Protokoll:
11092

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 92

  • date_rangeDatum: 9. September 1988

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:41 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/92 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 92. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989 (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung): Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988 (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 6297 A Frau Verhülsdonk CDU/CSU 6301 A Frau Schoppe GRÜNE 6302 D Zywietz FDP 6304 A Dr. Hoffacker CDU/CSU 6305 C Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 6307 C Jaunich SPD 6312 C Möllemann, Bundesminister BMBW 6313 C Frau Odendahl SPD 6315 B Daweke CDU/CSU 6317D Wetzel GRÜNE 6318 C Dr. Struck SPD 6320 A Austermann CDU/CSU 6321D Ebermann GRÜNE 6323 C Dr. Weng (Gerlingen) FDP 6325 A Walther SPD 6326 D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF 6329 D Nächste Sitzung 6334 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 6335* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 6335* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. September 1988 6297 92. Sitzung Bonn, den 9. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Bahr 9. 9. Dr. Bangemann 9. 9. Frau Beck-Oberdorf 9. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen) * 9. 9. Büchner (Speyer)* 9. 9. Dörflinger 9. 9. Eylmann 9. 9. Gattermann 9. 9. Dr. Gautier 9. 9. Dr. Geißler 9. 9. Glos 9. 9. Dr. Glotz 9. 9. Dr. Götz 9. 9. Dr. Hauchler 9. 9. Dr. Hauff 9. 9. Dr. Haussmann 9. 9. Heimann 9. 9. Heyenn 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger** 9. 9. Jung (Düsseldorf) 9. 9. Dr.-Ing. Kansy** 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Frau Kelly 9. 9. Kiechle 9. 9. Klein (Dieburg) 9. 9. Klose 9. 9. Dr. Kreile 9. 9. Kroll-Schlüter 9. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)** 9. 9. Leidinger 9. 9. Frau Luuk 9. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Reddemann* 9. 9. Reschke 9. 9. Reuschenbach 9. 9. Frau Rust 9. 9. Schäfer (Mainz) 9. 9. Schmidt (München) 9. 9. Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 9. 9. Frau Dr. Sonntag-Wolgast 9. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Tietjen 9. 9. Tillmann 9. 9. Voigt (Frankfurt) 9. 9. Dr. Vondran 9. 9. Vosen 9. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wieczorek-Zeul 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Wissmann 9. 9. Würtz 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 8. Juli 1988 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Steuerreformgesetz 1990 Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Sozialgesetzbuches über die Übertragung, Verpfändung und Pfändung von Ansprüchen auf Sozialleistungen, zur Regelung der Verwendung der Versicherungsnummer und zur Änderung anderer Vorschriften (Erstes Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches -1. SGBÄndG) Gesetz zur Bildung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen in den Betrieben Gesetz zur Bildung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen in den Verwaltungen Neuntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und Siebtes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" Drittes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes Gesetz zu den Protokollen vom 25. Mai 1984 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1969 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden und zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1971 über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden Gesetz über die Haftung und Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden durch Seeschiffe (Ölschadengesetz - ÖlSG) Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 53 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Oktober 1936 über das Mindestmaß beruflicher Befähigung der Schiffsführer und Schiffsoffiziere auf Handelsschiffen Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 125 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 1966 über die Befähigungsnachweise der Fischer Gesetz zu dem Abkommen vom 11. April 1984 zur Änderung des Anhangs zur Satzung der Europäischen Schule Gesetz zur Umsetzung der Apotheker-Richtlinien der EG (85/ 432/EWG und 85/433/EWG) in deutsches Recht Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" Gesetz zur steuerlichen Begünstigung von Zuwendungen an unabhängige Wählervereinigungen Zu den drei letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat nachfolgende Entschließungen gefaßt bzw. angenommen. 1. Entschließung zum Gesetz zur Umsetzung der Apotheker-Richtlinien der EG (85/432/EWG und 85/433/EWG) in deutsches Recht: 6336* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. September 1988 Der Bundestag hat in einer zusammen mit dem Gesetzesbeschluß gefaßten Entschließung für eine Apothekerausbildung plädiert, die ein vollwertiges achtes Hochschulsemester umfaßt und erwartet alsbald die Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung. Der Bundesrat, der sich bereits im ersten Durchgang für eine baldmögliche Klärung der Frage der Ausbildungsdauer eingesetzt hat, vertritt demgegenüber die Auffassung, daß die Bundesregierung vor der Vorlage ihres Gesetzentwurfs das Ergebnis der Beratungen der gemeinsamen Arbeitsgruppe von BMJFFG, KMK und GMK abwarten sollte, die derzeit auf der Grundlage des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 24./25. April 1988 Vorschläge für die Ausfüllung eines zusätzlichen Semesters und für eine stoffliche Entlastung des Studiums der Pharmazie erarbeitet; das Ergebnis der Beratungen wird zum Herbst 1988 vorliegen. Er bittet die Bundesregierung, im Anschluß hieran die Klärung der Frage der Ausbildungsdauer so rechtzeitig abzuschließen, daß ein entsprechender Gesetzentwurf noch in diesem Jahr eingebracht werden kann. Die Anpassung der deutschen Apothekerausbildung an das EG-Recht duldet keinen weiteren Aufschub. 2. Entschließung zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes": Der Bundesrat stellt zu dem zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern am 19. Mai 1988 vereinbarten Kompromiß, Maßnahmen nach dem Extensivierungsgesetz (Stillegung von Ackerflächen, Extensivierung und Umstellung der Erzeugung gemäß Verordnung [EWG] Nr. 1094/88 des Rates) in einem Sonderrahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe bei einem begrenzten Plafond im Verhältnis von 70 : 30 von Bund und Ländern zu finanzieren, folgendes fest: — Durch den Sonderrahmenplan wird die grundsätzliche Finanzierung der Gemeinschaftsaufgabe im Verhältnis 60 : 40 nicht berührt. — Die Formulierung in Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a in § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b schafft nur die Rechtsgrundlage für Extensivierungsmaßnahmen gemäß dem Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 19. Mai 1988. — Die Mitfinanzierung stellt kein Präjudiz für eine Finanzbeteiligung der Länder bei vergleichbaren künftigen Fällen dar. Der Bundesrat stimmt dem Änderungsgesetz in der vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Fassung ausdrücklich nur unter der Maßgabe des Artikels 8 Abs. 2 zu, wonach die neu eingefügten Bestimmungen „Anpassung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe an die Marktentwicklung" (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) und die Finanzierung im Verhältnis 70 : 30 (im § 10 Abs. 1 die Worte „Nr. 1 Buchstabe b und") mit Ablauf des 30. Juni 1993 außer Kraft treten. Der Bundesrat erklärt, daß die Länder keine über den Rahmen von 250 Millionen DM Bundesmittel hinausgehende Verpflichtung bei Überzeichnung oder Aufstockung der Maßnahmen anerkennen. Die Bundesregierung wird gebeten, die Finanzierungsgrundlagen für eine kontinuierliche Durchführung der Maßnahmen gemäß Verordnung (EWG) Nr. 1094/88 des Rates sicherzustellen. Der Bundesrat stellt fest, daß die von der Bundesregierung initiierte Änderung des § 11 Abs. 3 hinsichtlich der Abführung von anteiligen Zinsen (siehe die Gegenäußerung der Bundesregierung vom 6. August 1987) der Auffassung der Länder nicht entspricht. Dem Bundesrat ist es durch das von der Bundesregierung gewählte Verfahren nicht möglich, seine abweichende Auffassung noch im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Geltung zu bringen, da das Gesetz bereits am 1. Juli 1988 in Kraft treten soll. Er hält seinen abweichenden Rechtsstandpunkt weiterhin aufrecht und wird zu gegebener Zeit eine entsprechende Änderung anstreben. Der Bundesrat weist darauf hin, daß zur Finanzierung von EG-Maßnahmen seit 1973 unterschiedliche Auffassungen zwischen Bund und Ländern bestehen und die Frage der Finanzierung von EG-Maßnahmen einer grundsätzlichen rechtlichen Klärung bedarf. Der Bundesrat ist der Auffassung, daß Maßnahmen der Marktentlastung in die Zuständigkeit der EG und des Bundes fallen und von ihnen zu finanzieren sind. 3. Entschließung zum Gesetz zur steuerlichen Begünstigung von Zuwendungen an unabhängige Wählervereinigungen: Der Bundesrat hält es für erforderlich, daß entsprechend der Handhabung bei den Parteien den Finanzämtern jeweils rechtzeitig vor der Einkommen- und Körperschaftsteuerveranlagung ein Verzeichnis der für den Veranlagungszeitraum zum Abzug berechtigten unabhängigen Wählervereinigungen zur Verfügung gestellt wird. Die Finanzämter wären im einzelnen Besteuerungsfall häufig kaum oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand in der Lage festzustellen, ob ein Verein die Voraussetzungen des steuerwirksamen Spenden- und Beitragsabzugs erfüllt. Da die Zahl der einschlägigen Vereine zudem sehr groß sein dürfte, kann die ordnungsgemäße Besteuerung nur gewährleistet werden, wenn den Finanzämtern rechtzeitig ein Verzeichnis aller berechtigten Vereine zur Verfügung gestellt wird. Dies sollte im Verwaltungswege möglichst einheitlich für das Bundesgebiet geschehen. Die Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 10/5627 Drucksache 11/1027 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß sie die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen haben: Innenausschuß Drucksache 11/2465 Nr. 2.1 Drucksachen 11/2580 Nr. 1 und 3 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/1895 Nr. 2.37 Haushaltsausschuß Drucksache 11/2266 Nr. 2.2 Drucksachen 11/2580 Nr. 7 und 8 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 3. August 1988 gemäß § 30 Absatz 4 des Bundesbahngesetzes den Wirtschaftsplan nebst Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1988 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Ein Abdruck des Genehmigungserlasses ist dem Wirtschaftsplan und dem Stellenplan vorgeheftet. Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109200000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Aussprache über Punkt 1 der Tagesordnung und über den Zusatzpunkt zur Tagesordnung fort:
1. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989

(Haushaltsgesetz 1989)

— Drucksache 11/2700 —
Überweisung: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992
— Drucksache 11/2701 —
Überweisung: Haushaltsausschuß
ZP Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988

(Nachtragshaushaltsgesetz 1988) — Drucksache 11/2650 —

Überweisung: Haushaltsausschuß
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt.

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1109200100
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kollegen und liebe Kolleginnen!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Guten Morgen, sehr geehrte Frau Ministerin! Eine der schönsten Aufgaben, die unser Gemeinwesen zu vergeben hat, haben Sie inne, Frau Professor Süssmuth: nicht nur Anwältin von Familien, Kindern, Jugendlichen, Frauen und auch unser aller Gesundheit sein zu dürfen, also nicht nur für Menschen reden zu können, sondern auch für Familien, Kinder und Frauen etwas zu tun. Sie und die Regierung haben uns am Anfang dieser Legislaturperiode gesagt, wie Sie diese Aufgabe erfüllen wollen. Mit diesem Haushalt, den Sie uns jetzt vorlegen, legen Sie fest, was bis weit über die Hälfte der Legislaturperiode geschehen bzw. nicht geschehen soll. Deshalb müssen Sie und muß sich die Regierung daran messen lassen, was Sie uns anläßlich der Regierungserklärung vor knapp zwei Jahren angekündigt haben, was Sie nicht etwa uns, sondern den Familien, den Frauen, den Kindern und der Jugend versprochen haben.
Wie füllen Sie nun Ihre Rolle als Anwältin der Familien aus? Herr Bundeskanzler Kohl hat hier im Deutschen Bundestag im März 1987 erklärt:
Den Familienlastenausgleich werden wir deshalb noch gerechter gestalten — durch eine Erhöhung des Kindergeldes . . .
Er hat weiter gesagt: Wir werden sie
— gemeint waren Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub —
erweitern und dabei auch den besonderen Belangen der Alleinerziehenden Rechnung tragen.
Da gab es keine Einschränkungen, genauso wenig wie bei Ihnen im November 1987, als Sie sagten:
Ich halte die Zusage, daß das Erziehungsgeld noch in dieser Legislaturperiode über das erste Lebensjahr des Kindes ebenso wie der Erziehungsurlaub ausgedehnt wird.
Im Haushalt 1988 findet sich nichts, und die Begehrlichkeiten vieler richten sich auf den Bundesbankgewinn, auf die schwarze Kasse Stoltenbergs, so daß einmal mehr zu befürchten ist: Die Macht von Süssmuth und Fink wird wieder nicht ausreichen, schönen Reden adäquates Handeln folgen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Aber, Frau Süssmuth, es geht ja nicht nur um versprochene, aber nicht realisierte Verbesserungen, sondern es müßte Ihnen als Anwältin der Familien



Frau Schmidt (Nürnberg)

darum gehen, wenigstens Verschlechterungen zu verhindern oder rückgängig zu machen. Deshalb frage ich Sie: Wo waren Sie eigentlich — und mit welchem Erfolg —, als es darum ging, für dieses Jahr die Kürzung der Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zu verhindern,

(Beifall bei der SPD)

eine Kürzung, die für die Familien bedeutet, daß sie für ihre erwachsenen arbeitslosen Kinder, denen sie bereits die Ausbildung finanziert haben, weiter voll aufkommen müssen? Wo waren Sie — und mit weichem Erfolg — , als zumindest angekündigt wurde, den unsozialen Kahlschlag des Schüler-BAföG rückgängig zu machen? Passiert ist nichts! Es reicht eben nicht, wenn Ihr Haus Statistiken verteilt, die deutlich machen, daß einer Familie mit einem Monatseinkommen von 2 000 DM und mit zwei Kindern in weiterführender schulischer Ausbildung nicht einmal mehr das Existenzminimum bleibt. Sie müssen das auch ändern, wenn sich in dieser Gesellschaft etwas ändern soll!

(Beifall bei der SPD)

Ich will nicht noch einmal auf die ungerechte, unsoziale, die Familien benachteiligende Steuerreform eingehen, nicht noch einmal auf die kritischen und enttäuschten Stellungnahmen der Familienverbände dazu, nicht darauf, daß die Verbrauchsteuererhöhungen gerade Familien besonders belasten. Familien können rechnen; Familien müssen rechnen. Sie werden die Bilanz selber ziehen können und wissen, daß ihnen in die eine Tasche Münzen gesteckt und aus der anderen Scheine genommen werden.

(Beifall bei der SPD)

Überall da haben Sie als Anwältin der Familien versagt; überall da hat die Regierung versagt; überall da sind Sie untätig geblieben.
Aber nun wird ja alles anders. Denn es gibt ein im Haushalt ausgewiesenes Programm „Zukunft der Familie". Um dieses Programm zu begründen, werden die Schwierigkeiten von Familien richtig analysiert, die geringer werdende Bereitschaft, Familien zu gründen und Kinder zu bekommen, beklagt und die richtige Schlußfolgerung gezogen — ich zitiere —:
Es ist daher unbedingt erforderlich, Gegenstrategien und Maßnahmen zu entwickeln, die die Familie wieder stärken.
Richtig! Stutzig machen sollte uns allerdings, daß das für 15 Millionen DM durchführbar sein soll, also z. B. die Hilfe und Unterstützung der werdenden Mütter oder die kinderfreundlichere Gestaltung unserer Gesellschaft.
Aber dann wird ja alles klar: Sie wollen kein Programm „Zukunft der Familie " ; Sie wollen eine Informationskampagne mit öffentlichen Geldern, geplant bis weit in das Wahljahr 1990 hinein. Sie wollen nicht handeln; Sie wollen auch nicht helfen; Sie wollen wieder nur darüber reden, wie andere helfen sollen.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich habe wahrhaftig nichts dagegen — denn ich bin ein Familientier —,
wenn Bewußtsein zugunsten von Familien geschaffen werden soll.

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Was ist denn ein Familientier?)

— Das ist jemand, der seine Familie liebt und sich in ihr so wohl fühlt wie eine Katze in einer warmen Stube.

(Beifall bei der SPD — Link [Diepholz] [CDU/ CSU]: Und das sprechen Sie uns ab?)

Mir stinken auch Hausbesitzer, die billige größere Wohnungen nur an kinderlose ältere Ehepaare vermieten, die gerade noch einen Hund haben dürfen. Ich finde es entsetzlich, wenn der Fetisch Auto und die angebliche Freiheit zu rasen, wie es uns beliebt, die Anzahl der getöteten Kinder im Verkehr sprunghaft steigen läßt. Aber da reichen doch Informationskampagnen nicht. Die Stärkung von Familien ist für 15 Millionen DM nicht zu haben,

(Beifall bei der SPD)

sondern es bedarf preiswerten Wohnraums, indem der gemeinnützige Wohnungsbau erhalten bleibt.
So richtig unsere Bemühungen sind, Aussiedler menschenwürdig unterzubringen, so notwendig ist es, die bereits vorhandenen schlangestehenden wohnungssuchenden Familien ebenfalls menschenwürdig unterzubringen.

(Beifall bei der SPD)

Es bedarf eines vernünftigen Familienlastenausgleichs; es bedarf guter Ausbildungschancen, und die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern muß gewährleistet sein. Dazu brauchen wir Gesetzesänderungen, und dazu brauchen wir materielle Leistungen.
Wir haben ein Sofortprogramm für Familien vorgeschlagen und im Bundestag eingebracht, ein Programm, das die Gegenwart und Zukunft von Familien tatsächlich verbessern würde. Ohne uns etwas vorzumachen, ohne uns und anderen eine heile Welt vorzugaukeln, ohne Gewalt und Enttäuschungen zu leugnen und ohne andere Lebensformen zu verteufeln und schädigen zu wollen, wissen wir Sozialdemokraten, daß sich die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, nach Vertrauen und Sicherheit nach wie vor für viele Menschen, für die meisten Menschen, in der Familie erfüllen.

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Seit wann wissen Sie das denn?)

— Ach, wissen Sie, es ist sehr albern, mir so etwas vorzuwerfen. Ich kann Ihnen mit meinen drei Kindern und mit meinen zwei Enkelkindern gar nicht sagen, wie albern das ist.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wollen wir, und zwar durch konkretes Handeln und nicht durch wohlfeile Werbung, Familien in ihren Lebensbedingungen stärken.
Wenn Sie Mütter schützen wollen, Frau Ministerin, dann hätten Sie dazu Gelegenheit gehabt, als ich Sie
— wie alle Kolleginnen des Deutschen Bundestages — auf die Mütter aufmerksam machte, die derzeit in Memmingen verfolgt werden, Mütter von mehreren Kindern, in schwierigsten sozialen Umständen le-



Frau Schmidt (Nürnberg)

bend, die am Sonntag die Tür öffnen und sich von zwei sehr jungen, etwas schnöseligen Polizeibeamten vor ihren Kindern fragen lassen müssen: Wissen Sie eigentlich, daß Sie gemordet haben?, kranke Mütter von mehreren Kindern mit arbeitslosen Männern, die teilweise alkoholabhängig waren, die wegen eines Schwangerschaftsabbruchs zu Geldstrafen, die diese Familien vor erhebliche Existenznöte gestellt haben, verurteilt wurden;

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Das ist die von Ihnen so bezeichnete Hexenjagd!)

Richter, die stereotyp in mehr als 150 Fällen soziale Notlagen mehr als zwei Jahre hinterher aberkannten und diesen Müttern genauso stereotyp die Freigabe der Kinder zur Adoption empfohlen haben.
Wissen Sie, daß Sie mit Ihrer von Ihnen angezettelten Diskussion über Ihr unnützes Schwangerenberatungsgesetz das Klima für solch unmenschliche, frauenverachtende und kinderfeindliche Rechtsprechung mitbereiten? Warum haben Sie nicht ein klares Wort zugunsten dieser Frauen gefunden?

(Beifall bei der SPD — Dr. Hoffacker [CDU/ CSU]: Kinderfeindlich? Die werden doch abgetrieben!)

Warum verzichten Sie nicht endlich auf diesen Gesetzentwurf? Warum schützen Sie nicht Leben wirksam? Warum lassen Sie sich nicht von den Beraterinnen und Beratern endlich eines Besseren belehren? Warum nehmen Sie nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Max-Planck-Instituts endlich zur Kenntnis? Warum helfen Sie nicht Frauen in Schwangerschaftskonflikten wirklich, wie wir es in dem von mir zitierten Sofortprogramm vorschlagen, in dem wir die Anregungen der Schwangerschaftsberatungsstellen aufgenommen haben? Warum verstärken Sie nicht bundesweit die Aufklärung über Schwangerschaftsverhütung? Warum lassen Sie zu, daß in der Ihnen unterstellten Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung das einzige einschlägige Material seit Monaten vergriffen ist?
Sieht es mit Ihrer Rolle, mit der Rolle der Regierung als Anwalt der Jugend besser aus? Was hat die Regierung Kohl 1987 versprochen? Wir wollen die Neuordnung des Jugendhilferechts in Angriff nehmen — ein Zitat. Und seine Ministerin wörtlich hier im Deutschen Bundestag:
Wir haben das Jugendhilferecht in dieser Legislaturperiode noch nicht reformiert, aber ich gehe davon aus, daß wir zu Beginn der nächsten Legislaturperiode — ich betone: zu Beginn — gerade diesen Bereich zuerst in Angriff nehmen werden.
Der Beginn der Legislaturperiode liegt ja nun schon ein bißchen zurück. Es reicht eben nicht, davon auszugehen, es reicht offensichtlich auch nicht, wenn in dieser Regierung ein Kanzler etwas ankündigt. Kämpfen muß die Frau und nicht nur ankündigen.

(Beifall bei der SPD)

Wo ist eigentlich Ihr entschiedener Widerstand gegen ein soziales Pflichtjahr für Mädchen? Die einzige Jugend- und Kinderpolitik, die in dieser Legislaturperiode betrieben wurde, besteht in der Verlängerung des Zivildienstes auf zwei Jahre und dem Sperren von Mitteln im Bundesjugendplan.

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Nun malen Sie doch keinen Popanz!)

Sehr geehrte Damen und Herren, wo viel Schatten ist, gibt es, nicht gerade viel, aber doch auch Licht. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich und nach wie vor die beständige und konsequent durchgehaltene Haltung der Ministerin zum Thema AIDS. Leider scheinen aber die ungelösten Konflikte, hie Gauweiler und CSU, hie Süssmuth, Teile der CDU, FDP, SPD und der GRÜNEN, zu einer gewissen Unbeweglichkeit zu führen. So bedauern wir, daß die Haushaltsansätze für AIDS-Bekämpfung im Haushaltsentwurf gesunken sind. So beklagen wir ein gewisses Gießkannenprinzip bei der Förderung von Betreuungsstellen. Was soll z. B. eine Anzeige mit der Überschrift „An intravenös Drogenabhängige" in 195 Tageszeitungen geschaltet, z. B. in der „FAZ", in der „Welt" und ähnlichen Zeitungen? Hier dürfte die Zielgruppe wohl nicht unbedingt erreicht werden.
Wir beklagen auch, daß der Haushalt einfach starr weitergeschrieben wurde, obwohl neue internationale Erfahrungen vorliegen und obwohl der Zwischenbericht der Enquete-Kommission vorliegt. Auch wenn er noch nicht diskutiert wurde, hätte es sich angeboten, die einstimmig verabschiedeten Empfehlungen an die Bundesregierung umzusetzen. Wir beklagen weiterhin, daß trotz Ihrer Erkenntnisse in den USA und Ihrer differenzierten Aussagen zu Methadon der Titel AIDS und Drogen genausowenig erhöht wurde wie erkennbar ist, ob Sie die Maßnahmen im Drogenbereich durch Streetworkertätigkeit und Spritzenaustauschprogramme erweitern wollen. Drogenpolitik darf nicht nur unter dem Stichwort AIDS stattfinden und bedeutet mehr als die Diskussion über Methadon. So fordern wir Sie auf, dafür zu sorgen, daß das Zeugnisverweigerungsrecht für in der Drogenberatung tätige Sozialarbeiter gesetzlich verankert wird.

(Beifall bei der SPD)

Leider müssen wir im übrigen Gesundheitsbereich unsere Kritik der vergangenen Jahre wiederholen. Nach wie vor werden Sie Ihrer Verantwortung als federführendes Ministerium für Lebensmittelrecht und Fleischhygiene nicht gerecht. Sie überlassen das Tätigwerden oder das Abwiegeln — meistens das Abwiegeln — jeweils Ihren Kollegen Umwelt- oder Landwirtschaftsminister. Und wir müssen fragen: Wann endlich — nach dem Glykol- und Bierskandal, nach dem Bruteier- und Hormonskandal — werden Sie die Initiative zu einer Verschärfung des Lebensmittelrechts ergreifen?

(Beifall bei der SPD)

Auch auf einem anderen Feld der Gesundheits-, Familien- und Frauenpolitik erwarten wir außer unverbindlichen Äußerungen verbindliche Initiativen, und zwar im Bereich der Gentechnologie, der Reproduktionstechnologie und der Leihmutterschaft. Wir wissen, daß Sie vieles wie wir ablehnen, aber dann sind ebenfalls gesetzliche Maßnahmen hier bei uns und Durchsetzungsvermögen innerhalb der EG gefragt.



Frau Schmidt (Nürnberg)

Wir meinen auch, daß Sie Ihrer Aufsichtspflicht gegenüber dem Bundesgesundheitsamt verstärkt nachkommen müssen. Wir sehen mit Besorgnis die zunehmenden Verbindungen und Verflechtungen mit der Industrie, die leicht zu Verfilzungen weiden können. Vielleicht sollte sich das Bundesgesundheitsamt mehr um die Wahrung seiner Unabhängigkeit sorgen und weniger darum, Huflattichtee zu verbieten.

(Beifall bei der SPD)

Nun bleibt uns noch das zusätzliche „F" im Namen des Ministeriums. Was wurde im März 1987 versprochen, und was wird bis Ende 1989 gehalten? Versprochen wurde eine Teilzeitoffensive. Sie ist jedoch vor sandet. Zusätzliche Teilzeitarbeitsplätze gibt es kaum. Qualifizierungsmaßnahmen für Teilzeitbeschäftigte werden in allen Arbeitsämtern gestrichen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Sie sollten einmal unsere Beschlußlage nachlesen. Auch wir sagen, daß Teilzeitarbeit für viele Frauen, nachdem noch nicht genügend Vereinbarkeit von Beruf und Familie geschaffen worden ist, leider die einzige Möglichkeit ist, erwerbstätig zu sein. Deshalb muß man etwas tun. Deswegen darf man Qualifizierungsmaßnahmen für Teilzeitbeschäftigte nicht streichen, sondern man muß etwas tun.

(Beifall bei der SPD)

Durch die Verlagerung des Benachteiligtenprogramms ist die Bundesanstalt im Qualifizierungsbereich zahlungsunfähig. Leidtragende sind die Frauen. Deshalb bleibt auch Ihr Modellprogramm für Wiedereingliederung Augenwischerei. Wenn dies die notwendigen Förderungsprogramme sein sollen, die der Herr Bundeskanzler vollmundig angekündigt hat, dann können wir nur sagen: Das ist zu kurz gegriffen. Was soll es helfen, wenn wieder einmal ein Modellprogramm zur Qualifzierung aufgelegt wird und in zwei, drei Jahren daraus ein Broschürchen entsteht und vielleicht 100 oder 200 Frauen daran teilgenommen haben? Allein die Literaturliste Ihres Ministeriums zur Wiedereingliederung von Frauen nach der Familienphase umfaßt 22 Titel. Wir sind in der Lage und gerne bereit, diese Liste zu ergänzen. Die Qualifizierungsnotwendigkeiten für Frauen nach der Familienphase sind bekannt, ihre Bedürfnisse sind ebenfalls bekannt. Die Zeiten der Modellvorhaben auf diesem Sektor sind vorbei.

(Beifall bei der SPD)

Hier ist die Frau ein wirklich erforschtes Wesen. Jetzt geht es darum, Rechtsansprüche auf Qualifizierung für diese Mütter zu schaffen und nicht Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit zu streichen.

