Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf dem Hohen Hause zunächst mitteilen, daß unser Kollege Dr. Jaeger heute seinen 65. Geburtstag feiert.
Ich spreche Ihnen, Herr Kollege Jaeger, die herzlichen Glückwünsche des ganzen Hauses aus.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung — so darf ich weiter mitteilen — soll Punkt 4 der Tagesordnung — zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes - abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf: Eidesleistung
des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
des Bundesministers für Forschung und Technologie
des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 16. Februar 1978 mitgeteilt, daß er auf Vorschlag des Herr Bundeskanzlers den Bundesminister der Verteidigung, Herrn Georg Leber, den Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Herrn Karl Ravens, den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herrn Helmut Rohde, und den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Frau Marie Schlei, aus dem Amt entlassen hat. Gleichzeitig hat er Herrn Bundesminister Dr. Hans Apel zum Bundesminister der Verteidigung, Herrn Bundesminister Hans Matthöfer zum Bundesminister der Finanzen, Herrn Dr. Dieter Haack zum Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Herrn Dr. Volker Hauff zum Bundesminister für Forschung und Technologie, Herrn Dr. Jürgen Schmude zum Bundesminister für
Bildung und Wissenschaft und Herrn Rainer Offergeld zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ernannt.
Nach Art. 64 des Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgeschriebenen Eid.
Ich bitte die neu ernannten Herren Bundesminister Dr. Haack, Dr. Hauff, Dr. Schmude und Offergeld nacheinander zu mir zur Eidesleistung heranzutreten. Ich werde den Eid vorsprechen und bitte die Herren Bundesminister, ihn mit den Worten „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" oder „Ich schwöre es" zu bekräftigen.
Der Eid lautet:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Ich rufe Herrn Bundesminister Dr. Haack auf und frage Sie, Herr Bundesminister Dr. Haack, Sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann leisten Sie bitte den Eid.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Ihnen, beglückwünsche Sie und wünsche Ihnen alles Gute für Ihr Amt.
Sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja.
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5648 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann leisten Sie bitten den Eid.
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beglückwünsche Sie und wünsche Ihnen alles Gute für ihre Aufgabe.
Sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann leisten Sie bitte den Eid.
Ich schwöre es.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beglückwünsche Sie und wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Aufgabe.
Sind Sie Bereit, den Eid zu leisten?
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann leisten Sie bitte den Eid.
Ich schwöre es, so wahr mit Gott helfe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beglückwünsche Sie und wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Aufgabe.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß die neuernannten Bundesminister den im Grundgesetz für die Übernahme ihres Amtes vorgeschriebenen Eid vor dem Deutschen Bundestag geleistet haben. Ich spreche ihnen die aufrichtigen Wünsche des ganzen Hauses für ihre Arbeit aus.Diesen Wünschen an die neuernannten Bundesminister füge ich den Dank des Hauses an die ausgeschiedenen Bundesminister an.
Meine Damen und Herren, bevor ich Punkt 3 unserer Tagesordnung aufrufe, möchte ich noch einmal auf die letzte Sitzungswoche zurückkommen, in der wir den Haushalt beraten haben. Die Debatten dieser Woche zeichneten sich zeitweise durch sehr große Schärfe aus. Eine Durchsicht der Protokolle hat ergeben, daß auf beiden Seiten des Hauses zahlreiche unparlamentarische Äußerungen gefallen sind, die nicht alle gerügt wurden. Ich möchte davon absehen, die einzelnen Fälle nachträglich namentlich zu nennen.Was die sitzungsleitende Funktion des Präsidenten anlangt, so wie ich sie sehe, so kann ich nur das wiederholen, was ich schon bei früheren Gelegenheiten gesagt habe: Es kann nicht die Aufgabe des Präsidenten sein, zu dem Inhalt der hier gehaltenen Reden Stellung zu nehmen und zu prüfen, ob die Ausführungen des Redners richtig oder falsch sind. Das würde unvermeidlich zu einer subjektiven Bewertung durch den Präsidenten führen und die Freiheit der Rede im Bundestag beeinträchtigen. Der Präsident kann und soll mit sitzungsleitenden Maßnahmen eingreifen, wenn die Würde des Bundestages beeinträchtigt oder die Ordnung im Hause — etwa durch formale Beleidigungen oder in anderer Weise — gestört wird.Ich möchte aber diese Gelegenheit benutzen, um das Haus eindringlich zu bitten, sich bei aller notwendigen Deutlichkeit und Härte der Auseinandersetzung in der Sache größere Zurückhaltung in der Sprache aufzuerlegen. Die Schärfe der Sprache, auch wenn sie nicht ordnungswidrig ist, führt zu einer unnötigen Emotionalisierung. Sie verleiht dem, was der Redner sagen will, einen zusätzlichen und verletzenden Nachdruck.Eine übermäßige Heftigkeit der Debatten schadet dem Ansehen des Deutschen Bundestages bei den Bürgern im Lande und — das darf ich hinzufügen — auch bei den Deutschen im anderen Teil Deutschlands, von denen wir wissen, daß viele unseren Debatten folgen. Der Deutsche Bundestag sollte sich bemühen, nach außen ein solches Bild zu bieten, daß diejenigen, die seine Debatten mithören, ihm mit Achtung begegnen können.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung— aus Drucksachen 8/322, 8/976, 8/996 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/1516 —Berichterstatter:Abgeordneter Westphalbb) Erste Beschlußempfehlung und Erster Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/1482 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Weber
Abgeordneter Hartmann Abgeordneter Dr. Wittmann
b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5649
Präsident CarstensÄnderung der Strafprozeßordnung und des Strafvollzugsgesetzes— Drucksache 8/1283 —Beschlußempfehlung und ,Bericht desRechtsausschusses
— Drucksache 8/1482 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Weber Abgeordneter HartmannAbgeordneter Dr. Wittmann (Erste Beratung 61. Sitzung)Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Eyrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute nicht das erste Mal, daß der Deutsche Bundestag über die Bekämpfung des Terrorismus diskutiert. Er diskutiert aber heute zum erstenmal nach den schrecklichen Anschlägen auf den Generalbundesanwalt, auf Jürgen Ponto und auf Hanns Martin Schleyer sowie dessen Begleiter darüber, was wir nach langen Reden endlich in die Tat umzusetzen bereit sind. Jetzt ist, wenn ich es mit einem etwas abgeschmackten Schlagwort sagen darf, die Stunde der Wahrheit gekommen. Hic Rhodos, hic salta, möchte man gerne sagen. Nichts anderes, als die Konsequenzen aus den schrecklichen Ereignissen zu ziehen, ist heute die Aufgabe dieses Parlaments.
