Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, daß einseitge Abrüstungsmaßnahmen möglich geworden sind, ist für uns alle ein Grund zur Freude. Aber ich hoffe, wir stimmen auch darin überein, daß einseitige Abrüstung Abrüstungsvereinbarungen nicht ersetzen kann
— allein nicht ersetzen kann —,
erstens weil, wer einseitig abrüstet, auch einseitig aufrüsten kann, zweitens weil die berühmten nationalen technischen Überwachungsmittel eine vereinbarte wechselseitige Verifikation nicht ersetzen können, und drittens vor allen Dingen deswegen, weil Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen eben ein Element kooperativer Sicherheit sind, das wir doch gemeinsam erstreben.
Auch ich will — wie der Kollege Lummer — doch einige Bemerkugen zu dem machen, was, Herr Kollege Gansel, ja ganz offensichtlich der Hintergrund Ihrer ganzen Aktion ist. Sie wollen die atomwaffenfreie Bundesrepublik Deutschland vorbereiten.
Sie kritisieren Präsident Gorbatschow deswegen, weil er Ihnen nicht die richtige Vorlage dazu geliefert hat. Nun ist das Thema nicht aktuell, und wir werden Ihnen auch nicht den Gefallen tun, jetzt darauf hereinzufallen.
Ich meine jedoch, wir sollten in der Tat einmal überlegen, was der Kollege Lummer gesagt hat. Herr Kollege Gansel, es ist doch in der Tat so, daß noch nie etwas aus der Welt herausgekommen ist, was durch Menschen in sie hineingekommen ist. Waffen sind immer besser geworden, aber sie sind nicht verschwunden, und die atomaren Waffen werden auch nicht verschwinden. Es wird leider — das ist viel wahrscheinlicher — noch mehr Atomwaffenbesitzer geben als bislang. Deswegen werden diese Waffen in der künftigen Politik eine Rolle spielen, nicht nur in Europa, sondern auch darüber hinaus.
Die entscheidende Frage ist doch, welche Rolle sie spielen und ob und inwieweit wir — Deutschland, meine ich — auf die Gestaltung der Beziehungen zwischen Nuklearmächten und zwischen Nuklearmächten und Nichtnuklearmächten Einfluß nehmen wollen oder ob wir darauf verzichten wollen. Ich meine ganz entschieden, daß wir, ein Land, das ganz bewußt und dauerhaft, für immer auf den Besitz und die Verfügungsgewalt über atomare Waffen verzichtet hat, eine besondere Verantwortung dafür haben, daß ein verantwortungsvoller Umgang mit den nuklearen Waffen gepflogen wird. Ich bin für die Überwindung der nuklearen Abschreckung, weil ich für ein System der nuklearen Abratung bin.
Ich bitte Sie, wirklich einmal zu überlegen — Herr Kollege Gansel, ich habe Ihnen immer Ihr europäisches Engagement abgenommen — , wie es sich denn verträgt, wenn wir mit zwei europäischen Nuklearmächten eine gemeinsame Verteidigung begründen wollen,
aber gleichzeitig gegen jedwede Form von nuklearen Waffen — letztlich ja nicht nur auf unserem Territorium, sondern überhaupt — eintreten sollten, wie Sie es wollen. Das geht nicht.
— Es geht nicht um die Hades. Im übrigen, wenn mich alles so wenig berührte wie das Problem der Hades, Herr Kollege Erler, dann wäre ich noch beruhigter, als ich es im Augenblick ohnehin schon bin.
Es geht ja gar nicht um diese spezielle Frage, sondern es geht um die Frage, wie eine gemeinsame europäische Verteidigung denn funktionieren soll, wenn dort zwei Mächte sind, die über Nuklearwaffen verfügen, und ein drittes Land — nicht das unwichtigste in diesem Konzert, nämlich Deutschland — sich prinzipiell dagegen wendet. Ich sage Ihnen: Das geht nicht. Deswegen ist auch Ihr Streit, den Sie sich mit Ihren französischen Parteikollegen in dieser Frage auch noch aufladen, völlig unnötig.
Er bringt Ihnen nicht nur parteipolitisch nichts, sondern er bringt Ihnen auch in der Sache nichts.
Deswegen, meine ich, sollten Sie wirklich noch einmal darüber nachdenken, ob die Aktion, die Sie jetzt gestartet haben, Ihnen überhaupt etwas zu bringen vermag. Ich sage Ihnen: Mit Sicherheit bringt sie Ihnen nur Minuspunkte ein und sonst gar nichts.