feststellen: Es hat sich gelohnt, daß wir hier im Bundestag für die doppelte Null-Lösung gekämpft haben, daß wir uns gegen eine Modernisierung der nuklearen Kurzstreckenraketen in Europa gewehrt haben

(Beifall bei der FDP — Beifall des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])

und daß wir auch in schwierigen Zeiten gegen erheblichen Widerstand an der Entspannungspolitik festgehalten haben und für eine Politik des Ausgleichs eingetreten sind. Wir waren die ersten, die Gorbatschow beim Wort genommen haben!
Die neue kooperative Politik zwischen den USA und der Sowjetunion muß sich noch einspielen und muß noch ausgebaut werden. Kooperativ sein heißt auch, sich gegen die großen Gefahren und Herausforderungen zu verbünden und die Probleme der Zukunft gemeinsam zu lösen. Zu diesen Problemen gehören neuer Nationalismus, neue regionale Krisen- und Konfliktfelder, Proliferation von Waffen und Waffentechnologien und vor allem die Weiterverbreitung der Nuklearwaffen.
Es darf nicht sein, meine Damen und Herren, daß die Großen abrüsten und die Kleinen aufrüsten.

(Norbert Gansel [SPD]: Sehr richtig!)

Der Traum von einer neuen Weltordnung darf nicht in
einem Weltchaos enden. Stabilität und Sicherheit
— da werden Sie von der Opposition mir sicher zustimmen — lassen sich weit besser durch eine Politik des Ausgleichs und durch Selbstbestimmung und Demokratie als durch Waffen und militärische Strategien sichern.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Die einseitigen und weitreichenden mutigen Abrüstungserklärungen von Präsident Bush und Präsident Gorbatschow sind ein qualitativer Sprung in der Geschichte der Abrüstung. Ich würde sagen, Herr Kollege Modrow, sie sind historisch und gehen weit über die bisherigen Ergebnisse der Nuklearverhandlungen hinaus.
Aber Verhandlungen werden durch einseitige Abrüstungsmaßnahmen nicht überflüssig. Sie sind weiterhin erforderlich, um die Schritte der wechselseitigen Abrüstung verbindlich festzuschreiben, um Abrüstungsmaßnahmen verläßlich verifizieren zu können, um neue Grauzonen und neues Wettrüsten in anderen Bereichen zu verhindern.
Wir Deutschen haben allen Grund, die überfällige und von der FDP immer wieder geforderte Beseitigung der nuklearen Artillerie und der nuklearen
Kurzstreckenwaffen durch die Sowjetunion und die USA zu begrüßen.

(Beifall bei der FDP)

Diese Waffen sind überflüssig und gefährden das, was sie eigentlich schützen sollten. Das ist von der Stationierungsform unabhängig.

(Erwin Horn [SPD]: Sehr gut!)

Es darf keine Verlagerung vom Boden in die Luft geben.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es darf auch nicht sein, daß diese Waffen jetzt zur Gefahr in anderen Regionen der Welt werden.

(Norbert Gansel [SPD]: Auch richtig!)

Die Politik der einseitigen wechselseitigen Abrüstungserklärungen der USA und der Sowjetunion ist eine Politik des guten Beispiels, und gute Beispiele sollten Schule machen,

(Norbert Gansel [SPD]: Auch in der Bundesrepublik!)

auch bei anderen Nuklearmächten, auch bei unserem französischen Bündnispartner.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


(Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker)

Hades-Raketen passen nicht in die europäische sicherheitspolitische Landschaft.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das müssen die Genossen mal den Sozialisten in Frankreich erzählen!)

— Sehr richtig. Das ist eine Aufforderung an die Opposition, tätig zu werden.
Nicht Waffen und Strategien, sondern Vertrauen und gute Nachbarschaft sind das Fundament der europäischen Einigung.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204617500
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Gernot Erler.

(Norbert Gansel [SPD]: Will die Regierung denn gar nichts sagen?)

— Doch!

Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1204617600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 27. September hat Präsident Bush seine Abrüstungsrede gehalten. Acht Tage später, am 5. Oktober, hat Gorbatschow, ebenfalls über Fernsehen, geantwortet, und bereits an diesem Tag hat die „Financial Times" von einer „long awaited response" geredet.

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Bitte auf Deutsch!)

Das bedeutet: Acht Tage waren ihr schon zu lang für
die Antwort. Das heißt, eine Ungeduld ist aufgetreten.
Wir Sozialdemokraten begrüßen diese Form von Un-



Gernot Erler
geduld gegenüber tiefen Schnitten in die atomaren Arsenale beider Supermächte.

(Beifall bei der SPD)

Gleichzeitig fragen wir uns natürlich: Woher kommt diese Ungeduld? Sie kommt durch die Erkenntnis einer ganz neuen Gefährdung, gegen die mit den traditionellen Mitteln der atomaren Abschreckung kein Kraut gewachsen ist. Der Putsch vom August dieses Jahres in Moskau sitzt auch den Verteidigern im Weißen Haus als Schock im Nacken. Die Vorstellung, daß die gefährlichsten Waffen dieser Welt in die Hand von fundamentalistisch denkenden, unzuverlässigen, ja vielleicht alkoholabhängigen Personen geraten könnten, war offenbar der Auslöser für diese Eile, nun wenigstens jene Waffen, die, wie Herr Würzbach gesagt hat, militärisch sinnlos sind, jetzt zu beseitigen.
Wir begrüßen dies auch als eine Bestätigung dessen, was wir immer gesagt haben: Atomare Abrüstung setzt immer einen rationalen Partner voraus. Aber in dieser Welt der Saddams und auch der Gamsachurdias, ja, vielleicht auch einmal anderer Nachfolger von Krawtschuk oder Gorbatschow kann man auf rational denkende Leute in der Verantwortung für Atomwaffen nicht mehr rechnen, jedenfalls nicht mehr sicher sein. Deswegen ist ein Gebot der Stunde, aus dieser Strategie auszusteigen und sich einer anderen zuzuwenden, und die kann nur heißen: Beseitigung dieser Waffen. Wir begrüßen, daß dies jetzt tatsächlich der Einstieg dazu ist, sehen aber genauso kritisch, daß es noch kein Durchbruch ist.
Es gibt einen interessanten Unterschied in den Vorschlägen von Präsident Bush. Er beseitigt auf einen Schlag — worüber sonst zehn Jahre verhandelt wurde — die atomaren Kurzstreckenwaffen. Aber gleichzeitig hat er sich sozusagen noch eine Doppelstrategie offengehalten. Gleichzeitig sagt er: Wir werden B 2 und SDI voll finanzieren, ebenfalls mit Hinweis auf gefährliche Leute auf der Welt, die vielleicht Amerika angreifen könnten. Das heißt, er hat immer noch die Illusion der technischen Herstellung von Unverwundbarkeit.

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)

Wir können darauf nur antworten: Der Weg ist richtig, aber der zweite Schritt ist noch nicht getan; und der muß heißen, Herr Lamers: Man kann sich gegen irrational handelnde Leute auch technisch nicht schützen;

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Richtig! Das glaubt der auch nicht!)

sondern das einzige, was man tun kann, ist, weltweit tatsächlich nach dem Prinzip zu handeln: Nur beseitigte Atomwaffen sind wirklich sicher.

(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE)

Da ist es jetzt interessant, die Antwort von Gorbatschow zu sehen.

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Ja!)

Der hat reziprok, Herr Lamers, genau das gleiche vorgeschlagen; aber in dem strategischen Bereich hat er einen anderen Gedanken wieder aufgegriffen. Er hat ja von sich aus gesagt: Wir verringern jetzt, über
START hinausgehend, von 9 000 nicht auf 6 000, sondern auf 5 000 Atomsprengköpfe, und wir bieten an, unmittelbar nach START Verhandlungen über weitere Reduzierungen der strategischen Waffen vorzunehmen; erstes Zwischenziel: 50 %.

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Vernünftig!)

Das kennen wir. Das ist nämlich die Idee von Reykjavik vom Oktober 1986. Am 15. Januar 1986 hatte Gorbatschow seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt der Weltöffentlichkeit erstmals vorgestellt. Wir wissen: Leider sind die Verhandlungen im Oktober 1986 an der SDI-Frage gescheitert.