(Erneuter Beifall bei der SPD)

Jetzt geht es darum, Einstellungshindernisse für Frauen zu mildern und im öffentlichen Dienst des Bundes Vorreiter zu sein. Es ist doch eine Farce, wenn ausgerechnet in den Bundesministerien, bei Post und Bundesbahn für Frauen, die in Mutterschafts- und Erziehungsurlaub gehen, in vielen Fällen keine Ersatzeinstellungen vorgenommen werden. Daß diese Vorgesetzten nie wieder Frauen einstellen, wenn sie dann niemanden als Ersatz bekommen, ist
Ihnen und mir und uns allen doch wohl klar. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

(Zustimmung bei der SPD)

Jetzt geht es darum, das Beschäftigungsförderungsgesetz, das Frauen im gebährfähigen Alter nur noch befristete Arbeitsplätze beschert und ihnen damit bei einer Schwangerschaft die Arbeitsplatzgarantie nimmt, abzuschaffen. Jetzt geht es darum, wie Sie es angekündigt haben, die explosionsartig ansteigende Zahl geringfügiger Arbeitsverhältnisse endlich versicherungspflichtig zu machen

(Beifall bei der SPD)

und von den unverbindlichen und weitgehend ergebnislosen Frauenförderungsplänen wegzukommen und endlich die von Ernst Benda und Heide Pfarr vorgeschlagene verbindliche Frauenförderung einzuführen. Auf gut deutsch: die Quote im öffentlichen Dienst.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb, meine Herren und Damen, Frau Ministerin, gestatten Sie, daß ich mich hier zum Schluß von Herzen freue, und zwar darüber, daß ich die erste Quoten-Frau meiner Partei bin, die hier an diesem Pult steht, freuen darüber, daß in zwei Jahren auf unserer Seite des Bundestages mindestens 50 Frauen mehr sitzen werden;

(Beifall bei der SPD)

dabei bin ich von mindestens 240 Sitzen für die Sozialdemokratie ausgegangen.

(Link [Diebholz] [CDU/CSU]: Jetzt träumen Sie aber, Frau Schmidt!)

Und ich freue mich wirklich darüber — nun lassen Sie mich wieder ganz ernsthaft werden — , daß durch unseren Quotenbeschluß, mit dem wir unseren Reden endlich Taten folgen ließen, die Chancen für Frauen-, für Familien-, für Jugend- und Gesundheitspolitik steigen werden. Die Politik wird sich nämlich ändern, meine Herren. Frauen sind nicht die besseren Menschen, aber sie haben andere Lebenserfahrungen. Wir setzen andere Prioritäten, und wenn wir mehr werden, wachsen unsere Chancen, diese Prioritäten auch durchsetzen zu können.

(Unruhe bei der CDU/CSU)

— Ihnen geht es auch schon noch an den Kragen; darum brauchen Sie gar nicht so unruhig zu sein. Heben Sie sich das noch ein bißchen auf!

(Heiterkeit bei der SPD)

Wir sagen nämlich, daß uns das Kindergeld, daß uns Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtiger sind als der Jäger 90.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Flinner [GRÜNE])

Wir werden nicht mehr zulassen, daß so ein Vergleich als unzulässig bezeichnet wird. Wir werden reden, und wir werden handeln für die Familien, für die Frauen, für die Jugend und für die Gesundheit in diesem Land.



Frau Schmidt (Nürnberg)

Ich danke schön.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109200200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Verhülsdonk.

Roswitha Verhülsdonk (CDU):
Rede ID: ID1109200300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Schmidt, an Zungenfertigkeit und an Angriffslust haben Sie es wieder nicht fehlen lassen; das gestehe ich Ihnen zu. Es ist nur schade, daß Sie die Politik von Frau Ministerin Süssmuth ausschließlich durch Ihre Oppositionsbrille betrachtet haben. Da entgeht Ihnen leider vieles.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Die ist sehr scharf!)

Wir finden, Frau Süssmuth, Sie haben Ihre schöne Aufgabe — so sehe ich das auch — vorzüglich ausgefüllt, und ich denke, die Bürger sehen das auch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihr gutes Recht ist es, daß Sie und die SPD eine andere Politik wollen. Ich will von unserer Politik und von der Politik dieser Bundesregierung sprechen, die wir allerdings in Verantwortung für das Ganze auch im Bereich der Familien- und Frauenpolitik sehen müssen; einen Dukatenesel haben wir leider nicht.
Ausgewogenheit, Kontinuität und Lebensnähe kennzeichnen den Haushalt des Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Hier spiegelt sich eine Politik wider, die sich den Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen und Altersstationen verpflichtet fühlt, eine Politik, die sowohl die berechtigten Anliegen der Jugend ernst nimmt wie auch um Verständnis für die Belange der Älteren wirbt, eine Politik, die Solidarität mit den Benachteiligten und Kranken, aber auch die Eigenverantwortung des menschlichen Handelns fördert, kurz: eine Politik, für die die Begriffe Verständnis und Toleranz, Solidarität und Eigenverantwortung keine hohlen Floskeln sind.
Es ist ein entscheidendes Verdienst dieser Bundesregierung, daß sie die tiefen ideologischen Gräben und scheinbar unüberwindlichen Gegensätze, die in den 70er Jahren die Jugendpolitik, Familienpolitik und Frauenpolitik geprägt haben, in Ihrer Regierungszeit, von Ihnen weithin mit zu verantworten, überwunden hat. Dies ist nicht zuletzt Ihnen, Frau Ministerin Süssmuth, zu verdanken. Wir, Ihre Mitstreiter, möchten Sie ermutigen, auf diesem Weg weiterzugehen. Sie können unserer Unterstützung dabei ganz gewiß sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist erfreulich, Frau Schmidt, daß auch die SPD inzwischen durch die Überzeugungskraft von Frau Süssmuth einiges gelernt hat.

(Lachen bei der SPD)

Sie haben dafür einige Beispiele gegeben. Wenn ich höre, wie Sie heute über Familie und Kinder reden, und daneben halte, wie das noch vor zehn Jahren geklungen hat, dann ist das eine andere Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Unsere Politik ist dem Leben verpflichtet, auch dem ungeborenen Leben. Menschliches Leben ist heute in vielfältiger Weise bedroht und schutzbedürftig; da bin ich mit Ihnen einig. Gentechnologie und neue Methoden der Fortpflanzungsmedizin verlangen, daß wir dem technischen Fortschritt dort Grenzen setzen, wo menschliches Leben in Gefahr gerät, manipuliert zu werden. In diesem Zusammenhang begrüße ich, daß die Bundesregierung vorhat, alle Formen von Leih- und Ersatzmutterschaft zu verbieten. Ich stimme ebenso mit allen überein, die sich gegen verbrauchende Embryonenforschung aussprechen. Was aber für den Embryo im Reagenzglas gilt, muß auch für das ungeborene Kind im Mutterleib gelten.

(Beifall von der CDU/CSU)

Hier kann ich nicht mit zweierlei Maß messen. Da müsen wir alles versuchen, um falsche gesellschaftliche und vor allem auch um falsche politische Maßstäbe zu korrigieren.
Wir brauchen eine Offensive für das Leben. Sie muß die Kinder — die geborenen und die ungeborenen — in den Mittelpunkt stellen. Deshalb bin ich sehr froh, daß es gelungen ist, erstmals 15 Millionen DM für ein Informationsprogramm „Zukunft der Familie" in diesem Haushalt 1989 bereitzustellen.

(Frau Dr. Götte [SPD]: Oh je, oh je!)

Sympathiewerbung für Kinder, mit Phantasie und Herz gemacht, und neue Strategien für Familien in schwierigen Situationen, das brauchen wir tatsächlich. Ich wünsche diesem Vorhaben, Frau Süssmuth, vollen Erfolg.
Wir sind nicht so naiv oder verbohrt, daß wir nicht die Konflikte sehen, von denen schwangere Frauen in Notlagensituationen betroffen sind. Nicht um sie zu gängeln, sondern um ihnen gezielter und besser helfen zu können, damit sie sich für ihr Kind entscheiden können, wollen wir das Beratungsgesetz machen, das wir uns in der Koalition vorgenommen haben. Es hat sich ja vielfach erwiesen: Abtreibungen lösen nicht die Partnerschaftskonflikte, die oft genug dahinterstehen. Sie erzeugen neue Konflikte. Da wollen wir nicht die Situation bestehen lassen, die heute anzutreffen ist.
Seit Christdemokraten in Bonn Regierungsverantwortung tragen, ist die Familie vom Rand wieder in das Zentrum der Politik zurückgekehrt.

(Zuruf von der SPD: Oh Gott, oh Gott!)

Wir haben den Familienlastenausgleich im Rahmen der dreistufigen Steuerreform kräftig weiterentwikkelt. Das wollen Sie bloß nicht wahrhaben, aber die Bürger wissen es. Eine Anhebung des Kindergelds ab dem zweiten Kind steht mit höchster Priorität auf der Tagesordnung, sobald es solide finanziert werden kann.
Familienpolitik und Frauenpolitik sind für uns keine Gegensätze. Wir setzen uns für die Frauen in den Familien ebenso ein wie für die Gleichberechtigung der Frauen in der Arbeitswelt. Auch ich beklage es: Die Frauenarbeitslosigkeit ist viel zu hoch, wie die Arbeitslosigkeit insgesamt. Aber warum sprechen Sie als Opposition eigentlich nicht auch davon, daß die Zahl der weiblichen Erwerbspersonen noch nie so



Frau Verhülsdonk
hoch war wie heute und ständig wächst? Lesen Sie einmal den „Bundesanzeiger" vom 13. August 1988; da finden Sie beachtliche Zahlen.
Die SPD fordert immer wieder neue Analysen zur Frauenarbeitslosigkeit. Aber an Kenntnis der Ursachen und der Probleme fehlt es uns ja wirklich nicht. Wir wissen, daß die Probleme sehr vielseitig sind und daß sie im Grunde nur Schritt für Schritt gelöst werden können. Deswegen finde ich es sehr gut, daß wir jetzt weitere Schritte tun wollen.
Daß Frauen seit einer Woche in der SPD vielleicht über die Quote Karriere machen können, liebe Frau Schmidt, löst die Frauenfrage leider noch lange nicht.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Es hilft aber!)

Was den Frauen hätte helfen können, das wäre eine rechtzeitige Öffnung der SPD zu neuen Wegen in der Arbeitsmarktpolitik gewesen, etwa die Bereitschaft, Teilzeitarbeit bereits in den 70er und 80er Jahren, als sich Arbeitslosigkeit abzeichnete, zu fördern und damals schon für flexible Arbeitszeiten einzutreten. Aber — das wurde ja auch in Münster wieder deutlich — Sie haben immer noch Probleme, sich der Lebensrealität der Menschen und den Bedingungen der Wirtschaft anzunähern.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Wir haben Probleme mit jederzeit verfügbaren Frauen und Müttern! Damit haben wir Probleme, aber mit sonst nichts!)

— Sie haben sehr viele Probleme, die ja die ganze Woche hier zur Sprache kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden weiter für mehr Teilzeitarbeitsplätze kämpfen und uns dafür einsetzen, daß sie auch im öffentlichen Dienst und in verantwortlichen Positionen möglich werden — und zwar für Männer und Frauen.
Die Union will Gleichberechtigung und Partnerschaft nicht von Staats wegen verordnen, sondern in freier Entscheidung ermöglichen. Deswegen wollen wir, daß auch die Väter Zeit für die Familie gewinnen. Mit dem Erziehungsgeld und dem Erziehungsurlaub für Väter oder Mütter — jetzt für die Dauer eines Jahres — haben wir gesetzliche Zeichen gesetzt, die weit in die Zukunft reichen.
Die seit zwei Jahren erstmals wieder ansteigenden Geburtenziffern zeigen, daß junge Paare ihren Kinderwunsch wieder leichter realisieren können.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Noch nehmen überwiegend die Mütter diese Leistungen in Anspruch. Etwa die Hälfte der Mütter kehrt nach dem Erziehungsurlaub nicht sofort in den Beruf zurück. Die Frage, ob es ihnen gelingt, nach einigen Jahren wieder Anschluß an den Beruf zu finden, ist zur politischen Schlüsselfrage für die Frauen insgesamt und damit für die Chancengleichheit von Frauen und Männern geworden.
In der letzten Wahlperiode haben wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die berufliche Wiedereingliederung im Arbeitsförderungsgesetz erheblich verbessert. Mit diesem Haushalt beginnen wir, ein Bündel konkreter Hilfen für diese Frauen auf den Weg zu bringen. Dafür werden in den nächsten fünf Jahren ca. 30 Millionen DM bereitgestellt. Damit soll z. B. vor Ort die Beratung der Frauen, die sich nach der Familienphase neu orientieren wollen, erleichtert werden. Das regionale Arbeitsplatzangebot und die Weiterbildungsangebote müssen besser aufeinander abgestimmt werden. Die in der Familienarbeit erworbenen Kompetenzen der Frauen müssen bei Wiedereingliederung und Weiterbildung stärker berücksichtigt werden.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Das wissen wir!)

— Das wissen Sie. Aber wir tun das jetzt. Das muß jetzt geschehen. Wissen allein nützt nichts. Worte helfen nicht. Taten müssen folgen. Da ist noch viel zu tun und viel möglich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Beifall bei der SPD)

Ich erwarte von diesem Programm, das Taten und Zeichen setzen wird, eine große Breitenwirkung mit sehr konkreten praktischen Hilfen. Wir werden in einiger Zeit darüber sprechen, was das gebracht hat.
Der Herr Kollege Hoffacker wird weitere Themen, die Sie angeschnitten haben, aufgreifen. Deswegen will ich zum Schluß kommen und zusammenfassen: Glaubwürdig ist Politik dann, wenn die Menschen sich mit ihren Problemen ernst genommen fühlen. Das nehme ich für die Frauen- und Familienpolitik der CDU und die Frauen- und Familienpolitik unserer Ministerin ausdrücklich in Anspruch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109200400
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schoppe.

Waltraud Schoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1109200500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt ein Dokument, das sich gegen Personen beiderlei Geschlechts richtet, die mit ihren Bezauberungen die Geburten der Weiber umkommen machen; das ist verboten, und wer sich erkühnt, dagegen zu verstoßen, der zieht den Zorn Gottes auf sich. Ich spreche nicht vom § 218, sondern von der Hexenbulle von 1484. Aber wenn es um die Verhetzung von Frauen geht, die abtreiben, dann fragt man sich, ob in den Jahrhunderten, die vergangen sind, eigentlich viel passiert ist.
Ich will die Gelegenheit benutzen und heute von den Frauen in Memmingen sprechen. Es sind 135 Frauen, die bisher verurteilt worden sind. Gucken wir uns einmal an, was diese Frauen gemacht haben. Sie haben die Regelung des § 218 nicht eingehalten und haben abgetrieben. Sie haben nichts anderes gemacht als beispielsweise die Frauen, die nach Holland fahren — es werden von Jahr zu Jahr mehr —; sie haben nichts anderes gemacht, als die Frauen, die genug Geld haben, um sich unter Umgehung des § 218 eine Abtreibung zu erkaufen — auch das sind sehr viele Frauen — . Darauf weise ich hin.
Frau Süssmuth, ich verstehe Sie nicht, daß Sie an diesem Punkt nicht eingegriffen haben. Ich habe das



Frau Schoppe
Gefühl, daß Sie schon eine sehr lange Zeit hier unter der Knute der fundamentalistischen Lebensschützer in Ihrer Partei stehen. Sie haben auf Ihrem Parteitag, nachdem Herr Stoiber sich durchgesetzt hat und jetzt nicht mehr von Abtreibung, sondern von Tötung menschlichen Lebens geredet wird,

(Strube [CDU/CSU]: Das ist ja auch richtig! — Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Wissenschaftlich bewiesen!)

nicht eingegriffen und sich nicht dagegen gewehrt. — Herr Hoffacker, es gibt einen Unterschied. Ich sage: Es ist Tötung werdenden Lebens. Daran ist überhaupt nicht zu rütteln. Aber es gibt eine Differenz zwischen werdendem Leben und menschlichem Leben, und auf dieser Differenz bestehe ich.

(Strube [CDU/CSU]: Das meinen Sie!)

Wenn man diese Differenz verschwinden läßt, dann kommt man zu dem, was Renate gesagt hat. Dann kommt man nämlich dazu, daß diese Frauen Mörderinnen sind.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Frau Schoppe, Sie sind wissenschaftsfeindlich und wissen nicht, wovon Sie sprechen!)

Ein parteiliches Wort für diese Frauen, Frau Süssmuth, die da vor Gericht stehen, weil sie Pech gehabt haben, und die anderen Frauen, die viel Geld haben und das anonym tun und kein Pech haben, wäre notwendig gewesen. Reden Sie sich nicht damit heraus, Sie wollten nicht in laufende Prozesse eingreifen. Darum geht es überhaupt nicht. Aber von der Frauenministerin dieser Republik haben wir diese Parteilichkeit zu erwarten. Daß sie nicht gekommen ist, finde ich sehr beschämend.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich gehe ein bißchen näher auf das ein, was sich da unten in Bayern eigentlich abspielt. Dort werden den Frauen jetzt die sogenannten Freistellungsangebote gemacht. Was heißt denn das: Freistellungsangebote? Heute ist eine Adoption möglich, wenn die Frau das Kind sechs Wochen nach der Geburt zur Adoption freigibt. Jetzt will man den Frauen schon während der Schwangerschaft das Angebot machen, sich freistellen zu lassen, d. h. freistellen von finanzieller Belastung, die ein Kind mit sich bringt, freistellen von Versorgung. Das heißt: Die Frauen sollen nicht mehr die Möglichkeit haben, sich bei einer ungewollten Schwangerschaft dafür zu entscheiden, dieses Kind, das zwar ungewollt ist, zu kriegen und als ihres zu behalten oder sich für eine Abtreibung zu entscheiden. Nein, diese Möglichkeit wäre damit weg. Denn man sagt: In eine finanzielle Notlage kannst du ja gar nicht kommen; das Kind wird dir von Staats wegen abgenommen.
Man hat — gründlich, wie man ist — auch daran gedacht, daß unter den Kindern, die unter solchen Umständen geboren werden, auch behinderte Kinder sind.
Und man ist — weitsichtig, wie man in Bayern ist — dazu gekommen, zu sagen: 2 % dieser Kinder sind behindert. Selbstverständlich ist man dann — ich kann es Ihnen aus dem Schreiben aus Bayern zitieren — davon ausgegangen, daß behinderte Kinder
nicht adoptiert werden. Man hat gesagt: Diese Kinder, die nicht adoptiert werden, kommen in Heime, und zehn Leute, die Steuern zahlen — so ein Heimplatz kostet 1 800 bis 2 300 DM — , können das finanzieren. Meine Herren, da ist doch noch allerhand drin. Denn wenn man es für die Behinderten in den Heimen ein bißchen schlichter macht, für Behinderte, die sich ja sowieso nicht wehren können, und deren Eltern auch nicht für sie kämpfen, weil sie im ganz zarten Alter, nämlich nach der Geburt, schon ihre Eltern verloren haben, weil ihre eigenen Mütter ihre Leihmütter sind, dann reichen z. B. schon acht Steuerzahler aus. Wer sich so etwas ausdenkt, so etwas Menschenverachtendes und Menschenfeindliches, der braucht Widerstand, Frau Süssmuth.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Frau Folz-Steinacker [FDP])

Wenn wir dann noch hören, daß in Bayern formuliert wird, daß diese Freistellung in das Beratungsgesetz in Bayern aufgenommen werden soll, und wenn die Bayern dann noch sagen, der bayerische Standard, von dem wir hier gehört haben, soll Bundesstandard für ein Beratungsgesetz werden — wir haben hier also die „Verbayerisierung" der Bundesrepublik — , dann muß da Widerstand kommen, Frau Süssmuth. Wie kommt es, daß wir das hier von Ihnen nicht gehört haben?
Weiter wissen wir, daß man in Bayern jetzt festgestellt hat, daß die Frauen bei der Inanspruchnahme von Mitteln aus der „Stiftung Mutter und Kind" wieder „liederlich" handeln, weil es beispielsweise einen Mitnahmeeffekt gibt, weil die Frauen einfach kommen und das Geld fordern. Da handeln die Bayern dann mal eben — das haben sie schon getan — und setzen den Betrag, ab dem man in den Genuß der Gelder der „Stiftung Mutter und Kind" kommt, mit Wirkung vom 1. Oktober 1988 einfach herab. Man nimmt den Frauen also auch noch das Geld weg.
Das sind Ihre bayerischen Verhältnisse, die Sie auf die Bundesrepublik übertragen wollen. Da möchte ich auch den Widerstand von Frau Süssmuth und von Ihnen in der Koalition. Sie wissen, ich bin immer Befürworterin von Koalitionen und stelle mir die Arbeit in solchen Koalitionen schon ganz schwierig vor. Aber unter diesen Bedingungen in einer solchen Koalition zu arbeiten stelle ich mir geradezu grauslich vor. Ich stelle es mir besonders für die Frauen ganz, ganz schrecklich vor; denn es richtet sich gegen die Frauen, und es richtet sich gegen die Kinder. Da möchte ich hier auch einmal Ihren Widerstand aus der FDP ein bißchen vehementer hören. Das können wir so ohne weiteres nicht durchgehen lassen.
Meine Damen und Herren, ich bin gespannt darauf, Frau Süssmuth, was Sie dazu sagen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109200600
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.

(Zuruf von der CDU/CSU: Werner, bist du die Quoten-Frau?)





Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1109200700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß ich es hier nach den Vorrednerinnen schwer habe. Die eine kündigte sich als Quotenfrau an, die andere sprach von Hexen, ich hoffe: nicht Hexenverbrennung. Sie sind mir als Kolleginnen lieb, und ich wage es, zu diesem Etat hier in dieser Runde als Haushälter wenige Minuten zu sprechen.
Ich habe vernommen, Frau Kollegin Schmidt, daß Sie nach einer kurzen Verbeugung — vielleicht besser gesagt: einen Knicks — gegenüber der besonderen Leistung der Frau Ministerin, die wir voll unterstützen können, vom Grundsätzlichen gleich sehr zu einer Abfolge von Geldforderungen gekommen sind. Diese habe ich als Haushaller nachdrücklich im Ohr. Das ist zwar nicht schlecht, aber ich habe über die Debattentage doch — auch von Ihnen — hören können, wie es um den Haushalt steht. Wir haben die Meinungen teilweise sehr realistisch ausgetauscht. Ich habe auch gehört, welche steuerlichen Überlegungen Sie haben. Wenn ich das dem Forderungskatalog gegenübersetze, den ich hier in wenigen Minuten gehört habe, so muß ich sagen, daß hier doch etwas der Realitätssinn verlorengegangen zu sein scheint.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Jaunich [SPD]: Also Familie doch nur als Restgröße, nicht Zentrum?)

— Nein, Familie nicht als Restgröße. Aber auch wenn wir Sozialpolitik, Gesundheits-, Familien-, Frauenpolitik betreiben, müssen wir, bei aller Sympathie für manche Forderungen, immer die Finanzierbarkeit im Auge behalten. Alles andere wäre unrealistisch. Das heißt nicht, daß es nicht wichtig wäre, Ziele zu setzen. Aber wir würden der Sache nicht gerecht, wenn wir Mittel korbweise ausschütteten und meinten, alles müsse morgen realisiert werden.
Der Forderungskatalog darf doch nicht den Blick dafür verstellen, was geschehen ist. Schauen Sie sich diesen Haushalt von 19 Milliarden DM nüchtern an. Jeder kundige Thebaner sieht mit einem Blick, daß rund 13 Milliarden DM für Kindergeldzahlungen ausgegeben werden und 4 Milliarden DM für das Erziehungsgeld. Das heißt, 17 Milliarden DM von 19 Milliarden DM in diesem Haushalt werden im weitesten Sinne für die Ziele ausgegeben, die Sie angesprochen haben.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Das waren schon mal viel mehr!)

Was die Familienleistungen anlangt, ist es nicht mit diesen, ich sage es einmal etwas verkürzt: Barzahlungen getan; denn die Unterstützung der Familien mit Kindern, der Familienlastenausgleich, hat noch eine zweite Säule, nämlich die steuerliche. Ich halte es auch für gut so, daß auf der einen Seite direkte Transferzahlungen geleistet werden und es auf der anderen Seite steuerliche Erleichterungen — Grundfreibeträge usw. — gibt, hier also ein sozial differenziertes Instrumentarium benutzt wird.

(Dr. Struck [SPD]: Aber nicht die Kinderfreibeträge!)

Wir halten also diese beiden Säulen für ein gutes
Instrumentarium; denn eine allein wäre etwas gleichmachend. Die Zahlung an jeden, unabhängig von Einkommen und Vermögen, ist also nur eine Seite. Dafür kann man argumentieren. Aber über das Steuerinstrumentarium kann man besser sozial und leistungsgerecht differenzieren. Und das ist gut so. Aufpassen muß man allerdings, daß das Ganze nicht zu kompliziert wird. Ich bin zwar nicht hinreichend Fachmann, aber manche Warnung dringt an mein Ohr, daß die Systeme an die Grenze der Überschaubarkeit und damit auch der Praktikabilität herangeführt worden sind.
Ich möchte festhalten, daß wir auf einem außerordentlich guten, vorzeigbaren Niveau angelangt sind, was den Familienlastenausgleich anbelangt. Über 70 % dieses Etats werden also für diesen Zweck zur Verfügung gestellt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Aber sicherlich kommt es bei Familienpolitik, Frauenpolitik nicht allein auf Geld an. Natürlich gibt es auch eine ideelle Komponente. Ich meine die Frage, wie kinder- und familienfreundlich sich die Gesellschaft zeigt. Auch dafür sind hier Beispiele genannt worden. Ich habe da zweierlei vor Augen.
Wenn auch von einer anderen Seite, so ist das Beratungsgesetz doch ein Stichwort. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch, wie sich unsere gesamte Gesellschaft, die Politik in Kommunen, Kreisen und Ländern, aber auch die Wirtschaft, zur Familie mit Kindern stellt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zum Beratungsgesetz: Das ist ein Anliegen aller in der Koalition. Wir von der SPD haben uns für die Abschaffung — —

(Heiterkeit bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Herzlich willkommen!)

— So intensiv ist die Zuneigung nun auch nicht, auch wenn ich zu Ihnen etwas länger herübergeschaut habe und mich vielleicht zu einer Freudschen Fehlleistung habe provozieren lassen. Aber Sie werden schon merken, ich werde die Grenze nicht überschreiten. Wir wissen schon Unterschiede zu machen.
Richtig ist allerdings, daß die Änderung des § 218
— und ich denke zehn Jahre zurück, an die Diskussionen, die da geführt worden sind — im Grunde eine gemeinsame Leistung war. Wir, die FDP, stehen zu dieser Leistung. Wir stehen zum Leben. Wir meinen auch, eine Beratung ist nötig. Aber ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen — das hat nichts mit fachspezifischer Sichtweise zu tun — : Jede Beratung muß so sein, daß sie am Ende der Frau, der Betroffenen, eine faire Chance ohne Pression — so möchte ich es einmal sagen — , ohne Druck und nach gleichen Kriterien für alle Frauen in der gesamten Bundesrepublik, ob im Norden, Süden, Osten oder Westen,

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie der Abg. Frau Pack [CDU/CSU])

zur individuellen Entscheidung gibt. Das müssen Absicht und Grundlage einer Beratung sein. Dann wird das in unseren Reihen zu akzeptieren sein. Ich bin sicher, dann werden wir einen vernünftigen Kompro-



Zywietz
miß finden, der der gemeinsamen Idee, Schutz und Hochachtung vor dem Leben, gerecht wird.

(Beifall des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP])

Ich sehe nur noch zwei, drei Minuten Redezeit angezeigt. Daher müssen meine Ausführungen von der Zeit her sehr unvollkommen bleiben, vielleicht auch deswegen, weil ich kein Experte in diesem Bereich bin. Aber das nehme ich in Kauf. Jede Expertenrunde braucht vielleicht auch ihren Laien. Das kann der Sache manchmal nur gut tun.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der CDU/ CSU und der SPD — Jaunich [SPD]: Aber ein Generalist fehlt noch!)