Wenn wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, dürfen wir nicht vergessen, was in den vergangenen Debatten von uns allen als Bekenntnis abgelegt worden ist. Uns allen ist noch die eindrucksvolle Debatte vom 28. Oktober 1977 in Erinnerung, in der die Sprecher der Fraktionen zu den Ereignissen Stellung genommen haben. Uns allen ist noch in Erinnerung, Herr Justizminister Vogel, daß Sie damals gesagt haben, es handle sich hier um eine neue Situation, die es nicht erlaube, so fortzufahren, als sei nichts geschehen. Der Bundesjustizminister hat damals mit unserer Zustimmung ausgeführt, daß die Größe der Gefahr, das Potential des Terrors ohne Übertreibung, aber auch ohne Verharmlosung darzustellen und zu analysieren seien. Er hat mit unserer Zustimmung festgestellt, daß wir es mit einem erheblichen kriminellen Potential zu tun hätten. Wir waren uns in der damaligen Debatte einig: der Terrorismus ist nicht nur ein schreckliches Verbrechen gegen einzelne wehrlose Menschen, sondern er ist, wie damals unser Kollege Dregger ausgeführt hat, ein organisierter Angriff gegen unseren Staat. Es bestand und besteht, so hoffe ich, Übereinstimmung darüber: Die menschenverachtenden, die Würde des Menschen mit Füßen tretenden, unseren Staat mit allen zur Verfügung stehenden verbrecherischen Mitteln bekämpfenden Terroristen scheuen vor nichts, aber auch gar nichts zurück. Die Brutalität ihres Vorgehens führt uns nichts anders deutlicher vor Augen als das schreckliche Bild jener ermorde-ten Begleiter von Hanns Martin Schleyer. Niemand wird dieses Bild vergessen können.In den letzten Tagen ist in unser Bewußtsein gedrungen, daß der Terrorismus eine neue Variante bekommen hat. In Frankfurt ist die Wohnung eines Straßenbahnführers nicht verschont geblieben. In Frankfurt ist das Auto eines anderen Straßenbahnführers gesprengt worden. Dies geschah nur deshalb, weil beide bereit waren, Straßenbahnzüge zu fahren, um deren Tarife gestritten wird. Die Verantwortung übernehmen wie üblich revolutionäre Zellen, nicht ohne mit Sarkasmus darauf hinzuweisen, man rücke jetzt auch dem kleinen Mann, wie sie sich auszudrücken pflegen, etwas näher auf den Pelz.Angesichts dieser Erscheinungsformen des Terrorismus sollten wir aber auch nicht vergessen, was in jener Sitzung am 28. Oktober über Solidarität, Staatsverständnis, Opferbereitschaft und andere Werte gesagt worden ist. Ich nehme das auf, was der Justizminister damals in der Debatte gesagt hat, und bekenne mich heute noch dazu. Er sagte damals, in der Größe der Gefahr, in der Erfahrung gemeinsamer Bedrohung liege auch eine Chance. Er führte damals wörtlich aus:Wir spüren ein Zusammenrücken in unserem Volke, ein Schrumpfen von Gegensätzen, die zwar fortbestehen und auch fortbestehen müssen, aber in ihrer Bedeutung realistischer gesehen werden.Wie hatten Sie damals gesagt, Herr Bundesminister:Die Zusammenarbeit aller politisch verantwortlichen Kräfte in der großen Runde hat insoweit nur nachvollzogen, was draußen in unserem Volke schon geschehen ist und was die Menschen unseres Volkes von uns erwarten, übrigens auch in Zukunft erwarten, ja geradezu verlangen.Meine Fraktion und ich bekennen uns zu diesen Forderungen. Wir bekennen uns auch zu den Folgerungen, die Sie, Herr Justizminister, damals gezogen haben. Dieser Staat muß Opfer verlangen und von der ihm anvertrauten Gewalt Gebrauch machen.Es sei mir in diesem Zusammenhang erspart, auf Bekundungen des Herrn Bundeskanzlers im einzelnen einzugehen. Aber eines müssen wir, Herr Bundeskanzler, ganz nüchtern feststellen: Wenn sich de Führungskraft und Überzeugungsfähigkeit des Bundeskanzlers in dem heute uns vorliegenden Ergebnis Ihrer Beratungen in der Koalition spiegeln, dann, Herr Bundeskanzler, reicht das bei weitem nicht aus, dem Anspruch zu genügen,
den das hohe Amt an Sie als Bundeskanzler stellt.Welch ein Unterschied — ich möchte sagen: es sind fast zwei Welten — zwischen dem, was noch vor Wochen gelobt wurde, und dem, was wir heute präsentiert erhalten. Wenn es wahr ist, daß der Staat in den Zeiten der gemeinsamen Bewährung an Autorität und Zuneigung gewonnen hat, dann steht zu befürchten, daß er heute wieder verliert.
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5650 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. EyrichDie eigentliche Bedeutung Ihres Beratungsergebnisses besteht nicht darin, wie wenig es geeignet ist, wirksam den Terrorismus zu bekämpfen. Es wird vielmehr abzumessen sein an der Enttäuschung und Verbitterung unzähliger Menschen, die bei neuen Anschlägen wieder zusehen müssen, daß wir noch nicht einmal das notwendige gesetzliche Handwerkszeug geliefert haben, um die Menschen in unserem Staat so wirksam wie möglich zu schützen.
Und nichts ist gefährlicher als die Resignation, das Gefühl der Ohnmacht, ja — sagen wir es ruhig — das Gefühl, daß der Staat, daß das Parlament nicht mehr in der Lage sind, wirksame Gesetze zu erlassen.Unterschätzen Sie von der Koalition den Bürger nicht, in dessen Namen wir hier Gesetze zu machen haben. Der Bürger hat sich das Gefühl dafür bewahrt, daß im Interesse der Sicherheit der Menschen in unserem Staat auch Opfer von ihm verlangt werden können, Opfer, die in keinem Verhältnis zu dem stehen, was die Angehörigen der Ermordeten auf sich nehmen mußten. Ich sage es noch einmal: Unterschätzen Sie die Opferbereitschaft der Bevölkerung nicht, die es geradezu empörend finden muß, daß wir uns heute gerade darüber unterhalten, ob mit einem Durchsuchungsbefehl ein Haus mit einem oder zwei Eingängen durchsucht werden darf.