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Diese Vision hat er aber gehabt!)

Der Geist von Reykjavik ist jetzt wieder auf der Tagesordnung. Daran knüpfen wir außerordentlich große Hoffnungen, obwohl wir wissen, daß es Gegenkräfte leider immer noch gibt. Das eine ist das große Interesse an der Fortführung amerikanischer Rüstungsprogramme. Ohne SDI-Zustimmung wäre das gar nicht konsensfähig, was Bush in Amerika gesagt hat. Und auch Gorbatschow — ich darf hier darauf hinweisen — kann nicht mehr ganz frei handeln. Aus Kiew kam bereits Kritik daran, daß er so großzügig 50%ige Einschnitte im strategischen Arsenal anbietet und ankündigt, obwohl ein Teil davon auch auf ukrainischem Boden stationiert ist; er hatte die ukrainische Regierung gar nicht gefragt.
Wir brauchen den Geist von Reykjavik, um den neuen Formen von Bedrohung tatsächlich zu begegnen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ GRÜNE)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204617700
Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Hans Raidel.

Hans Raidel (CSU):
Rede ID: ID1204617800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wunder gibt es immer wieder. Bush und Gorbatschow gehen neue, unkonventionelle Wege. Sie verlassen ausgetretene Trampelpfade mit unerwarteten Schritten.
In diesem Hohen Hause gab es selten ein Ereignis, das über alle Parteigrenzen hinweg so große Zustimmung fand wie die Abrüstungsinitiativen des Präsidenten Bush und des Präsidenten Gorbatschow. Endlich ist die Welt so weit, daß sie bereit ist, sich von Waffen zu trennen, für die es keine politische Rechtfertigung mehr gibt. Endlich sieht man ein, daß es in diesem Prozeß keine Gewinner und keine Verlierer gibt, sondern daß durch Abrüstung beide Seiten gewinnen. Aus dem Rüstungswettlauf wird jetzt ein Wettlauf um die Abrüstung.
Meine Damen und Herren, diese Ereignisse sollten Anlaß sein, noch einmal zurückzuschauen und daran zu erinnern, wo die Ursachen für diese überaus positiven Entwicklungen liegen. Sie sind uns ja nicht in den Schoß gefallen, sondern sind das Ergebnis konsequenter Politik, die auch in schwierigen Zeiten den Willen zur Selbstbehauptung und die Bereitschaft



Hans Raidel
zum Dialog miteinander verbunden hat. Noch in den 80er Jahren war die Abrüstungspolitik eines der am meisten umstrittenen Themen zwischen Regierung und Opposition. Die Kontroverse um den NATO-Doppelbeschluß und das historische Versagen der SPD in dieser Frage sind noch in frischer Erinnerung, Herr Kollege Horn.

(Lachen und Widerspruch bei der SPD — Erwin Horn [SPD]: Das ist Ihre historische Perspektive! — Norbert Gansel [SPD]: Hätte man auf uns gehört, brauchte man nicht abzurüsten!)

Gegen massiven Widerstand und gegen den Protest der Straße hatte damals die von CDU und CSU und FDP geführte Bundesregierung die Stationierung von Pershing II und Cruise-Missiles durchgesetzt und damit, wie wir heute wissen, die Wende in der Ost-WestAuseinandersetzung herbeigeführt.

(Widerspruch bei der SPD)

Wir haben uns damals nicht durch militärischen Druck und nicht durch Drohungen einschüchtern lassen

(Widerspruch bei der SPD)

und haben damit die Sowjetunion zur Aufgabe ihrer aggressiven Rüstungspolitik bewegt.
Von der Standfestigkeit bei der Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses über die Tatsache, daß der Reformer Gorbatschow zum Generalsekretär gewählt werden konnte, führt ein direkter Weg hin zum INF-Abkommen und zum START-Vertrag und jetzt zu den sensationellen Abrüstungsschritten der USA und der
Sowjetunion.

(Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE]: Die Geschichte lehrt, wie man sie fälscht!)

Zu Recht darf die Bundesregierung für sich in Anspruch nehmen, daß diese Erfolge durch ihre Politik maßgeblich mitgestaltet wurden.
Das Ende des Kalten Krieges war kein Zufallsergebnis, keine Laune der Geschichte, sondern die Konsequenz einer ausdauernden Politik. Unsere Solidarität, symbolisiert durch das Atlantische Bündnis, verhinderte jeden Versuch der Sowjetunion, ihr gewaltiges Militärpotential politisch zu instrumentieren und ebnete so den Weg zu Frieden und zur Überwindung der Teilung Europas.
Für uns Deutsche ist von besonderer Bedeutung, daß die bodengestützten taktischen Atomwaffen abgezogen und vernichtet werden. Diese Waffen haben für die Krisen- und Konfliktbewältigung in Europa schon lange keine Funktion mehr. Daraus darf aber niemand den Schluß ziehen, daß alle Nuklearwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollten und Deutschland zur atomwaffenfreien Zone werden sollte. Das Vorhandensein von Nuklearwaffen auf deutschem Territorium hat in der Vergangenheit maßgeblich zur Erhaltung des Friedens beigetragen und bedeutet auch für die Zukunft einen Beitrag zur Stabilität.
Nachgedacht werden sollte jedoch darüber, wie groß das Minimum sein sollte und welche Art von Waffen unseren Erfordernissen am besten entsprechen. Das ganze sollte dann möglichst bald im Rahmen von Rüstungskontrollverhandlungen vertraglich vereinbart werden. Auch wenn es sich bei den Abrüstungsmaßnahmen der Präsidenten Bush und Gorbatschow um jeweils einseitige Schritte handelt, verlieren die Rüstungskontrollverhandlungen deshalb nicht an Bedeutung.
Die Genugtuung über die Erfolge in der Abrüstung darf uns nicht zur Untätigkeit verleiten. Die Gefahren für unsere Sicherheit sind nicht kleiner geworden. Da ist das ungewisse Schicksal der Sowjetunion und ihrer Republiken. Da ist der schwierige Aufbauprozeß in Mittel- und Osteuropa. Da sind der Bürgerkrieg in Jugoslawien, Grenzstreitigkeiten, Minderheitenprobleme, ethnische Konflikte und wiedererwachender Nationalismus.
Es bedarf einer weitsichtigen und verantwortungsbewußten Politik, um all diesen Risiken begegnen zu können. Die Instrumente zur Krisenbewältigung im Rahmen der NATO und der Europäischen Gemeinschaft müssen weiter ausgebaut werden. Ich warne dabei vor der Illusion, es koste weniger Geld. Die Friedensdividende, die wir suchen, ist deshalb auch nicht in D-Mark oder Dollars zu bemessen, sondern in größerer Sicherheit.
Solange wir solidarisch mit unseren Verbündeten handeln, sind wir sicher vor Krieg und Unterdrükkung. Die Erfolge in der Abrüstungspolitik sind ein wichtiger Baustein für eine stabile Friedensordnung. Wir sollten aber nie vergessen, daß es im wesentlichen die Einigkeit und die Geschlossenheit des westlichen Bündnisses waren, die diese Abrüstungserfolge erst ermöglicht haben und die auch in der Zukunft der Garant für Stabilität und Frieden sind. Es liegt an uns, die Zukunft zu beeinflussen, zu prägen und zu formen. Wir dürfen die vor uns liegenden historischen Möglichkeiten nicht verpassen oder verspielen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Der Strauß würde sich im Grabe umdrehen!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204617900
Das Wort hat jetzt Frau Kollegin Vera Wollenberger.

Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1204618000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit den leidvollen Erfahrungen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki wurde und wird weltweit gegen diese Massenvernichtungswaffen gekämpft. Doch die sinnvollen und logisch begründbaren Vorschläge für eine vollständige Beseitigung dieser Waffen waren bisher lediglich auf taube Ohren bei den verantwortlichen Politikern — auch den bundesdeutschen — gestoßen. Minister Stoltenberg hat erst kürzlich im Verteidigungsausschuß erklärt — Herr Kollege Nolting, Sie waren dabei — , daß an der nuklearen Option unbedingt festgehalten werden müsse.
Allerdings verging kaum ein Jahr, in dem uns führende Politiker der Atommächte nicht mit neuen Vorschlägen über eine Reduzierung dieser Potentiale in Atem hielten, während in der Praxis weiter und immer schneller aufgerüstet wurde.