— Ich werde es schon nicht übertreiben. Haben Sie keine Angst.
Zurück zur familienfreundlichen Gesellschaft. Hier möchte ich ein paar ganz praktische Dinge ansprechen, die mir auffallen. Wem ist es nicht so gegangen: Man hört Klagen, daß Spielplatzgeräusche durch Kinder als ruhestörender Lärm betrachtet werden, daß Hunde im Hotel gern gesehen sind, aber bei Kindern Fragezeichen gemacht werden? Wir haben bei uns die Tendenz, daß Urlaubsquartiere — wenn man mit Kindern in der Hochsaison verreist, ist es sowieso schon teurer — nach Betten abgerechnet werden. Es gibt einige Länder auf diesem Globus — das können wir als reisende Abgeordnete auch feststellen —, wo nach Zimmern abgerechnet wird. Welch ein Entgegenkommen für Familien, die mit ein oder zwei Kindern reisen! Das sind ganz praktische Dinge. Dasselbe gilt für Kinderteller oder Kindermenüs.
Ich habe ohne große Vorbereitung aufgezählt, was mir im praktischen Leben begegnet. Ich sage mir: Familienlastenausgleich, familienfreundliche Gesellschaft ist nicht nur das, was wir geldlich über den Bundeshaushalt tun können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist eine wichtige Sache, aber lange nicht alles. Die anderen politischen Entscheidungsgremien sollen mithelfen. Aber auch die, die nicht in der politischen Szene sind, sondern im Kultur- und Wirtschaftsbereich, haben ein gerüttelt Maß Verantwortung in diesem Bereich. Das ist nötig — ich muß leider zum Schluß kommen, obwohl ich noch das eine oder andere sagen wollte — , damit wir den Generationenvertrag auch in Zukunft aufrechterhalten können. Denn wenn wir jetzt über Familie, über Kinder, über die Unterstützung der Familien mit Kindern sprechen, geht es auch darum — das ist die Verknüpfung der Sozial- und der Wirtschaftspolitik — , daß wir auch in Zukunft Steuerzahler haben und daß wir auch in Zukunft diejenigen haben, die in die Rentenkassen einzahlen. Das sind die heutigen Kinder. Sie müssen erst einmal dasein. Sie müssen aufwachsen können und Ausbildung und Motivation erhalten und sich in unser demokratisches Gefüge einfügen, so daß sich die Demokratie weiterentwickelt, daß unser Staat ein leistungsfähiger Staat bleibt. Erst dann werden wir einen Teil der Ziele — über die wir uns vermutlich einig sind — sukzessive finanzieren können. Wie gesagt: sukzessive. Auf dieser Ebene wird die FDP mitmachen. Ich möchte aber vor übertriebenen Hoffnungen warnen. Das geht nicht alles holterdiepolter von heute auf morgen, was die Finanzen anbelangt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109200800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hoffacker.

Dr. Paul Hoffacker (CDU):
Rede ID: ID1109200900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jugend-, Familien-, Frauen- und Gesundheitspolitik — das haben wir in der Haushaltsdebatte gesehen — hat durchgehende und übergreifende Perspektiven. Sie sind nicht ressortgebunden, sondern diese Politikbereiche greifen deutlich in andere Politikbereiche hinein. Die familienpolitische Bilanz, die von vielen Rednern auch in den vergangenen Tagen sehr deutlich hervorgehoben worden ist, kann sich sehen lassen. Das, was von der Opposition vorgetragen wird, sind Scheinargumente und Scheingefechte. Ich bin sehr dankbar, daß Frau Schmidt als Quotenfrau hier gesprochen hat.

(Frau Schoppe [GRÜNE]: Ob Sie es glauben oder nicht: Sie sind ein Quotenmann!)

Ich freue mich eigentlich, daß wir außer Quotenfrauen noch Frauen haben, auf die wir uns verlassen können.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Kein Beifall bei Ihren Kollegen!)

Es ist sehr gut, daß der Öffentlichkeit vorgeführt wird, was wir in Zukunft von Quotenfrauen zu erwarten haben: ein Höchstmaß an Sachlichkeit, wie sich hier in der Debatte gezeigt hat.

(Dr. Vogel [SPD]: Wartet fünf Jahre, dann habt ihr es auch! Das ist der übliche Abstand!)

— Ich glaube kaum, Herr Kollege Vogel, daß wir nach diesen Erfahrungen auf das Beispiel der SPD zurückgreifen werden. Wir sehen ja bereits jetzt, welche Folgen eine solche Quotenregelung hat.
Das Verelendungsbild, das von Frau Schmidt wiederum für die SPD gezeichnet worden ist, paßt ja in die gesamte Szenerie der vergangenen Tage, Herr Kollege Vogel. Ich behaupte nicht nur, sondern es ist bewiesen, daß die Regierungskoalition mit Bundeskanzler Kohl an der Spitze für die Familien mehr getan hat als alle SPD-geführten Bundesregierungen.

(Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Ronneburger [FDP])

Das ist nicht nur an Zahlen abzulesen, sondern offenbar. Das ist die Blickverengung der SPD, die offenbar nicht bis drei zählen kann, wenn es um Zahlen geht;

(Dr. Vogel [SPD]: Stürmische Heiterkeit!)

sonst wüßte sie bei all ihren Behauptungen, daß die Steuerreform drei Stufen hat und daß man nicht bereits jetzt alles vorwegnehmen kann, was längst in Gesetzesform beschlossen worden ist.
Die ideelle Leistung unserer Regierungskoalition steht für sich und zeigt sehr deutlich, daß Familien-



Dr. Hoffacker
politik nicht nur in Mark und Pfennig gemessen werden kann. Sie von der SPD haben in den 70er Jahren jahrelang die Familie demontiert. Sie haben die Demontage betrieben,

(Widerspruch bei der SPD)

indem Sie glaubten, an die Stelle von Familien die Kommunen, die Wohngemeinschaften setzen zu müssen, Herr Vogel.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

— Daß Sie das nicht gerne hören wollen, ist völlig klar.
Unter Ihrer SPD-geführten Bundesregierung war die Familie eine Sozialisationsagentur für unsere Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da gab es kein Elternrecht. Da haben alle diejenigen, die dafür gestritten haben, von Ihnen die Schimpfe bezogen, von gestern zu sein.

(Dr. Vogel [SPD]: Sie haben doch mitgestimmt! Das war doch einstimmig!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109201000
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Götte?

Dr. Paul Hoffacker (CDU):
Rede ID: ID1109201100
Danke schön. Ich habe zuwenig Zeit, Frau Götte. Sonst gern.
Meine Damen und Herren, wenn Sie das jetzt durch einen Münsteraner Beschluß kaschieren wollen, in dem Sie ja festgestellt haben, daß die Erziehung der Kinder am besten in der Familie geleistet wird — ich sehe an Ihren staunenden Kinderaugen, daß Sie das offenbar gar nicht wissen — , dann muß man sagen, daß dieses verbale Bekenntnis durch die Wirklichkeit noch deutlich belegt werden muß. Das ist allerdings neu, Frau Schmidt. Sie haben aber nicht den Mut gefunden, in Münster den Halbsatz stehenzulassen, daß die Erziehung in der Familie vorrangig geleistet werden muß. Das haben Sie sich verkniffen.
Statt dessen betreiben Sie weiter eine Polemik gegen die Ehe und Familie. Sie setzen sich ein für die nichtehelichen Lebensgemeinschaften, um auf diese Weise ganz klar und deutlich die Familie zu unterminieren und sie damit wieder überflüssig zu machen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

— Das wollen Sie alle nicht gerne hören. Sie wollen nicht gerne hören, daß Sie die Familie auseinanderdividiert haben. Sie bemühen sich jetzt vor der Öffentlichkeit, ein möglichst gutes Bild abzugeben.
Das Wohl des Kindes steht zur Debatte, wenn es um die Familie geht. Sie haben das Wohl des Kindes nicht im Auge. Sie haben mit Ihrer klaren Vorrangstellung nichtehelicher Gemeinschaften vielmehr im Auge,

(Dr. Vogel [SPD]: Reden Sie doch nicht so einen Unsinn!)

den Erwachsenen gegenüber dem Kind eine klare Vormachtstellung zu verschaffen. Dagegen sind wir sehr deutlich.

(Dr. Vogel [SPD]: Ihre Leute schämen sich ja!)

— Sie brauchen keine Sorgen zu haben; die sind nicht so rot und werden es auch nicht. Deshalb brauchen Sie sich gar nicht zu schämen.
Wir betrachten Kinder nicht als Störelemente, wie das von Ihnen sehr deutlich vorgeführt wird.

(Zurufe von der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109201200
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe.

Dr. Paul Hoffacker (CDU):
Rede ID: ID1109201300
Meine Damen und Herren, es ist natürlich schade, daß Ihr Demokratieverständnis nicht einmal so weit reicht, zuhören zu wollen. Das ist natürlich für die SPD ein sehr gutes Beispiel, das sie hier bietet.
Wir brauchen für die Zukunft eine Ökologie für die Kinder, eine neue Hinwendung zu den Kindern. Insoweit gibt es in der Öffentlichkeit einen ganz großen Nachholbedarf. Die vielen Schicksale, die wir aus gescheiterten Verbindungen kennen, dürfen nicht einfach aus dem Blick verloren und kaschiert werden, indem so getan wird, als ob wir eine heile Welt hätten. Diese ist nicht vorhanden, sondern im Gegenteil: Da ist noch eine ganze Menge zu tun.

(Dr. Vogel [SPD]: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten, Herr Hoffacker!)

— Es ist schön, Herr Vogel, daß Sie die Bibel so gut kennen. Aber Sie müßten dann noch die Nachweise erbringen, — —

(Dr. Vogel [SPD]: Sie!)

— Ich glaube, Sie haben Frau Schmidt im Auge. Das ist völlig richtig; denn die Zahlen, die sie genannt hat, stimmten mit der Wirklichkeit nicht überein.
Die einzelnen Gesundheits-Reformvorschläge, die gemacht worden sind und für uns in Frage kommen, zeigen eine deutliche und gute Bilanz. Lassen Sie mich das an fünf Beispielen sehr deutlich hervorheben:
Erstens. Der Kampf gegen AIDS ist durch die Bundesregierung und insbesondere durch das Bundesministerium für Gesundheit vorbildlich geführt worden. Es sind nicht nur hohe Beträge im jetzigen Haushalt bereitgestellt worden, sondern Forschung und Therapiemöglichkeiten sind über die Grenzen hinweg verstärkt ins Auge gefaßt worden und werden weiter fortgesetzt.
Zweitens. Der Kampf gegen Drogenkonsum und Alkoholmißbrauch bleibt für uns alle eine ständige Herausforderung. Wir lesen zwar in den Zeitungen, daß der Alkoholkonsum in der Bundesrepublik zurückgegangen sei; aber Alkohol ist immer noch die Droge Nummer 1. Es hat nicht nur die Zahl der Vieltrinker zugenommen, sondern immer häufiger wird Alkohol in Verbindung mit Medikamenten und illegalen Drogen konsumiert. So schätzt man, daß etwa 35 % der Alkoholmißbraucher gleichzeitig auch ta-



Dr. Hoffacker
blettenabhängig sind und daß die zerstörerische Wirkung nicht nur im Krankheitsbereich große Folgewirkungen zeigt, sondern auch im gesellschaftlichen Bereich. Dies muß deutlicher in das Bewußtsein hineingetragen werden.
Drittens. Die Bekämpfung der Volkskrankheiten wie Rheuma, Allergien, Herz- und Kreislauferkrankungen kommt bei uns nicht zu kurz. Unter den Volkskrankheiten breiten sich die Allergieerkrankungen besonders stark aus. Hierzu ist eine besondere Parlamentariergruppe eingesetzt worden, die sich mit diesen Fragen befaßt. Es ist ebenfalls in der Offentlichkeit deutlich zu verspüren, daß die vom Ministerium betriebene Gesundheitsaufklärung und die Erziehung zur Gesundheit angenommen wird.

(Jaunich [SPD]: Können Sie sich dann erklären, warum die Beantwortung einer Großen Anfrage ein Jahr dauern soll?)

Viertens. Es ist sehr wichtig, den Pfuschern auf dem Lebensmittelmarkt das Handwerk zu legen, Herr Jaunich. Der Schutz vor Kriminellen auf dem Lebensmittelmarkt muß, so meine ich, europaweit verbessert werden. Wir haben in den letzten Jahren die Skandale gehabt; Glykol im Wein, Nematoden im Fisch, Hormone bei der Kälbermast. Dies hat deutlich gemacht, daß wir hier mit harten Strafen eingreifen müssen. Die EG-Regelungen sind bereits jetzt vom Ministerium aufgegriffen worden und werden in feste Formen gegossen.
Ich darf hier deutlich das Verhalten des Landesministers von Nordrhein-Westfalen kritisieren, der nicht erkannt hat, daß nicht nur EG-weit, sondern auch auf der Ebene der Länder in der Bundesrepublik zusammengearbeitet werden muß. Wenn er es nicht für nötig befand, bei der gemeinsamen Sitzung der Bundestagsausschüsse für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu erscheinen, dann hat er damit deutlich und klar gezeigt, daß er nichts von einer solchen Zusammenarbeit hält oder aber sie nicht kennt. Wenn er diese Zusammenarbeit für überflüssig hält, dann, meine ich, gehört er nicht auf diesen Platz.
Fünftens. Die größtmögliche Arzneimittelsicherheit ist zu gewährleisten. Diesem Ziel dient die Personalaufstockung im Bundesgesundheitsamt. Wir wissen, daß selbstverständlich eine Reihe von Arbeiten noch vor uns liegt, die wir jetzt im Rahmen der 4. Novelle zum Arzneimittelgesetz zu erledigen haben.
Last, not least lassen Sie mich als eine für uns, meine ich, besonders wichtige Tatsache die Aufstockung des Garantiefonds als Beitrag für die Aussiedler herausheben. Diese Aufstockung ist mit großer Weitsicht gemacht worden. Wir haben jetzt 270 Millionen DM in diesen Haushalt eingesetzt, so daß wir nicht befürchten müssen, daß die Aussiedler wegen Sprachoder Kontaktschwierigkeiten hier in der Bundesrepublik besondere Probleme erfahren müssen und nicht aufgenommen werden.
Wir alle sind, so meine ich, aufgerufen, diesen Menschen bei uns Heimat zu geben und sie als unsere Mitbürger zu betrachten.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109201400
Das Wort hat die Frau Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1109201500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute den Haushalt des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, und wir sprechen über Zahlen: 19,68 Milliarden DM, 450 Millionen DM mehr für Erziehungsgeld, 100 Millionen DM mehr beim Zivildienst, 21 Millionen DM für das Eingliederungsprogramm.
Wir haben im Verlauf der Haushaltsdebatte mehrfach von den günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gehört. Das ist eine gute Nachricht. Aber wirtschaftliches Wachstum ist kein Selbstzweck. Genauso wichtig ist die Frage: Tun wir nicht nur für den Wohlstand der Menschen, sondern auch für das Wohl der Menschen genug? Beides muß als Einheit verstanden werden und darf nicht auseinanderdividiert werden. Mehr denn je erlebe ich, daß immer mehr Menschen die Frage nach den immateriellen Lebensbedingungen stellen und daß diese Frage sie bewegt. Wir stehen vor neuen wirtschaftlichen, technischen und damit auch menschlichen Herausforderungen — eine große Chance für uns, aber auch zugleich begleitet von Ängsten, oft tiefsitzenden Ängsten: Angst der Älteren vor Ausgrenzung und Alleinsein, Ängsten der Jüngeren vor Schäden in der Umwelt, vor unübersehbaren Manipulationen im Bereich des menschlichen Lebens durch Gentechnik und Reproduktionsmedizin.
Für jedes neu auftretende Problem wird ein weiteres Gesetz oder zumindest eine weitere Verordnung erwartet. Ich werde oft gefragt — und heute morgen setzt sich der alte Mechanismus unentwegt fort — : Wieviel Gesetze haben Sie schon gemacht? Ist das neue Gesetz zum Kindergeld, zum Familienlastenausgleich da? Es ist gewiß ein Recht, aber auch eine Spezialität der Opposition. Wenn man dann aufzählt, was erledigt ist, was in die Wege geleitet wurde — ob es nun der Referentenentwurf zur Reform der Jugendhilfe ist, der Beitrag zur Neuregelung und Verbesserung im Arzneimittelbereich, das Beratungsgesetz oder anderes — , Sie messen den Erfolg von Politik an Gesetzen und Verordnungen.

(Zuruf von der SPD: Nein, es geht um die Inhalte!)

Aber Gesetze und Verordnungen allein sind kein Gradmesser für eine erfolgreiche Politik und geben auch keine Antwort darauf, ob die Dinge gut gelöst sind. Wenn hier heute morgen in einem solchen Maß gefragt worden ist, was denn der Staat getan habe, dann muß ich sagen: Wenn unsere Gesellschaft in ihrer Lebensqualität und in dem, was das Wohl der Menschen ausmacht, an bundesstaatlichen Ausgaben



Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
gemessen wird, ist das eine Verarmung der Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Jaunich [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ich denke, daß wir immer mehr in der Gefahr sind, Menschen zuwendig zu gewinnen für gegenseitige Hilfe, für mehr Solidarität mit den Kranken, den Fremden. Ein jüngstes Beispiel ist unsere begrenzte Fähigkeit, Aussiedlerfamilien vorurteilsfrei aufzunehmen und ihnen ein Zuhause zu geben. In der Tat gilt bei vielen menschlichen Problemen, beim Lebensschutz nicht anders wie bei AIDS, daß wir eine Menge von Vorurteilen durch Aufklärungsarbeit verändern müssen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109201600
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1109201700
Nein, ich möchte zunächst meinen Text fortführen. Ich habe nur begrenzte Zeit.
Ich meine, daß gerade Aufklärungsarbeit, wenn hier in schäbiger Weise von Informationskampagnen gesprochen wird, diffamiert wird, wenn gleichzeitig gefragt wird, ob es nun beim Hormonskandal oder bei anderen Dingen ist, wo denn die Informationskampagnen der Bundesregierung blieben, was denn für den Verbraucherschutz getan werde.
Entwicklungs- und Lebenschancen sind oftmals gerade bei den Menschen und Personengruppen bedroht, die nicht über eine mächtige Lobby verfügen. Unser Ministerium ist mehr als alle anderen ein Sprachrohr für diejenigen, die in dieser Gesellschaft weitgehend lobbylos sind. Dazu zählen in der Bundesrepublik immer mehr die Familien. Aber ich sage genauso klar: Der Staat kann kein Übervater und auch keine Übermutter sein. Auch dies hat nichts mit Quoten zu tun.

(Frau Blunck [SPD]: Aber er muß für gleiche Lebensbedingungen sorgen!)

Das unterscheidet uns ganz gewiß. Sie wollen immer mehr Staat, wir wollen weniger Staat, nicht in dem Sinne, daß sich der Staat der Verantwortung entzieht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Ich bin mit dem Staat, in dem ich lebe, sehr zufrieden. Ich muß sagen: Ich bin stolz auf diesen Staat, wohlwissend, daß wir ihn ständig weiterentwickeln müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Wir wissen, daß die Zunahme an Entscheidungsfreiheit auch eine Zunahme an Entscheidungsbelastungen mit sich bringt. Die Antwort kann in einer Demokratie nicht sein, in allem Zuflucht beim Staat zu suchen, sondern der Staat ist verpflichtet, dem Menschen Eigenverantwortung und Eigenentscheidung zuzumuten, zuzutrauen, aber auch zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Staat ist überfordert, wenn er in erster Linie oder gar allein Wohlstand und Wohlbefinden garantieren soll, wenn er allein allen nur denkbaren Risiken vorbeugen, alle bestehenden Gefahren abwehren und jede ich-bezogene Interessendurchsetzung verhindern soll.
Je mächtiger sich jedoch die Ich-Bezogenheit, das Interesse am Eigenwohl, durchsetzt, desto schwächer ist die Chance für das Gemeinwohl. Ich denke, im Gemeinwohl haben wir inzwischen Nachholbedarf in der Bundesrepublik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe schon gesagt: Der Mensch lebt nicht allein, er lebt auch nicht vom Brot allein. Deshalb brauchen wir keine individualisierte Gesellschaft, sondern eine Gesellschaft des Miteinander, in der Eigenwohl und Gemeinwohl wieder eine fruchtbare Verbindung eingehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich denke, die Verbindung von Eigenwohl und Gemeinwohl hat bei uns eine Tradition. Ich erinnere an die Zeit, als Millionen Menschen aus dem Osten flohen. Was damals keiner für möglich hielt, nämlich diese Menschen zu integrieren, wurde erreicht. Die Vertriebenen leisteten wie alle anderen ihren Beitrag beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir können heute von diesen Männern und Frauen lernen. Ich möchte zugleich unseren älteren Mitbürgern und Mitbürgerinnen für diese enorme Leistung danken.
Ältere Menschen wollen nicht in einen zweifelhaften Ruhestand abgedrängt werden. Ihr Sachverstand, ihre Erfahrung und nicht zuletzt ihr politisches und moralisches Engagement sind für unsere Gesellschaft, vor allem für die Jugend, unverzichtbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir stehen vor einer neuen Herausforderung, was das Verhältnis zwischen den Generationen angeht. Die Zahl der älteren Mitbürger steigt an. Im Jahr 2000 wird die Zahl der Älteren die der Jüngeren unter 20 um 4 Millionen übersteigen.
Was bedeutet dies für politisches Handeln? Es erfordert Antworten auf neue Anforderungen. Das betrifft den Umgang miteinander, den Austausch der Erfahrungen, die Möglichkeiten des gemeinsamen Handelns, die in Modellprojekten in der Tat auch ihren Niederschlag finden: die Jungen für die Alten, Alte für Junge und Alte für Alte. Ich denke, daß gerade in unserer Gesellschaft diese Möglichkeiten verstärkt angeregt und unterstützt werden müssen.
Ältere Menschen brauchen Aufgaben, wollen beteiligt sein. Es darf aber nicht zu dem kommen, was viele schon heute befürchten: daß das richtige und wichtige Engagement für die Älteren uns dazu veranlaßt, die Jungen aus dem Blick zu verlieren.
Das für die Jugendförderung 1989 bereitgestellte Finanzvolumen kann sich sehen lassen. Ihre ständig



Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
wiederholte Behauptung, die Jugendpolitik finde nicht statt, trifft ins Leere. Das beweist das Finanzvolumen, das gegenüber den ursprünglichen Ansätzen für 1988 um 24,5 % gewachsen ist.
Das betrifft u. a. den Garantiefonds, der um 230 Millionen DM erweitert wird, und das Eingliederungsprogramm mit weiteren 62 Millionen DM. Hinzu kommen die Mittel aus dem Sonderprogramm Aussiedler, die dieses Finanzvolumen insgesamt um weitere 58,4 Mio. DM erweitern.

(Jaunich [SPD]: Da laufen Sie den Entwicklungen nur hinterher!)

Eines haben wir in den letzten Jahren bestätigt bekommen: Die große Mehrheit der Jugendlichen will nicht aussteigen, sondern einsteigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jaunich [SPD]: Dann lassen Sie sie!)

Heute liegt, von einigen Regionen abgesehen, das Hauptproblem nicht mehr in mangelndem Angebot an Ausbildungsplätzen — leider kann dies für Mädchen immer noch nicht gesagt werden —; andere Probleme, die eine Lösung durch die Jugendpolitik erfordern, drängen sich in den Mittelpunkt.

(Frau Odendahl [SPD]: Da tun wir nichts!) — Wir tun was.

Für eine Reihe von Jugendlichen bleibt das Problem von geringen oder nicht vorhandenen Ausbildungschancen. Die sozial Benachteiligten — das ist ein Anteil von 10 bis 12 % einer Altersgruppe — brauchen weiterhin unsere besondere Unterstützung und Mittel aus Programmen.

(Frau Blunck [SPD]: Wo hatten Sie das offene Ohr des Herrn Stoltenberg, damit das alles passieren kann?)

Wir haben ein erweitertes Programm für arbeitsweltbezogene Jugendarbeit unabhängig von dem, was durch die Bundesanstalt und in den Ländern für Jugendliche geschieht, aufgelegt; denn es geht darum, daß wir die Jugend nicht in die, die integriert sind, und die, die außen stehen, aufspalten. Ich denke, hier gilt es um so mehr, daß Betriebe benachteiligte Jugendliche in Ausbildungs- oder Anlernverhältnisse nehmen und wir ihnen dabei helfen.
Wir stehen vor der Neuordnung des Jugendhilferechts, die Willy Brandt schon Anfang der 70er Jahre angekündigt hatte. Frau Schmidt, wir haben den Entwurf in diesen Tagen an die Länder verschickt. Jugendhilfe soll nicht länger nur ein Interventionsinstrument sein.

(Dr. Vogel [SPD]: Sehr gut! — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich glaube, für ein gutes Gesetz braucht man auch eine gewisse Vorbereitung. Zunächst sollten Sie zur Kenntnis nehmen, daß Ihre Behauptung, das Jugendhilfegesetz würde nicht vorgelegt, nicht zutrifft. Der Entwurf ist verschickt! Das ist die Tatsache, die es klarzustellen galt.
Jugendhilfe soll nicht an Stelle der Familie, sondern mit der Familie das Kindes- und Jugendwohl fördern helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es geht um Prävention durch Ausbau der familienpädagogischen Hilfe und besonders um die Entlastung der Alleinerziehenden. Hier nenne ich an erster Stelle nicht nur die Beratungshilfen, sondern auch den Ausbau der Kinderbetreuung.
Meine Damen und Herren, Sie können nicht auf der einen Seite Hilfen fordern und gleichzeitig nach den finanziellen Auswirkungen fragen. Entweder Sie sagen A, oder Sie sagen B. Man kann nicht immer das eine gegen das andere ausspielen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Frau Schoppe [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109201800
Frau Bundesministerin, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1109201900
Wenn ich es Herrn Jaunich eben nicht ermöglicht habe, geht es jetzt auch nicht, Frau Schoppe.

(Wetzel [GRÜNE]: Immer prinzipientreu!)

— Ja, Prinzipientreue ist wichtig.

(Wetzel [GRÜNE]: Auch in der Politik?)

— Auch in der Politik! Ich denke, es ist ganz entscheidend für unsere Glaubwürdigkeit, daß wir prinzipientreu sind und nicht auf jede modische Strömung eingehen. Wenn wir das machten, wären wir längst am Ende.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Sie haben gefragt: Wo bleibt Ihre klare Aussage zum sozialen Pflichtjahr? Mir scheint, daß für jeden Mann und jede Frau deutlich nachlesbar ist, daß ich dazu mit allem Nachdruck Stellung bezogen und dem nichts nachzuschieben habe. Ich bin gegen ein soziales Pflichtjahr und habe das auch ausgedrückt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das heißt aber nicht, das wir in unserer Gesellschaft nicht ein hohes soziales Engagement aller Altersgruppen, auch der Jugend, brauchten. Eine Jugend, die wir nur auf Spielwiesen schicken, können wir nicht zu einem ernsthaften Engagement bewegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen freue ich mich darüber, daß wir einen beträchtlichen Anteil junger Menschen im freiwilligen sozialen Jahr haben und daß wir in diesem Jahr auch ein neues Pilotprojekt zum freiwilligen ökologischen Jahr starten; denn dies sind wichtige soziale, ökologische und kulturelle Dienste.
Einen Punkt der Jugendpolitik möchte ich noch besonders hervorheben. Jugendliche sind nicht nur interessiert, sondern viele von ihnen leisten auch ihren Part an Frieden und Abrüstung. Deswegen bin ich froh darüber, daß es uns in den Verhandlungen des



Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
letzten Jahres und den noch anhaltenden Verhandlungen gelungen ist, gerade den Jugendaustausch mit der Sowjetunion, mit Polen und mit den südosteuropäischen Staaten auszubauen, und daß es hier eine neue Offenheit für Austausch und Verständigung gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies liegt sehr in der Tradition der Wege, die wir nach 1945 beschritten haben.
Lassen Sie mich nun noch einmal zur Familie kommen. Angesichts der Veränderungen in unserer Gesellschaft besteht unsere politische Aufgabe darin, Bewährtes zu schützen und neue Perspektiven des Handelns zu entwickeln. Dieser Grundsatz gilt im besonderen für die Familie. Hier zeigt sich ein recht widersprüchliches Bild: auf der einen Seite hohe Scheidungsraten, das Anwachsen der Zahl der Single-Haushalte und der Familien ohne oder mit wenig Kindern, aber auf der anderen Seite, wie das Statistische Bundesamt dieser Tage mitgeteilt hat, die Zunahme von Eheschließungen und Geburten. Unsere Familien befinden sich nicht in der Auflösung. Positiv sind die in vielen Familien aufweisbaren vertrauensvollen Beziehungen der Eltern zu ihren Kindern.

(Dr. Vogel [SPD]: Hoffacker, zuhören! Immer diese Horrorszenarien von dem Hoffacker!)

Hier möchte ich auch die alleinerziehenden Mütter und Väter einschließen und ihre Leistungen betonen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Länger als je zuvor in der Geschichte übernehmen Eltern die Ausbildungsaufwendungen für ihre Kinder. Familien tragen die Hauptlast für die Betreuung ihrer behinderten, kranken, pflegebedürftigen älteren Familienangehörigen. Da denke ich: Bevor wir uns hier nur ans Pult stellen und nach staatlichen Mitteln fragen, ist es genauso wichtig, in unseren Gemeinden dafür zu sorgen, daß die Nachbarn auch noch einmal in das Nachbarhaus schauen, um unmittelbare Hilfe zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Als schwierig erweist sich in mehr und mehr Familien die Situation der Frauen und Mütter. Viele verzichten zugunsten der Erziehungs- und Pflegeaufgaben auf durchgängige Erwerbsarbeit und eigenes Einkommen. Ich denke, wir stehen mit der Reform der Renten erneut auf dem Prüfstand, wie wir es denn mit den Frauen und ihren Leistungen in der Erwerbsarbeit und in den Familien halten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Hier rechne ich, ob Frauen oder Männer, ob in der Opposition oder in der Regierungsverantwortung, auf unsere gemeinsame Arbeit, damit diese Arbeit auch in den Renten ihren Niederschlag findet.

