Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wenige Tage vor Weihnachten, am 19. Dezember 1979, verstarb im Alter von 92 Jahren der ehemalige langjährige Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen, Wilhelm Kaisen.Mit Wilhelm Kaisen ist ein Mann von uns gegangen, der sich durch seine Persönlichkeit, die staatsmännisches Können mit der Weisheit und Güte eines Landesvaters und der persönlichen Würde und Schlichtheit eines Landmannes in sich vereinte, tief in die Herzen der Bürger eingeschrieben hat.Wilhelm Kaisen hat 20 Jahre lang die Geschicke des Bundeslandes Bremen geleitet. Er übernahm dieses Amt in einer Zeit, in der Wirtschaft und Handel, Industrie, Schiffbau und Schiffahrt darniederlagen oder lebensbedrohenden Beschränkungen unterworfen waren. Als führender Landespolitiker gehörte er zu jenen großen Persönlichkeiten, die kraft ihrer überragenden Fähigkeiten und ihrer bewährten Überzeugungstreue in der Lage waren, die Doppelaufgabe zu leisten, das deutsche Volk wieder auf einen demokratischen Weg zu führen und zugleich den Menschen Hoffnung und Mut zur Überwindung der Zerstörung und zum Wiederaufbau des wirtschaftlichen und sozialen Lebens zu vermitteln.Für unsere junge Demokratie war es ein Glück, daß es ihn gab. Er war ein Politiker, der eine lange demokratische Erfahrung besaß, der schon Anfang der 20er Jahre in der Bremischen Bürgerschaft und von 1927 bis 1933 im Senat gewirkt hatte. So mußte er auch in den Jahren der Diktatur als ein Mann der Arbeiterbewegung und der Demokratie Verfolgung, Verhaftung, Anklage wegen Hochverrats und monatelange Inhaftierung erleiden.Es ist in erster Linie seiner Initiative, seinem Verhandlungsgeschick und seiner Überzeugungskraft gegenüber den Besatzungsmächten zuzuschreiben, daß der Bremer Hafen frühzeitig nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder ausgebaut werden konnte und daß schon bald die Hansestadt ihre einstmalige Bedeutung wieder errang.Kaisen hat aber weit über Bremen hinaus gewirkt. Es ist daran zu erinnern, daß er der erste Regierungschef war, der — unbekümmert um die Besatzungsmächte — einen Versuch, die Einheit Deutschlands zu retten, unternahm, indem er im Jahre 1946 die Ministerpräsidenten aller Länder nach Bremen einlud.Im Bundesrat hat er die Politik der Bundesrepublik Deutschland mitgestaltet und durch sein Wort, sein eigenständiges Urteil, seinen überlegten Rat Gehör und große Achtung weit über seine Partei hinaus gefunden.Die Bundesrepublik Deutschland hat von Wilhelm Kaisen mit einem Staatsakt im alten Bremer Rathaus am 23. Dezember 1979 Abschied genommen. Der Bundespräsident hat ihn in seiner Trauerrede als einen echten Vertreter hanseatischen Geistes, dessen Blick weit über Deutschland hinausging, gewürdigt und hat dabei seine Verdienste um die Ziele der deutschen Außenpolitik — die Aussöhnung mit Frankreich, die europäische Einigung und die engen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika — hervorgehoben. Er hat ihn gewürdigt als einen noblen, lauteren und redlichen Menschen, von denen es zu jeder Zeit nur wenige gab.Ich sage den Hinterbliebenen, den Angehörigen, seinen drei Kindern, meine herzliche Anteilnahme. Wilhelm Kaisen war ein Politiker und Staatsmann, der vorbildlich gelebt und gearbeitet hat und der in der Erinnerung seines Volkes als ein großes Vorbild weiterleben wird.Sie haben sich zu seinen Ehren erhoben; ich danke Ihnen.Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Wahl des Wehrbeauftragten des BundestagesNach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages wählt der Deutsche Bundestag den Wehrbeauftragten in geheimer Wahl mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Alle Mitglieder des Hauses sind stimmberechtigt. Gewählt ist demnach, wer mindestens 260 Stimmen erhalten hat. Wahlvorschläge können der Verteidigungsausschuß, die
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15578 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Präsident StücklenFraktionen und Abgeordneten in Fraktionsstärke einbringen.Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben mit Schreiben vom 15. Januar 1980 gemeinsam den derzeitigen Wehrbeauftragten Karl Wilhelm Berkhan zur Wahl vorgeschlagen. Ich frage: Werden weitere Vorschläge gemacht? — Dies ist nicht der Fall. Es liegt demnach nur ein Wahlvorschlag vor. Ich stelle fest, daß Herr Karl Wilhelm Berkhan ordnungsgemäß vorgeschlagen ist. Der Vorgeschlagene erfüllt die Voraussetzungen der Wahl gemäß § 14 Abs. 1 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages.Meine Damen und Herren, ich darf Ihre Aufmerksamkeit kurz für einige Hinweise zum Wahlverfahren in Anspruch nehmen. Nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages in Verbindung mit § 116a und § 54 a unserer Geschäftsordnung wird geheim, d. h. mit verdeckten Stimmkarten gewählt. Die Stimmkarten, Wahlumschläge usw. sind, wie bei diesen Wahlen insgesamt wiederholt erprobt, vorbereitet. Die Wahlzellen stehen bereit. Ich bitte die Schriftführer, dafür zu sorgen, daß die Geheimhaltungsvorschriften unbedingt eingehalten werden.Wir treten in die Wahlhandlung ein. Ich bitte die Schriftführer an Ihre Plätze. Die Wahlurne steht hier vorn. Die Stimmzettel sind im Umschlag abzugeben. Wir beginnen mit dem Namensaufruf. Der Wahlakt beginnt.
Meine Damen und Herren, ich darf während des Wahlaktes — ich hoffe, nicht allzusehr zu stören — noch einige Glückwünsche zum Ausdruck bringen: Am 17. Dezember 1979 hat der Abgeordnete Dr. Köhler seinen 60. Geburtstag begangen.
Am 19. Dezember 1979 wurde der Abgeordnete Flämig 60 Jahre.
Am 22. Dezember 1979 beging der Abgeordnete Konrad seinen 65. Geburtstag,
am 23. Dezember 1979 der Abgeordnete Wilhelm seinen 60. Geburtstag und am 2. Januar 1980 der Abgeordnete Tönjes ebenfalls seinen 60. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch für alle Kollegen dieses Hauses, die Geburtstag gehabt haben!
Haben alle Mitglieder des Hauses, die ihre Stimme abgeben wollen, davon Gebrauch gemacht? Wünscht noch ein Mitglied des Hauses die Stimme abzugeben? — Das scheint nicht der Fall zu sein.Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Die Auszählung wird ungefähr 20 Minuten in Anspruch nehmen. Ich unterbreche so lange die Sitzung.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen.Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Stimmberechtigt: 518 Mitglieder. Abgegebene Stimmen: 454, davon gültig: 452. Mit Ja haben 416 Mitglieder gestimmt, mit Nein 30 Mitglieder, Stimmenthaltungen: 6, ungültige Stimmen: 2.
Ich stelle hiermit fest, daß Herr Karl Wilhelm Berkhan die nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages erforderliche Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Hauses erhalten hat. Damit ist Herr Berkhan zum Wehrbeauftragten des Bundestages wiedergewählt.Ich frage Sie, Herr Berkhan, ob Sie die Wahl annehmen.Berkhan, Wehrbeauftragter des Bundestages: Herr Präsident, ich nehme die Wahl an.
Ich darf Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, die Glückwünsche des ganzen Hauses übermitteln und Ihnen auch weiterhin eine erfolgreiche Tätigkeit bei Ihrer verantwortungsvollen Aufgabe wünschen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Beginn dieses Jahres, am Beginn des neuen Jahrzehnts stehen wir einer kritischen internationalen Lage gegenüber. Ich spreche an erster Stelle von der Geiselnahme in Teheran und von der Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion. Ich spreche auch von den energiepolitischen und weltwirtschaftlichen Perspektiven, die nicht losgelöst vom Verlauf der mittelöstlichen Krisen gesehen werden dürfen. Ich werde mich in dieser Situation heute im wesentlichen auf die internationale Lage und auf deren politische und wirtschaftliche Konsequenzen konzentrieren.In Teheran und in Afghanistan ist das Völkerrecht und sind die Regeln des friedlichen Zusammenlebens der Völker schwer verletzt worden. Die dadurch entstandene Lage und ihre möglichen Folgen gehen nicht nur die unmittelbar Beteiligten an. Die Besetzung Afghanistans berührt ganz direkt vitale Interessen der Dritten Welt, der ungebundenen Staaten. Aber die Krisen betreffen darüber hinaus alle Mitglieder der Völkerfamilie. Das heißt, sie betreffen unvermeidbar auch uns in Europa und uns in Deutschland.Am vergangenen Montag, also am Beginn dieser Woche, haben 104 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, d. h. eine Zweidrittelmehrheit, eine Entschließung verabschiedet, deren Kernsätze ich dem Bundestag in Erinnerung rufe — ich zitiere —:
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15579
Bundeskanzler SchmidtWir verlangen den sofortigen, bedingungslosen und totalen Rückzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan, um dem afghanischen Volk zu ermöglichen, eine ihm genehme Regierungsform zu bestimmen und sein ökonomisches, politisches und soziales System ohne Intervention, Subversion oder Zwang von außen zu wählen.Die Bundesrepublik Deutschland ist einer dieser 104 Staaten, die diese Entschließung angenommen haben.
Wir verurteilen die sowjetische Intervention in Afghanistan. Wir verurteilen den Bruch des Völkerrechts im Iran.Vielleicht darf ich zu diesen beiden Krisenherden jeweils etwas detailliertere Ausführungen machen.Zunächst zum Iran. Schon am 4. Dezember 1979, vor mehr als einem Monat, hatte der Weltsicherheitsrat, einstimmig, und zwar mit der Stimme der Sowjetunion, „die Regierung des Iran dringend aufgefordert," — das ist der Wortlaut der damaligen Entschließung — „sofort die Mitglieder der Botschaft der USA freizulassen, die in Teheran festgehalten werden, ihnen Schutz zu gewähren und ihnen zu gestatten, das Land zu verlassen".Daß die Geiselnahme in Teheran inzwischen immer noch andauert, erfüllt uns mit großer Sorge. Unser Mitgefühl gilt den Geiseln, ihren Angehörigen zu Hause und dem amerikanischen Volk, das um seine Menschen bangt.
Wir Deutsche und wir hier im Bundestag kennen aus eigener Erfahrung die Sorge um Geiseln. Deshalb sind wir mit unseren amerikanischen Freunden und mit Präsident Carter solidarisch. Dort wartet eine ganze Nation mit steigender Erbitterung, aber in geduldiger, in bewundernswerter Disziplin seit mehr als elf Wochen auf die Freilassung ihrer Landsleute in Teheran.Wir respektieren das Recht des iranischen Volkes,. seine Zukunft selbst zu bestimmen. Aber gemeinsam mit unseren Freunden in den USA, gemeinsam mit den Regierungen in der Welt, gemeinsam mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bestehen wir darauf, daß sich alle Staaten der Welt an das Völkerrecht halten und daß die Geiseln freigelassen werden.
Wie ich es erwähnte, hatte der Weltsicherheitsrat schon am 4. Dezember letzten Jahres den Iran einstimmig zur sofortigen Freilassung der Geiseln aufgefordert. Wenige Tage später, am 15. Dezember, hatte der Internationale Gerichtshof in Den Haag die Geiselnahme für völkerrechtswidrig erklärt. Am 31. Dezember hat der Sicherheitsrat dann erneut — bei Stimmenthaltung der Sowjetunion und der DDR — vom Iran die sofortige Freilassung. der Geiseln verlangt, diesmal unter Setzung einer Frist und mit der Ankündigung, daß bei Nichtbefolgung Maßnahmen gemäß Art. 39 und 41 der Satzung der Verein-ten Nationen, d. h. sogenannte Sanktionen gegen den Iran ergriffen würden.Nach ergebnislosem Fristablauf hat dann der Sicherheitsrat, erneut mit der Sache befaßt, mit der erforderlichen Mehrheit von zehn Stimmen für die Ergreifung von Sanktionen gegen den Iran gestimmt, insbesondere im Bereich von Handel, Verkehr und Bankwesen. Diesmal stimmten die Sowjetunion und die Deutsche Demokratische Republik dagegen. Mit ihrem Veto hat die Sowjetunion verhindert, daß diese Sanktionen rechtswirksam für alle beschlossen wurden.Wenn sich die Vereinigten Staaten jetzt genötigt sehen, ausgehend von den von mir in Erinnerung gerufenen Beschlüssen des Sicherheitsrats und des Internationalen Gerichtshofs, Maßnahmen in dem angekündigten Sinne zu treffen, so wird die Bundesrepublik Deutschland dabei an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika stehen,
um die Freilassung der Geiseln zu erreichen. Wir stehen zu diesem Zweck im täglichen Meinungsaustausch mit den Vereinigten Staaten und mit unseren anderen Freunden. Ich muß hinzufügen: Wir wissen, daß dies auch für uns wirtschaftliche Opfer bedeuten wird. Ich komme auf die wirtschaftlichen Folgen noch zu sprechen.Sodann folgt ein Wort zur näheren Charakterisierung der Lage in, um und wegen Afghanistan. Tatsächlich handelt es sich, weltpolitisch betrachtet, um zwei Krisen zur gleichen Zeit. Die Sowjetunion hat unter Einsatz massiver militärischer Mittel den blockfreien Staat Afghanistan besetzt. Damit hat sich die Sowjetunion auch bis auf wenige hundert Kilometer an den Indischen Ozean, an den Persischen Golf und an die Erdöllagerstätten herangeschoben. Sie hat zusätzliche politische Hebel gegenüber den anderen Staaten der Region gewonnen. Zugleich aber hat sich die Sowjetunion in der übrigen Welt, vor allem auch in der Dritten Welt der blockfreien Staaten und der Entwicklungsländer, in einer Weise isoliert wie niemals zuvor. Der äußere Ausdruck dieser Selbstisolierung ist die Entschließung der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom Montag dieser Woche, die ich eingangs erwähnte. Und der äußere Ausdruck dieser Selbstisolierung ist der vorausgegangene abermalige Gebrauch des Vetorechts der Sowjetunion im Sicherheitsrat am 13. Januar.Die Sowjetunion hat allein in den letzten Monaten dreimal auf das Vetorecht zurückgegriffen: in der Frage des Rückzugs ausländischer Truppen aus Kambodscha, in der Frage des Rückzugs ihrer eigenen Truppen aus Afghanistan und in der Frage von Wirtschaftssanktionen gegen die Geiselnahme durch den Iran.Die Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion betrifft vor allem das Ost-Süd-Verhältnis. Diese Besetzung berührt in empfindlicher Weise aber auch das West-Ost-Verhältnis, wie das bei jeder Verschiebung im politischen Machtgleichgewicht der Welt der Fall ist. So wie wir, so wie unsere Freunde in der EG, im Nordatlantischen Bündnis, so
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15580 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Bundeskanzler Schmidtsind auch die meisten Staaten der Dritten Welt der Meinung, daß die sowjetische Intervention einen flagranten Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines blockfreien Landes — in diesem Fall eines blockfreien Landes der islamischen Welt — bedeutet, der Meinung, daß diese Militäraktion eine Bedrohung für den Frieden, die Sicherheit, die Stabilität der ganzen geographischen Region, einschließlich des indischen Subkontinents, einschließlich des Mittleren Ostens, einschließlich der arabischen Welt, darstellt.Zu den Staaten in dieser Weltregion haben wir gute, zu den meisten Staaten sogar freundschaftliche Beziehungen. Unsere Zusammenarbeit mit den Staaten jener Region wird jetzt noch intensiviert. Wir wollen deshalb Pakistan — schon bisher ein Schwerpunkt unserer Entwicklungshilfe — bei der Lösung seiner großen wirtschaftlichen Probleme verstärkt helfen, über die humanitäre Hilfe für die afghanischen Flüchtlinge, die auch notwendig ist, hinausgehend.
Indien ist der bedeutendste Empfänger deutscher Entwicklungshilfe und wird dies auch in Zukunft bleiben. Unsere vielfache Hilfe für unsere Verbündeten — ich rede von der Türkei— werden wir mit Nachdruck weiterführen. Wir sind, was die Türkei angeht, bereit, die Initiative auch für andere Freunde mit zu übernehmen und — ähnlich wie schon 1979 geschehen — erneut eine außerordentliche Hilfe für die Türkei zustande zu bringen.
Wir erinnern außerdem an den europäisch-arabischen Dialog, an die Initiative des Kollegen Genscher für eine Kooperation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Anrainer-Staaten des Golfs, von denen ja erst kürzlich der Kollege Lambsdorff einige besucht hat.Die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um die Sowjetunion nachhaltig darauf aufmerksam zu machen, daß eine Verletzung der Völkerrechtsordnung nicht ohne Folgen bleiben kann. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ihre Freunde aufgefordert, sich entsprechend zu verhalten. Dies werden wir tun, insbesondere im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft und im Rahmen des COCOM.Lassen Sie mich zur Bewertung dieser gegenwärtigen Lage kommen. Kein Zweifel: In der Weltpolitik ist ein schweres Wetter aufgezogen. Deshalb müssen wir unsere deutsche Interessenlage und die westliche Interessenlage insgesamt mit ruhigem Blick prüfen. Wir müssen unser Land mit sicherer Hand durch die Turbulenzen hindurchsteuern. Wir können dazu keine Nervosität gebrauchen, kein Krisengeschrei, auch keine aufgeregten oder gar scharfmacherischen Reden.
Vielmehr brauchen wir statt dessen ein sorgfältigüberlegendes, ein sorgfältig überlegtes Crisis Management. Im Deutschen gibt es eigentlich nochkeinen adäquaten Ausdruck für das, was dieses englische Wort sagt: ein sorgfältig überlegendes Crisis Management. Dabei ist ruhiges Auftreten nicht Leisetreterei.
Wenn jemand von uns in dieser Lage eine Politik der großen Worte erwartete, der irrte sich über den Stil unseres Staates und über die Interessen unseres Staates.
Eine Politik der großen Worte darf nicht der Stil unseres Staates werden.
Vielmehr müssen wir unaufdringlich, aber zugleich unmißverständlich klarmachen, wo wir stehen. Und das tun wir.Zu diesem Zweck muß man miteinander reden, auch mit der Sowjetunion. Insbesondere in schwierigen Zeiten muß unsere Politik durchschaubar sein. Insbesondere in schwierigen Zeiten muß man miteinander in Kontakt bleiben. Für solche Lagen sind ja die sogenannten roten Telefone erst geschaffen worden.
Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, die Bundespräsident Professor Carstens auf dem Neujahrsempfang so formuliert hat: Wer den Frieden will, muß Konflikte durch Verhandlungen und gerechten Ausgleich der Interessen lösen. Deshalb kritisiere ich es nicht, wenn z. B. der bayerische Ministerpräsident auch nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan seine Bereitschaft zu einem Besuch in Moskau erklärt hat.Der Friede ist kein Naturzustand, sondern der Friede muß immer wieder gestiftet werden. So hat es schon Immanuel Kant geschrieben. Frieden zu stiften, kostet Kraft, und es bedarf dazu jedenfalls des Gespräches und der Verhandlung.Dieser Prozeß hat durch den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan einen schweren Rückschlag erlitten. Natürlich wird das auch in Europa spürbar. In meiner Neujahrsansprache hatte ich gesagt: Die Zusammenarbeit zwischen Ost und West in Europa wird um so erfolgreicher sein, je stärker der Wille zu Entspannung und Zusammenarbeit das politische Handeln auch in anderen Teilen der Welt prägt.
Umgekehrt gilt: Je weniger dieser Wille zur Entspannung in anderen Teilen der Welt vorhanden ist, desto schwieriger wird die Zusammenarbeit auch in Europa. Gerade weil das so ist, werden wir in unseren Anstrengungen zur Sicherung des Friedens in Europa nicht nachlassen, sondern vielmehr dieseAnstrengungen noch verstärken.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15581
Bundeskanzler SchmidtUnsere Entspannungspolitik ist nicht Beschwichtigung, sondern sie ist eines von zwei Hauptelementen unserer Sicherheitspolitik, die sich auf das Gleichgewicht der militärischen Kräfte gründet Das bedeutet für uns unverändert die Arbeit an drei Aufgaben:Erstens die Arbeit an der Bewahrung des Erreichten. Das heißt auch: strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens sowie der Verträge mit der Sowjetunion, mit Polen, mit der Tschechoslowakei und des Grundlagenvertrags mit der DDR. Das heißt auch: Bewahrung dessen, was zwischen West und Ost in der KSZE seit 1975 erreicht wurde.Zweite Aufgabe: Arbeit zur Fortentwicklung des Erreichten. Das heißt: weitere Verbesserungen für das Miteinander der Menschen in beiden deutschen Staaten; Fortsetzung der Arbeit in der Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle, besonders hinsichtlich MBFR. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich die erneute Erklärung Präsident Carters, daß der SALT-II-Vertrag im Interesse der Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika und der ganzen Welt liegt. Ich gehe davon aus, daß dieser Vertrag eingehalten wird, auch wenn er gegenwärtig noch nicht ratifiziert werden kann.
Drittens beharrliche Arbeit an den neuen Aufgaben. Zu diesen neuen Aufgaben gehört besonders, daß wir und die NATO-Mitgliedstaaten insgesamt das Verhandlungsangebot der NATO über nukleare Mittelstreckenraketen vom Dezember 1979 nicht vom Tisch nehmen, sondern ernsthaft weiterhin verfolgen.
Unser Bündnis strebt unverändert an, das notwendige militärische Gleichgewicht durch Maßnahmen der Rüstungskontrolle, möglichst auf niedrigerem Niveau als bisher, herzustellen. Diesem Gleichgewichtsgrundsatz entspricht ebenso der im Dezember gefaßte Beschluß über die Modernisierung der Theatre Nuclear Forces der NATO.Ich zitiere:Welche der beiden Seiten der Sicherheitspolitik wir auch betrachten, ob es sich um unseren ernsten und nachhaltigen Versuch zur gleichzeitigen und gleichwertigen Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle handelt oder um die Gewährleistung ausreichender Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland: Unter beiden Aspekten begreift die Bundesregierung ihre Sicherheitspolitik als Politik des Gleichgewichts und der Friedenssicherung. Und ebenso versteht sie unter beiden Aspekten die äußere Sicherheit unseres Staates als eine Funktion des Bündnisses, dem wir zugehören und als dessen Teil wir zum Gleichgewicht der Kräfte zwischen Ost und West beitragen.Dieses Zitat, das heute genauso gilt, entnehme ichder ersten Regierungserklärung der sozialliberalenKoalition, mit der Bundeskanzler Brandt am 28. Oktober 1969 bereits unsere Bemühungen um Entspannung in Europa charakterisiert hat.
Unsere Verpflichtung, zum Gleichgewicht der Kräfte zwischen Ost und West beizutragen, die wir damals ausdrücklich übernommen haben, haben wir stets eingelöst. Das gilt für das Hauptelement Rüstungsbegrenzung und Entspannungspolitik; es gilt ebenso für das andere Hauptelement Verteidigungsbereitschaft. Wir haben die Bundeswehr in Ausbildung und Ausrüstung modernisiert. Wir leisten mit 495 000 gut ausgebildeten, mit modernen Verteidigungswaffen ausgestatteten Soldaten einen gewichtigen, einen respektierten Beitrag zur gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit.Aus Erfahrung, meine Damen und Herren, besonders aus der Erfahrung der Berlin-Krise am Ende der 50er Jahre und zu Beginn der 60er Jahre, wissen wir, daß wir uns auf die Vereinigten Staaten von Amerika verlassen können, daß die USA für unsere Sicherheit unersetzlich sind. Deshalb habe ich z. B. auf dem Bundesparteitag meiner Partei in Berlin im vorigen Monat gesagt: Unsere Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika ist der Kern unserer Sicherheit und zugleich der Kern der Sicherheit Berlins.
Mir liegt am Herzen, noch einmal zu betonen, daß es eine Überraschungssituation wie in Afghanistan in Westeuropa nicht geben könnte, weil erstens die NATO in Europa über ein leistungsfähiges Frühwarnsystem verfügt,
weil zweitens die Vereinigten Staaten von Amerika zur Vorneverteidigung in Europa gemeinsam mit unseren Soldaten, gemeinsam mit den Soldaten unserer anderen Bündnispartner beitragen, weil drittens die USA uns nuklearen Schutz gewähren. Dies alles ist jedermann bekannt.Was wir in den zehn Jahren seit der Erklärung, die ich eben zitierte, in der Verteidigungspolitik und in der Entspannungspolitik erreicht haben, das wollen wir weder herabsetzen noch demontieren lassen.
In dieser Zeit sind Hunderttausende von Menschen aus Osteuropa und aus den östlichen Teilen Mitteleuropas zu uns gekommen und haben hier volle Bürgerrechte, volle Human Rights erhalten. Der Reiseverkehr hat sich vervielfacht. Der Warenaustausch hat sich vervielfacht. Berlin ist kein Krisenherd. Soll das alles nichts mehr zählen?
Wer in Europa, wer in Amerika erinnerte sich nicht der tiefen Besorgnisse in der Berlin-Krise, in der Kuba-Krise, in der CSSR-Krise? Wer sich aber daran erinnert, der weiß auch, wie schwerwiegend Konflikte in Europa für die ganze Welt werden kön-15582 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzurig. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980Bundeskanzler Schmidtnen; und der Weiß auch, daß Konflikte draußen in der Welt auf Europa zurückwirken können.
Unsere unmittelbare Mitverantwortung für den Frieden in Europa gebietet, daß wir gerade in schwierigen Zeiten nach Feldern gemeinsamen Interesses suchen. Das sage ich besonders unseren Landsleuten in der DDR,
und ich füge hinzu: Ich bin unverändert bereit, mich mit dem Vorsitzenden des Staatsrats, Herrn Honekker, zu treffen und über die Entwicklung der bilateralen Beziehungen wie auch über den Beitrag zu sprechen, den wir Deutschen für Frieden und Sicherheit in Europa zu leisten haben.
Über Europa hinaus bieten wir den Staaten der Dritten Welt eine Verstärkung ihrer Eigenständigkeit, eine Verstärkung der gleichberechtigten Partnerschaft an, um durch politische Zusammenarbeit, um durch wirtschaftliche Hilfe diese Staaten festigen zu helfen. Die Länder der Dritten Welt wissen, daß wir zu ihnen stehen. Aus eigener guter Erfahrung ermutigen wir die regionale Zusammenarbeit als geeignetes Mittel zur Bewahrung der Unabhängigkeit für solche Länder, die nicht zu den Großmächten zählen oder die nicht einem Bündnis angehören. Die westliche Initiative in Namibia, die erfolgreichen Rhodesien-Verhandlungen, die Zusammenarbeit der Europäischen Gemeinschaft mit der Vereinigung südostasiatischer Staaten — ich rede von ASEAN —, das zweite Abkommen von Lome, der europäisch-arabische Dialog — das alles sind Zeichen dafür, daß wir in der Dritten Welt politische oder gar militärische Hegemonie nicht etablieren wollen, sondern daß wir mit souveränen Partnern im gleichberechtigten Austausch stehen.
Diese Politik darf nicht durch unbedachtes Reden über eine geographische Ausweitung der NATO-Verpflichtungen gefährdet werden.
Dies hilft den Staaten der Dritten Welt nichts, es weckt dort jedoch Mißtrauen und schadet unserem Bündnis.Unverändert gilt der Kabinettsbeschluß, der am 30. Mai des vorigen Jahres formuliert wurde:Die Bundesregierung spricht sich gegen die Errichtung von Einflußzonen auswärtiger Mächte in der Dritten Welt aus.
Erwähnung verlangt ein Vorgang, der im Augenblick und vorübergehend von der Krise in Afghanistan überschattet wird. Der Friedensprozeß, den Präsident Sadat mit viel Mut und Beharrlichkeit betreibt, wird in wenigen Tagen zur Rückgabe großer Teile ägyptischen, also arabischen Bodens führen.Ich hoffe und wünsche, daß die Verhandlungen Präsident Sadats mit Ministerpräsident Begin allen Widerständen, allen Hemmnissen zum Trotz einen gerechten, umfassenden und dauerhaften Frieden näherbringen werden; dieser muß dann die Lösung der palästinensischen Frage einbeziehen.
Herr Präsident, ich fasse diesen Abschnitt zusammen:Erstens. Die Sicherheit unseres Landes ist durch das Selbstverteidigungsbündnis der Nordatlantischen Allianz und durch unsere Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika verbürgt. Deshalb brauchen wir in einer Krise keine Furcht zu haben.Zweitens. Die vordringliche internationale Aufgabe für das „Crisis Management" ist, eine Ausweitung der Krise zu verhindern und die Krise zu entschärfen. Wir wissen dabei, daß die Bundesrepublik Deutschland keine Großmacht ist. Aber wir sind im Rahmen unserer Möglichkeiten — und die sind nicht klein — beteiligt: in den Vereinten Nationen, in dem Bündnis der NATO, besonders durch intensive persönliche Gespräche, wie ich sie z. B. letzte Woche in Madrid hatte, wie ich sie mit Präsident Carter, mit Präsident Giscard d'Estaing und mit Premierminister Thatcher führe; z. B. durch die morgige Reise des Kollegen Genscher zu seinem amerikanischen Kollegen; z. B. durch meinen bevorstehenden Besuch bei Präsident Carter.Selbstverständlich ist der Kontakt mit Präsident Carter besonders eng. Ich habe aber auch die Absicht, mit Generalsekretär Breschnew in Moskau zusammenzutreffen.Ich bekräftige in diesem Zusammenhang, was Kollege Genscher in der letzten Debatte des vorigen Jahres, am 14. Dezember, im Bundestag gesagt hat: daß die Herbstsitzung der NATO in Brüssel die reale Chance für Fortschritte bei Rüstungskontrolle und Entspannung eröffnet habe, daß es jetzt an den Staaten des Warschauer Pakts liege, diese Möglichkeit, aber auch diese Notwendigkeit zu erkennen. Weiter sagte er wörtlich — ich zitiere —:Die Lage im Nahen und Mittleren Osten, die Entwicklung in Teilen Afrikas, die Spannungen in Südostasien, die Probleme der Energieversorgung machen uns bewußt, welche Ungewißheiten und Gefahren an der Schwelle der 80er Jahre die Menschheit bedrücken. Um so wichtiger ist es, daß Europa, das in der Vergangenheit so viele Kriege führte und von dem so viele Kriege ausgingen, alles tut, um nach 35 Jahren ohne Krieg in Europa den Frieden weiter zu sichern und damit auch zur Stabilität in der Welt beizutragen.
Ein Wort zur ökonomischen Dimension dieser Lage.Die neuen internationalen Krisen sind in einem Zeitraum aufgeflammt, während dessen unsere deutsche Volkswirtschaft sich gerade erfolgreich auf die weltwirtschaftlichen HerausforderungenDeutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — .196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15583Bundeskanzler Schmidteingestellt hatte: auf den Strukturwandel der Weltwirtschaft und auf die Energiekrise.Ich muß einige der neuen Tatsachen noch einmal vor Augen führen.Allein im Jahr 1979 haben sich die Ölpreise mehr als verdoppelt. 1978 hatten wir für Ölimporte insgesamt 30 Milliarden DM bezahlt. Das waren damals 2 % unseres Sozialprodukts. 2 % unseres Sozialprodukts, um die Ölrechnung zu bezahlen! Nach bisheriger Voraussicht werden wir 1980 65 Milliarden DM an die Ölförderländer bezahlen müssen. Das werden über 4 % unseres Bruttosozialprodukts sein. Und wir müssen übrigens damit rechnen, daß auf längere Sicht das Öl noch knapper und noch teurer wird.Das, was wir für die verdoppelte Ölrechnung in diesem Jahr dem Ausland bezahlen müssen, verringert zugleich unser eigenes Volkseinkommen. Das heißt, wir können diese Beträge nicht noch einmal im Inland verteilen. Außerdem sind ja gleichzeitig auch die Importpreise für andere Rohstoffe, die wir einführen, stark angestiegen. Und ich rede dabei noch gar nicht von der schwindelhaften internationalen Goldspekulation. Insgesamt sind heute, an diesem Tage, unsere Importe von den Weltmärkten im Durchschnitt 20 % teurer als vor 12 Monaten.Daran muß jeder denken, der in unserem Land über Preise oder über Löhne mitentscheidet. Preiserwartungen und Lohnforderungen, die einem vielleicht im Frühherbst des letzten Jahres noch realistisch erschienen sein mögen, muß jeder angesichts der neuen weltweiten Entwicklung überprüfen. Mit anderen Worten: Nicht nur der Staat, nicht nur die Bundesbank, sondern auch die Unternehmensleitungen und auch die Tarifpartner müssen darauf achten, daß sich Preise und Löhne nicht gegenseitig aufschaukeln und damit die wirtschaftlichen Aussichten für alle verschlechtern.
Jedenfalls wird die Bundesbank der Volkswirtschaft für solche Prozesse kein zusätzliches Geld zur Verfügung stellen. Bundesregierung und Bundesbank bleiben auf antiinflatorischem Kurs.
Ich wiederhole, was ich häufig schon gesagt habe: Inflation schafft keine Arbeitsplätze; im Gegenteil, sie beeinträchtigt auf die Dauer das Wachstum unserer Wirtschaft.
Unsere größte wirtschaftspolitische Herausforderung liegt aber — und das ist für eine nunmehr bereits näher gerückte Zukunft schon heute erkennbar — in der Sicherung der Energieversorgung. Hier sind unsere wichtigsten Aufgaben:Erstens alle Möglichkeiten zur Einsparung von Energie, insbesondere von Öl, auszuschöpfen.
Übrigens werden dafür schon die Ölpreise sehr weitgehend sorgen.Zweitens den Einsatz von Öl überall dort durch andere Energieträger zu ersetzen, wo dies möglich und vertretbar ist: in der Industrie, bei der Stromversorgung, beim privaten Verbrauch. Dafür muß die Nutzung unserer Kohle Vorrang haben.
Die Bundesregierung hat dazu in den letzten Wochen in intensiven Gesprächen mit der Industrie deren Vorschläge zur großtechnischen Vergasung und Verflüssigung von Kohle erörtert. Wir sind damit in Kürze in der Lage, den Startschuß für das von mir hier am 4. Juli 1979 angekündigte Kohleveredelungsprogramm zu geben. Dies ist die konsequente Fortsetzung jener Politik der Bundesregierung, die bereits seit 1974 Versuchs- und Pilotanlagen in diesem Bereich mit rund 650 Millionen DM gefördert hat. Die Entscheidung, von der ich spreche, wird unsere Erdöl- und Erdgasversorgung zwar nicht sofort verbessern können, wohl aber wird die Verwirklichung dieses Programms ab Mitte der 80er Jahre zunehmend zur alternativen Energieversorgung beitragen.Drittens. Ich wiederhole: Wir müssen grundsätzlich auf alle zur Verfügung stehenden Energieträger zurückgreifen. Auch auf die Kernenergie können wir nicht verzichten. Wir beabsichtigen, die Neufassung der Grundsätze für die Entsorgung der Kernkraftwerke am 29. Februar 1980 mit den Regierungschefs der Länder, abschließend, wie ich hoffe, zu behandeln.Viertens. Wir werden uns um die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik bemühen und die Zusammenarbeit mit den anderen Industrieländern in der Internationalen Energieagentur in diesen Wochen verstärken. Wir halten nach wie vor einen konstruktiven Dialog mit den ölproduzierenden Staaten — bei Beteiligung der Entwicklungsländer — über weltenergiepolitische Probleme für dringend notwendig und wollen den europäisch-arabischen Dialog intensivieren.Meine Damen und Herren, mit Weitsicht und mit Selbstdisziplin wird es gelingen, die Energieprobleme der 80er Jahre zu meistern. Dabei dürfen wir uns nicht selbst mit dem Bewußtsein beruhigen, daß in diesen Wochen unsere Tanks voll sind. Viele andere Länder sind nicht in der Lage, mit diesen Problemen so fertig zu werden wie wir hier. Die Entwicklungsländer haben allein 1979 40 Milliarden Dollar für Öl ausgeben müssen. Das war achtmal so viel, wie die Entwicklungsländer noch 1973 für ihr Öl bezahlen mußten. Es war doppelt so viel wie die gesamte Entwicklungshilfe an die Entwicklungsländer; sie betrug 1979 20 Milliarden Dollar. Deshalb müssen die Öl-Staaten bei ihrer Preispolitik daran denken, daß die Entwicklungshilfe, die wir Industriestaaten geben, nicht völlig konterkariert wird und daß die Entwicklungsländer nicht in eine immer größere Verschuldung hineingetrieben werden.Kein Zweifel, meine Damen und Herren: Energieversorgung und weltwirtschaftliche Gesamtentwicklung stellen Risiken auch für unsere Konjunktur dar. Aber unsere Volkswirtschaft hat in den weltwirtschaftlichen Turbulenzen der letzten Jahre große Widerstandskraft, große Flexibilität und
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15584 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Bundeskanzler Schmidtgroße Anpassungsfähigkeit bewiesen. Wir haben im eben zu Ende gegangenen Jahr 1979 ein reales Wirtschaftswachstum von 4,5 % erreicht. Wir haben im letzten Jahr 340 000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Wir haben im Laufe der letzten beiden Jahre zusammen eine halbe Million Arbeitsplätze neu geschaffen. Wir hatten infolgedessen am Ende des letzten Jahres die geringste Arbeitslosenzahl und den höchsten Bestand an offenen Stellen seit 1973. Die Auftragsbücher unserer Unternehmen sind voll. Wir gehen also aus einer guten Startposition in das neue Jahr."Wir tun dies auch in Gelassenheit. Wir brauchen diese Gelassenheit nicht nur wegen der internationalen Krise, wir brauchen sie auch, um zu Hause, um im eigenen Hause eine Reihe von Aufgaben zu lösen, die bis zum Abschluß der Legislaturperiode des Bundestages in diesem Sommer erledigt sein wollen.Ich erinnere an unser Versprechen, zum 1. Januar 1981 die Bürger steuerlich zu entlasten und dabei die Familien zu stärken. Um dies zu erreichen, muß das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Ich erinnere an die wichtigen Gesetze auf dem Felde des Umweltschutzes, die noch verabschiedet werden müssen, an das Umweltstrafgesetz, das Chemikaliengesetz und das Verkehrslärmschutzgesetz. Ich erinnere auch an die Kartellnovelle. Ich erinnere daran, daß 1980 ein wichtiges Jahr für zukunftsträchtige Entscheidungen hinsichtlich der neuen elektronischen Medien und hinsichtlich der Struktur unseres Rundfunks und unseres Fernsehens wird. Ich erinnere daran, daß die politischen Parteien, jede für sich, es nötig haben, in diesem Jahr über ihre weiteren Absichten hinsichtlich der Rentenreform 1984, die ja in der nächsten Legislaturperiode geleistet werden muß, Klarheit zu schaffen.Ich begnüge mich mit diesen wenigen Stichworten, die, meine Damen und Herren, nur eines deutlich machen sollen. Sie sollen deutlich machen: Auch wenn die Erhaltung des Friedens die bei weitem wichtigste Aufgabe dieses Jahres sein wird, so gibt es nach wie vor in unserem Lande auch andere Aufgaben, zu denen von uns mit Recht Lösungen und Orientierungen erwartet werden. Wir wollen diese Erwartungen nicht enttäuschen.
Wir alle zusammen haben dabei Grund zum Selbstvertrauen, denn wir haben die beruhigende Erfahrung gemacht, daß wir Deutschen fähig sind, unsere Stabilität auch in schwierigen Situationen gegenüber politischen Krisen außerhalb unserer Grenzen genauso wie gegenüber Extremisten oder Terroristen innerhalb unserer Grenzen zu bewahren.
Diese Erfahrungen geben mir Zuversicht für die Zukunft. Wir werden die Herausforderungen bestehen. Unsere Freunde und unsere Partner in der Welt haben Vertrauen zu uns, und mit Recht: Sie können sich auf unsere Solidarität verlassen. Dies gilt wegen der Geiseln in Teheran heute ganz besonders für die Vereinigten Staaten von Amerika.
Ich möchte hinzufügen: Ich habe Vertrauen in die Menschen unseres Landes. Sie haben vieles Schwere durchgestanden, aber sie haben sich ihren Lebensmut, ihren Fleiß und ihren Unternehmungsgeist immer bewahrt. Er wird sich auch 1980 bewähren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wenn man Ihre Regierungserklärung hört und liest, läßt sich der Tenor Ihrer Ausführungen auf den kurzen Nenner bringen: In der Weltpolitik ist ein schweres Wetter aufgezogen.
Und dann fahren Sie fort: Wir müssen nur die bisherige Politik fortführen und etwas „crisis management" hinzufügen —, dann werden wir die Turbulenzen schon überwinden und in die ruhigen und sonnigen Gefilde des Entspannungszeitalters einziehen.
Herr Bundeskanzler, ich frage mich, welche Illusionen auch heute in dieser Rede wieder deutlich wurden.
Alle Welt spricht und schreibt und warnt vor der Gefahr einer Katastrophe; nur in Ihrer Regierungserklärung gibt es diese Gefahr nicht. Ich fürchte — um im Bild zu bleiben, Herr Bundeskanzler —: Sie übertragen Ihre persönlichen Unwettererfahrungen vom Brahmsee auf die internationale Lage.
Das ist zu wenig; denn Sie haben mit Recht Immanuel Kant zitiert: „Frieden stiften kostet Kraft." Aber Frieden stiften, Frieden erhalten, erfordert vor allem den Willen und die Kraft zu einer nüchternen und illusionsfreien, zu einer realistischen Schau der Dinge in unserer Welt.
Meine Damen und Herren, es ist eine bittere Erfahrung, daß nicht wenige im Westen immer erst dann zu einer nüchternen und realistischen Einschätzung der sowjetischen Machtpolitik zurückfinden, wenn jeweils ein neuer Aggressionsakt Moskaus erfolgt ist. Selbst dann aber geschieht es häufig nur, wenn die Verantwortung der Sowjetunion nicht länger zu bemänteln ist; wenn offensichtlich wird, daß der Ausbruch eines weltweiten Konfliktes droht - und damit unser aller Friede gefährdet ist. Dies war so in der Kuba-Krise 1962; und das erleben wir heute nach der sowjetischen Aggression und Intervention in Afghanistan. Selbst die sowjetischen Überfälle auf Ungarn 1956 und auf die Tschechoslowakei 1968 haben in weiten Teilen der westlichen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15585
Dr. KohlWelt nur Betroffenheit ausgelöst. Nach wenigen Monaten war der Westen bereit, wieder zur politischen Tagesordnung überzugehen, als wäre nichts geschehen. Die sowjetischen Stellvertreterkriege der letzten Jahre in Asien und Afrika fanden bei manchen im Westen Verständnis. Es wurden keine wirklichen Lehren daraus gezogen.Herr Bundeskanzler, ein Spiegelbild dieser bitteren Erfahrungen ist auch Ihre heutige Regierungserklärung — wie überhaupt Regierungserklärungen häufig genug Ihre einzige Antwort auf internationale Krisen oder innenpolitische Probleme sind. Sie täuschen Aktionismus vor, ohne tatsächlich etwas zu tun. Auch das ist heute wieder festzustellen.
Wie weit Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre politischen Freunde in der SPD sich von der Wirklichkeit der internationalen Politik und im besonderen von einer realen Einschätzung sowjetischer Politik entfernt haben, beweisen doch Ihre Erklärungen in den letzten Wochen. In Ihrem Neujahrsinterview im „stern" vom 3. Januar bescheinigen Sie der Sowjetunion ein grundlegendes Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens. Meine Frage ist: Was für ein Friede ist das, den Sie damit meinen? Sie haben dieses Interview vor dem sowjetischen Überfall auf Afghanistan gegeben. Ich würde Ihnen gerne zugestehen, daß Sie Ihre Äußerungen kurzfristig nicht mehr ändern konnten. Ich frage mich aber, ob Sie diese Äußerungen überhaupt noch ändern wollten. Das ist doch die Frage, die aufgeworfen werden muß.Der Beweis dafür ist der Inhalt Ihrer Neujahrserklärung, einer Erklärung, die mit ungewöhnlicher Dramatik angekündigt worden war. Spaltenlang berichteten die deutschen Tageszeitungen darüber, daß Sie eigens ein Fernseh-Team nach Mallorca holen ließen, um Ihre Neujahrsansprache angesichts der Ereignisse in Afghanistan kurzfristig zu ändern.Meine Damen und Herren, die Spannung war groß: Was würde der deutsche Bundeskanzler in dieser schwierigen Lage von Mallorca aus sagen? Und was sagten Sie dann, Herr Bundeskanzler? Sie könnten Ihre „Beunruhigung über das Vorgehen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in Asien und Afrika nicht verschweigen".
Der Berg kreißte — und diese Maus wurde geboren. Sie können Ihre „Beunruhigung nicht verschweigen" — das war Ihr Kommentar; das war der Kommentar des Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland in diesen Krisentagen. Sie haben nicht einmal gewagt, Afghanistan beim Namen zu nennen.Diese Erklärung war in jeder Weise unangemessen. Sie verrät Ihre erschreckende Unsicherheit — die Unsicherheit, wie ein deutscher Regierungschef bei einem solchen Ereignis reden und reagieren soll.Sie haben im „stern" erklärt: Die sowjetischen Führer lassen sich auf keine „lebensgefährlichenUnternehmungen" ein. Ja: Aggressionen wie die in Afghanistan sind für die Sowjetunion solange nicht lebensgefährlich, solange sie mit Politikern im Westen rechnen kann, die die brutale Wirklichkeit sowjetischer Expansionspolitik nicht zur Kenntnis nehmen wollen,
solange es Wortführer einer sterilen Entspannungslitanei gibt, wie Sie, Herr Brandt, einer sind,
oder solche wie Herbert Wehner, Horst Ehmke und andere, die sich bis zu dieser Stunde ausgeschwiegen haben.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, jetzt in Ihrer Erklärung Nüchternheit, Augenmaß, Ruhe, Disziplin verlangen, dann richten Sie das bitte vor allem an Ihre eigene Adresse. Es war doch Herbert Wehner, der der sowjetischen Überrüstung noch im letzten Jahr defensiven Charakter bescheinigt hat.
Auf dem SPD-Parteitag im Dezember, zu einem Augenblick, als die sowjetische Militärmaschine auf Afghanistan bereits angeworfen war, haben sich viele Ihrer Genossen auf Herbert Wehner bezogen, um gegen die NATO-Entscheidung über die Produktion und Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa zu kämpfen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben bis zum heutigen Tag nicht den Mut gehabt, Herbert Wehner in der deuschen Offentlichkeit zu widersprechen.
Ihr Bremer Parteifreund und Genosse, der Senator Henning Scherf, erklärte:Ich bin mit Helmut Schmidt der festen Überzeugung, daß es keine Aggressionsbereitschaft der Warschauer-Pakt-Staaten und der Sowjetunion gibt
und daß es irreführend ist, zu sagen, wir stünden unmittelbar vor einem Krieg oder vor einer Kriegsgefahr.Herr Bundeskanzler, in welch einer Welt leben Sie denn mit den führenden Genossen der deutschen Sozialdemokratie?
Wenn heute Warnungen angebracht sind — dann ganz gewiß vor Beschwichtigungen und Leisetreterei. Wenn überhaupt die Gefahr einer Überreaktion bestehen sollte, dann doch nur deshalb, weil Sie, Herr Bundeskanzler, und die SPD - und manche Politiker im Westen auch — Augenmaß und Fähigkeit zu einer nüchternen und realistischen Einschätzung sowjetischer Politik verloren haben. Man kann nicht über Jahre hinweg systematisch Illusio-
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15586 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. Kohlnen über Entspannung und Zusammenarbeit, ungeachtet der tatsächlichen internationalen Entwicklungen und ungeachtet der tatsächlichen Ziele und Handlungen sowjetischer Politik, fördern und sich dann wundern, daß das Pendel internationaler Politik in die andere Richtung auszuschlagen droht.Solange sich die freie Welt in ihrer politischen Zielsetzung und Entscheidung nicht von eigenen langfristigen Absichten und Überzeugungen lenken läßt, wird sie kurzatmig auf die Aktionen der Sowjetunion reagieren müssen — Aktionen, die heute in dem einen Teil der Welt auf Entspannung und morgen in einem anderen Teil der Welt auf Konfrontation ausgerichtet sind, je nach sowjetischem Interesse und Bedürfnis.Nur eine realistische Außenpolitik und vor allem Realismus in der Beurteilung der sowjetischen Politik bewahren vor Überreaktion und vor Illusionen. Herr Bundeskanzler, wir zweifeln an Ihrer Fähigkeit, die internationale Entwicklung realistisch einzuschätzen. Ich erinnere an Ihre Bundespressekonferenz im Januar 1979. Genau ein Jahr ist es her, als Sie von den Ereignissen im Iran sprachen und verkündeten, daß Sie „nur eine vorübergehende Beeinträchtigung" erwarteten, die überbrückt werden könne, und den Bürgern versprachen, sie hätten nur mit „vorübergehenden Preiserhöhungen" bei Heizöl und Benzin zu rechnen. Herr Bundeskanzler, am heutigen Morgen, zwölf Monate danach, sagen Sie:Die Olpreise haben sich allein im Jahre 1979 mehr als verdoppelt.Sind das „vorübergehende Preiserhöhungen?" Sie haben uns damals der Schwarzmalerei geziehen. Sie haben auch auf diesem Sektor deutscher Politik Illusionen genährt.
Sie sagten damals auch, daß jedes Dramatisieren dieser Entwicklung für unsere Volkswirtschaft schädlich ist. Heute verkündet uns Graf Lambsdorff, wir würden in den kommenden zehn Jahren in der Energieversorgung am Rande des Abgrundes wandeln müssen. Verehrter Graf Lambsdorff, Mitglied des Präsidiums der FDP: Wenn wir am Rande des Abgrundes wandeln, wie können Sie es dann zulassen, daß in Ihrer Partei und in der Koalition die Vorbereitungen für die Einführung einer Verbandsklage getroffen werden, die doch jede Energieversorgung für die Zukunft auf Jahre hinaus verschleppen wird?
Aus Angst vor den Grünen bei den kommenden Landtagswahlen sind Sie doch dabei, hier ein Stück Zukunft unseres Landes zu verspielen. Sie wissen doch so gut wie ich, daß dann, wenn dieses neue Rechtsinstitut eingeführt wird, nicht nur die Errichtung von Kernkraftwerken, sondern auch die Errichtung von konventionellen Kraftwerken auf eine lange Zeit verzögert wird, und daß am Ende einer solchen Politik — Ende der 80er Jahre — die Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich zweitklassig werden wird. Das ist doch das Ergebnis Ihrer Politik.
Es ist bezeichnend, Herr Bundeskanzler, daß Sie dem Thema „Kernenergie" im Rahmen Ihrer umfangreichen Betrachtung einen einzigen Satz gewidmet haben.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie dann unseren Mitbürgern zu Neujahr im Fernsehen erklären:Wir haben im Siebziger-Jahrzehnt fast alles getan, was wir konnten, deshalb können wir mit gutem Gewissen in das neue Jahrzehnt gehen und mit sehr viel Selbstvertrauen,so kann ich nicht erkennen, daß wir angesichts der Bilanz der Koalition aus SPD und FDP in die schon aus vielen weltpolitischen Gründen unsicheren 80er Jahren mit „Selbstvertrauen" gehen könnten. Angesichts der inneren und äußeren Lage unseres Landes können wir heute nur sagen: Sie haben zu wenig getan. Wenn Sie nicht mehr leisten können, ist es Zeit, daß Sie Ihren Platz Besseren räumen.
Sie haben unseren Mitbürgern dann noch ein „fröhliches neues Jahr" gewünscht. Oskar Fehrenbach von der „Stuttgarter Zeitung", gewiß kein Weggenosse der Christlich Demokratischen und Christlich-Sozialen Union, schrieb Ihnen in diesen Tagen ins Stammbuch:Angst geht um. Angst haben die Menschen wie seit langem nicht mehr. Unsicher sind sie darüber, was dem Schock von Afghanistan an bösen Überraschungen noch folgen mag; weh wird ihnen ums Herz, wenn sie an die krisengeschwängerte Zukunft der achtziger Jahre denken.So stellt sich die Welt in der Sicht vieler dar. Es ist nicht jene heile Welt, die Sie den Bürgern im Wahljahr vortragen. Regieren heißt immer auch den Mut haben, den Bürgern zu sagen, wie die Dinge wirklich sind.Solange es den Widerspruch zwischen Anspruch. und Wirklichkeit in Ihrer Politik gibt — lassen Sie mich auch das mit Blick auf die Entspannungspolitik sagen —, so lange gibt es auch keine Gemeinsamkeit mit der CDU/CSU in der Außen- oder in der Energiepolitik. Gemeinsamkeit setzt für uns die Fähigkeit und den Willen zu einer nüchternen und mit der Wirklichkeit übereinstimmenden Analyse der Probleme voraus. Herr Kollege Genscher, wenn Sie Gemeinsamkeit wollen, dann sorgen Sie dafür, daß dieses Vermögen einer realistischen Lageeinschätzung zum Wohle unseres Volkes bei Ihrem Koalitionspartner einkehrt!In dieser Debatte muß es uns um eine realistische Sicht der Dinge gehen. Was ist geschehen? Die Sowjetunion ist während der Weihnachtstage mit fünf Divisionen in das benachbarte Afghanistan eingefallen. Ich darf daran erinnern, daß ein Jahr zuvor, ebenfalls in den Weihnachtstagen, das kommunisti-
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Dr. Kohlsche Vietnam mit Waffen aus der Sowjetunion in das benachbarte Kambodscha eingedrungen ist. Der afghanische Präsident Amin, der die sowjetischen Truppen zu Hilfe gerufen haben soll, kam im Rahmen dieser Aggression zu Tode. Vorsorglich, weitsichtig, wie die sowjetische Politik ist, hat sie den Nachfolger aus dem osteuropäischen Exil gleich mitgebracht und ins Amt eingeführt.Die Sowjetunion hat einen Staat überfallen, dessen Regierung, kommunistisch orientiert, mit ihr 1978 einen Freundschafts- und Kooperationsvertrag abgeschlossen hatte; dieser Staat zählte sich selber zu den blockfreien Staaten. Es wird jetzt Aufgabe der zwölf Staaten der Dritten Welt sein, die seit 1971 Freundschaftsverträge mit der Sowjetunion geschlossen haben, zu prüfen, wieweit Moskau aus solchen Verträgen das Recht auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten, bis hin zu einer militärischen Intervention, ableitet.Daß diese Gedanken nicht nur im Bereich jener zwölf Staaten umgehen, sondern daß das Gespenst der Intervention auch in Europa umgeht, zeigten die stündlichen Nachrichten, die uns aus Jugoslawien erreichten. Darüber war in Ihrer Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, kein Wort zu hören.
Mit ihrer Aggression in Afghanistan hat die sowjetische Führung die wichtigsten Prinzipien des Völkerrechts, der Charta der Vereinten Nationen rücksichtslos verletzt. Diese Prinzipien sind auch Bestandteile des deutsch-sowjetischen Vertrages von 1970, gemeinsamer Erklärungen und Vereinbarungen — auch der KSZE-Schlußakte von Helsinki. Es ist wichtig, uns in diesem Augenblick noch einmal diese Prinzipien in Erinnerung zu rufen:Kein Staat darf Gewalt gegen die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit eines anderen Staates anwenden.Kein Staat darf sich mit Gewalt in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen.Alle Staaten müssen den Grundsatz der Gleichberechtigung, der Selbstbestimmung der Völker und die Grundprinzipien der Menschenrechte respektieren.Internationale Konflikte müssen auf friedlichem Wege und mit friedlichen Mitteln beigelegt werden.Die Sowjetunion hat durch ihre Aggression erneut die Frage nach der Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Erklärungen aufgeworfen. Es ist die Frage: Was ist diese Unterschrift unter solchen Dokumenten wert? Das gilt nicht nur für die Beziehungen zu den Staaten der Dritten Welt; das gilt weltweit.Von besonderer Bedeutung scheint mir die Tatsache zu sein, daß die sowjetische Führung zum erstenmal nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges in einem Nachbarstaat militärisch interveniert hat, der außerhalb des Warschauer-Pakt-Bereiches liegt. Die Vergleiche, die sich hier aufdrängen, sind Finnland und die Aggression 1939/40 und die Annexionder baltischen Staaten 1940 gemeinsam mit Adolf Hitler.Es ist die Illusion derer offenkundig geworden, die die sowjetische Aggression gegenüber der CSSR 1968 nur als einen „Verkehrsunfall auf dem Wege der Entspannung" abgetan haben und zur politischen Tagesordnung übergegangen sind.Es ist die Illusion derer zerstört worden, die geglaubt haben, die Sowjetunion werde sich mit einem militärischen Gleichgewicht zufriedengeben. Und es ist die Illusion jener zerstört worden, die geglaubt haben, die Aufrüstung der Sowjetunion und ihre konventionelle Überlegenheit dienten nur der Aufrechterhaltung ihrer Kontrolle über den sowjetischen Machtbereich.Herr Bundeskanzler, damit ist von der Gemeinsamen Erklärung vom 6. Mai 1978, die Sie und Generalsekretär Breschnew unterschrieben haben, wenig übriggeblieben. Dort ist ausdrücklich „die Respektierung der Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt" festgehalten. Breschnew hat sich nicht daran hindern lassen, den Grundsatz von der Unteilbarkeit des Friedens, der Sicherheit und der Entspannung mit einem militärischen Gewaltakt vom Tisch zu wischen. Die Sowjetunion hat einmal mehr bewiesen, daß sie sich ausschließlich von ihren eigenen Machtinteressen, von ihrem ungebrochenen Hegemonialstreben leiten läßt.
Christian Schmidt-Häuer hat in diesen Tagen alle westlichen Spekulationen über die Verantwortlichkeiten im Kreml für die Intervention mit Recht als „Ausdruck der Verharmlosung eigener Fehleinschätzungen und Fehler" bezeichnet. Daß manchen westlichen Politikern der Abschied „vom unbeugsamen Entspannungsväterchen Leonid Breschnew" schwer falle, führt er auf „Denkhemmungen und fehlenden Mut" zurück. Zu den Fehleinschätzungen zählt er auch jene Erwartung, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Sowjetunion die Führung im Kreml von imperialistischen Plänen abhalten werde. Er sagt mit Recht, daß eine solche Erwartung „die ungebrochene Tradition russischer Machtexpansion außer acht" lasse. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Äußerung Breschnews auf der Warschauer-Pakt-Konferenz im April 1974, als er gewissermaßen auf dem Höhepunkt der sogenannten Entspannungspolitik, als sich weite Teile der .deutschen Sozialdemokratie in ihrer Euphorie gar nicht mehr lassen konnten, erklärte:Wir Kommunisten müssen eine Zeitlang mit den Kapitalisten zusammenarbeiten. Wir brauchen deren Landwirtschaft und Technologie. Aber wir werden unsere massivsten Rüstungsprogramme fortsetzen und Mitte der 80er Jahre in der Lage sein, zu einer wesentlich aggressiveren Außenpolitik zurückzukehren, um in unseren Beziehungen zum Westen die Oberhand zu gewinnen.
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15588 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. KohlBreschnew hat hier ganz offen und wahrheitsgemäß gesprochen. Das einzige, was sich verändert hat, ist das Datum: nicht Mitte, sondern Anfang der 80er Jahre.So gesehen, entspringt die sowjetische Aggression gegen Afghanistan keiner Augenblickslaune sowjetischer Führung, wie mancher Kreml-Astrologe jetzt herausfiltert. Das ist ein Teil der Globalstrategie, die seit Jahren konsequent verfolgt wird. Herr Bundeskanzler, nach all dem, was wir und auch Sie wissen, hat sich diese Entwicklung in Afghanistan doch nicht erst im Dezember 1979 angekündigt; die Linienführung dieser Politik läuft schon sehr viel länger. Eine Bestätigung für diese These liefert ja die sowjetische Nachrichtenagentur „Nowosti'', die am 11. Januar, also vor wenigen Tagen, auf die Frage, ob sich Aktionen wie die in Afghanistan wiederholen könnten, einfach erklärte: „Das hängt jeweils von der konkreten Situation ab."Moskau war an drei Staatsstreichen in Afghanistan beteiligt. Es errichtete treue, Moskau-hörige Regime in Äthiopien und im Südjemen; es schloß mit ihnen Bündnisverträge. Es unterstützt die Rebellen in Belutschistan — in jenem Teil Pakistans, der Afghanistan noch vom Indischen Ozean trennt. Es fördert damit systematisch den Verfall Pakistans. Die Sowjetunion hat ihre Flotte im Indischen Ozean und im Pazifik verstärkt, und sie verfolgt unmittelbar ihre eigenen Interessen im Iran gegen die Interessen der USA, in einem Land also, wo morgen bereits ein Bürgerkrieg ausbrechen kann.Die Sowjetunion arbeitet mit fünften Kolonnen, mit kubanischen Söldnertruppen und mit der Einsetzung willfähriger Regierungen. Jetzt hat die Sowjetunion in Afghanistan zum erstenmal eigene Truppen eingesetzt. Die akute Bedrohung Pakistans und des Irans ist damit offenkundig. Die Stabilität des gesamten Mittleren Ostens ist unmittelbar gefährdet. Der gesamte Mittlere und Nahe Osten wird auf diesem Wege zum Gefahrenherd der 80er Jahre.Herr Bundeskanzler, Sie haben über ein mögliches Treffen mit Herrn Honecker gesprochen. Ich hätte es begrüßt, wenn Sie auch ein Wort über die traurige Rolle der DDR als Söldnertruppe der Sowjetunion in Afrika verloren hätten.
Wir alle, die wir in der Kontinuität der Last und der Verantwortung der deutschen Geschichte, nicht zuletzt der NS-Zeit stehen, der Kontinuität einer Geschichte, die wir in der Bundesrepublik wie in der DDR gemeinsam tragen müssen, verspüren, was es bedeutet, wenn jetzt wieder im Auftrag einer Diktatur, im Auftrag von Regimen, die die Menschenrechte mit Füßen treten, deutsche Soldaten, Soldaten, die unsere Muttersprache sprechen, eingesetzt werden. Es werden schlimmste Assoziationen mit dem Ungeist der jüngsten deutschen Geschichte wach. So betrachtet, ist es sogar verständlich, daß der Vertreter der DDR sein Votum im Weltsicherheitsrat in russischer Sprache abgegeben hat.
Die Sowjetunion ist dabei, eine Lebenslinie des Westens unter ihre Kontrolle zu bringen: die Ölroute durch den Persischen Golf. Was das bedeutet, faßt ein Mann in sehr kluger Weise zusammen, der ja durch viele Jahre Ihr militärisch-strategischer Berater war, Herr Bundeskanzler. Theo Sommer sagt in einem nüchternen Satz:Es wäre ein direkter Angriff auf das Lebensinteresse der westlichen Industriestaaten, nicht minder herausfordernd als ein Handstreich gegen West-Berlin. Dies aber hieße: Krieg.Ich habe in Ihrer Regierungserklärung von dieser Gefahr einer dramatischen Entwicklung nichts gehört. Der Mittlere Osten ist zum internationalen Krisenherd erster Ordnung geworden. Es gab nach dem Krieg nur einmal eine vergleichbare Situation. Das war die Kuba-Krise von 1962. Deshalb müssen wir alle die wiederholten Worte des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter ernst nehmen, der die sowjetische Aktion als „eine ernste Bedrohung des Friedens" bezeichnet hat, die „die Sicherheit aller Länder, einschließlich der Vereinigten Staaten, unserer Verbündeten und Freunde", bedrohe. Und er hat hinzugefügt:In der Zwischenzeit können weder die Vereinigten Staaten noch irgendeine andere Nation, die sich dem Frieden und der Stabilität in der Welt verschrieben hat, mit der Sowjetunion umgehen, als wenn nichts wäre.Herr Bundeskanzler, warum haben Sie diesen Satz nicht in Ihren Appell aufgenommen?Niemand kann doch so tun, als sei nichts geschehen, als seien wir nicht betroffen, als ginge das alles nur die blockfreien Staaten und die Vereinigten Staaten von Amerika an. Sind wir auch im Menschlichen wirklich so wenig betroffen?Ich habe in Ihrer Regierungserklärung kein Wort von dem neuen Elend und Leid gehört, das durch die sowjetische Aggression über viele Hunderttausende Afghanen gekommen ist; weit über 500 000 Flüchtlinge in wenigen Wochen, die ihr Heil in der Flucht aus Afghanistan in das arme Pakistan gesucht haben. Es war kommunistische Politik, die erneut Leid und Elend über Millionen Menschen gebracht hat!