Das ist weder dem Anlaß angemessen, noch ist es die richtige Dimension.Lassen Sie mich aber — und ich glaube, hier sollten wir ernsthaft miteinander in eine Diskussion eintreten — einen Gedanken vertiefen, der in letzter Zeit der Mittelpunkt unserer Auseinandersetzungen gewesen ist. Die zentrale Frage und der Ausgangspunkt der Diskussion, die wir heute führen, ist doch zweifellos die Frage nach der Möglichkeit und den Grenzen unseres Rechtsstaats. Es sollte unter uns kein Zweifel bestehen: Alle hier zur Debatte stehenden Vorschläge, von welcher Seite sie auch kommen mögen, sind mit dem demokratischen Rechtsstaat und seiner Verfassung zu vereinbaren. Es ist ein untauglicher und zugleich unredlicher Versuch, einzelnen Gesetzgebungsmaßnahmen entgegenzuhalten, sie stimmten mit dem rechtsstaatlichen Prinzip nicht überein.Es ist ausgerechnet unserem Kollegen Hansen vorbehalten geblieben, gestern eine Pressemeldung herauszugeben, in der er meint, daß die CDU/CSU den Versuch unternehme, durch krasse Einschränkung von Freiheitsrechten — wie er sich auszudrücken pflegt — den Staat in einen gepanzerten Belagerungszustand zu versetzen. Ja, Herr Kollege Hansen, darf ich Sie einmal fragen, wer eigentlich diesen Staat in einen Belagerungszustand versetzt hat?
Ist Ihnen denn entgangen, daß niemand anders alsdie Terroristen die Menschen in diesem Lande dazuzwingt, wie in einer Festung zu leben, daß Kindervon vielen Menschen in diesem Lande nicht mehr allein zur Schule gehen können, weil man Angst haben muß, daß sie am Abend nicht zurückkehren? Wer hat denn den Belagerungszustand in diesem Land ausgerufen?
Wer greift denn in Freiheitsrechte ein? Ich weiß es; lassen Sie mich dort anschließen: Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie in vielen gemeinsamen Gesprächen im September, Oktober und November 1977 unsere damals schon vorliegenden Gesetzentwürfe von keinem der damaligen Gesprächspartner — das waren Sie, Herr Minister Vogel und Herr Minister Maihofer — als mit der Verfassung nicht übereinstimmend bezeichnet worden sind. Im Gegenteil: Erinnern Sie sich doch daran, wie Sie dem Kollegen Dr. Wittmann und auch mir versichert haben, fast alle unsere Vorschläge seien nicht nur bemerkenswert, sie seien auch wert, übernommen zu werden! Es bedarf nicht noch einmal der Erwähnung, daß jeder unserer Vorschläge in anderen demokratischen Staaten der westlichen Welt — sei es in Schweden, den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich oder Italien — als etwas Selbstverständliches angesehen wird.
Warum verschweigen Sie das den Bürgern unseres Landes? Warum legen Sie nicht dar, welche Beweggründe Sie davon abhalten, das dort Selbstverständliche auch bei uns zu verwirklichen?Wir müssen hier und heute Farbe bekennen, wie wir unseren Rechtsstaat begreifen. Natürlich besteht bei den meisten von uns darin eine Grundübereinstimmung; aber wir müssen auch über die Bandbreite des Rechtsstaates einig werden, von der Sie, Herr Bundeskanzler, einmal gesagt haben, daß wir bis an den Rand der Möglichkeiten dieses Rechtsstaates gehen müßten. Der Rechtsstaat kann nicht nur als ein Staat angesehen werden, in dem die Bürger Rechte haben und an den sie Rechte haben. Ich möchte hier nicht zu viele Zeugen aufrufen. Oft ist John F. Kennedy von Ihnen zitiert worden. Lassen Sie mich ihn auch heute einmal zitieren. Von ihm stammt die Losung: Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, sondern was ihr für euer Land tun könnt! Der Rechtsstaat bedingt halt auch Pflichten. Kaum einmal ist dies deutlicher geworden als in der Begründung, die der Bundesgerichtshof zur sogenannten Kontaktsperre gegeben hat. Hinter der ersten Pflicht des Rechtsstaates, Leben zu schützen, so der Bundesgerichtshof, hätten andere Erwägungen zurückzutreten. Es sei das Recht eines Staates, den inhaftierten Beschuldigten ohne Kontakt mit der Außenwelt, auch ohne Kontakt mit seinem Verteidiger zu lassen, wenn es der Schutz des Lebens seiner Bürger erfordere.Wir stellen fest: Ein Rechtsstaat ist nicht denkbar, wenn in ihm nicht eindeutig dargestellt ist, daß das höherwertige Rechtsgut dem anderen Rechtsgut vorgeht. Das ist nicht nur ein allgemein anerkannter Rechtssatz, sondern mehr: ein unverzichtbarer Grundsatz eines geordneten demokratischen Rechts-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5651
Dr. EyrichStaates. Es ist der Grundsatz der Güterabwägung, der in sich den Gedanken der Zumutbarkeit einschließt. Diesen Grundsatz haben Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, zu Recht, wie wir glauben, auch in unserem Namen für sich in Anspruch genommen. Es ist in der Geschichte unseres Volkes ein einmaliges Erlebnis gewesen, als das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in geradezu atemberaubenden Stunden abgewickelt wurde, als der Sohn von Hanns Martin Schleyer dafür kämpfte, das Leben seines Vaters durch das Eingehen auf die Forderungen der Terroristen zu retten, die inhaftierten Verbrecher freizulassen. Die Bundesregierung, Herr Minister Vogel, hat damals durch Sie mit unserem Einverständnis gegen den Antrag des Sohnes, das Leben seines Vaters zu retten, Stellung genommen.Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Oktober zitiere. Es heißt dort:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Einerseits gehe es darum, alles menschenmögliche zu tun, um das Leben des Antragstellers zu schützen. Auf der anderen Seite aber werde mit dem Eingehen auf die Forderung der Entführer das Leben weiterer Unbeteiligter in höchstem Maß gefährdet; denn die elf inhaftierten Terroristen seien besonders gefährlich.Sie, Herr Bundesjustizminister, haben vorgetragen:Nach ihrer Freilassung würden sie, wie die Erfahrungen nach dem Entführungsfall Lorenz gezeigt hätten, ihr verbrecherisches Tun fortsetzen. Mit diesen Forderungen— so haben Sie damals vorgetragen —solle die Grundlage der Rechtsstaatlichkeit getroffen werden. Ihre Erfüllung würde den Staat um ,die Fähigkeit bringen, Schutz zu gewähren. In dieser außerordentlichen Notsituation gebe es keine Entscheidung, die ... als die allein richtige bezeichnet werden könne. Vielmehr müssen den verantwortlichen staatlichen Organen ein Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum verbleiben.Soweit das Zitat aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.Meine Damen und Herren, was heißt das, übersetzt in die Sprache des Nichtjuristen? Nichts anderes, als daß die Bundesregierung von den Angehörigen von Hanns Martin Schleyer verlangte, daß sie das Opfer des Todes ihres Ehemannes und Vaters im Interesse des Rechtsstaates hinzunehmen habe. Noch nie und zu keiner Zeit hat man, .mit dem Rechtsstaat vereinbar,. ein größeres Opfer von jemandem verlangt. Man hat Unzumutbares im Interesse des Rechtsstaates unseren Mitbürgern zugemutet. Meine Damen und Herren, ich wende mich hier ganz besonders an die Kollegen Coppik, Hansen und andere, und ich wende mich nicht zuletzt an die Bundesregierung und an alle Kollegen der Koalition in diesem Hause. Vor diesem Hintergrund ist es nicht begreifbar, daß Sie dem Staat in der Verfolgung dieser Verbrechen so enge Grenzen setzen, wie Sie es mit Ihrem Vorschlag heute tun. Können Sie uns und den Bürgern dies begreiflich machen? Ist das die Antwort, die eine Koalition auf die größte Herausforderung unseres Rechtsstaates hat?
