Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Sitzung ist eröffent. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
a) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Dregger, Erhard , Spranger, Dr. Klein [Göttingen], Dr. Jentsch (Wiesbaden), Berger (Herne), Gerlach (Oberhau), Regenspurger, Dr. Langguth, Dr. Laufs, Dr. Miltner, Volmer, Biechele, Broll, Krey und der Fraktion der CDU/CSU
Fernhaltung von Verfassungsfeinden aus dem öffentlichen Dienst
— Drucksachen 8/2305, 8/2481 —
b) Große Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP
Eignungsvoraussetzungen für die Beschäftigung im öffentlichen Dienst
— Drucksachen 8/2351, 8/2482 —
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat erneut die schicksalhafte Frage der Fernhaltung von Verfassungsfeinden aus dem öffentlichen Dienst vor den Deutschen Bundestag gebracht. Wie ernst der dafür zuständige Bundesinnenminister diese Anfrage nimmt, zeigt sich daran, daß er bei der Aussprache darüber bisher nicht anwesend ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, mir ist soeben gesagt worden, daß der Bundesminister des Innern jeden Augenblick eintreffen wird.
Das wäre sehr wünschenswert, weil gerade dieser Innenminister eine besondere Verantwortung für die Entwicklung in dieser Frage trägt.
Wir haben diese Anfrage eingebracht, damit die Bundesregierung die Chance hat, klarzulegen, was sie gegen jene unternimmt, die in den Staatsdienst drängen, um von dort aus unsere Freiheitsordnung noch erfolgreicher zu bekämpfen. Die Bundesregierung sollte auch die Chance gaben, die von SPD und FDP aufgekündigte Solidarität der Demokraten gegenüber Verfassungsfeinden wenigstens wieder zu suchen.Die Antworten der Bundesregierung und die in diesem Zusammenhang verkündeten Grundsätze über die Beschäftigung im öffentlichen Dienst haben jedoch alle Hoffnungen darauf endgültig zerstört. Wir haben eine Reihe von Fragen gestellt. Wir müssen feststellen, daß die Bundesregierung die Antwort auf die besonders kritischen Fragen überhaupt verweigert hat. Sie gab z. B. keine Antwort auf die Frage nach der Unvereinbarkeit von Beamtenpflichten mit den Kaderpflichten in einer verfassungsfeindlichen Partei. Sie gab keine Antwort auf die Frage nach der Zielsetzung der von Kommunisten betriebenen Berufsverbotskampagne. Sie gab keine Antwort auf die Frage, wie viele Bewerber in den vergangenen Jahren nicht wegen mangelnder Verfassungstreue, sondern wegen fehlender Stellen abgewiesen wurden.Die Verweigerung wesentlicher Antworten auf der einen Seite und andererseits unschlüssige, widersprüchliche und halbherzige Antworten beweisen: Die Regierung Schmidt ist entschlossen, Verfassungsfeinde als Staatsdiener zuzulassen. Sie hat vor der kommunistisch gesteuerten Berufsverbotskampagne mit ihrer beispiellosen und verleumderischen Agitation kapituliert. Sie ist vor den Linksextremisten innerhalb und außerhalb ihrer Reihen umgefallen.
Sie stärkt damit die politische und gesellschaftliche Position der Kommunisten und anderer Verfassungsfeinde.
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10888 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
SprangerUnsere Anfrage hatte auch zum Anlaß, zu überprüfen, inwieweit die ständigen Versicherungen der Bundesregierung, auch sie sei für die Verfassungstreue von Beamten, nicht bloße Lippenbekenntnisse seien. Wir müssen feststellen, daß dies tatsächlich der Fall ist. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in seiner Entscheidung vom 22. Mai 1975 unmißverständlich festgestellt: Verfassungstreue ist eine unverzichtbare Eignungsvoraussetzung für jeden Beamten. Der Staat ist verpflichtet, illoyale Beamte vom Staatsdienst fernzuhalten. Die Bundesregierung unterläuft jedoch diese bindenden Verpflichtungen.Deshalb schaffte sie die routinemäßige Karteibefragung beim Verfassungsschutz ab. Sie beschränkte umfassend die Verwertung von Unterlagen des Verfassungsschutzes und damit die präventive Abwehr von Verfassungsfeinden. Die Regierung Schmidt sichert somit Verfassungsfeinden den Zugang zum öffentlichen Dienst.Geradezu typisch für die Ziele und Methoden dieser Regierung ist ihre Haltung gegenüber verfassungsfeindlichen Parteien und Organisationen. Dieses Thema hat einen breiten Raum in unserer Großen Anfrage eingenommen.Gesetz und Recht verlangen von jedem Beamten, sich eindeutig von verfassungsfeindlichen Gruppierungen und Bestrebungen zu distanzieren. Was macht die Koalitionsführung? Sie stellt den Begriff des Verfassungsfeindes in Frage. Herr Wehner weiß angeblich überhaupt nicht, was „Verfassungsfeind" ist, was das bedeutet. Der Bundesinnenminister erklärt gar, der Begriff Verfassungsfeind sei lediglich organisationsbezogen und könne auf Einzelpersonen überhaupt nicht angewendet werden
— das werden Sie gleich noch hören — entsprechend dem Grundgesetz und nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Das ist eine geradezu abenteuerliche Ansicht, wenn sie ein Bundesinnenminister vertritt; der verpflichtet ist, unsere Verfassung vor solchen Leuten zu schützen.
Ich begrüße nunmehr auch den Bundesinnenminister, der in Wirklichkeit mit dieser Auffassung wesentliche verfassungsrechtliche Grundpositionen auf den Kopf stellt.Ich muß den jetzt anwesenden Minister fragen: Herr Baum, kennen Sie eigentlich die Definition des Verfassungsfeindes im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes, wo ausdrücklich und wörtlich steht, Herr Conradi: Wer darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen ...? Wer, ausdrücklich: wer. Das bezieht sich doch auf Personen und nicht auf Organisationen.Ich muß den Innenminister auch fragen, ob er das Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht insoweit kennt, als es ausdrücklich verlangt: Es dürfen keine Verfassungsfeinde — Verfassungsfeinde! — in den Beamtenapparat. Herr Minister, Verfassungsfeinde als lebende Personen und nicht als Gespenster drängen in den Staatsdienst. Wer uns davor nicht schützen will oder nicht schützen kann, der taugt nicht zum Bundesinnenminister.
Doch bei Bundesminister Baum wundert einen dann auch nicht mehr, wenn er behauptet, die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei könne allein nicht zur Ablehnung der Bewerbung führen. Er interpretiert damit das Bundesverfassungsgerichtsurteil absichtlich falsch.Völlig zu Recht hat der Kölner Verfassungsrechtler Kriele dargelegt, daß selbstverständlich allein die Mitgliedschaft zur Ablehnung führen kann. Das SPD-Mitglied Kriele steht im Einklang mit vielen Sozialdemokraten, die als ehemalige politische Häftlinge Mitteldeutschlands am eigenen Leibe erfahren haben, was eine kommunistische Diktatur ist. In der. SPD von heute stehen diese Leute allerdings leider auf verlorenem Posten.Mit der routinemäßigen Karteibefragung hat die Bundesregierung ein objektives Verfahren und die Gleichbehandlung der Bewerber abgeschafft. Auf die handhabbaren Kriterien für die Bewertung von Mitgliedschaften verzichtet sie mit der abenteuerlichen Begründung, das könne zur Überbewertung von Mitgliedschaften führen. In Wahrheit verhindert die Bundesregierung hier nicht die Überbewertung von Mitgliedschaften, sondern die richtige Bewertung von Mitgliedschaften. Da sie außerdem wegen unüberwindlicher, in der Sache liegender Schwierigkeiten darauf verzichten muß, Kriterien zur Feststellung der glaubwürdigen Distanzierung eines Mitgliedes von verfassungsfeindlichen Gruppen aufzustellen, öffnet sie der Willkür Tür und Tor.Auch sonst ist das Verfahren typisch für die Regierung. Die Herren Politiker scheuen die Verantwortung und wälzen die Probleme auf den kleinen Mann ab, der nun tagtäglich mit diesen Problemen konfrontiert und fertig werden soll. Soll er schauen, wie er zurechtkommt. „Vogel, friß oder stirb", das ist die Methode. Die Schmidt-Regierung erhebt den Zufall zum Rechtsprinzip. Sie provoziert geradezu Prozeßlawinen und Rechtsunsicherheit. Die Folge wird sein, daß die Berufsverbotskampagnen weiteren Treibstoff für ihre Agitation erhalten. Immer, wenn es um die aktive Auseinandersetzung mit den Verfassungsfeinden geht, kneift diese Regierung. Im Gegensatz zu jeder Logik und Vernunft ist sie nicht einmal bereit, festzustellen, daß die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei wie der DKP — um nur die größte, gefährlichste und einflußreichste zu nennen — grundsätzlich und schlechterdings unvereinbar mit der Gewähr für aktives Eintreten für unsere Verfassung ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10889
SprangerWir fordern die Bundesregierung auf, heute endlich einmal zu erklären, wie ein Kommunist, der auf Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet ist, eben dieser Grundordnung mit ganzer Hingabe dienen kann, wie es das Bundesverfassungsgericht tatsächlich verlangt.Ich kann am Beispiel der DKP nachweisen, wie verantwortungslos und leichtfertig die Haltung der Regierung in dieser Frage ist. Ein Kommunist muß auf jeden Fall seine Pflicht verletzen: entweder die gegenüber unserem Staat oder aber die gegenüber seiner Partei. Im Parteistatut der Deutschen Kommunistischen Partei heißt es unter anderem:Das Mitglied hat die Pflicht, an der Tätigkeit seiner Parteigruppe teilzunehmen, sich für die Verwirklichung der beschlossenen Politik einzusetzen und sie im gesellschaftlichen Leben aktiv zu vertreten.Aus dem Programm der DKP ergeben sich eine Reihe weiterer Verpflichtungen wie z. B. das Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus, zur aktiven Mitarbeit in der Parteiorganisation, zur aktiven Durchsetzung der beschlossenen Politik in allen gesellschaftlichen Bereichen, zum Gehorsam gegenüber der Partei und zur Unterordnung unter die Beschlüsse der übergeordneten Parteigremien. Die Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei bringt eine qualitativ wesentlich höhere Verpflichtung und Bindung mit sich als die Mitgliedschaft in demokratischen Parteien. So heißt es im Programm:Diese Gemeinsamkeit macht die Mitglieder der DKP zu einer einheitlichen und solidarisch handelnden Kampfgemeinschaft.In den vom Parteivorstand beschlossenen organisationspolitischen Grundsätzen wird bestimmt, daß die mit Mehrheit gefaßten Beschlüsse von allen Parteimitgliedern diszipliniert verwirklicht werden müssen. Überall dort, wo ein DKP-Mitglied auftritt, hat es die Interessen seiner Partei aktiv wahrzunehmen und stets und in erster Linie als ein Vertreter der DKP zu handeln.Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, das wissen Sie doch alles. Sie wissen, daß Kommunisten als verlängerter Arm ihrer Partei in den Einrichtungen des Staates tätig werden. Sie sind von ihrer Partei dienstverpflichtet auf die Revolution mit dem Ziel der Diktatur des Proletariats. Niemand — das ist ein Gebot der Logik und Vernunft — kann dieser Verpflichtung genügen und gleichzeitig als Beamter, Lehrer oder Richter unser Grundgesetz hüten und achten.
Wer diese Einsicht mißachtet, macht sich zum Totengräber der wehrhaften Demokratie. Er macht sich dabei ' auch zum Komplizen eines Meineides; denn der Eid eines Verfassungsfeindes auf die Verfassung kann nur ein Meineid sein. Wer sich andererseits ernsthaft vom Kommunismus distanziert, fliegt sofort aus der DKP. Das hat die Bundesregierung in der Antwort auf unsere entsprechenden Anfragen selbst festgestellt. Das bedeutet als Um-kehrschluß aber auch: Die Mitglieder der DKP sind überzeugte, aktive Kommunisten und taugen damit alle nicht als Beamte in unserem Staatsdienst.Auf der anderen Seite hält die Bundesregierung nunmehr Kommunisten wie alle Bürger für verfassungstreu. In der Weimarer Republik hat die SPD noch Kommunisten und Nationalsozialisten wegen bloßer Mitgliedschaft aus dem öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Welch ein Wandel zur SPD von heute! Heute unterstellt sie den kommunistischen Linksfaschisten im Gegensatz zu den Rechtsfaschisten eine humane Gesinnung. Kommunisten gelten als sogenannte kritische Demokraten. Welch ein Realitätsverlust angesichts der Wirklichkeit in kommunistischen Diktaturen im anderen Teil Deutschlands und in anderen Teilen der Welt!Die Bundesregierung mißachtet mit ihrer Haltung auch die alarmierenden Erfahrungen mit den Aktivitäten kommunistischer und anderer extremistischer Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in vielen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland. Das gilt vor allem für die Universitäten wie z. B. in Berlin, in Bremen, in Marburg, in Frankfurt. Dort unterdrücken Kommunisten und andere Linksextremisten mit beispielsloser Rücksichtslosigkeit die Rechte anderer und beeinträchtigen die Freiheit von Forschung, Lehre und Studium. Gewaltanwendung, vielfältige Formen des Rechtsbruchs und die Nötigung demokratischer Lehrer und Schüler haben unerträgliche Situationen geschaffen. Dort, wo Kommunisten und andere Extremisten in Einzelbereichen des öffentlichen Dienstes oder der Gewerkschaften durch Gruppenbildung an Einfluß gewannen, werden die Freiheitsrechte der Demokraten zerstört; Rechtsbruch und oft auch Gewalt werden zur Regel.Ich kann den Mitgliedern der Regierungskoalition nur empfehlen, sich doch einmal an den GEWVorsitzenden Frister zu wenden und ihn nach seinen Erfahrungen mit der Machtübernahme der Kommunisten im Landesverband Berlin oder dem Einfluß -der Kommunisten im Landesverband der GEW in Hamburg zu hören. Der wird Entsprechendes zu sagen wissen.Ich möchte die Regierungsparteien auffordern, doch nicht die Augen vor dem zu schließen, was Kommunisten und andere Verfassungsfeinde im Staatsdienst bewirken können, im Verteidigungsfall, im Fall des Verfassungsnotstandes, bei der Bahn, bei der Post, bei Versorgungsbetrieben, im Rundfunk, im Fernsehen, vor allem aber auch als Lehrer. Der Präsident des Hamburger Verfassungsschutzes, Horchem, SPD-Mitglied, hat schon 1976 gewarnt: Langsamen' Selbstmord würde es bedeuten, wenn man den Kommunisten das einflußreiche Gebiet der Erziehung für ihre Agitationen eröffnen würde. Trotzdem läßt die SPD allein in Hamburg schon jetzt über 250 Kommunisten als Lehrer agitieren.
Wir fordern Sie heute noch einmal auf: Machen Sie endlich Schluß damit; kommunistische Lehrer auf unsere Kinder loszulassen!
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10890 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
SprangerWir wollen nicht, daß unsere Kinder zum. Klassenkampf und zum Klassenhaß erzogen werden. Wir wollen, daß sie Demokraten werden können und daß sie Demokraten bleiben können.Mit dem Einschleusen ihrer Mitglieder in den öffentlichen Dienst erreicht die DKP auch ihre politische Anerkennung als eine demokratische Partei, als Teil des sogenannten Verfassungsbogens. Sie erringt einen weiteren Sieg bei ihrem Marsch durch die Institutionen. Der bisher wichtigste war ein Zugeständnis des IG-Metall-Vorsitzenden Loderer vom Jahre 1974 auf dem 11. Gewerkschaftstag, als er sagte: „Die DKP ist eine legale Partei, die in unserer Gewerkschaft .zu Hause ist." Die DKP kann nunmehr, befreit von den bisherigen Hindernissen, Mitglieder werben und sich verstärkt auf die Durchdringung vór allem der pädagogischen Einrichtungen konzentrieren. Kommunistische Lehrer, Richter und Soldaten werden zu lebenden Beweisen der nun angeblich staatstragenden Haltung der DKP. Das alles haben die Bundesregierung und die sie dazu treibenden Kräfte zu verantworten. Sie geben dadurch die freiheitliche Demokratie der Zerstörung preis.Eine besonders verheerende Rolle spielt in diesem Szenarium der jetzige Bundesinnenminister. Mit gezielter Informationspolitik hat er den Verfassungsschutz diskreditiert und. demoralisiert. Er hat sich wie andere linke SPD- und FDP-Kreise nicht gescheut, mit der Terminologie der Berufsverbotskampagnen ,Mißtrauen und Verunsicherung zu schüren, obwohl bisher nur Verfassungsfeinde und ihre Helfershelfer Anlaß zur Verunsicherung hatten. Wenn von Mißtrauen und Verunsicherung zu reden ist, dann doch vom Mißtrauen und von der Verunsicherung all jener demokratischen Staatsbürger gegenüber einer Bundesregierung, die die staatlichen Bastionen zur Abwehr von, Verfassungsfeinden fortlaufend schleift.Die Nachgiebigkeit der Schmidt-Regierung ermutigt Lüge und Agitation und entmutigt alle, die eben keine verfassungsfeindlichen Saboteure und Spitzel im Staatsdienst wollen. Karl Steinbuch hat 1972 in einem Brief an Willy Brandt geschrieben:Wenn unser politisches System zugrunde geht, dann sicher nicht an unüberwindlichen objektiven Widersprüchen, sondern an unserer mangelnden Intelligenz und Moral und vor allem an unserem mangelnden Mut, den Zerstörern entschlossen zu widersprechen.Auf Grund der Antworten auf unsere Große Anfrage muß festgestellt werden: Der Schmidt-Regierung fehlen die Intelligenz, die Moral und der Mut, unsere wehrhafte Demokratie zu erhalten und sie vor Verfassungsfeinden wirksam zu schützen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debattehat so begonnen, wie es eigentlich zu erwarten war und wie man gehofft hätte, daß sie nicht beginnen würde.
Die Gefahr einer so geführten Diskussion müßte jedem greifbar und allgegenwärtig sein. Wir sind selber schuld daran, wenn man dann nicht mehr auf uns hört, weil wir selber nicht mehr auf uns hören.
Das finde ich außerordentlich bedauerlich.Ich darf einmal vergegenwärtigen und in Beziehung setzen, was- man in den letzten Tagen auch sonst noch hat lesen können. Es heißt da bei dem Kollegen Spranger: Der Schmidt hat beschlossen, die Verfassungsfeinde zuzulassen;
er sichert den Verfassungsfeinden den Zugang zum öffentlichen Dienst;
er ist Komplize eines Meineids.
An anderer Stelle werden Überlegungen der Bundesregierung als plumpe Täuschungsmanöver, als unwürdige Komödie,
als zutiefst verlogenes Geschwätz bezeichnet, das den beunruhigten Bürgern Sand in die Augen streuen soll.
Da ist die Rede von blankem Zynismus und einer beispiellosen Verhöhnung der mündigen Bürger. Schließlich erweist sich die SPD als das innenpolitische Risiko — gemeinsam mit dem Innenminister —,
das es überhaupt gibt. Das alles sind Erklärungen, die Sie abgegeben haben.Meine Damen und Herren, diese Art der Auseinandersetzung ist, gemessen an dem Gegenstand und auch sonst, wie ich meine, des Stils, den wir hier miteinander pflegen sollten, unwürdig.
Bei aller Gegensätzlichkeit der Meinungen: Fahren Sie doch so nicht fort! Sie sind doch jetzt schon dabei, sich in dieser Auseinandersetzung des Wortschatzes aus dem Wörterbuch des politischen Extremismus zu bedienen.
Wir verstehen in dieser Auseinandersetzung IhreMaßlosigkeit im Ausdruck als Unsicherheit in derSache, und die hat eine tiefergehende Betrachtung,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10891
Brandt
eine, wie ich meine, ernsthaftere Behandlung verdient. Denn gegenseitige Beschimpfungen führen uns keinen Schritt weiter, wohl aber viele Schritte zurück, weil wir das Parlament im Ganzen unglaubwürdig machen. Dieses Parlament ist nun einmal der zentrale Ort, an dem sich das vollzieht, was andere government by discussion genannt haben, d. h. Herrschaftsausübung über den Weg der Diskussion. Wenn wir erreichen, daß sich Bürger, die uns mit diesen gegenseitigen Vorwürfen hier hören, angewidert von dem Ton der Auseinandersetzung — von ihren Inhalten einmal ganz zu schweigen — abwenden, dann haben wir auch ein Stück Demokratie verloren und eine Chance wieder einmal vertan.
Die Verwirklichung der Demokratie steht unter dem Gebot der Toleranz. Wir müssen einander ertragen können und wollen, gerade dann, wenn wir unterschiedlicher Auffassung sind.
Dies ist meine Meinung, die ich hier sage und die auch von meiner Fraktion voll getragen wird.
— Wir könnten es ja mal versuchen, gerade wenn wir unterschiedlicher Auffassung sind. Denn dies zeichnet doch den politischen Extremismus vor allem anderen aus, daß er andere Meinungen nicht ertragen kann, daß er seine Wahrheit zur allgemeinen Verpflichtung für alle macht, seine Wahrheit zu d e r Wahrheit zu machen. Was daraus wird, das haben wir ja erlebt, das haben wir auch selber erfahren. Denen, die das Glück hatten, nicht selber es erlebt haben zu müssen, muß diese Erfahrung vermittelt werden.
— Verstehen Sie doch einmal, daß ich den Versuch mache, Herr Kollege Hartmann, hier darzustellen, was ich zu diesem Problem denke und was meine Fraktion mich Ihnen hier vorzutragen beauftragt hat.
— Hören Sie doch einmal zu! Ich sehe das Problem anders als Sie. Dazu werden wir — —
— Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so sehr darüber aufregen.
— Nein, die da drüben nicht.Der erste Versuch einer Demokratie - dieser Hintergrund darf nicht 'vergessen werden, weil das in der gesamten Diskussion immer wieder eine Rolle spielt — ist 1933, wie wir alle wissen, endgültig gescheitert. Wir haben dieses Scheitern eines hoffnungsvollen Versuches mit Blut von Millionen, mit dem Leid von -Millionen und mit der Zerstörung und der Teilung unseres Landes bezahlt. Die Vergangenheit holt uns immer wieder ein; um es vielleicht besser zu sagen: sie ist allgegenwärtig, wie uns auch die vergangenen Wochen noch einmal gezeigt haben, und sie wird es noch lange sein, bis wir uns ihr alle gestellt haben und die Kosmetik weggenommen ist. Das ist die eine Seite. Wir werden dafür sorgen — ich hoffe doch, gemeinsam mit Ihnen —, daß der Faschismus in diesem Lande keine Chance, nicht den Schatten einer Chance haben wird.
Nun kommt der zweite Teil der Antwort. — Herr Erhard, ich kann nicht alles auf einmal sagen. —
Wir wissen: Deutschland ist geteilt, und in dem anderen Teil herrscht der Kommunismus, der seine Diktatur dort errichtet hat, die den Willen zur Pluralität und damit zur Freiheit in der Gleichrichtung erstickt, die auch der buchstäblichen Einmauerung des Willens zur Freiheit entspricht, wie wir sinnfällig sehen. Wir Sozialdemokraten haben unsere Erfahrungen auch da gemacht. Wir haben unsere Lektionen schon lange, schon sehr lange gelernt. Diese Erfahrungen haben uns gelehrt, daß auch der Kommunismus, so wie er sich sinnfällig darstellt, keine politische Möglichkeit für uns ist.
Deshalb werden wir den Kommunismus politisch bekämpfen, und ich denke doch auch: wie Sie, wenn auch nicht in der gleichen Weise wie Sie. Was immer uns auch sonst von Ihnen politisch trennen mag, die Idee der Freiheit und ihrer Verwirklichung ist, wie ich meine, ein starkes Bindeglied, das auch durch den Streit darum, wie der Zugang zum öffentlichen Dienst geregelt werden soll, nicht zerbrochen werden sollte. Immerhin haben wir gemeinsam erreicht, daß antidemokratische Parteien von rechts wie von links bei uns keine politische Chance haben. Die Bürger wählen doch demokratische Parteien. Das ist auch Ihr Verdienst. und ich wundere mich, daß Sie es so gering schätzen.
Sie vertrauen uns, und wir müssen uns dieses Vertrauen erhalten — um der Demokratie willen.Aber wir waren dabei — und das ist noch nicht ausgestanden —, Vertrauen in die Demokratie zu zerstören. Die unseligen Folgen dessen, was da so „Beschluß von 1972" genannt worden ist — der Ministerpräsidentenbeschluß von 1972 —, haben Schaden angerichtet — keineswegs gewollt, aber nichtsdestoweniger ist das Wirklichkeit. Wer das nicht
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10892 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Brandt
sieht, wer hier blindlings verteidigt, vergrößert doch den Schaden. Wer sich für die politische Auseinandersetzung entschieden hat, muß sie mit allen zu Gebote stehenden Mitteln auch führen, und er darf nicht administrative Maßnahmen für politische Auseinandersetzung ausgeben.
Die Rebellion eines großen Teils gerade unserer kritischen Mitbürger darf nicht als ein Votum gegen die freiheitliche Grundordnung mißverstanden werden. Sie ist vielmehr ein Bekenntnis zu ihr. Verstehen Sie bitte diesen Gedankengang.Die Koalitionsfraktionen haben eine Große An- frage eingebracht, die nüchtern nach den Eignungsvoraussetzungen für die Beschäftigung im öffentlichen Dienst fragt, die wissen will, wie die Rechtslage aussieht, wie die Praxis aussieht, ob die Praxis bei der Feststellung der Verfassungstreue als verbesserungsbedürftig angesehen wird und ob es nicht geboten ist, für diejenigen Berufe, die man nicht notwendigerweise im Staatsdienst ausüben muß, für die man aber in der Ausbildungsphase zeitweilig ein Beamtenverhältnis eingehen muß, ohne das man keine Prüfung ablegen kann — die sogenannten Monopolberufe —, eine neue Regelung zu finden, die wir für dringend notwendig halten, die es jedem gestattet, seine Ausbildung zu Ende zu bringen. Das ist der Gegenstand unserer Frage.Die Antwort der Bundesregierung spiegelt nicht nur die durch Gesetz und Rechtsprechung gegebene Rechtslage wider, sondern sie greift auch die wesentlichen Ergebnisse einer langanhaltenden Diskussion auf und läßt sie in die Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue einmünden. In diese Grundsätze sind die Vorstellungen von Sozialdemokraten und Freien Demokraten eingeflossen, wie sie in langen Auseinandersetzungen schließlich Gestalt gefunden haben; Auseinandersetzungen übrigens, die keineswegs nur in den Parteien geführt worden sind, sondern die eine breite Öffentlichkeit bei uns in der Bundesrepublik — und nicht nur hier in der Bundesrepublik — beschäftigt haben und noch beschäftigen.Die neuen Grundsätze, die am 1. April in Kraft treten sollen und die für den Bereich der öffentlichen Verwaltung des Bundes gelten sollen, bieten die Chance für die Wende eines unhaltbar gewordenen Zustands. Deshalb begrüßen wir Sozialdemokraten diese neuen Grundsätze.Deshalb soll nun die routinemäßige Abfrage, die routinemäßige Einschaltung des Verfassungsschutzamts unterbleiben und nur dann nachgefragt werden, wenn es dafür auch einen konkreten Anlaß gibt.
Deshalb sollen Informationen beim Verfassungsschutzamt, die Vorgänge betreffen, die vor dem 18. Lebensjahr liegen — ein Punkt, über den Sie kaum sprechen —,
unberücksichtigt bleiben — selbstverständlich nur dann, wenn sie nicht strafrechtlich relevant sind.
Deshalb sollen, um noch einen weiteren Punkt zu nennen, Informationen beim Verfassungsschutzamt, die mehr als zwei Jahre zurückliegen, nur dann weitergegeben werden, wenn sie ein solches Gewicht haben, daß ihre Weitergabe nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten ist. Das sind wichtige Eckpunkte der neuformulierten GrundSätze.Aber alles, meine Damen und Herren, kommt jetzt darauf an, wie diese Grundsätze angewandt werden. Die Grundsätze haben sich, soweit es das kritisierte Verfahren betrifft, geändert; entscheidend aber ist, daß sich die Praxis ändert.
Darauf kommt es an. Deshalb werden wir auch die Praxis aufmerksam beobachten.Die seitherige Praxis hat den inneren Frieden in der Bundesrepublik erheblich gestört und dem Ansehen der Bundesrepublik geschadet.
Wer das unverändert beibehalten will, nimmt in Kauf, daß sich daran überhaupt nichts ändert.Sie, meine Damen und Herren von der Oppositionsfraktion, haben Ihre Große Anfrage unter der Überschrift „Fernhaltung von Verfassungsfeinden aus dem öffentlichen Dienst" eingebracht. Der Kollege Spranger hat vor mir schon einmal darauf hingewiesen, daß wir den Begriff des Verfassungsfeindes etwas problematischer sehen. Ich möchte dazu einiges gesagt haben.Was mich daran stört — ich verpflichte da niemanden; ich nehme das auf meine eigene Kappe —, ist, daß der Begriff Verfassungsfeind ein Kampfbegriff ist. Dieser Begriff ist ja nicht Ihrem Gebrauch vorbehalten; er zieht sich, einmal in die Welt gesetzt, quer durch die politische Landschaft: Bei uns, bei Ihnen, beim Bundesverfassungsgericht, bei der Bundesregierung, in Gerichtsurteilen, überall findet man ihn. Dennoch bitte ich, diesen Begriff aus der mit Ernst geführten politischen Auseinandersetzung fernzuhalten.
— Ich komme darauf zu sprechen, Herr KollegeBroll.Auch wenn wir auf diesen Begriff verzichten — es gibt doch genügend Möglichkeiten, verfassungswidriges Handeln und Verhalten als solches zu beschreiben und zu charakterisieren. Daß es diese Möglichkeiten gibt, bestreitet doch niemand, und daß das unsere ungeteilte Aufmerksamkeit braucht, bestreitet auch niemand.Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz, gilt für alle Bürger dieser Republik. Fast alle wollen diese Verfassung und stützen sie. Wenn wir uns schon für den Weg der politischen Auseinandersetzung mit solchen entschieden haben,
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die die Verfassung ganz oder in Teilen ablehnen, kann die Scheidung in Verfassungsfeinde und Verfassungsfreunde einer solchen politisch geführten Auseinandersetzung nicht förderlich sein.Man kann der Gefahr, die in der Verwendung dieses Begriffs liegt, auch nicht mit willkürlichen Definitionen begegnen. Um eine solche handelt es sich aber, wenn für die „Widrigkeit" ein aktives, kämpferisches, aggressives Verhalten vorliegen muß — soweit man dem Bundesverfassungsgericht folgen soll. —, für die „Feindlichkeit" aber nicht. Das verstehe, wer will. Wenn ich auch gerne bereit bin, die Autorität des Bundesverfassungsgerichtes zu beachten und sie sehr ernst zu nehmen, — —
— Doch, Herr Schwarz. Gerade weil wir daraus Konsequenzen ziehen
und weil das, was wir vorgelegt haben, in Einklangmit dem Bundesverfassungsgericht steht, verteidigen wir es auch und können es auch gut verteidigen.
Nein, die Autorität des Bundesverfassungsgerichts in Ehren, aber das heißt nicht, daß ich die Sprache der Willkürlichkeit der Definitionen aussetzen lassen will;
denn ein Verfassungsfeind ist — nach meinem Verständnis jedenfalls — allein schon nach dem einfachen Sprachgebrauch, Herr Kollege Schwarz, schlimmer, finsterer, bedrohlicher, ist ein Subjekt, das, weil es bedroht, als derjenige beseitigt werden muß, der sich wider die Verfassung stellt, mit dem man sich — in welcher Form auch immer — auseinandersetzen muß, egal ob er sich im ganzen gegen die oder nur gegen bestimmte Teile der Verfassung stellt. Mit der Verwendung und der Pflege des Begriffs des Verfassungsfeindes wird eine Psychologie gefördert, die am Ende zur moralischen und politischen Ausbürgerung der so Bezeichneten führt.
Ich zweifle, ob das der Sinn des Unternehmens sein darf.Die in der Vergangenheit geführte Debatte hat sich wesentlich auf den Beschluß der Ministerpräsidenten vom 28. Januar 1972 konzentriert, ein Beschluß, der unterschiedlich benannt worden ist — als Extremistenerlaß, als Radikalenerlaß — und dessen Praxis sicherlich nicht treffsicher als „Berufsverbote" gekennzeichnet worden ist. Dieser Begriff wiederum ist aber — das muß man auch einmal sehen — nicht durch finstere Machenschaften von uns oder von irgend jemandem als Fremdwort in europäische Sprachen eingegangen wie das deutsche Wort Kindergarten.
Mir ist das deutsche Wort „Kindergarten"
— sogar das Wort „Feldwebel", wenn das, Herr Dregger, Ihre Alternative für „Berufsverbot" sein sollte —
in einer Fremdsprache — wie wir ja auch das Wort „Sergeant" kennen — lieber als das Wort „Berufsverbot" .
— Ach, wissen Sie: Mit der Erfindung von Wörtern ist es so eine eigene Sache, Herr Kollege Zimmermann.
— Es ist nicht so, daß eine Partei ganz bestimmte Wörter erfindet. Ich komme auf dieses Problem noch zurück. Denn ich halte es für falsch — —
— Nein, nein, nein! Die Kommunisten sind im Erfinden von Wörtern und Begriffen
sicher ganz große Klasse.
Nur stehen Sie — genau wie wir übrigens — in diesem Bereich hinter ihnen nicht zurück.Aber wenn ein Wort, ein Begriff plötzlich eine so breite Offentlichkeit bekommt, dann steckt mehr dahinter als nur die Erfindung der Kommunistischen Partei.
Dieses Wort möchte ich nicht in der politischen Diskussion haben, und ich möchte es schon gar nicht als ein deutsches Wort in europäischen Sprachen haben.Aber wir können es uns nicht aussuchen. Bei der Bedeutung, die dieser Begriff gewonnen hat, ist es töricht, zu glauben — um auf Ihren Einwurf einzugehen —, er sei nur Ergebnis einer kommunistisch gelenkten Kampagne zur Diffamierung der Freiheit. Es ist sicher richtig,
wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine entsprechende Frage der Opposition darauf hinweist, daß Berufsverbot-Kampagnen von Kommunisten aufgebaut und besetzt sind.
Das bestreitet nämlich niemand. Wen wundert esübrigens, da von dieser Seite natürlich die meisten
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Betroffenen kommen. Dies ist verständlich, wenn auch nicht akzeptabel.Es ist aber ebenso richtig, daß viele demokratisch engagierte Bürger sich und ihren Ruf eingesetzt haben und einsetzen, weil sie der Liberalität bei uns den Spielraum erhalten wollen, den sie bedroht sehen, weil sie die Verfassung nicht als erfüllt ansehen und auf ihre Weise den Einfluß des liberalen und sozialen Gedankens erhalten wissen wollen. Mit anderen Worten: Sie wollen die in der Verfassung angelegte Offenheit nicht eingeschränkt sehen und befürchten, mit der Verurteilung dessen, was zu Recht als verfassungswidrig angesehen werden muß, werde zugleich das unter Verdikt gestellt, was einer einzigen Verfassungsinterpretation widerspricht. Die Verfassung wird manchmal in ihrer Interpretation so behandelt — und wir tun ihr damit sehr unrecht —, als handle es sich hier um eine Verwaltungsvorschrift.
Das aber widerspricht dem Geist des Grundgesetzes.
Über den Ministerpräsidentenbeschluß von 1972 wird viel gesprochen,
und er wird für vieles haftbar gemacht. Dennoch wissen eigentlich nur wenige — die Kritiker eingeschlossen —, was drinsteht. Ich will deshalb hier nur ganz kurz den Text noch einmal zitieren. Da heißt es: Nach den Beamtengesetzen von Bund und Ländern und den für Angestellte und Arbeiter entsprechend geltenden Bestimmungen sind die Angehörigen des öffentlichen Dienstes verpflichtet, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes positiv zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten. Verfassungsfeindliche Bestrebungen stellen eine Verletzung dieser Verpflichtung . dar. Die Mitgliedschaft von Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Parteien oder Organisationen, die die 'verfassungsmäßige Ordnung bekämpfen, wie auch die sonstige Förderung solcher Parteien und Organisationen wird daher in aller Regel zu einem Loyalitätskonflikt führen. Führt das zu einem Pflichtverstoß, so ist im Einzelfall zu entscheiden, welche Maßnahmen der Dienstherr ergreift.
Die Einstellung in den öffentlichen Dienst setzt nach den genannten Bestimmungen voraus, daß der Bewerber die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Bestehen hieran begründete Zweifel, so rechtfertigen diese in der Regel eine Ablehnung.Dies ist der Text des Ministerpräsidentenerlasses.Ich stelle fest, daß der unbefangene Leser dies, was da steht, kaum als Ausgangspunkt für das hätte erkennen müssen, was in bürokratischer Perfektion dann daraus gemacht worden ist.
Niemand war gezwungen, hieraus die Notwendigkeit zur Regelanfrage beim Verfassungsschutz abzuleiten, die es bis dahin nicht gab und die auch nicht notwendig ist. Niemand hätte daraus ableiten müssen, daß all das, was einmal in jungen Jahren gesagt, geschrieben oder getan worden ist, dem Älteren ewig vorgehalten werden müsse. Niemand hätte daraus den Schluß ziehen müssen, daß die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei, für sich allein genommen, schon zum Ablehnungsgrund werde, und niemand hätte daraus den Schluß ziehen müssen, daß Leute, die 10, 20 oder 30 Jahre unbeanstandet ihren Dienst im öffentlichen Dienst verrichtet haben, nun plötzlich nach diesen 10, 20 oder 30 Jahren mit einem Disziplinarverfahren überzogen werden. Dies gibt dieser Text auch nicht her.All dies wäre nicht notwendig gewesen und war auch sicherlich nicht beabsichtigt. Deshalb ist es gut, darauf verweisen zu können, daß dieser Erlaß zwar ein historisches Faktum ist, aber keine gegenwärtige Existenz mehr hat. Ausmaß und Auswirkung der Praxis, bei denen man sich auf den Beschluß von 1972 berief, gingen weit über den engeren Bereich des öffentlichen Dienstes hinaus.Wir wollen uns auch gegenseitig nichts vormachen: Was hier zur Diskussion steht, ist mehr als die Auseinandersetzung darüber, wer unter welchen Voraussetzungen Zugang zum öffentlichen Dienst haben soll und wer von denen, die schon drin sind, unter welchen Voraussetzungen wieder entfernt werden soll. In Wirklichkeit geht es hier um einen, wie ich meine — dies ist mein persönlicher 'Eindruck —, leider an vielen Stellen nicht ausgetragenen Streit um Verfassungsverständnis, um unterschiedliches Verfassungsverständnis, um Demokratieverständnis, um unterschiedliches Demokratieverständnis. Wer das unterschlägt, redet, obwohl er sich auf das engere Thema beschränkt, eigentlich am Thema vorbei.
Was sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat, geht nämlich viel tiefer, als manche wahrhaben wollen. Wir Sozialdemokraten werden von Ihnen oft in diese Lage versetzt, brauchen uns aber nicht als Demokraten auszuweisen. Wir müssen auch nicht immer wieder zum Staat des Grundgesetzes Bekenntnisse ablegen. Die Demokratie, durch das Grundgesetz bestimmt, ist Lebenselement sozialdemokratischer Politik. Dafür streiten wir auch mit jedem, der uns diesen Streit aufnötigt. Wir sind sehr für eine streitbare Demokratie, aber was hier vorgeführt wird, ist oft nichts anderes als eine zänkische Demokratie, deren Zankapfel konkrete Menschen sind.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10895
Brandt
Wir haben für die Demokratie gestritten, und dies weiß jeder, der sich in der Geschichte des demokratischen, freiheitlichen Gedankens auskennt, der sicherlich nicht mit der Geschichte der Sozialdemokratie identisch ist, aber auch nicht ohne sie denkbar ist, und die „geschichtslosen Gesellen" haben sicherlich ihre eigene Geschichte und auch die Geschichte Deutschlands sehr wohl begriffen und verinnerlicht.Weil wir das Grundgesetz und die Verfassung mit getragen und gewollt haben, werden wir sie verteidigen. Vor allem werden wir das deshalb tun, weil sie von Grund auf eine Verfassung ist, die Freiheit ermöglicht und Freiheit sichern will. Es ist eine Verfassung der Freiheit. Das ist ihre Stärke und, wie wir alle wissen, zugleich auch ihre Verwundbarkeit.Daher kommt aber auch unsere Empfindlichkeit, wenn gerade die die Freiheit des einzelnen sichernden Grundsätze der Verfassung, egal von welcher Seite, verletzt werden. Daher resultiert auch unsere Empfindlichkeit, wenn diejenigen, die von Amts wegen die Verfassung anzuwenden haben, die Beamten, nicht für die Verfassung eintreten. Daher kommt auch unsere Empfindlichkeit, wenn sich die Prüfung der Eignungsvoraussetzungen für den Eintritt in die Beamtenlaufbahn nicht nach den strengen Maßstäben der Verfassung richtet.Wir haben uns vor allem vor einem zu hüten, davor nämlich, daß eine bestimmte — und sicherlich zulässige — politische Verfassungsinterpretation für die Verfassung selber ausgegeben wird. Das führt im Ergebnis zu einer unerträglichen Verfassungsstarre, in der nicht nur die politische Auseinandersetzung, weil sie sich in unfruchtbarem Gegeneinander verliert, ihre Kraft einbüßt, sondern letzten Endes auch die Glaubwürdigkeit der Verfassung leidet.
Das Grundgesetz mit seinen rund 150 Artikeln — das sind Artikel von unterschiedlichem Gewicht — ist gut lesbar und jedem verständlich. Diese Artikel richten sich an den Bürger, der kein juristisches Vorverständnis braucht, um zu verstehen, was da eigentlich in der Verfassung steht, denn er ist der Adressat der Verfassung — nicht irgendwelche Rechtsgelehrten, von denen Lichtenberg sagt, wenn sie Rechtsgelehrte sind, so haben sie subtile Einfälle in den Winkelchen des Ganzen, das darüber verlorengeht. Und das haben wir ja in der Vergangenheit sehr oft erlebt. Nein, diesem im guten Sinne naiven Verfassungsverständnis muß der Zugang zur Verfassung erhalten bleiben, schließlich ist diese doch auch auf die mitdenkende Vernunft der Menschen angewiesen.Aber wir verhalten uns in Politik und Rechtsprechung oft so, als gäbe es,_diese Vernunft nicht und als wäre die Verfassung den Verfassungsgelehrten vorbehalten.
Am Ende steht dann nicht eine lebendige, gelebte,Verfassung, sondern eine verkrustete Verfassungsscholastik, die dem einfachen Menschen den einfachen Zugang versperrt.
So geschieht es, daß sich die Verfassung im Tresor ihrer eigenen Auslegungen befindet wie ein kostbares Schmuckstück, das man gut schützt, aber nicht mehr tragen kann.
Niemand ist verpflichtet, diese meine Befürchtungen zu teilen, aber ich wünschte, man würde sie wenigstens verstehen. Denn das, was die Praxis des Beschlusses von 1972 — sicherlich nicht beabsichtigt — zur Folge gehabt hat, erlaubt die Diagnose, daß das Vertrauen insbesondere eines großen Teils der jungen Generation — aber nicht nur dieser — in den Staat, seine Verfassung und seine Behörden gelitten hat — daran gibt es keinen Zweifel — und daß sich ein großer Teil wiederum insbesondere der jüngeren Generation wenn nicht zu Duckmäusertum, so doch zu Opportunismus veranlaßt sah.Wer dies nicht sieht und glaubt, die seitherige Praxis unverändert weiterführen zu können, provoziert eine nachhaltige Vertrauenskrise,
und das nicht nur bei denen, die direkt davon betroffen sind, sondern auch bei denen, die glauben, davon einmal betroffen werden zu können, und schließlich bei denen, die sich ausschließlich aus ihrem demokratischen Engagement und aus ihrem Verfassungsverständnis heraus zur Wehr setzen. Ungerecht behandelt zu werden oder zusehen zu müssen, wie andere ungerecht behandelt werden, hinterläßt tiefe Spuren der Bitterkeit und. des Trotzes, im schlimmsten Falle sogar der Resignation, die dann zu dem schon erwähnten Phänomen des Opportunismus führen muß.Wir brauchen doch, meine Damen und Herren, das politische Interesse und Engagement der Bürger — auch dann, wenn es sich im Einzelfall als töricht oder falsch herausstellen könnte. Es ist doch ein Aberwitz, daß gerade die kritisierte Praxis z. B. der Routineanfrage beim Verfassungsschutz in vielen Fällen zu einer tief verinnerlichten Haltung geführt hat, eben dafür zu sorgen, daß dort nichts vorliegt, daß keine Informationen an den Verfassungsschutz gelangen können, weil man gelernt hat, sich wie ein Chamäleon der jeweiligen Umgebung politisch anzupassen.
Wer sich um seine berufliche Zukunft sorgt, sorgt dafür — schon in der Gegenwart und noch mehr wahrscheinlich in der Zukunft, wenn es so weiterginge —, daß über ihn nichts vorliegt, daß über ihn nichts vorliegen kann, er vermeidet einfach jedes politische Engagement, weil er vermeiden will, daß dieses Eintreten eines Tages gegen ihn verwendet werden könnte, denn es könnte ja auch falsch gewesen sein oder zumindest so gewertet werden. Es ist ziemlich bedrückend, daß dieses
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10896 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Brandt
kaum meß-, aber doch spürbare Element kaum gewürdigt wird
— und dann zumeist, wie von Ihnen, Herr Schwarz, bestritten wird.Und dennoch beklagen wir das Abnehmen des politischen Interesses der jungen Generation. Das hat sicherlich auch andere Ursachen — das will ich gar nicht bestreiten —, aber die Praxis, über die wir hier reden, ist eine davon — und keine unwesentliche.Übrigens geistert da das merkwürdige Wort von dem „positiven Verfassungsschutz" durch die Gegend. Ich muß sagen, ich weiß nicht, was das bedeuten soll, Herr Kollege Schwarz.
Was da mit „positivem Verfassungsschutz" umschrieben werden soll, ist politische Bildung und sonst nichts. Auf die haben wir uns zu konzentrieren.
Wieso nennen wir das denn plötzlich „positiven Verfassungsschutz"? Wenn schon in den verschiedensten Zusammenhängen so oft von Offensive die Redo ist, die bereits recht häufig gekommen sein soll, so sollten wir eine in jedem Fall miteinander zustande bringen, nämlich jene der politischen Bildung.
Diese gedeiht aber nur — das muß man wissen — unter dem Protektorat der freien Auseinandersetzung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ja, sofort.
Meine Damen und Herren, das Vermitteln unbestrittener Fakten im Unterricht ist wichtig. Bildung ist aber etwas anderes. Ich glaube, darüber sind wir uns miteinander einig.
Ich bin der Meinung, daß Kleinlichkeit und Krümelsucherei aufhören müssen. Ich bin der Meinung, daß niemand, wie auch schon das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, Beamter werden oder bleiben darf, der die Grundprinzipien der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung, vor allen Dingen der Unabhängigkeit der Gerichte und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in Frage stellt. Diese Verfassungsprinzipien sind Grundlage jedes beamtenmäßigen Verhaltens.
Meine Damen und Herren, niemand darf die Achtung vor den Menschenrechten verlieren oder sie zur Disposition stellen. All dies hat das Bundesverfassungsgericht schon klargestellt. Wir stehen voll auf diesem Standpunkt. Niemand darf Gewalt anwenden, wenn er seine politischen Ziele umsetzen
will; dies ist eines der wichtigsten Grundprinzipien.
Wenn wir nach diesen Prinzipien handeln, sind wir auf einem richtigen Weg, den zu gehen es sich lohnt, wenn wir zur Befriedung einer so kontrovers geführten Diskussion beitragen wollen. Meine Ausführungen waren der Versuch, zu einer solchen Befriedung und einer Versachlichung der Diskussion beizutragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die heutige Debatte sollte Gelegenheit zu einem grundsätzlichen, sachlichen und unpolemischen Austausch der Argumente geben. Sie sollte damit alle Seiten dieses Hauses zum Nachdenken über dieses Problem anregen.Ich meine, Herr Kollege Spranger, Sie haben diese Bedingungen, unter denen die Debatte stehen sollte, nicht erfüllt. Sie haben wiederholt, was Ihre Sprecher in der Haushaltsdebatte zum Etat des Innenministers gesagt haben. Sie haben die Kommunistenfurcht beschworen, und Sie haben hier eine sehr eigenwillige, einseitige Auslegung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vorgenommen.Wo sind denn Ihre Vorschläge zur Lösung des Problems, Herr Kollege Spranger?
Wo sind denn Ihre Überlegungen? Wo sind denn hier Hilfen? Und ist denn hier nicht nur Ihre Hilflosigkeit in dieser Position aufgezeigt worden?Ich meine, wir kommen in dieser Frage so nicht weiter. Es gibt zwar eine Fülle von Vorschlägen von Ihnen, aber sie sind nicht gebündelt, nicht in einer klaren Konzeption untergebracht. Wir haben jetzt Vorschläge vom Ministerpräsidenten Späth gehört. Es gibt eine Fülle von Praxisregelungen. Ich habe hier die von der Innenministerkonferenz in Auftrag gegebene Zusammenstellung einer entsprechenden Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Übersicht zu den von den Ländern und vom Bund angewendeten Verfahren zur Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst". Das ist ein sehr umfangreiches Exposé. Sie werden darin feststellen, daß die von CDU bzw. CSU regierten Länder den bisher geltenden Ministerpräsidentenbeschluß in sehr unterschiedlicher Weise anwenden und auslegen. Aber es gibt kein Gesamtkonzept.Wir Freien Demokraten begrüßen die heutige Debatte über die Großen Anfragen der Koalitionsfraktionen und der Opposition, also über die Problematik all dessen, was sich hinter dem Begriff „Extremisten im Staatsdienst" verbirgt. Wir müssen aber klar sehen, daß die Unsicherheit, speziell die Rechtsunsicherheit nach dem Ministerpräsidentenbeschluß, der eigentlich zu einer Vereinheitlichung führen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10897
Wolfgramm
sollte, durch die Zersplitterung, durch die verschiedenen Handhabungen in den einzelnen Ländern in unerträglicher Weise zugenommen hat. Die Verunsicherung des Bürgers, der betroffenen Bewerber hat nicht abgenommen, sondern hat sich gesteigert.Ich meine, daß die Belastbarkeit, die Fähigkeit der Demokraten, sich gegen Verfassungsfeinde durchzusetzen, letztlich ausschließlich vom Vertrauen der Bürger abhängt, und dieses Vertrauen ist geschädigt.
Das Tüpfelchen auf dem i ist schließlich die weitgehende Nutzlosigkeit der Regelanfrage. Das wissen Sie auch, meine Damen und Herren von der Opposition.
Dieser Regelanfrage steht auch die uns wohlwollende Meinung des Auslandes fassungslos gegenüber. Sie sollten einmal in den konservativen Zeitungen des Auslandes nachlesen, wie sehr die Abschaffung der Regelanfrage durch die Bundesregierung begrüßt worden ist.
Sie sollten einmal in „Il Tempo" nachlesen, wie dort in sehr deutlichen, klaren Worten diese Position der Bundesregierung begrüßt worden ist. Vielleicht sollten Sie auch einmal die ja sicher nicht seltenen Kontakte, die Sie — genauso wie wir — auf ausländischen Reisen pflegen, dazu nutzen, um einmal diejenigen, die uns wohlwollend gegenüberstehen — nicht diejenigen, die Kampagnen gegen Berufsverbote organisieren, die wir verurteilen —, fragen, wie ihre Meinung zu der bisherigen Peaxis in der Bundesrepublik gewesen ist.Bleiben wir aber bei der Situation im Inland. Ich möchte hier aus dem „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" vom 10. September 1978 zitieren, das sich mit der Studie der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie in Tübingen über die psychischen Auswirkungen der Praxis des Extremistenbesdchusses auf die Bewerber für den Staatsdienst beschäftigt. Dort heißt es über die durchgeführte Untersuchung:Aus allen Antworten ist zu entnehmen, daß völlige Unsicherheit darüber herrscht, welche politischen Positionen und Handlungen noch erlaubt sind. Es taucht immer wieder die Frage auf: Was darf ich am Arbeitsplatz, im Studium oder während meiner Freizeit eigentlich noch politisch unternehmen, ohne daß dies gegen mich verwendet werden kann? Die völlig unterschiedliche Handhabung des Radikalenerlasses behindert nicht nur die berufliche und private Existenz ..., sondern sie erzeugt auch ein Klima des Mißtrauens und der Unsicherheit unter den Nicht-Betroffenen.
sich auch von denen ein Bild zu verschaffen, von denen Sie meinen, daß sie die Dinge in anderer Weise sehen. Es ist nützlich, sich zu informieren. Ich werde nachher auch aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zitieren, weil es vielleicht von dem einen oder anderen nicht deutlich genug zur Kenntnis genommen wurde.In dieser Untersuchung heißt es dann weiter, dieses Klima des Mißtrauens erzeuge Reaktionen, die Enttäuschung, Resignation und Zurückziehen ins Privatleben bedeuten. Wörtlich heißt es dort:Die Gesinnungsschnüffelei ist eine entscheidende Ursache für das Phänomen der AussteigerGeneration.
Ich meine, wir sollten dies nicht zu leicht nehmen. Übrigens betonen nahezu alle Interviewten, daß sie sich nicht für Neonazis, Kommunisten oder Angehörige gewalttätiger Gruppen einsetzen oder überhaupt nur engagieren würden. Ich meine, eine solche Entwicklung weiter hinzunehmen, ist für uns Freie Demokraten unerträglich.Das weitverbreitete Unbehagen des Auslands uns gegenüber, aber vor allem die tiefe Entfremdung eines großen Teils der Jugend gegenüber diesem Staat und seiner perfekten Handhabung der Extremistenabwehr muß uns auf das höchste sensibilisieren. Was nützen uns die großen Worte vom freiheitlichsten Staat, der je auf deutschem Boden bestanden hat, was nützen uns unsere Bemühungen um Bürgernähe und Bürgerbeteiligung, unsere Anstrengungen und Transparenz und unsere Versprechen zur Wahrung und Ausweitung der Individualrechte und zum Schutze des einzelnen, wenn in der Praxis in kleiner Münze kleinlicher perfektionierter Verwaltungsmethoden dieser individuelle Freiraum eingeschränkt und tangiert wird?Die Verteidigung der Freiheit und der freiheitlichen Ordnung gilt es zu schützen. Aber die Mittel dazu, im Übermaß und im Übereifer gebraucht, zerstören letztlich diese freiheitliche Position.Die richtige Mitte zwischen „Sicherheit über alles" und „Freiheit über alles", zwischen der Garantie der Freiheit und den Notwendigkeiten der Sicherheit zu finden, ist wohl der Mühe wert und sollte auch diese Diskussion bestimmen.Wir Freien Demokraten unterstützen deshalb ganz entschieden und nachdrücklich die Vorstellungen der Regierung — des Bundesinnenministers —, die die Neufassung der Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue beinhalten. Wir begrüßen sie, weil sich diese Grundsätze in strenger Rechtsstaatlichkeit und klarer verfassungsrechtlich abgesicherter Position für die Aufhebung der Regelanfrage aussprechen und den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 entsprechend beachten.
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10898 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Wolfgramm
Herr Spranger, wir stellen hier die Dinge nicht auf den Kopf, sondern wir stellen sie richtig.
— Es ist einfach eine Unterstellung, daß wir Verfassungsfeinden den Weg in den Staatsdienst öffnen.
Ich zitiere — und vielleicht ist es nützlich, das zu hören, Herr Kollege — aus dem Urteil:Es handelt sich um ein prognostisches Urteil— gemeint ist das Urteil über die Einstellung —über die Persönlichkeit des Bewerbers, nicht lediglich um die Feststellung einzelner Beurteilungselemente .Ich darf auch noch einen der Leitsätze zu Anfang' zitieren, der ein tragendes Element darstellt:Ein Teil des Verhaltens, das für die Beurteilung der Persönlichkeit eines Beamtenanwärters erheblich sein kann, kann auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, unabhängig davon, ob ihre Verfassungswidrigkeit durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist oder nicht.
— Lesen Sie bitte das Urteil noch einmal nach und interpretieren Sie es nicht in der Ihnen eigenen Weise, indem Sie behaupten, die Regelnachfrage sei auf jeden Fall immer und ewig Bestandteil einer solchen Einstellungsprüfung.
Wir weisen die unsachlichen und polemischen Angriffe auf den Bundesinnenminister zurück. Er verwirklicht hier unsere Politik, die Politik der Koalition und die Politik der Freien Demokraten.
Es ist auch gleichzeitig eine Verwirklichung der Regierungserklärung von 1976 und der Mainzer Beschlüsse der Freien Demokraten.Aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich keine Verpflichtung, routinemäßig beim Verfassungsschutz anzufragen. Anfragen haben nur zu erfolgen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte darauf hindeuten, daß der Bewerber nicht die Voraussetzungen für den Eintritt in den öffentlichen Dienst erfüllen wird.
— Dann müssen Sie das Bundesverfassungsgericht noch einmal anrufen, Herr Kollege. Vielleicht werden Sie dann eine andere Interpretation bekommen.Ich bin der Meinung, daß wir mit dem Urteil sehr gut leben können, daß wir den Handlungsspielraum hier voll ausschöpfen und die Möglichkeiten gerade durch die Abschaffung der Regelanfrage deutlich machen und darstellen sollten.
Das Bundesverfassungsgericht hat besonderen Wert darauf gelegt, daß der Vorbereitungsdienst und die Probezeit besonders geeignet sind, das Verhalten und die Persönlichkeit des Bewerbers zu beurteilen. Anfragen dürfen schließlich in Zukunft nur noch erfolgen, wenn die Einstellung tatsächlich beabsichtigt und die Verfassungstreue nur noch die letzte zu prüfende Einstellungsvoraussetzung ist. Darüber hinaus das ist ein sehr wichtiger Punkt— dürfen Erkenntnisse nur gerichtsverwertbare Tatsachen sein und entsprechend mitgeteilt werden, und entsprechende Erkenntnisse vor dem 18. Lebensjahr dürfen nicht weitergegeben werden. Das ist auch eine Frage an die Opposition: Wie halten Sie es mit dieser Position? Wollen Sie, daß Jugendliche mit einer solchen Erkenntnis-Brandmarkung herumlaufen sollen? Übrigens hat sich Ihr Kollege Lang aus dem Bayerischen Landtag ja einmal dahin gehend geäußert, daß auch an den Schulen entsprechende Gesinnungsschnüffelei, ein entsprechendes Informationswesen stattfinden müsse.
— Das ist nicht dementiert worden. Das sind in der Regel Schüler, die nicht älter als 18 Jahre sind.
Schließlich: Abgeschlossene Tatbestände, die mehr als zwei Jahre zurückliegen — —
— Herr Kollege, hören Sie doch einmal zu. Es wäre nützlich, von Ihnen zu hören, wie Sie abgeschlossene Tatbestande, die länger als zwei Jahre zurückliegen, werten wollen.
Wollen Sie die auch als Erkenntnisse durch den Bundesverfassungsschutz bei der Einstellung werten, oder wollen Sie das lassen?
Ich bedaure außerordentlich, daß die Vertreter der Opposition bei der Vorstellung ihrer Großen Anfrage erklärt haben, daß die Koalitionsparteien und -fraktionen für sie kein Gesprächspartner bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen seien,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10899
Wolfgramm
sondern vielmehr nur die Bundesregierung gefordert sei. Wir bedauern das um so mehr, weil wir meinen, daß in einer so wichtigen politischen Frage, die das Engagement oder Nichtengagement der jungen Generation entscheidend berührt, nicht von vornherein Gespräche und Überlegungen mit anderen demokratischen Parteien abgelehnt oder ausgeschlossen werden dürfen.Die kritiklose Selbstgerechtigkeit, mit der die Opposition hier ihre Position, soweit es eine gibt, vertritt, ist erschreckend. Ist Ihnen eigentlich nicht unwohl bei der Vorstellung, daß ein erheblicher Teil der studierenden Jugendlichen und damit ein wichtiger Teil der heranwachsenden Meinungsbildner der Zukunft die bisherige Praxis ablehnen, weil sie eben nicht demokratisch überzeugend ist, weil sie sich nicht in einem demokratischen, liberalen, freiheitlichen Rechtsstaat überzeugend vertreten läßt? Was hat eigentlich der Führer der Opposition auf den Offenen Brief des Christdemokraten Franz Alt gesagt, aus dem ich zitieren möchte? Ich möchte gleich vorweg sagen, daß ich mich mit dieser Gleichsetzung nicht unbedingt identifiziere. Aber ich meine, daß es ein Brief zum Nachdenken ist. Ich zitiere aus dem am 12. Juni 1978 im „Spiegel" abgedruckten Brief, in dem er ein Beispiel aufzeigt und sagt:Vor etwa drei Jahren zeigte mir ein tschechischer Priester einen Brief, in dem eine kommunistische Behörde einem jungen Katholiken aus Prag mitteilte, er könne wegen seines Engagements für seine Kirche und seinen Glauben nicht Lehrer in einem kommunistischen Land sein.Am selben Tag schickte mir ein baden-württembergisches DKP-Mitglied die Begründung für seine Ablehnung als Lehrer. Nicht verfassungsfeindliche Aktivitäten, nur seine Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei hatte den Ausschlag gegeben. „Kommunist-Sein" war hier ein mit „Christ-Sein" austauschbares Kainsmal geworden.
Ich erschrak über die Stuttgarter Intoleranz nicht weniger als über die in Prag. Betroffen hatte mich das Verhalten meiner eigenen Parteifreunde allerdings mehr.Ich meine, zumindest eine Überlegung, die wir hier auch mit einbeziehen sollten, wäre die der Überlegenheit der freiheitlichen Demokratie gegenüber der sozialistischen Diktatur. Sollten es wirklich nur die unterschiedlichen Grautöne sein, die hier unserer Demokratie Überlegenheit verleihen, oder sollte es nicht vielmehr eine gewisse Gelassenheit, eine liberalere und freiheitlichere Betrachtung der Positionen sein können? Ich meine, diese Demokratie kann sich das wohl gegenüber einer Diktatur leisten.Ich komme noch einmal darauf zurück. Ich würde gerne in dieser Debatte Ihre Vorschläge hören, wie Sie die Verfassungstreue prüfen möchten, welche Gegenvorschläge Sie haben, wie Sie Jugendliche behandeln wollen, wie Sie das Vertrauen zurückgewinnen wollen,
wie Sie hier Erkenntnisse behandeln wollen, die aus der Jugendzeit, aus einer Jugendsünde, stammen, und wie Sie mit dem Schematismus eine diffizile, gerechte Beurteilung ermöglichen wollen, die das Bundesverfassungsgericht fordert.Wenn wir den mündigen Bürger wollen, dann müssen wir von der Verfassungsloyalität des Bürgers ausgehen und dürfen nicht nach dem Lenin" Wort „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" verfahren. Das Lernen von seinen Feinden hat auch seine Grenzen.
Die uneinheitlichen Regelungen in den von der CDU/CSU regierten Ländern habe ich schon kurz glossiert. Ich freue mich, daß der Ministerpräsident des Saarlandes erklärt hat, daß die Regelanfrage in seinem Land wegfällt und daß dort selbstverständlich auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt. Wir begrüßen das und verweisen auch auf die Regelung in Niedersachsen, die noch unter unserer Mitwirkung in der letzten Legislaturperiode entstanden ist, und in der der Landtag Kriterien aufgestellt hat, bei denen ganz klar auf die Einzelfallprüfung abgestellt worden ist.Ich meine, daß wir hier mit Recht von der uneingeschränkten Routineanfrage abgegangen sind und daß auch die unterschiedliche Regelung in den einzelnen Ländern deutlich macht, daß Sie sich selbst, meine Damen und Herren von der Opposition, hinsichtlich dieser Fragen nicht wohlfühlen. Ich nehme an, daß einige Vertreter der einzelnen Länderregierungen hier heute noch sprechen werden. Es wird mich sehr interessieren, wie Sie die unterschiedlichen Positionen erklären, 'daß in einigen Ländern in jedem Falle angefragt wird, in anderen Ländern nur bei der Einstellung in den Vorbereitungsdienst und in dritten CDU-regierten Ländern schließlich nach Aufgabenbereich und Laufbahngruppen differenziert wird: Es wäre interessant, zu hören, wie sich das in ein gemeinsames Konzept einpaßt.Ich, meine, daß diese unterschiedliche Handhabung, die entstanden ist, im Grunde zu einer Pervertierung des föderalistischen Grundsatzes führt, wenn jedes Land sein eigenes Verfahren praktiziert. Wir fordern hierbei alle Länder auf, sich dieser Regelung der Bundesregierung anzuschließen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Aber bitte sehr!
Sie beklagen die Uneinheitlichkeit der. Verfahren. Ist es richtig — so möchte ich Sie fragen —, daß SPD und FDP zuerst
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10900 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Kroll-Schlüterdie gemeinsame Grundlage aller Parteien hinsichtlich des Verfahrens verlassen haben?
Herr Kollege, wenn Sie die Geschichte des Ministerpräsidentenbeschlusses betrachten, dann werden Sie feststellen, daß damit versucht worden ist, und zwar von allen Ministerpräsidenten, eine einheitliche Regelung zu schaffen.
Das kann aber nicht bedeuten — ich komme im Laufe meiner Ausführungen noch darauf zurück —, daß wir hier an einem Prinzip festhalten müssen, von dem wir erkannt haben, daß es zum Vertrauensbruch mit dem Bürger führt, daß es nur Mißtrauen sät und daß es keinen Erfolg hat.
Die durch die Verfassung verbürgten Rechte des einzelnen setzen der Macht des Staates unüberwindbare Schranken. Auch in sogenannten Grenzfällen darf sich der Staat nicht heimlich oder offen über die Rechte des Bürgers hinwegsetzen. Der Rechtsstaat bestätigt sich darin, daß die vermeintliche oder echte Staatsraison stets und ausschließlich an die Rechtsordnung gebunden ist. Nur unter strikter Beachtung dieser Grundsätze darf der Verfassungsschutz seine Aufgabe, nämlich das Sammeln von Informationen gegenüber den Feinden unserer demokratischen Grundwerte, erfüllen. Er ist aber nicht der Hüter der Verfassung. Das sind nach der tradierten Formel von Montesquieu die drei Gewalten Legislative, Exekutive und Justiz, hier in besonderer Form natürlich das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer sehr dezidierten Entscheidung zu der Auslegung und zu der Handhabung der Positionen bezüglich des Zugangs zum öffentlichen Dienst geäußert.Mit gutem Grund hat der Verfassungsschutz auch keine polizeilich-exekutive Funktion erhalten. Er ist eingebunden und angebunden an die Gesetze. Wir bejahen unter diesen Prämissen voll die Arbeit des Verfassungsschutzes. Wir unterstützen den Bundesinnenminister voll in seinem Bemühen, Nebenwirkungen von Anfragen wie die Störung des Vertrauens in die Liberalität des Staates. durch strikte Begrenzung auszuschalten.Wir wehren uns aber auf der anderen Seite auch gegen manche unqualifizierten Angriffe der Medien gegenüber dem Verfassungsschutz,
der unser Vertrauen hat und auch benötigt. Heute gibt es wieder eine entsprechende Meldung eines größeren Nachrichtenmagazins.Für die Regierung und die demokratischen Parteien soll und muß es Aufgabe sein, dem Bürger deutlich zu machen, daß wir die Rechtsstaatlichkeit wahren, das rechtliche Gebot der Verfassungstreueder Beamten vertreten und auch künftig an den das Verfassungsgebot konkretisierenden beamtenrechtlichen Gesetzen festhalten.Ich meine, daß wir die von den Beamten geforderte Verfassungstreue und ihr jederzeitiges aktives Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung allerdings nicht als einen statischen Rechtswert an sich und für immer sehen können. Er hat auch nicht immer und ewig gegolten: Im Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873 war lediglich allgemein die Verpflichtung der Reichsbeamten verankert, daß sie das übertragene Amt der Verfassung und den Gesetzen entsprechend wahrzunehmen haben.
Damals wurde offenbar keine Notwendigkeit gesehen, den Einstellungsbehörden bereits bei der Einstellung von Beamtenbewerbern eine vorsorgliche Prüfung nahezulegen, ob der Bewerber die Gewähr dafür bietet, jederzeit im Sinne der Verfassung zu wirken.Die Weimarer Verfassung brachte hinsichtlich der freien politischen Anschauung in Art. 130 eine für die Beamtenschaft in hohem Maße liberale Vorschrift: Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei. Allen Beamten wird die Freiheit einer politischen Gesinnung und die Vereinigungsfreiheit gewährleistet. Nach der Auslegung des bekannten Staatsrechtlers Professor Jellinek sollte es den Beamten grundsätzlich erlaubt sein, sich durch bloße Mitgliedschaft zu jedweder — selbst zu einer staatsfeindlichen — politischen Partei zu bekennen.Die Bundesrepublik — vielleicht ist es ganz interessant, diese historische Abfolge einmal zu betrachten, weil sie eben zeigt, daß es hier nicht einen statischen Beamten-Begriff gegeben hat — hat mit der im Bundesbeamtengesetz von 1953 und mit der in allen nachfolgenden Gesetzen betreffend das Beamten-, Richter- und Soldatenrecht geschaffenen Vorschrift, daß Beamter nur werden darf, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit
für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintritt, eine seit dieser Zeit unveränderte Norm geschaffen.Diese Regelung — das möchte ich noch mit Blick auf die Enstehung sagen dürfen — wurde von allen demokratischen Parteien unterstützt, sogar von der damals im Bundestag vertretenen KPD, die hinter den Worten „freiheitlich-demokratische Grundordnung" lediglich die Einfügung „im Sinne des Grundgesetzes" verlangte. Dieser Zusatzantrag wurde übrigens von der Mehrheit des Hauses abgelehnt.Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Stellungnahme des Deutschen Beamtenbundes vom 9. Januar 1951:Die im Referentenentwurf geforderte persönliche Voraussetzung, daß der Beamte die Gewähr dafür bieten muß, daß er jederzeit für die verfassungsmäßige demokratische Staatsordnung eintritt, erscheint uns um dessentwillen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10901
Wolfgramm
bedenklich, als eine derartige Überprüfung letzten Endes auf Vermutungen, Unterstellungen und eine völlig subjektive Beurteilung der Persönlichkeit des einzelnen Bewerbers abstellt.Wir dürfen— schreibt der Beamtenbund —in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen, daß diese Forderung dem § 26 des Deutschen Beamtengesetzes von 1937 entstammt und damals dazu bestimmt war, die Handhabe dazu zu liefern, daß dem Nationalsozialismus unerwünschte Bewerber vom öffentlichen Dienst ferngehalten werden konnten. Die Bestimmung ist daher in der Folge auch mit Recht als entfallend bezeichnet worden. Eine Wiederauffrischung derartiger, auf nicht beweisbare und nicht objektiv nachprüfbare, subjektive Vermutungen abstellender Erfordernisse erscheint uns bedenklich. Zumindest besteht hier eine erhebliche Gefahr eines Mißbrauchs in dem Sinne, daß Bewerber infolge mangelnder politischer Affinität abgelehnt werden können, da nicht auf einen objektiv feststellbaren Tatbestand abgestellt wird.Diese seinerzeitigen Bedenken des Beamtenbundes schlugen nicht durch. So bedeutet die Forderung, die der Gesetzgeber bei uns — im Gegensatz zu allen anderen westlichen Nachbarstaaten — aufgestellt hat — übrigens: auch sie ist natürlich ein Grund für eine gewisse Verständnisschwierigkeit der anderen uns gegenüber —, nämlich schon zum Einstellungsbeginn ein Prognoseurteil über das jüngste Verhalten des Bewerbers abzugeben, daß — so sieht es auch das Bundesverfassungsgericht - der Schwerpunkt der Beurteilung in einem Urteil über die bisherige Vorbereitungs- und Probezeit liegen muß — auch dies ohne jeden Automatismus, immer unter der besonderen Prämisse des zu prüfenden Einzelfalles.In Kürze wird die Bundesrepublik 30 Jahre alt. Wir haben allen Anlaß, zu sagen, daß sich die Demokratie bei uns bewährt hat, daß die Prinzipien der Gewaltenteilung, der Mehrheitsentscheidung, des Rechts auf Opposition — wenn es auch nicht immer wahrgenommen wird — und der Gewährleistung der individuellen Rechte voll Anwendung finden. Wir sollten daher gelassen und ruhig gegenüber den Drohungen der Extremisten bleiben, die wir nicht verharmlosen wollen und die Gegenstand sorgfältiger Ermittlungen durch die Länder und seitens des Bundesinnenministers durch die Vorlage des Verfassungsschutzberichtes sind.Aber wir müssen auch feststellen — dies wird zu Recht nach jeder Wahl von den demokratischen Parteien gemeinsam unterstrichen und hervorgehoben —, daß der Anteil der extremen Parteien, seien sie nun auf der äußersten rechten oder linken Seite angesiedelt, nur geringe, kaum meßbare Prozentsätze erreicht. Verunsichern wir uns nicht selbst, indem wir hier eine intensive Extremistengefahr herbeireden, die es nicht gibt. Der Kollege Riedl hat in den Haushaltsberatungen ausgeführt, daß von1973 bis 1977 im Freistaat Bayern von rund 130 000 überprüften Bewerbern rund 90 nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt wurden. Das sind nur 0,1 %, aber dafür wurden 99,9 % regelüberprüft. Finden Sie nicht auch, daß dies ein groteskes Mißverhältnis ist: 99,9 % : 0,1 %?Lassen Sie mich den Pädagogen Hartmut von Hentig zitieren, der ein sehr nahes und intensives Verhältnis zu der Jugend hat, die eines Tages an unserer Stelle für die Demokratie streiten, sich engagieren und andere überzeugen soll, daß dies die beste, gerechteste und richtigste Staatsform ist. Er hat in der „Zeit" vom 20. Oktober 1978 gesagt: Für die Erziehung zu einer kampfbereiten Demokratie sind konfliktscheue Lehrplanverwaltergefährlicher als ein paar Radikale.
Vertrauen wir nicht zu gering auf die Kraft unserer Argumentation, auf die Überzeugung, daß der Weg der Demokratie der mühsamere, aber der richtigere ist. Festigen wir sie wieder bei denen, die eines Tages an unserer Stelle Vertrauen in diese Demokratie haben und von ihr überzeugt sein sollen und sie weitergeben sollen, bei den Jugendlichen und jungen Menschen,
die jetzt verunsichert sind. Bauen wir das Mißtrauen ab und seien wir nicht so engherzig, sondern fordern wir wie Heinrich Heine: „Die Konstitution, die Freiheitsrechte, sie sind uns versprochen, wir haben ihr Wort."
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Grundfrage, vor der wir heute stehen, ist die Frage: wie schützt sich dieser Staat? Ich bin mit allen in diesem Hause der Meinung, daß wir diesen Staat gemeinsam schützen wollen und daß wir die Toleranz aufbringen sollten, die, wie wir heute früh von meinen beiden Vorrednern gehört haben, die Toleranz für die Meinung des anderen über den Weg, über die Mittel ist, mit denen sich dieser Staat zu schützen hat.
Ich möchte an das anknüpfen, was mein Kollege Wolgramm gesagt hat, und ich möchte noch hinzufügen: wir haben bewiesen — alle Parteien, die in diesem Bundestag sitzen, haben es bewiesen —, daß wir in 30 Jahren Bundesrepublik in der Lage waren, diesen Staat zu schützen und abwehrbereit zu halten. Es ist also die Grundfrage: wie schützt sich dieser Staat? Diese Demokratie schützt sich, indem sie gegenüber den Gegnern der Verfassung abwehrbereit ist. Auch das Verfassungstreuepostulat ist eine Ausprägung des Prinzips der abwehrbereiten Demokratie, manche sagen lieber: der streitbaren oder der wehrhaften Demokratie. Aber Objekt des Schutzes ist nicht irgendeine beliebige Ordnung, sondern
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10902 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Bundesminister Baumdiese politische Ordnung, für die die demokratisch-rechtsstaatliche Freiheit konstitutiv ist. „Je perfekter der Schutz wird, desto mehr wächst die Gefahr, daß das Schutzobjekt selbst verändert wird, daß es unansehnlich wird."
Dieser Satz stammt von Helmut Simon, Bundesverfassungsrichter und Mitglied des Präsidiums des Evangelischen Kirchentages. „Die Freiheit zu Tode schützen", so hat Theo Sommer diese Gefahr einmal beschrieben.
Die Bundesregierung bekennt sich zu dem Prinzip der Verfassungstreue, das nicht nur gesetzlich, sondern auch verfassungsrechtlich verankert ist. Sie . hat in den Ihnen vorliegenden Antworten hieran überhaupt keinen Zweifel gelassen. Ich wiederhole noch einmal, meine Damen und Herren: In ein Beamtenverhältnis darf nur berufen werden, wer -die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintritt.Ich möchte Simon noch einmal zitieren. Er spricht von der Christenpflicht, die streitbare Demokratie mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, und er fügt hinzu: „Die streitbare Demokratie braucht aber vor allem streitbare Demokraten, während ein übermäßiger institutioneller Schutz das Schutzobjekt selbst erstickt."
Er meint, meine Damen und Herren, nichts anderes als den Gegenstand unserer Debatte, den formalen Gegenstand, nämlich den Ministerpräsidenten beschluß von 1972.Durch diesen Beschluß ist ein Verfahren der Prüfung der Verfassungstreue eingeführt oder doch ausgelöst worden — bei aller Unterschiedlichkeit der Ausführung in den einzelnen Bundesländern; es war von Anfang an sehr unterschiedlich —, das in seinen Auswirkungen diesem Geiste nicht entspricht.Durch den Ministerpräsidentenbeschluß hat diese Demokratie, meine Damen und Herren, im Ergebnis an Ansehen nicht gewonnen, sondern verloren.