Dann veröffentlichen wir Spendenaufrufe; ich finde: zu Recht. Hoffentlich finden sie viel Anklang, Zuspruch und Unterstützung, um Hilfe für diese Menschen zu leisten. Aber was denkt eigentlich derjenige, der aufgefordert wird, der Bürger, der Spender in unserem Lande, wenn er zu diesem Elend, zu diesem Leid kein Wort aus dem zuständigen amtlichen Munde der Regierung hört?Wie sehr wir betroffen sind, wie sehr die westliche Entspannungspolitik insgesamt betroffen ist, beweist doch auch die Weigerung der Sowjetunion, vor der Rücknahme des NATO-Beschlusses vom Dezember 1979 über die Produktion und Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Europa auf das Verhandlungsangebot der NATO einzugehen. Auch
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15589
Dr. Kohldazu, Herr Bundeskanzler, haben Sie kein Wort gesagt.
Kein Wort haben Sie in dieser Frage gesagt.Beide Ereignisse, die sowjetische Verweigerung von Rüstungskontrollverhandlungen und die sowjetische Aggression in Afghanistan, bedeuten das Ende dessen, was wir seit über einem Jahrzehnt als „Ost-West-Entspannung" bezeichnet haben; es sei denn, die Sowjetunion korrigiert ihre Meinung. Einer von jenen, die im wissenschaftlichen Bereich die Entspannungspolitik immer wieder leidenschaftlich vertreten und durchgesetzt haben, Richard Löwenthal, kommt zu dem dramatischen Schluß, daß die Weigerung einer oder beider Seiten, in Lebensfragen konstruktiv zu verhandeln, auf dem heutigen Stand der Nuklearrüstung eine Gefahr für das Überleben bedeute. Löwenthal sagt:Die Drohung der 80er Jahre ist der Krieg.Das ist doch kein Kalter Krieger, Herr Bundeskanzler.
Wir alle waren doch Zeuge jenes — wie wir jetzt wissen — zynischen Auftretens des sowjetischen Außenministers Gromyko in Bonn. Zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits die sowjetischen Vorbereitungen für den Überfall auf Afghanistan liefen, sprach er vor der deutschen Offentlichkeit von dem Vorschlag der Sowjetunion, „daß man zu einer radikalen Abrüstung kommt und unter internationaler Kontrolle alle Rüstungen abbaut".Meine Damen und Herren, die meisten in unserem Lande haben Gromyko keinen Glauben geschenkt. Eine Ausnahme waren hier nicht wenige Delegierte des Berliner SPD-Parteitags, die glaubten, man müsse diesen Worten Glauben schenken. Sie in der SPD haben überhört, daß Gromyko bei seinem Auftreten in Bonn sozusagen im gleichen Atemzug hinzugefügt hat:Wir werden unserer prinzipiellen Politik treu bleiben. Das ist für uns lebendige Politik seit Lenins Zeiten.Meine Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen. Das ist die Ausgangsposition sowjetischer Überlegungen!
Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Warum konnte das alles geschehen? Wir müssen darüber sprechen, wenn wir die richtigen Schlußfolgerungen für unser eigenes Handeln ziehen wollen.Erstens. Die Sowjetunion hat unmittelbar und rücksichtslos das Machtvakuum ausgenutzt, das die Amerikaner in Indochina nach ihrem Abzug hinterlassen haben. Das Schweigen weiter Teile der Welt zu Hanois Expansion nach Kambodscha und Laos hat Moskau zu seinem Griff nach Kabul mit Sicherheit ermutigt.Zweitens. Das jahrelange Hinsiechen und schließlich Ende des Cento-Pakts, der Sturz des Schahs im Iran, die Weigerung der USA, Pakistan Militärhilfe zu leisten, die Lähmung in Amerika auf Grund der Geiselnahme in Teheran, die Errichtung sowjetfreundlicher Regime in Afghanistan, im Südjemen und in Äthiopien und der abzusehende Regierungswechsel in Indien schufen aus der Sicht Moskaus eine Ausgangsposition für die Ausweitung ihres Einflusses, die sie nicht länger zögern ließ.Drittens. Das weltweite Gleichgewicht zwischen den Supermächten ist in den letzten zehn Jahren durch territoriale Machtverschiebungen und durch die massive sowjetische Aufrüstung, vor allem auch im maritimen Bereich, zum Vorteil der Sowjetunion erschüttert worden.Viertens. Jeder von uns weiß: die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Vereinigten Staaten war aus innenpolitischen Gründen oft genug in diesen letzten Jahren gelähmt. Löwenthal sagt dazu: „Amerika geriet in eine Position relativer Schwäche, die den Sowjets abnehmende Anreize zum Verhandeln bot."Die Sowjetunion hat aus ihrer Sicht kompromißlos gehandelt. Sie hat den Kampf um die Vormacht aufgenommen. Sie ist nicht bereit, auf ihre erreichten rüstungspolitischen Vorteile zu verzichten. Sie ist dabei, ihre politische Macht territorial und weltweit zu erweitern. Sie hat die Schwächeposition des Westens ausgenutzt, dessen Partnerschaft im Sinne der Entspannung unerläßlich ist. Auf einen einfachen Nenner gebracht: die sowjetische KostenNutzen-Rechnung ergab, daß die Vorteile und die zukünftigen militärischen Möglichkeiten in Richtung Indischer Ozean und Arabischer Golf die aktuellen Nachteile überwiegen. Dementsprechend hat sich die Sowjetunion verhalten.Die Frage, die sich uns stellt, ist: wie sieht unsere Antwort in dieser Lage aus, die Antwort der freien Welt? „Die Welt kann nicht abwarten und der Sowjetunion erlauben, diesen Akt ungestraft zu begehen", sagt Jimmy Carter. Er fügt hinzu: „Die Geschichte lehrt vielleicht nur wenige eindeutige Lektionen, aber gewiß ist eine solche Lektion, die die Welt mit großen Kosten gelernt hat, die, daß eine Aggression, der man nicht entgegentritt, zu einer ansteckenden Krankheit wird."Wenn man die Reden aus Ihrem Kreise, dem Kreise der SPD, hört, wenn man ihnen Glauben schenken soll, dann darf der Westen aus den Vorgängen in Afghanistan nur die eine Lehre ziehen: Kein Rückfall in den Kalten Krieg. Es scheint Sie nicht zu stören, meine Damen und Herren von der SPD, daß sich auch der Aggressor, die Sowjetunion, der Propagandaformel „Kalter Krieg" bedient, um gegen die Maßnahmen zu polemisieren, die der amerikanische Präsident als Antwort auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan angekündigt hat. Es ist ein altbekanntes Lied seit zehn Jahren: nicht derjenige, der immer wieder gefährliche Spannungen heraufbeschwört — ob in Europa, ob auf dem afrikanischen Kontinent, ob im Nahen, im Mittleren oder im Fernen Osten — ist in ihren Augen maßgeblicher Kalter Krieger und Entspannungs-
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15590 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. Kohlfeind, sondern derjenige, der es wagt, die Ursachen, die originale Tätigkeit jener Spannung beim Namen zu nennen.
Wirkliche und dauerhafte Entspannung, die wir wollen, ist nur dann möglich, wenn die Ursachen der Spannung nicht bemäntelt oder gar glatt verschwiegen, sondern offen ausgesprochen, diskutiert und beseitigt werden. Wer um der Entspannung willen zu Gewalt, verletzten Menschenrechten und Unterdrückung schweigt, der läßt am Ende den Unterdrücker darüber befinden, was der Entspannung dient und was nicht.
Er wird die Unterdrücker und die Aggressoren nur immer wieder ermuntern, ihren gewalttätigen Weg fortzusetzen.In diesen Tagen hat sich mancher von uns gefragt: Was wäre wohl passiert, wenn die Amerikaner mit fünf Divisionen über einen Nachbarstaat hergefallen wären, wenn der bisherige Staatschef ermordet worden wäre und der Ersatzmann von den Aggressionstruppen gleich mitgebracht worden wäre? Die Reaktion wäre leicht auszumachen gewesen. Wo sind eigentlich heute die Stimmen in der SPD? Warum schweigen Sie, Herr Kollege Wehner? Warum schweigen Ihre Genossen, etwa Herr Eppler, der noch im Dezember die NATO davor warnte, die Sowjetunion zu provozieren? Wo spricht heute Herr Bahr von einer „Perversion des Denkens"?
Warum schweigen die Genossen?
Wo bleiben die Proteste von Herrn Albertz, von Harry Ristock, von Gollwitzer und anderen, die doch nie müde wurden, gegen den amerikanischen Einsatz in Vietnam zu demonstrieren? Wo bleiben heute die internationalen Tribunale, wo sich europäische Sozialisten und Kommunisten in der Verdammung der USA gegenseitig zu übertreffen versuchten?
Franz Schmedt schrieb uns allen in diesen Tagen in der Osnabrücker Zeitung ein kluges Wort ins Stammbuch. Er meint: Engagement für die Menschenrechte und die Souveränität anderer Staaten ist stets zu begrüßen. Aber auch diese Aktivität ist unteilbar, wein sie glaubwürdig bleiben soll.Die Sojwetunion hat nicht vergessen, meine Damen und Herren, wie der Westen 1968 auf den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten reagiert hat. Sie war, wie wir wissen, selber überrascht, wie schnell der Westen — auch wir in der Bundesrepublik und vor allem die Westeuropäer als Ganzes — zur Tagesordnung überging, als wäre nichts geschehen.Als Moskau nicht einmal ein halbes Jahr später erneut einen Vorschlag für eine europäische Sicherheitskonferenz aus der Schublade zog, wo er während der CSSR-Krise geruht hatte, war es Willy Brandt, der als erster diese sowjetische Initiative aufgriff. Damit war die Sowjetunion nicht einmal kurzfristig in die Gefahr geraten, außenpolitischen Schaden für ihre blutige Aggression zu erleiden.Sie, Herr Bundeskanzler, haben in Ihren ersten Einlassungen zu Afghanistan in Madrid und Paris den Eindruck genährt, als handelte es sich bei der sowjetischen Aggression um einen regionalen Konflikt, um einen Konflikt, der in erster Linie die Sowjetunion und die blockfreien Staaten, allenfalls noch die Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika berühren könnte. Und dann, Herr Bundeskanzler, sandten Sie ausgerechnet Herrn Bahr und Herrn Pawelczyk nach Washington.
Herr Pawelczyk konnte dort nichts Eilfertigeres erklären als, Europa müsse aus dem Konflikt um Afghanistan herausgehalten werden.
Nicht nur, daß Sie nicht selber zunächst und zuerst nach Washington gereist sind — welche Distanz zu unserem Bündnispartner, zu unseren Freunden der wichtigsten Garantiemacht von Freiheit und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland läßt dieses Handeln erkennen!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pawelczyk?
Nein.
Keine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter.
— Keine Zwischenfrage!
Sie, Herr Bundeskanzler, und Herr Brandt, haben noch immer nicht begriffen, daß es nicht darum geht, zerstörte Entspannungsillusionen zu retten, sondern darum, den Frieden in der Welt und damit auch unseren Frieden und unsere Freiheit zu sichern.Herr Bundeskanzler, welch eine Provinzialität in der Betrachtung internationaler Krisen lassen Sie erkennen! Wie gefährlich nah sind Sie in die Zone politischer Träumerei geraten! An der Schwelle eines Machtkonfliktes zwischen den beiden Supermächten ist es für uns lebensgefährlich, regionale Krisen im Mittleren Osten ausschließlich auf den Gesichtspunkt der Wahrung deutscher Interessen und der Entspannungsillusionen in Europa reduzieren zu wollen.Herr Bundeskanzler, jeder von uns hier im Saal weiß: Die großen Weltmächte stehen sich mitten in Deutschland, in Berlin gegenüber. Wir unterscheiden uns durch die Trennung unseres Vaterlandes, durch die Teilung eben existentiell von anderen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15591
Dr. Kohletwa von Frankreich, dessen Haltung für uns hier nicht maßgeblich sein kann.Wenn Sie erklärten, die spanische Regierung teile diese Ihre Attitüde — das war für mich ein völlig unverständliches Wort —, dann macht doch schon die Wortwahl deutlich, welch geringes Gewicht Sie den Ereignissen in Afghanistan beimessen. Was soll das eigentlich in diesem Zusammenhang: „Attitüde"? Ich habe überhaupt den Eindruck: Wenn Sie weder aus noch ein wissen — auch die heutige Regierungserklärung ist voller Beispiele dafür —, dann schöpfen Sie neue Begriffe, die Sie morgen wie eine ausgedrückte Zitrone fallenlassen.
Was hätten wir in den letzten drei Jahrzehnten gesagt und getan, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika sich in den zahlreichen Berlin-Krisen auf den Standpunkt gestellt hätten: Berlin sei ein regionales Problem/
das Chruschtschow-Ultimatum von 1958 sei nur ein temporäres Problem, das vorrangig die Deutschen betreffe? In Ihrer Sprache, Herr Bundeskanzler: es sei eine Attitüde.Haben Sie in der SPD denn vergessen, wie oft damals der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, nach Washington, nach Paris, nach London geeilt ist, um die weltweiten Ausdehnungen und Auswirkungen einer Berlin-Krise deutlich zu machen? Wer heute die Invasion, die Aggression in Afghanistan zum bloß regionalen Ereignis zurückstuft, darf sich nicht wundern, wenn er morgen in seiner eigenen Not allein gelassen wird.
Die Amerikaner werden sehr genau darauf achten, was wir Deutschen und was wir Westeuropäer jetzt und heute tun.
Die „Herald Tribune" hat zu Beginn des Jahres in einem Kommentar geschrieben:Wenn die Europäer die fortgesetzten Vorteile des amerikanischen Schutzes wollen, müssen sie damit beginnen, sich sowohl an den politischen wie an den wirtschaftlichen Kosten zu beteiligen.Einer offensiven Großmacht mit Weltmachtanspruch — dies ist die Lehre der russischen Geschichte — ist nur mit weltweiter Solidarität zu begegnen. Wir begrüßen deshalb die klare Verurteilung der sowjetischen Expansion durch den Weltsicherheitsrat und durch die überwältigende Mehrheit der UNO-Vollversammlung.Aber auch die Staaten der Dritten Welt werden jetzt genau darauf achten, wie die westliche Großmacht reagiert, und auch darauf, wie wir unseren amerikanischen Partner aus Westeuropa unterstützen:
ob wir kneifen oder ob wir solidarisch handeln, undzwar so handeln, daß wir nicht ausschließlich unsereeigenen Interessen, sondern auch die Interessen der Völker der Dritten Welt wahrnehmen. Die meisten Völker dieser Welt sind seit Jahrhunderten gewohnt, auf das Gefälle der Macht zu schauen. Sie sind vor allem auch gewohnt, sich zu arrangieren. Die Amerikaner haben dies begriffen. Ich zweifle, Herr Bundeskanzler, ob auch Sie dies so sehen.Es ist wahr: Es klingt gut, wenn der stellvertretende SPD-Vorsitzende, Herr Wischnewski, vor ein paar Tagen im „Vorwärts" schreibt:Deshalb gilt für uns: Der Sowjetunion wird die gebührende politische Antwort erteilt, die so deutlich ausfallen muß, daß solche militärischen Abenteuer für die Zukunft unmöglich werden.
Herr Bundeskanzler, das haben wir gelesen. Uns fehlt aber das Vertrauen, daß Sie in Ihrer eigenen Partei die notwendige Unterstützung für eine solche Politik finden.Es stellt sich die Frage: Was ist zu tun? Der sowjetischen Führung müssen die Konsequenzen für ihre entspannungsfeindliche Aggression in Afghanistan und für ihr Nein zu den von der NATO angebotenen Verhandlungen über Mittelstreckenraketen in Westeuropa zum Bewußtsein gebracht werden. Deshalb unterstützen wir in der CDU/CSU nachdrücklich die Maßnahmen der Vereinigten Staaten gegenüber der Sowjetunion.
Solche Maßnahmen müssen langfristiger Natur sein. Aber, Herr Bundeskanzler, auch das gehört ja zur Vorgeschichte der heutigen Debatte: Es ist grotesk, daß Sie und noch mehr Ihre Freunde oft genug in der Vergangenheit die mangelnde Führungskraft des amerikanischen Präsidenten beklagt haben, aber der amerikanische Präsident, wenn er jetzt bestimmte Entscheidungen trifft, sogleich mit dem Verdacht der Überreaktion belegt wird, um sich der eigenen Mitverantwortung zu entziehen.Um auch das noch zu sagen: Wo gibt es eigentlich Überreaktionen? Sie haben davor gewarnt. Ich wäre dankbar, wenn Sie hier in der Debatte öffentlich sagen würden, was Sie damit meinen. Ich glaube nicht, daß in unserem Lande — in keiner politischen Gruppierung — irgendeine Form der Überreaktion zu finden ist. Ich finde, wir sollten weniger darüber nachdenken, welche Maßnahmen der amerikanischen Regierung wir als Bundesrepublik Deutschland nicht nachvollziehen könnten, sondern wir sollten mehr darüber nachdenken und öffentlich darüber sprechen, wie wir unsere Solidarität mit den Amerikanern jetzt demonstrativ unter Beweis stellen können.
Dazu gehört, um es im Klartext auszusprechen — ich hätte auch dazu gern Ihre Meinung gehört, und zwar nicht allgemein, sondern direkt formuliert —, daß die Sowjetunion nicht damit rechnen kann, mit Hilfe anderer westlicher Industriestaaten, etwa der Bundesrepublik, die amerikanischen Maßnahmen unterlaufen zu können. Das heißt für uns im Klartext, meine Damen und Herren: Wenn die amerika-
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15592 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. Kohlnische Regierung und die amerikanische Politik aus gutem Grund zu dem Ergebnis kommen, daß der Sowjetunion Entwicklungen und Güter im technologischen Bereich nicht zur Verfügung gestellt werden sollen, ist es für uns ganz und gar undenkbar, daß etwa deutsche Firmen in diese entstandene Marktlücke hineingehen könnten.
Ich weiß, daß das möglicherweise Opfer verlangt, auch von uns, aber ich halte es für völlig ausgeschlossen, daß wir hier allein den Amerikanern die Verantwortung und die Last der Verteidigung der Freiheit aufbürden.Ich glaube auch, daß es Zeit ist, die Einrichtung eines ständigen Organs für Konsultationen und gegenseitige Abstimmung in allen Fragen des Ost-West-Handels zwischen den westlichen Industriestaaten einschließlich Japans voranzutreiben. Nur dann wird es letzlich wirklich gelingen, die nationalen Interessen mit den gemeinsamen Interessen der freien Welt in Übereinstimmung zu bringen.Zweitens müssen wir unseren Beitrag als Bundesrepublik Deutschland, als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft und als Bündnispartner der Nordatlantischen Allianz zur Aufrechterhaltung des weltpolitischen Gleichgewichts und des regionalen Gleichgewichts in allen Teilen der Welt leisten, politisch und wirtschaftlich im weltweiten Rahmen und natürlich auch im militärischen Bereich der NATO.Herr Bundeskanzler, um auch das hier gleich deutlich anzusprechen: Jene Interpretation einiger Äußerungen meiner Kollegen, die Sie hier gegeben haben, ist einfach nicht zutreffend; sie ist sogar fahrlässig. Wir waren und wir sind der Auffassung, daß die NATO in ihrer weltweiten Bedeutung zu sehen ist und daß es eine völlig falsche, schmale Interpretation des Willens der Gründer der NATO wäre, wenn wir etwa nur die europäische Komponente sehen würden und nicht beachten würden, daß die NATO gleichzeitig an den Ölhähnen und den Ölquellen dieser Erde völlig k. o. gesetzt werden kann, ohne daß in Europa überhaupt ein einziger Schuß fällt. Das war doch der Hintergrund jener Überlegungen.
Aber weil von Gemeinsamkeit die Rede war: Wir sehen voraus — ich will das offen ansprechen —, daß man im Rahmen dessen, was die Amerikaner weltweit tun müssen, zu einer Umschichtung auch der Lasten, etwa in Europa, kommen muß, und wir sehen voraus — wir haben das schon bei der EtatDebatte im Dezember hier angesprochen —, daß das möglicherweise auch höhere finanzielle Opfer im Hinblick auf den Verteidigungsbeitrag bedeutet. Herr Bundeskanzler, ich hoffe, daß Sie sich bald auch einmal zu diesem Thema äußern werden. Das kostet uns Opfer; ich weiß dies. Wir als CDU/CSU-Fraktion bieten Ihnen an, daß wir diese Opfer um der Verteidigung der Freiheit willen mit Vorrang mitzutragen bereit sind. Aber Sie müssen den Muthaben, in der eigenen Fraktion durchzusetzen, was jetzt notwendig ist.
Was die weltweiten politischen Probleme im Zusammenhang mit Iran und Afghanistan betrifft, erleben wir, inwieweit Problemstrukturen und Entscheidungsstrukturen im Westen immer noch auseinanderklaffen. Obwohl uns die internationalen Zusammenhänge auch innerpolitische Probleme vor Augen führen — wie bei der gegenwärtigen Energieversorgung —, bestehen die Lösungen dieser Probleme mehr oder minder nur in nationalstaatlich orientierten Entscheidungsstrukturen. Die Konsequenz für uns heißt auch: Wir müssen die politische Zusammenarbeit in Europa entschieden vorantreiben und im internationalen Rahmen ergänzen.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch einen Appell an unsere Mitbürger richten. Das Beispiel des Mittleren Ostens lehrt uns, daß wir nicht daran vorbeikommen, zur politischen und wirtschaftlichen Stabilität in anderen Regionen unserer Erde beizutragen. Dies gilt nicht nur für den Mittleren und den Nahen Osten, dies gilt genauso für Asien, Afrika und Lateinamerika. Das heißt konkret, daß wir auch und gerade in dieser Situation die Frage der Hilfe für die Dritte Welt erneut stellen und hier notwendigerweise auch mehr Opfer abverlangen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung muß ihre Entspannungspolitik an den Realitäten der sowjetischen Politik ausrichten. Herr Bundesaußenminister, wir haben mit großem Interesse Ihre Bemühungen um eine realistische Entspannungspolitik zur • Kenntnis genommen. Warum eigentlich kommen diese Bemühungen erst jetzt, Herr Kollege Genscher? Warum haben Sie sich nicht schon früher dieser Terminologie angeschlossen?Für eine realistische Entspannungspolitik sind drei Voraussetzungen unverzichtbar: das politischmilitärische Gleichgewicht, die Unteilbarkeit der Entspannung und der Ausgleich zwischen Leistungen und Gegenleistungen. Ungleichgewichte führen nicht zur Entspannung, sondern zu Erpressungssituationen, und Gewalt und Entspannung schließen sich gegenseitig aus. Wenn wir nach jeder Ausdehnung des sowjetischen Besitzstandes nur resignierend nach mehr Entspannung rufen, kommt das doch einer schrittweisen Selbstaufgabe gleich.
Meine Damen und Herren, Entspannung kann nicht für einen Teil der Welt außer Kraft gesetzt werden, weil sie sonst zu einem Mittel des weltpolitischen Machtkampfes degeneriert und allein zum jeweils eigenen Nutzen eingesetzt wird.Es war die Sowjetunion, die mit ihrem Gewaltakt in Afghanistan und mit ihrem Nein zu Verhandlungen der Entspannungspolitik eine klare Absage erteilt hat. Es ist jetzt an der Sowjetunion, die Voraussetzungen für eine Entspannungspolitik durch ihren sofortigen Abzug aus Afghanistan, durch ihre Bereitschaft zu Rüstungskontrollverhandlungen
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Dr. Kohlohne Vorbedingungen und durch ihren Verzicht auf Manifestation, Androhung und Anwendung von Gewalt wiederherzustellen.Wenn wir einmal mehr nach all diesen Aufregungen zum politischen Tagesgeschäft zurückkehren und uns nur noch den Problemen des eigenen Landes oder Europas zuwenden, leisten wir künftigen Aggressionsakten Vorschub.
Entspannungspolitik darf das Ziel eines militärischen und politischen Gleichgewichts zwischen Ost und West niemals aus den Augen verlieren. Entspannungspolitik darf sich über das Wesen des Kommunismus und die politischen hegemonialen Absichten der Kreml-Führung keinerlei Illusionen hingeben.
Entspannungspolitik muß gegen die Versuchung gefeit sein, Hoffnungen oder Wünsche gegen die Wirklichkeit auszuspielen. Entspannungspolitik darf nicht dazu führen, daß Verletzungen der Menschenrechte beschönigt oder nicht mehr angesprochen werden. Entspannungspolitik muß bei Verträgen und Abmachungen mit der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten nicht nur eine Übereinstimmung in Worten, sondern vor allem die Übereinstimmung in der Sache betonen.Eine solche Entspannungspolitik, Herr Kollege Genscher, wäre in der Tat Grundlage einer gemeinsamen deutschen Außenpolitik. Aber ich muß gestehen — und ich sage: leider —, ich sehe keine Grundlage für eine solche Gemeinsamkeit, solange die Regierung und die sie tragenden Fraktionen, vor allem die der SPD, an einer Entspannungspolitik festhalten wollen, deren Prämisse, wie wir heute in dieser Regierungserklärung wieder gehört haben, die Illusion ist.Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, Herr Bundeskanzler, unsere Mitbürger über den Ernst der Lage auf zuklären. Unsere Bürger spüren längst instinktiv die Bedrohung, die — nicht nur im Bereich der Energieversorgung — auf uns zukommt. Es ist angesichts der Entwicklungen im Mittleren Osten und unserer Abhängigkeit vom 01 geradezu bizarr, welche Diskussionen und welche Auseinandersetzungen wir uns in der Frage der Energieversorgung der Bundesrepublik leisten.
Es gibt keine vergleichbare Industrienation, die im Blick auf die Energieversorgung des eigenen Landes so wenig gerüstet ist, die im Blick auf die Importe, die notwendig sind, so anfällig ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Und dann kommen Sie an der Schwelle der 80er Jahre hierher und sagen, wir seien für die Herausforderungen unserer Zeit gerüstet! Unsere Bürger verspüren längst, daß mehr gefährdet ist als Wohlstand, daß Friede, Friede in Freiheit gefährdet ist. Es geht nicht um Panikmache; es geht nicht um scharfmacherische Reden. Es geht um die ernste, besorgte Frage nach dem Frieden in Freiheit. Es geht um eine nüchterne, um eine realistische Bestandsaufnahme der deutschen Politik, esgeht darum, daß wir gemeinsam unser eigenes Volk auf die Zukunft vorbereiten, eine Zukunft, die von uns Opfer verlangen wird.Ich fürchte, Herr Bundeskanzler, diese Opfer zu verlangen und mit den Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland darüber zu sprechen, dazu haben Sie weder den Mut noch die Gefolgschaft Ihrer eigenen Partei. Deshalb ist es Zeit zum Wechsel in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat für die Bundesregierung heute morgen eine Regierungserklärung abgegeben, die sich durch Nüchternheit und eine realistische Einschätzung der Lage auszeichnete.
Wenn diese Debatte das leisten soll, was sie in dieser Stunde leisten müßte, hätte sie, Herr Kollege Kohl, eine andere Behandlung durch Sie verdient.
Ich werde dort, wo Sie zu den jetzt anstehenden Fragen gesprochen haben, auf das eingehen, was Sie gesagt haben, weil ich finde, daß wir eine Verantwortung vor unserem Land und unseren Verbündeten dafür haben, daß wir in einem sachlichen Gespräch nach den Möglichkeiten suchen, die es uns möglich machen, Freiheit und Sicherheit für unser Land zu bewahren.
Die Welt steht unter dem Eindruck des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan. Die Bundesregierung hat das sowjetische Vorgehen in der Offentlichkeit vor den Vereinten Nationen, wo sie an dem eben zitierten Beschluß des Sicherheitsrates, auch wenn sie nicht dessen Mitglied ist, mitgewirkt hat, verurteilt und den Rückzug aus Afghanistan gefordert.Die Menschen bei uns und überall in der Welt sehen, wie ein Volk das Opfer einer kalt berechneten militärischen Intervention geworden ist, einer Intervention, die nur notdürftig mit dem Hinweis auf angebliche Hilferufe beschönigt wird. Unsere Bürger empfinden, daß dieser Vorgang, der sich 7 000 Kilometer entfernt abspielt, seine Auswirkungen bis hinein nach Mitteleuropa hat. Da werden Erinnerungen wach an das Jahr 1956 in Ungarn, an den Bau der Berliner Mauer 1961, an das Jahr 1968 in der Tschechoslowakei. Jedem wird in dieser Lage bewußt, was es bedeutet — was gestern noch als selbstverständlich genommen wurde —, daß wir hier in Europa seit 35 Jahren keinen Krieg haben. Meine Damen und Herren, alle, wo immer sie politisch stehen mögen, sind vereint in dem Willen, alles
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15594 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Bundesminister Genscherzu tun, damit das nicht gefährdet wird; denn ohne Frieden geht nichts.
Die Sorge unserer Mitbürger und ihr Wille zum Frieden machen nicht halt an der Trennungslinie durch Deutschland. Die Briefe, die uns in diesen Tagen erreichen, lassen ahnen, daß in den Wohnungen, in den Fabriken, in den Kantinen und in den Schulen in der DDR die Gespräche, die Sorgen, die Erwartungen, die Hoffnungen keine anderen sind als hier bei uns.
Das heißt: den Frieden bewahren und das sichern, was bis heute für den Zusammenhalt der Nation erreicht werden konnte.Die Bürger unseres Landes erheben keine forschen Forderungen, und sie verfallen auch nicht in Panik. Jeder, der von draußen zu uns kommt, kann sich überzeugen: Die Deutschen wollen in und für den Frieden arbeiten, und sie wollen in Freiheit und für die Freiheit leben. Aber sie wollen diesen Frieden nicht nur für sich, sie wollen ihn für alle Völker der Welt, sie wollen ihn für das afghanische Volk.Die Deutschen unterstellen der sowjetischen Führung nicht, daß sie uns angreifen will, daß sie Krieg will, aber sie erwarten, daß ein Land von der Größe- und der weltpolitischen Verantwortung der Sowjetunion die Grundsätze des Völkerrechts auch dort achtet, wo die Ausdehhung des eigenen Einflußbereiches mit weniger Risiken belastet erscheint als hier in Europa, wo ein handlungsfähiges Bündnis unsere Sicherheit garantiert.
Meine Damen und Herren, die Deutschen wissen sich eins mit den Völkern der Welt, wenn sie erwarten, daß die Verantwortlichen in Nord und Süd, in Ost und West alles tun, um den Frieden zu bewahren und die Besetzung Afghanistans durch sowjetische Truppen zu beenden. Sie erwarten, daß Regierung und Parlament hier Auskunft geben, wie denn Frieden und Freiheit auch in Zukunft gesichert werden können.Wir erinnern uns alle: Am 13. und 14. Dezember 1979 fand in Brüssel die Ministerratstagung des Nordatlantischen Paktes statt. In dem Kommuniqué vom 14. Dezember heißt es - und das muß man sich heute noch einmal in Erinnerung rufen, weil dann deutlich wird, daß so ahnungslos, wie Herr Kollege Kohl es glaubte hier darstellen zu müssen, weder wir als Partner dieses Bündnisses noch die anderen Verbündeten sind —:
Sie— die Minister —, äußerten ihre Besorgnis über direkte oder indirekte Aktionen der Sowjetunion und einiger ihrer Verbündeten in mehreren Unruhegebieten, begleitet von einem sehr beträchtlichen qualitativen und quantitativen Ausbau der militärischen Stärke des Warschauer Pakts und insbesondere der wachsenden sowjetischen kontinentalen nuklearen und konventionellen Fähigkeiten. Die Minister stellten fest, daß diese Entwicklungen ein Anlaß zu berechtigter Sorge sind und weder mit den Versicherungen der Staaten des Warschauer Pakts, sie strebten nicht nach militärischer Überlegenheit, noch mit ihrer öffentlich erklärten Absicht, die Entspannung, insbesondere auf dem militärischen Gebiet zu fördern, vereinbar sind. Die Minister legten erneut ihre Auffassung dar, daß die Entspannung weltweit und unteilbar sein muß.Die konsequente Durchführung des 1978 beschlossenen langfristigen Verteidigungsprogramms der NATO, die Brüsseler Entscheidung des Bündnisses für die Nachrüstung als Antwort auf die sowjetische Vorrüstung bei den Mittelstreckenraketen und die Verhandlungsangebote für die Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen, für vertrauensbildene Maßnahmen, für MBFR unterstreichen den Willen der Allianz, das Gleichgewicht auf jeden Fall zu sichern, nach unserem Willen nach Möglichkeit auf einem niedrigeren Niveau der Rüstungen.
Diese Entscheidungen des Bündnisses haben unverändert Bestand. Wo immer Zweifel an ihrer Notwendigkeit vorhanden gewesen sein sollten, jetzt sollten sie überwunden sein.
Die USA und ihre europäischen Verbündeten wollen, daß unverändert die ganze Breite der westlichen Verhandlungsvorschläge vom Dezember Verhandlungsgegenstand bleibt oder wird. Sie bleiben auf dem Tisch. Gerade angesichts der Lage und Entwicklung in Afghanistan darf weder der sicherheitspolitische noch der politische Dialog mit dem Osten abreißen.
Die Entschlossenheit, alles für die Bewahrung der Sicherheit zu tun, und der Wille zum Gespräch auf dieser Grundlage sind gerade jetzt unentbehrlich. Wird das eine oder das andere unterlassen, so verlieren wir unsere Handlungsfähigkeit.
— Herr Kollege Mertes, ich unterstelle Ihnen ja gar nichts. Sie können es durch Beifall zum Ausdruck bringen, daß Sie mit mir übereinstimmen.Wir dürfen weder durch Handlungsunfähigkeit noch durch Weckung von Emotionen zu einem Teufelskreis beitragen, an dessen Ende der Friede nicht nur gefährdet, sondern verspielt wird. Die Weigerung der Sowjetunion, Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen jetzt aufzunehmen, ändert nichts an der Notwendigkeit und an der Richtigkeit unseres Nachrüstungsbeschlusses. Sinn dieses Beschlusses war es ja nicht, eine Verhandlungsposition zu schaffen, sondern war es, das Gleichgewicht zu sichern, das durch die sowjetische Vorrüstung gefährdet ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15595
Bundesminister GenscherDie Sorge um die Auswirkungen der Intervention in Afghanistan, die Sorge um die Energieversorgung Europas und der ganzen westlichen Welt, die Sorge um das weltpolitische Gleichgewicht, die Frage auch: Wird es ein neues Afghanistan geben? machen deutlich, wie richtig die Feststellungen des Bündnisses vom Dezember waren. Der NATO-Rat und der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft haben am Dienstag dieser Woche noch einmal unterstrichen, daß wir Entspannung weltweit und unteilbar verstehen. Die Sowjetunion muß gerade jetzt daran erinnert werden, daß dieses Verständnis der Entspannung auch in die gemeinsame Deklaration Eingang gefunden hat, die Bundeskanzler Helmut Schmidt und Generalsekretär Breschnew am 6. Mai 1978 unterzeichneten. Dort heißt es:In Respektierung der Unteilbarkeit des Friedens und der Sicherheit in allen Teilen der Welt werden sie ihre politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für dieses Ziel unilateral, bilateral und multilateral einsetzen.Schon vorher, nämlich am 22. Juni 1977, hatten der französische Staatspräsident und der sowjetische Generalsekretär festgestellt:Die Sowjetunion und Frankreich halten es für notwendig, daß die Bemühungen aller Staaten zugunsten der internationalen Entspannung fortgesetzt und verstärkt werden durch die Übereinstimmung ihrer Handlungen gegenüber anderen Staaten und in allen Gebieten der Erde mit den Erfordernissen der Entspannung.Der Bundeskanzler hat in der heutigen Regierungserklärung noch einmal sehr deutlich d en Zusammenhang zwischen Friedenssicherung in Europa und in anderen Teilen der Welt dargelegt. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß allein dieses Verständnis der Entspannung es möglich macht, Bedeutung und Auswirkung, aber auch die Reaktion auf die sowjetische Intervention zutreffend zu definieren. Es bedeutet eine Verletzung der Grundsätze der Entspannung in anderen Teilen der Welt, es hat auch seine Auswirkungen auf die Entspannungspolitik in Europa; aber es kann nicht bedeuten, daß eine Verletzung dieser Grundsätze in Afghanistan durch die Sowjetunion mit einer Aufgabe dieser Grundsätze durch uns in Europa beantwortet werden darf.
Wir werden von uns aus in Europa keine Politik der Spannungen betreiben. Das heißt auch, daß die Ergebnisse der Entspannungspolitik, die Verträge mit der Sowjetunion, mit der Volksrepublik Polen, mit der CSSR, der Grundlagenvertrag mit der DDR, das Viermächteabkommen für Berlin und die Schlußakte von Helsinki von uns nicht zur Disposition gestellt werden, daß sie vielmehr für unsere Politik bestimmend bleiben müssen.
Das gilt auch für die praktischen Ergebnisse dieser Politik, für die Reisemöglichkeiten in Deutschland, für die Ausreisen in die Bundesrepublik Deutschland, für die Zusammenführung von Familien, für den ungehinderten Verkehr zwischen Berlin undder Bundesrepublik, für die Bewegungsfähigkeit der Berliner. Nichts, kein Schritt, den wir auf der Grundlage der geschlossenen Verträge vorgenommen haben, wird von uns rückgängig gemacht werden.
Nicht nur der Frieden muß gesichert werden, auch die Ergebnisse der Vertragspolitik und die Voraussetzungen für weitere Fortschritte dürfen von uns nicht aufs Spiel gesetzt werden. Das meinen wir, wenn wir sagen: Wir wollen unsere realistische Entspannungspolitik fortsetzen.
Herr Kollege Kohl, wir wollen hier einen Dialog führen. Ich habe heute morgen, fast vorausahnend, daß Sie sagen würden, ich sagte zum erstenmal ,,realistische Entspannungspolitik", einen Mitarbeiter gebeten, einmal schnell herauszusuchen, wie viele Erklärungen es von mir dazu gibt.
Sie haben gerade gesagt, jetzt würden wir es — —
— Nun hören Sie mich doch auch einmal an! Auch ich habe zugehört, als Sie gesprochen haben.
Sie sagten, Sie hätten das von mir sozusagen zum erstenmal gehört. Es waren 23 Male, und zum erstenmal war es am 23. August -1974.
Damals wurde ich im „General-Anzeige'' gefragt:Im Westen hat ein Prozeß des Nachdenkens über die Entspannungspolitik, über den Begriff begonnen. Wie weit ist es gediehen?Ich habe geantwortet:Es ist notwendig, den Begriff der Entspannungspolitik eindeutig zu definieren.
— Wir sind für jeden Beitrag dankbar, Herr Hupka.Weiter habe ich dort gesagt:Entspannungspolitik allein kann keine Sicherheit schaffen. Diese beruht auf Existenz- und Handlungsfähigkeit unseres Bündnisses.
In seinem Interesse — also im Interesse des Bündnisses — liegt es, daß Gegensätze abgebaut und Reibungsflächen verringert werden. Dazu gehört auch, daß die Kommunikation zwischen den Menschen ausgebaut werden muß.Entspannungspolitik darf keine Einbahnstraße sein; sie verlangt Gegenseitigkeit. Zur Entspannungspolitik gibt es keine Alternative. Die Alternative heißt in Wahrheit: realistische oder
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15596 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Bundesminister Genscherillusionäre Entspannungspolitik. Wir wollen eine realistische Entspannungspolitik.
Nun frage ich Sie,
ob das, was ich Ihnen hier als Ergebnis dieser Politik dargelegt habe, Reisemöglichkeiten in Deutschland, Möglichkeiten der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, das Viermächteabkommen, Illusion ist oder eine Realität, die jährlich Millionen von Menschen in Europa erleben.
Meine Damen und Herren, die geschlossenen Verträge und auch die Schlußakte von Helsinki sind nicht nur für uns, sondern auch für alle westlichen Partner und Verbündeten feste, unverzichtbare Grundlage auch der zukünftigen Politik. Bei der Sicherung des Friedens, bei der Sicherung der Ergebnisse der Vertragspolitik sind wir uns unserer Verantwortung nicht nur für die Bürger im freien Teil Deutschlands, sondern genauso auch für unsere Mitbürger in der DDR bewußt. Diese Politik kann nur auf der festen Grundlage unserer Einbindung in die Europäische Gemeinschaft und auf der festen Grundlage des westlichen Verteidigungsbündnisses verfolgt werden. Weil dieses Bündnis existiert, weil dieses Bündnis — gerade wieder im Dezember 1979 — seine Handlungsfähigkeit trotz aller Schwierigkeiten bewiesen hat und weil in diesem Bündnis unsere Bundeswehr eine entscheidende und verantwortungsvolle Aufgabe nicht nur für die eigene Sicherheit, sondern auch für die Sicherheit ganz Westeuropas erfüllt, ist diese von uns mit unseren Verbündeten verfolgte Politik frei von Illusionen; sie ist das, was man realistisch nennt.
Meine Damen und Herren, wegen der Existenz des Bündnisses, wegen der Bedeutung der Bundeswehr für unsere und unserer Verbündeten Sicherheit, wegen unseres Vertrauens in unsere Verbündeten und unsere Bundeswehr, in ihre Leistungsfähigkeit und ihre Abwehrfähigkeit wissen wir: Was in Afghanistan möglich war, ist bei uns hier nicht möglich!
Meine Damen und Herren, Heinrich Krone hatte recht, als er nach dem Mauerbau 1961 dem Sinne nach sagte: Daß sie nicht durch das Brandenburger Tor marschieren, verdanken wir der Existenz des Bündnisses. — Was damals galt, gilt auch heute.
Wir sind uns dabei sehr wohl bewußt: Was im Mittleren Osten geschieht, beeinflußt wirtschaftlich und militärstrategisch auch unsere Sicherheit. Wir wissen: Nur die volle Solidarität der europäischen Bündnispartner mit den USA und Kanada kann unsere Sicherheit garantieren. Die Vereinigten Staaten sind für die Sicherheit West-Berlins genauso unverzichtbar wie für die Sicherheit ganz Westeuropas. Die Solidarität der Vereinigten Staaten ist in schweren Stunden erprobt. Für uns ist diese Solidarität keine Einbahnstraße. Deshalb wird jeder Versuch zwecklos bleiben, Europa von seinen amerikanischen Verbündeten zu trennen.
Nichts wäre gefährlicher, als wenn jemand glauben würde, angesichts der Herausforderungen in Afghanistan seien die Interessen der Amerikaner und die Interessen der Europäer unterschiedlich zu definieren. Nein, meine Damen und Herren, wir sitzen alle in einem Boot.
Wenn es überhaupt einen Unterschied gibt
— also, wenn Sie zustimmen können, dann lassen Sie mich doch wenigstens das Wenige, was Sie an meiner Rede für richtig halten, ungestört zum Ausdruck bringen —,
dann den, daß wir Deutschen in diesem Boot näher am Rande sitzen als andere.
Gestern haben der Bundeskanzler und ich dem stellvertretenden amerikanischen Außenminister versichert: Amerika kann sich auf uns, auf die Bundesrepublik Deutschland verlassen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15597
Bundesminister GenscherDie Vereinigten Staaten können sich auf die Europäische Gemeinschaft verlassen. Herr Kollege Kohl hat etwas über die Notwendigkeit der Solidarität der europäischen Staaten gesagt. Angesichts von angekündigten oder durchgeführten wirtschaftlichen Schritten der Vereinigten Staaten — auch im Verhältnis zur Sowjetunion — haben wir darüber am Dienstag unter den Ministern der Europäischen Gemeinschaft Einverständnis erzielt: Wir werden den Vereinigten Staaten nicht in den Rücken fallen. Wir werden nicht in Geschäfte eintreten, die die Amerikaner nicht mehr machen.
Das gilt nicht nur für die Nahrungsmittelhilfe. Ich hoffe also, daß wir, auch wenn es schwer sein wird, die Konsequenzen im eigenen Lande zu vertreten, dann gemeinsam die Notwendigkeit dieser Haltung unserer Offentlichkeit deutlich machen.Die Existenz der NATO und ihre Handlungsfähigkeit haben aber nicht nur Bedeutung für ihre Mitglieder. Sie sind ein Faktor der Stabilität im weltpolitischen Gleichgewicht, ganz besonders natürlich auch für Europa.
Ihre Existenz wird auch von den nicht zum westlichen Bündnis gehörenden ungebundenen Staaten Europas als ein Element ihrer eigenen Sicherheit empfunden. Ich bin im übrigen überzeugt, daß diese Feststellung sogar über Europa hinaus Gültigkeit hat. Ich bin überzeugt, daß mancher Staat der Dritten Welt, der früher der NATO, der früher unserer Mitgliedschaft in der NATO, der früher unseren Aufwendungen für die NATO skeptisch gegenüberstand, heute, nach Afghanistan mehr Verständnis für die Notwendigkeit unserer Verteidigungsanstrengungen hat.Vor dem Hintergrund der Intervention in Afghanistan wird es wohl auch verständlich, warum der eine, nämlich wir, eine Mark für Entwicklungshilfe ausgibt und im Verhältnis dazu neun Mark für militärische Zwecke. Wir sähen es lieber, die Lage wäre so, daß das Verhältnis für die Entwicklungshilfe günstiger wäre. Aber das liegt nicht allein in unserer Hand; denn man muß auch sehen, daß im Osten für einen Rubel, den man für Entwicklungshilfe ausgibt, 417 Rubel für Rüstung ausgegeben werden.
Hier ist eine Änderung des Verhaltens notwendig.
Wie müssen nun die Reaktionen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Verbündeten auf die sowjetische Intervention in Afghanistan aussehen? Die Besetzung eines blockfreien Landes der Dritten Welt zeigt, daß es sich vom Grundcharakter her um einen Konflikt der Sowjetunion mit den Prinzipien der Unabhängigkeit der Staaten und der Blockfreiheit handelt. Die unter dem Gesichtspunkt der Unteilbarkeit der Entspannung unbestreitbare Auswirkung auf das Ost-West-Verhältnis darf diesen Grundcharakter des Konflikts nicht verdekken.Die Staaten der Dritten Welt sind sich dieser Tatsache bewußt. Das Abstimmungsergebnis in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, das der Bundeskanzler hier schon erwähnte, wo 104 Mitgliedstaaten für die Räumung stimmten — bei 18 Nein-Stimmen, von denen allein aus den Staaten des Warschauer Pakts acht Stimmen kamen —, zeigt die übereinstimmende Haltung der Dritten Welt und der westlichen Demokratien in dieser Frage. Das ist eine völlig neue Abstimmungssituation in den Vereinten Nationen, deren weltpolitische Bedeutung noch nicht überall verstanden worden ist.
Diese Abstimmung legt endgültig die Legende zu den Akten, die Sowjetunion werde in der Dritten Welt als deren „natürlicher Partner' empfunden. Die Blockfreien werden in wachsendem Maße den Wert der Kooperation mit den Staaten erkennen, die Zusammenarbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung unter Wahrung und Respektierung der Selbständigkeit und der Unabhängigkeit aller Staaten der Dritten Welt und ihrer nationalen, kulturellen und religiösen Identität wollen.Ich unterstreiche, was ich vor den Vereinten Nationen wiederholt zum Ausdruck gebracht habe: Die Politik der Vorherrschaft, die Politik der Errichtung von Einfluß- und Machtzentren stellt sich gegen das Rad der Geschichte; sie ist zutiefst reaktionär. Zukunft hat allein eine Politik der Partnerschaft, eine Politik der gegenseitigen Respektierung. Wir stehen in dieser Entwicklung der internationalen Beziehungen an der Seite des Fortschritts. Wir wollen weder unsere Staats- noch unsere Gesellschaftsordnung exportieren.Vielleicht wird heute in der westlichen Welt das Bewußtsein für die stabilisierende Wirkung der Blockfreienbewegung deutlicher empfunden und deutlicher werden, als das manchmal in der Vergangenheit bei vorschnellen Urteilen über die Politik blockfreier Staaten der Fall gewesen ist.
Blockfreiheit bedeutet nun einmal in der Dritten Welt Pluralität, Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und für viele Länder überhaupt erst das Finden einer eigenen nationalen Identität.Die Blockfreienbewegung ist eine große politische, sie ist eine große geschichtliche Kraft. Unsere Politik muß noch deutlicher als in der Vergangenheit die Interessen der Dritten Welt erkennen und fördern. Nur so werden wir dem Konflikt der Sowjetunion mit den Staaten der Dritten Welt gerecht.Der Westen muß mit einer klaren Strategie des Friedens und der Unabhängigkeit gleichberechtigte Partnerschaft überall in der Welt fördern.
Afrika und Asien dürfen nicht eben errungene Unabhängigkeit an neue Vorherrschaft verlieren. Wirtschaftliche Hilfe und politische Zusammenarbeit müssen die Staaten in der mittelöstlichen Region
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15598 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Bundesminister Genscherjetzt in die Lage versetzen, ihre innere und äußere Unabhängigkeit zu behaupten.Die Zielrichtung der sowjetischen Intervention in Afghanistan ist eindeutig. Sie ist Ausdruck einer Gesamtstrategie, den Einflußbereich dort auszubauen, wo Stabilität fehlt, wie sie in Europa vorhanden ist, und wo dies ohne größere Risiken möglich erscheint. Sie ist, konkret ausgesprochen, im mittelöstlichen Bereich auch Ausdruck der Gesamtstrategie, zu den „warmen Gewässern" vorzustoßen und zugleich Einfluß auf die Energiequellen und Rohstoffe der Region zu gewinnen.Meine Damen und Herren, aus der strategischen Zielsetzung der sowjetischen Intervention, aus der Analyse des Grundkonflikts und aus den Auswirkungen auf das Ost-West-Verhältnis ergeben sich dann die Anwendungen für die westlichen Staaten, seien sie nun im westlichen Verteidigungsbündnis oder in der Europäischen Gemeinschaft zusammengeschlossen oder sei ihre Zusammenarbeit mit uns in anderer Weise gestaltet.Erstens. Verteidigungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit des westlichen Bündnisses müssen auch in Zukunft ohne Einschränkung gesichert werden. Dazu gehört übrigens auch, daß die Bundeswehr eben nicht als notwendiges und zugleich lästiges Übel empfunden wird, sondern als Ausdruck des Selbstbehauptungswillens unserer Demokratie, und daß diese Einsicht auch dem Dienst in der Bundeswehr seine staatspolitische Bedeutung gibt.
Alle Bündnispartner müssen ihre Verpflichtungen zur gemeinsamen Verteidigung erfüllen. Die Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland bis hin zur Dezember-Entscheidung des Bündnisses unterstreichen, daß wir unsere Sicherheitspolitik allein auf Realitäten und nicht auf Hoffnungen gegründet haben.
Bei denjenigen, für die noch im Dezember Hoffnungen vor den Realitäten rangierten, müssen jetzt — ohne Schadenfreude von anderer Seite — die notwendigen Einsichten und Konsequenzen folgen.Die Europäische Gemeinschaft sollte die gegenwärtige Lage nutzen — da stimme ich Ihnen ganz zu, Herr Kollege Kohl —, in der Lösung lange anstehender Probleme endlich zu Ergebnissen zu kommen und auch zù versuchen, in der Struktur der Gemeinschaft Fortschritte zu machen. Sie sollte auch versuchen, das zu verwirklichen, was der Bundeskanzler seit langem fordert: eine gemeinsame Energiepolitik dieser Europäischen Gemeinschaft.
Zweitens ist notwendig, diejenigen Staaten,
die eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mitden westlichen Demokratien, in diesem Fall — —Wenn Sie eine gemeinsame Energiepolitik für„Sprüche'' halten, zeigt mir das, wie fern Sie von den Realitäten in unserem Lande sind.
— Also, wenn ich den Zwischenruf mißverstanden habe — —
— Der Bundeskanzler ist in dieser Frage, wie Sie wissen, genau meiner Meinung, und deshalb konnte ich mich auch dankenswerterweise auf seinen Vorschlag beziehen. — Ich finde, die Sache ist eigentlich zu ernst, als daß man nicht in der Lage sein sollte, wenn hier sehr sachlich konstruktive Vorschläge vorgetragen werden, auch einmal zuzuhören.
Ich bin ja nicht der letzte Redner der Debatte. Sie können das ja alles nachher vorbringen. Ich würde mich freuen, wenn eine solche Sitzung wie heute über den Austausch unterschiedlicher Auffassungen hinaus auch noch ein Dialog mit dem Ziel, gemeinsame Ergebnisse zu finden, werden könnte. Vielleicht sollten wir das versuchen.
Diejenigen Staaten, die eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den westlichen Demokratien und in diesem Fall mit der Europäischen Gemeinschaft suchen, dürfen nicht enttäuscht werden. Auf unseren Antrag haben die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft am Dienstag dieser Woche beschlossen, noch in dieser Woche den seit Monaten mit zweitrangigen Problemen verzögerten Verhandlungsauftrag
für ein neues Wirtschaftsabkommen mit Jugoslawien zu erteilen.
Das ist mehr als die Bereitschaft zu einer qualitativ verbesserten wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Das ist ein politisches Signal für die Wahrnehmung politischer Verantwortung in Europa.
In Südostasien sind sich die ASEAN-Staaten, die sich vor 13 Jahren zusammengeschlossen haben, der Bedeutung dieses Beschlusses für die Behauptung ihrer nationalen Unabhängigkeit angesichts akuter Bedrohung, vor der sie stehen, bewußter denn je zuvor. Indonesien und Malaysia, die Philippinen, Thailand und Singapur haben durch den Abschluß eines Kooperationsabkommens mit der Europäischen Gemeinschaft gezeigt, welchen Wert sie der gleichberechtigten partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit uns beimessen. Der Unterzeichnung des Vertrages, die in Kuala Lumpur stattfinden soll — unter Mitwirkung aller Außenminister der Europäischen Ge-
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Bundesminister Genschermeinschaft —, kommt angesichts der Ereignisse in Afghanistan erhöhte politische Bedeutung zu.Die Abkommen von Lomé beweisen, daß die Staaten der Europäischen Gemeinschaft gewillt sind, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit ihren Beitrag zur Entwicklung und damit zur inneren Stabilität dieser Länder zu leisten. Die Mittelmeerabkommen mit Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien und" Israel sind ein unschätzbarer Beitrag zur Stabilisierung dieser Region.Der euroarabische Dialog hat trotz aller Probleme erkennbar stabilisierende Wirkungen gezeigt. Auf unseren Antrag haben die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft ebenfalls am Dienstag dieser Woche den Auftrag für die Ausarbeitung einer Konzeption zu einem wirtschaftlichen Kooperationsabkommen mit. den Golfstaaten einschließlich des Irak nach dem Vorbild des EG-ASEAN-Abkommens erteilt. Wenn diese Arbeiten abgeschlossen sind, werden wir diesen Staaten ein faires Angebot zur wirtschaftlichen Kooperation machen. Schon die am Dienstag beschlossene Absicht setzt ein Signal.Die Notwendigkeit der Hilfe für die Entwicklung Pakistans, eine neue Hilfsaktion unter unserer Federführung für die Türkei, die Einigung in der Europäischen Gemeinschaft für eine erhebliche Anstrengung zur Linderung der Not der Flüchtlinge in Pakistan, und zwar der afghanischen Flüchtlinge, die Bemühungen um zusätzliche Hilfe für dieses Land -all diese Aktivitäten sind Elemente einer westlichen Strategie zur Stärkung der Unabhängigkeit von Staaten, die diese Unabhängigkeit gegen neue Vorherrschaft behaupten wollen.
Meine Damen und Herren, das ist eine konstruktive Politik in dieser Situation. Auch die Zusammenarbeit mit Indien soll dieser Unabhängigkeitspolitik dienen.Der Wille zu ökonomischer und politischer Kooperation darf in seiner strategischen Bedeutung nicht unterschätzt werden. Meine Damen und Herren, daß Kanonen und Panzer allein über den inneren Zustand eines Landes und über die außenpolitische Position, die seine Bevölkerung unterstützt, nichts aussagen, hat die Entwicklung im Iran deutlich gezeigt.
Der Westen muß der Versuchung widerstehen, von sich aus den Ost-West-Gegensatz auf die Dritte Welt zu übertragen. Wer das tut, destabilisiert die Dritte Welt.
Die Diskussion über die Aufgaben der NATO in der gegenwärtigen Situation und über unsere Funktion im Bündnis muß mit großer Behutsamkeit und gänzlich unmißverständlich geführt werden. Es muß gefragt werden, ob eine Ausdehnung des Aufgabenbereichs von den in Frage kommenden Staaten in der Dritten Welt nicht eher als eine Gefährdung derUnabhängigkeit von anderer Seite denn als Hilfe gewertet werden würde.
Ich glaube, wir sollten auch keinen Anlaß zu einer inneren Belastung des westlichen Bündnisses geben.Was ich hier sage, ist keine Absage an eine arbeitsteilige Übernahme von Verpflichtungen durch Bündnismitglieder, die auf Grund ihrer Geschichte und ihres über Europa hinausgehenden Engagements Verantwortung übernehmen wollen.
Was aber die Bundesrepublik Deutschland angeht, so haben gerade wir die Aufgabe, in einer Gesamtkonzeption des Bündnisses die Bedeutung der Aufgabenteilung und unsere Rolle in dieser Aufgabenteilung zu sehen. Die zentrale Rolle der Bundesrepublik Deutschland für die Sicherheit in Europa, für die konventionelle Verteidigung Mitteleuropas legt eine Konzentration unserer militärischen Möglichkeiten auf diese Aufgabe nahe. Niemand kann ausschließen, meine Damen und Herren, daß uns vom Bündnis in Zukunft dafür noch mehr abgefordert werden wird. Dazu müssen wir dann auch bereit sein. Wir dürfen nichts tun, was uns zukünftig die Möglichkeiten dafür verschließen könnte.Unsere Teilnahme an politischer Zusammenarbeit und ökonomischer Hilfe ist unverzichtbar. Sie entspricht unseren, mit denen der Partner identischen Interessen.Friedliche Konfliktlösung in allen Teilen der Welt ist ein wichtiges Instrument zur Verhinderung von Interventionen. Deshalb unterstützen wir den Friedensprozeß in Zimbabwe . Deshalb nehmen wir teil an der Fünferinitiative des Westens für Namibia.
Ich denke, wer sich Sorgen um den Mittleren Osten macht, kann an der Entwicklung im Nahen Osten nicht vorbeigehen. Die Herausforderung der islamischen Welt, aber auch die Tatsache, daß der Verlust der Unabhängigkeit der islamischen Länder auch das Ende der Unabhängigkeit Israels bedeuten würde, legen es nahe, daß jetzt alle Beteiligten eine erhebliche Anstrengung für eine umfassende und gerechte Friedenslösung unter Teilnahme des palästinensischen Volkes machen. Auch dessen Selbstbestimmungsrecht muß verwirklicht werden. Jetzt sollte die Stunde der Wiederherstellung der Einheit des arabischen Lagers sein. Jetzt sollte die Stunde einer Regelung des israelisch-arabischen Konflikts sein, dessen Schwere und dessen historische Bezüge wir kennen. Wir wissen, welches Mißtrauen dort vorhanden ist. Aber es muß doch gefragt werden dürfen, ob diese Probleme nicht angesichts der Gefahren für die Unabhängigkeit der ganzen Region zurücktreten.Die Intervention in Afghanistan ist also eine Herausforderung für die Staaten der Dritten Welt, und sie ist eine Herausforderung für die westliche Welt. Die Reaktion können westliche Staaten und Staaten der Dritten Welt gemeinsam finden, wenn
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Bundesminister Genschersie sich bewußt sind, daß die Unabhängigkeit der Dritten Welt den Interessen auch der westlichen Demokratien entspricht und daß ein handlungsfähiger und verteidigungsfähiger Westen auch ein Element der Sicherheit und Unabhängigkeit der Dritten Welt ist. Wir dürfen unseren Handlungsraum nicht auf Reaktionen im Ost-West-Verhältnis verengen. Wir haben die Pflicht, unsere eigene Unabhängigkeit und Sicherheit zu bewahren und anderen bei der Bewahrung ihrer Unabhängigkeit und Sicherheit zu helfen. Wir haben die Pflicht, Elemente der Stabilität in der Welt zu schaffen, die der Sowjetunion vor Augen führen, daß auch für sie die Kosten einer Politik, wie sie in Afghanistan verfolgt wird, zu hoch sind. Das ist jetzt notwendig, und das ist jetzt entscheidend.Wir brauchen neue Vertrauensbildung. Es gibt keinen Zweifel, daß die Sowjetunion mit dem, was sie in Afghanistan getan hat und tut, dem Vertrauen, das für weltweite Zusammenarbeit, Entspannung und Sicherheit notwendig ist, einen schweren Schaden zugeführt hat.
Wir brauchen den Willen aller am Entspannungsprozeß Beteiligten, wenn Sicherheit geschaffen werden soll.Im eigenen Land ist es notwendig, daß wir den Bürgern sagen: Es wird nicht leichter werden. Die Probleme, die die Energieversorgung für uns schafft, werden wirtschaftliche Auswirkungen haben. Der Bundeskanzler hat auf die Notwendigkeit verantwortungsvollen Verhaltens der Tarifpartner hingewiesen. Ich unterstreiche das, was Herr Kohl über die Notwendigkeit gesagt hat, auch in der öffentlichen Entwicklungshilfe die Kraft zu finden, mehr zu tun. Wir werden vor neue Aufgaben und Anstrengungen für unsere Sicherheit gestellt werden. Und ich habe keinen Zweifel: Die Bürger unseres Landes sind bereit, sich dieser Verantwortung zu stellen.Wir Deutschen wollen Frieden nicht nur bei uns, sondern überall in der Welt. Wir wollen Stabilität. Und wir wollen Hilfe exportieren, aber nicht Konflikte und nicht Ideologien. Wir wollen zusammenarbeiten. Wir wollen Verständigung. Und wir wollen nicht Spannung, sondern Entspannung.Als einer, dessen Herz unverändert in und für seine mitteldeutsche Heimat schlägt, sage ich: Ich kann mir nicht vorstellen, daß es ein Volk geben kann, dem mehr daran gelegen sein muß, daß wir in Europa an Entspannung und Ausgleich weiterarbeiten können, als dieses deutsche Volk, das gezwungen ist, in zwei Staaten zu leben.
Deshalb gibt es auch keine politische Entscheidung, die wir treffen können und dürfen, ohne dabei an Dresden und Weimar, an Halle und Magdeburg, an Rostock und Greifswald zu denken.
Im 'Bewußtsein dieser Verantwortung, meine Damen und Herren, wollen wir weiterarbeiten für Frieden, Sicherheit und Entspannung, soweit das an uns selbst liegt.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr; als erster Redner hat dann Herr Ministerpräsident Strauß das Wort.
Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort und fahren in der Aussprache zu Punkt 3 der Tagesordnung fort. Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Freistaats Bayern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf gleich am Anfang bemerken, daß mir für heute nachmittag die Abwesenheit des Bundeskanzlers mitgeteilt wurde; weil er unter einer Grippe leide, könne er an den weiteren Verhandlungen nicht teilnehmen. Ich sage das ausdrücklich deshalb, weil ich die Abwesenheit des Bundeskanzlers bei dieser Aussprache aus einem anderen Grunde selbstverständlich kritisiert hätte, diesen Grund aber natürlich anerkenne.
— Die Vertreter der Bundesregierung finden sich sicher im Laufe der Zeit ein, aber so wichtig ist das gar nicht.Wenn ich mir allerdings den Inhalt der Regierungserklärung von heute vormittag, den ich meinen Ausführungen zugrunde legen muß, vor Augen halte, komme ich — und ich meine das nicht bissig, sondern höchstens etwas polemisch-ironisch — zu der Schlußfolgerung, daß, was die Regierungserklärung betrifft, die Debatte ruhig hätte ausfallen können.
Es bestand keinerlei Grund, zur Entgegennahme dieser Regierungserklärung eine größere außenpolitische Debatte zu veranstalten. Man hätte ruhig warten können, bis der Herr Bundeskanzler wieder in der Lage ist, der Debatte zu folgen.Der Kollege Helmut Kohl hat in seinen Schlußworten den Bundeskanzler auf den Ernst der Lage und auf die auf uns zukommenden Belastungen — vielleicht auch Opfer — hingewiesen, und er sagte in dem Zusammenhang: Sie haben weder den Mut noch die Gefolgschaft, das in der Offentlichkeit anzukündigen und durchzusetzen. — Ich muß leider sagen: Der Bundeskanzler hat auch nicht die Einsicht. Denn das, was er heute gesagt hat, ist doch wieder nichts anderes als die endlose Aneinanderreihung von Gemeinplätzen, die in sakraler Form vorgetragen und manchmal in forscher Heldenpose aufgetischt werden, aber zu der Sache, über die wir
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
heute zu sprechen haben, sehr, sehr wenig aussagen.
Ich habe eine zweite Bemerkung zu machen. Dann, wenn Anforderungen, Belastungen und Opfer auf uns zukommen, ist diese Bundesregierung bestimmt nicht in der Lage, die entsprechenden Aufgaben ohne die Opposition im Bundestag und ohne die politische Mitwirkung auch der von CDU und CSU getragenen Landesregierungen zu erfüllen.