Wir kläglich mutet es eigentlich an, wenn Sie mit uns gar noch unter Berufung auf den Rechtsstaat über die Vereinbarkeit unserer Vorschläge mit der Verfassung rechten wollen! Soll der Staat angesichts eines solchen Vorgangs nicht das Recht haben, dem Verteidiger die Überwachung des Gesprächs zuzumuten? Die Bundesregierung hat zutreffend die Gefährlichkeit der Terroristen in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gekennzeichnet. Die Sicherungsverwahrung verurteilter Terroristen zum Schutz des Lebens vieler Bürger aber scheint Ihnen zu weit zu gehen. Wer wollte nicht, daß der Bürger vor Eingriffen des Staates möglichst verschont bleibe? Wir alle wollen das. Aber wer das Opfer des Lebens als zumutbar erachtet, sollte auch die Durchsuchung von Wohnkomplexen als zumutbar erachten. Die Bürger des Staates sind zu diesen Opfern bereit.
Das Gesetzgebungspaket, meine Damen und Herren, das Sie uns vorlegen, ist unzureichend, unvollkommen und in gar keiner Weise geeignet, auch nur im Ansatz zu einem Erfolg in der Verbrechensbekämpfung zu kommen. Meine Kollegen Dr. Wittmann und Hartmann werden im einzelnen zu Ihren Vorstellungen noch Stellung nehmen. Lassen Sie es mich bei einigen grundsätzlichen Bemerkungen bewenden.Kein einziger Vorschlag, den Sie von der Koalition vorlegen, betrifft das materielle Strafrecht. Natürlich kennen wir den immer wieder von Ihnen geäußerten Einwand, das Strafrecht sei nicht geeignet, mit dem Problem fertig zu werden. Dazu gehörten mehr, so sagen Sie, und auch andere Maßnahmen. Zugegeben: Wer mit strafrechtlichen Mitteln allein das Problem zu bewältigen versuchte, müßte scheitern.
Wer es aber ohne das Strafrecht schaffen will, wird nicht weniger scheitern.
So sicher die Erhöhung eines Strafrahmens, für sich allein gesehen, unzulänglich ist, so gewiß ist, daß ein Staat nicht darauf verzichten kann, mit der Strafdrohung auch sein Unwerturteil über eine Tat zu verbinden. Wir müssen doch deutlich machen, welches Maß an verbrecherischer Intensität terroristische Straftaten beinhalten. Es geht bei der Straf-
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Dr. Eyrichverschärfung um die sichtbare Achtung der Tat und um die Bedeutung des Rechtsguts, das wir schützen wollen. Wir haben von dieser Stelle aus oft gehört — Sie haben es in Ihrer Rede damals selbst angeführt, Herr Justizminister —, daß es unvermeidlich sei, höhere und härtere Strafen gegen Rechtsbrecher etwa auf dem Gebiet des Wuchers, der Wirtschaftskriminalität und auf anderen Gebieten zu verhängen. Warum sollte das denn nicht auch hier gelten?
Kann mir einmal jemand erklären, warum man in unserer Systematik diesen Unterschied macht? Die Strafvorschriften haben eben neben anderen Zwekken auch den Sinn, abschreckend zu wirken. Nicht der zum Mord entschlossene Terrorist wird abgeschreckt werden; das wissen wir auch. Aber jeder, der zu diesen Banden stößt, soll die Schwellen erkennen, die zu überschreiten er sich anschickt. Mordende Terroristen, so ist schon oft gesagt worden, fielen nicht vom Himmel; das ist schon zutreffend. Aber eine Erkenntnis aus der Tagung unserer Partei über die Ursachen des Terrorismus ist, daß der Weg in den Terrorismus oft lang ist, ein Weg, der bei Häuserbesetzungen und anderen Dingen beginnt. Dem und nichts anderem wollen wir Rechnung tragen, wenn wir die Strafen verschärfen wollen.In Ihrem Entwurf findet sich nichts über die Notwendigkeit der Verhängung der Sicherungsverwahrung — trotz mehrmaliger Andeutungen des Bundeskanzlers. Eines aber muß vom Tisch, meine Damen und Herren: Lassen Sie endlich die Andeutungen beiseite, mit denen Sie die Sicherungsverwahrung immer wieder in die Nähe der Maßnahmen des Nazismus zu rücken versuchen.
Das ist — das sage ich an die Adresse eines jeden, der diesen Versuch unternimmt — schlicht und einfach pure Infamie. Sind Sie denn von den tüchtigen Beamten des Justizministeriums so schlecht beraten, daß Sie nicht wüßten, daß die Sicherungsverwahrung schon lange geltendes Recht ist? Herr Justizminister Vogel, schaffen Sie hier doch endlich Klarheit! Sagen Sie den Bürgern doch, daß die Sicherungsverwahrung ein legitimes, verfassungskonformes Mittel ist, das nichts anderes will, als die Bürger vor gefährlichen Rechtsbrechern zu schützen! Sagen Sie, daß die Sicherungsverwahrung uns davor schützt, daß einmal gefaßten Terroristen in Zukunft erneut Gelegenheit gegeben wird, Menschen zu töten, sie zu entführen, Angst und Schrecken zu verbreiten und unsere Demokratie zu zerstören!