Vera Wollenberger
Das scheint sich mit den Vorschlägen von Bush und Gorbatschow jetzt zu ändern.
US-Präsident Bush eröffnete den „Run auf die Minimalabschreckung", und der Präsident eines Staates, den es so eigentlich gar nicht mehr gibt, versucht an Boden gutzumachen. Erwartungsgemäß enthält Gorbatschows Vorschlag einige Komponenten, die Bush nicht genannt hat oder nicht nennen wollte. Aber hat die Reaktion von Michail Gorbatschow, so müssen wir uns fragen, überhaupt noch eine Relevanz für die praktische Politik? Welchen Einfluß hat Gorbatschow noch auf den Abbau der fast 30 000 atomaren Systeme in der Sowjetunion? Lassen die Sezessionsbestrebungen der Atomwaffenstationierungsrepubliken nicht viel eher einen Mißbrauch im innersowjetischen Machtkampf befürchten?
Welche Substanz enthüllt eine sorgfältige Analyse des Vorschlags von Präsident Bush? Wird wirklich viel und dauerhaft abgerüstet? Leider nicht. Er will etwas von dem beseitigen, was verdammt viel kostet und wovon sowieso zuviel da ist. Das ist ein wichtiger Anfang und, auch wenn er viel zu spät kommt, vernünftig.
Der verborgene Pferdefuß aber ist, daß Bush beim verbleibenden Rest die Qualität steigern will; also Abbau quantitativen Überflusses bei gleichzeitiger qualitativer Kompensation der Einbußen. Es handelt sich also um eine klassische Rationalisierungsmaßnahme. Das heißt, die angekündigten Abrüstungsvorschläge sind in der Substanz eben nichts anderes als eine Rationalisierung des atomaren Potentials. Auf Grund der sicherheitspolitischen Entwicklung in Europa sollen militärisch obsolet gewordene Atomwaffen verschrottet, das Restpotential allerdings durch Modernisierung in seiner Abdeckungswirksamkeit gesteigert werden. Zudem sind nukleare Projekte Bestandteil des Bush-Vorschlages, die mit großer Wahrscheinlichkeit keine Unterstützung im Kongreß gefunden hätten.
Zweifelsohne reduziert sich die Gefahr eines versehentlichen Atomkrieges. Zweifellos ist der Abzug der unsinnigen Kurzstreckenwaffen eine längst überfällige Maßnahme. Das Versprechen von Bush und Gorbatschow ist deshalb eine bemerkenswerte Nachricht für Europa und insbesondere für Deutschland. Aber bringen uns diese Ankündigungen, wie etwa Bundeskanzler Kohl behauptet, wirklich mehr Sicherheit und Stabilität in Europa? Oder gilt nicht vielmehr immer noch der Satz von Karl Jaspers, daß die „Atombombe ... heute für die Zukunft der Menschheit drohender als alles sonst" ist?

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Den Jaspers müssen Sie zu Ende lesen!)

In Anbetracht dessen, daß niemand mehr so genau sagen kann, wie lange die Atomwaffen in der ehemaligen Sowjetunion unter verläßlicher Kontrolle bleiben, zeigt sich, daß die Friedensbewegung recht hatte, als sie sagte, daß die Existenz dieser Waffen an sich schon eine Bedrohung ist.
Wir fordern, daß ein Prozeß totaler atomarer Abrüstung endlich ernsthaft eingeleitet wird, daß nicht Rationalisierung und Modernisierung von Massenvernichtungsmitteln das politische Denken beherrschen.
Es ist deshalb unseres Erachtens notwendig, daß sofort mit dem Abzug aller luftgestützter Atomwaffen begonnen wird,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

daß auf die Modernisierung luftgestützter Atomwaffen unmißverständlich verzichtet wird und — vor allem — daß es 1994 keine Atomwaffenstationierung in Deutschland gibt.
Unser Vorschlag für eine weltweite Vernichtung der nuklearen Potentiale lautet, daß alle Atomwaffen — in Anlehnung an den Baruch-Plan von 1946 — den Vereinten Nationen unterstellt werden, die deren Verschrottung in einer noch zu schaffenden internationalen Behörde durchführen.
In diesem Zusammenhang möchte ich an eine interessante Variante des Vorschlags des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Eisenhower erinnern. Am 16. April 1953 hielt US-Präsident Eisenhower auf einem Bankett amerikanischer Zeitungsverleger eine außenpolitisch sehr interessante Rede. Kurz nach dem Tode Stalins nannte er fünf Prinzipien einer Abrüstung, die als Friedensangebot an die Sowjetunion in die Geschichte eingingen.
Neben der Forderung nach einer Beschränkung des Umfangs der militärischen Potentiale nannte er die Verpflichtung, die Gesamtproduktion zu beschränken. Eisenhower wollte ein universelles Verbot der atomaren Kampfmittel sowie die Beschränkung anderer Massenvernichtungsmittel. Diese Maßnahmen sollten durch ein funktionsfähiges Überwachungssystem der Vereinten Nationen kontrolliert werden.
Das war ein geplantes Lebewohl an die nukleare Abschreckung. Um wieviel besser stünden wir heute da, wenn dieser Vorschlag nicht an der Ablehnung der Sowjetunion gescheitert wäre?!
Wenn aber Eisenhower in Zeiten des tiefsten Kalten Krieges so weitgehende Angebote an eine damals noch starke Sowjetunion machen konnte, dann fragen wir uns, warum Präsident Bush nicht in der Lage ist, ein nur ansatzweise vergleichbares Friedensangebot an ein zerfallendes Imperium zu machen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD — Karl Lamers [CDU/ CSU]: Weil sich die Welt geändert hat, Frau Kollegin!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204618100
Ich erteile das Wort jetzt dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer.

Helmut Schäfer (FDP):
Rede ID: ID1204618200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von Präsident Bush am 27. September 1991 verkündete umfassende Initiative zur nuklearen Abrüstung ist ein großer Fortschritt, auch dann, wenn Frau Kollegin Wollenweber

(Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE]: Wollenberger!)

— Entschuldigung, Wollenberger — das nun schon wieder als Rationalisierungsmaßnahme abzutun versucht.



Staatsminister Helmut Schäfer
Der amerikanische Präsident hat darin weitreichende Entscheidungen und Vorschläge zu allen Bereichen des nuklearen Kräfteverhältnisses zwischen den Großmächten unterbreitet. Das Maßnahmenpaket umfaßt drastische einseitige Maßnahmen wie die Eliminierung und Reduzierung von amerikanischen Nuklearpotentialen und die Einstellung nuklearer Rüstungsprogramme. Hinzu kommen Vorschläge zur Stabilisierung, Vertrauensbildung und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion bei der Kontrolle von Nuklearwaffen. Präsident Bush besiegelt damit auch in der Militärstrategie das Ende des Kalten Krieges und markiert den Beginn einer neuen Ära kooperativer Sicherheit.
Die amerikanische Initiative wird den tiefgreifenden Veränderungen in der Sowjetunion gerecht. Die positive Antwort Präsident Gorbatschows bestätigt, daß die amerikanische Initiative richtig und zeitgemäß war. Sie entspricht voll der Politik der Bundesregierung, die auf die Sicherung eines dauerhaften und stabilen Friedens mit weniger Waffen gerichtet ist.
Von besonderer Bedeutung für Deutschland und Europa ist die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, alle amerikanischen Nuklearwaffen für Artillerie und Kurzstreckenraketen abzuziehen und in den USA zu vernichten. Nukleare Kurzstreckenwaffen sind in der neuen europäischen Sicherheitsstruktur ein Anachronismus. Ihre Beseitigung ist ein dringendes deutsches Anliegen, für das sich die Bundesregierung stets mit Nachdruck eingesetzt hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Erwin Horn [SPD]: Der Außenminister!)