Wir wollen der Regierung bei der Erfüllung dieser Aufgaben — das gilt für die Kernenergie, das gilt für die Durchführung des NATO-Beschlusses — nicht nur keine Schwierigkeiten machen, sondern wollen ihr unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur Übernahme einer nicht immer populären Verantwortung ausdrücklich erklären. Ich habe das in meinen zwei Funktionen als Bundestagsabgeordneter und als Ministerpräsident eines großen Bundeslandes von diesem Platz aus schon mehrmals getan.Es wäre dann aber auch wünschenswert, daß der Bundeskanzler den Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU und den gemeinsamen Kandidaten der beiden Unionsparteien, gerade weil wir uns in einem Wahljahr befinden, zu einem Gespräch einlädt, um die auf uns zukommenden Belastungen, Opfer und Aufgaben zu besprechen und die damit verbundenen politischen Verhaltensweisen auch in Gegenseitigkeit offen zu erörtern.
Ich nehme mich nicht so wichtig, daß ich glaube, der Gang der Weltgeschichte bedürfte unbedingt meiner Mitwirkung. Wenn es aber um die Erfüllung großer nationaler Verantwortungen mit internationaler Tragweite geht, dann ist es nicht nur die Regierung, dann ist es auch die Opposition, die hier ihr Stück Bürde, ihren Anteil an der Gesamtlast tragen muß und — ich darf das, glaube ich, sagen — auch tragen will und tragen wird.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner.
Wenn es der Kollege Wehner ist; bei unserem jahrzehntelangen freundschaftlichen Spannungsverhältnis natürlich gerne.
Bitte schön!
Herr Ministerpräsident, nach diesen nachdenkenswerten Sätzen bitte ich Sie, mir die Frage zu beantworten, ob folgender
— ja, sicher; Sie wissen immer alles von der Seite, ich gehe von vorn nach vorn —
Satz nicht der Satz des früheren Bundestagskollegen und jetzigen Ministerpräsidenten Dr. Strauß war:
Der Kurswert der deutschen Politik wird — darf ich wiederholen — bei Freund und Feind nicht nach Lautstärke und Schärfe der Opposition, auch nicht nach dem moralpolitischen Gehalt ihrer jeweiligen Argumente bemessen, sondern ausschließlich nach der Nüchternheit, Zuverlässigkeit, Entschlossenheit und Stabilität der Politik der Bundesregierung und des Bundestages.
Ich fand, das sind klassische Worte.
Das ist doch eine vorzügliche Charakterisierung unserer damaligen Regierungspolitik.
Ich habe in meinen beiden Funktionen schon mehrmals von diesem Platz aus gesagt, daß natürlich die Opposition kein Gesangverein für die Bundesregierung ist, keine Jasagemaschine, genausowenig der Bundesrat. Ich habe aber gesagt, es gebe sehr viele Aufgaben, die wir gemeinsam gelöst haben oder in Zukunft werden lösen müssen, gerade die Probleme, von denen ich vorher gesprochen habe, die Last einer modernen Verteidigung auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland, die gegen einen Teil der zum Teil aufgewiegelten öffentlichen Meinung zu vertretende Kernenergiepolitik. Hier gibt es keine Konfrontation. Wir sind keine Konfrontationspolitiker oder gar Obstruktionspolitiker um jeden Preis. Es gibt eine Reihe von Gebieten, wo der Bundesregierung meine Hilfe sehr willkommen war, ihre Steuergesetze, wenn auch in veränderter Form, durchzubringen. Dann gibt es eben gewisse grundsätzliche Gegensätze zwischen Regierung und Opposition, die so sind, daß man der Offentlichkeit keinen Dienst erweist, wenn man so tut, als ob man einig wäre oder die Einigung in sich schon als ein hohes Gut ansehe. Die Einigung in der richtigen Politik ist das hohe Gut, nicht die Einigung um jeden Preis oder zum höheren Ruhme des Regierungschefs.
Ich mache dieses Angebot im Bewußtsein der Geschlossenheit der CDU/CSU in der Bewertung der Weltlage, in der Einschätzung der auf uns zukommenden Risiken und Gefahren und in der vorsichtigen Einschätzung der möglichen Aufgaben und Bürden. Ich mache es auch deshalb, weil — das ist keine parteipolitisch-polemische Bemer-
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
kung - die Gegensätze und Unterschiede, d. h. die Spaltung in der Beurteilung des Wesens und der Zielsetzung der sowjetischen Politik weit in die Reihen der SPD, vielleicht auch zum Teil der FDP hineinreichen.
Wir brauchen unsere Neujahrsrede nicht per Luftwaffe zu ändern. Ich hätte sowieso keine außer ein paar Hubschraubern der bayerischen Polizei. Ich brauchte auch nicht zu sagen, daß ich in den letzten Tagen meine Meinung über das Bild der Sowjetunion drastischer hätte ändern müssen als vorher in Jahren. Ich bin weder von Schadenfreude noch von Rechthaberei erfüllt, bitte hier aber ausnahmsweise sagen zu dürfen: Lesen Sie die von mir in diesem Hause gehaltenen Reden nur der letzten zehn Jahre in den einschlägigen Ausschnitten durch, und stellen Sie dann die Frage: Wer hat die Möglichkeiten der Entspannungspolitik realistisch . eingeschätzt? Wer hat die politische Entwicklung einigermaßen zutreffend eingeschätzt? Der Unterschied zwischen Helmut Schmidt und mir besteht darin, daß ich ungenau richtig liege und er immer exakt falsch liegt.
Lassen Sie mich in den Zusammenhang auch einmal eine Bitte aussprechen. Man möge doch aufhören, gewisse Begriffe beinahe theologisch zu mystifizieren, den Begriff der neuen Ostpolitik, den Begriff der Entspannungspolitik, den Begriff der Friedenspolitik — als ob der Wille zur Entspannung und als ob der Wille zum Frieden das Monopol einer Partei oder das Monopol einer Koalition wäre.
Die Frage ist doch nicht, ob man Entspannung will oder nicht will, ob man Frieden will oder nicht will. Nur ein Narr mit verbrecherischen Instinkten könnte etwas anderes betreiben als eine Politik der Entspannung und des Friedens.
Es geht für mich nicht um politische Archäologie oder Miles-gloriosus-Haltung, die auf die eigene Vergangenheit hinweist. Auch die 20 Jahre von Konrad Adenauer über Ludwig Erhard zu Kurt Georg Kiesinger waren ein Stück Entspannungs- und Friedenspolitik, und zwar ein sehr realistisches Stück Entspannungs- und Friedenspolitik.
Wir sollten angesichts des Ernstes der Situation aufhören — das ist meine herzliche Bitte gerade an die Adresse der SPD—, im Wahlkampf so zu tun, als wäre man im Besitze eines unfehlbaren Entspannungs- und Friedensrezeptes und als trachteten böse Wegelagerer — vom Nordrand der Alpen in einem Falle oder überhaupt sonst mit dem Firmenschild „CDU" — nur danach, diese Entspannungs- und Friedenspolitik zu Fall zu bringen. Wogegen wir uns wenden, sind die Selbsttäuschung und die Täuschung der deutschen Offentlichkeit, sei es aus Unwissen oder sei es aus Absicht.
Was ich als echte politische Fehlleistung, als echten und schwerwiegenden politischen Fehler, betrachte, ist eine Darstellung der Weltlage als Folge unserer Entspannungspolitik, die weitgehend zu einer Zerstörung des Problembewußtseins geführt hat.
Herr Außenminister, wenn wir schon in einem gemeinsamen Boot sitzen — Sie sagten, daß wir am Rande säßen; das stimmt; nur wenn das Boot umkippt, ist der in der Mitte auch nicht viel besser dran, möglicherweise sogar noch schlechter —
und wenn wir am Rande sitzen, dann ist die Kenntnis der Gefahren, die Kenntnis der Herausforderungen, die Kenntnis der Risiken in einer schonungslosen, von Selbsttäuschung freien Analyse für uns, die wir am Rande sitzen, noch wichtiger als für den, der weit vom Gefahrenherd weg sitzt.
Wir wollen doch nicht zu einer Spannung beitragen, etwa in dem Sinne, als ob wir die Zustände, wie sie zeitweise durch die Politik der Sowjetunion in Europa herbeigeführt waren, sozusagen in nostalgischer Verklärung als wünschenswerte Perioden sehen würden. Wir mußten damals mit diesen Krisen fertig werden, wenn wir auch damals das Wort Crisis Management noch nicht so gewandt aussprechen konnten, wie es heute morgen mehrmals geschehen ist.
Das ist an sich schon ein Stück psychologischer Striptease, der hier aufgeführt worden ist: Crisis Management.
Vor dem Crisis Management muß die Analyse der Situation, muß die klare Kenntnis der Probleme stehen.
So mit Crisis Management allein ist das nicht getan.Man soll außerdem nicht glauben, daß die von der Bundesregierung vorbereiteten mit knapper Mehrheit in diesem Hause abgeschlossenen Verträge etwa in sich Entspannung bedeuten würden oder Entspannung herbeigeführt hätte. Es war das massive Interesse der Sowjetunion, aus einer Reihe von Gründen in Europa die Periode von 1949 bis 1969 mit ihren Höhepunkten und Tiefpunkten nunmehr durch einige Jahre — nicht zuletzt aus wirtschaftlichem Interesse — ruhiger Kooperation zu beenden bzw. anderweitig fortzusetzen. Das war doch der eigentliche Grund für die Entspannung.Ob wir Entspannung haben oder nicht haben, wird weitgehend von der Sowjetunion diktiert — es ist auch in den Jahren von 1949 bis 1969 diktiert wor-
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
den. Von westlicher Seite her ist doch nichts geschehen, was ernsthaft zu einer Spannung hätte beitragen können, es sei denn der Beschluß der damaligen Bundesregierung, eine Bundeswehr aufzustellen, der Beschluß, mit dieser Bundeswehr in die NATO, einzutreten, sie zu integrieren. Wir hätten sicherlich den höchsten Lenin-Orden für Entspannung bekommen, wenn wir damals unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Entspannung, auf die Notwendigkeit, Spannung zu vermeiden, auf die Aufstellung eigener Streitkräfte verzichtet hätten.
Wir hätten sicherlich auch für einen Verzicht auf Eintritt in die atlantische Verteidigungsgemeinschaft dann noch einmal einen Orden bekommen. Heute wird doch niemand mehr behaupten wollen, daß diese Schritte nicht richtig, notwendig, zweckmäßig, ja, so möchte ich geradezu sagen, für das eigene Überleben unentbehrlich waren.
Das waren aber Schritte, die von der anderen Seite als „Akte der Spannung" bezeichnet worden sind. Wir haben es als eine konkrete Friedenspolitik betrachtet.Ich möchte hier nicht auf die jahrzehntelange Diskussion in diesem Hause über die Versäumnislegende zurückführen, die die innenpolitische Situation ungefähr genauso vergiftet hat wie die Dolchstoßlegende nach dem Ersten Weltkrieg: im Felde unbesiegt, von der Heimat im Stich gelassen. Wir müssen Spannung und Entspannung als Begriffe für einen völlig natürlichen historischen Vorgang ansehen, der allerdings angesichts der europäischen Geographie und angesichts der Eigenart der beteiligten Mächte hier eine besondere Qualität gewinnt.Spannung zwischen Großmächten hat es doch immer gegeben. Gerade als ich von dem russischen Einmarsch in Afghanistan vernommen habe, habe ich mich — wie viele andere sicherlich auch — daran erinnert, daß es ja schon im 19. Jahrhundert zwischen der Großmacht Rußland und der Weltmacht England zu einer Spannung im mittelasiatischen Raum gekommen ist, einer Spannung, bei der die geographische Position „Khaiberpaß" und dessen militärische Kontrolle für die damaligen Verhältnisse eine entscheidende Rolle gespielt hat. Das ist also nicht neu. Spannungen hat es vor dem Ersten Weltkrieg zwischen Frankreich und England, hauptsächlich wegen der Sudan-Frage, gegeben. Spannungen hat es gegeben, seitdem die geniale Politik Kaiser Wilhelms viele Jahre nach dem Motto „Viel Feind, viel Ehr" gehandelt hat.All das gehört für uns Gott sei Dank der Vergangenheit an. Die einzige Frage der Spannung ist heute nicht ein vielleicht dann und wann oder da und dort einmal auftretender Interessengegensatz zwischen uns und Frankreich oder — in der Frage der EG-Finanzierung — zwischen uns und Großbritannien. Dies sind normale politische Routinevorgänge.Es gibt ein echtes Problem der Spannung und damit auch die Notwendigkeit der Entspannung im Verhältnis zwischen dem demokratischen Machtbereich und dem kommunistischen Machtbereich. Das Verhältnis dieser beiden Machtgruppen zueinander und die Eigenart dieser Gruppen machen das Wesen der Spannung aus. Deshalb ist diese Frage sowohl machtpolitisch als auch weltanschaulich und moralisch zu werten.Ich habe mich schon mehrmals hier von diesem Platz aus mit echter Überzeugung gegen jene Wertneutralität gewandt, mit der das Machtsystem des Kommunismus und das Regierungs- und Gesellschaftssystem der demokratischen Staatenwelt als moralisch gleichrangig und gleichwertig behandelt wird. Daraus können wir nicht große Ansprüche ableiten. Im Blick auf unseren eigenen moralischen Violinschlüssel und unsere eigene moralische, aber auch weltanschauliche Orientierung sollte aber nicht verlorengehen, daß wir Spannung dann und wann riskieren müssen, wenn wir für die Freiheit eintreten,
wenn wir für die Freiheit und die Rechte der Menschen im ganzen Deutschland — auch in dem anderen Teil Deutschlands —, für die Freiheit und die Rechte der Nationen und der Menschen in den ost- und südosteuropäischen Regionen eintreten. Natürlich würde ein Verzicht auf dieses Festhalten an der Priorität der Freiheit, wie wir sie verstehen, in der sowjetischen Propaganda viel zur Entspannung beitragen. Hier gibt es aber eben Zielkonflikte, hier gibt es eben Gegensätze, bei denen man einen echten moralischen Ausleseprozeß einleiten muß, weshalb die Entspannung ja auch in eine bestimmte Wertordnung eingebaut werden muß. Eine Entspannung ohne Wertordnung dient im Zweifelsfall dem, der seine Macht brutal und skrupellos ausnutzt, um sein Gesellschaftssystem anderen aufzuzwingen.
Wir hatten auch nach dem Zweiten Weltkrieg schon Spannungen, z. B. zur Zeit der Berlin-Blockade. Ich erinnere des weiteren an die Erhebung des ungarischen Volkes und die blutige Niederschlagung. Wir haben auch die Ereignisse in Prag noch in guter Erinnerung. Ich kann an diesen Ereignissen in Prag nicht vorbeigehen, ohne zu sagen, daß wir, CDU/CSU und SPD, damals doch eine Entschließung gemeinsam verabschiedet haben. Ein Teil der Entschließung ist auch von der FDP seinerzeit gebilligt worden; aber das war eben nur ein Teil der Entschließung.Als ein Jahr später dann eine gegenteilige Politik betrieben wurde, haben wir in diesem Hause an den damaligen Unterhändler der Bundesregierung die Frage gestellt: Warum haben Sie kurz nach dieser Entschließung eine Politik eingeleitet, die in einem unauflöslichen Widerspruch zu dem Inhalt dieser Entschließung steht? Die Antwort war das berühmte Wort von den zwei Wahrheiten: die eine, die man im Augenblick verkündet, weil man die parlamentarische Mehrheit hat, und die andere, die man im Herzen trägt, eine gegenteilige Wahrheit, die man aber noch nicht bekanntgibt, weil man glaubt, dafür in der
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15604 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß Offentlichkeit noch nicht die notwendigen Voraussetzungen gefunden zu haben, und noch nicht die Durchsetzungsmehrheit im Parlament hat. Deshalb kann man doch uns als Opposition doch nicht die Frage übelnehmen, wer heute schon wieder „neue Wahrheiten" in sich trägt. Wir wollen bei einer Wahrheit bleiben, die wir dann gemeinsam verteidigen. Dazu ist auch ein großes Maß an gegenseitigem Vertrauen zwischen den politischen Kräften erforderlich, daß nicht der Dolch im Gewande hier getragen wird.Alles, was sich im Zuge des Prozesses der letzten 30 Jahre, auch des Prozesses der letzten zehn Jahre abgespielt hat, vollzog sich auf östlicher Seite unter dem Schirm eines ungeheuren sowjetischen Militärpotentials, über das in einigen Sätzen noch zu reden sein wird. Die Angst vor dem Vordringen des Kommunismus, der „Prager Fenstersturz" vom März 1948 — vielleicht erinnern Sie sich noch daran — haben damals zu den ersten Bündnisabsprachen, der Bündnisabsprache, wie ich glaube, des Dünkirchener Vertrages, als Vorläufer des Nordatlantischen Paktes geführt. Die politische, militärische Druckkulisse der Sowjetunion hat die Entspannung in Europa herbeigeführt, auch die Tatsache, daß die Folgen des Zweiten Weltkrieges unterschiedlich, und zwar gegensätzlich, ausgelegt worden sind.Daß wir den Krieg militärisch verloren haben, brauchen wir nicht zu betonen. Daß wir durch keine Politik aus der Niederlage einen Sieg machen können, ist ebenfalls klar. Daß wir nicht dauernd wieder von neuem eine Kapitulation zu vollziehen haben, sollte auch für jedermann klar sein. Aber niemand von den westlichen Siegermächten hat als Folge des Zweiten Weltkrieges die Konsequenz abgeleitet, daß Deutschland und Europa deshalb geteilt werden müßten, daß ein Teil unseres Volkes und ein Teil des europäischen Kontinentes dann nicht nach dem Recht der nationalen Selbstbestimmung, ausgedrückt auch durch freie, gleiche, geheime Wahlen, und daß die Menschen in diesem Raum nicht nach den Rechten und Freiheiten leben können, wie sie bei uns im ersten Kapitel des Grundgesetzes niedergeschrieben sind. Das ist der moralische Unterschied, der nun einmal zwischen einem System der Freiheit und einem der Unfreiheit besteht. Ich bin nicht der Meinung, daß man daraus die Konsequenz ziehen sollte: also keine Verträge, also keine Abmachungen, also keine Entspannungsversuche. Ich war nie dieser Meinung, ich bin es nicht, und ich werde es nicht sein. Aber wir müssen immer wissen, mit wem wir es zu tun haben, und dann müssen Nehmen und Geben in einem ausgewogenen gegenseitigen Verhältnis stehen.
Ich überlasse es der Beurteilung der einzelnen, ob das zutrifft.Ich vermag mich nicht der Auffassung anzuschließen, die Stalin noch im April 1945 in einem Gespräch mit Milovan Djilas ausgedrückt hat, als er sagte:Dieser Krieg ist anders als die früheren; wer einGebiet erobert, zwingt ihm auch sein eigenesGesellschaftssystem auf, soweit seine Armee kommt. Es kann nicht anders sein.Auch die Sowjetunion hat diesen Standpunkt nicht völlig durchgehalten. Ich denke an Osterreich, an Finnland und an Aserbaidschan, wo damals der Rückzug aus dieser iranischen Provinz auf massiven Druck der Amerikaner erfolgte, die im Jahre 1941 schon einmal besetzt worden war, was manche sicherlich noch im Gedächtnis haben, manche aber nie erfahren haben. Der Westen hat seine Auffassung, Krieg gegen Hitler, Krieg gegen Großdeutschland, ganz anders vorgetragen. Roosevelt hat noch in Jalta im Februar 1945 erklärt, die amerikanische Regierung werde binnen kurzem ihre Truppen aus Europa zurückziehen. Die Amerikaner glaubten, daß nach dem Zweiten Weltkrieg die große Stunde der Demokratie gekommen sei. Das glaubten sie allerdings auch schon nach dem Ersten Weltkrieg. Es ist dann nicht so gelaufen, wie sie es sich vorstellten. Die Vorgänge, die ich hier nur andeuten kann, weil man zuviel Zeit verbrauchen würde, sie im einzelnen zu schildern, haben zu dem Zustand der Spannung geführt. Das Ganze ist noch durch das Dasein, die Wirkungsweise und die Wirkungsfähigkeit von Atomwaffen apokalyptisch überlagert worden.Andererseits — realistisch, nüchtern betrachtet — muß man auch sagen, es hätte nach dem Zweiten Weltkrieg schon manche Ursachen gegeben, die nach früheren Maßstäben für einen Krieg ausgereicht hätten. Aber wegen der berechtigten Furcht vor der unkalkulierbaren Wirkung, vor der unkalkulierbaren Eskalation und Teufelsautomatik, die eine militärische Handlung zwischen atomar gerüsteten Potentialen bedeuten würde, ist der Griff zum Schwerte aus gutem Grunde unterblieben. Ich bitte weder um Sympathie noch um Mitleid, aber um Glaubwürdigkeit, darum, uns zu glauben, daß wir doch ganz genau wissen, daß ein militärischer Waffengang in Europa, mit den modernen Mitteln der Zerstörungstechnik ausgetragen, das physische und biologische Ende unseres Volkes und anderer europäischer Völker bedeuten würde.
Wer das weiß, vermag dem Frieden doch auch den richtigen Stellenwert zu geben und dann auch die Entspannung in die eigene Friedensstrategie sehr hoch einzusetzen.
Da sollte es doch keine moralischen Unterschiede mehr geben. Denn der Westen steht auf Grund seiner demokratischen, rechtsstaatlichen Staatsform mit widerruflicher Machtverleihung, Machtbegrenzung und Machtkontrolle nun einmal nicht unter dem Zwangskomplex, das eigene System der Welt etwa aufzwingen zu wollen, es sei denn, man bezeichnet das Eintreten für das Recht der nationalen Selbstbestimmung und das Eintreten für die Grundrechte und Grundfreiheiten schon als eine Einmischung in die inneren Verhältnisse anderer Völker. Wir sprechen keinem Volke das Recht ab, seine eigenen Verhältnisse zu gestalten. Aber wir haben einen Wertschlüssel, wir haben einen Wertkodex, und dieser Wertkodex heißt Recht und Freiheit.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15605
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
Recht und Freiheit müssen sowohl das Zusammenleben der Menschen in einer staatlichen Organisation als auch das Zusammenleben der Staaten untereinander in der Welt regeln.
Wer von diesem Kodex abweicht, ruft Spannung und die damit verbundenen Gefahren hervor.Ich habe deshalb nie verstanden, daß Herr Kollege Ehmke — er ist gerade nicht da — z. B. in seiner dreiteiligen Serie in der „Welt" — ich glaube, sie ist einem Buch entnommen — gesagt hat:Die Sehnsucht der Deutschen in der DDR nach persönlicher und politischer Freiheit ist keine Sehnsucht nach kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen.Das ist doch nicht das Thema. Wenn heute die Abstimmung zu Fuß möglich wäre, wenn es keine Mauer, keinen Schießbefehl, keinen Todesstreifen mehr gäbe oder wenn die Möglichkeit der freien Entscheidung für Bürger im anderen Teil Deutschlands gegeben wäre, dann würde man doch erleben, daß sie alle Unzulänglichkeiten unseres sogenannten kapitalistischen Systems dem Paradies, das sie haben, den Zuständen, in denen sie leben müssen, meilenweit, vergleichslos vorziehen würden.
In der Mittagsstunde sind einige interessante Meldungen eingegangen, u. a. eine dpa-Meldung aus Tokio:Fünf sowjetische Kriegsschiffe, darunter ein Raketenkreuzer der neuen Kara-Klasse, sind am Donnerstag im Japanischen Meer gesichtet worden. Nach Angaben des japanischen Verteidigungsministeriums war die kleine Flotte vermutlich auf der Fahrt in den Indischen Ozean, um dort die Präsenz der sowjetischen Marine zu verstärken.Das ist auch die Folge der Tatsache, auf die mich der chinesische Ministerpräsident hingewiesen hat, daß heute die sowjetische Pazifik-Flotte nicht mehr von Wladiwostok aus zu operieren braucht, sondern wegen der Wiederherstellung der ehemals amerikanischen Marinebasen in Vietnam und ihrer Umstellung auf die Bedürfnisse der sowjetischen Flotte jetzt 4 500 Kilometer weiter südwärts ihren Ausgangspunkt haben kann und damit eine Reichweite in die Wetterecke, in den Krisenherd der Weltpolitik hat, der uns noch viel zu schaffen machen wird; davon bin ich felsenfest überzeugt. Das kann ich sagen, ohne daß ich ein Genie oder ein Prophet sein müßte. Ich habe keinen Grund, diese Prognose zu ändern, genausowenig wie ich frühere Prognosen dieser Art zu ändern brauchte.Dann ist etwas ganz Interessantes passiert: Bastian— Herr Wehner, das ist Ihr General —
gegen NATO-Beschluß — Als Divisionskommandeur abgelöst.Ich gratuliere Ihnen zu dieser späten Entscheidung, Herr Bundesverteidigungsminister. Es wäre besser gewesen, Sie hätten ihn schon nach der ersten Disziplinlosigkeit seines Kommandos enthoben.
In der Meldung heißt es:
Der Kommandeur der 12. Panzerdivison der Bundeswehr, Generalmajor Bastian, hat Verteidigungsminister Hans Apel am Donnerstag um Versetzung in den einstweiligen Ruhestand gebeten. Wie der Minister dazu mitteilte, hatte der General seine Bitte damit begründet, daß er die Entscheidung der NATO, die Mittelstrekkenrakten zu modernisieren und gleichzeitig ein Angebot für Rüstungskontrollverhandlungen an die Sowjetunion zu machen, nicht mittragen könne.
Generäle kommen und gehen, die Bundeswehr bleibt. Aber eines darf ich schon sagen: Ich habe damals, nach diesen groben Disziplinlosigkeiten des Herrn Generals, die sich ja in der Folgezeit wiederholt haben — auch in Form von Anrempeleien von Journalisten, von Mitgliedern dieses Hohen Hauses —, dem Bundeskanzler zwei Briefe geschrieben — ich habe die Briefe nicht veröffentlicht —, zwei dringliche, bittende Briefe, diesen General abzulösen. Die Briefe sind nicht einmal beantwortet worden.
Ich habe aber von Journalisten gehört, daß der Bundeskanzler irgendwann, irgendwo in vorgerückter Stunde erklärt habe, die Briefe seien so töricht, daß ich darauf keine Antwort erhalten würde.
Das ist auch eine List der Geschichte.
Ich kann Ihnen die Briefe zur Verfügung stellen, Herr Kollege Wehner. Aber Sie kommen heute schon noch dran mit Ihrem General.
Dann eine dpa-Meldung aus Bonn: Die Sowjetunion hat durch den Abteilungsleiter des Zentralkomitees der KPdSU für internationale Information, Leonid Samjatin, ihre Auffassung bekräftigt, nicht mit dem Westen über Mittelstreckenraketen parallel zu der von der NATO beschlossenen Nachrüstung zu verhandeln. — Wenn man weiß, seit wann die Aufstellung sowjetischer Mittelstreckenraketen des mobilen Typs SS 20 mit der Reichweite von 5 000 km läuft — dieses Rüstungsprogramm läuft ja schon seit Jahren, und was die NATO beschlossen hat, ist sozusagen der bescheidene Versuch, dem in letzter Stunde noch etwas einigermaßen Vergleichbares, aber nach Quantität wesentlich Geringeres an Abwehrpotential entgegenzusetzen —, fragt man sich doch wirklich — ich sage das nicht, um eine rhetorische Frage zu stellen, bei der sich der eine ärgert und der andere Beifall klatscht; das sind wir von
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15606 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß Wahlversammlungen her gewöhnt —: Was will denn eigentlich die Sowjetunion? Ich habe darauf seit Jahrzehnten, seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine bestimmte Antwort.Ich würde es sehr, sehr begrüßen, ich würde aufatmen, wenn ich, ohne das sacrificium intellectus zu begehen, eine Möglichkeit sähe, meine Meinung über die Ziele der sowjetischen Politik ändern zu können. Ich wäre wirklich herzlich froh. Wir würden doch alle von einem Alptraum befreit, uns fiele doch allen ein Stein vom Herzen. Aber es gibt halt keine Vorgänge, die es uns, wenn man sich nicht selber künstlich blind macht, erlauben, diese Politik anders zu beurteilen, als wir das in der CDU/CSU nun einmal leider seit Jahr und Tag tun müssen — ob Helmut Kohl oder ich, ob Herr Wörner oder Herr Schröder, ob Herr Mertes oder Herr Marx oder wer sonst. Wir wünschten ja flehentlich, leidenschaftlich, daß die Sowjetunion eine Politik treibt, die es uns erlaubt, unsere Ansicht von der Gefährlichkeit dieser sowjetischen Politik zu revidieren.Bitte glauben Sie mir: Wir wollen gar nicht recht haben. Mir wäre es hundertmal lieber, wenn ich nicht recht hätte, weil dann die Wirklichkeit freundlicher aussähe. Es kann doch nicht ums Rechthaben gehen; es geht darum, daß wir sicher durch die 80er und 90er Jahre kommen, daß unsere Kinder in der nächsten Generation genauso in Frieden und Freiheit leben können, wie wir es in zwei bitteren Weltkriegen mit Hekatomben von Blut und Tränen erkauft haben.
Ein wissenschaftlicher Anhänger Ihrer Politik — so muß ich es bezeichnen —, ein deutscher Historiker, der auch zeitweise in Bonn als Journalist tätig war, nämlich Manfred Görtemaker, hat ein Buch mit dem Titel „Die unheilige Allianz. Die Geschichte der Entspannungspolitik 1943 — 1979" geschrieben, das ich über Weihnachten sorgfältig zu lesen die Zeit hatte. Darin steht etwas über Sinn und Wesen der Entspannungspolitik. Der Titel „Die unheilige Allianz" ließe zunächst darauf schließen, daß der Verfasser gegen die Entspannungspolitik sei. Die Lektüre lehrt einen, daß er gar nicht dagegen ist und auch gute Grundsätze, gute Richtlinien zu Problem und Inhalt der Entspannungspolitik bietet. Ich habe dort gelesen, daß der Ost-West-Konflikt durch die Entspannungspolitik nicht beendet oder gar ersetzt worden sei — das ist, glaube ich, auch unsere gemeinsame Meinung in diesem Hause —, sondern daß Kalter Krieg und Entspannungspolitik nur verschiedene Erscheinungsformen dieses Konfliktes sind — auch hier gebe ich ihm recht —, der sich — idealtypisch gesprochen, sagt er — zwischen den Extremen von Krieg und Frieden bewegt. Kein voller Friede und gottlob kein heißer Krieg; aber in dem Feld dazwischen liegen die Varianten Koexistenz und Entspannung oder auch wieder stärkere Spannung und ein stärkeres Gegeneinander.Dann kommt eine sehr interessante Passage:Anders als der Kalte Krieg ... ist also die Entspannungspolitik ein Versuch, den Spannungsgrad des Ost-West-Konflikts zu reduzieren und auf der Basis des Status quo— ohne die Anerkennung des Status quo ist mit der Sowjetunion kein Abkommen zu gewinnen, auch das wissen wir; aber was heißt „Anerkennung", und in welcher Form soll sie erfolgen? —zu einer Zusammenarbeit zu gelangen, in der dem militärischen Faktor eine zunehmend geringere Bedeutung zukommen und die militärische Konkurrenz schrittweise durch andere friedliche Formen des Wettbewerbs ersetzt werden soll.Ich stimme dieser Definition des Entspannungsbegriffs zu. Leider ist der Status quo für uns etwas, was wir hinnehmen müssen, was wir aber nicht als normal und als Dauerzustand, als für uns selbstverständlich erklären können. Hier sollten wir uns, auch wenn manchmal die Tonlagen etwas verschieden sind, im Grundsatz einig sein. Wir wollen ja auf einen Zustand des Friedens in Europa hinwirken, der es eines Tages erlaubt, die Deutschen im Rahmen einer europäischen Ordnung wieder zu einer staatlichen Gemeinschaft zusammenzufassen.
Wir wissen, daß noch viel Wasser den Rhein oder die Donau hinunterfließen wird, bis wir auch nur in die Nähe einer solchen Chance kommen. Darüber will ich heute auch gar nicht reden.Ich wiederhole: „... zu einer Zusammenarbeit zu gelangen, in der dem militärischen Faktor eine zunehmend geringere Bedeutung zukommen und die militärische Konkurrenz schrittweise durch friedlichere Formen des Wettbewerbs ersetzt werden soll".Ich stimme dieser Definition des Entspannungsbegriffs eines Anhängers dieser Entspannungspolitik der Bundesregierung zu. Aber die Schlußfolgerung stimmt doch nicht mehr. Es ist dem militärischen Faktor seit dem Ausbruch der Entspannungspolitik doch nicht eine geringere Bedeutung zugekommen; im Gegenteil, der militärische Faktor hat leider eine immer größere Bedeutung bekommen.Ich habe gehört, der Friede sei sicherer geworden. Ich sage es auch nicht ironisch: Vor zehn Jahren hat unter hundert Befragten höchstens einer gesagt „Ich habe Angst vor einem Krieg". Mitte der 70er Jahre waren es ein paar mehr. Vor Weihnachten, vor dem Einmarsch in Afghanistan, ergab eine Umfrage, daß jeder Fünfte Angst vor dem Krieg hat, nach den Ereignissen in Afghanistan jeder Dritte.Da muß man sich sagen: Da kann doch etwas nicht stimmen mit dieser Form und Vorstellung von Entspannungspolitik. Das kann doch nicht stimmen, da muß etwas falsch sein.
Es geht hier nicht um Rechthaberei.
Es ruft doch nicht derjenige die Gefahren hervor,der auf die Tatsachen hinweist. Die Gefahren kommen von den Tatsachen und den Tendenzen, nicht
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
von denen, die sie richtig erkennen und wahrheitsgemäß der Offentlichkeit mitteilen. Man soll die Dinge nicht auf den Kopf stellen.
Wäre die Politik der Sowjetunion anders verlaufen — wir wissen, was wir unter „anders" meinen: ohne Ungarn, ohne Prag, aber das war ja schon alles wieder vergessen, ohne Afghanistan —, dann könnten wir als Opposition landauf, landab wie die billigen Jakobe durch das Land ziehen, wir würden doch als Narren betrachtet, wenn wir dann von der „Gefährlichkeit der Sowjetpolitik" redeten, bloß deshalb, um uns mit einem parteipolitisch dicken Schädel durchsetzen zu wollen.Tatsache ist, daß uns die Tatsachen recht geben, daß nicht wir etwa durch politische Reden die Tatsachen geschaffen haben. Diesen Denkfehler sollte man in diesem Hohen Hause, aber auch draußen im Wahlkampf in diesem Jahr nicht machen. Ich scheue die Auseinandersetzung darüber nicht, aber sie dient niemandem, höchstens der Täuschung der Bürger.In der politischen Praxis der Sowjetunion ist dem militärischen Faktor in den letzten Jahren eine zunehmend größere Bedeutung zugekommen. Ich beteilige mich auch nicht an der nur für Primitive geeigneten Diskussion, ob die sowjetische Rüstung friedlich oder kriegerisch sei, ob sie defensiv oder aggressiv sei. Man kann die Rüstung einer Großmacht vom Zuschnitt der Sowjetunion nur zutreffend beurteilen, wenn man drei Kriterien gleichzeitig im Auge hat.Das eine ist das Potential. Das Potential ist im Laufe der letzten Jahre in einem atemberaubenden Tempo gewachsen. Der Einmarsch in Afghanistan hat — nach dem Urteil internationaler Militärfachleute — auch gezeigt, daß die technischen Pannen, die im August 1968 unterlaufen sind, fast ganz ausgebügelt worden sind. Dic Zusammensetzung des Potentials hat sich geändert. Es haben alle Komponenten, Land-, Luft- und Seestreitkräfte, Mittelstrekken- und interkontinentale Raketen, eine gewaltige qualitative und quantitative Verstärkung erfahren. Aber die Offensivkomponenten bei Land-, Luft- und Seestreitkräften sind wesentlich stärker als etwa die Defensivkomponenten forciert worden. Dabei bin ich mir der Schwierigkeit bewußt, bei Waffen zwischen Angriffswaffen und Verteidigungswaffen eine plausible, griffige Unterscheidung zu treffen. Aber die Fähigkeit, z. B. über große Strecken hinweg große Verbände, und zwar weit über den Bedarf der Sowjetunion hinaus, transportieren zu können, hat im Laufe der letzten Jahre dramatisch zugenommen. Die Amerikaner haben den Sowjets die strategische Parität zugestanden und meinten damit die nukleare Parität. Die Sowjets haben darunter etwas anderes verstanden, nämlich dieselbe weltweite Präsenz der Sowjets in allen fünf Kontinenten, wenn möglich, wie sie kurz nach dem Weltkrieg die Vereinigten Staaten von Amerika zeitweise gehabt haben. Dem Aufbau dieser weltweiten Präsenz dient das sowjetische Potential. Das sowjetische Potential erlaubt sämtliche militärischen Optionen. Es erlaubt einen Einmarsch in Afghanistan mit vielleicht fünfDivisionen und entsprechenden Ergänzungstruppen. Es erlaubt auch kleinste Aktionen. Es erlaubt subversive Aktionen. Und es würde auch erlauben — wenn auch unter unvorstellbaren Greueln, Opfern und Zerstörungen — den großen Konflikt zwischen den beiden Potentialen.Nun komme ich aber zur nächsten Kategorie. Das sind die Absichten der sowjetischen Führung. Ich behaupte nicht — das habe ich nie behauptet, und ich werde es auch in Zukunft nicht behaupten, und ich hoffe, daß ich damit wenigstens recht habe —, daß die Absichten der sowjetischen Führung etwa auf die Auslösung des Dritten Weltkrieges hinauslaufen. Darum war ich ja auch bei vergangenen Debatten in diesem Hause der Meinung, daß der Frieden in Europa trotz Berlin und trotz Mauer und trotz dem Gegenüber großer Militärpotentiale nach dem Zweiten Weltkrieg nie ernsthaft gefährdet war. Sicherlich gab es manchmal Zuspitzungen, um Berlin herum oder im Zusammenhang mit der Kuba-Krise. Wir wären dann davon selbstverständlich auch betroffen worden. Aber nur ein Narr könnte die Verdun-Strategie — damals von Falkenhayn —, eine Blutmühle und eine Knochenmühle zu schaffen und durch einen frontalen Angriff den Gegner zu schädigen, aber selber dabei ungeheure Verluste zu erleiden, hier in Erwägung ziehen. Eines testiere ich der sowjetischen Führung auch: Das sind keine militärischen Abenteurer, die wie Hitler in einer Mischung von Wahnsinn und Verbrechen nur die brutale Gewalt kennen und Erfolge auf dem Schlachtfeld einheimsen wollen.Jetzt komme ich zur dritten Kategorie, das sind die langfristigen strategischen Tendenzen. Hier bei den langfristigen strategischen Tendenzen ist die nahtlose Kombination von großrussischem Imperialismus und weltrevolutionärer Zielsetzung des Kreml unverkennbar.Dazu kommt natürlich noch die Klammerfunktion, mit den Truppen in der DDR über die Polen, die Tschechen und die Ungarn hinweg den eigenen Machtbereich zusammenzuhalten. Aber das ist etwas, was ich nicht gleichrangig hier nennen möchte.Also: das Potential erlaubt alles, die Intention möchte den Dritten Weltkrieg vermeiden, und die langfristige strategische Zielsetzung ist eine Kombination von großrussischem Imperialismus — auch aus der Zarenzeit — mit weltrevolutionärer Zielsetzung.Vor dem Hintergrund dieser Analyse muß man die sowjetischen Aktionen etwa von Mitte 1970 an sehen. Ich habe hier — Sie werden sich erinnern — am Vorabend der Konferenz von Helsinki — wenn Sie nachlesen: Gelächter, Hohn, Spott, auch in diesem Hause — vor dem drohenden Bürgerkrieg in Angola gewarnt. Das war im Juli 1975. Er brach aus im November 1975. Ich habe damals gesagt, daß Moskau mit seinen ungeheuren Waffenexporten in diese Region — Kongo-Brazzaville war der Landeplatz, später war es dann ja Angola selber — zur See und zur Luft die schwächste schwarze Freiheitsbewegung zur stärksten machen wird. Denn die Mehrheit der Schwarzen steht ohne Zweifel hinter Jonas
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15608 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
Sawimbi und nicht hinter Herrn Neto oder seinem Nachfolger Santos. Er war ja vor einigen Wochen in Bonn, ist allerdings von führenden Persönlichkeiten nicht empfangen worden.Seit der Mitte der 70er Jahre sehen wir doch diese Tendenz zum weltweiten Ausgreifen, zu einer weltweiten Operationsfähigkeit. Ich habe hier doch einmal gesagt, was heute kein Mensch mehr bestreitet, daß in Libyen ein riesiges Militärdepot steht, welches nicht für die Zwecke der algerischen oder libyschen Truppen bestimmt ist, sondern dafür, Verbände, die sozusagen nur als Personal eingeflogen werden, an Ort und Stelle ausrüsten zu können. Ich behaupte nicht, daß die Sowjetunion das tun wird. Aber sie schafft sich alle Voraussetzungen dafür, um in dem Krisengürtel vom Norden Afghanistans bis zum Süden Afrikas — und hier gehen ja Ost-West und Nord-Süd nahtlos ineinander über — eine Ausgangsposition zu haben, die ihr auch im Falle einer größeren militärischen Operation die Kontrolle über dieses Gebiet erlauben soll.Meine Damen und Herren, glauben Sie mir bitte, daß ich wirklich nicht die Absicht habe, die Führung der Sowjetunion etwa schlechtzumachen oder zu diffamieren oder sie als Kriegsverbrecher zu erklären. Das sind Kategorien, in die wir nach dem Zweiten Weltkrieg im Zusammenhang mit den Prozessen hineingekommen sind. Mir geht es nur darum, mich selbst ständig zu fragen: Habe ich mit dieser Analyse der sowjetischen Politik recht? Habe ich recht mit dieser Analyse der Zweckbestimmung des sowjetischen Militärpotentials, seiner weiteren Entwicklung und seines weiteren Ausbaus? Oder muß ich meine Meinung korrigieren? Das ist doch die für einen verantwortlichen Politiker einzig angemessene Haltung. Man darf nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen, wenn nebenan eine Tür ist; man darf auch nicht ohne Kopf durch die Wand rennen wie es bei manchen leider auch vorkommt.
Hier ist doch seit Mitte der 70er Jahre allerhand passiert. Es hat keinen Sinn, nur zu sagen, Entspannungspolitik mache den Frieden sicherer, zu ihr gebe es keine Alternative, sie solle unumkehrbar gemacht werden. Ich habe damit nur die Hauptsprüche zitiert, die wir im Laufe der letzten zehn Jahre über uns immer haben ergehen lassen müssen.Bundeskanzler Schmidt sagte vier Monate vor dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan in der berühmten Sendung „Der Bundeskanzler im Reichstag":... daß kaum jemand unserer Kritiker heute vor zehn Jahren geglaubt hat, daß die Entspannungs- und daß die Ostpolitik zu den gegenwärtig erreichten Ergebnissen überhaupt würde führen können ... da wird ja noch mehr im Laufe der nächsten Jahre erreicht werden, ... es ist auch für die andere Seite nicht alles ganz einfach ... insbesondere dann nicht ..., wenn sie von westlicher Seite einfach nur immer beschimpft wird.So der Bundeskanzler laut Protokoll. Jetzt frage ichmich: Ist das, was ich an Analyse über die strategischen Ziele der Sowjetunion sage, eine plumpe, die guten Beziehungen störende, die Entspannung verhindernde, die Atmosphäre vergiftende Beschimpfung? Oder ist die Wahrheit schon eine Beschimpfung?
Ich bemühe mich in der Frage nur, die Wahrheit zu finden und zu sagen und weder mich noch andere zu täuschen.Noch schöner war die Einfügung in der Neujahrsrede des Bundeskanzlers:Dabei können wir unsere Beunruhigung über das Vorgehen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in Asien und Afrika nicht verschweigen.Das ist es, was ich dem Bundeskanzler vorwerfe: daß er heute überhaupt keine echte Lageanalyse gegeben hat, daß er überhaupt nichts dazu gesagt hat.
Die Hinweise auf NATO-Beschluß, Beschluß des EG-Ministerrats, UNO-Beschlüsse usw. sind alle recht und schön; aber sie ersetzen doch nicht das politische Nachdenken und auch nicht die politische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. Ich hätte von diesem Bundeskanzler gern gehört, was er an, Gefahren und Risiken, an Aufgaben, Opfern und Lasten auf uns zukommen sieht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer weiß, wie die nächsten acht Tage oder die nächsten vier Wochen verlaufen. Aber wenn die Geiseln nicht freigelassen werden — wie wir darüber urteilen, braucht hier nicht wiederholt zu werden; wir haben alle das gleiche Urteil —, dann sind die Amerikaner gezwungen, zumindest ernsthafte Maßnahmen unblutigen Charakters zu verhängen — z. B. Blockademaßnahmen —, wenn diese Weltmacht nicht bis über den Grad der Selbsterniedrigung hinaus eine Demütigung auf sich nehme soll. Wenn das geschieht, beginnt eine Periode höchster Spannung, höchster Unsicherheit und können wirtschaftliche Folgen eintreten, die wir heute noch nicht zu überblicken vermögen.Es ist doch nun einmal so, daß der Krisengürtel vom Norden Afghanistans bis zum Süden Afrikas ein strategisch zusammengehöriges Ganzes bildet. Wir reden heute über die Folgen von Afghanistan. Wir haben vor elf Jahren über die Tschechoslowakei und die Folgen der Aktion gesprochen. Wann werden wir über die arabische Halbinsel sprechen und dann wieder hören, daß man mit Besorgnis auf die Entwicklung dort blicke? Wem dient denn der militärische Aufmarsch im Südjemen?Lassen Sie mich hier einmal in aller Deutlichkeit sagen: Die Welt schweigt zu dem Afrika-Korps des Herrn Honecker.
Ostdeutsche Soldaten der kommunistischen NVAgibt es in Angola mit ganz bestimmtem Auftrag —ich habe keine Zeit, es im einzelnen zu schildern —,
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gibt es in Mozambique, gibt es in Äthiopien, gibt es mit Sicherheit in Süd-Jemen. Dazu kommen Sowjetrussen; dazu kommen Kubaner. Was soll der militärische Aufmarsch im Süd-Jemen? Der Präsident von Nord-Jemen hat ja schon eine Annäherung vollzogen, weil er buchstäblich Angst hat. Er hat Angst. Und deshalb hat er ja die amerikanischen Waffenlieferungen nicht abgewartet, sondern sowjetische Waffen bestellt — im Glauben, daß er sich dann leichter behaupten könne; denn die Amerikaner wollen ihn ja bestimmt nicht stürzen.Was ist denn das Ziel? Das Ziel ist doch, die feudalistisch-monarchistischen Regime auf der arabischen Halbinsel durch sozialrevolutionäre Regime zu ersetzen. Der Herr Außenminister und die, die mit den Diplomaten jener Staaten ständig zu tun haben, wissen doch, welche Sorge dort herrscht, was die Zukunft von Kuweit, von Katar, von Oman, von Bahrein, von den Vereinigten Emiraten und von Saudi-Arabien betrifft.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zur geographischen Zuständigkeit der NATO sagen. Man muß ja unterscheiden zwischen der Geographie ihrer Mitgliedstaaten und den Sicherheitsinteressen, die auch im Vertrag niedergelegt sind. Da spielt ja auch der Begriff „nördlicher Wendekreis des Krebses" einschließlich der Flugzeuge und Schiffe, die sich nördlich des 22. Breitengrads befinden, eine große Rolle. Man wird doch um Gottes willen eines noch sagen dürfen: daß die Sicherheitsdefinition, die im Jahr 1949 gewählt worden ist, nicht mehr den heutigen militärpolitischen Verhältnissen entspricht.
Ich habe doch auch auf dem sicherheitspolitischen Kongreß der CDU/CSU nicht davon gesprochen, daß etwa Verbände der Bundesrepublik in diesen Gegenden irgendwo stationiert werden sollten. Die Welt würde vor Entrüstung aufschreien, wenn nur eine Einheit des Bundesgrenzschutzes zum Schutz deutscher Staatsbürger irgendwo eingesetzt werden würde. Aber sie nimmt das Honeckersche Afrika-Korps mit einer Gelassenheit und Selbstverständlichkeit zur Kenntnis, wie man eben sagt: Ein Raubtier muß halt rohes Fleisch fressen; das gehört eben zu seiner Art. Das ist doch eine ständige Interventionspolitik in Afrika, Angola, Mozambique mit Schwerpunkt Äthiopien! In Addis Abeba ist das Zentrum des sowjetischen Generalstabs für Afrika; eine Reihe sowjetischer Generäle und Marschälle sind dort, auch ein General aus der DDR befindet sich bei dieser Elite. Was machen die? Entwicklungshilfe? Karitative Förderung? Beziehungen und Vertiefung der Freundschaft zwischen den Völkern? Hier handelt es sich doch um ein Stück klassischer, ideologisch-revolutionär verbrämter, aber nackter, brutaler Machtpolitik, die hier getrieben wird.
Kann man diesen Krisengürtel vom Norden Afghanistans bis zum Süden Afrikas als eine Einheit ansehen? Es ist eine Einheit.
Die sowjetische Flotte wird 4500 km nach dem Süden verlegt, um ihren Operationsradius ohne weiteres in den Indischen Ozean, in das Horn von Afrika verlegen zu können. Sowjetische Truppen stehen infolge der Besetzung Afghanistans 500 km nördlich des Indischen Ozeans. Dazu kommen die Aufrüstung im Süd-Jemen, unterstützt durch Kubaner, Ostdeutsche und Russen, die Vorgänge in Äthiopien und die Vorgänge in Mozambique und Angola.Sind es Zufälle, daß der eine sagt, ich operiere da, und der andere sagt, ich gehe dafür in ein anderes Land? Nein. Das sind Bestandteile einer großartig angelegten — man müßte das, wenn man moralfrei reden könnte, mit großer Anerkennung sagen — globalen Machtstrategie, der gegenüber die Vereinigten Staaten von Amerika im äußersten Fall von Präsidentwahl zu Präsidentwahl, d. h. wenn die Folgen der einen Wahl überwunden sind und der Vorschatten der nächsten Wahl noch nicht wieder zu stark wird, dann gelegentlich eine kurzatmige hektische Gegenstrategie entwickeln. Was ich hier sage, ist nicht meine Meinung allein; es ist auch die Meinung des Herrn Kissinger, der sie ja bei verschiedenen Gelegenheiten — zum Teil in noch drastischeren Formulierungen — ausgedrückt hat.Was ist denn das Ziel dieser Strategie? Die Strategie belastet ja auch die Sowjetunion. Die letzte Getreideernte war miserabel. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind alles andere als glänzend. Wir wissen, daß die Erhaltung und laufende Modernisierung großer Militärapparate eine ungeheuere Belastung der Volkswirtschaft darstellen. Herr Genscher hat ja heute hier einige Zahlen genannt. Dabei sind die Personalkosten prozentual und absolut natürlich niedriger als bei den westlichen Armeen mit der ganz anderen Stellung ihrer Soldaten als Bürger in Uniform und der Entlohnung. Das ist doch eine drückende Last für die Sowjetunion. Die Sowjetunion gibt einen unvernünftig hohen Anteil ihres Bruttosozialprodukts für diese Rüstung, ihre laufende Modernisierung, Verstärkung der Angriffskomponenten aus. Da frage ich mich immer: Warum tun die Sowjets das, sind sie so dumm, daß sie den Schaden nicht merken, müssen wir ihnen helfen, es zu begreifen? Wir sollten bei kommunistischen Regimen nie übersehen, nie vergessen, daß die politische Zielsetzung Vorrang vor allen wirtschaftlichen Erwägungen hat.
Sie rechnen damit, daß die Welt auch nach Afghanistan wieder genauso schnell zur Tagesordnung übergeht, wie es 1968/1969 geschehen ist. Und ich sage es auch nicht aus Gehässigkeit oder parteipolitischer Polemik: Haben nicht Sie, Herr Brandt, und haben nicht die Fanatiker der forcierten Ostpolitik die moralische Rehabilitation der Sowjetunion nach dem Einmarsch in Prag ebenfalls geradezu forciert betrieben?
Man sage uns jetzt ja nicht wieder: Aha, Verträge hin und her. Ich bin der Meinung, pacta sunt servanda. Das wird mich nie dazu verleiten, über das hinauszugehen, was das Bundesverfassungsgericht an
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Grenzen festgelegt hat, und wird mich nie dazu verleiten, etwa die Anerkennung der Teilung Deutschlands in zwei Nationen als logische Folge dieser Verträge anzuerkennen. Die Verträge sind schlecht, aber sie sind gültig. Damit müssen wir leben. Das ist aber kein Grund, sie oder ihre Architekten nachträglich etwa zu rechtfertigen.Diese Verträge sind auch zu schnell zustande gekommen. Man wollte die Uhr der Geschichte vorstellen. Man wollte den Ablauf der Geschichte beschleunigen und hat damit den Kurs der Geschichte in die falsche Richtung gedrängt. Daran werden wir noch einmal denken müssen, weil wir auch dafür einen hohen Preis zu bezahlen haben werden.Aber warum nimmt das die Sowjetunion auf sich? Nur, um aus revolutionärem Idealismus heraus, aus weltanschaulicher Rigorosität heraus, das kommunistische System auf der Welt durchzusetzen? Na, hier sind doch großräumige Machtpolitik und weltrevolutionäre Zielsetzungen die zwei Seiten ein, und derselben Medaille. Die Sowjetunion nimmt dieses große wirtschaftliche Opfer auf sich, und die dortige Regierungsform erlaubt es ja auch, den Menschen mehr zuzumuten, als es in einer Demokratie möglich ist. Warum nimmt sie es auf sich? Weil mit dem Zugriff auf den Mittleren Osten, mit dem Zugriff auf die Erdölreserven des Mittleren Ostens und auf die Rohstoffquellen Afrikas Europa ohne einen Schuß politisch gefügig gemacht, d. h. erpreßt werden kann.Sind wir uns eigentlich darüber im klaren, wie erpreßbar wir sind? Man redet so viel von der Tragfähigkeit unseres Grundgesetzes. Sicherlich, es ist keine schlechte Verfassung. Man weist auf den Unterschied hin zwischen der Weimarer Republik mit der schlechten Weimarer Verfassung, mit ihrem Vielparteiensystem, mit dem Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten und mit dem Zerfall der damaligen deutschen Demokratie, betrieben von den beiden Extremen her, aber auch aus sich selbst heraus. Ich bin in der Weimarer Republik aufgewachsen. Das ist kein Verdienst von mir, sondern nur eine Tatsache. Wenn bei uns ein so hoher Prozentsatz der Bevölkerung über so viele Jahre hinweg wie damals an der Grenze des Existenzminimums leben, zum Teil sogar darunter vegetieren müßte, und wenn die finanzielle Not und Armut des Staates und aller öffentlichen Körperschaften bei uns eine Dauererscheinung über so viele Jahre hinweg wäre, wie es in der Weimarer Republik der Fall war, dann möchte ich heute nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, ob unsere sehr anspruchsvoll gewordene Komfortgesellschaft ein höheres Maß an Stabilität hätte. Denn Schönwetterdemokraten können wir leicht sein. Wir müssen auch einmal Schlechtwetterdemokraten zu werden lernen, und das schlechte Wetter zieht am Horizont herauf.
Unsere politisch-sozialen Systeme sind doch — Stichwort „Energie", Stichwort „Rohstoffe" — verwundbar, abhängig, erpreßbar. Ein geringfügiger Ausfall weiterer Erdöllieferungen oder auch eine geringfügige Verknappung der fünf für unsere moderne Industrie unentbehrlichen Rohstoffe und derweiteren dreizehn anderen Rohstoffe würde doch zu einer ungeheuren Arbeitslosigkeit bei uns führen, zu einer Arbeitslosigkeit, die es einfach unmöglich machen würde, das Netz der sozialen Sicherung in seiner heutigen Leistungsfähigkeit beizubehalten.Meine Damen und Herren, genauso; wie die Extremen damals die Weimarer Republik kaputtgemacht haben, versucht heute — das ist jedenfalls meine Deutung, und ich bin froh über den Tag, an dem ich sie ändern kann, aber ändern auf Grund meiner Überzeugung und nicht auf Grund einer Täuschung — die Sowjetunion, diesen Zustand herbeizuführen, um unsere politischen, gesellschaftlichen und sozialen Systeme zu destabilisieren. Wer die Hand auf Erdöl und auf Rohstoffen hat, ist der Herr Europas, auch ohne Mittelstreckenraketen.Warum dann Mittelstreckenraketen? Wir haben ja genug militärische Gründe gehört, und die sind auch in sich schlüssig. Einen Grund gibt es, von dem ich noch nichts gelesen habe, der aber meiner Meinung nach zusätzlich existiert: daß diese Installierung der Mittelstreckenraketen mit ihrem ja offensiven Charakter natürlich auch eine Einschüchterung an die Adresse der Europäer ist, damit sie nicht gemeinsam mit den Amerikanern ihre Lebenslinien, ihre lebenswichtigen Verbindungslinien im Mittleren Osten und in Afrika schützen.
Auch das ist eine Funktion dieser Mittelstreckenraketen: nicht die Zerstörung Europas, sondern die Lähmung und Einschüchterung Europas.
Ihnen, Herr Außenminister, möchte ich, was die Frage der militärischen Verteidigung westlicher Interessen betrifft, in einem Punkte recht und in einem anderen Punkte nicht recht geben. Recht geben möchte ich Ihnen darin, daß es nicht die Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland ist, hier in erster Front zu stehen. Das gilt aus den Gründen, die ich auch beim sicherheitspolitischen Kongreß der CDU/CSU genannt habe, wie sie sich einfach aus unserer Vergangenheit entwickelt haben.In einem Punkte aber teile ich nicht Ihre Auffassung, und zwar auf Grund meiner vielen Gespräche mit arabischen und afrikanischen Staatspräsidenten. Wir müssen diesen Leuten die Gewißheit geben, daß sie in der Stunde der Subversion, in der Stunde der künstlich entfesselten Bürgerkriege, in der Stunde des ,,Hilferufs der Freunde" — Sie wissen, was ich damit meine — von uns nicht alleingelassen werden.
Es war kein Geringerer als ein sehr bekannter afrikanischer Staatspräsident — ich glaube, ich darf den Namen nicht nennen —, der selbst Vorsitzender einer sozialistischen Partei ist, ein Mann, mit dem zusammen ich 1952/53 im ersten Europäischen Parlament war und dessen für afrikanische Verhältnisse demokratische Gesinnung und liberale Einstellung unbezweifelbar ist, der mir im Sommer letz-
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ten Jahres sagte: Ja, seht ihr denn nicht die Einschüchterung, seht ihr nicht, daß bei uns die nackte Angst umgeht? Wir haben ja Angst, uns für eine Politik einzusetzen, die im Widerspruch zu den Zielen der Sowjetunion steht. Es darf sich nicht der Eindruck verbreiten, daß der, der mit dem Westen verbündet ist oder dem Westen zuneigt, verloren ist,
daß ihm nur mehr Niederlage, Untergang und Tod drohen, daß aber dem, der mit der Sowjetunion verbündet ist, Sieg, Überleben, Macht und alle irdischen Güter, die mit dieser Macht verbunden sind, winken. Das ist doch das Problem, mit dem der Westen jetzt einmal fertig werden muß.
Ich weiß, daß wir hier in einer Zwittersituation sind, denn unsere ausländischen Freunde fragen uns: Ja, was tut denn ihr in der Bundesrepublik? Dann müssen wir sagen: Für uns ist die Ausgangslage nicht genauso, wie sie für andere europäische Länder oder gar für Amerika ist; uns ist größere Rücksichtnahme auferlegt. Ich halte keine naßforschen oder scharfmacherischen Reden. Wir müssen hier eine andere Arbeitsteilung finden; wir müssen dann, wenn möglicherweise in Europa dadurch militärische Lücken entstehen, daß Amerikaner und andere europäische Länder unsere weiträumigen Verbindungslinien und Lebenslinien sichern, eben, so schwer es uns fällt, die notwendigen Opfer bringen, um die in Europa entstehenden Lücken zu füllen. Ich drücke mich so vorsichtig und allgemein aus, wie ich es hier überhaupt nur sagen kann.Gerade aus dem Grunde darf aber die 50%-Lösung bei MBFR nicht vertraglich eingeführt werden. Die Sachkundigen wissen, was damit gemeint ist.
Wenn die militärische Präsenz europäischer Länder im Mittleren Osten oder in Afrika, nicht zum Zwecke kolonialistischer Expeditionen, sondern zum Zwecke des Schutzes unserer Freunde, erforderlich wird, dann darf in Europa nicht ein Loch in der Verteidigung entstehen. Aus dem Grunde können wir nicht mit einer Bestimmung einverstanden sein, daß die Streitmacht eines beteiligten Staates nicht mehr als 50 % der in diesem Raum wirkenden Truppen stellen darf. Damit würden wir wieder die Gefangenen unser eigenen Illusionen und euphorischen Vorstellungen werden.
Ich glaube nicht, daß ich mich hier von dem Herrn Außenminister unterscheide, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Ob das aber innerhalb der Bundesregierung so einheitlich ist, ist eine andere Frage.
Man muß schon viel Sinn für Humor haben — beinahe hätte ich gesagt: für schwarzen Humor —, Herr Kollege Willy Brandt, wenn man von Ihnen liest, die Ereignisse in Afghanistan bewiesen, daß man zuwenig an Entspannung habe, nicht zuviel an Entspannung. Zuviel an richtiger Entspannung kann mangar nicht haben. Ein Zuwenig an falscher Entspannung ist aber weniger gefährlich als ein Zuviel an falscher Entspannung.
Das würde doch, wenn ich Ihr Interview im „Kölner Stadtanzeiger", wie gesagt, ernst nehmen könnte, heißen: Die Sowjetunion hat sich in das afghanische Abenteuer gestürzt, weil ihr noch nicht genug Entspannung angeboten worden ist. Die Armen!
Gegen ihren Willen, widerstrebend, eigentlich von Friedenssehnsucht erfüllt, allen Völkern das Beste wünschen, sind sie durch ein Zuwenig an Entspannung — und wir sind schuld daran, daß wir zuwenig Entspannung angeboten haben — in die eisigen Wüsten Afghanistans getrieben worden. Eine höchst merkwürdige Vorstellung!
Es gibt doch nicht den geringsten Zweifel, daß wir z. B. von der Sowjetunion ein hohes Maß an Lob für unsere Entspannungspolitik bekommen hätten, wenn sich im Dezember letzten Jahres die Bundesregierung und die Parteien, die politischen Kräfte dieses Hauses, gegen die Fassung und Durchführung eines solchen NATO-Beschlusses gewandt hätten. Es ist eigenartig, wir müssen Dinge aus unserem Lebensinteresse heraus tun, die von der anderen Seite als schwerer Schlag gegen die Entspannung bezeichnet werden. Das müßte doch für jemanden, der logisch denken kann, eigentlich Anregung sein, ernsthaft darüber nachzudenken. Denn die Bundesregierung — und wir, die wir diesen Nachrüstungsbeschluß begrüßt und für leider unvermeidlich gehalten haben — hat doch diesem Beschluß nicht zugestimmt, weil es der Berliner Parteitag der SPD wollte oder weil einige Kollegen dieses Hauses ihn stürmisch verlangt haben, sondern sie hat doch diesem Beschluß zugestimmt, weil sie keine andere Möglichkeit sah. Sie mußte diesem Beschluß zustimmen in dem Wissen, daß das zur schwersten Vertrauenskrise zwischen West und Ost und zu einem Zusammenbruch der bisherigen Entspannungseuphorie und Entspannungsillusion führen muß. Diese Bundesregierung hat doch mit dem Ja zum NATO-Beschluß, für das wir sie loben und nicht tadeln, der Entspannung in Europa, wie wir sie bisher immer serviert bekommen haben, einen schrecklichen Schlag versetzt. Was Herr Samjatin heute abermals sagte, ist doch nichts anderes: Entweder widerruft ihr diesen Beschluß, oder wir verhandeln nicht über Rüstungskontrolle und Abrüstung. Ob das das letzte Wort der Sowjetunion ist, ist eine andere Frage, zu der ich jetzt nicht Stellung nehmen will.Wohl will ich aber noch Stellung nehmen zu dem Problem der Teilbarkeit oder Unteilbarkeit der Entspannung. Ich habe dem Herrn Bundeskanzler von diesem Platz aus — ich habe es in den letzten Tagen nachgelesen — in einer Reihe von Reden schwere Vorhaltungen gemacht, bis hin zu dem Begriff der Geschichtsblindheit, den ich verwendet habe, wenn er von der Teilbarkeit der Entspannung sprach. Natürlich ist der Spannungsgrad unterschiedlich. Er ist deshalb unterschiedlich, weil an der Grenze von Lü-
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Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
beck bis Passau eine militärische Aktion sofort größte Risiken mit einer Steigerungsautomatik hervorruft, die niemand unter Kontrolle halten kann. Darum war der Frieden hier eigentlich immer ziemlich sicher — soweit er überhaupt auf dieser Welt und angesichts der Teilung dieser Welt sicher sein kann. Aber anderswo liegen die -Dinge eben anders. Anderswo sind militärische Aktionen oder Unterstützungen militärischer Aktionen ohne ein ernsthaftes Risiko für die Sowjetunion möglich gewesen. Jetzt geht es darum — und um nichts anderes —, den Sowjets durch die Gegenmaßnahmen klarzumachen, daß sie ihre Truppen aus Afghanistan zurückziehen muß und daß sie sich keine weitere Aktion in der Welt mehr erlauben darf, weil sonst die Entspannungspolitik wirklich endgültig zusammenbricht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestern ist in der „Prawda" ein interessanter Artikel erschienen. „Prawda": Bonn sollte Entspannung vorantreiben. Die sowjetische Parteizeitung „Prawda" hat die Bundesrepublik aufgefordert, die Entspannungspolitik fortzusetzen. Dies sei zum Nutzen sowohl der Bundesrepublik als auch des übrigen Europa. Sie schreibt — so die „dpa''-Meldung im Wortlaut —:Die Unberechenbarkeit der gegenwärtigen Politik Washingtons macht diese für Westeuropa besonderes gefährlich... In der Bundesrepublik verknüpft die regierende Koalition ihre Chance bei der bevorstehenden Bundestagwahl mit der seit zehn Jahren andauernden Entspannungspolitik in Europa.