Sagen Sie den Zweiflern auch, und ich sage es Ihnen — ich habe mich gewundert, daß es in keinem Beitrag, den Sie geleistet haben, in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gekommen ist —, daß die Notwendigkeit der Sicherungsverwahrung in Zeitabständen überprüft und so erreicht wird, daß derjenige, der nach menschlichem Ermessen eine Gefahr nicht mehr darstellt, auch entlassen werden kann! Wer so wie Sie die Gefährlichkeit der Terroristenzutreffend gekennzeichnet hat, sollte daraus auch die Konsequenz ziehen. Nehmen Sie doch auch hier eine Güterabwägung vor, meine Damen und Herren! Denken Sie an die Opfer und die zukünftig Gefährdeten mindestens in gleichem Maße wie an die Verurteilten!
Es ist doch unvorstellbar, daß wir alle hier in diesem Hause eines Tages Rechenschaft darüber ablegen müßten, warum wir so gefährliche Täter wieder in die Freiheit entlassen und ihnen die Möglichkeit gegeben haben, womöglich jemanden zu töten.Sie haben die Möglichkeit geschaffen — damit komme ich zu einem anderen Punkt —, eine Person, die einer strafbaren Handlung verdächtig ist, zur Feststellung ihrer Personalien festzuhalten. Nach Ablauf von zwölf Stunden — so ist es Ihr Wille — soll diese Person wieder freigelassen werden, auch dann, wenn die Identität nicht festgestellt werden konnte, auch dann, wenn nicht auszuschließen ist, daß es sich um einen gesuchten Straftäter handelt, eben halt auch, Herr Kollege Engelhard, um einen Terroristen.Schließlich ein Wort zu der von Ihnen gefundenen — ja, soll man so sagen? — „Lösung" der Razzien. Angesichts der Erscheinungsweise des terroristischen Verbrechens ist es geradezu lächerlich, was Sie hier an Lösungen anbieten. Wie immer Sie auch das „Gebäude" definieren wollen, ob es einen Zugang oder zwei Zugänge, ob es eine Klingel oder zwei Klingeln haben soll, ist in diesem Zusammenhang völlig unbedeutend. Was aber bedeutend ist und was mehr wiegt als alles andere, sind die Erfahrungen, die wir aus dem letzten Entführungsfall haben. Ich kann mich noch sehr lebhaft daran erinnern, Herr Kollege Maihofer, in wie sehr anschaulicher Weise Sie damals im Innenausschuß von „Wohnhalden" und „Gebäudekomplexen" gesprochen haben, die zu durchsuchen erforderlich gewesen sei.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie nachdrücklich Sie, Herr Kollege Maihofer, gefordert haben, daß gerade solche Gebäudekomplexe, ganze Viertel sollen durchsucht werden können. Heute kommen Sie mit dem Vorschlag, daß mit einem Durchsuchungsbefehl nur ein einzelnes Gebäude untersucht bzw. durchsucht werden darf. Haben Sie schon einmal daran gedacht, meine Kollegen von der Koalition, daß eine Durchsuchung einer Wohnung niemandem verborgen bleibt, und wissen Sie denn nicht, daß dann gerade die Gefahr besteht, daß die im nächsten Häuserblock befindlichen Terroristen Zeit haben werden, sich abzusetzen?Das sind Fragen über Fragen, die Sie niemandem bisher beantwortet haben. Da hat mich doch ein bißchen die Feststellung des Vizekanzlers Genscher erschüttert — auf Ihre erneute Modifikation Ihrer einmal gebrachten Vorschläge —, man begrüße jede Art der weiteren Liberalisierung der Gesetze. Ja, was ist denn das für ein Verständnis von dem An-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5653
Dr. Eyrichspruch des Staates, das Leben der Bürger zu schützen?!
Das hat nichts mehr mit der Liberalisierung zu tun, sondern das hat etwas damit zu tun, ob wir die uns übertragene Verantwortung ernst nehmen oder nicht.Einige Bemerkungen gestatten Sie mir bitte noch zur Verteidigerüberwachung. Von Anfang an bildete sie einen zentralen Punkt unserer Auseinandersetzungen. In keiner, aber auch in keiner anderen Frage — das muß ich Ihnen von der Regierung und auch von der Koalition sagen — offenbart sich deutlicher die Konzeptlosigkeit. Sie übertreffen sich hier in der Tat selbst. In keiner anderen Frage haben wir mehr zu spüren bekommen, daß — der Einsicht zum Trotz — Sie der Machterhaltung mehr Gewicht beimessen als dem Sie fordernden Handeln.Seit dem Jahre 1973, genau genommen seit Dezember 1973 läuft dieser spannende Film, wenn ich es einmal so nennen darf; denn nichts anderes ist es. Zunächst wird die Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs kategorisch abgelehnt mit der Behauptung, dies sei nicht rechtsstaatlich. Dann beginnt das inzwischen altbekannte Verfahren, daß nach Terroranschlägen alle Maßnahmen versprochen werden. Daß hinterher dann alles wieder vergessen wird, sei am Rande erwähnt. Nach der Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann erfolgt eine Vorlage des Bundesministers der Justiz zur Überwachung des mündlichen und schriftlichen Verkehrs. Ihm folgt ein Kabinettsbeschluß, mit dem die Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs bestätigt wird. Ihr Kabinett hat dies damals bestätigt. Dazu kommt, daß Sie, Herr Kollege Schäfer, als stellvertretender Vorsitzender dieser SPD-Fraktion die Beschlüsse des Bundeskabinetts bezüglich der Verteidigerüberwachung als ausgewogen und dem Rechtsstaat angemessen bezeichnet haben. Dann folgt die Absage der Koalitionsfraktionen an diese Regelung.Im März 1975 erfolgt der Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Stockholm. Es ist bekannt, daß wesentliche Teile dieses Anschlags im Gefängnis geplant worden sind. Bundeskanzler Schmidt empfiehlt unter dem Eindruck dieser Eskalation der Gewalt eine Überwachung des Verteidigerverkehrs. Er spricht sich wiederholt für die Überwachung des Gesprächs zwischen Verteidiger und Mandanten aus. Das gleiche tut der Vizekanzler.Auch die Justizministerkonferenz beschließt zum zweitenmal die Überwachung des mündlichen Verkehrs zwischen Verteidiger und Angeklagtem. Aber auch diesmal wird die Rechnung ohne den berühmten Wirt gemacht. Die Koalitionsfraktionen lehnen die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung ab.Es ist natürlich verständlich, daß der Bundeskanzler und Sie alle versuchen, jetzt eine andere Begründung zu geben. Plötzlich ist nicht mehr davon die Rede, die Verteidigerüberwachung sei nicht rechtsstaatlich; nunmehr behauptet man, sie sei nicht praktikabel, obwohl der Bundesjustizminister in diesem Hause in Übereinstimmung auch mit unserer Meinung dargestellt hat, daß sie zwar keinen hundertprozentigen Schutz biete, aber immerhin so viel Erfolg verspreche, daß es sich lohne, die gesetzliche Regelung in Kraft zu setzen.Schließlich verfallen Sie dann auf den Ausweg, eine Regelung zu treffen, die den Ausschluß der Verteidiger ermöglicht, und ringen sich zu dem Entschluß durch, eine Trennscheibe als angemessene und ausreichende Maßnahme zu bezeichnen.Auch wir wissen, meine Damen und Herren, daß die Überwachung des mündlichen Verkehrs zwischen Verteidiger und inhaftierten Mandanten keinen hundertprozentigen Schutz darstellt. Das haben wir des öfteren gesagt.So sehr die Trennscheide ein wirksames Mittel sein kann, die Übergabe von Gegenständen zu verhindern — da stimmen wir alle mit dem Herrn Generalbundesanwalt nahtlos überein —, so sicher ist allerdings auch, daß sie eines nicht kann: Sie kann die Konspiration zwischen Verteidiger und Mandanten, wie wir sie vielfach erlebt haben und auch in Zukunft noch erleben werden, nicht verhindern.