— Kommt noch.
Die Bundesregierung begrüßt daher, daß Präsident Gorbatschow in einem gleichermaßen kühnen Schritt die Bereitschaft der Sowjetunion erklärt hat, auch alle sowjetischen nuklearen Gefechtsköpfe für landgestützte Kurzstreckenwaffen weltweit zu beseitigen. Damit wird nach dem INF-Vertrag erneut eine gesamte Waffenkategorie weltweit vernichtet. Zugleich wird eine Lücke in der nuklearen Abrüstung geschlossen. Es wird verhindert, daß unterhalb des durch den INF-Vertrag eliminierten Waffenspektrums eine neue Grauzone nuklearer Rüstung bestehenbleibt.
Die weltweite Eliminierung nuklearer Kurzstreckenwaffen ist ein bedeutender Abrüstungsschritt. Sie ist darüber hinaus ein wirksamer Beitrag zur Verhinderung der Verbreitung von Nuklearwaffen. Herr Kollege Horn, wir freuen uns, daß sich Bundesaußenminister Genscher entschieden für eine weltweite Beseitigung dieser Waffenkategorie eingesetzt hat.

(Erwin Horn [SPD]: Kein Dissens!)

Die von den USA und der Sowjetunion beschlossenen Abrüstungsmaßnahmen im nuklear-strategischen Bereich bewirken über den START-Vertrag hinausgehende drastische Reduzierungen. Auch das liegt im Sicherheitsinteresse der Deutschen und der Europäer.
Neu an den Initiativen der USA und der Sowjetunion ist, daß sie Abrüstung nach der Methode des gegenseitigen Vorbilds anstreben. Die damit verfolgte Absicht, schnelle Abrüstungsschritte, Herr Kollege Lamers, ohne langwierige Verhandlungen zu erreichen, entspricht den politischen Rahmenbedingungen nach der Überwindung des West-Ost-Gegensatzes.

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Ich höre Ihnen zu, Herr Kollege Schäfer!)

— Ich weiß gar nicht, warum Sie jetzt meinen, ich hätte angenommen, Sie würden mir nicht zuhören. Ich gehe davon aus, aber ich wollte Sie als alten Abrüstungsstrategen nennen und wollte mir eigentlich ein freundliches Lächeln von Ihnen verdienen. Sie haben diesen Eindruck dann auch hervorgerufen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wichtig ist, daß einseitige Schritte durch flankierende Maßnahmen der Vertrauensbildung und Transparenz nachvollziehbar bleiben.
Die Bundesregierung dankt den Präsidenten Bush und Gorbatschow für ihre mutigen Abrüstungsinitiativen. Sie erwartet, daß sie im Prozeß der nuklearen Abrüstung über die beiden Großmächte hinaus eine neue Dynamik bewirken. — Herr Kollege Feldmann hatte hier vorhin schon einige sehr konkrete Vorstellungen entwickelt. — Dabei muß die Abstützung der Sicherheit auf nukleare Waffen weiter verringert werden. Nuklearwaffen dürfen nur Mittel des letzten Rückgriffs zum Zweck der Kriegsverhütung sein, Frau Kollegin Wollenberger, wie dies die Regierungschefs des Atlantischen Bündnisses in ihrer Londoner Erklärung festgestellt haben. In diesem Sinne wird sich die Bundesregierung auch weiterhin für eine konsequente Fortsetzung der nuklearen Abrüstung und für die Stärkung des Vertrages zur Verhinderung der Verbreitung von Nuklearwaffen einsetzen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204618300
Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist Frau Kollegin Uta Zapf.

Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1204618400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich sind wir alle voll Freude über diesen Abrüstungsvorschlag, der sehr weitgehend ist. Herr Kollege Feldmann, ich denke, es haben auch alle
— wo sitzt er denn? —

(Ulrich Irmer [FDP]: Ich sage es ihm!)

— ihre Freude ausgedrückt. Aber gestatten Sie mir, darauf hinzuweisen, daß es auch verwundert, wenn Bundeskanzler Kohl die einseitige Abrüstungsinitiative von Präsident Bush als eine Politik begrüßt, die
— ich zitiere — „die von mir" — nicht von mir, sondern von Herrn Kohl —

(Zuruf von der FDP: Das hätten wir nicht vermutet!)

„geführte Bundesregierung seit Amtsantritt verfolgt hat".

(Norbert Gansel [SPD]: Allerdings!)

Wer nicht gerade unter Erinnerungslücken leidet,
weiß noch gut, wie diese Regierung reagierte, als sei-



Uta Zapf
nerzeit die SPD sowohl eine Veränderung der Strategie der Abschreckung als auch mögliche einseitige Abrüstungsschritte forderte. Damals nannte die die CDU ein Sicherheitsrisiko, was sie heute feiert,

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Jedes Ding hat seine Zeit!)

nämlich den Vorschlag, statt gegeneinander zu rüsten, gemeinsame Sicherheit zu organisieren. Herr Genscher hat das Wort von den kooperativen Sicherheitsstrukturen adoptiert, als sei es sein eigen Kind; aber wir kennen das auch von anderen politischen Projekten der SPD.
Herr Lamers, es ist nicht ungeschichtlich, zu behaupten, daß, was heute richtig ist, auch damals richtig gewesen sein kann.

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Umgekehrt!)

Ich beziehe das auf Ihre Bemerkung zu Frau Wollenberger. Aber darüber müßte man vielleicht noch ein bißchen länger diskutieren.
Zu gut ist uns auch noch in Erinnerung, welche erbitterten Diskussionen es um die Null-, die DoppelNull- und die dritte Nullösung gab und wie um die Modernisierung der Kurzstreckenraketen gestritten worden ist. Heute will niemand mehr für die Beibehaltung der Modernisierung dieser Waffen gewesen sein. Heute besteht Konsens darüber, daß die Initiativen von Präsident Bush und Präsident Gorbatschow ein großer Schritt nach vorne sind. Ich denke, das ist gut so. Beide Vorschläge können und müssen Anstoß für weitergehende Abrüstungsschritte sein. Die gesamte Strategie der atomaren Abschreckung muß endlich in Frage gestellt werden.
Während Michail Gorbatschow schon in seiner Ansprache vom Januar 1986 die Vision einer atomwaffenfreien Welt ansprach, verbleibt Präsident Bush mit seiner jüngsten Rede im Denken der nuklearen Abschreckung verhaftet. Seine Initiative beharrt auf der Beibehaltung moderner Atomstreitkräfte, und sie bedeutet keineswegs den Verzicht auf die Einführung moderner luftgestützter Abstandswaffen.
Leider hat es auch Präsident Gorbatschow versäumt, hinsichtlich dieser Waffensysteme einen einseitigen Verzicht anzukündigen. Zumindest hat er jedoch im Gegensatz zu Präsident Bush Verhandlungen in diesem sicherheitspolitisch wichtigen Bereich angeboten. Zwar ist die Entwicklung der amerikanischen SRAM-T und SRAM-2 aufgegeben worden, doch erfolgte dieser Schritt letztlich deswegen, weil für die Bush-Administration keine Chance bestand, dieses Projekt im amerikanischen Kongreß durchzubekommen. Die NATO ihrerseits hält gleichwohl an der Option für den Bau von luftgestützten atomaren Abstandswaffen fest, und Präsident Bush betont die Notwendigkeit, in Europa ein wirksames atomares Potential für den Einsatz in der Luft beizubehalten.
Meine Damen und Herren, wir fordern ein deutliches Wort der Ablehnung der Stationierung solcher modernen Abstandswaffen von der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

Wir fordern auch, daß die NATO endlich auf den Ersteinsatz atomarer Waffen verzichtet.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

Ein atomwaffenfreies Europa braucht nicht länger Vision zu bleiben. Auch Großbritannien und Frankreich bleiben aufgefordert, ihre Atomwaffenarsenale endlich in den Abrüstungsprozeß einzubringen.
Dann möchte ich darauf hinweisen, daß die SPD bereits vor der Bush-Initiative ihre Aufforderung an Frankreich formuliert hat, auf die Stationierung der Hadès-Raketen zu verzichten und diese Raketen zu zerstören. Wo bleibt, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang eine entsprechende Initiative der Bundesregierung?

(Zuruf von der FDP: Wo bleibt der Sozialist Mitterrand?)