Hier ist die Nahtlinie ganz aufgezeigt. Man stellt einen Interessenunterschied zwischen Amerika und Europa heraus, der graduell da oder dort vorhanden ist, aber im Prinzip nicht vorhanden ist; man testiert den Amerikanern eine abenteuerlich-verbrecherische Politik militärischer Risikobereitschaft und militärischen, geradezu frevelhaften Leichtsinns, um den Europäern zu sagen: Aber ihr könnt die Früchte dieser Entspannungspolitik weiterhin genießen, wenn ihr euch von diesem verbrecherischen Treiben der Amerikaner absetzt. Das ist doch der Sinn dieses Artikels in der „Prawda''. Auch das ist etwas, was zu dem Begriff „sowjetische Vorstellung von Entspannungspolitik" gesagt werden muß.Wenn wir Europäer unsere Pflichten solidarisch, Schulter an Schulter mit den Amerikanern erfüllen, dann werden wir von der anderen Seite immer wieder der Störung und Zerstörung der Entspannungspolitik bezichtigt werden. Darüber sollte hier doch wenigstens die Kraft der Einsicht vorhanden sein; denn Entspannung kann doch nicht von einem Partner definiert und diktiert werden. Da müssen auch wir ein Wort mitreden und deutlich machen, was nach unserer Meinung Entspannung bedeutet.Entspannung bedeutet: Mehr Rechte und Freiheiten für die Menschen im anderen Teil Deutschlands und Europas. Entspannung bedeutet: Aufhebung des Schießbefehls. Entspannung bedeutet: Normalisierung im Sinne der Anerkennung der demokratischen Grundrechte des Bürgers und seiner Entscheidungsfreiheit. Aber kaum sagt man das, wird man schon als „Kalter Krieger", als „Hetzer", als „Entspannungsfeind" und als „Friedensgegner" von dieser Propagandamaschine diffamiert. Was wir tun dürfen und nicht tun dürfen, wird uns vom Entspannungspartner diktatorisch definitiv auferlegt.Entspannung, meine Damen und Herren, hört auf, wenn das militärische Gleichgewicht nicht mehr da ist. Entspannung darf niemals zu einer politisch-psychologischen Neutralisierung oder gar etwa zu einem Abbau des Verteidigungswillens beitragen. Es war doch einer der großen Fehler, deren sich die Regierungen in den 70er Jahren schuldig gemacht haben, daß sie das Problembewußtsein im Zusammenhang mit dem wahren Charakter und den wahren Absichten unseres Entspannungspartners in unserer Offentlichkeit eingeschläfert, betäubt und zerschlagen haben. Dieses Problembewußtsein muß jetzt wiederhergestellt werden.
Die Wiederherstellung dieses Problembewußtseins heißt nicht Schürung eines Feindbildes, heißt nicht Denken in Kategorien von Freund und Feind. Aber es ist auch unerträglich, daß Entspannungspolitik in der Art, wie sie 1969/70 begründet worden ist, nur getrieben werden kann, wenn man den eigenen Verstand bei der Garderobe ablegt und jede geschichtliche Erfahrung zurückweist.
Darum hat diese Entspannungspolitik zu völlig falschen Vorstellungen geführt. Darum steht man doch heute vor einem Scherbenhaufen der Illusionen. Man hat Entspannungspolitik als innenpolitische Waffe gegen die Opposition ausnutzen wollen, so wie die „Prawda'' gestern ja auch schrieb, daß die Koalition ihr Schicksal mit dieser Entspannungspolitik verbunden habe. Wir sollten unser politisches Schicksal schon mit der echten Entspannungs- und Friedenspolitik verbinden, aber wir sollten aufhören, euphorische Entspannungspolitik als Monopol einer Koalition im innenpolitischen Kampf als Instrument und Waffe gegen andere demokratische Parteien zu verwenden.
Wenn diese Warnungen verstanden worden sind, werden wir wieder zu einer nüchternen, illusionsloseren, saubereren Außenpolitik — vielleicht wieder in Gemeinschaft, wie wir sie ja über einige Jahre in diesem Hause hatten — in der Bundesrepublik Deutschland kommen können.Darf ich Ihnen zumuten, nur einen Satz anzuhören? Am 27. Mai 1970 habe ich in diesem Hohen Hause gesagt:Sie haben davon gesprochen, „den Frieden sicherer machen" — den Frieden sicherer machen, als er jetzt ist. Ich habe ernsthafte Zweifel, ich befürchte, daß Sie den Frieden nicht sicherer machen, sondern daß Sie ihn unsicherer machen, weil der Schatten Moskaus über Europa von Jahr zu Jahr länger wird, wenn die entscheidende zentrale Macht dieses Kontinents diese Politik fortsetzt, ...
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15613
Ministerpräsident Dr. h. c. Strauß
Ich habe im Jahre 1976 gesagt — auch in diesem Hohen Hause —: Ich bin überzeugt, daß wir jetzt in die gefährlichsten Jahre der Nachkriegszeit eintreten. — Ich gebe mich keinem Zweifel hin, daß die 80er Jahre dieses Jahrhunderts, das neunte Jahrzehnt, das dritte kritische Jahrzehnt in diesem Jahrhundert werden, so wie das zweite Jahrzehnt und das fünfte Jahrzehnt mit dem Vorläufer 1939 kritische Jahrzehnte waren.Dann erhebt sich doch die Frage, die man oft ein bißchen belehrend stellt: Kann man aus der Geschichte lernen? Die geschichtlichen Abläufe wiederholen sich nicht exakt. Es gibt aber immer wieder Verkettungen von Ursache und Wirkung, aus denen man in der Geschichte lernen kann. Wir müssen dafür arbeiten, daß nicht die Faszination des demokratischen Rechtsstaates, 25 Jahre als Selbstverständlichkeit, genossen, zu verblassen beginnt. Es ist nicht Aufgabe der Älteren, der jüngeren Generation ein Feindbild zu vermitteln, wohl aber, ihr die geschichtliche Wahrheit zu vermitteln, auch die geschichtliche Wahrheit, was Friedens- und Entspannungspolitik in Wirklichkeit bedeutet.
Deshalb habe ich die Bitte, daß der Bundeskanzler sich mit der Opposition zusammensetzt, um die Konsequenzen aus der gegebenen und aller Wahrscheinlichkeit nach auf uns zukommenden Lage rechtzeitig zu besprechen. Die Kritik, die ich hier geübt habe, entspringt weder parteipolitischer Beckmesserei noch persönlicher Rechthaberei. Sie entspringt vielmehr tiefer Sorge. Ich bitte, ruhig einmal einem Politiker, der nicht nur wilder Kämpfer an der Front ist, sondern der auch Familienvater ist und der weiß, was Krieg bedeutet, weil er selbst sechs Jahre in dem letzten Kriege dabei war, die tiefe Sorge abzunehmen, daß wir über die nächsten Jahre mit Sicherheit hinwegkommen. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist der Friede so fragil geworden, so brüchig geworden, ist die Decke so dünn geworden wie nach der Entwicklung der letzten Jahre.Dieses zu erkennen — gleichgültig, ob das parteipolitisch nützlich oder schädlich ist; das sind dann keine Kategorien mehr —, dieses der Öffentlichkeit klarzumachen, damit sie psychologisch und geistig gerüstet in diese Belastungen geht, sind die wahren Aufgaben eines demokratischen Politikers heute, die weit über etwa die Vorbereitung für eine künftige Wahl und die zu errechnenden Wahlchancen hinausreichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in diesen Tagen und Wochen viel von westlicher Solidarität die Rede. Wenn das eine Frage wäre, dann könnte die Antwort, meine Antwort, unsere Antwort darauf nur ein unmißverständliches, eindeutiges, nachdrückliches,ja leidenschaftliches Ja zur westlichen Solidarität sein.
Das wirft dann auch die andere Frage auf: Was ist mit der Solidarität im eigenen Hause? Weil ich mich auch damit befassen will, möchte ich dem bayerischen Ministerpräsidenten nicht auf dem Wege der Polemik folgen.
Das waren heute eh nur Einsprengsel, verglichen mit den Passagen des Kollegen Kohl. Was er in Ableitung vom „Kölner Stadtanzeiger" gesagt hat, war unter Niveau. Auf das, was er in bezug auf das Jahr 1968 sagte, als wir gemeinsam in einer Regierung gesessen haben, werde ich allerdings noch zurückkommen müssen.
Die Regierung, der Bundeskanzler, der Bundesaußenminister, ihre Kollegen haben nicht Tadel, sondern Lob dafür verdient, daß sie sich nicht in einen Sog steriler Aufgeregtheit haben hineinziehen lassen.
Ich halte die Eingangspassage der Rede, die der bayerische Ministerpräsident soeben gehalten hat — zum Schluß klang das noch einmal an — für bemerkenswert. Ich habe sie nicht für die Regierung zu beantworten. Ich selbst halte es im Grunde in einem demokratischen, parlamentarisch-demokratischen Staat für eine Selbstverständlichkeit, daß diejenigen, die für die Regierung verantwortlich sind, und diejenigen, die für die Opposition verantwortlich sind, überhaupt, aber gerade auch in ernsten Zeiten — dies sind gewiß ernste Zeiten — miteinander reden und nicht nur zufällig miteinander reden.Für die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ist es jedenfalls gut, zu wissen, daß sie sich — so sehe ich das — in kritischer Zeit auf eine besonnene und auf eine solide Führung der Regierungsgeschäfte verlassen können.
Die Welt sieht anders aus, als sie sich manche draußen, auch manche in diesem Haus vorstellen. Aber über eines bräuchten wir nicht zu streiten: Wir als Deutsche gehören zu jener übergroßen Mehrheit der Vereinten Nationen — jener Vereinten Nationen, über die hier nicht immer so freundlich wie heute geredet worden ist —,
die den Abzug der fremden, d. h. der sowjetischen Truppen aus Afghanistan verlangt hat. So haben es gestern auch unsere Kollegen im Europäischen Parlament vertreten. So vertreten wir es gemeinsam mit meinen Freunden Bruno Kreisky in Österreich, François Mitterrand in Frankreich, Bettino Craxi in Italien und Olof Palme in Schweden. Die Haltung
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Brandtder europäischen Sozialdemokraten ist eindeutig; sie bedürfen keiner Belehrungen,
zumal dann nicht, verehrter Herr Kollege Kohl und Herr bayerischer Ministerpräsident, wenn eigene Vorschläge auf sich warten lassen. Es ist auch nicht so leicht. Von Ihnen wird im Grunde nur gesagt: Wir möchten das etwas besser machen. Das ist Ihr gutes Recht. Und wenn Sie den Auftrag der Wähler bekommen, wer wollte Ihnen das dann streitig machen? Wir werden uns bemühen, daß Sie diesen Auftrag nicht bekommen.
Aber wir sollten uns die Mühe machen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, mehr darüber nachzudenken, was Solidarität in dieser Zeit konkret bedeuten könnte und sollte. Eines steht für mich fest: Die ja nicht nur auf Interessen beruhende Verantwortung der Weltmacht USA reicht weiter als die der Bundesrepublik Deutschland oder die unserer europäischen Nachbarn. Eigentlich konnte es auch keine Überraschung sein, daß die Bundesregierung bereits vergangene Woche auf gewisse objektive Gegebenheiten hinwies, objektive Gegebenheiten, die es z. B. unmöglich machten, machen würden, einfach parallele Maßnahmen zu solchen der Vereinigten Staaten von Amerika in Aussicht zu nehmen. Aber selbst wenn dies möglich wäre, müßte zusätzlich immer noch überlegt werden, ob es auch sinnvoll wäre. Können wir, so frage ich das Hohe Haus, den Vereinigten Staaten, unseren Freunden, unseren Hauptverbündeten, dem Kern, wie der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister noch einmal gesagt haben, des westlichen Bündnisses, also den Vereinigten Staaten und ihrem Präsidenten nicht am meisten dadurch helfen, daß wir, wenn es irgend geht, Eurpa nicht auch noch zum akuten Krisengebiet werden lassen,
mit anderen Worten: daß wir versuchen, die Politik der Beherrschung und Eindämmung von Konflikten — so schwer dies zur Zeit und zuweilen sein mag — trotz allem weiterzuführen? Wem würden wir wohl damit helfen, wenn wir dazu beitrügen, ein mittelasiatisches und ein gewissermaßen Ost-SüdProblem ausdrücklich zu europäisieren?
Das haben wir ja nicht einmal bei Vietnam gemacht. Es sind ein paar Kundige im Saal. Ich sehe den früheren Bundesaußenminister Gerhard Schröder, der weiß, wie stark damals die Versuchung war — durch die ja verständlicherweise starken Einwirkungen der Vereinigten Staaten —, jedenfalls — so hieß es dann zum Schluß — ein Sanitätsbataillon zu schikken.
Der bayerische Ministerpräsident hatte recht, als er heute, wie ich es aufgefaßt habe, unpolemisch und to whom it may concern, an jedermanns Adresse, gesagt, daß niemand ein unfehlbares Konzept habe. Aber ich meine, der bayerische Ministerpräsident hatte auch recht, als er auf einer Veranstaltung seiner Partei — seiner Schwesterpartei oder Bruderpartei, ich stelle anheim — am Sonntag — nachzulesen in einer überregionalen Zeitung am Montag früh — betonte, es ausdrücklich auch für notwendig hielt, zu betonen, er sei kein Befürworter weltpolitischer Abenteuer. Aber: Wie verhält es sich dann damit, daß Herr Strauß dort — ebenso nachzulesen in der Zeitung am Montag — denjenigen seiner Kollegen hier im Hause und anderso ausdrücklich zustimmte, die betont zugespitzt, aufdringlich über eine Ausdehnung des Tätigkeitsbereichs der NATO reden? Ich sage, verehrter Herr Ministerpräsident, auch nach Ihrer heutigen Interpretation: Dies ist ein Spaltpilz für das Atlantische Bündnis, so wie es ist.
Jeder, der es mit dem Bündnis ernst meint, darf nicht an seinen Grundlagen rütteln. Er kann ihm etwas hinzufügen, andere Dimensionen, die nicht diesen Vertrag ändern.Mich hat ein Kollege, bevor ich hier heraufging, noch einmal darauf aufmerksam gemacht, daß ich, bevor ich Berliner Bürgermeister wurde, hier im Hause Berichterstatter zu den Verträgen im Jahre 1953 war und welche Rolle damals — das kann man in meinem eigenen Bericht nachlesen — dieser Punkt des Tätigkeitsbereichs, wie es jetzt genannt wird, gespielt hat. Es besteht weiterhin Anlaß — auch nach den im wesentlichen sachlichen Reden, die wir gehört haben —, vor Kurzschlüssen und natürlich erst recht vor Abenteuern auf der Hut zu sein.Es ist richtig, gerade in einer Situation zusätzlicher Konflikte in anderen Teilen der Welt, die dann ja immer zu weiterreichender Konfrontation führen können, das Gespräch mit den Verantwortlichen in der Sowjetunion und in den mit ihr verbundenen — ich hätte auch sagen können: verbündeten — Staaten nicht abreißen zu lassen.
— Um so besser. Der Zuruf des Kollegen Mertes war— mir liegt daran, daß das Haus weiß, wozu ich „um so besser" gesagt habe —: „Wer will das denn?"
— Ich möchte das jetzt fortführen. Wir können das nachher wieder aufnehmen.
Wem wäre denn wirklich damit gedient, wenn zu den gefährlichen Wirren im Mittleren Osten eine Ost-West-Krise in unserer Region hinzukäme? Ich weiß aber auch: Dies ist nicht eine Situation, wo man wie ein preußischer Unteroffizier den Mannschaften einfach sagen kann: Weitermachen! Dies ist eher eine Situation, in der einer, der auch ein bißchen mit den Dingen zu tun gehabt hat, aus tiefer Sorge sagt:
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15615
BrandtVielleicht geht es bald darum, zu retten, was für unser Volk und für andere zu retten ist.Ich habe mit innerer Bewegung gelesen, was heute vormittag der Mann gesagt hat, der im Schöneberger Rathaus auf dem Stuhl sitzt, auf dem ich zehn Jahre lang gesessen habe. Dietrich Stobbe hat gesagt — nein, er hat gefordert —, trotz der Konflikte in der Welt alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Bestand der Entspannung in Europa mindestens zu sichern. Er hat hinzugefügt, nur eine konstruktive Grundhaltung in der Entspannungspolitik sei geeignet, Konflikte in anderen Regionen eindämmen zu helfen. Der Regierende Bürgermeister hat recht.
Ich bin im übrigen dafür — und bitte, auch das ruhig anzuhören —, Generalsekretär Breschnew beim Wort zu nehmen, nämlich bei seinem Wort vom Rückzug, so verklausuliert das der Welt auch am 12. Januar 1980 übermittelt wurde.Solidarität im westlichen Bündnis und mit unseren Verbündeten bedeutet für mich nicht Fortführung von irgend etwas, sondern Fortführung einer überaus schwierigen, auch risikoreichen, gefährdeten, aber in einigen Kernbereichen erprobten Politik, auch und vor allen wo es um die Begrenzung von Truppen und Rüstungen geht. Wenn wir von uns aus SALT aufgäben — da kann man ja nur hoffen, daß der Bundeskanzler recht hat mit dem zu vermutenden Verhalten, einem adäquaten Verhalten, sage ich jetzt einmal, beider Weltmächte, als ob der Vertrag unterschrieben wäre; sonst muß das neue, gewaltige Schraubenumdrehungen auslösen —, wenn wir von uns aus das, was in Wien vor sich geht, das, was in Madrid Ende des Jahres vor sich gehen soll, aufgeben würden, wem wäre damit gedient? — Niemandem wäre damit gedient. Das gilt erst recht für die Regelung praktischer un humanitärer Fragen zwischen den beiden deutschen Staaten. Ich bin skeptisch, wenn ich mir angucke, was sich in den nächsten Monaten entwickeln kann, aber ich bin dafür, daß Bundeskanzler Schmidt, wenn es dann noch irgend geht, und der erste Mann in der DDR einander begegnen. Ich nenne dies an erster Stelle, ohne die Kleiderordnung zu verwechseln, was die Mächte angeht.Ich sage an zweiter Stelle: Ich bin dafür, daß das Gespräch mit der Sowjetunion und mit Polen — ich sage „Polen" unterstrichen — und mit anderen weitergeführt wird.
Ich bin dafür, so hoffnungslos das im Moment aussehen mag, daß in Wien allen Schwierigkeiten zum Trotz die Thematik der Begrenzung von Truppen und Rüstungen in der Mitte Europas weiter erörtert wird. Ich bin dafür, daß man die Vorbereitungen für das zweite Folgetreffen der Helsinki-Konferenz in Madrid nicht aufgibt, so skeptisch ich bin — diese Skepsis hat ganz andere Gründe; sie war bei mir da,bevor es Afghanistan gab —, ob es Ende dieses Jahres damit anfängt.
Aber ich bin noch für etwas anderes. Wir wissen: Die Sowjetunion sagt, sie wolle nicht über die Note der NATO sprechen. Diese Note ist ihr bisher übermittelt worden. Der Westen hat gesagt, er wolle nicht über das reden — jedenfalls nicht zu dem Zeitpunkt —, von dem wohl die Sowjetunion meint, es enthalte ein Stück Verhandlungsangebot Breschnews. Das war im Oktober.Aber vielleicht denken beide Seiten und andere mit ihnen noch einmal darüber nach, daß es irgendwo einen französischen Vorschlag bezüglich der europäischen Sicherheit unter Einbeziehung der Amerikaner gibt und daß es deutsche Überlegungen und Überlegungen anderer gibt, wie man aus einer zweiten Folgekonferenz dessen, was in Helsinki begann, etwas ableiten könnte, was sich auf militärische und andere vertrauensbildende Maßnahmen ausdehnen könnte.
Diese Frage stelle ich.Es ist klar, meine Damen und Herren, daß wir eine weltweite Entspannung erstreben
und schon deshalb erstreben müssen, da sich aus dem Berührtsein der Weltmächte immer auch die Eskalation zunächst begrenzt erscheinender Konflikte ergeben kann, und dies in einer Zeit, ich sage dies behutsam, aber ich hoffe, jeder wird mich verstehen
— ich kann nichts dafür, daß es einigen schwerer fällt als anderen in der auch die Supermächte zum Teil erst noch die bittere Erfahrung machen müssen, daß trotz aller Anhäufung der Rüstungen auch ihre Macht nicht unbegrenzt ist.
Ebenso klar ist es, daß wir unserer Politik nicht die Maxime „Alles oder nichts" zugrunde legen können. Ich wiederhole hier, was ich an anderer Stelle in Anlehnung an meinen Freund, den österreichischen Bundeskanzler, gesagt habe: Die Sowjetunion hat sich in Afghanistan in eines der am wenigsten zu Ende gedachten Abenteuer eingelassen.
Sie wird mit ihrer gewaltsamen Aktion eine Rückkehr zum islamischen Fundamentalismus — das istnämlich noch mehr als moslemischer Nationalismus
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15616 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Brandt— auch in Afghanistan und anderswo auf die Dauer kaum verhindern können.
Ich spreche nicht von diesem Augenblick.Zugleich hat sie sich in der Dritten Welt viele Sympathien verscherzt. Diese Aktion — dafür spricht viel — wird ihren Urhebern keinen wirklichen Vorteil bringen. Ein amerikanischer Sachverständiger hat gestern von einem historischen Fehler gesprochen. Das ist jemand, den auch einige von Ihnen kennen: Marshall Shulman, der die Vereinigten Staaten, ihren Präsidenten, ihren Außenminister berät. Er hat von einem historischen Fehler gesprochen, der, so sagt er, schon in den nächsten Monaten den Kreml zu einer Änderung seiner Politik veranlassen könnte. Aber in beiden Richtungen: entweder noch mehr in militärische Operationen in der Region hinein — oder sonstwo, Region im weiteren Sinne — oder Überprüfung in der aus unserer Sicht günstigeren Richtung.Ich will noch eine Bemerkung machen, die den Bundeskanzler betrifft, der jetzt aus Gesundheitsgründen nicht da sein kann. Ich hätte gewünscht, er wäre schon Dienstag auf den Rat seiner Ärzte hin zu Hause geblieben. Aber er hat es für richtig gehalten, heute morgen hierherzukommen. Ich denke, seine politischen Freunde und viele draußen im Volk wissen das zu schätzen, daß er das gemacht hat, obwohl es ihm nicht gut geht.
Der Bundeskanzler ist mit Sottisen überzogen worden, was seine Neujahrsansprache und den behutsamen Satz angeht, der eingefügt wurde. Verehrte Kollegen — Kohl in diesem Fall, der jetzt nicht da sein kann, und der bayerische Ministerpräsident —, können Sie sich denn vielleicht mal Gedanken darüber machen, warum die Vereinigten Staaten von Amerika zwei Tage gebraucht haben, nachdem sie wußten: die Russen sind da, ehe sie sich überhaupt dazu geäußert haben? Können Sie sich daraus einen Vers machen? Können Sie vielleicht in Ihre Betrachtung mit einbeziehen, daß einer der in den Vereinigten Staaten Erfahrensten, der Professor und frühere Botschafter George Kennan, in einem Beitrag für die „Zeit" am 4. Januar — allerdings vor Afghanistan, aber auf die Region bezogen, sagt: ein afghanisches Regime — Herr Kohl sagte heute früh von ihm, es sei doch auch schon ein kommunistisches gewesen —, das am Rande seines Sturzes durch Guerillas im eigenen Lande dahinvegetiert. Er brachte das als ein Argument dafür, daß die Russen nicht überall so weit vorangekommen sind und so stark dastehen, wie es manche uns erzählen. Aber darauf komme ich gleich noch zurück.Es ist auch sonst vieles zu bedenken, u. a. eine gewisse Interdependenz der Reaktion Pakistans und Indiens. — Ich habe mit Freude gehört, daß über beide Länder etwas gesagt wurde. — Das wird nicht einfacher dadurch, daß es eine andere Brücke zwischen Libyen und Pakistan gibt und nicht nur einwestliches Interesse daran, mit Pakistan voranzukommen.
Ich will noch etwas hinzufügen, was im Augenblick wenig hilft, was ich aber doch nicht unausgesprochen lassen will. Herr Strauß sprach hier von Geschichte. Es ist geschichtlich jedenfalls nicht neu, daß es aus russischer Sicht seit langem Probleme an der Südgrenze gibt. Die Schwierigkeiten schwingen ja im Hintergrund auch mit, die Schwierigkeiten zwischen Rußland und China, sage ich jetzt einmal bewußt; ich nehme jetzt nicht die Zusatzbezeichnungen der heutigen Staatsformen. Die Schwierigkeiten zwischen Rußland und China sind bekanntlich viel älter als die, welche sich unter den Generalsekretären Breschnew und Hua darstellen.Die deutschen Sozialdemokraten — ich will es noch einmal ganz klarmachen — lassen keinen Zweifel daran, wie sie zur Invasion in Afghanistan stehen. Doch wäre es unsinnig, wollte man hier oder anderswo die Konsequenz daraus ziehen, man dürfe willkürlich gefährden, was im Laufe von Jahren für die Menschen in Europa immerhin hat erreicht werden können.
Es würde die Chancen, die Krisen um Iran und Afghanistan friedlich beizulegen, nicht erhöhen, sondern stark vermindern, wenn wir die Grundsätze unserer Politik aufgäben.Ein zusätzliches Wort zum Geiseldrama. Es gibt vermutlich viele, die wie ich von der extremen Disziplin tief beeindruckt sind, mit der Präsident Carter diese schrecklich bedrückenden Vorgänge bisher durchgestanden hat.
Wenn es etwas helfen könnte, dann würde ich hier noch einmal etwas unterstreichen wollen, was ich im November für politische Freunde über die Grenzen des eigenen Landes hinaus habe sagen können. Es war dies: Der Kampf für die Unabhängigkeit eines Volkes und für die Verwirklichung seiner sozialen Gerechtigkeit dürfte nicht durch Aktionen herabgemindert werden, die die Würde des Iran ebenso in Zweifel ziehen wie die Integrität derer, die gegen den Schah gekämpft hatten; — und sie hatten ja recht.
Ich hoffe, bei allen Maßnahmen, die für unvermeidbar gehalten werden, schwindet nicht aus dem Blickfeld, wie sehr uns an guten Beziehungen zur iranischen Nation liegt und für wie wichtig wir es deshalb halten, daß keine Brücken zerstört werden, sondern daß objektiv vorhandene Brücken auf neue Weise und unter strikter Beachtung iranischer Souveränität freigegeben werden.Ich möchte noch ein Wort zu dem neuen Streit, der hier auch in der bisherigen Debatte — wenn esDeutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15617Brandteine war — anklang, zu dem Begriff _Entspannung" sagen.
— Wenn Sie den nächsten Satz abgewartet hätten, wären Sie ein bißchen vorsichtiger gewesen und würden nicht einen großen Staatsmann eines uns benachbarten Landes — nicht irgendeines Landes— beleidigen. Ich wollte nämlich Frankreichs Charles de Gaulle zitieren. Er hatte zur Kennzeichnung seiner Politik von den drei Elementen gesprochen: détente, entente, coopération; also: Entspannung, Verständigung, Zusammenarbeit.Entspannung ist hier nicht die Folge von etwas, sondern das Bemühen um Entspannung ist die Voraussetzung für Verständigung und Zusammenarbeit und für die Beschreibung des historischen Prozesses.
— Herr Kollege Mertes ruft dazwischen: Anerkennung der DDR!
— Ich dachte, sie wollten sagen — und insofern den Kollegen Strauß in seinem geschichtlichen Exkurs, bezogen auf das Jahr 1945, korrigieren —, daß es natürlich ein ganz vereinfachtes Geschichtsbild wäre, wenn unsere Geschichtslehrer auf Grund des Vortrags von Herrn Strauß den jungen Leuten glaubten beibringen zu können: 1945 haben sich diejenigen, die heute unsere Freunde sind, nämlich die Franzosen und die Amerikaner, die Beine ausgerissen, um die deutsche Einheit wiederherzustellen. Es wäre ja falsch, wenn man den jungen Leuten solches vermitteln würde.
Im übrigen mag für die Beschreibung des historischen Prozesses, der unsere Beziehung zur Sowjetunion und ihre Bemühungen in den vergangenen zehn Jahren kennzeichnet, ein Hinweis auf den genannten de Gaulleschen Dreiklang — détente, entente, coopération; also Entspannung, Verständigung, Zusammenarbeit — hilfreich sein. Für uns ging es und, wie ich meine, mußte es weiterhin darum gehen, die Verkrampfung aus den Jahren des Kalten Krieges zu lösen, Aussöhnung, wo es ging, voranzubringen, eine Normalisierung der Beziehungen zueinander möglich zu machen und auf möglichst vielen Gebieten gemeinsamen Interesses Wege der Zusammenarbeit zu finden. Dies ist uns ja— was Sie heute nicht mehr bestritten haben — in nicht geringem Maß gelungen. Und dies hat vielen Menschen Nutzen gebracht. Dies ist alles in allem auch dem Frieden zugute gekommen. Daran werden wir also festzuhalten haben.
Worum es geht, sind eben nicht Wunschvorstellungen oder, wie Sie häufig sagen, Illusionen, sondern Konfliktbeherrschung — nein; eigentlich müßte ich dem noch das voranstellen, was der Bundeskanzler heute morgen „Krisenentschärfung" genannt hat —,
zähe Bemühungen zur Begrenzung der Rüstung auf beiden Seiten — ich komme gleich mit einem Satz darauf zurück —. Eines wissen wir ja alle miteinander: Wenn es in jenen 80er und 90er Jahren, von denen Herr Strauß spricht, nicht gelingt, das Wettrüsten drüben und hüben zu stoppen, dann wird sich die Menschheit zu Tode rüsten.
Also gilt es, an dem Thema dranzubleiben und bei allen Unterschieden und Gegensätzen Gebiete zu erschließen, auf denen man zusammenarbeiten kann.Der Vorwurf, der in diesen Tagen wieder so lautstark erhoben wird, wir hätten uns bei der Durchführung unserer Politik falschen Hoffnungen hingegeben, ist unbegründet.
Bundeskanzler Schmidt hat heute früh aus der Regierungserklärung des Jahres 1969 zitiert, gegen die Sie damals waren.Ich erinnere, um nur ein einziges weiteres Beispiel zu nennen, an die Worte, die ich in anderer Funktion gegen Ihren erbitterten Widerstand anläßlich der zweiten Beratung der Verträge im Deutschen Bundestag am 10. Mai 1972 gesagt habe. Ich habe wörtlich gesagt:Ausgleich und Verständigung heißt nicht, daß wir die Spaltung Deutschlands nachträglich als rechtmäßig anerkennen oder auch die Teilung Europas als unabänderlich betrachten.Und weiter wörtlich:Verzicht auf Gewalt heißt nicht, auf die friedliche Verwirklichung der Menschenrechte zu verzichten. Unantastbarkeit der Grenzen heißt nicht, sie als feindliche Barrieren zu zementieren. Bereitschaft zum gleichgewichtigen Abbau der Rüstungen heißt übrigens auch nicht, daß wir die westliche Friedenssicherung einschließlich des eigenen Verteidigungsbeitrags vernachlässigen dürfen. Es geht um mehr Sicherheit durch den Abbau von Spannungen in der weiteren Entwicklung, hoffentlich auch durch den gleichgewichtigen Abbau von Truppenstärkungen und Rüstungen.
Und ich fügte an jenem 10. Mai 1972 — manche von Ihnen waren dabei — wörtlich hinzu:Eine Voraussetzung dafür ist aber, daß das westliche Bündnis intakt bleibt und daß wir zu seiner militärischen und politischen Wirksamkeit nach Kräften beitragen.
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15618 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
BrandtDies hat auch heute Bestand. Sie waren dagegen. Sie sollten sich endlich dazu durchringen zu sagen: Das war falsch, daß Sie damals dagegen waren.
Dem Herrn Kollegen Kohl muß ich eine zusätzliche Hilfe geben. Ihm ist, wie das halt so geht, zugearbeitet worden, was den Berliner Parteitag der deutschen Sozialdemokraten angeht. Da wäre es ganz nützlich gewesen, Herr Kollege Kohl, wenn man Sie auch mit unserem umfänglichen Antrag .,Sicherheitspolitik im Rahmen der Friedenspolitik", den wir angenommen haben, vertraut gemacht hätte. Da würden Sie sehen, daß es jedenfalls in diesem Bereich keiner Polemik bedarf. Ich zitiere wörtlich:Zur Sicherung des Friedens in Europa muß die politische und strategische Einheit der Nordatlantischen Allianz unter Führung der Vereinigten Staaten gewahrt bleiben.Und ein paar Absätze weiter:Äußere Sicherheit ist für die Bundesrepublik Deutschland nur im Atlantischen Bündnis realisierbar. Deswegen bejaht die SPD eine aktive, in die Nordatlantische Allianz eingebundene Verteidigungspolitik zum Schutz der Bundesrepublik Deutschland gegen äußere Bedrohung und gegen Gewaltanwendung.Was ist nun mit dem Argument, das ja auch bei Herrn Strauß heute wieder anklang — ein bißchen anders als in dem Artikel oder in der am Montag wiedergegebenen Rede; aber dem Sinn nach ähnlich —, daß das Rüstungspotential der Sowjetunion in der Zeitspanne dessen, was man Entspannung" nennt, gewaltig zugenommen habe. Könnten wir uns nicht darauf verständigen, daß die Sowjetunion Atomwaffenmacht, Wasserstoffbombenmacht und Sputnikmacht geworden ist, bevor man von Entspannung auch nur geredet hat,
und daß eine Raketenlücke beschworen wurde, die sich freilich hinterher als tatsächlich nicht so gegeben herausstellte, wie sie an die Wand gemalt wurde? Aber sie hat zu Beginn der Kennedy-Periode eine große Rolle gespielt. Ist es dann nicht, wenn wir schon von Analysen sprechen — ich greife das gerne auf — im geschichtlichen Prozeß vielmehr so, daß sich die Sowjetunion, ob es uns Spaß macht oder nicht, auf dem Wege zur vollen Weltmacht befindet?
Ich kann nicht sehen, daß die Entwicklung der Sowjetunion als militärische Weltmacht durch weitere Zuspitzung der internationalen Lage verlangsamt würde; ich kann das nicht einsehen.
Die andere Frage: Hat die Sowjetunion im Laufe derhinter uns liegenden Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg immer politisches und strategisches Terrain gewonnen?
Welcher unglaubliche Defätismus steckt in einer solchen Fragestellung!
Die Chinesen, mit denen ich mich hier nicht zu identifizieren habe, und die Jugoslawen schon davor sehen das anders, als daß die Sowjetunion ihren Bereich immer ausgeweitet hätte. Die Präsidenten von Ägypten und Somalia, Herr Strauß, die sehen das anders, als daß die Sowjetunion ihren Bereich immer ausgeweitet hätte.
Südeuropa! Ich kann mich doch an Ihre und andere Reden erinnern. Sie hatten doch schon Portugal und Spanien aufgegeben, abgeschrieben zugunsten dessen, was Sie Marxismus genannt haben.
Die Blockfreien! Da hört man jetzt gute, ermutigende Worte über das, was in den Vereinten Nationen war.
Allerdings, wenn wir über die Blockfreien und mit ihnen reden, dann werden wir ja auch, weil man einander nicht nach dem Munde reden soll — wir denen also auch nicht -, über die Notwendigkeit reden müssen, wie sie die Bedingungen ihrer Unabhängigkeit, ihrer Unversehrtheit erst einmal deutlicher definieren, und dann daraus ableiten, was sie allein oder regional oder in sonstigen Zusammenhängen dazu tun können.Es ist keine Hilfe — weder gegenüber den USA noch gegenüber den europäischen Verbündeten noch gegenüber dem eigenen Volk —, wenn wir die Lage in der Welt, wenn wir unsere Möglichkeiten und die Möglichkeiten anderer vielfach ganz anders darstellen, als sie sind.
Herr Kollege Strauß, nein, Herr Ministerpräsident Strauß, Sie haben hier — und das ist Ihr gutes Recht — das Vorwegergebnis einer Blitzumfrage eingeführt und geglaubt, für sich ins Feld führen zu können, daß heute — anders als noch vor wenigen Jahren — jeder Dritte in der Bundesrepublik Furcht vor dem Krieg hat.
Das können Sie nicht gegen uns ins Feld führen; denn ich gehöre mit zu jeweils dem Dritten. Ich habe Angst vor dem, was kommen kann in den Jahren, die vor uns liegen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15619
BrandtWenn Sie aber schon die Blitzumfrage, die nicht irgendeine ist, in die Debatte einführen, dann sagen Sie von hier aus bitte auch der deutschen Offentlichkeit, daß die überwältigende Mehrheit der Anhänger aller Parteien in der Bundesrepublik dafür ist, daß die Politik, die Schmidt und Genscher betreiben, weitergeführt und nicht in dieser Krise aufgegeben wird.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren.
Ich will sagen: wenn die Erörterung der Frage, inwieweit Entspannung unteilbar sei, einen Sinn gehabt hat, dann vielleicht den, vielen — vielleicht, vermutlich, hoffentlich uns allen — noch bewußter zu machen, wie eng die Welt ist, in der wir leben, wie sehr wichtige Ereignisse in einem Teil unseres Erdballs das Schicksal der Menschen in weit entfernten Regionen zu beeinflussen vermögen, wie wenig gleichgültig uns das sein kann, was im Iran, in Afghanistan, im Nahen Osten — dahinter würde ich jetzt, wenn man das mitsprechen könnte, in Klammern ein Ausrufungszeichen oder mehrere setzen —, in Kambodscha oder in Zimbabwe, was in all diesen Krisengebieten geschieht. Keine wirklich durchgreifende politische Entwicklung, in welchem Teil der Welt auch immer, bleibt ohne Rückwirkung auf das Verhältnis der Großmächte und ihrer Verbündeten zueinander, kein wichtiges Geschehen bleibt ohne Konsequenzen für unsere Sicherheit, die bekanntlich aus mehr als dem militärischen Element — auf dessen Bedeutung ich aber ausdrücklich hingewiesen habe — besteht.Es ergibt sich, daß Ost-West-Beziehungen nicht mehr losgelöst von dem betrachtet oder gar gestaltet werden können, was die Beziehungen zwischen Nord und Süd angeht, was sich, auf alle Hauptkomponenten der nördlichen Industriewelt bezogen, wenn nicht ein großes Unglück passiert, nicht erst auf sehr lange Sicht herausstellen wird. Wenn Friedenspolitik zu Beginn der 70er Jahre im wesentlichen noch eine einzige Dimension, nämlich die Dimension des Verhältnisses zwischen den Blöcken haben konnte, so muß heute und in der vor uns liegenden Zeit, wer den Frieden wirklich sichern will, der zweiten großen weltpolitischen Aufgabe, nämlich dem Ausgleich zwischen den Industrienationen und den sich entwickelnden Nationen, die gleiche Priorität einräumen.
Das ist die Menschheitskrise, von der Carl-Friedrich von Weizsäcker schreibt und spricht und von der er sagt, sie werde uns vermutlich mehr als ein Jahrzehnt lang als entscheidender Faktor begleiten oder, wie ich sage, herumwerfen. Der Aufbau neuer internationaler — zumal ökonomischer — Beziehungen muß rasch erfolgen, wenn nicht immer neue Flammenherde in der Dritten Welt ein großes weltpolitisches Feuer auslösen sollen.Es ist gut, daß über die Beziehungen — auch die der Europäischen Gemeinschaft — zur Dritten Weltneu nachgedacht wird; aber bitte, verehrte Kollegen in der Regierung und in der Europäischen Gemeinschaft, nicht bloß oder überwiegend als Funktion von etwas anderem, sondern weil uns, wie der Außenminister uns begrüßenswerterweise dargelegt hat, an eigenständigen, gleichberechtigten Partnern liegt und weil es, wie ich hinzufüge, um die alles beherrschende soziale Frage am Ende dieses Jahrhunderts geht.Es ist gut, daß über Südeuropa nachgedacht wird. Ich hätte mir gewünscht, daß Vorschläge für ein Südeuropa-Programm nicht in den Jahren 1976 und 1977 verkommen wären. Es ist gut, daß über den Vertrag mit Jugoslawien jetzt endlich positiver befunden wird.
Aber, Herr Bundesaußenminister, wenn ich das so verkürzt sagen darf: Bestellen Sie Ihren Kollegen in der Gemeinschaft, die sich damit bisher sehr schwergetan hatten, wobei einige von ihnen manchmal auf uns etwas an Erfahrungen abwälzen wollten — ich weiß, wovon ich rede —, einen schönen Gruß und fragen Sie sie: warum erst jetzt vor dem Hintergrund einer weltpolitischen Krise?
Von einem anderen Grund, der ja auch noch denkbar wäre, will ich aus Gründen des Takts gar nicht reden.Das, was heute Jugoslawien gegenüber richtig ist, war auch vor einem Jahr richtig,
und das, was heute vor dem Hintergrund der Krise im Mittleren Osten in bezug auf europäische Energiepolitik richtig ist, war auch vor einem und vor zwei Jahren richtig.
Man sollte die Krise also auch noch benutzen, um allgemein ein bißchen reineren Tisch zu machen. Meine Erfahrung aus den letzten zwei Jahren ist übrigens — ich kann das heute nicht darlegen, es hätte auch gar nichts mit parteipolitischer Auseinandersetzung zu tun —: Man kann sich von einem britischen Konservativen bis hin zu einem algerischen Linkssozialisten, wenn man sich die Mühe macht, im Nord-Süd-Zusammenhang auf etwas einigen, was eine gemeinsame Definition gemeinsamer Interessen bedeutet.Ich komme zu dem Ergebnis, meine Damen und Herren, daß man der Sowjetunion mit allen vernünftigen Mitteln vor Augen führen sollte, wie falsch sie angesichts der eigentlichen globalen Aufgaben gehandelt hat. Wer nationale Souveränität und Selbstbestimmung so mißachtet, der beeinträchtigt eben nicht nur die Beziehungen zwischen Ost und West, der wirft uns zugleich bei dem schwierigen Bemühen zurück, das Gesamtnetz der internationalen Beziehungen so zu ordnen, daß alle Völker den Platz einnehmen können, der ihnen zukommt.
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15620 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
BrandtMeine verehrten Kollegen, wenn nicht alle Beteiligten begreifen, daß uns die 80er Jahre vor die Aufgabe stellen, die Zusammenarbeit der Industrieländer untereinander und dieser mit den Entwicklungsländern unterschiedlicher Entwicklungsphase weiter auszubauen, endlich Schluß zu machen mit weiterem Wettrüsten — ich sage noch einmal: drüben und hüben —
und dabei frei werdende Ressourcen produktiv einzusetzen, dann gehen wir in eine noch schwerere Zeit, als man heute erkennen kann.
Wir sind es unserem Volk schuldig, noch einmal und immer wieder zu tun, was geeignet ist, Schaden abzuwenden,
den Nutzen unseres Volkes und Europas zu mehren. Das geht nicht nur mit einer besonnenen Politik, aber dieser bedarf es jedenfalls, und zwar einer besonnenen Politik, die unsere Interessen nachdrücklich wahrt und, wenn es irgend geht, den Frieden sichern hilft.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten sind tief betroffen über die noch immer anhaltende Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran. Wir wissen in der Bundesrepublik Deutschland aus eigener leidvoller Erfahrung nur zu gut, wie schwierig es ist, in solchen Situationen verantwortungsbewußt zu handeln. Wir hoffen, daß die im Weltsicherheitsrat geführte Debatte mit dazu beiträgt, daß man im Iran endlich erkennt, daß man hier nicht nur die Regeln des Völkerrechts verletzt hat und zu ihnen zurückkehren muß, sondern sich damit selbst in einer Weise isoliert, wie es diesem Land auf die Dauer nur schaden kann.Die sowjetische Politik in Afghanistan erschüttert in der Form, wie sie jetzt stattfindet, die Grundprinzipien des friedlichen Zusammenlebens der Nationen. Sie berührt die Unteilbarkeit der Entspannungsbemühungen. Damit berührt sie natürlich auch das begonnene Vertrauen zwischen Ost und West. Diese sowjetische Intervention — daran lassen wir keinen Zweifel — verletzt die Grundsätze des friedlichen Zusammenlebens der Völker. Wir verurteilen die sowjetische Intervention. Wir erkennen klar, welche Gefahren sich daraus ergeben. Nach Meinung der Freien Demokraten muß unsere Politik deshalb darauf aufgebaut sein, ein Übergreifen dieser Krisen auf andere Teile der Welt, insbesondere des europäischen Bereiches, zu vermeiden. Die auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit betriebene Entspannungspolitik — oder vielleicht besser gesagt: Friedenspolitik — muß nach unserer Meinung nicht nur hier in Europa fortgesetzt werden, sondern es muß alles versucht werden, um sie auch auf andere Bereiche der Welt zu übertragen. Auch wenn wir wissen, daß dies schwer ist, dürfen wir vor diesem Versuch nicht kapitulieren, dürfen wir nicht die Flinte ins Korn werfen. Wir müssen diesen Versuch weiter unternehmen.Wir Freien Demokraten unterstützen deshalb vollinhaltlich das, was der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundesaußenminister an Bemühungen zu solidarischem Handeln im Bündnis dargelegt haben und was als Unterstützung für die Entwicklungsländer von dieser Bundesregierung vorgesehen ist. Ich begrüße auch ausdrücklich die Bereitschaft, die vorhandenen Gesprächsfäden, das was der Bundeskanzler als das „rote Telefon" bezeichnete, nicht abreißen zu lassen. Es ist mir unverständlich, wie man gerade in einer schwierigen Situation den Ratschlag geben kann, nicht miteinander zu reden; denn das ist doch die Voraussetzung, um aus Krisensituationen wieder herauszukommen.
Meine Damen und Herren, soll nicht auch in unserer Region Instabilität entstehen, müssen wir versuchen — hier unterstütze ich voll, was der Kollege Brandt gesagt hat —, auch weiterhin versuchen, Fortschritte in der Rüstungskontrolle und in der Vertrauensbildung zu erzielen.Für die FDP ist die Friedenspolitik nie eine Propagandaformel gewesen. Für uns ist Friedenspolitik nicht regional begrenzt. Sie gilt für uns für alle Teile der Welt. Die Sowjetunion muß erkennen, daß sie nicht in anderen Teilen der Welt die Grundsätze verletzen kann, die in Europa Gegenstand von Verträgen, von Vereinbarungen, von praktischem Handeln sind: denn das kann doch nicht ohne Rückwirkungen auch auf unsere beiderseitigen Beziehungen bleiben. Wir lassen die Sowjetunion nicht im Zweifel darüber, daß die Fortschritte einer zwischen Ost und West praktizierten Entspannungspolitik insgesamt gefährdet sind, wenn sie gefährliche Seitenwege einschlägt und damit die von ihr selbst beschworene Sicherung des Friedens in Frage stellt.Dieses gefährliche Afghanistan-Abenteuer sollten auch einmal seine Initiatoren darauf überprüfen, wie Plus und Minus stehen.
Per saldo werden sie feststellen, wenn sie dieses Plus und Minus gegenüberstellen, daß die Weltmeinung so ist, daß sie eine vernichtende Niederlage verbuchen müssen;
denn die überwältigende Mehrheit in den Vereinten Nationen, die sich hinter die Auffassung, die auch von uns mitgetragen wird, gestellt hat, bedeutet doch, daß sich die Sowjetunion — wenn ich es einmal so sagen darf — in diesem Bereich selbst ins
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15621
MischnickAbseits gestellt hat, ja sich selbst die „rote Karte" gezogen hat.Es ist hochinteressant und für die künftige Entwicklung unserer Außenpolitik wichtig, zu nutzen, daß zahlreiche Staaten der Dritten Welt, die anfänglich auf Grund ihrer inneren Struktur eher dazu neigten, mit der Sowjetunion eine engere Kooperation einzugehen, sich durch gewonnene Erfahrungen in letzter Zeit davon entfernt haben; denken wir an Ägypten, an Somalia, auch an Tansania, Staaten, die heute ihren eigenen Weg in die Zukunft suchen.Herr Kollege Kohl, Sie haben heute davon gesprochen, daß die zwölf anderen Partnerstaaten — wenn ich die Zahl richtig im Gedächtnis habe, die Sie gesagt haben —, die ähnliche oder gleichartige Verträge mit der Sowjetunion haben, ihre Verträge nun überprüfen müßten.
— Doch!
— Sehen Sie, genau das ist der Punkt. Herr Kollege Kohl, wenn Sie formuliert hätten: Sie werden sich fragen müssen, ob sie sie überprüfen müssen!, würde ich Ihnen sofort recht geben. Sie haben es aber anders formuliert. Ungewollt kommt dann schon wieder der Zeigefinger zum Vorschein, der sich gerade negativ auswirkt, wenn wir uns gegenüber diesen Staaten in dieser Form äußern. Ich bin sehr froh, daß Sie meine Auffassung teilen, daß wir nicht mit dem Zeigefinger auf die Betreffenden zeigen sollten, sondern sie selbst sich entwickeln lassen sollten. Sie werden selbst erkennen, um was es hier geht, und dies in ihre Entscheidungen einbringen.Wir sehen, daß diese Länder der Dritten Welt zu erkennen beginnen, daß der Weg an der Seite Moskaus nicht zu der von ihnen gewünschten Unabhängigkeit, zu innerer Stabilität und einer entsprechenden Entwicklung geführt hat. Mir ist auch keine Situation in Erinnerung, in der die Sowjetunion in der UNO eine ähnlich bittere Stunde erlebt hätte.Es zeigt sich auch, daß die Bemühungen westlicher Politiker um eine friedliche Beilegung von Konflikten — wie z. B. im südlichen Afrika — immer mehr anerkannt werden. Die intensive Pflege guter Beziehungen auf der Basis von Partnerschaft und Gleichberechtigung zahlt sich also aus. Ich möchte hier einfügen: Wir werden morgen mehr darüber zu sprechen haben. Hier zahlt sich aber auch die beharrliche, konsequente Politik des Bundesaußenministers in Afrika aus, die von manchen Seiten belächelt worden ist, die aber mit dazu beigetragen hat, daß wir in den Vereinten Nationen jetzt dieses Ergebnis erreichen konnten.
Der Westen wäre schlecht beraten, wenn er die jetzt gebotenen Chancen nicht nutzen würde — aber nicht, das sage ich mit aller Deutlichkeit, mit markigen Worten und Drohungen, sondern durch den Ausbau partnerschaftlicher Beziehungen mit allen Ländern der Dritten Welt, nicht durch Bevormundung oder Pression, sondern im Geiste der Gleichberechtigung und Kooperation. Daran sollte man immer wieder denken, wenn es darum geht, im Einzelfall über die Situation in einem solchen Land zu diskutieren. Man sollte, wenn das Gesellschaftssystem in dem betreffenden Land uns nicht gefällt, nicht wieder einen anderen Maßstab anlegen, wie das seitens der Opposition leider oft geschehen ist.Natürlich ist überall festzustellen, daß die Völker dieser Welt den Frieden wollen, eine Politik der Unabhängigkeit wollen, eine Sicherung der Menschenrechte wollen und ihre wirtschaftliche und soziale Stabilität vorantreiben wollen. Wir werden uns um diese Kooperation bemühen. Die deutsche Außenpolitik hat sich gerade in den letzten zehn Jahren, die entscheidend mit unter liberaler Verantwortung stand, doch von Anfang an von diesen Maximen leiten lassen. Dies ist inzwischen weltweit anerkannt. Unsere Stimme in den Vereinten Nationen ist von großem Gewicht. Unser Wort gilt, weil unsere Politik auf Frieden ausgerichtet ist.Ich kann mir hier aber nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, wie schwierig es in diesem Hause war, die Entscheidung über den Beitritt zu den Vereinten Nationen durchzusetzen, und zu welchen Folgen das beispielsweise in der Union geführt hat.
Heute sind wir gemeinsam froh darüber, welche Möglichkeiten wir damit nutzen können. Diese Politik hat doch auf der Grundlage des westlichen Bündnisses und der Europäischen Gemeinschaft wesentlich dazu beigetragen, daß Europa heute eine stabile Region in einer unruhigen Welt ist. Aber auch wenn man jetzt über diese Gesamtpolitik diskutiert oder gar richten will: Vergessen Sie doch bitte nicht, daß die Europäische Gemeinschaft heute erweitert ist! Daß sie heute diese Position hat, war ja auch nur möglich, weil wir die Vertragspolitik betrieben haben. Die Vertragspolitik war eine Voraussetzung dafür, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft zu mehr Gemeinsamkeit und zu Erweiterungen gekommen sind.Natürlich wissen wir — das ist uns allen bei Diskussionen, die wir draußen geführt haben, begegnet —, daß eine gewisse Angst, Furcht vorhanden ist. Wir sind dafür, daß die Probleme, wie sie hier vor uns stehen, offen diskutiert werden. Wir sind dafür, daß sie bewußt gemacht werden. Aber uns geht es darum, diese Probleme umfassend bewußtzumachen und sie nicht nur einseitig durch die eine oder andere Brille zu sehen. Wir sind dagegen, daß Angst demagogisch ausgenutzt wird.
Es kommt uns darauf an, daß wir die bestehenden Möglichkeiten nutzen, aber nicht durch das Hineinjagen in Furcht und Angst selber Instabilität erzeugen. Lassen wir uns bei den anstehenden Entscheidungen mit Besonnenheit vorgehen, damit wir nicht zu Geiseln von Gefühlen und Emotionen werden!
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15622 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
MischnickWir sprechen mit Recht immer davon, daß die vor uns liegenden Aufgaben in den kommenden zehn Jahren, den 80er Jahren, schwierig sind. Sie wären aber noch viel, viel schwieriger zu meistern, wenn die sozialliberale Koalition nicht in diesen letzten zehn Jahren wenigstens in Europa ein hohes Maß an Stabilität und Zusammenarbeit erreicht hätte.
Es ist heute schon auf 1968 hingewiesen worden, und ich möchte einige Bemerkungen dazu machen. Nach der sowjetischen Aktion 1968 in der CSSR ist es durch diese erfolgreiche friedenssichernde Politik möglich gewesen, in Europa eine Phase der Stabilität zu erreichen.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auf zwei Punkte zurückkommen, die auch vom Kollegen Strauß angesprochen worden sind. Er hat einmal davon gesprochen, daß 'es notwendig sei, die Opposition in die Beratung, in die Bewältigung dieser Dinge einzubeziehen. Dafür habe ich volles Verständnis. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, damit hier kein Irrtum entsteht, daß der Bundesaußenminister den Vorsitzenden der Oppositionfraktion persönlich über die Entwicklung und unmittelbar über das unterrichtet hat, was wir innerhalb des Sicherheitsrates der Bundesregierung besprochen haben. Sie können sicher sein, meine Damen und Herren der Opposition, daß mich meine eigenen Erfahrungen, über die ich eine kurze Bemerkung machen werde, dazu veranlassen werden, mich bei solch kritischen Situationen dafür einzusetzen, wenn das überhaupt notwendig wird, daß die Opposition in die Unterrichtung und Beratung einbezogen wird. Ich bin überzeugt: Sollte wieder eine ähnliche schwierige Krise wie 1968 mit der CSSR eintreten, dann werden Sie nicht in die Situation kommen, in der ich als damaliger Oppositionsfraktionsvorsitzender war, als ich früh um sieben Uhr am Bundeskanzleramt war und mich danach erkundigen wollte, wie die weitere Entwicklung zu sehen und was gemeinsam zu machen ist. Mir sagte der Posten am Eingang damals: Ach, Sie kommen wegen der Ereignisse in dieser Nacht in der CSSR; leider ist aber hier noch niemand da. Dies wird bei uns mit Sicherheit nicht passieren. Wir werden rechtzeitig unterrichten.Ein zweiter Punkt, den Sie, Herr Ministerpräsident Strauß, angeführt haben, war die Entschließung von 1968. Ich möchte für diejenigen, die das nicht mehr in Erinnerung haben, kurz klarstellen, um was es ging. Die Freien Demokraten haben damals bis auf einen Punkt der gesamten Entschließung zugestimmt. Dem Punkt 6 haben wir nicht zugestimmt, weil da u. a. folgender Satz war: „Die Anerkennung des anderen Teils Deutschlands als Ausland oder als zweiter souveräner Staat deutscher Nation kommt nicht in Betracht." Wir hatten damals vorgeschlagen, eine andere Formulierung zu wählen, damit die ab 1969 von uns in der Regierung verfolgte Vertragspolitik nicht mit dieser Entschließung erschwert würde.Nun hat heute der Herr Ministerpräsident Strauß davon gesprochen, der Herr Bundeskanzler habe meistens Voraussagen gemacht, von denen sich hinterher herausgestellt habe, daß sie falsch gewesen seien, während er mit seinen Voraussagen fast immer auf dem richtigen Dampfer gewesen sei. Ich kann dazu nur sagen: Nicht nur an diesem Punkt, sondern an vielen anderen Punkten ist leider immer wieder deutlich geworden, daß auch bei dem Herrn Ministerpräsidenten Strauß sehr oft eine sprunghafte Änderung von Meinungen feststellbar war, und wir könnten hier eine ganze Menge Beispiele dafür anführen.Genau diese Entschließung von 1968 hat ja gezeigt, daß wir Freien Demokraten mit einer realistischen Auffassung an die Politik herangegangen sind. Heute, nachdem die Verträge in Kraft sind, wird auch niemand in der Opposition mehr einen Zweifel daran haben können, daß es unter den gegebenen Umständen die einzige Möglichkeit war.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Herr Kollege Mischnick, da Sie diesen Punkt 6 jetzt erläutern — die meisten werden nicht wissen, worum es sich handelt —: Erinnern Sie sich dessen, daß dies der Punkt war, der, seitdem es eine Regierung zwischen Ihrer Partei und unserer Partei gab, vom damaligen Oppositionsführer, Herrn Barzel also, in die Entschließungen der Regierung, die 1969 gebildet worden ist, hineingebracht werden sollte, und daß das der einzige Fall war, in dem ich gesagt habe: Dazu brauche ich die Opposition nicht? Das war der Satz mit diesem Riesenunterschied,
ob oder ob nicht Anerkennung als ein Staat, wenn auch als Teil Deutschlands.
Ich erinnere mich daran, Herr Kollege Wehner. Ich weiß noch sehr genau, daß es damals in den Vorgesprächen, als hinsichtlich dieser Entschließung zwischen den Koalitionsfraktionen auf der einen Seite und der damaligen Opposition FDP auf der anderen Seite über diese Formulierungen gesprochen und um Änderungen gerungen wurde, leider nicht möglich war, auch in diesem Punkt eine übereinstimmende Meinung zu erzielen.Meine Damen und Herren, die Ereignisse in Afghanistan widerlegen nach meiner Überzeugung nicht, daß die Politik der Friedenssicherung, der Entspannung, die wir hier in Europa praktiziert haben, notwendig ist und auf alle Regionen der Welt übertragen werden muß. Die Frage wird natürlich sein, ob das gelingt. Wir sind uns dessen bewußt, wie schwierig es ist, die Politik, die in Europa unbestreitbar Erfolge hatte, auf andere Teile der Welt zu übertragen. Das ist eine grundlegende Forderung unserer Außenpolitik, eine alte Zielsetzung von uns freien Demokraten. Wie gesagt, ob es gelingt, hängt natürlich entscheidend von der Haltung der Großmächte ab. Aber auch auf uns kommt es an, ob wir sie mit Konsequenz weiterverfolgen.Das NATO-Bündnis muß gegenüber der Sowjetunion natürlich mit Festigkeit in der Sache und
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15623
Mischnickgleichzeitiger Aufrechterhaltung der Bereitschaft zur Kooperation deutlich machen, daß ihr Eingreifen nicht nur die Grundsätze des friedlichen Zusammenlebens und damit das Selbstbestimmungsrecht verletzt hat, sondern daß dies schließlich auch dazu führen kann, die gerade in Europa erreichten Fortschritte in Frage zu stellen. Man muß natürlich auch sehen, daß dieses Ereignis nicht nur für uns, sondern auch für die Sowjetunion ein Rückschlag ist. Wir haben auch nie geleugnet — im Gegenteil, wir haben es immer betont —, daß Verteidigungsbereitschaft und Entspannungspolitik sich gegenseitig ergänzende Elemente einer auf Friedenssicherung gerichteten Sicherheitspolitik sind. Beide Elemente sind für uns unverzichtbar. Ich verstehe nicht, wieso immer davon gesprochen wird, hier seien Illusionisten am Werk, hier seien Illusionen die Grundlage der Überlegungen. Wir haben immer deutlich gemacht — das können Sie in allen Reden nachlesen —: Wer eines davon vernachlässigt, gefährdet auch das andere. Das mag für manchen, der sich nicht so intensiv damit beschäftigt, wie ein Widerspruch klingen. Aber das ist die bittere Wahrheit und die für einen Realisten einzig mögliche Betrachtungsweise. Wir sind von diesem Prinzip nicht abgegangen, und wir werden von diesem Prinzip nicht abgehen. Wir wollen so viel Verteidigungsfähigkeit wie notwendig, um damit so viel Entspannungspolitik und Rüstungskontrollpolitik wie möglich zu erreichen. Beides ist für uns eine gemeinsame Grundlage unseres Vorgehens; und nicht das eine Mal mehr, das andere Mal weniger.Wir müssen aber auch immer wieder feststellen — wenn ich die Beiträge des Kollegen Kohl und des Kollegen Strauß daraufhin betrachte —, daß es zu dieser Politik eben keine vernünftige Alternative gibt, wenn man nicht als realitätsferner Träumer gelten will. Niemand wäre froher als wir Liberalen, wenn wir auf Rüstung überhaupt verzichten könnten. Aber jeder einseitige Verzicht — das hat die Vergangenheit doch gelehrt — hat nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu mehr Instabilität geführt. Deshalb ist der Doppelbeschluß von Brüssel für uns eben nicht nur eine formale Entscheidung. Wir nehmen ihn auch heute in beiden Teilen sehr ernst, und das heißt für uns, daß die sich jetzt ergebende Situation im Mittleren Osten kein Argument ist, die Bereitschaft zur Rüstungsbegrenzung etwa auf den Ablagebock zu legen oder in die Schränke zu verweisen. Im Gegenteil: Gerade jetzt ist es notwendig, mit unerschütterlicher Entschlossenheit sowohl die Verteidigung der eigenen Freiheit wie auch die unverminderte Bereitschaft zur Rüstungsminderung und zur Rüstungskontrolle immer wieder sichtbar und vernehmbar zu machen; denn nur so wird es gelingen, die Staaten, die jetzt in den Vereinten Nationen der Verurteilung der Sowjetunion hinsichtlich ihres Vorgehens zugestimmt haben, auf Dauer, über den Augenblick hinaus dazu zu bringen, mit uns gemeinsam eine Friedenssicherungspolitik zu treiben.
Machen wir uns auch nichts vor. Jede Sicherheitspolitik ist auf Sand gebaut, wenn die eigene innere Stabilität in Frage gestellt wird. Deshalb ist es auch in Zukunft — wie in der Vergangenheit — notwendig, für diese Stabilität auch in unserem eigenen Lande zu sorgen; denn gerade die Erfahrungen, die wir in den verschiedensten Teilen der Welt gemacht haben, zeigen doch deutlich: Militärisches Eingreifen von außen erfolgt überall dort, wo vorher innere Instabilität entstanden ist. Deshalb gilt es, das durch unsere gemeinsame Politik zu vermeiden.Das heißt für uns, daß wir ein Augenmerk darauf richten müssen, die in 30 Jahren der Bundesrepublik Deutschland erreichte Stabilität in unserem Lande nicht zu gefährden. Sie ist doch nur möglich, wenn wir auch bereit sind, neue Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und sie in die politischen Entscheidungen einzubeziehen. Wer nur das Gestrige für morgen konservieren will, läuft immer Gefahr, aus vermeintlicher Stabilität in die Instabilität hineinzuschlittern. Es geht darum, daß wir uns das nicht selbst bescheren.Deshalb, Herr Kollege Kohl — er ist im Augenblick nicht anwesend —, sollte man beispielsweise auch nicht, wie Sie das heute früh mit einer Bemerkung gemacht haben, die Absichten der Freien Demokraten zur Möglichkeit einer Verbandsklage in einer Weise darstellen, die nun auch wirklich nichts mit den Tatsachen zu tun hat.