Um es noch einmal zu sagen: Das Schutzobjekt Demokratie ist durch den Ministerpräsidentenbeschluß unansehnlicher geworden.
Dies gilt nicht nur für das Ausland, wo uns seitdem niemand mehr versteht.
— Herr Dr. Kohl, ich habe am Anfang von der notwendigen Toleranz gesprochen, die wir in diesem Hause aufbringen sollten;
eine Toleranz, die notwendig ist, wenn wir uns mit der sehr schwierigen Frage befassen, welche Mittel und Wege wir haben, um den Staat vor Gefahren zu schützen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klein?
Gerne, Herr Dr. Klein.
Herr Bundesminister, wollen Sie im Ernst die Behauptung aufrechterhalten, daß die deutsche Demokratie im
Jahre 1979 geringeres Ansehen genießt als im Jahre 1972?
Herr Kollege Dr. Klein, die deutsche Demokratie hat durch den Ministerpräsidentenbeschluß, insbesondere was ihr Ansehen bei der jungen Generation angeht, gelitten. Deshalb führen wir überhaupt diese Debatte.
— Herr Jenninger, Herr .Genscher ist natürlich kein Trottel. Ich habe- ja niemanden hier persönlich treffen wollen, Herr Dr. Kohl, sondern ich habe über die Wirkungen gesprochen, die dieser Beschluß in der Praxis gehabt hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?
Gerne, ja.
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Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10903
Die Wirkung gilt also nicht nur für das Ausland, wo seitdem niemand mehr versteht, welches Verfahren wir angewandt haben, auch die Konservativen nicht. Ich könnte Ihnen hier reihenweise die Zeitungen im englisch- und französischsprachigen Raum zitieren. Das gilt im Verhältnis zu unseren eigenen Bürgern, vor allem zu unseren jungen Bürgern.Ablehnungsautomatismus und Regelanfrage — die Folge des Extremistenbeschlusses — sind nicht Instrumente, die seit der Geltung des Grundgesetzes zum Bestand der Abwehrinstrumente dieses Staates gehören. Es sind Verfahrensmittel, die nicht Verfassungsrang, nicht Gesetzesrang, nicht einmal Verordnungsrang haben. Sie sind per Verwaltungserlaß im Anschluß an den Ministerpräsidentenbeschluß eingeführt werden. Gerade in der Zeit, in der die junge Demokratie noch nicht so gefestigt war, hat es diese Verfahrensmittel nicht gegeben.
Bis 1972 waren diese Mittel weithin unbekannt.Das Recht hat sich seitdem nicht verändert, weder die Verfassung noch das Beamtenrecht. Es wird gesagt, verändert habe sich die tatsächliche Gefährdung; es gebe heute mehr Extremisten als in den 60er oder in den 50er Jahren. Mir hat kein Sicherheitsexperte dies bestätigen können. Ich vermag nicht einzusehen, warum angesichts von Wahlergebnissen um die 0,4 %-Grenze für DKP und NPD gegenüber dem Drei- bis Fünffachen in den 60er Jahren jetzt eine größere Gefahr bestehen sollte.
— Wahlergebnisse, Herr Kollege Wehner, sind sicher allein nicht aussagekräftig, aber doch eine Indiz.
Auch ich möchte den Pädagogik-Professor Hartmut von Hentig zitieren. Er sagt:Es gibt eine tödliche Systemerstarrung durch den Wahn totaler Regelung, totaler Sicherheit, totaler Erfassung. Für die Erziehung zu einer kampfbereiten Demokratie ist ein Konzert vonapolitischen, gegenseitig gleichgültigen, konfliktscheuen Lehrplanverwaltern und Leistungsbuchhaltern gefährlicher als ein paar verstreute Radikale. Ja, in einem solchen Konzert— sagt er weiter —werden die Radikalen immer interessanter sein, als sie es eigentlich verdienen.Das ist, so meine ich, eine Kritik, die zählt. Sie ist zu unterscheiden von der Kritik, die mit anderer Zielsetzung geführt wird.Sie haben ja recht, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie auf die Unterstützung der sogenannten Berufsverbotskampagnen durch die DKP und ihre Nebenorganisationen hinweisen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort keinen Zweifel gelassen, daß es der DKP nicht um eine Verstärkung der Liberalität in unserem Lande geht, sondern um die Öffnung des. öffentlichen Dienstes für Extremisten, um die Diskreditierung nicht nur des Verfassungsschutzes, sondern auch des freiheitlichen Staates.
Die Bundesregierung hat auch nie, Herr Jentsch, einen Zweifel an ihrer Einschätzung über die verfassungsfeindliche Zielsetzung der DKP gelassen, wie im übrigen auch nie einen Zweifel an der verfassungsfeindlichen Zielsetzung der NPD und anderer Gruppen und Parteien.Beachten wir aber die Kritik, der es um die Stärkung des Ansehens unseres Staates geht, um den Erhalt unserer demokratischen Substanz und unserer freiheitlichen Ordnung!Die Bundesregierung wird auch weiterhin entschlossen und uneingeschränkt des geltende Recht anwenden. Sie will damit auch weiterhin verhindern, daß Extremisten in den öffentlichen Dienst gelangen.
Die Bundesregierung ist außerdem der Auffassung, daß begründete disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen Extremisten im Staatsdienst nicht deshalb unterbleiben dürfen oder sich verzögern dürfen, weil hauptamtliche Untersuchungsführer fehlen und die Disziplinarverfahren nicht energisch genug durchgeführt werden können.
Die Bundesregierung lehnt generelle Beurteilungskriterien ab. Die abstrakte Bewertungsregel, z. B. die Mitgliedschaft in einer Organisation mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung rechtfertige in der Regel die Ablehnung, ist mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, Herr Kollege Spranger, vom Mai 1975 nicht vereinbar.Am 19. Mai 1976 hatte die Bundesregierung bereits erste Konsequenzen aus diesem Beschluß und der Entschließung des Deutschen Bundestages vom Oktober 1975 gezogen und sich vom sogenannter Ministerpräsidentenbeschluß aus dem Jahr 1972 ge-
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Bundesminister Baumlöst. In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers von 1976 hat der Bundeskanzler vor allem die konsequente Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die Praxis der Verfassungstreueprüfung angekündigt. Mit den im Januar beschlossenen neuen Grundsätzen verwirklicht die Bundesregierung diese Ankündigung des Bundeskanzlers. Kernpunkte der neuen Verfahrensgrundsätze sind:Erstens. Es liegt wieder wie vor 1972 im pflichtgemäßen Ermessen der Einstellungsbehörde, ob sie zur Feststellung der Verfassungstreue im Einzelfall beim Verfassungsschutz anfragt. Routinemäßige automatische Anfragen beim Verfassungsschutz gibt es nicht mehr. Nur wenn tatsächliche Anhaltspunkte auf Zweifel an der Verfassungstreue hindeuten, muß angefragt werden.Zweitens. Bei noch nicht volljährigen Bewerbern darf nicht beim Verfassungsschutz angefragt werden.Drittens. Es gibt grundsätzlich keine Weitergabe von Erkenntnissen, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres liegen oder die abgeschlossene Tatbestände betreffen, die mehr als zwei Jahre zurück-liegen.Die Kritik der Opposition hat sich bisher auf den Verzicht auf die Regelanfrage konzentriert. Der Staat, so wird gesagt, dürfe sich nicht künstlich dummhalten. Das staatsrechtliche Prinzip von der Einheit der Staatsgewalt sagt jedoch nichts darüber, welche Informationen zu welchem Zweck "und welchen Voraussetzungen zwischen den Behörden ausgetauscht werden. Wir alle wollen doch keinen Staat, in dem alle Daten des Bürgers zu einem umfassenden Persönlichkeitsbild jederzeit zusammengeführt werden können.
Der demokratische Rechtsstaat will diese Selbstbeschränkung der Staatsgewalt um der Freiheit willen. Das grundlegende Prinzip des Datenschutzes gründet gerade in der Überzeugung, daß Behörden untereinander die Daten nicht grenzenlos austauschen dürfen. Dies gilt auch — es muß ja auch mal darauf hingewiesen werden, um welche Art von Daten es sich hier handelt — für Daten, die mittels nachrichtendienstlicher Mittel gewonnen worden sind. Wir akzeptieren diese Grenze der Wirksamkeit des Staates also um des Grundwertes Freiheit willen.Ich vermisse leider bisher — vielleicht kann Herr Dregger das jetzt ausführen — in den Erklärungen der Opposition Stellungnahmen zu den übrigen wichtigen Punkten der Kabinettsbeschlüsse. Im Wahlkampf waren ja hier andere Töne zu hören, sowohl von Herrn Kohl wie von Herrn Dregger. Z. B. frage ich Sie: Was soll nach Ihrer Meinung mit den sogenannten Jugendsünden geschehen? Wollen Sie der Frage ausweichen, ob bei Bewerbern unter 18 Jahren angefragt werden soll
und ob Erkenntnisse, die vor dem 18. Lebensjahr liegen, grundsätzlich nicht weitergegeben werden sollen?
Wie steht die Opposition zu der Frage,
— Herr Dr. Kohl, ich frage Sie ja, und Sie haben doch die Möglichkeit, jetzt zu antworten! —
wie also steht die Opposition zu der Frage, ob Tatsachen über abgeschlossene Tatbestände, die länger als zwei Jahre zurückliegen, grundsätzlich nicht weitergegeben werden dürfen? Das betrifft eine ganz elementare Vorschrift der Verfahrensgrundsätze. Hat die Opposition eine Meinung dazu, ob Verfassungsschutzunterlagen aus den Personalakten entfernt werden sollen, wenn der Bewerber gleichwohl eingestellt wird? Auch das ist ein ganz wichtiges rechtsstaatliches Postulat. Und wenn Sie eine Meinung haben, Herr Dr. Kohl Sie haben das ja jetzt hier behauptet—: Warum ändert die Opposition in den von ihr regierten Ländern dann nicht wenigstens insoweit die Praxis?Absurd aber ist es, wenn die Opposition sich darüber sorgt, ob die Beschlüsse der Bundesregierung zu einer neuen Schnüffelpraxis während der Vorbereitungs- und Probezeit führen.
— Das Bundesverfassungsgericht selbst hat ausdrücklich festgestellt, Herr Schwarz — daran fühlen wir uns gebunden —: Hier, wo sich die Verwaltung unmittelbar ein zuverlässiges Bild über den Anwärter machen kann, muß der Schwerpunkt für die Gewinnung des Urteils liegen, ob der Bewerber die erforderliche Gewähr bietet oder nicht.
Allerdings räume ich eines ein, meine Damen und Herren von der Opposition: Man kann diesen Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, der den neuen Grundsätzen zugrunde liegt, auch ad absurdum führen. Natürlich wäre es absurd, wenn man über die vorhandenen Erkenntnismittel, z. B. über das Einstellungsgespräch, hinaus zusätzliche neue Kontroll- und Beobachtungsmaßnahmen während der Probezeit und während der Vorbereitungszeit einführte. Wir sind aber der Meinung, in den verhältnismäßig langen beamtenspezifischen Zeiträumen des Vorbereitungsdienstes und der Probezeit können sich die mit der Ausbildung und Beurteilung Betrauten durchaus ein Bild von einem Be-
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Bundesminister Baum werber machen, und zwar ohne zusätzliche neue Kontrollmaßnahmen.Die Art, wie wir diese Debatte führen, bestimmt das Klima in diesem Staat mit, ob wir hier um die besten Lösungen ringen oder ob wir durch gegenseitige Verdächtigungen den Bürgern das Schauspiel des Gerangels um Machtgewinnung oder Machtbehauptung bieten. Ich bekenne freimütig: Auch ich habe in den letzten Jahren zunächst die Regelanfrage verteidigt. Sie ist mit den besten Intentionen eingeführt worden, sie darf auch heute nicht ohne weiteres mit Gesinnungsschnüffelei gleichgesetzt werden. Aber ihr Beitrag zur Abwehr von Gefahren für diese Demokratie ist zu gering, um den Schaden wettzumachen, den sie für die Liberalität in diesem Staat bedeutet hat.
Von den 24 964 Bewerbern für den öffentlichen Dienst in Bayern wurden 1977 ganze 12 wegen mangelnder Gewähr der Verfassungstreue abgewiesen, und in Nordrhein-Westfalen waren es von 55 741 ganze 34. Wer sich nicht von den verfassungspolitischen Argumenten beeindrucken läßt, der sollte wenigstens das Argument der Zweckmäßigkeit und der Effizienz gelten lassen, das aus diesen Zahlen ablesbar ist.Ich appelliere an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Erinnern Sie sich an die Relativität auch Ihrer eigenen Meinungen! Mit Genehmigung des Präsidenten möchte ich eine Pressemitteilung der baden-württembergischen Landesregierung aus dem Jahre 1972 zitieren. Der damalige Innenminister Schiess befaßt sich darin im Anschluß an den Beschluß der Ministerpräsidenten mit der Regelanfrage. Ich zitiere:Wie Innenminister Karl Schiess am Donnerstag, dem 27. Juli 1972, vor der Presse in Stuttgart darlegte, will Baden-Württemberg eine möglichst unbürokratisch-praxisnahe Regelung treffen. Die Landesregierung hatte in erster Linie Bedenken— jetzt hören Sie gut zu —gegen die karteimäßige Überprüfung der Bewerber für den öffentlichen Dienst, da eine solch aufwendige Aktion voraussichtlich außer Verhältnis zum erstrebten Erfolg stehen würde.
Ich kann nur sagen: Ich stimme dem Innenminister Schiess aus dem Jahre 1972 durchaus zu.
— Die Praxis ist inzwischen ganz anders; es war ein Versuch, die alte Praxis beizubehalten. In Ergänzung dazu zitiere ich noch zwei Sätze aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 28. Juli 1972:Innenminister Schiess nannte am Donnerstagdie Vorschläge der Innenminister kleinlich undbürokratisch. Sie entsprechen nicht dem südwestdeutschen liberalen Geist.Was Herr Schiess damals vertreten hat, soll heute verfassungswidrig sein, wenn sich die Bundesregierung diesen südwestdeutschen liberalen Geist zu eigen macht?
Das ist ein liberaler Geist, Herr Kollege Kohl, den wir heute z. B. bei Bürgermeister Rommel finden, der die Regelanfrage in Stuttgart ebensowenig wie andere Bürgermeister in Baden-Württemberg praktiziert. Wir finden ihn auch bei Ministerpräsident Röder, der sie abgeschafft hat, oder ein klein wenig auch bei Herrn Strauß, der sich erst im November 1978 von ihr distanziert hat. Die Einheitlichkeit, die wir mit den neuen Grundsätzen verlassen haben sollen, gibt es also, meine Damen und Herren, nicht; es gab sie nicht einmal innerhalb der und zwischen den unionsgeführten Ländern.Die neuen Grundsätze sind nach Auffassung der Bundesregierung auch geeignet, das Mißtrauen gegenüber der Verfassungsschutzbehörden abzubauen. Die automatische Heranziehung des Verfassungsschutzes hat wesentlichen Anteil an den besonders bei der jungen Generation vorhandenen Vorbehalten gegenüber dem Verfassungsschutz. Die Bundesregierung hält es für unverzichtbar, daß der Verfassungsschutz das Vertrauen der Bürger hat. Ohne dieses grundsätzliche Vertrauen kann er seine wichtigen Aufgaben nicht erfüllen.Wir werden ungerechtfertigte Kritik am Verfassungsschutz jederzeit zurückweisen, wie ich dies in der letzten Woche, aber auch gestern gegenüber der Illustrierten „Stern" getan habe. Die Zeitschrift kritisiert in diffamierender Weise einzelne Angehörige des Verfassungsschutzes, sie nennt Namen und Decknamen von operativ tätigen Mitarbeitern des Bundesamtes und zeigt einige von ihnen sogar im Bild.
Meine Damen und Herren, die Kontrollfunktion der Presse darf nicht in Zweifel gezogen werden. Auch der Verfassungsschutz muß sich der Kritik stellen. Die Grenze kritischer Berichterstattung muß jedoch dort liegen, wo die persönliche Gefährdung der Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz beginnt. Ich möchte mich ausdrücklich vor die Angehörigen der kritisierten Abteilung VII und alle anderen Angehörigen des Bundesamtes für Verfassungsschutz stellen.
Die Bediensteten des Verfassungsschutzes brauchen Gewißheit in zwei Punkten, erstens bezüglich
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10906 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Bundesminister Baum der uneingeschränkten Bejahung der Institution Verfassungsschutz. Daran fehlt es nicht. Das Grundgesetz hat sich in Art. 73 Nr. 10 klar für einen Verfassungsschutz ausgesprochen, um Freiheit und Toleranz dadurch zu ermöglichen, daß Bestrebungen, die gegen Freiheit und Toleranz gerichtet sind, beobachtet werden.Notwendig ist zweitens die Gewißheit rechtsstaatlicher Aufgabenerfüllung. Ich habe eine Reihe von Prüfungsaufträgen erteilt, um jeden Zweifel bei der Interpretation des weitgefaßten Auftrages der Verfassungsschutzbehörden auszuschließen. Es geht um effektive Sicherheit in' klaren rechtlichen Grenzen. Diese Aufträge haben auch zum Ziel, das Vertrauen in den Verfassungsschutz zu stärken. So habe ich die Amtshilfe des Bundesgrenzschutzes für den Verfassungsschutz an meine Zustimmung geknüpft und die sogenannten schwarzen Bände, die an der Grenze verwandt wurden, eingezogen.
Das Verfahren war vor allem ineffektiv. Was sollen Methoden, die die Beamten an der Grenze schon aus praktischen Gründen nicht anwenden?
Ich möchte auch die Amtshilfe unter den Sicherheitsbehörden nicht in Frage stellen, aber ich möchte den Beamten klare rechtliche Maßstäbe an die Hand geben. Hierzu werde ich auch externen wissenschaftlichen Sachverstand heranziehen, um diese schwierigen Rechtsfragen zu prüfen.
— Die Prüfaufträge, die ich erteilt habe, führen zu mehr Effektivität, Herr Kollege Schwarz, nicht zu weniger Effektivität.
Dies gilt auch für die Überprüfung der Dateien. Wenn der Vizepräsident des BKA die Kartei über Wohngemeinschaften aufgelöst hat, weil sie zur inneren Sicherheit nichts beigetragen hat, so hat das meine Zustimmung gefunden. Die Datei über gewalttätige Demonstranten wird zur Zeit von den Innenministern überprüft. Ich meine, sie muß überprüft werden. Wir müssen allerdings auch fragen, was eine solche Datei soll, wenn sie im Ernstfall— wie im Vorfeld der Frankfurter Ausschreitungen— nicht benutzt wird und nicht benutzt werden konnte. Jedenfalls werden Funktion und Aufnahmekriterien für eine solche Datei genauer festgelgt werden müssen. Der einzelne Polizist kann nicht de facto die Verwirkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit beschließen können. Ich habe bisher immer die Erfahrung gemacht, meine Damen und Herren: Was zu rechtsstaatlichen Bedenken Anlaß gibt, ist in aller Regel auch ineffektiv, führt nicht zu dem gewünschten Erfolg, führt nicht zu mehr Sicherheit.Ich darf einen weiteren Punkt herausgreifen. Wir werden beispielsweise auch entscheiden müssen,wie lange beim Verfassungsschutz Informationen über einzelne Personen aufbewahrt werden dürfen und wann Löschungen vorgeschrieben werden müssen.Es genügt nicht, das Mißtrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden schlichtweg zu leugnen oder nach einem Sündenbock zu suchen. Dieses Mißtrauen, meine Damen und Herren, sitzt tiefer. Es wird von einem weit verbreiteten Unbehagen gegenüber der Anonymität des Staates und seiner Apparaturen gespeist. Die Bürger, nicht nur die jungen Bürger, fühlen sich einer unüberschaubaren staatlichen und gesellschaftlichen Bürokratie ausgeliefert, deren Verflechtungen sie nicht mehr übersehen. Sie fürchten die heimliche und lautlose Macht bürokratischer Institutionen. Diese Sensibilität der Bürger ernst zu nehmen — meine Damen und Herren, darüber reden wir heute —, darum geht es auch und gerade im Sicherheitsbereich.
Ich möchte zum Schluß, meine Damen und Herren, einen meiner Amtsvorgänger zitieren, der gesagt hat:... es kann keinen Zweifel darüber geben, daß Einrichtungen dieser Art— gemeint sind die Verfassungsschutzbehörden —aus dieser Polarität, aus dieser harten dialektischen Spannung zwischen Wirksamkeit auf der einen und Rechtmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit auf der anderen Seite entstanden sind, wobei wir überall — das darf ich mit ganz besonderem Nachdruck hier betonen — der Gesetzmäßigkeit, der Rechtmäßigkeit und der Verfassungsmäßigkeit den absoluten Vorrang einräumen. Daran darf es keinen Zweifel geben, auch wenn dies auf Kosten der Wirksamkeit geht.Meine Damen und Herren, ich stimme dem voll zu, was Hermann Höcherl 1964 hier gesagt hat.
Die Bundesregierung hat mit den Grundsätzen für die Prüfung der Verfassungstreue vom 17. Januar 1979 ein Signal für die Liberalität dieses Staates gesetzt. Diese Demokratie wird dadurch nicht schwächer, sondern stärker werden.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat zu dieser Debatte einen Entschließungsantrag eingebracht, der nur aus einem Satz besteht. Ich darf ihn zitieren:Die Bundesregierung wird aufgefordert, ihren Beschluß vom 17. Januar 1979 über „Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue" zurückzunehmen und zur verfassungsgemäßen Anwendung des geltenden Rechts zurückzukehren.
Das ist eine Aufforderung und ein Vorwurf, ein schwerer Vorwurf.
Ich werde ihn begründen,
und zwar konkret und präzise, wie Sie es von mir gewöhnt sind, Herr Wehner. Zunächst:Der von uns beanstandete Beschluß macht die Prüfung der Verfassungstreue zum Lotteriespiel. Das geschieht in doppelter Weise. Die Grenzen für den Marsch der Extremisten durch die Institutionen werden in dem Beschluß selbst nicht konkret genannt. Nur durch Verweisungen auf umfangreiche Schriftstücke wird mittelbar darauf hingewiesen. Es handelt sich um folgende Verweisung in der Präambel und in dem Beschluß: die Darstellung des verfassungsrechtlichen Rahmens für die Verfassungstreueprüfung im öffentlichen Dienst vom 8. November 1978, die Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976, der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 und die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 24. Oktober 1975. Solch umfangreiche Verweisungen klären nicht, sie verwirren. Die Verfassungsschutzbehörden brauchen klare Maßstäbe, an denen sie ihre Entscheidungen ausrichten können. Die Bundesregierung verweigert diese Maßstäbe, weil sie den Widerspruch zwischen dem geltenden Verfassungs- und Beamtenrecht auf der einen Seite und den Parteitagsbeschlüssen von SPD und FDP auf der anderen Seite nicht aufheben kann.
Statt den Verfassungsgegnern Grenzen zu setzen, macht der Beschluß der Bundesregierung es den Einstellungsbehörden nahezu unmöglich, ihrer Prüfungspflicht nachzukommen.
Es ist richtig, Herr Bundesinnenminister: Die Regelanfrage ist nirgendwo zur Rechtspflicht gemacht. Eine Rechtspflicht besteht nur zur Prüfung. Dieser Rechtspflicht kann man auch in anderer Weise nachkommen, z. B. auf dem Wege über eine schriftliche Erklärung des Bewerbers, ob er bestimmte Organisationen unterstützt, die die Bundesregierung in ihren Verfassungsschutzberichten als solche mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung bezeichnet. Wird eine solche Erklärung falsch abgegeben, kann der Bewerber nach der Einstellung jederzeit entlassen werden. Wird eine solche Erklärung richtig abgegeben, kann auch ohne Regelanfrage eine Einzelfallprüfung stattfinden.
Daß die Praxis der Nachkriegszeit so war, wie ich es gerade geschildert habe, ist manchen von Ihnen vielleicht noch in Erinnerung. Wir schlagen nicht vor, zu dieser Praxis zurückzukehren. Dieser Hinweis soll nur deutlich machen, daß wir den Rechtsverstoß der Bundesregierung nicht in der Abschaffung der Regelanfrage sehen, sondern in ihrer ersatzlosen Abschaffung. Darin liegt der Rechtsverstoß.
Der Verzicht auf die Regelanfrage ohne Ersatz läßt den Zufall entscheiden. Statt Gleichbehandlung gilt Willkür. Die zufällige Kenntnis oder Nichtkenntnis entscheidet über Einstellung oder Nichteinstellung. Meine Damen und Herren, Zufallsentscheidungen widersprechen dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung und sind deshalb rechtswidrig. Deshalb ist der Beschluß der Bundesregierung rechtswidrig. Das ist die Begründung.
Soviel zur rechtlichen Bewertung.
Nun zur politischen Bewertung. Die Bundesregierung und auch die Koalitionsparteien wollen der Verunsicherung der Jugend entgegenwirken. Das ist gut so. Eine solche Verunsicherung gibt es - aber doch nicht auf Grund der Einstellungspraxis der Behörden in Deutschland, sondern auf Grund der verlogenen Berufsverbotskampagne der Kommunisten
und auf Grund der Unklarheit, der Unentschiedenheit und der Feigheit, mit denen dieser Kampagne begegnet worden ist; oftmals ist dieser Kampagne auch überhaupt nicht begegnet worden.
Conrad Ahlers hat das beschönigend als mangelnde Öffentlichkeitsarbeit kritisiert. Ich sage Ihnen eines: Wer Lügen nachgibt, schafft sie nicht aus der Welt, sondern bestätigt sie.
Wer vor einer verlogenen Kampagne zurückweicht, beendet sie nicht, sondern verstärkt sie.
— Deswegen, Herr Wehner, wird der neue Beschluß Ihnen keine Ruhe bringen. Er ist der Dreiviertelsieg der Kommunisten, nicht der totale Sieg. Deshalb wird die Kampagne nach kurzer Unterbrechung weitergehen. Ich sage Ihnen schon jetzt voraus: Sie werden dann wieder zurückweichen, weil Sie schwach. sind, weil Sie in dieser Frage auf keinem festen Fundament stehen
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10908 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. Dreggerund weil nicht wenige in Ihren Reihen in dieser Frage — ich betone: in dieser Frage — gemeinsame Sache mit den Kommunisten machen.
Ein Kollege hat mir eben die „Aachener Nachrichten" von gestern zugereicht. Dort heißt es:Mit den Neuregelungen der Überprüfungsverfahren bei der Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst befaßt sich das Liberale Zentrum Aachen am Mittwoch, dem 14. Februar. „Berufsverbote — Was bringen uns die Neuregelungen?" ist das Thema eines Vortrages, der ab 20 Uhr im Liberalen Zentraum, Leydelstraße 16 zu hören ist. Als Referenten sind Vertreter der FDP und der Initiative „Weg mit den Berufsverboten" eingeladen.
Das ist die „geistige Auseinandersetzung", die Sie leider nicht führen!
Sie haben nicht den Mut gehabt zur geistigen Auseinandersetzung — das ist das Elend der Situation, in der wir uns heute befinden.
Die angebliche Verunsicherung der Jugend — und ein Teil der Jugend ist in der Tat verunsichert; wer von der Jugend heute morgen Ihrem Vortrag gelauscht hat, Herr Bundesinnenminister, der muß noch verunsicherter sein, als er es bisher gewesen ist —
ist nicht das einzige Argument, mit dem Sie sich selbst täuschen. Das andere ist die geringe Zahl. Meine Damen und Herren, hier geht es zunächst um eine qualitative Frage und erst später dann um eine quantitative. Wenn erst Kommunisten mit dem Parteiabzeichen der DKP als Lehrer an unseren Schulen unterrichten
— und dafür machen Sie den Weg frei, meine Damen und Herren —, Herr Conradi, wenn erst Kommunisten in unseren Behörden die Anträge unserer Bürger bescheiden, wenn erst Richter mit dem Parteiabzeichen der DKP unter ihrem Talar die Prozesse im Strafrecht und im Zivilrecht an unseren Gerichten entscheiden,
dann hat sich die Qualität der Bundesrepublik Deutschland grundlegend verändert.
Das wird dann auch sehr bald quantitative Folgen bei allgemeinen Parlamentswahlen haben.Schon heute ist die Rolle der Kommunisten in Deutschland größer, als es sich in allgemeinen Parlamentswahlen niederschlägt.
An den Universitäten, in den Allgemeinen Studentenausschüssen, in den Gewerkschaften, die den DKP-Kommunisten Heimatrecht gewähren, in Massenmedien, in einzelnen Stadtparlamenten, z. B. in Marburg, wo sie Zünglein an der Waage zwischen den großen Parteien sind, die dort Gott sei Dank im Hinblick darauf ein Bündnis geschlossen haben, sind sie heute schon stark. Wenn sie erst — in der Sprache der Kommunisten — Staatsmacht ausüben werden, als Beamte, als Richter, als Offiziere,
wenn sie auf diese Weise in den Verfassungsbogen aufgenommen sind, wie es in Italien geschehen ist, dann wird sich das auch in allgemeinen Parlamentswahlen in Deutschland niederschlagen.
All das, meine Damen und Herren, wissen Sie doch. Manche von Ihnen befürchten es, mancher von Ihnen ist auch bereit, das in einem Vier-Augen-Gespräch einzuräumen. Nur nach außen zeigen Sie sich anders.Ihre Wortführer verfahren in dieser Frage wie in allen Fragen seit zehn Jahren: Unangenehmes wird unter den Teppich gekehrt, Warner werden als Angstmacher beschimpft und diejenigen, die auf dem Marsch in das Verhängnis an der Spitze marschieren, halten sich für die Spitze des Fortschritts. Das ist doch die Lage, die wir hier in unserem Lande zu beklagen haben.
Meine Damen und Herren, da die Bundesregierung nicht mehr die Kraft hat, die Einstellungsbehörden mit klaren Maßstäben auszustatten, an denen sie ihre Entscheidungen ausrichten können, werden wir das tun, wozu die Regierung nicht mehr in der Lage ist.
Wir stützen uns dabei auf das geltende Recht und auf die Praxis, die im Bund und allen Ländern bisher im wesentlichen einheitlich gewesen ist.Erstens. Beamte sind Diener des demokratischen Staates. Der lebenslangen Fürsorgepflicht des Staates entspricht die Treuepflicht des Beamten.
Beamte sind verpflichtet, jederzeit, d. h., innerhalb und außerhalb des Dienstes aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten.
Zweitens. Unterschiede nach Funktion und Laufbahn dürfen, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, nicht gemacht werden. Die Treuepflicht des Beamten gilt deshalb auch für den beamteten Lokomitivführer, meine Damen und Herren.
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Dr. DreggerWem dieser Beamtenstatus nicht paßt, der muß auf ihn verzichten. Dazu hat ja jeder jederzeit Gelegenheit.
Drittens. Für Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes ergibt sich die Anforderung an die Verfassungstreue aus der ihnen übertragenen Aufgabe. In einzelnen Fällen oder Fallgruppen muß von ihnen dasselbe gefordert werden wie von Beamten. Das gilt insbesondere für jede Lehr- und Erziehungstätigkeit, auch wenn sie im Vorbereitungsdienst ausgeübt wird.
Die Differenzierung nach der übertragenen Aufgabe, wie sie nur für Angestellte und Arbeiter möglich ist, nicht für Beamte, hat aber auch hier eine klare Grenze. Kein Staatsdiener darf den demokratischen Staat und seine Verfassung aktiv bekämpfen, auch Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes nicht.Viertens. In den Grenzen dieser Treuepflicht, die dem Staat und seiner Verfassung und nicht einer Partei gilt, sind die Angehörigen des öffentlichen Dienstes in der Bundesrepublik Deutschland frei. Anders als in faschistischen und sozialistischen Ländern, deren Berufsverbote nicht nur für den öffentlichen Dienst gelten, sind die öffentlich Bediensteten der Bundesrepublik Deutschland nicht verpflichtet, die Politik einer Regierungspartei zu unterstützen. Sie haben das Recht, jederzeit für die Änderung von Zuständen einzutreten, jederzeit für die Änderung der Rechtsordnung einzutreten, jederzeit sogar für die Änderung der Verfassung einzutreten, soweit es sich nicht um Verfassungsgrundsätze handelt, die die Verfassung selbst einer Änderung entzieht. Meine Damen und Herren, ich stellt fest: Während in sozialistischen und faschistischen Ländern nicht nur die Staatsdiener der Bürgerrechte beraubt sind, genießen die öffentlich Bediensteten der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Verfassung volle Bürgerfreiheit.
Fünftens. Gesinnungen sind frei und müssen frei bleiben. Das wiederhole ich seit Jahren in diesem Hause und anderswo. Erst wenn Gesinnungen in Handlungen ihren Ausdruck finden, sind sie einer Beurteilung zugänglich. Der Vorwurf der Gesinnungsschnüffelei trifft uns nicht. Gesinnungsforschung lehnen wir ausdrücklich ab.
Beurteilungsmaßstab auch für die Verfassungstreue können nur gerichtsverwertbare Tatsachen sein.Die Mitgliedschaft in einer Partei, die die Bundesregierung in ihren Verfassungsschutzberichten als eine solche bezeichnet, die verfassungsfeindliche Ziele verfolge, ist eine objektive, gerichtsverwertbare Tatsache. Sie macht eine Einzelfallprüfung im übrigen nicht überflüssig. Aber wer z. B. Mitglied der DKP ist, muß die Frage beantworten, wie er die Beamtenpflicht zum aktiven Eintreten für diese freiheitlich-demokratische Ordnung mit seiner Parteipflicht vereinbaren will, diese Verfassung zu zerstören.
Wenn diese Frage nicht befriedigend beantwortet werden kann — ich weiß nicht, wie das eigentlich geschehen soll —, dann bietet dieser Bewerber nicht die Gewähr eines jederzeitigen Eintretens für diese freiheitliche Ordnung, und dann muß er abgelehnt werden. Das ist Rechtspflicht, meine Damen und Herren.
Sechstens. Wer die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft, ist nicht für immer vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Wer sich von seiner extremistischen Vorstellungswelt getrennt hat und nunmehr treu zur Verfassung steht, ist für den öffentlichen Dienst geeignet. Das gilt für Menschen aller Altersstufen und aller politischen Richtungen. Das gilt insbesondere für diejenigen, die in ihrer Jugend extremistischen Vorstellungen gehuldigt haben. Das gilt für ehemalige Kommunisten genauso wie für ehemalige Nationalsozialisten. Ich weiß, daß in Ihren Reihen nicht nur ehemalige Mitglieder der KPD, sondern sehr viel mehr Mitglieder auch der NSDAP vorhanden sind. Ich werde keine Namen nennen. Wir lehnen jede Verfolgung politischer Irrtümer ab. Wer sich durch Zweifel und Versagen zu unserer Verfassungsordnung der Freiheit und der Menschenwürde durchgerungen hat, ist uns ebenso willkommen wie derjenige, der diesen Anfechtungen nicht ausgesetzt gewesen ist.
Siebtens. Die in der Berufsverbotskampagne der Kommunisten behauptete Schnüffelpraxis für den öffentlichen Dienst hat es in der Bundesrepublik Deutschland nie gegeben. Die Einstellungsbehörden sind nur dann in eine nähere Prüfung der Verfassungstreue de Bewerbers eingetreten, wenn Tatsachen Anlaß dazu boten. Da die Einstellungsbehörden solche Tatsachen nicht sammeln und sie ihnen nur durch Zufall bekanntwerden könen, ist es sachgemäß und, um Willkür auszuschließen, auch verfassungsrechtlich geboten, bei den Verfassungsschutzbehörden anzufragen, eine formale Karteianfrage zu machen — ein rein verwaltungsinterner Vorgang, der niemand in seinen Rechten beeinträchtigt. — Gnädige Frau, wollen Sie eine Zwischenfrage stellen?
Frau Abgeordnete, ich rufe Sie zur Ordnung.
Ich bin sehr dankbar, wenn ich immer wieder Erstaunen bei Ihnen aus-
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10910 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. Dreggerlösen kann, gnädige Frau. Ich werde mich immer wieder darum bemühen.
Diese Verfassungsschutzbehörden — auch das ist wichtig — sammeln Erkenntnisse nur auf Grund ihres gesetzlichen Auftrages, nicht gezielt auf mögliche Bewerbungen für den öffentlichen Dienst hin. Die Verfassungsschutzbehörden verfügen über keinerlei Exekutivbefugnisse. Sie haben über die Einstellung in den öffentlichen Dienst nicht mitzuentscheiden. Sie sind daher alles andere als eine politische Polizei, wie wir sie aus den faschistischen und sozialistischen Ländern kennen. Wenn aber Einstellungsbehörden darauf verzichten, dem Verfassungsschutz bekannte Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, indem sie auf Karteianfragen verzichten und ihr Wissen auch nicht auf andere Weise sicherstellen, dann in der Tat, Herr Bundesinnenminister, machen sie' sich selbst bewußt unwissend und verletzen damit die Rechtspflicht, nur solche Bewerber einzustellen, die die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten. Die Bundesregierung kann die Einstellungsbehörden von dieser Rechtspflicht nicht entbinden. Was die Bundesregierung den Beamten der Einstellungsbehörden zumutet, ist nichts anderes als eine Rechtsverletzung.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ihren Beschluß zurückzuziehen und zur Anwendung des geltenden Rechts zurückzukehren.Achtens. Das Verfahren bei der Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst muß wie jedes Verwaltungsverfahren immer wieder auf Mängel überprüft werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfgramm?
Bitte schön, gerne, Herr Präsident.
Würden Sie auch die saarländische Regierung in Ihre Aufforderung einbeziehen, Herr Kollege Dregger, die ja ebenfalls die Regelanfrage abgeschafft hat?
Ich habe erklärt, daß die Abschaffung der Regelanfrage kein Rechtsverstoß ist, sondern der Rechtsverstoß darin liegt, daß sie ersatzlos abgeschafft wird.
Ich darf noch einen Satz hinzufügen, sehr verehrter Herr Kollege: Die saarländische Landesregierung hat erklärt, daß sie ihrer Prüfungspflicht auf andere Weise nachkommen wird. Es kann gar keine Frage
sein, daß das auf Grund der überschaubaren Verhältnisse im Saarland sicherlich leichter ist
als in Nordrhein-Westfalen, wo Ihr Parteifreund, der dort amtierende Innenminister, gegen die Abschaffung der Regelanfrage schwerste Bedenken geltend gemacht hat.
Sehen Sie, so flexibel muß man sein.
Herr Abgeordneter Dregger, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Dr. Dregger, würden Sie dann vielleicht einmal den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts interpretieren, nach dem die Probe- und Vorbereitungszeit in besonderer Weise geeignet sind, sich ein Urteil über die Fähigkeiten und Entwicklungen eines Bewerbers zu bilden?
Ich bin durchaus dafür, daß das geschieht. Man soll sich über Fähigkeiten immer Meinungen bilden. Aber das schließt doch nicht aus, daß ich vor der Einstellung eine Auswahl auch unter diesem Aspekt vornehme. Ich werde Ihnen nachher einige Zahlen nennen, die deutlich machen, wie groß die Zahl der abgelehnten Bewerber um Einstellung in den öffentlichen Dienst ist. Es werden ja heute immer mehr verfassungstreue Bewerber abgelehnt, weil für sie kein Platz im öffentlichen Dienst ist.
Meine Damen und Herren, ich darf noch Punkt acht vortragen, den letzten der Punkte, die die Position der Opposition klarstellen und den Einstellungsbehörden sicherlich einen Anhalt für ihre Entscheidungen geben werden. Ich hatte gesagt: Das Verfahren bei der Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst muß immer wieder auf Mängel überprüft werden, die abzuschaffen sind. Es muß so liberal, so unbürokratisch und so zweckmäßig wie möglich durchgeführt werden. Dazu gehört, daß die Einstellungsbehörden Anfragen an den Verfassungsschutz nur in den Fällen richten, in denen sie den Bewerber nicht schon aus anderen Gründen ablehnen müssen. Dazu gehört ferner, daß der Verfassungsschutz nur solche Erkenntnisse mitteilt, die konkrete Hinweise auf die möglicherweise fehlende Verfassungstreue enthalten. Soweit diese Tatsachen — Herr Minister, Sie haben danach gefragt — aus der Zeit vor der Vollendung des 18. Lebensjahres des Bewerbers herrühren oder schon lange Zeit zurückliegen, sind sie nur mitzuteilen, wenn es sich um besonders schwerwiegende Tatsachen handelt. Um bürokratische Fehlleistungen auf diesem Gebiet auszuschließen, soll der für die Einstellungsbehörde zuständige Ressortminister oder sein Vertreter eingeschaltet werden, wenn eine Einstellung im Hinblick auf die Verfassungstreue als nicht möglich erscheint.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10911
Dr. DreggerDas haben übrigens die CDU/CSU-regierten Länder schon 1976 vereinbart. In diesen Fällen ist der Bewerber zu hören, ihm ist die Beiziehung eines Rechtsbeistandes zu gestatten. Ablehnungsgründe sind ihm mit einer Rechtsmittelbelehrung schriftlich mitzuteilen.
Meine Damen und Herren, dies von mir in acht Punkten dargestellte Verfahren, das der bisher auch in SPD-regierten Ländern geübten Praxis entspricht, ist vernünftig, rechtsstaatlich und demokratisch.
Es verkürzt die Rechte eines Bewerbers in gar keiner Weise.Die Bundesregierung hat unsere Frage — damit komme ich auf Ihre Frage, Herr Kollege Wolfgramm, zurück —, wieviel Bewerber für den öffentlichen Dienst aus anderen Gründen, z. B. wegen Stellenmangels, abgewiesen werden müssen, leider nicht beantwortet. Dabei haben sich die Aussichten fast aller Bewerber für den öffentlichen Dienst seit 1972 einschneidend verschlechtert. Während damals noch die überwiegende Zahl der Bewerber eingestellt werden konnte, müssen jetzt in den meisten Verwaltungszweigen 70 bis 90 % der Bewerbungen abgelehnt werden. So konnten, wie Ministerpräsident Stoltenberg, der im Gegensatz zu Ihnen, Herr Innenminister, in der Lage war, Fragen zu beantworten, Ende vorigen Jahres mitteilte, von 756 Bewerbern für den gehobenen Dienst in der Innen-und Finanzverwaltung in Schleswig-Holstein nur 80 berücksichtigt werden. Nach einer Studie der Bundesregierung streben rund 60 % der Studierenden eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst an. Es können aber voraussichtlich nur 20 % — nicht 60 % — in den öffentlichen Dienst eingestellt werden. Die Haushaltspolitiker nicken, weil sie wissen, was das bedeutet.Meine Damen und Herren von der Koalition, wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie einmal diese erschreckenden Zahlen zur Kenntnis nähmen. Hier geht es um das Lebensschicksal von. Zehntausenden, demnächst Hunderttausenden verfassungstreuer junger Bürger,
die auf Grund der wirtschaftlichen und finanziellen Lage unseres Landes und einer falschen Bildungsprogrammierung in Sackgassen geführt worden sind. Wenn diese jungen Studenten und Lehrlinge zunehmend den Eindruck gewinnen, daß Ihnen an ihrem Schicksal weniger gelegen ist als an den angeblichen Berufsverboten für einige hundert Extremisten, dann muß das von diesen jungen Menschen als ein Skandal empfunden werden.
Niemand hat Anspruch auf Einstellung in den öffentlichen Dienst. Niemand sonst erhält einen schriftlichen Bescheid mit Rechtsmittelbelehrung, wenn er abgewiesen wird. Dieses Privileg wird ausgerechnet nur denen zuerkannt, von deren verfassungswidrigen Zielsetzungen die Einstellungsbehörden überzeugt sind.
Wir müssen sehr darauf achten, Herr Conradi,
daß dieses Verfahrensprivileg für Gegner unseres demokratischen Staates nicht auch noch zu einem Einstellungsprivileg wird.
Die Gefahr ist doch nicht gering, denn jeder weiß, wie wenig gern Verwaltungsbehörden sich in Verwaltungsprozesse hineinziehen lassen. Es wäre doch absurd, wenn bei der großen Zahl von Bewerbern für den öffentlichen Dienst nicht diejenigen ausgewählt würden, 'die mit uns diesen Staat der Freiheit verteidigen wollen, sondern ausgerechnet diejenigen, die ihn zerstören wollen.
Lassen Sie mich zum Abschluß zu diesem Thema einige Worte an verschiedene Richtungen zum Ausdruck bringen, zunächst an die Adresse der Kommunisten und ihrer Sympathisanten. Die Demokraten in Deutschland haben nicht die geringste Veranlassung, die Legitimität dieses Verfahrens gegenüber Kommunisten zu verteidigen. Wir fordern vielmehr die Kommunisten und ihre Sympathisanten auf, dafür einzutreten, daß auch die Angehörigen des öffentlichen Dienstes in den sozialistischen Ländern die Bürgerfreiheiten erhalten, die bei uns selbstverständlich sind.
Die Demokraten des Auslandes bitten wir, uns nicht nach kommunistischen Zerrbildern zu beurteilen, sondern nach Tatsachen, und es zu akzeptieren, daß jedes Land seine Probleme nach seiner besonderen Situation und nach seiner Rechtsordnung lösen muß. Unser Verfahren mag manchen ausländischen Demokraten schrecklich pedantisch erscheinen.
— Aber diese Pedanterie, Herr Wehner, ist doch die Folge eines Ausmaßes von Rechtsmittelverfahren, wie andere demokratische Länder sie ihren Bürgern nicht gewähren.
Ferner: ein Mindestmaß an Prüfung vor der Einstellung in den öffentlichen Dienst entspricht doch einem ungewöhnlichen Ausmaß an Rechtsgarantien für den einmal Eingestellten, Rechtsgarantien, wie es sie ebenfalls in anderen demokratischen Ländern nicht gibt.Im übrigen, nicht nur die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus verpflichten uns Demokraten in Deutschland zu besonderer Sorgfalt, sondern auch die Bedrohung in der Gegenwart. Kommunisten — das hatte ich, vorhin schon gesagt — haben heute außerhalb der allgemeinen Parlamente einen weit10912 Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979Dr. Dreggerhöheren Einfluß als innerhalb dieser Parlamente. In einem geteilten Land, dessen eine Hälfte von Kommunisten beherrscht wird, ist diese Gefahr anders zu beurteilen als in den Ländern, die in der Unversehrtheit und in der Ungeteiltheit ihrer nationalen und demokratischen Existenz ruhen.
Keiner, der die großen Spionageerfolge der Nachrichtendienste der sogenannten DDR in der Bundesrepublik Deutschland und die Tatsache zur Kenntnis nimmt, daß die DKP von der SED nicht nur finanziert, sondern auch dirigiert wird, kann doch die Besonderheit unserer Lage übersehen. Es gibt kein anderes Land in Europa, das geteilt ist und das mit diesen Problemen fertig werden muß.
Die Jungen in unserem Lande fordern wir auf, zu erkennen, daß Kommunismus und Nationalsozialismus in gleicher Weise totalitär und undemokratisch sind. Die 40jährige Wiederkehr des Hitler-StalinPakts in diesem Jahr, der den gemeinsamen Überfall auf Polen und den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ausgelöst hat, gibt Anlaß, daß auch junge Menschen darüber nachdenken.
Der Archipel Gulag und die KZs Hitlers beruhen auf der gleichen Verachtung für die Würde des Menschen.
Wir Deutschen als gebrannte Kinder wollen keine Faschisten mehr, weder linke noch rechte Faschisten, weder Nationalsozialismus noch Kommunismus; jedenfalls wollen wir sie nicht im Staatsdienst, und wir bitten, Verständnis dafür zu haben.
Ich rufe unseren jungen Mitbürgern in Deutschland zu, zu erkennen, daß es nicht genügt, das Versagen der Väter und der Großväter vor dem Nationalsozialismus zu beklagen, sondern daß es noch wichtiger ist, zu verhindern, daß wir in der Gegenwart in gleicher Weise gegenüber der anderen totalitären Ideologie, der des Kommunismus, versagen.
Daß SPD und FDP dem Trommelfeuer der Kommunisten, der kommunistischen Berufsverbotskampagne, erlegen sind, registrieren wir mit Trauer.
Daß bewährte und allgemein angesehene Sozialdemokraten mit großer demokratischer Erfahrung, Herr Wehner, nämlich Professor Weichmann — der das schon vor 1933 erfahren hat —, Carlo Schmid, Käte Strobel und andere, in dieser Frage auf unserer Seite stehen, erfüllt uns mit Hoffnung.
Wir jedenfalls werden die verlogene Berufsverbotskampagne der Kommunisten bei jeder sich bietenden Gelegenheit entlarven. Wir werden unsere Verfassung besonnen und entschieden verteidigen
und keinen Zentimeter demokratischen Bodens preisgeben!
Meine Damen und Herren, ich erteile das Wort dem Präsidenten des Senats der Freien Hansestadt Bremen, Herrn Bürgermeister Koschnick.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Hohes Haus! Einem Mitglied des Bundesrats geziemt es — leider, muß ich sagen — nicht, in gleicher Weise zu argumentieren, wie es der Abgeordnete Dr. Dregger kann.
Aber gleichwohl möchte ich mich bemühen, einige Fragen anzusprechen, die sowohl aus der Sicht eines Bundesratsmitglieds als auch aus der Sicht eines Mannes zu beantworten sind, der in der Regierungsverantwortung für ein Land steht.Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Von denen, die Ende Januar 1972 den Beschluß der Ministerpräsidenten der Länder zur Vereinheitlichung der Verfahrensregelung unterzeichneten, sind nur noch drei Kollegen im Amt: Herr Röder, Herr Stoltenberg und ich.
— Ich stelle wiederum fest, daß Sie nicht einmal wissen, wovon Sie reden. Herr Genscher hat das damals nicht vereinbart. Es gab eine Vereinbarung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler, der für das Kabinett handelte, und nicht mit einzelnen Ministern. Nur, um die Sache einmal klarzustellen.Deswegen ist es wohl auch nicht unangemessen, wenn ich in der heutigen Aussprache um das Wort gebeten habe, um meine Position, die von damals und die von heute, zu vertreten. Ich bin mit dem Herrn Bundesinnenminister einer Meinung: Wir haben 1972 etwas anderes gewollt, als heute in der Praxis herausgekommen ist.Ich schäme mich nicht, daß wir damals mit den Fraktionen, dem Parlament — auch mit diesem — und mit der Regierung gerungen haben: Welchen Weg finden wir, um zu besseren, rechtsstaatlichen und einwandfreien Regelungen zu kommen, um Willkür auf diesem Felde einzuschränken? Was herausgekommen ist, ist leider nicht das, was wir uns damals vorgestellt haben. Es ziemt sich für politisch Verantwortliche sehr wohl, so meine ich, Farbe zu bekennen und einmal zu erklären, ob das, was sie gewollt haben, heute noch tragfähig ist oder ob nicht bessere Einsichten zu neuen Wegen führen müssen.
Ich hatte schon Gelegenheit, in früheren Sitzungen des Bundestages zu diesen oder ähnlichen Themen das Wort zu ergreifen, weil es in der Regel, wenn über die Uni Bremen gesprochen worden ist, einen
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Senatspräsident Koschnickinneren Zusammenhang gab, um dazu Stellung zu nehmen. Ich gedenke nicht, zu wiederholen, was von dieser Stelle aus schon einmal ausgeführt wurde.
Aber ich möchte dazu beitragen, daß dieses Thema, wenn immer es möglich ist, Herr Kollege Kohl, in Sachlichkeit und mit der Bereitschaft, auch Argumente des anderen zu hören, abgehandelt wird.Wie Sie wissen, hat das Land Bremen bereits im Jahre 1972 die Verwaltungsabsprache nicht so verstanden, daß die bloße Mitgliedschaft in einer von uns in ihrer Zielsetzung für rechtsstaatsgefährdend und demokratiefeindlich angesehenen Partei schon zu einem Ausschluß bei den Einstellungen in den öffentlichen Dienst führen könnte. Immer haben wir in Bremen besondere zusätzliche Aktivitäten zum Maßstab dieser Entscheidung gemacht. Insoweit deckte sich die bremische Praxis mit dem späteren Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1975, wonach die Mitgliedschaft nur ein Teilstück der Beurteilungskriterien sein kann. Aber auch wir in Bremen haben durch eine Vielzahl von Anfragen bei unseren Verfassungsschutzbehörden mit dazu beigetragen, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel bei der Beurteilung von Einstellungsvorgängen zu verdrängen.Möglicherweise hat die Überschaubarkeit in unserem gegenüber den Flächenländern doch kleinen Zwei-Städte-Staat dazu geführt, daß wir von der sich anbahnenden Veränderung in der Haltung der jungen Generation frühzeitiger aufgeschreckt wurden. Wir erlebten die Parteienverdrossenheit vielleicht etwas stärker und unmittelbarer als diejenigen, die ein wenig abgesetzt sind von den unmittelbaren Entscheidung vor Ort. Wir sahen mit Sorge bei jungen Menschen eine immer stärkere Tendenz zu extremistischen Positionen oder zur resignativen Haltung des „ohne mich". Das hat natürlich nicht allein etwas mit einer verfehlten Verwaltungspraxis bei der Anwendung des Ministerpräsidentenbeschlusses zu tun, sondern die Ursache dafür liegt auch in der Zukunftssorge der jungen Generation, deren Berufschancen sich offensichtlich verschlechterten, und zwar nicht nur hinsichtlich ihrer eigenen Vorstellungen. Wir wollten jedoch keine angepaßte junge Generation, und wir wollen — so sage ich heute — hoffentlich auch jetzt keine Generation, die sich aus Angst vor künftigen Nachteilen im Arbeits- und Berufsleben der kritischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart, aber auch der Vergangenheit und der Zukunft entzieht.
Deshalb wollten wir in Bremen zumindest im Hinblick auf den Teil offenkundiger Besorgnis für einen Abbau von Zweifeln sorgen, die durch administrative Maßnahmen verursacht worden sind. Und das ist, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht, im Bereich der Einstellungspraxis des öffentlichen Dienstes möglich. Aus diesem Grunde hat die den Senat der Freien Hansestadt Bremen tragende Partei, die SPD, gemeinsam mit der in Bremen oppositionellen FDP bereits vor zwei Jahren die Einstellungsrichtlinien in der Form verändert, wie sie heute prinzipiell durch Beschluß der. Bundesregierung für die Bundesverwaltung vorgesehen sind.Auch das ging nicht ohne parlamentarische Auseinandersetzung ab. Auch bei uns zu Hause wurde hart gestritten. Die oppositionelle CDU in Bremen hat mir seit 1972 vorgeworfen, meine Verwaltungspraxis sei zu liberal, sei nicht an Verfassung und Beamtenrecht orientiert und gefährde die Einheitlichkeit des öffentlichen Dienstes. Nichts anderes als das, was Herr Dregger heute wieder gesagt hat.
— Zugegeben: Wir Bremer sind da zurückhaltender, Herr Wehner. — Doch FDP wie SPD in Bremen waren mit mir der Meinung, daß die bremische Praxis — heute darf ich sagen: die Bundespraxis — sehr wohl den Grundsätzen unseres Beamtenrechts und ebenso den Prinzipien unseres Grundgesetzes entspricht, ja, daß wir konsequenter als andere den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1975 in die Verwaltungswirklichkeit umsetzen. Daß damit allerdings ein einheitliches Verwaltungshandeln bei den öffentlichen Dienstherren nicht mehr gewährleistet war, wurde in Kauf genommen, weil Verfassungsnormen, demokratische Prinzipien und bewußte Liberalität von größerer Bedeutung als einheitliches Verwaltungshandeln sind.
Was bedeutet eigentlich in diesem Zusammenhang „einheitliches Verwaltungshandeln", wenn man weiß, daß die Kommunen, nicht zuletzt auch CDU/CSU-geführte Kommunen, von der Anwendung des Ministerpräsidentenerlasses ganz oder teilweise Abstand genommen haben, daß die Länder, jedes für sich, zu unterschiedlichen Richtlinien kamen und heute noch in den CDU/CSU-geführten Ländern, auch außerhalb des Saarlandes, unterschiedliche Regelungen bestehen und es keineswegs eine Einheitlichkeit gibt? Wir haben uns nie verständigen können, in welchen Fällen, für welche Sparten' oder ab welcher Besoldungsgruppe die Regelanfrage bei den Verfassungsschutzämtern stattfinden soll. Es ist eine Schimäre, wenn einige heute diese Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns beschwören, und es ist, auch ein Trugbild, so zu tun, als habe es hier einheitliche Vorstellungen gegeben. Denn in der Beurteilung, welche Merkmale wir bei extremistischem Verhalten feststellen wollen, gab es ein logisch nicht begründbares Kunterbunt bei allen Einstellungsbehörden: Hier wurde bei den DKP-Angehörigen scharf reagiert. Dort wurden differenzierte Betrachtungen angestellt. Hier war die Mitgliedschaft in der NPD ein Merkmal extremistischer Gesinnung. Dort wurde NPD-Angehörigen besondere Staats- und Verfassungsloyalität bestätigt. In einem Teil des Vaterlandes war schon die Einstellung als Gartenbaulehrling ein Problem, das zur Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden führte.
In einem Fall, Herr Wehner,
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10914 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Senatspräsident Koschnickwurde diese Behörde nur in Anspruch genommen, wenn es um sicherheitsempfindliche Bereiche oder um Teile der pädagogischen Dienste ging.
Sie wissen ganz genau, daß ich von Rheinland-Pfalz gesprochen habe. Und Heiner Schwarz ist ja hier; er sollte wirklich einmal nachdenken, ob das, was er hinterlassen bat,
so fortgesetzt worden ist, wie es notwendig gewesen wäre.
Selbst beim Bund als Dienstherrn gibt es unterschiedliche Praktiken. Da gab es im Disziplinarrecht eine Entscheidung der obersten Instanz, des Bundesdisziplinargerichts, also eine unabhängige richterliche Entscheidung, die aussagte, daß berufsmäßige Angehörige der Bundeswehr, falls sie Mitglieder der NPD sind, nur dann disziplinarrechtlich gerügt werden dürfen, wenn sie aktiv handelnd gegen die Prinzipien unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung verstoßen, während andererseits der Bundesdisziplinaranwalt schon bei der Kandidatur zu einer kommunalen Vertretungskörperschaft bei einem DKP-Angehörigen Anlaß für disziplinarrechtliche Ermittlungen sah. Wo gibt es da die Einheitlichkeit, die hier so gepriesen worden ist?
Ich will hier nicht wägen und werten, sondern nur deutlich machen, wie vielfältig, problembeladen und häufig nicht begründbar öffentliches Verwaltungshandeln in diesen Fällen ist. Dies ist nicht Kritik, die nur an eine einzige Seite gerichtet ist. Dies ist in erheblichem Umfang auch Selbstkritik. Denn es kann doch gar nicht geleugnet werden, daß Sozialdemokraten und Freie Demokraten, Christdemokraten und zum Teil auch verantwortliche Mandatsträger der CSU keineswegs immer die gleichen Vorstellungen und die gleichen Konzeptionen vertreten und getragen haben. Nein, wir haben alle einen zum Teil schwierigen Erfahrungsprozeß durchgemacht und stehen heute vor der Frage, ob wir es schaffen, Fehler, Mängel und Schwächen aus gestrigem Tun in eine begründbare bessere Lösung überzuleiten.
Das Wichtigste scheint mir der Versuch zu sein, diese Fragen offen und kritisch anzugehen, ohne dem jeweils Andersdenkenden zu unterstellen, er sei daran interessiert, links- oder rechtsextremistischen Kräften eine Lebensstellung im öffentlichen Dienst zu verschaffen.
Es ist sicher auch keine Hilfe, wenn man mit Schlagworten arbeitet, dieser oder jener wolle Kommunisten mit besonderer Präferenz im Schuldienst einstellen oder Rechtsextremisten als Bundesgenossen gewinnen. Ich glaube vielmehr, daß man mit einem kühlen Kopf und gebremsten Emotion zu sachdienlicheren Lösungen kommt.Vielleicht braucht man dazu den Abstand zwischen der Entscheidung und der Realisierung in der Praxis. Wenn sich nach heftigen Auseinandersetzungen in der bremischen Bürgerschaft und einer nunmehr zweijährigen Verwaltungsübung die bremische Bevölkerung in einer Meinungsumfrage zu mehr als 55 % für eine liberale Handhabung ausspricht und damit die bremische Haltung akzeptiert, wenn vom harten Kern, der CDU-Wähler in Bremen mehr als ein Drittel die bremische Handhabung begrüßt, dann dürfen Sie bitte nicht unterstellen, daß. die bremischen Bürgerfür Extremisten und ihre Position anfälliger seien a ls Bürger in anderen Teilen der Bundesrepublik.
Dies ist vielmehr nur das Ergebnis einer weitgehenden und sachgerechten Beruhigung in der jungen Generation, deren Unruhe in die Elternhäuser und in die Familien der Großeltern hineinwirkte.Es ist nicht so, daß diese Probleme nur ein paar junge Studenten angehen, sondern im Zusammenhang mit diesen Problemen fragen sich die Eltern und Großeltern heute: Was wird aus unseren Kindern und Enkelkindern?
Bekommen sie die gleiche faire Chance — das sage ich jetzt —, die man meiner Generation 1945 gegeben hat? Wir sind im „Tausendjährigen Reich" groß geworden, wir haben in den Schulen nur eine Ausbildung bekommen, wir hatten keine Chance, wenn wir nicht im Elternhause anders geprägt waren, anders zu denken, als es damals üblich war. Dennoch haben wir gemeinsam nach 1945 dieser Generation eine Chance gegeben, und sie hat sich in großem Maße qualifiziert, bewährt. Warum sollten wir den heutigen jungen Menschen eine schlechtere Behandlung als uns nach 1945 angedeihen lassen?
Das Land Bremen, für das ich sprechen darf, war in demokratischen Wahlen nie eine Stätte extremistischer Kräfte. Mit nicht geringem Stolz verweisen wir darauf, daß noch in den Mai-Wahlen 1933 wie damals in Bayern und Württemberg die demokratischen Parteien gegenüber den Kräften totalitärer Gesinnung eine Mehrheit hatten. Denen, die beabsichtigen, unsere freiheitlich-demokratische Ordnung und unseren Rechtsstaat in Gefahr zu bringen, hat unsere Bevölkerung stets eine überzeugende Abfuhr erteilt. Nicht nur in Wahlen, sondern auch in den gesellschaftspolitischen Entscheidungen waren ,es immer einwandfreie demokratische Positionen, die in unserem Land vertreten worden sind. Das gibt dem Senat die Kraft, bei aller Liberalität auch entschiedene Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.Wir haben die Geschichte nicht verdrängt, wir wissen um die schrecklichen Konsequenzen der Unfreiheit, und ' wir werden allen extremistischen Kräften widerstehen. Aber das muß mit den Mitteln, die uns der Rechtsstaat, der Verfassungsstaat zubilligt und im Geiste freiheitlicher Gesinnung geschehen. Meinungsterror, Kritikverbot, Bemühun-
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Senatspräsident Koschnickgen um einseitige Beeinflussungen sind nicht die Mittel, die wir anwenden. Das unterscheidet uns gerade von den Machthabern totalitärer Systeme.
Eine wehrhafte Demokratie muß ihre Abwehrbereitschaft an demokratische Prinzipien und rechtsstaatliche Normen binden, wenn sie glaubwürdig bleiben will. Es sollte unser gemeinsames Ziel sein, dazu einen Beitrag zu leisten. Ich glaube, es war der Abgeordnete Brandt, der vorhin sagte: Die Vergangenheit entläßt uns nicht. Sie holt uns immer wieder ein. Wir werden immer wieder gefordert sein. Wenn ich daran denke, was wir alle etwa in Erinnerung an die „Reichskristallnacht" 1938 gesagt haben und was besonders eindrücklich der Bundeskanzler gesagt hat, wenn wir deutlich machen, welche Erschütterung wir spürten, als die Fernsehsendung „Holocaust" viele aufrührte, die im wesentlichen gar nichts anderes brachte, als was wir wußten, wenn wir zum erstenmal ein Knistern in der Bevölkerung spürten und auch von den Jüngeren gefragt werden: Wie steht ihr zur Vergangenheit und zu morgen? — dann sollten wir daran erinnern, wie ich meine, daß wir nach 1945 gemeinsam mit dem Vorsatz angetreten sind, Lehren aus der Geschichte anzunehmen.Aus diesem Grunde haben wir den sittlichen Wert der Menschenwürde in den Eingangsartikel unserer Verfassung geschrieben, ihm damit rechtlich verpflichtende Wirkung beigemessen. In nahezu allen Parteiprogrammen kehrt dieses Bekenntnis zur Menschenwürde wieder. Die Betonung der Menschenwürde als die Befähigung jedes Menschen, sich seiner selbst bewußt zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und die Umwelt zu gestalten, geschah in deutlicher Abkehr und als Reaktion auf das totalitäre NS-Regime. Das Menschenbild des Grundgesetzes ist aber, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, nicht das eines isolierten souveränen Individuums, das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und der Gemeinschaftsverbundenheit der Personen entschieden, ohne dabei den Eigenwert anzutasten. Diese Gemeinschaftsbezogenheit zeigt sich in besonderem Maße im Prozeß der politischen Willensbildung, wenn der Mensch seine Umwelt zu gestalten beginnt.Daher betont das Bundesverfassungsgericht bereits im Urteil zum KPD-Verbot im August 1956 den deutlichen Zusammenhang des Prinzips der Menschenwürde mit der Freiheit der Information und der Freiheit der Meinungsäußerung. Was anders heißt es denn, wenn gesagt wird:Um seiner Würde willen muß ihm eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit gesichert werden.
Für den politisch-sozialen Bereich bedeutetdas, daß es nicht genügt, wenn sich eine Obrigkeit noch so gut darum bemüht, für das Wohlvon Untertanen zu sorgen; der einzelne soll vielmehr in möglichst großem Umfange verantwortlich auch an den Entscheidungen für den Gesamtstaat mitwirken.Hier wird dann ausgeführt, daß die freiheitliche Demokratie es verwirft, Ziele im praktisch-politischen Leben mit dem Absolutheitsanspruch anzustreben, wie es hier zum Teil anklang, als Herr Dregger sprach. Nein, nur dann, wenn wir bereit sind, der jungen Generation und den anderen Bürgern unseres Landes die Chance zu geben, in einer freiheitlichen Demokratie ihre Meinungen, ihre Positionen, ihre Gesinnungen zu bekunden und an der Veränderung der Umwelt mitzuwirken, nur dann, wenn wir diesen Weg gemeinsam gehen und uns kritisch denen gegenüberstellen,
die bereit sind, diesen Staat in Frage zu stellen,
werden wir gemeinsam unsere Demokratie gestalten können.
Und wenn wir sagen, „uns kritisch ihnen gegenüberstellen", dann meinen wir zunächst einmal: mit den Mitteln des Geistes und der Politik, nicht mit den Mitteln der Verwaltung und der Exekutive.
Wenn das Bundesverfassungsgericht unser Grundgesetz als gestaltete Ordnung kennzeichnet, als ein System geistiger Freiheit und Toleranz, geduldiger Reformarbeit und fortwährender Auseinandersetzung mit anderen, grundsätzlich als gleichberechtigt angesehenen Auffassungen, haben wir die Aufgabe, nicht erst -zur Exekutive zu schauen, sondern zunächst einmal zú fragen: Was tun wir eigentlich in der Auseinandersetzung, und warum beklagen Sie, Herr Dregger, irgend so eine komische Veranstaltung eines „Komitees für Berufsverbote" . Wo ist die CDU in der harten Auseinandersetzung draußen mit Kommunisten, wo steht sie in den Betrieben?
Ich sage das hier, weil ich das immer wieder erlebe!
Nein, ich erkläre hier in aller Eindeutigkeit: Unsere Glaubwürdigkeit in der Auseinandersetzung mit Extremisten werden wir erst dann unter Beweis stellen, wenn wir selbst uns der Auseinanderset-
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Senatspräsident Koschnickzung stellen, wenn wir nicht Erlasse herausbringen, sondern um die bessere Position geistig ringen.
— Sehen Sie, dies ist noch eine ganz ruhige Darstellung
in Form meines durchaus gebändigten Temperaments!
— Den lasse ich arbeiten, und der arbeitet ganz gut.
— Spranger [CDU/CSU] : Kommunisten laßtihr arbeiten! — Weitere Zurufe)— Ich verbitte mir den Zwischenruf, Herr Scherf sei ein Kommunist. Ich halte es für eine unverschämte Flegelei, einen Sozialdemokraten hier so zu beschimpfen! Eine unverschämte Flegelei!
— Er läßt Kommunisten arbeiten? Er läßt Kommunisten gar nicht arbeiten; im Finanzbereich haben wir keine Kommunisten. — Erst so schnell etwas sagen und dann schnell den Schwanz einziehen, wenn man gestellt wird, dies ist eine ganz komische Position!
— Der Ton wird von mir so lange gesprochen, wie Sie bereit sind, Demokraten mit dem Vorwurf zu überziehen, Kommunisten zu sein.
Ich stelle fest, daß 'in diesem Hause anscheinend von einer Seite einer alles sagen kann und eine offene Kritik von der anderen Seite gar nicht mehr gehört werden soll.
Ich möchte nur eines: Ich möchte erreichen, daß wir gemeinsam wieder an einige Prinzipien zurückdenken, die wir nach 1945 hatten,
die wir 1948, 1949, 1950 getragen haben; die wir Jüngeren — auch in den Jugendverbänden — in den verschiedensten Bereichen voll aufgenommen haben, um die Fehler von Weimar nicht zu wiederholen.
Wenn wir heute vor dieser Frage stehen, sage ich in aller Eindeutigkeit: Wir haben der Indolenz und der Intoleranz zu widerstehen. Das heißt nicht, daß wir blauäugig durch die Welt wandern sollten. Wir müssen erkennen, was in unserem Lande geschieht, wir müssen wissen, daß Bürger in diesem Lande diese demokratische Freiheit nicht als ihre akzeptieren. Und ich werde um unserer Freiheit willen, für die so viele geblutet haben, kämpfen, wo immer ich kann,
und ich werde insbesondere nicht von den Kommunisten Belehrungen entgegennehmen.Mit der gleichen Eindeutigkeit, mit der Sie gesprochen haben, Herr Dregger, sage ich allerdings: Wer im eigenen System Meinungsfreiheit behindert, Möglichkeiten politischer Veränderung behindert, sogar eigene politische Freunde bei abweichender Meinung — Bahro und andere — einsperrt oder des Landes verweist, kann mir nicht vorschreiben, was in diesem Land geschehen soll.
Ich antworte deswegen nicht aus der Position von Kommunisten oder Nazis, sondern frage mich: Welche Antwort habe ich als Demokrat unter rechtsstaatlichen Bedingungen und liberalen Positionen und in der Bereitschaft zur geistigen Auseinandersetzung zu geben? Da muß die Antwort eben anders aussehen, als sie in Pankow oder sonstwo fallen könnte.
Ich sage auch, daß wir Sozialdemokraten es uns nicht einfach gemacht haben, Lösungen in dieser Frage zu finden. Denn auch wir haben in unserem Kreise doch eine große Zahl von Menschen, die nicht nur die Verfolgung im NS-Regime mitgemacht, sondern auch die Verfolgung in der DDR konkret erlitten haben und immer wieder die Frage stellen: Wo ist eigentlich die Grenze zwischen dem, was eine freiheitliche Demokratie billigen, zulassen kann oder dulden muß, und denen, die in ihren Systemen keine Freiheit akzeptieren?Wir haben nach einem langen Prozeß einen Weg gefunden — übrigens gemeinsam —, der, so meine ich, jedenfalls von uns Sozialdemokraten voll getragen werden kann und auch voll getragen wird. Die Art und Weise, wie wir politische Meinung zum Ausdruck bringen, entspricht kaum dem, was wir uns als Antwort auf verordnete Einheitsmeinungen vorgenommen haben. Wir haben in den letzten Jahren verlernt zuzuhören. Wir setzen zu häufig die eigene Meinung für die allein gültige. Mir ist dieser Mangel an politischer Disziplin in
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10917
Senatspräsident Koschnickbesonderem Maße bei dem Extremistenthema deutlich geworden.Ich darf Ihnen sagen, daß mich ein Wort des Bundeskanzlers sehr bewegt hat, welches er im November letzten Jahres in Köln auf einer Veranstaltung zum Gedenken an die „Reichskristallnacht" gesagt hat. Er hatte gewarnt und gesagt, die jungen Menschen sollten wissen, daß es mit der Suche nach Sündenböcken angefangen habe. Meine große Sorge ist, daß wir heute wieder mehr nach Sündenböcken suchen, als den geistigen Inhalt unserer Gesellschaft tatkräftig und mutig zu begründen.
Ich möchte verhindern, daß wir eine junge Generation in eine Polarisation zum Staat bringen. Ich möchte verhindern, daß sie den Eindruck hat, wir betrieben Standortzuweisungen und erklärten diejenigen zu Gegnern der Verfassung, die sich mit dem Zustand dieser Gesellschaft kritisch befassen. Indem Sie die Gemeinsamkeit denen aufkündigen, die kritisch sind, machen Sie sich der Intoleranz schuldig, die immer wieder am Anfang unseliger Abschnitte unserer gemeinsamen Geschichte gestanden hat.Ich will einem Mißverständnis vorbeugen, damit Sie mir da nicht etwas anzuhängen versuchen: Ich spreche nicht von Extremisten, die ich genauso ablehne wie Sie. Ich spreche von jenen kritischen jungen Menschen, die es sich glauben versagen zu müssen, frei ihre Meinung zu äußern, weil sie fürchten müssen oder glauben, fürchten zu müssen, daß ihnen hieraus Nachteile erwachsen. Wenn Sie so verfahren — und das befürchte ich —, tragen Sie und tragen wir zum Abbau eines Grundrechts bei, dessen hohen Wert für das Funktionieren des Prozesses der politischen Willensbildung das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont hat.Nicht eine richtige oder wahre Meinung ist es, die in der freiheitlichen Demokratie als Beitrag zur politischen Diskussion erwartet wird. Sinn des Prozesses der politischen Meinungsbildung und Willensbildung soll es gerade sein, abweichende oder Minderheitsmeinungen zur Geltung zu bringen. Zu einem solchen Prozeß gehört es auch, daß Vertreter radikaler Auffassungen die Gelegenheit erhalten, ihre Meinungen an anderen zu messen. Insoweit ist der Prozeß der Willensbildung auch ein Lernprozeß.Nur wenn wir die politische Diskussion offen und ohne Einschränkungen führen, kann es uns beispielsweise gelingen, die junge Generation in dieses Gemeinwesen zu integrieren. Daran habe ich ein Höchstmaß an Interesse.Aber ich sage Ihnen genau so deutlich: Es muß doch auch möglich sein, daß in dieser Zeit radikale Fragen nach unserer Verfassungswirklichkeit und nach dem Ernst dessen gestellt werden, was Verfassungsgebot und seine Umsetzung in der Tagesarbeit sind. Es muß auch gefragt werden dürfen, ob dieser Staat nicht anders organisiert sein könnte, als wir es kennen. Es muß auch gefragt werden dürfen, ob in der Drei-Gewalten-Lehre wirklich dieeinzige Möglichkeit liegt, staatliche Gewalt zu organisieren — vorausgesetzt, daß die uneinschränkbaren Bedingungen unseres Grundgesetzes und unserer Grundwerte eingehalten werden.Wenn wir draußen diese Radikalen haben, die einen Anlauf nehmen, gegen unsere Ordnung anstürmen und nach Rätepositionen schreien, sehen Sie darin schon wieder den ersten Schritt zum Untergang des Vaterlandes. Ich frage mich: Was haben Sie eigentlich vor ungefähr 20 Jahren gesagt, als Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, das abendländische Profil in einer eigenen Akademie gegossen haben, als die Herren Brentano und Merkatz bereit waren, die Verfassungswirklichkeit von heute mit einem alten Überbau standesorganisationsgemäßer staatlicher Verfassung zu versehen? Damals haben wir — zwar im Kampf gegen diese Meinung — gemeinsam akzeptiert, daß es zulässig sein muß, auch andere Verfassungsmodelle aufzubauen. Ich denke auch daran, daß der Neubayer Otto von Habsburg heute immer noch einen neuen Ständestaat propagiert und Sie das tragen. Ich sage: Jawohl, tragen wir das, denken wir darüber nach; ich bin sicher, wir werden immer wieder zu unserer Verfassungswirklichkeit kommen, weil sie die beste in diesem Bereich ist. Nur: Wieso akzeptieren Sie in einem Falle — konservativ-rechts —, das sei zulässig, und sind im anderen Falle der Meinung, links dürfe nicht so gedacht werden? Dies ist eine Position, die ich nicht begreife.
Die CDU/CSU sagt heute — das ist zwar nicht verwunderlich, hat mich aber doch ein bißchen auf den Plan gerufen — in einem Entschließungsantrag, die Regierung möge den jetzigen Beschluß aufheben und zum verfassungsmäßigen Handeln zurückkehren. Ich verstehe, daß eine Opposition die Regierungstätigkeit kritisch überprüft. Ich habe nichts dagegen, daß sie das Handeln einer Regierung angreift. Ich halte es aber für das politische Klima in diesem Lande für unerträglich, wenn bei solchen Angriffen der Koalition und der Regierung unterstellt wird, sie würden bewußt verfassungswidrig handeln. Dies ist keine Form der Auseinandersetzung.
Ich halte es auch nicht für die richtige Form, daß Sie anderen Demokraten Komplizenschaft mit Kommunisten unterstellen. Ich unterstelle Ihnen so etwas nicht, auch nicht eine solche Komplizenschaft mit den Rechten.
— Du lieber Gott! Ich könnte Ihnen einige Beispiele geben. Allerdings wäre es gefährlich, die Beispiele von Personen auf Parteien zu übertragen. Diesen Weg, mit den Parteien Schindluder zu treiben, gehe ich nicht mit.