Man muß deutlich sagen, daß die Angst, das sowjetische Nuklearpotential von 14 000 kleinkalibrigen Atomsprengköpfen könne im Zuge der Aufsplitterung der Sowjetunion in Einzelrepubliken unkontrollierbar werden oder in die Hände nationalistischer Kräfte gelangen, das Moyens dieser beiden Initiativen war. Die Angst vor den kleinen und Möchtegern-Atommächten diktiert die Strategie der Bush-Initiative. Diese Staaten aber, meine Damen und Herren, haben ihre Potentiale mit kräftiger Beihilfe der Industrieländer, auch der Bundesrepublik, aufbauen können. Legale und illegale Lieferungen deutscher Firmen, z. B. in den Irak, haben den Irak erst in die Lage versetzt, das Atombombenprogramm zu entwickeln.

(Zuruf von der FDP: Wo sind die legalen Lieferungen in diesem Zusammenhang?)

Wer meint, der Gefahr einer möglichen atomaren Bedrohung aus solchen Staaten mit nuklearen Waffen begegnen zu können, wer immer noch Atomwaffen als „last resort'' betrachtet, hat immer noch nicht begriffen, daß ihr Einsatz das Ende jeglicher Zivilisation bedeutet. Es gibt keine politischen nuklearen Waffen. Die Verhinderung der Proliferation, meine Damen und Herren, ist deshalb die wichtigste Voraussetzung zur Friedenssicherung. Schärfste Exportkontrollen für Waffen, Maschinen und Know-how sind von der Bundesregierung einzufordern, auch im Rahmen Europas, auch und gerade mit Blick auf den gemeinsamen europäischen Markt.
Ein Atomteststopp, die Vernichtung der eigenen nuklearen Potentiale, ein Verzicht auf die Produktion dieser Waffen und auf spaltbares waffenfähiges Material wären die wirksamsten Schritte, um die Menschheit von der Geißel der atomaren Bedrohung zu befreien. Die Bundesregierung bleibt deshalb aufgefordert, auch hier eigene Initiativen zu ergreifen.

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204618500
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einmal daran erinnern: In unserer Geschäftsordnung steht, Beiträge in der Aktuellen Stunde sollen bis zu fünf Minuten, nicht über fünf Minuten dauern. Ich habe jetzt dreimal nicht unterbrochen. Ich bitte aber doch wirklich daran zu denken.



Vizepräsident Helmuth Becker
Als nächster hat unser Kollege Dr. Friedbert Pflüger das Wort.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1204618600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die Initiativen von Bush und Gorbatschow möglich geworden sind, hat auch mit der Politik der Bundesregierung zu tun. Auf dem Boden des Harmel-Berichts der NATO aus dem Jahr 1967 baute die Bundesregierung ihre Sicherheitspolitik auf zwei Säulen: Verteidigungsfähigkeit und Entspannung. Es gehörte viel politisches Gespür und sehr viel Mut dazu, die Nachrüstungsentscheidung der NATO 1983 gegen massive Proteste durchzusetzen. Herr Gansel, die Welt sähe heute anders aus, wenn Bonn sich damals zu einseitigen Abrüstungsmaßnahmen hätte verleiten lassen und aus dem Atlantischen Bündnis ausgeschert wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Norbert Gansel [SPD]: Das hat auch niemand gefordert!)

Es ist ein Fehler gewesen, damals den Versuch zu unternehmen, die NATO-Nachrüstungsentscheidung zu boykottieren. Das hätte schlimme Auswirkungen auf das Bündnis gehabt, und es hätte im Osten den Eindruck verstärkt, daß der Westen auf eine Weise eben doch erpreßbar ist. Die Härte und die Entschlossenheit des Westens damals haben erst den Weg für Entspannungspolitik und Abrüstungspolitik hinterher geebnet.

(Walter Kolbow [SPD]: Aber die Ostpolitik hat auch damit zu tun!)

— Natürlich hat auch die Ostpolitik damit zu tun, Herr Kollege. Ich habe von zwei Komponenten gesprochen: von der Entspannung und von der Verteidigungsfähigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Norbert Gansel [SPD]: Wer wollte denn aus der NATO austreten?)

Der Weg, auf dem wir uns durch diese Abrüstungsentscheidungen befinden, ist in der Tat richtig. Aber es ist ein steiler Pfad, der vor uns liegt, mit vielen Hindernissen und Absturzgefahr. Wenn man das Ziel erreichen will, muß man sich diesen Gefahren nüchtern stellen. Ich erlaube mir, Ihnen dazu fünf Gedanken vorzutragen.
Erstens. Außen- und Sicherheitspolitik ist nach dem Ende des Kalten Krieges schwieriger geworden. Zur Zeit des Ost-West-Konfliktes waren Freund und Feind klar bestimmt und die Spielräume für blockunabhängige Initiativen begrenzt. Die klare Definition des Gegners schaffte Geschlossenheit im eigenen Lager. Werden wir sie wahren können angesichts der Tatsache, daß sich der Gegner mehr oder weniger aufgelöst hat? Gestern ging es um das Management des Status quo; heute geht es um die Beherrschung des Wandels. Wir wollen diesen Wandel. Aber er hat eben auch seine Risiken und Schwierigkeiten.
Das Gleichgewicht des Schreckens zwischen den Supermächten hatte nationale, ethnische und religiöse Konflikte unterdrückt. Jeder regionale Streit rief sofort die Supermächte auf den Plan. Das Risiko, mit einem begrenzten Streit einen unbegrenzten Atomkrieg hervorzurufen, ist nun gering geworden. Es ist
deshalb leider nicht auszuschließen, daß die Kriege am Golf und in Jugoslawien vielleicht erst den Beginn einer Kette von Gewalt im Zeitalter nach Ende des Kalten Krieges darstellen.
Zweitens. Der Putsch in der Sowjetunion hat sich durch die von ihm hervorgerufene Gegenwirkung als Teil jener Kraft erwiesen, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Aber war es schon die Schlacht oder nur ein Gefecht, das gegen die Putschisten gewonnen wurde? Niemand sollte vergessen, daß der Ausgang der Ereignisse in Moskau an einem seidenen Faden hing.
Heute hat jemand im Verteidigungsausschuß gesagt, die Niederschlagung des Putsches müsse nun das Ende aller konservativen Bedrohungsszenarien sein.

(Ulrich Irmer [FDP]: Wer war das?)

Ich finde, das ist völlig falsch. Denn es ist eine große Illusion zu glauben, in der Sowjetunion sei die Demokratie so tief verankert, daß sie nunmehr unumstößlich ist. Die katastrophale wirtschaftliche Situation, wachsendes Chaos und Kriminalität, die Konflikte zwischen den Nationalitäten oder die Angst mancher Republiken vor russischer Dominanz — kann uns das alles ruhig schlafen lassen? Oder besteht nicht die Gefahr, daß die Bevölkerung eines Tages gerade die Demokratie für Unordnung und schlechte Versorgungslage verantwortlich macht? Im Rahmen ihrer Möglichkeiten trägt die Bundesregierung dazu bei, eine solche Situation zu verhindern. Ausschließen aber dürfen wir solche Entwicklungen nicht.
Der dritte Gedanke. Die Sowjetunion war für den Westen ein Gegner aber eben auch ein Partner. Jeder freut sich über die Auflösung des östlichen Militärbündnisses und die verstärkte Unabhängigkeit für die Republiken. Aber trotz der Versicherungen Gorbatschows aus der vergangenen Woche bleibt doch fraglich, wie sich das Verhältnis der Republiken zueinander langfristig entwickeln wird. Werden die Teilrepubliken nukleare Mitspracherechte geltend machen? Gelingt es wirklich, die zentrale Verfügung über Atomwaffen zu sichern? Wie stark werden die Nationalgarden der einzelnen Republiken? Wir dürfen nicht davon ausgehen, daß es, sozusagen naturgegeben, nur einen nuklearen Partner im Osten gibt. Was aber heißt das für die Rüstungskontrollpolitik oder für die Gefahren der Verbreitung von Nuklearwaffen?
Viertens. Schließlich wissen wir von zahlreichen ethnischen, religiösen und nationalen Konflikten in Mittel- und Osteuropa. Ökonomische und soziale Verwerfungen, Völkerwanderungen, unsichere politische Systeme — Konfliktstoff ist genug vorhanden. Wir müssen in der Lage sein, die berechtigte Forderung der Völker nach Selbstbestimmung in Einklang zu bringen mit den Erfordernissen von Stabilität und europäischer Politik.
Der fünfte und letzte Gedanke. Angesichts des dramatischen Wandels und der Unsicherheiten in Europa erscheinen die Eckpunkte der Außenpolitik Konrad Adenauers von entscheidender Aktualität: Keine Sonderwege, keine nationalen Alleingänge als Anwort auf internationale Krisen. EG und NATO sollen sich nicht den Anfragen aus Mittel- und Osteuropa entzie-