Wir werden uns darüber noch im Detail auseinanderzusetzen haben, wenn die entsprechenden Vorschläge auf dem Tisch des Hauses liegen.Ich unterstreiche in diesem Zusammenhang ganz besonders den Appell des Bundeskanzlers an alle beteiligten Gruppen in unserem Lande, die wirtschaftlichen Rückwirkungen der Ölpreiserhöhungen sachgerecht und nicht emotional beladen zu behandeln. Dazu gehört natürlich auch die Bereitschaft der Tarifpartner, die durch den Ölpreis abgenommenen Teile des Sozialprodukts nun nicht noch einmal verteilen zu wollen. Das muß bei allen Entscheidungen, die vor uns liegen, berücksichtigt werden, wenn man zur Stabilität im Inneren beitragen will.Genauso ist es nach unserer Auffassung notwendig, dafür zu sorgen, die Konzentration, die wir in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahrzehnten auf die drei politischen Kräfte hatten, nicht leichtfertig durch allerlei Experimente aufs Spiel zu setzen. Wie wichtig und wie notwendig stabile Regierungsmehrheiten sind, erleben wir ja in den unmittelbar neben uns liegenden befreundeten Staaten. Gerade in schwierigen, krisenhaften Zeiten zeigt sich, wie wichtig eine handlungsfähige Regierungsmehrheit ist. Diese haben wir doch in der Bundesrepublik Deutschland trotz aller Schwankungen, trotz aller unterschiedlichen Beurteilungen der einzelnen Entscheidung immer gehabt. Wir sollten sie auch für die Zukunft bewahren.Wer mit Sorge in die Zukunft blickt, sogar Angst vor kriegerischen Ereignissen und Entwicklungen hat, muß mit dazu beitragen, daß die innenpolitische Stabilität nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Lassen Sie mich hinzufügen: Dazu gehört auch, we-
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Mischnickder den innenpolitischen Gegner — ganz gleich, auf welcher Seite er steht — zu verteufeln noch sinnvolle Lösungen durch sachfremde Erwägungen zu verhindern. Das sind Punkte, die von den Menschen draußen dann nicht verstanden werden, wenn in einer Zeit schwieriger Entwicklungen hier kleinkarierte parteipolitische Überlegungen vor sachlich notwendigen Entscheidungen den Vorrang bekommen.
Wer es wirklich gut mit unserem Volk und unserem Land meint, darf nicht die Angst schüren in der Hoffnung, damit, wenn ich das so sagen darf, für sich selbst etwas absahnen zu können, sondern muß mit Vernunft, Gelassenheit, ohne hektische Betriebsamkeit die notwendigen Entscheidungen treffen. Jeder militärische oder politische Aktionismus um seiner selbst willen kann uns doch nur schaden.Deshalb sage ich noch einmal: Ich kann nur hoffen, daß die abstrusen Vorstellungen über eine Erweiterung der NATO, d. h. ein über die jetzigen Grenzen hinausgehendes Bündnis und eine über den jetzigen Einsatzraum hinausgehende Mitwirkung deutscher Streitkräfte in Erwägung zu ziehen, endgültig vom Tisch verschwinden. Es wäre gut gewesen, wenn das hier in aller Deutlichkeit gesagt worden wäre.
Solche Erwägungen, meine Damen und Herren, sind außen- wie innenpolitisch verhängnisvoll. Die Welt will nicht einen allumfassenden Beitrag der deutschen Bundeswehr. Die negativen Folgen solcher Aktivitäten wären nicht nur in der Dritten Welt, sondern auch beim Bündnis und bei den Gemeinschaftspartnern so stark, daß wir lange, lange Zeit benötigten, um sie wieder zu überwinden. Deshalb muß das vom Tisch durch eine klare Aussage auch aus Ihren Reihen, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition.
Wir in der Koalition sind immer der Meinung gewesen, daß — damit komme ich zu einem Fazit aus der Strauß-Rede — die Bundesrepublik Deutschland innerhalb des Bündnisses natürlich ihren angemessenen Beitrag zu leisten hat. Viele Passagen dessen, was Herr Strauß gesagt hat, sind in der Analyse unbestreitbar.
Es wurde aber nur eine Schlußfolgerung gezogen, nämlich die, daß wir im Bündnis, wenn andere Partner durch zusätzliche Engagements belastet sind, unseren Anteil innerhalb des Bündnisses verstärken müssen und daß vermieden werden muß — damit war auf MBFR angespielt —, dort Entscheidungen zu fällen, die dies verhindern.
— Ja, genau. Sehen Sie, Herr Todenhöfer, das einzigKonkrete, was in der Rede von Herrn Strauß vorkam, war genau das, was der Bundesaußenministervorher als die Politik der Bundesregierung dargelegt hat.
— Das einzig Konkrete, was bezüglich des notwendigen Handelns vorgebracht wurde.
Das zeigt uns, daß es, wenn es um die Umsetzung aus der Analyse in das praktische Handeln geht, in diesem Punkt volle Zustimmung gibt; aber sonst wurden keine anderen Vorschläge oder Überlegungen dargelegt, wie die Regierung anders handeln sollte.Das bringt uns nach der Wertung der Beiträge unter Berücksichtigung der Analysen zu dem Schluß, daß wir den Kurs der Bundesregierung, den wir bisher unterstützt haben, auch in Zukunft unterstützen werden; denn die Bundesregierung hat mit ihren Überlegungen, mit dem, was sie im Bündnis und gegenüber der Dritten Welt deutlich gemacht hat, gezeigt, wie wir unseren Beitrag zur Stabilisierung in der. Welt und zur Bewältigung der Krise leisten wollen. Dazu hat es bis zur Stunde keine bessere Alternative gegeben. Deshalb unterstützen wir diese Politik wie bisher.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich zum Thema Stellung nehme, zwei Vorbemerkungen machen.Bemerkung Nummer eins. Der bayerische Ministerpräsident hat sich darüber beschwert, daß es keine Gespräche, keine Information mit der Opposition gegeben hätte. Diese Aussage ist unrichtig. Es hat in der letzten Woche zweimal Informationen durch den Herrn Vizekanzler gegeben, einmal vor der Sitzung des Bundessicherheitsrates und zum zweitenmal hinterher. Im übrigen wissen Sie doch, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, hoffentlich, daß es in der nächsten Woche auch ein Gespräch der Herren Kohl und Strauß mit dem Herrn Bundeskanzler geben wird. Ich kann also diesen Vorwurf nicht akzeptieren.
Eine zweite Vorbemerkung. Herr Kollege Strauß hat auf einen Vorfall mit dem General Bastian abgehoben. Ich will dazu Stellung nehmen. General Bastian hat mir unter dem Datum 16. Januar einen Brief geschrieben, in dem folgendes steht: die Brüsseler Beschlüsse sind für ihn schwerwiegende, auch durch das Geschehen im Mittleren Osten nicht nachträglich gerechtfertigte Fehlentscheidungen. Er fügt hinzu: „Ich wende mich daher entschieden gegen die Nachrüstung, deren Realisierung die betroffenen Völker nicht mit akzeptablen Risiken be-
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Bundesminister Dr. Apellastet und die bisher eindeutige Sicherheitspolitik unseres Landes Mißdeutungen aussetzt.'' Er bittet mich, mit Ablauf des Monats vorzeitig aus dem aktiven Dienst auszuscheiden.Dazu habe ich folgendes zu erklären. Soldaten haben mit ihrem Diensteid gelobt, ihre Pflicht zu tun. Das Primat der Politik gilt in unserem Lande. Kein Soldat kann sich aussuchen, wie er dient und wo er dient. Deswegen wird dem Gesuch des Herrn Generals nicht entsprochen. Er wird allerdings aus seiner Verwendung herausgenommen und einer anderen Verwendung zugeführt werden.
Aber ich will zu diesem Punkte eine weitere Bemerkung machen, die dennoch auf die Historie dieses Falles zurückkommt. Ich bin fest entschlossen, jetzt und auch in der Zukunft das Prinzip vom Staatsbürger in Uniform zu verteidigen. Es kann nicht so sein, daß sich eine politische Debatte nicht auch innerhalb der Bundeswehr reflektiert. Die damaligen Äußerungen des Generals waren nicht zu beanstanden, insbesondere nicht in der Form, wie sie gefallen waren. Zu beanstanden war damals das, was Sie daraus gemacht haben, nämlich eine Treibjagd, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich werde mich auch weiterhin jederzeit vor meine Soldaten stellen, wenn sie von ihrem demokratischen Recht in dem Umfang Gebrauch machen, wie es zulässig ist. Zulässig ist es nicht, zu verlangen, mit einer dicken Pension in den Ruhestand treten zu können. Hier kommt es darauf an, die Pflicht zu tun.
— Sofort, sofort.Eine letzte Bemerkung. Ich denke, trotz der Ereignisse, die mich heute zu diesem Schritt gezwungen haben, schämen Sie sich hoffentlich immer noch, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß Sie sich damals haben dazu hinreißen lassen, von der zuständigen Division, der Division des Herrn Bastian, als von der „Leibstandarte Herbert Wehner" zu reden. Dies ist nicht nur geschmacklos, sondern macht deutlich, daß Herr Stoiber bei Ihnen kein Einzelfall ist.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Minister, ich möchte nicht von der 12. Panzerdivision reden, sondern Sie fragen — nachdem Sie dem Hause eröffnet haben, daß Sie nicht geneigt sind, dem Wunsch des Herrn Bastian Rechnung zu tragen —, in welchem
Bereich der Streitkräfte Sie diesen Soldaten in Zukunft zu verwenden gedenken.
Wie es seinem Dienstgrad — es ist eine B-7-Stellung — angemessen ist. Aber Sie werden verstehen, daß ich nicht bereit und in der Lage bin, nachdem der Vorgang wenige Stunden alt ist, Ihnen hier zu sagen, wo. — Seiner Dienststellung B 7 entsprechend! In jedem Fall werden Sie als Mitglied des Haushaltsausschusses mit mir einverstanden sein, daß wir es uns nicht leisten können und es auch nicht durchgehen lassen, daß Soldaten mit politischen Äußerungen selber bestimmen, wann sie in den Ruhestand treten.
Ich möchte zum Thema kommen. Was hat sich eigentlich — das ist heute morgen in der Debatte für mich viel zu kurz gekommen — in diesem Jahrzehnt, das auch mit „Entspannungspolitik" überschrieben ist, getan? In diesem Jahrzehnt sind wir in der Lage gewesen, die Vertragspolitik, die mit Inhalten besetzt ist — der Abgeordnete Brandt hat darüber gesprochen —, mit einer Festigung der NATO zu begleiten. Die NATO ist mit einer tiefgreifenden Krisis behaftet in das letzte Jahrzehnt eingetreten: mit der Ankündigung eines wichtigen amerikanischen Senators, der sogenannten Mansfield-Doktrin, einige zehntausend Soldaten aus Westeuropa abzuziehen. Die NATO war dabei auseinanderzufallen; das kann man wohl ohne Übertreibung sagen.Wie steht die NATO am Ende dieses Jahrzehnts da? Wir haben eine NATO, die trotz großer Schwierigkeiten in der Lage war, den Beschluß zur Nachrüstung und zum Angebot der Rüstungskontrolle im Bereich der Mittelstreckenwaffen zu fassen, eine NATO, die ihr langfristiges Verteidigungsprogramm zur eigenen Stärkung schrittweise in die Tat umsetzt.Natürlich spielt in diesem Zusammenhang die Bundeswehr eine zentrale Rolle. Trotz aller Demagogik bleibt es dabei: Die soziale Stellung unserer Soldaten hat sich in diesem Jahrzehnt kräftig verbessert. Der Herr Wehrbeauftragte, der heute morgen wiedergewählt worden ist, hat zu Recht immer wieder darauf hingewiesen, daß der soziale Standard unserer Soldaten ein sehr hohes Niveau erreicht hat. Es waren zehn Jahre, in denen wir die Bundeswehr mit neuen Waffen für 55 Milliarden DM ausgerüstet haben, in denen wir die Verteidigungsausgaben Jahr für Jahr um real 3 % gesteigert haben.Ich bin stolz darauf, daß es zu diesem Thema auch Aussagen gibt, die man vorzeigen muß. So hat der inzwischen in den Ruhestand getretene General Haig am 15. Dezember 1978 in der Osnabrücker Zeitung folgendes gesagt:Mich haben die ständig fortschreitende Modernisierung der bundesdeutschen Streitkräfte, das fachliche Können der Führer, die Einsatzbereitschaft und die Disziplin der jungen Soldaten stets beeindruckt. Wie ich in diesen Tagen be-
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15626 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Bundesminister Dr. Apelreits gegenüber Minister Apel zum Ausdruck gebracht habe, bin ich über die Umstrukturierung des Heeres erfreut. Sie bringt zusätzliche Feuerkraft und Beweglichkeit, vermehrte Kräfte für die Vorneverteidigung und eine verbesserte Territorialverteidigung. All dies gibt Anlaß zur Zufriedenheit.Die „Herald Tribune" schrieb am 8. Januar dieses Jahres nach der Afghanistan-Invasion — ich zitiere —:Für die NATO ist es eine der optimistischsten Aussichten für die 80er Jahre, daß sich die Bundesrepublik Deutschland zu einem Land mit den gefürchtetsten konventionellen Streitkräften in Westeuropa entwickelt. Obwohl er in der Öffentlichkeit wenig Beachtung fand, — dieser Faktor revolutioniert die NATO-Strategie.Sie alle kennen aus dem Weißbuch den Anteil der Bundeswehr an den Verteidigungsanstrengungen des westlichen Bündnisses. In Mitteleuropa stellen wir 50 % der. Landstreitkräfte, 50 % der bodengebundenen Luftverteidigung, 30 % der Kampfflugzeuge, 70 % der Seestreitkräfte in der Ostsee, 100 % der See-Luft-Streitkräfte in der Ostsee.Ich sehe also nicht, wo es in dieser Zeit, in einem Jahrzehnt, in dem wir die NATO gestärkt haben, in dem sich die Verteidigungsfähigkeit der NATO erhöht hat, Illusionen gegeben hat. Genau das Gegenteil ist richtig.Dieses Jahrzehnt war dadurch gekennzeichnet, daß wir die Vertragspolitik mit Osteuropa und mit der DDR, die beiden Seiten genutzt hat — sonst wäre es zu diesen Verträgen überhaupt nicht gekommen; das ist ja wohl selbstverständlich —, mit Verteidigungsantrengungen begleitet und untermauert haben, die keineswegs das Ziel hatten, daß von uns jemals ein Krieg ausgehen kann, die aber durchaus mit den Verteidigungsanstrengungen und Verteidigungsausgaben des Warschauer Pakts Schritt gehalten haben.Ich sage dies mit aller Betonung deswegen, damit unsere Bürger aus dieser Debatte nicht den Eindruck gewinnen, sie müßten um ihre Freiheit, ihre Sicherheit und die weitere Entwicklung unseres Landes fürchten. Wir leben heute sicher, und wir leben im nächsten Jahrzehnt sicher. Denn natürlich werden die Bundesregierung und dieses Parlament weiterhin der Bundeswehr und der NATO das geben, was beide brauchen, um ihren Verteidigungsauftrag zu erfüllen.Das kontrastiert allerdings mit dem, was wir nicht zuletzt auf dem Sicherheitspolitischen Kongreß der CDU am letzten Wochenende gehört haben: so eine ganze Reihe von Forderungen zur sozialen Besserstellung der Soldaten, Forderungen, die leere Versprechungen sind. Sie haben bei den Haushaltsberatungen nicht einen einzigen Antrag zu dieser Frage gestellt, weder im Verteidigungsausschuß noch im Haushaltsausschuß, noch im Deutschen Bundestag. Ich verstehe eigentlich nicht, was Sie mit dieser sozialen Demagogie wollen.
Für den Wahlkampf ist die Bundeswehr zu schade.Aber dieser Kongreß gibt ja weitere schwere Probleme auf. Wenn der Ministerpräsident Bayerns, Strauß, sagt, die NATO habe außerhalb ihres Vertragsgebietes Sicherheitsinteressen, so ist dem sicher zuzustimmen. Ich möchte allerdings diese Formulierung gern etwas ändern. Es sind alle Länder der Welt: die westlichen Industrienationen, die in der OECD zusammengeschlossen sind, wie die Entwicklungsländer, die ' Interessen weltweit haben. Wenn wir es so definieren, können wir diese Definition hinnehmen.In der korrigierten Rede des Abgeordneten Wörner lese ich allerdings folgendes:Wir fordern den Eintritt Spaniens in die NATO.Was haben wir eigentlich zu fordern? Soll am deutschen Wesen schon wieder mal die Welt genesen?
Weiter:Wir fordern die Rückkehr Griechenlands in die militärische Integration.Ich sage Ihnen ganz offen: Der Zustand der NATO an der Südflanke und die anhaltenden Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland müssen jeden von uns mit Besorgnis erfüllen. Aber wenn hier Forderungen in dieser unverblümten Weise auf gestellt werden, frage ich mich, um was es hier geht. Werden hier verantwortungsbewußte Argumentation und Politik gemacht, oder werden Aussagen gemacht, die nicht verantwortet werden können?Ich zitiere weiter:Für die Aufgabenstellung und die Struktur der NATO müssen— müssen! —die Konsequenzen gezogen werden. Die Sicherung der Rohstoff- und Ölversorgung muß eine zentrale Aufgaben der NATO sein.Als wenn dies nicht eine Frage für die gesamte Welt, für die Industrienationen, für die Japaner, für uns alle wäre!Die geographische Begrenzung der NATO muß fallen.
— Ich zitiere nur. Ich interpretiere überhaupt nicht. Zu interpretieren haben Sie! Sie haben zu erklären, wie Sie es mit diesen Aussagen halten.
Sie haben zu erklären, wie Sie dies eigentlich im NATO-Bündnis verantworten wollen, einem Bündnis, das pfleglich behandelt werden muß und das nach den Ereignissen — —
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15627
Bundesminister Dr. Apel— Ja, sicherlich! Aber nicht durch solche naßforsche Reden, sondern durch eine genaue Debatte.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort. - Ich möchte Sie gern fragen, wie eigentlich diese Äußerungen „Es muß, und es muß, und es muß" auf unsere Alliierten und auf die 104 Entwicklungsländer, die mit uns zusammen den sowjetischen Oberfall auf Afghanistan verurteilt und den Rückzug der Truppen verlangt haben, wirken müssen. Welche Karte spielen Sie denn eigentlich hier? Haben Sie das alles bis zum Ende durchgedacht? Ich fürchte: nein. Ich hoffe es sogar.
Bitte, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Bundesminister, da der Kollege Wörner immer wieder falsch interpretiert wird, möchte ich Sie fragen, ob Sie folgende wörtlichen Äußerungen des Kollegen Wörner zur Kenntnis genommen haben:
Es geht um eine abgestimmte Gesamtstrategie des Westens als Antwort auf die globale Machtpolitik der UdSSR. Eine solche Strategie muß den Einsatz aller politischen, wirtschaftlichen, finanziellen, technischen und sonstigen Machtmittel umfassen.
Haben Sie auch zur Kenntnis genommen, Herr Kollege Apel, daß wir selbstverständlich für einen Dialog in dieser Frage auch mit der Dritten Welt sind? Ist es nicht so, daß Sie hier einen Popanz gegen den Kollegen Wörner aufbauen?
Es tut mir nun schrecklich leid, Herr Kollege Mertes. Ich finde das sehr gut, daß Sie sich hier in Fraktionssolidarität üben. Ich habe wörtlich aus dem Manuskript zitiert, das der Presse nach dem Sicherheitspolitischen Kongreß Ihrer Partei hier in Bonn im KonradAdenauer-Haus übergeben worden ist.
Wörtliche Zitate werden von mir verwandt und nichts weiter. Ich finde es verständlich, daß Sie versuchen, zur Maniküre zu greifen; aber Maniküre führt hier nicht weiter. Was hier weiterführt, ist eine klare Aussage und eine Rücknahme dieser ultimativen Forderung, die uns sowohl in der Dritten Welt als auch in der NATO als auch, wie ich denke, anderswo vor zentrale Probleme stellen wird. Darauf kommt es an.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Frage?
Ja, bitte.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die selektive Zitierung von Äußerungen eines Kollegen unter Umständen ein hohes Ausmaß an Unfairneß sein kann?
Ich habe, hochverehrter Herr Kollege, umfassend zitiert. Wenn Sie wollen, setzen wir uns anschließend zusammen, und Sie schauen sich die Zitate an und beantworten mir die Frage, und Sie können sie gar nicht anders als mit Ja beantworten, daß das, was ich zitiert habe, erstens umfassend und zweitens das Manuskript aus dem Konrad-Adenauer-Haus ist. So ist es und nicht anders.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen. Der Herr Kollege Strauß hat dazu ja Bemerkungen gemacht, bei denen man im übrigen, wenn man sie auf den Inhalt konzentriert, in der Tat zu dem Ergebnis kommt, daß da wenig Neues drinsteckt - da hat der Kollege Mischnick ja durchaus recht —; aber er hat natürlich den Eindruck erweckt, als sei die Politik der letzten zehn Jahre bedenklich, wenn nicht sogar falsch.
— Nun werden Sie sich, wenn Sie sagen, das war sie auch, wiederum auseinanderzusetzen haben mit dem Sicherheitspolitischen Kongreß der CDU, in diesem Falle mit Ihrem Fraktionskollegen Mertes. Ich werde Ihnen einige Zitate vorlesen, und dann werden Sie die Frage zu beantworten haben, ob Herr Mertes recht hat mit seiner Analyse, mit seiner Stellungnahme zu aktueller Politik,
oder ob die Polemik recht hat, die Sie draußen im Lande und auch hier im Hause verbreiten.
Ich zitiere:Trotz der ernüchternden Ereignisse in den letzten Wochen muß Begrenzung und Reduzierung der gigantischen Vernichtungspotentiale atomarer Art — vor allem in Europa — auf der Tagesordnung der deutschen und westlichen Friedenspolitik bleiben.
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15628 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Bundesminister Dr. ApelGenau dieses ist unsere Politik. Hier gibt es überhaupt nichts weiter, als endlich zumindest von einem Sprecher der Opposition, von Herrn Dr. Mertes, im Gegensatz zu dem, was die CSU oder einzelne — —
— Der Kollege hat Ihnen doch indirekt widersprochen; das ist doch ein Zugeständnis, daß unsere Politik stimmt.
Oder nächstes Zitat:Das wesentliche Angebot zu Ost-West-Verhandlungen über die Begrenzung atomarer Mittelstreckenpotentiale in Europa, das unlöslich verbunden ist mit dem Nachrüstungsbeschluß der NATO, bleibt ohne Wenn und Aber bestehen.Schließlich ein letztes Zitat:Nur die Schaffung einer wirklichen Parität auf der Grundlage der Dateneinigung— Sie reden jetzt von MBFR —und die Absprache kollektiver, also in keiner Form nationaler Höchststärken, sind ein Ergebnis, das die CDU/CSU mit tragen kann.Wenn Sie mir gestatten, bringe ich noch ein Zitat:Wenn es auch schwerfällt, das Wort Vertrauensbildung in Europa noch in den Mund zu nehmen, halten wir fest an der Politik der Vertrauensbildung im technischen Sinne des Wortes.Lassen Sie mich, bevor ich Sie bitte, Ihre Zwischenfrage zu stellen, einen Kommentar anschließen: Ist es nicht so,
daß alle diese Schritte, auch der Weg zur KSZE, von Ihnen massiv bekämpft worden sind?
Ist es nicht so, daß Sie vor dieser Politik gewarnt haben, und ist es nicht so, daß Sie auch nach Afghanistan feststellen müssen, daß dies die richtige Politik ist, eine Politik im Interesse des Westens wie der Bundesrepublik Deutschland wie auch des Friedens in der Welt? Haben Sie sich nicht massiv korrigiert, und wollen Sie das nicht endlich zugeben, damit die Scheingefechte aufhören?
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Äußerungen, die ich am 12. Januar 1980 auf dem sicherheitspolitischen Kongreß der CDU gemacht habe, nicht meine persönliche Meinung sind,
sondern die Auffassung der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, und daß sie vom Bundeskanzlerkandidaten Strauß vor diesem Kongreß öffentlich ausdrücklich bejaht worden sind?
Dann bin ich allerdings dafür, sehr geehrter Herr Dr. Mertes, daß Sie aufhören, dem deutschen Volke gegenüber den Eindruck zu machen, als gäbe es in der Rüstungskontrollpolitik, bei der Fortsetzung der Entspannungspolitik im militärischen Bereich, einen Unterschied. Dann bin ich dafür, daß Sie der deutschen Uffentlichkeit sagen: Wir haben uns zehn Jahre lang geirrt, und wir passen uns jetzt der Position der Koaliton an, weil sie die einzig realistische ist.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zusatzfrage? — Bitte.
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir zu, daß der Bundeskanzler vor dem Deutschen Bundestag grob die Unwahrheit gesagt hat,
als er am 11. Dezember 1979 erklärte, die CDU/CSU-Fraktion habe gegen alle Verträge gestimmt, die für die Sicherheit und die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland grundlegend seien, und trifft es nicht vielmehr zu, daß die SPD gegen die grundlegenden außen- und sicherheitspolitischen WestVerträge war, sich aber hinterher an sie gehalten hat und daß wir gegen Ihre Ostverträge waren, aber inzwischen — obwohl die beiden Vertragsgruppen nicht miteinander zu vergleichen sind —klar gesagt haben, daß wir uns daran halten, und sind Sie bereit,
endlich diesen törichten Streit aufzugeben?
Herr Mertes, das Problem der Opposition ist ein doppeltes, erstens das, ununterbrochen die Schlachten von anno dunnemals, von vor 20 Jahren, zu schlagen.
— Nein, ich rede über heute und nehme zur Kenntnis, daß Sie sich heute unserer Politik anschließen, weil Sie keine Alternative haben. Dies ist es!
Zum zweiten kann ja wohl nicht bestritten werden, daß diese Politik, die mit den Abkürzungen „MBFR" und „KSZE" umschrieben ist, unsere Politik
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15629
Bundesminister Dr. Apelist und daß sie von Ihnen aufs schärfste bekämpft worden ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen, der in diesen Zusammenhang hineingehört. Die heutige krisenhafte Zuspitzung in der Weltpolitik, die uns alle mit großen Sorgen erfüllt, und die Probleme, die aus ihr erwachsen, können sicherlich nicht mit den Ereignissen des August 1968, mit dem Einmarsch der Sowjets und ihrer Verbündeten in die CSSR, verglichen werden. Unser Problem ist sicherlich ein anderes, weil sich zwei internationale Krisen, die afghanische und die iranische, miteinander verbinden und uns vor große Probleme stellen können. Dennoch waren die Ereignisse vor elf oder nun bald zwölf Jahren Ereignisse, die uns alle zutiefst erschüttert
und die genau die gleichen Fragen aufgeworfen haben. Es ist deswegen durchaus angemessen, heute, bei einer Krise, die uns betrifft, auch auf das zurückzublicken, was Politiker damals gesagt haben.Ich habe das getan. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß der damalige Bundeskanzler Kiesinger auf die Frage „Glauben Sie nicht, daß nun durch die Ereignisse in der CSSR auch grundsätzlich Voraussetzungen für diese Entspannungspolitik verändert, wenn nicht verhindert oder weggenommen worden sind?" geantwortet hat:Es gibt keine grundsätzliche prinzipielle Änderung. Es kann sie gar nicht geben. Es gibt für die europäische Politik nur den einen Weg, bei aller Erkenntnis der Realitäten und auch bei Rückschlägen dabei zu bleiben, nach einer Ordnung des Friedens und der Gerechtigkeit in diesem Erdteil zu streben. Wir werden eben auch diesen Rückschlag mit den Mitteln überwinden müssen, die uns zur Verfügung stehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das heißt ja nicht, daß wir damals und heute das, mit dem wir konfrontiert sind, verniedlichen. Das heißt überhaupt nicht, daß wir uns nicht tief besorgt über den Ernst der Situation zeigen. Es wird durch dieses Zitat und durch die heutige Politik nur deutlich, daß es uns aufgegeben ist, den Weg, den wir gegangen sind,
den Weg einer Politik des Ausgleichs hier in Europa und einer Politik, die allen nützt, fortzugehen.Wenn der Ministerpräsident Strauß davon gesprochen hat, daß die deutsche Option nicht aufgegeben werden darf, dann kann ich dem ausdrücklich zustimmen. Deutsche Option nicht aufzugeben, heißt aber, Vertragspolitik fortzusetzen, heißt doch, diesen Weg ohne Illusionen weiterzugehen, gestützt auf die Solidarität des Westens, die Solidarität der NATO und auch die Solidarität der EG.Ein Wort zur Europäischen Gemeinschaft. Auch die war am Beginn dieses Jahrzehnts in einer schwierigen Phase. Wir alle erinnern uns noch an die Europapolitik Frankreichs Anfang und Mitte der 60er Jahre, die 1964/65 zur Politik des leeren Stuhls geführt hat. Wir sind auch hier ein ganzes Stück weitergekommen. Die Solidarität der EG bewährt sich gerade in diesen Tagen in einem Konflikt, der nicht vor unserer Haustür liegt, aber direkt in unsere Situation hineinwirkt.Der Parteivorsitzende der SPD hat bereits auf unser sicherheitspolitisches Papier, auf den Beschluß des SPD-Bundesparteitages hingewiesen. Herr Präsident, ich möchte noch einmal auf dieses Papier -zurückkommen, weil mir in diesem Zusammenhang eine andere Passage von zentraler Bedeutung ist, die auch deutlich macht, wie wir weltweit Sicherheits- und Entspannungspolitik sehen. Hier heißt es:Für diese Sicherheitspolitik sind folgende Tatsachen bestimmend: die politische und militärische Einbindung unserer Sicherheitspolitik in die Nordatlantische Allianz und die Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft, die besondere Lage des geteilten Deutschlands, wo sich zwei hochgerüstete Bündnisse gegenüberstehen, die exponierte Stellung Berlins und die Viermächteverantwortung für Deutschland als Ganzes und Berlin, der Verzicht auf atomare, biologische und chemische Waffen, unsere Abhängigkeit von äußeren Energiequellen und Rohstoffeinfuhren sowie von Absatzmärkten.Gerade diese Überlegung schließt sich nahtlos an die folgende an:Friedenspolitik geht über die Ost-West-Beziehungen hinaus. Regionale Konflikte und machtpolitische Veränderungen außerhalb Europas können in zunehmendem Maße gefährlich auf unseren Kontinent zurückwirken.Genau das ist das Problem, vor das wir gestellt sind. Hier ist ein neues Datum geschaffen worden. Hier kommt es für uns darauf an, in einer Arbeitsteilung mit unseren Alliierten das zu erledigen, wozu wir aufgerufen sind: der Türkei zu helfen, Griechenland zu helfen, anderen NATO-Mitgliedstaaten wie bisher mit Ausrüstungshilfe zu helfen — über eine Milliarde D-Mark in den letzten Jahren. Es kommt weiter darauf an, daß wir wachsam bleiben, wo unser Interesse liegt. Wir sind keine Weltmacht. Wir erfüllen hier in Europa unseren Auftrag. Unser Beitrag ist die Bundeswehr. Auf diese Bundeswehr können wir stolz sein. Es bleibt für uns bestehen, daß Rüstungskontrollpolitik als der militärische Teil der Entspannungspolitik von beiden Seiten Gleichzeitigkeit, Gleichwertigkeit und Kontrollierbarkeit der Aktionen verlangt. Wenn wir uns auf diese Politik zurückbesinnen und in fester Solidarität mit den USA und unseren westlichen Nachbarn bleiben, dann gibt es keinen Grund, aus der gegenwärtigen Krise, die unser Volk sicherlich mit tiefen Besorg-
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15630 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Bundesminister Dr. Apelnissen erfüllt, Konsequenzen zu ziehen, die unser Volk in Angst und Schrecken jagen.
Wir leben sicher, wir leben weiterhin sicher. Diese Regierung wird mit Gelassenheit und Besonnenheit ihre bisherige Politik fortsetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, daß sich die Vertreter der Regierungskoalition bisher in dieser Debatte eine merkwürdige Mühe gegeben haben, nicht präzise und sauber zu analysieren, was eigentlich in Afghanistan passiert ist, was dies bedeutet und welche Konsequenzen wir, nicht nur hinsichtlich der ganz unstrittigen Fragen wie der Hilfe an Pakistan, an die Türkei usw., sondern in unserer politischen Einstellung und Haltung ziehen müssen.Ich muß leider sagen: Herr Kollege Apel, als ich hörte, daß Sie sich zu Wort gemeldet haben, habe ich gedacht, daß von Ihrer Seite so etwas wie eine präzise Analyse möglich wäre nicht um irgend jemandem in unserem Volke Angst und Schrecken, wie Sie sagten, einzujagen — das kann nicht die Aufgabe des Parlaments, eines Abgeordneten oder Ministers sein —, sondern um zu sagen, was ist, weil offenbar die Verwirrung, die Irritation in unserer eigenen Bevölkerung durch die Vorgänge, die wir haben erleben müssen, immer tiefer greifen
und weil Herr Strauß offensichtlich mit Recht darauf hingewiesen hat, daß Sie es seit vielen Jahren ängstlich vermeiden, die politischen Probleme unserer eigenen Bevölkerung so deutlich, so ungeschminkt darzustellen, wie dies, leider Gottes, nötig ist.
Meine Damen und Herren, sehen wir uns den „Spiegel" der letzten Woche an. Darin gibt es eine Rubrik, in der dargestellt wird, wie die Bevölkerung einzelner Staaten die Sowjetunion und ihre mögliche expansive Haltung einschätzt. Da fällt auf, daß gerade die Bundesrepublik Deutschland, an der Nahtstelle zweier Welten gelegen, offenbar dasjenige Volk beherbergt, das den Sowjets am meisten an guten Dingen zutraut. Deshalb ist doch das Entsetzen, das viele ergriffen hat, so groß. Viele waren aufs tiefste erschrocken — und sie wollten es zunächst gar nicht glauben —, daß die Sowjetunion, von der uns immer gesagt worden war, wir hätten sie in einer ganzen Reihe von Verträgen mit eingebunden in ein einvernehmliches Verhalten, in eine Politik der Verläßlichkeit, der Entspannung,
der Bereitschaft, den Frieden miteinander zu sichern, plötzlich, mitten in der Nacht, genau ein Jahr, nachdem Vietnam Kambodscha überfallen hat, als wir alle an Weihnachten in Urlaub waren, als wiruns alle Wünsche für ruhige und erholsame Ferientage zugeschickt hatten, genau dort placiert, über ihre Grenzen hinübergegangen ist und ein armes und — was die modernen Verteidigungsmöglichkeiten anlangt — gar nicht wirklich verteidigungsfähiges Volk überfallen hat.Herr Kollege Apel -- ich verstehe Ihr Bedürfnis nach Polemik gegen den Kollegen Wörner; darauf wird nachher im einzelnen noch Kollege Dregger antworten. Statt daß Sie zumindest deh Versuch gemacht hätten, als Minister dieser Regierung einmal etwas über die Frage zu sagen, wie wir unsere griechischen Freunde hinsichtlich unseres Wunsches, daß sie nicht nur Mitglied der EG, sondern auch wieder Mitglied in der westlichen Verteidigungsgemeinschaft werden, ansprechen sollen, haben Sie nur polemisiert. Das war sehr platt.
Sie können doch unseren Wunsch, daß der Partner von morgen, unsere spanischen Freunde, über den spanisch-amerikanischen Vertrag hinaus, mit uns die Lasten der gemeinsamen Verteidigung tragen, nicht einfach so abbürsten. Dazu müssen Sie doch etwas sagen. Man kann doch verlangen, daß sich ein Minister dazu wirklich äußert. Der Bundessicherheitsrat wird sich in letzter Zeit und in den vorhergehenden Sitzungen doch sicher auch über Fragen dieser Art unterhalten haben.Der Kollege Brandt, dem ich mich gerne zugewendet hätte, kann offensichtlich in dieser späten Nachmittagsstunde aus seinen Gründen nicht dasein.
— Wenn Herr Strauß angesprochen wird, wird er sicher dasein. Herr Brandt, mit dem ich mich jetzt beschäftigen möchte, ist aber nicht da. Ich erlaube mir, dies festzustellen.
— Ich habe hinzugefügt: Er wird seine eigenen Gründe haben. Ich werde mich aber trotzdem hier mit einer Reihe von seinen Meinungen auseinandersetzen. Wir alle haben ihm ja angemerkt — dies war förmlich zu spüren —, wie sehr ihn die Vorgänge in Afghanistan beschäftigt haben. Das verstehen wir, denn auch wir sind nicht nur rational davon betroffen, sondern wir sind in unserem Innern davon auf das äußerste berührt. Wir sind, wie man sagt, bestürzt. Der Kollege Brandt ist aber derjenige, dessen Name wie der Name keines anderen — den Kollegen Egon Bahr vielleicht ausgenommen — eng mit dieser Politik verbunden ist. Ich hatte den Eindruck, daß seine ganze Rede ein Stück Beschwichtigung und ein Stück verzweifelte Erklärung war und Beschwörungsformeln dahin gehend enthielt, man möge doch an einer Sache festhalten, von der doch offensichtlich auch die Menschen im eigenen Volke, aber ebenso draußen in vielen Ländern die verantwortlichen Politiker und die beurteilenden Journalisten den Eindruck haben, daß sie gescheitert sei.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15631
Dr. MarxHerr Brandt hat z. B. gesagt — ich möchte dem einen Augenblick folgen —, wir sollten doch einmal versuchen, Herrn Breschnew beim Wort zu nehmen. Ich nehme an — ich komme nachher noch auf einige Zitate von Herrn Breschnew zurück —, daß er sowohl das, was Herr Breschnew bei der Benutzung des roten Telefons, was der Bundeskanzler heute morgen an einer dafür völlig ungeeigneten Stelle hier eingeführt hat, sagte, als auch das, was er in seinem „Prawda'' -Interview vom 13. Januar gesagt hat, meinte. Gut, dann wollen wir einmal der Aufforderung des Kollegen Brandt folgen und Herrn Breschnew beim Wort nehmen. Was Herr Breschnew gesagt hat, hat den amerikanischen Präsidenten dazu gebracht, in einem BBC-Interview zu sagen, er fühle sich auf das tiefste hintergangen. Herr Breschnew hat die allgemeine Formel wiederholt und jetzt durch seine Rede sozusagen erhöht, die afghanische Regierung habe sich um „Hilfe" an die sowjetische Regierung gewendet und diese habe großzügig und selbstlos diese Hilfe gewährt.
Wenn wir Herrn Breschnew jetzt also beim Wort nehmen wollen — ich sage das nicht, weil es uns Spaß macht, sondern deshalb, weil es der Wahrheit entspricht —, müssen wir feststellen, daß jedes Wort dieser seiner Erklärung falsch ist. Ich könnte mich schärfer ausdrücken, lasse dies aber.Nehmen wir ihn weiterhin beim Wort. Er sagt: Wir Sowjetmenschen werden unsere Truppen aus Afghanistan dann zurückziehen, wenn die Ursachen für ihr Einmarschieren nach Afghanistan beseitigt sind. — Was heißt denn dann ihn beim Wort nehmen? Welche Ursachen gibt es denn? Auch diese haben Breschnew und die Seinen definiert. Sie sagen, es habe eine imperialistische Aggression, eine Invasion, ein Angriff, eine Verletzung der territorialen Integrität Afghanistans gedroht. Jedermann von uns weiß — natürlich weiß es Herr Breschnew auch; er mutet uns aber zu, das, was er sagt, trotzdem zu glauben —, daß dies alles nicht den Tatsachen entspricht. Er weiß ganz genau, wie die Verhältnisse in Afghanistan waren.Es wäre weiterhin auch noch die Frage zu stellen — ich hoffe, daß es in der Regierung jemanden gibt, der sie einmal beantwortet —: Wie ist denn eigentlich Herr Amin, für den ja niemand von uns Formen der Sympathie aufgebracht hat, umgebracht worden, wann, durch wen, unter welchen Vorwänden? Wo war denn damals Herr Babrak Karmal, als er die ersten Botschaften an sein Volk vorgetragen hat? War er nicht ein Mann, der sozusagen im Marschgepack der sowjetischen Armeen mitgebracht worden ist? Ist er nicht — nehmen Sie es mir nicht übel — eine Kreatur der sowjetischen Politik? Alles, was wir mittlerweile von ihm gesehen haben, seine Auftritte im Fernsehen, seine Pressekonferenzen, seine Erklärungen, lassen eine andere Bezeichnung gar nicht zu.Hat Herr Kollege Brandt eigentlich vergessen, daß die Sowjetunion, auch als sie 1968 in Prag einmarschiert ist, gesagt hat, sie würde sich wieder zurückziehen? Das ist damals mitgeteilt worden. Daswar auch Breschnew; nehmen wir ihn also beim Wort! Was ist aus dem Wort geworden? Das ist länger als elf Jahre her, und die sowjetischen Truppen stehen noch auf den Höhen des Böhmerwaldes. Wir hören jetzt, daß es dort die eine oder andere Verschiebung gebe; aber ich muß leider vermuten, daß das nicht den Zweck hat, die Okkupation der Tschechoslowakei zu beenden, sondern um sich dort noch heimischer einzurichten und vielleicht die eine oder andere Aktion vorzubereiten.Ich komme zu einer dritten Bemerkung. Herr Brandt sagte, Herr Schmidt solle mit Herrn Honekker sprechen. Wir haben über dieses Thema vor kurzem, als wir über den Haushalt sprachen, kurz diskutiert. Sie wissen, was wir jetzt in dieser Zeit von einem Gespräch halten, wo man sich im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, in der EPZ und im Rahmen der NATO verabredet hat, alle diese Gespräche einmal eine Zeitlang zurückzustellen, um der anderen Seite deutlich zu machen, sie könne nicht unter der Überschrift „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt man weiter ungeniert" weiterleben und weiter mit uns sprechen.
— Ich möchte diesen Satz noch sagen, gnädige Frau: Wenn der Bundeskanzler aus Gründen, die er nicht sagen will — vielleicht sagt er sie unserem Vorsitzenden — glaubt, er müsse zu irgendeiner Zeit reisen, obwohl das Bundespresseamt sagt, die andere Seite -habe noch keinen Terminvorschlag gemacht, dann erinnere ich an die früheren Mitteilungen der Regierung, die uns immer gesagt hat, Gespräche dieser Art, die man hin und wieder als „Gipfelgespräche'' bezeichnet, hätten nur dann einen Sinn, wenn sie gut vorbereitet seien und wenn beide Seiten den Eindruck hätten, man könne sie mit Erfolg abschließen. Wenn der Bundeskanzler diesen Eindruck hat, dann mag er diese Gespräche führen; niemand fällt ihm dabei in den Arm. Aber wir werden genau sehen, wie sie verlaufen, und wir werden genau überprüfen, was dabei für das deutsche Volk herauskommt. Herr Brandt hat in seiner Regierungserklärung von 1969, die er heute zitiert hat, auch einen Satz verwendet, auf den ich noch einmal zurückkomme. Er sagte, die Interessen des deutschen Volkes dürften bei all diesen Gesprächen nicht wie hinter einem Nebelschleier verschwinden, sie müßten dabei sichtbar werden.Wir wünschen, daß der Bundeskanzler dann mit Herrn Honecker einmal über die Frage spricht, die Strauß mit Recht das „kommunistische deutsche Afrika-Corps" nennt.
Was bedeutet denn der Besuch von Herrn Honekker in Addis Abeba und in Aden, in den Hauptstädten von Äthiopien und Süd-Jemen? Man muß seine Reden und Interviews lesen, die im Zusammenhang mit diesem Besuch entstanden sind. Er hat zugesagt, daß man mit Munition, Waffen, Gerät, Brot, Getreide und mit Mannschaften helfen werde,
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15632 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. Marxdaß man sich über die vorhandenen Kampfeinheiten und anderen Einheiten hinaus — wir rechnen damit, daß es im Augenblick 30 000 sind — engagieren werde. Ich möchte nicht, daß dieses Haus und wir alle uns wiederum mit dieser propagandistischen Attitüde getäuscht fühlen: Nie wieder darf von deutschem Boden ein Krieg ausgehen!
Für uns gilt das. Um dies zu tun, verehrter Herr Kollege, haben sich viele darum beworben, Abgeordnete in diesem Hause zu sein, um alles zu tun, den Frieden in Freiheit sicher zu machen und alles zu tun, daß sich ein Krieg nicht wiederholt. Herr Strauß hat heute darauf hingewiesen, daß er ihn mitgemacht hat, und auch ich und viele andere haben ihn mitgemacht. Dann ist es auch unser moralisches Recht und die politische Pflicht des Bundeskanzlers, wenn er schon mit Herrn Honecker spricht, darauf hinzuweisen, was dies für unsere eigene Bevölkerung und übrigens auch für die Menschen in der DDR, die gar nicht gefragt werden, bedeutet, daß aufs neue, auf Grund fremder Macht, auf Grund fremder Befehle und auf Grund fremder Interessen deutsche Soldaten unter der afrikanischen Sonne verbluten müssen.
Meine Damen und Herren, ich möchte ein Weiteres hinzufügen, selbst dann, Herr Kollege Wehner, wenn Sie in der Art, wie Sie hier Zwischenrufe machen, sagen, dies sei für Sie unerträglich. Ich hätte gerne gehört, daß Sie sich, Herr Wehner, in den letzten Tagen einmal geäußert hätten, daß Sie einmal ein Wort für Ihre gläubige Gemeinde gesagt hätten.
— Herr Kollege Wehner, mein Ehrgeiz ist es nicht, Regisseur bei Ihnen zu sein, sondern mein Ehrgeiz ist es, die deutsche Offentlichkeit darauf hinzuweisen, daß Sie, die Sie doch sonst immer so mundfertig und rasch bei der Hand sind,
in den ganzen letzten Wochen offenbar die Sprache verloren haben, weil Ihre Politik eingebrochen ist.
Herr Kollege Brandt, ich habe drei Themen angesprochen, die auch Sie angesprochen hatten. Ich möchte gern noch ein weiteres ansprechen.
— Danke sehr! — Sie haben sich auf die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers bezogen und gesagt, er habe dort einen Satz eingefügt. Ich gebe Ihnen offen zu, meine Damen und Herren: Ich habe mich bemüht, für die heutige Debatte festzustellen, wasdenn nun der verehrte Herr Bundeskanzler gestrichen hat; es ist mir nicht gelungen. Es gibt zwar die eine oder andere Vermutung, der ich aber nicht die Ehre geben will, sie hier von diesem Platze aus anzusprechen.
— Ja, ich will sie hier nicht zitieren. - Aber es wäre doch ganz gut, wenn wir einmal erführen, daß der weitsichtige Staatsmann Schmidt, der ja wünscht, daß die Bevölkerung ihm auf Grund seines politischen Genies — sicher in die 80er Jahre, sagt er —wiederum ihre Stimmen gibt, in dieser Neujahrsansprache nicht einmal in der Lage war, seine Prognose über die offensichtlich friedliebende Politik der Sowjetunion und der DDR vier Tage hindurch durchzuhalten.
Das möchte ich festhalten.
— Herr Kollege Franke, ich darf, um ein wenig vom Thema ab- und auf Ihren Zuruf einzugehen, an die Zeit kurz vor der letzten Bundestagswahl erinnern.
In den Diskussionen damals ging es um die Rente. Für den Bundeskanzler waren Rentenprobleme nur ein Problemchen, war alles geklärt. Der gleiche Bundeskanzler hat dann hinterher bei der Verleihung eines Preises, den ihm ein Mitglied dieses Hauses verliehen hat, gesagt, er habe damals halt
nicht die richtigen Zahlen gehabt. Meine Damen und Herren, ich möchte, daß wir — wir alle — am Abend des nächsten Wahltages die richtigen Zahlen haben und uns dabei auf die Tatsache einstellen, daß derjenige Bundeskanzler, der heute wieder für eine, wie er sich ausdrückte, „ruhige und übersichtliche Politik" geworben hat, dann die Chance hat, uns von der Seite der Opposition her zu kritisieren.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht, daß er sich nach der Wahl wieder hinstellt und sagt: Ich habe das mit den Grundlagen der Entspannungspolitik vorher gar nicht so richtig verstanden. Ich habe damals noch nicht die richtigen Informationen gehabt. Hätte ich sie gehabt, liebe Leute, dann hätte ich mich damals anders entschieden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15633
Dr. Marx— Meine Damen und Herren, ich habe einen Augenblick nichts gesagt, weil ich eigentlich darauf warte, wie einer der dem Kollegen Wehner eigenen Ausdrücke hier in diesem Hause behandelt wird. Ich nehme an, daß das Stenogramm, das unkorrigierte Stenogramm es ermöglicht, den Ausdruck zu verifizieren.
— Ich will dieses Wort nicht in meinen Mund nehmen; so etwas tue ich nicht.Meine Damen und Herren, ich möchte gern noch eine weitere Bemerkung machen und die Frage aufwerfen: Was ist eigentlich in den Tagen vor Weihnachten dort wirklich passiert? Wir wissen heute, daß die sowjetische Armee an der Grenze aufmarschiert war. Es gibt Hinweise, daß sie schon lange vor Weihnachten mit gewissen Truppen-Detachements in Afghanistan war. Wir wissen, daß sie dort Flugplätze angelegt hat, wie sie auch jetzt offenbar neue Flugplätze anlegt. Ich frage mich nur, ob der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland alle diese Kenntnisse nicht hatte, ob er also seine Neujahrsansprache Nr. 1 auf der Nichtkenntnis dieser Vorgänge aufgebaut oder ob er sie gekannt hat und damals trotzdem eine solche Sprache wählte, wie er sie offenkundig gewählt hat. Darauf eine Antwort zu erhalten wäre — das sage ich auch für meine Fraktion — für uns alle von Vorteil und Gewinn.Die nächste Bemerkung, Herr Kollege Brandt. Sie haben gesagt, Sie wollten sich nicht näher mit der Analyse der chinesischen Politik gegenüber der Sowjetunion beschäftigen und sie sich auch nicht zu eigen machen. Das verstehe ich, und das soll man auch gar nicht; denn das ist eine chinesische Sache, und die werden wissen, auf Grund welcher Interessen sie so formulieren, wie sie das tun. Aber ich möchte doch bei der Gelegenheit, da Sie das Stichwort China — übrigens zuiI erstenmal — in die Debatte geworfen haben, einen Augenblick etwas dazu bemerken.Wir wissen, daß der chinesische Ministerpräsident Hua Guofeng, als er in Frankreich war und kurz bevor er in die Bundesrepublik Deutschland kam, bei verschiedenen Gelegenheiten das Wort vom sowjetischen Hegemonismus in den Mund genommen hat. Er ist damals in einer ganzen Reihe von Interviews vorab verwarnt worden, wie man sich gefälligst verhalten müsse, wenn man in die Bundesrepublik Deutschland komme. Man wollte bei uns nicht, daß er dieses Wort verwende. Die diplomatische Schmiegsamkeit unseres Gastes war dann ja auch groß genug, nichts zu tun, was von seiten der Regierung mit mehr als Stirnrunzeln betrachtet worden wäre. Aber zur Sache selbst wird man doch sagen dürfen, daß diese Analyse, es gebe einen sowjetischen Hegemonismus, offensichtlich nicht falsch war.
Wir hören jetzt von einer ganzen Anzahl von Politikern auch der Regierungskoalition, wie sie sich mit scharfen Worten gegen die Okkupation Afghanistans wendet. Aber auch da fehlt mir jene geistige,geistig-politische Durchdringung dieses Phänomens. Das ist ja nicht ein Unfall der Geschichte. Das ist ja nicht aus einem Zufall, aus einer Laune irgendeiner führenden Persönlichkeit heraus entstanden, sondern das entspricht doch offensichtlich einem politischen System, einer politischen Strategie. Das entspricht doch offensichtlich dem, was Carl Gustaf Ströhm vor einigen Tagen in der „Welt" die Breschnew-Doktrin Nr. 2 nannte. Das ist ein ernstes Thema.Jetzt darf ich einmal bei 'allem, was uns trennt, Herr Kollege Wehner, sagen: Ich erinnere mich daran, daß Sie in diesem Hause nach der Okkupation der CSSR eine sehr abgewogene Rede zum Thema der Breschnew-Doktrin gehalten haben. Sie haben das dann draußen in Interviews wiederholt. Ich denke, daß wir zur damaligen Zeit alle versucht haben — aber es ist offensichtlich nicht gelungen —, die Lehren aus dieser Besetzung zu ziehen.Der Bundeskanzler hat in diesem Hause einmal an den Juni 1968 erinnert — Herr Kollege Brandt, Sie waren damals als Außenminister in Reykjavik dabei —, an das sogenannte Entspannungssignal von Reykjavik. Er fügte hinzu — ich sage das jetzt in meinen Worten —, daß dann die Okkupation der Tschechoslowakei erfolgt sei und man nach diesem Zwischenfall einige Monate später den Faden der begonnenen Entspannungspolitik wieder aufgenommen habe. So wenig hat die grausame Lehre an unserer eigenen Grenze damals genutzt. Daher gebe ich Herrn Strauß recht, wenn er sagt, man müsse auf Grund vieler Erfahrungen leider vermuten, daß auch die schlimme Erfahrung Afghanistan bald wieder vergessen werde.Ich halte es für tödlich, wenn die westlichen Völker so schnell leben, das Unangenehme so rasch verdrängen, daß sie auch diese Erfahrung bald vergessen werden. Sie werden dann neue Erfahrungen geradezu provozieren, und sie werden die Risikoschwelle des Gegners immer tiefer ansetzen. Sie werden daraus eines Tages Schlimmes abgeleitet sehen.
— Ich nehme an, Herr Kollege Haase, daß das auch draußen so erkannt wird.Herr Kollege Brandt, Sie haben früher — darauf ist vorhin schon hingewiesen worden; ich möchte mich damit auch noch einen Augenblick auseinandersetzen — wiederholt die Formel verwendet, der Friede müsse sicherer werden. Niemand hat etwas dagegen, daß wir alles dafür tun. Herr Kollege Franke, Sie wissen doch — das nehme ich Ihnen ab und Sie mir und wir Ihnen und Sie uns —, daß wir hier nicht sitzen, um Krieg zu treiben, sondern um den Frieden zu erhalten. Aber wenn Sie sagen, Ihre Politik sei Friedenspolitik und Sie hätten zehn Jahre lang eine Friedenssicherungspolitik betrieben, wieso sagt dann Herr Brandt im „Spiegel" wörtlich: „Möglich, daß wir in den Krieg schlittern"?Meine Damen und Herren, da ist eine Frist von zehn Jahren. Wie haben Sie eigentlich den Partner
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15634 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. Marxoder den Gegner — wie immer man die Sowjetunion sehen will — eingeschätzt, als Sie damals eine solche Form der Außenpolitik auf diese Einschätzung aufgebaut haben?
Meine Damen und Herren, ich hoffe nicht, daß sich jemand darüber wundert, daß wir bei solchen Ergebnissen einer einst mit viel Propaganda und Emotionen begonnenen Politik eine Kursänderung verlangen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Bundesministers des Auswärtigen?
Des Herrn Kollegen Genscher mit Freude.
Herr Kollege Marx, nachdem Ihr Fraktionskollege Haase beanstandet, daß ich den Plenarsaal verlasse: Darf ich von Ihnen Verständnis dafür erwarten, daß ich eben zu einem dringenden Telefongespräch gerufen worden bin und deshalb den Plenarsaal verlassen möchte?
Einen Augenblick, Herr Kollege Haase. Ich möchte zunächst dem Herrn Abgeordneten Genscher antworten, der sicher in seiner Eigenschaft als Außenminister an das Telefon gerufen worden ist.
Herr Kollege, damit Sie das Gespräch rasch führen können, will ich meine Antwort ganz kurz machen. Sie wissen, daß wir uns in diesem Hause immer dann, wenn eine wirklich wichtige Sache vorlag, die es notwendig machte, daß ein Abgeordneter oder ein Minister oder ein Staatssekretär für eine gewisse Zeit das Haus verläßt, dies gegenseitig natürlich konzediert haben. Ich habe hinsichtlich des Kollegen Strauß auch darum gebeten.
Ich muß allerdings hinzufügen — auch dies, meine verehrten Kollegen, gilt nicht nur für die Regierungsbank, dies gilt auch für uns selbst —: Wir machen es uns oft zu leicht, bei sehr wichtigen, bei sehr schwierigen und bei ernsten Debatten andere Dinge zu tun, als unsere Pflicht hier oder in den Ausschüssen zu erfüllen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase?
Herr Kollege, sind Sie geneigt, zur Kenntnis zu nehmen, daß meine Kritik gar nicht dem Außenminister allein galt, sondern der Bundesregierung insgesamt, und sich ausweislich des Bildes, welches das deutsche Fernsehen jetzt bitte aufnehmen möchte, darauf bezog, daß die Regierungsbank leer ist und daß die Bundesregierung dem Thema, das wir behandeln, anscheinend nur eine untergeordnete Bedeutung beimißt?
Herr Präsident, habe ich noch das Wort?
Herr Abgeordneter, bitte.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Haase hat eine Frage an mich gerichtet. Ich will sie mit einem Ja beantworten; ich muß sie so beantworten. Ich sage ganz offen, es enttäuscht mich. Ich nehme den Herrn Außenminister dabei ausdrücklich aus, weil er seinen Grund hatte. Er hat sich ja dazu zu Wort gemeldet.Es ist in der Tat beschämend. Die Propaganda dieser Regierung — sie hat ja eine ganze Reihe von hochbezahlten Schönschreibern — tut seit Tagen nichts anderes, als der Offentlichkeit klarzumachen, daß die Bundesregierung heute im Bundestag eine große, eine starke, eine wichtige Regierungserklärung vortragen wolle. Ich will diese Erklärung gar nicht beurteilen; sie war weder groß noch stark noch in ihrer Substanz wirklich wichtig. Aber man hätte doch eigentlich annehmen müssen, daß die Minister dieser Regierung und auch einige der Parlamentarischen Staatssekretäre wegen des Themas, mit dem wir es zu tun haben, anwesend sind.
Aber sie sind es leider nicht. Sie gehen offenbar ihren eigenen Geschäften nach.
Ich habe vorhin gesagt, daß wir uns in einer sehr schnellebigen Zeit befinden. Ich möchte gern an einige Tatsachen erinnern, nämlich daran, daß Ende November 1978 die Partei- und Regierungschefs der Warschauer- Pakt-Staaten sich versammelt hatten und einen gemeinsamen Abrüstungsappell an den Westen haben ergehen lassen. Das war Ende November 1978. Am 1. Dezember, also wenige Tage danach, haben wir bei der Feier des 60. Jahrestages der Gründung Rumäniens erfahren, daß der rumänische Partei- und Regierungschef in Moskau nicht unterschrieben hat und daß er in einer Reihe von Interviews darauf hingewiesen hat, er sei nicht bereit, der an ihn ergangenen Aufforderung zur Aufrüstung zu folgen, und er sei nicht bereit, mehr Geld in die Auf-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15635
Dr. Marxrüstung zu stecken, denn er könne im Westen niemanden erkennen, der die osteuropäischen Staaten mit Krieg überziehen wolle. Ich führe das deshalb aus, um in einem Satz klarzumachen: Damals, im November 1978, gab es nach außen eine Propaganda der Abrüstung, in Wirklichkeit hat man nach innen — bei den eigenen Warschauer-Pakt-Staaten — eine erhebliche Steigerung der Aufrüstung verlangt. Dies war — das wird jedermann zugeben müssen — ein Doppelspiel.Zweitens. Ich erinnere an eine als wichtig klassifizierte Rede von Herrn Breschnew vom 2. März des vergangenen Jahres. Ich kann Ihnen nicht ersparen, jetzt daraus einige kurze Zitate vorzutragen, wenngleich es mir in diesem Hause schon einmal passiert ist, daß ich, als ich Breschnew zitierte, deshalb angegriffen wurde. Das zeigt ja die merkwürdige Verformung des Denkens: Nicht das, was Breschnew gesagt hat, ist des Angriffes wert, sondern die Tatsache, daß jemand von der CDU/CSU es wagt, das überhaupt noch einmal zu zitieren. Herr Kollege Brandt hat mit Recht gesagt: Nehmen wir Herrn Breschnew doch beim Wort! Ich nehme den ersten Mann in der Sowjetunion bei dem, was er programmatisch sagt, beim Wort. Aus diesem Grunde möchte ich folgende Zitate aus Äußerungen Breschnews vortragen.Erstens:Die Unterstützung des Kampfes der Völker für nationale Befreiung und sozialen Fortschritt ist ein Prinzip unserer Außenpolitik, das in der Verfassung der Sowjetunion verankert ist. Dieses Prinzip wird konsequent verwirklicht, und wir sind stolz auf die selbstlose Hilfe, die die Sowjetunion und die anderen Länder der sozialistischen Gemeinschaft den Völkern Angolas und Äthiopiens im Kampf gegen die Aggression und für das Recht, selbständig die Zukunft zu bestimmen, gewährt haben.Mein zweites Zitat zeigt, daß Breschnew im März 1978 offenbar seiner späteren Überlegungen schon gewiß war. Denn er sagt:Das Gefühl der Solidarität und der aufrichtigen Sympathie wird bei den sowjetischen Menschen durch die progressiven Umgestaltungen im revolutionären Afghanistan geweckt.Er fügt, um den Charakter der von der Sowjetunion abgeschlossenen Freundschafts- und Beistandsverträge ganz unmißverständlich deutlich zu machen, hinzu:Ein wichtiges Merkmal unserer Zeit sind unsere Verträge für Freundschaft und Zusammenarbeit mit Angola, Äthiopien, Mozambique und Afghanistan. Das sind keine militärischen Bündnisse und Koalitionen, die gegen jemand gerichtet sind, sondern es sind Dokumente der Freundschaft und Zusammenarbeit mit allen, die den Weg des Aufbaus einer Gesellschaft ohne Unterdrückung und ohne Ausbeutung betreten.Sehen Sie, Herr Kollege Brandt, — —
— Am Telephon, gut. — Herr Kollege Brandt hat heute einen Satz wiederholt, der in den letzten Tagen von ihm in den Zeitungen stand. Dieser Satz lautet: er gehe davon aus, die Sowjetunion habe sich in Afghanistan in ein Abenteuer verstrickt. Dem widerspreche ich. Ich gehe nicht davon aus — ich habe das vorhin schon angedeutet —, daß ein Abenteurer dahintersteht. Dies war sehr kalkuliert. Herr Kollege Brandt zeigt, daß offenbar sein Zugang zu dieser spezifischen Form des sowjetischen Denkens ein ganz anderer ist als der unsere. Denn er begreift nicht dieses in sich konsequente, logische Denken der anderen Seite.
Man hat gesagt — es ist etwas Wahres daran —, daß die Abstimmung in den Vereinten Nationen mit 104 Stimmen für den Rückzug der Sowjets aus Afghanistan eine bedeutende Veränderung im Klima der Vereinten Nationen zeigt. Aber wir wissen, so ein Klima kann sich auch wieder rasch andersherum gestalten, was wir nicht wünschen. Aber, meine Damen und Herren, wer glaubt, daß die Sowjetunion wegen dieser Niederlage in den Vereinten Nationen ihre Aktion abbreche, oder wer etwa glaubt, die Haltung in der Bevölkerung anderer Länder beeindrucke sie so sehr, daß sie mit ihrer mit militärischen Mitteln vorgetragenen Machterweiterungspolitik, mit ihrer Politik der Verbesserung der eigenen Position und des Zugangs zu den Ölquellen im Mittleren Osten und des Zugangs zu den Verbindungsrouten für die westliche Welt aufhört — auch was die anderen Rohstoffe anlangt —, wer glaubt, die Sowjetunion lasse sich durch eine wetterwendische Meinung davon abhalten, hat das eigentliche Wesen und den eigentlichen Charakter ihrer Politik nicht verstanden.Zum Beweis dessen, was ich sagte, möchte ich, wenn Sie es mir bitte erlauben, noch einmal Leonid Breschnew zitieren. Er sagt jetzt in der Prawda:Uns fiel der Beschluß zur Entsendung sowjetischer militärischer Kontingente nach Afghanistan nicht leicht. Aber das ZK der Partei und die sowjetische Regierung handelten im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortung. Sie berücksichtigten dabei alle Umstände.Das ist ganz ernst gemeint. Natürlich haben die Sowjets auch den Umstand berücksichtigt, daß sie wegen dieses Überfalls auch in der Dritten Welt in Schwierigkeiten kommen. Wenn man bedenkt, daß sie das alles einkalkuliert und in Kauf genommen haben, erkennt man, wieviel wert ihnen dieser militärische Vorstoß sein mußte und wieviel wert es ihnen ist, dort zu bleiben.Auch da muß ich dem Kollegen Brandt etwas sagen. Wie wir in den Zeitungen lesen, ist man offensichtlich dabei, dort weitere Stützpunkte auszubauen und sich heimisch zu machen. Es hat also keinen Zweck, unsererseits Beschwörungsformeln zu gebrauchen, von denen jeder in seinem Innern weiß: Das kann ja gar nicht klappen.