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10918 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Senatspräsident KoschnickHerr Dregger sagt, ohne Regelanfrage oder eine entsprechende Erklärung über Mitgliedschaften bei der Einstellung
— oder eine andere Methode — sei die bisherige Gleichbehandlung nicht gesichert; hier drohe Willkür. Herr Dregger, erkundigen Sie sich bitte einmal bei den Kollegen in Ihrer Fraktion, die früher Innenminister waren, wie es eigentlich mit den Informationen ist, die heute bei den Verfassungsschutzämtern da sind. Da sind zunächst einmal Informationen zu einem ganz anderen Zweck gesammelt worden. Weil der Zweck, rechtsstaatsfeindliche Strömungen, demokratiegefährdende Strömungen zu beachten, der Hauptzwaeck ist, sind insonderheit Informationen fiber Personen angefallen. In der Regel waren das nicht die entscheidenden Untersuchungsergebnisse. So werden Sie bei Veranstaltungen mit kritischer Auseinandersetzung feststellen, daß plötzlich nur ein oder zwei Namen auftauchen, obwohl unter Umständen 10, 12 oder 14 gesprochen haben. Ist da eigentlich noch Gleichbehandlung möglich, wenn ich abrufe, was vorliegt? Im einen Fall liegen eventuell Informationen vor, im anderen Falle nicht, obwohl die Handlungen in beiden Fällen gleich zu beurteilen sind. Es gab also diese Gleichbehandlung nicht.
Wie ist es eigentlich bei der Bewertung der Informationen, die da sind? Ist es nicht die ganz große Schwierigkeit, daß wir im Verfassungsschutzbereich das Sammeln von Informationen zwar rechtsstaatlich geregelt haben, die Kontrollierbarkeit der Arbeitsergebnisse aber aus Gründen, die mit den Nachrichtendiensten zusammenhängen, eingeschränkt haben? Weil wir nicht nachkontrollieren können — jedenfalls als einzelner Bürger —, was an Informationen gesammelt worden ist, ist es doch besonders problematisch, Informationen dieser Ämter ohne die entsprechende Befähigung zur Auswertung der Quellen, ohne die entsprechende Befähigung zur Einschätzung, von wem die Informationen stammen und ob es sachgerechte, sachdienliche oder nur denunziatorische Informationen sind, in die Hände von denen zu legen, die das gar nicht beurteilen können., die dafür nicht ausgebildet sind und die auch von den Regierungen in dieser Frage nicht einmal in Verantwortung genommen werden können.
Aus diesem Grunde ist das keine rechtsstaatlich einwandfreie Möglichkeit. Der Willkür wird bei der jetzigen Regelung mehr Vorschub geleistet als bei jeder anderen Regelung.
Wir sind uns doch darin einig, daß wir die Verfassungsschutzämter gemeinsam gewollt. haben. Ich will sie heute noch. Ich halte sie für dringend erforderlich, um Bewegungen und Strömungen in der extremistischen Position der deutschen politischen Landschaft festzustellen, um feststellen zu können,ob Gefährdungen für den Staat, für die Rechtsstaatlichkeit oder die Liberalität eintreten, um dann mit diesen Informationen mit den Parteien, mit den Fraktionen darüber nachzudenken, welche politischen, rechtsstaatlichen, parlamentarischen Antworten, vielleicht auch justizstaatlichen Antworten wir finden müssen. Dies ist die Aufgabe der Information und Beratung der Regierung.Wir brauchen die Ämter auch noch aus einem anderen Grunde. Wir brauchen sie zur Spionageabwehr und zur Abwehr ähnlicher Delikte. Da handeln sie nicht für die Regierung, da handeln sie im Vorfeld der. Staatsanwaltschaften. In beiden Fällen üben sie wichtige Aufgaben aus. Nie wollten wir sie aber als Behörden aufbauen, die den einzelnen Burger überwachen und kontrollieren sollten, um von. daher Schlußfolgerungen bezüglich der Einstellungswürdigkeit für den öffentlichen Dienst zu erlangen! Hier sind die Ämter überfordert.
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— Ich spreche aus der Praxis.Im Jahre 1972 ist zum erstenmal nach dem Ministerpräsidentenbeschluß durch Beschluß der Innenminister die Regelanfrage eingeführt worden. Bis zum Jahre 1972 wußten wir, daß die Ämter dafür nicht geeignet waren. Im April 1972 ist das anders geregelt worden. Ich bekenne mich mitschuldig. Ich stehe hier in der Verantwortung, aus der ich mich nicht herauslüge. Ich habe aber zwischenzeitlich erkannt, daß das, was da an Material kommt, willkürlich, problematisch, kaum auswertbar ist. Deswegen sage ich: Sollten wir nicht zurückkehren und auch das wieder bedenken, was wir uns damals einmal vorgenommen hatten, als wir diesen Verfassungsschutz aufbauten, in Würdigung, in Respektierung liberaler rechtsstaatlicher Grundsätze auf der einen und unter Beachtung einer schrecklichen Vergangenheit, die wir mit der Gestapo gehabt haben, auf der anderen Seite? Weil wir das in Erinnerung hatten, haben wir diesen Ämtern keine Exekutivvollmacht gegeben; weil wir das in Erin- nerung hatten, waren wir der Meinung, wir sollten nicht in alte Systeme verfallen, sondern wollten neue Wege finden. Die Ämter haben — von kleinen Pannen abgesehen eine gute Arbeit geleistet. Wir haben gar keinen Grund, davon Abstand zu nehmen. Die Leute, die dort arbeiten, leisten für uns einen gewichtigen Beitrag zur Sicherung unseres demokratischen Staates.
Aber da diese Informationen eben nachrichtendienstlich beschafft werden und nicht der allgemeinen Nachkontrollierbarkeit unterliegen, verlangen sie nicht nur eine sorgsame Beobachtung und Bearbeitung, sie dürfen auch nicht jedem Zugriff einer Verwaltung offenstehen. Sie sind nicht Hausmittel für Einstellungsbehörden, sondern bedürfen für ihre Freigabe ähnlicher Vorschriften wie die Behandlung von Giftschränken in Apotheken. Das heißt, es muß ganz sorgfältig geprüft werden: Ist das dringend erforderlich, ist das aussagekräftig, kahn et-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10919
Senatspräsident Koschnickwas Konkretes gesagt werden? Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gelten auch in diesem Bereich. Die Grundsätze der rechtlichen Kontrollierbarkeit sollten wir immer im Auge haben. Von daher sollten wir von der bisherigen Regelung Abstand nehmen und die Bundesregelung sehr wohl als ein besseres Beispiel vernünftiger Arbeit akzeptieren.
Dann sagt man mir, der Staat hielte sich bewußt dumm, wenn er nicht jedesmal nachfragt, was bei den Verfassungsschutzbehörden liegt.
Ich sage Ihnen: Der Staat hat sich auch in anderen Fällen bewußt dumm gehalten, etwa im Steuerrecht. Ich habe bisher noch nie aus Ihren Kreisen gehört, daß der Zugriff der Regierung oder der Fraktionen auf die Informationen, die der Staat aus dem Steuerrecht hat, möglich sein sollte.
— Das ist ein wichtiger Vergleich; denn auf Grund des Steuerrechts geben Bürger Informationen preis, die möglicherweise andere nicht sehen sollen.Im Datenschutzbereich haben Sie gemeinsam darum gerungen, daß ein Teil von offenen Daten, von von Bürgern gegebenen Daten, nicht dem allgemeinen Zugriff der Behörden preisgegeben wird. Wenn Sie da schon vorsichtig sind: Um wieviel mehr müßten Sie es dann bei den Daten sein, von denen der Bürger gar nicht weiß, daß sie über ihn gespeichert worden sind?
Natürlich heißt das, was ich hier sage, nicht, daß wir auf alle Informationen verzichten wollen. Natürlich werde ich dort, wo es um den sicherheitsempfindlichen Bereich geht, nachfassen, und natürlich werde ich auch im Interesse des Bewerbers dann nachfassen, wenn mir Fakten vorliegen, indem ich frage: Kann das stimmen, gibt es andere Informationen? Ich habe abzuwägen, auch wegen der Fürsorgepflicht' für einen sich Bewerbenden. Aber mit diesem Prinzip, von vornherein die Behörden einzubeziehen, mußten wir Schluß machen.Dann, Herr Dregger, sagen Sie: Wir haben doch gar nicht immer überprüft; es ist doch' gar nicht wahr, daß da immer zugegriffen worden ist; wir haben doch nur geprüft, wenn Tatsachen vorlagen. Sie haben gleichzeitig begründet, daß die Prüfung der Verfassungstreue zu einem wesentlichen Bestandteil des Beamtenrechts gehört. Sehen Sie, da beginnt es. Wir haben wirklich gar nicht jeden Bewerber geprüft. Wir haben nur da nachgeprüft, wo irgend jemand einmal aufgefallen war. Hat jemand das Maul gehalten, war er unauffällig, ist er nicht aufgefallen, haben wir ihm von vornherein unterstellt, er sei ein guter Demokrat, und eine Prüfung brauche nicht stattzufinden. Ich frage mich aber aus unserer Geschichte, ob wir wirklich einmal gemeinsam den Stillschweigenden, den Ruhigen, den Maulhaltenden im öffentlichen Dienst haben wollten, ob wir nicht einen anderen Beamtentyp haben wollten.
Auch deshalb haben wir willkürlich gehandelt.
— Nein, nicht der Radikalen. Schauen Sie, das Schweigen allein, das Ruhigsein in der Ausbildungszeit ist doch wirklich noch kein Beweis, daß ich jederzeit für die demokratische Grundordnung und für dieses Staatswesen eintrete.
— Verzeihung, ich kann das nicht prüfen. Als jemand, der an der Beamtengesetzgebung im Vorfeld seit 1950 mitgearbeitet hat, kann ich .nur sagen: Wir haben damals eine aus der NS-Zeit herübergekommene Formel für die Gewährleistung aufgenommen und wollten sie mit einem anderen Inhalt füllen. Wir wollten nicht den gleichen Inhalt. Wir wollten sie mit verfassungskonformem Verhalten füllen. Wir wollten wissen und sehen, ob Beamte bereit seien, in Zeiten der Gefahr für diesen Staat zu stehen. Aber wir wollten Verhalten beurteilen, und wir wollten nicht Meinungen untersuchen.
— Unterschriften? Jetzt frage ich mich, was Sie eigentlich an Unterschriften wollen. Glauben Sie, daß derjenige, der wirklich diesen Staat in die Luft sprengen will, sich durch eine Mitgliedschaft auszeichnen würde, wenn er wußte, er flöge hinaus? Würden Sie damit die Gegner des Staates im öffentlichen Dienst verhindern? Das ist doch Unsinn.
Hier geht es um eine andere Frage. Wir wollen kritisch prüfen, ob sich jemand innerhalb und auch außerhalb des öffentlichen Dienstes so verhält, daß wir uns auf ihn verlassen können, wenn Not am Manne ist.Nun sage ich Ihnen etwas anderes als einige Freunde, die der Meinung sind, die Zeiten außerhalb des Dienstes spielten keine Rolle. Doch, es ist die bittere Erfahrung von Weimar, daß wir nicht akzeptieren können, daß Beamte acht Stunden lang staatstreu und 16 Stunden lang Radikalinskis mit extremistischer Gesinnung sein dürfen. Das wollen wir Sozialdemokraten nicht.
— Ich spreche im Augenblick von den Sozialdemokraten, und ich räume ein, daß bei uns auch einige Mitglieder sind, die eine andere Haltung haben. Ich stelle hier mit großem Erschrecken fest, daß es bei der CDU/CSU anscheinend nur Leute der gleichen Meinung gibt. Das ist ganz verwunderlich für mich.
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10920 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Senatspräsident KoschnickIch spreche im Augenblick davon, was wir politisch gemeinsam tragen. Wir wollen keine Differenzierung wie in Weimar mehr. Wir möchten sicherstellen, daß sich der, der im öffentlichen Dienst tätig ist, zu diesem demokratischen Staat bekennt, nicht zu einer Regierüng, aber zu den Prinzipien dieses Staates und zu den geistigen Strömungen, die unsere Verfassungsordnung tragen. Wir werden es nicht zulassen, daß er im öffentlichen Dienst verbleiben kann, wenn er außerhalb der Dienstzeit gegen diese Prinzipien verstößt.
Da kann ich Ihnen nun einige Beispiele aus Bremen liefern, wo Sie dann ein bißchen verwundert sind, wenn wir beispielsweise einen Professor aus solchen Gründen nicht genommen haben, der uns von Hans Maier angelegentlich empfohlen worden ist, einem Mann, der nun nicht im Verdacht steht, Mitglied der SPD zu sein oder gar der CDU zu freundlich gegenüberzustehen. Er ist ein braver CSU-Mann.
Ich sage einfach nur: Diese Pannen passieren überall. Deswegen sage ich auch: Lassen Sie doch noch einmal Revue passieren, was wir uns vorgestellt haben, als wir von der wehrhaften Demokratie gesprochen haben, als wir uns verständigt haben, diesen Staat anders zu organisieren, als Weimar organisiert war. Da muß ich Ihnen sagen: Damals waren unsere demokratischen Antworten noch gemeinsam, daß es auf das konkrete Verhalten ankomme, daß wir Meinungen und Gesinnungen und politische Willenserklärungen als das beurteilten, wie wir sie heute auch sehen: als einen Teil der Gestaltungskraft eines Mannes, Und dann bitte ich nachzulesen, was Christdemokraten in der Verfassungsdiskussion in den Landtagen zwischen 1947 und 1949 gesagt haben, was Christdemokraten und CSU-Abgeordnete im Bundestag in den ersten beiden Jahren der Diskussion um Beamtengesetze über die Frage der Gewährbieteformel, über die Frage, welche Forderungen an den öffentlichen Dienst gestellt werden müssen, gesagt haben. Es waren Christdemokraten und Christsoziale, die sich dagegen gewehrt hatten, daß wir Meinungsforschung, Gesinnungsprüfungen anstellten, die gegen die Gewährbieteformel waren, weil sie Angst hatten, wir würden wieder etwas aufnehmen, was im 1 000jährigen Reich gewesen ist.
Herr Präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Petersen? — Bitte!
Herr Bürgermeister, ich möchte gerne, anknüpfend an Ihre Erfahrungen der letzten Jahre, die Sie vorhin geschildert haben, eine konkrete Frage stellen: Sie stellen einen Mann ein, der Mitglied der DKP ist, weil dies allein nicht ausreicht, ihn nicht einzustellen, und sagen, Sie würden sein Verhalten dann prüfen. Wie können
Sie das bei einem Lehrer tun, ohne daß die Schüler dann zu Denunzianten und zu Anzeigern werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sehe das Problem mit den Lehrern insonderheit. Ich glaube nicht, daß es eine Möglichkeit wäre, die Schüler zu bitten, zu prüfen, was der Lehrer sagt. Das wäre die Auflösung des Vertrauensverhältnisses in der Schule, das für die Pädagogik dringend notwendig ist. Ich bin aber ein Anhänger des Elternrechts, bin ein Anhänger des Verfahrens, daß die Eltern in der Schule mit den Lehrern um die richtigen Meinungen ringen sollen.
— Nein, nicht schnüffeln. Sehen Sie, das ist typisch. Ich möchte um Meinungen ringen.
— Eine Mutprobe. — Meine Damen und Herren, ich stelle jetzt fest — ich bin noch nicht ganz so lange aus der Schule weg wie Sie zum Teil —:
Haben wir in unseren Schulen eine Fülle von Lehrern mit unterschiedlicher Meinung gehabt?
Haben wir nicht in unseren Schulen — und jetzt spreche ich einmal nur von der Schule zwischen 1933 und 1945 — eine große Zahl von Lehrern gehabt, die dem damaligen System sehr stark verpflichtet waren? Wir hatten auch andere Lehrer, die anders gedacht haben und ihre Positionen, wenn auch wegen der Gefährdungen nicht so hart, vertreten haben. Glauben Sie, daß wir in diesen „1000 Jahren" oder zehn Jahren Erziehung im braunen System durch zwei oder drei NS-Lehrer Nazis geworden wären? Das ist doch objektiv nicht so. Keiner von uns ist das geworden.
Die Möglichkeit des Unterrichts mit verschiedenen Lehrern löst doch einfach den Gegensatz aus. Oder aber — und jetzt mache ich mit — Sie sind mit mir bereit und sagen hier in aller Eindeutigkeit: Wir nehmen in den Schuldienst nur noch ausgewiesene Demokraten; die machen vorher ihre Demokratenprüfung, und wir werden 'durchhalten, daß sie so bleiben, und wehe, sie weichen vom rechten oder linken Pfad der Tugend ab. — Meine Damen und Herren, das wären schreckliche Zustände für unser Schulwesen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10921
Senatspräsident KoschnickEs wäre ganz schlimm. Wie war das eigentlich in Weimar? Ist Weimar an Kommunisten und Nazis in den Schulen zerbrochen? Ist Weimar an Kommunisten und Nazis im öffentlichen Dienst zerbrochen? Nein. Nationalsozialisten und Kommunisten waren nur in ganz geringer Zahl im öffentlichen Dienst. Sie berannten den Staat von draußen. Im öffentlichen Dienst war nicht genügend Widerstand bei den Beamten, uni diesem Ansturm zu widerstehen.
Es kommt mir darauf an, auch im öffentlichen Dienst Widerstand in der Auseinandersetzung geistig möglich zu machen und nicht mit dem Verbot allein vorzugehen.
— Ach hören Sie doch auf! Ich kenne diese Wahlkampfmasche schon: Kommunisten in der Schule, die SPD will die Kinder verseuchen, will sie hinüberführen in die DDR. Das ist doch objektiver Unsinn, das wissen Sie ja auch. Sie erzählen es doch hier nur gelegentlich, um draußen im Wahlkampf bestehen zu können. Fragen Sie doch einmal die Eltern, wie das aussieht, welche Diskussionen wir haben, wenn wir Lehrer aus dem Beamtenverhältnis auf Probe nicht übernehmen wollen aus den Gründen, die ich hier angeführt habe, wieviel Eltern da sitzen und sagen: „Aber der Lehrer ist so gut, der muß bleiben." Und wir sagen dann: „Er bleibt nicht, er wird kein Beamter auf Lebenszeit, er wird entfernt wegen dieser politischen Handlungen." Daß die Eltern einen anderen Aspekt haben, bedeutet doch nicht, daß sie KBW-Lehrer oder NPD-Lehrer haben möchten, sondern die beurteilen die Lehrer nach ihrer Wirkung vor der Klasse.Nun sage ich Ihnen: Indoktrination ist kein Privileg nur einer Richtung im politischen Bereich. Was Indoktrination und Zerstörung von wirklicher Pädagogik anlangt, davon können wir auch 1945 in unseren Schulen noch eine Reihe von Liedern singen.
Deswegen wäre es besser, sich über diese Frage zu unterhalten, als sie auf die DKP zu verkürzen. Nein, meine Damen und Herren: Weil ich wirklich der Überzeugung bin, daß die geistige Auseinandersetzung
in dieser Frage die entscheidende ist, daß rechtsstaatliche Positionen gewahrt bleiben müssen, daß die Tradition einer freiheitlichen Verfassung nicht verletzt werden darf, und weil wir den Mut haben müssen, auch abweichende Meinungen zu akzeptieren, abweichendes Verhalten dagegen entsprechend ahnden müssen, bin ich der Meinung, daß die Bundesregierung mit ihrer Regelung gut getan hat. Wir werden sie dabei unterstützen.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Klein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage liegt nahe, warum ,der Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Bremen an diesem Punkt der Debatte das Wort ergriffen hat.
Wer die Verhältnisse in Bremen kennt, hätte füglich erwarten dürfen, daß der Präsident des Senats hier über die Verhältnisse in seinem Verantwortungsbereich redet
und darüber spricht, wie er sie für die Zukunft zu verbessern gedenkt
auf Grund derjenigen Regelungen, die er nun nach Maßgabe des Beschlusses der Bundesregierung offenbar auch für sein Land zu übernehmen gedenkt, sofern er sie nicht schon vorweggenommen hat.Herr Bürgermeister Koschnick, Sie haben über Bremen füglich geschwiegen.
Statt dessen sind Sie auf eine Darlegung allgemeiner Verfassungsgrundsätze ausgewichen, hinsichtlich derer ich Sie frage, wer in diesem Hause sie ernsthaft in Frage stellt.
Sie haben gesagt: Wir werden allen extremistischen Kräften widerstehen. Das ist angesichts der Verhältnisse, die Sie in Ihrem eigenen Land zugelassen haben, eine leere Behauptung.
Diese Behauptung ist ebenso leer wie die Behauptung der Bundesregierung, sie stehe nach wie vor auf dem Boden des Beamtenrechts und der Verfassung, die verlangt, daß Beamte, die in den öffentlichen Dienst übernommen werden, die Gewähr dafür bieten, daß sie verfassungstreu sind.
Sie haben von Menschenwürde, sittlicher und geistiger Freiheit gesprochen, die das Grundgesetz verbürge. Wer hat denn hier Menschenwürde, sittliche oder geistige Freiheit in Frage gestellt?Sie haben sich gegen Meinungsterror und Absolutheitsansprüche gewandt. Wer in diesem Hause wünscht Meinungsterror, wer hat einen Absolutheitsanspruch erhoben?
Sie haben dies meinem Kollegen Dregger vorgeworfen, eine Behauptung, die •zu begründen Sie ebenso geflissentlich unterlassen haben. Das ist der Stil der politischen Auseinandersetzung, den Sie dann im nächsten Satz verurteilt haben.
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10922 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. Klein
Dann, meine Damen und Herren, hat der Herr Bürgermeister gefordert, daß jungen Leuten die Chance gewährleistet bleibe, sich zu Demokraten zu entwickeln. Er hat daran erinnert, daß 'die Schulen in der nationalsozialistischen Zeit dafür nicht die notwendige Gewähr boten, weil in diesen Schulen in einer Richtung indoktriniert wurde, die in der Bundesrepublik heute glücklicherweise nicht anzutreffen ist. Aber daß in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland in Richtung auf eine andere, nicht minder gefährliche, in der Gegenwart gefährlichere totalitäre Ideologie indoktriniert wird, ist hier, meine Damen und Herren, nicht zum Ausdruck gekommen.Sie haben uns aufgefordert, Lehren aus der Geschichte anzunehmen, die Fehler von Weimar nicht zu wiederholen, und darauf hingewiesen, daß es in der Weimarer Zeit im öffentlichen Dienst nicht genügend Widerstand gegen die Verfassungsfeinde von damals gegeben habe. Aber, Herr Bürgermeister, eben darum geht es doch: daß wir in der Bundesrepublik Deutschland einen öffentlichen Dienst behalten, der in der Lage und willens ist, diesen Widerstand erfolgreich zu leisten!
— Wir kommen auf die Methoden zu sprechen, meine Damen und Herren.Wer zieht sich denn Duckmäuser heran mit der Forderung, daß nur verfassungstreue Beamte in den öffentlichen Dienst kommen sollen? .Das ist eine Forderung, die Sie doch selber aufstellen,
der Sie nur nicht Folge leisten. — Auf falsche Alternativen werde ich in anderem Zusammenhang auch noch zu sprechen kommen, z. B. auf die falsche Alternative, daß Sie sagen, man solle an die Stelle administrativer Maßnahmen eine geistige Auseinandersetzung stellen. Niemand von uns, am wenigsten irgendeiner von uns ist jemals der geistigen Auseinandersetzung ausgewichen.
Was wir Ihnen zum Vorwurf machen, ist doch gerade, daß Sie die geistige Auseinandersetzung unterlassen haben, in sträflicher . Weise unterlassen haben,
indem Sie sich an Kampagnen wie z. B. derjenigen gegen die sogenannten Berufsverbote 'beteiligen, wofür Herr Dregger ja eben erst wieder ein Beispiel aus jüngster Zeit gegeben hat.
Gesprochen worden ist von jungen Menschen, die in unserem Lande glaubten fürchten zu müssen, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Ich frage: Wer hat sie denn glauben gemacht, daß sie diese Befürchtung hegen müssen?
Das sind doch nicht wir gewesen, sondern das sind in erster Linie die Kommunisten gewesen, mit deren Argumentationen Sie sich nicht nur nicht kritisch auseinandergesetzt, sondern deren Argumentationen in dieser Auseinandersetzung Sie sich weitgehend zu eigen gemacht haben.
In unserem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, zur verfassungsgemäßen Anwendung des geltenden Rechts zurückzukehren. Dies hat seinen guten Grund; denn mit dem Beschluß vom 17. Januar 1979 hat die Bundesregierung den Gehorsam, den sie Gesetz und Verfassung schuldet, ich sage: willentlich und wissentlich aufgekündigt.Die vorhin schon zitierte Klausel des Beamtenrechts, wonach der Beamte Gewähr bieten muß, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, fordert vom Beamten ein positives Bekenntnis zu diesem Staat und zu seiner Verfassung. Der Staat muß eben erwarten können, daß der Beamte im Krisenfall, in Zeiten der Unsicherheit für ihn Partei ergreift, eben damit nicht wiederkehrt, was wir im Ausgang der Weimarer Republik erleben mußten.
Daran — dies ist das bedauerliche Faktum — will sich die Bundesregierung nicht mehr halten.
In den ersten Abschnitten ihres Beschlusses redet sie zwar noch von der Gewähr der Verfassungstreue als Voraussetzung der Einstellung in den öffentlichen Dienst. Aber schon in der Begründung dieses Beschlusses weicht sie einen entscheidenden Schritt zurück und kommt damit ihren wirklichen Absichten näher. Denn dort heißt es wörtlich: „Sie" — die Bundesregierung — „will ... auch weiterhin verhindern, daß Personen in den öffentlichen Dienst gelangen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung ... bekämpfen oder politische Ziele auch mit Gewalt durchsetzen wollen." Aber das ist eben der fundamentale Unterschied: daß es nicht nur darum gehen darf, aktive Verfassungsfeinde vom öffentlichen Dienst fernzuhalten, sondern daß auch derjenige nicht in den öffentlichen Dienst kommen darf, der nicht seinerseits eine aktive Verfassungstreue, eine aktive Treue zur Verfassung aufweist.Aber damit nicht genug. Die Bundesregierung geht einen Schritt weiter. Nicht einmal diese mindere, ohnehin schon der Verfassung nicht genügende Qualifikation „Kein Feind der Verfassung" wird mehr geprüft und zur Gewißheit der Einstellungsbehörde festgestellt, wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich verlangt; denn, so hat der Bundesminister des Innern den Kabinettsbeschluß er-
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Dr. Klein
läutert, wenn keine tatsächlichen Anhaltspunkte darauf hindeuten, daß der Bewerber nicht die Einstellungsvoraussetzungen erfüllt, darf keine Anfrage an den Verfassungsschutz gerichtet werden.Der Punkt ist eben, daß Sie auch kein alternatives Verfahren zur Prüfung der Einstellungsvoraussetzung „Verfassungstreue" einführen wollen,
daß also die Einstellungsbehörden ausdrücklich — entgegen dem Wortlaut und dem Sinn des geltenden Rechts — verpflichtet werden, diese Voraussetzung ungeprüft zu unterstellen. Treue zur Verfassung wird also unter Verstoß gegen Beamtenrecht und Grundgesetz nicht mehr verlangt. Nur der aktive Verfassungsfeind soll nicht mehr Beamter werden dürfen.Mit dieser Voraussetzung begnügt sich das geltende Recht nach der Rechtsprechung des Bundes- verfassungsgerichts nur in den sogenannten Monopolausbildungsverhältnissen, die außerhalb des Beamtenverhältnisses abgeleistet werden. Nur dort darf sich der Dienstherr damit begnügen, denjenigen zurückzuweisen, der darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. In der gutachtlichen Äußerung, die die Minister Baum und Vogel im Herbst vergangenen Jahres abgegeben haben, ist in dieser Frage deutlich noch ein anderer Standpunkt eingenommen worden, wenngleich die „Frankfurter Rundschau" auch damals schon ahnungsvoll von „Kurven, um die Karlsruher Hürden zu überwinden", sprach.Die Bundesregierung verzichtet de facto auf die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Einzelfallprüfung. Die Einstellungsbehörden sollen von der Vermutung ausgehen, daß der Bewerber die Voraussetzung der Verfassungstreue in der Regel erfüllt. Wenn Sie hier bestreiten, eine „Rechtsvermutung" aufgestellt zu haben — eine Formulierung, die Sie regelmäßig gebrauchen —, dann ändert das an der Richtigkeit dieser Feststellung nichts.Dies ist Schlichtweg falsch; denn bei der Einstellung eines Bewerbers in den öffentlichen Dienst werden eben Eignungsvoraussetzungen nicht vermutet — sie dürfen nicht vermutet werden —, sie müssen vielmehr feststehen zur Überzeugung der Einstellungsbehörde. Der für die Einstellung zuständige Beamte muß prüfen, ob neben den anderen Voraussetzungen, die das Beamtenrecht nennt, wie z. B. -Gesundheit oder Vorbildung, die Gewähr der Verfassungstreue gegeben ist.Der Verstoß Ihres Beschlusses gegen das geltende Recht liegt darin, daß Sie der Einstellungsbehörde das dazu erforderliche und nach meiner Überzeugung am besten geeignete Mittel, eben die Anfrage beim Verfassungsschutz, in der Regel vorenthalten, ohne irgendeine, geschweige denn eine ebenso effektive und wenig aufwendige Alternative dafür anzubieten.
Ein Wort zu der von Herrn Koschnick ja bezweifelten Geeignetheit der Anfrage beim Verfassungsschutz. Natürlich ist es richtig, daß die Aufgabe des Verfassungsschutzes nicht dahin geht, Einzélpersonen zu beobachten, sondern die Aufgabe des Verfassungsschutzes geht dahin, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen zu beobachten.Aber, meine Damen und Herren, solche Bestrebungen werden ja doch von Menschen getragen. Wenn man Bestrebungen dieser Art beobachten soll, zu beobachten hat, dann bleibt doch gar nichts anderes übrig, als die an diesen Bestrebungen beteiligten Menschen zu beobachten.
Das ist der Auftrag des Verfassungsschutzes. Deswegen fallen im Rahmen der von ihm durchzuführenden Beobachtungen — was bisher auch nie ernstlich bezweifelt worden ist, was auch heute nicht von Ihnen bezweifelt wird; für gewisse Fälle sehen Sie ja die Anfrage nach wie vor ausdrücklich vor — auch für die Einstellungsbehörden relevante Erkenntnisse über Personen an, die abzufragen nur sinnvoll ist, die aber keine weiteren Ermittlungen auslösen und auch keine weiteren Ermittlungen auslösen dürfen.Die Einstellungsbehörde soll also — bei dieser Bemerkung muß es sein Bewenden haben — die Ermittlungen der für die -Feststellung des relevanten Sachverhalts bedeutsamen Umstände geflissentlich unterlassen. Sie soll sich unwissend halten, indem sie von den an anderen Stellen der öffentlichen Verwaltung vorhandenen Kenntnissen keinen Gebrauch macht.Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn die Einstellungsbehörde zufällig von Umständen Kenntnis erlangt, die ihr zu Zweifeln an der Verfassungstreue des Bewerbers Anlaß geben. Es wäre ebenso rechtswidrig, wenn man von dem Bewerber die Vorlage seiner Zeugnisse nur dann verlangen wollte, wenn die Einstellungsbehörde bzw. der für die Einstellung zuständige Beamte beim Einstellungsgespräch zufällig den Eindruck gewinnt, daß es sich. bei dem Bewerber um einen Schwindler handelt, oder wenn man ihn nur dann zum Amtsarzt schicken wollte, wenn er beim Einstellungsgespräch gerade einmal nicht gut aussieht. Auch das wäre rechtswidrig.Im übrigen, Herr Minister Baum: Ist denn nicht gerade die amtsärztliche Untersuchung ein nicht geringfügiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte? Wie halten Sie es da eigentlich mit dem von Ihnen für richtig gehaltenen Maßstab, mit dem Grundsatzder Verhältnismäßigkeit?Ich habe von Zufall gesprochen. Zufall bedeutet Willkür. Zufall soll walten, zumal Sie, Herr Baum, es ja auch — wenn man Pressemeldungen glauben darf — für bedenklich zu halten scheinen, die Bewerber regelmäßig nach ihrer Zugehörigkeit zu verfassungsfeindlichen Organisationen zu fragen. Man mag daran zweifeln, ob auf eine derartige Frage von wirklichen Verfassungsfeinden eine wahrheitsgemäße Antwort erfolgt. Aber die Bedeu-
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Dr. Klein
tung dieser Antwort ist doch darin zu sehen, daß derjenige, der sich bei dieser Gelegenheit nachweislich einer falschen Aussage schuldig gemacht hat, sehr viel leichter aus dem Dienst entfernt werden kann als einer, von dem man hinterher eben schlicht feststellt, daß er beispielsweise einer verfassungsfeindlichen Organisation angehört.Zufall und Willkür sollen walten, es sei denn, Beamte im Vorbereitungsdienst und während der Probezeit sollten nach Ansicht der Bundesregierung einer dauernden und systematischen Beobachtung zum Zweck der Prüfung ihrer Verfassungstreue unterworfen werden. Aber das kann doch wohl nicht gemeint sein! Das ist nach meiner Überzeugung von Ihnen nicht gemeint. Wenn es aber nicht gemeint ist, dann müssen Sie es eben dem Zufall überlassen und willkürlich verfahren. Ein Drittes gibt es nicht.Die Bundesregierung beruft sich in diesem Zusammenhang gern auf jene Stelle im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975, in der es heißt, im Vorbereitungsdienst und in der Probezeit müsse der Schwerpunkt für die geforderte Prüfung der Verfassungstreue liegen. Bei dieser Stelle handelt es sich zweifelsfrei um ein sogenanntes obiter dictum, das die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder nicht bindet. Schwerer wiegt für mich der Einwand, daß die hier empfohlene Praxis die Beamten im Vorbereitungsdienst und auf Probe einer permanenten Bespitzelung — nicht nur durch die Behörden, sondern auch durch Konkurrenten, Schüler usw. — aussetzen würde — die Antwort, die Herr Bürgermeister Koschnick auf diesen Einwand gegeben hat, war nicht eben überzeugend —, einer Bespitzelung, die die Beamten dann allerdings zutiefst verunsichern müßte. Sie müßten doch fürchten, von lauter Denunzianten umgeben zu sein.Deswegen sagt das Bundesverfassungsgericht kurz vorher auch etwas ganz anderes, daß nämlich die Treuepflicht des Bewerbers und die entsprechende Prüfungspflicht der Einstellungsbehörden gleichermaßen für alle Beamtenverhältnisse einschließlich des Beamtenverhältnisses auf Widerruf und auf Probe gelten. Es ist für mich sehr bemerkenswert, daß die Bundesregierung von dieser sehr viel wichtigeren, weil nämlich tragenden Passage der Begründung in ihren Ausführungen so wenig Gebrauch macht.Zu den besonderen Vorlieben des Bundesinnenministers gehört es in diesem Zusammenhang, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu operieren, um den Verzicht auf eine möglichst zuverlässige Prüfung der Verfassungstreue zu rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht erwähnt diesen Grundsatz in seinem zitierten Urteil an einer einzigen Stelle, und zwar an jener Stelle, die ich soeben als obiter dictum, also als unverbindliche Randbemerkung, gekennzeichnet habe. Dort heißt es sinngemäß: Ermittlungen von Verfassungsschutzbehörden und die Speicherung ihrer Ergebnisse für Zwecke der Einstellungsbehörden seien mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit schwerlich vereinbar.Richtig! Niemand hat jemals etwas anderes behauptet oder verlangt, der Verfassungsschutz müsse die Bürger unseres Landes im Hinblick darauf, daß sie sich irgendwann einmal vielleicht für den öffentlichen Dienst bewerben könnten, unter ständiger Beobachtung halten, bei ihnen herumschnüffeln oder Material gegen sie sammeln oder auch nur, nachdem die Anfrage der Einstellungsbehörde eingetroffen ist, eine besondere Tätigkeit in bezug auf den betroffenen Bewerber entfalten. Nichts dergleichen! Nur das, was an Erkenntnissen aus pflichtgemäßer Beobachtung mit anderer Zielrichtung, zu der der Verfassungsschutz ja auch nach Ansicht der Bundesregierung verpflichtet ist — man fragt sich allerdings, warum, wenn aus den dort gemachten Beobachtungen zunehmend weniger praktische Folgerungen gezogen werden —, soll — und muß nach unserer Ansicht — jedenfalls in der Regel auch abgefragt werden.Das steht in keinerlei Widerspruch zu dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Die Bundesregierung hütet sich ja auch wohlweislich, konkret zu sagen, wodurch denn dieses Prinzip eigentlich verletzt sein soll. Das kann sie auch nicht. Denn dieser Grundsatz besagt, daß Grundrechtseinschränkungen, die an sich zulässig sind, nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen dürfen. Bei der Routineanfrage fehlen alle Voraussetzungen für eine Verletzung dieses Prinzips. Denn die Anfrage ist eine verwaltungsinterne Maßnahme, die der Entscheidungsvorbereitung dient. Grundrechte berührt sie überhaupt nicht. Aber selbst wenn es anders wäre: Die Anfrage steht ja auch nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck. Sie wendet Schaden von unserer Demokratie ab. Denn sie ist geeignet, Verfassungsfeinde vom öffentlichen Dienst fernzuhalten und die korrekte Anwendung der Gesetze sicherzustellen.Von der Anfrage beim Verfassungsschutz darf deshalb nach meiner Meinung nur dann abgesehen werden, wenn die Einstellungsbehörde von sich aus und auf andere Weise jeden vernünftigen Zweifel an der Verfassungstreue des Bewerbers ausschließen kann. Ähnlich steht es ja auch noch im Beschluß der Bundesregierung vom 8. November 1978.Die von der Bundesregierung jetzt offenbar beabsichtigte Praxis ist nicht nur geeignet, das Tor des öffentlichen Dienstes für Extremisten aller Richtungen zu öffnen. Sie bürdet auch die Last der Verantwortung, die die Regierung zu tragen hat, anderen auf. Denn jetzt muß der einzelne Personalsachbearbeiter ohne jeglichen Maßstab, ohne allgemeine Kriterien ganz allein die Entscheidung treffen, ob tatsächliche Anhaltspunkte für die Verfassungsfeindlichkeit des Bewerbers vorliegen und ob eine Auskunft beim Verfassungsschutz einzuholen ist.Hier haben Sie, die Sie doch immer wieder vorgeben, für die Humanisierung des Arbeitsplatzes einzutreten, ein, wie ich glaube, inhumanes und unsoziales Verfahren beschlossen: Der Kleinste muß nämlich jetzt den Buckel hinhalten, und das
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Dr. Klein
nicht nur in Einzelfällen, sondern tagtäglich. Allein in Nordrhein-Westfalen — um nur dieses eine Beispiel zu nennen — werden jährlich 9 000 Lehreranwärter eingestellt, und das kann der Minister nicht alles selber machen.Die Bundesregierung will den routinemäßigen Datenaustausch zwischen Verfassungsschutz und Einstellungsbehörde beschränken. Sie macht in diesem Zusammenhang auch Überlegungen aus dem Recht des Datenschutzes geltend. Es überrascht nicht, daß sie sich dabei auch auf Formulierungen aus dem ersten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz bezieht. Mit den in diesem Bericht vertretenen, keineswegs unproblematischen Ansichten gerade zur Frage der Weitergabe von Daten aus dem Bereich des Bundesamts für Verfassungsschutz kann ich mich hier nicht im einzelnen auseinandersetzen.Für unser Problem gilt: Die Einstellungsbehörden haben die klare rechtliche Verpflichtung, in den öffentlichen Dienst nur Personen zu übernehmen, die die Gewähr der Verfassungstreue bieten. Der Verfassungsschutz hat die gesetzliche und verfassungsrechtliche Verpflichtung Daten über Bestrebungen zu sammeln, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, und er hat diese Erkenntnisse auch an diejenigen weiterzugeben, die sie benötigen, um die ihnen durch Gesetz und Verfassung gestellten Aufgaben korrekt erfüllen zu können. Auf Anfrage der Einstellungsbehörde liefert der Verfassungsschutz nur gerichtsverwertbare Daten, die Zweifel an der Verfassungstreue des Bewerbers wecken können, und die Anfrage findet auch nur statt, wenn die Einstellung allein von der Feststellung der Verfassungstreue abhängt.In diesen beiden Punkten stimmen wir mit der Bundesregierung überein. Aber in diesem Rahmen ist die Weitergabe der Daten zur rechtmäßigen Erfüllung der Aufgaben der Einstellungsbehörden erforderlich, genau wie es auch § 10 des Bundesdatenschutzgesetzes verlangt.
Die Sammlung der relevanten Daten ist Aufgabe des Verfassungsschutzes und nicht der Einstellungsbzw. Dienstbehörde. Auch darin liegt ein rechtsstaatliches Element der Gewaltenteilung, das die neue Praxis der Bundesregierung über Bord wirft. Der Bundesinnenminister hat noch im Juli 1978 das bisherige Verfahren in einem Beitrag zu dem Bericht nach Art. 21 der Europäischen Sozialcharta als rechtens verteidigt. Heute stellt er seine Rechtmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit unter Hinweis auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Frage.In einem, wie ich annehme, uns allen vor wenigen Tagen zugegangenen Vortrag „Marxismus auf dem Vormarsch" fordert Golo Mann, sich gegen diesen Vormarsch zur Wehr zu setzen. Er sagt:Falsches Denken in der Offentlichkeit muß durch klareres, wahreres und wirklichkeitsnäheres Denken bekämpft werden. Man darf sich keine erschwindelten Begriffe gefallen lassen.Genau darin — das ist der Kernpunkt der heutigen Auseinandersetzung — haben Bundesregierung und Koalitionsparteien versagt.
Wo sind Sie den in durchsichtiger Absicht erlogenen Begriffen „Berufsverbot" und „Gesinnungsschnüffelei" mit aller Macht der Ihnen zu Gebote stehenden Publizität entgegengetreten?
Haben Sie sich diese Begriffe in vielen Fällen nicht vielmehr selbst zu eigen gemacht?
Haben Sie sich nicht an entsprechenden Kampagnen teilweise selber beteiligt, und haben Sie nicht schließlich vor diesen Kampagnen kapituliert?
So fördern SPD und FDP jene auf die Bekämpfung unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaates gerichtete Strategie der Systemüberwindung, die den langen Marsch durch die Institutionen als eines ihrer wesentlichen Elemente sorgsam einplant. Der Verstoß gegen die Verfassung des Grundgesetzes wird, wie immer die verbalen Rechtfertigungen lauten, zum kalkulierten Risiko einer Politik, die in der Absicht kurzfristiger Machterhaltung den linken Flügeln beider Koalitionsparteien die bessere Einsicht opfert und damit unser aller mittel- und langfristige Lebensinteressen leichtfertig aufs Spiel setzt.
Das ist eine besorgniserregende und verantwortungslose Politik.
Ich unterbreche die Beratungen der Punkte 2 a und b. Wir treten in die Mittagspause ein.
Das Plenum tritt um 14 Uhr zur Fragestunde wieder zusammen.
Meine Damen und Herren, die Sitzung wird fortgesetzt.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 8/2561 —Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekrétär Grüner zur Verfügung.Ich rufe Frage 28 des Herrn Abgeordneten Josten auf:Wie beurteilt die Bundesregierung unsere zukünftige Versorgung mit Erdöl und Erdölprodukten angesichts der neuesten Entwicklung im Iran?
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Herr Kollege, die Versorgung der Bundesrepublik mit Mineralöl ist zur Zeit ausreichend. Die zukünftige Entwicklung ist noch nicht sicher einzuschätzen. Anfang März wird sich der Verwaltungsrat der Internationalen Energieagentur mit der Situation auf dem Ölmarkt befassen. Von daher werden weitere Aufschlüsse über die Versorgungslage erwartet.
Gegenwärtig ergibt sich folgende Situation: Durch die Einstellung der iranischen Ölförderung seit Ende Dezember fallen in der Weltölversorgung ca. 10 % der normalen Liefermenge aus. Diese Fehlmengen werden gegenwärtig teilweise durch Förderungssteigerungen anderer Länder ausgeglichen. Der Hauptanteil entfällt 'dabei auf Saudi-Arabien. Unsicher bleibt, ob diese Reservekapazitäten ausreichen und ob die OPEC-Staaten gewillt sind, einen längerfristigen Ausfall des iranischen Öls voll zu kompensieren.
Eine Wiederaufnahme der iranischen Ölexporte würde die angespannte Situation auf dem Weltölmarkt augenblicklich verbessern, auch wenn die Ausfuhren nicht das ursprüngliche Niveau erreichen würden. Mit einer Aufnahme dieser. Ölausfuhren dürfte aber erst dann wieder zu rechnen sein, wenn sich die politischen Verhältnisse im Iran stabilisiert haben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise wird die Bundesregierung angesichts der Entwicklung im Iran der zwingenden Notwendigkeit, Energie zu sparen, Rechnung tragen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: ,Herr Kollege, wir haben ein umfangreiches, auch gesetzlich abgesichertes Netz von möglichen Maßnahmen, die wir ergreifen können, um Einsparungen zu erreichen. Im Augenblick besteht kein Anlaß, derartige Maßnahmen zu ergreifen, weil die nächsten Monate überschaubar kein Versorgungsrisiko für uns bringen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, rechnet die 'Bundesregierung in Kürze mit Preissteigerungen bei Benzin und Ö1?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Preissteigerungen sind ja, Herr Kollege, schon eingetreten. Verknappungstendenzen — auch im Zusammenhang mit den winterlichen Verhältnissen und dem dadurch bedingten erhöhten Verbrauch — haben dazu entscheidend beigetragen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß die Lücke, die durch den Ausfall der Lieferungen aus dem Iran entsteht, also rund 16 % unseres Imports, zur Zeit nur durch Regelungen ausgeglichen werden kann, die die multinationalen Unternehmen getroffen haben, und welche Sicherheit hat die Bundesregierung, daß die multinationalen Unternehmen auch in den nächsten Wochen die kontinuierliche Belieferung der Bundesrepublik mit Ö1 garantieren können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Sicherheit, die wir haben, ist die gleiche Sicherheit, die wir in der Energiepreiskrise 1973/74 hatten, nämlich daß die Bundesrepublik Deutschland ein außerordentlich interessanter Markt ist, und zwar ein Markt, auf dem die Zufuhr von Ö1 für die jenigen, die Ö1 liefern können, nicht durch dirigistische Eingriffe uninteressant wird. Das ist die einzige Sicherheit, die wir haben.
Selbstverständlich gibt es keine Sicherheit im Blick auf tatsächliche Versorgungsengpässe, die mit dem mengenmäßigen Rückgang von Lieferungen zusammenhängen.
Wir sind aber durch' die Ölbevorratung — die Vorräte sind in der Bundesrepublik sehr groß — durchaus in der Lage, Versorgungsengpässe auch über einen längeren Zeitraum auszugleichen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, ist durch besondere Vorsorgemaßnahmen der Bundesregierung die Versorgung der Landwirtschaft mit Dieselkraftstoff bzw. Dieselöl langfristig gesichert?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Frage ist mit der Einschränkung mit Ja zu beantworten, daß die Sicherheit unserer Energieversorgung für die Landwirtschaft ebenso groß ist wie für alle anderen Bereiche der Wirtschaft, insbesondere durch die Ö1vorratslager, die bei uns auf Grund gesetzlicher Vorschriften heute gegeben sind.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung,, darauf hinzuwirken, daß eventuelle weitere Preissteigerungen bei Heizöl und Treibstoff nicht auf Kosten von Arbeitnehmern mit geringerem Einkommen gehen?Grüner, Parl. Staatssekretär: ' Die Möglichkeiten, die wir sehen, liegen vor allem darin, daß wir der Bevölkerung sagen — was der Tatsache entspricht —, daß kein Anlaß besteht, aktuell mit Versorgungsschwierigkeiten zu rechnen. Daher raten wir auch davon ab, etwa durch Vorratskäufe die Nachfrage ohne Not zu verstärken. Das hat schon jetzt einen ausgesprochen dämpfenden Einfluß auf die Nachfrage. Das macht beispielsweise die Benzinpreisentwidclung in unserem Lande deutlich.
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Parl. Staatssekretär GrünerBei uns bestehen vom reinem Benzinpreis her, also losgelöst von der steuerlichen Belastung gesehen, nach wie vor die günstigsten Bezugsmöglichkeiten bei Benzin in Europa überhaupt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Meinike.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Pressemitteilungen, die davon ausgehen, daß die Bundesregierung ihre Energiefortschreibung im Hinblick auf die Ölschwierigkeiten zugunsten von Kernenergie korrigieren werde, Spekulationen sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Davon können Sie ausgehen. Allerdings macht diese aktuelle Krise erneut deutlich, daß die Kernenergie die Möglichkeit bietet, die Erpreßbarkeit und Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu mindern, und sie ihre Bedeutung behalten hat, die ja im Energieprogramm der Bundesregierung entsprechend dargestellt worden ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Coppik.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Gansel so verstehen, daß für den Fall, daß die Bundesregierung dirigistische Vorsorgemaßnahmen — was auch immer darunter zu verstehen ist — ergreifen würde, eine Belieferung durch die multinationalen Konzerne nicht mehr gewährleistet wäre?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, so dürfen Sie die Antwort nicht verstehen. Sie kennen ja die vom Parlament geschaffenen gesetzlichen Möglichkeiten der Bundesregierung, etwa durch Verordnungen auf eine Mengenverknappung zu reagieren. Mein Hinweis sollte nur deutlich machen, daß ein Höchstmaß an Sicherheit der Versorgung so lange gegeben ist, solange die internationalen Ölgesellschaften von der Preisseite her ein Interesse an der Belieferung haben. Eine etwa aus sozialen Gesichtspunkten eingeführte Preisregulierung würde das Gegenteil von dem bewirken, was man damit bezwecken wollte.
Wir wissen, daß die deutsche Volkswirtschaft und damit die deutsche Bevölkerung die Energiepreiskrise des Jahres 1973/74 mit den im Vergleich zu anderen Staaten geringsten volkswirtschaftlichen Kosten überstanden hat, und zwar entscheidend deshalb, weil wir alle dirigistischen Eingriffe damals so weit wie irgend möglich vermieden haben, selbst um den Preis vorübergehend hoher Preiszuschläge, die sich aber letztlich für die Masse der Bevölkerung als materieller Vorteil erwiesen haben, weil kein Betrieb seine Arbeit hätte einstellen müssen — um nur ein Beispiel zu erwähnen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Gedenkt die Bundesregierung auch Vorsorgemaßnahmen der Art zu treffen, wie sie das US-Energieministerium nach einem Artikel in der Wirtschaftswoche vom 5. Februar 1979 durch die Vorbereitung einer Benzinrationierung und die Ausgabe von Benzinbons an Bankschaltern plant?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung sieht in Anbetracht der aufgezeigten Versorgungslage keinen Anlaß, eine Benzinrationierung zu erwägen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Grüner, kann die Bundesregierung auf Grund von Nachrichten bestätigen, daß in Washington für eine Ölkrise entsprechende Maßnahmen geplant sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann die Bundesregierung bestätigen. Ebenso verfügen ja auch wir für den Fall einer Krise über ein . entsprechendes Instrumentarium, das uns der Bundestag an die Hand gegeben hat.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung denn darauf einwirken, daß unsere Vorräte auf dem Ölsektor weiter ergänzt werden, oder sollen die Vorräte jetzt reduziert werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Da eine aktuelle Versorgungskrise bisher nicht eingetreten ist, besteht auch kein Anlaß, im Augenblick auf die Vorräte zurückzugreifen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht doch sinnvoll, daß die Bundesregierung energischer als bisher an die Bevölkerung appelliert, insbesondere mit dem Verbrauch von Erdöl und Benzin sparsamer umzugehen, anstatt den Eindruck zu erwekken, man brauche sich keine Sorgen zu machen, weil die Versorgung bis auf weiteres gewährleistet sei?Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat eine seit über einem. Jahr laufende intensive Informationskampagne über die Notwendigkeit der Energieeinsparungen im Rahmen der ihr vom Haushaltsauschuß zur Verfügung gestellten Mittel gestartet. Sie legt aber allergrößten Wert darauf, deutlich zu machen, daß in der gegenwärtigen Phase kein Anlaß zur Panik besteht. Ebensowenig verleugnet oder verschweigt sie allerdings, daß eine solche Situation eintreten könnte. Das muß ich mit großem Nachdruck unterstreichen. Die große Gefahr in der jetzigen Lage besteht doch darin, daß wir — etwa durch zusätzliche Kampagnen — in der Offentlichkeit den falschen Eindruck erwecken wür-
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10928 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Parl. Staatssekretär Grünerden, es bestünde Anlaß zu aktueller Besorgnis, was mitten im Winter zum Gegenteil dessen führen würde, was wir haben wollen.
Dies ändert nichts daran, daß wir auch diese Situation zum Anlaß nehmen, ganz generell und mit großen Nachdruck auf die Notwendigkeit von Energieeinsparungen hinzuweisen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß die Bundesregierung in außerordentlichen Fällen durchaus in der Lage und gewillt ist, hinsichtlich der Ölversorgung für bestimmte Sektoren zur Abwendung von Notfällen Prioritäten zu setzen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Davon kann man ausgehen. Dafür hat uns das Parlament die notwendigen Vollmachten an die Hand gegeben.
Keine weitere Frage.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Hofmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ihre Subventionen an die Firma Siemens Aktiengesellschaft mit der Auflage bzw. dem Appell zu verbinden, daß sie ihre Betriebe im Zonenrandgebiet nicht schließt bzw. keine Arbeitsplatzreduzierungen (Neustadt bei Coburg) vornimmt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Instrumente der regionalen Wirtschaftspolitik sind darauf ausgerichtet, den Unternehmen Anreize für Investitionsentscheidungen zu geben, damit in Fördergebieten neue Dauerarbeitsplätze entstehen. Die Investitionsentscheidungen selbst sowie alle Folgeentscheidungen treffen die Unternehmen jedoch in eigener Verantwortung unter Beachtung der Mitwirkungs-
und Mitbestimmungrechte der Arbeitnehmer.
Es liegt im Rahmen dieser unternehmerischen Entscheidung, wenn eine Firma an verschiedenen Orten befindliche Betriebsstätten fortlaufend auf ihre Wettbewerbsfähigkeit überprüft. Die Regelungen des Investitionszulagengesetzes und des Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe enthalten verschiedene Bestimmungen, durch die Mißbrauchstatbestände erfaßt werden. Hinzuweisen ist vor allem auf die für bewegliche Wirtschaftsgüter erforderliche Verbleibdauer von mindestens drei Jahren sowie auf die bei der Förderung von Verlagerungen und bei der Unterschreitung von Arbeitsplatzzielen geltenden Bestimmungen. Auf der Grundlage dieser Regelungen kann die Förderung gegebenenfalls ganz oder teilweise zurückverlangt werden. Im übrigen geht die Bundesregierung davon aus, daß die für die Durchführung der regionalen Wirtschaftsförderung zuständigen Dienststellen der Länder eine mißbräuchliche Inanspruchnahme öffentlicher Mittel verhindern bzw. bei Vorliegen von Mißbrauchstatbeständen entsprechende gerichtliche Schritte einleiten.
In diesem Sinne war Ihre Frage, Herr Kollege, bereits schriftlich beantwortet worden. Ihre Bitte um erneute Beantwortung in der heutigen Fragestunde gibt mir Veranlassung, ergänzend auf folgendes hinzuweisen. Die finanziellen Anreize, die die regionale Wirtschaftspolitik in den förderungsbedürftgen Regionen zur Schaffung bzw. zur Sicherung von Dauerarbeitsplätzen für Investitionen der gewerblichen Wirtschaft gewährt, sollen und dürfen den ständigen Prozeß unserer Wirtschaft, sich strukturellen Veränderungen des Marktes anzupassen, nicht verhindern. Deshalb wird es auch von der regionalen Wirtschaftspolitik hingenommen werden müssen, wenn unrentabel gewordene Produktionskapazitäten in den Fördergebieten aufgegeben werden. Der große Vorteil der förderungsbedürftigen Regionen besteht darin, daß hier den Unternehmen erhebliche Förderungsmittel für Investitionen zur Verfügung gestellt werden, damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß der Appell der Bundesregierung, ihre Strukturpolitik zu unterstützen, von einem Konzern, der Milionen DM vom Bund erhalten hat und erhält — nicht nur Investitionszulagen —, ungehört bliebe?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe die Prinzipien dargelegt, nach denen unsere Förderungspolitik gestaltet ist. Diesen Prinzipien unterliegt die kleine Firma ebenso wie der Konzern. Ich habe diesen grundsätzlichen Bemerkungen deshalb nichts hinzuzufügen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß Ihre Antwort zufriedenstellend sein kann, wenn man weiß, daß derselbe Konzern in Ballungsgebieten Arbeitskräfte sucht und zur gleichen Zeit im Zonenrandgebiet Arbeitsplätze abbaut bzw. sogar ein Werk schließen will?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich meine, daß wir nicht mit zweierlei Maß messen können und daß der Versuch, etwa aus anderen als wirtschaftlich motivierten Erwägungen politischen Druck auszuüben, ungewöhnlich negative Auswirkungen auf die Ansiedlungsbereitschaft gerade auch großer Unternehmen haben müßte.
Keine Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Gobrecht auf:Sind der Bundesregierung die Ergebnisse und Folgerungen des u. a. von der niedersächsischen Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutchtens über die Abgabenbelastung, der erdöl- und erdgasfördernden Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland und Nachbarländern bekannt, kann sie diese mitteilen und sich dazu äußern, ob und in welcher Weise die Bundesregierung gegebenenfalls auf die niedersächsische Landesregierung einwirkt, um alsbaldige Verhandlungen zu einer Erhöhung der Förderzinsen bei inländischem Erdöl und Erdgas zu veranlassen?
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Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Inhalt des Gutachtens ist der Bundesregierung bekannt, Herr Kollege. Die Gutachter hielten mangels, verfügbarer in-und ausländischer Unternehmensdaten einen empirischen Vergleich der tatsächlich entrichteten Abgaben und Steuern nicht für möglich und haben statt dessen drei Modellrechnungen durchgeführt. Entsprechend den hierbei unterstellten unterschiedlichen Sachverhalten kommt das Gutachten auch zu jeweils anderen Ergebnissen. Dabei liegt die steuerliche Belastung der Bundesrepublik je nach Modellannahme über oder unter derjenigen vergleichbarer Nachbarländer.Die Auswertung des Gutachtens durch die Auftraggeber ist noch nicht abgeschlossen. Insbesondere wurde über seine Veröffentlichung noch nicht entschieden. Ich bitte daher um Verständnis, wenn sich die Bundesregierung zu dieser Stunde noch nicht über Einzelheiten des Gutachtens äußern kann.Generell läßt sich jedoch sagen: Alle drei im Gutachten untersuchten Modelle haben den Nachteil, daß sie die Wirklichkeit nur unzulänglich erfassen. Jedes Modell kann daher mit guten Argumenten relativiert werden. Ich möchte auf dieser Basis vor allzu optimistischen Erwartungen hinsichtlich der praktischen Verwertbarkeit dieses Gutachtens eher abraten.Die Bundesregierung hat sich gegenüber der niedersächsischen Landesregierung für eine alsbaldige Aufnahme der Förderzinsverhandlungen mit den Gesellschaften eingesetzt. Sie rechnet mit einem Fortgang der Verhandlungen spätestens im Frühjahr.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da aus Ihrer Antwort offenbar hervorgehen soll, daß es im Grunde genommen unmöglich ist, einen Vergleich der internationalen Abgabenbelastungen vorzunehmen: Sehen Sie einen Sinn darin, daß möglicherweise ein neues Gutachten vorgelegt wird, und wie verstehen Sie es, daß erst demnächst mit dem Ziel einer Erhöhung der Förderzinsen verhandelt werden soll, nachdem doch dieses Gutachten schon seit dem Frühherbst vorigen Jahres vorliegt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Beteiligten haben sich von diesem Gutachten eine Entscheidungshilfe in ihrem Streit versprochen. Ich hoffe, daß dieses Gutachten diesen Erfolg auch bringen wird.
Wir als Bundesregierung haben nach wie vor die Auffassung, daß die Förderzinsverhandlungen weitergeführt und zu einem raschen Abschluß gebracht werden sollen. Ich weise aber darauf hin, daß das eine Auseinandersetzung ist, die in allererster Linie zwischen den Beteiligten ausgetragen werden muß.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß wir auf die Sicherheit der Ö1versorgung der Bundesrepublik Wert legen müssen, frage ich Sie: Hat die Bundesregierung keine anderen Instrumente zur Verfügung, um auf eine alsbaldige Erhöhung des Förderzinses hinzuwirken, denn eine von Wettbewerbsverzerrungen freie Ö1wirtschaft ist doch im Interesse der Versorgung der Bundesrepublik mit Erdöl nötig?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, durch die Verteuerung des Erdöls hat sich von der Konkurrenzsituation her eher eine Entspannung des Verhältnisses der Mineralölgesellschaften untereinander ergeben, weil auch weniger „begünstigte" Mineralölgesellschaften mittlerweile wieder die Chance haben, in schwarze Zahlen zu kommen. Von daher sehe ich in der Forcierung der Förderzinsverhandlungen keinen zusätzlichen Anstoß, etwa unsere Versorgungssicherheit zu fördern. Das grundsätzliche Problem bleibt allerdings bestehen, wie ich ausgeführt habe.
Keine Zusatzfrage. — Dann rufe ich Frage 33 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:Über welche Erfahrungen verfügt die Bundesregierung mit der Novellierung des Kriegswaffenkontrollgesetzes, nach der die Genehmigungspflicht für den Handel und die Weitergabe von Kriegswaffen auch auf die Vermittlung von Kriegswaffen im Ausland ausgedehnt worden ist?Grüner, Parl. Staatssekretär: Der auf Initiative des Innenausschusses vom Parlament aus sicherheitspolitischen Überlegungen in das Kriegswaffenkontrollgesetz eingefügte § 4 a ist jetzt etwa ein halbes Jahr in Kraft. Dieser Zeitraum ist zu kurz, um schon jetzt ein Urteil über die sicherheitspolitischen Auswirkungen des § 4 a des Kriegswaffenkontrollgesetzes abgeben zu können. Nach einem Bericht des Bundeskriminalamtes zeigt sich allerdings eine Tendenz, illegale Vermittlungsgeschäfte in das Ausland zu verlegen. Dies läge im Rahmen der mit § 4 a KWG verfolgten Zielsetzung, die Bundesrepublik Deutschland nicht zu einem Tummelplatz des internationalen Handels mit Kriegswaffen werden zu lassen.Diese Zielsetzung hat zwangsläufig zur Kodifizierung von Tatbeständen geführt, die sich auch auf bestimmte Geschäfte deutscher Handels- und Rüstungsunternehmen mit Kriegswaffen im Ausland auswirken mußten. Sie sind zwar nicht verboten, bedürfen aber einer Erlaubnis. Der mit dem Einholen der Erlaubnis verbundene Zeitverlust wirkt sich jedoch nach Auffassung der betroffenen Unternehmen praktisch wie ein Verbot aus. Mit aus diesem Grunde sind bei den Erlaubnisbehörden bisher lediglich 54 Anträge eingegangen, davon 43 von ein und demselben Handelsunternehmen. Die Anträge wurden wie folgt entschieden: Erlaubnis erteilt 28, Erlaubnis abgelehnt 11, Antrag ohne Entscheidung erledigt 4, Entscheidung noch offen 11.Um einen Überblick über die Auswirkungen des § 4 a des Kriegswaffenkontrollgesetzes auf die Wirtschaft zu erhalten, hat das Bundesministerium für Wirtschaft kürzlich die betroffenen Verbände und Unternehmen angehört. Danach sind offenbar nur relativ wenige Unternehmen, insbesondere solche
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10930 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Parl. Staatssekretär Grünerbetroffen, die in Kooperation mit ausländischen Partnern oder ausländischen Töchtern im Ausland Kriegswaffen herstellen und vom Bundesgebiet aus vertreiben, sowie reine Handelsunternehmen. Von der Wirtschaft wurde in diesem Zusammenhang ganz allgemein darauf hingewiesen, daß die Unternehmen nach Einführung des § 4 a KWG nur die Wahl hätten, die einschlägigen Geschäfte zu unterlassen oder, wie vom Gesetz zugelassen, ins Ausland zu verlagern. Konkrete Angaben über entgangene Geschäftsmöglichkeiten liegen der Bundesregierung bisher nicht vor.Vizepräsident Frau Funcke. Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat es wegen Verstoßes gegen § 4 a des Kriegswaffenkontrollgesetzes — solche Verstöße können ja mit Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren Gefängnis geahndet werden —
staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegeben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich müßte Ihnen diese Frage schriftlich beantworten. Ich bin darauf nicht vorbereitet, Herr Kollege.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da die Einführung dieser Vorschrift durch den Innenausschuß auf erhebliche Kritik interessierter Rüstungswirtschaftskreise gestoßen ist und da in diesem Zusammenhang auch eine Verfassungsbeschwerde angekündigt worden ist, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, Abgeordneten des Bundestages zur vertraulichen Information einzelne Unterlagen über Genehmigungen und über Ablehnungen zur Verfügung zu stellen, damit sie sich ein Urteil darüber machen können, ob dieses Gesetz die in die Novellierung gesetzten Erwartungen erfüllt. Im übrigen möchte ich mich für die ausführliche. Antwort bedanken.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir sind selbstverständlich bereit, im Rahmen des rechtlich Möglichen und Zulässigen jede Auskunft zu geben, zu der wir auf Grund gesetzlicher Bestimmungen ermächtigt sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, eine Interpretation in bezug auf die Zielsetzung dieser Novellierung in Anbetracht der Vielzahl der Genehmigungen von Anträgen, die Sie genannt haben, zu geben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe die Zielsetzungen dieses vom Parlament initiierten § 4 a gerade dargelegt, nämlich zu verhindern, daß die Bundesrepublik Deutschland zu einem Zentrum oder zu einem Schwerpunkt des Waffenhandels werden kann. Meine Antwort zeigt deutlich, daß § 4 a in seiner Anwendung wirksam ist und dieser Tendenz mit ausgesprochener Wirkung entgegentritt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Meinike.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht dennoch für nachdenkenswert, daß die Mehrzahl der Anträge, die gestellt worden sind, genehmigt worden ist, wobei ja doch davon. auszugehen ist, daß diese Beschränkung eigentlich darauf abgestellt ist, den Handel mit Waffen zu behindern oder zu verhindern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, ich halte das nicht für bedenklich, weil wir im Rahmen der uns vom Parlament gezogenen Grenzen nicht etwa ganz generell einen derartigen Handel zu untersagen haben, sondern im Rahmen der Gesetze Genehmigungen erteilen können oder sie verweigern müssen. Die Entscheidungen, die ich hier zahlenmäßig aufgeführt habe, haben sich streng an die Grenzen gehalten, die uns durch das Kriegswaffenkontrollgesetz gezogen sind.
Keine Frage.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Kittelmann auf :
Trifft es zu, daß die Zahlen über die Auftragseingänge in der Industrie für Dezember bereits am 2. Februar dem Bundeswirtschaftsministerium vom Statistischen Bundesamt gemeldet wurden, die Freigabe der Veröffentlichung dieser Zahlen vom Bundeswirtschaftsministerium aber bis einschließlich 8. Februar nicht erfolgte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Zahlen über die vorläufigen Auftragseingangswerte im verarbeitenden Gewerbe für Dezember 1978 wurden dem Bundeswirtschaftsministerium vom Statistischen Bundesamt am 5. Februar 1979 gemeldet. Die Freigabe zur Veröffentlichung durch das Bundeswirtschaftsministerium erfolgte am 9. Februar 1979.
Zusatzfrage,
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß normalerweise die Zahlen über die Auftragseingänge zwischen dem 2. und dem 5. eines jeden Monats da sind — ich könnte hier die Zahlen des letzten Jahres nennen, erspare es mir aber aus Zeitgründen; nur damit Sie wissen, daß ich sie vorliegen habe —, und ist das Bundeswirtschaftsministerium bereit, künftig darauf zu achten, daß die Terminspanne wie normal eingehalten wird, insbesondere wenn kurz nach diesem Zeitraum der erwarteten Veröffentlichung im Deutschen Bundestag wirtschaftspolitische Themen behandelt werden?Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, ich kann Ihnen das bestätigen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10931
Parl. Staatssekretär Grüner,Ich darf vielleicht, wenn Sie einverstanden sind, gleich die Antwort auf Ihre nächste Frage geben, weil damit deutlich wird, was Grund dieser Verzögerung war.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Kittelmann auf:
Welche Begründung kann der Bundeswirtschaftsminister gegebenenfalls für diesen Sachverhalt geben, insbesondere weil diese Zahlen für Dezember im Hinblick auf die Debatte über das Gutachten des Sachverständigenrats und des Jahreswirtschaftsberichts von besonderem Interesse gewesen wären?
Grüner, Parl Staatssekretär: Die Verzögerung lag daran, daß kurz vor der zunächst vorgesehenen Veröffentlichung der Daten eine bedeutende Firma ihre Angaben für Dezember beträchtlich revidierte. Dies führte zu erheblichen Korrekturen der zuvor gemeldeten Zahlen. Wegen der damit notwendigen Neuberechnungen war eine Veröffentlichung erst am 9. Februar 1979 möglich.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegt nicht trotz Ihrer Antwort eben der Verdacht nahe, wenn man das nachträglich korrigierte Datum der Pressemitteilung 46/41 vom 9. Februar nimmt — vorher stand der 8. Februar da — und die nächste Pressemitteilung Nr. 46/42 das Datum vom 8. Februar trägt, daß die Mitteilung über die Auftragseingänge zumindest am 8. Februar bereits gedruckt im Bundeswirtschaftsministerium vorlag, und hätte sie demnach nicht an diesem Tage veröffentlicht werden können, und warum geschah dies dann nicht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben das allergrößte Interesse daran, so schnell wie möglich die richtigen Daten zu veröffentlichen. Wir haben ein besonderes Interesse daran, nach Möglichkeit veröffentlichte Daten nicht korrigieren zu müssen, weil das ständig zu besonderer Kritik Anlaß gibt. Von daher war es richtig und notwendig, eine erkennbar notwendige Korrektur vorzunehmen, ehe Daten veröffentlicht werden. Dafür bitte ich um Verständnis, weil in der Vergangenheit mit Recht Kritik an veröffentlichten Zahlen geübt worden ist, die wir auf Grund von Berichtigungen nachträglich korrigieren mußten.
Weitere Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, Sie würden also den Verdacht weit von sich weisen, daß es nicht nur Zufall war? Die Zahlen vor allen Dingen für Dezember passen nicht so in das optimistische Bild, das im Jahreswirtschaftsbericht dargestellt worden ist.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß das Bundeswirtschaftsministerium für Sachlichkeit und Objektivität bürgt.
Keine Frage.
Ich rufe Frage 88 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Trifft es zu, daß die Firma MBB 1900 Panzerabwehrraketen vom Typ „Mamba" an Chile geliefert hat (Stern 5/1979, Seite 154 f.)?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wie die Geschäftsleitung der Firma der Bundesregierung auf Anfrage ausdrücklich bestiätigt hat, sind keine Lieferungen dieser Waffe durch MBB an Chile erfolgt. Die Panzerabwehrrakete „Mamba" wird seit Jahren nicht mehr von der Firma MBB gebaut, was im übrigen auch aus dem Artikel des „Stern", Seite 157, hervorgeht.
Eine Zusatzfrage.
Angesichts der Tatsache, Herr Staatssekretär, daß aus dem Artikel auf Seite 157 des „Stern" hervorgeht, daß zwar keine Waffen, wohl aber Einzelteile ah Italien geliefert worden und dort zu Waffen zusammengebaut worden sind, die dann unter Einschaltung eines MBB-Vertreters, der sich sogar um obskure Fluggesellschaften bemüht hat, um diesen Transport sicherzustellen, an Chile weiterexportiert worden sind, möchte ich Sie fragen, ob dies nicht ein klassischer Fall des Unterlaufens der von der Bundesregierung sich selbst auferlegten Grundsätze zur Beschränkung des Rüstungsexports ist.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn das, was der „Stern" hier darstellt, zutreffen sollte — ich kann das hier nicht nachvollziehen —, dann besteht für die Bundesrepublik Deutschland keine Möglichkeit, etwa Italiener oder Franzosen daran zu hindern, in ihrem Land montierte oder gebaute Waffen in Drittstaaten zu liefern, es sei denn, wir würden auf Grund einer Kooperationsvereinbarung als Regierung von unserer Möglichkeit Gebrauch machen, eine Kooperation von vornherein unter den Vorbehalt zu stellen, daß Zulieferungen aus Deutschland von unseren NATO-Kooperationspartnern nicht für Rüstungslieferungen in Drittländer verwendet werden dürfen. Wenn wir das generell täten, so würde das allerdings wohl zum Ende der Waffenkooperation innerhalb der NATO führen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mit mir übereinstimmen, wenn ich sage, daß die Bundesregierung als Hauptauftraggeber der Firma MBB eine besondere Pflicht hätte, nachzuprüfen, ob Firmenvertreter von MBB an illegalen Waffengeschäften, auch wenn sie über Strohmänner im Ausland getätigt werden, beteiligt sind, da ja alle Deutschen unter das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz und andere gesetzliche Beschränkungen, die in der Bundesrepublik gelten, fallen?Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung und die zuständigen Staatsan-
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10932 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Parl. Staatssekretär Grünerwaltschafen würden jeder ihr bekanntwerdenden illegalen Transaktion mit großem Nachdruck nachgehen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, da es sich hierbei um den Verkauf von Waffen handelt, die sich im Ausland — Italien — befanden, und da aus dem Bericht des „Stern" eindeutig und undementiert hervorgeht, daß ein Beauftragter von MBB in das Waffengeschäft verwickelt war, möchte ich Sie fragen, ob es nicht naheliegt, daß § 4 a des Kriegswaffenkontrollgesetzes, in dem es heißt:
Wer einen Vertrag über den Erwerb oder das Überlassen von Kriegswaffen, die sich außerhalb des Bundesgebietes befinden, vermitteln oder die Gelegenheit zum Abschluß eines solchen Vertrags nachweisen will, bedarf der Genehmigung
verletzt worden ist, und ob die Bundesregierung bereit ist, den Sachverhalt — notfalls unter Einschaltung von Staatsanwaltschaft und Polizei — aufklären zu lassen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bitte um Verständnis, daß ich die Frage beantworte, die mir gestellt worden ist. Ich habe mich auf Grund der hier vorliegenden Anfragen nicht mit der Frage zu beschäftigen, ob etwa die Möglichkeit besteht, daß ein Vertreter der Firma MBB illegal Waffengeschäfte durchgeführt hat. Ich kann dazu nicht Stellung nehmen, bin aber selbstverständlich bereit, dieser Frage auf Grund Ihrer heutigen Anfrage nachzugehen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Meinike auf:
Für welche nodi nicht abgeschlossenen Waffengeschäfte nach dem Iran hat die Bundesregierung Exportgenehmigungen erteilt, und in welcher Höhe sind diese Geschäfte durch Hermes-Bürgschaften abgesichert?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat ihre Zustimmung zum Export von sechs U-Booten im Mai 1977 und von vier Fregatten im Oktober 1978 intern beschlossen. Hinsichtlich der U-Boote wurde der Werft eine Genehmigung zur Herstellung, aber noch nicht zur Ausfuhr erteilt. Im Falle der Fregatten fehlt es zur Zeit noch sowohl an einer Herstellungs- als auch an einer Exportgenehmigung.
Die Bundesregierung hat, wie in solchen Fällen üblich, den betroffenen Werften die spätere Erteilung der nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz erforderlichen Genehmigungen unter der Voraussetzung in Aussicht gestellt, daß sich die maßgeblichen politischen Umstände nicht wesentlich ändern.
Konkrete Anträge auf Erteilung der Ausfuhrgenehmigungen für die fraglichen Schiffe haben die Werften noch nicht gestellt. Erst wenn diese Anträge vorliegen, wird hierüber unter Berücksichtigung der dann im Iran herrschenden politischen Verhältnisse zu entscheiden sein.
In Höhe von ca. 1 Milliarde DM wurde das U-Boot-Geschäft durch eine Hermes-Bürgschaft abgesichert.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, muß man nach Ihrer Antwort davon ausgehen, daß im Falle von ausbleibenden Zahlungen eine Schadenersatzregelung ausschließlich über Hermes-Bürgschaften und nicht über andere Ersatzansprüche geregelt werden kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im konkreten Fall hat der Iran auf die U-Boot-Lieferung bereits 30 % des Kaufpreises angezahlt, d. h. 300 Millionen DM. Theoretisch könnten die Exporteure also allenfalls Schäden bis zu 700 Millionen DM gegenüber Hermes geltend machen. Etwaige Schäden sind aber wahrscheinlich erheblich geringer, da die Fertigung eingestellt oder erheblich begrenzt werden könnte.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es im Hinblick darauf, daß die ersatzweise Inanspruchnahme von Hermes-Bürgschaften mittelbar den Steuerzahler trifft, für möglich, bei der Bundesregierung die Überlegung anzustellen, ob man Waffenlieferungen und dann ausbleibende Zahlungen überhaupt durch Hermes-Bürgschaften absichern sollte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Überlegung wird bei jeder einzelnen Hermes-Entscheidung sehr gründlich angestellt.
— Ich` bin nicht der Meinung, daß es richtig wäre, etwas grundsätzlich auszuschließen, obwohl es richtig ist, daß in der Regel für Rüstungsgeschäfte Hermes-Deckungen nicht gegeben, in der Regel auch nicht beantragt werden. Aber es gibt Ausnahmefälle, und wir haben hier einen solchen Ausnahmefall.