Sagen Sie uns bitte nicht, daß die von Ihnen vorgeschlagene Regelung des Verteidigerausschlusses ein ausreichender Ersatz sei. Der ausgeschlossene Verteidiger kann — das wissen Sie so gut wie wir — am nächsten Tag durch einen anderen mühelos ersetzt werden. Mühelos wird er auch die gewonnene Erkenntnis des früheren Verteidigers auswerten können. Auch hier genügt ein Hinweis auf die gemachten Erfahrungen. Die Kanzleien, die mit konspirativen Anwälten besetzt sind, werden immer wieder jemanden finden, den sie an Stelle des ausgeschlossenen Verteidigers zu dem einsitzenden Terroristen schicken können.Nein, meine Damen und Herren, das ist keine Lösung, danz abgesehen davon, daß doch auch Sie selbst gesagt haben, die Trennscheibe bedürfe nicht einer gesetzlichen Grundlage, sie sei heute schon zulässig. Dann verkaufen Sie sie doch all diese Dinge nicht als Ihre Initiative! Dann verkaufen Sie sie doch nicht als das Neue, was Verbrechen verhindern soll, wenn wir es schon längst tun könnten, nur niemand bisher den Mut gefunden hat, es zu tun!
Aber jetzt, nachdem auch das versagt, Herr Kollege Engelhard, suchen Sie einen anderen Ausweg. Sie finden ihn immer wieder einmal. Aber dieser Versuch ist nun in der Tat untauglich. Sie versuchen, den Bürger draußen zu suggerieren, wir hätten keine anderen Möglichkeiten als die der Änderung des Strafrechts und des Strafprozeßrechts zur Bekämpfung des Terrorismus angeboten.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit aller Deutlichkeit sagen: Keine, andere Fraktion und bisher auch kein Ministerium hat ein auch nur annähernd so wirksames Gesamtkonzept, wie wir es
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5654 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. Eyrichseit Oktober 1977 dem Hohen Hause zugeleitet haben, jemals hier vorgelegt.
Noch in der Haushaltsdebatte haben Sie, Herr Kollege Maihofer, zu erklären versucht, daß im Bereich der präventiven Maßnahmen, der Gefahrenabwehr, in Legislative und Exekutive der Schwerpunkt der Politik der Koalition liege. Sie haben aber vergessen, zu sagen, daß von Ihnen diesem Hause noch nicht ein einziger nennenswerter Vorschlag zugeleitet worden ist.Auch hier nur einige Beispiele. Ende November hat die Innenministerkonferenz die abschließende Entscheidung zum einheitlichen Polizeirecht getroffen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt, Herr Innenminister, hätte die Bundesregierung doch ihren Gesetzentwurf einbringen können. Er ist weit und breit nicht in Sicht, und er ist u. a. deswegen nicht in Sicht, weil unterdessen der SPD-Parteitag stattgefunden hat, bei dem man klar und deutlich zum Ausdruck gebracht hat, man wolle das so nicht, wie Sie selbst doch noch bei den gemeinsamen Gesprächen gesagt haben, daß wir es vorlegen müßten, weil es notwendig sei, wenn wir den Terrorismus auch nur annähernd wirksam bekämpfen wollten. Im Gegenteil, nach den Beschlüssen der Koalition zur Änderung der Strafprozeßordnung — mein Kollege Hartmann wird darauf noch zurückkommen — ist doch dieser Entwurf, wenn ich so sagen darf, schon vorgeburtlich erheblich geschädigt.Wenn es nach Ihren Vorstellungen, meine Damen und Herren von der Koalition, geht, wird die Polizei künftig weniger Rechte haben, als sie heute hat.
Sie wird weiterhin gezwungen sein, auf peinliche Ausreden auszuweichen, nach Warndreiecken zu fragen, wenn nach terroristischer Ausrüstung gesucht wird. Die Unehrlichkeit, der Sie huldigen, zwingen Sie auch noch der Polizei auf. Nach außen wird auf sogenannte rechtsstaatliche Bedenken abgehoben, aber verdeckt muten Sie dem Beamten zu, auf eigenes Risiko zu tun, was .dringend nötig ist.
Wir haben Anfang Oktober das Polizeigesetz vorgelegt und haben dabei die Beschlüsse der Innenminister zum Teil vorweggenommen. Im übrigen warten wir bis heute auf die Vorschläge der Bundesregierung. Wenn es Ihnen um die Sache ginge — und nicht darum, auf jeden Fall die Priorität der Regierung zu sichern —, hätte dieses Polizeigesetz noch vor der Osterpause des Jahres 1978, noch in den nächsten vier bis sechs Wochen von diesem Hause verabschiedet werden können, und dann hätte man wenigstens in etwa davon sprechen können, daß dieses Parlament nachweist, daß es gewillt ist, das zu tun, was ihm aufgegeben ist.
Herr Innenminister, Sie haben dann hier in der Haushaltsdebatte groß zum besten gegeben, Siehätten ein Melderecht vorgelegt. Dieses Melderecht liegt bis zum heutigen Tage niemandem vor!