Dr. Friedbert Pflüger
hen. Assoziation und Liaison sind notwendig. Aber in der Frage der Vollmitgliedschaft sollten keine Illusionen genährt werden. Vertiefung muß Vorrang vor Erweiterung haben. Es ist gerade auch im Interesse der mittel- und osteuropäischen Staaten, daß die Sicherheitsanker EG und NATO funktionstüchtig bleiben. Die Zukunft des Ostens liegt in einem stabilen Westen.
Die Bedrohung durch einen nuklearen Weltkrieg hat abgenommen. Die Risiken konventioneller Regionalkriege haben zugenommen. Auch die Bush-Gorbatschow-Initiative bringt nicht peace for our time. Deshalb müssen wir bei aller Freude über die Ereignisse der letzten Wochen aufmerksam und eben auch verteidigungsfähig bleiben. Deshalb brauchen wir auch in Zukunft unsere Bundeswehr.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204618700
Das Wort hat Frau Kollegin Dr. Sigrid Semper.

Dr. Sigrid Semper (FDP):
Rede ID: ID1204618800
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit den Abrüstungsplänen der Großmächte ist wieder einmal der Begriff der historischen Entscheidung gefallen. Ich weiß nicht, die wievielte historische Entscheidung der vergangenen zwei Jahre diese nun war. Aber fest steht, ob es nun eine war oder nicht: Sie hat unseren großen Beifall verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Norbert Gansel [SPD])

Nachdem die Doktrin der atomaren Abschreckung in der Vergangenheit eine wirksame Abrüstung erschwert hat, sind nun erfreulicherweise direkt zwei einseitige Abrüstungsversicherungen ergangen. Ich spreche absichtlich von zwei einseitigen Angeboten, da es sich bei dem Angebot Gorbatschows nicht nur um eine sogenannte adäquate Reaktion der Sowjets auf das Angebot Bushs handelte.
Sie alle wissen, daß Präsident Gorbatschow das Angebot der USA aufgegriffen hat und darüber hinaus neben einer Zusage, Gleiches zu tun, sogar noch weitergeht: Nicht nur, daß er vermeiden will, neue Raketen zu bauen, sondern er will auch die Marineeinheiten einbeziehen; die Sprengköpfe sollen zentral und geschützt vor dem Zugriff der Einzelstaaten gelagert werden.
Nicht zuletzt zeigt der einseitige einjährige Stopp der Atomtests, wie sehr viel weiter das Angebot des sowjetischen Präsidenten als dasjenige der USA geht.
Um eventuelle Einwände aber gleich zu entkräften, möchte ich anmerken, daß ich hier nicht angetreten bin, um den beiden Präsidenten Noten zu erteilen; denn glücklicherweise sind diese Reden und Anmerkungen aus der Zeit der Konfrontation nunmehr Geschichte geworden.
Es geht nun gerade nicht mehr darum, Atomsprengköpfe wie Erbsen zu zählen. Die Mengenangaben der zu vernichtenden Atomraketen finden sich selbst in
unseren Zeitungen immer seltener wieder. Es ist erfreulich, daß wir wohl alle der Meinung sind, daß es sich bei den gemachten Vorschlägen um eine wirksame Antwort auf die veränderte Lage in der Welt handelt.
Daß die Freude der Deutschen in Ost und West über die Abrüstungsvorschläge am größten ist, ist dabei nur allzu verständlich; denn eine Gemeinsamkeit hatten wir Deutschen in Ost und West auch schon in den vergangenen 40 Jahren, daß nämlich unser Staat der mutmaßliche Kriegsschauplatz sein würde. Gerade vor den jetzt in Rede stehenden atomaren Kurzstrekkenwaffen hatten wir Ost- wie Westdeutschen die größte Angst; denn diese taktischen Waffen hätten in erster Linie unser Vaterland, Zentraleuropa, und nicht das Territorium der Großmächte vernichtet. Aus diesen Gründen ist wohl kein Volk erleichterter als wir Deutschen, daß die Großmächte diese Antwort auf die veränderte Lage unserer Welt gefunden haben. Darum sollten es aber auch wir sein, die darauf achten, daß die Großmächte weiterhin den Mut finden, sich gegenseitig im positiven Sinne in Zugzwang zu setzen.
Noch schöner wäre es allerdings, wenn sich die Briten und Franzosen von den Abrüstungsvorschlägen der Großmächte ebenfalls angesprochen fühlten. Vielleicht gelingt es ja uns Deutschen auf europäischer Ebene, unsere Bündnispartner Großbritannien und Frankreich zu ermuntern, abrüstungspolitische Zeichen zu setzen. Das heißt, unser Nachbarland und Partner Frankreich sollte nicht nur auf die Aufstellung der Hadès-Raketen, sondern auch auf die Produktion und anschließende Einlagerung verzichten.
Es ist darüber hinaus wichtig, daß sich im Zusammenhang mit dem 1995 auslaufenden Nichtweiterverbreitungsvertrag über die Atomwaffen die Nuklearmächte gemeinsam über die zukünftig abnehmende Rolle und Funktion von Nuklearwaffen verständigen und durch eigene Beschränkung das Begehren von Ländern der Dritten Welt auf Entwicklung von A-Waffen vermindern bzw. ausschließen. Es darf nicht sein, daß die nuklearen Supermächte ihre Potentiale abbauen, Staaten der Dritten Welt an ihre Stelle treten und die Instabilität erhöhen würden.
Ich mahne deshalb bei allem Lob für die begrüßenswerte Initiative der USA und der UdSSR auch besonders deutlich ihre Gesamtverantwortung für die Verhinderung der weiteren Ausbreitung der A-Waffen ebenso an wie ihr Verständnis für die, die freiwillig für immer auf die Verfügungsgewalt über diese Waffen verzichtet haben.
Grund, in Euphorie zu verfallen, haben wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Freuen dürfen wir uns aber schon jetzt und außerdem den Wunsch aussprechen, daß aus dem ewigen Wettrüsten der vergangenen Jahre nun ein Wettkampf um die nukleare Abrüstung beginnt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)





Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204618900
Meine Damen und Herren, jetzt hat unser Kollege Dr. Hermann Scheer das Wort.

Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1204619000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alles, was in diesen Monaten und in der vor uns liegenden Zeit passiert, ist eine Folge eines welthistorischen Umbruchs durch den Zerfall der zweiten Welt, eingeleitet durch den Reformkurs Gorbatschows mit auch für ihn ungeahnten Konsequenzen, und das auf der Basis eines zukunftslosen politischen und ökonomischen Systems, das den Zusammenbruch bis hin zu dem des Warschauer Paktes bewirkt hat.
Angesichts dessen zu insinuieren, Herr Kollege Pflüger, daß alles, was jetzt passiert, quasi eine Folge des NATO-Doppelbeschlusses wäre,

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: „Beigetragen" habe ich gesagt!)

ist, mit Verlaub gesagt — egal, wie man zu diesem Beschluß stand — , unter Ihrem Niveau.

(Dr. Karl Lamers [CDU/CSU]: Er ist eine Conditio sine qua non!)