(Frau Blunck [SPD]: Die Berufsunfähigkeitsrente und die Erwerbsunfähigkeitsrente sind doch von Ihnen gestrichen worden!)

— Also, ich habe überhaupt nichts gestrichen. Wenn wir von Streichungen reden, dann wollen wir einmal zuerst fragen, worauf es denn ankommt: ob die Rente gesichert ist oder ob sich die Rentner nicht mehr auf die Rente verlassen können. Ich denke, wir stehen in ganz bestimmten Verpflichtungen. Die Rentner erwarten von uns eine Antwort auf die Frage nach der Sicherheit ihrer Renten.
Aber die Probleme der Familien liegen nicht nur bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder bei der beruflichen Wiedereingliederung nach der Familienphase. Sie liegen sehr viel tiefer. In unserer Gesellschaft leben immer mehr Paare ohne Kinder. Die Mehr-Kinder-Familie finden wir noch bei gut 10 % aller Familien mit Kindern. Wer Kinder hat, ist in unserer Gesellschaft eben nicht nur materiell erheblich im Nachteil, sondern er gerät mehr und mehr aus dem Blickfeld der Gesellschaft. Es ist schon eine sehr paradoxe Situation, daß wir Kinder- und Familienkampagnen brauchen — übrigens nicht allein in der Bundesrepublik — , um uns die Belange von Kindern und Familien vor Augen zu führen, um die Gesellschaft aufzurütteln, daß sie ihre Unterstützungs- und Anerkennungsmöglichkeiten vor Ort, in den Betrieben, in den Verwaltungen und sonstigen Dienstleistungsbereichen, im menschlichen Miteinander wahrnimmt.
Dennoch halte ich es für wichtig, daß wir das eine tun und das andere nicht lassen. Ich habe meinen Aussagen aus dem vergangenen Jahr nichts hinzuzufügen. Es besteht eine Koalitionsvereinbarung. Zu dieser gehört auch der Zeitpunkt: In der Mitte der Legislaturperiode wird diese Frage geprüft. Ich möchte die Auseinandersetzung mit Ihnen führen,

(Jaunich [SPD]: Wenn der Kassensturz erfolgt ist!)

wenn die Würfel gefallen sind, ob dann Ihre Kritik berechtigt ist oder ob ich Ihnen die Rechnung aufmachen kann, daß der Familienlastenausgleich weiter verbessert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Dann bin ich auf Ihre Konsequenzen gespannt!)

Ich gehe konsequent und kontinuierlich

(Frau Bulmahn [SPD]: Aber langsam!)

meinen Weg. Ich möchte mir einmal wünschen, daß mancher Mann nach drei Jahren gefragt wird, was er denn in dieser Zeit geleistet hat.

(Beifall der Abg. Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD])

Ich muß Ihnen sagen: Gerade in dem Bereich, den ich vertrete und den mein Ministerium zu vertreten hat, gibt es weniger Bereitwilligkeiten als in anderen Bereichen. Aber das sollten Sie von der Opposition wissen; denn Sie haben doch genau die gleiche Erfahrung gemacht, daß Einsparungen bei Familien eher vorgenommen werden als in anderen Politikbereichen. Ich denke, hier haben wir ein gemeinsames Lernpensum, daß man nicht wortreich von Familie sprechen kann, ohne daß man dann auch Entsprechendes für sie tut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
Frau Schmidt, Sie haben das Recht, Forderungen zu stellen, aber Sie verwirken dieses Recht, wenn Sie so tun, als könnte dies nur mit einer Forderung hier erfolgen. Ich sehe nicht, wo denn die beispielhaften Vorreiter in SPD-regierten Ländern sind, wo all diese Probleme für Familien mit Kindern nicht vorkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie im Ausland über Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sprechen, dann wird neidvoll gesagt, dies wäre beispielsweise in einem Staat wie den USA vorläufig nicht durchsetzbar, obwohl sie vergleichbare Probleme haben.
Deswegen kann ich nur noch einmal betonen: Verdrehungen bringen überhaupt nichts, auch nicht in bezug auf das Beratungsgesetz; denn gerade in das Beratungsgesetz gilt es nach dem Grundsatz „Leben schützen, helfen statt strafen" die dort bisher nicht verankerten Hilfen für Mütter einzubringen. Es gibt keinen anderen Weg, als den Lebensschutz auf zwei Ebenen konsequent zu verfolgen: auf der ungeteilten Achtung menschlichen Lebens.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Schoppe, da haben wir eine Differenz. Für mich gibt es keine Unterscheidung zwischen werdendem Leben und wirklich menschlichem Leben. Wenn wir diese Unterscheidung anfangen, kommen wir in Teufelskreise, die ich auch für das geborene Leben von vornherein verhindern möchte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Schoppe [GRÜNE]: Dann sind die Frauen Mörderinnen!)

Deswegen gilt es, das Leben von Anfang an bis Ende zu schützen.
Aber ich sage auch genauso nachhaltig: Lebensschutz erfordert konkreten menschlichen Beistand und Hilfe. Es ist zu wenig, Rechtspositionen einzunehmen, es kommt entscheidend darauf an, wie glaubwürdig eine Politik für Schwangere im Schwangerschaftskonflikt ist.

(Frau Blunck [SPD]: Grenzwerte im Trinkwasser!)

Auch ich kann nicht mehr tun, als dafür zu werben und stückweise für die Verbesserung der Bedingungen zu kämpfen.

(Frau Blunck [SPD]: Wo waren Sie bei der Grenzwertdiskussion?)

Ich will nicht wiederholen, was hier aus meiner Sicht zu Recht gesagt worden ist, daß seit 1982 mehr für die Familien getan worden ist als je zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik.

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

Ich nehme für mich und die Bundesregierung ebenfalls in Anspruch, daß wir mehr für Partnerschaft und Gleichberechtigung als andere Regierungen getan haben. Es ist ja nicht zu übersehen, daß Sie sich in der SPD unserer Familien- und Frauenpolitik gegenüber nicht nur geöffnet haben, sondern sie im Grundsatz auch für richtig befinden. Sie fragen ja nur, ob es
schnell genug umgesetzt wird. Ich sehe keine Alternative.

(Dr. Vogel [SPD]: Ei oder Henne?)

Wenn ich das Geld hätte, das Sie in großen Mengen fordern, dann hätten wir überhaupt keine Unterschiede mehr, so viel haben Sie dazugelernt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Die neue Qualität unserer Frauenpolitik wird insbesondere darin deutlich, daß wir anders als bisher in all den Bereichen, die von frauenpolitischer Wichtigkeit sind, beteiligt werden und von Anfang an in den Kommissionen mitarbeiten, ob es die Arbeitsmarktkommission ist, bei der es um Teilzeitarbeit und die Frage geringfügiger Beschäftigung geht, ob es um die Rentenreformkommission geht oder die Gesundheitsreformkommission.
Liebe Kolleginnen von der SPD, Sie haben in der vergangenen Woche ihren frauenpolitischen Erfolg gefeiert: die Quotenregelung. Ich stehe nicht an, diesen Erfolg zu schmälern, aber ich denke, in einem Punkt haben wir keinen Disssens — und die Debatte heute morgen verstärkt das bei mir — : Es ist für unsere Gesellschaft beschämend, wenn das Beteiligungsproblem nicht anders als nur mit der Quotenregelung zu lösen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Außerdem — das haben Ihre jüngsten Erfahrungen bestätigt — ist dieser Weg nicht ungefährlich. Der Sieg kann zum Pyrrhussieg werden; ohne Reibungsverluste wird es nicht abgehen, dies haben Sie ja soeben selbst erfahren.
Aber eines ist positiv zu verzeichnen: Der Vorwurf „Quote statt Qualität" ist öffentlich weniger laut zu hören.

(Wetzel [GRÜNE]: Aber in Ihrer Partei!)

Das ist allerdings noch kein Beweis dafür, daß das nicht nach wie vor gedacht wird.

(Wetzel [GRÜNE]: In Ihrer Partei!)

— Ich denke, wir brauchen nicht darüber zu sprechen, in welcher Partei das der Fall ist. Für mich ist wichtig: Für mich wird es darauf ankommen, ob eine Quotenbeteiligung nicht nur zu mehr Frauen in den Vorständen, sondern auch zu mehr Durchsetzung von frauenpolitischen Inhalten führt.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Wenn Sie hier kritisieren, daß wir ein Programm zur Wiedereingliederung in einem Umfang von nur 30 Millionen DM auflegen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Hätte ich es heute nicht im Haushalt, dann hätten Sie gefragt, wo ist denn das Wiedereingliederungsprogramm? Das steht doch in der Koalitionsvereinbarung.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Wir dachten: ein Programm, kein Trostpflaster!)

Dieses Wiedereingliederungsprogramm ist eben nicht
primär Beratung, sondern Einarbeitung vor Ort in



Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
Verbindung mit Handwerkskammern und den Betrieben.

(Zurufe von der SPD)

Es wird begleitet von Novellierungen im Arbeitsförderungsgesetz, denn dieses Programm wird gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeit durchgeführt.
Wenn Sie sagen, wir brauchen keine Programme, dann muß ich entgegnen: Als Mutter und Großmutter wissen Sie, daß gerade die Frauen, die ihr Arbeitsleben für längere Zeit unterbrochen haben, also die älteren Frauen, bisher die geringsten Chancen haben, wieder in Arbeit zu kommen,

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Das wissen wir eben alles!)

und daß hier Pilot- und Projektarbeit notwendig ist, die nicht schon wieder im Ansatz zerredet werden sollte.
Deswegen gilt es, diesen Weg zu beschreiten und konsequent weiterzugehen. Die Zahl der Frauen, die sich auf dem Arbeitsmarkt zurückmeldet, beweist, daß wir auf dem richtigen Wege sind: 85 % der neuen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze werden von Frauen besetzt.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Gesundheitspolitik sagen.
Ich möchte hier im Parlament der Enquete-Kommission für ihre Arbeit im Bereich der AIDS-Enquete danken. Es ist keineswegs so, daß die Dinge nicht bereits aufgenommen und auch umgesetzt werden. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß die Maßnahmen zur Bekämpfung der Drogenabhängigkeit in Verbindung mit AIDS verstärkt worden sind. Auch die Frage, in welcher Weise wir die zielgruppen- und trägerorientierte Aufklärung verbessern können, steht kurz vor ihrer Lösung. Dazu gehören auch die Verhandlungen mit dem Justizministerium über das Zeugnisverweigerungsrecht; das ist eine sehr komplizierte Frage. Dazu gehört auch die Fortsetzung der Forschung.
Da wir jedoch alle wissen, daß nach heutigem Stand so bald keine Therapie zu erwarten ist, kommt es entscheidend darauf an, Prävention zu betreiben sowie Beratung und Betreuung zu verbessern. Dazu gehört neben ambulanter Hilfe auch die Klärung der Frage, wo die Kranken wohnen und leben sollen. Denn machen wir uns nichts vor: Versteckt und offen besteht eine Menge an Ausgrenzung — vom Arbeitsplatz, aus den Wohnungen. Unsere Arbeit muß hier unermüdlich fortgesetzt werden.
Zu meinen Aufgaben gehört die Aufsicht über das Bundesgesundheitsamt. Ich bin häufig genug dort, ob im Arzneimittelinstitut oder im Institut Wasser, Luft und Boden. Es ist eigentlich unredlich, über ein Institut, das seit 1962 zum Bundesgesundheitsamt gehört, nun plötzlich, im Jahre 1988, zu sagen, hier gebe es wohl — was widerlegt ist — unheilvolle Verflechtungen.
Ich denke, daß in der Gesundheitspolitik mehr denn je die Bekämpfung der großen Zivilisationskrankheiten ansteht. Ich habe hier nach Kräften gearbeitet und diesen Arbeitsbereich vorangetrieben.
Was wir brauchen, ist — ich sagte es zu Beginn — eine Gesellschaft des Miteinander. Dies ist keine kollektivistische Gesellschaft. Die Gesellschaft des Miteinander setzt vielmehr auf die Kraft und die Phantasie aller Frauen und Männer, auf die Solidarität der Generationen. Sie setzt darauf, daß Menschen füreinander einstehen, damit unsere Kinder eine Zukunft haben. Dazu leistet dieser Haushalt einen Beitrag.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109202000
Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.

Horst Jaunich (SPD):
Rede ID: ID1109202100
Herr Präsident! Meine Damen.
Meine Herren! Das war eine bemerkenswerte Rede,

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

eine Rede der Frau Minister Süssmuth in der uns bekannten Art. Manche werden sagen, es war eine schöne Rede. Sie war gespickt mit Unverbindlichkeiten und vielen Selbstverständlichkeiten

(Beifall bei der SPD — Link [Diepholz] [CDU/ CSU] : Herr Jaunich, Sie haben die Rede vom letzten Jahr vorliegen!)

— nun bleiben Sie mal ruhig, ich komme gleich noch zu Ihnen — , denn dort, wo die Frau Minister Position hat erkennen lassen, findet Sie bei Ihnen überhaupt keinen Rückhalt, geschweige denn Beifall.

(Beifall bei der SPD — Link [Diepholz] [CDU/ CSU]: Lies die Rede mal nach!)

Die Hardliner, die die Politik bei Ihnen bestimmen, stimmen nicht mit der inhaltlichen Orientierung überein, die Frau Süssmuth, wenn sie redet , vorgibt.

(Frau Pack [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Das gilt es festzuhalten.
Es gilt auch festzuhalten — ich empfehle Ihnen, das nachzulesen, gerade Ihnen, Herr Hoffacker — die Bemerkung von der Frau Minister über die Begrenztheit der Möglichkeiten des Staates. Das war der Punkt, wo ich Sie mit meiner Zwischenfrage, Frau Minister, fragen wollte, ob Sie dies nicht auch für die Zeit der sozialliberalen Koalition gelten lassen wollen und müssen. Es kann doch wohl nicht angehen, daß Sie sagen: Der Staat kann nicht alles leisten, der kann nicht alles regeln, und es ist nicht alles mit Geld abwickelbar, aber das gilt dann nur für Zeiten, wo die CDU regiert. Wenn man eine solche Position hat, kann man zwangsläufig nicht so argumentieren, wie Herr Hoffacker das hier getan hat.

(Beifall bei der SPD)

Ihre ständige Behauptung, daß die Familienpolitik bei Sozialdemokraten Not gelitten habe, wird durch Wiederholung nicht wahrer. Das ist eine Unwahrheit; die Zahlen und Fakten belegen das Gegenteil.

(Beifall bei der SPD — Dr. Hoffacker [CDU/ CSU]: Das stimmt! — Link [Diepholz] [CDU/ CSU] : Herr Jaunich, das wissen Sie doch!)




Jaunich
Herr Hoffacker, Ihre Behandlung der Kollegin Schmidt weise ich mit Entschiedenheit zurück; das war eine Rüpelhaftigkeit, was Sie sich gegenüber Frau Schmidt hier geleistet haben.

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Was war das denn? — Zuruf von der CDU/CSU: Was hat er denn getan?)

— Lesen Sie es selber mal nach! Vielleicht sind die Gäule mit Ihnen durchgegangen. Dann entschuldigen Sie sich hinterher!
Nun will ich mal in dem Bild bleiben, das Frau Schmidt hier hinsichtlich der Anwältin gezeichnet hat. Frau Süssmuth, ich habe vergeblich darauf gehofft, daß Sie hier Ihre Anwaltsfunktion im Sinne der Fragestellungen von Frau Schmidt deutlich gemacht hätten. Ich würde gern noch zwei Fragestellungen hinzufügen: Wie verstehen Sie sich eigentlich als Anwalt einer besonders benachteiligten Gruppe, nämlich der der psychisch Kranken, was kommt dort aus Ihrem Haus, welche Widerstände leisten Sie bei dem Unternehmen des Herrn Bundesarbeitsministers, GRG genannt, wo bringen Sie hier die Interessen der psychisch Kranken ein, wo bringen Sie die Interessen der Sozialhilfeempfänger ein, welche Beiträge leisten Sie, damit die Kommunen wieder ihrer Verpflichtung nachkommen können, Sozialhilfe als Einzelfallhilfe gestalten zu können?

(Beifall bei der SPD)

Da gehen Sie schlicht und einfach auf Tauchstation, das Feld überlassen Sie anderen. Kurzum, Ihre Anwaltsfunktion ist auch hier nicht erfüllt.
Wie ist es mit Ihrer Funktion als Anwalt der Verbraucher? Da hätte ich in der Tat gefragt, ob Sie es dem freien Spiel der Kräfte überlassen wollen, wie denn die Lebensmittelskandale verhindert werden sollen, oder ob wir da nicht das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz auf den Prüfstand stellen müssen,

(Beifall bei der SPD)

ob da möglicherweise über Strafverschärfung hinaus neue Regelungen eingebaut werden müssen. Frau Minister, auch in diesem Fall muß ich sagen: Ihre Anwaltsfunktion ist nicht wahrgenommen worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gegenüber Matthiesen!)

Sie haben hier eben gesagt, Sie seien oft genug beim BGA in Berlin — das will ich überhaupt nicht bestreiten —, aber damit allein ist es nicht getan.
Eine letzte Bemerkung und ein Hinweis an Sie, Frau Professor: Dann sorgen Sie doch bitte dafür, daß der Geist, den das Arzneimittelgesetz 1976 ausstrahlt, daß wir keine Therapierichtung vom Staat her mit einer Präferenz versehen, auch eingehalten wird.

(Beifall bei der SPD)

Sie wissen, daß der Prozeß der Nachzulassung dem Ende entgegengeht, daß Millionen Menschen in dieser Republik die Befürchtung haben, daß ein Schatz an Naturheilmitteln nicht über diese Zulassungshürde kommt, weil dies in manchen Kommissionen noch nicht verinnerlicht worden ist, auch nicht von allen Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamtes. In diesen
Fällen, meine ich, haben Sie Ihre Anwaltspflicht — manchmal sogar sträflich — vernachlässigt. Reden, schöne Reden zumal, helfen hier wenig, hier muß konkreter gehandelt werden.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109202200
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Bildung und Wissenschaft das Wort.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1109202300
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Bildung, Wissenschaft und Forschung sind entscheidende Faktoren für unsere Zukunftssicherung. Gerade unser Land, das praktisch über keine eigenen Rohstoffe verfügt, ist im Interesse seiner Wettbewerbsfähigkeit auf ständige Leistungsverbesserungen in Bildung, Wissenschaft und Forschung angewiesen. Eine möglichst hohe Leistungsqualität ist das Kapital, mit dem wir international den Anschluß halten und unsere Lebensqualität bewahren oder verbessern können.
Der Haushalt 1989 trägt diesen Erkenntnissen Rechnung. Er sieht eine Steigerung des Bildungsetats auf rund 3,558 Milliarden DM vor. Im Vergleich zum verfügbaren Soll des Jahres 1988 bedeutet dies eine Anhebung des Haushaltsansatzes um 3,2 %.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung hat damit deutlich gemacht, daß sie der Bildungs- und Wissenschaftspolitik unter den zukunftssichernden Aufgaben auch finanzpolitisch hohe Priorität beimißt. Ich begrüße dies sehr.

(Beifall bei der FDP)

Der neu gewonnene finanzielle Spielraum des Bildungshaushalts 1989 macht es möglich, stärkere§ Gewicht auf Maßnahmen zur Steigerung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Weiterbildung zu legen. Ich möchte dies an vier finanzpolitischen Schwerpunkten meines Haushalts verdeutlichen.
Erstens. Für den Ausbau und die Modernisierung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten will die Bundesregierung 1989 100 Millionen DM einsetzen. Das ist mehr als das Doppelte des Solls für 1988. Weitere 200 Millionen DM sind in der mittelfristigen Finanzplanung der nächsten Jahre vorgesehen.
Den überbetrieblichen Ausbildungsstätten kommt bei der qualitativen Weiterentwicklung der beruflichen Bildung eine wichtige Rolle zu. Ihre Notwendigkeit und Bedeutung sind unter bildungs-, wirtschafts-, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten unbestritten. Sie sind Teil der notwendigen Infrastruktur für die Qualifikation der Erwerbstätigen, für die Wettbewerbsfähigkeit der Klein- und Mittelbetriebe und damit eine Zukunftsinvestition in die Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft.
Insgesamt sollen diese Ausbildungsstätten auf 77 100 Plätze ausgebaut werden. Vorhandene Plätze werden modernisiert. Damit haben sich die Chancen erheblich verbessert, daß wir mit technologischen Entwicklungen auch in der Ausbildung in mittelstän-



Bundesminister Möllemann
dischen Betrieben und im Handwerk Schritt halten können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zweitens. Für die weitere Entwicklung von Wissenschaft und Forschung in der Bundesrepublik Deutschland sind die vorgesehenen Bildungsinvestitionen für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau von ganz entscheidender Bedeutung. Der Ansatz des Jahres 1988 von einer Milliarde DM wird auch 1989 auf diesem hohen Niveau weitergeführt, der Finanzplan bis zum Jahre 1992 in gleicher Höhe fortgeschrieben. Dies bedeutet gegenüber der bisher abfallenden Finanzplanung einen zusätzlichen Investitionsschuh von einer Milliarde DM. Damit ist eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur der Hochschulen für Forschung und Lehre möglich.
Gleichzeitig schafft die Verstetigung des Haushaltsansatzes bei der mittelfristigen Finanzplanung das Maß an Vertrauen und finanzieller Sicherheit, das für eine zukunftsorientierte, längerfristige Planung im Wissenschafts- und Forschungsbereich erforderlich ist.

(Neuhausen [FDP]: Sehr gut!)

Ich bin der festen Überzeugung, daß es sich die Bundesrepublik Deutschland selbst für begrenzte Zeit nicht leisten kann, die Ausgaben für diejenigen Institutionen zu senken, in denen Leitideen und Lösungen zur Bewältigung von Zukunftsaufgaben erdacht und erarbeitet werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich sage dies auch mit Blick auf die Länder, die Träger der Hochschulen sind. Durch die demographische Entwicklung wird es in einigen Jahren, allerdings später als erwartet, zu Änderungen in den Hochschulen kommen, die unter dem Strich nicht zu einem Weniger an finanzieller Ausstattung führen dürfen. Sie sollen zu einem Mehr an Effektivität und der Entwicklung neuer Schwerpunkte im Wettbewerb untereinander und im internationalen Maßstab eingesetzt werden.
Drittens. An unseren Hochschulen legen jetzt mehr Studenten als in den Vorjahren ihr Examen ab. Ihre Zahl wird auch in den nächsten Jahren noch sehr hoch bleiben. Die Gesamtzahl der Studierenden nähert sich der 1,5-Millionen-Grenze. Das ist die höchste Zahl von Studenten, die wir je hatten. Wir müssen diesen jungen Menschen die Chance zur wissenschaftlichen Arbeit geben, wenn sie hierfür qualifiziert sind und diese Chance wahrnehmen wollen. Die Förderung der Forschung in den Hochschulen, die Begabtenförderung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sind deshalb wichtige Schwerpunkte meiner Arbeit.
Dies drückt sich in diesem Haushalt sehr konkret aus. Der Zuschuß des Bundes an die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Förderung und Verbesserung der Grundlagenforschung an den Hochschulen wird um rund 3,3 % von 590,2 Millionen auf 609,7 Millionen DM heraufgesetzt in der Erwartung, daß auch die Länder ihren Anteil in diesem Umfang steigern. Im Bereich der Spitzenforschung ist eine Steigerung des
Ansatzes auf 9 Millionen DM vorgesehen. Das entspricht einer Steigerungsrate von 33 %. Für die Studien- und Promotionsförderung der Begabtenförderungswerke werden die Mittel auf 89 Millionen DM — das sind 3,5 % — und für die Förderung von Leistungswettbewerben auf 4,8 Millionen DM angehoben, was einer Steigerung um rund 37 % entspricht.
Viertens. Die Intensivierung der Weiterbildung wird auch im kommenden Jahr von besonderem bildungspolitischen Interesse sein. Über die wachsende Bedeutung der Weiterbildung besteht heute weitgehend Einigkeit. Dies beweist auch die große Resonanz auf die Konzertierte Aktion Weiterbildung, zu der ich im vergangenen Jahr eingeladen habe und an der Vertreter aller wesentlichen mit Weiterbildungsfragen befaßten Einrichtungen und Verbände mitwirken. Alle großen Gewerkschaften, alle großen Arbeitgeberorganisationen, der Bund und die Länder ziehen hier an einem Strang. Trotzdem bleibt festzustellen, daß die Weiterbildungsbeteiligung nach wie vor nicht zufriedenstellend ist. Einen Durchbruch werden wir hier nur dann erzielen können, wenn wir das Weiterbildungsklima in der Bundesrepublik Deutschland deutlich verbessern.

(Beifall des Abg. Neuhausen [FDP])

Dies ist nicht allein durch eine Verbesserung der Weiterbildungsangebote zu erreichen. Um der Weiterbildung neue Teilnehmerkreise auch aus den Reihen der bislang Bildungsmaßnahmen gegenüber eher skeptisch eingestellten Erwachsenen zu erschließen, sind umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen erforderlich. Die Arbeitsschwerpunkte liegen deshalb vor allem auf der Entwicklung eines breiteren Weiterbildungsbewußtseins sowie neuer Formen der Zusammenarbeit und der Stärkung der Weiterbildungsbeteiligung.
Die Bundesregierung hat für diesen wichtigen Bildungsbereich 19 Millionen DM vorgesehen. Das entspricht einer Steigerung des Ansatzes um 26 %. Darin enthalten sind allein 3 Millionen DM für Aufklärungsmaßnahmen zur Förderung der Weiterbildungsbereitschaft und zur Erweiterung des Ausbildungsspektrums für Frauen und Mädchen.
Für die anderen — nicht besonders genannten — Bereiche des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft sind die Haushaltsansätze für 1989 weitgehend konstant: Teilweise konnten sie — so die Mittel für den Austausch im Bereich der beruflichen Bildung mit einer Steigerung um 21 % und die Mittel für die Förderung von Auslandsaufenthalten deutscher Studenten, Hochschulabsolventen und Wissenschaftler mit einer Steigerung um 6 % — sogar überproportional angehoben werden.
Der Mittelansatz bei der Ausbildungsförderung — einer zentralen Aufgabe des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — beträgt für 1989 1,45 Milliarden DM. Das entspricht der zu erwartenden Verpflichtung aus dem geltenden Gesetz. Darin berücksichtigt sind die zum Teil erheblichen Leistungsverbesserungen durch das 11. BAföG-Änderungsgesetz vom 21. Juni dieses Jahres, die in diesem Herbst und in einer weiteren Stufe im Herbst des kommenden Jahres wirksam werden.



Bundesminister Möllemann
In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß die von mir angeregte grundsätzliche Überprüfung des Systems der individuellen Ausbildungsförderung des Bundes durch den beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft errichteten Beirat für Ausbildungsförderung vor ihrem Abschluß steht. Ich erwarte die Vorlage des Berichts im Laufe des Monats Oktober.

(Zuruf von der SPD: Wir auch!)

— Ich werde Ihnen den dann natürlich zuleiten. — Die gesetzgeberischen Konsequenzen aus dieser Evaluierung werden wir nach der erforderlichen Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung im kommenden Jahr hier erörtern. Sie werden Gegenstand der Haushaltsberatungen für das Jahr 1990 sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend auf folgendes hinweisen: Es wird heute viel von Standortvorteilen und Standortnachteilen im Zusammenhang mit der künftigen Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland gesprochen. Ich bin der Auffassung, daß große Standortvorteile unseres Landes die Qualtät seines Bildungswesens, die hohe Qualifikation seiner Bürger und das daraus resultierende wissenschaftlich-technische Know-how der Bundesrepublik Deutschland sind. Sie gilt es zu erhalten und nach Möglichkeit weiter auszubauen. Dazu ist es notwendig, noch mehr Kräfte und weiterhin hohe Haushaltsmittel in die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung zu investieren. Ein erster und, wie ich meine, beachtlicher Schritt hierzu ist der vorliegende Bildungshaushalt für das Jahr 1989.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109202400
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1109202500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz zu Beginn möchte ich ausdrücklich würdigen, daß erstmals seit der Wende ein Bildungsminister dem Bundeskanzler und seinen Kabinettskollegen entgegengetreten ist und die Zumutung der weiteren Kürzungen seines Haushalts zurückgewiesen hat.