Meine Damen und Herren, in den vorhin zitierten Äußerungen von Herrn Breschnew sind die Namen
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15636 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. Marxeiner Reihe afrikanischer Staaten vorgekommen. Da wir morgen in diesem Hause eine Afrika-Debatte haben, werde ich dazu jetzt nur eine ganz kurze Bemerkung machen.Niemand von uns sollte so tun, als ob er erst durch die sowjetische. Aggression gegen Afghanistan Kenntnis von der Durchdringungs- und Eroberungspolitik bekommen hätte, der dieses Land zum Opfer gefallen ist. Bereits das sorgfältige Herantasten an Angola, der langsame Einsatz zunächst militärischer Transportmaschinen, dann der Einsatz der sogenannten zivilen Aeroflot, weiter — wegen des Ausbleibens westlicher Reaktionen — das rasche Zupacken in diesem Land, auch unter Einsatz kubanischer und sowjetischer Kräfte, dies alles, meine Damen und Herren, zeigt doch, daß schon vor vielen Jahren — Herr Strauß hat in einer Rede, die er hier früher vor einer verständnislosen Linken gehalten hat, darauf hingewiesen — die Okkupation Angolas und die Inbesitznahme sowie die Einschleusung des besten Verbündeten Kuba in andere afrikanische Staaten und nach dem Südjemen für die sowjetische Politik eine ganz besondere Rolle gespielt hat.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend folgendes sagen.Erstens. Die CDU/CSU bewertet die aggressive Politik der sowjetischen Intervention in Afghanistan, in Ostasien — was wir nicht vergessen sollten — und in Afrika, eine Politik, an der sich die DDR schuldig macht, als eine gefährliche Bedrohung des Weltfriedens.
Diese Bedrohung belastet auch uns in Europa und notwendigerweise das Verhältnis der Staaten des Warschauer Vertrags zu uns. Die CDU/CSU fordert daher den Rückzug der Okkupationstruppen aus Afghanistan und Kambodscha sowie aus Laos und aus den von den Kubanern okkupierten Staaten Afrikas.
Zweitens. Die CDU/CSU bekennt sich erneut zu einer Politik des Augenmaßes und zu einer von Illusionen freien, realistischen Entspannungspolitik.
Sie ist bereit zu Gesprächen auch mit der Sowjetunion und deren Partnern unter gleichen und ehrlichen Bedingungen, nicht aber unter dem Druck kriegerischer Bedingungen und der Androhung, diese auszuweiten.
Für uns gründet sich dauerhafte Entspannung auf die Treue zu Abmachungen, nicht auf Willkür. Die CDU/CSU lehnt jede Politik der Unterwerfung oder der Anpassung ab. Da Friede nur auf Menschenrechten und auf der Achtung vor dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beruhen kann, erinnert die Union auch heute an die unmenschlichen Zustände in Deutschland und an die fortdauernde Spaltung unseres eigenen Landes.
Wir möchten bei der Diskussion, die jetzt auch im Schoß der Regierung sehr kontrovers — wenn ich Herrn Bahr und auf der anderen Seite den Außenminister höre,— geführt wird, ob Entspannung teilbar ist oder nicht, nicht den Eindruck aufkommen lassen, als ob die Entspannungspolitik in Europa schon so großartige Fortschritte gemacht hätte. Wir sehen bei den Schießanlagen und an dem, was Deutschland durchtrennt, von dieser Entspannung bis zum heutigen Tag leider nichts.Drittens. Die CDU beurteilt die bisher praktizierte und — ich wiederhole — auf euphorischen Erwartungen beruhende Entspannungspolitik als unrealistisch und daher gescheitert. Sie fordert deshalb die Bundesregierung angesichts der veränderten Lage und der gewachsenen Bedrohung zur Kurskorrektur auf und erklärt, daß sie eine Gemeinsamkeit mit der Bundesregierung nur dann praktizieren kann, wenn die Grundlagen einer solchen Außen-, Ost- und Deutschlandpolitik auf einer sauberen und aufrichtigen Einschätzung des weltpolitischen Kräftespiels und der ihm innewohnenden Prinzipien beruht.
Viertens. Die CDU/CSU, die — auch daran muß man erinnern — gegen heftige Widerstände das Bündnis mit anderen westlichen Staaten und die Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewollt und politisch durchgesetzt hat,
erklärt, daß wir uns durch unsere Geschichte und Kultur, durch unsere Rechtsordnung und Freiheitsliebe nicht nur als einen Verbündeten, sondern als einen Teil der westlichen Welt verstehen. Daher streben wir Zusammenarbeit, Solidarität und freundschaftliche Verständigung mit jenen Völkern und Staaten an, die mit uns zusammen Freiheit und Frieden wollen.Fünftens. Die CDU/CSU steht besonders in schwierigen Zeiten treu an der Seite ihrer Freunde, deren Einsatz unser Land Freiheit und Wohlstand verdankt.
Bei aller Berücksichtigung von nationalen und geographischen Interessen ist für uns in der Krise und Gefahr die Solidarität mit unseren Verbündeten nicht teilbar.
Sechstens. Die CDU/CSU ist bereit, über alle oft gehörten verbalen Verpflichtungserklärungen hinaus Opfer zu bringen und sich an notwendigen Maßnahmen gegen Willkür und Aggression zusammen mit unseren Verbündeten und jedermann, der dies aufrichtig will, zu beteiligen, weil unserer Überzeugung nach nur durch gemeinsame Entschlossenheit, nur durch gemeinsames Handeln, Unheil abgewendet und unsere Freiheit in Frieden verteidigt werden kann.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15637
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Marx, ich werde auf einen Teil Ihrer Rede im Lauf meiner Ausführungen zurückkommen. Ich möchte nur schon sagen: Sie sollten bitte den chinesischen Ministerpräsidenten nicht in dieser Weise für sich in Anspruch zu nehmen versuchen. Ich will auch sagen, warum. Ich habe mit ihm ein sehr langes Gespräch gehabt.
Am Schluß dieses Gesprächs hat er gesagt: Er sei zum ersten Mal in seinem Leben in einem Land gewesen, in dem es so was gibt wie West-Berlin, wie Luftkorridore
und wie Transitstraßen. Deshalb könne er, hat er gesagt, unsere Politik jetzt sehr viel besser verstehen, als es vorher der Fall gewesen sei. Vielleicht können Sie von ihm lernen, Herr Kollege Marx.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei diesem Stadium der Debatte sehe ich, daß wir in einigen Punkten, soweit ich sie beurteile, übereinstimmen, in einigen, in vielen Punkten aber nicht übereinstimmen. Deshalb möchte ich das hier deutlich herausstellen.Ich glaube, wir alle in diesem Hause sind uns einig in der Verurteilung der Sowjetunion wegen der militärischen Besetzung Afghanistans. Wir sind uns zweitens sicher alle einig in der Feststellung, daß das Bündnis für unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist, und drittens, daß gerade in dieser Stunde die Vereinigten Staaten mit Recht unsere volle Solidarität erwarten können.
Es gibt aber eine Reihe von Punkten, in denen wir nicht übereinstimmen, und ich möchte diese, nachdem ich die übereinstimmenden Punkte genannt habe, sehr intensiv behandeln.Das erste, was die Opposition nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan getan hat, war, daß sie tagelang auf die Bundesregierung geschimpft hat. Darin kann ich allerdings keine Logik sehen: wenn eine andere Armee in ein anderes Land einmarschiert, in dieser Weise mit der Bundesregierung umzugehen, wie das in den letzten Wochen der Fall gewesen ist;
da fehlt die nationale Würde, meine sehr verehrten Damen und Herren.
— Sie müssen sich mal . durchlesen, was bei dieser Gelegenheit gesagt worden ist.
— Gucken Sie sich Ihre Kongreßpapiere an! Ich kann Ihnen sehr genaue Formulierungen sagen.
Das zweite, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir stimmen nicht überein in wesentlichen Punkten der Entspannungspolitik. Deshalb muß ich dazu einiges sagen. Heute ist das nicht ganz so deutlich zum Ausdruck gekommen wie z. B. auf Ihrem Sicherheitskongreß und wie in einer Reihe von Beiträgen, die es vorher gegeben hat.
Heute hat es mehr Zurückhaltung gegeben, und ich werde Ihnen zum Schluß auch sehr genau sagen, warum das heute so gewesen ist. Die Blitzumfrage, von der der Herr Kollege Strauß vorhin gesprochen hat, habe ich mir in der Zwischenzeit besorgt. Ich werde Sie genau über den Inhalt informieren, und Sie werden sehr überrascht sein.Wenn wir in die Geschichte der Bundesrepublik zurückschauen, sehen wir, daß es während der ersten 20 Jahre zu einem erheblichen Teil eine Zeit des Kalten Krieges gegeben hat. Ich sage nicht, daß diejenigen, die in der Bundesrepublik Verantwortung hatten, dafür die Verantwortung zu tragen haben.
Ich will ein paar Daten nennen, die zeigen, wovon diese ersten 20 Jahre geprägt waren. 20. Juni 1948 bis 12. Mai 1949: Berlin-Blockade mit Luftbrücke. 30. Juni 1952: Die DDR baut eine Sperrzone an der Demarkationslinie. 17. Juni 1953: Volksaufstand in Ost-Berlin. 11. Dezember 1957: Durch Änderung des Paßgesetzes der DDR wird jedes unerlaubte Verlassen des anderen Teils Deutschlands unter Strafe gestellt. 10. November 1958: Der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow fordert in einer Rede in Moskau, die Westmächte sollten auf die Reste des Besatzungsregimes in Berlin verzichten. 27. November 1958, das Berlin-Ultimatum: Die UdSSR fordert die Westmächte ultimativ zum Abzug aus Berlin binnen sechs Monaten auf. 29. August 1960: Die DDR erläßt Beschränkungen für den Verkehr zwischen West- und Ost-Berlin. 30. September 1960: Die Bundesregierung kündigt wegen der Beschränkung im innerdeutschen Reiseverkehr das Interzonenhandelsabkommen auf. 13. August 1961: Bau der Berliner Mauer.
23. August 1961: An der Sektorengrenze gehen amerikanische Panzer in Stellung.
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15638 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Wischnewski15. Februar bis 6. April 1962: Die drei Westmächte protestieren gegen sowjetische Störungen von Flügen im Luftkorridor nach Berlin und bestehen auf ihren Benutzungsrechten.
10. Oktober bis 16. Oktober 1963: Amerikanische und britische Militärkonvois werden auf der Fahrt nach Berlin angehalten. 14. Dezember 1966: Zum erstenmal seit 1963 gibt es in Berlin keine Passierscheine zu Weihnachten. 28. Februar .1968: Schwere Störungen des Verkehrs auf den Transitstraßen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich dies hier aufzeige, dann, um Ihnen zu sagen, warum in unserem Interesse und in Übereinstimmung mit unseren Verbündeten eine Entspannungspolitik so, wie wir sie betrieben haben, zwingend notwendig gewesen ist.
Dann, wenn Sie sich die nächsten zehn Jahre anschauen,
in denen wir uns darum bemüht haben, Schritt für Schritt
Verbesserungen zu erreichen, werden Sie feststellen, daß wir in dieser Zeit nicht ein einziges dieser schrecklichen Ereignisse zu verzeichnen haben. Ich sage noch einmal: Ich mache das denjenigen, die hier in den 20 Jahren vorher regiert haben, nicht zum Vorwurf. Ich sage nur, warum es notwendig war, eine solche Politik zu betreiben.
Was haben wir getan? Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben mit der Sowjetunion Gewaltverzicht vereinbart. Ich hoffe, daß niemand von Ihnen gegen Gewaltverzicht ist.
— Sehen Sie, das ist eben der große Unterschied; darauf komme ich jetzt: Eben deshalb, weil wir diese Politik auf der Basis des Bündnisses, in Abstimmung mit den Verbündeten, als unseren entscheidenden Beitrag für Europa, wie es in den Verträgen heißt,verwirklicht haben, haben wir es nicht mit dem zu tun, was Sie gerne wollen.
— Nein, ich möchte meinen Beitrag zu Ende führen. Herr Kollege Mertes, ich komme sowieso noch mehrere Male auf Sie zurück.
Wir haben dann am 3. September 1971 nach dem Vertrag mit der Volksrepublik Polen im Rahmen dieser Politik das Viermächteabkommen erreichen können, und niemand wird bestreiten können, daß seit diesem Zeitpunkt die Situation um und in Berlin besser ist als zu jedem anderen Zeitpunkt.
Wir haben am 21. September 1972 den Grundlagenvertrag mit der DDR abgeschlossen, und wir haben im Jahre . 1973 diplomatische Beziehungen zu Bulgarien und Ungarn aufgenommen — auch deshalb, damit die CSU-Fraktion und der bayerische Ministerpräsident nach Budapest fahren konnten,
um dort ihre Gespräche führen zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir lag daran, den Unterschied von 20 Jahren zu den letzten zehn Jahren aufzuzeigen. Ich meine, wir haben Anlaß, an dieser Politik festzuhalten. Ich sage das, weil hier über Entspannungspolitik gesprochen worden ist.
Wir können zweitens mit Ihnen in vielen Punkten nicht übereinstimmen, so in dem, was Sie in bezug auf die Ausweitung des Bündnisses sagen. Ich zitiere jetzt den Deutschland-Union-Dienst der CDU, weil hier wohl Mißverständnisse entstanden sind, wörtlich. In der Ausgabe vom 15. Januar 1980 wird „die Ausdehnung des Schutzbereiches der NATO nach Süden" gefordert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist eine wörtliche und eindeutige Formulierung. Ich sage Ihnen: Eine solche Politik tragen wir nicht mit. Sie ist lebensgefährlich für das Bündnis. Sie kann das Bündnis auseinandersprengen. Haben Sie eigentlich, bevor Sie etwas Derartiges in die Welt gesetzt haben, einmal die anderen Bündnispartner gefragt, die Norweger, die Dänen, die Isländer, die Niederländer, die Belgier, die Italiener, die Portugiesen, von den Franzosen gar nicht zu sprechen, was sie von solchen Überlegungen halten?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15639
WischnewskiIch sage noch einmal: Dieses ist der Originaltext, und ich hoffe, daß es in dieser Frage nun keinen Streit über Texte mehr geben kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, all das, was Sie uns bisher über die Dritte Welt gesagt haben — darüber ist heute viel geredet worden —, ist für uns kein Anlaß, unsere Haltung zu ändern. Ich will Ihnen ein sehr konkretes Beispiel geben. Sie haben uns hier in diesem Saale hart kritisiert, sogar in sehr unverschämter Weise, weil wir Somalia Entwicklungshilfe geleistet haben. Schlagzeilen haben Sie damit gemacht. Wir haben uns von Ihrer Haltung nicht beeinflussen lassen. Wir haben vielmehr konsequent das weitergeführt, was wir für richtig gehalten haben. Sie haben uns unterstellt, wir wollten in Somalia den Kommunismus unterstützen. Ich sehe heute noch die Schlagzeilen, die einer Ihrer Kollegen gemacht hat. Dies hat uns Gott sei Dank nicht davon abhalten können, die Politik der Bundesregierung in dieser Frage weiter zu unterstützen.
Ich weiß nicht, was in Mogadischu gewesen wäre, wenn wir Ihre Ratschläge befolgt hätten und von heute auf morgen jede Hilfe abgezogen hätten.
Am Tage nach Mogadischu hat der heutige bayerische Ministerpräsident von diesem Platz aus verlangt, nun müßten selbstverständlich sofort Waffen an Somalia geliefert werden. Das war von einem Tag auf den anderen eine völlige Änderung.Der Kollege, der uns damals wegen unserer Haltung so beschimpft hat — Sie wissen schon, wer es ist —, war in der Zwischenzeit dort und hat dann gesagt, die Bundesregierung müsse selbstverständlich in Somalia viel mehr tun. Ich darf nur daran erinnern, der Ministerpräsident und die Regierung sind in jenem Lande immer noch die gleichen wie zu der Zeit, als Sie von uns verlangt haben, daß wir jegliche Entwicklungshilfe an dieses Land von heute auf morgen einstellen. Dieses ist ein praktisches Beispiel dafür, was herauskommen würde, wenn wir uns an solche Ratschläge hielten.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Todenhöfer, Herr Kollege Wischnewski?
Wischnewski (SPD): Gerne.
Bitte sehr.
Herr Staatsminister, gestatten sie eine etwas längere Zwischenfrage?
— Außer Dienst.
Nein. Bitte kurzfassen.
Herr Staatsminister außer Dienst, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir, als wir im Entwicklungsausschuß und im Haushaltsausschuß eine vorläufige Sperre für einige prosowjetische Entwicklungsländer forderten, dies wie folgt begründeten:
Erstens. Entwicklungshilfe an Entwicklungsländer, die sich in die sowjetische Globalstrategie einordnen, ist grundsätzlich problematisch.
Zweitens. Dann, wenn eine Kurskorrektur bei diesen Entwicklungsländern erkennbar ist oder wenn gleichwertige außenpolitische Gegenleistungen erbracht werden, ist Entwicklungshilfe möglich.
Herr Wischnewski, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Kurskorrektur Somalias auf Grund einer veränderten Politik der Sowjetunion am Horn von Afrika längst vor „Mogadischu" eingetreten ist und wir deswegen bereits vor Mogadischu eine völlig geänderte Haltung gegenüber Somalia empfohlen hatten?
Herr Kollege, Sie dürfen hier nicht mehrere Reden in Frageform kleiden, sondern Sie haben das Recht, eine Frage zu stellen.
Herr Kollege Todenhöfer, ich möchte Ihnen folgendes sagen: Erstens. Das, was Sie damals von uns verlangt haben, war unverantwortlich.
Zweitens. Wenn Sie glauben, es ginge, in der Dritten Welt mit dem Zirkel jeden Tag eine andere Politik zu machen, kann ich Ihnen nur sagen, es fehlt Ihnen jedes Gespür für die Probleme der Dritten Welt. So geht es nicht.
Da muß man bereit sein, langfristig zu denken. Da muß man auch mal bereit sein, eine Zeitphase hinzunehmen, wo die Beziehungen aus dem einen oder anderen Grund ein wenig belastet sind.
Sie erinnern mich an die afrikanischen Staaten, die immer gesagt haben: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln, diplomatische Beziehungen abbrechen, wiederherstellen.Diese unsere Politik ist eine langfristig abgestimmte und nicht eine hektische Tagespolitik, wie sie bei Ihnen aus zwei Gründen betrieben wird: einmal, um Schlagzeilen in der Presse zu machen
und zweitens, um Politik gegenüber der Dritten Welt in erster Linie zu einem Schlagstock der innenpolitischen Auseinandersetzung machen zu können.
Dieses, Herr Todenhöfer, ist Ihnen wichtiger als alles andere.
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15640 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
WischnewskiNun möchte ich gerne meinen Beitrag zu Ende führen.
Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Keine Zwischenfrage mehr.
Ich spreche noch einmal das Verhältnis zur Dritten Welt an — und da bleibe ich bei Ihnen —, wo Sie uns Ratschläge geben, die mitzumachen wir nicht bereit sind. Sie haben uns zur Freundschaft mit der südafrikanischen Republik aufgefordert. Ich sage Ihnen hier: Wir sind zur Freundschaft mit der südafrikanischen Republik bereit, zu einer Freundschaft mit einer südafrikanischen Republik, in der die Menschenwürde geachtet wird, in der es keinen Rassismus gibt, in der Geistliche nicht deshalb ausgewiesen werden, weil sie sich für die schwarze Bevölkerung einsetzen.
— Weil es dabei um das Verhältnis zur Dritten Welt geht. Ministerpräsident Strauß hat hier über Angola und alle diese Fragen gesprochen. Deshalb ist es notwendig, dazu ein Wort zu sagen.Zu dem, was Herr Strauß in diesem Zusammenhang gesagt hat, möchte ich folgendes sagen: Wie er können wir in gar keiner Weise billigen, daß kubanische Truppen, sowjetische Truppen und insbesondere Truppen der DDR in Angola, in Mozambique, Äthiopien und im Südjemen sind — um jetzt einmal dabei zu bleiben.Ich kann nicht wie er beurteilen, wer in Angola die Mehrheit hätte, Herr Neto — verstorben und in der Zwischenzeit ersetzt — oder Herr Savimbi: Eine Wahl hat ja nie stattgefunden. Wer aber über Angola spricht, muß bereit sein, ein bißchen weiter zurückzudenken. Neto war in der westlichen Welt — ich habe mich vorhin bemüht, den bayerischen Ministerpräsidenten darüber zu informieren — und hat hier vor Jahren, als sein Land noch eine portugiesische Kolonie war, an die Pforte geklopft, auch in der Bundesrepublik, und hat um Unterstützung gebeten. Er hat sie nicht erhalten. Er hat sich erst Jahre später dann an andere gewandt, die ihm geholfen haben. Wir dürfen für die Zukunft nicht vergessen — auch wegen anderer Ergebnisse —, daß dies in ganz entscheidendem Maße dazu geführt hat, daß eine derartige Situation entstanden ist.Im übrigen sollten wir bitte auch daran denken: In Mozambique ist es ähnlich gewesen. Der erste Präsident der Frelimo, Dr. Mondlane, war früher ein Beamter der Vereinten Nationen. Seine Frau war eine Amerikanerin. Er war auch hier in der Bundesrepublik und in anderen westlichen Ländern und hat um Unterstützung für die Unabhängigkeit dieses Landes gebeten. Sie ist ihm damals verweigert worden. Man hat sich dann an andere Adressen gewandt und dort die Unterstützung erhalten. Ich sage das nicht mit dem Tone des Vorwurfs, sondern mit der Bittean uns alle, aus einer derartigen Entwicklung zu lernen.
Wer die Entwicklung in dieser Region betrachtet, muß folgendes sehen. Natürlich hat es auch in anderer Hinsicht entscheidende politische Veränderungen gegeben. In Ägypten ist eine entscheidende politische Veränderung eingetreten. Im Irak ist eine politische Veränderung eingetreten. Über Somalia haben wir bereits geredet. Das gilt in ähnlicher Weise auch für Conakry, d. h. für Guinea. Mir liegt daran, das in diesem Zusammenhang zu sagen.Dann stimmen wir nicht in der Beurteilung der Vereinten Nationen überein. Vielleicht können wir in der Zukunft übereinstimmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben in den letzten Jahren viele harte Urteile über die Vereinten Nationen gesprochen. Einer, der heute hier geredet hat, hat von der Quasselbude der Vereinten Nationen gesprochen.
Wir haben auch unsere Probleme damit gehabt, und uns hat auch nicht alles gefallen, aber wir — die Bundesregierung mit ihrem Botschafter dort, der seine Arbeit hervorragend macht — haben uns bemüht, konstruktive Beiträge zu leisten.
— Wenn Sie jetzt so reagieren, muß ich sagen: Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir unsere Stimme gegen die Sowjetunion ja gar nicht abgeben können; denn dann wären wir bis heute noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen, um das einmal in aller Deutlichkeit zu sagen.
Das nächste Problem — Herr Kollege Mertes, hier spreche ich Sie an —: Mir ist nicht ganz klar, welche Auffassung bei Ihnen gilt. Der bayerische Ministerpräsident hat noch nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan ausdrücklich seine Bereitschaft erklärt, nach Moskau zu reisen. Sie haben aber vor einigen wenigen Tagen den Bundeskanzler und den Vizekanzler aufgefordert, nicht nach Moskau zu reisen. Ich gewinne den Eindruck: Schmidt und Genscher sollen nicht reisen, Strauß reist, dann aber offensichtlich als eine der von Ihnen vorgesehenen Strafaktionen.
Ob die Sowjetunion das genauso auffaßt, möchte ich ' bezweifeln.
Ich möchte ein grundsätzliches Wort dazu sagen. Direkte Kontakte und Gespräche in normalen Zeiten sind nichts Besonderes; aber wenn es besonders
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Wischnewskischwierige Probleme gibt, ist es für Politiker und für die Politik in der Tat die Aufgabe, solche Gespräche zu führen. Wenn es dem Frieden dient, muß auch dann geredet werden, wenn es viele Menschen in unserem Land zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch nicht verstehen sollten.Herr Kollege Mertes, Sie sind auch dafür eingetreten, daß eine Zusammenkunft zwischen dem Bundeskanzler und dem Staatsratsvorsitzenden der DDR nicht stattfindet. Ich freue mich, daß der Bundeskanzler dazu ein ganz deutliches Wort gesagt hat. Ich freue mich, daß ich gestern abend die Gelegenheit gehabt habe, zu erfahren, wie viele Menschen in der DDR über diese Frage denken, die keine Parteifunktionäre sind, die aber sehr an dem Problem des Friedens hier in Mitteleuropa und an dem Verhältnis der beiden Staaten zueinander interessiert sind. Sie wollen, daß diese Zusammenkunft stattfindet, und wir wollen es auch; denn die Gespräche, die geführt werden sollen, sollen im Interesse der Menschen hüben und drüben geführt werden. So etwas soll wegen Afghanistan nicht auf die Seite geschoben, sondern muß gerade jetzt weitergeführt werden.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Wischnewski?
Ja.
Herr Kollege Wischnewski, haben Sie meine Aussage zur Kenntnis genommen, daß der innerdeutsche Dialog nicht abreißen darf, daß dafür aber die Ständigen Vertretungen in Bonn und Ost-Berlin derzeit vollauf genügen?
Ich habe das sehr genau gelesen. Es war ein sehr umfangreicher Fragenkatalog, der als Reaktion in Ihrem Pressedienst erschien. Nicht zu jeder Zeit reicht ein solcher Kontakt aus. Ganz im Gegenteil: Von Zeit zu Zeit ist es gerade in einer besonders schwierigen Zeit notwendig, daß der Bundeskanzler und der Staatsratsvorsitzende einen direkten und persönlichen Kontakt miteinander haben, um auf diese Art und Weise auf beiden Seiten darum bemüht zu sein, daß die Politik im Interesse der Menschen hüben wie drüben fortgesetzt werden kann. Ich hoffe, Sie werden auch daran interessiert sein, daß weitere Anstrengungen gemacht werden, um diese Politik fortzusetzen.Ich möchte unsere Haltung in einigen wenigen Punkten zusammenfassen. Erstens. Wir verurteilen den sowjetischen militärischen Einmarsch in Afghanistan. Er gefährdet den Frieden in dieser Region. Wir fordern die Sowjetunion auf, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen im Interesse der Erhaltung des Friedens in dieser Region und im Interesse der Wiederherstellung des Selbstbestimmungsrechts der Menschen in diesem Lande.Zweitens. Die Grundlage unserer Sicherheit ist das Bündnis. Dieses Bündnis hat u. a. die Aufgabe, für das notwendige militärische Gleichgewicht Sorge zu tragen. Wir leisten in diesem Bündnis unseren gewichtigen Beitrag. Wir werden dem Bündnis das geben, was im Interesse unserer Sicherheit und der Sicherheit unserer Verbündeten notwendig ist.Drittens. Wir stehen solidarisch an der Seite der Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten können sich auf uns verlassen.Viertens. Wir fordern die Verantwortlichen im Iran auf, die völkerrechtswidrig und wider alle Menschenrechte festgehaltenen Geiseln freizulassen. Wir sagen ihnen dazu: Was ihr dort tut, steht auch im Widerspruch zu eurer Religion und im Widerspruch zum Koran. Es geht dabei nicht nur um das Verhältnis des Irans zu den Vereinigten Staaten, sondern es geht auch um das Verhältnis des Irans zum größten Teil der Länder der Welt überhaupt.Fünftens. Wir bitten die Bundesregierung ganz dringend, an ihrer bisherigen Haltung in bezug auf Salt II und Salt III festzuhalten. Das Verhandlungsangebot des Bündnisses muß aufrechterhalten bleiben; die Wiener Verhandlungen müssen fortgesetzt werden. Die zweite Nachfolgekonferenz der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Madrid muß vorbereitet werden und soll stattfinden.Sechstens. Wir bitten die Bundesregierung dringend, das für die Menschen in beiden deutschen Staaten Erreichte zu verteidigen und mitzuhelfen, daß von dem bisher Erreichten nichts verlorengeht, sondern daß weiter daran gearbeitet werden kann. In diesen Tagen haben die Deutschen in beiden deutschen Staaten nahezu die gleichen Überlegungen. In beiden deutschen Staaten haben die Menschen tiefe Sorge um die weitere Entwicklung. Sie haben aber auch die Sorge, daß das bisher Erreichte in dieser Situation verlorengehen kann. Wir bitten die Bundesregierung, alle Anstrengungen zu machen, daß von dem bisher Erreichten nichts verlorengeht,
sondern daß — ganz im Gegenteil! — weiter daran gearbeitet wird, die menschlichen Kontakte weiter zu verbessern.Siebtens. Wir werden überall, wo wir die Chance haben, die Unabhängigkeit der Länder der Dritten Welt politisch und ökonomisch fördern. Aber wir wollen nicht Weltpolizei, insbesondere in der Dritten Welt, sein.
Wir wollen eine weitere und stärkere Unterstützung unseres NATO-Partners in der Türkei. Wir wollen eine zusätzliche Unterstützung Pakistans. Wir hoffen, daß die politischen und entwicklungspolitischen Beziehungen mit einem so wichtigen Partner wie Indien nicht nur erhalten bleiben, sondern auch weiter ausgebaut werden können. Wir möch-
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Wischnewskiten die Absichten der Europäischen Gemeinschaft, in ein besonders enges Verhältnis zu den Golf-Staaten einzutreten, ausdrücklich unterstützen. — In diesen Punkten, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich unsere Politik gern zusammengefaßt wissen.Nun hat der Kollege Strauß vorhin über eine Blitzumfrage gesprochen. Ich habe sie mir in der Zwischenzeit besorgt. Ich möchte Sie mit der Frage vertraut machen, die für mich von ganz entscheidender Bedeutung ist. Die Frage lautet wörtlich wie folgt:Und wenn es heißt: Die Europäischen Länder, vor allem die Bundesrepublik, sollen auf jeden Fall die Entspannungspolitik fortsetzen, stimmen Sie da zu oder nicht zu?Das Ergebnis ist folgendes: Der Fortsetzung der Entspannungspolitik, insbesondere in Europa und durch die Bundesrepublik, stimmen 78 % zu, 11 stimmen ihr nicht zu, und 11 % sind unentschieden. Wenn das nach Regierungsanhängern und Oppositionsanhängern aufgeteilt wird, dann beträgt die Zustimmung bei den Regierungsanhängern 90 % und bei Ihren Anhängern 70 %. Da hier vorhin durch den Herrn Bayerischen Ministerpräsidenten nur ein Teil der Blitzumfrage mitgeteilt wurde, lag mir daran, Sie auch über den anderen Teil zu informieren. Ich hoffe, daß dieser Wunsch der Menschen in unserem Lande von allen Seiten dieses Hauses unterstützt wird.
Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung und die Debatte darüber haben sich — verständlicherweise — eigentlich nur mit zwei Schwerpunkten beschäftigt, nämlich den Ereignissen in Afghanistan und im Iran sowie der Frage, wie wir unter Berücksichtigung dieser Ereignisse weiter Politik machen sollen. Genau damit möchte ich mich auch beschäftigen, wobei es vergleichsweise einfach ist, festzustellen, daß es in der Bewertung der Ereignisse überhaupt keinen Dissens gibt.Der Einmarsch der Sowjets in Afghanistan wird von allen einvernehmlich als aggressiver Akt bezeichnet, der durch nichts zu entschuldigen ist. Auch die Ereignisse im Iran werden als ein eindeutiger Bruch des Völkerrechts betrachtet. Einigkeit gibt es auch darüber — das sollte man, finde ich, gar nicht erst in Zweifel ziehen —, daß wir die Sowjetunion auffordern, sich aus dem besetzten Land zurückzuziehen, weil sie sonst das Zusammenleben der Völker und den Frieden noch nachhaltiger gefährdet, als wir ihn schon gefährdet sehen. Wir empfinden jedenfalls das, was sich in dieser Region abspielt, als ein Alarmsignal, als eine Gefährdung für den Frieden. Ich habe den Eindruck, daß es gar keinen Sinn macht, über diese Einschätzung in Streit zu geraten, weil es darüber keinen Dissens gibt.Auch in der Analyse der Politik, die diesen Ereignissen zugrunde liegt, gibt es nach meinem Dafürhalten sehr viel mehr Gemeinsamkeiten, als der eine oder andere aus parteitaktischen Gründen zuzugeben bereit ist. Herr Kollege Dr. Marx, ich möchte Ihrer Kritik, wir hätten die Strategie, die diesem Vorgehen zugrunde liege, nicht eindeutig analysiert, widersprechen und noch einmal in Erinnerung rufen, was der Bundesvorsitzende der FDP und Bundesaußenminister hierzu im Plenum gesagt hat — ich zitiere —:Die Zielrichtung der sowjetischen Intervention in Afghanistan ist eindeutig. Sie ist Ausdruck einer Gesamtstrategie, den Einflußbereich dort auszubauen, wo Stabilität fehlt, wie sie in Europa vorhanden ist, . und wo dies ohne größere Risiken möglich erscheint. Sie ist, konkret ausgesprochen, im mittelöstlichen Bereich auch Ausdruck der Gesamtstrategie, zu den „warmen Gewässern" vorzustoßen und zugleich Einfluß auf die Energiequellen und Rohstoffe der Region zu gewinnen.Ich habe von Ihnen, gleich von welchem Redner — ob vom bayerischen Ministerpräsidenten, ob von Ihnen, Kollege Marx oder auch von anderen an anderer Stelle —, eigentlich keine andere Analyse der Strategie gehört. Wir sollten also auch insoweit nicht den Eindruck erwecken, als seien wir zu einer klaren Analyse nicht fähig. Ich teile im übrigen nicht alle anderen Bewertungen, insbesondere des bayerischen Ministerpräsidenten, aber ich meine, daß er in seiner Rede bewußt — ich denke, unter dem Eindruck der Umfrage, Herr Wischnewski, die Sie vorgetragen haben — moderat war: ja nicht seinem Bild ähneln, das er sonst immer zeigt. Ich habe den Eindruck, daß er in seiner Rede auch in einigen anderen Punkten durchaus akzeptable Analyseansätze geboten hat.Aber zurückblickend ist doch die entscheidende Frage, liebe Kollegen: Was hätte der Westen tun können — nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern der Westen insgesamt —, um das — sprich: Afghanistan und Iran — zu verhindern? Und was müssen wir tun, um beispielsweise eine Ausdehnung auf den Iran oder Jugoslawien oder ähnliches zu vermeiden? Diese Fragen sind mir, offen gestanden, trotz vieler Ansätze und bei dem offenkundigen Versuch, den einen in diese, den anderen in jene Ecke zu drängen, zu kurz gekommen.
Ich möchte darauf noch einmal zurückkommen.Was hätten wir tun können? Ich muß Ihnen offen sagen: Über das hinaus, was wir im westlichen Bündnis an Sicherheitspolitik, Außenpolitik und an Politik der Partnerschaft mit den Staaten der Dritten Welt, auf die hier Bezug genommen wird, betrieben haben, sehe ich keine Möglichkeiten. Sie haben auch keine einzige Möglichkeit aufgezeigt.
Dies ist einfach eine Feststellung.
Ich habe bei dem Kollegen Strauß überhaupt nur zwei operative Vorschläge gehört. Der eine Vorschlag bezog sich darauf, daß er bestätigte, der Verteidigungsminister habe in einer Personalangele-
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Möllemanngenheit richtig gehandelt. Der zweite Punkt war die Empfehlung an den Bundesaußenminister, er möge doch bitte bei der Fixierung des Prinzips der Kollektivität bei den MBFR-Verhandlungen hart bleiben.Sie dürfen davon ausgehen, daß die Bundesregierung dabei die volle Unterstützung der FDP haben wird.Aber sonst war da nichts.
Sie haben dann gesagt: Die alte, die falsche Entspannungspolitik war irgendwie daran schuld. Sie haben nicht konkret gesagt, wie; aber irgendwie. Entspannung ja, aber nicht falsch, was immer das sein mag.Sie, Herr Kollege Dr. Mertes, regen sich immer wieder auf, wenn wir versuchen, Sie beim Wort zu nehmen, daß Sie Gegner der Entspannungspolitik, jedenfalls in Gestalt der von uns vereinbarten Verträge und Abkommen gewesen sind.
— Ich nehme jetzt zur Kenntnis, daß Sie sagen, Sie stellten sich auf den Boden derselben;
aber mir ist nicht klar, wo Ihre Bereitschaft dazu stecken soll, wenn Sie bei der ersten größeren Belastungsprobe für diese Entspannungspolitik sofort wieder alles an Aversionen freisetzen gegen diese betriebene Politik der Entspannung und des Ausgleichs mit dem Osten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?
Ja, bitte; es ist ja eine Debatte.
Bitte sehr, Herr Kollege Dr. Mertes.
Herr Kollege Möllemann, haben Sie nicht unsere wiederholten Erklärungen sofort nach den Ereignissen in Afghanistan zur Kenntnis genommen, daß die auf dem Tisch liegenden konkreten operativen Vorschläge des Westens für Abrüstung und Rüstungskontrolle nicht vom Tisch gezogen werden sollen, daß jetzt allerdings eine Überprüfung der politischen Voraussetzungen des Denkens in diesem Bereich stattfinden muß und daß darüber im übrigen gestern auch eine erstaunlich breite Übereinstimmung im Auswärtigen Ausschuß vorhanden war?
Herr Kollege Möllemann, ein Zweites. Haben Sie denn nicht bemerkt, daß — auch wenn man die politische Substanz der Ost- und Westverträge nicht miteinander vergleichen kann — es doch hier einen normalen parlamentarischen Vorgang gibt, der immer wieder vorkommt: in der parlamentarischen Debatte vor der Ratifizierung hatten wir als Opposition — insofern liegt eine Parallele zur SPD-Politik in den 50er Jahren vor — schwere Bedenken gegen
die Verträge geltend gemacht; wir sind durch die Mehrheit „überrollt" worden. Und wir hatten dann, nachdem die Verträge in Kraft getreten waren, erklärt, daß wir sie selbstverständlich einhalten und das Beste aus ihnen machen werden.
Herr Kollege Mertes, machen Sie aus einer Frage bitte nicht eine Rede. Das kann der Redner gar nicht übersehen
Der Kollege Mertes, der sich überrollt gefühlt hat — ich finde das einen beachtlichen Vorgang, wenn Sie sich hier überrollt sehen, Herr Kollege Mertes —,
hat hier noch einmal einen Brief vorgetragen, den er mir geschrieben hat. Von daher ist mir die Argumentation nicht neu. Ich möchte gern darauf eingehen.
Wir haben doch akzeptiert und uns darüber gefreut, daß Sie erklärt haben, daß Sie nunmehr Verträge, die Sie nicht gewollt hätten, die aber eine Mehrheit gefunden hätten, auch billigten, jedenfalls insofern, als Sie sich auf deren Boden stellen.
— Wenn das normal ist, ist es gut. So ist es auch — darauf heben Sie mit Blick auf unseren sozialdemokratischen Koalitionspartner ab — in bezug auf die westorientierten Verträge. Ich akzeptiere nur nicht — und das ist der Punkt des Dissenses, den ich aufrechterhalte —, daß Sie bei ihren sämtlichen Einlassungen zu der konkret betriebenen Politik all Ihre Aversionen, die Sie vor den Verträgen gegen diese geltend gemacht haben, immer wieder nennen. Sie sind für mich keine glaubwürdigen Vertreter einer solchen Denkrichtung, weil Sie im Grunde nichts an Ihrem Denken geändert haben.
— Lassen Sie mich das zu Ende führen. Vizepräsident Leber: Keine Zwischenfrage mehr.
Sie haben mit Ihrer Ablehnung dieser Verträge und mit Ihrer Forderung an uns, bestimmten internationalen Abkommen nicht beizutreten
— Herr Kollege Mertes, es ist wahrscheinlich Ihr Privileg, alles immer sofort zu begreifen; da muß ich noch ein bißchen üben —, versucht, die internationale Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland in einer Art und Weise zu beschneiden, wie es Ihnen mindestens im nachhinein als gefährlich aufgegangen sein muß.
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15644 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
MöllemannHier ist vorhin schon durch den Kollegen Wischnewski darauf hingewiesen worden, wo wir eigentlich stünden, wenn wir Ihren Empfehlungen im Blick auf die UNO gefolgt wären. Unsere Möglichkeiten der Einflußnahme exakt auf die Regionen, um die es geht, wären viel geringer, als sie heute sind. Unsere Möglichkeiten etwa im Bereich der KSZE wären sehr viel geringer.
— Da Sie offenkundig Ihr Urteil bereits gefällt haben über meine Unfähigkeit, Sie zu begreifen
— das könnte allerdings auch an dem liegen, was Sie an Positionen vertreten —, möchte ich auch deswegen, weil mir Ihre diversen Einlassungen an verschiedenen Stellen zeigen, daß Sie nun einmal diese Auffassung haben, zu der Frage kommen, nicht was man hätte tun können — dazu haben Sie wirklich konkret nichts vorgeschlagen —, sondern was man denn jetzt tun müßte. Dazu gibt es einige konkrete Punkte.Erstens: Ich möchte nachdrücklich die Bitte des Bundesaußenministers an das Parlament und an alle politischen Kräfte unterstreichen, doch bei allem verständlichem Hang, den Ost-West-Konflikt immer wieder neu durchzudiskutieren, hier nicht den Eindruck zu erwecken, als sei der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan primär ein Ost-West-Konflikt. Wir gefährden damit die mühsam erreichte Solidarität zwischen den westlichen Staaten und den Staaten der Dritten und Vierten Welt, wenn wir sie gleich wieder in das Ost-West-Schema der Auseinandersetzung hineinzwängen.
Zweitens. Wir bewerten die Bewegung der Blockfreien eindeutig als einen Stabilisierungsfaktor im Bereich der internationalen Politik. Das möchte ich deswegen sagen, weil eine solche Bewertung in einer Situation, in der die Schwäche blockfreier Staaten offen zutage tritt, sofort aufkommt. Natürlich hat diese Bewegung der Blockfreien im Gegensatz zu Staatenorganisationen, die sich zu Waffenbündnissen zusammenschließen, bestimmte Schwächen. Aber unsere Zielperspektive, die wir doch auch für Mitteleuropa nicht aufgegeben haben, wenn möglich, unter Wahrung von Freiheit und Recht auch einmal zur Überwindung des Blockdenkens zu kommen, hat doch darin eine hoffnungsvolle Stütze. Deswegen, meine ich, sollten wir jetzt auch keine Ratschläge geben — deshalb habe ich darauf abgehoben —, die diese Blockfreiheit de facto in Zweifel ziehen.Hier bin ich an einem Punkt, an dem ich erneut es einfach nicht akzeptieren kann, wenn Sie blitzschnell von einer Aussage, die Sie vorgestern noch gemacht haben, heute herunter wollen. Ich habe mir von Ihrer Fraktion den Text der Rede des Kollegen Dr. Wörner geben lassen, der wahrscheinlich nicht zufällig heute hier nicht spricht. Er hat dort gesagt,und ich zitiere jetzt aus der von Ihrer Fraktion — —
— Er spricht auf einer kirchlichen Veranstaltung, gut. Dann gilt das nicht. — Er hat folgendes gesagt:Daher muß jetzt in Struktur und Aufgabenstellung der NATO die Konsequenz gezogen werden. a) Die Sicherung der Rohstoff- und Ölversorgung muß zu einer zentralen Aufgabe der NATO werden. b) Die Koordinierung der Ost- und Osthandelspolitik der Verbündeten ist ebenfalls vordringlich. c) Die geographische Begrenzung muß fallen.Nun können Sie natürlich — weil Sie ja wahrscheinlich selber erschrocken waren, als Sie gehört haben, was der Kollege Wörner da gesagt hat — versuchen, mit einigen eleganten Sidesteps zu sagen: Das kann er aber vielleicht gar nicht so gemeint haben mögen. Nur, er hat es gesagt, und dann soll er sich überlegen, was er gemeint haben wollte, und er soll das dann öffentlich zurücknehmen, und zwar nicht mit solchen niedlichen Erklärungen, wie er sie vorgetragen hat: damit meine er aber nicht, daß die Bundeswehr irgendwo außerhalb eingesetzt werden solle. Was soll das denn heißen? Wenn wir einen Vertrag über ein Bündnisgebiet haben, dann stehen dafür alle Bündnispartner mit allen ihren Streitkräften, also bei einer Erweiterung auch die Bundeswehr. Hier haben ja einige Redner gesagt, daß eine solche Forderung, das Bündnis für sich genommen, allein schon vor Probleme bringe. Sie kenne doch sicherlich aus der Diskussion mit Ihren holländischen Kollegen in einer Frage, die uns vor kurzem beschäftigt hat, deren Sensibilität. Aber ich meine, daß eine solche Forderung über den bündnisinternen Aspekt hinaus eine andere, viel gefährlichere Seite hat. Das ist die Frage, die sich die Staaten, um die es hier geht, stellen werden — jedenfalls einige —, oder vor die sie von anderen gestellt werden: „So ist das mit dem Bekenntnis, daß ihr gegen die Errichtung von Vorherrschaftszonen seid oder die NATO das angeblich sei; dann, wenn es einmal nicht so läuft, wie ihr euch das denkt, erklärt ihr euch bereit, uns dankenswerterweise zu schützen. Wir sind dann euer Schutzbereich, d. h. ihr seid zuständig.''Das wird doch so empfunden. Ich kann mir vorstellen, daß beispielsweise unsere saudiarabischen Gesprächspartner absolut nicht begeistert sind, wenn sie demnächst von anderen, etwas weniger gemäßigt orientierten arabischen Staaten gefragt werden: Aha, so weit ist es mit eurer Souveränität, hier wird bereits in Deutschland wieder mitgeteilt, wann demnächst NATO-Truppen die Souveränität in eurem Bereich übernehmen werden. Das ist der Hintergrund, und hier werden wir — —
— Herr Kollege Marx, Sie können doch nicht einfach sagen, das sei unsinnig. Wer erklärt, daß der Zu-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15645
Möllemannständigkeitsbereich der NATO ausgeweitet werden soll, wird das ja wahrscheinlich nicht in bezug auf einen luftleeren Raum meinen, sondern auf irgendein jetzt der NATO nicht zuzurechnendes Territorium. Ich gehe davon aus, daß dieses Territorium nicht unbewohnt ist, daß es dort Zuständigkeiten gibt. Darum geht es ganz konkret.
— Von etwas anderem ist hier ja auch keine Rede. Ich meine die Aussage: Die geographische Begrenzung muß fallen. Er hat nicht gesagt: Wir wollen mit anderen Staaten partnerschaftlich darüber verhandeln, ob sie sich von uns schützen lassen wollen. Er hat gesagt: Die Begrenzung muß fallen.
— Herr Dr. Dregger, wenn das selbstverständlich ist, dann sollten Sie das sagen. Herr Kollege Dr. Dregger, Sie sagen sonst so viel Selbstverständliches, daß Sie es bei einem so sensiblen Thema ganz besonders tun sollten.Zum vierten Punkt. Ich meine, wir haben recht, wenn wir uns bemühen, die Staaten der Dritten und der Vierten Welt, die blockfreien Staaten, mit allen geeigneten Mitteln bei dem Bestreben zu unterstützen, ihre Souveränität und ihre Unabhängigkeit zu erhalten. Damit meinen wir eine politische Kooperation in allen Bereichen, in denen sie gewünscht wird.Ich bin froh darüber, daß es dem Bundesaußenminister gelungen ist, bei der EG-Ministerratssitzung für sein Modell der Übertragung der Kooperationsform EG - ASEAN-Staaten auf EG - Nahost-Bereich Zustimmung zu finden. Ich halte das für einen geeigneten Weg. Ich halte es darüber hinaus für einen geeigneten Weg, wenn wir uns darüber Gedanken machen, ob wir für die Entwicklungspolitik nicht doch etwas mehr und schneller tun sollten, als es bisher gelungen ist.
— Ja, natürlich! Mein Gott, man ist nicht frei von Fehlern, sondern es gibt Einschätzungen, die korrigierbar sind.Fünftens meine ich, es ist richtig, alles zu unternehmen, was möglich ist, um die NATO noch mehr zu stärken. Dies gilt natürlich zunächst einmal unter der Überschrift „Solidarität für die notwendige Unterstützung unserer Partner aus den Vereinigten Staaten von Amerika in der gegebenen Situation". Ich unterstütze nachdrücklich die Auffassung, daß es dabei kein Wenn und Aber geben darf.Ich hatte wie andere Kollegen Gelegenheit, kurz vor Weihnachten, als die Afghanistan-Problematik noch gar nicht gegeben war, Gespräche mit Kollegen im Parlament der Vereinigten Staaten zu führen, und weiß, daß dort — nocht mehr bei der Bevölkerung — überhaupt kein Verständnis mehr für unsere Haltung gegeben wäre, wollten wir uns jetzt in eine feinsinnige Differenzierung zwischen ,,Solidarität da — ja'' und „Solidarität da — nein" hineinbewegen.
Hier hat Solidarität möglicherweise sogar in Verfahrensweisen Vorrang, die uns im Detail gar nicht so sinnvoll erscheinen mögen. Hier ist die Solidarität das übergeordnete Ziel, das ganz einfach den Zusammenhalt des Bündnisses als Voraussetzung für die Umsetzung anderer Ziele — vielleicht zu ruhigerer Zeit — darstellt.
Ich halte es für interessant, was hier — auch von Kollegen der Opposition — gesagt worden ist: Wir müßten darüber nachdenken, daß innerhalb des Bündnisses unter einer gegebenenVeränderung der Situation über eine Veränderung der Aufgabenverteilung gesprochen werden muß. Das heißt konkret: Wenn unsere Partner in den Vereinigten Staaten von Amerika an anderer Stelle durch bestimmte Einheiten zusätzlich Aufgaben übernehmen, müssen wir nicht nur in der Lage sein, dies zu kompensieren — deswegen habe ich auf die MBFR-Verhandlungen, auf das Moment der Ablehnung von Prozentzahlen verwiesen —, sondern auch berücksichtigen, daß jede dieser Einheiten auch Aufgaben hat. Insofern muß schon eine Übernahme der Aufgaben erfolgen.Ich finde, diese Diskussion sollten wir völlig losgelöst von Afghanistan führen. Darüber hinaus meine ich, wir müssen Anstrengungen unternehmen — Herr Bundesminister der Verteidigung, Sie kennen ja die Haltung, die wir in dieser Frage vertreten; vielleicht ist das ein Thema, über das wir uns auch einmal unterhalten müssen, und zwar national und im Bündnis —, die Strukturen, die in unseren Streitkräften vorhanden sind, noch effektiver zu gestalten. Wir haben — das kann ich nur immer wieder sagen — nach meiner Überzeugung in den Streitkräften nach wie vor eine Struktur, die einen zu hohen Aufwand im Bereich der Stäbe, der Führungsebenen erfordert. Man kann sagen: Es gibt zu viele Häuptlinge und zu wenig Indianer.Schließlich halte ich es, was die NATO angeht, auch für richtig, mit einem kräftigen Soforthilfeprogramm den Schwächsten in der NATO, denen, die unter wirtschaftlichen Problemen leiden, insbesondere der Türkei, Unterstützung zu geben.Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf einen Punkt zurückkommen, der ebenfalls angesprochen wurde, und zwar vom Bundesaußenminister. In der Entwicklung der letzten Zeit ist ein Thema etwas in den Hintergrund getreten, mit dem wir uns vorher sehr intensiv beschäftigt hatten und das von der Sache, aber auch von der Region her unmittelbar mit den Fragen zusammenhängt, über die wir hier sprechen, nämlich die Entwicklung im Nahen Osten und der Versuch, eine friedliche Form des Zusammenlebens zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn zu finden.
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15646 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
MöllemannIch unterstreiche nachdrücklich die Aufforderung, jetzt nicht, auf Iran und Afghanistan starrend, die Anstrengungen in diesem Bereich zu verringern, sondern im Gegenteil — vielleicht kann die EG hier besonders helfend eingreifen — nunmehr einzelne Bedenken, die für sich genommen berechtigt erscheinen mögen, zurückzustellen, damit diese Region nicht so anfällig erscheint, daß sie ein ähnliches Zugreifen wie in Afghanistan von der gleichen Seite geradezu provoziert. Also nicht nur wegen der dort lebenden Menschen, sondern darüber hinaus wegen der Stabilität in der Region sollte erneut eine Anstrengung unternommen werden, zu einer Friedensregelung zu kommen.Zu den Sanktionen ist heute im Detail wenig gesagt worden. Ich glaube, das ist bei dem derzeitigen Beratungsstand im Bündnis wohl auch ganz vernünftig. Ich möchte noch einmal sagen: Es gibt — das weiß jeder — eine unterschiedliche Bewertung einzelner in der Diskussion befindlicher Sanktionsmaßnahmen auch innerhalb der Bündnisstaaten. Wir sollten zu einer rationalen und ganz emotionslosen Diskussion in der Lage sein. Im Zweifel aber muß in dieser Frage gelten, daß die Solidarität mit unserer westlichen Partner- und Bündnismacht USA den einzelnen Zweifel an der einzelnen Maßnahme überlagern muß. Ich halte es für eine schiere Selbstverständlichkeit, daß sich die EG bereit erklärt hat, einzelne Handelsboykottmaßnahmen nicht zu unterlaufen. Das wäre andernfalls ja in der Tat eine für die USA derart unerträgliche Verfahrensweise gewesen, daß ich mir vorstellen kann, wie empfindlich die Bevölkerung der USA reagiert hätte.Eine Frage, die ich an den Schluß stellen möchte, ist hier wiederholt aufgeworfen worden. Hier unterscheiden sich die Auffassungen, wiewohl mir nicht klargeworden ist, was Ihr Alternativvorschlag, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ist. Es geht um die Frage: Soll die Entspannungspolitik eingedenk der Tatsache, daß wir Entspannung für nicht teilbar halten, und angesichts eines solchen Bruchs der Prinzipien der Entspannung in dieser Region fortgesetzt werden?Interessanterweise sagen alle hier im Haus: Ja, sie soll — wie gesagt, ich habe so ein bißchen den Eindruck, das hat mit der Umfrage zu tun — fortgesetzt werden, aber die richtige Entspannung, nicht die falsche. Ich habe den ganzen Tag hier gesessen und darauf gewartet, daß irgendeiner sagt, wie die richtige Entspannungspolitik sich konkret von der von uns betriebenen Entspannungspolitik unterscheidet.Da ich keine alternativen Vorschläge gehört habe, fordere ich namens meiner Fraktion die Bundesregierung auf, bei den jetzt vor uns liegenden weiteren Abschnitten dieser Entspannungspolitik den angekündigten Kurs beizubehalten. Das gilt für die Fortsetzung der MBFR-Gespräche in Wien. Das gilt für die Ausgestaltung der KSZE-Folgekonferenz in Madrid. Das gilt für die Begegnungen mit Politikern von Staaten des Warschauer Pakts. Das gilt, wie ich meine, auch für die Kontakte von Parlamentariern auf diesen Ebenen. Ich sehe keinen Sinn darin, angesichts einer von uns zugegebenermaßen als bedrohlich empfundenen Situation die bestehenden Verbindungslinien in Frage zu stellen oder gar zu kappen. Ich hoffe also, daß die Bundesregierung diese Entspannungspolitik in ihren konkreten Elementen so, wie bisher betrieben, fortsetzt.Wir können das mit gutem Gewissen empfehlen, weil der für diesen Bereich federführend zuständige Bundesaußenminister wie auch der Verteidigungsminister gleichermaßen hier dargelegt haben, daß wir zu keinem Zeitpunkt vorgehabt haben und auch künftig nicht vorhaben werden, die zweite Säule unserer Außenpolitik zu vernachlässigen, nämlich die notwendigen Verteidigungsbemühungen. Darüber allerdings kann es auch nach den Ereignissen wohl jetzt nirgendwo mehr einen Zweifel geben, daß die diesbezüglichen Bemühungen notwendig und richtig waren. In diesem Sinne hat die Bundesregierung bei der Fortsetzung einer auf Entspannung und Sicherheit gleichermaßen gerichteten Politik unsere Unterstützung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Amrehn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Haus ist sich mit fast der ganzen Welt einig in der Verurteilung der militärischen Besetzung Afghanistans. Die Bundesregierung stimmt in dieser Beurteilung auch mit dem Hause überein, können aber die Antworten, die uns heute die Regierung zu den Schlußfolgerungen gegeben hat, die aus den Ereignissen zu ziehen sind, befriedigen? Darauf lautet meine Antwort: Nein.Mein erster Punkt hierzu ist eine Antwort an den Kollegen Wischnewski. Er hat beanstandet, daß in den ersten Tagen des Jahres der Bundeskanzler von uns öffentlich kritisiert worden ist.
Sie haben gesagt: beschimpft. Den Nachweis sind Sie mir noch schuldig, Herr Wischnewski; nur deuten Sie eine offene und öffentliche Kritik vielleicht gleich als Beschimpfung. Sie haben davon gesprochen, wir hätten die Würde des Bundeskanzlers verletzt. Das tun wir nicht, Herr Wischnewski. Der Bundeskanzler hat immer die Würde, die er sich durch seine Selbstdarstellung erwirkt.
Das, was er zu Neujahr gesagt hat, Herr Wischnewski, ist in der Tat völlig unbefriedigend gewesen. Wenn es da heißt „Die grundlegenden Interessen der Sowjetunion bleiben die Aufrechterhaltung des Friedens" — im Zeitpunkt der Besetzung Afghanistans —, dann ist das eine verfehlte Antwort, eine ungenügende Antwort, ja, eine kleinlaute Antwort.Im Fernsehen war angekündigt worden, die Rede, die schon vorbereitet gewesen sei, sei wegen der Ereignisse abgeändert worden. Millionen von Menschen haben vor dem Fernseher gesessen und gewartet: Was hat der Bundeskanzler — und nun sage ich sogar, unser deutscher Bundeskanzler — zu diesen ungeheuren Ereignissen zu sagen? Er deutete in
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Amrehneinem Satz nur an, daß es Ereignisse in Mittelasien gegeben habe, ohne näher Stellung zu nehmen. Das ist eine Enttäuschung. Daran haben wir Kritik geübt. Die Kritik üben wir heute noch daran, daß in einem entscheidenden Moment der Bundeskanzler seine Führungsaufgabe für die öffentliche Meinung unseres Volkes verfehlt hat.
Die Besetzung Afghanistans ist eine Herausforderung der ganzen übrigen Welt. Sie hat zu einer wesentlichen Veränderung der bisherigen Gleichgewichtslage in der Welt geführt. Sie hat eine schwere Erschütterung im Bewußtsein der Menschen der ganzen Erde herbeigeführt. Dies drückt sich auch darin aus, daß in der UNO, wie Sie hervorgehoben haben, Herr Wischnewski, eine so große Zahl — zwei Drittel der Mitglieder — sich gegen diese Besetzung Afghanistans ausgesprochen hat. Sie drückt sich darin aus, daß eine Reihe von Ländern gewissermaßen über Nacht ihre bisherige politische Stellung verändert haben. Sie drückt sich darin aus, daß Probleme, die uns und anderen Ländern im Augenblick noch wichtig erschienen, durch die Ereignisse in Afghanistan in ihrer Bedeutung im Verhältnis zu den Vorgängen dort völlig verändert worden sind, verkleinert worden sind, daß plötzlich Vereinbarungen möglich waren — etwa mit der Türkei, etwa mit Oman, etwa mit Somalia —, die bis dahin wegen anderer Gegensätze gar nicht denkbar waren. Hier hat sich doch etwas ganz grundlegend verändert, und eine so veränderte Lage erfordert auch völlig neue Antworten, nicht nur der deutschen Regierung, sondern auch vieler anderer Regierungen, aber eben auch und besonders der deutschen Regierung. Da kann es doch nicht genügen, daß wir sagen: Wir setzen unsere bisherige Politik der Entspannung fort, was immer dies denn sei, worüber ich jetzt nicht näher reden will. Das ist doch angesichts der weltweiten Bedeutung, die die Ereignisse in Afghanistan haben, eine zu starke Verengung.Ich will gar nicht näher davon reden, welcher Bedeutungsunterschied sich bezüglich der Entspannungsbegriffe in Ost und West wieder gezeigt hat. Da sagt in diesen Tagen der ostdeutsche Außenminister in Wien, durch die Hilfsbereitschaft der Sowjetunion sei die Entspannung in jener Region erst gesichert worden. Das kann ja nicht unser Entspannungsbegriff sein!
Deswegen ist der Begriff der Entspannung bei der Verfolgung einer weiteren Politik im Augenblick überhaupt so wenig brauchbar, wie umgekehrt wir alle natürlich — das kann ja niemand in Frage stellen — Entspannung und Frieden wollen.
Nun debattieren wir doch heute deshalb, weil an einem empfindlichen Platz in Mittelost ein neuer, ganz gefährlicher Spannungsherd durch militärische Aktion der Sowjetunion 'geschaffen worden ist. Die Sowjetunion hat doch die neue Spannung erzeugt, und dem können wir nicht bloß entgegenhalten: Wir setzen unsere Entspannungspolitik fort.Der Konflikt in Mittelost ist nicht regional begrenzt. Vielmehr ist heute mehrfach — auch vom Kanzler — gesagt worden, dies sei eine schwere Verletzung des Völkerrechts, dort würden vitale Interessen der Dritten Welt betroffen und verletzt, und dort würden auch unsere eigenen Lebensinteressen verletzt. Der Kollege Brandt hat dazu — zwar nicht hier heute so deutlich, aber doch immerhin vorher im „Spiegel" — gesagt:Dies kann sich als die ernsteste Gefährdung des Weltfriedens seit Kuba erweisen. Es ist die Möglichkeit drin, daß wir hineinschlittern in den Krieg.Angesichts einer solchen Lage, die wir allesamt so ernst einschätzen müssen, muß doch, so meine ich, von der Bundesregierung erwartet werden, daß sie die internationale Lage auf dem ganzen Globus in all ihren Komponenten — hinsichtlich der Dritten Welt, hinsichtlich der wirtschaftlichen Abhängigkeiten vom 01 und von anderen Rohstoffen, hinsichtlich der militärischen Kräfteverhältnisse — so gründlich durchleuchtet, wie es hier heute der Ministerpräsident Strauß aus seiner Sicht — ich glaube, hinreichend — getan hat. Eine Entsprechung auf der Seite der Regierung hat hier völlig gefehlt.
Deswegen kann die Frage an die Regierung, die sie hätte beantworten müssen, doch nicht lauten: Wie können wir den bisherigen Entspannungsgang beibehalten?, sondern: Was tun wir, der ganze Westen, unsere Regierung und unser Parlament, dafür, daß die Sowjetunion in Zukunft nicht immer wieder neu von Jahr zu Jahr oder in Abständen von einigen Jahren solche Spannungsherde schafft — das ist die entscheidende Frage —, und was tun wir dazu, daß das verhindert wird?