Im übrigen weise ich darauf hin, daß die HermesDeckungsmittel von denen, die diese Versicherung in Anspruch nehmen, selber über Prämien aufgebracht werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gansel.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10933
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eine Chance, wenn die Waffenexportgeschäfte platzen; in Verhandlungen mit der iranischen Regierung zu erreichen, daß anstelle dieser Geschäfte neue vertragliche Vereinbarungen über die Lieferung von Gütern, die die wirtschaftliche und friedliche Entwicklung des Landes fördern werden, getroffen werden können? Ist die Bundesregierung bereit, solche Umwandlung von Verträgen großzügig zu unterstützen, um dadurch den Schaden, der durch die Inanspruchnahme der Hermes-Bürgschaften für die Bundesrepublik entstehen würde, so gering wie möglich zu halten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist bereit, die Wünsche einer iranischen Regierung zur Entwicklung des eigenen Landes im Rahmen der wirtschaftlichen Kooperation nach Kräften zu unterstützen. Welche Wünsche diese iranische Regierung haben wird, läßt sich im Augenblick nicht absehen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Coppik.
Herr Staatssekretär, haben bei der Beurteilung des Risikos von Exporten in den Iran für die Heimes-Versicherung auch Auffassungen eine Rolle gespielt, wie sie etwa der Herr Kollege Dregger vertreten hat: daß es sich hierbei um eines der stabilsten Länder der freien Welt handelt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bei diesen Lieferungen war ein ausschlaggebender Gesichtspunkt, daß einmal die Lage der deutschen Werftindustrie derartige Lieferungen durchaus angezeigt erscheinen ließ und daß zum anderen die hier in Aussicht genommenen Fregatten und U-Boote nicht etwa in innenpolitschen Auseinandersetzungen Verwendung finden konnten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Haase.
Verehrter Herr Staatssekretär, falls die persische Regierung vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommt und daraus Schadensersatzansprüche resultieren: Wie beurteilen Sie die Möglichkeit, daß im Rahmen dieser Schadensersatzansprüche auf Vermögenstitel der persischen Regierung in der Bundesrepublik Deutschland zurückgegriffen werden kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte zu dieser Frage, weil sie hypothetisch ist, keine Stellung nehmen.
Herr Kollege, Sie hatten nur eine Frage.
Damit sind alle Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet. Ich
danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Die beiden Fragen 67 und 68 aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes werden auf Bitten des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Dr. Marx, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister von Dohnanyi zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Mertes auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß bei den Wiener Truppenabbauverhandlungen die östliche Seite etwas zum Besseren geändert hat in ihren Vorstellungen, aber man nichts Entsprechendes vom Westen hört?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der Westen bei den Wiener MBFRVerhandlungen konkrete Vorschläge unterbreitet hat. Das westliche Bündnis hat am 19. April 1978 Vorschläge unterbreitet, auf die die östlichen Länder am 8. Juni 1978 geantwortet haben. Über die Vorschläge wird jetzt im einzelnen substantiell verhandelt.
Nach Auffassung der Bundesregierung ist es auf die westliche Verhandlungsinitiative vom April 1978 zurückzuführen, daß im vergangenen Jahr Bewegung in die MBFR-Verhandlungen gekommen ist. Die Initiative, die unter anderem auf eine Anregung der Bundesregierung im Bündnis aufbaut, gründet auf dem Prinzip der Parität und der Kollektivität und stellt dabei auch Anliegen der Gegenseite in Rechnung. Die östliche Antwort zeigt zwar gewisse Übereinstimmung im strukturellen und konzeptionellen Bereich, läßt jedoch wichtige Substanzfragen offen. Hierüber muß nun weiter verhandelt werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß es insbesondere bezüglich der Wiener Truppenabbauverhandlungen eine schwache Stelle der außenpolitischen Präsentation unseres Landes in der Regierung selbst gibt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung ist nicht dieser Auffassung, Herr Kollege Mertes.
Eine weitere Frage.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die bisherigen östlichen Reaktionen in Wien auf die sehr weitgehenden Angebote und Initiativen des Westens zur Erreichung von ausgewogenen Fortschritten bei den Truppenabbauverhandlungen bisher auf keinen Fall genügen, das Atlantische Bündnis zu weiteren Angeboten zu veranlassen?
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10934 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, der Stand der Verhandlungen kann nicht Gegenstand einer öffentlichen Darstellung hier sein. Infolgedessen kann ich auch die Frage nicht beantworten, welchen nächsten Zug das westliche Bündnis in diesen Verhandlungen machen kann.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Herstellung wirklicher Parität im geplanten MBFRReduzierungsraum auf dem Gebiet der Mannschaftsstärken und die Verminderung der östlichen Panzerüberlegenheit von vitaler Bedeutung für eine glaubwürdige Rüstungskontrollpolitik ist und daß es sich daher bei der Zahlendiskussion in Wien nicht um ein technisches, sondern um ein hochpolitisches Thema handelt, das nicht als „unpolitischer Expertenkram" zum Schaden des westlichen Bündnisses abgewertet werden darf?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege. die Verhandlungen in- Wien. sind technisch im einzelnen und selbstverständlich politisch im Inhalt. Im übrigen möchte ich mich beziehen auf das Kommuniqué der Ministertagung des Nordatlantikrats vom 7. und. 8. Dezember in Brüssel, veröffentlicht im Bulletin der Bundesregierung vom 13. Dezember 1978, in dem ausdrücklich von den Ministern als Ziel dieser Verhandlung die Herstellung eines ungefähren Gleichstandes der Landstreitkräfte in Form einer übereinstimmenden kollektiven Gesamthöchststärke im Personalbestand beider Seiten und der Verminderung der Disparität bei den Kampfpanzern als Ziel der Verhandlungen bekräftigt wird.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wörner.
Herr Staatsminister, wenn Sie es, wie eben gesagt, nicht für förderlich halten, daß Verhandlungspositionen des Westens hier dargestellt werden, halten Sie es dann für förderlich, daß der Fraktionsvorsitzende der stärksten Regierungspartei solche Erörterungen in der Offentlichkeit — und das noch kritisch gegenüber der eigenen Regierung — anstellt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Wörner, Sie wissen, es ist eine alte Praxis in diesem Hause, Meinungsäußerungen aus den Fraktionen des Deutschen Bundestages von seiten der Bundesregierung in keiner Beziehung zu kommentieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt.
Herr Staatsminister, halten Sie es für sinnvoll, daß sowohl der Westen wie der Osten ständig an einer weiteren Verbesserung ihrer bisherigen Positionen bei den MBFR-Verhandlungen arbeiten — und damit auch bisherige Positionen jeweils kritisch überprüfen —, um durch solche zusätzlichen Impulse von der Sache her zu einem Abschluß der Verhandlungen in nicht zu ferner Zukunft kommen zu können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Sie haben, Herr Kollege, das Verfahren von Verhandlungen beschrieben. Verhandlungen setzen selbstverständlich voraus, daß jede Seite immer wieder die Position des anderen und die eigene Position überprüft.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Corterier.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, wenn ich feststelle, daß die sogenannte Option III ein wichtiger Bestandteil der westlichen Verhandlungsposition bei den MBFR-Verhandlungen ist, der vor allem auch dazu-beigetragen hat, daß es zu Bewegungen auf östlicher Seite gekommen ist, und daß es deshalb bedauerlich ist, wenn maßgebliche Sprecher der Opposition, wie z. B. Herr Wörner, immer wieder gegen diese Option III polemisieren?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es geht an dieser Stelle doch darum, die Position der Bundesregierung zu erfahren. Selbstverständlich unterstützt die Bundesregierung weiterhin die Option III in den Verhandlungen in Wien.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die in der heutigen „FAZ" vom ehemaligen Verteidigungsminister Georg Leber vertretene Auffassung, wonach inzwischen eine besorgniserregende Unausgewogenheit der Waffenverhältnisse im europäischen Raum besteht?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Auf die Entwicklung der Mittelstreckenraketen und ihre Auswirkungen auf die militärstrategische Lage hat die Bundesregierung wiederholt hingewiesen,
u. a. zuletzt in einer Veröffentlichung des Presse-und Informationsamts der Bundesregierung vom 1. Februar 1979, veröffentlicht im Bulletin der Bundesregierung vom 6. Februar 1979, in der es heißt:In Anbetracht der wachsenden Überlegenheit der Sowjetunion im Bereich der nuklearen Mittelstreckenpotentiale hat das Bundeskabinett unterstrichen, daß diese sowjetischen Waffensysteme bei den verteidigungs- und rüstungs-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10935
Staatsminister Dr. von Dohnanyikontrollpolitischen Bemühungen um ein stabiles Gleichgewicht nicht außer Betracht bleiben dürfen und daß deshalb . . .Dann wird auf SALT III Bezug genommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haase.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, meinen Sie, daß Hinweise auf dieses gewaltige Übergewicht der Sowjetunion ausreichend sind, und sind Sie mit mir nicht vielmehr der Meinung, daß aus diesen Hinweisen, aus diesen Erkenntnissen Handlungen der unterlegenen Seite resultieren müssen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat u. a. aus diesen Gründen großes Gewicht auf die rüstungskontroll- und abrüstungspolitischen Maßnahmen gelegt. Ich glaube, Sie können deshalb nicht feststellen, daß die Bundesregierung die Gefahren nicht erkennt, die hier bestehen.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Mertes auf:
Trifft es zu, daß Mitglieder von Delegationen der MBFR-Truppenabbaugespräche in Wien die deutsche Verhandlungsdelegation als bremsenden Faktor bezeichnet haben, und wenn ja, teilt die Bundesregierung diese Meinung?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Mertes, ich möchte in Antwort auf Ihre Frage auf eine Erklärung des Sprechers des Auswärtigen Amtes vom 8. Februar 1979 hinweisen. Danach haben die Außenminister der Vereinigten Staaten und Großbritanniens mitgeteilt, daß ihre Regierungen das Verhalten der Bundesregierung als Verhandlungspartner bei den MBFR-Gesprächen in Wien weder kritisiert haben noch kritisieren.
Bei den MBFR-Verhandlungen beteiligt sich die Bundesregierung als Mitglied des Bündnisses. Die Verhandlungen werden auf der Grundlage einer gemeinschaftlichen Verhandlungsposition gemeinschaftlich geführt. Die Bundesregierung wirkt an der Entwicklung der Verhandlungsschritte des Bündnisses initiativ mit. Zu den bisher feststellbaren Fortschritten in den MBFR-Verhandlungen haben Initiativen der Bundesregierung, die dann zu Vorschlägen des westlichen Bündnisses führten, wesentlich beigetragen.
Eine. Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß die deutschen Unterhändler bei den Wiener Truppenabbauverhandlungen jederzeit ausschließlich gemäß den politischen Weisungen der Bundesregierung und der verantwortlichen Organe des Bündnisses gehandelt haben, in denen wir angemessen vertreten sind, und geht die Bundesregierung davon aus, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, so wie die Opposition es tut, die Auffassung teilen, die vor einigen Tagen
der deutsche Delegierte bei den MBFR-Verhandlungen in Wien vorgetragen hat und die im Bulletin der Bundesregierung abgedruckt ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist selbstverständlich, daß die Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland in Wien und bei den Abstimmungsgesprächen in Brüssel sich im Rahmen der Weisungen der Bundesregierung bewegen.
Wollen Sie eine andere stellen? — Dann bitte, Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß die westlichen Regierungen, die an den Wiener Verhandlungen beteiligt sind, die Auffassung vertreten, die Haltung des Warschauer Pakts gegenüber den Vorschlägen und Initiativen des Westens sei in Wirklichkeit der bremsende Faktor, der Forschritte verhindert?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist selbstverständlich, daß wir in einer Verhandlungssituation, in der wir bestimmte Ziele durchsetzen wollen, Wert darauf legen, daß die andere Seite uns weiter entgegenkommt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Amrehn.
Trifft es, Herr Staatsminister, über das hinaus, was Sie schon gesagt haben, zu, daß die zuständigen Stellen des NATO-Bündnisses und die Delegationsleiter der westlichen Delegationen bei den Truppenabbauverhandlungen in Wien die Sachkunde, die verantwortungsbewußte Haltung und die konstruktive Mitarbeit der deutschen Delegation anerkannt haben, so daß entgegengesetzte Behauptungen als haltlos anzusehen sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wüßte nicht, daß der Experten-Sadiverstand der Verhandlungsführer in Frage gestellt worden wäre.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Damm.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß sich die für die MBFR-Verhandlungen zuständigen Beamten und Offiziere der Bundesrepublik Deutschland. zu jedem Zeitpunkt eindeutig loyal zu ihrem Dienstherrn und zu den vom gesamten Deutschen Bundestag getra-
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10936 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dammgenen Grundsätzen der deutschen Abrüstungs- und Sicherheitspolitik verhalten haben? Und wenn das zutrifft: Wie ist die Bundesregierung den diese Vertreter der Bundesrepublik verletzenden Äußerungen der jüngsten Zeit im Bündnis durch Klarstellungen entgegengetreten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole: Ich wüßte nicht, daß die Loyalität und der Expertensachverstand der Verhandlungsführer in Frage gestellt worden sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch.
Herr Staatsminister, kann man Ihre heutigen Feststellungen dahin zusammenfassen, daß die Bundesregierung diejenigen Behauptungen für falsch erklärt, die zum Inhalt haben, es, gebe insofern in der deutschen außenpolitischen Präsentation eine schwache Stelle?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe die Frage vorhin bereits beantwortet.
Ich weiß nicht, Frau Präsidentin, ob die Wiederholung von Fragen in diesem Zusammenhang zulässig ist.
Aber ich bin gern bereit, die Frage noch einmal so zu beantworten. Ich frage ja nur.
Sie können auf Ihre Antwort verweisen. Das steht bei Ihnen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich verweise, Frau Präsidentin; aber ich bin auch bereit, die Antwort zu wiederholen, wenn der Herr Kollege davon glücklicher wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voigt.
Herr Staatsminister, nachdem Sie soeben den Expertensachverstand der deutschen Delegation bei den Wiener Gesprächen so gelobt haben, frage ich: Kann ich daraus schließen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, durch zusätzliche politische Impulse in Zukunft den Expertensachverstand noch stärker als bisher zur Geltung kommen zu lassen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es hat politische Impulse, wie ich gesagt habe, immer gegeben. Aber ich meine, daß das Abrüstungsthema angesichts der Gesamtlage 'in Europa und der Welt zu ernst ist, als daß man nicht immer wieder auch auf zusätzliche Impulse drängen könnte. Die Bundesregierung tut ihrerseits alles, um auf diese Weise die Abrüstungsverhandlungen in Gang zu halten und weiterzubringen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatsminister, besteht also zwischen der Bundesregierung und den übrigen in Wien beteiligten westlichen Regierungen eine lückenlose Übereinstimmung, insbesondere in den Kernfragen der Parität und Kollektivität, d. h. in der Zielsetzung, die östliche Mannschaftsüberlegenheit tatsächlich zu beseitigen und die östliche Panzerüberlegenheit erheblich zu vermindern?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe vorhin gesagt, daß die Initiative auf den Prinzipien von Parität und Kollektivität gründet. Die Bundesregierung steht selbstverständlich weiterhin zu diesen Prinzipien, wie sich übrigens auch aus den Veröffentlichungen erkennen läßt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kittelmann.
Herr Staatsminister, ist daraus, daß Sie die politische Kritik des Herrn Abgeordneten Voigt an dem Außenminister soeben nicht zurückgewiesen haben, zu schließen, daß Sie mit dieser Kritik in der Tendenz übereinstimmen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist gar keine Kritik geübt worden.
Herr Kollege Voigt hat soeben — ich bitte, das im Protokoll nachzulesen — gefragt, ob nicht zukünftig zusätzliche politische Initiativen gebracht werden können. Ich habe daraufhin unterstrichen, daß die Bundesregierung' und der Bundesaußenminister in der Vergangenheit die notwendigen politischen Impulse in die Verhandlungen von Wien eingegeben haben. Aber ich habe auch gesagt, daß angesichts der Bedeutung. der Aufgabe immer wieder erneut über die politischen Fragen nachgedacht werden kann und werden wird, und von dieser Bundesregierung ganz gewiß.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10937
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, Sie meinen, daß zusätzliche Initiativen erforderlich sind. Soll das bedeuten, daß die politischen Initiativen, die der Bundesminister des Auswärtigen ergriffen hat, nicht ausreichend sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie präzise zugehört hätten, hätten Sie vernommen, daß ich nicht von Initiativen — —
— Entschuldigung, nein, ich habe von Impulsen gesprochen. Aber vielleicht lesen Sie das im Protokoll noch einmal nach.
Ich unterstreiche noch einmal, daß es in der Vergangenheit die notwendigen politischen Impulse gegeben hat und daß es sie auch in Zukunft geben wird. Es gibt hier keinen Dissens mit dem Bundesaußenminister.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, Sie loben zu Recht so betont die Loyalität und die Tätigkeit der Experten. Gilt Ihr Lob im gleichen Rang und in gleicher Weise auch den politisch-fachlichen Anweisungen, die sie von der Regierung erhalten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ja, ich habe das gesägt. Die Bundesregierung hat an der Initiative vom April 1978 wesentliche Anteile gehabt, und wir stehen weiterhin hinter dieser Initiative und werden nun über diese Initiative und die Antwort von der östlichen Seite weiter verhandeln.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich.
Herr Staatsminister, wie reagiert die Bundesregierung darauf, daß die Opposition in diesem Hause über parlamentarische Impulse befremdet ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Friedrich, wir sind für alle Impulse aus dem Parlament dankbar, die uns immer näher an diese schwierige Frage der Abrüstung bringen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Herr Staatsminister, wenn in der jüngsten Zeit der Expertensachverstand nicht in
Frage gestellt und nicht kritisiert worden ist, möchte ich Sie fragen, was von Herrn Wehner Ihrer Meinung nach kritisiert und in Frage gestellt wurde.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Seiters, ich lese z. B. in den Bemerkungen von Herrn Wehner den Satz, daß man verhandeln solle. Ich habe unterstrichen: Wir tun dies.
Ich weiß nicht, was Sie wissen möchten; aber wenn Sie andere Fragen stellen wollen, so müssen Sie das präziser tun, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, wir sind in den Fragen eigentlich schon ein bißchen über das hinausgegangen, was nach der Abgrenzung in den Richtlinien für die Fragestunde erlaubt ist. Es ist weder erlaubt, in der Frage eine Bewertung vorzunehmen, noch erlaubt, eine Antwort mit einer Bewertung zu erwarten. Ich wäre dankbar, wenn wir uns an diese Richtlinien halten würden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner.
Wenn Sie, Herr Staatsminister von Dohnanyi, eben erklärt haben, daß Sie für parlamentarische Initiativen dankbar sind, gilt dies auch für die kritische Bemerkung, wonach der Außenminister die Schwachstelle dieser Verhandlungen sei?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nein, Herr Kollege.
Keine weiteren Fragen.
Die Fragen 71 und 72 des Herrn Abgeordneten Dr. Waigel sollen schriftlich beantwortet werden; die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 73 des Herrn Abgeordneten Dr. Todenhöfer auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß Gewalt gegen Zivilpersonen und Terror zur Einschüchterung der Bevölkerung — wie die Ermordung von Frauen und Kindern oder Missionaren bzw. die Entführung von Schulkindern — sich mit dem Widerstandsrecht gegen einen ungerechten Staat rechtfertigen lassen, und wenn nein, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Dr. von Dohnanyi,. Staatsminister: Herr Kollege Todenhöfer, die Bundesregierung ist nicht der von Ihnen unterstellten Auffassung. Widerstandsrecht rechtfertigt nicht, die Ermordung von Frauen und Kindern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie rechtfertigt dann die Bundesregierung ihre Unterstützung der sogenannten Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika, von denn doch bekannt ist, daß sie — wie das Beispiel des vor zwei Tagen ab-
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10938 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. Todenhöfergeschossenen Zivilflugzeugs noch einmal deutlich gemacht hat — gezielt Zivilpersonen ermorden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat von dieser Stelle aus wiederholt darauf hingewiesen, daß sie den Befreiungsbewegungen im multilateralen Rahmen humanitäre Unterstützung gewährt. Sie hat auch die Gründe dafür erwähnt. Ich glaube, ich brauche auf diesen Zusammenhang nicht noch einmal einzugehen.
Eine zweite Frage.
Herr Staatsminister, ich sehe hier einen Widerspruch in Ihrer Aussage. Ich möchte Sie, nachdem Frau Dr. Hamm-Brücher in der letzten Fragestunde dieser Frage ausgewichen ist, allerdings ganz konkret fragen: Sehen Sie in Südafrika, in Südwestafrika und in Rhodesien zur Zeit ein legitimes Widerstandsrecht gegen die dortige Staatsgewalt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, es ist unbestreitbar, daß es für die Schwarzen in Namibia in Zimbabwe und in Südafrika ein legitimes Recht auf Widerstand gibt.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau von Bothmer.
Herr Staatsminister, würden Sie vielleicht unseren Kollegen darauf hinweisen, daß es Mord an Zivilpersonen durch verkleidete Regierungstruppen — z. B. in Rhodesien — gibt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Kollegin, wenn ich mich recht erinnere, habe ich an dieser Stelle schon einmal auf den Vorfall mit dem Sender Gleiwitz hingewiesen, und ich würde Ihnen bestätigen, daß es solche Fälle auch dort geben kann. Aber selbstverständlich rechtfertigt kein Vorgang eine Gegenaktion gegen Zivilpersonen — Frauen, Männer oder Kinder.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, ist es gerechtfertigt, aus dem, was Sie eben ausgeführt haben, den Schluß zu ziehen, daß die Bundesregierung zwar auf der einen Seite die Ermordung von und den Terror gegenüber Zivilpersonen ablehnt, aber auf der anderen Seite gleichwohl nicht davor zurückscheut, Organisationen zu unterstützen — Sie haben es ja eben bestätigt —,
die genau diesen Terror ausüben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege,_ die Bundesregierung gibt auf multilateralem Wege humanitäre Unterstützung für Befreiungsbewegungen, die den Versuch machen, die Selbständigkeit und das Selbstbestimmungsrecht der Regionen herzustellen. Die Bundesregierung steht in dieser Haltung im Einklang mit vielen Ländern der westlichen Welt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bindig.
Herr Staatsminister, lassen die Bemühungen der Bundesregierung, Befreiungsbewegungen durch Kontakte und Gespräche von der Notwendigkeit des friedlichen Wandels und der Vermeidung eines Rassenkrieges zu überzeugen, bereits Erfolge erkennen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Entwicklung im südlichen Afrika geht nicht so schnell, daß man mit Sicherheit sagen könnte, man könne Erfolge erkennen. Aber wir dürfen deswegen in unseren Bemühungen, diese Entwicklungen zu unterstützen, nicht nachlassen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Graf Huyn.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, Terrorakte. gegen Zivilpersonen — Frauen und Kinder —, wie den Abschuß des Zivilflugzeugs in Rhodesien, ebenso ausdrücklich zu verurteilen, wie es die britische und die amerikanische Regierung getan haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wo derartige Vorgänge so eindeutig zuzuordnen sind, sind wir selbstverständlich bereit, auch das zu verurteilen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatsminister, würden Sie mit mir dem Christdemokraten Todenhöfer die mit kirchlichem Imprimatur erschienenen Schriften von Camillo Torres zur Lektüre empfehlen, damit sich sein Widerstandsbegriff etwas differenziert? Camillo
Torres ist als Priester und Guerillero in Kolumbien gefallen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich glaube, Sie haben die mir hier angetragene Aufgabe inzwischen bereits selber erfüllt. Ich brauche das also nicht noch zu tun.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Amrehn.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15 Februar 1979 10939
Schließt nicht, Herr Staatsminister, die von Ihnen konkret ausgesprochene Bejahung des Widerstandsrechts, welches immer Gewaltanwendung bedeutet, auch den Abschuß beispielsweise eines solchen Flugzeugs ein? Und wie vereinbaren Sie die Verurteilung, die Sie eben ausspredien wollten, mit der Anwendung des. Widerstandsrechts, das Gewalt einschließt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Amrehn, ich kann hier wirklich nicht noch einmal auf die von mir an dieser Stelle wiederholt gemachten Versuche einer Definition des Widerstandsrechts eingehen. Zum Widerstandsrecht gehört natürlich nicht, indirekt Zivilpersonen — Frauen, Kinder, Männer — mit einzubeziehen. Das Widerstandsrecht hat eine besondere Bedeutung, die wir auch aus den Definitionen des Grundgesetzes ableiten können.
Insofern sind das zwei verschiedene Dinge. Das Widerstandsrecht habe ich von dieser Stelle aus definiert. Ich brauche es deshalb heute nicht noch einmal zu tun.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, gewährt die Bundesregierung Widerstandsbewegungen und Befreiungsbewegungen humanitäre Hilfe weiterhin auch dann, wenn sie genau weiß, daß diese Bewegungen den Terror auf ihre Fahne geschrieben haben und Terror anwenden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, die Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika treffen zunächst auf eine bestehende Gewalt. Diese Gewalt wird von den Vereinten Nationen und allen demokratischén Völkern verurteilt. Wir bedauern, daß, wie ich es hier einmal dargestellt habe, im Sinne der Enzyklika von. Papst Paul VI. in einigen Regionen des südlichen Afrika durch die Apartheidpolitik inzwischen eine Gewaltsituation entstanden ist, die von den Unterdrückten offenbar — nach ihrer eigenen Einschätzung — nur mit Gegengewalt beantwortet werden kann.
Wie Sie wissen, unterstützt die Bundesregierung nicht Gewalt, auch nicht zur Lösung menschenrechtlicher Fragen. Aber wenn Sie mich nach einem Urtéil aus der Perspektive der dort Betroffenen fragen, so möchte ich wiederholen: Aus der Perspektive der dort Betroffenen besteht ein Recht auf Widerstand im südlichen Afrika. Wir bedauern, daß wir dies so feststellen müssen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Rapp.
Herr Staatsminister, sehen es auch Sie so, daß man durch unkritischwohlwollende Goodwill-Reisen nach Südafrika die
moralische Schuld auf sich lädt, struktureller Gewalt Rückendeckung zu geben, die sich blutiger Unterdrückung schuldig macht?
Dr. von Dohnanyi; Staatsminister: Das ist sicherliech so. Die unkritische Identifizierung mit einem Apartheidregime kann in der Tat zu einem solchen Mißverständnis führen. Allerdings gehe ich davon aus, daß niemand von denjenigen, die dorthin reisen, diese Absicht hat.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Becher.
Herr Staatsminister, würde die von Ihnen vorgetragene Definition des Rechts auf Widerstand gegen Gewalt dann nicht auch für die Bevölkerung Mitteldeutschlands, der Tschechoslowakei und all jener Staaten. dienen, wo unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zwischen Freiheit und Zwang das gleiche System herrscht? Wären wir dann nicht verpflichtet, auch dort humanitäre Hilfe zu leisten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat sich — im Einklang auch mit den übrigen Acht der Europäischen Gemeinschaft - immer wieder deutlich z. B. für Personen eingesetzt, die in Osteuropa oder in der DDR politisch oder religiös verfolgt werden. Wir haben auch dort die uns möglichen Wege humanitärer Hilfe beschritten. Wir unterstützen nirgendwo die Anwendung von Gewalt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatsminister, betrachten Sie auch die innerdeutsche Grenze als eine Institution struktureller Gewaltanwendung?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, an einer Grenze, an der geschossen und die Freizügigkeit nicht gewährt wird, besteht nicht Freiheit, sondern eine gewaltmäßige Einschränkung von Freiheit. Deswegen hat diese Bundesregierung — im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen ja eine Politik betrieben, die diese Mauer durch Deutschland durchlässiger gemacht hat.
Keine weitere Frage.Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Todenhöfer auf:Leistet die Bundesregierung humanitäre Hilfe als Erleichterung des bewaffneten Kampfes an „Befreiuncsbewegungen", und wenn ja, hält die Bundesregierung dies mit dem außenpolitischen Grundsatz des Gewaltverzichts für vereinbar?
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Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung leistet humanitäre Hilfe zur Linderung der Not der durch die Konflikte im südlichen Afrika betroffenen und geschädigten Bevölkerung. Dies ist mit der Politik des Gewaltverzichtes durchaus vereinbar, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, warum unterstützen Sie dann in Rhodesien .beispielsweise die mit Terrormethoden und mit Gewalt arbeitende Patriotische Front und nicht etwa die Bewegung von Bischof Muzorewa, der mit friedlichen Mitteln arbeitet? Warum unterstützen Sie dann in Südwestafrika die mit Terrormethoden arbeitende SWAPO und nicht die mit friedlichen Mitteln arbeitende DTA?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Todenhöfer, die Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika — das gilt für Zimbabwe ebenso wie für Namibia — haben ein breites Spektrum. Wir haben immer wiederholt, daß wir allen, die sich an einer Politik des Wandels zur Selbstbestimmung beteiligen, nicht nur unser Ohr leihen, sondern auch — im Rahmen unserer Politik, also ohne Unterstützung von Gewalt — Unterstützung gewähren. Dies ist z. B. auch durch die Begegnung des Bundesaußenministers mit einer Vielzahl von Politikern aus Namibia, die nicht der SWAPO angehören, deutlich geworden.
Eine zweite Frage.
Dr. Todenhöfer: : Herr Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß die Menschenrechtsbewegungen im Ostblock, die ausdrücklich auf Gewaltanwendung verzichtet haben, auf der Basis Ihrer bisherigen Ausführungen von der Bundesregierung in Zukunft mit humanitärer Hilfe — meinetwegen auf dem Umweg über multilaterale Organisationen — unterstützt werden sollten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben uns, wie Sie wissen, für die dort anstehenden Einzelfälle wiederholt eingesetzt. Ich weiß gar nicht, wie Sie die Schlußakte von Helsinki, die Ihre Fraktion ja nicht unterschreiben wollte, Herr Kollege, eigentlich interpretieren. Sie dient ja eben gerade auch denjenigen, die anderer Auffassung sind und versuchen, sich in Osteuropa, in der DDR und in der Sowjetunion eine „freie Stimme" zu nehmen. Dies steht in der Schlußakte. Wir haben das unterschrieben. Ich bedaure nur, daß wir es gegen die CDU/CSU-Fraktion tun mußten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Holtz.
Herr Staatsminister, welche Schlußfolgerung zieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang aus der Tatsache, daß viele westliche Staaten und auch christliche Kirchen humanitäre Hilfe an Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika geben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir ziehen die Schlußfolgerung, uns im Rahmen unserer Politik, d. h. der Politik des Gewaltverzichts, zu beteiligen. Sie haben recht, wenn Sie dabei auch auf die Kirchen verweisen. Der Kollege Todenhöfer hat vor einiger Zeit Kritik an den Äußerungen unseres Kollegen Bahr geübt. Ich habe mit Interesse vermerkt, daß als Reaktion darauf der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Dr. Friedrich Kronenberg, festgestellt hat, daß Herr Todenhöfer sich mit dieser Erklärung — ich zitiere jetzt wörtlich — „ins Abseits" gestellt habe. Das zeigt also, daß die Kirchen — und, Herr Kollege Todenhöfer, eben auch die katholische Kirche — eher die Auffassung teilen, die von seiten der Koalition hier im Bundestag vertreten wird.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, können Sie mir einen Fall nennen, in dem die Bundesregierung, sei es bilateral oder über multilaterale Organisationen, humanitäre finanzielle Hilfe an Widerstandsbewegungen in den kommunistisch regierten Ländern, etwa an Helsinki-Gruppen, gewährt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben durch unsere Politik einen Weg gefunden, Menschen, die aus Osteuropa z. B. in die Bundesrepublik Deutschland kommen wollen, hierzu zu verhelfen. Sie wissen, daß auch über die Verfahren, die hier eingesetzt werden, von dieser Stelle aus wiederholt mit aller Vorsicht berichtet worden ist. Das heißt, wir helfen, wo wir können. Dies tun wir überall in der Welt, wo immer es darum geht, den einzelnen Menschen zu ihrer Freiheit und zu ihren Rechten zu verhelfen.
Ich gebe gleich das Wort für Zusatzfragen weiter, bitte aber jeden, zu kontrollieren, ob seine Zusatzfrage noch im Zusammenhang mit der ursprünglich gestellten Frage steht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hüsch.
Herr Staatsminister, nachdem Sie Herrn Kronenberg zitiert haben, frage ich Sie: Ist Ihnen tatsächlich entgangen, daß Herr Kronenberg in keinster Weise den sachlichen Gehalt der unerträglichen Äußerungen des Kollegen Bahr hat stützen wollen und daß Papst Johannes Paul IL die offizielle Auffassung der katholischen Kirche,
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Dr. Hüschdaß Gewalt kein Mittel der Politik Ist, zuletzt noch in Puebla verkündet hatte?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dies ist doch auch die Auffassung, die der Kollege Bahr vertreten hat.
— Dann lesen Sie es doch nach, Herr Kollege.
Ich habe mir die Mühe gemacht, es nachzulesen. Wenn Sie es noch einmal wiederholt haben wollen, Herr Kollege, zitiere ich es noch einmal: Der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Dr. Friedrich Kronenberg, hat gesagt, Herr Todenhöfer habe sich mit seinem Urteil über die Auffassung von Herrn Bahr „ins Abseits" gestellt. Er hat dann noch hinzugefügt, er hoffe, daß er, Herr Todenhöfer, damit nicht auch das Spielfeld verlassen habe. Herr Todenhöfer, insofern haben Sie also eine Chance.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, widersprechen Sie mir, wenn ich aus Ihrer Antwort an den Kollegen Graf Huyn schließe, daß Sie nicht in der Lage sind, auch nur eine einzige Befreiungsorganisation im kommunistischen Machtbereich zu nennen, der die Bundesregierung humanitäre finanzielle Hilfe leistet?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Entscheidungen müssen jeweils nach der Sachlage getroffen werden. Die Bundesregierung hat durch ihre Unterschrift unter die Schlußakte von Helsinki, die Sie verhindern wollten, Wege gefunden, um denjenigen, die eine freiere Stimme in Osteuropa suchen, auf verschiedenen Weisen zu helfen. Ich unterstreiche: Unsere Politik ist eine Politik für den einzelnen Menschen in der. ganzen Welt. Das umfaßt natürlich auch das südliche Afrika; denn wir sind der Auffassung, Herr Kollege, daß auch Schwarze ein Recht auf freie Meinungsäußerung haben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, welche Bestandteile der Sachlage sind es denn, die dazu führen, daß die Bundesregierung in Osteuropa nur einzelne Opfer, in Südafrika dagegen ganze kämpfende Bewegungen unterstützt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Lagen sind unterschiedlich, Herr Kollege. Die Antwort auf eine
unpolitische Frage — wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf — kann nur eine politische sein. Wir tun das, was wir in den jeweiligen Regionen für den einzelnen tun können. Das tun wir, so scheint mir, wenn mail z. B. die Erfolge der Friedenspolitik nach 1969 betrachtet, gegenüber den Menschen in Osteuropa und in der DDR mit großem Erfolg.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, nachdem Sie sich unter Berufung auf den Gleichheitssatz über die humanitäre Hilfe für verfolgte Menschenrechtler und deren Angehörige im Ostblock geäußert haben und nachdem der Begriff „Inhalt und Umfang der humanitären Hilfe" gerade vom Auswärtigen Amt eindeutig bestimmt ist, frage ich Sie, ob Sie wenigstens in Zukunft beabsichtigen, solche humanitären Hilfen, wie Sie sie hier angeführt haben — und dabei handelt es sich nicht um politische Unterstützungen —, auch gegenüber verfolgten Familien im Ostblock zur Anwendung bringen wollen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Aber Herr Kollege Czaja, ich verstehe Ihre Frage wirklich nicht! Ich muß offenbar noch einmal unterstreichen: Die Bundesregierung versucht auf den jeweils möglichen Wegen, dem einzelnen in der Welt zu helfen. Dies ist unsere Menschenrechtspolitik: keine Schlagworte, keine Polemik, sondern Hilfe für den einzelnen. Das tun wir gegenüber den Menschen in Osteuropa in der Weise, die dort für uns offen ist. Das tun wir in den begrenzten Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, gegenüber den Befreiungsorganisationen im südlichen Afrika unter sorgfältiger Beachtung der Tatsache, daß unsere Politik eine Politik des Gewaltverzichtes ist und daß wir keine Gewaltmaßnahmen unterstützen oder billigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Horn.
Herr Staatsminister, könnten Sie mir darin zustimmen, daß ein Besuch im Notaufnahmelager Gießen eine ganze Anzahl von Kollegen der CDU davon überzeugen könnte, und zwar an Ort und Stelle und in Gesprächen mit Personen, in welcher Weise gerade die Bundesregierung Bedrängten und Betroffenen aus einem anderen Teil Deutschlands und aus anderen Bereichen geholfen hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, meine Antwort ist: ja.
Keine weitere Zusatzfrage.
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Vizepräsident Frau FunckeDann rufe ich die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans auf:Unterstützt die Bundesregierung politisch oder materiell sogenannte Befreiungsbewegungen, und wenn ja, wie vereinbart sie dies mit dem Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staats?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung teilt die Ziele der Befreiungsbewegungen im Sinne des Selbstbestimmungsrechts. Sie teilt aber nicht die Auffassung, daß diese Ziele mit dem, Mittel der Gewalt durchgesetzt werden. Die Haltung der Bundesregierung ist mit dem Prinzip der Nichteinmischung vereinbar.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung sicherstellen, daß humanitäre Unterstützung auch nicht auf Umwegen für terroristische Zwecke mißbraucht wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, das verbietet sich schon von der Art der Gegenstände, die wir in die- humanitäre Hilfe einbeziehen. Frau Kollegin Hamm-Brücher hat zu dieser Frage in der vergangenen Fragestunde ja Ausreichendes gesagt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, jede Unterstützung dann zu versagen, wenn sich die Unterstützten doch an Terrormaßnahmen beteiligt haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung wird Unterstützungen nicht gewähren bzw. nicht wiederholen, von denen sie erkennen kann, daß diese Unterstützungen selbst zur Gewaltanwendung gedient haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Todenhöfer.
Herr Staatsminister, entspricht es der Auffassung der Bundesregierung, daß Freiheitsbewegungen im Ostblock nicht unterstützt werden sollen, weil dies den Weltfrieden gefährdet, wie es ein prominenter Kollege von Ihnen formuliert hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Das Bedauerliche, Herr Kollege Todenhöfer, ist ja, daß bei solchen Zitaten nicht zu Ende zitiert wird. Herr Kollege Bahr hat bei dieser Bemerkung ausdrücklich auf die Entwicklungen 1953, 1956 und 1968 abgehoben und darauf hingewiesen, daß eine Unterstützung in diesen Fällen von unserer Seite aus guten Grün- den unterblieben sei.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Corterier.
Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß es nicht hingenommen werden kann, daß die gleichen Leute hier vor einer angeblichen Einmischung der Bundesregierung zugunsten der Befreiurigsbewegungen sprechen, die sich selber in massivster Form für die sogenannte Demokratische Turnhallenallianz in Namibia eingesetzt haben und damit die Politik des friedlichen Wandels der Regierung gegenüber Namibia unterminiert haben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Corterier, offenkundige politische Widersprüche bedürfen nicht der Bestätigung durch die Bundesregierung.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Unterstützt die Bundesregierung sogenannte Befreiungsbewegungen, die nach eigenen Aussagen in erster Linie für die Erringung der Macht und nicht für demokratisch legitimierte Regierungen kämpfen, und wenn ja, wie begründet die Bundesregierung die Unterstützung solcher Organisationen, wenn sie nicht für sich glaubhaft den Anspruch erheben können, für Menschenrechte und „Befreiung" zu kämpfen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung unterstützt die Befreiungsbewegungen im humanitären Bereich. Ziel der Befreiungsbewegungen ist die Selbstbestimmung. Dies ist jedoch nur durch Gewinnung politischen Einflusses, also auch durch Gewinnung von Macht möglich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, die Freiheitsbewegungen in Namibia aufzufordern, jede Gewaltanwendung einzustellen und sich statt dessen an den demokratischen Wahlen unter Aufsicht der UNO zu beteiligen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hat dieses in der Vergangenheit getan. Die Tatsache, .daß diese demokratischen Wahlen, unter Aufsicht der UNO möglich sein werden, ist weitgehend der Aktivität von Bundesaußenminister Genscher zu verdanken.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, muß ich aus Ihrer Antwort auf die Frage 76 des Kollegen Hammans den Schluß ziehen, daß die Bundesregierung Befreiungsbewegungen ohne Rücksicht darauf unterstützt, ob sie in dem Staat, in dem sie eine Befreiung herbeiführen wollen, auf demokratische Zustände oder auf ein autoritäres oder gar totalitäres System hinwirken?
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Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn ich die Frage von Herrn Kollegen Hammans richtig lese, dann scheint sie mir—und darauf habe ich hinzuweisen versucht — einen Widerspruch zu beinhalten, denn auch eine demokratisch legitimierte Regierung muß Macht ausüben. Ich habe darauf hingewiesen, daß man selbstverständlich, wenn man Dinge verändern will — und diese Befreiungsbewegungen wollen etwas verändern —, dazu auch Macht anstreben muß.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hammans.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit zu erklären — vor allen Dingen dem Kollegen Corterier —, daß die CDU/CSU sehr wohl in "der Bundesrepublik Vertreter der SWAPO empfangen und mit ihnen diskutiert hat, die SPD dies aber unterlassen hat?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann im Augenblick nicht "beurteilen, wer wen wo gesehen hat. Es ist aber immer gut, wenn die Beteiligten in diesen umstrittenen Gebieten möglichst breit angehört werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Becher.
Herr ,Staatsminister, würden Sie nicht zugeben, daß die soeben von Herrn Corterier zitierte sogenannte Turnhallenbewegung, die sich jahrelang in gemeinsamen Gesprächen mit allen Stämmen Namibias um eine demokratische Verfassung bemüht hat, auch eine Bewegung zur Befreiung vom Kolonialsystem ist und daher die aktivste Unterstützung der Bundesregierung verdiente, zumal sie in ihrem Verfassungsentwurf genau die Grundrechte vorgesehen hat, die auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu finden sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Gespräche sind auch mit Vertretern der Turnhallenallianz geführt worden. Wir gehen allerdings heute davon aus und sind davon ausgegangen, daß erst eine demokratische Wahl, und zwar unter Aufsicht der Vereinten Nationen, klären kann, wie die Mehrheiten aussehen. Insofern haben wir mit allen gesprochen und haben uns nicht einseitig festgelegt.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 77 des Herrn Abgeordneten Hüsch auf:
Welche Kriterien sind für die Bundesregierung im Fall der politischen, moralischen bzw. humanitären Unterstützung von sogenannten Befreiungsbewegungen maßgebend?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich darf auf die Antworten verweisen, die ich soeben auf die Fragen des Kollegen Dr. Hammans erteilt habe.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 78 des Herrn Abgeordneten Graf Huyn auf:
Bedeutet die Unterstützung von sogenannten Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika im bewaffneten Kampf zugleich eine Unterstützung der Politik Moskaus und Ost-Berlins, und welche Folgerungen zieht die Bundesregierung gegebenenfalls aus diesem Umstand?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Graf Huyn, die Antwort auf Ihre Frage lautet: nein.
Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, eine Unterstützung sogenannter Befreiungsbewegungen in den Fällen einzustellen, in denen sie tatsächlich die imperialistische Politik der Sowjetunion in Afrika fördert?
Dr. von . Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe gesagt, in welchem Umfang wir Befreiungsbewegungen unterstützen. Ich verstehe nicht,- daß Sie immer wieder versuchen, an dieser Stelle Mißverständnisse hineinzubringen. Ich habe von der humanitären Unterstützung von Organisationen gesprochen, die sich um die Autonomie, um das Selbstbestimmungsrecht der Völker im südlichen Afrika bemühen. Mehr geschieht nicht von seiten der Bundesregierung. Alle anderen Unterstellungen muß ich an dieser Stelle- nun einmal ganz scharf zurückweisen.
Eine weitere Frage.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zuzugeben, daß es keine Unterstellung ist, wenn es sich um Fälle handelt, in denen durch humanitäre Hilfe es gibt hierzu etwa Äußerungen des Kollegen Bahr, die dies erläutern — bei den Befreiungsbewegungen finanzielle Mittel freigesetzt werden, die dann für Gewaltaktionen und für Terrorismus eingesetzt werden können?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Graf Huyn, wiederum muß ich sagen, daß ich auf jeden Fall die Äußerung des Kollegen Bahr so nicht lesen kann. Der Kollege Bahr hat nur darauf hingewiesen, daß es sich nicht ausschließen läßt, daß ein solcher Zusammenhang entsteht. Aber kann man denn, Kollege Graf Huyn, so möchte ich Sie fragen, zu helfen aufhören, wo Frauen und Kinder hungern, nur weil man annehmen kann, daß durch den Hunger den Befreiungsbewegungen Mittel entzogen würden? Das wäre eine unmenschliche Politik, die hier von uns verlangt würde.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Voigt.
Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, daß es unzulässig ist, Be-
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10944 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Voigt
freiungsbewegungen nach den Finanzierungsquellen zu kategorisieren, weil es Befreiungsbewegungen gegeben hat, die —gleichzeitig oder nacheinandersowohl von westlicher als auch von östlicher. Seite finanziert worden sind, und würden Sie mir zustimmen, daß es Befreiungsbewegungen gegeben hat, die sich ganz anders entwickelt haben,
als vom Finanzgeber ursprünglich vermutet oder beabsichtigt worden ist?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Voigt, die Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika suchen sich ihre Unterstützung dort, wo sie sie für ihre Ziele finden können. Wer den Befreiungsbewegungen in wichtigen Fragen nicht die Hand reicht, darf sich nicht wundern, wenn die Befreiungsbewegungen die Hände anderer ergreifen.
Keine weiteren Fragen? — Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister von Dohnanyi.
Die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten Müller und die Fragen. 62 und 63 des Abgeordneten Graf Stauffenberg wurden von den Fragestellern zurückgezogen. Die übrigen nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Kunz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat Fragen zur Abrüstungspolitik der Bundesregierung eingebracht. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Fragen hat die offenkundigen Meinungsverschiedenheiten im Koalitionslager nicht verdeckt, im Gegenteil, sie sind bestätigt worden.
Namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantrage ich deshalb, eine mündliche Aussprache über die Antwort der Bundesregierung nach Ziffer 2 der Richtlinien über die Abhaltung Aktueller Stunden durchzuführen.
Meine Damen und Herren, der Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde ist gestellt und ausreichend unterstützt. Ich rufe damit die
Aktuelle Stunde
auf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wörner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir von der CDU/CSU haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil immer deutlicher wird, daß die Bundesregie- rung einschließlich des Bundeskanzlers, nicht mehr den Mut und die Kraft hat, den gefährlichen sicherheitspolitischen Vorstellungen Herbert Wehners klar und entschieden entgegenzutreten.
Meine Damen und Herren, es ist schon schlimm genug, wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD die massive Aufrüstung der Sowjetunion als defensiv bezeichnet. Es ist schlimm genug, wenn er dem Westen bei den Abrüstungsverhandlungen in Wien in den Rücken fällt und den eigenen Außenminister, den Außenminister der Bundesregierung, zur Schwachstelle erklärt.
Aber unerträglich wird es, meine Damen und Herren, wenn der Bundeskanzler dazu schweigt und weder den Außenminister in Schutz nimmt noch sich mehr traut, Herbert Wehner eine klare Absage zu erteilen.
Es sind doch Ihre Informationen, die Sie uns geben lassen, beispielsweise Herr Apel, daß die Sowjetunion ihre Truppen in Mitteleuropa in den letzten zehn Jahren um fünf Panzerdivisionen aufgestockt hat. Das sind also Angriffsdivisionen, nicht Besatzungstruppen. Es sind doch Ihre Informationen, wonach die Sowjetunion die Zahl ihrer Panzer auf 19 000 hochgetrieben hat, obwohl in der NATO nur sechseinhalbtausend dagegenstehen. Es sind doch Ihre Informationen, daß von der Sowjetunion neue verheerende Waffen gegen uns gerichtet werden, von denen jede einzelne die zweitausendfache Vernichtungskraft der Neutronenwaffe hat, ohne daß es hier bei uns eine einzige solche Waffe gäbe - und das, während wir mit der Sowjetunion über Abrüstung verhandeln, und das, obwohl sie jetzt schon die zweieinhalbfache bis dreifache Überlegenheit hat. Und da stellt sich Herr Wehner hin und erklärt, das sei defensiv, und der Bundeskanzler sowie der Bundesverteidigungsminister schweigen dazu.
Wer sich so verhält, liefert der Sowjetunion das Alibi für jede weitere Aufrüstung und schwächt die Verteidigung des Westens.
Herr Wehner, ich möchte Sie hier einmal fragen: Warum regen Sie sich nicht auf, wenn die Sowjetunion ihre Überlegenheit uns gegenüber dauernd massiv erhöht? Warum aber regen Sie sich auf, wenn wir dann Anstrengungen unternehmen, das Gleichgewicht wiederherzustellen?
Warum überlassen Sie es einem Mann wie Georg Leber, heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in einem beschwörenden Appell auf die Gefahr dieser Mittelstreckenraketen zu verweisen? Da ist wenigstens noch einer auf der Seite der SPD, der den Mut hat, die Fakten offen anzusprechen und auch einmal gegen die sowjetische Aufrüstung zu protestieren.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10945
Dr. WörnerSie aber, Herr Kollege Wehner, merken Sie nicht, wie . Sie mit Ihrer Argumentation die Gewichte zwischen Ost und West verschieben? Die Sowjetunion sagt „Entspannung" und rüstet massiv auf. Wenn wir aber Abwehrmaßnahmen treffen wollen, dann wird das zum Verstoß gegen die Entspannung erklärt. Das Verheerende, Herr Wehner, ist, daß die Sowjets sich jetzt auf Sie berufen können und das auch bereits tun.
Ich kann nur sagen: wenn wir diesen einseitigen Begriff der Entspannung akzeptieren, dann bleibt uns letztlich nur noch die Anpassung, ja sogar die Unterwerfung unter Moskau,
und das geht nicht mit unserer Zustimmung! Dann, Herr Wehner, haben wir auch nicht mehr die geringste Chance, erfolgreich über Abrüstung zu verhandeln.Hier in diesem Hause will doch jeder den Frieden. Hier will doch jeder die Abrüstung. Aber Sie gefährden den Frieden und die Abrüstung dann, wenn Sie die Voraussetzungen dafür zerstören, und dies sind ausgewogene Kräfteverhältnisse. Darum kann ich nur sagen: Wer Frieden und wer Entspannung will, der darf das Gleichgewicht nicht preisgeben, das uns die Stabilität — auch der politischen Verhältnisse - beschert.
Georg Leber hat recht, und ich möchte mit seinen Worten schließen. Ich kann nur jedem raten, diesen Artikel nachzulesen:
Furcht vor der Entscheidung könnte sich eines Tages bitter rächen. Noch kann Entschlossenheit die Völker des Westens davor bewahren, daß ihnen von der Geschichte Lektionen erteilt werden.Das ist auch unsere Auffassung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehrlich gesagt, ich verstehe nicht, warum es. der Herr Wörner jetzt so eilig hat. Denn als ich seine Ausführungen in Washington — dpa vom 13. Januar — zum Anlaß genommen habe, Ihren Auffassungen entgegenzutreten — nicht mit dem Osten jetzt verhandeln! Er müsse den Westen warnen, jetzt mit der Sowjetunion zu verhandeln, sondern erst selbst die Waffen haben, die die Russen haben, diese sogenannten Grauzonenwaffen, und dann einmal verhandeln —, da hatten Sie sich Zeit genommen. Sie mußten sich erst beraten. Sie haben es sich erst überlegt. Das gestehe ich Ihnen zu.
Nun, sagen Sie, die Regierung habe Ihre Fragen nicht beantwortet. Ich bitte Sie! Gestern hat das Kabinett die 128 Seiten Schreibmaschinentext abgeschlossen, die die Antworten darstellen, die Sie sicher irgendwann in dieser Woche oder Anfang nächster Woche im Druck haben werden. Sie wissen doch genau — Sie wissen es doch heute schon —, daß am 8. März oder um die Zeit herum die Debatte ist. Was kleckern Sie etwas voraus? Sonst kleckern die Leute immer nach. Sie kleckern voraus.
Solche Sachen taugen zu nichts. — Herr Wörner, nun machen Sie sich doch selber nichts vor! Spielen Sie hier nicht die Erbitterten! Sie sind die ein wenig in die Enge Getriebenen.
Im übrigen muß ich Ihnen sagen, wenn Sie sich über gewisse meiner Bewertungen aufregen: Ich befinde mich da in guter Gesellschaft.
Oder wollen Sie bestreiten, — — Nun, Sie wissen das doch nicht, die anderen vorne wissen wenigstens etwas, was ich meinen könnte.
Bitte, Sie schlagen nach; lassen Sie lesen, was der alte Herr Konrad Adenauer gesagt hat über die Rüstung der Sowjetunion und über die Notwendigkeit der Abrüstung: „Bitte, denken Sie einmal zurück, welche Beweggründe Stalin dazu gebracht haben, sich diese ganzen — es ist seine Ausdrucksweise - Satellitenstaaten vor Sowjetrußland hinzulegen: Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Polen, Tschechoslowakei bis zur DDR! Weil er fürchtete, daß eines Tages Rußland vom Westen her angegriffen werden würde."
— Hören Sie mal, ich nehme doch Ihr Parteitagsprotokoll. Das kann doch nicht gefälscht sein, Herr Mertes, wenn es um den alten Herrn geht.
— Lachen Sie mal, aber nicht höhnisch, sondern über sich selbst. Erst wenn man über sich selbst lachen kann, hat man eine gewisse Stärke. Politik der Stärke!
Ich möchte das Zitat wenigstens vollenden. Der alte Herr hat noch hinzugefügt: „Er wollte dafür sorgen, daß in diesen Ländern und nicht in Sowjetrußland die entscheidenden Schlachten eines solchen Krieges sich abspielen."Vorher hatte er folgendes erklärt; ich zitiere wieder aus dem Protokoll.
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10946 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Wehner— Ich bitte Sie, es wird Ihnen doch bekannter sein als mir, wann und wo der alte Herr was gesagt hat.
— Junger Mann, regen Sie sich nicht hier auf, sondern wenn Sie ins Bett gehen, daß Sie den Tag versaut haben!
Konrad Adenauer hat erklärt:
Nun, meine Freunde, unser oberstes Ziel ist und bleibt die kontrollierte Abrüstung. Es wird auf der Welt keinen Frieden geben, wenn man nicht mit der kontrollierten Abrüstung
sowohl der nuklearen Waffen wie der konventionellen Waffen einen wirklichen und ernsthaften Anfang macht.In Klammern steht dahinter: starker Beifall. Das war ein CDU-Publikum! Klatschen Sie mir auch mal, weil ich ihn zitiert habe!
— Warum sind Sie denn so sehnsüchtig? Es besteht keine Gegnerschaft zwischen dem Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler und mir.
— Nein! Warum stützen Sie sich auf einen Mißbrauch des persönlichen Gesprächs, das ich — zugegeben: leichtfertigerweise — am Rande von für die Veröffentlichung gesprochenen Erklärungen geführt habe.
— Stören Sie mich doch nicht; nicht daß ich damit nicht auch schlafen könnte, aber Sie wollen ja die Redezeit verkürzen, weiter gar nichts! Das ist Ihre Taktik.Bringen Sie nicht Themen ein, von denen Sie sich genau überlegen können, was wir hier am 8. März und gegebenenfalls am folgenden Tag austragen werden. Ich habe eine einzige Hoffnung, nämlich .die Hoffnung, daß Sie dann nicht diese seltsamen Fliegen haschen wollen und Ihre eigenen Illusionen, sondern daß Sie sich dann bewegen auf dem Gebiet dieser schwierigen Probleme.
Noch einmal Adenauer:Neulich ist etwas in der Weltgeschichte passiert, was nach meiner Meinung von allen Zeitungen sehr hätte hervorgehoben werden müssen. Aber, meine Freunde, unsere Zeitungen haben es offenbar nicht verstanden. Es war die Friedensvermittlung der Sowjetunion zwischen Indien und Pakistan. Ich muß ganz offen sagen: Das war eine überraschende Entwicklung für jeden von uns, der die Verhältnisse zwischen Pakistan und Indien früher gekannt hat.Lesen Sie das! Das erste Zital stammt aus dem Jahre 1961, aus einer schwierigen Zeit; das zweite Zitat ist aus dem Jahre 1966.
Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen
Im übrigen lesen Sie bitte Giscard d'Estaing, der dieselbe Auffassung vertritt — womit ich ihn nicht in Ihre Schußlinie bringen möchte; der ist außerdem ganz immun dagegen —, über das, was die Sowjetunion sucht, nämlich „Parität, nicht Uberlegenheit".
- Regen Sie sich nicht auf; die eigentliche Karnevalswoche kommt erst.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Möllemann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Der eigentliche Anlaß der Aktuellen Stunde ist die Aussprache über den besten Weg zur Friedenssicherung, zur Ausgestaltung unserer Friedenspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Sie erlauben, daß ich in der Kürze der Zeit, die uns hier nur zur Verfügung steht, einige wenige Bemerkungen dazu mache. Wir haben ja in der Woche des 8. März die Behandlung der Großen Anfrage und die Auseinandersetzung darüber mit hinreichend Gelegenheit, auch etwas differenzierter darauf einzugehen, so differenziert, wie das Thema es eigentlich verlangt.
Wir gehen davon aus, daß mit Verteidigung und Entspannung gleichermaßen versucht wird, die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland zu gestalten, mit diesen beiden Säulen — Verteidigungsanstrengungen einerseits, Entspannungsbemühungen andererseits — den Frieden zu sichern, ihn stabiler zu gestalten. Diese Politik der Verteidigung und Entspannung kann ihrem Wesen und ihren Aufgaben nach erfolgreich nur sein, wenn sie ruhig, besonnen und beharrlich betrieben wird.Woran orientiert dich die Verteidigung? Naturgemäß an der potentiellen Bedrohung. Die Bedrohung wird in der konkreten Situation, in der wir sind, durch das Potential des Warschauer Paktes dargestellt. Das ist eine Binsenweisheit, die, glaube ich, unumstritten ist. Dieses Potential des Warschauer Paktes ist größer als das, was er braucht, um sich zu verteidigen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10947
MöllemannDagegen wehren wir uns, indem wir eine angemessene Verteidigungs- und Abschreckungskonzeption entwickelt haben.Auf der anderen Seite haben wir die Entspannungspolitik, die gerade die FDP — zusammen mit ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner — in den letzten Jahren massiv verfochten hat und die darauf gerichtet ist, einerseits die Ursachen der Spannungen abzubauen und andererseits die Hochrüstung zu reduzieren. Solche Rüstungskontrollgespräche haben nur Sinn, wenn Sie ruhig, beharrlich, unter kontinuierlicher Verfolgung des Ziels der eigenen Sicherheit geführt werden.
Wie ist nun die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in dieser sicherheitspolitischen Diskussion? Zweifellos ist die Bundesrepublik Deutschland bei den Bestrebungen des Bündnisses im Blick auf die Entspannungspolitik ein engagierter Partner der übrigen Staaten. Die Regierungen Brandt/Scheel und danach Schmidt/Genscher haben mit immer neuen Impulsen diese Entspannungspolitik unter den Prämissen, die ich nannte, vorangebracht. Die Regierung wird sich allen Attacken zum Trotz auch nicht darin beirren lassen, diese Entspannungspolitik, zu der es keine Alternative gibt, fortzusetzen.Im Bereich der vertrauensbildenden Maßnahmen, die sich ja darauf richten, Vertrauen zu schaffen und Mißtrauen abzubauen — Mißtrauen als eine der eigentlichen Ursachen der Spannungen —, hat Bundesaußenminister Genscher, der für diesen Bereich federführend ist, in besonderer Weise Initiativen eingebracht und auf der KSZE dafür gesorgt, daß im Korb' 1 die vertrauensbildenden Maßnahmen festgelegt worden sind. Wir bemühen uns jetzt, diese Maßnahmen als einen vernünftigen Ansatz zur Weiterentwicklung in einer neuen Initiative auf die MBFR-Verhandlungen zu übertragen.Wenn nun in der Vergangenheit von diesem oder jenem aus den verschiedensten politischen Gruppierungen die sicherheits- und entspannungspolitische Konzeption, so wie sie der Bundesaußenminister vertritt, kritisiert worden ist, so steht bei diesem oder jenem sicherlich das Bestreben dahinter, für neue Impulse zu sorgen, neue Initiativen in Gang zu setzen. Aber man muß auch wissen, daß Kritik an der bisher betriebenen Entspannungspolitik Kritik an der Politik dieser Bundesregierung und nicht an der Politik eines einzelnen ist.
Wir haben diese Kritik zur Kenntnis genommen, und wir haben sie sachlich ausräumen können. Wir meinen daher, daß die bisher betriebene Entspannungspolitik so fortgesetzt werden sollte.Nun erlauben Sie mir, Herr Kollege Wörner, eine Bemerkung zu Ihrer Einlassung. Allmählich wirkt es wirklich frappierend, wie sich diejenigen, die bisher sämtliche Einzelschritte der Entspannungspolitik massiv bekämpft haben,
nunmehr zu Vorreitern der Entspannungspolitik aufspielen wollen. Das werden wir 'ihnen nicht durchgehen lassen.
Diese Koalition — das möchte ich einmal klar sagen, um das beim Namen zu nennen — kann Konflikte, d. h. Dispute über einzelne Meinungsverschiedenheiten sehr wohl durchstehen
— nein, nicht über Problemchen, sondern über Probleme —, weil wir gemeinsam davon ausgehen, daß die Entspannungspolitik fortgesetzt werden soll.Ich möchte an den Schluß eine Bitte stellen — ich habe das bei anderer Gelegenheit auch getan -: Die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland ist nachhaltig darauf angewiesen, von einem möglichst breiten Konsens möglichst aller Parteien getragen zu werden.
Verdecken wir diese Notwendigkeit nicht mit parteitaktischen Scheingefechten,
tragen wir die von dieser Regierung konzipierte, von ihr in allen Etappen eingebrachte und von ihr auf internationaler Ebene durchgesetzte Politik also gemeinsam!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaeger.
Frau Präsidentin!, Meine Damen und Herren! In den 30 Jahren, in denen ich die Ehre habe, mit und gegen Herrn Wehner diesem Hohen Hause anzugehören, habe ich schon bessere Reden von Ihnen, Herr Kollege Wehner, gehört,
und nur selten ist Ihnen das schlechte Gewissen so deutlich im Gesicht gestanden wie heute.
Es kann Ihnen gar nicht gelingen, abzulenken im Hinblick auf eine grundsätzliche Debatte, die wir in aller Ausführlichkeit zu den sachlichen Problemen am 8. März führen wollen und führen werden. Denn die Ausführungen, Herr Kollege Wehner, die Sie vor kurzem gemacht haben, sind so außergewöhnlich, daß wir diese Debatte gar nicht mehr abwarten können, sondern sofort Stellung nehmen müssen.
Unser Freund Dr. Wörner hat es Ihnen doch deutlich dargelegt:
Nie war das militärische Potential des Warschauer Pakts stärker als heute — als Ergebnis von zehn Jahren angeblicher Entspannungspolitik!
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10948 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. JaegerIn diesen zehn Jahren hat, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, die Rote Flotte eine Präsenz auf allen Weltmeeren erreicht, obwohl Rußland zu seiner Verteidigung nicht mehr als einen Küstenschutz an der Ostsee benötigt.
Da sieht man doch, daß die Motivation der. sowjetischen Rüstung eine aggressive ist und daß die Waffen, wenn schon nicht zum Krieg, dann zur politischen Erpressung rund um den Erdball benutzt werden.
Wir Deutschen und unsere Verbündeten in der NATO müssen gerüstet sein sowohl für den militärischen Ernstfall als auch für den noch wahrscheinlicheren diplomatischen Gebrauch dieser militärischen Mittel.
Dagegen müssen wir uns wappnen.
In der politischen Philosophie von Herbert Wehner allerdings gefährden westliche Waffen die Entspannung, wie wir gehört haben, sowjetische Waffen nicht.
Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Warum zerbricht sich eigentlich Herr Wehner den Kopf der Sowjetunion?
— Einen sowjetischen? Warum fällt Herr Wehner seinem eigenen Außenminister, dem Außenminister seiner Regierung, in den Rücken — geschmackvollerweise, als er im Krankenhaus lag? Warum kritisiert er unsere Diplomaten in Wien, die noch wissen, was sie unserem Land und was sie dem Bündnis schuldig sind?Ich habe den Eindruck: Bei der Politik des Herrn Wehner wird man künftig nicht mehr von gegenseitiger ausgeglichener Truppenverminderung sprechen, sondern wird MBFR in Wien ausdeuten als „More Benefits For the Russians" : Mehr Vorteile für die Russen.
— Sie können hier nicht den alten Herrn zitieren, den ich ja schließlich etwas besser gekannt und, vor allem, im Unterschied zu Ihnen, unterstützt habe!
Sie können auch Ihr Wort von den defensiven Waffen nicht umprägen in defensive Absichten der Sowjetunion. Natürlich war diese friedlich zur Adenauer-Zeit, in einer Zeit, in der die USA die große Überlegenheit auf atomarem Gebiet hatten,so daß ein Angriff vom Osten überhaupt nicht erfolgen konnte.
Ich will den guten Willen auch heute nicht bezweifeln. Sie kennen ja Herrn Breschnew; ich kenne ihn nicht. Aber: Was hilft denn der gute Wille, wenn ein riesiges Potential aufgehäuft ist? Wozu ist denn dieses Potential da? Wenn man guten Willens ist, braucht man es doch nicht!
Wir haben es doch beim Sturz Chruschtschows erlebt, wie in der Sowjetunion über Nacht eine Garnitur ausgewechselt werden kann, ohne daß ein westlicher Nachrichtendienst es vorher gewußt hat, ja offenbar ohne daß der Betroffene selber es am Vormittag des Tages erfahren hatte. Wenn ein Führungswechsel in einem totalitären Staat so rasch erfolgen kann und wenn der jetzige Inhaber der Macht sich in höherem Alter befindet, dann können mit neuen Männern auch neue Methoden kommen und kann der angeblich gute Wille des alten Mannes durch einen offensichtlich schlechten Willen eines neuen Mannes ausgetauscht werden.
Es ist leichtfertig, allein auf den guten Willen sterblicher Menschen zu bauen, das System, dem sie dienen, zu ignorieren und ihre Machtmittel und deren möglichen Mißbrauch zu leugnen.In dieser Frage ist nun in erster Linie der Bundeskanzler aufgerufen zu antworten. In zitierfreudigen Zeiten hätte man die Rede mit dem Wort geschlossen: Videant consules! Ich mache es auf deutsch: Der Bundeskanzler ist gefordert, endlich zu sprechen und endlich das Bündnis und diesen Staat gegen seinen eigenen Fraktionsvorsitzenden zu verteidigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ahlers.
Frau Präsident! Meine Damen und und Herren! Herr Kollege Jaeger, Sie haben soeben die Frage gestellt: Warum zerbricht sich Herr Wehner den Kopf
der Russen?
Ich kann Ihnen die Antwort geben: Er zerbricht sich den Kopf wegen des Friedens.
Herbert Wehner ist in Sachen des Friedens ungeduldig, und Sie kommen mit dieser Debatte überhaupt nicht weiter, wenn Sie nicht bereit sind,
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Ahlerssachlich auf die Fragen unserer Verteidigungspolitik einzugehen. So, wie diese Aktuelle Stunde angelegt ist, Herr Reddemann — das geschah sicher mit Ihrer Mithilfe —, kann sie nur den Zweck haben, der in den laufenden Wahlkämpfen angeschlagenen CDU Munition für den Wahlkampf zu geben.
Sie wollen den Wahlkampf in diesen Saal verlegen,
und Sie übersehen dabei völlig, daß die Fragen, die wir hier zu erörtern haben — Herr Wehner hat schon darauf hingewiesen —, im März hier in aller Ruhe und Breite erörtert werden könnten.Es ist leicht, die Gründe für Ihr Verhalten zu erkennen. Landauf, landab gehen Sie mit der Formel im Wahlkampf herum — Herr Dregger hat es hier im Saal schon wiederholt —: Wer nicht für uns oder mit uns ist, der ist ein, Kommunist.
Dies ist Ihre Wahlkampfthese; Sie brauchen sich nur die Rede von Herrn Dregger von heute morgen noch einmal durchzulesen.
— Doch, lieber Herr Mertes, ich glaube das, weil ich Herrn Dregger genau zugehört habe, als er uns wieder vorgeworfen hat, wir machten mit den Kommunisten gemeinsame Sache. Weil Sie diese Parole „Freiheit oder Sozialismus", wie Sie es anders genannt haben, immerzu fortsetzen, haben Sie sich auf die Methode der persönlichen Verunglimpfung festgelegt.
Sie haben den Blick für sachliche Auseinandersetzung nicht mehr frei.
Sie haben sich Ihr eigenes Blickfeld verengt, und wenn Sie alles immer nur in das Schema rechts oder links pressen wollen, dann begreifen Sie überhaupt nicht, — —
— Herr Wörner, auch Sie neigen dazu, sich in Ihren öffentlichen Äußerungen, wenn Sie hier am Pult stehen, ganz anders zu verhalten, als wenn man mit Ihnen im Ausschuß eine vernünftige Debatte führt.
Ich sage Ihnen: Sie sollten sich nicht die Einsichtin die Möglichkeit blockieren, Verständnis für daszu finden, was Regierungen tun, auch die sowjetische Regierung, für das, was die jungen Leute in unserem Lande denken, und auch für das, was die Mitglieder der . Koalitionsparteien versuchen, an vernünftiger Politik zustande zu bringen. Und wenn es im übrigen schon um rechts oder links geht: Bei uns steht niemand so weit links wie bei Ihnen einige rechts stehen.
Wenn man einen vernünftigen außenpolitischen Kurs steuern will, muß man Motivforschung betreiben, und zwar nicht nur in bezug auf das Verhalten der Opposition, sondern auch in bezug auf das Verhalten der Sowjetunion.
Genau dies hat Herbert Wehner getan. Er hat sich bemüht, das Bewußtsein dafür zu schärfen, daß auch die Gegenseite aus Sorgen und Ängsten heraus weiterrüsten könnte, daß auch sie eine Bedrohung für sich sehen könnte und daß sie darauf mit militärischen Vorkehrungen reagiert, die aus Moskauer Sicht defensiv sind. Solche Erwägungen des Führers der größten Fraktion unter den Regierungsparteien sind nicht nur legitim, sie sind notwendig, um überhaupt erfolgversprechende Abrüstungsverhandlungen zu führen.
Was hat der Bundesvorstand der CDU daraufhin getan? Damit komme ich auf meine soeben gemachten Bemerkungen zurück. Er hat behauptet, Herbert Wehner habe in unerträglicher Weise die deutschen Sicherheitsinteressen verletzt und das westliche Verteidigungsbündnis beeinträchtigt.
Meine Damen und Herren, unerträglich ist nur die Art und Weise, in der Sie mit einem Mann umgehen, den nur der Wille zum Frieden treibt,
der mir erreichen möchte, daß in Anbetracht der raschen und ungewissen Entwicklung der Weltlage nicht zu viel Zeit verlorengeht, und der dafür sorgen will, daß die Abrüstungsverhandlungen in einem schärferen Tempo weitergeführt werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordete Jung.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Attribut „aktuell" für diese Veranstaltung, für dieses Thema ist nach der breiten öffentlichen Diskussion der letzten Tage ja eigentlich nicht mehr so recht am Platz. Der Vorwurf deutschen Bremsens bei den Wiener MBFR-
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10950 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
JungVerhandlungen wurde, Herr Wörner, vom Bundeskanzler und von den Außenministern der Vereinigten Staaten und Großbritanniens zurückgewiesen und widerlegt.
Die volle Zustimmung zur ausführlichen Antwort des Bundesministers des Auswärtigen durch die Fraktionsvorsitzenden unterstreicht die Übereinstimmung in der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik.Wir werden am 8. März Gelegenheit haben, dieses Problem der Entspannungs- und Sicherheitspolitik hier in aller Breite zu diskutieren.In der schrillen Diskussion der letzten Tage zum Thema „Sicherheit und Entspannung" — ich möchte hier einflechten, daß dieses Thema nach meinem Empfinden viel zu ernst ist, als daß es sich für eine polemische Verwendung im Wahlkampf oder gar für das Kochen parteipolitischer Süppchen eignen würde — ist die Opposition ihrer Linie treu geblieben, und sie hat das heute wieder bewiesen. Sie sieht ja ausschließlich verteidigungspolitische Notwendigkeiten, und Rüstungskontrolle ist für sie zweit- oder gar drittrangig.
— Herr Mertes, ich habe ja differenziert: zweitoder drittrangig. Ich rechne Sie zu denen, die sie zweitrangig sehen; vorhin habe ich aber einen gehört, der die Rüstungskontrollpolitik als drittrangig bewertet.
Unverständlich wurde die Debatte dort, wo sich die Vorwürfe gegen die Regierung richteten. Es gibt doch überhaupt keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß sich die sozialliberale Koalition für Sicherheit und Entspannung einsetzt, daß sie der Rüstungskontrolle immer dann Vorrang einräumt, wenn dies mit dem Prinzip der Sicherheit vereinbar ist.Die Praxis der Regierung Schmidt/Genscher ist eben die: erst verhandeln. Da hat sich insbesondere bei der FDP seit zwölf Jahren nichts geändert. Ich habe in diesen Tagen die Protokolle der 5, Legislaturperiode durchgelesen, und ich empfehle Ihnen, einmal dasselbe zu tun. Ich spreche von den Jahren 1967, 1968, 1969. Das ist hochinteressant; Sage ich Ihnen, hochinteressant! Da ich damals die Ehre hatte, Herr Mertes, die Konzeption der Freien Demokraten, die ich hier mit erarbeitete, hier vorzutragen — oftmals unter höhnischen Einwürfen der damaligen Koalition; das sage ich hier sehr deutlich—,
möchte ich daran erinnern, daß es Freie Demokraten waren, die ihr Sicherheitskonzept nach dem Prinzip der Arbeitsteilung im Bündnis erstellt haben und die die Übernahme des konventionellen Parts durch die deutsche Bundeswehr bei Verzicht auf die nukleare Teilhabe gefordert haben. Diese Prinzipien ziehen sich bis heute wie ein roter Faden durch unsere Sicherheitspolitik. Bei aller qualitativen Veränderung — auch im Osten leugnet ja übrigens niemand, daß eine militärische Überlegenheit in Zentraleuropa vorhanden, ist — ist dieses Prinzip bis heute aufrechterhalten worden. Gerade deshalb sind wir, wir Freien Demokraten, gerade deshalb ist auch der Bundesaußenminister und Vorsitzende dieser Partei an einer sorgfältigen Datendiskussion interessiert. Denn 150 000 Mann Differenz sind ja kein Pappenstiel; das ist ja immerhin fast die Hälfte der deutschen Landstreitkräfte.
— Gut, dann stimmen wir da ja überein.Meine Damen und Herren, die Datendiskussion, um die es also geht, zielt auf eine datenmäßig abgesicherte Parität, und wir bleiben eben bei diesen Prinzipien der Parität, der Kollektivität und der Selektivität,
wobei wir als viertes in jedem Fall „begleitende Maßnahmen" fordern. Wir brauchen die datenmäßige Absicherung, um die notwendige Transparenz zu erhalten, die Vertrauen überhaupt erst möglich macht.Das Ergebnis der MBFR-Verhandlungen darf nicht sein, daß der Osten auf unsere nationalen Höchststärken Einfluß nimmt., Deswegen fordern wir, daß die Kollektivität dort strikt eingehalten wird. Wir haben auch deutlich gemacht, daß alle nichtamerikanischen Bündnispartner substantielle und signifikante Reduzierungsbeiträge leisten werden. Wir haben mit unseren Vorstellungen zu den vertrauensbildenden Maßnahmen Beiträge geleistet und der Westen wird in Kürze neue Vorschläge machen, die wesentlich auf deutscher Initiative beruhen.Wir Freien Demokraten legen großen Wert darauf, daß hier Fortschritte erzielt werden. Denn selbst bei Erreichen des MBFR-Ziels, nämlich eines Ceilings von 700 000 auf beiden Seiten, wird eine östliche Überlegenheit von 11 000 Panzern in Mitteleuropa bleiben und werden die geographischen Vorteile des Ostens in der Größenordnung von 600 zu6 000 km bleiben.Diese gegenüber dem Westen bei der Heranführung von Truppen nach Mitteleuropa weiterhin bestehende militärische Überlegenheit des Warschauer Pakts macht Maßnahmen der Vertrauensbildung im Interesse der Sicherheit von Ost und West dringend notwendig. Dafür ist — und nun verwende ich einmal einen Begriff aus der Sicherheitspolitik, nämlich den der Triade; aber hier wende ich ihn einmal auf bundesdeutsche Verhältnisse an — —
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, sofort zum Schluß zu kommen.
Die „bundesdeutsche Triade" von Bundeskanzler, Bundesaußenminister und Bundesverteidigungsminister ist ein Garant für die Konti-
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Jungnuität der Entspannungspolitik der FDP, die wir in den sechziger Jahren konzipiert, in den siebziger Jahren gemeinsam mit den Sozialdemokraten Schritt für Schritt realisiert haben und die wir zur endgültigen Sicherung des Friedens in die achtziger Jahre hineintragen werden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Franz Josef Strauß hat in seiner 'letzten sicherheitspolitischen Rede am 11. Mai 1978 hier im Deutschen Bundestag ausgeführt — ich zitiere —:
Ich halte Herrn Breschnew nicht für einen Kriegstreiber. Das russische Volk ist friedliebend. Davon können wir überzeugt sein.
Wir haben diese Aussagen damals allgemein akzeptiert. Als Verteidigungsminister habe ich damals und immer wieder gesagt: Auch ich gehe von dieser Überzeugung aus.
Aber es ist nicht meine Aufgabe, Forschung nach Motiven zu betreiben, sondern wir bewerten Potentiale. Wir kommen dabei übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß das sowjetische Potential größer ist, als es nur zur Verteidigung notwendig wäre.