(Beifall bei der FDP)

Herr Minister Möllemann, wir haben Sie dabei gern unterstützt und freuen uns auch über den jetzt sichtbar gewordenen Silberstreifen am Bildungshimmel.
Nun zum Haushalt selbst: Leider sind Ihre Erfolgsmeldungen trotz des Silberstreifens etwas dick aufgetragen.

(Widerspruch bei der FDP)

Die Steigerung des Bildungshaushalts entspricht noch nicht einmal der prozentualen Steigerung des gesamten Bundeshaushalts. Wenn hier die erkämpfte Erhöhung um 3,2 To gepriesen wird, so muß diese doch im Rahmen der Entwicklung von Bildungspolitik seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Kohl gesehen werden. In dieser Gesamtbilanz ist der Bildungshaushalt um etwa 20% abgesenkt worden. In Zahlen ausgedrückt, wurde der Haushalt für Bildung und Wissenschaft im vorliegenden Einzelplan um 101 Millionen DM aufgestockt, jedoch in den Jahren 1982 bis 1988 um mehr als 1 Milliarde DM abgebaut.

(Neuhausen [FDP]: Jetzt wird er wieder aufgebaut!)

Für die Lebens- und Berufschancen des einzelnen wie auch für die Stabilität und Vitalität der Gesellschaft sind Bildung, Berufsausbildung, Hochschule und Weiterbildung von zentraler Bedeutung. — Ich hätte mir gewünscht, daß mehr Kollegen und Kolleginnen das erkennen lassen. — Aber wir müssen uns fragen: Reichen denn die gegenwärtigen Bildungsziele, Bildungsinhalte und die Strukturen ihrer Vermittlung aus, um den Erwartungen und Erfordernissen gerecht zu werden?
Allerdings müssen wir auch erkennen und berücksichtigen, daß es Grenzen dessen gibt, was wir der Natur und den kommenden Generationen zumuten dürfen. Das muß sich auch in dem niederschlagen, was wir lernen.

(Beifall bei der SPD)

Technik, die den unfehlbaren Menschen voraussetzt, blinder Fortschrittsglaube, so haben uns katastrophale Vorkommnisse der letzten Monate und Jahre gelehrt, darf nicht mehr politisches Ziel sein, schon gar nicht bildungspolitisches. Deshalb hat sich die Förderung von Höchstleistungen, oft auf Kosten allgemein notwendiger Leistungen, gesellschaftlich überholt.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Hillerich [GRÜNE])

Menschlicher Fortschritt verlangt neue, anspruchsvolle Kenntnisse, Fertigkeiten und soziale Fähigkeiten. Darauf muß sich die Bildungspolitik einstellen.

(Dr. Penner [SPD]: Sehr richtig!)

Bei der Betrachtung der Schwerpunktsetzung des mageren Bildungshaushalts im einzelnen und bei der Berücksichtigung der vielen Erfolgsmeldungen des Bildungsministers

(Neuhausen [FDP]: Berechtigte Erfolgsmeldungen!)

fällt folgendes auf: Den Mittelzuwachs für die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten, die die berufliche Erstausbildung im dualen System für Klein- und Mittelbetriebe und des Handwerks unterstützen und auch der Weiterbildung offenstehen sollen, begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion. Lange Zeit haben wir Sie ja drängen müssen, endlich ein Konzept für diese überbetrieblichen Berufsbildungsstätten vorzulegen. Was nun auf dem Tisch liegt und was Sie feiern, orientiert sich starr an der 1975 festgelegten Zahl von 77 100 Plätzen, berücksichtigt nicht technologische, regionale — das betone ich — und gesellschaftliche Entwicklungen und setzt dort keine Schwerpunkte der Förderung, wo sie nötig sind.

(Dr. Penner [SPD]: Sehr richtig!)

Die Mittel werden für den schon lange gemeldeten Bedarf kaum ausreichen. Dagegen wird der prozentuale Förderanteil des Bundes zu Lasten der Länder und der an überbetrieblichen Ausbildungsstätten beteiligten Kommunen, Kammern, Betriebe und freien



Frau Odendahl
Träger gesenkt. Wer da nicht mehr mithalten kann, der muß halt dichtmachen. Auch Strukturhilfen, wie sie für das Ruhrgebiet geplant sind, müssen ein nachvollziehbares Konzept haben. Aus den Erläuterungen im Haushalt ist dies nicht nachvollziehbar.

(Zuruf von der CDU/CSU: Selbstverständlich!)

Alle reden von Weiterbildung. Auch Herr Minister Möllemann hat das vorher betont. Weil das eine wichtige Rolle im Rahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung spielt, muß hier einmal das Bundesinstitut für Berufsbildung angesprochen werden. Ihm stehen da wichtige Aufgaben zu. Es widerspricht nun den Ministeriumsverlautbarungen und -beteuerungen von der Wichtigkeit dieser Aufgabenfelder, wenn im Haushalt für das Bundesinstitut 220 000 DM eingespart werden sollen und vier Stellen zur Streichung vorgesehen sind. Herr Minister Möllemann, ausgerechnet da, wo die konzeptionelle Vorarbeit geleistet werden muß, wird die Säge angesetzt.

(Dr. Böhme [Unna] [SPD]: Unglaublich!)

Dafür wird das Ministerium um vier Mitarbeiter für die Konzertierte Aktion Weiterbildung aufgestockt. Keine Aufstockung gibt es bei den konkret mit Weiterbildungsprojekten und Weiterbildungsplanungen befaßten Abteilungen. Für die Maßnahmen auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung sind ganze 19 Millionen DM, also 4 Millionen DM mehr, vorgesehen und davon — und das haben Sie betont — 3 Millionen DM für Informationsarbeit.
Unsere Kritik richtet sich gegen die auch in vielen anderen Bereichen sichtbare Strategie der Bundesregierung und des Bildungsministers: viel Aufwand für Aktionen und Publikationen, einen Klacks, wenn es um die inhaltliche Gestaltung geht.

(Beifall bei der SPD)

Wo bleiben denn Modellprogramme, die die Chancen stärken zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Klein- und Mittelbetrieben oder für Frauen mit Familie oder für Frauen, die den Wiedereinstieg ins Berufsleben suchen? Wo bleibt denn die Weiterbildung von Ausbilderinnen und Ausbildern bei den schon erfolgten oder in Vorbereitung befindlichen Neuordnungen vieler Berufsbilder? Wo bleiben denn die Weiterbildungsangebote für Ausbilderinnen im gewerblichtechnischen Bereich, um dadurch in der Praxis den Zugang junger Frauen in diese Ausbildungsberufe zu fördern? Wo sind denn Ihre Überlegungen zur Einbeziehung beruflicher Schulen in die Weiterbildung? Und welche bildungspolitischen Schritte wollen Sie unternehmen, um Qualitätsanforderungen für die betriebliche Weiterbildung dann auch durchzusetzen?
Kommen wir zur beruflichen Bildung: Hier gibt es zwei Schwachstellen. Für Jugendliche, die schulische Anforderungen und Anforderungen in der Berufsausbildung nicht aus eigener Kraft, aber mit Hilfe und Betreuung erfüllen können, haben wir unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung das Benachteiligtenprogramm geschaffen, das Sie im letzten Jahr aus Haushaltsgründen in das Arbeitsförderungsgesetz überwiesen haben. Dabei haben Sie uns versichert — und Sie tun es immer noch —, daß dieses Programm damit abgesichert sei. Also, es ist doch angebracht, angesichts der 1,8 Milliarden DM, die Herr Blüm nun zusammenscharren will, zu fragen, wie er sich diese Verpflichtung vorstellt. Ich wiederhole von dieser Stelle: Wir werden Sie ständig daran ermahnen.

(Beifall bei der SPD)

Die zweite Schwelle ist die Ausbildungssituation für Mädchen und für junge Frauen. Ich war Frau Süssmuth dankbar, daß sie es mit erwähnt hat. Noch immer stellen sie den Löwenanteil der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz. Trotz einzelner Maßnahmen, die Mädchen in gewerblich-technischen Berufen auszubilden, finden Neu- und Altbewerberinnen — und Sie sollten mal überlegen, wie viele da noch warten — nur schwer eine Ausbildung und noch schwerer eine zukunftsorientierte. Es ist klar, daß inzwischen, weil die Mittel für Modellversuche festgefroren wurden — es gibt keine Steigerung —, da das Feld ist, wo sie eingesetzt werden müssen. Es gibt hier nur wenig Spielraum, neuen Anforderungen in ersten Modellversuchen weiter zu begegnen. Hier wird das von uns kritisierte Defizit einer eigenen Konzeption des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft besonders deutlich, und das, obwohl Herr Minister Möllemann bei den Beratungen zur BLK-Studie und zum Berufsbildungsbericht angekündigt hat, er werde dieses Instrument in Zukunft verstärkt nutzen.
Ich komme zu einem weiteren Ankündigungsthema des Bildungsministeriums, dem europäischen Binnenmarkt. Während seiner Präsidentschaft kam Hoffnung auf. Denn er sprach immer wieder von Freizügigkeit, vom freien Zugang zum Arbeitsmarkt Europa und der Verpflichtung, die daraus in allen Politikbereichen erwächst. In seinem Haushalt scheint Herr Minister Möllemann das ganz vergessen zu haben. Denn die dafür vorgesehenen Mittel werden den Bedarf nur zu einem ganz geringen Teil decken können. Das trifft sowohl auf den Austausch mit dem Ausland im Bereich der beruflichen Bildung — dazu habe ich wenig finden können — wie im Hochschulbereich zu. Diese Vernachlässigung ist auf Grund der großen Versprechungen nicht nachvollziehbar.
Nun zu meinem Lieblingsthema. Hier wende ich mich direkt an den Herrn Bundeskanzler, der leider nicht da ist.

(Kastning [SPD]: Wo ist er denn?)

Er versäumt bei keiner Gelegenheit, seine Verantwortung für die Zukunftschancen der jungen Generation zu betonen. Der Herr Bundeskanzler hat gleich zu Beginn seiner Regierung dafür gesorgt, daß diese Zukunftschancen drastisch vermindert wurden oder zumindest vom Geldbeutel der Eltern abhängig geworden sind. Sie haben als eine der ersten Maßnahmen in Ihrer Regierung den BAföG-Kahlschlag durchgesetzt und die Ausbildungsförderung in eine ständig brökkelnde Ruine verwandelt.

(Austermann [CDU/CSU]: Das ist doch falsch!)

Chancengleichheit in der Bildung gibt es nicht mehr.
Die Ausbildungsförderung wird im vorliegenden



Frau Odendahl
Haushalt erneut um 5 Millionen DM gekürzt, obwohl Ihnen von allen Fachgremien inzwischen bescheinigt wird, was Sie angerichtet haben.
Bei den Studenten ging die Gefördertenquote von 37 % im Jahre 1982 auf noch kümmerliche 18 % zurück. Vielleicht macht es Sie doch nachdenklich, daß wir das einzige Industrieland sind, das Ausbildungsförderung nur als Volldarlehen gewährt. Sie machen aus der jungen Generation, um die Sie sich angeblich so sehr sorgen, eine Schuldner-Gemeinschaft gegenüber dem Staat.

(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten mit Spannung den Bericht der BAföG-Kommission und weisen schon heute darauf hin, daß wir nicht zulassen werden, daß dieser als langfristiges Trostpapier in den Schubladen des Bundesbildungsministeriums verschwindet.

(Beifall der Abg. Frau Blunck [SPD])

Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ließe sich noch viel sagen, auch zu dem gesellschaftspolitischen Skandal, daß der Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen nichts, aber auch gar nichts im Haushalt zugefügt worden ist. Es wird nichts getan, als immer wieder an der Frage der Qualifikation anzusetzen und zu sagen: Würden wir doch gern; aber wo sind sie denn, die Frauen?
Frohe Kunde: Für den Hochschulbau stehen jetzt mit 1 Milliarde DM mehr Mittel zur Verfügung. Die vom Finanzminister vorgesehene Kürzung konnte verhindert werden.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109202600
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Möllemann?

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1109202700
Ich nehme an, daß ich noch viel Gelegenheit habe, mit Herrn Minister Möllemann offene Fragen zu klären. Ich möchte das nicht in der Redezeit tun.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109202800
Es geht hier um den Abgeordneten Möllemann, nicht um den Minister.

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1109202900
Auch mit dem Abgeordneten Möllemann. Ich möchte es nicht in dieser Zeit tun.
Der Mehrbedarf wird vom Wissenschaftsrat auf 1,2 Milliarden DM geschätzt. Es fehlt noch ein bißchen. Aber man muß wissen, daß bei den gesamten Mitteln mittelfristig 1,1 Milliarden DM in den Bereich der Universitätskliniken fallen und nur 1,6 Milliarden DM für den übrigen Hochschulbereich vorgesehen sind. Der Nachholbedarf — z. B. behindertengerechter Aus- oder Umbau der Hochschulen — bleibt dabei auf der Strecke.
Wenn Bundeskanzler Kohl Aussiedlern verspricht, in der Bundesrepublik eine neue Heimat zu finden, so muß er auch Sorge tragen, daß ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden,

(Daweke [CDU/CSU]: Das geht jetzt aber zu weit!)

um ihre Ausbildung zu ergänzen und ihnen damit den Zugang zum deutschen und europäischen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1109203000
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Daweke?

Doris Odendahl (SPD):
Rede ID: ID1109203100
Ich kann doch Herrn Daweke nicht gewähren, was ich soeben dem Abgeordneten Möllemann abgeschlagen habe.
Im Bildungshaushalt ist dafür nichts vorgesehen. Es wird auch zum Nulltarif nichts zu machen sein. Das muß man auch dem Bundeskanzler übermitteln.

(V o r s i t z: Vizepräsident Cronenberg)

Zum Schluß ist anzumerken: Minister Möllemann hat sich bemüht, Bildungspolitik durch Erhöhung des Bildungshaushalts aufzuwerten. Das ist ihm nach einer langen Talfahrt auch zum erstenmal gelungen. In Zahlen ausgedrückt ist das ein Erfolg; aber, wie zu Beginn dargelegt, nur ein sehr eingeschränkter. Bildungspolitik mit zukunftsorientierten Schwerpunkten und Inhalten zu füllen ist ihm nicht gelungen. Die Chancengleichheit aller Jugendlichen im Bildungsbereich zu gewährleisten, hat er sich nicht bemüht.
Dem Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, Herr Möllemann, fehlt die Substanz.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109203200
Das Wort hat der Abgeordnete Daweke.

Klaus Daweke (CDU):
Rede ID: ID1109203300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte hat Rituale. Zu den Ritualen gehört es, daß die Opposition alles, was die Regierung macht, schlecht findet.

(Wetzel [GRÜNE]: Manchmal hat sie recht!)

Ich muß feststellen: Das war eine Rede, die aus diesem Ritual ausgebrochen ist. Sie haben den Bundesbildungsminister und das Bundeskabinett für diesen Haushalt gelobt.

(Frau Traupe [SPD]: Was bitte?)

Die Zeit, in der Sie keinen finanzpolitischen Sprecher haben, haben Sie genutzt, um zu sagen: Aber ein bißchen mehr könnte es schon sein. Ich bin ganz sicher: Sobald Sie wieder einen Nachfolger für Herrn Apel haben — nächste Woche — , wird man Ihnen das auch nicht mehr gönnen. Das war ja auch ein Kennzeichen der Finanzwirtschaftler in der SPD.

(Frau Traupe [SPD]: Es gibt aber Sparmöglichkeiten an anderer Stelle des Haushaltes!)

Sie haben moniert, daß im Bereich von Aussiedlerhilfen nichts im Haushalt des BMBW zu finden ist. Ich will nur der guten Ordnung halber sagen: Der Bundeskanzler sitzt zur Zeit mit den zuständigen Ministern — Herr Stoltenberg war auch gerade da — , mit den Ländervertretern und den Gemeindevertretern im Bundeskanzleramt und redet über diese Frage. Es ist mir, ehrlich gesagt, ziemlich egal, ob die Hilfen für



Daweke
die Aussiedler im Bildungsbereich nun im BMBW verankert sind oder ob sie im AFG oder im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit auftauchen. Hauptsache ist — das stimmt — , daß wir Sprachförderung betreiben und daß wir diesen Menschen auch in anderen Bereichen helfen, so wie wir auch für uns in Anspruch nehmen, durch Bildung in die Zukunft zu investieren.

(Beifall von der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt noch ein anderes Ritual. Dazu gehört, daß wir uns als Experten in dieser Haushaltsdebatte eigentlich immer nur mit unserem Haushalt beschäftigen. Ich will aber sagen: Wenn wir über Bildung und Wissenschaft reden, müssen wir auch darüber reden, daß wir mit dem Haushalt 1989 ingesamt — ich sage einmal — eine Kulturoffensive starten bzw. sie fortsetzen

(Zuruf von der SPD: Donnerwetter!)

im Sinne eines — weil die Bundesratsbank auch besetzt ist — kooperativen Föderalismus. Dazu gehört, daß man etwa in den Haushalt des Bundesbauministers sieht — Haus der Geschichte, Kunsthalle Bonn, Geschichtsmuseum Berlin —, daß man in den Etat des Innenministers sieht — ich nenne nur als ein Beispiel die Verdoppelung der Mittel für die kulturelle Förderung des deutschen Films — , daß man in den Haushalt des Wirtschaftsministers sieht, ich sage nur: zum erstenmal wird in einem Bundeshaushalt versucht, die wirtschaftliche Kraft des deutschen Films zu stärken, dessen Marktanteil in deutschen Kinos inzwischen unter 20 % liegt.
Wenn man einmal den ganzen Haushalt überblickt, muß man sagen: Hier wird mit Kraft versucht — auch eine Zukunftssicherung, denke ich — , die Bundesrepublik als Kulturgesellschaft auszubauen. Dazu trägt in der Tat auch unser Haushalt wesentlich bei.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Ich will im Zusammenhang mit der Frage, wo es neue Schwerpunkte gibt, auf zwei Dinge konkret eingehen. Das eine ist die heute morgen schon mehrfach angesprochene Fortsetzung der Förderung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Ich sage auch einmal aus einer politischen Sicht: Das Handwerk hat im wesentlichen dazu beigetragen — und der Politik damit geholfen — , daß wir alle gemeinsam das Problem, das seit 1982/83 schier unlösbar zu sein schien, nämlich alle jungen Leute in eine Ausbildung zu bringen, nahezu hundertprozentig gelöst haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist nicht alles perfekt, daß gebe ich zu; aber das Handwerk hat uns hier sehr geholfen. Ich finde es insofern wichtig, daß wir sagen: Nun hilft die Politik dem Handwerk, indem wir nämlich in Zukunft dafür sorgen, daß das, was sie nicht selber leisten können — das bedeutet, überbetrieblich da auszubilden, wo sich Betriebe spezialisieren, auch Erst- und Weiterbildung zu betreiben — verstärkt wird.
Als zweites möchte ich zum Schwerpunkt des Haushalts des BMBW folgendes sagen: Wir haben die Hochschulbaumittel — auch Herr Möllemann hat darauf hingewiesen — wesentlich verstärkt. Es gibt aus dem Bundesrat eine Überlegung, daß man diese Mittel eigentlich noch weiter erhöhen sollte. Ich wollte
uns alle in die Pflicht nehmen und fragen, ob wir, wenn die Länder bereit sind, in ihrem Gebiet ihren 50-%-Anteil zu erhöhen — da gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern — , dann nicht alle zusammen uns hier bemühen können, unseren Komplementäranteil von unseren 50 % mit zu erhöhen. Hier handelt es sich um sozusagen auch in Gebäuden ablesbare Investitionen. Es geht eigentlich weniger um den Ausbau der Kapazitäten als um die Qualitätssicherung der Hochschulen. Wir müssen die alten Charités durch moderne Kliniken ersetzen. Wir müssen dafür sorgen, daß die Universitäten eine Struktur bekommen, mit der sie auch im Wettbewerb bestehen können. Ich meine, dazu könnten jetzt die Beratungen in unseren Ausschüssen einen guten Beitrag leisten.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109203400
Das Wort hat der Abgeordnete Wetzel.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1109203500
: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, Herr Minister Möllemann, haben sich in den vergangenen Wochen selber zum Gewinner der diesjährigen Haushaltsrunde ausgerufen. Sie gingen so weit, zu behaupten, daß Bildungspolitik unter Ihrer Regie inzwischen zu einem Bestseller geworden sei. Ich denke, diese Behauptung hat einiges mit Ihrer ausgeprägten Neigung zur Selbstbelobigung, aber rein gar nichts mit dem wirklichen Zustand der Bildungspolitik zu tun.
Ich kann weder der Kollegin Odendahl von der SPD zustimmen, wenn sie meint, in diesem Haushalt zeichne sich so etwas wie ein Silberstreif am bildungspolitischen Horizont ab. Ich kann diesen Silberstreif nicht erkennen. Ich kann auch nicht dem Kollegen Daweke zustimmen, wenn er meint, insgesamt repräsentiere die Bildungspolitik der Bundesregierung so etwas wie eine Kulturoffensive. Derartige Behauptungen möchte ich erst einmal kurz nachprüfen, ob sie der Realität in der Bildungspolitik Stich halten.
Da ist es erst einmal erforderlich, folgende Klarstellungen vorzunehmen: Diese gelb-schwarze Koalition, die eines der reichsten Länder der Erde regiert, hat innerhalb von nur sechs Jahren den Bildungshaushalt von 4,5 Milliarden um eine ganze Milliarde heruntergekürzt. Diese gelb-schwarze Koalition hat zudem eine Steuerreform mit verheerenden Auswirkungen auf die Bundesländer verabschiedet. Die Bundesländer werden 1990 Einnahmeausfälle — wie allgemein bekannt — in Höhe von 9 Milliarden DM haben. Auch hier wird das auf Kosten des schwächsten Gliedes, nämlich auf Kosten der Bildungspolitik gehen, ob es sich nun um schwarze, gelbe oder rosa Finanzminister handelt. Es ist die junge Generation, die dafür die Zeche zu zahlen haben wird. Ihre Ansprüche auf qualifizierte Ausbildung in Schulen und Hochschulen und damit ihre Zukunftsaussichten sind dieser Bundesregierung immer weniger wert. Das, Herr Minister, ist die unbestreitbare realkonservative Situation der gegenwärtigen Bildungspolitik.
Wir GRÜNEN können rein gar nichts davon erkennen, daß Bildungspolitik zu einem Bestseller gewor-



Wetzel
den sei. Womit, Herr Minister, frage ich Sie, begründen Sie eigentlich Ihre kühne Behauptung, Sie hätten Bildungspolitik zu einem Bestseller gemacht? Doch wohl nicht ernsthaft mit den lächerlichen 110 Millionen DM, um die Ihr Haushalt nach Jahren einer Streichungsorgie aufgestockt wurde. Tatsache ist doch auch — man muß sich nur die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung ansehen —, daß Sie sich zugleich damit einverstanden erklärt haben, den Anteil der Bildungs- und Wissenschaftsausgaben am Gesamthaushalt des Bundes bis 1992 weiter abzusenken, und zwar auf ganze 1,17 %. Bildungspolitik, so sage ich, wird von dieser Bundesregierung also ganz gewiß nicht als Bestseller ins Auge gefaßt und geplant, sondern eher als eine schlechte Ware, für die sich Finanzaufwand nicht lohnt. Ich denke, unsere Kinder werden es Ihnen zu danken wissen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Kinder sind viel vernünftiger!)

Aber, meine Damen und Herren, der vorgelegte Haushalt gibt der Bildungspolitik dieser Regierung nicht nur eine denkbar düstere Prognose, er verrät in seiner Struktur ebenso eine gravierende Fehleinschätzung dessen, was eigentlich Bildungs- und Wissenschaftspolitik sein soll. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, hier muß laut gewarnt werden, denn die Bildungspolitik dieser Regierung ist zu einer Unterabteilung wachstumsorientierter Wirtschaftspolitik geworden. Wir haben das heute in den Darlegungen des Ministers wieder erfahren. Leitmarken derartiger Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind Weltmarktkonkurrenz, ist Konkurrenzfähigkeit, ist Wachstum, rein quantitatives Wachstum — kein Wort von den rapide ansteigenden Kosten dieses Wachstums in Form ökologischer und sozialer Zerstörungen. Bildungspolitik in Ihrem Verständnis hat dieses Problem überhaupt noch nicht begriffen. Jedenfalls ist der Struktur des Haushalts davon nichts anzusehen.

(Daweke [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht! — Neuhausen [FDP]: Das können Sie doch nicht glauben!)

Alle Welt weiß, daß wir einhalten müssen, daß wir einen grundlegenden Kurswechel vornehmen müssen, weil sonst die Zukunft für die nachfolgenden Generationen keine menschenwürdigen Lebensbedingungen bereithalten wird. Alle Welt weiß das, und hier hat Bildungs- und Wissenschaftspolitik auch ihre zentrale Aufgabe. Sie darf sich nicht primär an ökonomischen Kriterien ausrichten. In dieser Politik geht es nicht nur um Bares. In Bildung und Wissenschaft geht es heute vor allem um gesellschaftliche und ökologische Aufklärung, und es geht um die individuelle Selbstentfaltung und um Kritikfähigkeit. Gegen den unsäglichen Ökonomismus der konservativen Bildungs- und Wissenschaftspolitik müssen wir an der Erkenntnis festhalten: Selbstbestimmung, Demokratie und Ökologie gibt es unter den Bedingungen einer hochkomplexen Technik und Industrie nur dann, wenn wir das Ziel der bestmöglichen Ausbildung aller ins Auge fassen. Ich denke, wenn wir uns den Haushalt in seiner Struktur ansehen, dann ist von derartigen Zeichen der Zeit in diesem Haushalt nichts zu erkennen.
Nehmen wir ein Beispiel: Das größte Wachstum im Einzelplan 31, also im Bildungshaushalt, verzeichnet der Schwerpunkt „überbetriebliche Ausbildungsstätten". Sie dürfen aber nicht etwa glauben, daß es hier die Interessen der Auszubildenden waren, die Geld locker gemacht haben. Im Interesse der Jugendlichen wäre eine gezielte Förderung von zukunftsträchtigen ökologisch und sozial sinnvollen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Die Politik der Regierung dagegen läuft auf eine gleichmacherische Förderung der Mittel- und Kleinbetriebe im Gießkannenverfahren hinaus. Das ökonomistische Verständnis dieser Bildungspolitik hat hier zur Konsequenz, daß unter dem wohlklingenden Titel der Jugendberufshilfe nichts anderes als nackte Mittelstandssubventionierung stattfindet.
Ein weiteres Beispiel: Daß die junge Generation, die Generation der Auszubildenden, nicht zur Klientel dieser Regierung zählt, zeigt weiter der Skandal in der Ausbildungsförderung. Ein weiteres Mal sinken in diesem Haushalt die Ausgaben des Bundes für die Studentenförderung um 5 Millionen DM. Diese Regierung hat es damit geschafft, die Quote der Geförderten innerhalb von nur sechs Jahren um die Hälfte auf inzwischen 18 To abzusenken mit einer Fülle von Konsequenzen, über die wir in diesem Haus schon mehrfach und auch im Ausschuß vergeblich, nämlich nicht folgenreich, diskutiert haben. Gleichzeitig — und das ist ein weiteres Element dieses Skandals — bezieht der Bund 1989 Einnahmen in Höhe von 320 Millionen DM aus der BAföG-Förderung, die aus rückfließenden Darlehen und Zinsen stammen. Nicht einmal dieser Betrag wird in eine Schüler- und Studentenförderung reinvestiert.
Meine Damen und Herren, es sollte doch zu denken geben, daß das Produkt der gegenwärtigen Bildungs-und Wissenschaftspolitik eine teilweise schon resignierende Generation von Studierenden und jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist, die sich für eine menschenwürdige Zukunft einsetzen wollen, die ihre Qualifikation in die Gestaltung dieser Zukunft einbringen wollen, denen es aber an ausreichenden Studier-, Forschungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten fehlt.
Wenn Sie sich umhören und mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Wissenschaftsinstitutionen sprechen, z. B. mit dem Kollegen Markl, dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, werden Sie präzise Informationen erhalten können, wie groß die Bereitschaft dieser jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist und wie groß gleichzeitig ihre Angst ist, mit ihren Fähigkeiten überhaupt nicht mehr zum Zuge zu kommen. Das ist der Sachverhalt, das ist die Konsequenz dieser Bildungspolitik.
Zum Schluß noch ein Wort zu einem, wie ich sagen möchte, bildungspolitischen Bubenstück, das unter Leitung des Arbeitsministers, Herrn Blüm, aufgeführt werden soll. Die neunte AFG-Novelle, die sinnvollerweise wohl in „Arbeitslosenfleddernovelle" umzubenennen wäre, soll völlig zu Lasten der Arbeitslosen ohne Berufsabschluß, zu Lasten von Frauen mit einer nicht marktgerechten Qualifikation, zu Lasten von Hauptschülern ohne Abschluß verabschiedet werden. Auf deren Kosten soll eingespart werden. Das ist eine



Wetzel
bildungspolitische Maßnahme. Herr Minister Möllemann, ich möchte Sie dringlich bitten, Ihr ganzes Gewicht, sofern es vorhanden ist, im Kabinett einzusetzen, daß diese bildungspolitischen Elemente in der neunten AFG-Novelle herausgestrichen werden. Das ist eine dringende Forderung an Sie.
Mit dieser Forderung möchte ich schließen. Unsere Anträge werden wir im Haushaltsausschuß einbringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109203600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Struck.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1109203700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, die letzte Runde der Finanz- und Haushaltspolitiker in der ersten Lesung zum Haushalt einzuleiten.