Es liegt ein Entwurf vor; dieser Entwurf ging ins Bundeskabinett. Ich frage einmal den die Richtlinien bestimmenden Kanzler, wo er nun eigentlich geblieben ist.
Das Bundeskabinett hat nicht die Kraft gehabt, ein Meldegesetz zu verabschieden, das dem einzelnen zumutet, sich irgendwo einzutragen. Ich meine immer, das wäre doch bei Gott zumutbar! Und dann, Herr Kollege Maihofer, stellen Sie sich doch bitte nicht hierher und tun Sie nicht so, als ob das alles längst bereinigt wäre. Es ist eben leider nichts bereinigt. Nur muß man das draußen endlich wissen, damit nicht eines Tages jemand kommt und sagt: Ihr alle seid daran schuld. Wir können für uns in Anspruch nehmen, daß etwas geschehen wäre, wenn Sie uns gefolgt wären, auch wenn Sie Ihre Bedenken geltend gemacht hätten; Sie können glauben, daß wir in dem einen oder dem anderen Punkte doch in der Tat mit uns hätten reden lassen. Aber Sie können uns nicht zumuten, daß wir schweigen, wenn Sie von dieser Stelle aus den Bürgern erklären wollen, wir hätten kein Konzept, obwohl es seit Oktober 1977 vorliegt, und Sie hätten die Lösung des Problems, obwohl Sie noch nicht einmal den kleinsten Paragraphen im Meldegesetz zustande bringen.
Herr Kollege Maihofer, Sie berühmen sich ständig des Bundeskriminalamtes und seines Informations systems. Um jeden Verdacht auszuschließen: Daß das Bundeskriminalamt einen Zuwachs an Personal und einen Zuwachs an Mitteln bekommt, ist richtig; dazu stehen wir, und ich meine, das sei zwischen uns unstreitig. Aber haben Sie, Herr Kollege Maihofer, nicht auch ein bißchen den Eindruck, daß an die Stelle solider, kontinuierlicher Arbeit auf stabiler Grundlage doch eine, ich möchte fast sagen, systematisch geförderte Unruhe, Hektik und auch Betriebsamkeit in ständig wechselnder Richtung getreten ist? Haben nicht auch Sie den Eindruck, daß die Kompetenzerweiterungen im Jahre 1973 und die Absprachen mit den Ländern über die Aufgabenverteilung bei der Terroristenbekämpfung in den Jahren 1974 und 1975 Unruhe gebracht haben? Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß schließlich im Ernstfall 1977, bei der Entführung von Hanns Martin Schleyer, ein Kabinettsbeschluß über eine sogenannte zentrale Einsatzleitung alles wieder ganz anders organisiert, die Ministerialinstanz ausgeschaltet, Hierarchien auf den Kopf gestellt hat und schließlich auch noch die Länder irritieren mußte?Schließlich noch ein Wort zum vielgepriesenen Informationssystem. Herr Maihofer, Sie müssen einmal mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts ein sehr ernstes Wort sprechen. Ich muß Ihnen den Vorwurf machen: Er und Sie sind die Konzeption für die Zukunft schuldig geblieben.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5655
Dr. EyrichDa veranstaltet, wenn ich das jetzt einmal, zugegeben, ein bißchen flapsig, sagen darf, der Herr Herold alle paar Monate eine neue Aufführung seiner Computer-Festspiele vor Abgeordneten und Journalisten. Er hat uns aber noch keine Antwort darauf gegeben, wie das nun alles weitergehen soll. Vor einem Jahr haben es ihm seine Länderkollegen abverlangt, die seine Hinhaltetaktik mit endlosen Diskussionen auf unterster Ebene _durchschaut hatten. Vor einem halben Jahr, Herr Innenminister Maihofer, haben die Länderminister von Ihnen ein klares Konzept gefordert. Sie haben die Frist angenommen, aber Sie haben sie längst überschritten.Ich muß noch einmal die Frage stellen: Haben Sie nun ein Konzept? Haben Sie die Zustimmung des Finanzministers? Wann legen Sie es vor? Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie alle Fragen mit Nein beantworten. Statt dessen bringen Sie immer wieder neue, immer wieder andere, immer wieder in eine andere Richtung gehende Entwürfe zur Änderung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt. Lassen Sie sich sagen: Was wir brauchen, was Sie nicht bieten können, das ist ein Konzept, das angetan ist, wieder Ruhe in die Reihen der Polizei zu bringen
das der Polizei die Gewißheit gibt, wo sie zuständig ist, wofür sie zuständig ist, welche Aufgaben sie hat und worauf sie sich verlassen kann, wenn sie Anfragen an das zentrale Informationssystem stellt. Das sind doch die Fragen, die uns interessieren. Dann hört auch die Diskussion über die viel gerühmte Bundespolizei auf, wenn Sie ein Konzept vorlegen.