Man muß sich auf der einen Seite über jeden einzelnen atomaren Abrüstungsschritt freuen, wenn man die unglaublichen Kapazitäten, die aufgebaut worden sind, bedenkt. Auf der anderen Seite sind wir weltpolitisch so sehr in einer Sackgasse des Wettrüstens und der damit verbundenen Vernachlässigung anderer menschheitlicher Überlebensaufgaben, daß der kritische Blick gewahrt bleiben muß.
Wir sind uns im klaren, daß ein großer Schritt getan worden ist. Aber die Bewertung eines Schrittes ist eine Frage des Maßstabes. Gemessen an einer klebrigen Geschichte von Abrüstungsverhandlungen der letzten Jahrzehnte — noch beim START-Vertrag konnten wir nur feststellen, daß nach zehn Jahren Verhandlungen nicht mehr an Reduzierung herauskam, als daß der Zustand von vor zehn Jahren, also vom Beginn der Verhandlungen, wiederhergestellt wurde — , ist das, was geschehen ist, ein großer Schritt — ohne jeden Zweifel. Gemessen an den Problemen, die gegeben sind, ist das alles noch keineswegs befriedigend. So sehe ich die Sache, und so sieht es auch meine Fraktion.
Der größte Fortschritt, den ich politisch sehe, weil wir uns bei diesen Dingen nicht mit Raketenzählerei begnügen dürfen, sondern eine politische Bewertung anstellen müssen, ist, daß endlich einmal versucht wird, nicht erst auf der Basis langwieriger, umständlicher, hochkomplexer Verhandlungen einen Schritt weg von den atomaren Overkillkapazitäten zu tun, sondern in einer Abrüstungsdynamik sich wechselseitig befruchtender und anregender einseitiger Schritte. Dies muß auch Konsequenzen für die Zukunft der konventionellen Abrüstungsverhandlungen in Europa haben.

(Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ GRÜNE)

Das ist für mich der größte Fortschritt.
Eine sachliche Bewertung der Ergebnisse führt dahin, daß zunächst einmal eine durchaus umfassende Bereinigung des atomaren Abschreckungssystems
vorgenommen worden ist, indem die instabilsten Systeme, die Systeme, die auch für die Betreiber oder Benutzer mehr Gefahr hervorgerufen als Sicherheit erzeugt haben, beseitigt werden. Das gilt für die Mehrfachsprengköpfe, das gilt für die gesamte maritime Atomrüstung, und das gilt für die atomaren Kurzstreckenwaffen, von denen wir immer sagten, sie tragen mindestens soviel Selbstgefährdung in sich wie Gefährdung für den potentiellen Gegner.
Der Wermutstropfen ist: Es wird nach wie vor an neuen atomaren Kurzstreckenwaffen gerüstet, die aus der Luft abgeschossen würden. Die Antwort auf die entsprechende Frage des Kollegen Gansel, wie denn die Bundesregierung dazu steht, ist ausgeblieben. Das ist bedauerlich für diese Debatte.

(Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Er hat doch keine Frage gestellt!)

— Doch, die Frage ist sehr deutlich gestellt worden.
Bedauerlich ist — auch das gehört zu den Wermutstropfen — , daß von den Vereinigten Staaten von Amerika, bedingt auch von der Sowjetunion — da haben Sie recht mit Ihrem Zwischenruf, Herr Lamers; sie ist nicht mehr auf dem Stand, den ich mir wünschen würde, des Gorbatschow-Vorschlages von 1986

(Karl Lamers [CDU/CSU]: Sie ist realistischer geworden!)

— das ist wieder eine Frage des Maßstabs —, und von den beiden anderen westlichen Atommächten, von der NATO insgesamt am Prinzip der Abschreckung festgehalten wird; und das ist kurzsichtig. Es stellt sich immer mehr die Frage: Abschreckung gegen wen eigentlich? Das Ost-West-Verhältnis ist nicht mehr der Maßstab. Die künftigen Begründungen der Aufrechterhaltung des atomaren Abschreckungssystems sind problematischer als die vorherigen. Die Begründung hat sich dahin gehend gewandelt, daß man sagt: Man braucht die atomaren Systeme als Abschreckungsmittel gegenüber Ländern oder Regionen, in denen es selber keine Atomwaffen gibt. Das heißt, aus einer Paritätsabschreckung wird eine Überlegenheitsabschreckung.

(Ulrich Irmer [FDP]: Wer sagt denn so etwas? — Das habe ich noch nie gehört!)

— Herr Kollege Irmer, ich bewerte etwas politisch mit meinen Worten. Die politische Bewertung ist, wie Sie wissen, immer etwas anders als die offizielle Beschönigung eines Zustandes.

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204619100
Herr Kollege! Dr. Hermann Scheer (SPD): Ich bin sofort fertig.
Die politische Bewertung sieht so aus, daß wir in der großen Problematik stehen, auf diesem Wege die Gefahr der Weiterverbreitung von Atomwaffen nicht einzudämmen, sondern unter Umständen sogar zu schüren.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Quatsch!)

Der große Unterschied zwischen den beiden Vorschlägen von Bush und Gorbatschow besteht in folgendem: Gorbatschow hat sich wie schon einmal 1987 für einen umfassenden Teststopp ausgesprochen und



Dr. Hermann Scheer
hat ein Moratorium dazu eingeleitet. Es ist unverständlich, warum hierzu die amerikanische Seite schweigt, warum hierzu die NATO schweigt. Von unserer Seite aus ist zu fordern, auf dieses Angebot, auf diese ausgestreckte Hand zu einem vollständigen atomaren Teststopp endlich einzugehen. Darüber werden wir hier im Bundestag noch reden.

(Beifall bei der FDP, der PDS/Linke Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204619200
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Heinrich Lummer.

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1204619300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die einen nennen es ein großes Ereignis, die anderen reden von einer bedeutenden historischen Stunde, Kollege Scheer sprach von einem großen Fortschritt — zumindest von einem großen Schritt. Wie auch immer, es gibt Grund zur Freude. Wenn es solche Fortschritte gibt, dann gibt es immer auch die vielen Väter oder Mütter — wie Sie wollen — , die sie bewirkt haben wollen.
Ich finde, darüber sollten wir wirklich nicht streiten, sondern wir sollten einfach sagen: Freuen wir uns darüber; wir haben alle unseren Beitrag dazu geleistet. Die Regierung hat ihn geleistet durch kluges, bedächtiges Handeln, die Opposition durch hartnäckiges, ungeduldiges Drängen. Einen muß ich in dieser Stunde besonders nennen, weil er besonders zufrieden sein wird, nämlich unseren Fraktionsvorsitzenden; denn keiner war so penetrant gegenüber den atomaren Geschossen und Kurzstreckenraketen wie Alfred Dregger. So hat auch er neben den vielen anderen sein Verdienst.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber, wie gesagt, wir sollen uns über die Stunde und über das Ereignis freuen; das ist das Wichtigste.
Meine Damen und Herren, ich will im Grunde nur einen oder zwei Gedanken äußern, die ich für wichtig halte, weil ich glaube, sie sind ein bißchen zu kurz gekommen. Es tauchte immer wieder die Auffassung auf, die Waffen als solche sind unglaublich schrecklich und bedrohlich.

(Vera Wollenberger [Bündnis 90 /GRÜNE]: Sind sie es nicht?)

Das gilt eigentlich für jede Waffe, wenn man so will.
Aber was ist denn die Voraussetzung dafür, daß diese einseitigen Schritte erfolgen konnten und daß sie gegangen worden sind? Inzwischen ist Vertrauen gewachsen, zum Teil durch vertrauensbildende Maßnahmen, zum Teil durch den Fortfall und das Kaputtgehen bestimmter Ideologien. Das Denken war das Schlimme in der Vergangenheit. Dieses hat sich geändert. Das ist der wahre Fortschritt und die wahre Grundlage für diesen Schritt und auch für die künftigen Schritte. Das muß man bewahren, und das, finde ich, muß man pflegen.
Wissen Sie, diese Waffen hatten ja alle schon einen Teil ihres Schreckens dadurch verloren, daß es diese vertrauensbildende Entwicklung gab. Das, meine ich,
ist etwas Wesentliches, was wir sehen müssen und was wir auch in der Zukunft werden pflegen müssen.

(Gernot Erler [SPD]: Neues Denken!)