(Daweke [CDU/CSU]: Herr Vogel paßt auf!)

Der Haushalt, sagt man, ist das Schicksalsbuch der Nation. Er soll die Ziele staatlichen Handelns aufzeigen, Wege beschreiben, Weichen für die Zukunft stellen. Gibt dieser Haushalt nun die richtigen Antworten, stellt er die Weichen richtig, zeigt er die richtigen Wege? Leider ist die Antwort: nein. Die offensichtlichen Widersprüche unserer Zeit werden von dieser Bundesregierung nicht erkannt, geschweige denn gelöst.
Wir sind eines der reichsten Länder der Erde, und dennoch tun wir nicht das Notwendige für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Wir alle wollen doch Flüsse, in denen Menschen baden und Fische überleben können. Wir alle wollen doch saubere Luft zum Atmen und gesunde Wälder. Es darf aber nicht nur bei Bekenntnissen für Ökologie und Umweltschutz bleiben. Die Ankündigungen von Herrn Töpfer sind nichts als leere Worte.

(Beifall bei der SPD)

Die notwendigen Mittel für Taten — und der Bundeshaushalt zeigt das in aller Klarheit — stellt diese Bundesregierung nicht bereit.
Wir sind eines der reichsten Länder der Erde, und doch gelingt es nicht, den vielen Menschen, die ihre Arbeitskraft der Gemeinschaft anbieten, Arbeitsplätze zu beschaffen; im Gegenteil: Wir geben 60 Milliarden DM dafür aus, daß diese Menschen nicht arbeiten.
Wir sind eines der reichsten Länder der Erde, und doch hat unser Staat so viele Schulden, daß bereits in diesem Jahr die Grenze von 1 Billion DM, also 1 000 Milliarden DM, überschritten worden ist.
Unsere Kinder und Enkelkinder werden uns eines Tages fragen, warum wir ihnen eine zerstörte Umwelt, einen armen Staat und riesige Staatsschulden hinterlassen haben, obwohl wir so reich waren. Sie werden uns vorwerfen, auf ihre Kosten gelebt zu haben.
Sicher leben wir nicht alleine auf der Welt, aber die Möglichkeiten, die wir haben, müssen wir nutzen. Mit der Haushalts- und Steuerpolitik verfügen wir über Instrumente, die uns in die Lage versetzen, heute die Weichen für die Zukunft zu stellen. Wer allerdings
Haushaltspolitik nur als bloße Fortschreibung des Bisherigen versteht, verkennt die wahre Bedeutung staatlichen Handelns.

(Beifall bei der SPD)

Der Haushalt und die Debatte der letzten Tage zeigen, daß die Bundesregierung weder willens noch in der Lage ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen und unsere Zukunft zu gestalten. Gibt es eine etwas bessere Konjunktur, so fühlen Sie sich, Herr Bundesfinanzminister, im Aufwind und fallen in Ihre alte Selbstgerechtigkeit zurück. Der Bundeskanzler bleibt dem geistigen Aussitzen verhaftet und entzieht sich jeder fruchtbaren Auseinandersetzung dadurch. daß er uns Neidkomplexe unterstellt.
Sie haben nicht erkannt, daß die Fortsetzung Ihrer bisherigen Finanzpolitik immer weiter in eine Sackgasse führt. Sie wollen weitermachen wie bisher, trotz anhaltender Massenarbeitslosigkeit, trotzt explodierender Subventionen, trotz riesiger Umweltschäden.
Wir können aber nicht so weitermachen, sondern wir brauchen eine Neuorientierung der Finanzpolitik. Wir brauchen sie heute, um nicht nur unsere Zukunft, sondern auch die Zukunft unserer Kinder zu gestalten. Sie sollen einmal ohne Angst um ihre Gesundheit gesunde Nahrung essen, reine Luft atmen und in unseren Flüssen und Meeren schwimmen können.
Deshalb brauchen wir eine ökologische Erweiterung unseres Steuersystems.

(Beifall bei der SPD)

Aufgabe staatlicher Finanzpolitik ist es auch, mit Hilfe der Steuerpolitik einen Beitrag zur Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu leisten und unsere Umwelt wieder lebenswert zu machen.
Das heißt konkret: Wir müssen, wie es Ernst-Ulrich von Weizsäcker in einem „Spiegel"-Essay dargelegt hat, die Möglichkeit prüfen, „die Kassen des Staates konsequent mit Steuern auf Unerwünschtes zu füllen und dafür das Erwünschte steuerlich zu entlasten".
Natürlich gilt nach wie vor im Umweltrecht das Verursacherprinzip, die finanzielle Haftung des Umweltschädigers für sein Verhalten. Aber dieses Instrument allein reicht heute nicht mehr aus. Wasser, Luft und Boden sind heute so vielfach geschädigt, daß die Kette der Ursachen weit zurückreicht, die Umweltzerstörer nicht mehr auszumachen sind oder, wie in vielen Bereichen, wir alle zu den Schäden unserer Umwelt beigetragen haben.
Die ökologische Erweiterung unseres Steuersystems ist auch wirtschaftspolitisch vernünftig.

(Beifall bei der SPD)

Oskar Lafontaine hat zur Recht gesagt: Es ist unlogisch, die Erwerbsarbeit kostenmäßig immer stärker zu belasten und den Energieverbrauch über Steuern und Abgaben kostenmäßig immer weniger zu belasten.
Menschliche Arbeit, Schaffung von Mehrwert, wird billiger werden, wenn wir Umweltverschmutzung, Naturzerstörung und Energieverbrauch teurer machen. Unser Ziel muß sein, eine Gesellschaft mit Voll-



Dr. Struck
beschäftigung in gesunder und lebenswerter Umwelt zu schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Dazu brauchen wir eine neue steuerliche Konzeption, eine Umorientierung hin zu einer ökologischen Steuerpolitik.
Ihre Politik der Senkung von Steuern für Reiche und der Steuererhöhungen für die Normalverdiener ist dabei der falsche Weg. Sie verschieben Milliarden von unten nach oben, und das, Herr Bundesfinanzminister, ist ein schwerer Verstoß gegen das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Für uns ist dieses Prinzip der sozialen Gerechtigkeit unantastbar. Es gilt selbstverständlich auch weiter bei unserer Neuorientierung der Steuerpolitik. Die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrages zur Steuerbefreiung des Existenzminimums und die Ersetzung der ungerechten Kinderfreibeträge durch ein einheitliches Kindergeld für alle sind nach wie vor tragende Elemente sozialdemokratischer Steuerpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Aber dies allein wird nicht mehr die Antwort auf die große Herausforderung in der Steuerpolitik sein können. Die traditionellen Bestandteile unserer Politik müssen ergänzt werden durch den Versuch, mit den Wandlungen fertigzuwerden, die sich in den letzten Jahrzehnten ergeben haben. Wenn sich das Aufkommen an Lohnsteuer in den letzten 25 Jahren verzwanzigfacht hat, das Gesamtsteueraufkommen sich aber im gleichen Zeitraum nur versiebenfacht hat, werden die tatsächlichen Aufgaben und Dimensionen einer Steuerreform, die diesen Namen verdient, deutlich.

(Beifall bei der SPD)

Eine wahre Steuerreform, die dem Ziel dient, Vollbeschäftigung zu erreichen und die Umwelt zu bewahren, muß neue Wege gehen. Dabei muß auch sichergestellt werden, daß der Staat auf allen Ebenen das Geld hat, das er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht.
Die Politik der Bundesregierung für privaten Reichtum zugunsten weniger und den armen Staat zu Lasten der großen Mehrheit unserer Bürger, meine Damen und Herren, wird niemals unsere Politik sein.

(Beifall bei der SPD)

Täuschen Sie sich nicht, meine Damen und Herren von der Koalition. Die Bürger in unserem Lande sind bereit, unseren Weg einer Steuerpolitik für die Wiederherstellung unserer Umwelt mitzugehen. Denn finanzieller Wohlstand des einzelnen ist wertlos bei zerstörter Umwelt. Lebensqualität wird nicht in DM gemessen.
Wir wollen etwas anderes. Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir den Energieverbrauch nicht deshalb stärker besteuern, um damit Steuergeschenke für Spitzenverdiener zu finanzieren. Das Aufkommen aus einer stärkeren Besteuerung des Energieverbrauchs soll nicht dem Fiskus zugeführt werden, also lediglich die Staatseinnahmen verbessern. Es soll nach unserer Vorstellung dem Bürger an anderer Stelle, beispielsweise durch eine Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen, zurückgegeben werden.
Im Gegensatz zu Ihnen werden wir für diejenigen, die von der Energiesteuer belastet, durch eine Senkung bei der Lohn- und Einkommensteuer wegen ihres geringen Einkommens aber nicht entlastet werden können — Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und viele Rentnerinnen und Rentner — , einen Ausgleich schaffen.
Unsere Zukunft, das Schicksal unserer Kinder und Enkelkinder wird auch entscheidend dadurch bestimmt, daß endlich gleichwertige Lebenschancen in allen Regionen der Bundesrepublik Deutschland geschaffen werden. Es kann und darf doch nicht so bleiben, daß die Entscheidung darüber, ob ein Mädchen oder Junge einen Ausbildungsplatz oder einen Arbeitsplatz erhält, davon abhängt, ob das Kind in einer reichen oder armen Region wohnt, ob im Norden oder im Süden der Republik. Das darf doch nicht sein.
Das Grundgesetz verpflichtet uns zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik. Im Gegensatz zur Bundesregierung werden wir uns dieser Verpflichtung nicht entziehen.
Wir rufen alle auf, sich an unserer Diskussion über eine Neuorientierung der Steuerpolitik hin zur Ökologie zu beteiligen. Wir müssen unsere Pflicht erfüllen, eine gesicherte Zukunft für unsere Kinder zu schaffen. Wir tragen Verantwortung auch für die kommenden Generationen. Wir Sozialdemokraten werden uns dieser Verpflichtung stellen.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109203800
Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1109203900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Struck hat die Gelegenheit der finanz- und haushaltspolitischen Debatte genutzt, etwas zur Umweltpolitik zu sagen. Darauf könnte man viel erwidern. Ich will das nicht tun. Ich will nur einige wenige Sätze sagen:
Es wurde nie so viel Geld für die Umweltforschung im Bereich der Nordsee ausgegeben wie zur Zeit. Zur Zeit laufen Vorhaben in der Größenordnung von 75 Millionen DM. Noch nie ist für die Reinhaltung der Luft und auch für andere Dinge mehr getan worden.
Wenn Sie heute so tun, als sei das heutige Datum der Zeitpunkt Null im Bereich der Umweltpolitik, dann glaube ich, der Blick nach hinten macht eher deutlich, daß dies der 1. Oktober 1982 gewesen ist, als begonnen wurde, konsequent Umweltschutzpolitik zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen uns hier wieder der Finanz- und Haushaltspolitik zuwenden. Da gilt es festzustellen, daß wir uns bei der ersten Lesung des Haushalts befinden, d. h. bei der Erörterung für die nächsten Wochen, die wir dann abschließen müssen, indem bestimmte Dinge vielleicht korrigiert oder anders akzentuiert werden. Ich glaube aber trotzdem jetzt schon sagen zu



Austermann
können, daß die große Linie der Finanz- und Haushaltspolitik stimmt. Sie wird durch die aktuellen Wirtschaftsdaten bestätigt. Diese Linie wird fortgesetzt bei der Neuverschuldung, die wir zurückführen wollen. Unser Ziel bleibt es, dies um 10 Milliarden DM im Vergleich zum Nachtragshaushalt 1988 zu tun.
Das Ausgabenwachstum, das kritisiert worden ist, wird im nächsten Jahr zwar höher sein als im Schnitt der letzten fünf Jahre bei uns, aber immer noch die Hälfte dessen betragen, was bei sozialdemokratischen Finanzministern durchschnittlich erreicht wurde. Der sicher höher als geschätzt ausfallende Bundesbankgewinn wird in begrenzter Höhe als Einnahmeposition, im übrigen zur Schuldenrückführung genutzt.
Nun ist hier in der Debatte kritisiert worden, was im Zusammenhang mit den Verbrauchsteuererhöhungen beabsichtigt ist. Als Abgeordneter bekommt man da auch relativ viel Post. Ich glaube, ich habe nie so viel Post bekommen, ausgenommen vielleicht vor dem NATO-Doppelbeschluß, wie zur vorgesehenen Erdgasbesteuerung, aber mit dem Unterschied: Damals waren alle dagegen, wir haben es gemacht, und es war richtig. Heute bekommt man diametrale Aussagen, 50 % dafür, 50 % dagegen. Wir werden auch hier eine klare und vernünftige Entscheidung nach Abwägung in der Fraktion treffen.
Trotzdem — lassen Sie mich einmal spekulieren, es käme zu den Verbrauchsteuererhöhungen in dem jetzt vorgesehenen Umfang — verläuft die Steuerquote weiter günstig. Lassen Sie mich das an Zahlen konkret deutlich machen. Der Anteil der Steuern am Bruttosozialprodukt betrug 1982 noch 23,7 %, nachdem es 1977 einen Höchststand mit 25% gab. Wir liegen zur Zeit darunter, bei 22,9 %. 1990 werden es dank der großen Steuerreform, die vor allem kleine und mittlere Einkommen begünstigt, 22,6 % sein. Das heißt, die Steuerlastquote 1990 wird im Laufe der Finanzplanung so niedrig sein wie 1960. Wenn das keine richtige Politik ist, weiß ich nicht, was anders gemacht werden sollte.
Das wirtschaftliche Wachstum wird durch unsere Finanz- und Haushaltspolitik also nicht begrenzt, sondern, wie dieses Jahr gezeigt hat und zeigt, gestützt und ermöglicht. Die Wirtschaft wächst in diesem Jahr voraussichtlich um 3 %. Was heißt das in konkreten, in absoluten Zahlen? Das Bruttosozialprodukt stieg von 1,6 Billionen DM 1982 auf 2,1 Billionen DM Ende 1987, also 500 Milliarden DM mehr für Investitionen, Staats- und vor allem für privaten Verbrauch, die zur Verfügung stehen. Die Ausrüstungsinvestitionen stiegen in dieser Zeit um 24,5 %. Ich meine, daß sich auch die Kameraden Nullwachser einmal vor Augen führen sollten, was 500 Milliarden DM mehr an Investitionen, hervorgerufen durch eine betonte Wachstumspolitik, bedeuten.

(Stratmann [GRÜNE]: Sie sind ein Chaot!)

Unsere Haushaltspolitik stützt auch die Inlandsnachfrage und die Massenkaufkraft. Während die Bürger 1982 Reallohnverluste hinnehmen mußten, steigen die Einkommen. Auch dies kann man mit dem Jahre 1982 vergleichen: heute monatlich netto etwa
250 DM mehr bei einem durchschnittlichen Arbeitnehmer als damals. Diese Politik muß richtig sein.

(Abg. Wetzel [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bedaure.
Das Geldvermögen der privaten Haushalte kletterte von 1,7 Billionen DM 1982 auf 2,4 Billionen DM, und die Zinsen für jedermann sinken. Wenn man dann auch noch sieht, daß 1986 rund 26,3 Millionen Bürger mindestens eine Urlaubsreise machten, es 1987 31,1 Millionen waren und in diesem Jahr noch mehr sind, dann kann man sich wohl erklären, daß die Bürger sich in einer verbesserten Stimmungslage befinden.
Daß sie zuversichtlich werden, erkennt man auch an anderen Faktoren. Ich will einmal eine Zahl sagen, die den meisten gar nicht bekannt ist: Immerhin wurden im letzten Jahr 70 000 Kinder mehr als vor zehn Jahren geboren. Dies sollte man vielleicht auch einmal berücksichtigen, wenn man sich über demographische Entwicklungen unterhält. Die bisherige demographische Entwicklung ist es gerade, die uns beim Abbau der Arbeitslosigkeit Schwierigkeiten macht. Wenn es die Sonderfaktoren nicht gäbe, läge die Arbeitslosigkeit heute um 800 000 niedriger, nämlich bei 1,3 Millionen. Das sind natürlich immer noch 1,3 Millionen zuviel, aber es wären 800 000 weniger.
Nie wurde mehr Geld für eine aktive Beschäftigungspolitik ausgegeben als heute und als in diesem Haushaltsentwurf und mittelfristig vorgesehen ist, für Qualifizierung, für Arbeitsbeschaffung, für Benachteiligtenprogramme. Nie wurde älteren Arbeitslosen länger und mehr geholfen als zur Zeit. Wenn dies weitergehen soll, braucht die Bundesanstalt mehr Geld oder höhere Beiträge. Wir haben uns dafür entschieden, ihr mehr Geld zu geben, um die Wirtschaft nicht zu behindern.
Die SPD kann ihren Beitrag leisten, wenn sie für neue Arbeitsplätze mehr tun will, indem sie die von ihr regierten Länder mit besseren Rahmenbedingungen versorgt. Das Motto „Laßt die Schlote wieder stinken" der Herren Jansen und Kuhbier hat auch in Schleswig-Holstein und in Hamburg zunächst einen Investitionsstopp bewirkt

(Frau Traupe [SPD]: Herrgott, machen Sie das doch bei sich in den Wahlveranstaltungen!)

und Verwirrung bei den 1 000 Unternehmern herbeigeführt, die sich vor wenigen Wochen in Hamburg versammelt und deutlich gesagt haben, was die Wirtschaft von der Politik für bessere Rahmenbedingungen erwartet. Unsere Politik ist das nicht.
Wenn man dann sieht, was die Landesregierung in Schleswig-Holstein denn nun tatsächlich Neues tut, welche neuen Akzente sie setzt, dann stellt man fest, daß 115 neue Beamte zur „Optimierung" der Regierungsarbeit eingestellt worden sind. So skrupellos ist noch keine Regierung nach dem Regierungswechsel vorgegangen.

(Hinsken [CDU/CSU]: Unerhört!)




Austermann
Vor allen Dingen sollen Kommunisten nun auf einmal Zutritt zum Schuldienst haben. Wenn das die Art und Weise ist, in der Sie Arbeitslosigkeit abbauen, sagen wir: Diesen Weg gehen wir natürlich nicht mit.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Frau Traupe [SPD]: Sagen Sie mal, reden Sie zum Haushalt?)

— Natürlich ist es eine Frage der Haushaltspolitik, wenn die ehemalige Kollegin Simonis im Nachtragshaushalt diese 115 neuen Stellen für ihre Parteigenossen bewilligen läßt.
Wir wollen den strukturschwachen Ländern helfen, und ich bin der Meinung, daß man darüber gar nicht oft genug reden kann. 2,4 Milliarden DM jährlich stehen zur Verfügung, um die Struktur zu verbessern, um Chancengerechtigkeit zu schaffen. Der Kollege Struck hat das soeben kritisiert. Ich glaube, es ist richtig, wenn wir einmal deutlich machen, welche großartigen Chancen den strukturschwachen Ländern, vor allen Dingen in Norddeutschland, vom Bund eröffnet werden. Wir wollen der Wirtschaft des Nordens neue Schubkraft geben, um die Struktur zu verbessern.

(Dr. Struck [SPD]: Das ist etwas zu wenig!)

— Das mag man beklagen. Man mag auch die Quoten beklagen, mit denen die einzelnen Länder beteiligt sind. Tatsache ist jedoch: Hier werden erstmals ganz gezielt Mittel eingesetzt, um dem Norden und den strukturschwachen Ländern insgesamt mit der Förderung neuer Forschung und neuer Technologie zu helfen. Das gehört auch zum Bildungsbereich.
Die Debattenbeiträge der Kollegen der SPD in letzter Zeit und insbesondere in den vergangenen dreieinhalb Tagen haben gezeigt, daß es keine tragfähige Alternative zu unserer Politik gibt. Der Parteitag in Münster hat das getan, was man in Fällen großer Ratlosigkeit immer tut: Er hat eine neue Kommission „Finanzen und Steuern" eingesetzt, die ein solides und gerechtes Steuerkonzept erarbeiten soll. Klar ist bisher nur, daß das Absenken der Staatsquote und der Steuerquote nicht zu den finanzpolitischen Zielen der SPD gehört; vielmehr sind Steuer- und Abgabenerhöhungen ihr Ziel. Das ist allerdings sehr verwunderlich, wenn man hört, daß die SPD einerseits die relativ moderate Anhebung der Verbrauchsteuern um ca. 8 Milliarden DM, die erforderlich ist, um die zusätzlichen EG-Ausgaben und die Strukturhilfen zu bezahlen, kritisiert, während sie andererseits gleichzeitig die Energiesteuern von derzeit 43 Milliarden DM auf sage und schreibe 80 Milliarden DM erhöhen will. Das heißt, meine Damen und Herren, 37 Milliarden DM zusätzliche Steuern, statt 8 Milliarden DM, die wir unter Umständen durchsetzen werden. 37 Milliarden DM an zusätzlichen Steuern will die SPD den Bürgern aufbrummen. Das kann man gar nicht oft genug sagen, um die Doppelzüngigkeit Ihres Kurses zu brandmarken. Danach ist kein Zweifel möglich: Das wesentliche Element eines künftigen finanzpolitischen Konzepts der SPD werden massive Steuer- und Abgabenerhöhungen sein. Das entspricht alter sozialistischer Tradition.
Was die haushaltspolitischen Rahmendaten betrifft, so haben wir wenig gehört. Es gibt keine Festlegung.
In der Haushaltspolitik besteht seit den Entscheidungen der Bundesregierung zum Haushaltsentwurf 1989 Klarheit. Wir wollen diesen Kurs bis weit in die nächste Legislaturperiode hinein fortsetzen.
Lassen Sie mich es mit einem Bild sagen, was der Bürger von uns zu erwarten hat: Wir werden den Aufwärtskurs fortsetzen. Wir werden aus der guten Vorlage des Bundesfinanzministers, der Regierung, einen Treffer machen, zum Wohle der gesamten Bundesrepublik und unserer Bürger, während die SPD politisch weiter in der eigenen Abseitsfalle herumläuft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109204000
Nun hat der Abgeordnete Ebermann das Wort.

Thomas Ebermann (GRÜNE):
Rede ID: ID1109204100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fünf Redner der FDP, sieben der CDU und sechs der SPD haben sich einem Thema gewidmet, zu dem die GRÜNEN geschwiegen haben, und das muß ich ausbügeln: dem Abtritt von Hans Apel. Wir müssen endlich lernen, auf der Höhe der Debatte zu sein. Deswegen möchte ich ganz klar sagen: Ich bin fix und fertig, daß es Hans Apel als finanzpolitischen Sprecher der SPD nicht mehr gibt. Ich bin fix und fertig, daß es ihn als Bundestagskandidaten in Hamburg nicht mehr gibt. Denn wenn man in Hamburg als GRÜNER kandidieren und zu Podiumsdiskussionen muß, dann ist ein geflügeltes Wort unter uns Kandidaten: „Kannst du heute Hans Apel abduschen, oder mußt du dich mit Freimut Duve 'rumquälen?"

(Heiterkeit)

Das ist nun vorbei. Die schöne Erinnerung an die Zeit von Helmut Schmidt und Hans Apel verblaßt immer mehr.
Ansonsten bin ich der Meinung, die Regierung ist in diesen vier Tagen ungerecht und unzulässig kritisiert worden, denn es ist schlicht falsch, wenn verschiedene Redner, z. B. Herr Wieczorek, der Regierung anhängen wollen, sie habe keine Verdienste an der sogenannten positiven Konjunkturentwicklung des laufenden Jahres. Die Regierung hat Verdienste, denn die Regierung hat dafür gesorgt, daß kein Zweig unbeherrschbarer — sagen wir: chemischer — Produktion unterbunden wurde. Das ist Bedingung der jetzigen sogenannten erfreulichen Wachstumsraten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Regierung hat Verdienste, indem sie weniger profitable Branchen, wie die Werften und Teile der Stahlbranche, liquidiert hat und noch liquidiert, daran, daß in anderen Bereichen der Wirtschaft akkumuliert werden kann, daß ein Vormarsch auf dem Weltmarkt geschieht.
Die Regierung hat Verdienste, daß durch die von ihr gewollte und nicht etwa bekämpfte Arbeitslosigkeit das Niveau der Produktivität, die Angst, mal krank zu machen, in diesem Land angestiegen ist. Die Regierung hat selbstverständlich daran mitgewirkt, daß der Dritten Welt immer billigere Rohstoffe und immer billigere Agrarprodukte abgepreßt werden können, was schließlich ein Hintergrund der hier gefeierten Wachstumsraten ist.



Ebermann
Noch falscher, schonender ist alle Kritik an der Regierung, auch an Herrn Stoltenberg, die ihm nachweisen soll, die Wirtschaft sei mit ihm gar nicht zufrieden. Wenn der Herr Wieczorek — ich zitiere ihn wörtlich — dem Finanzminister und der Regierung vorwirft: ,,Die seit Monaten anhaltende Kapitalflucht — 60 Milliarden DM seit Jahresanfang — ist ein eindeutiges Mißtrauensvotum der Kapitalanleger und Investoren im In- und Ausland gegen Ihre unsolide und unberechenbare Finanzpolitik", dann ist das eine grobe Demagogie gegen diese Regierung. Die Kapitalanleger und Investoren sind mit der Politik, die diese Regierung macht, sauzufrieden. Sie sind zufrieden, daß man hier überflüssiges, überschüssiges Kapital, hier nicht
reinvestiertes Kapital in der Größenordnung von 60 Milliarden DM im laufenden Jahr abgreifen kann, daß man hier garantiert bekommt, daß die Gewinne — in den letzten fünf Jahren durchschnittlich um 12 % — steigen, daß man hier garantiert bekommt, daß die Einnahmen aus Kapital und unternehmerischer Tätigkeit in ihrer Relation zum Volksvermögen beständig anwachsen, und sie sind zufrieden, daß diese 60 Milliarden DM ins Ausland, wo noch höhere Profitraten zu erwarten sind, wo noch bessere Möglichkeiten der Kapitalvermehrung bestehen, transferiert werden können.
Es gibt keinen Grund, diese Regierung wegen Nichterfüllung unternehmerischer Wünsche zu kritisieren. Wer das tut, leistet Übersoll in Richtung Lafontaine. Ich verstehe ja: Wenn man hierzulande mit Konsens der Wirtschaft regieren will, dann muß man ins Gespräch bringen, daß man am Wochende arbeiten lassen will, daß die Maschinen besser ausgelastet werden sollen. Aber es ist schlicht und einfach Übersoll, dieser Regierung anzukreiden, die Wirtschaft kritisiere sie und transferiere deswegen 60 Milliarden DM Kapital ins Ausland.
Es ist gänzlich falsch und politisch unzulässig, irgend etwas in den Mund zu nehmen, wie „ein heilloses Finanzchaos sei herbeigeführt", oder „der Stoltenberg mache eine unberechenbare Politik" oder „der Finanzminister wurstelt sich durch" oder „diese Regierung zeichne sich durch haushaltspolitische Führungslosigkeit aus". All das ist falsch. Ich kenne keine Regierung, die ihre versprochenen Absichten so gradlinig durchgeführt hat. Keine Regierung kann so gradlinig eine Umverteilung der Reichtümer in diesem Land von unten nach oben garantieren, wie diese Regierung das gemacht hat. Es ist das hereinfallen oder die Beschönigung einer konservativen Behauptung. Wer noch länger rumläuft und sagt, konservative Politik will eigentlich die Haushalte sanieren, will eigentlich die Neuverschuldung absenken, hat überhaupt nicht begriffen, daß dieses sogenannte Konsolidieren der Haushalte, das sogenannte Ziel der Absenkung der Neuverschuldung nur den einzigen Zweck hat, die Unterprivilegierten und Gebeutelten ideologisch zu veranlassen, freiwillig die Beschneidung ihrer materiellen Situation zu akzeptieren. Es gibt weltweit keine konservative Regierung, die irgend einen Erfolg in der Konsolidierung der Haushalte hätte. Es gibt nur konservative Regierungen, die es schaffen, den Menschen beizubringen, daß sie Opfer bringen
müssen, um ein angebliches Ziel realisieren zu helfen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Austermann [CDU/CSU]: Das ist Blödsinn!)