— Dies ist überhaupt keine neue Erkenntnis.
Darauf haben wir schon vor Jahren hingewiesen. Das hat dann in der NATO im letzten Jahr zu dem Beschluß geführt, mit dem das langfristige Verteidigungsprogramm verabschiedet wurde. In Bonn ist im Mai letzten Jahres zwischen unserem Bundeskanzler und Herrn Breschnew die Bonner Deklaration verabredet worden, wonach die ungefähre Parität die Voraussetzung für Rüstungskontrollpolitik, Entspannung und Frieden ist.
Ich meine also, wir sollten uns auf die Feststellung von Franz Josef Strauß zurückbesinnen, die davon ausgeht, daß hier niemand Kriegstreiber ist, wir aber dennoch allen Grund haben, unsere Verteidigungsfähigkeit zu erhalten.
Ich mache eine zweite Feststellung. Dabei darf ich wiederum mit Genehmigung des Präsidenten auf Franz Josef Strauß zurückgreifen.
- Ich erinnere Sie ja nur an das, was Sie im letzten Jahr hier vorgetragen haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, um deutlich zu machen, wie demagogisch Sie heute argumentieren.
Meine Damen und Herren, im letzten Jahr sagte Franz Josef Strauß:
Die Sowjetführung weiß ganz genau, daß bei der Stärke der NATO, bei der politischen Zusammensetzung der NATO und den in der NATO geltenden inneren Regeln ein Angriffskrieg weder vorbereitet noch durchgeführt werden kann.
Ich möchte Sie erneut auf diese Aussage festnageln, damit Sie jetzt nicht draußen den Eindruck erwekken, als stünden wir unter der immanenten Gefahr eines sowjetischen Angriffs. Beide Aussagen von Strauß — Breschnew ist friedliebend, das sowjetische Volk ist friedliebend; die NATO ist stark, die NATO kann uns verteidigen —
gelten dann ja wohl auch noch heute, in dieser aufgeregten Debatte der letzten Wochen.
Damit komme ich zu einem dritten Punkt. Der Bundeskanzler hat bereits im Oktober 1977 — und nicht zum erstenmal — auf die Mittelstreckenproblematik aufmerksam gemacht — bekannt unter dem Begriff Grauzone, — mobile sowjetische Mittelstreckenwaffen, die auf Europa gerichtet sind. Wir sind es gewesen, die dieses Element in die internationale Debatte eingeführt und Problembewußtsein geschaffen haben. Herr Wörner, Sie wissen genau, wir haben noch einen langen Weg vor uns, bis andere dieses Problembewußtsein mit uns teilen. Aber in einem Punkte sind wir doch einig: Die Lösung dieser Mittelstreckenproblematik gehört erstens in den Komplex SALT III. Sie ist keine Frage der Modernisierung- der nuklearen Gefechtsfeldwaffen. Zweitens ist dies eine so hochgradige politische Frage, daß ich persönlich, der Verteidigungsminister Hans Apel, diese aufgeregte Debatte gut finde. Dies ist doch keine Debatte für Experten. Dies ist doch keine Debatte für Militärs, sondern eine Debatte für Politiker.
Und sind wir denn nicht alle zusammen Politiker? Müssen wir uns nicht bei Herbert Wehner dafür bedanken, daß diese Debatte endlich ins Bewußtsein gehoben wird?
— Jawohl! Das bedeutet überhaupt nicht, daß ich mir jede Vokabel, die in dieser •Debatte verwandt wird, zu eigen mache. Idh bin aber für die politische Debatte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erinnern Sie sich bitte auch an das, was Sie mit mir einvernehmlich im Verteidigungsausschuß festgestellt haben, nämlich daß die USA eine Nuklearmacht sind,
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Bundesminister Dr. Apel
daß sie uns zu sagen und darauf hinzuweisen haben, was notwendig ist, daß es eine Bündnisantwort geben muß, bei der die Bundesrepublik nicht alleinstehen darf, daß wir Rüstungskontrollpolitik mit Verteidigungsfähigkeit zu verbinden haben, damit der Frieden sicherer wird. Dann wird deutlich, wo die Aufgabe liegt.
Wir werden im Detail viel Streit haben — davon bin ich überzeugt —, aber lassen Sie uns im Interesse des Landes, im Interesse des Friedens und auch der NATO aufhören, auf Pappkameraden zu schießen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat' der Herr Abgeordnete Dr. Mertes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Abgeordnete Wehner die Sprache gesprochen hätte, die soeben der Bundesminister der Verteidigung gesprochen hat, hätten wir diese Aktuelle Stunde nicht.
Es steht doch völlig außer Zweifel, daß es zwischen
Regierung und Opposition in Fragen der Abrüstung
und Rüstungskontrolle bisher Konsens gegeben hat.
Aus diesem Konsens ist Herr Wehner ausgebrochen.
— Herr Wehner, Sie sind nicht ein Mann des Konsenses. Sie wollen dieses Land spalten: in Friedensfreunde und in kalte Krieger,
in Aufrüster und Abrüster, in anständige Leute und in unanständige Leute, in Nazischützer und in Nazigegner. Das wollen Sie: Sie wollen unser Land spalten.
Sie erheben sich zum Schiedsrichter darüber, wer in diesem Lande den Frieden will, wer die Entspannung will, wer wirklich Aufrüstung will, wer wirklich ein Gegner des Nationalsozialismus ist. Herr Kollege Wehner, dies ist eine ganz schofele Taktik.
Ich kann nur hoffen, daß das deutsche Volk und Ihre Fraktion den schofelen Charakter dieser Ihrer Politik erkennen.
Herr Abgeordneter Dr. Mertes, ich bitte Sie, in Ihrer Wortwahl etwas zurückhaltend zu sein.
Meine Damen und Herren, hier wird doch einfach die' Wirklichkeit auf den Kopf gestellt. Mit den Äußerungen, die Herr Wehner zu Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle getan hat, hat er Unruhe im Bündnis, hat er Unruhe in der Regierung, in der Koalition ausgelöst. Wir erleben heute ein großes Ablenkungsmanöver,
die große Filibusterei, um an Wehner vorbeizukommen.Herr Kollege Ahlers, ich nehme sehr ernst, was Sie über den Friedenswillen von Herbert Wehner gesagt haben. Ich zweifle nicht daran. An unserem Friedenswillen darf aber ebenfalls nicht gezweifelt werden. Es kann doch nur darum gehen, wer hier den richtigen Weg geht und welches der richtige Weg ist. Nur darüber darf gestritten werden. Darüber ist eigentlich zwischen Regierung und Opposition im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle immer im Konsens diskutiert worden. Sie gefährden doch diesen Konsens, und damit gefährden Sie eine wesentliche Voraussetzung der Friedenssicherung.
So, wie Sie die Dinge darstellen, Herr Kollege Wehner, ist Einigkeit zwischen Ost und West. Aber Sie haben hier den. typischen Fall bei dem Wort „Parität". Bei den Wiener Truppenabbauverhandlungen hat die Sowjetunion früher immer gesagt, die Überlegenheit im konventionellen Bereich sei die Voraussetzung des Friedens in Europa. Dann merkte sie, wie populär das Wort „Parität" geworden war, und sagte: Ja, wir sind auch für Parität, aber sie ist schon da. Der Westen sagt demgegenüber: Nein, sie muß erst hergestellt werden. Das ist die typische Einigung in der Vokabel, der keine Einigung in der Sache gegenübersteht.
Das gleiche läßt sich vom Begriff der Entspannung sagen. Wenn die Sowjetunion von „Entspannung" spricht, meint sie die Verhinderung der Verwirklichung der Menschenrechte und den Aufbau eines offensiven Potentials.Damit wir uns nicht mißverstehen: Wir behaupten nicht, daß die Sowjetunion den Krieg wolle. Wir haben immer gesagt, daß die Sowjetunion militärische Macht auch zur Durchsetzung ihrer Politik mit den Mitteln der Einschüchterung, des Drucks, der Drohung und der Erpressung aufbaue.
Aus der gesamten Militärdoktrin der Sowjetunionwird ganz klar, wie sie strategisch in diesen Fra-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10953
Dr. Mertes
gen denkt. Herr Bundesminister der Verteidigung, ich möchte vorschlagen, daß Ihr Haus einmal einen Vergleich der Militärdoktrinen des Warschauer Pakts und des Westens durchführt. Damit wäre die Sachlichkeit wieder da, die hier gegeben sein muß.
Wir wollen hier über Abrüstung und Rüstungskontrolle nicht kurpfuscherisch sprechen, sondern in politischer und militärischer Gekonntheit. Kurpfuscherei kann dem Frieden und der Abrüstung nur schaden.Nun noch ein Wort zur sowjetischen Politik insgesamt: Die sowjetische Politik ist äußerst risikoscheu. Die Führer der Sowjetunion sind keine Abenteurer wie Hitler. Sie sind in den Fällen, in denen sie militärisch offensiv geworden sind, im Winterkrieg gegen Finnland und während der Kuba-Krise, zurückgewichen, als ihnen ein bewußter Wille gegenüberstand. Derjenige, der die Kräfte des Widerstandes im Westen schwächt, schwächt die Kräfte in Moskau, die risikofeindlich sind.
Ohne daß 'er es will, verstärkt er damit die aggressiven Kräfte in der Sowjetunion.
Der Abgeordnete Wehner hat es im Laufe der letzten Jahre an verschiedenen Scheidewegen der deutschen Außenpolitik übernommen, den falschen Weg zu gehen. Er hat sich nicht gescheut, seine eigene Regierung 'immer wieder anzuklagen und zu kritisieren. Kaum hatten wir hier die gemeinsame Entschließung zu den Ostverträgen verabschiedet, da hat sie Herr Wehner schmählich abgewertet. Kaum gingen unsere Verhandler nach Prag, um über den Prager Vertrag zu verhandeln, da hat er die „Korinthenkacker" des Auswärtigen Amtes lächerlich gemacht und die tschechoslowakische Position im Ergebnis gestärkt.
Kaum war die KSZE vorbei, hat er die falschen Interpretationen begünstigt.Herr Kollege Wehner, ich kann - Ihnen nur raten: Frieden darf kein Wort sein, Frieden muß zunächst einmal friedliche Sachlichkeit in diesem Hause sein. Dazu haben Sie nicht gedient.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herbert Wehner hat vorhin versucht — ist aber durch Ihr Geschrei nicht dazu gekommen —,
zu zitieren, was Giscard d'Estaing, der französische Staatschef, in einem Interview am 25. Juli 1977 gesagt hat. Die Frage, die an den französischen Staatspräsidenten gestellt wurde, lautete:
Wie erklären Sie, daß die sowjetische Wirtschaft immer noch der militärischen Produktion untergeordnet wird?
Die Antwort des französischen Staatspräsidenten:
Die Russen haben genügend historische Gründe, sich militärisch verwundbar zu fühlen. Mir scheint, daß sie immer noch Parität und nicht Überlegenheit wollen.
Der amerikanische Präsident Carter hat in einem Presse-Interview vom 29. November 1978 auf die Frage: Worauf zielen die Sowjets nach Ihrer Meinung ab? wie folgt geantwortet:
... ich glaube, daß die Sowjets vor allem Frieden und Sicherheit für ihr eigenes Volk wollen, ...
ihre beiden Grundmotive sind, so wie auch bei uns, Sicherheit für sich selbst und den eigenen Einfluß in der übrigen Welt so weit wie möglich zum Tragen zu bringen.
So weit der amerikanische Präsident.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Kollege von Dohnanyi, hat am 22. Januar im „Bergedorfer Gesprächskreis" in Moskau gesprochen und dort in einem Vortrag, der im „Bulletin" abgedruckt. worden ist, gesagt:
Wir gehen davon aus, daß die Sowjetunion ihr schnell wachsendes militärisches Potential ausschließlich zu Verteidigungszwecken geschaffen hat und erhält.
Vielleicht kann Herr Kohl mir jetzt einmal folgendes erklären: Wenn der französische Staatspräsident das sagt, was Herbert Wehner sagt, dann kommt keine Äußerung.
Wenn der amerikanische Präsident dasselbe sagt, kommt keine Äußerung. Wenn der Staatsminister im Auswärtigen Amt dasselbe sagt, kommt keine Äußerung.
Aber wenn Herr Wehner dasselbe sagt
— er sagt genau dasselbe —, dann nennt ihn Herr Zimmermann ein „Sicherheitsrisiko", dann erklärt Herr Strauß, Wehner spiele „die Karte der sowjetischen Strategie",
und unter der Verantwortung von Herrn Kohl erklärt der Bundesvorstand der CDU:
Die Übernahme der sowjetischen Definition des Warschauer Paktes durch Herbert Wehner als einer Defensiv-Organisation ist eine Fortsetzung dieser geistigen Volksfrontbewegung und
10954 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode —'138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. Ehmke
eine Provokation der NATO und des westlichen Bündnissystems aller freien Bürger.
Wir werden eine Zusammenstellung dieser Äußerungen machen und dann mit dieser Darstellung klarmachen, was Sie von den Meinungen halten, die der amerikanische Präsident und der französische Staatspräsident vertreten.
— Sie lachen darüber. Aber ich sage Ihnen: Mit dieser Stellungnahme des CDU-Bundesvorstandes sind Sie in der Diffamierung von Herbert Wehner auf einem Wege, auf dem die Rechtsradikalen die Weimarer Republik kaputtgemacht haben.
Im übrigen werden wir ja am 8. und 9. März hinreichend Gelegenheit haben, über alle Sachfragen im einzelnen zu debattieren. Ich möchte. Ihnen einen Rat weitergeben, den der frühere amerikanische Botschafter in Bonn, der jetzige Chef des Atlantischen Instituts in Paris, Herr Dr. Martin Hillenbrand, den Deutschen und den Europäern in einem Vortrag in Zürich, über den in der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 2. Februar 1979 berichtet werden ist, gegeben hat. In dem Bericht heißt es:
Hillenbrand warnte in diesem Zusammenhang vor den alarmistischen Tönen angeblicher Fachleute, die ständig die Situation von 1979 mit derjenigen des Jahres 1984 verwechselten und in ihren Beurteilungen Voraussagen über die sowjetischen Rüstungsfortschritte der kommenden Jahre einsetzten, wie wenn sie heute schon eingetreten wären.
Hillenbrand sagte weiterhin:
... andererseits sollte man sich davor hüten,
aus Mangel an Vertrauen in neurotische Furcht
zu verfallen.
Ich bin der Meinung, die Opposition sollte sich diesen Ratschlag besonders ernst zu Herzen nehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über Fragen der Abrüstung wird lebhafter und intensiver. Leider haben auch die Enttäuschungen über den mangelnden realen Fortschritt zugenommen. Dennoch wächst die Einsicht in die Notwendigkeit einer kooperativen Rüstungsbegrenzungspolitik. In der Tat haben die MBFR-Verhandlungen in Wien eine konzeptionelle Annäherung bringen können. Es bleibt zu hoffen, daß es gelingt, diese Annäherung in konkrete Absprachen umzumünzen.
Diese Verhandlungen, meine Damen und Herren, müssen ohne Ungeduld auf der Grundlage der. westlichen Solidarität und der bewährten Verhandlungsprinzipien fortgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, bereits 1954 und damit viele Jahre vor dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen hat sich die Bundesrepublik Deutschland an den Grundsätzen der Satzung der Vereinten Nationen orientiert. Sie hat entsprechend den Verpflichtungen der Charta der Vereinten Nationen gehandelt. Ihre Zusage zum Gewaltverzicht hat die Bundesregierung in den Verträgen mit der Sowjetunion, Polen, der CSSR und der DDR bekräftigt, und 1975 hat sie sich in der Schlußakte von Helsinki erneut dazu bekannt.
Niemand kann aber übersehen, daß die Bundesrepublik Deutschland in dieser konfliktreichen Welt besonders exponiert ist. Sie ist zuallererst auf den Schutz gegen äußere Bedrohungen und Pressionen angewiesen.
Allein die Verteidigungskraft Westeuropas und Nordamerikas garantiert diesen Schutz. Die Politik der Kriegsverhütung ist deshalb zur zentralen Aufgabe unserer Zeit geworden. Entspannungspolitik ohne Vereinbarungen auf dem Gebiet der militärischen Sicherheit und Abrüstung bleibt fragwürdig. Nur praktizierte Abrüstung kann die Lage weiter stabilisieren und den Gewaltverzicht wirksam werden lassen. Das Ringen um die richtige Lösung ist schwierig.
Meine Damen und Herren, dabei darf man und dürfen wir den eigenen Horizont nicht verengen. Deshalb gehört dazu auch die Einsicht, daß sich die Welt von der Warte des Kremls gewiß anders ausnimmt als in unseren Augen. Mit Recht hat Theo Sommer in seinem Beitrag in der „Zeit" vom 2. Februar auf diesen Umstand aufmerksam gemacht. Wir Freien Demokraten werden dieses Faktum nicht übersehen, aber wir schätzen das Rüstungspotential. der Sowjetunion gleichwohl nicht als defensiv ein.
Für die Freien Demokraten gilt deshalb: Die aktive auf Friedenssicherung gerichtete Politik dieser Bundesregierung muß auf der bewährten Grundlage unseres Verteidigungsbündnisses fortgesetzt werden. Der Bundesregierung und ihrem Außenminister gebührt dazu das volle Vertrauen.
Das Wort hat der HerrBundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Erlauben Sie mir, für die Bundesregierung sprechend, ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen, die wir von allen Seiten eben gehört haben.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10955
Bundeskanzler SchmidtHerr Kollege Wörner hat einen Aufsatz meines Freundes Leber in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zitiert, in dem sich Herr Leber u. a. zu dem sowjetischen Mittelstreckenpotential geäußert und daraus später, in der Zukunft resultierende Bedrohungsmöglichkeiten dargestellt hat. Ich hätte daran nichts zu kritisieren. Ich habe darüber öffentlich schon vor Jahr und Tag gesprochen. Ich habe auch mit dem sowjetischen Generalsekretär darüber gesprochen, der eingeräumt hat, daß hier aus meiner Sicht, aus westlicher Sicht ein Problem liegt. Er hat gleichzeitig klargemacht, daß er bereit ist, darüber zu sprechen.Ich bitte im übrigen den Kollegen Wörner, bei der Zitierung Lebers nicht zu übersehen, daß im selben Aufsatz neben anderen Überlegungen deutlich auch die Forderung nach Rüstungskontrollmaßnahmen ausgesprochen wird,
in einer Form und mit einem Inhalt, woran ich ebenfalls kein Wort zu kritisieren hätte.
Ich muß sagen, daß ich mich mit den Ausführungen meines alten Kollegen Leber in diesem Punkte in voller Übereinstimmung befinde.Es hat in den letzten zwei Jahren, innerhalb des Bündnisses, aber auch in internationalen Verhandlungen zwischen West und Ost eine Reihe- von Verhandlungen, von Gesprächen über diese Fragen gegeben. Es hat innerhalb des Bündnisses auch eine Reihe von Modernisierungsbeschlüssen gegeben. Daß Staaten, die ihre Verteidigung in Schuß halten, ihre Waffen modernisieren, ist in Ost und West und Nord und Süd in gleicher Weise selbstverständlich.Nicht selbstverständlich wäre es, wenn bei der Gelegenheit die bestehenden Gewichte zwischen Ost und West, Nord und Süd oder wie immer verschoben würden. Es gilt also für den Westen bei der Modernisierung seiner Verteidigung der Grundsatz, daß die Modernisierung der Aufrechterhaltung der bisherigen Abschreckungsmöglichkeiten, der Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit, nicht aber einem neuen Streben nach Überlegenheiten oder dgl. dient.
Der Grund für die Beschlüsse, von denen ich spreche dazu gehört auch das Long Term Defence Program —, liegt darin, daß natürlich auch auf sowjetischer Seite modernisiert wird — auch das ist normal —, insbesondere aber auf Gebieten
— ich komme darauf zu sprechen, ich bin absolut nicht polemisch gestimmt, Herr Wörner;
nicht alle haben sich der Polemik enthalten, Herr
der Disparitäten auf anderen Gebieten.
Wenn nun in dem Zusammenhang innerhalb des Westens in öffentlichen Debatten, in Vorträgen in Amerika, in Interviews in Deutschland oder im Deutschen Bundestag
— oder im Deutschen Bundestag — von den nuklearen Kräften beider Seiten in Europa gesprochen wird, so muß man sich dabei darüber im klaren sein, daß es für uns, den Westen, darum geht, Schwächen im militärischen Gleichgewicht, wenn sie entstehen, zu erkennen und entsprechende Abhilfe. zu schaffen.
Dies gilt insbesondere für Schwächen, die im Notfall eine Verwirklichung der gemeinsamen Strategie des Bündnisses beeinträchtigen könnten, einer Strategie, die ja in der Androhung von Gegenmaßnahmen besteht und dann, wenn diese Androhung — meist Abschreckung genannt — nicht funktionieren sollte, darin besteht, daß man sich tatsächlich verteidigen kann.
Manche der bisherigen Schwächen konnten auf Grund einer nuklear-strategischen Überlegenheit der Vereinigten Staaten von Amerika ohne weiteres hingenommen werden; in dem Maße, in dem auf diesem Gebiet Parität hergestellt wird, treten diese Probleme deutlicher ins Bewußtsein. Sie müssen weder im Februar noch im März 1979 gelöst werden, aber sie müssen gelöst werden! Ich sage noch einmal: Das ist offenbar auch die Vorstellung des sowjetischen Generalsekretärs.
— Ich habe ja mit ihm darüber gesprochen. Sie brauchen das Wort „hoffentlich" nicht hinzuzufügen; ich bin, was tödlich-wichtige internationale Gespräche zwischen verantwortlichen Staatsmännern angeht, kein Falschmünzer.
Dabei stehen in der Tat die von Herrn Wörner durch Zwischenruf angesprochenen beiden Waffensysteme — Backfire und SS-20 — im Vordergrund.
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10956 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Bundeskanzler SchmidtIch muß in dem Zusammenhang wiederholen, was ich öffentlich mehrfach betont habe: daß eine Beseitigung von Disparitäten durch Rüstungsverringerung, durch Rüstungsabbau allen anderen Möglichkeiten vorzuziehen ist.
Ich sehe dazu Anknüpfungspunkte, z. B. auch auf Grund des schon zweimal zitierten Gesprächs vom Mai vorigen Jahres und der damals veröffentlichten gemeinsamen Erklärung. Denn die Geißel gegenseitig sich steigernder konventioneller Drohungen oder sich gegenseitig steigernder nuklearer Vernichtungsdrohungen kann ja nicht, darf ja nicht Dauerzustand und erst recht nicht Endzustand der politischen Entwicklung sein oder werden.
Ich hoffe, daß es angesichts meiner bisherigen Ausführungen insoweit im Deutschen Bundestag tatsächlich Übereinstimmung gibt, wenngleich der Herr Kollege Mertes den von ihm behaupteten Konsens reichlich strapaziert hat. Es kann ja gar keine Rede davon sein, Herr Kollege Mertes, daß die von der Bundesregierung, von der sozialliberalen Koalition getragene Entspannungspolitik und Rüstungskontrollpolitik von Ihnen in den letzten zehn Jahren mitgetragen worden wäre.
— Die Ablehnung des Verteidigungshaushalts will ich noch gar nicht ins Gewicht fallen lassen. Ich lasse ins Gewicht fallen Ihre Einstellung zur KSZE-Schlußakte und zu den vertrauensbildenden Maßnahmen.
Und ich lasse ins Gewicht fallen Ihre Unfähigkeit, geschlossen dem der nuklearen Rüstungsbegrenzung dienenden Nonproliferationsvertrag zuzustimmen.
— Ich spreche hier auf der Grundlage der Verfassung, Herr Kollege, die mir das Recht gibt, in solchen Debatten das zu sagen, was im Namen der Regierung gesagt werden muß.
Ich wiederhole den Satz noch einmal, und ich wäre dankbar, wenn mir abgenommen würde, daß ich nicht polemische Schärfe in die Sache hineintragen möchte. Ich möchte auch nicht durch Zwischenrufedazu verführt werden. Man wird manchmal verführt, ich räume das ein.
Wenn also innerhalb des Bündnisses Modernisierungsmaßnahmen beschlossen werden, und das geschieht jedes Jahr — manche sind sehr schwerwiegend, AWACS zum Beispiel, manche sind nicht ganz so schwerwiegend, manche sind noch schwerer wiegend als AWACS —, dann hat insbesondere bei nuklearen Waffensystemen natürlich die Führungsmacht des Bündnisses, die Vereinigten Staaten von Amerika, eine besondere Verantwortung, die von ihr auch gesehen und von dem amerikanischen Präsidenten vielfach öffentlich beansprucht und mit Recht beansprucht worden ist. Die Bundesrepublik nimmt innerhalb des Bündnisses jene Verantwortung wahr, die dabei den Nichtnuklear-Waffen-Staaten zufällt.Ich muß in dem Zusammenhang ganz deutlich — weil ich besorgt bin, daß die Debatten der letzten vier Wochen die Konturen verwischt haben könnten oder daß jemand die Konturen nicht mehr erkennen könnte oder vielleicht sogar jemand sie absichtlich mißverstehen könnte — eine Reihe von Punkten betonen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht die Absicht, Nuklearmacht zu werden. Darin stimmen wir sicherlich überein.
Aber — zweitens — sie hat auch nicht die Absicht, Initiativen auf Feldern zu ergreifen, die in der Verantwortung der Nuklear-Waffen-Staaten liegen, auch nicht in Debatten im Deutschen Bundestag. Ich weiß nicht, ob wir da noch übereinstimmen.
Vielleicht ist es ein Punkt, über den man nachdenken muß.
Drittens. Die Bundesregierung wird weiterhin darauf drängen, daß bestehende Disparitäten in die Betrachtungen innerhalb des Bündnisses und in die Verhandlungen zwischen West und Ost einbezogen und daß sie abgebaut werden. Ich nehme an, daß wir in diesem dritten Punkt wiederum übereinstimmen, Herr Wörner.
Viertens. Wir stimmen auch darin überein: die Sicherheit der Bundesrepublik liegt in der Zugehörigkeit zum westlichen Bündnis. Niemand in der Welt bezweifelt, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre darauf resultierenden Verpflichtungen bisher einwandfrei erfüllt hat. Es sollte auch niemand hier Zweifel säen, daß sie in Zukunft ihre Verpflichtungen, die daraus resultieren, einwandfrei erfüllen wird.Ich füge einen fünften Punkt hinzu. Unsere Verbündeten wissen in all diesen Zusammenhängen,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10957
Bundeskanzler Schmidtdaß die Bundesrepublik Deutschland sich weder von Partnern im Westen noch von Nachbarn im Osten noch von Kräften im eigenen Lande,
daß unser Land sich auf keinen Fall in eine Lage drängen lassen wird, die die Positionen unseres Landes, die strategischen Positionen unseres Landes in eine von allen übrigen Staaten des westlichen Bündnisses kategorisch unterschiedliche Lage bringen wird.
Wenn in dem Zusammenhang der Herr Kollege Jaeger vorhin den. Vorwurf erhoben hat, daß der Bundeskanzler zu all diesen Fragen bisher noch nicht ausreichend Position bezogen hätte: Ich habe durchaus die Absicht, das in der Sicherheitsdebatte Anfang März zu tun. Ich tue das heute — im Anschluß an Ausführungen, die der Herr Staatsminister von Dohnanyi in der Fragestunde gemacht hatte — mit der folgenden deutlichen Einschränkung: Es gibt in diesen Zusammenhängen Erwägungen innerhalb des Bündnisses, auch Erwägungen zwischen West und Ost, die selbstverständlich von einem freien Abgeordneten — sei es auf seiten der Koalitionsparteien, sei es auf Seiten der Oppositionsparteien — in öffentlicher Rede hin- und hergewendet werden können, die aber in öffentlicher Rede darzulegen den operativen Personen der Bundesregierung versagt bleibt. Man kann vieles nicht an die Offentlichkeit tragen — jedenfalls kann das eine verantwortliche Regiering nicht —, was innerhalb des Bündnisses noch nicht übereinstimmend abgeklärt worden ist.Dieser Umstand macht es schwierig, auf entstellende, zum Teil sogar bewußt entstellende Unterstellungen richtigstellend zu antworten.
Ich meine z. B. eine Reihe von Aufsätzen in Zeitungen, die ich gelesen habe, Herr Mertes — nicht nur deutschen, auch anderen deutschsprachigen Zeitungen, auch in Zeitungen. anderer westlicher Länder, die in anderen Sprachen erscheinen —, über das, was angeblich die Bundesregierung auf dem Feld der Mittelstreckenwaffen wirklich wolle.Ich habe darauf verzichten müssen, midi bisher dazu zu äußern. Das wird vielleicht auch so bleiben. Aber ich will doch eine Interpretationshilfe anbieten.
— Dies ist kein Mißbrauch, sondern ich rede hier auf Grund des Rederechts der Bundesregierung nach dem Grundgesetz.
Meine Damen und Herren, wir sind in der Aktuellen Stunde. Ich bitte unter Punkt 3 Abs. 1 nachzulesen,
daß die Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrats bis zu 30 Minuten Redezeit ohne Anrechnung beanspruchen können.
Wenn diese Redezeit überschritten wird, verlängert sich die Dauer der Aussprache ebenfalls um 30 Minuten. Ich bitte davon Kenntnis zu nehmen.
Darf ich bitten, Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Schönen. Dank für die Klarstellung, Herr Präsident, ich war mir dessen bewußt.Ich knüpfe noch einmal an den angefangenen Satz an. Es gibt eine Interpretationshilfe, vielleicht für Herrn Kollegen Mertes, vielleicht für Herrn Kollegen Wörner, vielleicht nicht unbedingt für Herrn Kollegen Jaeger — das weiß ich nicht. —: Das, was der gegenwärtige Bundeskanzler zu diesen Fragen, zu diesem sehr komplizierten Komplex von Fragen der Verteidigungsfähigkeit, der Absdirekkungsfähigkeit, des Gleichgewichts, der Herstellung des Gleichgewichts auch durch Rüstungskontrollvereinbarungen denkt, ist zu interpretieren an Hand dessen, was er im Laufe von 20 Jahren dazu publiziert hat. Er hat in dieser Zeit seine grundlegenden Auffassungen nicht verändern müssen. Ich darf Sie daran erinnern, daß etwa das, was heute unter den amerikanischen Abkürzungsbuchstaben „MBFR" verhandelt und in der Welt debattiert wird, hier von diesem Pult aus sprechend vor fast genau 20 Jahren von mir zuerst vorgetragen worden ist; damals allerdings auf dem geistigen Fundament stehend, das Fritz Erler dafür schon geschaffen hatte.Es gibt ein Buch von mir zu diesem Thema. Es gibt 10 Jahre später ein Buch 'von mir unter dem das gleiche Thema umfassenden Titel „Strategie des Gleichgewichts" — übrigens geschrieben und publiziert zur Zeit der Großen Koalition —, in dem Sie die Grundlinien der seither ins Werk gesetzten Entspannungs- und Rüstungskontrollpolitik schon finden.Dies alles hat sich für mich nicht geändert. Vielleicht hilft Ihnen das ein bißchen, in bezug auf die Gegenwart zu extrapolieren, die mir in mancher Beziehung den Mund noch verbietet.Ich bitte Sie, überzeugt zu sein, daß es ein unverändert starkes Engagement der Bundesregierung für MBFR gibt. Ich selbst habe darüber mit der Mehrzahl der Regierungs- oder Staatschefs Europas sprechen können, natürlich auch mit den Regierungsoder Staatschefs in den Vereinigten Staaten oder in Kanada, aber ebenso auch mit Herr Breschnew, mit Herrn Gierek, mit Herrn Kadar, mit dem Präsidenten Husak. Ich bin darin tief engagiert.
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10958 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Bundeskanzler SchmidtFür mich stehen Bemühungen um konventionelle Rüstungsbegrenzung in Europa im gleichen Rang wie die amerikanischen Bemühungen um die Begrenzung der nuklear-strategischen Waffen zwischen ihnen beiden. Mir ist durchaus verständlich, daß es hier und dort immer wieder Unruhe darüber geben kann, daß die Verhandlungen so lange dauern. Auch die SALT-Verhandlungen dauern inzwischen zehn Jahre. Es sind komplizierte Gegenstände. Bei MBFR sind sehr viel mehr Verhandlungspartner als bei SALT beteiligt, und es geht auch um mehr und um verschiedenartige Waffensysteme. Auch die Verschiedenheit der europäischen Geographie spielt eine viel größere Rolle als die Verschiedenheit der Geographie dort, wo es um weltweite interkontinentale Systeme geht. Es ist ein komplizierter Kornplex, und wir, der Westen, müssen unsere Verhandlungen im Rahmen dieses Komplexes in Solidarität miteinander führen.Die letzte westliche Initiative vorn Dezember 1978 wird ebenso wie die vorangegangene westliche Initiative vom April 1978 und die dazwischenliegende östliche Antwort vom Juni 1978 zu einer Belebung der Verhandlungen beitragen. Ich gehe davon aus, daß der, wie ich hoffe, bevorstehende Abschluß von SALT II zusätzlich ein günstigeres Verhandlungsklima für MBFR schaffen wird. Der Westen ist dabei, sich darauf vorzubereiten.Ich füge in diesem Zusammenhang hinzu, daß es unser gemeinsamer Vorschlag war, zu erwägen, ob die ganze Sache nicht dadurch an Gewicht und an politischer Beschleunigung gewinnen könnte, wenn man sie' für eine Sitzungsrunde auf die Ebene der Außenminister höbe. Wir halten an dieser Erwägung fest; Sie werden das übrigens auch in den Antworten auf Ihre Großen Anfragen wiederfinden. Vielleicht soll ich in dem Zusammenhang noch anfügen, daß das ein Gedanke von deutscher Seite war.Aber ehe ich ein weiteres Wort auf den Bundesminister des Auswärtigen verwenden darf, muß ich ein anderes Wort einfügen, was das Kopfzerbrechen oder das „Zerbrechen fremder Köpfe" angeht: Niemand kann hoffen, Entspannung oder militärisches Gleichgewicht oder Gleichgewicht insgesamt zustande zu bringen, wenn er sich nicht täglich auch den Kopf des anderen zerbricht. Anders ist das nicht möglich.
Man muß seine eigenen Interessen analysieren,
man muß die Interessen des Gegenüber analysieren.
Man muß wissen, daß in solchen Verhandlungen nicht nur das eigene Gesicht, sondern auch das Gesicht des Gegenüber zu wahren ist.
Nur wenn man das will und kann, darf man hoffen, zú Verhandlungsergebnissen zu kommen.Lassen Sie mich hier eine Bemerkung einfügen: Nicht nur auf diesem Feld, auch auf anderen Feldern gibt es bei unseren beiden Koalitionsparteien, FDP wie Sozialdemokratie, natürlich — und nicht immer ist die Bundesregierung dafür nur dankbar — auch Kritik an dem, was die Bundesregierung tut oder läßt. Manchmal ist man dafür durchaus dankbar. Das ist bei Koalitionsregierungen etwas Normales. Das war zur Zeit der Großen Koalition in Bonn so — ich kann mich daran sehr gut erinnern —, das war zur Zeit der vorangegangenen Kleinen Koalitionen nicht anders, das ist in Landtagskoalitionen auch nicht anders. Solcher Kritik ist grundsätzlich auch kein Ressort enthoben.Ich will in diesem Zusammenhang die Bemerkung von eben wiederaufnehmen: Die Abrüstungspolitik dieses Staates wird federführend vom Bundesminister des Auswärtigen unter Beteiligung insbesondere des Bundesministers der Verteidigung gestaltet, und sie wird vom Kabinett in allen wichtigen Stufen beschlossen. Ich möchte daran keinen Zweifel lassen. Das war so; das ist so.; das wird auch in Zukunft so sein.
Wir haben den gegenwärtigen Stand, soweit es öffentlich tunlich ist, in der Ihnen in der nächsten Woche gedruckt vorliegenden Antwort auf die zwei Großen Anfragen dargestellt. Ich benutze die heutige Gelegenheit, um nicht nur im Zusammenhang der Antworten auf Große Anfragen, sondern im Gesamtzusammenhang des bisher erreichten Beitrags zur Gleichgewichtspolitik in der Welt ausdrücklich den Herren Bundesministern Genscher und Apel und ihren Mitarbeitern öffentlich Dank aussprechen für ihr Engagement und für ihrer beider intensiven Bemühungen
sowohl im Abrüstungsbereich als auch im Verteidigungsbereich, das' heißt, für ihr Engagement in der Bemühung um Gleichgewicht in der Welt.Ein letztes Wort, gerichtet an den Herrn Kollegen Wörner. Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Wörner die Absicht hatte oder ob es ihm bewußt war, daß bei seinem Vortrag in Kalifornien für einige — und ich sage Ihnen offen: auch bei mir — der Eindruck entstanden ist, als ob deutsche Politiker-mit öffentlich erhobenen Forderungen an die Adresse der nuklearen Bündnisvormacht USA die Rüstungs- und Abrüstungspolitik der Nuklearmächte in einer Weise beeinflussen wollten, die nicht mehr ganz deutlich jene Trennlinie erkennen ließ, die ich ganz deutlich erkennbar bleiben lassen möchte. Ich wiederhole: Wir wollen kein nuklearer Staat werden. Wir wollen auch nicht durch die Hintertür die nuklearstrategischen Entscheidungen der Nuklear-Deutscher Bundestag — 8: Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10959Bundeskanzler Schmidtwaffenstaaten von uns aus mitbestimmen oder bestimmen.
Wo wir mitzubestimmen und zu bestimmen haben, das sind unsere deutschen Angelegenheiten, unsere Sicherheit,
die Sicherheit unserer Nachbarn. Und wenn umgekehrt Herr Wehner durch seinen öffentlichen Diskussionsbeitrag die Bedeutung der Rüstungskontrolle wieder ins öffentliche Gespräch gebracht hat, so scheint mir, daß durch seine Beiträge vielen erneut klargemacht worden ist,
daß unsere Sicherheit auf zwei Elementen beruht, die im Prinzip gleichwertig sind: Verteidigungsfähigkeit hier, Rüstungsbegrenzung dort, beides zusammen einmündend in Gleichgewicht. Gleichgewicht allein ist noch keine Friedensgarantie: Wenn. man nur auf militärisches Gleichgewicht den Frieden stützen wollte, bliebe es sein sehr prekärer Friede.
Es gehört viel psychologisch richtiges Eingehen auf die Besorgnisse und die Nöte der jeweils anderen Seite dazu, auch auf wirtschaftlichem Feld, auch auf rein politischen und psychologischen Feldern.Die Bundesregierung und die politischen Parteien in diesem Staat, der in so vorbildlicher Weise seinen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und zur gemeinsamen Fähigkeit des Bündnisses, durch Anstrengung auf beiden Feldern — Verteidigungsfähigkeit wie Rüstungskontrolle — für Gleichgewicht zu sorgen,
leistet, haben nun allerdings nicht nur das Recht, sondern in meinen Augen ebenso die politische Pflicht, auf Fortschritte auch diesem anderen Feld, der Rüstungskontrolle, zu drängen.Richtig verstandene, realistisch angelegte Verhandlungen zur Rüstungskontrolle
werden, .so hoffe ich, das Gleichgewicht in Europa und damit unsere eigene Sicherheit und die Sicherheit unserer Nachbarn in Ost und West stabilisieren. — Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich beginne mit einem kurzen Wort zu Ihrer ganz und gar zutreffenden Auslegung des Grundgesetzes, was das Rederecht der Bundesregierung betrifft. Ich möchte in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß im April 1975 der Präsident des Hauses noch einmal darauf hingewiesen hat, daß die Bundesregierung unter dem Bundeskanzler Ludwig Erhard bereits im Jahre 1965 ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt hat, sich in die Redeordnung der Aktuellen Stunde einzufügen.
Ich will das Thema jetzt in der mir zur Verfügung stehenden kurzen Zeit nicht vertiefen, aber, Herr Bundeskanzler, ich bin sicher, Sie werden uns zustimmen, wenn wir bald einen entsprechenden Antrag hier im Plenum zur Änderung der Geschäftsordnung einbringen, damit sich der heutige Zustand nicht wiederholt.
Wie immer das Demokratieverständnis im einzelnen sein mag: Es ist ein unerträglicher Zustand, daß die Bundesregierung unbegrenzte Redezeit in Anspruch nehmen kann und daß dann die folgenden Redner das Thema in der Reihenfolge von dreimal fünf Minuten abhandeln müssen.
Ich will zum wesentlichen des heutigen Nachmittags zurückkehren. Herr Bundeskanzler, was Sie hier in einer langatmigen Rede dargelegt haben, hat in "einem Punkt vor allem zur Ablenkung vom Gegenstand geführt.
Ich darf zu diesem Gegenstand noch einmal zurückkehren, nämlich zu jenem Interview von Herbert Wehner, das nicht nur im In- und Ausland große Beachtung gefunden hat, sondern das -die deutschen Interessen in schäbigster Weise geschädigt hat. Das ist der entscheidende Punkt.
Herr Wehner, Ihr emotionaler Ausbruch hier am Rednerpult kann nicht darüber hinwegtäuschen,
daß Sie in einer schwierigen Verhandlungsposition der MBFR-Verhandlungen der deutschen Bundesregierung — das ist zunächst keine Koalitionsfrage, sondern eine Frage des deutschen Standpunkts — öffentlich ins Stammbuch schrieben — ich zitiere —:Die Bundesrepublik ist der bremsende Faktor. Ich weiß, wo die Schwachstelle der westdeutschen Präsentation der Außenpolitik liegt. Ich kenne die Methoden des Außenministers Genscher, und ich bin nicht damit einverstanden.
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10960 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. KohlEs ist nicht mein Geschäft, in diesen Minuten auf die traurige Rolle der Redner der FDP hier heute nachmittag einzugehen.
Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben zu diesem konkreten Vorgang keine klare Auskunft gegeben.
Mit dem allgemeinen Lamento, daß, es eine Koalitionsregierung auch mit ihren Koalitionsfraktionen schwer habe, können Sie nicht davon ablenken, daß hier ein zentraler Schlag gegen jene deutsche Politik geführt wird, von der Sie soeben wieder behaupten, sie sei immer im Sinne der Meinung des ganzen Hauses gewesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Warum hat es überhaupt erst des Zwangs dieser Aktuellen Stunde bedurft, bevor Sie sich zu diesem Thema öffentlich verbindlich geäußert haben?
Alles, was bisher in die Offentlichkeit drang, war Ihre Bemerkung vor der SPD-Fraktion, Sie brauchten Herrn Genscher. In der Tat brauchen Sie Herrn Genscher, sonst säßen Sie überhaupt nicht auf diesem Stuhl; das ist eine sattsam bekannte Tatsache.
Wenn Sie jetzt, statt auf den zentralen Punkt des Angriffs von Herbert Wehner einzugehen, hier einen ganz allgemeinen Dank aussprechen, dann kommen uns die Erinnerungen aus den letzten Monaten. Ich erinnere mich, wie Sie hier von diesem Pult aus dem damaligen Verteidigungsminister Leber den Dank ausgesprochen haben, und 14 Tage später war er zurückgetreten. Das war doch damals ein deutliches Signal dafür, daß sich in der Politik Ihrer Regierung etwas verändern soll.
Herr Kollege Wehner, jetzt zu Ihnen: Der Kanzler hat sich ja heute im Bundestag, weil er hier damit rechnen muß, daß ihm sofort geantwortet wird, wesentlich zurückhaltender geäußert, als er dies in diesen Tagen draußen tut. Unser Kollege Mertes hat Ihnen die Stationen Ihres Einwirkens, Ihres unglückseligen Einwirkens auf die deutsche Außenpolitik in den letzten Jahren noch einmal in Erinnerung gerufen. Sie heben dem Interesse der Bundesrepublik Deutschland mit Ihrer Art der Diffamierung des Briefes zur deutschen Einheit geschadet,
und Sie haben während der CSSR-Verhandlungen den Interessen unseres Staates geschadet, indem Sie ohne jede Not einseitig die Position unserer Vertragspartner übernommen haben.
Sie haben auch jetzt wieder einen Vorstoß unternommen, der doch - für den, der von den inneren Verhältnissen der Sozialdemokratischen Partei Kenntnis hat — nicht zufällig aus den einsamen Träumen eines einsamen Mannes entstanden ist. Herr Bundeskanzler, was immer Sie hier sagen mögen, Sie haben es bis zur Stunde nicht vermocht,
den im Lande und im Ausland größer werdenden Verdacht zu entkräften, daß auch dieser Vorstoß Herbert Wehners direkt oder indirekt mit Ihrer Billigung erfolgt ist,
zumal uns doch auch hier die Erinnerung schreckt, nämlich die Erinnerung daran, daß wir im April letzten. Jahres bei der Diskussion über die Neutronenwaffe genau dasselbe Beispiel erlebt haben: Sie haben gegenüber den NATO-Verbündeten, auch gegenüber den Amerikanern, und im kleinen Kreis mit uns bestimmte Äußerungen gemacht, und Ihre eigene Partei, damals unter Anführung von Herrn Bahr, hat in der Bundesrepublik eine breite Diffamierung der Dislozierung der Neutronenwaffe unternommen.
So versuchen Sie, sich über die Runden zu mogeln. Das ist aber keine staatsmännische Kunst, sondern die Feigheit und die Kapitulation vor den Linken in Ihrer eigenen Partei.
Ein Letztes, meine Damen und Herren: Auch diese Debatte heute hat — vor allem durch den Schlußsatz des Herrn Ehmke — deutlich gemacht, daß es Ihnen überhaupt nicht darum geht, in den wirklich zentralen Fragen der nationalen Politik ein Stück Gemeinsamkeit zu erarbeiten, zu erringen. Es geht Ihnen darum, Gräben aufzureißen, um damit an der Macht zu bleiben. Das ist das einzige, was in Ihrer Politik noch Sinn macht!
— Herr Ehmke, auch hier sind Sie ein gelehriger Schüler des Kanzlers: Wenn Sie den Begriff des Rechtsradikalen in diese Debatte einführen,
zeigen Sie eben, daß Sie keinerlei Interesse an Gemeinsamkeit mehr haben.
Das, was der Bundeskanzler im Wahlkampf gegenwärtig auf diesem Felde treibt,
das, was Sie hier deutlich gemacht haben, zeigt eben, daß Sie Haß säen, daß Sie Gräben aufreißen und daß Sie Ihrer Friedenspflicht gegenüber dem deutschen Volk nicht nachkommen.
Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verstehe, daß die Opposition die Stunde nutzen will. Ich bedaure, daß dazu Anlaß entstanden ist.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10961
MischnickIch bin der Überzeugung, daß die sachliche Auseinandersetzung über diese Fragen am 8. März der Sache insgesamt dienlicher ist, als wenn man hier polemisch von einer Seite zur anderen Seite andiskutiert, ohne in der Sache selbst zu einem Ergebnis kommen zu können.
Wir lassen uns allerdings, Herr Kollege Kohl, auch wenn das Ihr verständliches Interesse ist, in einer solchen Aktuellen Stunde durch Ihre Ausführungen nicht vorschreiben, an welcher Stelle und in welcher Form wir die Fragen, wo wir unterschiedliche Meinungen haben, wo Differenzen sind, miteinander austragen und so klären, wie wir es im Interesse der Koalition für richtig halten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Diskussionen der letzten Tage haben das deutlich gezeigt, daß es immer wieder nützlich ist, sich den besonderen Charakter der Entspannungspolitik und damit auch der Rüstungskontrollpolitik vor Augen zu führen. Vor allem sollten wir uns der in den Jahren gemeinsam betriebenen Entspannungspolitik bewußt sein. Entspannung kann doch nur ein langfristig, nüchtern und mit dem Blick für das Mögliche geduldig zu betreibender Prozeß sein, bei dem es immer wieder Rückschläge geben wird, wo es nicht ausbleiben wird, daß man den Standort immer wieder neu bestimmen muß. Dies war unser Ausgangspunkt und wird es bleiben. Aber, meine Damen und Herren, ein unbewegliches Verharren in den Denkkategorien allein der militärischen Verteidigungsfähigkeit, welches die Notwendigkeit der Entspannung außer acht läßt, kann doch auch nicht der Prozeß sein, den wir für richtig halten.Ich stelle deshalb für die Freien Demokraten fest:Erstens. Der Bundesaußenminister hat in allen Fragen der Abrüstung, der Rüstungskontrolle und der Rüstungsbeschränkung bisher in voller Übereinstimmung mit dem Bundeskabinett und der Koalition gehandelt und wird auch in Zukunft so handeln,. wie es der Bundeskanzler hier ausdrücklich bestätigt hat.
Zweitens. Durch den Bundesaußenminister sind die Elemente, wie sie beispielsweise Kollege Jung hier dargelegt hat, in die Außenpolitik der Bundesregierung eingeführt worden, die wir seit 15 Jahren für Abrüstung und Entspannung konzipiert haben.
Drittens. Wir Freien Demokraten werden uns nicht darin beirren lassen, gemeinsam mit der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen die Friedens- und Entspannungspolitik fortzusetzen. Dazu gehören Verteidigungs- und Verhandlungsbereitschaft; sie sind für uns gleichgewichtig.
Für uns ist selbstverständlich, daß konkrete Fortschritte bei der Abrüstung nur auf dem Fundament unseres stabilen und verteidigungsfähigen westlichen Bündnisses erzielt werden können. Dies ist die Maxime unserer Politik. Wir werden sie gegen jede Kritik vertreten, ob aus der Koalition oder aus der Opposition; denn wir Freien Demokraten verfolgen diese Politik auf Grund unserer Kenntnis in der Überzeugung: Nur Entspannungs-und Friedenspolitik können für uns, für dieses Land die Zukunft sichern und dazu beitragen, daß das, was wir erreicht haben, sowohl nach außen wie nach innen für die Zukunft bewahrt bleibt.
Das
Wort hat Herr Abgeordneter Horn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die sachliche Rede des Bundeskanzlers und die Polemik von Herrn Kohl waren ein sichtlicher Anschauungsunterricht über das mangelnde Niveau, das uns der Oppositionsführer heute hier geboten hat.
Zur Sache hat er außer Polemik nichts dargestellt. Mir scheint, daß die letzten zwölf Jahre der Sicherheitspolitik des Nordatlantischen Bündnisses an Herrn Kohl und der Union völlig vorbeigelaufen sind.
Seit dem Harmel-Bericht vom Dezember 1967 wird die Sicherheitspolitik des Bündnisses eben durch Verteidigung und Entspannung definiert. Für alle 15 Staaten unseres Bündnisses ist dies die verpflichtende Grundlage der Politik. Die NATO-Staaten kennen die potentielle militärische Bedrohung. Sie wissen aber auch, daß ohne Entspannung der Weg in die Apokalypse führt.Herr Kollege Wörner, in diesem Zusammenhang bedaure ich, daß Sie Herrn Leber vorhin so unvollständig zitiert haben. Mein Parteifreund Georg Leber hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" heute sehr klar gesagt:Es wäre fatal, wenn unsere Antwort nur darin bestehen würde, den sowjetischen Raketen eine angemessene Zahl Raketen mit mittlerer Reichweite in Westeuropa entgegenzustellen.Das ist exakt die Position der Koalition, das ist die Position der SPD, und das ist die Position von Herbert Wehner. In dieser Hinsicht gibt es keinen Riß.Dies ist doch die übereinstimmende Auffassung in West und — wie wir aus Gründen der politischen Vernunft erwarten — auch im Osten. Wie wären sonst die Ausführungen von Herrn Strauß im Deutschen Bundestag nach dem Breschnew-Besuch zu verstehen, in denen er dem russischen Volk und der sowjetischen Regierung attestiert, keinen Krieg herbeiführen zu wollen? Wie wären sonst die Ausführungen von Präsident Carter auf der
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10962 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
HornPressekonferenz in Washington vor drei Tagen zu verstehen, auf der er dem sowjetischen Volk und der sowjetischen Regierung Friedenswillen bestätigt?Daß die Völker bei den allseitigen geschichtlichen Erfahrungen nicht nur auf gute Absichten vertrauen, ist verständlich und notwendig. Gerade die sozialliberale Regierung und die sie tragende Koalition hat ja in den letzten zehn Jahren einen vorbildlichen Beitrag für die militärische Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und Europas im Bündnis geleistet. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können doch die Tatsache nicht verleugnen, daß die Bundesrepublik mit ihren Anstrengungen — z. B. 30 % im investiven Bereich; dos gibt es bei keinem anderen Bündnispartner in der gesamten NATO als vorbildlich angesehen wird. Sie können doch nicht leugnen, daß die Bundesrepublik Deutschland zum erstenmal unter der sozialliberalen Koalition ihren Bündnisverpflichtungen in der NATO voll nachgekommen ist - im Unterschied zu früheren CDU-Regierungen.
— Wir reden sehr wohl darüber, weil Sie versuchen, hier grundsätzlich die Sicherheitspolitik der sozialliberalen Koalition und mit ihr auch Herbert Wehner zu treffen. Deshalb muß auch eine Leistungsdarstellung im Rahmen dieser Debatte erfolgen.
— So ist es.Sie können doch auch nicht leugnen, daß wichtige — auch noch anstehende — Erneuerungsprogramme in der NATO, die auf mehr Sicherheit und Festigung des Bündnisses abzielen, auf die Initiativen sozialdemokratischer Verteidigungsminister zurückzuführen sind. Das Nein der CDU/CSU zu den Verteidigungshaushalten war sicherlich auch nicht gerade hilfreich für die Verteidigung und für die Allianz.Wer die Verteidigungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland, so wie es die Opposition tut, ständig in Frage stellt Und unsere solide Sicherheitspolitik national und international immer wieder verdächtigt, wird nicht nur unglaubwürdig, sondern er löst auch viel Besorgnis bei unseren Bündnispartnern aus. Es ist doch geradezu lächerlich, ausgerechnet einen so zuverlässigen Bündnispartner wie die Bundesrepublik Deutschland unter der sozialliberalen Koalition, einen Partner, der so viele materielle und ideelle Opfer für die gemeinsame Sicherheit durch das Bündnis bringt, der sicherheitspolitischen Unzuverlässigkeit zu verdächtigen. Wer dies tut, setzt auch die nationale Leistung unseres gesamten Volkes für die Erhaltung von Frieden und Freiheit herab.
Herr
Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zum Schluß kämen.
Verteidigung und Entspannung sind die Grundlage unserer gemeinsamen Sicherheitspolitik. Wer nur auf Konfrontation setzt, gefährdet auf Dauer auch den Zusammenhalt des Bündnisses und isoliert unser Volk von seinen Freunden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir kehren zu der unterbrochenen Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a und b — den beiden Großen Anfragen „Fernhaltung von Verfassungsfeinden' aus dem öffentlichen Dienst" und „Eignungsvoraussetzungen für die Beschäftigung im öffentlichen Dienst" — zurück. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dem ersten Redner nach einer kleinen Pause die Möglichkeit gäben, hier im Saale auch wirklich zu Wort zu kommen. —Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Demokratie kann man über Fehler offen diskutieren. Das ist einer ihrer vielen Vorzüge gegenüber Diktaturen, die keinen Fehler zugeben können.
Es ist gut, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort sagt:
Der Beschluß vom 28. Januar 1972
— also der fälschlich so genannte „Radikalenerlaß" ,-
und die ... Praxis der Routineanfrage bei Hunderttausenden ... von Bewerbungen ... war — wie wir heute wissen — eine falsche Antwort auf die Gefahren rechts- und linksextremistischer Unterwanderung des öffentlichen Dienstes.
Eine falsche Antwort!
Die Fragen waren richtig, die Fragen sind notwendig. Was verstehen wir unter Verfassungstreue? Wie kann man sie prüfen? Welches Verhalten, welche Handlungen begründen Zweifel an der Verfassungstreue?
Einen
Augenblick, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nähmen, damit der Redner im Saale voll verständlich wird.
— Herr Kollege, das gilt für alle Seiten des Hauses
— wenn Sie sich umsehen.
Bitte, Herr Kollege, fahren Sie fort.
Und schließlich die Frage: Wie schützen wir diesen Staat, wie schützen wir seinen öffentlichen Dienst vor denen, die den Kernbestand der Verfassung bekämpfen?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10963
ConradiDieses gemeinsame Ziel .sollten Sie nicht in Frage stellen, indem Sie uns unterstellen, wir wollten Kommunisten in den Staatsdienst holen
oder „kommunistische Lehrer auf die Kinder loslassen", wie Herr Spranger in einer Sprache gesagt hat, die nicht nur in mir böse Erinnerungen weckt.Glauben Sie denn wirklich, wir könnten vergessen, daß Kommunisten Tausende von Sozialdemokraten verfolgt und eingesperrt haben? Angesichts der bitteren Erfahrungen, die meine Partei in ihrer Geschichte mit Kommunisten hat machen müssen, sollte es eigentlich als unanständig gelten, uns ein Nachgeben gegenüber Kommunisten vorzuwerfen.
Wir führen seit 60 Jahren eine harte politische Auseinandersetzung mit den Kommunisten. Dazu brauchen wir von Ihnen, Herr Spranger, und von Herrn Dregger keine Belehrungen
aus der Rumpelkammer eines irrationalen, eines haßerfüllten Antikommunismus, der in seinen Auswüchsen nur zu oft an den unseligen Antisemitismus der deutschen Rechten erinnert.Zu dieser Auseinandersetzung gehört es für uns Sozialdemokraten nach unserem Selbstverständnis, daß wir Kommunisten nicht mit den gleichen Mitteln begegnen, die sie in ihrem Herrschaftsbereich uns gegenüber anwenden.Ich sagte, die Antwort Regelanfrage war falsch, weil sie zusammen mit anderen Antworten auf aridere Fragen, z. B. auf die Frage „Wie begegnen wir dem Terrorismus?", zu Entwicklungen geführt hat, die Freiheit und Demokratie nicht schützen, sondern gefährden. Die Praxis der letzten Jahre hat bei vielen jungen Menschen „Duckmäusertum, Anpassung und Angst bewirkt", so die Kammer für öffentliche Verantwortung an den Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands. Weiter heißt es dort:... eine Haltung, an der einem freiheitlich verfaßten und von der ständigen Auseinandersetzung der unterschiedlichen Kräfte lebenden Staat nicht gelegen sein kann.Das Bundesjugendkuratorium spricht von einemKlima der Einschüchterung, das immer mehr Bürger und — besonders fatal — immer mehr Jugendliche am politischen und sozialen Engagement hindert.Das ist keine „angebliche Verunsicherung", wie uns Herr Dregger hier heute morgen glauben machen wollte, sondern das sind Feststellungen von kompetenter Seite, die wir ernst nehmen.
Das fängt bei den Schülern an. In Bayern stehen 250 Schüler in den Akten des Verfassungsschutzes,
wurden Schüler zur Überwachung anderer Schüler angeworben. In Leutkirch in Baden-Württemberg überwacht der Verfassungsschutz eine Tagung von Schülerzeitungsredakteuren. Ich frage Sie: haben wir das gewollt? Wollen wir nicht alle, daß Lehrer und Schüler frei miteinander arbeiten und lernen können — dazu gehört dann auch einmal, daß ein Schüler wirres Zeug sagt —, ohne daß sie befürchten müssen, unter ihnen sitzen Spitzel? In Baden-Württemberg gibt es nun sogar eine Jugendpolizei, die in direktem Kontakt mit den Jugendlichen umfassende Informationen über die Jugendszene sammeln soll, nicht über tatverdächtige Jugendliche — dagegen ließe sich nichts sagen —, sondern über alle Jugendgruppen, über alle Jugendlichen. Statt die Jugendarbeit zu fördern — in den Jugendhäusern wird laut Ministerpräsident Späth „hauptamtlich Frustration gepflegt" —, werden in dreiwöchigen Schnellkursen ausgebildete Polizisten in die Jugendarbeit geschickt. Da scheint durch das dünne liberale Mäntelchen der autoritäre Geist Filbingers hervor. Sind sich die Verantwortlichen eigentlich darüber im klaren, wie durch solche Maßnahmen Schritt für Schritt Vertrauen zwischen jungen Menschen, Vertrauen zwischen Jugend und Erwachsenen, zwischen Jugend und Staat abgebaut wird?
Der Oppositionsführer hat hier am 24. Januar gesagt, „die erbärmliche Schnüffelei im Leben des einzelnen wird immer unerträglicher" . Damit hat er die Fragen nach der NSDAP-Zugehörigkeit gemeint. Aber die erbärmliche Schnüffelei bei den jungen Leuten heute ist für Herrn Kohl Ausdruck der „wehrhaften Demokratie". Was ist das für eine Moral?
Wenn nicht mehr die Vorbereitungs- und die Probezeit über einen Bewerber entscheiden, sondern geheime Dossiers,
zufällige, willkürliche, unkontrollierbare Aufzeichnungen jahrelang zurückliegender Vorgänge, möglicherweise auch Denunziationen dann entstehen Mißtrauen, Unsicherheit und Angst.
Dieses Klima der Unsicherheit wird durch die verschlechterten Berufschancen junger Menschen verstärkt. Es geht gar nicht mehr allein um den öffentlichen Dienst. Es tauchen immer wieder Fälle auf, bei denen Sicherheitsbehörden mit Firmen, Verbänden, Organisationen zusammenarbeiten und Material über Bewerber, über Arbeitnehmer liefern.
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10964 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
ConradiDas kann dann in Einzelfällen bis dahin gehen, daß die materielle Existenz eines Betroffenen vernichtet wird wie etwa bei dem Lehrer, der entlassen wurde, weil er dem KBW angehörte, der dann versucht hat, seine Frau und seine beiden Kinder als Arbeiter zu ernähren, und der schließlich bei seinem privaten Arbeitgeber erneut denunziert worden ist. Erst hat man also dem Mann verboten, seinen Beruf auszuüben; dann hat man versucht, ihm die materielle Existenz gänzlich kaputtzumachen. Wollen wir das? Haben wir das wirklich gewollt? Wohin soll das, wohin kann das, wohin wird das noch führen?
In der Bundesrepublik werden Seminararbeiten und Petitionsunterschriften, Asta-Kandidaturen und DDR-Reisen, Buchbestellungen und Ostblockbriefe, Streikposten und Kundgebungsteilnehmungen und, wie wir neuerdings wissen, auch Besucher von Abgeordneten erfaßt.
Wenn Herr Dregger sagt, die Schnüffelpraxis habe es nie gegeben, dann bin ich nicht erschreckt, daß er hier so etwas Falsches sagt, sondern erschreckt hat mich der Eindruck, daß er das offenbar selbst glaubt. ,2 Millionen Bürger — das wären 5 % aller Bürger zwischen 18 und 65 Jahren — sollen im gemeinsamen Computer der Nachrichtendienste stehen. Das, meine Damen und Herren, ist der Weg nach Karlsbald, nicht nach Karlsruhe.
Karlsruhe hat diese Überwachungspraxis, diese Regelanfrage nicht vorgeschrieben. Herr Klein, Sie haben bewußt nur einen Teil des Urteils zitiert. Karlsruhe hat zu diesen Ermittlungen gesagt, daß sie... sich wenig eignen als ein Element , aus dem man einen Schluß auf die Persönlichkeit des zu Beurteilenden ziehen könnte; sie vergiften andererseits die politische Atmosphäre, irritieren nicht nur die Betroffenen in ihrem Vertrauen in die Demokratie, diskreditieren den freiheitlichen Staat, stehen außer Verhältnis zu ihrem „Ertrag" und bilden insofern eine Gefahr, als ihre Speicherung allzu leicht mißbraucht werden kann.Genauso, wie das Bundesverfassungsgericht es sagt, ist es. Wenn Sie behaupten, der Abbau dieser Praxis - heute morgen haben wir gehört, daß die Landesregierung vom Saarland der Regelung der Bundesregierung folgen und ebenfalls auf die Regelanfrage verzichten wird — sei gesetz- und verfassungswidrig, dann belegen Sie das bitte und erklären sie uns, warum etwa die Herren Filbinger und Späth in den vergangenen Jahren den Stuttgarter Obürgermeister Rommel nicht angewiesen haben, die Regelanfrage und den „Schieß-Erlaß" zu praktizieren. Rommel hat gesagt, in der Verwaltung derKommunen habe „der Erlaß praktisch keine Bedeutung" . Er hat davor gewarnt, den Streit um diesen Beschluß hochzustilisieren, und hat gesagt: „Es stünde der deutschen Republik nach drei Jahrzehnten Demokratie wohl an, mehr Selbstbewußtsein in dieser Hinsicht zu demonstrieren."
Aber an diesem demokratischen Selbstbewußtsein fehlt es bei Herrn Strauß und bei Herrn Späth, bei Stoltenberg und Albrecht, die ja bezeichnenderweise an dieser Debatte heute hier nicht teilnehmen. Diese Herren wollen zurück zum Prinzip des Mittelalters „cuius regio, eins religio", daß nämlich der Landesherr die Konfession bestimmt, und schlimmer: „Wer Verfassungsfeind ist, bestimmen wir."
Das ist eine Art von Exorzismus, der den Tod des Patienten in 'Kauf nimmt, wenn nur der Teufel ausgetrieben wird.Demokratie braucht beides: Sie braucht das Vertrauen des Staates und seiner Organe in die Verfassungstreue der Bürger. Nur totalitäre Staaten mißtrauen ständig ihren Bürgern. Demokratie braucht auch das Vertrauen des Bürgers in die Verfassungstreue des Staates und seiner Organe. Zu Recht spricht die Bundesregierung in ihrer Antwort vom „unverzichtbaren Vertrauen der Bürger zu ihren Sicherheitsbehörden". Der Verzicht auf die Regelanfrage kann dazu beitragen, daß dieses Vertrauen wieder zunimmt. Es wird aber noch viel Arbeit, gründliche parlamentarische Kontrolle der Exekutive kosten, um das, was an Vertrauen verlorengegangen ist, wiederzugewinnen.Die SPD hat auf ihrem Parteitag in Köln beschlossen und klargestellt, daß Grundlage für einen Ablehnungsbescheid nur konkretes Verhalten sein kann. Wir haben gesagt, es muß sich um aktive Betätigung gegen den Kernbestand unserer Verfassung handeln. Wir wollen also Handlungen, nicht Gesinnungen verfolgen. Wenn Herr Kohl sagt, ein Kommunist dürfe in unserem Lande nicht Lehrer sein, nur weil er Kommunist sei,
unabhängig von seinem Handeln, dann möchte ich wissen, wo der Unterschied zur Praxis kommunistischer Diktaturen ist, in denen ein Christ nicht Lehrer sein kann, nur weil er Christ ist, unabhängig davon, was er tut.
Ich finde, Herr Dregger sollte aufhören mit seiner bösartigen Demagogie von den Lehrern oder Richtern mit Parteiabzeichen. Da denkt er vielleicht noch an die Nazizeit, wo Parteiabzeichen im Dienst getragen wurden. An deutschen Schulen darf man nicht einmal einen Aufkleber am Auto draußen auf dem Schulhof haben. Das ist finstere Demagogie, was Herr Dregger hier heute morgen betrieben hat.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10965
ConradiNein, wir wollen, daß einem Bewerber oder einem Beamten konkret und nachprüfbar vorgehalten wird, durch welche Handlungen, die sich gegen tragende Grundsätze der -Verfassung richten, er Zweifel an seiner Verfassungstreue bewirkt hat oder eine Treuepflichtverletzung begangen hat.Ich finde es unerträglich, wenn. es gegenüber einem Beamten heißt: „ Es ist nicht auszuschließen, daß er kommunistische Zielsetzungen gar nicht erkennt und daher auch nicht in der Lage ist, dann aktiv für die fdGO einzutreten, wenn diese in Gefahr ist" oder wenn einem Lehramtsbewerber vorgehalten wird, er sei „durch seine marxistisch-leninistische Geisteshaltung für den Unterricht im Fach Sozialwissenschaften von Grund auf verdorben, weil der Marxismus-Leninismus einer der Verfassung widerstreitende Weltanschauung„ sei.
Gleichzeitig wird diesem Bewerber bescheinigt, „daß er große Sachlichkeit, deutliche Bemühungen um Fairneß und Ausgleich, Bindung an demokratische Verhaltensweisen gezeigt und von den Mitgliedern seiner Fachgruppe am ausdrücklichsten auf der Grundlage des Grundgesetzes argumentiert hat".
Wenn ich das höre und sehe, daß einem Beamten nach vielen untadeligen Dienstjahren kurzer Hand bescheinigt wird, sein Bekenntnis zum Grundgesetz sei „nur eine Schutzbehauptung", dann erinnert mich das an die Hexenverfolgungen des Mittelalters,
etwa nach dem Motto: „Tut nichts, die Hexe wird verbrannt."Zweifel an der Verfassungstreue eines Bürgers werden weder durch Weltanschauung noch Gesinnung, weder durch Mitgliedschaft noch durch Kandidaturen zu öffentlichen Wahlen begründet, sondern allein durch konkretes Handeln• gegen die Verfassung. Ich will versuchen, das an einem Beispiel zu konkretisieren. Wenn ein Richter oder ein Lehrer, ein - Finanzbeamter oder ein Bahnhofsvorsteher öffentlich erklärt: „Wir brauchen auf die angeblichen oder wirklichen Individualrechte von Außenseitern keine Rücksicht zu nehmen" und wenn dieser Mann das öffentlich propagiert und innerhalb des Dienstes oder außerhalb des Dienstes Individualrechte von Minderheiten verletzt, dann handelt er aktiv gegen einen tragenden Grundsatz unserer Verfassung.
Er kommt dann nicht in den öffentlichen Dienst hinein oder fliegt hinaus, wenn er drin ist. Sind wir uns da einig? Ich nehme das doch an. Nur, dieses Zitat — ich wiederhole es: „Wir brauchen auf die angeblichen oder wirklichen Individualrechte von Außenseitern keine Rücksicht zu nehmen" —stammt aus der Rede Ihres früheren Fraktionskollegen Strauß am 28. November 1978 vor Ihrer Fraktion. Ist eigentlich einer von Ihnen aufgestandenund hat Herrn Strauß gesagt, daß sich eine Demokratie wie die Bundesrepublik von totalitären Staaten wie der Sowjetunion, Chile oder Südafrika tinter anderem dadurch unterscheidet, daß die Individualrechte von Außenseitern hier geschützt und geachtet werden?
Wenn hier von Mitgliedschaften geredet wird, dann können wir uns um das Thema NSDAP nicht herumdrücken. Für meine Generation besteht da kein Grund zur Selbstgerechtigkeit. Ich bin froh, daß ich für' die NSDAP zu jung war. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten hätte. Ich weiß nicht, ob ich mutig gewesen wäre oder ob ich mich angepaßt hätte. Allerdings mußte niemand der NSDAP beitreten und wer nicht beitrat, hatte wohl Nachteile, aber sicherlich nicht Bestrafung oder Verfolgung zu gewärtigen.Es ist gewiß ein großer Unterschied zwischen der NSDAP-Mitgliedschaft damals und einer Mitgliedschaft heute. Dennoch geht es wohl nicht an, daß 60jährige heute für das, was sie ihre „Jugendsünden" nennen, Verständnis, ja Nachsicht erwarten und selbst unbarmherzig die politischen Irrtümer junger Menschen heute verfolgen.
Warum soll der politische Irrtum von heute soviel schwerer wiegen als der politische Irrtum von damals, dessen schreckliche Folgen wir doch in diesen Tagen wieder vor Augen geführt bekommen haben? Wer da selbst gefehlt hat, wer etwa heute meint, was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein, wie Herr Filbinger, hat das Recht verwirkt, einer nachfolgenden Generation mangelnde Verfassungstreue vorzuwerfen.
Oder wollen wir, daß das Verhalten der allzu vielen, der Filbingers, die sich nach 1933 angepaßt und mitgemacht haben,
Vorbild für die Jungen sein soll, heute ebenfalls mitzumachen und sich anzupassen? Den NSDAP-Mitgliedern ist beim Aufbau dieser Republik nicht vorgehalten worden: Ihre• Mitgliedschaft begründet Zweifel in Ihre Verfassungstreue. Warum gestehen wir den NSDAP-Mitgliedern von damals zu, daß sie sich gewandelt haben und schließen diesen Wandel bei jungen Menschen aus? Haben wir so wenig Vertrauen in unsere Überzeugungskraft, in die demokratische Substanz unserer Gesellschaft?Die Frage nach der Verfassungstreue, meine Damen und Herren, wird uns noch weiter beschäftigen. Sie ist Teil der Frage: Wie wollen wir Demokratie? Darüber wollen wir miteinander reden, vor allem auch mit den jungen Bürgern. Weil wir keiner Partei das Recht geben wollen, sich mit dem Staat gleichzusetzen und andere zu Staatsfeinden zu erklären, weil wir nicht so werden wollen wie die DDR, weil für uns Kommunisten auch Bürger sind, für die Recht und Verfassung gelten, setzen
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10966 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Conradiwir uns für eine freiheitlichere Praxis ein. Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihren Bemühungen, dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit mehr Raum zu geben, das Verfahren zu entbürokratisieren und die Beteiligung des Verfassungsschutzes zu reduzieren.Wir haben Vertrauen in die Bürger. Wir haben Vertrauen in unsere Kraft. Wenn Herr Dregger da wäre, würde ich sagen, in Kraft, nicht in Kraftsprüche.
Wir haben Vertrauen in die Kraft eines demokratischen Gemeinwesens, das stark genug ist, seine freiheitlichen, rechtsstaatlichen und sozialen Grundsätze auch in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern zu bewahren.Die Republik und die Demokratie werden nicht durch weniger Republik oder weniger Demokratie geschützt, sondern durch mehr Republik und mehr Demokratie.
Wir
fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Debatte um den Beschluß der Ministerpräsidenten und insbesondere den Beitrag des Kollegen Coppik heute verfolgt
— Conradi, Entschuldigung; es ist fast derselbe Geist —,
dann könnte man fast den Eindruck haben, es sei die Union gewesen, die 1971 das Bedürfnis gehabt hätte, ein Instrument zu haben, um Verfassungsfeinden den Weg in den öffentlichen Dienst zu versperren. Der historischen Richtigkeit wegen muß hier gesagt werden, daß dem nicht so ist.Es war 1971 der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, es war der Innensenator Heinz Ruhnau aus Hamburg, es war der Bürgermeister von Berlin und Innensenator Kurt Neubauer, die in die Innenministerkonferenz der deutschen Länder kamen und sagten: Hört mal, Freunde, bei uns in Berlin tut sich etwas ganz Schlimmes; da realisiert sich, was Rudi Dutschke gesagt hat; der lange Marsch durch die Institutionen wird Wirklichkeit; jetzt müssen wir, die zuständigen Innenminister, gemeinsam einen Weg finden, wie wir den Verfassungsfeinden den Weg in den öffentlichen Dienst versperren können. Das waren nicht wir von der Union, denn wir waren damals der Meinung — wie wir es auch heute sind —, daß das Grundgesetz, das Beamtenrecht des Bundes und die Beamtengesetze der Länder ausreichen, um Verfassungsfeinden den Weg in den öffentlichen Dienst — und nur darum gehtes — zu versperren. Es waren die Berliner Sozialdemokraten, die auf Grund eines erstinstanzlichen Urteils eines Richters den Eindruck hatten, daß er nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach seiner kommunistischen Überzeugung geurteilt habe. Er hatte nämlich in erster Instanz der Berliner Polizei die Beschlagnahme eines als verfassungsfeindlich angesehenen Pamphlets mit der Bezeichnung 883 verweigert. Es waren nicht die von der Union geführten Länder, die das Bedürfnis hatten, Hilfe bei Sozialdemokraten zu suchen, sondern es waren die Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer, -die am 14. Oktober 1971 die Innenministerkonferenz beauftragten, einen Weg zu finden, wie man Regeln finden kann, daß Kommunisten — das war das aktuelle Thema — keinen Platz im öffentlichen Dienst finden.So war die Wirklichkeit. Das führte dann zur Einsetzung einer Expertenkommission, die ein Gutachten darüber erstellt hat, wie wir zu verfahren haben.Dies führte dann auch dazu, daß beispielsweise der Senat von Hamburg schon am 23. Februar eine Feststellung getroffen hat, wie er sich verhalten will, wenn Beamte auf Lebenszeit angestellt werden können, aber Mitglied einer verfassungsfeindlichen Organisation sind. Am 23. November 1971 erklärte die Pressestelle des hamburgischen Senats, daß die Ernennung der Beamten auf Lebenszeit bei politischen Aktivitäten des Bewerbers in rechts- oder linksradikalen Gruppen unzulässig ist. Das ist eine sehr präzise Formulierung. Allerdings befand sich der hamburgische Sénat bei seiner eigenen Entscheidung in der guten Tradition; denn es war ebenfalls der hamburgische Senat, der bereits im November 1930 folgendes seinen Beamten mitteilte — darum geht es ja hier —:Beamte, die Parteien und Organisationen unterstützen oder fördern, die den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staatsordnung erstreben, verletzen die aus dem Beamtenverhältnis sich ergebende besondere Treuepflicht des Beamten gegenüber dem Staat und machen sich eines Dienstvergehens "schuldig. Zu diesen Parteien gehören die Kommunistische Partei Deutschlands und die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, damals wurden von Sozialdemokraten in Hamburg noch Roß und Reiter genannt. Das, war nicht so, wie heute, da der Herr Klose sich davondrückt.
Der damalige Bürgermeister von Hamburg, Ross, sagte in der Debatte,. die darauf in der Bürgerschaft folgte ich zitiere:Aber die Freiheit wird getötet durch den Mißbrauch der Freiheit.Das waren damals noch Sozialdemokraten in Hamburg, die den klaren Kurs in der Abwehr von Verfassungsfeinden durchgehalten haben.