Denn wenn wir davon sprechen, daß die Entspannung unteilbar sei, müssen wir wohl noch etwas tiefer gehen und sagen, daß heute doch auch das Gleichgewicht in der Welt unteilbar geworden ist. Es ist doch ein fundamentaler politischer Denkfehler, noch von Kontinenten oder vom Gleichgewicht der Kontinente zu sprechen und sich in dem Sinne zu äußern, wie es hier heute wiederholt anklang, Europa aus dem Konflikt in Mittelasien herauszuhalten, als würde es da ein selbständiges Gleichgewicht oder in Europa ein selbständiges Gleichgewicht geben. Das Gleichgewicht in Europa besteht doch nur deshalb, weil daran, wenn es überhaupt noch besteht — auf diesen Punkt komme ich —, Amerika entscheidend beteiligt ist. Wenn Amerika am europäischen Gleichgewicht beteiligt ist, spüren wir die Veränderung des Gleichgewichts natürlich auch, wenn Amerika an anderer Stelle in der Wahrung seines Gleichgewichts angeschlagen wird. Das geschieht momentan in Mittelasien, und es ist an anderen Stellen geschehen, in Asien und davor auch schon in Afrika.Kein anderer als Kissinger erklärt dazu, daß wir doch zur Zeit kein Gleichgewicht hätten:
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15648 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
AmrehnDie russische Fähigkeit, die Atomraketen in den USA zu zerstören, macht mir nur am Rande Sorgen. Ich mache mir vielmehr Sorgen— so hat er dieser Tage gesprochen —wegen unserer Unfähigkeit, die Atomraketen in der Sowjetunion zu zerstören.Er setzt hinzu:Es reicht zu zeigen, daß die USA keine strategischen Ziele innerhalb der Sowjetunion angreifen können.Mir scheint, daß es in erster Linie nicht unsere Aufgabe ist, hierauf die amerikanischen Antworten zu geben. Aber wir müssen doch das in unsere Betrachtungen einbeziehen, was aus diesem nur noch scheinbaren Gleichgewicht in der Zwischenzeit geworden ist.Kissinger sagt weiter, und das ziehe ich aus seinen Memoiren:Nach meiner Ansicht ist es daher richtiger, die sowjetische Strategie als die des rücksichtslosen Opportunismus zu erkennen. Keine Gelegenheit, einen Gewinn zu erzielen, darf westlichen Vorstellungen von gutem Willen geopfert werden.Er fährt fort:Es ist daher die Aufgabe des Westens, den Sowjets solche Gelegenheiten nicht zu geben. Wir müssen den sowjetischen Bestrebungen Grenzen setzen.Hier meine ich, daß die Frage an alle gerichtet ist, nicht nur an eine Nation, sondern an alle im Bündnis und darüber hinaus, was wir zu tun haben, um diesen sowjetischen Bestrebungen wirksam entgegenzutreten. Da genügen doch nicht Antworten der Besänftigung, wenn es etwa warnend heißt, wir sollten keine überzogenen Maßnahmen ergreifen — so war es vom Parteivorsitzenden Brandt zu hören — oder wenn der Bundeskanzler sagt: Wir liefern kein Getreide, also können wir uns auch am Lieferstopp nicht beteiligen. Das ist in sich richtig und dennoch eine ganz falsche politische Antwort, weil sie nämlich den Eindruck vermittelt, als würden wir uns von solchen Maßnahmen überhaupt ganz gern distanzieren, als hätten wir damit so sehr gerne nichts zu tun.Es ist die Solidarität mit den Vereinigten Staaten verkündet worden. Die ist gestern bei der EG dahin konkretisiert worden, daß wir nicht in die Lükken einspringen wollen, die durch die Nichtlieferung Amerikas entstehen. Herr Bundesaußenminister, ich glaube, daß diese Mitteilung, die Sie uns heute gemacht haben, nicht ganz vollständig ist; denn ich lese über diese Beschlußfassung, daß sie sich nur auf Lieferungen von Getreide und anderen Agrarerzeugnissen bezieht und daß in anderen Bereichen amerikanischer Lieferungen erst noch geprüft werden müsse, ob sich die Europäer daran beteiligen wollen. Ich antworte da gleich: Da müssen wir uns erst recht beteiligen, weil auf dem Gebiete der Technologie eine ganze Menge von Möglichkeiten besteht zu reduzieren, ohne Verträge zu verletzen,
dahin zu wirken, daß die Sowjetunion in ihrer technisch-militärischen Entwicklung für die Zukunft mehrere Jahre mehr braucht, als sie braucht, wenn wir ihr die Technologie für neue Waffen unter Umständen noch zur Verfügung stellen.Das darf man doch auch nicht übersehen: Heute teilt ein bekannter, langjähriger, angesehener Korrespondent einer bedeutenden deutschen Zeitung mit, in Washington herrsche Enttäuschung darüber, daß mit Ausnahme Englands die atlantischen Partner wenig tun, um sich wirksamen Schritten der Vereinigten Staaten anzuschließen. Hier gibt es doch einen Widerspruch zwischen dem, was die eigene Regierung an Beteiligung, an Solidarität, an Mitarbeit im Bündnis oder mit den Amerikanern zu leisten gewillt ist, und dem, wie die Amerikaner es verstehen — kann ich zunächst nur sagen. Die möchten gern gut verstehen. Sie werden schlecht mißverstehen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Beleuchtung der Lage wenigstens noch auf den Punkt hinweisen, den zu behandeln die Zeit mir noch erlaubt. Die kritische Lage wird nicht zuletzt, vielleicht sogar in erster Linie, hervorgerufen durch eine völlige Erschütterung des internationalen Vertrauens durch den Einmarsch in Afghanistan. Jeder Vertrag, den wir schließen, auch jeder Vertrag, den die Amerikaner mit der Sowjetunion schließen, auch SALT I und SALT II etwa, bedürfen einer gewissen Basis gegenseitigen Vertrauens, wenn die Verträge wirksam werden sollen. Da kann man alle möglichen technischen Prüfungen hinsichtlich der Waffenentwicklung einbauen, die Grundlage des Vertrauens muß dennoch vorhanden sein, wenn sich die Verträge fruchtbar entwickeln sollen. Dieses Vertrauen ist durch die Antwort, die Carter auf seinen Anruf bekommen hat und die zugleich die Bedeutung des „roten Telefons" wieder auf Null gebracht hat, erschüttert worden.Ich muß daran erinnern, daß im Mai 1972 der Präsident Nixon und der Generalsekretär Breschnew bei der Unterzeichnung von SALT I eine Erklärung unterschrieben haben, die lautet:Die USA und die Sowjetunion legen großen Wert darauf, der Entwicklung von Situationen vorzubeugen, die eine gefährliche Verschärfung ihrer Beziehungen verursachen könnten. Sie werden stets Zurückhaltung in ihren gegenseitigen Beziehungen üben und bereit sein, Differenzen auf friedlichem Wege auszuhandeln. Beide Seiten erkennen an, daß Bemühungen, einseitige Vorteile auf Kosten des anderen zu erlangen, direkt oder indirekt mit diesen Zielen unvereinbar sind. Die USA und die UdSSR haben eine besondere Verantwortung. Wie die anderen Länder, die ständige Mitglieder des Sicherheitsrates sind, werden sie alles in ihrer Macht Stehende tun, damit keine Konflikte oder Situationen entstehen, die der Steigerung
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Amrehnder internationalen Spannung dienen würden. Folglich werden sie die Voraussetzungen zu fördern suchen, unter denen alle Länder in Frieden und Sicherheit leben und keiner von außen kommenden Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten unterworfen sind.Das ist die Grundlage für den Abschluß von SALT I gewesen. Das ist gerade sieben Jahre her. Meine Damen und Herren, damit vergleichen Sie die Wirklichkeit von heute, und daraus sind dann Schlußfolgerungen für die weitere Politik zu ziehen!
Es ist nicht der einzige Punkt des Vertrauensschwundes. Ich könnte noch eine ganze Reihe davon anführen. Aber wichtig scheint mir zu sein, wie sehr sich auch hier der Bundeskanzler irrte, als er erklärte, Angola sei gar nicht in den Bereich der Verantwortung einbezogen, da gebe es noch keine Verträge. Hier haben sich die beiden Partner verständigt, in allen Ländern auf der ganzen Welt Zurückhaltung zu üben und keine Spannungen entstehen zu lassen. Das ist lange vorher in Angola und in anderen Ländern der Welt geschehen, aber hier ist es besonders deutlich zum Ausbruch gekommen. Hier liegt der Grund, warum Zweifel an dem bisherigen Gang von Entspannungspolitik entstehen, weil die Grundlage des Vertrauens hier wie dort zerbrochen worden ist, besonders da die „Prawda'' wenige Tage vor dem Einmarsch in Afghanistan verkündet hat, Gerüchte über eine Entsendung von Kampftruppen nach Afghanistan seien eine infame Erfindung.
Absolut verlogen — so sagte Breschnew an den folgenden Tagen — sind Behauptungen, daß die Sowjetunion gegenüber Pakistan, Iran oder anderen Ländern irgendwelche expansionistischen Pläne hegte.
Ich wäre ja sehr froh, wenn man das Wort für Wort annehmen und glauben könnte. Aber nach Afghanistan sind diese Worte doch nur noch Makulatur.Wer hier verlogen ist, hat sich ja an der frivolen Weise gezeigt, in der die Tatsachen umgebogen worden sind, die bei der Besetzung von Afghanistan vorgelegen haben oder als Rechtfertigung für sie vorgegeben worden sind, und mit welcher Kaltschnäuzigkeit der Machtausübung sogar ein kommunistisches Regime beseitigt wird, wenn es nicht pariert.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein letztes Wort sagen, weil es vielleicht von mir erwartet wird. Hier hat heute Herr Brandt den gegenwärtigen Regierenden Bürgermeister zitiert und gesagt, er habe das von jenem Gesagte mit innerer Bewegung gelesen. Der Regierende Bürgermeister hat heute im wesentlichen gesagt: Die Entspannungspolitik muß fortgesetzt werden.
Ich sehe da keinen Unterschied zu dem, was sonst hier von der Koalition oder von der Regierung vorgetragen worden ist. Aber dazu möchte ich doch folgendes sagen: Natürlich haben wir auf alle anderen Deutschen, die jenseits der Mauer wohnen, Rücksicht zu nehmen. Natürlich haben wir auf die Berliner Rücksicht zu nehmen. Wir haben auf die Friedenssehnsucht aller Menschen Rücksicht zu nehmen. Aber gerade um dessentwillen ist es ganz entscheidend wichtig, daß die Antwort, die jetzt auf die Besetzung Afghanistans gegeben wird, klar, überzeugend, eindeutig, entschlossen ist. Nur dann, wenn die Antwort so ausfällt, können die Berliner darauf vertrauen, daß sie auch künftig so sicher bleiben werden, wie sie es in den letzten 35 Jahren gewesen sind. Deswegen lautet unsere Priorität vor allem anderen: Stärkung des Bündnisses, Solidarität mit den Vereinten Nationen und Solidarität mit den Vereinigten Staaten. Insoweit leisten wir mit dieser Priorität den besten Friedensdienst. Wir sind bereit, daran mitzuwirken.
Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Bahr das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Amrehn, wenn Sie eine klare politische Linie, Sprache, Haltung, ein klares Programm wollen,
dann hätten Sie nur die Regierungserklärung zu lesen oder zu hören brauchen. Dann hätten Sie alles gefunden, zumal sich das, was dort gesagt worden ist, in Übereinstimmung mit dem befindet, was unsere Bündnispartner für richtig halten.
Ich habe den Eindruck, daß Sie auf der einen Seite von dem Ernst der Lage sprechen, daß es auf der anderen Seite aber eine ganze Reihe von Beiträgen von Ihnen gibt, die diesem Ernst der Lage heute nicht gerecht geworden sind.
Es kann natürlich nicht bestritten werden, daß die Politik der Entspannung durch die sowjetische Intervention in Afghanistan einen schweren Rückschlag erlitten hat. Was ich sagen kann, ist, welche Folgen dieses Ereignis für meinen Willen und für den Willen der Bundesregierung in bezug auf die Ostpolitik haben wird. Da kann ich nur sagen: Wir werden diese Ostpolitik konsequent fortsetzen.
Es gibt keine grundsätzliche, prinzipielle Änderung der Entspannungspolitik; es kann sie gar nicht geben.
„Man wird in Moskau nicht verkennen können, daß dieser Schritt, zu dem sich die Sowjetunion entschlossen hat, die Sowjetunion politisch isoliert hat.
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15650 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
BahrIch kann nur hoffen, daß auch in Moskau so viel Einsicht in die Realitäten unserer Welt vorhanden ist,
daß man sich dort nicht etwa in die schlimmen Zeiten des Kalten Krieges zurückbegeben will. Die Bundesregierung hat den Verteidigungshaushalt nicht mit einer dramatischen Geste erhöht, sie wünscht keine Zuspitzung der Lage." Dies hat Herr Dr. Kiesinger als Bundeskanzler auf den Einmarsch der Sowjetunion in die Tschechoslowakei gesagt, zum Teil unter dem unmittelbaren Eindruck des Ereignisses, zum Teil in Ausführungen vor dem Deutschen Bundestag, aber auch in Ausführungen vor Gremien seiner Partei. Er ist nicht müde geworden, nach einer sorgfältigen Überprüfung der politischen Lage darauf hinzuweisen, daß wir eine Politik des langen Atems brauchen, daß wir uns nicht entmutigen lassen dürfen. Er hat jedenfalls abgewiegelt und nicht aufgewiegelt, obwohl die Tschechoslowakei unser unmittelbarer Nachbar ist, obwohl die Beunruhigung in unserer Bevölkerung nicht zuletzt in Berlin beträchtlich und verständlich war und obwohl es sich um andere, größere, gewichtigere Potentiale als anderswo handelt, wenn sich ein militärischer Mechanismus in Europa in Bewegung setzt.Die Zwischenrufe, die Sie zum Teil gemacht haben, während ich Herrn Dr. Kiesinger zitierte, zeigen nur, wieweit sich die CDU verändert hat.
Von den Sorgen, daß die Sowjetunion in den Kalten Krieg zurückfallen würde, hört man heute von den Sprechern der Opposition nichts. Statt dessen haben wir in den letzten Tagen die Forderung des Kollegen Wörner nach einer Erhöhung des Verteidigungshaushalts gehört. Ich möchte darauf hinweisen, wie bemerkenswert diese Veränderungen in der Haltung der Opposition sind, obwohl natürlich allen klar sein muß, daß man die CSSR und Afghanistan in sehr vielen Punkten nicht vergleichen kann.Übrigens hat niemand von Ihnen den Bundeskanzler damals angegriffen, als er vier Tage nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei seine Entschlossenheit formulierte — ich zitiere —, freie, redliche, ehrliche und um Vertrauen werbende Politik, nicht nur durch Worte, sondern durch Taten um Vertrauen werbende Politik zu betreiben, um dieses Vertrauen der anderen - damit hat er sich an die Sowjetunion gewendet - zu gewinnen. Darin drückte sich weder Illusion noch Schwäche, noch Willfährigkeit aus, all das, was Sie heute der Bundesregierung vorwerfen, wenn sie ähnlich wie Herr Dr. Kiesinger damals gemessen, klar, besonnen reagiert. Wer heute so wie Herr Kiesinger damals spricht, wird Fanatiker einer forcierten Ostpolitik genannt, wie Herr Strauß das vorhin gesagt hat.Was der Bundeskanzler und was der Bundesaußenminister in den letzten Tagen und Wochen und heute als Politik der Bundesregierung vor diesem Haus erklärt haben, ist nach sorgfältiger Prüfung die entschlossene und feste Vertretung der Interessen dieses Landes. Diese Haltung zeugt vonlangem Atem, von der Hoffnung, den Rückschlag zu überwinden, vom Festhalten an der als richtig erkannten Politik der Entspannung, von der Hoffnung und dem Willen, den Rückfall in den Kalten Krieg zu vermeiden. Wir sind insoweit in der Kontinuität.
Zu einer Zwischenfrage der Herr Abgeordnete Becher.
Herr Kollege Bahr, hätte die Bundesregierung nach dem brutalen Einfall der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag nicht den Schluß ziehen müssen, daß sie Entspannungspolitik mit einem Partner macht, der nicht die friedvollen Zwecke verfolgt, die Sie hineingelegt haben, und ist es nicht traurig, daß Sie damals trotzdem eine Vertragspolitik begonnen haben, die auf dem Gebiete der Rechtspositionen das Gleichgewicht, das wir zur Sicherheit aller Verhältnisse in Europa benötigt hätten, in wesentlichen Punkten zerstört und damit uns alle geschädigt hat?
Herr Becher, es kann ja sein, daß Sie die Haltung des Bundeskanzlers schon damals für falsch gehalten haben. Ich kann mich nur nicht erinnern, daß Sie damals dagegen polemisiert haben, so wie Sie heute gegen die Bundesregierung polemisieren.
Meine Damen und Herren, die Klarheit und Eindeutigkeit dessen, was die Regierung und die Vertreter der Koalitionsparteien in den letzten Wochen gesagt haben, hoben sich von dem sehr vielstimmigen Chor der Opposition vorteilhaft ab,
den wir auch heute wieder gehört haben. Es hat sich bei den Äußerungen aus oppositionellen Parteien in den vergangenen Wochen zum Teil nicht um Diskussionen in der Sache, sondern zu einem beträchtlichen Teil um eine Auseinandersetzung darüber gehandelt, welche innenpolitische Taktik man verfolgen und wie man das machen soll, ob man also näher an die Bundesregierung rücken oder ob man sich gegen außenpolitische Umarmung wenden soll. Das wurde an verschiedenen Tagen sogar von ein und demselben Sprecher unterschiedlich beantwortet.Auch heute haben wir eine sehr unterschiedliche Haltung vorgestellt bekommen. Die Unsicherheit über eine harte oder über eine kooperative Linie gegenüber der Bundesregierung, also gegenüber der eigenen Regierung, bot ein Schauspiel, das ich in Amerika schon deshalb mit besonderem Interesse verfolgt habe, weil es ein Kontrastbild zu dem bot, was man in den Vereinigten Staaten erleben konnte. Dabei war es für mich nicht neu, daß sich die Opposition hier in solchen Lagen unterschiedlich äußert; das sind wir gewohnt.
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Bahr— Das lassen Sie ruhig meine Sorge sein. Ich verfolge mit Interesse, wie schwierig es ist, eine Koordination zwischen Herrn Strauß und Herrn Kohl herbeizuführen, selbst wenn sie eine solche Rede halten wie heute an einem solchen Tage. — In den Vereinigten Staaten, meine Damen und Herren, sind wir in einer Situation, in der der Wahlkampf viel näher ist als hier. Dort ist man bereits weiter und eigentlich mitten drin. Das hindert die Beteiligten überhaupt nicht daran — auch wenn sie die eine oder andere Maßnahme ihrer eigenen Regierung vielleicht kritisch sehen —, die eigene Regierung zu unterstützen. Je ernster die Lage wird, je ernster — übrigens Sie ja wohl auch — man sie einschätzt, um so mehr wird man Unterstützung für die Regierung erwarten können, in Amerika jedenfalls bestimmt. Ich bin überzeugt, daß die Menschen in unserem Lande das im Grunde auch bei uns zu Hause erwarten und erwarten können.
Mir ist bei diesem Besuch — übrigens ungefragt und ungebeten — sowohl vom Außenminister als auch vom Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten versichert worden, daß man sich durchaus bewußt ist, wie wichtig es ist, den Faden zur Sowjetunion in der Frage der Rüstungskontrolle und der Rüstungsbegrenzung nicht abreißen zu lassen.
Das liegt im Interesse des Friedens, also im gemeinsamen Interesse von West und Ost.
Hier zeigt sich bei aller Veränderung der Landschaft, wie elementar der Wunsch ist, die gewaltigen Zerstörungsapparate der Supermächte kontrollierbar zu halten. Die Tatsache, daß es diese gewaltige Zerstörungskraft auf beiden Seiten gegeben hat, ist ja — das muß man wohl in Ergänzung dessen, was Herr Dr. Strauß gesagt hat, als Analyse hinzufügen — eine der wesentlichen Ursachen dafür gewesen, daß beide Supermächte zu dem Ergebnis gekommen sind: Wir müssen Entspannungspolitik machen. Wir haben es zu tun mit dem Zwang zur Koexistenz, dem Zwang zur Abstimmung, dem Zwang zur Zusammenarbeit. Deshalb ist SALT II eben aufgeschoben und nicht aufgehoben.Ich habe heute darauf gewartet, daß einer der Sprecher der Opposition mit einem Wort darauf hinweisen würde, für wie wesentlich auch die Opposition es hält, daß dieser Faden Rüstungskontrolle nicht unterbrochen wird, daß sie es wünscht, daß die Amerikaner das auch beibehalten.
Die Befriedigung darüber hat kein einziger geäußert.
Sie dürfen sich bitte nicht wundern, wenn einer dieser Gesprächspartner, die ich in den Vereinigten Staaten gehabt habe und den ich aus ähnlichen Erwägungen nicht nenne, die auch für Herrn Strauß ausschlaggebend waren, seinen Gesprächspartner nicht zu nennen, Sorge darüber geäußert hat, daß es Stimmen der Scharfmacherei aus der Bundesrepublik Deutschland gäbe,
die man zur Zeit nicht brauchen könne.
Jedenfalls hat der amerikanische Präsident angekündigt, daß sich die Vereinigten Staaten an das Abkommen SALT II halten würden, als ob es ratifiziert wäre. Und der erste Mann der Sowjetunion hat in dem schon mehrfach erwähnten „Prawda"-Interview so geantwortet, daß man heute — wie es die Bundesregierung tut — davon ausgehen kann, daß sich beide Seiten praktisch so verhalten, als ob das Abkommen gültig wäre.Herr Kollege Amrehn, Sie haben soeben davon gesprochen, daß das Vertrauen durch die Vorgänge in Afghanistan erschüttert sei, daß viel von dem, was man gemacht hätte, Makulatur sei. Wie weit sind Sie eigentlich von der Realität entfernt? Die Wirklichkeit ist so, daß ein noch nicht unterschriebenes Abkommen nach Afghanistan für de facto als in Kraft gesetzt gilt auf der Basis der Hoffnung und des Vertrauens, daß das Interesse der anderen Seite zu einem ähnlichen Verhalten führt. Das ist die Realität.
— Na gut. Sie können natürlich auch den amerikanischen Präsidenten für einen Illusionisten halten. Das ist dann Ihre Sache.Es erscheint mir charakteristisch, daß diese Situation so ist, daß man in öffentlichen Erklärungen zueinander, aber im Augenblick nicht mehr miteinander spricht. Das ist in der Tat beunruhigend. Man weiß, was wichtig ist und worum es geht. Das ist insoweit beruhigend. Die Gefährlichkeit der Lage und der weiteren Entwicklung sowie das Bewußtsein darüber sind gleichzeitig vorhanden. Die Perspektive zur Konfrontation öffnet sich, und diese Konfrontation soll vermieden werden. Beides gibt es zur gleichen Zeit. Das erscheint mir als eines der Kennzeichen der heutigen Situation.Angesichts dieser Situation wäre es wirklich zu klein, jetzt über Begriffe wie Teilbarkeit oder Unteilbarkeit von Entspannung so ähnlich zu streiten, wie das die mittelalterlichen Scholastiker über die Frage getan haben, wie viele Engel auf der Spitze einer Nadel Platz hätten.
In der Sache ist völlig klar: Wir haben eine Zone der Stabilität in Europa erreicht. Wir wünschen, daß diese Stabilität ausstrahlen kann, erweitert wer-
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15652 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Bahrden kann auf andere Zonen, in denen es Unstabilitäten gibt.
— Natürlich zähle ich Jugoslawien zu Europa. Und ich bin noch heute der Auffassung, daß die amerikanische Auffassung 1968 berechtigt war, die uns davor gewarnt hat, den Zuständigkeitsbereich der NATO auch nur auf Jugoslawien zu erweitern.
Damals gab es, wie sie sich erinnern können, eine gefährliche Situation im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einmarsch der Sowjetunion in die Tschechoslowakei. Diese gefährliche Situation konnte sich sowohl auf Rumänien als auch auf Jugoslawien beziehen. Die amerikanische Haltung war damals genauso eindeutig, wie ich das soeben gesagt habe. Es gibt heute sehr guten Grund, diese Haltung nicht zu verändern.Meine Damen und Herren, ich glaube, uns allen wäre wohler, wenn es überall in der Welt so viele Vereinbarungen der Entspannung gäbe wie in Europa. Nun haben der Kollege Strauß, der Kollege Amrehn und auch andere von der Gefährlichkeit der sowjetischen Politik gesprochen. Übrigens: Da sind wir uns ja einig. Es wurde davon gesprochen, daß die Aufgabe bestünde, zu untersuchen oder zu finden, was man denn praktisch tun könne, um diese Gefährlichkeit abzubauen, damit eben nicht alle zehn Jahre — oder welchen Zeitraum man auch nimmt — derartige Vorgänge wie die zu beklagen sind, über die wir heute hier diskutieren.
Herr Abgeordneter Bahr, erlauben sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brandt?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Bahr, habe ich Sie im Zusammenhang mit der Rückerinnerung an das Jahr 1968 richtig verstanden, daß Sie uns — so habe ich selbst es auch in Erinnerung — noch einmal klarmachen wollten, daß unsere amerikanischen Freunde damals gesagt haben „keine Zuständigkeit und keine Inanspruchnahme der NATO für Jugoslawien", was aber nichts an dem eigenen amerikanischen Interesse und an dem Interesse der Europäer, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zur NATO, ändert?
Ich kann dies voll bestätigen,
mit der Hinzufügung, daß die Interessen der Gebiete, um die es ging, besser gewahrt sein könnten, wenn dies in der direkten Sorge der Vereinigten Staaten und ihres Verhältnisses zur Sowjetunion bleibe.
— Nein, ich habe nur abgehoben auf den Punkt der Erweiterung der NATO.
— Nicht nur diesmal, Herr Kollege Mertes. Wenn Sie so freundlich sind, das nachzulesen, werden Sie sehen, daß ich oft falsch zitiert werde, gerade in bezug auf diese Diskussion damals.
Unsere Antwort auf die Frage „Wie kann man denn eigentlich dafür sorgen, daß die Sowjetunion in der Gefährlichkeit dieser Politik begrenzt wird?" ist doch bekannt. Wir sagen auf der einen Seite: Das Bündnis ist die Voraussetzung der Sicherheit, ohne das Bündnis kann man keine Politik machen, und wir sagen auf der anderen Seite gleichzeitig: Entspannung und Ausdehnung auf immer weitere Zonen.
Ich wäre daran interessiert, einmal ein anderes Rezept zu hören. Aber etwas anderes haben wir nicht gehört. Sie fragen immer danach, was die Bundesregierung und die Koalition denn wollen. Dies ist exakt das Programm der Bundesregierung und der Koalition. Ich wäre daran interessiert, eine Alternative dazu zu hören.
Nun haben wir heute vormittag gehört, es sei ein komischer Ausdruck, wenn man von der „Unzerbrechlichkeit der Entspannung" rede, angesichts dessen, was man heute sehe. Aber wenn wir früher den Wunsch formuliert haben, daß die Entspannung oder der Frieden „unzerbrechlich" werden sollten, so lag darin eben auch die Sorge, daß dies noch nicht erreicht ist.
Sicherheit für die 80er Jahre ist eine große Forderung und eine kühne Forderung angesichts der Ereignisse der letzten Wochen geworden.
Von vielen Sprechern der Opposition ist ein bißchen polemisiert worden angesichts der etwas apokalyptischen Situation der heutigen Zeit, von der auch wir sagten, sie sei gefährlicher, sei es doch komisch, daß wir meinten, der Frieden sei sicherer gemacht worden. Meine Antwort ist: wir haben den Frieden in und für Europa sicherer gemacht, weil wir dafür gesorgt haben, daß aus den Konflikten der Vergangenheit keine Konflikte in der Zukunft mehr werden können
und keine neuen tödlichen Konflikte entstehen können.
Heute gibt es eine neue Aufgabe, weil es neue Gefahren gibt, die sich aus neuen Entwicklungen außerhalb Europas ergeben, die natürlich auf uns einwirken. Wir können uns in der Bindung des Bündnisses gegenüber diesen neuen Gefahren und neuen Krisen um so unbefangener verhalten, als die deutsche Vergangenheit mit der Entwicklung der neuen Gefahren überhaupt nichts zu tun hat.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15653
Herr Kollege Bahr, sehen Sie nicht die Gefahr, daß die Sowjetunion versucht, mit Hilfe der Berlin-Frage, mit Hilfe der innerdeutschen Beziehungen zu erreichen, daß wir zwecks Erhaltung dieser Früchte der Entspannung innerhalb der westlichen Welt uns so enthalten, daß es der sowjetischen Sicherheitspolitik nützt? Kann Entspannung nicht zur Gefährdung unserer sicherheitspolitischen Solidarität mit Amerika führen?
Herr Kollege, ich sehe diese Gefahr schon deshalb nicht, weil bisher ein solcher Versuch nicht gemacht worden ist. Wenn er gemacht werden würde, sind wir uns sicher einig, daß wir ihn abweisen.Die neue Situation unterstreicht die Auffassung, daß Entspannung eben ein Prozeß ist, nicht frei von Rückschlägen, der aber ständig neue und weitere Schritte verlangt, um zu dem Ergebnis zu führen, daß der Frieden eben unzerbrechbar wird und nicht nur sicherer. Gegner und Befürworter der Entspannung können sagen — je nach dem Standort —, daß sie entweder zur Entspannung verdammt sind oder die Chance dazu haben, das friedliche Nebeneinander zu regeln.
— Herr Kollege Mertes, vergegenwärtigen Sie sich, wie Herr Strauß formuliert hat: daß die Entspannung für ihn etwas sei, was zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts führen müsse. Das ist praktisch die Definition, die wir in den 50er Jahren in der Erwartung gehabt haben, daß man durch Überlegenheit in eine Situation kommen könne, in der man die eigenen Bedingungen diktieren könnte. Dies wird heute Entspannung genannt, ist aber im Grunde eine falsche Vokabel oder eine falsche Benutzung der Vokabel.
Es gibt keine Alternative zur friedlichen Koexistenz, es sei denn der Abgrund. Zu dieser friedlichen Koexistenz gehören dann jeweils Verhandlungen, und zwar Verhandlungen mit klaren Zielen und mit begrenzten Zielen.
— Ich komme jetzt darauf, einen Augenblick. — Das wäre nicht zu erreichen, und keine Verhandlung würde zu einem Erfolg führen, in dieser Zeit der friedlichen Koexistenz, die durch das Nebeneinander von Rivalität und Zusammenarbeit charakterisiert ist, Herr Dr. Marx.
— Entschuldigung, die Parallelität von Rivalität und Kooperation ist zum erstenmal von Johnson gebraucht worden. Da gab es die Konferenz von Karlsbad noch gar nicht.Verabredungen, die unter diesen Voraussetzungen geschlossen werden, werden nur geschlossen und kommen nur zustande, wenn beide Seiten einen Vorteil davon haben. Der Nutzen für beide Seiten ist Teil der Entspannung. Man findet das bei den Testabkommen, man findet es bei SALT I. Man findet es bei unseren Verträgen. Man findet es bei dem Viermächteabkommen für Berlin und man findet es bei Helsinki.Wenn Herr Dr. Strauß heute morgen gesagt hat, daß die von der Bundesregierung abgeschlossenen Ostverträge überhaupt in die falsche Richtung gingen und die falsche Richtung zeigten, dann hat er eigentlich die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, für Änderungen einzutreten und außerdem natürlich zu sagen, was er ändern will.Ohne den Nutzen für beide Seiten gibt es nur den Wunsch nach Superiorität, nach Sicherheit durch Überlegenheit. Dies ist die gefährlichste Haltung, die Verantwortliche heute haben können.
Meine Damen und Herren, wenn wir Spannung und Instabilität anderer Regionen auf Europa übertragen würden, also von dort importieren wollten, indem wir unsere politischen Ergebnisse abbauten, wäre die Frage zu stellen, was dann eigentlich geschehen soll. Ich habe hier keinen gehört, der die Zahl der Besucher kürzen oder andere Regelungen, die wir zwischen Ost und West in Europa getroffen haben, in Frage stellen will, um deutlich zu machen, welche Haltung wir zu dem haben, was in Afghanistan vor sich gegangen ist.Wenn es passiert, wie es der amerikanische Außenminister für möglich hält und wie es heute morgen auch Herr Dr. Strauß für möglich gehalten hat, daß es zu einer Seeblockade in Gewässern des Golfs kommt, dann wäre es sicher ein falscher Rat, dem eine Seeblockade in anderen Gewässern, vielleicht gar in unseren Gewässern, hinzufügen zu sollen.
Wie Herr Kollege Strauß heute morgen gesagt hat, kann eine Seeblockade zu gefährlichen Spannungen und wirtschaftlich gefährlichen Folgen führen.
Ich bin der Auffassung, daß es nicht nur um wirtschaftliche und politische Folgen geht. Die Frage, ob sich deutsche Schiffe daran beteiligen sollten, kann nur mit einem klaren und kühlen Nein beantwortet werden. Die Haltung der Bundesregierung, die Ergebnisse unserer Politik zu bewahren, kann nur vorbehaltlos unterstützt werden.Die Ausdehnung des NATO-Vertrags kommt für uns nicht in Betracht. Ich sage das auch deshalb, weil ich vielleicht im Unterschied zu manchen anderen — ich bin gern bereit, mich zu korrigieren — den Eindruck gehabt habe, als ob das, was Herr Wörner — übrigens nicht zum erstenmal und nicht erst seit
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15654 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
BahrAfghanistan, sondern schon vorher — über die Frage der Ausdehnung des NATO-Bereichs gesagt hat, von Herrn Dr. Strauß heute unterstrichen und nicht etwa revidiert worden ist. Wenn ich ihn recht verstanden habe, dann hat er an zwei verschiedenen Stellen seiner Rede auf der einen Seite darauf hingewiesen, daß sich die Situation seit Abschluß des NATO-Vertrags, bei dem eine gewisse Grenze — Wendekreis — festgelegt worden ist, geändert habe, und an einer späteren Stelle hat er auf die Unmöglichkeit hingewiesen, die 50-%-Formel des Herrn Bundeskanzlers anzunehmen, gerade in bezug auf diese vorher von ihm gemachten Ausführungen zu möglichen Aufgaben einer Ausdehnung der NATO.
— Wenn dies klar sein sollte — ich werde das genau nachprüfen —, dann wird es gut sein. Ich sage nur: Ich habe dies mit Sorgen gehört. Ich hoffe, ich habe mich verhört.
— Nein, wissen Sie, da gehe ich nicht einmal bei denen in die Schule, die das schon früher hervorragend gelernt haben.
— Natürlich denke ich gar nicht daran, in diese Schule zu gehen. Für solche Sachen überhaupt nicht. Um Gottes willen.Die Ausweitung des Raumes, durch den die NATO ein bestimmtes Gebiet abdeckt, kann nicht nur deshalb abgelehnt werden, weil wir natürlich im westlichen Bündnis nicht etwa mit dem deutschen Säbel rasseln wollen,
sondern auch, weil ein zusätzliches Engagement der NATO ein zusätzliches Engagement des Warschauer Pakts zur Folge hätte, also eine Steigerung von Spannung wäre.Wir können nicht daran interessiert sein, dazu beizutragen, daß beide deutsche Staaten in gegensätzliche militärische Verpflichtungen in anderen Regionen unserer Welt hineingedrängt werden.
— Wenn Sie dem zustimmen, dann ist es ja schon sehr gut. — Es wäre eine Entwicklung, die negative Auswirkungen auf unsere Lage hier in der Mitte Europas postwendend herbeiführen würde.
Solchen Tendenzen muß man mit aller Kühle und Härte widerstehen, solange man kann.
Wir verlieren keinen Augenblick die Sorgen der Menschen in der DDR aus den Augen. Es ist erstaunlich, daß heute von Ihren Sprechern darüber sehr wenig zu hören war: daß nämlich verlorengehen könnte, was erreicht worden ist.
Es gibt eine große Einheit zwischen den Bundesbürgern, den Bewohnern Berlins und denen, die in der DDR wohnen. Von der Entspannung profitieren alle, unter der Spannung leiden alle. Die Einheit des Friedens und die Einheit der Sicherheit ist für uns alle unteilbar. Das gilt für Europa insgesamt, für West und Ost.Das Bündnis ist dazu Voraussetzung. Wir haben Vertrauen zu der bedächtigen Klarheit und der gelassenen Festigkeit, mit denen die Bundesregierung die Interessen unseres Landes in diesen schwierigen, kritischen Zeiten vertritt, die noch nicht zu Ende sind. Die Bundesregierung verdient dieses Vertrauen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ereignisse in Afghanistan haben erneut bewußtgemacht, wie weit wir noch von einer Weltordnung — die wir ja alle wünschen — entfernt sind, in der Interessen mit friedlichen Mitteln verfolgt und Gegensätze durch Verhandlungen überwunden werden.Kam die sowjetische Intervention in Afghanistan — damit greife ich eine Frage des Herrn Kollegen Marx auf — eigentlich unerwartet? Da wir ja die gleichen Informationen haben, Herr Kollege Marx, antworte ich: Nein!Sie sagten auch, man solle eine nüchterne Analyse anstellen. Ich will es versuchen. Aber diese Ihre Forderung hätte eigentlich — —
Diese Forderung nach nüchterner Analyse hätten Sie eigentlich in Ihre eigenen Reihen hinein richten müssen. Denn statt mit kühlem Kopf die Lage zu analysieren, geht die Opposition allzuoft' mit Emotionen an die Offentlichkeit und verlangt neben einer Reihe unwirksamer Maßnahmen — den von den Kollegen Mertes und Huyn geforderten Reisestopp nimmt, wie Sie wissen, noch nicht mal Herr Strauß ernst — eine Kurskorrektur, eine neue Ostpolitik und — darauf ist auch Herr Kollege Bahr eingegangen — eine Erweiterung der NATO-Aufgaben, ohne konkret zu sagen, was, wie, wo und wann, und ohne zu bedenken, daß möglicherweise einige der 104 Staaten, die sich in der UNO für die Verurteilung ausgesprochen haben, durch die Verwirklichung solcher Forderungen zu einem anderen Votum kämen. Ich will es dabei belassen; aber ich möchte feststellen, daß das meines Erachtens doch mehr Stammtischmeinungen und keine ernsthaften Über-
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Junglegungen in einer Zeit der krisenhaften Zuspitzung sind.Was die Lage in Afghanistan betrifft, so sollte sich die Opposition doch ein wenig mit der Geschichte in der Region befassen, anstatt einfach einen neuen Schauplatz für ihre Darstellung des Ost-West-Konfliktes zu suchen. Das ist insofern enttäuschend, als ja gerade der Kanzlerkandidat Strauß auch einmal in einem ,,Spiegel"-Interview im Juli 1978 sich als einen Menschen bezeichnet hat, der — ich zitiere ihn —„ein bißchen was von Geschichte und strategischen Zusammenhängen verstehe".
Unsere gemeinsame Verantwortung für den Frieden sollte uns eigentlich davor bewahren, in dieser schwerwiegenden Situation die Dinge zu vereinfachen, durch Weckung von Emotionen, Besserwisserei und Illusionen, wie sie z. B. bei dem Sicherheitspolitischen Kongreß der CDU deutlich geworden sind, einen Beitrag für einen Teufelskreis zu leisten, wobei am Ende der Friede nicht mehr nur gefährdet, sondern einfach verspielt werden könnte.Ohne die sowjetische Aggression in Afghanistan irgendwie herunterspielen zu wollen — Herr Marx, ich erinnere noch einmal daran, daß Sie sagten, man müsse sauber und präzise analysieren —, muß man doch feststellen, daß Afghanistan in der Vergangenheit als Anrainerstaat für Rußland immer schon als ein Ziel im Zuge der Ausdehnung seines Einflußgebietes angesehen wurde, wenn dort ein Vakuum entstand.Ich will hier nicht noch einmal zitieren, was der Bundesaußenminister in dieser Debatte über die geopolitischen Zielsetzungen der Sowjetunion gesagt hat. Der Kollege Möllemann hat ja nochmals daran erinnert. Aber der Westen — und das ist doch das Wesentliche — hat dieses abgelegene Entwicklungsland seit langem vernachlässigt
— nein, ich bitte Sie, Sie haben um eine Analyse gebeten — und sich damit letztlich an der sowjetischen Machtergreifung in Kabul vielleicht sogar mitschuldig gemacht.
Warum sage ich das, Herr Kollege Marx? Weil einer Ihrer Kollegen — Herr Todenhöfer — immer wieder mit Forderungen kommt, Entwicklungsländer, die nicht eindeutig westorientiert sind, nicht zu unterstützen.
Ich sage Ihnen das, damit Sie sich nicht später auch einmal im stillen Kämmerlein überlegen müssen, ob man sich nicht in irgendeiner Form an. ungewollten Entwicklungen mitschuldig gemacht hat.Ich darf in diesem Zusammenhang in Erinnerung rufen, daß in viel früherer Zeit — noch zu Zeiten des Königs aus dem Stamme der Paschtunen — ein westlicher Staatsmann — Präsident Eisenhower — sich dort mit einem Aufenthalt von fünf Stunden begnügt hat, während Chruschtschow und Breschnew diesem König Tage widmeten. Das muß einmal festgestellt werden. Das rechtfertigt natürlich überhaupt nicht diese Menschenrechtsverletzungen, die ganz offensichtlich sind, und diese militärische Intervention; aber wir müssen dies bei unserer Analyse bedenken.Es ist müßig, über die Motive zu streiten, ob sich Moskau als Ordnungsmacht in dieser Region berufen fühlt oder ganz einfach auf Expansion bedacht war. Fest steht — und das ist für uns wichtig —, daß die Afghanistan-Krise ein regionaler Vorgang mit globalen Auswirkungen und Folgewirkungen ist. Es hat sich vieles in der Welt geändert. Die Invasion Moskaus ist nicht nur ein Konflikt Moskaus mit der Dritten Welt — das wurde hier schon wiederholt gesagt —, sondern auch wir sind davon betroffen.Es ist die Auffassung der Bundesregierung — und die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt diese —, daß die Länder Asiens und Afrikas ihre errungene Unabhängigkeit nicht durch eine neue Vorherrschaft verlieren dürfen. Die Unabhängigkeit der Länder der Dritten Welt zu bewahren und zu stärken, wird eine große, gemeinsame Aufgabe in den 80er Jahren für uns sein. Wir halten es für schädlich, wenn regionale oder lokale Konflikte in Afrika, in Asien, im Vorderen Orient, im Mittleren Osten zum Anlaß für außerregionale Interventionen genommen werden und dadurch der Ost-West-Gegensatz in die Kontinente, in den Nord-Süd-Gegensatz hineingetragen wird.Die sowjetische Intervention in Afghanistan verletzt in diesem Zusammenhang die Grundsätze des friedlichen Zusammenlebens der Völker, der Selbstbestimmung, der Unteilbarkeit der Entspannung und der Blockfreiheit. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen bedauern zutiefst die sowjetische Intervention und fordern die Sowjetunion zum Rückzug auf. Sie bekräftigen neben der Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika die Entschlossenheit, die Entspannungspolitik weiter fortzusetzen. Denn es ist eine Tatsache, daß Europa in den letzten zehn Jahren durch die Politik der Entspannung zu einer Region der Stabilität in einer unruhigen und konfliktgeprägten Welt geworden ist.
Auf die Darstellung der Erfolge unserer sozialliberalen Entspannungspolitik kann ich hier verzichten, nachdem ja Herr Bundesaußenminister Genscher dies in seiner überzeugenden Rede dargestellt hat.Für die Staaten auf unserem Kontinent gibt es keine verantwortungsvolle Alternative zur Vertragspolitik. Gerade wir Deutsche an der Nahtstelle zweier Blöcke und mit Berlin sind mehr als andere Völker auf die Fortsetzung einer realistischen Entspannungspolitik angewiesen. Die auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit betriebene Entspannungspolitik muß nicht nur in Europa fortgesetzt, sondern auch auf andere Bereiche der Welt übertragen werden. Soll nicht auch in unserer Region Instabilität entstehen, müssen Fortschritte in
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Jungder Rüstungskontrolle und in der Vertrauensbildung erzielt werden. Daher müssen Entspannungspolitik und Verteidigungspolitik jetzt noch enger miteinander verknüpft werden. Denn die FDP ist der Auffassung — das sage auch ich im Blick auf Befürchtungen, die in Europa entstehen —, daß ein insgesamt abgestimmtes Handeln im Bündnis gewährleistet, daß eine Situation wie in Afghanistan in Westeuropa nicht eintreten kann.Für uns Deutsche geht es darum, weder in Moskau noch in Washington Zweifel an der Berechenbarkeit unserer Politik, insbesondere der Vertragspolitik, aufkommen zu lassen. Für uns gibt es keinen Spielraum zwischen den Supermächten, sondern nur volle und absolute Solidarität mit den Vereinigten Staaten. Für uns, für die Europäische Gemeinschaft und für das westliche Bündnis geht es darum, Beiträge zur Stabilisierung des weltweiten Gleichgewichts zu leisten und eine Verstärkung der Beziehungen zu den Staaten der Dritten Welt in Asien, in Afrika, im Nahen und im Mittleren Osten zu erreichen, die militärische Abenteuer wie in Afghanistan für die Zukunft unmöglich macht.Die Europäische Gemeinschaft sollte — darauf habe ich in den letzten Tagen wiederholt verwiesen — mehr Möglichkeiten politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit bieten und damit einen Beitrag zur Erhaltung der Unabhängigkeit dieser Staaten leisten. In diesem Zusammenhang bin ich dem Bundesaußenminister besonders dafür dankbar, daß er am Dienstag beim EG-Ministerrat darauf hingewirkt hat, daß die Europäische Gemeinschaft eine Politik der Assoziation beispielsweise mit den Golfstaaten im Sinne dessen, was mit den ASEAN-Staaten läuft, konzipiert.Der Spielraum für deutsche Beiträge zur Krisenbewältigung ist begrenzt. Unsere Möglichkeit, die Sowjetunion unter Druck zu setzen, ist minimal. Wo will die Opposition da überhaupt große Sprünge machen? Das frage ich Sie einmal, meine Herren. Das Krisenmanagement der Bundesregierung funktioniert und erfolgt in enger Solidarität mit den Vereinigten Staaten und in enger Abstimmung mit unseren Freunden.Die Bundesrepublik hat eine Rolle im Konzert der Völker und in der UNO zu übernehmen, wenn es um Hilfe geht. Wir entziehen uns dieser Herausforderung nicht, angesichts der aktuellen Situation erst recht nicht. Hier muß es zusätzliche Hilfen durch die Bundesregierung geben.Es geht um praktische Menschenrechtspolitik, um jenes Mehr an Stabilität in der Welt zu erreichen, das in Europa im letzten Jahrzehnt nur auf Grund der Entspannungspolitik möglich war. Die FDP hält daher an dieser Friedens- und Entspannungspolitik fest und unterstützt den Vorschlag, eine gesamteuropäische Abrüstungskonferenz durchzuführen. Die sowjetische Intervention stellt eine reale Gefahr und Herausforderung dar. Die Staaten sind heute weltweit voneinander abhängig; daher sind nüchterne und verantwortungsvolle Entscheidungen mehr denn je geboten.Was sind solche Entscheidungen, was sind die Konsequenzen für den Westen, für die NATO? Da ist erstens der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der politischen Bündnissolidarität: realistische, auf Spannungslösung gerichtete Politik, die auf Festigkeit, Stärke und Unempfindlichkeit gegenüber Propaganda beruht. Ich will betonen: hier muß man auch bereit sein, über eine gewisse Zeit Abkühlungen und Krisen hinzunehmen und diese durchzustehen. Man darf dabei keinen Zeitdruck akzeptieren.Zweitens politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Absicherung der Rohstoff- und Energiebasis.Drittens Bereitschaft, solidarisch mit den Vereinigten Staaten zu handeln; Ausbau der politischen Konsultationen im Bündnis und in Europa im Rahmen der EPZ.Viertens Kooperation mit der Dritten Welt auf der Grundlage von Klarheit, Festigkeit und Zuverlässigkeit.Fünftens Sicherung der militärischen Verteidigung Europas im Rahmen des Bündnisses mit vermehrter europäischer Eigenleistung.Sechstens verstärkte europäische politische und wirtschaftliche Kooperation.Siebentens Nutzung aller internationalen Gremien, um Gefahren sowjetischer Politik für die Unabhängigkeit der Dritten Welt deutlich zu machen. Wir verweisen hier auf das Beispiel der Abstimmung innerhalb der UNO in den letzten Tagen.Achtens. Bei aller Spannung und Konfrontation Türen für realistische, abgewogene und unpolemische Kooperation mit dem Osten offenhalten, um diesen nicht in eine Ecke zu drängen, die ihm aus seiner Sicht nur die Möglichkeit aggressiven Handelns läßt. Auch zu ihrem Nutzen müssen der Sowjetunion Grenzen ihrer Machtpolitik deutlich sein.Neuntens. Zu diesen Konsequenzen gehört vorrangig neben der Stützung Pakistans, Indiens und Somalias die langfristige politische und wirtschaftliche Konsolidierung der Türkei und Ägyptens.Zehntens. Ich darf mit einem Blick auf ein blockfreies Land in Europa sagen, daß gerade der jetzt schwerkranke Chef dieses Landes in der Konferenz von Havanna die Positionen, die Rolle Jugoslawiens in der Bewegung der Blockfreien deutlich gemacht hat und daß wir, die Freien Demokraten, einer solchen Bewegung der Blockfreien — ich habe das neulich im Auswärtigen Ausschuß am Beispiel der FDP deutlich gemacht —
eine erhebliche stabilisierende Funktion zumessen. Im Gegensatz zur Opposition lehnen wir die Übertragung des Ost-West-Gegensatzes auf die blockfreien Staaten ab, gerade um diese stabilisierende Funktion zu erhalten.
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— Nein. Wir haben dargestellt, daß es hier eigentlich um einen Konflikt zwischen der Sowjetunion und der Dritten Welt geht. Das bringen Sie ständig in diesen Ost-West-Gegensatz. Es handelt sich auch hier um ein blockfreies Land in Europa, und deswegen habe ich mir diese Bemerkung hier erlaubt.
Zur Erreichung dieser Ziele gelten folgende Gesichtspunkte: Keine Politik der Psychose, der Erregung und des Vergessens der politischen Realitäten. SALT II ist zwar unter dem Druck der Ereignisse verschoben worden. Das ist durchaus verständlich. Vorhin wurde aber dargestellt, SALT II wird im westlichen Bündnis und in der westlichen Führungsmacht so behandelt, als ob es ratifiziert sei.Die MBFR-Verhandlungen müssen weitergeführt werden. Dabei ist besonders der französische Vorschlag einer gesamteuropäischen Abrüstungskonferenz zu unterstützen. Ich möchte hinzufügen, daß ich der Spedal Consulting Group eine reelle Chance einräume, wenn sie sich in der nächsten Woche konstituiert und ein entsprechendes Mandat hat, diesen französischen Vorschlag in die konkrete Rüstungskontrolldiskussionen einzubeziehen.Nicht zuletzt muß eine intensive Vorbereitung des KSZE-Treffens in Madrid erfolgen, wobei der Schwerpunkt dieses Treffens eindeutig die Abrüstung sein und bleiben muß. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Liberalen haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Politik des Friedens und des Ausgleichs mit dem Osten nur auf dem festen Fundament der Europäischen Gemeinschaft und des westlichen Verteidigungsbündnisses möglich ist. Die FDP ist der Überzeugung, daß sich die internationale Ordnung heute allein auf der Achtung vor der Unabhängigkeit und der Gleichberechtigung der Staaten aufbauen läßt.Der Gedanke der Vorherrschaftspolitik ist zwar, wie die Ereignisse zeigen, noch keineswegs überwunden, aber er hat langfristig, meines Erachtens, keine Zukunft.Der Westen muß eindeutig auf der Seite der Unabhängigkeit und Gleichberechtigung der Staaten der Dritten Welt, der Staaten in Asien, Afrika und im Nahen und Mittleren Osten, stehen und alles tun, um diese Unabhängigkeit zu stärken. Die Mehrzahl der Staaten der Dritten Welt, die den Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan verlangen, haben uns an ihrer Seite. Wirtschaftliche Hilfe und politische Zusammenarbeit müssen sie in die Lage versetzen, ihre Unabhängigkeit und Identität zu behaupten. Wenn Afrika oder Asien seine Unabhängigkeit bewahren will, findet es in uns einen fairen Partner.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dregger.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mich jetzt aus Zeitgründen knapp fasse, enthält das zwei Risiken. Das erste Risiko besteht darin, daß eine Detaillierung der Thesen nicht möglich ist — wobei anzumerken ist, daß in außenpolitischen Fragen eine Detaillierung von Vorschlägen ohne Absprache mit den Verbündeten nicht immer zweckmäßig ist. Das zweite Risiko ist größer: Es ist nicht möglich, sich gegen bewußte Fehlinterpretationen von seiten der Vertreter der Regierungsparteien abzusichern.
Meine Damen und Herren, was sich Herr Apel und Herr Möllemann heute an Fehlinterpretation der Äußerungen meines Kollegen Wörner geleistet haben, ist geradezu abenteuerlich.
Herr Möllemann hat den Eindruck zu erwecken versucht, als drohe Saudi-Arabien die Gefahr, durch Kanonenboot-Politik Europas oder der Bundesrepublik Deutschland und durch aufgezwungene Stützpunkte gefährdet zu werden. Ich habe mich in den vergangenen Wochen sehr intensiv mit Botschaftern der Dritten Welt, auch aus der Golf-Region, unterhalten. Keiner hat angedeutet, daß er eine solche Gefahr sähe, aber viele haben angedeutet, daß sie fürchten, vom Westen allein gelassen zu werden, wenn sie einer überwältigenden sowjetischen Macht gegenüberstehen.
Deswegen hören Sie doch bitte mit solchen Redensarten auf, die doch nur der sowjetischen Propaganda Nährstoff geben, aber in sich völlig sinnlos sind. Ich möchte Sie jedenfalls bitten, wenn Sie in meinen Ausführungen eine Nische zur Fehlinterpretation entdecken, gleich jetzt zu fragen, damit ich antworten kann und ähnliches vermieden wird.
Meine Damen und Herren, die Opposition hat naturgemäß heute mehrfach gefragt, ob denn die Koalition mit ihrem Anspruch, durch ihre Politik, die vor zehn Jahren begann, den Frieden sicherer zu machen, gescheitert sei. Ich glaube, es ist wichtig, das sich die Damen und Herren der Koalition auch selbst fragen, selbstkritisch fragen, und darauf nicht so oberflächlich antworten, wie Herr Bahr es soeben versucht hat. Selbstkritische Fragen sind notwendig, um die jetzige Lage richtig einschätzen zu können und um abstecken zu können, ob der Weg, der in den letzten zehn Jahren gegangen worden ist, weiterhin beschreitbar ist.Ich meine, daß der Frieden 1980 nicht sicherer ist, als er 1970 war, sondern daß er weit unsicherer geworden ist. Ich meine außerdem, daß Ihre Politik für diese bedauerliche Tatsache einen Teil Mitverantwortung trägt.
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Dr. DreggerIch will das nicht an dem Überfall auf Afghanistan nachweisen,
sondern ich will mich auf die veränderte Lage in Europa beziehen, Herr Wehner, wo der Frieden ebenfalls nicht sicherer geworden ist. Ich möchte mich auf den Beschluß der NATO zur Rüstung im Mittelstreckenbereich beziehen. Die Regierung selbst hat diesen Beschluß als einen Nachrüstungsbeschluß bezeichnet — zutreffend und geschickt, wie ich finde. Was bedeutet das aber? Das bedeutet doch, daß die anderen eine Vorrüstung durchgeführt haben. Das bedeutet doch, daß auch nach Ihrer Einschätzung das militärische Gleichgewicht in Europa verlorengegangen ist. Meine Damen und Herren, ist es denn nicht gefährlich, in einem Zustand militärischer Unterlegenheit diese Nachrüstung gegen den brutalen Widerstand der Sowjetunion durchführen zu wollen? Wie von Herrn Gromyko in Bonn angekündigt, hat die Sowjetunion erklärt, daß sie nicht einmal bereit sei zu verhandeln,
obwohl doch dieser Beschluß, Herr Wehner, erst frühestens in fünf Jahren realisiert werden kann und obwohl es doch die erklärte Absicht nicht nur der Bundesregierung, sondern des ganzen Westens ist, die Realisierung dieses Beschlusses durch Verhandlungen überflüssig zu machen. Ist es nicht ungeheuer brutal, daß die Sowjetunion auf dieses Angebot mit der Erklärung reagiert: Wir sind gar nicht bereit, mit euch zu verhandeln? Drückt sich darin nicht auch das Gefühl einer ungeheuren militärischen Überlegenheit aus — auch hier in Europa — und vielleicht auch das Gefühl, in der Lage zu sein, in den kommenden fünf Jahren die schwachen Nerven des Westens so unter Druck zu setzen, daß dieser Beschluß noch nachträglich zu Fall gebracht werden kann? Wir müssen die Bundesregierung fragen: Was haben Sie eigentlich getan, um zu verhindern, daß ein solches militärisches Ungleichgewicht in Europa entstanden ist, daß wir in einem Zustand militärischer Unterlegenheit nun diese gefährliche Operation der Nachrüstung durchführen müssen?Die Bedrohung in Europa selbst ist nicht nur größer geworden, sondern es sind auch neue Elemente der Bedrohung hinzugetreten. Als die NATO 1949 gegründet wurde, war die Bedrohung Europas — und so war es im wesentlichen auch noch 1970 — hauptsächlich auf den europäischen Kontinent beschränkt. Es war eine kontinentale Bedrohung. Im Jahre 1980 stehen wir einer globalen Bedrohung gegenüber. Die Sowjetunion ist heute — was sie damals nicht war — globale Seemacht, die nicht nur den Lebensstrang zwischen den Vereinigten Staaten und Europa über den Nordatlantik, sondern auch die Seewege zu unseren Energiequellen und Rohstoffgebieten, die Kap-Route, die Golf-Region, bedroht. Die Sowjetunion ist heute — was sie damals auch noch nicht war — eine globale Interventionsmacht, die zum Teil mit eigenen Truppen — wie in Afghanistan —, zum Teil mit Stellvertretern aus Kuba, aus der DDR und von anderswoher, auf den Kriegsschauplätzen in Afrika ganze Staaten der Dritten Welt in ihre Gewalt bekommen hat.
Ich habe mich heute morgen bei der Regierungserklärung des Bundeskanzlers gefragt, welche Antwort die Bundesregierung darauf gibt. Er hat auf einen Kabinettsbeschluß verwiesen. In diesem Kabinettsbeschluß steht, die Bundesregierung lehne es ab, daß dritte Mächte Einflußzonen in der Dritten Welt begründeten. Das ist alles.
Naiver geht es doch wohl nicht.
Ich meine, einer kontinentalen Bedrohung konnte man, wie es 1949 in der NATO verabredet wurde, kontinental begegnen. Einer globalen Bedrohung kann nur global begegent werden. Ich nehme an, daß wir darin übereinstimmen. Ist es nun allein Aufgabe der Vereinigten Staaten von Amerika, dieser globalen Bedrohung zu begegnen?
Ich frage: Wieso? Die Einwohnerzahl der neun EG-Staaten ist größer als die der Vereinigten Staaten von Amerika. Von der wirtschaftlichen Leistung her ist zu sagen: Das Bruttosozialprodukt der Vereinigten Staaten von Amerika betrug 1978 2 100 Milliarden Dollar; das Bruttosozialprodukt der neun EG-Staaten betrug 2 000 Milliarden Dollar, war also etwa gleich groß. Das Bruttosozialprodukt der Sowjetunion wurde in der gleichen Zeit auf 800 Milliarden Dollar geschätzt. Also ist das Bruttosozialprodukt der neun EG-Staaten zweieinhalbmal und das des Westens fünfmal so groß wie das der Sowjetunion. Wie ist es von der Interessenlage her? Europa ist von den Rohstoffquellen und den Energiequellen des Nahen und Mittleren Ostens und Afrikas abhängiger als die Vereinigten Staaten von Amerika. Wie kommen wir Europäer eigentlich zu der Meinung, daß die Vereinigten Staaten verpflichtet seien, die Verteidigung des europäischen Kontinents mit uns zusammen und die Verteidigung gegen eine globale Bedrohung allein durchzuführen? Ich glaube, dafür gibt es nicht die geringste moralische und politische Begründung.Ich bin der Meinung, daß Europa auf diesem Feld mitverantwortlich ist; ich spreche zunächst nicht als Deutscher, sondern als Europäer. Da wir ein Teil Europas sind, haben wir als deutsche Politiker aber nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, darüber nachzudenken, welcher Art diese neue Bedrohung ist und welche Mittel notwendig sind, um ihr zu begegnen, auch wenn wir nicht in der Lage sind, diese Mittel allein zu organisieren und anzuwenden.
Ich halte es daher für absurd, wenn heute in der Debatte immer wieder der Vorwurf an die Adresse der Opposition gerichtet wurde — man hätte auch angesehene Kommentatoren einschließen können, wie
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Dr. DreggerHerrn Gillessen, der sich in der „FAZ" dazu geäußert hat —, daß derartige Überlegungen angestellt wurden, weil das den Frieden bedrohe; welch ein Unsinn! Statt solche törichten Vorwürfe an die Adresse derer zu richten, die nachdenken, sollten Sie lieber selbst nachdenken und hier Ihre Analyse bekanntgeben!
Nun zur Therapie. Notwendig und angesichts der Zahlen des Bruttosozialprodukts auch möglich ist meines Erachtens folgendes. Ich kann es nur sehr global darstellen, weil ich mich an die Zeit halten möchte. Zunächst einmal muß das verlorengegangene Gleichgewicht an Mittelstreckenraketen auf dem Kontinent wiederhergestellt werden, natürlich auf möglichst niedrigem Niveau, Herr Bahr. Das gilt für alle Formen von Rüstung. Es ist für uns das Angenehmste, Bequemste und Wünschenswerteste, daß wir so wenig Geld wie nur irgendwie denkbar für diese Zwecke ausgeben, da wir wesentlich schönere und sympathischere Zwecke haben, für die wir es ausgeben möchten.
Als Zweites müssen wir auch im konventionellen Bereich — nicht durch Nachrüstung, denn dort hat es nie ein Gleichgewicht gegeben — für ein Gleichgewicht sorgen. Auf den Grund dafür hat Miksche in seiner neuesten Veröffentlichung hingewiesen — dieses Buch möchte ich Ihnen empfehlen. Er sagt: Die atomare Abschreckungsdrohung des Verteidigers gegen einen Angreifer, der selbst atomar ausgerüstet ist, ist die Drohung mit dem Selbstmord. Ich will nicht untersuchen, ob das zutrifft; aber es entscheidet über die Frage, wie glaubwürdig eigentlich unsere Abschreckung in Europa ist, wobei es nicht darauf ankommt, was wir glauben, sondern was ein möglicher Angreifer glaubt. Ich meine jedenfalls, daß sich ein Verteidiger aus humanitären wie aus militärischen Gründen gegenüber einem möglichen Angreifer nicht allein und in erster Linie auf atomare Waffen verlassen kann.Drittens ist für die Sicherheit in Europa ein angemessener Zivilschutz, eine angemessene Zivilverteidigung notwendig. In einer Zeit, in der sich die Wirkungen eines Angriffs mehr auf die Zivilbevölkerung als auf die Streitkräfte erstrecken, ist es meines Erachtens humanitär unverantwortlich und bedeutet es militärisch eine Erhöhung des Angriffspotentials eines Angreifers, auf jeden Schutz der Zivilbevölkerung zu verzichten.Meine Damen und Herren, diese Wahrheiten, die ich ausgesprochen habe, sind unangenehm. Aber wenn Sie mich fragen, was notwendig ist, meine ich — auch unabhängig von dieser Frage —, daß auch unangenehme Wahrheiten ausgesprochen werden müssen und man ihnen auch im Handeln gerecht werden muß.Als Gegengewicht gegen die globale Bedrohung, von der ich gesprochen habe, braucht der Westen zweierlei: Zum ersten braucht er eine möglichst enge Partnerschaft mit möglichst vielen Ländern der Dritten Welt, nicht mit der Dritten Welt, die esnicht gibt und mit der das auch nicht zu organisieren ist. Dazu gehört es — das gehört zur Partnerschaft —, daß jeder den anderen in seinen Besonderheiten und in seinen Lebensinteressen respektiert. So wünschenswert es ist, meine Damen und Herren, daß sich unsere Vorstellungen von Rechtsstaat und Demokratie über die ganze Welt ausbreiten, so wenig darf das dogmatisch geschehen. Wir müssen die ganz unterschiedliche kulturelle, soziale und wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder der Dritten Welt berücksichtigen — denken Sie nur an die islamischen Länder — und können nicht einfach unsere Vorstellungen anderen ungefragt überstülpen.