Die falscheste Kritik an dieser Regierung, die ich gehört habe, ist der Vorwurf, sie beschäftige einen Umweltminister, der ein zu geringes Finanzvolumen hat. Also stellt euch einmal vor: Der Töpfer hat nun deutlich mehr Geld.

(Frau Dr. Segall [FDP]: Dann haben Sie gestern überhaupt nicht zugehört! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir tragen unsere Konflikte hier doch aus. Ich freue
mich, daß Sie das merken.

(Heiterkeit)

Ich wäre bedrückt, wenn es überhört würde.
Vor einigen Tagen kommt die Meldung: Der Töpfer sorgt dafür, daß das Kernkraftwerk in Brokdorf wieder läuft. Heute schlage ich die Zeitung auf: Der Töpfer sorgt dafür, daß die Transporte nach Gorleben reibungslos über die Bühne gehen — zwei Meldungen innerhalb von acht Tagen. Am Tag dazwischen fordern wir, fordern Oppositionspolitiker, daß der Mann, der zugunsten der chemischen Industrie die Rheinkatastrophe vorbildlich gemeistert hat, der es geschafft hat, daß kein relevanter unbeherrschbarer toxischer Stoff aus der Produktion in der Bundesrepublik Deutschland verschwindet, eine Etaterhöhung erhält. Das ist Quatsch! Richtig ist zu sagen, ein großer Erfolg der Regierung ist, wenn sie einen Mann beschäftigt, von dem die Menschen glauben, er sei zuständig für die Sanierung der Umwelt. — Ich komme zum Schluß, daß Licht brennt hier. Entschuldigung.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109204200
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das machten.

Thomas Ebermann (GRÜNE):
Rede ID: ID1109204300
Ich bin am allermeisten unter Druck; denn um 17.45 Uhr wird St. Pauli Kaiserslautern schlagen, und ich will dabei sein.

(Heiterkeit)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109204400
Das, Herr Abgeordneter, überzeugt. Da halten Sie sich sicher an Ihre eigenen Vorgaben.

(Erneute Heiterkeit)


Thomas Ebermann (GRÜNE):
Rede ID: ID1109204500
Ich bin wirklich unter Druck.
Ich will nur noch eines zum Schluß sagen: Es hat nicht nur eine falsche und beschönigende Kritik an der Regierung in diesen fünf Tagen stattgefunden, sondern die Stoßrichtung der Kritik läßt den Schluß zu, daß, wer die Regierung an dem Punkt, sie mache eine wirtschaftsfeindliche Politik, kritisieren will, sich in Wirklichkeit als der bessere Manager dieses Staates anpreisen will und nicht als eine Kraft, die eine andere Richtung der Politik anstrebt.

(Beifall bei den GRÜNEN — Austermann [CDU/CSU]: Das war schwach!)





Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109204600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng.

(Esters [SPD]: Wombat!)


Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1109204700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß dem Kollegen auf den Zwischenruf hin leider vorab mitteilen, daß in meiner Rede das Wort „Wombat" überhaupt nicht vorkommt.
Ich hoffe und wünsche, daß das, was an Satire in der Rede meines Vorredners drin war, auch herüberkommt, damit am Ende nicht der Eindruck entsteht, die GRÜNEN loben die Bundesregierung, loben die Koalition. Das wäre für die Bürger vernichtend, an die wir uns mit unserer vernünftigen Politik wenden. Deswegen die Hoffnung, daß die Berichterstattung dem Rechnung trägt, was hier inhaltlich tatsächlich gemeint war, und nicht nur dem, was hier gesagt worden ist. Das könnte alles ja falsch zitiert werden.
Meine Damen und Herren, trotz der Rede des Vorredners macht die Debatte der abgelaufenen Tage deutlich, daß die Haushaltspolitik der Koalition in ihren Eckdaten auf dem richtigen Weg ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

Bei aller Bereitschaft zu kritischer, machmal auch zu selbstkritischer Einschätzung und auch wenn es natürlich wie in abgelaufenen Jahren noch Änderungen am Haushalt 1989 im einzelnen geben wird und ja auch geben muß: Eine seriöse Alternative zum Gesamtkonzept der Koalition, das sich im Regierungsentwurf wiederfindet, gibt es nicht.
So ist es auch nicht verwunderlich, wenn die Opposition in ihren Debattenbeiträgen keine konstruktive
— ich sage ausdrücklich: keine konstruktive — Kritik am Haushaltsentwurf deutlich machen konnte und damit ihre Aufgabe als Opposition nicht erfüllt hat. Die Haushaltsdebatte als Generalangriff der Opposition auf die Regierungspolitik hat nicht stattgefunden. Im Gegenteil: Die Redner von CDU/CSU und FDP haben in ihrer klaren Kursbeschreibung der vergangenen Tage sogar den Teil der veröffentlichten Meinung für sich gewonnen, der sonst eher in kritischer Distanz zur jetzigen Bundesregierung Meinung zu machen versucht. — Hier hatte ich an sich Applaus erwartet, aber — —

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

— Vielen Dank. Jetzt bin ich natürlich wieder überrascht. Ich hatte Applaus von seiten der Koalition erwartet.

(Heiterkeit)

Daß es von der SPD auch noch welchen gibt, hatte ich nicht gedacht.
Erlauben Sie mir einige wenige Anmerkungen, ehe meine Fraktion — das wird Sie nicht überraschen, insbesondere Sie nicht, Herr Kollege Esters; Sie hatte ja auch an meiner Rede vom Dienstag einiges nicht überrascht — der Überweisung an den Haushaltsausschuß zustimmen wird.

(Dr. Vogel [SPD]: Dafür sitzen wir hier vier Tage!)

— Also, Herr Kollege Vogel, daß Sie hier vier Tage immer gesessen hätten, stimmt nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Unter meinen Kollegen aber am längsten, mein Lieber!)

— Das will ich nicht ausschließen. Wir werden das mit der Arbeitszeitbegrenzung der Kollegin Hamm-Brücher gegenhalten und kontrollieren, ob Sie das Soll erfüllt haben.

(Dr. Vogel [SPD]: Vor der eigenen Türe kehren! Selber kehren!)

Zurück zu meinen Anmerkungen: Zum ersten. Von den erklärten Zielen der Koalition ist das der Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit bisher nicht erreicht. Wir können hier nicht die Detaildiskussion darüber führen, was alles an strukturellen Aspekten daran Schuld ist. Aber auch wenn die eingeschränkte Möglichkeit der Politik, hier mitzuwirken, in der Kürze der Zeit nicht umfassend dargestellt werden kann und wenn die schwerwiegende Verantwortung der Partner bei den Tarifrunden nicht deutlich gemacht werden kann, muß trotzdem gesagt werden: Die stetig steigende Zahl von Arbeitsplätzen — rund 800 000 zusätzliche Arbeitsplätze seit 1983 — zeigt eben doch wie auch die veränderte innere Struktur der Arbeitslosigkeit, daß es zu einer erheblichen Verbesserung der Gesamtsituation durch unsere Politik gekommen ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wie sähe es ohne Geldwertstabilität und ohne die durch unsere Politik ermöglichten wirtschaftlichen Wachstumsdaten auf dem Arbeitsmarkt wohl aus? Die Horrorzahlen der Opposition aus der Vergangenheit wären ohne unsere Weichenstellungen wahrscheinlich Realität geworden.

(Dr. Vogel [SPD]: Ui, ui!)

Zweitens. Preisstabilität und wirtschaftliches Wachstum sind auch mit Blick auf die internationale Verflechtung unserer Wirtschaft ein Ergebnis unserer Politik der Steuererleichterung, der Steuerumstrukturierung und besonders der sparsamen Erhöhung öffentlicher Ausgaben. Die Opposition braucht gar nicht den Versuch zu machen, weniger Schulden zu fordern. Mit ihrer Forderung nach mehr Ausgaben und der fehlenden Bereitschaft, auch Einnahmeverbesserungen mitzutragen, hat sie sich ins haushaltspolitische Abseits begeben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Traupe [SPD]: Phrase!)

— Frau Kollegin Traupe, das ist keine Phrase. Ich kann leider auch nicht sagen, daß sich das durch Ihr Ausscheiden aus dem Haushaltsausschuß geändert hätte. Es war schon vorher so.

(Dr. Vogel [SPD]: Jetzt kommen aber Komplimente!)

Die Preisstabilität als Ergebnis unserer Politik hat auch einen ganz wesentlichen sozialen Aspekt, der in öffentlichen Diskussionen oft vergessen wird. Zu allen Zeiten hat Inflation die sozial Schwächeren am härtesten getroffen. Deshalb gilt: Preisstabilität ist wesentliche Voraussetzung für Sozialpolitik.



Dr. Weng (Gerlingen)

Zum dritten. Die Bereitschaft von Bundesregierung und Koalition, trotz positiver Wirtschaftsentwicklung und trotz der bekannten positiven Daten nicht in Ausgabeneuphorie zu verfallen und nicht die Spendierhosen anzuziehen und vor allem auch nicht mit möglichen einmaligen Einnahmen langfristig wirkende Ausgaben zu beschließen, zeigt Solidität.
Ich füge zwei Anmerkungen an. Die Diskussion über den sogenannten Strukturfonds zeigt, Herr Finanzminister, sehr deutlich, daß die Finanzverfassung zwischen Bund und Ländern revisionsbedürftig ist.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Allerdings!)

Ich empfehle dnngend, in einen offenen Dialog über eine solche Finanzreform einzutreten.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich verbinde das mit der im Zwiegespräch mit dem Kollegen Friedmann am Dienstag hier eingebrachten Anregung, den Investitionsbegriff für die Ausgaben der öffentlichen Haushalt zu überdenken und neu zu formulieren.

(Walther [SPD]: Das liegt in Karlsruhe!)

Das Finanzministerium sollte auch diesen Vorschlag prüfen. — Herr Kollege Walther, der Zwischenruf kommt im richtigen Moment. Das Bundesverfassungsgericht wird noch in diesem Jahr die seit langem vorliegende Klage behandeln und entscheiden, die Klage, wo die Verfassung der Verschuldung des Bundeshaushalts Grenzen gezogen hat. Die von mir hier gewünschte Diskussion — ich habe das auch schon am Dienstag gesagt — sollte aus diesem Problemkreis ausdrücklich herausgehalten werden. Denn der Investitionsbegriff hat sich in den vergangenen 30 Jahren objektivierbar geändert. Verantwortungsbewußte und zukunftsorientierte Politik muß auch solcher Veränderung Rechnung tragen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Mein Appell geht hier an die SPD — zumal die Zustimmung von Ihrer Seite deutlich gemacht hat, daß es auch im Interesse SPD-regierter Bundesländer sein würde, wenn hier eine vernünftige Neustruktur kommt — , parteipolitisches Gezänk hier herauszuhalten. Natürlich würde es sich anbieten, im Zusammenhang mit der Klage zu sagen: Jetzt versuchen sie, die Daten zu ändern. Das wollen wir audrücklich nicht, das würde der Sache nicht dienen. Das Ergebnis der Klage — vor allem auch in ihrer Begründung — , das ja gegebenenfalls auf unsere Arbeit erheblichen Einfluß nehmen kann, erwarten wir natürlich mit Spannung.

(Walther [SPD]: Ja, wir auch!)

— Das überrascht mich nicht, Herr Kollege Walther.
Meine Damen und Herren, wir werden im Laufe der Haushaltsberatungen — schon jetzt absehbar — in erheblichem Umfang zusätzliche Mittel für die Unterbringung der Auslandsdeutschen aufwenden müssen, die nach langen Jahren des Wartens zu uns kommen. Den guten Worten — die ja manchmal etwas leichter sind als die Taten — , mit denen wir diese Menschen hier bei uns begrüßen, müssen jetzt auch finanzielle Taten folgen. Wir sind hierzu bereit.
Wir fordern auch die anderen Beteiligten, die Länder und Gemeinden, auf, ihr Engagement finanziell ebenso wie in der tatsächlichen Arbeit im ideellen Bereich vor Ort tatkräftig deutlich zu machen und ihren Beitrag dazu zu leisten, daß diese Menschen, die id Zum Teil lange Jahre darauf gewartet haben, zu uns kommen zu können, und deren Möglichkeit, hier herzukommen, von allen Seiten dieses Hauses politisch immer gefordert worden ist, auch wirklich eine angemessene Aufnahme finden können.
Ein letztes Wort: Offensichtlich ist es beim Flächenstillegungsprogramm im Landwirtschaftsministerium bisher nicht gelungen, Produktionseinschränkungen in ökologisch besonders wichtigen Bereichen bevorzugt zu bezuschussen. Das ist bedauerlich, meine Damen und Herren, das sollte geändert werden. Ich kündige eine Initiative im Haushaltsausschuß an, die die umweltpolitischen Notwendigkeiten zusätzlich berücksichtigt.

(Dr. Knabe [GRÜNE] : Da haben Sie aber viel zu tun!)

— Herr Kollege, Sie werden sich, wenn Sie je — was ich nicht erwarte — in die Situation kommen sollten, Regierungsverantwortung zu übernehmen, wundern, was ein Abgeordneter dann alles zu tun hat.

(Frau Traupe [SPD]: Hätte, hätte!)

Meine Damen und Herren, im Haushaltsausschuß werden wir in den kommenden Wochen den Bundeshaushalt 1989 ebenso wie den gleichzeitig eingebrachten Nachtragshaushalt 1988 beraten. Ich bin zuversichtlich, daß die FDP zusammen mit der CDU/ CSU wie in den vergangenen Jahren vorausschauend politische Akzente setzen wird und dem Deutschen Bundestag für die abschließende Beratung im Spätherbst ein gutes Beratungsergebnis vorlegen kann. Damit machen wir erneut deutlich, daß wir auch in dem parlamentarisch ja besonders wichtigen Bereich der Haushaltspolitik ohne Alternative sind. Es gibt in diesem wichtigen Bereich keine Alternative zur Koalition der Mitte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109204800
Das Wort hat der Abgeordnete Walther.

Rudi Walther (SPD):
Rede ID: ID1109204900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Kollege Dr. Weng die üblichen Polemiken gegen die Opposition unterlassen hätte, hätte ich ihn noch mehr loben können, als ich das jetzt mit Einschränkung tun muß. Der Kollege Weng hat manches gesagt, was — das hat ja auch der Beifall bewiesen —

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Der fehlende Beifall auch!)

auch auf unserer Seite als bedenkenswert angesehen wird.
Am Ende dieser langen Debattenwoche, meine Damen und Herren, läge es jetzt nahe, noch einmal auf alle Unzulänglichkeiten des vorliegenden Haushaltsentwurfs zurückzukommen. Ich will mich jedoch auf einige wesentliche Bemerkungen beschränken.



Walther
Herr Bundesfinanzminister, die letzten Jahre haben gezeigt — ich durfte Ihnen das schon am Dienstag sagen — , daß die Schuldenaufnahme des Bundes
— das gilt auch für das aktuelle Jahr — immer höher gelegen hat, als in ihrer jeweiligen mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen. Ursache dafür ist nach meiner Überzeugung das strukturell wachsende Ungleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben. Das hängt nicht nur, aber auch mit der sogenannten Steuerreform zusammen, aber auch mit einer Ausgabendynamik, die aus den wachsenden EG-Leistungen und den vom Bundesfinanzminister in bisher unbelehrbarer Weise ständig unterschätzten Kosten der Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen strukturellen Ungleichgewichten der Regionen herrührt. Kollege Struck hat dazu Passendes gesagt. Hohe Bundeszuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit werden, fürchte ich, auch in den kommenden Jahren zu einer festen Haushaltsgröße werden. Hinzu kommt die freigiebige Subventionsbereitschaft dieses Ministers in bestimmten Bereichen sowie der rasch ansteigende Finanzbedarf für Großprojekte wie den Jäger 90, wie Weltraumvorhaben, Columbus und Hermes, und wie mit allergrößter Voraussicht auch für den Airbus. Dafür wird schon der Kollege Erich Riedl sorgen. Nicht berücksichtigt, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind im jüngsten Finanzplan auch die Mehraufwendungen für die Rentenreform. Gestern abend ist in diesem Raum vieles gesagt worden, was auf Konsens zumindest in dieser Frage hinauslaufen könnte. Ich finde in der mittelfristigen Finanzplanung von Herrn Stoltenberg nicht eine müde Mark dafür, daß ein solcher Konsens auch bezahlt werden könnte.

(Beifall bei der SPD)

Es fehlt auch ein Einstieg in die Entschuldung der Deutschen Bundesbahn.
All das, was ich hier vorgetragen habe, zeigt, daß sich das strukturelle Ungleichgewicht verschärfen wird. Die künftige Erhöhung weiterer Verbrauchsteuern ist damit praktisch vorprogrammiert, Herr Minister.
Zum Schluß möchte ich mich auf einige wenige andere Feststellungen beschränken:
Erstens. Herr Stoltenberg hört es nicht gern, aber er ist in der Zwischenzeit zum größten Schuldenmajor aller Finanzminister der Bundesrepublik geworden.

(Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann [CDU/ CSU]: Bei höherem Sozialprodukt!)

— Lieber Herr Kollege Friedmann, darüber habe ich am Dienstag abend mit dem Bundesfinanzminister gestritten. Sie waren leider nicht hier. Sonst hätten Sie mitbekommen, was ich zu dem Thema gesagt habe.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Unsere Schulden sind ganz andere als eure, aus Zinsen entstanden! — Zuruf von der SPD: Schwarze!)

— Ist klar, das sind schwarze Schulden. Und die sind immer besser. Ich weiß das.
Zweitens. Durch die von Herrn Bundesfinanzminister Stoltenberg für das kommende Jahr vorgesehenen Verbrauchsteuererhöhungen kassiert er im voraus bei den meisten Steuerzahlern schon das wieder ein, was sie ab 1990 als vergleichsweise minimale Steuerentlastung bekommen sollen, und treibt damit auch noch die Preise in die Höhe.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

— Herr Kollege Austermann, Sie haben vorhin sehr viel Bedeutendes zu dem Thema gesagt.
Drittens. Durch die Ausbringung von globalen Minderausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden DM, deren Konkretisierung der Haushaltsausschuß nun als Pflichtaufgabe vom Bundesfinanzminister aufgebürdet bekommt, kommt der Bundesfinanzminister seiner verfassungsmäßigen Pflicht, einen bis auf die letzten Ansätze sauber berechneten Haushalt vorzulegen, nur unzulänglich nach.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Eine Reihe von Risiken und Mehrbelastungen sind in den Haushalt 1989 noch gar nicht eingestellt, z. B. das, Herr Kollege Weng, was Sie zuletzt angesprochen haben, die nicht geringen Kosten aus dem Aussiedler- und Umsiedlerprogramm. Dafür finden wir keine müde Mark in diesem Haushalt. Da werden Sie Ihr fröhliches Tun haben, wenn Sie das alles in den Haushaltsberatungen noch hinkriegen wollen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Wir werden das tun!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will auch noch auf das eingehen, worüber wir grundsätzlich im Streit liegen: Natürlich — es wäre ja ganz schrecklich, wenn es anders wäre — freuen auch wir uns über günstigere Wirtschaftsdaten im ersten Halbjahr 1988, obwohl niemand wissen kann, ob dieses Bild lange so hält.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Da gibt es einige, die für nächstes Jahr ganz anderes voraussagen.
Natürlich freuen auch wir uns, daß die Zahl der Arbeitsplätze in den letzten Jahren gestiegen ist, obwohl jetzt erst wieder die Beschäftigtenzahlen des Jahres 1981 erreicht werden und zu einem erheblichen Teil jetzt erst die Arbeitsplatzverluste aus den ersten Kohl-Jahren ausgeglichen werden.

(Dr. Vogel [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

Aber, meine Damen und Herren, wenn ich diese beiden Fakten hier positiv würdige, dann frage ich: Ist das ein Grund, allein nach der Methode „Weiter so" zu verfahren?

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Wer sagt das denn heute noch?)

— Herr Geißler.
Ist es denn nicht so, daß sich hinter den Zahlen des Bruttosozialprodukts auch die Schäden in der Umwelt verbergen? Tragen nicht z. B. die Dünnsäureverklappung zum nominalen Bruttosozialprodukt bei oder die Produktion von ozonlochvergrößernden Treibgasen



Walther
oder das Herstellen von Produkten, die das Waldsterben zur Folge haben?

(Zuruf von der CDU/CSU: Kohlekraftwerke! — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Schwarzarbeit auch!)

Diese Liste ließe sich beliebig verlängern, bis hin zu den Kosten der Katastrophe von Ramstein.
Die Schlußfolgerung, meine Damen und Herren, kann deshalb nur sein, daß Produzieren um jeden Preis nicht der Weisheit letzter Schluß ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich schließe an das an, was Peter Struck hier gesagt hat: Es darf doch nicht sein, daß wir, damit es uns heute gutgeht, unseren Nachkommen eine Welt überlassen, auf der zu leben es sich nicht lohnt. Angesichts dieser Bedrohung und der Größe der Aufgabe ist es schon mehr als lächerlich, wenn dem Haushalt von Bundesminister Töpfer nicht mehr als mickrige 237 Millionen DM zur Verfügung stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber geradezu empörend, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist jedoch, in welcher Art und Weise Sie die Mittel für Erforschung und Entwicklung regenerativer Energien stranguliert haben. Dabei wissen wir doch — ich habe es am Dienstagabend schon vorgetragen — : Umweltschäden sind zu einem großen Teil Folgen von Schäden aus Energieumwandlungsprozessen. Wer diese Schäden vermeiden will, muß nicht nur erheblich mehr in die Vermeidung solcher Schäden investieren, er muß auch verstärkt in regenerative Energien investieren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Warum — ich sehe den Kollegen Riesenhuber hier sitzen; erfreulicherweise ist er einmal da — soll unser Land bei seinem hohen technischen Standard nicht auch eine Spitzenstellung auf den Gebieten solcher Produktionsverfahren und solcher neuen Energien einnehmen?

(Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann [CDU/ CSU]: Machen wir doch alles! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Da haben wir schon die Spitze!)

Warum, Herr Kollege Riesenhuber, sind Sie nicht bereit, genauso viele Milliarden in die Erforschung und Entwicklung regenerativer Energien zu stecken wie über die ganzen Jahre in die Kernenergie?

(Beifall bei der SPD — Dr. Knabe [GRÜNE]: Es fehlt auch an der Anwendung!)

Wirtschaft und Steuersystem, hat Peter Struck hier vorgetragen, müssen auch dem ökologischen Umbau unserer Volkswirtschaft dienen. Denn das ist ja die Ratio unseres Programms „Arbeit, Umwelt und Investitionen" . Umweltschutz mag da oder dort zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. Per Saldo kommt aber ein erhebliches Plus an Arbeitsplätzen dabei heraus.
Damit, meine Damen und Herren, bin ich bei dem Thema Beschäftigung oder Nichtbeschäftigung. Frei nach Oskar Lafontaine sage ich auch auf Grund der
Erfahrung in dieser Woche: Unser Bundeskanzler freut sich sichtlich über seinen Arbeitsplatz. Aber was ist mit denen, die sich auch über einen Arbeitsplatz freuen würden, wenn sie denn einen hätten? Wir jedenfalls haben nicht vergessen, daß die Herren Blüm und Geißler nach der Wende versprochen hatten, daß nach spätestens einem Jahr Kohl-Regierung die Zahl der Arbeitslosen auf 1 Million im Jahresdurchschnitt gesunken sein werde. Was ist von diesen Versprechungen geblieben?

(Austermann [CDU/CSU]: Ihr habt doch Vollbeschäftigung versprochen!)

Jetzt, nach sechs Jahren Ihrer Tätigkeit, fordere ich Sie auf, sich endlich an solche Versprechungen zu erinnern und etwas zu tun, damit sie eingelöst werden.

(Beifall bei der SPD — Austermann [CDU/ CSU] : Machen wir!)

Vom Bund der Steuerzahler haben wir gehört, daß der Bundeskanzler durch die von ihm mit auf den Weg gebrachte Steuerreform jährlich 26 000 DM an Steuer spart. Wie muß eine solche Nachricht auf einen Arbeitslosen oder auf einen Sozialhilfeempfänger wirken, dessen gesamtes Jahreseinkommen geringer ist als die jährliche Steuerentlastung des Bundeskanzlers, meine Damen und Herren?

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Demagogie ist das! Reine Demagogie!)

Angesichts dieser Relationen wirkt es schon empörend, daß Sie an weitere Leistungskürzungen bei den Arbeitslosen denken. Geht Ihnen nicht auf, daß solche Einfälle von vielen als zynisch empfunden werden müssen?
Sie begründen die von Ihnen ins Auge gefaßten Maßnahmen bei der Bundesanstalt für Arbeit mit dem Defizit, welches dort entstanden ist. Deshalb weise ich erneut darauf hin, daß diese Defizite in erheblichem Maße darauf zurückzuführen sind, daß die Bundesregierung originäre Bundesaufgaben in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise auf die Bundesanstalt für Arbeit abgeschoben hat,

(Beifall bei der SPD)

z. B. auch die Sprachförderung für Aus- und Umsiedler. Dafür hat kein Arbeitnehmer Beiträge bezahlt.

(Austermann [CDU/CSU]: Sollen wir das einstellen?)

Arbeitslose, die jetzt nicht mehr in ABM- oder Qualifizierungsmaßnahmen vermittelt werden, müssen damit für diesen Willkürakt der Regierung büßen. Das ist angesichts struktrueller und qualifikationsbedingter Arbeitslosigkeit in vielen Regionen unserer Republik wahrlich ein Böser-Buben-Streich.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen ist viel über das Jahr 1992 und den europäischen Binnenmarkt gesprochen worden. Sozialdemokraten begreifen dieses Ziel als eine große Chance, dies unter der Voraussetzung, daß die EG nicht nur als ein einheitlich handelnder Wirtschaftsraum, sondern auch als ein einheitlicher Sozialraum zu betrachten ist. Europa ist eben nicht nur dann vermittelbar, wenn die Wirtschaft zusammenwächst, sondern vor allem auch dann,



Walther
wenn sich die Arbeitnehmer in Europa angesprochen fühlen.

(Beifall bei der SPD)

Die Europäische Gemeinschaft muß wieder eine Vision werden, und darf sich nicht in kleinlichen Agrarverhandlungen erschöpfen. Sie muß eine Zukunftschance für alle dort wohnenden Menschen bieten. Das gilt übrigens nicht nur für den sozialen Bereich sondern auch für den ökologischen. Hier muß in Europa viel, viel mehr als bisher geschehen.
Aber der ganze Binnenmarkt ist für die Katz, wenn es den Ländern der EG nicht gelingt, sich möglichst zügig auf ein einheitliches europäisches Währungssystem zu einigen. Die zum Teil kleinkarierten Bedenken sowohl aus dem Bundesfinanzministerium als auch aus der Bundesbank sind überwindbar, wenn man es nur will.

(Beifall bei der SPD)

Mir scheint es jedoch am guten Willen zu mangeln. Ohne ein einheitliches europäisches Währungssystem wird es immer so weitergehen wie jetzt: daß wir täglich hypnotisiert auf die Sprünge der US-Währung starren, die uns in der letzten Zeit nicht nur in Europa manchen Ärger gebracht und eine Reihe von Wachstumschancen verspielt haben.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, auf dem Wege zu einer einheitlichen europäischen Währung nicht den Hilfsbremser zu spielen, sondern zusammen mit anderen den Vorreiter.

(Beifall bei der SPD)

Übrigend hätte der Bundesfinanzminister beim Thema Quellensteuer nicht so dilettantisch ausgesehen, wenn es auch auf diesem Gebiet ein einheitliches europäisches Handeln gäbe und Finanzanlagen in Luxemburg nicht attraktiver wären als in der Bundesrepublik.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Ohne die Beleidigung des Finanzministers hätten wir Ihnen jetzt zustimmen können!)