Aber es war eben nicht nur in Hamburg so.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10967
SchwarzEs waren auch die Sozialdemokraten in Preußen, die 1921 festlegten, wie sich Beamte zu verhalten haben. Es heißt in Art. 78 der preußischen Verfassung — und darauf wurde seitens des preußischen Ministers des Innern hingewiesen —:Die Staatsbeamten sind besonders verpflichtet, die Verfassung gewissenhaft zu beobachten.Und insbesondere .an die Polizeibeamten:Die Beteiligung an einer Organisation oder die Mitwirkung bei Bestrebungen, welche die Verfassung auf nicht gesetzmäßigem Wege ändern wollen und jede Betätigung in diesem Sinne sind verboten.Klare Worte, von sozialdemokratisch geführten Verwaltungen in Hamburg und in Preußen!Und es war der Deutsche Reichstag, der im Jahre 1922 nach der Ermordung von Walter Rathenau den § 10 a des Reichsbeamtengesetzes ergänzt hat, und zwar mit dem Zusatz:Beamte sind verpflichtet, für die verfassungsmäßige republikanische Staatsgewalt einzutreten.Dies alles sind klare Konzeptionen.Die klarste Konzeption finden wir wiederum im Juni 1930 in einem Beschluß des Preußischen Staatsministeriums unter dem damaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Braun und dem sozialdemokratischen Innenminister Sewering. Dort heißt es:Nach der Entwicklung, die die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei und die Kommunistische Partei Deutschlands genommen haben, sind beide Parteien als Organisationen anzusehen, deren Ziel der gewaltsame Umsturz der bestehenden Staatsordnung ist. Ein Beamter der an einer solchen Organisation teilnimmt, sich für sie betätigt oder sie sonst unterstützt, verletzt dadurch die aus seinem Beamtenverhältnis sich ergebende besondere Treueverpflichtung gegenüber dem Staat und macht sich eines Dienstvergehens schuldig. Allen Beamten ist demnach die Teilnahme an diesen Organisationen, die Betätigung für sie oder ihre sonstige Unterstützung verboten.Soweit in dem von Sozialdemokraten geführten Preußen des Jahres 1930!Meine Damen und Herren, das war der Geist der Abwehr von Verfassungsfeinden, der Geist der Abwehr von verfassungsfeindlichen Bestrebungen, der auch 1949 Pate stand, als die Sozialdemokraten dem Art. 33 des Grundgesetzes — des Grundgesetzes! — zustimmten, in dem es heißt, daß die Beamten die Gewähr der Verfassungstreue bieten müssen. Es war der Geist, mit dem sich Kurt Schumacher von den Kommunisten abgesetzt hat, und es war der Geist, aus dem heraus im September 1950 die Bundesregierung sich mit der politischen Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Grundordnung auseinandersetzte. Hier heißt es:Die Gegner der Bundesrepublik verstärken ihre Bemühungen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu untergraben. Jede Teilnahme an solchen Bestrebungen ist unvereinbar mit den Pflichtendes öffentlichen Dienstes.Der damalige Innenminister hieß Gustav Heinemann, der damalige Bundeskanzler war Konrad Adenauer.Das war der Hintergrund, auf dem die Innenministerkonferenz daranging, Formulierungen zu finden, Verfassungsfeinden den Weg in den öffentlichen Dienst — und nur davon reden wir! — zu verwehren. Es wurde damals eine Expertenkommission zusammengesetzt. Zu ihr gehörten zwei Vertreter des Bundesinnenministeriums, geführt von SPD und FDP, ein Mitglied der Innenbehörde Hamburg, geführt von Sozialdemokraten, ein Beamter aus dem Innenministerium von Nordrhein-Westfalen, geführt von SPD und FDP, und ein Mitglied der von der CDU geführten Landesregierung Schleswig-Holstein. Diese Expertengruppe hat ein Gutachten erarbeitet, daß auf Punkt, Strich und Komma genau die von uns, der Union, noch bis heute vertretene Auffassung bestätigt, daß Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei nicht in den öffentlichen Dienst kommen.
Das war im Jahre 1971.Aber was ist mit dem Gutachten geschehen? Darauf hat man den Stempel „geheim", „amtlich geheim zu halten" gesetzt. Auf ein Rechtsgutachten hat man einen Stempel gemacht: „Geheim", „amtlich geheim zu halten"! Hier hat man Mißbrauch getrieben mit dem Stempel „geheim", den man im Innenministerium zur Verfügung hat, weil man nicht wollte, daß die deutsche Offentlichkeit erfährt,
was Experten des Beamtenrechts im Schoße der Bundesregierung und der SPD/FDP-geführten Landesregierungen als Ergebnis ihrer Untersuchung vorlegen.
Diese Expertengruppe hat — natürlich auch „geheim", „amtlich geheim zu halten" — einen Entwurf vorgelegt. In diesem Entwurf heißt es:Die Gegner der verfassungsmäßigen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland versuchen, ihre verfassungsfeindlichen Ziele— jetzt kommt ein ganz wichtiges Wort —auch durch den Ausbau von Machtpositionen innerhalb staatlicher Institutionen zu erreichen. Dadurch soll die freiheitlich-demokratische Grundordnung untergraben und die Abwehrbereitschaft der auf dem Boden der Verfassung stehenden Einrichtungen geschwächt werden.Dann kommen eine Reihe von Einzelheiten, auf die ich hier verzichten will. Aber es heißt dann:Bewerber für den öffentlichen Dienst, die verfassungsfeindlichen Organisationen angehörenoder Bestrebungen mit verfassungsfeindlichen
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10968 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
SchwarzZielen unterstützen, dürfen nicht eingestellt werden.Eine sehr kluge Formulierung. Aber bereits damals haben wir um die Formulierung gestritten. Es kam dann heraus: Wenn sie Mitglieder sind, begründet das in der Regel Zweifel. Das war die Kompromißformel.Wie erfährt man, wer sich verfassungsfeindlich betätigt? Durch den Verfassungsschutz. Sehr geehrter Herr Senatspräsident, Herr Bürgermeister Koschnick, Sie haben davon gesprochen, daß das, was der Verfassungsschutz weiß, eigentlich wie Gift zu behandeln ist, daß es in den Giftschrank gehört. Sie sind dann mitverantwortlich dafür, daß bei Herrn Conradi das geheime Dossier herauskommt, weil Ihre Formulierung die Brücke dazu baut, daß aus normalen, legitim erfaßten Daten des Verfassungsschutzes auf einmal geheime Dossiers werden. Das ist die Verunsicherung, unter der unsere Jugend in Deutschland leidet.Im deutschen Verfassungsschutz gibt es eine Unmenge engagierter Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei. Ich bin gespannt, wie lange diese Männer in den deutschen Verfassungsschutzämtern Ihrer Partei noch die Treue halten können, wenn ihre Arbeit in dieser Art und Weise von Ihnen diskreditiert und diskriminiert wird.,
— Ich möchte keine Zwischenfrage beantworten.
— Ich weiß schon, warum. Weil ich das ausführen will, damit die Freunde Ihrer Partei in den Ämtern des deutschen Verfassungsschutzes wissen, wie sie und ihre Arbeit hier in die Pfanne gehauen werden von Mitgliedern des Bundestages.
— Das ist wohl wahr, Herr Professor Schäfer.Denn was tun die Männer des Verfassungssdiutzes? Die Männer des Verfassungsschutzes erfüllen ihre Pflicht. Sie sammeln Daten und Fakten, so wie Herr Professor Klein das heute morgen dargestellt hat. Jetzt will jemand in den öffentlichen Dienst. Dann wiird eben nicht — wie es fälschlicherweise behauptet wird — nachgeforscht, gefragt, was habt ihr denn, den müßt ihr einmal kontrollieren, sondern es wird gefragt: Liegen über Herrn X oder Fräulein Sowieso Erkenntnisse vor? Gott sei Dank haben die Verfassungsschutzämter fast aller deutschen Bundesländer die Mitgliedslisten der Deutschen Kommunistischen Partei. Die liegen also in den Verfassungsschutzämtern, und dann erfährt man, daß der Betreffende Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei istDamit sind wir bei dem Fixpunkt der Diskussion von 1971 bis heute. Sie wollen die Mitgliedschaftin der Deutschen Kommunistischen Partei nicht als ein persönliches Kriterium gelten lassen.
— Sie wollen das nicht gelten lassen. — Nur frage ich mich: Was ist denn das für ein Lehrer, der die Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei unterschreibt, der unterschreibt, ich bin für die Einparteienherrschaft, der unterschreibt, ich bin nicht für die Gewaltenteilung, der unterschreibt, ich bin nicht für die Individualrechte? Das entspricht ja alles nicht der Zielsetzung der Deutschen Kommunistischen Partei. Der darf, wenn nicht wegen Verfassungsfeindlichkeit, schon wegen Dummheit nicht eingestellt werden, weil er nicht in der Lage ist, den Unterschied zwischen dem Programm der DKP und dem Grundgesetz zu erkennen.
Aber das allein muß doch ein Grund für die Ablehnung sein.Nein, Sie drücken sich im Gegensatz zu den Sozialdemokraten der Weimarer Republik davor, Ihr Verhältnis zu den Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei in dieser Debatte klar und sauber darzustellen.
Das ist aber die Auseinandersetzung, die wir mit Ihnen zu führen haben.Die Kapitulation der deutschen Sozialdemokratie in dieser Frage wird scheibchenweise deutlich, beginnend mit der Diskussion im November/Dezember 1971,
sich fortsetzend mit der Diskussion anläßlich der Vorbereitung des Beschlusses Bundeskanzlers Willy Brandt mit den Ministerpräsidenten, als es um die Frage ging: Wie prüfen wir jetzt, wer Verfassungsfeind ist? Die Antwort lautete: Fragen wir den Verfassungsschutz, klären wir das ab. Diese Kapitulation, die scheibchenweise deutlich wird, hat nichts mit der politischen Auseinandersetzung um den Kommunismus zu tun; denn das ist ein ganz anderes Feld. Hier geht es ganz konkret um die Frage, die der hamburgische Bürgermeister im Jahre 1930 gestellt hat: Wollen wir dem Feind der Freiheit den Anspruch sichern, als Feind der Freiheit im öffentlichen Dienst beschäftigt zu werden? Nur darum geht es, und nur das ist die Frage, die wir in diesem Zusammenhang zu diskutieren haben.Das fängt schon an mit Willy Brandt im Jahr 1973. Willy Brandt sagte laut der „Bonner Rundschau", er wolle zwar keinen Kommunisten als Richter; aber wenn er keinen Kommunisten als Richter wolle, wolle er damit nicht grundsätzlich ausschließen, daß Kommunisten im öffentlichen Dienst sein könnten. Dann setzt sich das im Zusammenhang mit dem Bundesparteitag der SPD im Jahre 1973 über Heinz Kühn, Alfred Kubel, Paul Osswald bis hin zum Herrn Senatspräsidenten BürgermeisterDeutscher Bundestag— 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10969SchwarzKoschnick fort, die da sagen: Was wir vor eineinhalb Jahren beschlossen haben, ist Quatsch. Sie waren nicht bereit, die Auseinandersetzung in Ihrer Partei um die Frage zu führen: Wie hältst du's mit der Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei? An dieser Frage im öffentlichen Dienst sind Sie gescheitert. Vor dieser Frage haben Sie kapituliert.Und nicht nur Sie! Auch die FDP hatte Probleme zu lösen. In ihren Leitsätzen ist von „Radikalenbeschluß" und „Radikalenerlaß" die Rede. Bei der FDP ist das Wort „Radikalenerlaß" Bestandteil eines offiziellen Parteipapiers. Das ist der Beweis für die Kapitulation und für das Zurückweichen vor bestimmten linken Gruppierungen.
— Sonst hätten Sie das Wort „Radikalenerlaß" nicht in ein amtliches Papier übernommen; sonst hätten Sie — wie heute sogar Sozialdemokraten formulieren — vom „Beschluß der Ministerpräsidenten" gesprochen. Sie haben kommunistischen Wortschatz in eines Ihrer Leitpapiere übernommen. Das muß hier festgestellt werden.
Der entscheidende Punkt ist — das hat Herr Conradi hier gezeigt —, daß die SPD nicht in der Lage ist, mit linken Kräften in der SPD, und daß die FDP nicht in der Lage ist, mit linken Kräften in der FDP die Auseinandersetzung zu bestehen. Das hat die Debatte vorher gezeigt. Das zeigt die Debatte hier seit 1971 bis heute. Dies muß man wissen: Wenn man in der akuten Situation der Jahre 1972, 1976, 1978 und 1979 nicht bereit war und ist, den Mitgliedern der DKP den Zugang zum öffentlichen Dienst zu verweigern, hat man in einer bestimmten Konstellation auch nicht die Handhabe, Neonazis die Tür zum öffentlichen Dienst zu verschließen.
Sie machen den kardinalen Fehler, daß Sie aus der akuten Situation der quantitativen Gefahr der Kommunisten im öffentlichen Dienst verkennen, daß es in einer anderen politischen Konstellation die Rechtsextremen sein können, die in den öffentlichen Dienst drängen, und begeben sich heute der Argumente, mit denen Sie dann gerecht handeln können. Hier ist die Kraft nicht mehr vorhanden, Verfassungsfeinde, seien sie von rechts oder von links, abzuwehren. Die Kapitulation vor einer Minderheit in der SPD und in der FDP verhindert, was rechtlich und gesetzlich richtig und politisch notwendig ist, nämlich den Feinden der Freiheit keine Chance zu geben,
mit Mitteln staatlicher Funktionen diese Freiheit, von der sie leben, zu beseitigen.Aber wen wundert's, daß die Sozialdemokraten heute dazu nicht mehr in der Lage sind und daß man jetzt in den Papierkorb wirft, was damals gemeinsam überlegt worden ist! Wen wundert's, daß der Juso-Vorsitzende Gerhard Schröder laut der „Frankfurter Rundschau" vom 2. Mai 1978 sagt, er habe keine Zweifel an der demokratischen Legitimität von DKP und SDAJ!
Er - Schröder — geht davon aus, daß jedes Mitglied der DKP auf dem Boden der Verfassung steht.
Wen wundert's, daß der SPD-Vorsitzende Brandt bei der Tagung der Sozialistischen Internationale in Vancouver meinte, es sei kurzatmig, auf mögliche Partner wegen ihrer marxistisch-leninistischen Anschauungen zu verzichten.
Da kommen dann Eurokommunismus und die Koalitionen Europas.
— Der Herr Bundespräsident Walter Scheel hat dies auf einem Philosophenkongreß in Düsseldorf 1978 klar ausgesprochen. Er sagte:Was den Demokraten am Marxismus stört, was ihn zum Gegner des Marxismus macht, ist, daß dieser, sich im Besitz der Wahrheit wähnend, keine andere in sich gelten läßt und gelten lassen kann. Der Staat oder eine andere Parteials Verwalterin der Wahrheit, genau das ist derfür einen Demokraten unerträgliche Gedanke.Wenn Marxisten Gegner der Demokratie sind, wenn Kommunisten Gegner der Demokratie sind, dann dürfen wir sie nicht an die Schalthebel staatlicher Macht lassen, und zwar gleichgültig wo. Wer heute die Tür für Kommunisten aufhält, begibt sich damit der Mittel, die Tür für die Neonazis zuzumachen, wenn sie kommen.
Das Wort
hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über all dem, was hier diskutiert wird, stehen der Wunsch und die Aufgabe, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen und auszubauen. Diese Diskussion leidet nur leider darunter, daß die eine Seite dem anderen, nämlich unserer Seite, unterstellt, wir seien in Kumpanei mit den Gegnern der Verfassung. Wenn ein Vertreter Ihrer Seite, nämlich Herr Spranger sagt,
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10970 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Frau Schuchardtdaß der Bundesinnenminister, der diese Frage sehr verantwortungsbewußt gelöst hat, ein Sicherheitsrisiko ist, dann stellt sich hierbei heraus, daß es Ihnen nicht darum geht, diese freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen, sondern allein darum, diejenigen, die die Regierung tragen und stellen, zu diffamieren.
Sie wissen, daß meine Auffassung gegenüber diesem Beschluß von Anfang an sehr kritisch war. Ich kann aber für mich in Anspruch nehmen, daß ich denen, die anderer Auffassung waren, nie den guten Willen abgesprochen habe, daß sie der Auffassung sind, mit dieser ihrer Meinung die Verfassung besser schützen zu wollen. Damals wurde von uns genau das kritisiert, was inzwischen leider eingetreten ist.Die Unión hat einen Entschließungsantrag vorgelegt, und — ich weiß nicht, wer es war — irgendeiner meiner Vorredner hat bereits empfohlen, diesen Antrag auszuweiten und gleichzeitig die saarländische Regierung und den Oberbürgermeister von Stuttgart mit einzubeziehen. Es scheint hier das Prinzip vorzuherrschen, daß es dann eine Kumpanei mit den Verfassungsfeinden ist, wenn es von sozialliberalen Koalitionen gemacht wird, aber sehr wohl mit der Verfassung im Einklang ist, wenn es von Christdemokraten oder christdemokratisch-liberalen Koalitionen gemacht wird.Es gibt etwas sehr Merkwürdiges. Herr Dregger hat heute — ich hoffe, ich habe ihn nicht mißverstanden — gesagt, es gehe gar nicht um die Streichung der Regelanfrage, da diese sehr wohl mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil bzw. mit unserem Grundgesetz vereinbar sei, sondern es gehe hier nur um die ersatzlose Streichung. Ich nehme an, daß dies eine Erklärung für das abweichende Verhalten mancher seiner Parteifreunde ist. Nur ist dieses abweichende Verhalten überhaupt nicht da. Die saarländische Landesregierung hatte diese Beschlüsse übrigens schon gefaßt, bevor unser Parteitag stattfand, und ich bin soweit darüber informiert, weil wir sie in unseren Denkprozeß mit einbezogen haben. Von der Anlage sind sie genauso wie das, was die Bundesregierung jetzt. vorschlägt. Die Regelanfrage ist nicht ersatzlos gestrichen, sondern man hat sich darauf zurückgezogen, daß der Vorbereitungsdienst und die Probezeit sehr wohl die Chance bieten, sich ein Bild zu machen. Insofern meine ich, daß sich dieser Antrag, wie er heute gestellt ist, auf den unterschwelligen Vorwurf reduziert: Die Koalition hält sich nicht an die Verfassung, und dies kann man wohl nur ganz ernsthaft zurückweisen.In der Tat ist diese Diskussion von Hamburg ausgegangen. Ich bedauere dies sehr; ich war damals in der Hamburger Bürgerschaft und habe meine Meinung damals schon deutlich gemacht. Ich bedauere es insoweit außerordentlich, daß der Bürgermeister dieses Stadtstaates heute nicht da ist.
Er hat ja zumindest das Vorbild gegeben, daß man einen neuen Denkprozeß einleiten kann. Ich glaube, es wäre gut gewesen, wenn er den auch hier heute noch einmal beschrieben hätte.
Meine Damen und Herren, dieser Extremistenbeschluß hat wenige Märtyrer geschaffen, viele Mitläufer und keinen einzigen Demokraten.
Es ist überhaupt keine Frage, daß Teile der SPD und der FDP — das ist heute ja auch immer wieder bestätigt worden — den damaligen Beschluß der Ministerpräsidenten mitgetragen haben, und es ist auch begründet worden, warum. Es war schon damals Gegenstand unserer Kritik, daß man hier die Verhältnismäßigkeit außer acht lassen könnte oder würde. Ich meine, es ist doch verantwortliche Politik, wenn man bereit ist, die Wirkungen der eigenen Beschlüsse einmal zu überprüfen und dann Korrekturen anzusetzen, wenn sie erforderlich sind.
Nur Politikern, die zu Korrekturen ihrer eigenen Auffassung fähig sind, möchte ich die Verantwortung für eine Demokratie übergeben.Ich bin deshalb sehr dankbar dafür, daß Herr Baum das Thema, über das wir hier heute diskutieren, so offensiv angegangen ist. Herr Schwarz, Sie haben mit Recht Herrn Scheel zitiert, daß sich sicherlich nicht derjenige „Demokrat" nennen kann, der seine Meinung für die einzig richtige hält. Sie waren aber heute verdammt nahe an der Gefahr, genau dies zu tun, nämlich Ihre Auffassung für die einzig richtige zu halten.
Herr Dregger hat darauf hingewiesen, wir müßten uns deshalb ganz anders verhalten als das demokratische europäische Umland, weil wir ja durch die DDR einer sehr viel stärkeren Gefährdung unterworfen seien. Ich bin da ganz anderer Auffassung. Weil wir dieses Anschauungsmaterial der DDR so unmittelbar in unserer Nachbarschaft haben, ist — da bin ich ganz sicher — die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland viel immuner gegen kommunistische Einflüsse.
Es gibt ein zweites Argument, und auch hier kann ich mich auf den Bundespräsidenten beziehen, der ja von der Opposition so gerne zitiert worden ist; ich wünschte, Sie würden daraus die Konsequenz ziehen, ihn auch in seinem Amte zu bestätigen.
Ich meine, man sollte vielleicht auch darauf hinweisen, daß er einmal gesagt hat, daß in den Ländern, in denen die sozialen Konflikte sehr groß sind, auch der Kommunismus eine Chance hat, und daß in den Ländern, in denen sozialer Friede herrscht, der Kommunismus keine Chance hat. In
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10971
Frau Schuchardteinem solchen Land befinden wir uns, und danach richtet es sich, ob er eine Chance hat oder nicht.Sie haben die geistig-politische Auseinandersetzung gefordert. Sehr wohl! Aber wir müssen dafür in der Tat erst die Grundvoraussetzungen schaffen. Die Grundlagen sind eben nicht geschaffen, wenn Sie gleichzeitig den Jugendorganisationen den Vorwurf machen, sie würden sich, wenn sie mit diesen Gruppen diskutieren, in Kumpanei mit ihnen begeben. Das heißt, der ehrlichen Auseinandersetzung mit diesen politischen Kräften eindeutig die Grundlage zu entziehen. Dann dürfen Sie sich nicht hier vorn hinstellen und sagen, Sie wollen zu einer politischen Auseinandersetzung auffordern. Da kann ich nur sagen: Dann haben Sie bitte endlich den Mut, sich mit auf ein Podium zu setzen, auf dem DKP- oder NPD-Leute sitzen. Ich habe den Mut dazu, auf die Gefahr hin, daß ich mit denen dann immer in eine Schublade geworfen werde, was ich nicht sehr angenehm finde; aber trotzdem, ich glaube, wenn man sich auseinandersetzt, muß man das auch hinnehmen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Bitte schön.
Frau Kollegin Schuchardt, würden Sie mir recht geben, wenn ich hier feststelle, daß die CDU/CSU noch nie die kritische Diskussion mit solchen jungen Menschen getadelt oder abgelehnt hat, die extremistische Auffassungen vertreten, es aber sehr wohl entschieden abgelehnt hat, wenn sich Organisationen mit solchen Verfassungsfeinden zu gemeinsamen Aktionen zusammenfinden?
Herr Jäger, ich kann sie ja nächstens zu einer Podiumsdiskussion einladen, wenn einer Ihrer Kollegen abgesagt hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einen Einzelfall aufzeigen, damit wir endlich einmal von der These wegkommen, hier gehe es um Kommunisten. Die Jungdemokraten Karlsruhe haben ein Flugblatt herausgebracht, das das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Zivildienstgesetz kritisiert. Dieses Flugblatt wurde — dagegen konnten sie sich gar nicht wehren — u. a. in einer kommunistischen Zeitung abgedruckt. Der für den Inhalt des Flugblatts verantwortliche Jungdemokrat bewirbt sich als wissenschaftliche Hilfskraft in einer Fachhochschule. Die Einstellung wird abgelehnt, weil Erkenntnisse über verfassungswidrige Aktivitäten vorliegen. Er bekommt durch Zufall heraus, daß es sich dabei um seinen Artikel in der Zeitung handle. Daraufhin wandte sich dieser Mann an Mitglieder des Bundestages und des Landtags von Baden-Württemberg, die sich der Sache annahmen. Er wurde eingestellt. Es handelte sich hier nämlich um eine peinliche Panne des Landesverfassungsschutzes von Baden-Württemberg.Ich frage mich: Was wäre eigentlich geschehen, wenn dieser einzelne nicht die parteipolitischen Beziehungen gehabt hätte? Es darf doch wohl nicht so sein, daß sich jemand, der in einer unserer Parteien ist, besser geschützt sehen darf als derjenige, der keiner Partei angehört.
Meine Damen und Herren, was war und ist das Hauptargument? Wir haben damals, als die Diskussion aufkam, befürchtet, daß der dem positiven Effekt, die, wie wir heute Gott sei Dank wissen, wenigen Extremisten aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten, gegenüberstehende bürokratische Aufbau, der dazu notwendig ist, möglicherweise stärkere Gefahren haben könnte, als sie unter dem Gesichtspunkt des beabsichtigten Schutzes vertretbar wären. Ich muß sagen: Unsere damaligen Befürchtungen sind bei weitem übertroffen worden. Die Zahlen, die heute genannt worden sind, sprechen das Ihre.Meine Damen und Herren, wenn wir unsere Demokratie wirklich langfristig, für alle Zeit schützen wollen, kommt es darauf an, einen Bürger zu haben, der sich ganz und gar für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsetzt. Das heißt, der beste Schutz für unsere Demokratie ist das Engagement ihrer Bürger. Der Erfolg weniger Extremisten hängt davon ab, welche Aufnahmebereitschaft sie für ihre Parolen finden. Je stärker die Identifizierung jedes Bürgers mit dieser Demokratie ist, um so wirkungsloser wird die Agitation von Extremisten sein.Wir haben die Situation seit 1971 beobachten können. Gestatten Sie mir als einer Vertreterin der jüngeren Generation in dem Zusammenhang doch noch eine Bemerkung. Es macht schon etwas bitter — Peter Conradi hat das angesprochen —, daß die Generation, die im wesentlichen im Dritten Reich aufgewachsen oder sogar schon erwachsen in diese Zeit hineingegangen ist, für sich diese gleiche Auflage nicht beschlossen hat,
sondern sie erst für nötig gehalten hat, als die Generation ins Arbeitsleben kam, die nach dem Krieg geboren wurde.
Dies macht sehr skeptisch. Wir sollten auch hier nicht vergessen, daß das so manchem auffällt.Nun zu dem Argument, der Staat dürfe sich nicht künstlich dummhalten. Ich halte diesen Satz für verheerend: Man stelle sich ihn einmal in seinen letzten Konsequenzen vor, daß nämlich der Staat tatsächlich über den berühmten Knopf verfügt, mit dem er sofort jedes einzelne Datum abrufen kann und sich über jeden einzelnen Bürger in diesem Land ein detailliertes Bild machen kann. Dies ist für einen Liberalen eine erschreckende Vorstellung. Deswegen kann ich überhaupt nicht mit dem Satz zufrieden sein, der Staat dürfe sich nicht künstlich dummhalten.
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10972 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Frau SchudiardtLiberale haben viel zu lange gegen den feudalen Staat gekämpft. Sie wollen den Staat nicht wieder in eine Situation bringen, in der er sich über jeden einzelnen so viel Aufschluß verschaffen kann. Wir haben darüber im Zusammenhang mit dem Datenschutz geredet. Dort waren wir alle derselben Auffassung. Aber wenn wir zu diesem Punkt kommen, scheiden sich die Geister.Ich möchte noch etwas zum Verfassungsschutz sagen. Herr Schwarz, Sie haben gemeint, wir hauten den Verfassungsschutz in die Pfanne. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, daß wir die politische Verantwortung den Politikern zugestehen müssen. Diese haben das nämlich 1971 und 1972 diskutiert und beschlossen und den Verfassungsschutz in die mißliche Lage gebracht, 55 000 Anfragen allein in Nordrhein-Westfalen zu bearbeiten. Da kann ich nur sagen: Armer Verfassungsschutz! Er hat doch ganz andere Aufgaben.
Nun bringen wir den Verfassungsschutz in eine ganz merkwürdige Situation. Jetzt fragen wir an wegen Herrn X. Dann sagt der Verfassungsschutz: Es liegt nichts vor. Nach fünf Jahren stellt man plötzlich fest: Das ist ja eine tolle Rübe. Dann wird man sagen: Mein lieber Verfassungsschutz, warum hast du eigentlich damals nicht Bescheid gewußt? — Also bringen wir den Verfassungsschutz doch geradezu in den Zugzwang, sich über möglichst jeden von uns schlau zu machen, damit ihm eine solche peinliche Panne später nicht vorgeworfen werden kann.
- Entschuldigen Sie bitte, Herr Schwarz. Sie sagen: keine Ahnung! Auch ein ehemaliger Innenminister hat die Weisheit nicht ganz allein für sich gepachtet.
Das Entscheidende ist, daß der Verfassungsschutz hier in einen Zugzwang gebracht wird. Mein Gott, wir sind doch alle Menschen; man braucht doch nicht erst Innenminister gewesen zu sein, um sich dieses ausdenken zu können.
Der Drang zum Perfektionismus mag bei den Deutschen besonders verbreitet sein. Das will ich gar nicht ausschließen. Jeder von uns ist so. Dies ist es, wie ich glaube, was den Verfassungsschutz in diese Lage gebracht hat. Er kam nicht durch sich selbst in diese Lage, sondern durch die Aufträge, die er durch eine politische Entscheidung übertragen bekommen hat.Ich möchte nun auf das sogenannte „Einstellungsprivileg" .zu sprechen kommen, Herr Dregger. Das ist natürlich ein phantastisches Argument und kommt bestimmt auch gut in der Offentlichkeit an: Jeder, der einer extremistischen Partei angehört, hat nach diesem Beschluß das Recht, eingestellt zu werden. Das ist aber gar nicht der Punkt. Sie wissen ganz genau, daß beschlossen worden ist, zunächst einmal nach Qualifikation zu prüfen. Derjenige, denman einzustellen beabsichtigt, der sich also nach seinen Qualifikationen am besten durchgesetzt hat, wird sich erst in einem zweiten Schritt jener zusätzlichen Prüfung zu unterziehen haben. Hier kann doch von einem Privileg nicht die Rede sein. Dies ist eine ganz bösartige Unterstellung, Herr Dregger, die wahrscheinlich auch beabsichtigt war.
Woher nehmen Sie denn eigentlich die Hoffnung, daß die vielen Neutren, die nicht auffallen, jederzeit aktiv für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten? Der beste Schutz und die beste Erkenntnis, die wir haben können, ist das offene politische Engagement eines jeden Bürgers. Wir mußten leider feststellen, daß der Radikalenerlaß eben dieses eher gebremst als gefördert hat. Deswegen war es wichtig, ihn zu überdenken.Nun noch ein paar Bemerkungen zum Staatsverständnis. Damit möchte ich schließen. Herr Dregger, es ,wird Sie nicht sehr überraschen: Das Staatsverständnis, das wir beide haben, unterscheidet sich ganz eklatant. Sie haben Ihre Rede mit der Aussage geschlossen: keinen Zentimeter den demokratischen Boden preisgeben! Ich finde, Sie hätten besser sagen sollen: keinen Zentimeter den bürokratischen Boden preisgeben.
Wir reden nämlich im Augenblick über den Abbau von Bürokratie zugunsten des Bürgers; nicht zugunsten der Demokratie.Die Furcht vor Extremisten — und damit letztlich die Existenz der Extremisten — schafft es, daß dieser Staat immer mehr zum Aufsichtsorgan für uns alle wird. Diesen Triumph möchte ich den Extremisten nicht überlassen. Herr Dregger, Sie haben gesagt: Statt den Verfassungsgegnern Grenzen zu setzen, verzichtet die Bundesregierung auf ihre Rechtspflicht. Ein Liberaler sieht seine Aufgabe nicht darin, den Menschen Grenzen zu setzen, sondern darin, dem Bürger die Sicherheit zu geben, daß er seine Freiheitsräume nutzen und sich ohne Furcht, den Staat als Kontrollinstanz im Rücken zu haben, demokratisch bewegen kann. Ich meine, wenn es uns gelingt — und ich bin sicher, daß es der sozialliberalen Koalition gelingt —, das Staatsverständnis beim Bürger zu wecken, daß er einen individuellen Schutz genießt und vor allem Freiheitsrechte hat, in denen der Staat nicht herumschnüffelt, haben wir einen Staat geschaffen, mit dem sich alle identifizieren werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jentsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage mich, wie sich der Herr Bundeskanzler fühlen muß, wenn er im Ausland unser Land repräsentiert — und dies auf dem Hintergrund des Schreckensgemäldes, daß Sie, Herr Conradi, von diesem unserem Land hier gezeichnet haben: ein Land, in dem geschnüffelt wird, ein Land, in dem
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Dr. Jentsch
junge Menschen nicht mehr den Mut haben dürfen, ihre Meinung zu sagen. Dies ist doch nicht das Land, in dem wir hier leben!
Im Verlaufe dieser Debatte ist immer wieder die Sorge geäußert worden, unter den jungen Menschen, in der jungen Generation machten sich Unsicherheit und Mißtrauen breit. Wir teilen diese Sorge. Nur kommen wir zu anderen Antworten auf die Frage, worauf denn diese Unsicherheit zurückzuführen ist.
Sind junge Menschen heute nicht deshalb unsicher, weil ihnen diese Regierung keine Zukunftsperspektive gibt?
Liegt es nicht daran, daß Schüler, die schon in jungen Jahren einen Existenzkampf um gute Notendurchschnitte und gegen den Numerus clausus führen müssen, eben nicht von Zuversicht und Vertrauen in diesen Staat und seine Führung geprägt sein können? Liegt diese Unsicherheit nicht auch darin begründet, daß Schulabgänger ohne Ausbildungsplätze sind und vor verschlossenen Arbeitsstellen stehen, weil diese Regierung den Handwerkern, den Unternehmern den Mut nimmt, vertrauensvoll und zuversichtlich Risiko einzugehen, so daß keine weiteren Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze für diese Jugend geschaffen werden?
Meine Damen und Herren, wie können junge Menschen Vertrauen in einen Staat haben, in dem doch zumindest der Eindruck entsteht, daß die regierende Mehrheit offensichtlich nur noch von Sorgen um eine kleine Zahl kommunistischer Bewerber für den öffentlichen Dienst gequält ist, während ihre eigenen Sorgen, die der übergroßen Zahl der jungen Menschen, völlig unberücksichtigt bleiben.
Ein Staat, dessen Regierung so mit seinen jungen Menschen umgeht, die ihm und seiner Ordnung zugetan sind — und das ist die Mehrheit der jungen Menschen —, darf sich doch eigentlich gar nicht wundern, wenn er Unsicherheit unter diesen jungen Menschen feststellen muß.
Wie können wir von jungen Menschen Vertrauen und Zuversicht erwarten, wenn Regierung und Koalitionsparteien — und das hat auch diese Debatte deutlich gemacht — zu Zweifel Anlaß geben, ob sie überhaupt noch bereit und in der Lage sind, eine Politik zu betreiben, die im Einklang mit unserer Verfassung steht?
Meine Damen und Herren, es gab doch noch keinen Kanzler, der sich so häufig wie der amtierendevom Verfassungsgericht den Bruch des Grundgesetzes hat bescheinigen lassen. müssen.
Es gab doch noch keinen Kanzler, der wie der amtierende, in so zynischer Weise — und ich frage mich, ob das vorbildlich für junge Menschen ist — das Amt des Staatsoberhauptes seinem politischen Machterhaltungstrieb untergeordnet hat.
Es gab doch noch keinen Kanzler, der wie der amtierende den Pfad des Rechts verläßt, nur weil er der Berufsverbotskampagne der Kommunisten in unserem Lande keinen Widerstand mehr leisten will oder kann.Dies steht doch wohl fest. Der Beschluß Ihrer Regierung vom 17. Januar über „Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue" ist mit dem Grundgesetz in wesentlichen Punkten nicht vereinbar.
Dabei geht es um die Frage — und darüber kann man reden —, daß hier eine Verfahrensform, die der Regelanfrage, zurückgenommen worden ist, ohne durch eine andere Verfahrensform ersetzt zu werden.
— Es ist keine Verfahrensform mehr da; es ist der Grundsatz da, den Sie immer wieder verkünden: Keine Verfassungsfeinde in den öffentlichen Dienst. Sie sagen aber nicht, wie Sie diesen Grundsatz in der Praxis durchsetzen wollen.
Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß hier nach dem Grundsatz vorgegangen wird: „Der Zweck heiligt die Mittel", oder anders ausgedrückt: Verfassung und Gesetz werden entsprechend den Bedürfnissen der Kommunisten wissentlich oder fahrlässig zurechtgebogen.
Warum geschieht das eigentlich?
Vielleicht liegt der Schlüssel zur Erklärung in dem,was Herr Kollege Ehmke am 19. Januar 1977 hierin diesem Hause gesagt hat — ich darf zitieren —:Im übrigen unterscheiden sich die westeuropäischen Kommunisten nicht nur von ihren kommunistischen Kollegen im Osten, sondern auch von Faschisten, die so lange in Griechenland, Portugal und Spanien geherrscht haben, dadurch,— jetzt kommt es —daß ihre politische Macht auf dem Ergebnis freier Wahlen beruht.
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10974 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. Jentsch
Vorhin wurde hier der Juso-Vorsitzende Gerhard Schröder zitiert: „Kein Zweifel an der demokratischen Legitimität der DKP."An anderer Stelle der Rede von Herrn Ehmke heißt es:Wenn nach Jahrzehnten einer leidenschaftlichen und bitteren Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten der westeuropäische Kommunismus wirklich den Weg zur Demokratie finden sollte, so wäre das ein bedeutender Vorgang.Kommunisten als demokratische Partner — das ist Ihre Hoffnung, das ist Ihr Traum. Ich schelte Sie ja gar nicht wegen dieses Traumes. Daß Sie aber Traum und Wirklichkeit verwechseln und die Wirklichkeit, nämlich den Zugang zum öffentlichen Dienst, nach diesem Traum gestalten, ist eben in der akuten Situation so verheerend.
Herr Kollege Ahlers hat auf der Tagung des Deutschen Beamtenbundes Anfang dieses Jahres zur Berufsverbotskampagne gesagt — Herr Kollege Dregger hat heute morgen bereits darauf hingewiesen —:Wir sind von dieser ganzen Kampagne überrascht worden. Daß sich falsche Begriffe wie „Berufsverbot" oder „Schnüffelpraxis" haben durchsetzen können, ist ein Versagen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit.
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Ich sehe das auch so. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Die Bundesregierung hat nicht nur versäumt, dieser Kampagne entgegenzutreten; sie geht vielmehr inzwischen so weit, ihr recht zu geben und ihre Argumente aufzugreifen und zu übernehmen. So- heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage, daß in unserem Staat — hier ist das ja mehrfach ausgeführt und untermauert worden — durch eine ausufernde Anfrage- und Prüfungspraxis ein gesellschaftliches Klima mit verursacht worden sei, das es vielen Bundesbürgern als riskant erscheinen läßt, politisches Engagement, gleich in welcher Richtung, offen zu zeigen. Meine Damen und Herren, dies ist doch die ganz unverhüllte Übernahme eines der zentralen Argumente der Berufsverbotskampagne.
Herr Kollege Brandt ist ja heute noch einen Schritt weitergegangen. Er meldet jetzt ja mit einem Mal Bedenken an, ob man diesen Begriff „Berufsverbote" überhaupt noch benutzen solle. Er hat Angst vor diesem Begriff „Berufsverbote", der, wie er sagt, umgeht.Meine Damen und Herren, wie will diese Regierung Vertrauen für den Rechtsstaat gewinnen, wenn sie in dieser Weise vor den Feinden des Rechtsstaates kapituliert? In dieser Weise, mit der Übernahme dieser Berufsverbotskampagne, verspielen Sie die Autorität des Rechtsstaates und verunsichern die jungen Menschen, die natürlich bei dieser ständigen Wiederholung allmählich glauben müssen, daß an den Argumenten der Agitatoren der Berufsverbotskampagne etwas daran ist,
wenn sie jetzt schon von der Regierung übernommen wird. Ich meine, wenn wir hier von Ihnen, Herr Conradi, vorgetragen bekommen, daß das Bundesjugendkuratorium Äußerungen in dieser Richtung macht — —
— Ich habe die Evangelische Kirche nicht vergessen. Ich kann ja aufpassen. Ich habe es nicht überhört. Ich nehme das ja auch ernst. Nur frage ich mich: Wenn Sie sich Tag für Tag hier hinstellen und in diesem Lande reden, wie schlimm und schrecklich das sei, dann können Sie sich doch gar nicht wundern, wenn solche Institutionen diese Ihre Argumente übernehmen.
Ich meine, daß hier Ursache und Folge durchaus nicht so eindeutig sind, wie Sie das hier darzustellen versuchen.Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, Herr Dürr, statt Übernahme dieser Argumente klar und deutlich das mitzuteilen, was eben die Sicherheitsbehörden unseres Landes festgestellt haben. Sie haben festgestellt, daß es der DKP gelungen ist, zahlreiche Demokraten zur aktiven Unterstützung der Kampagne zu gewinnen und im Sinne der DKP ein breites Bündnis von Kommunisten und Demokraten zu erreichen.Sie haben vor dieser Kampagne kapituliert. Erst haben sich Mitglieder Ihrer Parteien innerhalb dieser Komitees für die Ziele der Kommunisten einspannen lassen. Vorhin habe ich noch Herrn Coppik gesehen. Er hat im letzten Wahlkampf in Wiesbaden zum Thema „Weg mit den Berufsverboten" geredet, und Herr Kollege Krockert aus Wiesbaden hat gesagt, natürlich gebe es Berufsverbote, nur, das Land sei deshalb so hervorragend, weil man darüber reden könne, aber Berufsverbote gebe es. So Herr Krockert in Wiesbaden.
Zwar versuchen Sie nun, diese Tatsache, daß Sie sich voll in die Linie der Berufsverbotskampagne, gesteuert von der DKP, haben einordnen lassen, dadurch zu begegnen, daß Sie sagen: „Aber keine Verfassungsfeinde in den öffentlichen Dienst!" Das ist so etwa die Präambel in ihren Beschlüssen und auch in der Antwort auf die Große Anfrage. Meine Damen und Herren, eine solche Äußerung muß doch aber so lange leere Phrase bleiben, solange sie den Einstellungsbehörden keine Instrumente in die Hand geben, die sie in die Lage versetzen, zu überprüfen, wie man eben Verfassungsfeinde vom öffentlichen Dienst fernhält; denn ob ein Bewerber ein Verfassungsfeind ist, will diese Regierung gar nicht mehr wissen, selbst wenn es bei ihr, nämlich beim Verfassungsschutz, aktenkundig ist.
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Dr. Jentsch
Frau Schuchardt hat hier gerade ausgeführt, sie habe Angst davor, daß nun ein total durchleuchteter Mensch an einer Zentralstelle quasi in einer Akte abgeheftet ist. Ich sage Ihnen: Dieses Bild schreckt mich auch. Nur, es ist doch die Frage an uns, wie weit wir gehen; ob wir zulassen, daß eine Behörde den Krankheitszustand feststellen darf und ein Attest vorgelegt werden muß, oder ob wir sagen, das Interesse des Staates, zu wissen, wer eingestellt wird, sei so groß,. daß wir in diesem Fall eine Durchlässigkeit von Daten zulassen, gegen die wir in anderen Fällen alle gemeinsam sehr starken Widerstand leisten würden. Es ist doch nicht die Alternative: „totale Durchleuchtung des einzelnen oder gar keine Feststellung von Erkenntnissen", sondern es ist doch die Frage, in welchem Ausmaß man diese Daten handhabt. Wir brauchten von der Möglichkeit, Daten zu erfassen, gar keinen Gebrauch zu machen und könnten diesen Teil unserer staatlichen Tätigkeit wirklich abschreiben, wenn wir nicht daraus den vernünftigen Nutzen ziehen wollen.Da die Regierung der Einstellungsbehörde keinerlei Kriterien für die Überprüfung der Verfassungstreue der Bewerber an die Hand gibt, ja, sogar nahelegt, diese einfach zu vermuten, so wird wohl der Personalsachbearbeiter in Zukunft darauf warten müssen, ob vielleicht ein Bewerber die Güte hat, sich von sich aus als Verfassungsfeind zu offenbaren. Meine Damen und Herren, ich meine, dies ist etwas zu wenig.Ich darf zum Schluß kommen. Mit dieser Antwort, die uns die Bundesregierung auf unsere Große Anfrage gegeben hat, erklärt sie zwar eindeutig: „Keine Verfassungsfeinde in den öffentlichen Dienst!" Meine Damen und Herren, wir würden gerne jedes Mißtrauen untereinander ausräumen helfen, daß wir wirklich alle diese Auffassung vertreten. Wenn ich aber sehe, daß große Teile Ihrer Partei, Ihrer Fraktion, daß die Erklärung der Bundesregierung zentrale Aussagen der Berufsverbotskampagne übernehmen, dann muß ich sagen, daß hier die Äußerung „Keine Verfassungsfeinde in den öffentlichen Dienst" eine Alibifunktion hat.
Daß sie keine Alibifunktion hat, könnten wir nur glauben, wenn Sie ganz klar und deutlich sagten, wie Sie nun auch in der Praxis diesen Grundsatz durchsetzen wollen. Diese Frage haben Sie offengelassen. Deshalb glaube ich Ihnen nicht, daß Sie es mit diesem Grundsatz ernst meinen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat nur noch wenige Minuten Redezeit.
Dies zur Erklärung der Kürze meiner Ausführungen, die ursprünglich gründlicher gedacht waren.Herr Kollege Schwarz, Sie und andere Vorredner sind nicht müde geworden, uns heute zu mahnen, daß wir es den Sozialdemokraten der Weimar rer Republik gleichtun sollten, die Abgrenzungen in Ihrem Sinn vorgenommen haben. Aber, Herr Kollege Schwarz, können wir uns denn nicht darauf einigen, daß der Unterschied der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Weimarer Republik eben darin besteht, daß die Bundesrepublik Deutschland bereits doppelt so lange existiert, und daß man — was immer man über diesen zweiten Versuch, in diesem Lande eine deutsche Demokratie einzubürgern, bis sie zur Selbstverständlichkeit wird, sagen will — feststellen muß: Diese zweite deutsche Demokratie ist unendlich stabiler, als die erste es war?
Im übrigen: Da Sie auf die Ermordung Rathenaus, das Republikschutzgesetz und den damals in das Beamtengesetz aufgenommenen Paragraphen hingewiesen haben, der die Wurzel für die heute geltende Gewährbieteklausel legte: Nehmen Sie doch bitte auch zur Kenntnis, daß das Republikschutzgesetz die Republik nicht schützen konnte! Daraus folgere ich: Eine Demokratie stirbt nicht am Mangel an Erlassen und Gesetzen. Eine Demokratie stirbt, wenn sie stirbt, einzig am Mangel an Demokraten.
Lasssen Sie mich noch einen weiteren Gedanken ausführen. Ich erinnere mich der Tage der Haushaltslesung, an denen wir — eine ganze Gruppe von Kollegen dieses Parlaments, eine interfraktionelle Gruppe — Abend für Abend in die Parlamentarische Gesellschaft gegangen sind und uns dort „Holocaust" angesehen haben. Ich erinnere mich insbesondere, daß an einem Abend ein' angesehener Kollege der CDU auffuhr und sagte: Deswegen, weil dies nie wiederkommen darf, müssen wir die Radikalen vom öffentlichen Dienst fernhalten.
Bei allem Respekt vor denen, die so denken, eine Frage an uns alle: Könnte es nicht sein, daß da auch eine Fehleinschätzung mit im Spiele ist? Besagt denn nicht die historische Erfahrung, daß in zugespitzter Situation mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einem Andrang von öffentlicher Aggression wie Emotionen nicht eine versprengte extreme Minderheit, die wir alle gemeinsam ablehnen, der Demokratie am meisten zum Schaden gereicht, sondern daß sich dann oft erwiesen hat — wir können vielleicht so sicher nicht sein, ob das in Zukunft für alle Tage auszuschließen ist —, daß die Demokratie eben durch die nicht genügend vorhandene Demokratiefähigkeit der Mehrheit, durch deren Unterwerfungs- und Gehorsamsbedürfnis gefährdet ist? Deswegen wäre lange und gründlich darüber zu reden, ob die alte deutsche Tradition der Erziehung vor allem zur Anpassung und zum Gehorsam nicht das Gegenstück braucht: mehr Erziehung zur Einsicht in die demokratische
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LattmannFunktion eines konstruktiven und kritischen Ungehorsams.
Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen. Ich kann deswegen den Gedanken an dieser Stelle nicht näher ausführen.
Ihren Entschließungsantrag — daß wir ihn ablehnen, ist eine Selbstverständlichkeit —
muß ich mit folgender Bemerkung zurückweisen. Sie sagen, die Bundesregierung werde aufgefordert, zur verfassungsmäßigen Anwendung des geltenden Rechts zurückzukehren. Dazu brauchen wir die Bundesregierung nicht aufzufordern. Denn sie wendet geltendes Recht an. Dies tut die sozialliberale Koalition, indem sie weiß und 'begreift: Demokratie im Sinn unserer Verfassung ist niemals eine abgeschlossene Sache, sondern immer ein Auftrag. Die Demokratie ist nach dem Buchstaben unseres Grundgesetzes noch lange nicht so erfüllt, wie diese Bundesregierung und diese Koalition sie erfüllen wollen, indem sie Stück um Stück Verfassungsauftrag in Verfassungsrealität umsetzen.
Das Wort hat das Mitglied des Bundesrates Herr Senator Glotz, Berlin.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, am Schluß dieser Debatte ein paar Sätze aus der Sicht eines zu sagen, der aus diesem Haus kommt, der seit knapp zwei Jahren Chef einer solchen Einstellungsbehörde ist und der einfach aus der Praxis her darüber, wie das bisherige Verfahren gelaufen ist, gewisse Erfahrungen gemacht hat.Ich möchte gleich am Anfang folgendes sagen. Ich war in den Jahren 1972 und folgende der Auffassung, daß der Beschluß der Ministerpräsidenten richtig ist und völlig in Ordnung geht.
— Viele waren dabei, Herr' Kollege. Ich will aber meinerseits sagen, daß auf Grund der Erfahrungen, die ich konkret gemacht habe, beispielsweise der Erfahrungen in den in Berlin genauso wie in anderen Ländern bestehenden Kommissionen — in Berlin heißt das „Landeskommission" —, folgendes festzustellen ist. Erstens. Durch diese Maßnahmen, die wir zwischen 1972 und 1978 getroffen haben, sichern wir die Loyalität der Beamtenschaft nicht. Zweitens. Ich fürchte, wir stärken vielmehr dadurch das politische Potential der Gegner unserer Verfassung.Lassen Sie mich ' einmal von der Wirklichkeit her, beispielsweise aus der Wirklichkeit der Universitäten — wobei ich einräume: dies ist nur ein Sektor unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit; es gibt andere — berichten, wie das ist. Es ist ja eben nicht so, daß die Unsicherheit und die Angst von denen hier vielfach gesprochen worden ist, vornehmlich bei Leuten existieren, die, sagen wir, irgendwo am Rand unseres politischen Spektrums denken und deswegen in eine bestimmte politische' Ecke getan werden könnten. Das Problem ist doch, daß diese Angst bei vielen Söhnen und Töchtern von Ihnen, von uns, von Mitgliedern der demokratischen Parteien existiert, die im Grunde voll zur Demokratie stehen, aber die trotzdem Angst haben.
Ich habe nun wirklich zahllose Male den Versuch gemacht — im Unterschied zu anderen Politikern —, mit diesen Leuten zu diskutieren, in den Berliner Universitäten beispielsweise. Ich habe immer verteidigt. Ich habe immer gesagt: Dies ist kein Schnüffelstaat. Ich habe gesagt: Diese Routineanfrage ist nicht ein Hinter-dem-einzelnen-Herlaufen und -Untersuchen, sondern es ist eine Karteianfrage. Aber der Tatbestand ist, daß ein großer Teil der nachrückenden Generation dies als nichts ande- res begreift als eine faule Entschuldigung des Staates. Darauf müssen wir reagieren als Politiker.
— Herr Kollege Erhard, ich will gleich sagen, wie.Ich habe zwei Reaktionen als geradezu typische immer wieder erlebt. Wenn heutzutage im Unterschied zu vor fünf, sechs Jahren oder auch vor zwei, drei Jahren manchmal noch Unterschriftslisten herumgehen in den Universitäten, dann gibt es zwei klassische Reaktionen. Die eine ist: Gib her, ich unterschreib das; bei mir ist es eh wurscht, ich komm nicht in den öffentlichen Dienst. Oft ganz übertriebene Angst, die überhaupt nicht berechtigt ist.
— Unterschiedliches, Unsinniges und Sinnvolles wird unterschrieben, Herr Kollege Spranger: — Die andere Reaktion ist: Ich denke nicht daran, irgend etwas zu unterschreiben,. weil ich fürchte, nicht in den öffentlichen Dienst zu kommen. Solche Reaktionen zeigen, daß wir in einem Teil der Generation eine Verunsicherung ausgelöst haben, die wir meiner Meinung nach nicht so weiter praktizieren dürfen, meine Damen und Herren.
Bitte, meine Damen und Herren, lassen Sie uns ernsthaft über die Legende reden, die alle Redner der Union heute hier aufgebaut haben, von Herrn Spranger bis zum Kollegen Dregger: daß dies alles nichts anderes sei als eine von den Kommunisten gesteuerte Kampagne! Lassen Sie uns doch mal ernsthaft darüber reden!
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Senator Dr. Glotz
— Natürlich gibt es eine Kampagne von Kommunisten, und natürlich gibt es in dieser Kampagne viele schlichte, dicke Unwahrheiten.
Als Sozialdemokrat weise ich diese Kampagnen der DKP und anderer kommunistischer Gruppen genauso scharf zurück, wie Sie sie zurückweisen.
— Warten Sie ab, Herr Spranger! Geben Sie zu: Weite Teile einer kritischen Offentlichkeit, die mit der DKP nichts zu tun haben, weite Teile der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche, aus allen möglichen Gruppen, Schriftsteller, was immer Sie sehen — ich rede nur vom Inland, nur von der Bundesrepublik —, haben diese Entwicklung zwischen 1972 und 1978 verurteilt und kritisiert. Zu behaupten, dies sei nur eine Kampagne der DKP, ist dummes Zeug, meine Damen und Herren!
Herr Spranger hat gesagt: Da gibt es auch welche, die machen mit.
In der Tat — Sie haben es zitiert — hat es immer wieder auch Freie Demokraten und Sozialdemokraten — heute morgen ist auch Herr Dr. Alt von der CDU zitiert worden — gegeben, die sich kritisch zu diesem Punkt geäußert haben. Dies lag auch daran, Herr Kollege Spranger, daß Teile unserer Verwaltungen — ich sage: nicht nur der bayerischen Verwaltung oder Verwaltungen der CDU-regierten Länder — durch Übertreibungen, falsche Praxis und bürokratische Exzesse Anlaß zu solcher Kritik, auch von. Demokraten, gegeben haben. Das ist der Tatbestand.
Auf der Basis dieses von der Wirklichkeit nicht wegstreitbaren Tatbestands sage ich: Ich habe nicht so sehr Angst vor dem revolutionären Elan der jetzt nachrückenden Generationen; ich habe manchmal eher Angst, aus der Erfahrung in den Diskussionen, daß allzu viele sozusagen auf den Spannteppichen des sozialen Wohnungsbaus sitzen werden, sich mit ihrer eigenen Seele beschäftigen, von Gruppendynamik bis Sekten und was da alles stattfindet — und das . Elend, auch in Teilen Europas, existiert daneben weiter. Das ist eine Gefahr, die ich sehe, eine stärkere als die revolutionäre Unterwanderung durch Parteien wie die DKP oder K-Gruppen oder andere.
Es ist ein erstaunlich hoher Teil gerade der Kinder von Demokraten, gerade der Kinder von gut-situierten Leuten, die in eine Art von Resignationund Zynismus wegkippen, die für das Funktionieren der Demokratie ganz bedenklich sein kann.
— Herr Kollege Spranger, den Hinweis „Wer regiert dieses Land?" finde ich wirklich unterhalb auch Ihres Niveaus; denn daß diese Entwicklung im Jugendbereich, um die sich der Kollege Maier genauso kümmert wie andere auch, um die wir uns alle kümmern müssen,
nicht damit zusammenhängt, daß die Bundesregierung jetzt von der sozialliberalen Koalition gestellt wird, ist alien gutwilligen Leuten erkennbar, nur leider Ihnen nicht, Herr Kollege Spranger, und das bedauere ich eigentlich ein bißchen.Wir müssen uns darum kümmern, daß ein Teil der jungen Generation wegkippt. Ein Grund dafür — unter vielen anderen — war auch das Einbeziehen von vielen in diese ganze Problematik durch die Routineanfrage. Die Routineanfrage hat eine Fülle von Leuten, die mit Radikalismus und Extremismus nichts zu tun haben, in diese ganze Debatte mit hineingezogen.Genau dies ist etwas, was durch die Abschaffung der Routineanfrage geändert wird. Sie können sicher sein: Viele von denen, die per Saldo in den öffentlichen Dienst gekommen sind, die aber Briefe schreiben mußten, die zu Kommissionen gingen und die Debatten in diesen Kommissonen mitbekommen haben, tragen den Zweifel mit nach Hause. Sie werden nicht Revolutionäre; sie ziehen sich irgendwann Schlips und Kragen an, kaufen sich einen Volvo oder einen anderen Mittelklassewagen, gehen in unsere Verwaltungen oder in die Industrie und nehmen ganz normale Jobs ein.
Aber die Gefahr ist, Herr Kollege Erhard, daß irgendwann, wenn wirklich einmal eine Krise in dieser Demokratie herrscht, wenn irgendwann einmal der Staat als Ausgleichskasse nicht mehr funktioniert, das Engagement beispielsweise einer ganzen akademischen Generation — aber nicht nur einer akademischen Generation — in den Führungseliten für diesen Staat nicht mehr da ist. Um dieses nicht weiter zu zerstören, ist meiner Überzeugung nach richtig, was die Bundesregierung hier tut.
Herr Kollege Dregger hat heute gesagt, er sei gegen die Gesinnungsüberprüfung. Ich unterstreiche das voll und ganz, Herr Kollege Dregger. Das Problem ist doch nur: Das Alternativmodell zur Routineanfrage, das Sie hier anbieten, wird nicht funktionieren. Jemanden eine Erklärung unterschreiben zu lassen, ob er dieser oder jener Organisation angehört und dann, wenn er sagt, ich gehöre ihr an, einfach zu entscheiden, er kommt nicht in den öffentlichen Dienst, würde nicht mit dem Urteil des Bun-
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Senator Dr. Glotz
desverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975 übereinstimmen.
Ich habe in diesen Kommissionen gesessen. Es gibt aus diesen Kommissionen viele Anhörungsprotokolle. Die klassischen Dialoge darin lauten: „Sind Sie für oder gegen die Diktatur des Proletariats?" Dann kommt irgendeine Antwort. Dann kommt die Frage: „Sind Sie für oder gegen demokratischen Zentralismus?" Er werden also letztlich Gesinnungsfragen, inhaltliche Fragen debattiert. Das Schlimme ist: Wenn einer clever und gebildet ist, sagt er: „Ich bin für die Diktatur des Proletariats im Sinne des Briefes von Friedrich Engels aus dem Jahre soundso viel", und dann ist er drin. Wenn ihm das nicht einfällt, ist er draußen. Dies ist ein absurder Mechanismus.
- Das soll nicht geschehen, Herr Dregger. Aber was soll denn eine Kommission, die unter Umständen nur weiß: der Bewerber ist Mitglied einer bestimmten Partei, beispielsweise der DKP?
— Selbstverständlich ist das interessant, ein Anhaltspunkt. Aber die Kommission muß nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts weiter fragen, denn dies ist nur ein Element der Beurteilung.
Im Normalfall hat der 27jährige Mensch aber noch nicht rechtswidrig gehandelt, hat sich noch nicht gegen Gesetze vergangen.
Was bleibt der Kommission anderes übrig, als letztlich mit ihm beispielsweise eine Diskussion über die Diktatur des Proletariats oder ähnliche Fragen zu führen.
— Ich halte davon genausowenig wie Sie, Herr Kollege Dregger. Das Problem ist nur, daß dies die Wirklichkeit war. Diese Wirklichkeit hat dazu geführt, daß nun ein großer Teil der Menschen sagt: hier werden Gesinnungsüberprüfungen vorgenommen. Daß dies — bei sozialdemokratischen Verwaltungen nicht anders als bei Verwaltungen, die von der Union gestellt worden sind — in vielen Fällen leider so war, will ich hier offen sagen.Ich will Ihnen einen Fall schildern, den ich erlebt habe: Bei einem jungen Mann war seine Mitgliedschaft in einer extremistischen Partei angezeigt. Während des Gesprächs wird uns von der Einstellungsbehörde mitgeteilt, daß der Mann aus der Partei ausgetreten sei. In einem langen Gespräch mit einem Beamten der Einstellungsbehörde hat er gesagt: „Ich habe mich getrennt."Die Kommission hat entschieden: der Mann kommt in den öffentlichen Dienst, auch im Sinne der Kriterien, die Sie selbst dargestellt haben, Herr Dregger. In der darauffolgenden Sitzung haben wir erfahren, daß derselbe Mann in einem bestimmten Kreis den Satz geäußert hat: „Ich muß vor der Landeskommission singen, also muß ich jetzt mal raus."Er hat vermutlich gelogen.
Jetzt hat sich die Kommission natürlich die Frage stellen müssen — und wir alle müssen sie uns stellen; ich will das jetzt einmal nicht polemisch darstellen —: Hat er gelogen, als er den Beamten sagte: ich bin aus der Partei ausgetreten, oder hat er später gelogen, weil er verlegen war, weil er seinen früheren Genossen gegenüber nicht zugeben wollte, daß er wirklich ausgetreten ist? Ich gebe Ihnen recht: Man kann das mit dem Satz kommentieren: Ein Held kann er in keinem Fall sein. Das wäre richtig. Aber wollen wir das Kriterium schaffen, daß alle Beamten in unserem Lande Helden sein müssen?
Wie soll eine Kommission dies bewerten? Wie oft stehen wir vor der Situation, vermuten zu müssen, daß wir angelogen werden, es aber nicht genau zu wissen, es nicht genau wissen zu können! Und da passiert es zahllose Male, daß wir einen, der wortgewandt, intelligent, geschickt ist, in den öffentlichen Dienst hineinlassen, weil wir ihn hineinlassen müssen, weil das Protokoll gar nichts anderes hergibt, daß aber einer, der ein Idealist ist, jedoch wortungewandt und ungeschickt, hinausgeschmissen und herausgehalten werden muß, weil es einfach nicht anders geht. Dies ist dann Unrecht und eines solchen Unrechts will ich mich nicht schuldig machen. Das ist eine der Schwierigkeiten, die ich sehe.
Damit, Herr Kollege Dregger, sind wir bei der grundsätzlichen Problematik: der Prognose. Ich darf einmal in die Entwicklung einer älteren Generation zurückgehen, der ich nicht angehöre. Glauben Sie, Herr Kollege Dregger, daß man im Jahre 1928 voraussehen konnte, ob einer im Jahre 1933 die geforderte Gewähr bieten würde? In der Generation meiner Väter mußte jemand, der 1933 in diesem Land Lehrer bleiben wollte und vielleicht Sozialdemokrat war, aus der SPD austreten und in die NSDAP eintreten. Es hat solche Leute gegeben.Glauben Sie, Herr Kollege Erhard, daß man im Jahre 1928 hätte voraussehen können, wie er sich im Jahre 1933 gegenüber der totalitären Partei entscheidet? Ich glaube es nicht, meine Damen und Herren.
Hier liegen die Grenzen der Prognose, die wir auch heute machen.
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Senator Dr. Glotz
Frau Kollegin Benedix, ich möchte daraus die Folgerung ziehen. Wir müssen von der hochmütigen Fiktion lassen, als könne der Staat aus den Gesinnungen von heute auf das Handeln des Menschen von morgen schließen. Das ist eine hochmütige Fiktion. Ich sage Ihnen: Ein Staat, der sich einbildet, eine Generation von Berufsanfängern mit einem System von Kommissionen durchsieben zu können, der verschluckt sich an seinem eigenen Perfektionsdrang.
Ich sage, Frau Kollegin Benedix, der demokratische Staat hat das Recht und die Pflicht, für bestimmte staatliche Funktionen eine Auswahl unter Bewerbern zu treffen. Das heißt also, daß der zuständige Beamte, der sich unstreitig irren kann, ,eine Einstellungsentscheidung fällen muß. Dieser Staat hat meiner Überzeugung nach jedoch in keinem einzigen Fall, wenn er demokratisch bleiben will, das Recht, einem Menschen Brief und Siegel über seine Gesinnung zu geben. Die Praxis — auch wenn Herr Dregger es nicht will; das erkenne ich an — hat, so, wie sie bisher war und in solchen Kommissionen nicht anders sein kann, dazu geführt, daß wir den Menschen Zettel in die Tasche gesteckt haben, auf denen gestanden hat: „Du bietest Gewähr" oder „Du bietest nicht Gewähr". Es ist mit Gesinnung argumentiert worden. Es kann in der Praxis auch gar nicht anders argumentiert werden. Deswegen lehne ich diese Praxis, wie sie bisher war, ab.
Ich möchte noch ein paar Sätze zu dem Lehrerproblem sagen, das meiner Meinung nach heute morgen nicht zureichend diskutiert worden ist. Meine Damen und Herren, ' das ist natürlich das härteste Problem. In der Tat, wenn Sie die Frage stellen: Willst Du einen Kommunisten als Lehrer Deiner Kinder haben?, dann wird die Antwort der Mehrheit der Bürger eindeutig negativ sein. Ich kann das gut verstehen. Nur, wenn wir sagen: Wir verlangen doch immer, auf das Verhalten abzustellen; guckt doch hin, was er tut, Indoktrination darf nicht sein, wenn wir dieses, wie ich glaube, richtige Argument, vorbringen, dann antworten Sie: Wollt Ihr ein Spitzelsystem in den Schulen installieren?
— So ist es nicht, Herr Kollege Jäger.
Es gibt ein System von sozialen Kontrollen in Schulen — nicht nur in Schulen, sondern in allen unseren Institutionen —, das von sich aus selbstverständlich arbeitet und arbeiten muß, und das keiner in diesem Haus als Spitzelsystem bezeichnen sollte.Meine Damen und Herren, wenn in der Klasse eines Kindes ein Lehrer den Versuch machen würde, ideologische Konterbande in den Unterricht zu schmuggeln, so würde nach 5 oder 6 Wochen — nicht durch Bespitzelung durch die Kinder, sondern durch das harmlose Erzählen der Kinder, was in derSchule geschieht — eine Elternversammlung stattfinden, und dieser Lehrer würde aus dem Unterricht und aus der Schule von der Empörung der Eltern hinausgespült werden. Dies wäre dann auch richtig, meine Damen und Herren.
— Jetzt sagen Sie: „So blöd macht der das nicht." Natürlich gibt es den Unterwanderer, Herr Kollege. Aber eines sage ich Ihnen: Der Unterwanderer, der so geschickt ist, der ist auch geschickt genug, um eine Kommission zu betrügen und durchzurutschen. Das müssen Sie einmal festhalten.
Herr Senator, gestatten Sie eine Frage der Frau Abgeordneten Benedix?
Selbstverständlich.
Herr Glotz, würden Sie in Übereinstimmung mit dem damaligen Kultusminister von Oertzen sagen: Man kann den Eltern eben die Auseinandersetzung mit radikalen Lehrern nicht ersparen?
Frau Kollegin Benedix, ich will Ihnen etwas sagen. Die Auseinandersetzung mit indoktrinierenden Lehrern, mit Lehrern, die die Schule dazu benutzen, um die Kinder für bestimmte Ideologien in Dienst zu nehmen — dazu sage ich Ihnen: Es ist mir völlig gleichgültig, ob diese Ideologie in irgendeiner Form totalitär ist; ich bin auch dagegen, daß im Sinne von demokratisch-emanzipatorischen oder auch konservierenden Ideologien indoktriniert wird; Indoktrination darf insgesamt nicht sein; den Umgang mit indoktrinierenden Lehrern möchte ich den Eltern ersparen —, die Auseinandersetzung, ob das, was ein Lehrer tut, richtig oder falsch ist — die kommt natürlich, die findet selbstverständlich statt. Die Behauptung, ein Lehrer könne unerkannt in einer Schulklasse, wo er kommunizieren muß, wo er reden muß, wenn er seine Ideologie anbringen will, heimlich die Kinder zu Kommunisten machen, ohne daß die Eltern dies merken, ist eine von der Empirie der Schule her — das wissen Sie ganz genau — unsinnige Behauptung, Frau Kollegin Benedix.
Herr Senator, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Selbstverständlich!
Herr Senator, würden Sie mir, einem Familienvater mit derzeit mehreren schulpflichtigen Kindern, der in solchen Fällen als Bundestagsabgeordneter anders reden kann, als manche Eltern es sich in einer solchen Situation erlauben können, darin zustimmen, daß Sie mit Ihrer Argumentation im Grunde den Eltern zumuten,
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Jäger
einem Lehrer gegenüber — der das dann natürlich ableugnen wird — zu sagen: das muß jetzt geändert `werden, und in Kauf zu nehmen, daß dann dieses Kind unter den Schikanen eines solchen Lehrers und unter seiner Notengebung zu leiden hat?
Nein! Ich wäre dankbar, liebe Kollegen, wenn wir jetzt nicht begännen mit dem Streit, ob das in Baden-Württemberg oder in diesem oder jenem Land so ist; diese gegenseitigen Vorwürfe sind unrealistisch und führen überhaupt nicht weiter.Herr Kollege Jäger, ich möchte Ihnen sagen — wenn auch ich jetzt als Vater von drei Kindern antworten darf; dann macht sich das noch leichter —: Ich behaupte gar nicht, was sein soll; ich sage empirisch, wie ich es ablese, wenn ich auf die Wirklichkeit gucke. Wenn ein Lehrer diesen Versuch machen würde — Sie wissen das, weil Sie oder zumindest Ihre Frau auch in die Elternversammlungen gehen —, würden die Eltern nach fünf bis sechs Wochen Bescheid wissen und sich mit diesem Lehrer auseinandersetzen. Oder es ist der berühmte, geheimnisvolle Unterwanderer, der dann aber auch die Kommissionen passiert. Weil dies so ist, ist es realistisch, wenn die Bundesregierung verlangt, auf Verhalten abzustellen, ist es realistisch, wenn die Bundesregierung sagt: Laßt uns überprüfen, ob der Mensch indoktriniert! Wenn er indoktriniert, dann fliegt er! Aber laßt uns nicht vorher über Gesinnungsfragen und alles mögliche andere den untauglichen Versuch machen, die Falschen herauszuhalten und die Richtigen hereinzunehmen!
Das ist die richtige Position.
Ich möchte also nachdrücklich, Herr Kollege Maier, meinen Nachrednern sagen: Ich unterstütze voll und ganz das, was ein Philosoph, der aus Ihrem Amtsbereich kommt, Herr Spaemann, gesagt hat: „Erziehung wird mißbraucht, wenn sie als Instrument der Revolution oder als Versicherung gegen Revolution verstanden wird." Ich unterstüze das voll und ganz. Das geht in meine eigene Richtung. Das geht genauso in die Richtung der Konservativen und aller anderen. Aber ich meine, die Systeme sozialer Kontrolle in unseren Institutionen sind so, daß wir darauf vertrauen können, daß das Verhalten kontrolliert wird und daß wir auf Grund von Verhalten dann in der Tat entscheiden, ob sich jemand als Demokrat benimmt oder nicht.Was aber, wenn jemand — das sage ich auch dazu, Herr Kollege Dregger — nun Mitglied einer extremistischen Partei ist? Was dann? Ich teile nicht die Auffassung, daß die Mitglieder der DKP im Normalfall oder im Regelfall Demokraten seien.
Ich glaube aber, daß es auch Mitglieder der DKPoder auch der NPD geben kann, die den Bedingungen eines Unterrichts in einer Demokratie genügen können. Ob das allerdings so ist, muß sich am Verhalten des einzelnen erweisen.Ich möchte am Schluß das unterstreichen, was hier verschiedene Redner aus unterschiedlichen Fraktionen gesagt haben. Wir müssen dafür sorgen, daß der Staat Bundesrepublik von seinen Bürgern als geistige und politische Realität akzeptiert wird, und zwar möglichst von so vielen, daß rechts und links nur wenige übrigbleiben, die gegen diesen Staat kämpfen und vor diesem Staat ausspucken. Aber eine Bereitschaft zur Identifikation, gerichtet auf diese Bundesrepublik, d. h. also irgendeine Art republikanischer oder sozialer oder politischer Grundkonsens, könnte doch nur entstehen, wenn die politischen Kräfte ohne sentimentale Verwischung der Gegensätze, die es zwischen uns gibt und geben muß, aufhörten, den Gegner möglichst früh als Verfassungsfeind oder aber als Komplizen von Verfassungsfeinden hinzustellen.Wieso kann in Deutschland die politische Rechte — ich meine das nicht im Sinne von Extremismus — nicht begreifen, daß demokratischer Sozialismus —
— Ach, Herr Kollege Jäger, ich meine es ernst! Das ist der Unterschied zu Ihnen!
Also: Wieso kann in Deutschland die von Herrn Jäger so definierte „Mitte" nicht akzeptieren, daß ein demokratischer Sozialismus, selbst wenn er Banken verstaatlichen wollte — was der demokratische Sozialismus der Bundesrepublik und die Sozialdemokratie in ihrer erdrückenden Mehrheit überhaupt nicht will —, etwas anderes ist als Kommunismus? Warum eigentlich nicht? Und heute in der Debatte gab es doch wieder viele solche Zwischentöne.Ich frage auch umgekehrt: Warum kann in Deutschland ein Teil der Linken nicht begreifen, daß der Populismus von Herrn Strauß oder anderen etwas anderes als Faschismus ist?
— Wenn wir nicht in dieser Art von Debatte, Herr Kollege — ich kann ihre Heiterkeit an diesem Punkt nicht teilen; das ist mein Problem, das gebe ich zu —,
zur Besinnung kommen, werden die nachrückenden Generationen — das ist meine Erfahrung aus den Universitäten — mit größerer Bitterkeit und Giftigkeit aufeinander losgehen als die Generation von Konrad Adenauer und Kurt Schumacher.
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Senator Dr. Glotz
Dann wird für die eine Gruppierung das Grundgesetz nichts anderes sein als eine -verächtlich ausgespuckte „FDGO", und für die anderen wird das Grundgesetz nichts anderes sein als ein handliches Schlaginstrument gegen alles, was links sein könnte.Wir haben es in der Hand, diese Art von Diskussion noch zu verhindern, wir haben das auch in dieser Debatte in der Hand. Und ich sage Ihnen, ich bin der festen Überzeugung, wir müssen alles tun, um nicht eine Diskussion miteinander zu führen, die heute unterstellt, dies seien die fellow travellers dieses oder jenes Extremismus, sondern gemeinsam zu sehen, wie wir ohne Verunsicherung der jungen Generation dieses Problem der Verfassungstreue vernünftig lösen.
Das Wort hat als Mitglied des Bundesrates Herr Staatsminister Maier, Bayern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der geschätzte Kollege Glotz hat mich schon als seinen „Nachredner" angekündigt. Ich lege Wert darauf, dieses Wort in einem streng temporalen Sinne zu nehmen; denn inhaltlich unterscheidet sich dieser Nachredner von seinem Vorredner, obwohl er — vor allem durch die Münchener Universität — einen Teil der Erfahrungen mit ihm teilt.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Roth?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Zwischenfrage" ist hier etwas kühn, Frau Präsidentin, nachdem ich erst einen Satz gesagt habe.
Aber bitte!
Herr Minister, halten Sie es nicht für eine Zumutung für dieses Hohe Haus, daß Sie im Gegensatz zu Herrn Senator Glotz seit heute früh nicht an dieser Debatte teilgenommen haben,
nicht die Argumente hören und aufnehmen konnten, sondern hier vor 30 Minuten erschienen sind und nun das Wort ergreifen, ohne unsere Debatte überhaupt ernst nehmen zu können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Zwischenfrage beantworte ich mit Vergnügen: Am Vormittag habe ich die Debatte auf der Fahrt hierher im Radio verfolgen können; den Nachmittag habe ich in einem Gespräch des Zentralkomitees der deutschen Katholiken mit dem Präsidium der SPD verbracht.