— Ja, sicher ist das ein Stück neuen Denkens; das ist doch gar keine Frage. Deswegen lege ich Wert auf diese Feststellung und will noch einmal jenen ins Gewissen reden, die immer wieder sagen: Die Waffen als solche sind es. Nein, die Menschen sind es, wenn sie falsch denken und wenn sie böse sind und mit den Dingen schlecht umgehen, und nicht die Waffen als solche.
Wir haben ja vor den französischen Atomwaffen nie Angst gehabt. Aber natürlich werden wir auch den Franzosen sagen müssen, daß diese Waffen, die sie vielleicht noch für sinnvoll halten, für uns keinerlei Sinn mehr machen. Ich denke, wir werden auch da Erfolg haben.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch jetzt schon wieder die Träume von einer atomwaffenfreien Welt. Karl Jaspers ist von Ihnen zitiert worden. Ich glaube nicht, daß Sie ihn richtig verstanden haben. Karl Jaspers hat in den fünfziger Jahren sehr wohl gesehen, daß die Existenz atomarer Waffen wegen ihrer unglaublichen Absurdität eher friedensstiftend als kriegsstiftend ist, daß durch die bloße Existenz, das reine Dasein und Sosein dieser Waffen, weil der Sieg unmöglich wird, auch der Krieg wahrscheinlich unmöglich wird. Das ist eine Seite seines Denkens, die man nicht übersehen darf und die auch wichtig ist.
Aber eines bleibt ja doch wohl vorhanden: das Wissen des Menschen, wie man es macht. Wenn der Teufel einmal aus der Flasche entbunden ist, kriegt ihn niemand wieder zurück. Mit diesem Wissen müssen wir leben. Die Antwort lautet nicht einfach atomwaffenfreie Zonen und atomwaffenfreie Welt, sondern die Antwort ist die ethische Bewältigung dieser Kräfte und dieser Mächte. Das ist die Aufgabe, die wir haben. Denn irgendwo lauern in einem Winkel der Welt immer wieder die Leute, die daran basteln und etwas machen. Sie werden sich die Möglichkeiten dazu schaffen. Ob wir dazu etwas liefern oder nicht, ist ganz egal. Damit müssen wir fertigwerden. Deswegen meine ich, es sollten in diesem Moment nicht zu große Träume über die Folgen, was die Existenz atomarer Waffen überhaupt betrifft, erwachsen.
Die Friedensdividende wird ein bißchen auf sich warten lassen. Denn auch Abrüsten kostet eine Menge Geld, wie wir gegenwärtig sehen. Die einen klagen darüber, daß die Soldaten ein Gebiet verlassen, daß Konsumenten weg sind. Die anderen klagen über die Kosten der Konversion. Es gibt eine Fülle von Problemen, die daraus erwachsen. Aber insgesamt ist es doch ein vorzüglicher Weg, den man mit dem Motto begleiten sollte: Tue Gutes, und rede davon.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)





Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204619400
Meine Damen und Herren, ich erteile als letztem Redner in der Aktuellen Stunde unserem Kollegen Karl Lamers das Wort.

(Dr. Hermann Scheer [SPD]: Laßt den NATO-Doppelbeschluß weg, dann wird es niveauvoller!)


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1204619500
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, daß einseitge Abrüstungsmaßnahmen möglich geworden sind, ist für uns alle ein Grund zur Freude. Aber ich hoffe, wir stimmen auch darin überein, daß einseitige Abrüstung Abrüstungsvereinbarungen nicht ersetzen kann

(Dr. Hermann Scheer [SPD]: Allein nicht ersetzen kann!)

— allein nicht ersetzen kann —,

(Zuruf von der SPD: Das haben wir auch nie gesagt!)

erstens weil, wer einseitig abrüstet, auch einseitig aufrüsten kann, zweitens weil die berühmten nationalen technischen Überwachungsmittel eine vereinbarte wechselseitige Verifikation nicht ersetzen können, und drittens vor allen Dingen deswegen, weil Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen eben ein Element kooperativer Sicherheit sind, das wir doch gemeinsam erstreben.

(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Auch ich will — wie der Kollege Lummer — doch einige Bemerkugen zu dem machen, was, Herr Kollege Gansel, ja ganz offensichtlich der Hintergrund Ihrer ganzen Aktion ist. Sie wollen die atomwaffenfreie Bundesrepublik Deutschland vorbereiten.

(Zustimmung bei der SPD und der Abg. Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE])

Sie kritisieren Präsident Gorbatschow deswegen, weil er Ihnen nicht die richtige Vorlage dazu geliefert hat. Nun ist das Thema nicht aktuell, und wir werden Ihnen auch nicht den Gefallen tun, jetzt darauf hereinzufallen.

(Norbert Gansel [SPD]: Dabei sind Sie schon in der Abseitsfalle drin!)

Ich meine jedoch, wir sollten in der Tat einmal überlegen, was der Kollege Lummer gesagt hat. Herr Kollege Gansel, es ist doch in der Tat so, daß noch nie etwas aus der Welt herausgekommen ist, was durch Menschen in sie hineingekommen ist. Waffen sind immer besser geworden, aber sie sind nicht verschwunden, und die atomaren Waffen werden auch nicht verschwinden. Es wird leider — das ist viel wahrscheinlicher — noch mehr Atomwaffenbesitzer geben als bislang. Deswegen werden diese Waffen in der künftigen Politik eine Rolle spielen, nicht nur in Europa, sondern auch darüber hinaus.
Die entscheidende Frage ist doch, welche Rolle sie spielen und ob und inwieweit wir — Deutschland, meine ich — auf die Gestaltung der Beziehungen zwischen Nuklearmächten und zwischen Nuklearmächten und Nichtnuklearmächten Einfluß nehmen wollen oder ob wir darauf verzichten wollen. Ich meine ganz entschieden, daß wir, ein Land, das ganz bewußt und dauerhaft, für immer auf den Besitz und die Verfügungsgewalt über atomare Waffen verzichtet hat, eine besondere Verantwortung dafür haben, daß ein verantwortungsvoller Umgang mit den nuklearen Waffen gepflogen wird. Ich bin für die Überwindung der nuklearen Abschreckung, weil ich für ein System der nuklearen Abratung bin.
Ich bitte Sie, wirklich einmal zu überlegen — Herr Kollege Gansel, ich habe Ihnen immer Ihr europäisches Engagement abgenommen — , wie es sich denn verträgt, wenn wir mit zwei europäischen Nuklearmächten eine gemeinsame Verteidigung begründen wollen,

(Vera Wollenberger [Bündnis 90/GRÜNE]: Gegen wen?)

aber gleichzeitig gegen jedwede Form von nuklearen Waffen — letztlich ja nicht nur auf unserem Territorium, sondern überhaupt — eintreten sollten, wie Sie es wollen. Das geht nicht.

(Gernot Erler [SPD]: Wollen Sie Hades?)

— Es geht nicht um die Hades. Im übrigen, wenn mich alles so wenig berührte wie das Problem der Hades, Herr Kollege Erler, dann wäre ich noch beruhigter, als ich es im Augenblick ohnehin schon bin.
Es geht ja gar nicht um diese spezielle Frage, sondern es geht um die Frage, wie eine gemeinsame europäische Verteidigung denn funktionieren soll, wenn dort zwei Mächte sind, die über Nuklearwaffen verfügen, und ein drittes Land — nicht das unwichtigste in diesem Konzert, nämlich Deutschland — sich prinzipiell dagegen wendet. Ich sage Ihnen: Das geht nicht. Deswegen ist auch Ihr Streit, den Sie sich mit Ihren französischen Parteikollegen in dieser Frage auch noch aufladen, völlig unnötig.

(Gernot Erler [SPD]: Kein Streit! Dissuasion!)

Er bringt Ihnen nicht nur parteipolitisch nichts, sondern er bringt Ihnen auch in der Sache nichts.

(Dr. Hermann Scheer [SPD]: Was sagen Sie zu Herrn Dregger?)

Deswegen, meine ich, sollten Sie wirklich noch einmal darüber nachdenken, ob die Aktion, die Sie jetzt gestartet haben, Ihnen überhaupt etwas zu bringen vermag. Ich sage Ihnen: Mit Sicherheit bringt sie Ihnen nur Minuspunkte ein und sonst gar nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Norbert Gansel [SPD]: Den Beifall Ihres Fraktionsvorsitzenden! — Weiterer Zuruf von der SPD: Den Beifall von Herrn Dregger!)


Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1204619600
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 10. Oktober 1991, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.