Darüber hinaus muß der Westen in der Dritten Welt seinen Freunden helfen. Wir müssen unsere Freunde gegenüber unseren Gegnern zumindest bevorzugen
und dürfen nicht das Gegenteil tun. Wir müssen das, was wir der Dritten Welt anbieten können, nämlich wirtschaftliche und technische Hilfe, politisch nutzen und dürfen es nicht blind verschenken. Man rufe sich einmal die Zahlen ins Gedächtnis: Die Entwicklungshilfe der westlichen Welt hat 1978 16,7 Milliarden Dollar betragen. Die Entwicklungshilfe des Ostblocks hat 0,8 Milliarden Dollar betragen. Und — was noch wichtiger ist —:
Von den Exporten der Länder der Dritten Welt nimmt der Westen 19/20 ab, der Ostblock dagegen 1/20. Meine Damen und Herren, wenn wir diese ungeheure wirtschaftliche Kraft und Hilfe, die wir der Dritten Welt geben, politisch nutzen — das ist doch nicht illegitim — , dann kann es doch nicht schwierig sein, viele Partner und Freunde, wenn man sie im übrigen auch noch mit Respekt behandelt, in der Dritten Welt zu finden.Das zweite, was leider auch notwendig ist, um der globalen Bedrohung zu begegnen, sind militärische Kräfte. Meine Damen und Herren, die Flottenpolitik des Admirals Tirpitz vor dem Ersten Weltkrieg hat Großbritannien in die antideutsche Koalition geführt. Es ist erstaunlich, daß die Flottenpolitik des „Tirpitz der Sowjetunion", des Admirals Gorschakow, mehr oder weniger als selbstverständlich toleriert wird. Dabei ist doch diese Seerüstung ohne jeden Zweifel rein offensiv. Denn als große Landmacht mit der Fähigkeit zur Selbstversorgung mit Rohstoffen und — auf absehbare Zeit — auch mit Energie ist die Sowjetunion auf die Beherrschung der Meere nicht angewiesen, während — umgekehrt — die atlantische Welt auf diese Seewege so angewiesen ist wie eine große Landmacht auf ihre Landwege. Der Westen braucht also Seestreitkräfte, Stützpunkte, Interventionsstreitkräfte, selbverständlich den Ländern der Dritten Welt nicht aufgezwungen, sondern mit ihnen vereinbart. Ich weiß, daß z. B. einer der GolfStaaten den Vereinigten Staaten von Amerika vor fünf Jahren eine Insel zu diesem Zweck angeboten hat. Ich erinnere mich daran, daß die Golf-Staaten
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15660 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. Dreggernoch vor zehn Jahren bereit waren, an Großbritannien eine jährliche Subvention von mehr als 150 Millionen Dollar zu zahlen, wenn Großbritannien nur bereit gewesen wäre, seine damals dort noch stationierten 22 000 britischen Soldaten zu belassen. Welch schrecklicher Irrtum war es doch, zu meinen, wegen der Auflösung der Kolonialreiche könne man alle Stützpunkte östlich von Gibraltar aufgeben. Europa war von Asien und Afrika noch nie so abhängig wie heute, und seine Seewege waren noch nie so bedroht wie in unseren Tagen.Diese Mittel müssen natürlich nicht „wilhelminisch" eingesetzt werden, sondern sie müssen so eingesetzt werden, daß die Staaten der Dritten Welt in die Lage versetzt werden, eine von Moskau unabhängige Politik zu betreiben.
Wenn das die Lagebeurteilung ist und wenn Europa auf Grund seines Interesses, auf Grund seiner finanziellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten Mitverantwortung trägt, dann ist es doch allein eine Frage der Arbeitsteilung, wie das nun organisiert wird: ob daran alle europäischen NATO-Staaten beteiligt sind oder ob nur ein Teil der NATO-Staaten beteiligt ist, ob diese Aufgabe im Rahmen der NATO oder außerhalb der NATO in einer besonderen Institution wahrgenommen wird. Dabei geht es ja nicht nur darum, die militärischen Mittel bereitzustellen, sondern es geht auch darum, die Politik des Westens zu koordinieren, die doch zur Zeit von Rivalitäten gekennzeichnet ist, die widersprüchlich ist und es nur deshalb der Sowjetunion ermöglicht, in dieser Weise in der Dritten Welt vorzudringen.Wir stimmen dem Außenminister zu, daß die Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer Lage in Mitteleuropa eine besondere Aufgabe in der Verteidigung der Zentralfront zwischen den Alpen und der See wahrzunehmen hat. Aber sowohl in Ihrem Beitrag, Herr Außenminister, wie in dem Beitrag von Franz Josef Strauß wurde angedeutet, daß die Bundesrepublik Deutschland im Interesse der europäischen Verteidigung gezwungen sein könnte, weitere Verbände zu unterhalten, wenn unsere Partner gezwungen wären, wegen der Abwehr der globalen Bedrohung hier Verbände abzuziehen. Dann taucht das Problem, was auch der Herr Bahr gerade angeschnitten hat, auf: ob dann die 50-%-Grenze überschritten wird, was niemand von uns möchte, weder Sie noch wir. Dann steht man doch, wenn man Mißtrauen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland haben will, vor der Frage, was man nun in Kauf nimmt: ob wir als ein kleiner Bestandteil an der Abwehr der globalen Bedrohung mitwirken oder ob wir es nicht tun und dafür einen höheren, möglicherweise über 50 % hinausgehenden Anteil an der Abwehr der kontinentalen Bedrohung leisten.Ich bin der Meinung, wir haben als Bundesrepublik Deutschland heute Anspruch darauf, als ein normaler und verläßlicher Partner des Bündnisses behandelt zu werden.
Wir wollen keine Privilegien, aber wir haben auchkeinen Anlaß, uns Diskriminierungen auszusetzen.Wir sind ein unentbehrlicher Teil des Bündnisses, ein zuverlässiger Teil. Diese Frage kann jetzt nicht im Deutschen Bundestag entschieden werden; sie muß im Bündnis abgesprochen werden. Nicht mehr ist gesagt worden, weder durch Herrn Wörner noch durch Herrn Strauß noch durch mich, der ich diesen Punkt als erster angeschnitten habe. Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen, die Opposition mache keine Vorschläge, und sie, wenn sie Vorschläge macht, auf der anderen Seite verteufeln, weil sie mit ihren Vorschlägen angeblich jemanden — was weiß ich, wen? — in seinen Gefühlen beleidigt.Wir sind Teil Europas. Wir sind Teil des Westens. Das Wichtigste für den Westen ist, daß er die Ziele und Methoden sowjetischer Politik nüchtern analysiert und daraus ohne Emotionen nüchtern die notwendigen Schlüsse zieht. Diese Analyse ist doch in keiner Weise schwer. Wir brauchen uns ja nicht nur auf die Praxis der Sowjetunion zu stützen, die doch seit der Eingliederung der baltischen Staaten bis nach Afghanistan unverändert ist. Das ist doch im Grunde eine Linie.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bahr?
Bitte schön.
Herr Dr. Dregger, würden Sie mir bitte erläutern, wodurch Sie die Stellung der Bundesrepublik im Bündnis diskriminiert sehen?
Durch das Bündnis fühle ich mich nicht diskriminiert, aber durch manche Äußerungen aus Ihren Reihen, nach denen es als unerträglich empfunden wird, wenn die Bundesrepublik Deutschland in diese Überlegungen als ein normaler Partner der NATO wie jeder andere auch einbezogen wird.
Ich habe nicht nur bei unseren Bündnispartnern, sondern auch bei meinen Gesprächen in der Dritten Welt häufig gesagt erhalten: Wir haben ja Verständnis, daß ihr eure Vergangenheit bewältigen wollt. Aber wir empfehlen euch, das allmählich den Historikern zu überlassen und jetzt dazu beizutragen, daß wir die Zukunft bewältigen können. — Das ist nämlich unsere Aufgabe. Das wollte ich damit andeuten.
Meine Damen und Herren, wir können uns nicht nur auf die Praxis der Sowjetunion stützen, sondern auch auf ihre Theorie. Wir brauchen nur zur Kenntnis zu nehmen, daß in der Interpretation der Sowjetunion die Politik der Koexistenz und der Entspannung der gegenwärtigen Machtlage entspricht,
daß diese Politik aber nicht auf Dauer fortgesetzt werden soll, daß die jetzige Machtlage nicht stabilisiert werden soll, sondern daß sie überwunden werden soll, und zwar durch die Überwindung unseres
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Dr. Dreggerwestlichen Systems und durch das, was Breschnew als den „Sieg des Kommunismus im Weltmaßstab" bezeichnet hat.Daraus folgt die weitere Theorie, daß Bürgerkriege und nationale Befreiungskriege zulässig und mit der Politik der Koexistenz vereinbar sind, wenn sie dem Sieg des Kommunismus im Weltmaßstab dienen. Das kann ja für alle Invasionen, die stattgefunden haben, sicherlich bestätigt werden. Um sich selbst vor Veränderungen im eigenen Lager zu schützen, nimmt die sowjetische Theorie der friedlichen Koexistenz die sozialistischen Länder davon ausdrücklich aus. Für sie gilt die Theorie des proletarisch-sozialistischen Internationalismus, die jede Veränderung im eigenen Machtbereich als Konterrevolution brandmarkt und die es rechtfertigen soll, daß die sozialistischen Bruderländer einmarschieren und den Sozialismus retten, wie es 1968 in der Tschechoslowakei geschehen ist.Wir brauchen doch nur zur Kenntnis zu nehmen, was die anderen sagen, nicht unbedingt vor der UNO sagen und nicht unbedingt in Gesprächen mit dem Bundeskanzler hier in Bonn, aber in all ihren theoretischen Schriften und in all ihren Reden.
Wenn wir das zur Kenntnis nehmen, ist es möglich, die gesamte Politik der Sowjetunion seit Jahrzehnten bruchlos zu erklären.
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ja, ich komme jetzt zum Schluß.
— Es ist für Herrn Wehner unangenehm, wenn er die Wahrheit auf diesem Felde hört. Aber ich halte es für außerordentlich wichtig.
Ich ziehe daraus folgende Schlußfolgerungen. Die Sowjetunion ist nicht nur eine imperialistische Großmacht — das ist sie auch —, und sie ist schon gar keine saturierte Großmacht, sondern sie ist zugleich das bedeutendste ideologische Zentrum des Weltkommunismus. Die Sowjetunion ist eine weltrevolutionäre Macht mit dem Anspruch, ihre Lehre über die ganze Welt auszubreiten. Um das zu erreichen, betreibt sie keine Abenteuerpolitik.
Sie kalkuliert sehr sorgfältig. Aber wo die Schwäche der anderen es zuläßt, muß sie vordringen. Sie muß überall in der Welt auf solche Schwächesituationen hinarbeiten. Das braucht nicht mit Emotionen beantwortet zu werden, sondern nüchtern und konsequent. Die Schlußfolgerung lautet: Der Westen kann sich keine Schwäche leisten.
Wir brauchen eine Politik des Gleichgewichts auf allen Feldern, die es der Sowjetunion unmöglich macht, in der Weise vorzudringen, wie es geschehen ist.
Meine Damen und Herren, was dem Westen und insbesondere Europa fehlt — rufen Sie sich noch einmal die Zahlen in Erinnerung —, sind nicht die Mittel und Möglichkeiten, sondern sind die Fähigkeit, nüchtern die Lage zu beurteilen, und der Wille zur Selbstbehauptung.
Wir wollen keine Entspannung als Übergang zum Weltkommunismus, zur Weltrevolution. Wir wollen Entspannung auf Dauer. Diese Entspannung auf Dauer muß organisiert, sie muß militärisch abgesichert und ökonomisch bezahlt werden. Das geht, und der Westen sollte es tun.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise
— Drucksache 8/3129 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 8/3561 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/3498 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Jentsch , Pensky, Dr. Wendig
Es wurde zwischenzeitlich interfraktionell vereinbart, auch zu diesem Punkt nur eine Debatte mit Kurzbeiträgen zu führen. Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jentsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Herr Bundesminister im Juli des vorigen Jahres den Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise im Bundesrat begründete, feierte er ihn als Ausdruck seiner angeblichen „Sicherheitspolitik mit Augenmaß". Dieser vermeintliche Beitrag des Innenministers zu einer „Sicherheitspolitik mit Augenmaß" hat nicht einmal die Beratungen des Innenausschusses erreicht. Als wir im Ausschuß die Beratungen begannen, lag ein ganz anderer, ein neuer Entwurf vor, der Entwurf unserer Kollegen
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15662 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. Jentsch
Pensky und Dr. Wendig. Der neue Entwurf hat den Entwurf des Innenministers bis zur Unkenntlichkeit verändert. „Unveränderliche Kennzeichen" — uni in der Terminologie des Personalausweises zu bleiben — waren der „Sicherheitspolitik mit Augenmaß" des Innenministers offensichtlich nicht zu eigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
von der Initiative bis zur Ausgabe der ersten Ausweise mehr als vier Jahre. In den Verdacht, sich hier ein Bein ausgerissen zu haben, kann Minister Baum sicherlich nicht geraten.Es soll an dieser Stelle auch nicht unerwähnt bleiben, daß diese Maßnahme zur inneren Sicherheit kostenmäßig voll zu Lasten der Länder und Gemeinden geht. Durch die Durchführung des Gesetzes wird der Bund nicht mit Kosten belastet, heißt es in der Drucksache. Länder und Gemeinden werden demgegenüber jährlich mindestens 8,5 Millionen DM Mehrkosten aufbringen müssen. Grund: ein teureres Herstellungsverfahren, eine umständlichere Form der Erstellung des Ausweises. Ich trage das auch nur vor, um an dieser Stelle erneut deutlich zu machen, daß ein Teil der Politik der inneren Sicherheit natürlich zu Lasten der Gemeinden und der Länder geht. Das soll hier gar nicht beklagt werden. Allerdings hat uns der Kollege Riedl als Berichterstatter des Haushaltsausschusses inzwischen vorgerechnet, daß nach einigen Jahren, wenn die „Probezeit", wenn ich so sagen darf, abgelaufen ist, auch durch die Anschaffung neuer Geräte Kosten auf den Bund zukommen werden.Wir werden diesem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmen können. Wir sehen bei dem Gesetz die Fortschritte darin, daß damit die Grundlage für die Ausgabe eines fälschungssicheren, verfälschungssicheren und verwahrungssicheren Ausweisdokuments vorliegt. Es wird die Möglichkeit erheblich beeinträchtigen, sich mit falschen Ausweisen auszustatten. Wir sollten aber an dieser Stelle auch nicht in überzogene Euphorie verfallen. Denn ein wichtiges Schlupfloch ist leider noch vorhanden: die Ausweise sind natürlich nicht mißbrauchssicher. Gehen sie verloren, ohne daß das angemeldet und bekannt wird, kann mit diesen Ausweisen weiterhin Mißbrauch getrieben werden.Aber die Vorteile überwiegen so stark, daß wir dem Gesetz zustimmen werden, zumal es nach unserer Auffassung einen vertretbaren Kompromiß zwischen den Interessen des Bürgers am Schutz seiner Daten und den Notwendigkeiten für die Arbeit der Sicherheitsorgane darstellt. Dieser Kompromiß war, was ich noch einmal betonen möchte, in dem ursprünglichen Entwurf des Bundesinnenministers nicht enthalten. Um diesen Kompromiß herzustellen, mußte der Gesetzentwurf geändert und umgeschrieben werden.Wie ich hier hinzufügen darf, überrascht das natürlich nicht; denn bei der Abwägung der Interessen der Bürger bezüglich freier Entfaltung seiner Persönlichkeit auf der einen Seite und bezüglich Sicherheit auf der anderen Seite hat dieser Bundesinnenminister bisher noch nie eine glückliche Hand gehabt. Entweder prügelt er als Datenschutzapostel auf die Sicherheitsorgane ein, oder er tätschelt diese, wenn sie gerade wegen spektakulärer Erfolge eine besonders gute Presse haben. Dieses EntwederOder, dieser Zickzackkurs muß aus der Sicherheitspolitik dieser Bundesregierung heraus. Der vorliegende Entwurf ist leider ein Beweis dafür, daß hier offenbar noch ein erheblicher Schritt zu tun ist.So ist dieser ursprüngliche Entwurf zunächst ausschließlich aus dem Sicherheitsdenken heraus konzipiert worden, ohne die datenschutzrechtlichen Aspekte zu berücksichtigen.Ich möchte festhalten, daß wir an dem derzeit vorliegenden Entwurf, der Gesetz werden soll, begrüßen, daß das Personenkennzeichen vom Tisch ist; es wird in dem Ausweis nicht enthalten sein. Ursprünglich war ja einmal etwas anderes in der Diskussion.Eine zentrale, alle Seriennummern umfassende Speicherung darf nur bei der Bundesdruckerei vorgenommen werden, und zwar ausschließlich zum Nachweis des Verbleibs der Ausweise. Bei der Bundesdruckerei dürfen die Seriennummern nicht in eine Verbindung mit der Person des Inhabers gebracht werden. Dies ist ein beachtlicher Schutz der persönlichen Daten des Inhabers des Ausweises.Genauso ist es mit der Regelung, daß die Seriennummern nicht zur Einrichtung oder Erschließung von Dateien verwendet werden dürfen. Dazu liegt ein Antrag der Koalitionsfraktionen vor, dem wir zustimmen werden; das darf ich vorwegnehmen. Man wird darüber diskutieren können, ob es sinnvoll und notwendig ist, zu ergänzen „Einrichtung". Es ist aber sicherlich nicht falsch, wenn man das um der Klarheit willen hineinschreibt. Diese Regelung gilt auch für den nichtöffentlichen Bereich.Eine Ausnahme hinsichtlich der Nutzung der Seriennummern besteht bei solchen Personalausweisen und vorläufigen Personalausweisen, die abhanden gekommen sind oder für ungültig erklärt Wurden oder bei denen der Verdacht mißbräuchlicher Benutzung besteht. Wir meinen, daß dies zweckmäßig ist, weil in solchen Fällen das Interesse des Inhabers sicherlich zurücktreten muß.Ich nenne noch einen letzten, aber ganz bedeutenden Punkt. Nach unserer Überzeugung ist das Interesse der Sicherheitsbehörden gewahrt, die den Personalausweis zur automatischen Erschließung von Dateien verwenden dürfen, solcher Dateien, die für die Grenzkontrolle oder für die Fahndung aus Gründen der Strafverfolgung oder zur Gefahrenabwehr unterhalten werden dürfen.
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Dr. Jentsch
Wir sehen in diesem Entwurf — das sage ich noch einmal abschließend — einen vernünftigen Kompromiß zwischen dem Interesse des Bürgers am Schutz seiner Daten und dem Interesse an seiner Sicherheit. Daher werden wir dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung und dem dazu vorgelegten Antrag zustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Pensky.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zur Schlußberatung anstehende Gesetzentwurf der Bundesregierung zielt auf die Einführung fälschungs- und verfälschungssicherer Personalausweise ab, die auch noch maschinell lesbar sein sollen. Ich habe die Notwendigkeit dieser Maßnahme in der ersten Lesung unterstrichen und kann deshalb darauf verzichten, es zu wiederholen. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, daß das, was hier, von der Bundesregierung eingeleitet, geschehen ist, auf breiter Ebene auf internationaler Absprache beruht und eine ganz positive Sache ist, weil wir damit rechnen können, daß unserem Vorbild andere, zumindest westliche Nachbarn folgen werden.
Soweit es um die Fälschungs- und Verfälschungssicherheit der neuen Personalausweise ging, hat es in der öffentlichen Diskussion durchweg eine breite Zustimmung gegeben. Daneben gab es eine zum Teil sehr herb geübte öffentliche Kritik an dem. Gesetzentwurf. Sie bezog sich jedoch ausschließlich auf die maschinelle Lesbarkeit der Ausweise, und zwar deshalb, weil daraus ohne Mißbrauchssperren durchaus Gefahren im Bereich des Datenschutzes hätten entstehen können. Diese Kritik — das muß offen eingestanden werden — war nicht unberechtigt. Darauf habe ich bereits bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 20. September 1979 hingewiesen. Ich brauche auch nicht zu wiederholen, daß wir schon damals in Übereinstimmung mit der Bundesregierung angekündigt haben, daß wir, soweit es den Datenschutz angeht, weitere Maßnahmen treffen werden.
Wir haben uns in der Zeit der Ausschußberatungen mit den zahlreichen Anregungen und Vorschlägen sachkundiger Leute im Bereich des Datenschutzes eingehend auseinandergesetzt, und zwar in enger Zusammenarbeit der Koalitionsfraktionen mit dem Innenministerium. Ich kann sagen, daß es hier keine Schritt ohne volle Übereinstimmung mit dem Innenministerium gegeben hat. Den Überlegungen ist folgendermaßen Rechnung getragen worden:
Erstens ist gesetzlich abschließend festgelegt, welche Angaben in dem Ausweis enthalten sein dürfen.
Zweitens. Jeder Ausweis hat nur eine Gültigkeit von fünf bzw. zehn Jahren; jeder neu ausgestellte Ausweis erhält eine neue Nummer.
Drittens. Die Seriennummer des Ausweises darf — wie es bei den heutigen Ausweisen ist — keine personenbezogenen Hinweise oder verschlüsselten personengezogenen Angaben enthalten.
Viertens. Die Seriennummer darf nicht zur automatischen Erschließung von Daten verwendet werden — außer für Dateien, die für Zwecke der Grenzkontrolle und Fahndung aus Gründen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr durch die hierfür zuständigen Behörden betrieben werden, und das ist ja eines der wesentlichen Ziele dieser neuen Systematik.
Fünftens. Die Errichtung zentraler Dateien auf Bundes- oder Landesebene, in denen die Ausweisseriennummer und der Name des Ausweisinhabers zusammen geführt werden, ist gesetzlich verboten.
Sechstens. Eine zentrale, alle Seriennummern umfassende Speicherung darf nur von der Bundesdrukkerei und ausschließlich zum Nachweis des Verbleibs der Ausweise vorgenommen werden.
Siebtens. Ein Verstoß gegen das Verbot der Verwendung von Seriennummern und des Personalausweises zur Einrichtung oder Erschließung von Dateien wird mit Bußgeld geahndet.
Hierdurch wie durch andere Bestimmungen soll generell verhindert werden, daß das neue Ausweissystem zu neuen Datensammlungen führt — weder über die Seriennummer noch über den Personalausweis. Dies soll durch den von den Koalitionsfraktionen SPD und FDP vorgelegten Änderungsantrag auf der Drucksache 8/3558 verstärkt Ausdruck finden.
Im übrigen handelt es sich hierbei — das erscheint mir erwähnenswert — um das erste Gesetz, in dem bereichsspezifische Datenschutzregelungen überhaupt festgeschrieben worden sind.
Mir erscheint auch der Hinweis beachtlich, daß die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, die ja von Amts wegen in diesen Fragen besonders kritisch sein müssen, sich durchaus positiv zur Weiterentwicklung des Gesetzentwurfs geäußert haben, besonders nachdem die auch von Ihnen für notwendig gehaltene Verwendungsbeschränkung in das Gesetz übernommen worden ist.
Wir teilen auch die Auffassung der Datenschutzbeauftragten von der Notwendigkeit der baldigen Verabschiedung eines datenschutzgerechten Melderechts — zu dem die Bundesregierung inzwischen einen Gesetzentwurf verabschiedet hat — und der zügigen Erarbeitung spezieller Datenschutzvorschriften für die Sicherheitsbehörden. Das findet auch in dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Entschließungsantrag Ausdruck.
Das Gesetz, das mit Wirkung vom 1. Oktober 1981 in Kraft treten soll, wird Bürgerfreiheiten nicht beschneiden; es wird uns aber — und dessen bin ich sicher - einen erheblichen Sicherheitsgewinn bringen. Wir Sozialdemokraten stimmen deshalb dem Gesetzentwurf einschließlich des Änderungsantrags auf Drucksache 8/3558 sowie dem Entschließungsantrag zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Betrachtet man
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15664 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Dr. Wendigheute die Diskussion um die Einführung fälschungssicherer Personalausweise, so fällt auf, daß weniger über den sicherheitspolitischen Zweck dieser Maßnahme als darüber geredet wird, wie Gefährdungen zu beseitigen sind, die für den einzelnen Bürger aus der Verwendung eines solchen Dokuments entstehen können. Dies überrascht nicht, weil vielen die sicherheitspolitischen Zusammenhänge ferner gerückt sind, als dies noch vor zwei Jahren der Fall war. Deutlich wird aber auch, in welchem Maße der unbescholtene Bürger sensibel geworden ist, wenn es um den Umgang mit seinen persönlichen Daten geht. Ich möchte dieses Bewußtsein des Bürgers als eine durchaus positive Entwicklung der letzten Jahre gewertet wissen.Gleichwohl muß auf den sicherheitspolitischen Ausgangspunkt dieses Gesetzes noch einmal deutlich hingewiesen werden. Nicht nur die Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, sondern auch Erfahrungen aus der allgemeinen Kriminalität haben gezeigt, daß die gegenwärtig verwendeten Personalausweise nicht mehr den notwendigen Sicherheitsanforderungen entsprechen, die an ein staatliches Identitätspapier gestellt werden müssen. Die Einführung der eingeschweißten Karte entspricht im übrigen der Entwicklung in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft; davon war schon die Rede.Neu gegenüber der ersten Beratung des Entwurfs ist in der Tat die sehr eingehende datenschutzrechtliche Komponente, die nach Anträgen der FDP und der SPD im Innenausschuß und dann auch mit der sehr konkreten Unterstützung des Innenministers und in mehreren gemeinsamen Berichterstattergesprächen so ausgebaut worden ist, daß der Innenausschuß am Ende einheitlich votieren konnte. Hierzu haben auch die Stellungnahmen des Bundesbeauftragten für Datenschutz, des hessichen Datenschutzbeauftragten sowie die Beratungen in der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder ganz maßgeblich beigetragen.Besondere Gefahr für die Privatsphäre des Bürgers bei diesem Ausweis kann von der Vergabe einer Seriennummer und von der teilweise maschinellen Lesbarkeit ausgehen. Es kommt im Kern also darauf an, zu verhindern, daß die Seriennummer auf irgendeinem Weg oder Umweg im Ergebnis zu einem nicht gewünschten Personenkennzeichen umfunktioniert wird. Entscheidend ist hier bereits zum Eingang, daß die in den Ausweis aufzunehmenden Angaben im Gesetz festgelegt werden, Fingerabdrücke oder verschlüsselte Angaben über den Ausweisinhaber darüber hinaus ausgeschlossen sind. Die Seriennummer selbst — und das ist entscheidend — ist nicht personenbezogen; sie enthält keine Daten über die Person des Ausweisinhabers oder Hinweise auf solche Daten. Die Seriennummer begleitet den Bürger auch nicht lebenslang. Der Ausweis verliert nach zehn bzw. fünf Jahren seine Gültigkeit und kann nicht verlängert werden. Bei .der Neuausstellung ist die Zuteilung der alten Seriennummer ausgeschlossen. Auch hierin wird das Bestreben deutlich, die Seriennummer von den persönlichen Daten des einzelnen Bürgers ganz deutlichabzusetzen. Nur die Bundesdruckerei kann, und zwar ausschließlich zum Nachweis des Verbleibs, alle Seriennummern speichern, wobei die Speicherung nicht den Namen und sonstige Angaben zur Person erfaßt.Die Seriennummer darf ferner grundsätzlich nicht zur Erschließung von Dateien verwendet werden. Ausgenommen sind lediglich die Fälle, in denen entweder die örtliche Personalausweisbehörde feststellen muß, an wen ein Ausweis mit einer bestimmten Seriennummer ausgegeben worden ist, oder in denen Seriennummern von gestohlenen, verlorengegangenen oder für ungültig erklärten Personalausweisen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gespeichert werden müssen.Da Zweifel, ob das Erschließungsverbot in der vorgelegten Fassung des § 3 Abs. 4 Satz 1 auch die Einrichtung von Dateien erfaßt, nicht ausgeschlossen werden konnten, haben FDP und SPD in ihrem Änderungsantrag vorgeschlagen, das Wort „Einrichtung" mit in den Gesetzestext aufzunehmen. Entsprechendes muß dann für die gleichlautenden Bestimmungen in den §§ 4 und 5 gelten. Wir bitten, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.Schließlich darf der Personalausweis als solcher auch nicht zur automatischen Erschließung von Dateien verwendet werden. Ausgenommen sind lediglich Dateien, die für Zwecke der Grenzkontrolle und der Fahndung aus Gründen der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr betrieben werden. Meine Damen und Herren, ich bin mir bewußt, daß gerade dieser Punkt mit einer besonders kritischen Aufmerksamkeit betrachtet wird. Man kann etwaige Gefährdungen jedoch durchaus eingrenzen. Denn man muß wissen: Name und Seriennummer, die maschinell lesbaren Teile des Ausweises, eröffnen lediglich den Weg zu einer Beantwortung der Frage, ob überhaupt gegen den betroffenen Bürger eine Erkenntnis vorliegt oder nicht. Dies ist ein Vorgang, der materiell genau so abläuft, wie wenn die Anfrage nach der bisherigen Sachlage telefonisch gestellt würde. Bei einer Abwägung der Rechtsgüter sollte dann die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit als das oberste dem Gemeinwahl dienende Rechtsgut den Vorrang haben. Deswegen haben wir uns für eine solche Ausnahmebestimmung aus Gründen der Sicherung dieses Rechtsgutes entschieden.Notwendig ist allerdings, daß im Bereich der Sicherheitsbehörden spezielle Datenschutzvorschriften erarbeitet werden. Dies ist der sachliche und der rechtliche Ansatzpunkt, bei dem ich eine etwa noch denkbare Unsicherheit endgültig ausschließen kann. Ich möchte mich daher ganz nachdrücklich für den vom Innenausschuß vorgeschlagenen Entschließungsantrag aussprechen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, unverzüglich ein datenschutzgerechtes Melderecht vorzulegen, und sie muß ferner ihre Bemühungen um die Entwicklung bereichsspezifischer Datenschutzregelungen im Sicherheitsbereich zügig fortsetzen. Die FDP-Fraktion erkennt in diesem Zusammenhang an, daß der Bundesinnenminister bereits wesentliche Vorarbeiten für einen bereichsspezifischen Datenschutz im Sicherheitsbereich auf den Weg gebracht hat.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15665
Dr. WendigSchließlich verweise ich an dieser Stelle darauf, daß die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zur vorgeschlagenen Regelung des Gesetzes keine Änderungsvorschläge mehr vorgelegt, dafür aber Forderungen im Sinne des Entschließungsantrages gestellt haben.Die FDP ist der Überzeugung, daß der Gesetzentwurf in der Fassung des Innenausschusses und unseres Änderungsantrages insbesondere unter den Gesichtspunkten des Datenschutzes eine optimale Lösung darstellt. Wenn der Deutsche Bundestag den Entwurf heute in dieser Fassung verabschiedet, ist mit einer Verbesserung der inneren Sicherheit zugleich auf einem wichtigen Teilgebiet ein wesentlicher Beitrag zum Ausbau eines bereichsspezifischen Datenschutzes geleistet. Die FDP-Fraktion stimmt der Vorlage deshalb zu. Sie verbindet mit der Zustimmung allerdings die Bitte an den Bundesinnenminister, zu überlegen, ob es ihm nicht gelingen könnte, gewissermaßen als Beitrag zur Bürgerfreundlichkeit das Ausweispapier auf ein geringeres Format zu bringen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Jentsch, es ist ein zwar gewohntes, aber doch jedesmal wieder überraschendes Erlebnis, festzustellen, wie die Opposition es versteht, gleichzeitig die Bundesregierung heftig zu kritisieren, dem Ergebnis ihrer Arbeit aber doch zuzustimmen.
Ich möchte mich bei Ihnen ausdrücklich für die kooperative Arbeit im Innenausschuß des Deutschen Bundestages bedanken. Ich muß sagen, daß ich ein gewisses Verständnis dafür habe, daß Sie angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Ihrer Fraktion hier auch ein bißchen bellen müssen.
Ich möchte ausdrücklich den Berichterstattern der Koalitionsfraktionen, Herrn Kollegen Pensky und Herrn Kollegen Dr. Wendig, für die Arbeit danken, die sie bei der Beratung dieses Gesetzes in die Fortentwicklung des Datenschutzes investiert haben. Ich möchte mich auch ausdrücklich bei den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder und den Datenschutzwissenschaftlern bedanken, die diese Diskussion ja teilweise außerordentlich kritisch begleitet haben. Dabei hat sich aber gezeigt, daß diese Kritik fruchtbar war und es uns gelungen ist, die Anregungen, die von dort gekommen sind, aufzugreifen und insgesamt eine Lösung zu finden, von der ich glaube, daß sie gerade auch unter Datenschutzgesichtspunkten ganz wesentliche Fortschritte bringt.
Der vorliegende Entwurf, Herr Kollege Jentsch, ist nicht Ausdruck eines Zickzackkurses, wie Sie bemerkt haben. Ich will in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, daß bereits im Juni 1979 Bundesinnenminister Baum in diesem Hause gefordert hat, daß bei der Einführung des neuen Personalausweises durch ein System wirksamer rechtsstaatlicher
Grenzen dafür gesorgt werden muß, daß trotz Effektivitätsverbesserungen bei der Verbrechensbekämpfung die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gewährleistet bleiben muß und nicht zu Lasten des Bürgers verschoben werden darf. Dieser Forderung trägt der Entwurf Rechnung.
Sie wissen auch, warum wir bei der Einbringung des Gesetzentwurfes diese Vorstellungen noch nicht in die Formulierung aufgenommen haben. Grund dafür war, daß wir möglichst schnell ein Gesetzgebungsverfahren in Gang setzen wollten, mit dem die Entscheidung des Parlaments über die Einführung eines Sperrvermerks im Personalausweis wieder rückgängig gemacht wird. Diese unsere Entscheidung, die Möglichkeit des Sperrvermerks aus dem Gesetz zu streichen, ist zu Beginn der Debatte von der Opposition kritisiert worden. Um so dankbarer vermerke ich, daß die Opposition jetzt einem Gesetzentwurf zustimmt, der die Streichung eben dieses Sperrvermerks vorsieht.
Das Ergebnis der Ausschußberatungen, das in engem Kontakt mit den Berichterstattern entstanden ist, läßt sich auf zwei wesentliche Punkte reduzieren:
1. Es besteht Einigkeit und es soll durch das Gesetz sichergestellt werden, daß die Maschinenlesbarkeit des Personalausweises nicht durch die Hintertür zu einem Personenkennzeichen führt.
2. Das neue Personalausweissystem darf nicht zu Superzentraldateien führen. Beides ist durch die Auschußformulierungen sichergestellt.
Der Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, stellt einen wesentlichen Teil der Strategie des Bundesministers des Innern zur Festigung des Datenschutzes im Sicherheitsbereich dar. Er steht in ganz engem Zusammenhang mit dem von der Bundesregierung bereits vorgelegten und zur Zeit in den Beratungen des Bundesrates befindlichen Entwurf eines Melderechtsrahmengesetzes. Es steht ebenfalls in einem engen Zusammenhang mit der Diskussion über die Amtshilfe und mit den Bemühungen, die der Bundesminister des Innern hier unternimmt, um zu klaren rechtlichen Grenzen zu kommen.
Daß ein so wesentlicher Teil dieser Strategie des Bundesministers des Innern mit Zustimmung einer Opposition verabschiedet werden kann, die sonst den Bundesinnenminister gerne als Sicherheitsrisiko bezeichnet, können wir mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Insofern sind wir für die Abstimmung dieses Hauses nicht nur wegen der speziellen Frage, die zur Abstimmung steht, dankbar, sondern auch weil sie zeigt, daß an den Vorwürfen wohl so Schlimmes und so viel nicht dran sein kann, wie bei anderen Debattengelegenheiten gerne behauptet wird.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen
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15666 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Vizepräsident Wurbswünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Zwei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei zwei Gegenstimmen sind die aufgerufenen Vorschriften damit angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 3, 4 und 5 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 8/3558 ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenstimmen? — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Der Änderungsantrag ist angenommen.Wer Art. 1 Nr. 3, 4 und 5 in der Ausschußfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenprobe! — Zwei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 6, Art. 2, Art. 3 Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Zwei Enthaltungen. Das Gesetz ist angenommen.Es ist noch über zwei Beschlußempfehlungen des Ausschusses abzustimmen: Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3498 unter II die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Der Ausschuß empfiehlt ferner auf Drucksache 8/3498 unter III die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung— Drucksache 8/3055 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 8/3433 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hammans
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist der Fall. Bitte sehr, Herr Dr. Hammans.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An Stelle einer Kurzdebatte noch eine zusätzliche Bemerkung des Berichterstatters: Ich möchte bemerken, daß es sich in den Ausschußberatungen zu den einzelnen Vorschriften des Gesetzentwurfs zeigte, daß es im grundsätzlichen keine widersprüchlichen Auffassungen zwischen der Bundesregierung und den Mitgliedern des Ausschusses gab. Hinzu kommt die erfreuliche Tatsache, daß auch die tierärztliche Standesvertretung diesen Gesetzentwurf begrüßt.
Zwar gibt es in den Grenzgebieten zu unseren Nachbarstaaten im Westen gelegentlich Schwierigkeiten mit grenzüberschreitenden Praxen ausländischer Tierärzte, weil deren Gebühren manchmal günstiger sind als die der deutschen Kollegen diesseits der Grenze, dies war und ist aber nicht auf eine gängige Konkurrenzsituation zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, daß die ausländischen Tierärzte entweder die deutsche Gebührenordnung nicht kennen, nicht berücksichtigen oder derartige Unterbietungen rein zufälligen Charakter haben.Meine Damen und Herren, die sich aus diesem Gesetzentwurf ergebenden notwendigen Änderungen z. B. für die Berufsorganisationen und fachtierärztlichen Anerkennungen können nach Verabschiedung dieses Gesetzes in der zweiten und dritten Lesung in den einzelnen Bundesländern dann schnell vorgenommen werden, damit in der Tat sehr bald eine EG-konforme Lösung der Tierärztefrage gegeben ist.Lassen Sie mich mit der kurzen Bemerkung schließen, daß die Berufschancen der Tierärzte nicht schlecht sind. Es ist zwar richtig, daß die Bundesrepublik Deutschland mit einem Netz von Tierarztpraxen gut versorgt ist, aber in manchen Bereichen herrscht auch heute noch ein ausgesprochener Mangel an Veterinärmedizinern. Dies gilt z. B. für die Verwaltung, für chemische Untersuchungsämter, für die Untersuchung von Importen von Lebensmitteln an den Grenzen oder im Ausland. Die umfangreiche naturwissenschaftliche Ausbildung bringt den Tierärzten außerdem Gelegenheit, in der pharmazeutischen Industrie, in der chemischen Industrie oder ähnlichen Bereichen einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden.Zwar ist der Berufsstand der Tierärzte klein, aber die Harmonisierung der Niederlassungsfreiheit für diesen kleinen Berufsstand bedeutet immerhin einen weiteren Schritt hin zu Europa.Lassen Sie mich zum Schluß noch eine persönliche Bemerkung anfügen. Als wir als junge Menschen nach dem Krieg glaubten, durch Niederreißen der Grenzbarrieren Europa aufbauen zu können, haben wir uns nicht träumen lassen, aus wie vielen kleinen Mosaiksteinchen die vereinigten Staaten von Europa mühsam aufgebaut werden müssen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980 15667
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3433 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 20. November 1978 zur Durchführung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit— Drucksache 8/3226 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/3405 —Berichterstatter: Abgeordneter Müller
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.- Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einesAchten Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes
— Drucksache 8/3292 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/3562 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 8/3453 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Miltner Jaunich
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird offensichtlich nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3453 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Punkte 8 bis 15 der Tagesordnung auf:8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu den beiden Gedenkstättenabkommen vom 5. März 1956— Drucksache 8/3359 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern— Drucksache 8/3353 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
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15668 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Vizepräsident Wurbs10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abgeltung von Kriegssachschäden deutscher Staatsangehöriger in Italien— Drucksache 8/3419 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Innenausschuß 11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. April 1979 zur Änderung des Vertrages vom 15. Dezember 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Führung von geschlossenen Zügen der Österreichischen Bundesbahnen über Strecken der Deutschen Bundesbahn in der Bundesrepublik Deutschland— Drucksache 8/3423 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag vom 5. Februar 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über den Bau und die Unterhaltung einer Autobahnbrücke über die Our bei Steinebrück— Drucksache 8/3464 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
— Drucksache 8/3431 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
InnenausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25./29. Januar 1979 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Weltraumorganisation über die Anwendung des Artikels 20 des Protokolls vom 31. Oktober 1963 über die Vorrechte und Befreiungen der Organisation— Drucksache 8/3479 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Budapester Vertrag vom 28. April 1977 über die internationale Anerkennung derHinterlegung von Mikroorganismen für die Zwecke von Patentverfahren— Drucksache 8/3480 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: RechtsausschußDas Wort wird nicht gewünscht.Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:a) Beratung der Sammelübersicht 59 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/3450 —b) Beratung der Sammelübersicht 60 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/3497 —Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 8/3450 und 8/3497, die in den Sammelübersichten 59 und 60 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 1979 bis 1983— Drucksachen 8/3101, 8/3355, 8/3458 —Berichterstatter:Abgeordnete Löffler HoppeWünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3458, von der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 8/3101 Kenntnis zu nehmen. — Ich stelle fest, daß das Haus Kenntnis genommen hat.Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kreile, Dr. Häfele, Dr. Schäuble und der Fraktion der CDU/CSUDurchführung des Umsatzsteuergesetzes 1979— Drucksache 8/3345 —Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
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Vizepräsident WurbsDer Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 8/3345 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kap. 3511 Tit. 69802— Abgeltung von Schäden - — Drucksachen 8/3222, 8/3437 —Berichterstatter: Abgeordneter WürtzWünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? — Das ist nicht der Fall.Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3437, von der Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen auf Drucksache 8/3222 Kenntnis zu nehmen. — Ich stelle fest, daß das Haus Kenntnis genommen hat.Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu der Unterrichtung durch die BundesregierungUNESCO-Empfehlung über internationale Architektur- und Stadtplanungswettbewerbe— Drucksachen 8/3064, 8/3465 —Berichterstatter:Abgeordneter Schmidt
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig begehrt? — Das ist nicht der Fall.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3465, von der UNESCO-Empfehlung Kenntnis zu nehmen, sowie die Annahme einer Entschließung. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungAgrarbericht 1979- Drucksachen 8/2530, 8/2531, 8/3470 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. von Geldernb) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Entschließungsantrag der Fraktion derCDU/CSU zur Beratung des Agrarberichts 1979 der Bundesregierung— Drucksachen 8/2654, 8/3471 —Berichterstatter: Abgeordneter Eickmeyerc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung des Agrarberichts 1979 der Bundesregierung- Drucksachen 8/2655, 8/3472 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. ZumpfortWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf den Drucksachen 8/3470, 8/3471 und 8/3472 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen des Ausschusses sind damit angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes— Drucksache 8/3360 —Interfraktionell ist vereinbart, keine Debatte zu diesem Punkt durchzuführen. T Das Wort wird auch nicht gewünscht. Wir kommen also gleich zur Abstimmung.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 8/3360 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuß, zur Mitberatung an den Innenausschuß sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit dieser Regelung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Tagesordnungspunkt 23 betreffend die Lage der Behinderten und Weiterentwicklung der Rehabilitation ist abgesetzt.Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenauschusses zu den Berichten der BundesregierungAbkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Kanada und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland über die Durchführung von Manövern und anderen Übungen im Raum Soltau-Lüne-
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15670 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Vizepräsident Wurbsburg vom 3. August 1959— Drucksachen 8/1827 , 8/2973, 8/3475 —Berichterstatter:Abgeordnete BrollDr. Schwencke Dr. WendigInterfraktionell ist ein Kurzbeitrag jeder Fraktion vereinbart worden. Ich frage zunächst den Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete de Terra.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf bitte, Herr Präsident, mit Ihrem Einverständnis mit einem Zitat beginnen, und zwar aus unserer Sitzung vom 20. Oktober 1977. Ich richte mein Wert an Sie, Herr von Dohnanyi. Sie sagten:
Meine Damen und Herren, die Ungeduld aller Fraktionen des Deutschen Bundestages ist für mich heute noch verständlicher geworden, als sie nach Studium der Akten sein konnte. Herr Kollege de Terra, Sie haben — wenn ich das aufgreifen darf — in dieser Sache sozusagen noch einen zusätzlichen Freund gewonnen: Ich will hier versprechen, daß ich versuchen werde, die angeschnittenen Fragen im Interesse der Betroffenen — Soltau-Lüneburg und Landkreis Harburg — aufzugreifen, und daß die Bundesregierung zusagt, die Lösungen zu finden, die im Rahmen der Grenzen, die uns gesteckt sind, möglich sind.
Herr von Dohnanyi, Sie haben es nicht nur vetsucht, sondern Sie haben es getan. Sie haben Ihr Wort, das Sie da gegeben haben, gehalten. Dafür möchte ich Ihnen danken.
Ich kann mich heute darauf beschränken, einige zukunftsweisende Anmerkungen zu dem Bericht der Bundesregierung und zu der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu machen. Dabei bitte ich, die Reihenfolge der Punkte, die ich anschneide, nicht als Rangfolge zu werten.
Ich möchte zunächst ein Wort zu der Problematik der Biwak-Plätze sagen. Hier sind wir zweifellos einen Schritt weitergekommen. Die örtlichen Stellen haben sich, wenn ich das salopp ausdrücken darf, zusammengerauft. Es muß in dieser Sache anders entschädigt werden. Wir hoffen, daß auch die britische Seite dieser neuen Regelung zustimmt. Sie muß sich finanziell beteiligen — ihre Antwort steht noch aus —; wir können hoffen, daß dies der Fall sein wird.
Ich darf etwas zu dem schwierigen Punkt der Sommerpause sagen. Wir wissen, daß wir hier noch nicht so weit sind, daß wir mit den Regelungen zufrieden sein können. Ich bin der Auffassung, daß wir gerade hier noch einiges tun müssen. Ob dies durch eine Änderung des Vertrages geschieht oder ob wir hier nicht dadurch weiterkommen, daß wir entsprechende örtliche Abmachungen treffen, will ich ganz dahingestellt sein lassen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter. — Ich darf bitten, die Gespräche nach draußen zu verlegen. Es ist sonst nicht möglich, den Redner zu verstehen.
Jedenfalls meine ich, daß wir schon durch ein örtliches Entgegenkommen der britischen Seite, durch Absprachen auf unterer Ebene einen guten Schritt weiterkommen. Wenn ich es vereinfacht darstellen darf: Wenn in der Sommerzeit keine Übungen angemeldet werden, dann wäre die Sommerpause da. Wir brauchten uns dann institutionell nicht über die Sache zu unterhalten.Ich bin auch der Auffassung — wenn ich mich in die britische Lage versetze —, daß den Briten eine Last genommen ist, nachdem der Prozeß — wenn Sie so wollen —, zugunsten der militärischen Seite abgelaufen ist, für die englische Seite also nicht mehr die Gefahr besteht, daß sich aus der Verquikkung von tatsächlicher Nutzung und Nichtübersehbarkeit des Ausgangs der Prozesse für sie eine unglückliche Lage ergibt.Ich möchte auf eine Kleinigkeit hinweisen. Es gibt eine unterschiedliche Darstellung. Die Beschlußempfehlung spricht von „Ersatzgelände", während die Bundesregierung in ihrer Unterrichtung richtigerweise davon spricht, daß man auf einen anderen Truppenübungsplatz im Bundesgebiet ausweichen könnte. Ich möchte davor warnen, daß wir uns durch die Verwendung von falschen Worten auf eine falsche Linie drängen lassen. Wir sollten keinesfalls ins Auge fassen, hierfür Ersatzgelände zu beschaffen.Ein Wort zum Ständigen Ausschuß, der nach dem Vertrag geschaffen worden ist und der eine ganz genau umrissene Aufgabe hat. Wir könnten uns überlegen — ich glaube, von Ihnen, Herr von Dohnanyi, kam auch die Anregung —, ob wir nicht durch eine höherrangige Besetzung dieses Ausschusses eine größere Wirkung erzielen können. Das hat einmal Grenzen insofern, als auch das Kleine, die tägliche Arbeit geringer werden soll; so will es auch der Vertrag. Wir können diesen Ständigen Ausschuß in bezug auf einzelne Fragen zwar höherrangig besetzen, wir können uns aber auch überlegen, ob wir nicht, ohne das als Institution auszuweisen, durch eine gemeinsame Arbeit der obersten Bundesbehörden und der Landesregierung sowie durch Hinzuziehung des britischen Botschafters oder seines Stellvertreters, also durch Gespräche, weiterkommen. Auch insoweit können wir sicherlich davon ausgehen, daß manche Fragen zur allseitigen Zufriedenheit geregelt werden.Es bleibt noch ein Letztes: ob wir weiterhin mit großem Nachdruck die Änderung des Vertrages betreiben sollten oder nicht. Ich meine, daß wir das dem weiteren Gang der Verhandlungen überlassen sollten. Wir müssen auf jeden Fall im Auge behalten, daß eine Änderung des Vertrages, sollte sie erreicht werden,. auch die Grundfragen berücksichtigt, d. h.
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de Terrazu Erleichterungen im allgemeinen und nicht nur in einzelnen Bereichen beiträgt. Bei einer Neugestaltung des Vertrages müssen wirklich alle entscheidenden, die Bevölkerung belastenden Fragen zufriedenstellend geregelt werden.Ich glaube, daß wir auf dem Weg, den -wir eingeschlagen haben, insgesamt einen guten Schritt weitergekommen sind, nicht zuletzt auf Grund der von allen Seiten des Hauses temperamentvoll betriebenen Auseinandersetzung mit dem früheren unzulänglichen Bericht der Bundesregierung. Wir sollten diesen Weg weiterhin so erfolgreich beschreiten, daß wir eines Tages das Ziel erreichen, nämlich ein reibungsloses Ineinandergreifen von notwendigen militärischen Übungen und Wahrung der Interessen der Bevölkerung.
Das Wort hat der Abgeordnete Neumann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das sogenannte Soltau-Lüneburg-Abkommen ist jetzt gut 20 Jahre in Kraft. Mit diesem Abkommen gestattete die Bundesregierung den britischen und kanadischen Truppen, im Gebiet des Abkommens, das der Kollege de Terra schon umschrieben hat, Manöver und sonstige Übungen durchzuführen. Ein Gebiet, das ca. 40 km lang und 8 bis 10 km breit ist und in dem 30 000 betroffene Bürger leben, also ein bewohnter Truppenübungsplatz.Alle zwei Jahre soll die Bundesregierung über die Entwicklung in diesem Gebiet Bericht erstatten. 1974 legte die Bundesregierung einen Bericht vor, mit dem sich der Innenausschuß, der Auswärtige Ausschuß und der Verteidigungsausschuß sehr intensiv beschäftigten. Innenausschuß und Auswärtiger Ausschuß legten damals nur kurze Empfehlungen vor, während der Verteidigungsausschuß eine umfassende Beschlußempfehlung einbrachte, die als Bundestagsdrucksache 7/3300 am 13. März 1975 vom Plenum einstimmig angenommen wurde.Was der Bundestag damals einstimmig beschloß, brachte ihn in volle Übereinstimmung mit der betroffenen Bevölkerung. Der nächste Bericht sollte die Drucksache fortschreiben. Sie wissen, daß der Bundestag — der Kollege de Terra hat darauf hingewiesen — den Bericht damals in der vorgelegten Fassung nicht akzeptierte, sondern einen Ergänzungsbericht für den April 1978 forderte. Der nächste reguläre Bericht sollte dann im April 1979 erscheinen.In den Beratungen des Bundestags im März 1975 wurden seinerzeit von den Berichterstattern die Unzulänglichkeiten des Berichts aufgezeigt. Ich finde, daß es gut war, daß wir in den Beratungen forderten, daß nach ca. 20 Jahren Abkommen endlich ein politisch Verantwortlicher in der Bundesregierung vorhanden sein müßte. Das ist dadurch geschehen, daß Staatsminister Dr. von Dohnanyi verantwortlich zeichnet. Er hat seinerzeit vor Ort auch die tatsächliche Stimmung unter der Bevölkerung und bei den Städten und Gemeinden dieses Gebiets zur Kenntnis nehmen können, die ihm damals gezeigt hat, daß die Zurückweisung des Berichts in der damals vorliegenden Fassung durch das Plenum berechtigt war.Die Beratungen in den vergangenen Jahren haben deutlich gemacht, daß der Beschluß des Deutschen Bundestags vom März 1975 bis heute seine Gültigkeit hat und sich alle Beurteilungen der Sachlage an den im Beschluß vom März 1975 festgelegten Forderungen orientieren.Lassen Sie mich kurz etwas zu den beiden Berichten sagen. Ich will nicht alle Punkte wieder aufgreifen, die der Kollege de Terra schon angeführt hat. Wir stimmen darin überein.Zunächst möchte ich meiner Freunde darüber Ausdruck geben, daß im Verlauf der Jahre die Mittel für den Ausgleich von Härten von 180 000 DM über 500 000 und 800 000 DM auf 1 Million DM aufgestockt wurden. Damit wurde einer der Punkte von 1975 beachtet und verwirklicht.Gut finde ich auch, daß den Forderungen entsprochen wurde und mit der Projektliste eine Art mehrjähriges Förderungsprogramm eingeführt wurde.Anerkannt werden von den betroffenen Gemeinden durchaus die Bemühungen um den Ausbau panzerfester Wege und Straßen. Seit Bestehen des Abkommens wurden bis Ende 1978, wie aus dem Bericht zu entnehmen ist, 31 km Landstraßen, 122 km Kreisstraßen, 68 km Gemeindestraßen mit rund 86 Millionen DM verstärkt ausgebaut und 61 km Geh- und Radwege geschaffen. Damit hat die Bundesregierung auch diese Forderung des Bundestags beachtet und erfüllt sie Zug um Zug.Ich finde es auch gut, daß die Bundesregierung bestrebt ist, diejenigen Gemeinden, die vom Soltau-Lüneburg-Abkommen betroffen sind, in das Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" aufzunehmen, wenn Niedersachsen das befürwortet. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung uns heute das Ergebnis dieser Bestrebungen mitteilen könnte und uns sagt, ob Niedersachsen einen solchen Vorschlag unterbreitet hat. Wenn das nicht der Fall ist, dann wäre es gut, wenn die Bundesregierung die Empfehlung des Innenausschusses noch einmal überprüft, für diesen Raum Regelungen analog der Zonenrandförderung zu treffen.Ich will die übrigen Punkte hier nicht auswalzen. Lassen Sie mich jedoch die Punkte unseres Beschlusses vom März 1975 nennen, die noch nicht befriedigend erledigt sind. Das betrifft einmal die Standortwahl der Biwakplätze — Kollege de Terra hat das schon ausgeführt — und die Einführung einer generellen Sommerpause. Ich will nur zur Sommerpause etwas sagen. Hier konnte mit den Briten noch keine Einigung erzielt werden. Zwar hat die britische Regierung zugestimmt, daß die übende Truppe zwei Wochen länger als bisher die noch nicht abgeernteten Felder nicht betritt und nicht befährt; einer generellen Sommerpause, wie sie der Bundestag bis jeweils Mitte Oktober gewünscht hatte, hat die britische Regierung bisher nicht zugestimmt, es sei denn, wir würden andere Truppen-
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Neumann
übungsplätze für diese Zeit anbieten. Vielleicht sollte das Verteidigungsministerium einmal prüfen, ob es zeitweise solche Möglichkeiten gibt.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Dank des einstimmig gefaßten Beschlusses des Bundestags vom März 1975, mit dem wir erstmalig unsere Forderungen sehr deutlich formuliert hatten, konnten wir mehr als 30 000 Bürgern Erleichterung verschaffen. Ich möchte deshalb an dieser Stelle Staatsminister Dr. von Dohnanyi für seinen Einsatz danken und ihn auffordern, im Interesse der betroffenen Bürger seine Bemühungen fortzusetzen.Ich glaube, die Bürger dieses Gebiets, die seit rund 35 Jahren Tag für Tag, Nacht für Nacht, werktags und an Sonntagen, im Sommer und im Winter, also fast 365 Tage im Jahr, die Belastung übender Truppen ertragen müssen, haben einen Anspruch darauf.Der Innenausschuß hat in seinem Bericht noch einen Punkt mehr behandelt als der Auswärtige Ausschuß und der Verteidigungsausschuß: die sogenannten roten Flächen im Bereich der Stadt Schneverdingen und den Ausbau Schneverdingens als Fremdenverkehrszentrum. Der Innenausschuß hat die Bundesregierung ersucht, mit der britischen und der kanadischen Regierung zu erörtern, ob nicht eine Änderung des Abkommens mit dem Ziel möglich ist, den Bedürfnissen Schneverdingens als Fremdenverkehrszentrum besser gerecht zu werden. Wenn dies gelänge, wäre das ein großer Fortschritt für die betroffenen Bürger. Ich bin allerdings gespannt, inwieweit die Vertragspartner hier mitspielen werden.Ich möchte zum Schluß auch ein paar Worte an die Adresse der übenden britischen Truppen sagen. Es wäre gut, wenn die britischen Kommandeure ihre Truppen stärker darauf hinwiesen, daß das Abkommen auch von britischer Seite strikt eingehalten werden muß. Wäre das immer der Fall, dann brauchten wir die Auseinandersetzungen nicht zu haben, wie wir sie in den letzten Jahren gehabt haben. Unsere Bürger und die vom Abkommen betroffenen Gemeinden halten sich seit 20 Jahren daran.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Fraktion der FDP nimmt von den beiden Berichten der Bundesregierung vom 29. Mai 1978 und vom 11. Juni 1979 Kenntnis. Mit dieser Kenntnisnahme verbindet sie die Anerkennung für das Bemühen der Bundesregierung, die Situation für die Bevölkerung der betroffenen Gebiete zu verbessern, — wenn dies sicherlich auch nicht vollkommen gelungen ist, was wahrscheinlich auch nicht sehr leicht geschehen kann. Dank auch Herrn Staatsminister von Dohnanyi, der sich all dieser Probleme mit sehr großer Tatkraft angenommen hat.Die Stationierung von Streitkräften unserer Bündnispartner auf deutschem Territorium dient der gemeinsamen Sicherheit des westlichen Bündnisses und damit unserer eigenen Sicherheit. Es ist demnach zwangsläufig, daß bestimmte Gebiete unseres Staates von den Belastungen einer solchen Stationierung besonders stark betroffen sind, während andere Gebiete keinerlei Belastungen unterliegen. Das ist unvermeidlich. Ebenso zwingend ist aber das Gebot an die Solidargemeinschaft, die der Staat Bundesrepublik Deutschland darstellt, alles nur Erdenkliche zu tun, um für die Bewohner solcher Gebiete die Belastungen so weit wie möglich zu erleichtern. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Gebiet des Landes Niedersachsen, das von dem Soltau-Lüneburg-Abkommen erfaßt ist, zu denjenigen Räumen gehört, die einer ständigen Belastung in besonders hohem Maße seit Jahrzehnten unterworfen sind.Ich will mich kurz fassen und nach den Ausführungen meiner Herren Vorredner nur die Probleme ganz kurz ansprechen, die für mich und meine Fraktion wichtig sind.Mit der Entschließung des Innenausschusses hält die FDP-Fraktion es für dringend geboten, daß die Bundesregierung trotz der bekannten Schwierigkeiten — ich will sie nicht wiederholen — weiter auf die Einführung einer Sommerpause hinwirkt. Ebenso muß die Problematik der Biwakräume in den neuen Verhandlungen mit der britischen Seite wiederaufgenommen werden. Auch davon war schon in den vorangegangenen Beiträgen die Rede. Ich erkenne an, daß die Bundesregierung auch in dem Berichtszeitraum bemüht gewesen ist, nicht unbeträchtliche Mittel für den Ausgleich von Härten zur Verfügung zu stellen. Unsere Anerkennung gilt auch den Bemühungen der Bundesregierung, den Ausbau panzerfester Straßen im Soltau-LüneburgGebiet weiterzuführen.Zwei Dinge, die uns allerdings jetzt noch nicht befriedigen, möchte ich erwähnen. Der Ausgleich wirtschaftlicher Beeinträchtigungen ist der eine Punkt. Dabei kommt es uns nicht unbedingt darauf an, daß das Zonenrandförderungsgesetz buchstabengetreu und analog angewendet wird, was vermutlich aus rechtlichen Gründen nicht zu verwirklichen sein wird. Entscheidend ist aber das Ergebnis. Das Ziel sollte darin bestehen, dem Gebiet des Soltau-Lüneburg-Abkommens solche Hilfen zuzuwenden, die einer Förderung, wie sie das Zonenrandförderungsgesetz bietet, im praktischen Ergebnis in etwa gleichkommen. Wir werden sehr sorgfältig prüfen, ob die von der Bundesregierung in Aussicht genommene Aufnahme in den Katalog der Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ein solches Ergebnis erzielen kann.Abschließend muß ich noch einen Punkt erwähnen, auf den ich bereits in der Debatte am 20. Oktober 1977 eingegangen bin. Es geht um die sogenannten roten Flächen und hier insbesondere um die Situation in der Gemeinde Schneverdingen. Unabhängig von der Belästigung der dort ansässigen Bevölkerung halte ich es für einen Widerspruch in sich, wenn Schneverdingen auf der einen Seite mit öffentlichen Mitteln als Fremdenverkehrszentrum gefördert wird, auf der anderen Seite die sogenann-
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Dr. Wendigten roten Flächen weiterhin unmittelbar an die Grenze des Stadtgebietes heranreichen. Ich habe mich an Ort und Stelle von der Situation in diesem Gebiet überzeugen können und bin der Meinung, daß bei gutem Willen der anderen Seite dieses Problem auch in den Griff zu bekommen wäre. Deswegen wiederhole ich heute mein Ersuchen, die Bundesregierung möge diesen Punkt in künftige Verhandlungen über eine Änderung des Abkommens einbeziehen. Es müssen Lösungen gefunden werden, die den Bedürfnissen Schneverdingens als eines Zentrums des Fremdenverkehrs besser gerecht werden. Ich hoffe zuversichtlich, daß wir im nächsten Bericht der Bundesregierung etwas von einem positiven Ergebnis solcher Bemühungen hören können.
Das Wort hat Herr Staatsminister von Dohnanyi.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es sehr kurz machen. Ich möchte mich für die wohlwollende Begleitung der Arbeit der Bundesregierung in den Ausschüssen, insbesondere durch die Herren Abgeordneten, die hier heute gesprochen haben, bedanken. Wir verdanken es zu einem erheblichen Teil ihren Anregungen, daß wir in der Lage waren, die Lösung der Probleme voranzutreiben.
Es ist richtig, daß gewisse Erfolge möglich waren. Aber wir stimmen auch darin überein, daß wir noch nicht am Ziel sind und bei einer solchen Fragestellung letztlich auch nicht an einem festen Ziel ankommen können.
Die Frage der Sommerpause, die hier eine Rolle gespielt hat, wird erneut zu beraten sein. Wir sind da mit der britischen Regierung im Gespräch, aber die Problemstellung hat sich für die britische Seite im Kern natürlich nicht verändert.
Wir werden weiterhin die Einzelfälle der Belastungen beraten, die hier angeführt worden sind, insbesondere das, was zuletzt hinsichtlich der Belastung der Gemeinde Schneverdingen vorgetragen worden ist.
Was den Ständigen Ausschuß angeht, so wollen wir die Sache pragmatisch anpacken. In der nächsten Sitzung des Ständigen Ausschusses werde ich selber anwesend sein. Wir versuchen, einen Beitrag auch zur praktischen Lösung von Einzelproblemen zu leisten; denn die Sorgen der Bevölkerung stehen für uns alle hier natürlich im Mittelpunkt.
Was das Land Niedersachsen angeht, so bedanke ich mich auch für die dortige positive Zusammenarbeit. Der Innenminister des Landes Niedersachsen hat seinerseits Versuche gemacht, die Dinge voranzutreiben. Ich habe im Augenblick keine Einsicht darin, ob es inzwischen einen Antrag des Landes Niedersachsen gibt, wonach Herr Kollege Neumann hier gefragt hat. Ich werde auf jeden Fall darauf drängen, daß wir die entsprechenden Anträge bekommen.
Daß wir mit der britischen Seite in der Verhandlung bleiben, habe ich bereits gesagt.
Wird weiterhin das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3475 unter Nr. 1, die Berichte der Bundesregierung Drucksachen 8/1827 und 8/2973 zur Kenntnis zu nehmen, und unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Die Tagesordnungspunkte 25 und 26 sind abgesetzt.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 27 bis 29 auf :27. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung . durch die BundesregierungMitteilung der Kommission betreffend die sozialen Maßnahmen im Rahmen der Umstrukturierung der Eisen- und StahlindustrieEntwurf einer Entscheidung der Kommission betreffend die Schaffung einer vorübergehenden Sonderbeihilfe zur Unterstützung der Arbeitnehmer der Stahlunternehmen im Rahmen des gemeinschaftlichen Umstrukturierungsprogramms— Drucksachen 8/2979, 8/3496 —Berichterstatter: Abgeordneter Zeitler28. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Siebenten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsame Regelung über die Anwendung der Mehrwertsteuer auf Umsätze von Kunstgegenständen, Sammlungsstücken, Antiquitäten und Gebrauchsgegenständen— Drucksachen 8/1492, 8/3435 —Berichterstatter: Abgeordneter Gertzen29. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Entscheidung des Rates zur Ermächtigung des Vereinigten Königreichs, Milcherzeugern in Nordirland eine staatliche Beihilfe zu gewähren— Drucksachen 8/3260 Nr. 17, 8/3436 —
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15674 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Januar 1980
Vizepräsident WurbsBerichterstatter:Abgeordneter KiechleEs handelt sich hierbei um Beschlußempfehlungen von Ausschüssen zu Vorlagen der Europäischen Gemeinschaft. Wird zu den Vorlagen des Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Erhebt sich Widerspruch dagegen, daß wir über die Vorlagen gemeinsam abstimmen? — Auch das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 8/3496, 8/3435 und 8/3436. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen der Ausschüsse sind angenommen.Meine Damen und Herren wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.Aber warten Sie noch einen Augenblick! Nach Überprüfung des Protokolls der Nachmittagssitzung rüge ich den Ausdruck, den der Abgeordnete Wehner während der Rede des Abgeordneten Dr. Marx gebraucht hat.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 8 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.