Ich schätze, das war ein Eigentor, Herr Roth.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns am Ende dieser Debatte, die ich nicht ungebührlich verlängern möchte, über vier Punkte gemeinsam nachdenken, die ich mir beim Mithören — einiges habe ich auch durch Berichte erfahren können, und schließlich sind wir alle seit Jahren, seit der großen Verfassungsdebatte dieses Hauses ja im Gespräch miteinander — notiert habe.Lassen Sie mich als ersten Punkt, der mir große Sorge macht, diesen nennen: Es fehlt zwischen den Parteien an gemeinsamen objektivierbaren Maßstäben zur Beurteilung dessen, was verfassungsfeindlich ist, zur Beurteilung der Frage, wo die Grenzen zwischen dieser Republik und einer anderen liegen.Vielleicht haben wir es uns vor Jahren zu einfach gemacht, als wir — noch unter Konrad Adenauer — die bekannte Liste hatten. Manche werden sich erinnern: Wenn früher jemand ins Beamtenverhältnis aufgenommen wurde, mußte er einfach eine Liste unterschreiben, in der stand: Gehören Sie der NSDAP oder ihren Nachfolgeorganisationen an? oder dann, auf der anderen Seite: Gehören Sie der KPD oder verschiedenen befreundeten Organisationen an? Wenn er das verneinte, wenn er Fehlanzeige erstattete, war die Sache gelaufen. Das war ein, wie ich zugebe, einfaches, ein vielleicht zu holzschnittartiges Unternehmen. In den nächsten Jahren hat die Rechtsprechung dann immer mehr darauf gedrungen, stärker den Einzelfall in den Blick zu nehmen.Aber, meine Damen und Herren, Einzelfallprüfung kann nicht heißen, daß der Einzelfall ohne einen Hintergrund gemeinsamer Maßstäbe, ohne einen Hintergrund von allen anerkannter Kriterien untersucht wird. Denn dann käme man genau da hin — Herr Dregger hat das in den letzten Jahren oft und oft geschildert —, daß man vor lauter subjektiver Untersuchung der Gesinnung und des speziellen Ethos des einzelnen Bewerbers überhaupt nicht mehr weiß: Steht er nun auf dem Boden der Verfassung oder nicht? Man kann auch so in die Psyche des einzelnen Menschen und in seine Gesinnungsethik eindringen, daß es peinlich wird. Ich möchte diese Peinlichkeiten vermeiden, meine Damen und Herren. Darum ist es nötig, ein Minimum gemeinsamer Grundsätze auch über den von allen hoffentlich unbestrittenen Block der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ihrer Grundsätze hinaus zu haben. Ein solches Minimum müßte am Anfang stehen.Wir sind nämlich dabei, aus dem früheren holz- schnittartigen Verfahren in das genaue Gegenteil abzugleiten, d. h. nur noch Gesinnungen zu untersuchen, aber am Ende gar nicht zu wissen, wie wir sie bewerten sollen, weil es über diese gemeinsamen Grundsätze in unserem Hause und zwischen den Parteien keine Einigkeit mehr gibt. Das erfüllt mich mit größter Sorge, und das ist im Grunde das ungelöste Problem auch nach dieser Debatte, nämlich das ungelöste Problem eines gemeinsamen Ver-
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Staatsminister Dr. Maier fassungsverständnisses und einer gemeinsamen Verfassungsethik.Sicher hat das Bundesverfassungsgericht verlangt: Prüft den Einzelfall! Aber nirgends hat es gesagt: Prüft den Einzelfall nach Lust und Laune und subjektiver Untersuchungsfähigkeit und -bereitschaft der Einstellungsbehörden. Es hat den Parteien vielmehr die Aufgabe gestellt, gemeinsam die Kriterien herauszuarbeiten. Wir werden vielleicht nicht wieder zu einer Liste wie in den fünfziger Jahren zurückkehren, aber wir müssen über Kriterien sprechen; denn sonst rutschen wir in einen unbegrenzten Subjektivismus ab, in das, was Max Weber Gesinnungsethik genannt hat, und dann, meine Damen und Herren, dürfen Sie sich nicht darüber beklagen, daß die Einzelfallprüfung manchmal tatsächlich zu solchen Peinlichkeiten führt und auch zu einer Gesinnungsprüfung wird. Das beklagen wir wohl alle gemeinsam. Da heraus führt aber nur der Weg, objektive Kriterien zu suchen. Ich glaube, das müssen alle Parteien als Aufgabe erkennen, daß wir die Grenze zwischen dieser Republik und einer anderen, die Grenze zwischen dieser Verfassung und einer anderen deutlich als gemeinsamen Boden aller demokratischen Parteien wieder festmachen.
Dies ist meine erste Bemerkung.
Mein zweiter Punkt — und ich bitte die linke Seite, nicht gleich heftig zu widersprechen —: Ich stelle eine gewisse Ungleichheit der Argumentation fest. Bürgermeister Klose hat in seinen bekannten Ausführungen gesagt — ich hoffe, ich zitiere ihn einigermaßen richtig —, es sei besser, 20 Kommunisten im öffentlichen Dienst einzustellen, als 20 000 junge Menschen zu verunsichern,
Meine Damen und Herren, ich möchte mir nicht die Explosion in unserer Republik ausmalen, die eingetreten wäre, wenn Herr Klose gesagt hätte, er stelle lieber 20 Nazis oder Leute, die ähnlich wie die Nazis argumentierten, ein,
als 20 000 junge Menschen zu verunsichern.Gott sei Dank ist die Grenze zur totalitären Diktatur der Nationalsozialisten und Faschisten unter uns Demokraten noch unbestritten. Ich freue mich dessen. Hier wäre e i n Extremist zuviel.
Aber warum erkennen wir dann nicht an, daß die Grenze zum Linksextremismus und zum Linkstotalitarismus genauso klar befestigt werden muß und daß es gefährlich wäre, eine Art Do-ut-des-Rechnung aufzumachen: Laßt halt ein paar herein, dann beruhigen sich die anderen?Wir sollten uns wirklich darüber klar sein: Angehörige extremistischer Parteien haben ja gar nicht die Wahl, frei zu sein, sondern das große Weltgewissen, die Weltrevolution und die dialektische Entwicklung der Geschichte denken für sie. Ich bestreitegar nicht, daß es subjektiven Idealismus bei jungen Menschen gibt, auch wenn sie solchen Parteien angehören. Das wird von niemandem bestritten. Die Geschichte lehrt uns aber, daß in allen totalitären Parteien der einzelne, der versucht hat, einen eigenen Weg zu gehen, von der Partei am Ende unterdrückt, zerstört,. ja, sogar physisch vernichtet worden ist. Die Geschichte lehrt uns, daß dies auch für Parteien gilt, die als ganze einen eigenen Weg zu gehen versucht haben. Angefangen von Ungarn im Jahre 1956 bis zum Prager Frühling — es war doch immer das gleiche. Man glaube doch nicht — diese Illusion steckt manchmal hinter der gesinnungsethischen Argumentation —, der einzelne könne seinen Kommunismus oder seinen Nationalsozialismus nach seinem Gusto finden und zurechtschneidern. Hier sind Mächte am Werk, die die subjektive Gesinnung und auch den subjektiven Idealismus des einzelnen zerstören und unterdrücken. Man sollte sich darüber klar sein, daß sich der Staat hier nicht mit mißleiteten einzelnen auseinanderzusetzen muß, sondern mit dem Gewicht eines revolutionären Anspruchs, das eben der einzelne dann übernimmt, wenn er Mitglied einer solchen Partei wird.
Auch hier hat das Bundesverfassungsgericht ja keineswegs, wie manchmal interpretiert wird, gesagt, daß die Zugehörigkeit zu solchen Organisationen und Parteien ganz unbeachtlich sei. Es hat nur gesagt: Darüber hinaus muß das tatsächliche Verhalten geprüft werden. Einverstanden! Aber auch hier wollen wir doch nicht die objektiven Grundlagen der Bewertung aus dem Auge verlieren.
Es wäre, glaube ich, auch ein gutes Ergebnis dieser Debatte, wenn wir hier einmal mit völlig gleichem Maß und gleichem Auge mäßen, nach der einen wie nach der anderen Seite.Das dritte ist die Angst der einen und die Angst der anderen. Herr Kollege Glotz hat vorhin von Resignation und Zynismus in manchen Teilen der jungen Generation gesprochen. In der Öffentlichkeit wird meist so diskutiert, daß man sagt: Es gibt die Angst der verunsicherten jungen Generation vor Regelanfrage, Nachprüfung und Verfassungsschutz auf der einen Seite, und es gibt auf der anderen Seite die Angst der Staatsschützer, der Verantwortlichen für diesen Staat, seien es Abgeordnete oder Regierungsmitglieder oder Beamte. Dieses Bild, diese Gegenüberstellung, diese Konfrontation ist viel zu einfach.Es gibt in der jungen Generation nämlich auch noch eine andere Angst. Sie kommt z. B. auch an mich in vielen Briefen und Anrufen heran. Es ist die Angst etwa von Studenten in gewissen Milieus, in gewissen Seminaren. Ich bin mit Herrn Glotz durchaus einer Meinung, daß wir überall nach dem Rechten schauen müssen und daß das kein Problem Berlins oder Münchens ist, auch kein Problem einer einzelnen Partei. Vielmehr gibt es unglückselige Tendenzen in der akademischen Jugend im ganzen. Das ist ja durch verschiedene Umfragen erhärtet worden. Aber es gibt nun auch jene jungen Menschen, die
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Staatsminister Dr. Maier
mir Briefe schreiben und sagen: In meinem Seminar kann ich für eine demokratische Partei, kann ich für diesen Staat, kann ich etwa für unsere Gerichtsverfassung kaum mehr ein gutes Wort einlegen; sofort fährt mir die Mehrheit über den Mund. Es herrscht dort ein Klima, bei dem ich diesen Staat kaum mehr sehe, ihn kaum mehr verteidigen kann. — Auch solche Ängste gibt es also, und diese Ängste wachsen in dem Maße, in dem der Staat nicht Flagge zeigt.
Sie wachsen in dem Maße, in dem der Staat sich versteckt, auf Tauchstation geht und denkt: Das wird schon wieder in Ordnung kommen, wenn sie älter werden und einen Beruf haben. Es kommt nicht in Ordnung.Wir alle haben hier auch eine öffentliche Aufgabe. Ich glaube, wir brauchen hier nicht wie in der Kirche zu predigen und uns wechselseitig zu belehren; jeder, der erkannt hat, wohin die Reise geht, nimmt diese öffentliche Aufgabe auch wahr, setzt sich mit Menschen auseinander, die anders denken. Nur, es genügt nicht — wiederum an die Adresse des Kollegen Glotz —, daß wir uns in turbulenten Universitätsversammlungen mit den Gegnern raufen. Auch das ist nötig, und ich tue es genauso wie er. Aber darüber hinaus ist auch nötig, daß wir handeln, daß wir nicht nur redend, sondern auch handelnd der Jugend — oder einem Teil der Jugend — den Widerstand nicht vorenthalten, den sie insgeheim von uns erwartet.
Das ist ein Problem der Erziehung. Jedes Kind sucht seinen Handlungsspielraum auszudehnen, und Schüler und Studenten handeln hier grundsätzlich nicht anders. Wenn da kein Gegenüber ist und wenn sich der Eindruck verbreitet: „Ich kann mir hier alles leisten", dann ist die abschüssige Bahn beschritten, die von irgendwelchen abstrakten Seminardiskussionen über Gewalt und tötende Gewalt eben auch zum wirklichen Terrorismus führen kann — nicht: führen muß. Gewiß, die Kausalitäten sind im Einzelfall hier genau zu untersuchen und zu würdigen, aber daß diese abschüssige Ebene manchmal besteht und daß wir alle wahrscheinlich zuwenig tun — vielleicht da und dort auch zuwenig mehr tun können —, muß sehr ernst ,und sehr selbstkritisch bedacht werden.Kurzum: Es gibt Resignation und Zynismus nicht nur bei denen, die den Staat als übermächtiges Über-Ich in Gestalt der Staatsschutzbehörden erleben. Das mag eine kleine Minderheit sein. Es gibt auch Resignation und, wenn nicht Zynismus, so doch wenigstens Exidealismus bei solchen, die jahrelang auf das Eingreifen, das Sprechen, das Handeln dieses demokratischen Staates gewartet haben
und die jetzt, da es jahrelang ausgeblieben ist, sich anzupassen beginnen.
Als vierter und letzter Punkt die Frage der Vorsorge und Prognose. Dazu zwei Bemerkungen, eine historische und eine praktische, verwaltungsmäßige. Es ist natürlich richtig, was vorhin gesagt wurde: Wir dürfen uns nicht der hochmütigen Fiktion hingeben, wir könnten alle geschichtlichen Entwicklungen prognostizieren. Aber — wiederum an die Adresse der SPD gesagt — wäre es nicht besser gewesen, Sie hätten in Ihrem Papier zur Extremismusdebatte — das hätte ich eigentlich von einer Partei mit Ihrer Vergangenheit erwartet — nicht die Erklärungen von Braun und Severing aus dem Jähre 1930 irgendwo, fast verlegen, in eine, Linie vom Obrigkeitsstaat zum Dritten Reich eingereiht? Denn wenn man es liest — ich habe es heute noch einmal gründlich durchgelesen —, hat man fast den Eindruck, daß hier verlegen berichtet wird, was Braun und Severing damals proklamiert haben: Keine Nazis und keine Kommunisten in den öffentlichen Dienst., Darauf geht doch die Gewährbieteformel zurück, nicht auf das, was dann das Dritte Reich daraus gemacht hat.
Ich verstehe nicht, daß das nur so verlegen berichtet wird und Ihre Partei daraus nicht den Stolz ableitet, daß zuerst sie in der Weimarer Republik darauf gedrungen hat, diese Abgrenzung gegenüber Nazis und Kommunisten zu einer allgemeinen Praxis der Einstellungsbehörden zu machen. Wäre das auch in Braunschweig geschehen, der Regierungsrat Hitler wäre nie erfunden worden, und man hätte ihn nie in den Staatsdienst übernommen.
Ich behaupte, es begründet den Ruhm jener sozialdemokratischen Politiker im Preußen der 30er Jahre, daß sie dies proklamiert haben. Es ist ihre Tragik, daß sie sich damit nicht durchsetzen -konnten. Es ist eine verkleinerte Tragödie, daß das heute im Rahmen einer Darstellung der Gewährbieteformel beinahe verlegen übergangen wird, statt daß Sie darauf beharren und sagen: Gerade wir haben erstmals diese Treuepflicht der Beamten im Hinblick auf die damals in ihrem geschichtlichen Weg noch nicht abzusehenden totalitären Parteien konkretisiert.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja gerne.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß es im Braunschweigischen Landtag eine Abstimmung über die Ernennung des Herrn Adolf Hitler gegeben hat, bei der Sozialdemokraten und Kommunisten gegen, Nationalsozialisten und die Deutsche Volkspartei für die Ernennung gestimmt haben, und zwar unter Berufung darauf, man müsse Hitler zum Regierungsrat machen, weil er der Braunschweiger Industrie Aufträge in Berlin sichern sollte?
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10984 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, was damals an Unsinn in deutschen Landtagen verbrochen worden ist, brauche ich hier nicht zu, würdigen.
Ich weiß gar nicht, warum Sie diese 'Frage an mich adressieren; ich kann hinter Ihrer Frage nur die unterschwellige Insinuation sehen, daß unsere Parteien, die CDU und die CSU, irgend etwas mit der Deutschnationalen Volkspartei zu tun hätten. Aber ich glaube, das brauche ich nicht einmal historisch zu widerlegen.
Jedenfalls' ist entscheidend, daß damals die Nationalsozialisten und die Kommunisten nicht konsequent aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten werden konnten: einmal auf Grund der damals herrschenden Auslegung der Verfassung, des herrschenden Positivismus, zum anderen aber, weil sich Brauns und Severings Meinung nicht generell, nicht in allen Ländern und nicht in der ganzen SPD durchgesetzt hat, was ich bedauere.
Aber nun die praktische Anmerkung. Der Kollege Glotz hat vorhin gesagt, es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht so ein radikaler Lehrer durch soziale Kontrollen vor allem der Eltern wieder aus der Schule „herausgespült" würde; so war Ihr Ausdruck. Meine Damen und Herren, so einfach ist das leider nicht. Erstens möchte ich sagen, daß Eltern einen Anspruch auf verfassungstreue Beamte haben.
Man kann von ihnen nicht erwarten, daß sie sich erst zusammenschließen und öffentlich organisieren, damit der Staat in dieser Hinsicht seiner Pflicht bei der Einstellung genügt.
Zum anderen aber muß ich aus meiner über achtjährigen Praxis in Bayern sagen: Wenn heute erst einmal ein Lehrer oder ein anderer Beamter im öffentlichen Dienst ist, ist es auch auf Grund der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte fast unmöglich, ihn wieder hinauszubringen. Es dauert oft Jahre, bis man einen solchen Prozeß dann tatsächlich gewinnt. Meine Damen und Herren, heute morgen ist ja ein derartiger Fall von Herrn Koschnick mit angeschnitten worden. Er hat den Namen nicht genannt. Ich brauche ihn auch nicht zu nennen. Es war ein bayerischer Beamter, der in Bremen nicht ankam, der dann wieder bei uns war, den wir hinausgeklagt haben. Aber die Sache ist bis heute nicht vollziehbar, und sie läuft, glaube ich, schon sieben oder acht Jahre. Es ist heute ungemein schwierig, wenn jemand erst drin ist, ihn wieder herauszubringen. Darum bleibt uns gar nichts anderes als Vorsorge übrig.
Diese Vorsorge soll ohne Hast, ohne Übertreibung, ohne Hektik, mit Ruhe, mit Gelassenheit, von mir aus auch mit Großzügigkeit gegenüber Jugendsünden gekoppelt sein. Wir wollen weiß Gott keine Pharisäer sein. Wir wollen uns nicht als Richter
über junge Menschen aufspielen. Aber daß wir vorsorgen, daß wir versuchen, frühzeitig die Weichen zu stellen, von dieser Pflicht, glaube ich, kann uns niemand entbinden. Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Das gilt nach außen bei unserer äußeren Verteidigung; es gilt — oder sollte gelten — auch nach innen. Alle verwaltungspraktischen Erfahrungen bestärken mich darin, daß ich sage: so früh wie möglich, so liberal und tolerant wie möglich, aber so entschieden und klar wie möglich in der Abgrenzung zwischen dem, was unsere Republik ist, und denen, die eine andere Republik vorbereiten wollen. Das wir diese Unterscheidungsgabe behalten, das wäre mein dringender Wunsch an alle Parteien in und nach dieser Debatte.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.Es liegt uns ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2581 vor. Kann ich davon ausgehen, daß er im Laufe des Tages begründet und diskutiert worden ist?Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der CDU/CSU. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 3 der Tagesordnung:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Arabischen Republik Ägypten, dem Haschemitischen Königreich Jordanien, der Arabischen Republik Syrien und der Libanesischen Republik— Drucksache 8/1998 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/2520 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Narjes
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Die Abstimmung darüber wird verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich glaube, ich darf Einstimmigkeit feststellen.Ich rufe nun Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Ent-
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Vizepräsident Frau Funckewurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. August 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Republik Syrien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen—Drucksache 8/2236 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/2543 —Berichterstatter:Abgeordneter Wolfram (Erste Beratung 120. Sitzung)Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Die Abstimmung darüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe nun Punkt 5 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSUVertragsverletzung der DDR— Drucksachen 8/2121, 8/2476 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. KreutzmannWünscht .der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jäger .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon bei der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages im Jahre 1972 muß Egon Bahr geahnt haben, was an Vertragsverletzungen seitens der DDR bevorstand, als er davon sprach, daß es Schwierigkeiten und Ärger geben werde. Ich bezweifle jedoch, daß sich die Bundesregierung damals Rechenschaft darüber abgelegt hat, welches Ausmaß an Verstößen seitens der Ost-Berliner Regierung gegen Buchstaben und Geist des Grundlagenvertrages und andere Verträge und Abmachungen mit der DDR bevorstand.Meine Damen und Herren, die Bilanz, die wir heute zu Beginn des Jahres 1979 aufzumachen haben, ist wahrhaft niederschmetternd. Die DDR hat, um nur einige wichtige Beispiele zu nennen, den Grundlagenvertrag verletzt. Sie hat, Art. 1 verletzt, der Normalisierung und gute Nachbarschaft zwischen beiden Staaten vorsieht, durch den ständigen Ausbau der Sperranlagen, durch die Vermehrung und Verschärfung der Todesfallen und Tötungsautomaten und durch die Beibehaltung der unmenschlichen und brutalen Praxis des Schießbefehls. Sie hat Art. 2 des Grundlagenvertrages verletzt, der die Achtung der Menschenrechte vorsieht,und dazu die Bestimmungen der Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen, die auch für die DDR gelten, durch eine unvermindert brutale .Mißachtung der meisten wichtigen Menschenrechte, die in diesen Pakten und in Art. 2 des Grundlagenvertrages angesprochen sind.Die DDR hat Art. 5 des Grundlagenvertrages verletzt, in dem man sich zur Bemühung um die Verminderung der Streitkräfte und Rüstungen verpflichtete, durch ihre Teilnahme an der hemmungslosen Aufrüstung des Warschauer Pakts, über die heute hier in diesem Hause bereits, ausgiebig debattiert worden ist.Die DDR hat Art. 7 des Grundlagenvertrages mit seinem Zusatzprotokoll verletzt, in dem sich beide Teile verpflichteten, eine große Anzahl von Zusatzabkommen und Folgeverträgen zu schließen, von denen bis zur Stunde nur ein bescheidener Teil verwirklicht ist, während ein größerer Teil bisher an der Weigerung der DDR gescheitert ist, überhaupt Verhandlungen zu beginnen.Die DDR hat Art. 2 des Transitabkommens verletzt, wonach der Transitverkehr ohne Behinderungen sein soll. Was erleben wir? Wir erleben immer wieder willkürliche Behinderungen und will- kürliche Durchsuchungen, ohne daß dafür eine Begründung gegeben wird.Die DDR verletzt Art. 16 des Transitabkommens. Der Mißbrauch der MiBbrauchsklausel durch die Behörden der DDR ist schon beinahe zur Gewohnheit geworden.
Die DDR verletzt den Briefwechsel zwischen den beiden Staaten über die Arbeitsmöglichkeit für Journalisten. Hier sind mehrfach schwere Verletzungen festzustellen gewesen: Ausweisung von Journalisten, Schließung von Pressebüros, Nichtzulassung von Journalisten. Alles dies geschieht, ohne daß sich die DDR bereit erklärt, diese Praxis zu ändern.Die DDR verletzt schließlich den Verkehrsvertrag und den dazugehörigen Briefwechsel über Besuchsmöglichkeiten in Mitteldeutschland durch willkürliche Zurückweisungen und Einreiseverbote.Meine Damen und Herren, diese Liste, die ich hier nur bruchstückhaft vorgetragen habe, ließe sich mühelos verlängern. Das Fazit von sieben Jahren Vertragspolitik mit der DDR ist für uns: Die DDR und ihre Regierung setzen sich rücksichtslos und willkürlich über eingegangene Vertragsverpflichtungen hinweg.
Meine Damen und Herren, die Frage, die wir als Opposition zu stellen haben, lautet: Was tut die Bundesregierung dagegen?
Wie reagiert die Bundesregierung? Statt diese Verträge, die doch das Herzstück ihrer Ostpolitik seinsollten, mit Zähnen und Klauen zu verteidigen und
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10986 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Jäger
alles daranzusetzen, die Verletzungen zu beenden und rückgängig zu machen, reagiert die Bundesregierung mit Kleinmut, mit Beschwichtigung, mit Verharmlosung, mit Leisetreterei, ja mit Kuschen vor den Machthabern in Ost-Berlin. Das ist der traurige Tatbestand, den wir festzustellen haben.
Meine Damen und Herren, dies feststellen heißt natürlich auch
nach den Motiven fragen, die Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, so handeln lassen, was doch in völligem Gegensatz zu dem steht, was Sie dem deutschen Volk versprochen haben.Nun gibt es natürlich einige einsichtige Motive. Das erste Motiv ist, daß die ostpolitische Propaganda, die Sie selbst entwickelt haben, ein Eigengewicht entwickelt. Wer die Verträge als so großartigen Erfolg dargestellt hat, kann natürlich nicht zugeben, daß sie heute auf Grund der Verletzungen der DDR-Machthaber in den Augen der Bevölkerung nicht mehr so glänzend erscheinen wie damals im Jahre 1972, als das der große Wahlschlager der Koalition gewesen ist. Deswegen muß heruntergespielt, verniedlicht und verharmlost werden. Das ist das erste zutage liegende und einleuchtende Motiv.Das zweite Motiv — da kommen wir schon etwas näher an den Kern Ihrer Politik heran — ist die von Ihnen im Grunde immer noch zur Grundlage Ihrer Politik gemachte Konvergenztheorie,
die letztlich davon ausgeht, daß sich die beiden Systeme annähern müssen und daß als Ergebnis ein Kompromiß — irgendwo in der, Mitte — stattfinden muß. Dem, auf den man sich konvergierend zubewegt, kann man natürlich nicht so hart gegenübertreten, wie es notwendig wäre.Herr Kollege Wehner, weil Sie vom Schwätzen reden —
— Sie haben ja in diesen Tagen dem deutschen Volk beispielhaft gezeigt, wie man durch törichtes Geschwätz die weltpolitische Stellung der Bundesrepublik Deutschland kaputtmachen kann.
Weil Sie vom Schwätzen reden, will ich Ihnen zitieren, was Ihr Parteifreund und Kollege Bahr zu diesem Thema in seinem berühmten „Spiegel"-Interview gesagt hat. Da vergleicht er die DDR-Machthaber und uns und das Verhältnis der beiden zueinander mit den Gegensätzen zwischen Katholiken und Protestanten im Dreißigjährigen Krieg.
Was bedeutet denn das? Das bedeutet doch, daß erim Grunde unterstellt - im Dreißigjährigen Kriegwaren es auf beiden Seiten immerhin Christen —,es sei eine geistige Gemeinsamkeit da, die im Laufeder Jahrhunderte dann schließlich auch zu einer Konvergenz führen muß. Das ist doch die Schlußfolgerung, die man ziehen muß. Das steckt im Grunde im Kern Ihrer leisetreterischen Politik. Das will ich hier einmal ganz deutlich festhalten.
Das dritte schließlich betrifft eine Frage, die wir stellen müssen. Das Ausmaß an Zurückhaltung, die Sie üben, ist dermaßen gravierend, daß die Frage erlaubt sein muß: Gibt es noch Motive, die wir nicht kennen? Darf die Bundesregierung vielleicht nicht mehr so reden, wie sie eigentlich im Interesse unseres Volkes reden müßte?
Gibt es Geheimabsprachen, daß bestimmte Dinge nicht mehr zur Sprache gebracht werden dürfen? Oder ist die Bundesregierung auf Grund von Fakten, die die umfassende Spionage der letzten Jahre in die Hände der DDR gespielt haben könnte, erpreßbar geworden? Ich stelle Fragen, und ich hoffe, daß darauf eine Antwort erfolgt. Die Fragen müssen wir heute stellen.Lassen Sie mich festhalten, wir, die CDU/CSU, sind heute in Deutschland die einzige politische Kraft in diesem Parlament, die für die Einhaltung und Erfüllung dieser Verträge kämpft. Für uns ist das Wort „Pacta sunt servanda" keine hohle Phrase, wie es das leider Gottes in der praktischen Politik für Sie geworden ist.
Wir bestehen auf ungeschmälerter und rückhaltloser Erfüllung der Verträge und fordern deswegen die Bundesregierung auf, die innerdeutschen Beziehungen endlich als einheitliches Ganzes zu sehen und den Vertragspartnern drüben klarzumachen, daß Verletzungen in einigen Teilbereichen nicht ohne Folgen für andere, insbesondere auf dem Gebiet der umfangreichen Finanzleistungen, bleiben können. Wir fordern Sie auf, korrigieren Sie Ihren Kurs, und handeln Sie endlich im Interesse Tausender von Menschen in Deutschland.
Meine Damen und Herren, ich muß noch mitteilen, daß interfraktionell Kurzbeiträge, und zwar drei - je Fraktion — vereinbart sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Hofmann
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Auswärtige Ausschuß und der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen empfehlen, diesen Antrag der CDU/CSU abzulehnen.Die in Punkt 1 aufgestellten Behauptungen treffen nicht zu. Sie sind Angstmacherei und können doch nur dazu führen, daß weniger Besuche und Fahrten in die DDR erfolgen. Damit stehen sie genau inWiderspruch zu dem, was eben Herr Kollege Jäger
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Hofmann
gesagt hat: daß die CDU die einzige politische Kraft sei, die für die Einhaltung der Verträge kämpft.Wenn dennoch trotz dieses fragwürdigen Bemühens die Zahl der Besuche zunimmt, wenn dennoch auf zwei Einwohner der DDR ein Besucher aus der Bundesrepublik oder Berlin kommt, dann ist das ein Beweis für die Richtigkeit unserer Politik. Ihre ständige Miesmacherei ist gottlob ohne Erfolg geblieben. Deshalb halte ich es für richtig, all jenen zu danken, die Jahr für Jahr durch die Besuche in der DDR bekunden, daß sie einen Beitrag zur Einheit unseres Volkes leisten und sich nicht durch die Horrormeldungen abhalten lassen.Ihre simple unterschwellige Behauptung in Punkt 1 Ihres Antrags hat Verunsicherung und Entmutigung zum Ziel. Unser Volk hat die einzig richtige Antwort darauf gegeben: Die Besuche und Gespräche in der DDR werden weitergeführt. Sie sind Klammern zum Zusammenhalt der einen deutschen Nation. Damit kommen unsere Bürger dem Auftrag des Grundgesetzes für alle Deutschen nach. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, hätten diesem Auftrag mehr entsprochen, wenn Sie anstelle Ihres Antrags einen Aufruf zum noch stärkeren Besuch der DDR von sich gegeben hätten.Statt dessen bemühen Sie sich, zu entmutigen und unberechtigt vor weiteren Besuchen abzuschrecken. Das ist verwerflich, das ist verantwortungslos. Ihr Gerede von der einen Nation wird damit völlig zur Farce, wenn Sie nicht dazu beitragen wollen, daß sich die Bürger der deutschen Nation verstärkt wiedersehen und miteinander sprechen.Geben Sie Ihre negative Aktivität in der Deutschlandpolitik auf, haben Sie den Mut, das Positive zu erkennen, haben Sie den Mut, zu vergleichen zwischen dem, was während Ihrer Regierungszeit an Begegnungs- und Gesprächsmöglichkeiten bestand, und dem, was heute bereits möglich ist und praktiziert wird. Wenn Sie nicht vergleichen und diese Unterschiede nicht feststellen wollen, dann sagen Sie uns, was Sie in der Deutschlandpolitik wollen. Wollen Sie zurück zu den 34 Telefonleitungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR? Wollen Sie zurück zur telefonlosen Zeit zwischen Berlin und Berlin (Ost)? Wollen Sie zurück zu den stundenlangen Wartezeiten an den Autobahnübergängen? Wollen Sie zurück hinter das Viermächteabkommen für Berlin, hinter das Transitabkommen, hinter den Verkehrsvertrag, hinter den Grundlagenvertrag und seine Folgevereinbarungen?
Wollen Sie zurück hinter die KSZE-Schlußakte von Helsinki?All diese Abkommen und Verträge beschwören Sie in der Begründung Ihres Antrags, ohne zu sagen, was Sie davon abgelehnt haben und nicht verwirklicht haben wollten. Wäre es nach Ihnen gegangen, dann wäre davon fast nichts verwirklicht worden, dann stünden wir immer noch in den Schützengräben des Kalten Kriegs.Sie könnten dann gewiß triumphieren: Solange wir regiert haben, ist kein westdeutscher Journalist in der DDR bei seiner Arbeit behindert oder sogar ausgewiesen worden! — Damit hätten Sie sogar recht, denn während Ihrer Regierungszeit gab es keinen Journalisten der Bundesrepublik, dem es erlaubt gewesen wäre, in der DDR zu arbeiten und aus ihr über sie zu berichten.Wollen Sie nicht endlich konkret werden, wenn Sie in Punkt 3 Ihres Antrags die Bundesregierung auffordern, der SED-Führung klarzumachen — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —, „daß ständige Beeinträchtigungen in Teilbereichen nicht ohne Folgen für andere Bereiche der Beziehungen bleiben können"?Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, was soll diese Drohung, ohne zu sagen, wie und womit Sie sie verwirklichen wollen? Falls diese Drohungen im Bereich von Wirtschaft und Handel liegen sollten, muß ich Sie fragen, ob Sie aus Ihrem damaligen Röhrenembargo gegen die UdSSR nichts gelernt haben. Wenn Sie heute Strafmaßnahmen gegen die DDR fordern, weil von zehntausend Einreisenden in die DDR vier zurückgewiesen werden, weil bei 100 000 Transitreisenden vier Verdachtskontrollen durchgeführt werden, weil Journalisten in einer Diktatur nicht wie bei uns behandelt werden, dann geben Sie doch bitte Antwort darauf, was Sie während Ihrer Regierungszeit an Maßnahmen gegen die DDR-Führung ergriffen haben, als im August 1961 die Mauer in Berlin gebaut wurde, als am 17. Juni 1953 der Aufstand der Arbeitnehmer in Berlin und in der DDR niedergeschlagen wurde.Ihr Antrag und Ihre Reden dazu dienen weder der Sache noch den Menschen in der DDR. Sie ermuntern auch nicht unsere Bürger zu weiteren Besuchen. Gerade deshalb muß dieser Antrag abgelehnt werden, da er nicht dem Auftrag des Grundgesetzes entspricht, für alle Deutschen zu handeln.Meine Antwort auf Ihre negative Aktivität ist die Bitte: Deutsche in der Bundesrepublik, haltet Kontakt mit den Bürgern in der DDR, telefoniert mit ihnen, besucht sie, beweist Tag für Tag, daß wir eine Nation, daß wir e i n Volk sind!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lintner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hofmann, was Sie hier soeben vorgeführt haben, verfällt im Grunde wieder in denselben Fehler, den wir dauernd bei derartigen Debatten hier erleben. Sie verstehen sich nämlich nur zu einer pauschalen Ablehnung unserer Vorschläge, obwohl angesichts der Differenziertheit des Mediums eine differenziertere Betrachtung erforderlich wäre.Bei uns hat niemand, wie Sie es ausgedrückt ha, ben, etwa Strafmaßnahmen gegen die DDR gefordert,
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Lintnersondern wir fordern von Ihnen eine ausgewogene und überlegte Politik. Dazu haben wir auch Vorschläge unterbreitet.
In der Zurückweisung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU. zu den Vertragsverletzungen der DDR durch die Mehrheit der Regierungskoalition im innerdeutschen Ausschuß kommt eben wieder einmal zum Ausdruck, welch oberflächliche Gedankenakrobatik uns die Bundesregierung auf diesem überaus wichtigen Gebiet der deutschen Politik zumutet. Sie argumentiert nämlich wieder damit, daß nur eine relativ kleine Zahl von Zurückweisungen an der Grenze zur DDR zu verzeichnen gewesen sei. Die Bundesregierung übersieht dabei wissentlich — daß muß man ihr jedenfalls unterstellen —, daß es bei der Frage von Vertragsverletzungen natürlich insbesondere darum geht, daß solche Verletzungen überhaupt vorgekommen sind. Das bedeutet, die Bundesregierung hätte, wenn sie ein guter Sachwalter der deutschen Interessen sein wollte, die Pflicht, jede, auch die kleinste Vertragsverletzung ernst zu nehmen. Das Problem muß also qualitativ und nicht quantitativ gesehen werden, wie Sie es immer darstellen.Es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, daß die Bundesregierung, wenn sie erst einmal Vertragsverletzungen - wenn auch in geringer Zahl — akzeptiert und hiergegen das ihr Mögliche nicht unternimmt, damit den Verletzungstatbestand im Grunde genommen toleriert.
Ein solcher Zustand ist sehr gefährlich; denn werden Vertragsverletzungen erst einmal akzeptiert, wird sich die DDR natürlich auch nicht scheuen, die Zahl der Verletzungen von heute auf morgen zu erhöhen.
Überhaupt haben wir es bei den Einlassungen der Koalition und der Bundesregierung zu den Vertragsverletzungen seitens der DDR mit einem Verdrängungsversuch zu tun. Diese Art der Problemverdrängung, die auf 'die öffentliche Meinung in unserem Lande zielt, führt zu einer ganz beschämenden Praxis. Bestätigt einem die Bundesregierung doch sogar schriftlich,' daß die DDR aus ihrer Sicht ja gar nicht verpflichtet sei, jedem Antrag auf Einreise, Durchreise oder Ausreise zu entsprechen. Die Bundesregierung hat auch längst darauf verzichtet, im Falle der Ablehnung solcher Anträge von der DDR überhaupt eine Begründung dafür zu verlangen.
Schließlich fühlt sie sich sogar verpflichtet, Verstöße nur dann den DDR-Behörden vorzutragen, wenn — wie sie sich ausdrückt, sogar schriftlich — ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Beschwerde und Vorfall gegeben ist. Entgegenkommenderweise hat die Bundesregierung hier alsoeine Art „Verjährungsfrist" zugunsten der DDR eingeführt.
Es kommt hinzu, daß sich die Bundesregierung dabei auch noch auf die amtlichen Zahlen der DDR verläßt und von der DDR noch nicht einmal die Personalien der 'Betroffenen in Erfahrung bringen kann. Lediglich dann, wenn sich der Betroffene in der Bundesrepublik Deutschland meldet, erlangt die Bundesregierung von der Vertragsverletzung überhaupt Kenntnis. Von der Bundesregierung wird, so meine ich, fahrlässig darauf verzichtet, sich eine systematische Kontrollmöglichkeit über das Verhalten der DDR zu schaffen.
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang — das nur als Erinnerungsposten —, daß die Bundesregierung trotz dieser Situation sogar den plausiblen und begründeten Vorschlag der Opposition abgelehnt hat, eine zentrale Beschwerdestelle für solche Verstöße einzurichten.Es ist eine traurige Bilanz, die die Bundesregierung in Sachen Deutschlandpolitik vorzuweisen hat.
Nicht einmal bezüglich der von mir aufgezählten, offensichtlich doch wohl regelungsbedürftigen Punkte hat sie bei den Verkehrsverhandlungen im vergangenen Jahr Fortschritte, erzielen können. Da- bei ist freilich fraglich, ob die Bundesregierung diese Dinge überhaupt zur Sprache gebracht hat.Fast resignierend kann man deshalb nur feststellen, daß die Deutschland-Politik der Bundesregierung von einem unnatürlichen und im. allgemeinen auch unüblichen Wohlverhalten gegenüber dem SED-Regime in der DDR gekennzeichnet ist, und das angesichts der Tatsache, daß die DDR keine Gelegenheit ausläßt, das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland — wo auch im mer in der Welt — zu schädigen.Wir weigern uns auch, uns mit den mittlerweile sattsam bekannten stereotypen Antworten auf unsere Vorschläge zufriedenzugeben.
— Herr Kollege Büchler, Sie können offensichtlich nicht lesen. Wir haben das schon mehrmals vorgetragen. Zumindest steht Ihnen das Protokoll zur Verfügung. — Unsere Vorschläge zielen allesamt darauf ab, die Bundesregierung dazu zu bewegen, mehr als bisher auf die gegenseitige Ausgewogenheit der Vereinbarungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu achten.
Die Bundesregierung hätte dazu ja erfolgversprechende Verhandlungsmittel in der Hand.
Ich verweise nur auf die Fülle wirtschaftlicher Vorteile, die wir der DDR durch unmittelbare Zahlun-
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Lintnergen- oft ohne eigentlichen Grund — und in mittelbarer Form einräumen,
oder etwa darauf, daß angesichts der Untätigkeit der Bundesregierung noch viele Möglichkeiten einer wirkungsvollen Reaktion auf das Verhalten der DDR beständen, wenn sich die. Bundesregierung dazu durchringen würde, das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland in .der Welt zur Klarstellung der Unwahrheiten, die die DDR über sich und andere verbreitet, zu verwenden,
oder wenn sich die Bundesregierung etwa bereit-fände, den vielfältigen Aktivitäten der DDR in der. Welt entschlossenere Reaktionen entgegenzusetzen.So aber muß man überall Untätigkeit feststellen. Man höre und staune: Noch nicht einmal bei der Anhörung der DDR im Menschenrechtsausschuß der UNO über ihren eigenen, die Wahrheit geradezu auf den Kopf stellenden Bericht, waren offizielle Redner der Bundesrepublik überhaupt anwesend.
Die Gefahren einer solchen Haltung liegen auf der Hand.
— Sie waren dabei, Herr Büchler?
— Doch! Das wurde so gesagt.
Denn der, der uns vorgetragen hat, hat bestätigt, daß er zu dieser Zeit niemanden im Zuschauerraum als offiziellen Vertreter der Bundesregierung zu sehen bekommen hat.
Langfristig ist diese Passivität der Bundesregierung sehr gefährlich. Sie ist nämlich geeignet, eine Legalisierung des vertragswidrigen Verhaltens herbeizuführen.Und hier muß ich feststellen, daß die Bundesregierung dabei offensichtlich auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag vom 31. Juli 1973 nicht ernst nimmt. Dort heißt es in der Begründung ja ausdrücklich, daß sie als Verfassungsorgan die Pflicht habe, „den Wiedervereinigungsanspruch im Innern beharrlich wachzuhalten und nach außen hin beharrlich zu vertreten":Das, was die Bundesregierung Ende 1978 als neuen Erfolg ihrer Deutschland-Politik verkauft hat, istmehr von technischer als von politischer Qualität. Samt und sonders handelt es sich nämlich um Regelungen, die mit hohem finanziellem Aufwand technische Verbesserungen herbeiführen — das sei zugegeben ohne daß sich damit substantiell etwas für die Deutschen in der DDR ergeben hat.So wundert es nicht, daß bei Kontakten mit der Bevölkerung der DDR immer wieder der Wunsch vorgetragen wird, die Bundesregierung möge doch in ihren Forderungen gegenüber dem SED-Regime konsequenter und grundsatzfester auftreten. Grundsätze aber sind bei der Regierungskoalition kaum mehr zu erkennen, und wenn, dann zielen sie lediglich einseitig auf die Stabilisierung der kommunistischen Machthaber.Unverfroren und mit aller Offenheit hat diese Überzeugung erst vor kurzem Ihr Bundesgeschäftsführer verkündet, als er bestätigt hat, daß die SPD selbstverständlich bereit sei, Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt zu unterstützen, nicht aber solche etwa im Bereich des Ostblocks; denn dann seien sie ja friedensgefährdend. Anpassender kann man sich überhaupt nicht mehr verhalten, und die negativen Folgen dieser Haltung dokumentieren sich auch in der Deutschlandpolitik.Als weiteres Beispiel könnte ich das Schweigen insbesondere jener in den Reihen der SPD hinzufügen, die bei Menschenrechtsverletzungen allüberall in der Welt ihre Stimme erheben und auf Teile dieser Welt dann mit dem Finger zeigen, die aber angesichts der eklatanten Tatsache, daß wir an der Demarkationslinie die perfekteste Tötungsmaschinerie haben, keineswegs in lauten Protest verfallen.
Ich meine, hier handelt es sich um ein Schweigen, das peinlich wird. Dieses Schweigen wird aber dann geradezu beredt, wenn man uns im Gespräch noch scheinbare Rechtfertigungsgründe nennt, wie z. B. man habe Verständnis dafür, weil ansonsten die Flucht aus der DDR Ausmaße annähme, die deren Wirtschaft gefährden könnten. Es ist schon eine Zumutung, was einem hier an gespaltenem Gewissen vorexerziert wird.Wenn wir diesen Weg des Wohlverhaltens der Bundesregierung kritisieren, erfüllen wir, wie ich glaube, eine gute Pflicht der Opposition, zumal wir uns hierbei auch mit der Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik einig wissen. Ich bitte .Sie deshalb, dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ludewig.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Lintner, Sie sprechen vom „Schweigen". Wir haben soeben gesagt, Sie hätten vielleicht lieber geschwiegen, anstatt Professor Tomuschat falsch zu zitieren. Es gibt da zwei Versionen, und meine Kollegen und ich meinen, daß Ihr Zitat nicht richtig war. Vielleicht läßt sich das noch klären.
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10990 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
LudewigFür unser gemeinsames Anliegen, nämlich die Situation der Menschen im geteilten Deutschland zu verbessern, wäre eine Annahme Ihres Antrages den wir auch im innerdeutschen Ausschuß ausführlich besprochen haben, nicht dienlich. Viele der im Antrag enthaltenen Behauptungen, ja, der Vorwürfe, sind zu pauschal und ergeben daher z. B. von der tatsächlichen Situation an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten ein schiefes Bild.
— Lassen Sie mich unsere Ansicht am besten mit Zahlen belegen, Herr Kollege.Wir haben sowohl im Jahre 1977 als auch 1978
zirka vier Ablehnungen auf 10 000 Einreiseanträge hinnehmen müssen. Das sind 0,4 Promille. Gleichwohl hat die Bundesregierung zu Anfang des Jahres 1978 bei den DDR-Behörden gegen die Zurückweisungen und Einreiseverbote protestiert.
Hierbei kam dann heraus, daß es sich bei den meisten Zurückweisungsfällen um Personen handelte, die entweder nach 1972 die DDR legal oder illegal verlassen hatten, oder um solche Personen, deren Angehörige oder auch Bezugspersonen in der DDR Anträge auf Ausreise aus der DDR gestellt hatten.
— Wir müssen deshalb die Zurückweisungen differenziert betrachten, Herr Jäger; darin sind wir sicher einer Meinung. Sie richten sich nicht gegen den allgemeinen Besucherverkehr. Nur einzelne, ganz konkrete Fälle können nach genauer Prüfung als Vertragsverletzung bezeichnet werden. Der pauschale Vorwurf der CDU/CSU-Fraktion stimmt so nicht.Audi der nächste Vorwurf der Verdachtskontrollen und Festnahmen im Transitverkehr schießt über sein Ziel hinaus, wenn man das an Hand der konkreten Zahlen betrachtet. So wurden uns genau vier Verdaditskontrollen im Jahre 1978 bekannt, und zwar diesmal nicht auf 10 000, sondern auf 100 000 Transitreisende.
Das sind 0,04 Promille. Auch hier ergibt sich eine verhältnismäßig geringe Zahl, wenn man das Gesamtvolumen von ca. 16 Millionen Transitreisenden in diesem Jahr betrachtet. Festnahmen sind für uns naturgemäß schwieriger festzustellen. Nach den mir vorliegenden Unterlagen waren es 124 im vergangenen Jahr, bis August waren es 80. Ich habe heute die letzte Zahl feststellen lassen: 124. Hier sollten wir aber nicht vergessen, daß es sich meist um Sanktionen wegen Fluchthilfe handelt, die gemäß Art. 16 Ziffer 1 b des Transitabkommens möglich sind.Wenn wir weitergehen, ist lediglich der Vorwurf der Korrespondentenbehinderung in den nachgewiesenen Fällen ernst zu nehmen. Nach dem Briefwechsel über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten vom 8. November 1972 hatte sich die DDR unter anderem verpflichtet — ich zitiere wörtlich —,... Arbeits- und Bewegungsmöglichkeiten einschließlich der unverzüglichen Übermittlung von Nachrichten, Meinungen und Kommentaren allen ständigen Korrespondenten aus der Bundesrepublik zu gewähren!Sie werden mir zugeben, daß die DDR damit noch keineswegs unsere Auffassung von Informations-und Meinungsfreiheit für alle Nachrichtenorgane übernommen hat. Im Gegenteil, die gegen dort akkreditierte Korrespondenten aus der Bundesrepublik ergriffenen beschränkenden Maßnahmen bestätigen deutlich, daß die DDR auf ihrem Informations- und Meinungsmonopol beharrt, Meiner Auffassung nach nützt es natürlich wenig, diesem Monopolanspruch der DDR in der DDR mit unserer Auffassung von Pressefreiheit entgegenzutreten. Wir entschuldigen und billigen weder die Behinderung der täglichen Tätigkeit unserer Korrespondenten noch die dadurch erzeugte Rechtsunsicherheit. Deshalb hat die Bundesregierung auch in gebührender Form dagegen protestiert. Wir sagen: Eine Abmachung bleibt eine Abmachung, und diese beruht auf Gegenseitigkeit.
Sie bindet beide Seiten, und darauf bestehen wir. Wenn Sie diese Meinung mit uns teilen, sind wir d'accord.
Unsere Hoffnung ist, daß auch hier — dies ist ein Wort an Sie — Geduld, aber auch Festigkeit im Standpunkt den Wandel bringen werden.Nun zu den Grenzbefestigungen.
Ich muß Sie schon fragen, meine Damen und Herren von der Opposition: Haben Sie, als Sie noch die Regierung stellten, es vermocht, diese ,verheerende Folge der deutschen Teilung für die betroffenen Menschen aus der Welt zu schaffen? Haben Sie denn etwas gegen Tötungsmaschinen, .Selbstschußanlagen und Minenfelder machen können? Auch diese Bundesregierung ist überfordert, wenn man von ihr verlangt, die perfektionierte Abkapselung der DDR vom freien Teil Deutschlands aufzuheben!
Ich sehe an dieser Unterhaltung im Plenum, daß wir im großen und ganzen gar nicht so weit auseinander sind. Auseinander sind wir nur mit Ihrer unbedingten Formulierung. Was ich eben gesagt habe, beklagen wir wie Sie. Aber Ihre Forderungen überschreiten weit die Möglichkeiten unserer Vertrags-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10991
Ludewigpolitik, denn das sind ja immer Ergebnisse von Verhandlungen. Wir haben immerhin einen kleinen Trost: Tote waren 1978 an der innerdeutschen Grenze nicht zu beklagen. Wir können nur sehnlich hoffen, daß sich diese Entwicklung im Jahre 1979 fortsetzt.Gleiches gilt für den Vorwurf der Verletzung verbriefter Grund- und Menschenrechte in der DDR. Die volle Einräumung all dieser Rechte für unsere Landsleute im anderen Teil Deutschlands ist das wichtigste Ziel unserer Vertragspolitik. Es kann nur in beharrlicher Verfolgung unseres Entspannungskurses und in kleinen mühseligen Schritten erreicht werden.Unrichtig ist der pauschal erhobene Vorwurf, die bisherige Haltung der Bundesregierung habe die DDR zu weiteren Verstößen gegen Buchstaben und Geist der Verträge und Vereinbarungen ermutigt. Sie waren nicht bereit, diese harten Formulierungen aus Ihrem Antrag herauszunehmen.Dies ist eine Unterstellung und Ihnen ist klar, daß freie und soziale Demokraten dem nicht zustimmen können, und dies aus guter und voller Überzeugung. Die Bundesregierung hat immer wieder protestiert und die DDR auf Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten hingewiesen. Die Bundesregierung hat verhandelt. Sie hat durch den Abschluß des Verhandlungspakets im November des vergangenen Jahres einen ganz entscheidenden langfristigen und einen in Zukunft wirkenden Beitrag zur Verbesserung unserer Beziehungen mit der DDR zum Wohle unserer dort lebenden Landsleute geleistet. Der Bau der Nordautobahn z. B. dient dazu, die so dringend erforderlichen Begegnungen der Menschen hüben und drüben zu intensivieren. Die Öffnung weiterer Wasserstraßen und Kanäle verstärkt den gegenseitigen Handel und kommt damit unmittelbar unseren Landsleuten zugute.Zum Schluß wiederhole ich, was ich hier am 5. Oktober 1978 schon gesagt habe: Die wohlverstandene Opposition spielt eine bedeutende Rolle, denn sie kann Wächter sein, Mahner, Kontrolleur; aber hier in diesem Fall ist sie über das Ziel hinausgeschossen. Auch am 5. Oktober hatte ich die Hoffnung ausgesprochen, daß wir möglicherweise im Innerdeutschen Ausschuß eine Formulierung finden würden, die die sozialliberale Koalition auch mittragen könnte.
Dies war nicht der Fall. — Sie, Herr Abelein, wollten im Ausschuß von Ihrer durch und durch negativen Beurteilung, von Ihrer harten Formulierung nicht abweichen.Unter diesen Umständen müssen wir den Antrag auf Drucksache 8/2121 ablehnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich mir eine Anmerkung erlauben. Diese Debatte bringt nichts Neues. Es ist wieder so wie seit Jahr und Tag. Seitdem wir uns bemühen, das Mögliche in dieser politischen Situation für die Menschen zu tun,
haben Sie in der Offentlichkeit immer nur nein gesagt. Ansonsten fällt Ihnen jede Formulierung ein, um uns in Zuschriften zu ermuntern, jedes Mittel anzuwenden, um dem besonderen Begehren, das Sie dann zufällig zu vertreten haben, zum Erfolg zu verhelfen.
— Ja, aber dafür muß ich mich doch nicht beschimpfen lassen. Darauf kann ich doch einmal erwidern, daß es geradezu anmaßend ist, in welcher Art Sie Deutschlandpolitik betreiben wollen.
Es ist ein Skandal, sich hierher zu stellen und zu sagen, die Bundesregierung habe sich durch ihre Politik
in eine Situation der Erpreßbarkeit gebracht, diese Bundesregierung trage zur Stabilisierung eines politischen Regimes bei, zu dem wir nur nein sagen können. Meine Damen und Herren, Sie haben hier eine Qualität von Vertretern Ihrer Politik hingestellt, die wirklich seit langem überfällig ist.
Es ist ein Skandal, wie Sie versuchen, die deutsche Not, die wir gemeinsam beklagen sollten, zu beheben.
Entschuldigen Sie, daß ich ein bißchen lauter geworden bin. Es ist geradezu unerträglich, in welch unerhörter Art Sie uns immer hier verdächtigen.
— Mein Poltern, Herr Jäger, nein. Wie ernst Sie als CDU dieses Thema nehmen, hätte sich darin zeigen können, daß Sie hier massenhaft aufmarschiert wären. Dann hätten Sie doch jetzt einen tollen Erfolg gehabt. Sie wissen doch, daß Sie nur zum Spektakelmachen da sind.
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10992 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Bundesminister FrankeWo helfen Sie uns denn wirklich, die Folgen Ihrer Versäumnisse als CDU-Regierung mit abzubauen? Sie sagen, die Bilanz sei beschämend, wir hätten nur technische Ergebnisse erzielt und wir hätten die SED nicht dazu gebracht, daß sie sich auflöst. — Was halten Sie denn eigentlich von denen? Die haben auch ein Bewußtsein aus ihrer Sicht, mit dem sie versuchen, ihre Position zu halten und zu festigen. Das wissen wir. Wer hat denn hier Erwartungen geweckt,
als wir diese Politik entwickelt haben? — Nein, Sie Herr Dr. Abelein. Sie waren ein Prototyp der Entstellung und der Verdrehung. Erinnern Sie sich an die Reden in allen Situation dieser Deutschlandpolitik, in denen wir Ihnen gesagt haben: Und wenn wir nur das Schwarze unter den Fingernägeln an Ergebnissen herausholen können, wir geben uns diese Mühe, denn es geht um Menschen, die jetzt leben, und nicht um Ihre Thesen,
die Sie meinen, in den Vordergrund stellen zu müssen. Sie sind ja sicherlich auch bereit, darauf zu verzichten, die Möglichkeiten zu nutzen, Menschen, die dort drüben leben müssen, hier in unseren Bereich zu bringen. Sie brauchen wahrscheinlich Märtyrer, Sie brauchen wahrscheinlich Buhmänner, Sie brauchen all dies, um Ihr Versagen damit zuzudecken.
— Das sind gar keine Unterstellungen, das ist zu belegen!
Herr Bundesminister Franke, einen Augenblick! Darf ich bitten, daß wir den Versuch unternehmen, diese Debatte in gemäßigter Form fortzuführen. Dies gilt für alle Teile.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundestagspräsident, ich bin bemüht, so zu reagieren, wie ich das muß auf Grund der Art, in der das hier behandelt wurde. Und ich meine,, das darf ich wohl.
Andere können das in anderer Weise. Ich weiß nicht, wieweit es überhaupt zulässig ist, daß ich in dieser Weise hier beeinflußt werden soll.
Ich möchte Ihnen einmal sagen, — —(Dr. Abelein [CDU/CSU] : Das war wohl an
Herrn Wehner adressiert, was Sie gerade
sagten? — Wehner [SPD] : Halten Sie doch
den Mund! Professoraler Dummkopf!)
— Ach Menschenskind, hören Sie doch bloß auf! Es ist doch unerträglich, Sie vor Augen zu haben. Da ist es doch fast unmöglich, ruhig zu bleiben.
Herr Bundesminister Franke, ich muß Sie noch einmal unterbrechen; es tut mir leid.
Herr Wehner, ich muß Sie wegen des Ausdrucks „Dummkopf" zur Ordnung rufen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich muß schon sagen, diese Debatten braucht das deutsche Volk in der Tat, um Sie einschätzen zu können.Ich will Ihnen heute einmal einige Zahlen aus der Meinungsforschung nennen, damit Sie das auch wissen. Die Deutschlandpolitik dieser sozialliberalen Koalition wird von einer breiten Schicht gutgeheißen, auch von einer breiten Schicht derer, die CDU wählen; die stimmen diesen Bemühungen zu und wissen — —
— Ich reagiere nicht auf Sie! Das hat doch gar keinen Sinn.Ich kann nur dazu sagen: Sie sollten sich mit den Zahlen vertraut machen. Nur in einem treffen sich allerdings viele: es wird gesagt, wir sollten härter sein. Nun will ich Ihnen einmal sagen, was das heißt: härter sein. So entschieden und so hart, wie wir uns um jeden einzelnen Fall bemühen — das könnten Sie gar nicht fertigbringen.
— Im geheimen? Auch Sie haben Erfolge aufzuweisen! Sie bemühen sich um Leute, um die wir uns schon lange bemühen.
Da bin ich so freundlich und schreibe Ihnen einen Brief. Herr Kollege Lintner, ich kann Ihnen schreiben: Ein Petent, um den Sie sich bemüht haben, ist jetzt freigekommen; aber den kannten wir vorher schon. Herr Dr. Abelein kann sogar in 80 Fällen bestätigen, daß ich ihm das schreibe.
Er bemüht sich im Rahmen unserer Möglichkeiten!
Zu Hause tönt er so, als hätte er das gemacht! Dabei behandle ich ihn als Kollegen und antworte auf Briefe. Das gehört sich wohl so.
— Ach, das kennen wir doch lange, die Namen — —
- Aber entschuldigen Sie mall
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10993
Bundesminister FrankeSie meinen, Sie könnten das trennen. von den anderen Bemühungen. Wir sprechen mit der anderen Seite sachlich über jeden einzelnen Fall, den wir zu beanstanden haben. Da gibt es sogar Dinge, in denen wir übereinstimmen können, aber auch Dinge, die wir nicht einfach hinnehmen. Wir bemühen uns, das abzustellen. Wir bemühen uns, die Dinge zu korrigieren. Wir bemühen uns, Wiederholungen zu verhindern. Mehr können wir mit denen nicht machen. Sie können doch wohl nicht sagen, daß das befreundete Nachbarn sind. Wer hat das von uns gesagt?
— Nein, Sie versuchen das so darzustellen, um zu diffamieren! Nichts davon haben wir gesagt!Ausgehend von der Tatsache, daß wir grundverschiedene Gesellschaftsordnungen haben, bemühen wir uns trotzdem um das, was möglich ist. Das halte ich für Politik in dieser Zeit. Sie können da anderer Meinung sein. Sie verlangen eine ausgewogene und überlegte Politik. Genau das betreiben wir. Sie überziehen Ihre Forderungen. Sie verlangen praktisch, daß die anderen sich auflösen sollen.
Was soll das überhaupt? Wir haben uns um jede Beanstandung bemüht. Mit unseren Verbündeten zusammen protestieren wir gegen jedes uns als Unrecht erscheinende Vorkommnis. Unsere Verbündeten, unsere Schutzmächte in Berlin können auch nichts anderes tun als das, was wir tun. Wir haben ihnen viel zu danken.Erzählen Sie einmal den Berlinern, daß wir nur technische Dinge bewegt und nichts für die Menschen getan haben!
Was meinen Sie wohl, wie Ihr Herr von Weizsäcker, wenn er bald wieder hier ist, Ihre Politik dann hier werten und würdigen kann!Ich muß noch einmal sagen: Eine Normalisierung zwischen diesen beiden aktiven Exponenten dieser unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen kann es noch nicht geben. Wir haben doch das Pech, jetzt auf Grund einer Politik handeln zu müssen, die 1933 mit Lautstärke im Namen Deutschlands betrieben wurde. Wir haben es doch jetzt mit dem Ergebnis dieser Politik zu tun. Was meinen Sie denn, wie lange es dauern wird, für unser Volk — und da meine ich auch die Deutschen in der DDR — wieder eine Normalisierung erreichen zu können?
— Mit Ihrer Politik wird das gar nicht gehen. Sie haben sogar kostbare Zeit vertan, indem Sie Unmögliches gefordert haben.
Die Menschen sind entfremdet. Wir bemühen uns, im grenznahen Bereich wenigstens die Familien wieder einmal zusammenzubekommen. Da sind Entfremdungen entstanden, die Leute kennen sich gar nicht mehr, weil sie 20 Jahre lang trotz unmittelbarer Nähe keine Kontakte finden konnten; denn Sie haben Unmögliches von der anderen Seite gefordert. Wir tun das nicht.Heute sind hier schon so kluge Worte gefallen wie die, man müsse ab und zu auch versuchen, sich in die Situation des anderen zu versetzen, um seine Denkungsart zugrunde legen zu können. Wenn Sie eine ausgewogene Politik, eine überlegte Politik betreiben wollen,
dann dürfen Sie nicht nur Ihre Gesichtspunkte in die Waagschale werfen, sondern müssen auch überlegen, wie Sie überhaupt etwas bewegen können.Wir wissen, daß Ihr Auftreten in dieser ganzen Zeit immer nur der Ausdruck der Ohnmacht derer ist, die selber nichts bewegt haben. Sie versuchen das mit Phrasendreschen und mit radikalen, überzogenen Forderungen wettzumachen, und Sie meinen, damit könnten Sie Deutschlandpolitik betreiben.
Ich nenne Ihnen wieder einmal Zahlen, damit Sie an unsere Leistungen erinnert werden. Das sind doch die Aktivposten für uns. Was meinen Sie, was wir für Zuschriften kriegen, auch von Leuten, die sagen, sie seien mit der SPD nicht ganz einverstanden. Die Schreiben uns: Aber lassen Sie sich .in Ihren Bemühungen nicht durch jene Scharfmacher irritieren, denen das zuviel ist. Wir haben diesen Bemühungen unsere persönliche Freiheit zu verdanken.Wenn Sie wüßten, wie viele Häftlinge noch darauf warten, daß wir in gleichem Sinne weiterwirken, würden Sie etwas ruhiger sein. Das mögen für Sie nur „technische Dinge" sein; ich kann nur sagen: Sehr beachtlich, was wir da zustande gebracht haben.
Diese Bilanz kann sich sehen lassen gegenüber dem, was Sie erreicht haben.Wenn Sie hier von den Sperrmaßnahmen sprechen, hört sich das doch gerade so an, als wenn wir das mit gefördert hätten.
— In Ihrer Zeit ist es gebaut worden. Wir haben es durchlässiger gemacht, nicht Sie.
Fragen Sie doch mal die acht Millionen Menschen aus West-Berlin und aus der Bundesrepublik, die im letzten Jahr in die DDR reisen durften, was die davon halten. Fragen Sie doch mal die 48 000 jüngeren Leute, die im letzten Jahr aus der DDR aus besonderen familiären Anlässen hierher kommen durften, wem sie das zu verdanken haben. Das war ein Be-
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10994 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Bundesminister Frankemühen im sachlichen Bereich. Für Sie ist das nur „technisch".
— Wieso soll ich dazu etwas sagen? Ich weiß, daß da drüben 17 Millionen Menschen wohnen, die gern so leben würden wie wir. Was meinen Sie denn, warum wir aktiv für Demokratie und Parlamentarismus eintreten und das als Sozialdemokraten schon seit über hundert Jahren tun? Wir machen das doch nicht, um einen Tageserfolg zu haben, sondern weil wir uns davon versprechen, daß die Menschen dann besser miteinander leben können. Sie tun gerade so, als würden wir uns mit dem Zustand abfinden. Nichts davon ist der Fall.Ich möchte Ihnen noch einmal sagen: Sie können sich auf den Kopf stellen, ich jedenfalls werde bei jeder Rede, die Sie in dieser Art halten, zurückzahlen. Ich werde auch bereit sein, Roß und Reiter zu nennen und Ihnen zu, sagen, was Sie wirklich den Menschen dort drüben antun, die hoffen, daß wir uns nicht irritieren lassen.Sie mögen das jetzt so nehmen, wie Sie es wollen: So, wie Sie sich manchmal bewegen, ist das die beste Hilfe für diejenigen da drüben, die die totale Abgrenzung wollen. Die brauchen nur Ihre Argumente, und die benutzen sie mit.
— Was wissen Sie denn davon? Sie beschimpfen unsere Beamten, die Tag für Tag mit der Wirklichkeit fertig werden müssen und mit den Leuten da drüben verhandeln müssen, um Erfolge erzielen zu können.
— Direkt mit der DDR habe ich nur begrenzt zu tun - damit Sie es wissen. Auch das ist ein Politikum.
— Was heißt: „Das ist es eben!"? Was Sie sich wohl vorstellen! Treten Sie doch da mal so auf. Dann sagen die: „Gehen Sie doch erst mal nach Hause; wer sind Sie denn überhaupt?" — „Ich bin Bundestagsabgeordneter"; sagen Sie dann. Dann sagen die: „So? Das interessiert mich gar nicht. Ich bin hier Grenzpolizist. Was wollen Sie hier überhaupt?" Dann sind Sie doch abgewimmelt.
Was soll denn dieses Auftreten? Versuchen Sie doch, sich einmal mit der Wirklichkeit vertraut zu machen.
Wir bestimmen doch nicht, was da drüben geschieht. Wir bestimmen doch nicht, wie die ihreinnere Ordnung oder Unordnung — das können Sie nennen, wie Sie wollen — gestalten. Das machen die, weil sie dazu die Macht haben — ob Sie ihnen das nun gönnen oder nicht.
— Herr Jäger, Sie sind doch in der Art, wie Sie Deutschlandpolitik betreiben wollen, überhaupt absolute Spitze.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Unterbrechung. Ich möchte herzlich darum bitten, daß die Zwischenrufe nicht in einer Häufigkeit erfolgen, daß sie als Störung empfunden werden müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber das hat mich auch nicht irritiert. Ich habe trotzdem weitergesprochen und sogar noch darauf reagiert. Von mir aus können diese Kameraden ruhig die Zwischenrufe weiter machen.Ich muß sagen: dadurch gewinnen Ihre Argumente überhaupt nicht an Gewicht. Sie werden sich damit vertraut machen müssen: Wenn Sie in dieser Art hier reden wollen, kontern wir auch; denn dies ist geradezu unerträglich. Wir bemühen uns als lautere Deutsche und Demokraten zu versuchen — —
— Es ist zwecklos, mit Ihnen noch weiter darüber zu diskutieren.
— Ja, natürlich ist das sinnlos.Um es jetzt hier zum Abschluß noch einmal zu sagen: Diese Anträge und Aktuellen Stunden und alles, was Sie sonst so produzieren, um Ihre Vorstellung von Deutschlandpolitik der Offentlichkeit zu unterbreiten, haben noch nie ein anderes Format angenommen. Beim nächsten Mal werde ich nur sagen: Nehmen Sie das Protokoll von der letzten Bundestagssitzung her.. Dann brauchen wir uns überhaupt nicht mehr — —
— Nein. Darf ich Ihnen dazu einmal etwas sagen? Lieber Herr von Wrangel, Sie sind ja ein älterer Fuhrmann schon in diesem Haus. Sie haben schon sehr viele Stationen auch der Deutschlandpolitik miterlebt. Ich weiß nicht, ob Ihr Erinnerungsvermögen noch so weit zurückreicht, daß Sie sich daran erinnern, wie die Opposition, die damals die SPD war, in Sachen Deutschlandpolitik bemüht war, ihre Funktion zu erfüllen. Sie hat in der Sache mitge-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10995
Bundesminister Frankemacht. Sie hat in der Sache die offizielle Politik der Bundesregierung damals mit vertreten.
— Nein, es gab damals keine andere Möglichkeit. Entschuldigen Sie einmal, Sie erkennen jetzt die andere Möglichkeit. Sie sind Nutznießer der Erfolge unserer Politik. Trotzdem reißen Sie sie immer kaputt. Dagegen verwahre ich mich mit aller Entschiedenheit.
Ich bin der festen Überzeugung, daß Ihr Antrag heute hier abgelehnt wird. Natürlich wird er abgelehnt. Er wird demnächst wieder erscheinen. Das wird dann auch wieder abgelehnt. Sie wissen, daß ich an sich nicht dazu neige, in dieser Art aufzutreten; das wissen Sie ganz genau. Das war während der ganzen Jahre der Fall. Aber irgendwo ist es bei mir auch zu Ende.
Da will ich Ihnen sagen: Dies wird so bleiben, wenn Sie meinen, so mit der Bundesregierung umspringen zu können. Das ist nicht mehr drin. Gewöhnen Sie sich bitte an, das ernst zu nehmen, was wir versuchen. Dann kommen wir auch zu einem Konsens.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hennig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einer bislang völlig ruhigen und sachlichen Debatte, vielleicht in Anbetracht dieses erregenden Themas sogar zu ruhigen Debatte, hat es der Herr Minister Franke für richtig gehalten, hier mit einem von ihm sonst gar nicht gekannten Gebrüll darauf aufmerksam zu machen, daß es ihn immer noch gibt.
Sonst könnte das nämlich in Vergessenheit geraten.
Es sagt eigentlich alles über die Deutschlandpolitik dieser Regierung aus, daß ein solchermaßen qualifizierter Minister die formale Verantwortung dafür hat, wie er selbst gesagt hat, obgleich er mit ihrer Durchführung herzlich wenig zu tun hat.Nur eine sachliche Richtigstellung, Herr Minister. Sie haben sich hier auf ein ziemlich schwieriges Thema in Ihren Ausführungen beschränkt: auf den Freikauf politischer Häftlinge. Es waren nicht wir, die dieses Thema hier in die Debatte eingeführt haben. — Ja, es sind doch genau die Fälle, auf die Sie hier immer abgehoben haben.
— Selbstverständlich. Ich will ihn nur daran erinnern, daß dies nun nicht seine Erfindung und auchnicht die seines Vorgängers ist, sondern daß es die CDU/CSU war, die das durch ihren Gesamtdeutschen Minister 1962 in die deutsche Politik eingeführt hat. Dies als sachliche Richtigstellung.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte mit diesem Antrag erreichen, daß eindeutige Vertragsverletzungen der DDR aufhören, daß endlich mit allem Nachdruck auf der Einhaltung der Verträge bestanden wird,
z. B. der Charta der Vereinten Nationen, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, des Viermächteabkommens, des Transitabkommens, des Verkehrsabkommens, des innerdeutschen Grundlagenvertrages und seiner Folgevereinbarungen sowie der KSZE-Schlußakte von Helsinki. Es ist traurig, daß wir uns in diesem Ziel, daß die Vertragsverletzungen der DDR aufhören müssen, offensichtlich — denn sonst müßte die Koalition nicht mehr soviel um den heißen Brei herumreden — nicht mehr einig sind.
— Sie sollten sich hier nicht als Nebelwerfer betätigen, sondern unserem Antrag zustimmen. Dann wäre die Sachlage doch ganz klar.
Wer soll denn eigentlich gegenüber der DDR auf die Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen bestehen, wenn nicht die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag?
Auch Sie stehen unter dem Auftrag des Grundgesetzes, dabei für alle Deutschen zu handeln. Lassen Sie sich doch dabei nicht von den Bürgerrechtskämpfern in der DDR und in anderen Staaten östlich der Elbe beschämen, die ihre Rechte z. B. aus der KSZE-Schlußakte trotz aller Repressionen dieser Diktaturen einfordern, während Sie am warmen Regierungsofen eingeschlafen sind und noch nicht einmal bereit sind, Vertragsverletzungen der DDR in einem gemeinsamen Beschluß beim Namen zu nennen.
Als der gegenwärtige Bundeskanzler sein Amt am 17. Mai 1974 antrat, erklärte er noch:Wir haben im Geiste der Entspannungspolitik und im Interesse aller Deutschen mit der DDR Verträge geschlossen. Diese Verträge bestehen nicht nur aus Buchstaben. Beide Vertragspartner müssen sich auch an den Geist der abgeschlossenen Verträge halten.Für SPD und FDP ist es inzwischen offenbar ausreichend, daß die DDR die ihr vorteilhaft erscheinenden Vertragsfolgen als selbstverständlich einfordert, die Erfüllung der den Menschen in Deutschland dienenden Bestimmungen aber in wichtigen Teilbereichen verweigert.
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10996 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. Hennig1974 fuhr der Bundeskanzler fort, mit diesem Geist der abgeschlossenen Verträge sei ein schwerwiegender Spionagefall nicht vereinbar, der damals seinen Vorgänger aus dem Amt gebracht hatte. Dies sei ein Fall, der die Menschen in Ost und West tief beunruhige. Und wörtlich:Wir kennzeichnen diesen Fall in aller Offenheit als eine ernste Belastung des Verhältnisses zwischen den Vertragspartnern.Dieser ebenso kurze wie eindeutige Passus wurde noch vor fünf Jahren viermal vom Beifall der Regierungsparteien unterbrochen. Heute teilt die gleiche Bundesregierung dem Parlament ganz offiziell in der Fragestunde der letzten Woche mit, es gebe bei uns 3 500 bis 4 000 östliche Spione. 80 % von ihnen arbeiteten für die DDR. Man verkneife sich aber jede Wertung dieser Tatsache, als sei eine solche Wertung und nicht die Tatsache selbst vertragswidriges Verhalten.
Meine Damen und Herren, da hat sich doch in fünf Jahren etwas verändert: die Sprache, das Ansprechen, das Aussprechen dessen, was ist, die Beschreibung des Tatbestandes. Oder sind 4 000 Spione auf einmal mit normalen gutnachbarlichen Beziehungen im. Sinne von Art. 1 des Grundlagenvertrages vereinbar? Tragen Sie zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Sinne des Art. 5 bei? Wer von Ihnen in der Regierungskoalition weiß denn eigentlich noch, daß sich die DDR in Art. 2 des Grundlagenvertrages uns gegenüber rechtsförmlich verpflichtet hat, sich von den Zielen und Prinzipien des Selbstbestimmungsrechts, der Wahrung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung leiten zu lassen? Dem Bundeskanzler war diese Tatsache inzwischen so fremd geworden, daß er sich bei einem Interview mit dem „Flensburger Tageblatt" ungläubig den Text des Vertrages aus dem Archiv kommen ließ, um diesen Passus nachzulesen und ihn dort tatsächlich zu finden.
Die DDR hat sich uns gegenüber in Art. 7 des Grundlagenvertrages verpflichtet, im Zuge der Normalisierung der Beziehungen humanitäre Fragen zu regeln, wie es dort heißt. Wo ist auch nur der geringste Fortschritt in eben diesen humanitären Fragen im Zusammenhang mit jenen 7 Milliarden DM, die Sie nun zusätzlich nach Ost-Berlin überweisen? Wollen Sie uns wirklich weismachen, da sei nicht die geringste Kleinigkeit erreichbar gewesen? Hat es Herr Gaus denn versucht? Hatte er denn den Auftrag, im Zuge der Verkehrsverhandlungen darüber zu sprechen, ob nicht z. B. Rentnerehefrauen, die noch nicht 60 Jahre alt sind, aber weiß Gott nicht so viel Geld übrighaben, vom Zwangsumtausch befreit werden könnten? Wann ist denn im Zuge der Normalisierung der Beziehungen der Zeitpunkt gekommen, eine so kleine humanitäre Frage zu regeln, wenn nicht anläßlich der Überweisung eines so gigantischen Betrages?
— Ich spreche im Moment von humanitären Dingen. — Wo ist denn im Zuge der Verkehrsverhandlungen die Revisionsklausel geblieben, wo die mehr als 1 Milliarde DM, die wir bei sinkenden Transitzahlen zuviel bezahlen? Und da soll es nicht möglich sein, ein solches Miniproblem zu regeln, wie es die vertragliche Pflicht der DDR wäre?Wo ist denn, um ein letztes, höchst aktuelles und den damaligen Verhandlungsführer Egon Bahr schwer belastendes Problem wenigstens zu erwähnen, die Transitfreiheit der DDR-Flüchtlinge geblieben, die nach einer verbindlichen Abrede von 1971 auch für die Zukunft gewährleistet war
und jetzt nach einer schriftlichen Verlautbarung der Bundesregierung — von Ihnen herausgegeben, Herr Franke — von den Betroffenen nur irrtümlich in Anspruch genommen wird? Davon wird übrigens in diesem Hause und im zuständigen Ausschuß noch in aller Klarheit zu reden sein. Nein, meine Damen und Herren, Sie fordern selbst das nicht mehr ein, was vertragliche und regelmäßig teuer bezahlte Pflicht der DDR uns gegenüber ist; von weitergehenden politischen Zielen, die wir doch haben, ganz zu schweigen.Hier ist verschiedentlich versucht worden, einen Popanz aufzubauen,
so als sei die Union grundsätzlich gegen Verträge mit der DDR, so als sei sie gegen Gespräche mit ihren Vertretern, so als wolle sie geschlossene Verträge nicht einhalten. — Sie haben zum Aufbau dieses Popanzes erheblich beigetragen, Herr Ehmke. —
Alles dies, was Sie hier sagen, daß wir z. B. Verträge generell nicht wollten, ist unwahr; Sie wissen das. Wir sind für Verträge mit der DDR. Nur sind wir für bessere, ausgewogenere, klarere Verträge,
als Sie sie zustande gebracht haben. Wir sind für Gespräche mit der DDR. Wir führen sie als Opposition regelmäßig,
was Sie als Regierung regelmäßig beunruhigt, weil dadurch die Wahrheit über Ihre Verhandlungsführung herauskommen könnte. Es gibt viele Kontakte zwischen der DDR-Vertretung und Oppositionspolitikern in Bonn, München und anderswo. Wir sind dafür, diese notwendigen und selbstverständlichen Gespräche noch erheblich zu intensivieren.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10997
Dr. HennigWir werden von dieser Regierung und vom Deutschen Bundestag ratifizierte Verträge ganz selbstverständlich auf das minuziöseste einhalten und auf unsere Weise mit Leben erfüllen.
Meine Damen und Herren, nur, am Beginn muß eine ganz klare Ausgangsposition stehen, eine Position des Völkerrechts, unserer Verfassung und der nationalen Interessen unseres Landes. Wir müssen endlich aufhören, uns gegenüber kommunistischen Staaten einschmeicheln zu wollen.