— Da wir den Bundesfinanzminister, Kollege Weng, als Landesvorsitzenden der CDU in Schleswig-Holstein kennen, vermute ich einmal: Auf diesem Gebiet kennt er sich besser aus als ich.
Wir Sozialdemokraten wissen, daß angesichts der Haushaltslage der öffentlichen Kassen in der Bundesrepublik manches Wünschbare, ja sogar manches Wichtige oder sogar sehr Wichtige auf absehbare Zeit nicht zu finanzieren ist. Hans-Jochen Vogel hat zu Recht auf unserem Parteitag in Münster gemahnt, daß auch wir uns nicht auf unerfüllbare Versprechungen einlassen. Arbeit, Umweltschutz auch durch öffentliche Investitionen und die Sicherung der Rentenfinanzierung durch höhere Bundeszuschüsse sind auch für meine Fraktion Schwerpunkte in den kommenden Jahren. Das sind die großen Herausforderungen, vor denen wir in den nächsten Jahren stehen werden.
Die jetzt anlaufenden Beratungen im Haushaltsausschuß werden Möglichkeiten für einen fairen Wettbewerb um die besseren Ideen eröffnen. An den von mir
genannten Schwerpunkten werden wir nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß auch das Ergebnis zu messen haben. Hoffnungsvoll, wie ich ja immer noch bin, setzte ich auf die Einsichtsfähigkeit der Koalitionsfraktionen. Wer die großen Herausforderungen der Zukunft meistern will, muß auf allen Seiten aus manchen Schützengräben der Vergangenheit heraus.

(Beifall bei der SPD — Schwarz [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Gelegentlich, Herr Kollege Schwarz, kann neues Denken auch bei uns und nicht nur im Rüstungsbereich zu neuen und besseren Ergebnissen führen.

(Austermann [CDU/CSU]: Der Beweis fehlt!)

In diesem Sinne wünsche ich allen Kolleginnen und Kollegen — auch Ihnen, Kollege Austermann, trotz Ihres Zwischenrufs — des Haushaltsausschusses für die kommenden Wochen ertragreiche Arbeit. Wenn am Ende der Beratungen ein Ergebnis herauskäme, mit dem auch wir Sozialdemokraten halbwegs zufrieden sein könnten, wäre das von großem Nutzen für unser Land.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109205000
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1109205100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Bilanz dieser Woche gehört nach meiner Überzeugung: Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sind sich einig in der wirtschafts- und finanzpolitischen Konzeption. Sie haben hier gemeinsam die Grundzüge des Haushaltsentwurfs und der Begleitgesetzte vertreten und argumentativ begründet. Die sichtbaren Erfolge vor allem in der starken Dynamik unserer Wirtschaft, aber auch das anhaltend hohe Maß an Preisstabiliät haben im Vergleich zum Pessimismus des Winters zu einer Grundstimmung der Zuversicht geführt.
Dabei gibt es keinen Grund — wir haben es in allen Debattenbeiträgen gesagt — zur Euphorie. Wir müssen Maß nehmen — das ist ja auch der Sinn dieser Diskussion — im Blick auf die großen und zum Teil schwierigen Aufgaben, die jetzt vor uns liegen. Es sind also Realitätssinn und Gestaltungskraft gefordert. Aber die Verbesserung der Grunddaten und -erwartungen hat uns zweifellos geholfen. Ich glaube, das ist nicht von ungefähr auch im Kommentarecho über die letzten Tage sichtbar geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will einige Stichworte der Kritik der Opposition aufnehmen. Herr Vogel hat in seiner Rede am Mittwoch mir vorgeworfen, ich hätte in meiner Einbringungsrede die weltwirtschaftlichen Risiken übersehen. Das kann man nicht behaupten. Ich will mich nicht selbst zitieren, aber einen Satz aus meiner Rede noch einmal in Erinnerung rufen, der in der Tat, wie ich glaube, wichtig ist. Ich habe gesagt: Die großen Herausforderungen und Risiken für die Weltwirt-



Bundesminister Dr. Stoltenberg
schaft sind die erheblichen Ungleichgewichte in den Handels- und Leistungsbilanzen der Industrienationen und das zu große Gefälle zwischen ihrem Wohlstand und der Not der meisten Entwicklungsländer.
Meine Damen und Herren; das klingt sehr abstrakt: Was sind das eigentlich, Ungleichgewichte in den Handels- und Leistungsbilanzen? Das ist im Grunde natürlich ein sehr dramatischer Vorgang. Wenn einige wichtige Staaten, darunter die wichtigste Wirtschaftsmacht der Welt, die Vereinigten Staaten, über längere Zeit jedes Jahr in der Größenordnung von 120, 140 Milliarden Dollar mehr importieren als exportieren, wenn sie also in eine strukturelle Verschuldung gegenüber dem Rest der Welt hineinkommen, ist das nicht nur ihr Problem, sondern es schafft ein Element des Risikos. Eine der wichtigsten Fragen ist, ob es gelingt, zunächst einmal durch die Anstrengungen der betroffenen Länder selbst, aber auch durch internationale Zusammenarbeit einen Prozeß beizubehalten, in dem die Situation in den Wirtschaftsbeziehungen wieder ausgeglichener wird. Wenn das in den kommenden Jahren nicht gelingen würde, müßte man erhebliche Erschütterungen und möglicherweise auch Krisenerscheinungen für die ganze Weltwirtschaft befürchten.
Wir haben hier einen gewissen Anfangserfolg. Ich sage das auch noch einmal zu den in einigen Beiträgen wiederholten falschen Behauptungen der Opposition, daß die anhaltend positive Entwicklung unserer Konjunktur im wesentlichen nur auf Export beruhe. Nein, die außenwirtschaftliche Anpassung bei uns als einem Überschußland setzt sich fort. Im ersten Halbjahr 1988 stiegen bei uns die Ausfuhren real um 3 %, die Einfuhren dagegen um 4,5 %. Das ist in hohem Maße wünschenswert, nicht nur mit Blick auf Defizitländer wie Amerika, sondern auch auf die hart bedrängten Schwellen- und Entwicklungsländer. Wir müssen gerade mit Blick auf sie unsere Märkte weiter öffnen. Wir müssen ihnen die Chance geben, ihre Produkte zu vernünftigen, für sie zufriedenstellenden Preisen auch auf unseren Märkten absetzen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist in dieser schwierigen und risikoreichen Lage auch gut, wenn etwa in den Vereinigten Staaten von Januar bis Mai die Exporte um real 33 % gestiegen sind, während ihre Einfuhren nur noch um 12,1 % zunahmen. Aber es wird eine Fortsetzung dieses Trends über Jahre benötigen, bis die größte Volkswirtschaft der Welt wieder in einer einigermaßen ausgeglichenen Situation ist. Dazu gehört auch die Notwendigkeit, daß nach der Präsidentenwahl die neue Administration und der Kongreß das weit überhöhte Haushaltsdefizit zurückführen.
Wir sind also stärker als in den vergangenen Jahrzehnten eingebunden in das Auf und Ab weltwirtschaftlicher Entwicklungen. In einer Zeit, in der wir Rückenwind verspüren, wollen wir das nicht vergessen. Aber es ist in einer richtigen Einschätzung der Situation und Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland als der gegenwärtig größten Exportnation auch nicht so, daß wir weltwirtschaftliche Entwicklungen nur hinzunehmen haben. Wir müssen sie
aktiv gestalten, partnerschaftlich mit anderen. — Ich habe das am Dienstag mit Blick auf die bevorstehenden Jahrestagungen von Weltbank und Währungsfonds in Berlin näher ausgeführt. — Für uns muß gelten, gerade wenn wir diese Risiken sehen: Stabilität beginnt zu Hause — stability begins at home, wie die Angelsachsen sagen. Wir müssen das eigene Haus noch besser gestalten, nicht nur ökonomisch, auch unter ökologischen Vorzeichen, auch in der sozialen Dimension, auch in der Bewältigung dessen, was wir noch an ungelösten Problemen auf dem Arbeitsmarkt haben. Wir müssen das eigene Haus auch wetterfester machen.
Das heißt nun — da gibt es den Dissens etwa mit der Fraktion DIE GRÜNEN — , daß wir bei aller wachsenden Bedeutung der ökologischen Dimension nie vergessen dürfen: Wetterfest gegen Erschütterungen und Stürme, konkurrenzfähig angesichts des Aufstiegs junger Industrienationen sind wir nur, wenn wir unsere Wirtschaft ständig modernisieren, wenn wir Technologie verantwortungsbewußt bejahen, wenn wir nicht in eine geistige Aussteigermentalität gegenüber dem verfallen, was an weltwirtschaftlichen Herausforderungen in jedem Fall für uns gegeben ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, für mich gehört auch unter Berufung auf viele Kommentatoren zur Bilanz dieser Tage: Eine in sich schlüssige Alternative hat die sozialdemokratische Opposition zu unserer Finanzpolitik nicht vorgelegt.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Der Parteitag von Münster ist ja nicht nur aus Termingründen und nicht nur wegen der Entscheidung des Kollegen Hans Apel in das Scheinwerferlicht dieser Diskussion gerückt. Wir haben es in kritischen Analysen, die ich im einzelnen nicht wiederholen will, auch mit sehr vielen Zitaten führender Sozialdemokraten ausführlich begründet, daß der Parteitag in Münster und — ich füge das hinzu — auch die Diskussion dieser Woche das schlüssige Alternativkonzept der Sozialdemokraten in den zentralen Fragen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht gebracht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das wissen die auch!)

Ich will nur eine Stimme verlesen, und zwar das, was ein Weggefährte der Sozialdemokraten — ich trete ihm nicht zu nahe, wenn ich es so beschreibe —, der bekannte Bonner Korrespondent der „Frankfurter Rundschau", Rolf-Dietrich Schwartz, am 7. September, geschrieben hat.

(Walther [SPD]: Der einzige Bonner Sozialist!)

— Nicht der einzige, (Walther [SPD]: Aber ein besonderer!)

aber man kann ihn doch als einen Weggefährten der Sozialdemokraten über lange Zeit beschreiben.

(Walther [SPD]: Das wird nur mit Abstrichen akzeptiert!)

— Sie sagen „mit Abstrichen", aber Sie akzeptieren es damit immerhin. Dafür bin ich dankbar.



Bundesminister Dr. Stoltenberg
Er sagt folgendes:
Viele Blößen, die sich der SPD-Experte bei seiner unfreiwilligen Premiere gegeben hatte, sind in ihren Ursachen nicht auf die Person zurückzuführen, sondern auf seine Partei in ihrem jetzigen Zustand. Die Fehlanzeige in der Steuerpolitik, das Hin und Her bei der Neuverschuldung, die Unentschlossenheit bei den Prioritäten des Haushalts hätte vielleicht ein begnadeter Starredner oder eine -rednerin verkleistern, nicht aber vergessen lassen können. Die richtigen Personen für ein Programm zu finden, ist für jede Partei schwer genug. Erst recht, wenn das Programm fehlt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin in der etwas ungewöhnlichen Situation, hier einen Kommentar der „Frankfurter Rundschau" zustimmend vortragen zu können.
Meine Damen und Herren, diese Widersprüche sind auch in den Beiträgen von Herrn Wieczorek und heute morgen von Herrn Walther für mich und viele sichtbar geworden. Einmal bekommen wir hier die härtesten Vorwürfe wegen der Neuverschuldung. Auch das Wort vom größten Schuldenmacher klang heute wieder an. Wir werden mal sehen. Warten wir ab, wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt, beginnend 1988.

(Walter [SPD]: Schuldenmajor!)

Ich habe Herrn Vogel schon am Dienstag zur Vorsicht bei Prognosen geraten. Aber dann kommt eine Serie massiver ausgabenwirksamer, zum Teil in die Milliarden gehender Forderungen bei fast jedem Einzelplan. Das ist schon erstaunlich, meine Damen und Herren. Damit mag man gewisse Zielgruppen im Auge haben, aber überzeugend ist das nicht.
Herr Kollege Vogel, wir haben einmal im Finanzministerium berechnet, was die konkret berechenbaren Beschlüsse des Münsteraner Parteitages kosten würden.

(Dr. Vogel [SPD]: 37 Milliarden mindestens? Katastrophenszenario?)

— Nein, nicht ganz. Ganz so hoch ist die Schätzung nicht. Das beruht allerdings auch darauf, Herr Vogel
— es sind gut 7 Milliarden — , daß es einen zweiten Teil gibt, bei denen man die Forderungen wegen der Verschwommenheit der Aussage nicht berechnen kann.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Fangen wir einmal an: Entlastung der Gemeinden von Kosten für Sozialhilfeleistungen. Sie haben letzte Woche in Münster beschlossen, der Bund solle die Hälfte übernehmen: Kosten 4,7 Milliarden DM jährlich für den Bundeshaushalt.

(Dr. Vogel [SPD]: Wie Albrecht!)

— Nein, mit Herrn Albrecht haben wir uns mittlerweile auf ein viel vernüftigeres Konzept geeinigt. Das wissen Sie.

(Dr. Vogel [SPD]: Haben Sie inzwischen ein Konzept? Haben Sie eine Gesetzesvorlage?)

Wir haben uns mit Herrn Kollegen Albrecht geeinigt, und ich habe am Dienstag angekündigt,

(Dr. Vogel [SPD]: In welchem Zirkel denn?) daß wir in Kürze das Gesetz einbringen werden,


(Dr. Vogel [SPD]: Was steht drin?)

nach den ordnungsgemäßen Vorgesprächen mit allen elf Ländern, die, wie Sie wissen, bereits begonnen haben.

(Dr. Vogel [SPD]: 4,7 Milliarden!)

Also: Lenken wir nicht ab! Sie verlangen über die jetzt getroffene Einigung hinaus 4,7 Milliarden DM jährliche Belastung.
Nun kommen wir zum Sondervermögen „Arbeit und Umwelt". Da gibt es zwei Versionen.

(Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])

— Lassen Sie mich doch einmal in Ruhe ausreden!
Der Beschluß des Parteitags in Münster ging auf jährliche Zinssubventionen von rund 300 Millionen DM im Jahr. Aber noch am 1. Mai dieses Jahres hat Herr Kollege Vogel in München viel weitergehende Forderungen erhoben. Er hat dort gesagt: Unser Programm erfordert einen Aufwand von etwa 23 Milliarden DM an öffentlichen Mitteln in vier Jahren, um ein Wirkungsvolumen von 40 bis 50 Milliarden DM zu erreichen.
23 Milliarden DM in vier Jahren; das bedeutet über 5 Milliarden DM pro Jahr, jedenfalls nach Ihrer damaligen Version. Da sich ja nach Ihrer Aussage die Länder und Gemeinden in einer so katastrophalen Situation befinden, daß sie gar nichts mehr leisten können, haben Sie dabei wahrscheinlich allein an den Bund gedacht.
Nun komme ich zum Thema Zukunftsinitiative Montanregion und zum Zukunftsprogramm Küste. Kostenbelastung für den Bund: jährlich rund 600 Millionen DM.
Dann gehen wir über zur Initiative zur Wiedereingliederung von Frauen, Schaffung qualifizierter Frauenarbeitsplätze: Das bedeutet — je nach Ausgestaltung — für den Bundeshaushalt jährlich eine Summe von bis zu 1 Milliarde DM.
Die Vorstellungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sind demgegenüber behutsam, machen aber immerhin einen dreistelligen Millionenbetrag aus.
Ferner haben Sie die Ausdehnung der Geltungsdauer und die erhebliche Erweiterung des Vorruhestands verlangt. Das kostet jährlich 400 Millionen DM.
Das sind zusammen über 7 Milliarden DM. Dann kommen die weitreichenden Gesetzesanträge und Vorschläge, die man nicht so exakt quantifizieren kann, die aber natürlich noch auf diese Waagschale zu legen sind.
Ich stelle fest, daß Sie mit Ausnahme allgemeiner Hinweise auf die Kürzung des Verteidigungshaushalts in dieser Debatte keine konkreten Einsparvorschläge gemacht haben. Sie haben kein steuerpolitisches Konzept, das in sich schlüssig ist, und Sie haben



Bundesminister Dr. Stoltenberg
kein Haushaltskonzept, das tragfähig ist, meine Damen und Herren von der SPD.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Jaunich [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte sehr.

Horst Jaunich (SPD):
Rede ID: ID1109205200
Herr Minister, wären Sie denn bereit, die Kosten der verwalteten Arbeitslosigkeit dagegenzurechnen?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1109205300
Ich komme auf das Thema Arbeitsmarkt noch kurz zu sprechen. Aber ich glaube nicht, daß Sie mit diesen Maßnahmen wirklich einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten werden; denn dieser massive Anstieg der Ausgaben des Bundes muß entweder die Verschuldung oder die Steuerquote nach oben treiben. Höhere Schulden und höhere Steuern aber wären Gift für Investitionen und damit schädlich für den Arbeitsmarkt. Diesen Regelkreis müssen Sie schon beachten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich appelliere an Sie, die Wirkungen der Steuerreform nicht weiter so zu verzeichnen, wie wir das bis heute morgen wieder gehört haben. Herr Struck und andere haben wieder von der Umverteilung hin zu den Reichen gesprochen. Ich muß sagen, daß Ministerpräsident Oskar Lafontaine in diesem Punkt in Münster viel realistischer formuliert hat. In seiner Rede, die ich mit Interesse nachgelesen habe, hat er u. a. erklärt, die Steuerreform bewirke bei aller Kritik der SPD eine nachhaltige Entlastung der mittleren und hohen Einkommen. Er hat sogar gefordert, diese Entlastung der mittleren Einkommensbezieher müsse zu Konsequenzen bei den Tarifforderungen führen.
Das ist natürlich für einen Sozialdemokraten eine ziemlich frevlerische Auffassung. Das erklärt den ganzen Zorn der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer auf Herrn Lafontaine, den man übrigens gestern abend zu später Stunde im Fernsehen an Hand eines Interviews des von mir hochgeschätzten Kollegen Rappe wieder feststellen konnte. Hier geht ein tiefer Riß durch Ihre Partei, den ich jetzt nicht näher beleuchten will.
Aber Lafontaine hatte natürlich recht, wenn er sagt: Es gibt eine erhebliche Entlastung für die mittleren Einkommensbezieher. Ich füge hinzu: Es gibt auch eine Entlastung für die unteren Einkommensbezieher, die bedeutsam ist, auf die wir oft genug hingewiesen haben.
Nehmen Sie Abschied, Herr Struck, von den alten Klischees, und schlagen Sie nicht die Schlachten von gestern mit falschen Parolen weiter!

(Abg. Dr. Knabe [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Bitte sehr, Herr Kollege.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1109205400
Meine Frage ist, ob Sie in einem bestimmten Jahr, noch in dieser Legislaturperiode, auch einmal den Mut zu einer ökologischen Steuerreform hätten, da davon in den diesjährigen Programmen gar nichts zu spüren war.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1109205500
Ich glaube nicht, daß wir in dieser Wahlperiode eine weitere Steuerreform gestalten werden. Nur wollen wir die Frage, was wirklich an ökologischen Elementen sinnvoll in die Steuer- und Abgabenpolitik eingeführt werden kann, gerne mit jedem suchverständigen Kollegen weiterdiskutieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Walther [SPD]: Am besten mit Ebermann!)

Meine Damen und Herren, ich komme zu den Haushaltsstrukturen und -risiken. 1988 wird die Bilanz etwas günstiger als erwartet oder zum Jahresanfang befürchtet. Für 1989 glaube ich, daß höhere Steuereinnahmen in diesem Jahr die Steuerschätzung gegenüber dem Regierungsentwurf etwas verbessern werden, aber entscheidend ist natürlich nicht das, was wir an Steuern schätzen, sondern das, was wir 1989 an Einnahmen und Ausgaben erleben. Insofern ist auch hier der wirtschaftliche Verlauf von größter Bedeutung.
Wir gehen von anhaltendem Wachstum aus. Die Daten sind offen. Die Probleme, die erkennbar sind, liegen nicht im eigenen Land. Sie liegen auch nicht in der maßvollen Anhebung von Verbrauchsteuern, sondern in bestimmten Unwägbarkeiten, auf die ich in Verbindung mit der weltwirtschaftlichen Situation hingewiesen habe.
Um so wichtiger ist es, daß wir die Ausgaben unter Kontrolle halten. Auch 1990 ist kein Spielraum für neue Mehraufwendungen durch Leistungsgesetze gegeben. Das will ich hier noch einmal nachdrücklich unterstreichen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Dies ist so!)

Denn in diesem Jahr kommt die Steuersenkung von 19 Milliarden DM zur Geltung, und sie wird unvermeidbar zu einem gewissen vorübergehenden Anstieg der Neuverschuldung führen.
Der Herr Kollege Wieczorek und der Herr Kollege Walther haben hier nun eine Reihe von Behauptungen vorgetragen, auf die ich kurz eingehen möchte. Die Behauptung von Herrn Wieczorek, die Verwendung von Mehreinnahmen beim Bundesbankgewinn zur Tilgung von Schulden führe dazu, daß im nächsten Jahr ohne Ermächtigung des Parlaments Kredite zum Ausgleich von Haushaltslücken aufgenommen werden könnten, trifft nicht zu. Wer § 2 Abs. 2 des Haushaltsgesetzes liest, stellt fest, daß eine geringere Kreditaufnahme angerechnet wird, daß wir uns dort also keinen zusätzlichen Spielraum verschaffen. Eine verfügbare, im Folgejahr zu nutzende Kreditermächtigung ist nicht vorhanden.
Noch erstaunlicher war für mich der Vorwurf, daß wir durch die Abgabe der Bundespost dieses Unternehmen immer tiefer in die Verschuldung getrieben hätten. 1981 hat die damalige Regierungsmehrheit des Bundestages auf Initiative meines Vorgängers Matthöfer die Bundespostabgabe gemäß § 21 des Postverwaltungsgesetzes auf 10 % festgesetzt. So gilt es bis heute. Wir tun nichts weiter, als das 1981 von Ihnen durchgesetzte Gesetz anzuwenden.
Wir haben uns im Regierungskonzept darauf geeinigt, daß wir ab 1994 diese Abgabe stufenweise verringern und damit erheblich absenken. Nun kann



Bundesminister Dr. Stoltenberg
man doch nicht diese Regierung kritisieren, wenn sie ein Gesetz anwendet, das die Sozialdemokratie in diesem Parlament in ihrer Regierungszeit selber geschaffen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Und Sie haben noch nie ein Gesetz geändert?)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109205600
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1109205700
Bitte sehr, Herr Walther.

Rudi Walther (SPD):
Rede ID: ID1109205800
Herr Minister, wir haben uns am Dienstagabend ja schon darüber gestritten, und da Sie meine Frage erwarten, werden Sie sie auch gleich beantworten können. Wenn das alles so schädlich war, wie die Union — damals in der Opposition — behauptet hat,

(Dr. Vogel [SPD]: Ja, warum habt ihr es nicht geändert?)

warum haben Sie nicht mit einer der ersten Ihrer Maßnahmen den früheren Zustand wiederhergestellt, sondern den geltenden Zustand beibehalten?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID1109205900
Weil wir uns in einer so kritischen Finanzsituation bef anden,

(Lachen bei der SPD)

daß wir die Grundlagen der Einnahmen des Bundes nicht kurzfristig ändern konnten. Aber die Kritik ist doch vollkommen unbegründet, wenn wir jetzt im Deutschen Bundestag ein Gesetz zu beraten haben, mit dem wir Mitte der 90er Jahre die Abführungspflicht der Post drastisch verringern. Insofern kann ich Ihre Kritik überhaupt nicht anerkennen.
Unzutreffend ist die Behauptung, daß 1989 eine halbe Milliarde bei der Kokskohlenbeihilfe fehlt, und unzutreffend ist auch, daß wir nach der Rechtslage ein Risiko von 3 Milliarden für den Verstromungsfonds im Bundeshaushalt einplanen müßten. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Wir stehen vor einer wichtigen und schwierigen Entscheidung bei der Neugestaltung des Jahrhundertvertrages und des Verstromungsfonds, aber sicher nicht so, daß wir jetzt Milliarden auf den Bundeshaushalt übernehmen.

(Walther [SPD]: Haben Sie den letzten Bericht des Bundesrechnungshofes zu diesem Thema gelesen?)

Meine Damen und Herren, ich will es bei diesen Beispielen belassen und folgendes sagen: Beschäftigung und Arbeitsmarkt sind zu Recht ein Hauptthema dieser Tage gewesen. Wir haben fast 850 000 Arbeitsplätze mehr als Ende 1983. Aber wir haben unverändert über 2 Millionen Arbeitslose.
Fast 850 000 zusätzliche Arbeitsplätze, bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen, die Stärkung der Angebotsseite unserer Wirtschaft und der langsamere Anstieg der Lohnstückkosten haben Erfolge gebracht. Aber die steigende Nachfrage nach
Arbeitsplätzen und leider auch der Mangel an Flexibilität und Mobilität sind damit nicht ausgeglichen.
Ich will noch einmal sagen: Es wird mehr und mehr ein Hauptdiskussionspunkt unserer Mitbürger, daß auch in Gebieten hoher Arbeitslosigkeit ein immer größerer Mangel an Fachkräften erkennbar wird.
Ich verweise hier auch einmal auf die Diskussion in Österreich, Herr Kollege Walther. Der österreichische Bundeskanzler Vranitzky, Mitglied der Sozialistischen Partei Österreichs, hat das Thema der Zumutbarkeit hinsichtlich der Arbeitsaufnahme dort zur Diskussion und Entscheidung gestellt. Ich glaube, auch wir müssen diese Diskussion führen und neue Maßstäbe für die Zumutbarkeit hinsichtlich der Arbeitsaufnahme vor allem bei jüngeren Menschen entwickeln. Ich bin zutiefst davon überzeugt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Walther [SPD]: Reiner Populismus!)

Meine Damen und Herren, wir wollen die Neuverschuldung zurückführen; das hat Priorität. Es ist auch ein wichtiger Beitrag für unsere Stabilitätspolitik. Aber unsere Politik seit 1983 hat bei allen dunklen Flecken auf dem Bild — Arbeitslosigkeit und anderes — unser Land vorangebracht.
Meine Damen und Herren, ich will hier abschließend nur wenige Belege dafür vortragen. Die Preissteigerungsrate bei den Lebenshaltungskosten ging von 6,3 % im Jahre 1981 auf 0,2 % im Jahre 1987 zurück.

(Walther [SPD]: Bei welchen Ölpreisen, Herr Minister?)

Die Kapitalmarktzinsen, also die Umlaufrendite festverzinslicher Wertpapiere, einer Anlagenform für viele, viele Millionen kleiner Leute, sind von 10,6 To 1981 bzw. 9,1 % im Jahre 1982 jetzt auf 6,3 % zurückgegangen. Das ist eine entscheidende Verbesserung für private Investitionen, für Konsumentenkredite und für die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft.
Die verfügbaren Realeinkommen der privaten Haushalte sind von 1983 bis 1987 jährlich im Schnitt um 3 % angestiegen. In diesem Jahr werden es etwa 3,5 % sein.
Das Geldvermögen der privaten Haushalte ist in den letzten fünf Jahren von 1,7 Billionen DM auf über 2,3 Billionen DM angestiegen, d. h. um 37 T. in fünf Jahren. Es wäre lächerlich, zu behaupten, daß das etwa nur eine Entwicklung bei einer kleinen privilegierten Minderheit von Besserverdienenden sei.
Schließlich: Wir haben zum erstenmal eine leichte Trendwende bei der Eigenkapitalausstattung unserer Betriebe, hier vor allem des Mittelstandes, erreicht. Die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen ist von 28,5 % im Jahre 1965 auf 20,2 % im Jahre 1982 zurückgegangen. Wir haben 1986 zum erstenmal eine Veränderung auf 20,6 % erreicht. Dies reicht nicht aus. Wir brauchen eine bessere Eigenkapitalausstattung vor allem des Mittelstandes. Wenn wir das sagen, dann dienen wir nicht nur den Betrieben, sondern auch den Arbeitsplätzen in diesem Unternehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Bundesminister Dr. Stoltenberg
Meine Damen und Herren, der private Verbrauch ist von 1983 bis 1987 jährlich — preisbereinigt — um 2,4 To gewachsen. In diesem Jahr werden es fast 3,5 sein. Der private Verbrauch besteht ja nicht darin, daß eine kleine Gruppe Reicher den Konsum steigert, sondern er spiegelt die Lebensentwicklung der breiten Schichten unseres Volkes wider.
Wir sagen das mit großer Befriedigung. Unsere Politik hat unser Land vorangebracht; aber nichts ist auf Dauer selbstverständlich, schon gar nicht im Bereich der Wirtschaft, des sozialen Lebens und der Finanzen.

(Frau Dr. Vollmer [GRÜNE] Fortschritt kann auch Rückschritt sein!)

Deshalb dürfen wir nicht rasten. Wir müssen die neuen Probleme anpacken. Wir müssen handlungsfähig sein. Ich glaube, daß die Beratung dieses Haushalts in den kommenden Wochen dafür ein Beispiel geben wird, das uns allen Mut machen kann.
Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1109206000
Meine Damen und Herren, ich schließe nun die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 11/2700, 11/2701 und 11/2650 an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. — So ist dies beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Tagesordnung. Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen für Ihre Geduld und Ihr Engagement in der Debatte zu danken. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 21. September 1988, um 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.