Wir müssen endlich aufhören, ihnen zunächst einmal drei Schritte entgegenkommen zu wollen und dann einen kleinen Schritt von ihnen in unsere Richtung zu erwarten. Wir haben keinen Spielraum mehr für eine Politik der Vorleistungen, der unausgewogenen Verträge mit klaren Leistungen von uns und lediglich Erwartungen von der anderen Seite. Damit haben wir genug Enttäuschungen erlebt.Ein anderer Weg ist besser: Zunächst wird die eigene Position klar formuliert, werden die eigenen nationalen und unaufgebbaren Interessen auf den Tisch des Hauses gelegt, und dann spricht man darüber, wo ein Ausgleich möglich ist, wo es gemeinsame Interessen gibt, wo sich Brücken schlagen lassen,
nicht indem man zweideutige Formelkompromisse à la Bahr findet, die der eine Vertragspartner so, der andere aber anders deutet, sondern indem man um eindeutige Formulierungen ringt, die nicht zu neuen Auslegungsstreitigkeiten führen, in denen wir einer Großmacht doch immer unterlegen sind. Das ist unsere Alternative.Dazu gehört es, Vertragsverletzungen der DDR klar beim Namen zu nennen. Meine Damen und Herren, wenn Sie nicht mehr den Mut haben, Vertragsverletzungen der anderen Seite beim Namen zu nennen,
dann werden Sie kommunistischen Verhandlungspartnern immer unterlegen sein.
Darum rufe ich Sie auf: stehen Sie zu Ihren eigenen Worten! Haben Sie den Mut, die Dinge beim Namen zu nennen, und stimmen Sie dem Antrag der CDU/ CSU zu!
Das Wort hat der Abgeordnete Möhring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich ja wohl um einen Antrag der CDU/CSU. Welche Aussicht er allerdings hat, unterstützt zu werden, kann man bereits hier im Saal ablesen. Ich schätze, daß etwa 240 Abgeordneteder CDU/CSU-Fraktion mit uns einverstanden sind, weil sie heute abend nicht hier sind. Das kann man schon vorab einmal ein wenig abtasten.
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Opposition, reiht sich in eine Kette von Anträgen ein, mit denen wir es ja immer wieder zu tun haben, die in Diktion und Stil so abgefaßt sind, daß Sie, wie wir mit Sicherheit meinen, keine Aussicht auf eine Mehrheit in diesem Hause haben. Denn Sie von der Opposition werden sich doch nicht ernsthaft vorstellen können, daß so ungeheuerliche Formulierungen hier auf Zustimmung stoßen, wie ich sie jetzt mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus Ihrem Antrag zitiere:Die bisherige Haltung der Bundesregierung hat die DDR offenbar zu weiteren Verstößen gegen Buchstaben und Sinn der Verträge und Vereinbarungen ermutigt.
Eine solche Verleumdung muß ich für die Fraktion der SPD mit aller Entschiedenheit und auf das schärfste zurückweisen!Von den sich häufenden Verletzungen und Verstößen seitens der DDR kann nämlich überhaupt keine Rede sein. Sie behaupten, es würden immer mehr Reisende an der Grenze zurückgewiesen. Zwei Vorredner haben bereits an Hand von Zahlen Ihnen klarzumachen versucht, daß auf 10 000 Einreisende 4 kommen, die zurückgewiesen wurden. Das Gegenteil ist also der Fall.
Würde man aber den Behauptungen Ihrer Propaganda Glauben schenken, Herr Jäger, dann müßte eigentlich bald jeder Reisende Angst haben, noch in die DDR zu fahren. Sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, daß Sie durch solche Panikmache Bürger, die Ihnen noch glauben — und ich gebe zu, daß es deren noch ein paar gibt —, entmutigen, in die DDR zu reisen? Sie haben doch auch pauschal einmal die Aussage getan, man möge die jetzt durch uns geschaffenen Möglichkeiten nutzen und mehr in die DDR fahren. Wie können Sie das denn gleichzeitig damit vereinbaren, daß Sie Menschen so pauschal verunsichern?
Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß Sie das im Kern wollen. Deshalb stimmt Ihr Antrag auch nicht mit Ihrer inneren Überzeugung überein. Sie müssen selbstverständlich immer wieder die Klamotte auf den Tisch bringen.Sie sprechen von Verdachtskontrollen, als wären unsere Bürger auf den Transitwegen nach Berlin einer ständigen Willkür, einer ständigen Verdachtsüberwachung ausgesetzt. Wir haben es gehört: bei 11 Millionen hat es ganze 451 Verdachtskontrollen
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10998 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Möhringgegeben. Die allgemeine Zahl dieser Kontrollen und der Verhaftungen ist spürbar zurüdcgegangen.
Sie werden sich vorstellen, daß vielleicht gelegentlich auch auf Transitwegen jemand einmal zu Recht kontrolliert und zu Recht festgenommen wird. Das wissen Sie als Mitglied unseres Ausschusses auch. Ich denke nur an Verkehrsverstöße. Sie können nicht widerlegen, daß diese sich nicht von der Art der Verkehrsverstöße unterscheiden, die auch bei uns geahndet werden. Dennoch regen Sie sich darüber auf. Es soll schon Kollegen geben, die bereits dann, wenn man darauf aufmerksam macht, daß die Höchstgeschwindigkeit von 100 km in der Stunde auf Transitwegen einzuhalten ist, einen Verstoß gegen die Charta der Menschenrechte sehen.
Ich will hier nicht behaupten, daß es keine Gründe gibt. — Ich komme auf Ihren Anmerkungen noch, Herr Dr. Hennig, haben Sie keine Angst; ein paar Sachen habe ich mir auch aus Ihrer Palette notiert! — Es gibt sicher auch Gründe, sich über Maßnahmen der DDR zu beschweren, und jeder hier — ich weiß, daß Sie das mittragen — ist der Ansicht, daß wir dies fest und bestimmt tun sollen. Durch diese unsere Haltung ist es auch dazu gekommen, daß gerade in den letzten Jahren eine günstige Entwicklung in unserem Verhältnis zur DDR eingetreten ist. Das beweist, daß die Bundesregierung auf dem richtigen Weg ist.Minister Franke hat bereits mit Recht hervorgehoben, daß die Regierung der DDR auf einzelnen Gebieten beginnt, auch über die vereinbarten Abmachungen hinaus großzügiger vorzugehen. Das gilt z. B. für den Bereich der Familienzusammenführung, das gilt auch für die vorzeitige Entlassung politischer Häftlinge. Hier sagen Sie, Herr Dr. Hennig, daß dies eigentlich von Ihnen urheberrechtlich reklamiert werden könne. Ich bitte Sie, sich einmal vorab in der eigenen Fraktion zu einigen, wer zu diesem Thema etwas sagen soll. Herr Mende hat es, glaubevor kurzem einen „Skandal" genannt, Häftlinge freizukaufen.
Herr Wohlrabe ist fleißig dabei, „weggeworfene Millionen" auch auf diesem Gebiet zusammenzuzählen.
— Ich bitte Sie, sich darüber zu einigen, welchen zukünftigen Sprachgebrauch Sie gemeinsam entwickeln wollen. Noch sind Sie sicher bei einer gewissen Meinungsbildung, und da will ich nur bedingt stören, Herr Jäger.Herr Lintner und Herr Jäger, ich habe aus Ihren Debattenbeiträgen gehört, daß die Bundesregierungdurch ihre Bemühungen um ein besseres Verhältnis zur DDR das Angehen der Bundesrepublik in der Welt geschädigt haben soll.
— Dann revidiere ich mich. Wenn Sie es aber so gemeint haben sollten, dann sage ich Ihnen: Das paßt genau zu Ihrer großen Fehleinschätzung der wirklichen Lage; denn alles, was wir seit 1970 im Bereich der Deutschlandpolitik getan haben, wurde und wird von allen Verbündeten getragen.
Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in diesem Bereich ist noch nie so gut gewesen wie heute. Manchmal ist es beängstigend gut. Aber wir haben darauf geachtet, daß das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Welt nicht durch solche Kritik geschädigt wird, die Sie ständig an unseren Bemühungen üben; denn 'diese Ostpolitik, die Sie ja am liebsten ungeschehen machen möchten,
ist getragen vom gesamten westlichen Bündnis.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lintner?
Ja, bitte schön. Vizepräsident Stücklen: Bitte schön.
Herr Kollege Möhring, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich davon gesprochen habe, daß die DDR keine Gelegenheit ausläßt, das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, wo auch immer in der Welt, zu schädigen? Es war nicht die Rede davon, daß die Bundesregierung dies tue.
,Das ist etwas ganz anderes. Ich wußte gar nicht, daß Sie das an unsere Adresse richten müßten. Dann beschweren Sie sich einmal bei der DDR. Ich habe sie hier nicht zu vertreten. Es gehört mit zu unseren Bemühungen, dies abzubauen. Es wäre gut, wenn Sie uns dabei unterstützten.
Ich habe 'aber eine bösere Bemerkung gehört,
nämlich daß die Bundesregierung bei ihren Bemühungen, die sie nach Ihrer Auffassung nicht so korrekt durchführt, den Kommunismus stabilisiert. Hier beginnen die Dinge böse zu werden. Ich antworte Ihnen in aller Eindeutigkeit, daß nach meiner Auffassung diejenigen den Kommunismus stabilisiert haben, die 20 Jahre lang mit dem Rücken zum Osten Deutschlandpolitik gemacht und die Hallstein-Doktrin ins Spiel gebracht haben, um uns so früh wie
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 10999
Möhringmöglich von guten Verbindungen zu Nachbarn fernzuhalten.
Das weise ich mit Entschiedenheit zurück.
— Ich beschäftige mich nicht erst seit heute mit der Politik der SPD und der CDU.
Ich war sowohl Betroffener als auch Nutznießer des Auf und Ab politischer Mehrheiten und Minderheiten. Sie brauchen uns nicht zu lehren, Herr von Wrangel — bei allem Respekt vor Ihnen —, wie Menschen zumute ist, die in der Opposition sind. Die Sozialdemokratie hat darin verdammt einschlägige Erfahrungen aus der Vergangenheit. Wir haben uns dabei einen klaren Blick für die Realitäten bewahrt.Ich habe das Gefühl, Herr Jäger, daß bei Ihnen manchmal der blanke Neid auf das von uns Erreichte in der Ostpolitik durchschimmert; denn Sie können auch nicht das geringste aus Ihren Regierungszeiten vorzeigen.
Ich möchte Ihnen auch aus meiner eigenen kleinen Region eine kurze Begebenheit erzählen, die Ihnen zeigen soll, wie sorgfältig die DDR eingegangene Vereinbarungen einhält.
Vor der Vereinbarung z. B. über die Schadenabwehr an der innerdeutschen Grenze gab es ganz böse Beispiele dafür, daß sich nicht einmal die Feuerwehren bei einem Waldbrand in Lüchow-Dannenberg gegenseitig helfen durften. Nach der Vereinbarung über die Abwehr von Schaden an der innerdeutschen Grenze gibt es eine Regelung, wo die Menschen miteinander sprechen — es sind ja auch Menschen auf der anderen Seite —, und die Schadenabwehr ist jetzt völlig unproblematisch. Das ist nicht Theorie, sondern in der Praxis direkt vor Ort ablesbar!Was uns allerdings ein wenig bedrückt, ist, daß diese Normalisierung plötzlich zur Selbstverständlichkeit des Alltags wird und daß niemand mehr darüber nachdenkt, wie schwer es war, das zu erreichen.
Herr Abgeordneter, ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Opposition, muß einfach abgelehnt werden, weil er unsachlich ist, weil er von falschen Voraussetzungen ausgeht.
Herr Abgeordneter, ich habe Sie zweimal gemahnt, einmal durch Klingeln, einmal durch das Wort. Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort.
Danke schön.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2476, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/2121 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wohlrabe, Dr. Häfele, Dr. Sprung, Dr. Köhler (Wolfsburg), Graf •Huyn, Lintner, Dr. Abelein, Dr. Hennig, Baron von Wrangel und der Fraktion der CDU/CSU
Abkommen mit der DDR über den „Transfer von Guthaben in bestimmten Fällen "
— Drucksachen 8/1837, 8/2505 —
Berichterstatter: Abgeordneter Rapp
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Wir haben Kurzdebatte vereinbart. Ich bitte, die Redezeit von zehn Minuten exakt einzuhalten; sonst hätte die Vereinbarung keinen Sinn.
Ich eröffne. die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über das Thema, über das wir diese kurze Aussprache haben, gibt es keinen Streit. Das ist auch nicht verwunderlich. Schließlich wollen wir, so glaube ich, alle dasselbe: Die Bürger in der Bundesrepublik sollen über ihr Vermögen in der DDR frei verfügen können. Davon sind wir jedoch noch weit entfernt. Ich komme darauf gleich noch einmal zurück.Gleichwohl, auf einem Teilgebiet ist ein Erfolg erzielt worden. Die Zahlungen aus der Sperrguthabenvereinbarung vom 25. April 1974 werden zumindest für die nächsten vier Jahre, also bis 1982, reibungslos, so hoffen wir, laufen. Das ist ein erfreuliches Ergebnis der Verhandlungen bzw. der Vereinbarungen mit der DDR vorn 16. November 1978, ein Ergebnis, das auch wir, die CDU/CSU, uns auf der Habenseite gutschreiben. Das ist ein Erfolg unseres ständigen Nachhakens in dieser Frage;
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11000 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Dr. Sprungdenn wir haben die Bundesregierung, nachdem die Überweisungen aus der DDR ins Stocken geraten waren, immer wieder aufgefordert, tätig zu werden. Wir taten dies durch zwei Kleine Anfragen vom 25. Mai 1977 und vom 24. November 1977 und schließlich mit einem Antrag vom 31. Mai 1978, über den wir heute hier sprechen.Den Erfolg unserer Bemühungen bestätigt fairerweise auch der Kollege Rapp als Berichterstatter des Finanzausschusses in einem Ausschußbericht, indem er wie folgt zusammenfaßt:Damit ist das Ziel des Antrages der CDU/CSU, Verbesserungen im nichtkommerziellen Zahlungsverkehr auszuhandeln, erreicht worden.Schönen Dank, Herr Rapp!Dies war höchste Zeit. Es war einfach ein unerträglicher Zustand, daß die in der Bundesrepublik lebenden Rentner, Invaliden, Sozialhilfeempfänger und Vollwaisen — und nur für diesen eingeschränkten Kreis galt die Vereinbarung — nicht mehr an ihr Geld in der DDR herankommen konnten. Diese Frage ist nun — wenigstens bis 1982 — gelöst. Gestern konnten wir ja alle in den Tageszeitungen eine entsprechende Mitteilung der Bundesbank darüber lesen, daß nunmehr wieder Anträge gestellt werden können.Es wurde darüber hinaus vereinbart, daß auch Personen außerhalb des soeben genannten eingeschränkten Berechtigtenkreises Zahlungen erhalten können, wenn das Transfervolumen von 50 Millionen DM jährlich nicht ausgeschöpft werden sollte. So weit, so gut.Einen etwas bitteren Beigeschmack bekommt die Angelegenheit allerdings, wenn man weiß, daß Staatssekretär 'Gaus das Entgegenkommen der DDR offenbar damit erkaufen mußte, daß die Bundesrepublik auf 174 Millionen DM verzichtete, die uns auf Grund der Revisionsklausel des Transitabkommens zustanden. Die 'Bundesregierung hat also auch in diesem Fall einen hohen Preis zahlen müssen.
Der Teilerfolg, der im Rahmen der Sperrguthabenvereinbarung, erzielt werden konnte, sollte uns jedoch nicht vergessen lassen, daß noch weite Bereiche im nichtkommerziellen Zahlungsverkehr zwischen der Bundesrepublik und der DDR ungelöst sind. Auch darauf ist im Ausschußbericht hingewiesen worden. Wir waren im Ausschuß gemeinsam der Auffassung, daß die Bundesregierung in Zukunft alle Chancen für weitergehende Verbesserungen wahrnehmen muß. Gemeinsam fordern wir daher die Bundesregierung auf, in diesem Sinne mit der DDR weiter zu verhandeln.Im übrigen wird mit dieser Aufforderung an die Bundesregierung nur an das angeknüpft, was die Bundesregierung uns zweimal auf unsere erwähnten Kleinen Anfragen geantwortet hat, nämlich daß die Vereinbarung nur ein erster Schritt zur Regelung des Bereichs des nichtkommerziellen Zahlungsverkehrs sei. Die beiden Vertragspartner haben sichzudem ausdrücklich zu weiteren Fortschritten inArt. 5 der Vereinbarung verpflichtet. Es heißt dort:Beide Seiten sind sich darin einig, daß dieseVereinbarung auf Vorschlag einer Seite mitdem Ziel weitergehender Regelungen überprüftwird.Schließlich haben auch die beiden Delegationsleiter bei der Unterzeichnung der Vereinbarung noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es sich hier nur um einen ersten Schritt zur Normalisierung des nichtkommerziellen Zahlungsverkehrs handelt.
Worin die weitere Normalisierung bestehen kann und muß, ergibt sich aus der Vereinbarung von 1934:Erstens. Der noch geltende Höchstbetrag von 200 DM pro monatlicher Überweisung ist unzureichend. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Er muß erhöht werden.Zweitens. Der Personenkreis darf nicht länger auf Rentner, Sozialhilfeempfänger usw. beschränkt bleiben. Alle Bürger in der Bundesrepublik müssen über ihr Geld in der DDR verfügen können.Drittens. Auch die anderen im Protokollvermerk genannten. Guthaben, für die die Vereinbarung bis jetzt noch nicht gilt, müssen in eine Transferregelung einbezogen werden. Ich nenne hier die Guthaben, die wegen unterschiedlicher Rechtspositionen zu den ungeregelten Vermögensfragen gehören, und die Guthaben aus Grundstückserträgen.Wir haben bereits mehrmals darauf hingewiesen,, daß über die jetzt erzielten Erfolge hinaus weitere Verbesserungen dadurch möglich sind, daß die Zahlungsströme aus dem Transfer von Unterhaltszahlungen — Sie wissen ja, daß hier jährlich ein beträchtlicher Saldo zugunsten der DDR entsteht — mit zum Guthabentransfer aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland verwendet werden.
Wir fordern daher die Bundesregierung nochmals auf, auch diesen Komplex in künftigen Verhandlungen mit der DDR auf den Tisch zu legen.
Die CDU/CSU-Franktion begrüßt, daß nicht zuletzt auf Grund unserer Initiativen den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Rentnern und Sozialhilfeempfängern, die über ein Guthaben in der DDR verfügen, geholfen werden konnte. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt deshalb der vorliegenden Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu. Wir verbinden diese Zustimmung jedoch mit der dringenden Aufforderung an die Bundesregierung, auf diesem Feld nicht lockerzulassen. Es muß möglich werden, Herr Minister, daß alle Bürger in der Bundesrepublik über ihr Vermögen in der DDR verfügen können. Die CDU/CSU-Fraktion wird die Bundesregierung hier nicht aus ihrer Pflicht entlassen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat in diesen Tagen in einem Merkblatt den Begünstigten aus der Sperrguthabenvereinbarung Kenntnis vom Ergebnis der Verhandlungen vom vergangenen November gegeben, und er hat auch gleich die Verfahrensschritte aufgezeigt, wie man neue Transferanträge in Gang setzen kann. Daß überhaupt wieder etwas in Gang gesetzt werden kann, daß wieder etwas in Gang gekommen ist, ist die Frucht der Verkehrsverhandlungen vom vergangenen Jahr. Es glaubt doch wohl niemand, daß dieses Ergebnis hätte erzielt werden können, wenn sich die Bundesregierung damals nach den dissonanten Tönen orientiert hätte, mit denen die Opposition diese Verkehrsverhandlungen begleitet hat.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben Ihre Anträge zur Sperrguthabenvereinbarung allemal positiv aufgenommen; aber es ist etwas anderes, wenn Sie sich nun mit dem Wohlgeruch der Früchte einer Politik parfümieren wollen,, die Sie als solche permanent diffamiert haben.
Der geschätzte Kollege Dr. Sprung hat der Wahrheit die Ehre gegeben. Er hat Fortschritt Fortschritt genannt, und so werden es auch die Begünstigten aus der Sperrguthabenvereinbarung halten, die Transferberechtigten: die Rentner, die Pensionäre, die minderjährigen Vollwaisen, Schwerkriegsbeschädigten, Schwerbehinderten, Sozialhilfeempfänger und die ihnen gleichgestellten Bezieher der Arbeitslosenhilfe. Jahrelang war alles blockiert. Der Stapel der nicht mehr zu bedienenden Anträge war so groß geworden, daß neue Anträge gar nicht mehr hereingenommen werden konnten. Nur langsam hat sich das sogenannte Wartezimmer geleert. Dann kam im vergangenen Jahr endlich wieder einmal die Möglichkeit, einen einzelnen Antrag über 200 DM zu stellen, und jetzt kann das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen den Begünstigten die gute Nachricht geben, daß sie auf die Dauer von vier Jahren jährlich bis zu 2 400 DM aus ihren in der DDR liegenden Sperrguthaben transferiert bekommen können. Das ist mehr als nur die Realisierung eines ansonsten nicht mehr verwertbaren Vermögens. Das geht nun bereits in in die Dimension einer spürbaren Hilfe für eine, verhältnismäßig breite Gruppe von Menschen, bei denen ein jährlich so namhafter Betrag wohl auch manche Not zu lindern vermag. Ermöglicht wurde dies dadurch, daß sich die Regierung der DDR bereit gefunden hat, für die Jahre nach 1979 das nach der Vereinbarung vom 25. April 1974 mögliche Austauschvolumen um 50 Millionen DM jährlich aufzustocken, d. h., die Höhe der Transfers aus der DDR kann die Höhe der Transfers in die DDR um 50 Millionen DM im Jahr übersteigen.
Der Finanzausschuß hat all dies einstimmig begrüßt. Er hat den Antrag der CDU/CSU-Fraktion
vom Mai 1978 für erledigt erklärt, in dem die Bundesregierung aufgefordert worden war, mit dem Ziel zu verhandeln, das nun wirklich erreicht werden konnte. Zu demselben Ergebnis ist der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen gekommen, und über die gleiche Beschlußempfehlung haben Sie heute im Plenum zu entscheiden. Der Finanzausschuß hat den Vorgang allerdings zur Wiedervorlage vorgesehen. Er wird sich im Jahre 1982 berichten lassen, ob das erhöhte Austauschvolumen ausgeschöpft werden konnte. Für den Fall, daß weniger Transfers abgerufen werden, als das nach der Vereinbarung vom November 1978 möglich ist, liegt das Angebot der DDR vor, über eine Erweiterung des Kreises der Begünstigten zu verhandeln.
Selbstverständlich, Herr Dr. Sprung, ist nichts so gut, 'als daß es nicht noch besser werden könnte. Der Finanzausschuß bringt dies in seinem Bericht in der Weise zum Ausdruck, daß er auf das Interesse der Bundesrepublik an weitergehenden Verbesserungen des nichtkommerziellen Zahlungsverkehrs zwischen den Bürgern der beiden deutschen Staaten verweist und die Bundesregierung bittet, keine Chance auszulassen, zu solchen Verbesserungen zu kommen.
Diese Verbesserungen setzen freilich voraus, daß eine Politik fortgesetzt wird, die in kleinen konkreten Schritten auf die Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten bedacht ist.
Eine Politik der großen und leeren Worte, eine Politik, die spektakulären Akten nachjagt, eine Politik, die mit Pressionen arbeitet, würde zerstören, was wir haben, würde mit Sicherheit nicht mehr bewirken, als wir bewirken konnten. Mit der Wiedervorlage dieser Sache im Jahre 1982 sollten wir es, meine Damen und Herren, fürs erste bewenden lassen.
Wir freuen uns mit allen, denen mit dem wichtigen Schritt nach vorn, von dein wir heute sprechen, geholfen werden kann. Der Beschlußempfehlung, den Antrag der Opposition für erledigt zu erklären, werden wir Sozialdemokraten zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ludewig.
. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen von den erheblichen Verbesserungen im nichtkommerziellen Zahlungsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Ich komme zum Schluß.
Zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion bezüglich des Abkommens mit der DDR über den Transfer von Guthaben in bestimmten Fällen, der sogenannten Sperrguthabenvereinbarung, Drucksache 8/1837, hat der Finanzausschuß mit Recht empfohlen, ihn für erledigt zu erklären. Wir wissen, daß seit vorgestern Überweisungen des nach dem Sperrguthaben-
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Ludewigabkommen berechtigten Personenkreises von bis zu 200 DM monatlich, 600 DM im Quartal, 2 400 DM im Jahr wieder möglich sind. Auch das, meine Damen und Herren, ist durch die Vereinbarung vom 16. Dezember 1978 zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik für den Vierjahreszeitraum bis 1982 möglich geworden. Es ist sogar damit zu rechnen, daß der transferberechtigte Personenkreis für den Fall, daß das jetzt mögliche Transfervolumen nicht ausgeschöpft wird, erweitert wird.Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Sperrguthabenvereinbarung ist demnach durch die Entwicklung tatsächlich überholt, und ich glaube, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion — wie viele sind es noch?, 2, 4, 6, 7,
9 —,
Sie 9 werden uns darin zustimmen.Der Finanzausschuß war einstimmig der Meinung, daß der Antrag durch das Handeln dieser sozialliberalen Regierung erledigt ist. Die FDP schließt sich dieser Meinung naturgemäß an.
Bitte stimmen Sie der Empfehlung zu, daß der Antrag gemäß Drucksache 8/1837 für erledigt erklärt wird. Ich gehe ganz sicher in der Annahme, Sie tun das.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache. Ich würde nur sehr darum bitten, daß die Redner hier nun nicht in Abzählverfahren eintreten. Allzu eindrucksvoll ist die Teilnahme an dieser Sitzung ohnedies nicht, und das sollte man nicht permanent. im Protokoll verewigen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2505,. den Antrag auf Drucksache 8/1837 für erledigt zu erklären. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Häfele, Windelen, Dr. Jobst, Frau Hoffmann , Dr. Möller, Dr. Friedmann und der Fraktion der CDU/CSU
Senkung von Fernmeldegebühren - Drucksache 8/2311 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Haushaltsausschuß
Interfraktionell ist wieder eine Kurzdebatte vereinbart worden. Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Weber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ihnen liegt der Antrag 8/2311 vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, angesichts der hohen Überschüsse im Fernmeldewesen die ungerechtfertigte Überforderung der Telefonkunden mit Gebühren abzubauen. Nach unserer Meinung kann man hierzu verschiedene Wege beschreiten. Ich sage dies gleich zu . Anfang, damit nicht Mitglieder der Regierungskoalition wieder behaupten, wir wollten alles auf einen Schlag haben. Dies ist nicht der Fall.Wir haben in unserem Antrag verschiedene Vorschläge zu einem Gebührenabbau gemacht.Der erste Vorschlag zielt auf eine bessere und vernünftigere Lösung bei den künftigen Nahbereichen ab. Dies ist, wie Sie wissen, eines unserer alten Anliegen.
Hier schlagen Wir vor, den Radius der künftigen Nahbereiche von 20 auf 25 km zu erweitern. Wir denken dabei allerdings an eine flexible Lösung, eine Lösung, die im übrigen auch von den Kommunen und den Ländern unterstützt wird. Mit einer Erweiterung soll auch erreicht werden, daß künftig die meisten Bürger die Chance haben, auch ihre kommunalen Behörden ihre Kreisbehörden und andere Institutionen telefonisch im Nahbereich zu erreichen. Technisch läßt sich dies genauso gut realisieren wie ein Nahbereich von 20 km Radius.
Was die Mindereinnahmen angeht — und bei den hohen Überschüssen geht es uns ja bei unserem Antrag um Mindereinnahmen —, so glaube ich, diese wären dann möglicherweise sogar geringer als das, was bei der jüngst beschlossenen Senkung der Auslandsferngesprächstarife herausgekommen ist.Unsere zweite Forderung zu den Nahbereichen beinhaltet die Verlängerung des Zeittakts auf 16 Minuten. Das bedeutet die volle Ausnützung der Zeitdistanz, die bei den jetzt neu entwickelten Zeittaktgebern möglich ist. -Um den Zeittakt selbst sind in diesem Hause — sowohl im Plenum als auch im Ausschuß — die Argumente schon sehr zahlreich hin und her gewechselt worden. Ich will deshalb hier nicht mehr darauf eingehen. Nur eines möchte ich noch anfügen. Im Januar 1980 sollen nach der Absicht des Bundespostministeriums etwa 75% des Bundesgebiets mit dem neuen Nandienst versorgt sein. In den meisten Großstädten allerdings soll der Nandienst, also auch der Zeittakt, erst nach den Wahlen des Jahres 1980 eingeführt werden. Ich glaube, man hat also doch etwas die Befürchtung, daß diese Umstellung bei den Bürgern gerade in den Großstädten zu einer Verärgerung führen könnte.Ich hoffe, es fällt Ihnen leicht, unserem Antrag in diesem Punkt zuzustimmen. Ich erinnere Sie daran, daß nach Auskunft der Deutschen Bundespost nur
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Weber
3 % aller Fernsprechteilnehmer länger als acht Minuten sprechen. Schon deshalb würden die Mindereinnahmen kein hohes Ausmaß erreichen, wenn man den Zeittakt auf 16 Minuten ausdehnt.
— Herr Kollege Topmann, auch Sie wären sicher glücklich, wenn Sie da und dort etwas länger sprechen könnten.
Hinzu kommt — ganz nebenbei bemerkt —, daß eine gewisse Problematik dadurch gegeben ist, daß die Dauer der ersten Gesprächseinheit beim AchtMinuten-Takt keine vollen acht Minuten beträgt, sondern aus technischen Gründen zwischen siebeneinhalb und acht Minuten schwankt.Lassen Sie mich eine dritte Entlastungsmöglichkeit für die Telefonkunden nennen. Wir denken daran — dies schlagen wir vor —, eine Senkung der Gebühren praktisch durch die Pauschalabgeltung einer bestimmten Anzahl von Gesprächseinheiten mit der Grundgebühr zu erreichen. In der Praxis könnte dies so aussehen, daß beispielsweise 20 Gesprächseinheiten im Monat schon mit der Grundgebühr abgegolten sind. Eine solche Maßnahme wäre zweifelsohne wirtschaftlich wie auch sozial ausgewogen. Sie würde der Post Mindereinnahmen von etwa einer knappen Milliarde DM bringen. Dies ist eine Summe, die dem einen oder anderen zunächst vielleicht etwas hoch erscheint. Es geht aber darum, die hohen jährlichen Überschüsse von 5 bis 6 Milliarden DM zu reduzieren. Die betroffenen Telefonkunden sollten in einer gerechten Weise entlastet werden. Die Überschüsse sollten nicht zum Subventionieren des Bundeshaushaltes zweckentfremdet werden.Eine vierte Möglichkeit, die ich kurz anschneiden möchte, die überhöhten Gebühren im Telefondienst anzupassen, sehen wir in der stufenweisen Senkung der Telefongebühren im Fernverkehr. Während der Herr Bundespostminister schnell bei der Hand war, die Ortsgespräche durch den Zeittakt indirekt zu verteuern, schweigt er sich im Hinblick auf längerfristige Maßnahmen bei den Fernverkehrstarifen aus. Er ist unter dem Druck der Tatsache, daß ein Überseegespräch von der Bundesrepublik Deutschland nach den Vereinigten Staaten doppelt so teuer ist wie ein Gespräch in der umgekehrten Richtung, dazu übergegangen, diese Tarife zu senken. Ein Gespräch von Deutschland nach den Vereinigten Staaten ist aber auch jetzt noch teurer als ein Gespräch in der umgekehrten Richtung. Was wir aber vermissen, ist, daß der Bundespostminister — dies möchte ich hier anregen — einen Stufenplan dafür vorlegt, wie die überhöhten Gebühren im Telefonfernverkehr auf ein vertretbares Maß reduziert werden können.Lassen Sie mich noch einen Vorschlag anfügen, der nicht in unserem Antrag steht, von dem ich aber glaube, daß man ihn erneut überlegen sollte. Die Telefonteilnehmer haben im vergangenen Jahr 30 DM als Gebührengutschrift erhalten. Man könnte,wie ich glaube, daran denken, jedem Telefonteilnehmer auch im jetzt laufenden Jahr eine Gebührengutschrift von 60 DM zu geben, d. h. 5 DM pro Monat. Dies würde in der Summe etwa 1 Milliarde DM ausmachen und wäre eine nachträgliche Gebührenermäßigung, die die Deutsche Bundespost ohne größere Schwierigkeiten tragen könnte und die vor allen Dingen — dies ist von besonderer Bedeutung.— das Gebührenniveau insgesamt nicht beeinträchtigen würde.Mein Kollege Erich Riedl wird zur finanziellen Situation der Post und den damit zusammenhängenden Fragen später noch einige Bemerkungen machen.
— oder machen wollen, sage ich nun vorsichtshalber nach dem eben gehörten Zwischenruf. Eines aber möchte ich Ihnen jetzt zum Schluß schon sagen. Die gute Gewinnsituation der Deutschen Bundespost und die Tatsache, daß wir mittlerweile — ich sage „wir" ; Sie merken also, daß ich mich der Post immer noch sehr verbunden fühle —
eine Eigenkapitalquote von 40 % erreicht haben, haben die Begehrlichkeit der Politiker geweckt. Die Sonderzuführung von 1,1 Milliarden DM an den Bundeshaushalt ist hierfür ja ein erstes Zeichen. Dies muß nach meiner Auffassung ein einmaliger Vorgang bleiben.
Es kann wirklich nicht angehen, daß die Telefonkunden hohe Fernmeldegebühren zahlen, um damit den Bundeshaushalt quasi auf dem Wege über eine Ersatzsteuer zu finanzieren.
Deshalb ist es sicher wesentlich besser, vernünftiger und vor allem auch gerechter, wenn die Post statt dessen die überhöhten Gebühren reduzierte. Ich bin deshalb guter Hoffnung, daß Sie unserem Antrag zustimmen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wuttke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Kollegen Weber über die Nahbereiche möchte ich nicht viel sagen. Darüber haben wir schon sehr oft gesprochen. Zu der Kritik am Zeitablauf der Umschaltungen und dazu, daß zuletzt die Großstädte berücksichtigt werden, ist zu sagen, daß dies ein einstimmiger Beschluß des zuständigen Fachausschusses war.
Es hat keiner dagegen gestimmt.
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WuttkeGebühren sind an und für sich ein sehr seriöses Thema, es wird aber von der Opposition leider nicht seriös behandelt.
— Ja, Herr Kollege Mahne, ich bin der Auffassung, daß die anderen bereits die Unsinnigkeit ihres Antrags eingesehen haben. Ich muß aber trotzdem dazu Stellung nehmen.Dieser vorliegende Antrag ist meines Erachtens ein Propagandaantrag. Ich werde dafür fünf Beweise liefern.Wahrend der Haushaltsdebatte vor zwei Wochen wurde dieser Debatte bereits vorgegriffen. Der Antrag wurde damals schon inhaltlich diskutiert. Dies ist der erste Beweis für die Propagandaabsichten.Wer über Postgebühren redet, muß von der wirtschaftlichen Situation der Deutschen Bundespost ausgehen. Die wirtschaftliche Situation ist nur über einen längeren Zeitraum gültig zu beschreiben. Die Deutsche Bundespost hatte viele Jahre Verlust und dann einige Jahre Gewinn, insgesamt aber über 20 Jahre in etwa einen ausgeglichenen Saldo. Es ist kaufmännisch nicht vertretbar, einzelne Jahresergebnisse herauszusuchen, zu interpretieren und danach Politik zu formulieren. Diese unseriöse Rechenweise der Opposition ist damit der zweite Beweis für die Propagandaabsichten.Eine seriöse Beurteilung muß nicht nur von der aktuellen wirtschaftlichen Situation, sondern auch von vorhersehbaren Trends und Risiken ausgehen. Festzustellen ist, daß die heutigen Gewinne in der langfristigen Perspektive absinken werden. Der Kostendeckungsgrad im Fernmeldewesen wird ebenfalls rückläufig sein. Die Risiken im intensiven Post-. Bereich, wo die Post im großen Umfang gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen erbringt, werden trotz nachweisbarer Rationalisierungsanstrengungen sicherlich nicht geringer.Im Klartext heißt das, daß die Post auch künftig im Fernmeldewesen verdienen muß, damit sie das Postwesen subventionieren kann.
— Über das Zuviel können wir streiten. Dies geht ja sicherlich aus meinen Ausführungen hervor.Die Antragsbegründung der Opposition ist widersprüchlich und teilweise genauso falsch wie die Behauptung, daß die Telefongebühren der Deutschen Bundespost in der Weltrangliste die Spitzenstellung einnehmen. Sie wissen ganz gut, daß diese Behauptung falsch ist und daß ich dies beweisen kann. Ich nehme an, die Union braucht darüber, wie man internationale Gebühren vergleicht und daß man dies nicht über Umrechnungen der Devisenkurse machen kann, keine Nachhilfestunden.Damit sind wir beim nächsten Thema und bei dem dritten Beweis dafür, daß der CDU/CSU-Antrag ein Propagandaantrag ist. Inzwischen vorgenommene und bereits angekündigte Maßnahmen zur Gebührensenkung im Fernmeldewesen werden durch den Unionsantrag im einzelnen verschwiegen. Für 1978 ergaben sich für den Kunden Entlastungen in Höhe von 668 Millionen DM, darunter die Ermäßigung der Grundgebühren von 500 Millionen DM. In diesem Jahr bringen die kundenfreundlicheren Regelungen 20 Millionen DM Entlastung, die Senkung der Telex-Verbindungsgebühren 30 Millionen DM, die Senkung des Feierabendtarifs 110 Millionen DM und das Vorziehen des Mondscheintarifs 160 Millionen DM Entlastung. Die zum 1. Januar 1979 wirksam gewordene Senkung der Grundgebühren entlastet um rund 1 Milliarde 10 Millionen DM. Eine Senkung der Grundgebühren für Telex-Hauptanschlüsse bringt weitere 20 Millionen DM Entlastung, andere Gebührensenkungen bewirken ebenfalls eine Entlastung um weitere 20 Millionen DM. Eine fühlbare Senkung der Fernsprechgebühren im Auslandsdienst ist für 1979 bereits verordnet. Das kostet die Deutsche Bundespost 300 Millionen DM. Damit wird die Summe der Entlastungen der Fernsprechkunden im Jahr 1979 1,6 Milliarden DM betragen.Es ist noch herauszustellen, daß das neue Tarifsystem, der Nandienst, von dem der Kollege Weber gesprochen hat, der von 1980 bis 1982 eingeführt wird, ein erhebliches finanzielles Risiko für die Deutsche Bundespost beinhaltet. Schätzungen gehen davon aus, daß der Kunde am Ende um rund 1,4 Milliarden DM entlastet wird.Damit ergibt sich unter Berücksichtigung der Mindereinnahmen des neuen Tarifsystems und damit beschlossener Gebührensenkungen eine Entlastung für die Telefonkunden von ca. 3,4 Milliarden DM jährlich. Daher ist zu sagen: Die Bundesregierung hat gehandelt; sie hat nicht gekleckert, wie ihr so oft vorgeworfen wird, sondern sie hat geklotzt. Das ärgert wohl die Union.Wer an den Postgewinnen Anstoß nimmt, sollte überlegen, daß Gewinne den Kunden auch durch Investitionen zugute kommen. Allein im Jahre 1978 wurden rund 5 Milliarden DM für die normale Erweiterung des Netzes bereitgestellt. Zusätzliche Investitionsanstrengungen zur Beseitigung der Engpässe zu bestimmten Zeiten des Mondscheintarifs erfordern weitere 1,4 Milliarden DM. Zudem müssen in den nächsten Jahren rund 1,9 Milliarden DM für den Selbstwählfernnetzausbau aufgebracht werden. Der Sachaufwand für die Fernmeldeanlagen beträgt damit in den nächsten 5 Jahren über 25 Milliarden DM. Es liegt im Kundeninteresse, daß dies nicht ausschließlich aus Fremdmitteln finanziert wird, sondern zu angemessenen Teilen auch aus Gewinnen.
Angesichts dieser Sachlage ist die Oppositionsbehauptung von ungerechtfertigten Gebührenerhöhungen Polemik, und dies ist ein vierter Beweis dafür, daß der Antrag Propaganda ist.
Die letzte Gebührenerhöhung liegt vier Jahre zu-rück. Die letzten Gebührenerhöhungen — sie wur-
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Wuttkeden im Jahre 1974 durchgeführt — beruhten auf absolut seriösen Rechnungen mit den Basisdaten des Jahres 1973.Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie sollten Ihre altgedienten Verwaltungsratsmitglieder fragen, denn die hätten Bescheid gewußt. Aber Herr Dollinger macht Postpolitik seit Jahren auf eigene Rechnung.Ich fasse zusammen: Der vorliegende Antrag hat die übliche Qualität von Oppositionsanträgen in diesem Haus. Er enthält weder konkrete Vorschläge, welche einzelnen Gebühren in welchem Umfang gesenkt werden sollen, noch werden irgendwelche Deckungsvorschläge gemacht. Gleichzeitig hat die Opposition bei der Sonderablieferung von 1 Milliarde DM mitgezogen. Sie gibt also mit dem Antrag das gleiche Geld zweimal aus. Damit habe ich den fünften Beweis dafür angetreten, daß der Antrag der CDU/CSU nur Propaganda ist.Wir Sozialdemokraten werden das Gebührenthema im Ausschuß seriös und ernsthaft beraten. Der vorliegende Antrag ist dazu leider nicht hilfreich.
'Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Riedl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wuttke, daß Ihnen dieser Antrag nicht paßt, ist ja klar, weil er im Sinne von Millionen Bürgern in unserem Lande ist, die sich seit Jahren über die überhöhten Telefongebühren ärgern und die erwarten, daß dieses Parlament — wenn es schon der Postverwaltungsrat nicht tut — endlich handelt.Ich möchte einige wenige finanzwirtschaftliche und gebührenpolitische Argumente zur Begründung unseres Antrages nachschieben und darauf hinweisen, daß eine, ganz wesentliche Begründung von der Deutschen Bundespost durch ihre Bilanzen und ihre Gewinn- und Verlustrechnungen gegeben wird, aus denen offenkundig wird, wie sich die Gewinn- und Überschußentwicklung bei der Deutschen Bundespost darstellt.1976 hatte die Deutsche Bundespost 1,18 Milliarden DM Gewinn, 1977 — Herr Kollege Wuttke, jetzt hören Sie einmal genau her, damit Sie wissen, wie unzutreffend das ist, was Sie hier ausgeführt haben — waren es 1,98 Milliarden DM Gewinn, 1978 2,33 Milliarden DM Gewinn, und 1979 werden es 2,15 Milliarden DM Gewinn sein.Die Zahlen der Überschußentwicklung sind noch überzeugender. Überschuß ist die Summe aus Gewinn, Rücklagen, Rückstellungen und Ablieferungen an den Bund. -Hier lauten die. Ergebnisse wie folgt: 1976 4,1 Milliarden DM, 1977 5,8 Milliarden DM, 1978 6,5 Milliarden DM und 1979 werden es 7 Milliarden DM sein. Herr Kollege Wuttke, Sie haben gesagt, wir sollen die Dinge langfristig sehen. Hier haben Sie eine langfristige Gewinn- und Überschußbilanz.Angesichts dieser Zahlen kann. die Gebührenpolitik der Deutschen Bundespost nur falsch sein. Der Bundespostminister hat am 29. Januar 1979, also vor wenigen Tagen, wörtlich erklärt:Gebührenpolitik kann nicht im Hinblick auf kurzfristige Publikumswirksamkeit angelegt sein, sondern muß vorrangig mit dem Ziel betrieben werden, kostengerechte Gebühren zu erreichen. .Dem ist, Herr Minister Gscheidle, grundsätzlich und vollinhaltlich zuzustimmen, auch und selbstverständlich unter Anerkennung des Prinzips der Globalkostendeckung im Gesamtbereich des Post- und Fernmeldewesens. Nur, Herr Minister Gescheidle, frage ich Sie: Was verstehen Sie unter Kostengerechtigkeit im Sinne dieser Ihrer Aussage, wenn man allein in den letzten beiden Jahren 1977 und 1978 einen Überschuß von 12,3 Milliarden DM erzielt hat, obwohl darin schon berücksichtigt ist, daß die Telefongebühren zum 1. Juli 1978 partiell um rund 600 Millionen DM, auf das Halbjahr gerechnet, gesenkt worden sind? Was ist da kostengerecht, wenn die Reingewinne der Post in den Jahren 1933 bis 1979 6,5 Milliarden DM betragen? Herr Minister Gscheidle, da brauchen Sie sich doch nicht zu wundern, wenn Ihnen in einer Gemeinschaftsaktion von Bundeskabinett, Bundesfinanzminister, Deutschem Bundestag und Postverwaltungsrat dieses überzählige Geld in Form einer Sonderablieferung — heuer waren es 1,1 Milliarden DM — wieder abgenommen worden ist, und dazu noch zweckentfremdet! Im Strafrecht würde man sagen: Das ist Mundraub, was Ihnen da im Bundeskabinett passiert ist, als Sie mit vollen Taschen hineinkamen und der Herr Finanzminister Ihnen das Geld aus der Tasche genommen hat.
— Herr Kollege Löffler, wenn Sie über Landwirtschaft reden, habe ich manchmal den Eindruck, daß Sie etwas davon verstehen. Von der Post verstehen Sie ganz offensichtlich nur sehr wenig.
Das Ja zu dieser Sonderablieferung hier im Deutschen Bundestag von allen drei Parteien, Herr Kollege Löffler — so kurz kann doch Ihr Gedächtnis gar nicht sein —, sollte doch ganz offensichtlich eines deutlich machen: Wenn jetzt keine Gebührensenkungen erfolgen, dann stehen angesichts der enormen Schwierigkeiten des Bundes, die Nettokreditaufnahme in den nächsten Jahren unterhalb der Grenze zu halten, die von der Verfassung als Höchstgrenze festgesetzt worden ist, weitere Sonderablieferungen der Deutschen Bundespost an den Bund ins Haus.Dieser sozusagen makroökonomischen Betrachtung muß man zur Begründung unseres Antrags auch eine Betrachtung aus der unmittelbaren Sicht des Telephonbenutzers anfügen. Ich weiß nicht, Herr Minister Gscheidle, wann Sie das letzte Mal — mit dem Portemonnaie in der Hand — in einer Telefon-
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Dr. Riedl
zelle telefoniert haben. Da wird einem nämlich— anders als beim Telefonieren vom Diensttelefon aus — sehr rasch deutlich, wie teuer das Telefonieren in unserem Lande ist. Ein zehnminütiges Ferngespräch von München nach Nürnberg kostet tagsüber 11,50 DM. Wenn Sie mit einem VW von München nach. Nürnberg fahren — das sind, über den Daumen gepeilt, 165 Kilometer; Sie brauchen rund acht Liter auf 100 Kilometer, 88 Pfennig kostet der Liter Normalbenzin —, so würde das nach Adam Riese 11,61 DM kosten.
Dies nur zum Vergleich dafür, Herr Minister, wie teuer dieses Telefonat ist.
— Ach Gott, Herr Kollege, wenn Sie weniger laut reden würden, wäre das wahrscheinlich viel klüger. — Meine Damen und Herren, manchmal kommen— mir die Münzfernsprecher der Deutschen Bundespost — Herr Minister Gscheidle, vielleicht waren Sie schon einmal in Las Vegas — wie diese einarmigen „Banditen" vor, die in Las Vegas stehen,
nur mit dem Unterschied, daß der Betreiber dieser „Banditen" in Las Vegas die Mafia ist.
— Als Herr Stücklen noch Postminister war, da haben Sie den Deutschen Bundestag wegen einer Telefongebührenerhöhung von einem Pfennig aus den Ferien geholt.
Da waren Sie noch gar nicht im Bundestag, Herr Kollege; sonst würden Sie nämlich diesen Zwischenruf gar nicht machen.
— 11,50 DM.
— Da war es weitaus billiger. Da hatten wir ja auch noch anständige Zeiten.Regierung und Regierungskoalition versuchen in letzter Zeit, uns und den Bürgern weiszumachen, diese hohen Überschüsse im Fernmeldewesen seien notwendig, um den großen künftigen Aufgaben im Fernmeldewesen, insbesondere was die neuen Kommunikationstechniken angeht, gerecht zu werden. Wie sieht es damit, meine Damen und Herren, in Wirklichkeit aus? Wenn man sich die Investïtionstätigkeit der Deutschen Bundespost in den letzten Jahren daraufhin ansieht, so wird offensichtlich, daß die hohen Überschüsse nicht für den notwendigen und stärkeren Ausbau des Fernmeldenetzes verwendet worden sind. Dies wäre — das merken Sie am Sonntag, am Wochenende, wenn Sie telefonieren, ganz deutlich — um so dringender gewesen, als die Engpässe beim Telefonieren nicht nur an diesen Wochenendtagen immer offenkundiger werden. Zwar spricht die Regierungskoalition von hohen Zuwachsraten gegenüber dem Vorjahr, aber tatsächlich erreichen die Investitionen in Fernmeldeanlagen 1979 mit rund 5,4 Milliarden DM — ohne Eigenleistung — nominal erst das Niveau — jetzt komme ich wieder auf Sie, sie kluger Herr Kollege —
von 1971.Die Investitionen der Deutschen Bundespost waren also in den sogenannten schlechten Jahren der Post nominal höher als heute. So betrugen die Investitionen beispielsweise 1973 6,1 Milliarden DM und 1974 5,7 Milliarden DM. Wenn man in diesem Zusammenhang noch die Preissteigerungen berücksichtigt, dann dürfte es noch eine ganze Weile dauern, bis das reale Investitionsvolumen der ersten 70er Jahre wieder erreicht sein wird.
— Mit diesem Vergleich, Herr Kollege Ehmke, würde ich Ihnen Einblick in meine privaten Unterlagen geben.Lassen Sie mich abschließend noch folgendes sagen: Die Höhe der Telefongebühren hängt auch davon ab, wie und was die Deutsche Bundespost plant und investiert:
ob dies falsch oder richtig ist. Hier hat es in der jüngsten Zeit ein Beispiel gegeben, das uns alle erschreckt hat, nämlich die Abkehr von der EWS-Technik und das Hinwenden zur digitalen Fernsprechtechnik. Die ganze Post — und nicht nur die Post, sondern auch die Industrie, die Postbenutzer und die, die etwas davon verstehen — lacht doch über die grandiose Kehrtwendung, die Ihnen, Herr Minister, auf diesem elementaren Sektor unserer Fernmeldeplanung passiert ist Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie hier kurz ans Rednerpult kämen und einmal erzählten, wie Sie diese Milliarden-Fehlinvestitionen von einem Grundsatzsystem in das andere vor den Gebührenzahlern, vor den Fernsprechbenutzern verantworten wollen.Wir wollen mit diesem Antrag, der Ihnen überhaupt nicht paßt — das ist mir schon klar — unter anderem auch erreichen, daß wir, anders als Sie es machen, im zuständigen Ausschuß des Bundestages eine gründliche, seitens der Verwaltung hinsichtlich ihrer Finanzgestaltung offene und ehrliche Diskussion führen, damit wir noch in diesem Jahr zu einer spürbaren Senkung der Fernmeldegebühren, der Telefongebühren in der Bundesrepublik Deutschland kommen. Das ist die Absicht der CDU/CSU.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Riedl hat sehr darum gekämpft, hier und noch möglichst außerhalb der üblichen Reihenfolge sprechen zu können. Ich weiß,
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Hoffiedaß es nicht deshalb ist, Herr Kollege Riedl, weil Sie schneller zum Skatspielen wollen als ich. Aber manchmal ist es tatsächlich besser, eine Rede nicht zu halten, als eine solche abzuliefern, wie Sie sie hier gehalten haben.
Ich sage das angesichts der zahlreichen nun wirklich falschen Informationen, die Sie allein mit Zahlenbeispielen gegeben haben. Ich gehe davon aus, daß der Minister dazu einiges richtigstellen wird. Es ist sicher dringend notwendig, daß Sie danach auch Ihre privaten Unterlagen,
aus denen Sie gesaugt haben, in Ordnung bringen.Ich darf das unterstützen, was der Kollege Wuttke gesagt hat. In der Tat ist dem vorliegenden Antrag eine gewisse Publikumswirksamkeit natürlich insofern nicht abzusprechen, als der Verbraucher in der Regel wirtschaftliche Erleichterungen gleichsam reflexartig erst einmal positiv aufnimmt. Derartiger Beifall entbindet aber gerade die politisch Verantwortlichen keineswegs von der Verpflichtung, erst einmal sorgfältig zu überprüfen, ob der Antrag der Sache nach gerechfertigt ist, ob er in sich stimmig ist und auch seriös, bevor er gutgeheißen werden kann. Diese notwendige Fragestellung, Herr Kollege Riedl, geht allerdings nicht gerade zugunsten der Opposition aus. Die Vorschläge und Anregungen, die hier zur Senkung der Fernmeldegebühren gemacht werden, sind unrealistisch, sind in sich widersprüchlich und bedeuten die Gefährdung einer soliden Geschäftspolitik der Deutschen Bundespost auf mittlere Sicht.Erstens. Unrealistisch ist es, zum jetzigen Zeitpunkt eine Ausweitung der Nahzonen oder gar einen Verzicht auf einen Zeittakt in den Nahverkehrsbereichen zu verlangen. Die Planungen für die Nahzonen und die erforderlichen Umstellungsmaßnahmen sind, wie Sie wissen, so weit vorangeschritten, daß weder die generelle Ausweitung der Nahzonen noch ein genereller Verzicht auf den Zeittakt Gegenstand einer verünftigen Unternehmenspolitik sein können. Die FDP betrachtet die Grundsatzdiskussion über die Einführung der Nahbereiche als abgeschlossen und sieht überhaupt keinen Sinn, ein längst beschlossenes und ein auch von der Bevölkerung inzwischen allgemein akzeptiertes und weithin gewünschtes Konzept erneut zur Debatte zu stellen. Das Nahbereichskonzept der Bundespost hat zwischenzeitlich ja auch bei den Kommunalpolitikern der CDU/CSU breite Zustimmung gefunden. Das sollte sich auch bis zu Ihnen hier im Deutschen Bundestag durchgesprochen haben.
Deshalb wäre es ganz unsinnig, die bisherigen Planungen einer prinzipiellen Revision zu unterwerfen. Die Nahbereichsdebatte, die Sie durch Ihren Antrag — wenn auch durch die Hintertür — wieder einführen wollen, werden wir jedenfalls nicht führen.Jetzt geht es einzig und allein noch darum, die Beschlüsse von Postverwaltungsrat und Parlament zügig umzusetzen. Erst nach einem ausreichenden Erfahrungszeitraum mit dem neuen Nahbereichssystem ist möglicherweise Veranlassung gegeben, über weitergehende Verbesserungen und Entlastungen der Telefonkunden im Nahbereich an Hand aussagekräftiger Daten zu diskutieren und gegebenenfalls auch zu beschließen. Im Augenblick kommt es darauf an, die Feinabstimmung für die einzelnen Nahbereiche vorzunehmen.Ich will zweitens sagen, daß der Antrag der CDU/CSU in sich widersprüchlich ist, wenn einerseits der Verzicht auf den Zeittakt und andererseits ein Stufenplan ' für die Senkung der Gebühren im Fernverkehr verlangt wird. Die FDP .ist mit der Bundespost der Auffassung, daß die Gebührenstruktur im Fernmeldewesen der Aufwandsstruktur entsprechen muß. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Fernmeldebereich, zu dem sich die CDU/CSU in der Begründung ihres Antrags bekennt, wird in jedem Fall mißachtet, wenn durch Ablehnung des Zeittakts eine klare Zurechnung der zeitabhängigen Kosten unmöglich gemacht wird, und dies angesichts 'der Tatsache, daß die zeitabhängigen Kosten im Fernmeldewesen fortwährend steigen, während die entfernungsabhängigen Kosten ständig an Bedeutung verlieren.Die Forderung der CDU/CSU, eine Senkung der Telefongebühren im Fernverkehr vorzunehmen Sie haben ja ein hübsches Beispiel dafür hier versucht, Herr Kollege Riedl —, erhält erst dann ihre betriebswirtschaftliche Logik, wenn sich die Opposition auch ausdrücklich zum Zeittakt bekennt. Das hat sie bisher — auch heute wieder — nicht getan.
Daraus kann nur geschlossen werden, daß es der CDU/CSU nicht in. erster Linie um eine ausgewogene betriebswirtschaftlich und unternehmenspolitisch fundierte Gebührenstruktur geht; sie spekuliert vielmehr auf den Beifall der Nichtinformierten, anstatt sie über die sachlichen Zusammenhänge zu unterrichten.
Ich will drittens sagen, daß der Antrag der CDU/ CSU eine Gefahr für die Geschäftspolitik der Deutschen Bundespost auf mittlere Sicht bedeutet, wenn ein Stufenplan zur Senkung der Telefongebühren verlangt wird. Man muß sich doch fragen, was die Marktwirtschaftler in der CDU/CSU zu einer solchen Forderung sagen. Mit demselben Recht kann man doch von der Deutschen Bundesbahn oder z. B. von Unternehmen der Automobilindustrie verlangen, daß sie ebenfalls mehrjährige Stufenpläne für die Erhöhung oder auch Senkung ihrer Tarife oder Preise vorlegen.
Die Tatsache, daß die Bundespost, wenn man von den Nebenstellenanlagen absieht, im Fernmeldebereich über ein Angebotsmonopol verfügt, rechtfertigt noch keineswegs die Annahme, sie bleibe von der Entwicklung der Marktsituation unberührt. Gerade ihre Monopolstellung im Fernmeldewesen verpflichtet sie, sehr sorgfältig mit ihrer Gebührenpolitik auf Nachfrageänderungen zu reagieren. Ein
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HoffieStufenplan ist gerade das Gegenteil einer solchen gutdosierten Gebührenpolitik.Meine Damen und Herren, gerade die letzte Bemerkung unterstreicht die .Notwendigkeit, über' das Gebührenniveau und die Gebührenstruktur sehr sorgfältig nachzudenken. Aber leider liefert der CDU/CSU-Antrag für solche Überlegungen keine brauchbaren Hinweise. Ich bin aber sicher, daß die Bundesregierung und die Koalitionfraktionenin der derzeitigen Lage der Deutschen Bundespost auf Hinweise der Opposition auch gar nicht unbedingt angewiesen sind.Notwendige und eindeutige Entscheidungen, die die FDP schon in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 13 andeutete, werden rechtzeitig ohne vordergründige Effekthascherei in den berufenen Organen, insbesondere im Postverwaltungsrat, getroffen werden.
Nach Auffassung der Freien Demokraten sollte in diese Entscheidung auch eine sehr detaillierte Überprüfung der derzeitigen Gebührenvorschriften mit dem Ziel der Vereinfachung und der Flurbereinigung einbezogen werden.Der Fernmeldegebührenkatalog enthält, wie viele wissen, eine Vielzahl von Bagatellgebühren, die natürlich insgesamt einen beträchtlichen Verwaltungsaufwand verursachen und häufig für den Fernmeldekunden ein Ärgernis bilden. Ich möchte dafür als Beispiele nur nennen: Gebühren für Fernsprechapparate mit zwei Leitungen, eingebaute Gebührenanzeiger, Anschlußdosen und Wechselschalter oder Wecker. Diese Gebühren sind teilweise erheblich überhöht, verursachen unnötigen Verwaltungsaufwand, drosseln die Nachfrage und könnten tatsächlich durch einmalige Kosten bei der Einrichtung abgelöst werden.Ich meine, eine solche Flurbereinigung kann Grundentscheidungen in der allgemeinen Gebührenpolitik sicher nicht ersetzen. Sie kann auch nur eine Seite der Medaille sein, denn die weitaus entscheidenderen Fragen werden sich bei der konkreten Ausgestaltung der Gebührenpolitik im Fernmeldebereich stellen, beim Preis für die Gebühreneinheit, bei der Anschluß- und Grundgebühr oder bei der Einräumung einer bestimmten monatlichen Anzahl freier Gesprächseinheiten pro Anschluß. Hier geht es an das Eingemachte, hier beginnt dann das eigentliche Millionenspiel, ein Milliardenspiel sogar, wenn man weiß, daß allein die Senkung der Gesprächsgebühreneinheit von derzeit 23 auf 20 Pfennige einen Gebührenausfall von -gut 2 Milliarden DM bedeuten würde, wenn man weiß, daß 20 freie Gebühreneinheiten im Monat pro •Hauptanschluß einen Einnahmeausfall von etwa 1 Milliarde DM oder daß jede Senkung der monatlichen Grundgebühr um nur 1 DM eine Mindereinnahme von etwa 220 Millionen DM bedeutet,Sehr vorsichtige Prognosen für die Jahre 1980/81 lassen einen Gewinn der Bundespost in Höhe von 3 Milliarden DM nicht unwahrscheinlich erscheinen. Aber gerade angesichts dessen relativieren sich ja die erwähnten Entlastungsmöglichkeiten. Auch wenn die richtigen Proportionen dadurch wiederhergestellt werden, bleibt außer Frage, daß einesolche satte Ertragslage aus verfassungsrechtlicher, gemein- und betriebswirtschaftlicher Sicht Entlastungen im Fernmeldebereich unausweichlich machen würde. Da aber die Gewinnprognosen von einem Anhalten der Fernmeldesonderkonjunktur abhängig sind, werden nach unserer Auffassung Entlastungsmaßnahmen für die Postkunden erst dann geboten und vertretbar sein, wenn die unsicheren Prognosen durch den tatsächlichen Verlauf hinreichend bestätigt werden. Von daher ist die ungestüme Hektik auf dem ungeschützten Glacis seitens der Opposition in den Augen der Freien Demokraten zumindest fahrlässig.
Zum gegebenen Zeitpunkt würde die FDP darauf dringen, daß zum Abbau höherer Überschüsse eine angemessene Gebührenminderung vorgenommen wird. Dabei schiene uns bei einer weiteren Fortdauer der Rekordnachfrage nach Neuanschlüssen Ermäßigungen der einmaligen Anschluß- oder monatlichen Grundgebühr kontraproduktiv zu sein. Zur Verstärkung der sozialen Komponente hat die Gewährung einer gewissen Anzahl freier Gebühreneinheiten als erster Schritt für die FDP eine hohe Attraktivität, zumal dieses Angebot in einigen anderen Ländern mit Erfolg und zur Zufriedenheit der Kunden praktiziert wird.Die FDP würde es begrüßen, wenn wir mit Ihnen von der Opposition zur gegebenen Zeit über ausgewogene Maßnahmen zur- Gebührensenkung in Verbindung treten könnten, Sie dann aber nicht auf der Leitung stünden und Ihr Anschluß besetzt wäre. Ich wäre sehr froh, wenn wir bereits bei den Ausschußberatungen zu einem solchen Verhalten der Opposition kommen könnten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, mit mir hatten einige andere auch noch die Hoffnung, daß wir das in einer Runde debattieren können. Herr Riedl hat uns doppelt überrascht: erstens dadurch, daß zwei Redner angekündigt wurden, wodurch sich zweitens die Sache verlängert; denn ganz ohne Antwort kann das ja nicht bleiben.Nun waren Sie so gut aufgelegt, Herr Dr. Riedl, daß Sie sicherlich Verständnis haben, wenn ich ebenfalls versuche, die Sache etwas lustig darzulegen. Vorher habe ich mich hinsichtlich Ihrer Qualifikation vergewissert; denn Sie sprachen recht überzeugend über die Zahlen. Das Handbuch sagt immerhin: acht Semester Betriebswirtschaft. Nur, Herr Riedl, dann dürften Sie bezüglich der Zahlen allerdings nicht das machen, was Sie gemacht haben, nämlich eine umsatzabhängige Ablieferung einfach zum Überschuß hinzuzuzählen. Wie kommen Sie denn auf die Idee? Nirgends gibt es doch so etwas, daß. jemand solch eine Rechnung aufmacht.
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Bundesminister GscheidleSie müssen einmal sagen, wie Sie das machen. Wenn Sie den Gewinn — ich akzeptiere das — zur Rückstellung zählen, dann sind alle Zahlen falsch, die Sie vorgetragen haben.
— Nein, er hat gesagt: wenn ich von den .Überschüssen der Bundespost ausgehe, muß ich Gewinn, Rückstellung und Ablieferung zusammenzählen.
— Ja, ich weiß.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riedl? .
Ja.
Herr Minister, damit es 'keine Meinungsverschiedenheiten gibt: Ich habe zuerst die in Ihren Bilanzen aufgestellten Gewinne genannt und dann gesagt: Die Zahlen der Überschußentwicklung sind noch überzeugender. Überschuß ist die Summe aus Gewinn, Rücklagen, Rückstellungen und Ablieferungen. Ich hätte natürlich — das war aus zeitlichen Gründen nicht möglich — die einzelnen Posten für diese vier. Positionen nennen können.
Ich bedanke mich, daß Sie mir diese Feststellung — nicht in Frageform — erlaubt haben.
Herr Dr. Riedl, nachdem Sie dies präzisiert haben, nochmals: Ich habe nichts anderes gesagt als: Die Einbeziehung einer umsatzabhängigen Ablieferung in die Überschüsse ist nicht korrekt. Da kann es gar keinen Zweifel geben.
Sie können die Rechnung machen und sagen: Ich nehme 'das mit rein, um die Ertragskraft dieses Unternehmens irgendwie zu quantifizieren. Unter dem Begriff des Überschusses können Sie es nicht machen.
— Ach! Also, wir können die Sache bestimmt irgendwann austragen. Im übrigen ist das Nachschlagen in irgendeinem Lehrbuch der Betriebswirtschaft
schont ausreichend, um den Streit hier zu beenden.
Herr Dr. Riedl, Sie haben die Frage gestellt: Welche Zahlen sind denn falsch? Und da muß ich sagen: Die Betrachtung, die Sie hier anstellen, ist völlig falsch. Das wird im übrigen am deutlichsten an der Stelle, wo Sie sagen: Wenn ich die Gewinnerwartung der Bundespost — da haben Sie diesen Begriff verwendet — berücksichtige, dann komme ich auf — ich weiß nicht so genau — 12 Komma soundsoviel. Na, wenn Sie das richtig machen, dann sind das eben etwas über 7 Milliarden DM, und das ist ein Riesenunterschied.
Und dann setzt sich der ganze Irrtum fort. Sehen Sie, Sie stellen dar: Es gab bei der Bundespost schon Jahre, in denen sie mehr investiert hat, als sie zur Zeit investiert. Das ist richtig. Aber sehen. Sie, zum Wissen über das Fernmeldewesen gehört auch: Wenn Sie Nettozuwächse von, wie wir sie zur Zeit haben, 1,6 Millionen im Jahr organisieren wollen, dann müssen Sie, um dies im Jahr X zu erreichen, zwei, drei Jahre vorher sehr viel an Kabeln investieren, um dies realisieren zu können: Diesen Vorlauf müssen Sie halt organisieren. Dies hätte Ihnen nun allerdings jeder Kollege gern vorher erklärt.
Überhaupt ist natürlich, politisch gesehen, die Frage interessant, wie es um Ihre Aktivitäten in diesem Bundestag steht. Dieser Bundestag hat gemeinsam beschlossen, daß es hinsichtlich der Leitung dieses Unternehmens Bundespost einen Verwaltungsrat gibt — mit Zuständigkeiten, mit einer bestimmten Zusammmensetzung der Sitze und Vertreter. Es gibt doch nur zwei Erklärungen, entweder Sie denken, Sie sind dort nicht richtig vertreten. Das würde mich wundern. Sie sind dort nämlich sehr gut vertreten, wenn ich das bei dieser Gelegenheit sagen darf: Oder Sie haben eine Arbeitsteilung, Sie sagen: Im Verwaltungsrat machen wir eine sehr sachbezogene, gute Arbeit, und das, was dann noch an Polemik zu erledigen ist, machen wir im Deutschen Bundestag.
Das mag ja sein. Nur, das gibt nicht viel.
Nehmen Sie mal Ihr Beispiel mit dein Münzfernsprecher. Herr Riedl, ich will das lustig machen. Sie sagen: Wenn ich von München nach Augsburg telefoniere — dann kostet das 11,50 DM. — Ich kenne die Zahl nicht mehr so ganz genau.
Es war Nürnberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Nürnberg; das sind ja die 165 km. Richtig! Es kommen also ungefähr 11,50 DM heraus. Fahre ich mit meinem Volkswagen, dann brauche ich soundso viele Liter Benzin, und die kosten ebenfalls 11,50 DM. Herr Riedl, was wollen Sie denn mit Ihrem Volkswagen in Nürnberg, wenn Sie telefonieren?
Sie können doch nicht vergleichen: ich telefoniere von München nach Nürnberg, und: ich fahre mit dem Volkswagen hin. Wenn Sie mit dem VW hinfahren, müssen Sie doch auch zurückfahren. Da müssen Sie doch schon die 11,50 DM dafür dazurechnen.
Ich zeige Ihnen einen zweiten katastrophalen Irrtum. Sie rechnen Ihren Volkswagen mit dem Ben-
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Bundesminister Gscheidlezinpreis. Vielleicht lesen Sie bei Gelegenheit mal in einer Betriebskostentabelle nach, mit wieviel Sie rechnen müssen, damit Sie zu. einer Kostendeckung kommen. Das sind 35 — —
— Ja, das hat Ihnen so gepaßt. Ich sage Ihnen nur, wie Sie richtig hätten rechnen müssen. Als Betriebswirt müssen Sie — —
— Es geht doch um die Zulässigkeit des Vergleichs. Und wenn Sie dann schon so rechnen, dann müssen Sie auch sagen: Man kann auch zu den NachttarifenI und II telefonieren. Dann geht es herunter: über 5,80 DM auf 2,05 DM. So ist das mit den Rechnungen, die Sie aufstellen.
Sie haben noch eine Bemerkung über das elektronische Wählsystem und über Analog- und Digitaltechnik gemacht. Es fehlt nicht daran, daß wir das gern allen Leuten erläutern. Aber für heute und hier ist folgendes wichtig.Erstens. Ihre Annahme, wir hätten in die Sache Geld gesteckt, ist schon falsch. Da Sie Abgeordneter von München sind, hätten Sie mindestens alle Presseverlautbarungen der Firma Siemens in den letzten Wochen lesen können. Die Firma Siemens hat auf eigenes Risiko — so ist das, und so bleibt das — ein System entwickelt, bei dem sich herausgestellt hat, daß durch bestimmte technologische Entwicklungen — um das nicht zu kompliziert zu machen — eine andere, modernere Technik schneller zu erhalten ist. Da wir nicht gerne auf Ladenhütern sitzenbleiben, haben wir uns als Post entschieden, die neuere Technik zu bestellen.Weil dies so ist, möchte ich gleich noch eine abschließende Bemerkung zur „Innovationsfeindlichkeit" der Bundespost anschließen, die uns vorgeworfen wird. Es ist schade, daß Herr Professor Biedenkopf nicht hier ist; denn er hat Ausführungen über staatliche Wirtschaftspolitik und staatliches Monopolverhalten gemacht. Im Augenblick ist in der Tat eine nicht uninteressante öffentliche Debatte gegen die Bundespost im Gang. Da kann ich die Herren Abgeordneten nur bitten: Lassen Sie uns einmal die Möglichkeit, Ihnen darzustellen, um was es bei dieser Auseinandersetzung eigentlich geht! Herr Dr. Riedl, es geht dabei nicht um das Wohl des Fernsprechkunden, sondern es geht darum, Geschäfte auf Gebieten zu machen, die erfolgversprechend und gewinnträchtig sind, und die Bundespost aus ihrer Marktposition herauszubringen.
Es wäre sehr viel ehrlicher, wenn diejenigen, die diese öffentliche Diskussion führen, dies auch sag- ten; denn es gibt in unserem Fernsprechnetz für den Fernsprechkunden über 1 000 Dinge, die er kaufen kann. Ich frage mich, warum die Leute, die der Bevölkerung einreden wollen, daß die Post hier nicht auf ihrer Seite steht, nicht den entsprechenden Nachweis führen.
— Herr Dr. Riedl, dies ist mein letzter Satz. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich Ihre Zwischenfrage nicht zulasse; sonst tue ich das immer. Ich werde meinen Beitrag gleich abschließen; wir haben ohne hin schon kurz vor 22 Uhr.Ich frage mich also, warum diese Leute nicht sagen, daß sie zunächst beweisen müssen, daß das die anderen nicht stört. Dann bekommen sie auch eine Zulassung. Wenn Sie von jemandem angesprochen werden, daß er mit uns Schwierigkeiten hätte, so stellen Sie ihm immer die Frage, ob er einen Antrag für etwas gestellt hat, was in diesem Fernsprechnetz für den Kunden hinsichtlich Preis und Leistung sinnvoll ist, und ob er uns das zur Prüfung zugeleitet hat!
Wenn man nur nachsieht, was es in Amerika gibt und nachprüft, ob das hier ein Geschäft sein kann, so wird dadurch nicht die Frage beantwortet, ob das in unserem Fernsprechnetz funktioniert.Ich hätte Ihnen meine Redezeit im Hinblick auf die anstehenden Probleme nicht auch noch zugemutet, wenn nicht noch einige Fragen bei einigen unbeantwortet geblieben wären, die auf das Thema nicht vorbereitet sind. Sonst hätte das den Eindruck hinterlassen können, als ob jemand etwas Richtiges gesagt hätte.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Antrags auf Drucksache 8/2311 an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — federführend — sowie an den Haushaltsausschuß — mitberatend — vor. — Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 bis 12 auf:8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung
— Drucksache 8/2516 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke
— Drucksache 8/2517 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften
— Drucksache 8/2518 —
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979 11011
Vizepräsident StücklenÜberweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß11. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes— Drucksache 8/2480 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Schiffsregisterordnung— Drucksache 8/2515 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und FernmeldewesenDas Wort dazu wird nicht gewünscht.Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats finden Sie auf der Tagesordnung. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rungRahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1977 bis 1980Sonderrahmenplan 1977 bis 1980Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1978 bis 1981Sonderrahmenplan 1977 bis 1980— Drucksachen 8/488, 8/1780, 8/2523 — Berichterstatter: Abgeordneter BayhaDer Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Auch sonst liegen keine Wortmeldungen vor.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2523, die Drucksachen 8/488 und 8/1780 zur Kenntnis zu nehmen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kap. 6004 Tit. 671 02 — Erstattung von Kredit- und Verwaltungskosten und Ausfällen an die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Zusammenhang mit der Bildung eines Fonds für Direktinvestitionen und dem Erwerb von Auslandsforderungen auf Grund des deutsch-amerikanischen Devisenausgleichsabkommens vom 8./19. August 1969— Drucksachen 8/2255, 8/2524 — Berichterstatter: Abgeordneter LöfflerWünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Auch weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/2524, die Unterrichtung durch den Bundesminister der Finanzen entsprechend der Vorlage in der Drucksache 8/2255 zur Kenntnis zu nehmen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates über die Kontrolle der Entwicklung des Weinbaupotentials und zur Änderung insbesondere der Verordnung (EWG) Nr. 816/70Vorschlag einer Verordnung des Rates mit ergänzenden Bestimmungen für die Gewährung von Prämien zur Umstellung und endgültigen Aufgabe der RebkulturVorschlag einer Richtlinie des Rates über das Programm zur Beschleunigung der Umstellung bestimmter Rebflächen in dem Gebiet der CharentesVorschlag einer Verordnung des Rates über die Umstrukturierung der Rebflächen im Rahmen kollektiver Maßnahmen— Drucksachen 8/2238 Nr. 22, 8/2533 - Berichterstatter: Abgeordneter Schartz
Der Herr Berichterstatter wünscht nicht das Wort; auch sonst wird nicht das Wort gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/2533 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? - Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs
— Drucksache 8/2536 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für WirtschaftDas Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Wirtschaft vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:Erste Beratung des ,von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher und mietpreisrechtlicher Vorschriften im Land Berlin— Drucksache 8/2544 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
RechtsausschußAusschuß für innerdeutsche Beziehungen
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11012 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 138. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Februar 1979
Vizepräsident StücklenDas Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — federführend — sowie zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:Beratung der Sammelübersicht 40 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/2549 —Das Wort wird nicht gewünscht. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/2549, die in der Sammelübersicht 40 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine. Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist damit einstimmig angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 und 20 auf:19. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der aufhebbaren Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 8/2446, 8/2541 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ahrens20. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der aufhebbaren Neunundsechzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtsdiaftsgesetz —Siebenunddreißigsten Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung- Drucksachen 8/2438, 8/2447, 8/ 2542 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. AhrensEs handelt sich hierbei um Berichte des Wirtschaftsausschusses, - von denen das Haus lediglich Kenntnis zu nehmen braucht, sofern nicht Anträge aus der Mitte des Hauses vorliegen. Anträge liegen nicht vor. Ich stelle fest, daß das Haus von den Berichten auf den Drucksachen 8/2541 und 8/2542 Kenntnis genommen hat.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 und 22 auf:21. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenBundeseigenes Gelände in Hannover-Buchholz, Buchholzer Straße; Veräußerung einer Teilfläche an die PRAKLA-SEISMOS GmbH, Hannover— Drucksachen 8/2188, 8/2550 —Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker22. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der FinanzenBundeseigene Liegenschaft in Karlsruhe, Erbprinzenstraße 17/Blumenstraße 2 a;hier: Veräußerung an das Land Baden-Württemberg— Drucksachen 8/2443, 8/2551 —Berichterstatter: Abgeordneter GrobeckerDas Wort wird nicht gewünscht. Ist. das Haus damit einverstanden, daß wir über beide Vorlagen gemeinsam abstimmen? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann wird so verfahren.Wer den Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 8/2550 und 8/2551 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine. Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 und 24 auf:23. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenEinwilligung in überplanmäßige Haushaltsausgaben bei Kap. 11 12 — Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und gleichartige Leistungen — Drucksachen 8/2322, 8/2552 —Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein24. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den - Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1978 bei Kap. 14 12 Tit. 698 02 — Entschädigungen auf Grund des Fluglärmgesetzes —— Drucksachen 8/2341, 8/2553 — Berichterstatter: Abgeordneter StöcklDas Wort wird nicht gewünscht. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir über beide Vorlagen gemeinsam abstimmen? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Wer den Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 8/2552 und 8/2553 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine. Es ist einstimmig so beschlossen.Bevor ich die Sitzung schließe, muß ich leider noch folgendes feststellen. Auf Grund der Vorlage des Stenographischen Berichts muß ich Herrn Abgeordneten Wehner für den Zuruf „Das ist ein Flegel!" einen Ordnungsruf erteilen.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 16. Februar 1979, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.