Dann können Sie nach draußen glaubhaft machen, daß es nicht darum geht.Meine Damen und Herren, um zum Abschluß zu kommen: Die Bilanz auf diesem Gebiete der inneren Sicherheit und der Bekämpfung des Terrorismus ist bis zur Stunde eindeutig negativ. Es ist eine zu lange Zeit verstrichen, in der das Erforderliche hätte getan werden müssen. Und nicht nur das: Die Tagung unserer Partei über die geistigen Ursachen des Terrorismus hat deutlich gemacht, daß wir uns weiterhin der geistigen Auseinandersetzung stellen werden, weil wir überzeugt sind, daß der Terrorismus keine Chance hat, wenn wir sie ihm selbst nicht geben. Unser freiheitlicher Rechtsstaat wird Bestand haben, wenn die Bürger zu ihm stehen, ihn schätzen und an seiner Entwicklung mitwirken. Dieser freiheitliche Rechtsstaat verdient unseren Einsatz, verdient unser Vertrauen und unsere Wertschätzung, weil er wie kein anderer die Möglichkeit der Freiheit in menschlicher Würde bietet. Wir alle sind aufgerufen, diese Einsicht zu fördern. Meine Damen und Herren, Grundlage unseres Zusammenlebens sind Toleranz und Achtung der Würde des Nächsten. Tragen wir Sorge dafür, daß die junge Generation diese Grundwerte unserer Verfassung vermittelt erhält, nicht Konfliktdenken und Gewalt, sondern Streben nach Frieden und Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Wer gelernt hat, Achtung vor dem Recht des Nächsten zu haben, wird den Weg in die Gewalt nicht gehen, und dem sollte unser ganzes Bemühen gelten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist in den vergangenen Wochen als „Antiterrorgesetz" bezeichnet worden, und die Ausführungen des Herrn Kollegen Eyrich haben nichts dazu beigetragen, diesen Eindruck zu korrigieren. Diese Bezeichnung „Antiterrorgesetz" ist aus zwei Gründen unpräzise.Dieses Gesetz richtet sich nicht nur gegen den Terrorismus. Es will für Aufgaben, die die Polizei im Rahmen der Strafverfolgung hat, eine Rechtsgrundlage schaffen, die im Strafverfahrensrecht selbst angesiedelt ist und auf die besonderen Bedingungen der Strafverfolgung abgestellt ist, die einerseits darin bestehen, daß eine umfassende Aufklärung von Straftaten und die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sichergestellt sein müssen, während andererseits dafür gesorgt sein muß, daß die Grundsätze und Prinzipien einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Grundordnung eingehalten werden.Die Bezeichnung „Antiterrorgesetz" ist auch deshalb unpräzise, weil der Eindruck entstehen könnte, als ob mit diesem Gesetz alles das getan werden könnte, was zur Bekämpfung des Terrorismus erforderlich ist. Ein solcher Eindruck ist in mehrfacher Hinsicht falsch.Der Terrorismus kann durch gesetzgeberische Maßnahmen allein nicht erfolgreich bekämpft werden, im Gegenteil, das Schwergewicht der Terrorismusbekämpfung liegt auf exekutivem polizeilichem Gebiet und ebensosehr — wenn nicht mehr — in dem, was angesprochen ist, wenn von geistiger Auseinandersetzung und von Erforschung der Ursachen gesprochen wird.Soweit gesetzgeberische Akte notwendig sind, können sie nicht mit Schwerpunkt im Strafrecht oder im Strafverfahrensrecht erfolgen, sondern vielmehr im Polizeirecht und in der polizeilichen Organisation. Aber vor allem müssen sie im Bereich der gesamten Gesellschaftspolitik überhaupt erfolgen,
z. B. in der Bildungspolitik, in der Jugendpolitik, inder Arbeitsmarktpolitik und in der Familienpolitik.Dieses Gesetz ist auch nicht das erste oder das bedeutendste Gesetz, das der Terrorismusbekämpfung dient, im Gegenteil: Wichtige Gesetz sind bereits in der 7. Legislaturperiode verabschiedet worden,
andere werden auf Grund der neuesten Entwicklungen und Erfahrungen vom Bundesminister des Innern bald vorgelegt werden.Gestatten Sie mir, meine sehr geehrten Damen und Herren, einige zusätzliche Bemerkungen zu diesen allgemeinen Aspekten der Terrorismusbekämpfung.Ich hoffe, wir alle sind uns einig im Ziel. Wir müssen Terroranschläge verhindern, jedenfalls, soweit das geht, erschweren. Sofern es doch zu terroristi-
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Dr. Emmerlichschen Anschlägen kommt, müssen die dafür strafrechtlich Verantwortlichen ermittelt, ergriffen und bestraft werden.Was ist zu tun, um dieses Ziel zu erreichen, ihm jedenfalls so nahe wie möglich zu kommen? Welche sind die Bedingungen, von denen die Aktionsfähigkeit der Terroristen und terroristischer Organisationen in einer Industriegesellschaft wie der unseren abhängt? Die Terroristen benötigen, um handlungsfähig zu sein, Waffen, Munition und Sprengstoff. Sie benötigen vielerlei Stützpunkte, insbesondere Wohnungen in anonymen Wohngebieten. Um ihre unbedingt erforderliche Mobilität herzustellen, benötigen sie Kraftfahrzeuge. Sie haben Identitätspapiere aller Art nötig, um ihre Identität zu verwischen oder zu verfälschen. Sie benötigen ein funktionierendes Kommunikationssystem, und sie müssen über große Finanzmittel verfügen können. Vor allem aber benötigen die Terroristen ein Umfeld von Helfern, Helfershelfern und solchen Personen, die ihr Vorgehen billigen.Wir müssen diese objektiven Bedingungen für die Aktionsfähigkeit terroristischer Organisationen erschweren, müssen ihnen den Zugang zu diesen Hilfsmitteln so schwer machen, wie das möglich ist. Deshalb z. B. die Verschärfung des Waffenrechts 1972, 1976 und in dem dem Bundestag zur Zeit vorliegenden Gesetzentwurf.Gestatten Sie mir hier einen Einschub. Die Tatsache, daß die Waffenbeschaffung auch im Ausland möglich ist, daß deutsche Terroristen ins Ausland ausweichen, um dort Ruhe- und Bereitstellungsräume zu beziehen, sowie die Entführung der Lufthansa „Landshut" durch ein internationales Terrorkommando machen die internationale Dimension einer erfolgreichen Terroristenbekämpfung deutlich und zeigen, wie wichtig es war — und nach wie vor ist —, daß die Bundesregierung die internationale Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung mit Energie gefördert und die Kooperationsbereitschaft ausländischer Staaten mit uns sichergestellt hat. An die Übereinkunft zur Verbesserung der internationalen Luftsicherheit zum Schutz vor Flugzeugentführungen — Den Haag 1970, Montreal 1971 — sei erinnert, ebenso an die Diplomatenschutzkonvention von 1973, vor allem aber an das jüngst vom Bundestag verabschiedete europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus und an die deutsche Initiative für eine UNO-Konvention gegen Geiselnahme. Diese Bemühungen der Bundesregierung für eine bessere internationale Zusammenarbeit waren z. B. Voraussetzung dafür, daß die Sondereinheit des Bundesgrenzschutzes die Passagiere und die Besatzung der „Landshut" in Mogadischu befreien konnte.Zur Reduzierung der Aktionsfähigkeit der Terroristen sind die Bundesländer und die Gemeinden immer wieder angehalten worden, für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen im Meldewesen, bei Kraftfahrzeugzulassungen, bei der Aufbewahrung von Personalausweisen und Pässen zu sorgen. Hier hat sich gezeigt, was allgemein gilt, nämlich ein großer Gewinn an innerer Sicherheit beim Kampf gegen den Terrorismus ist zu erzielen, wenn die bestehenden Gesetze angewandt und voll ausgeschöpft werden.
Soweit es zu einem zusätzlichen Sicherheitsgewinn weiterer gesetzgeberischer Maßnahmen bedarf, insbesondere im Bereich des Meldewesens, der fälschungssicheren Kraftfahrzeugkennzeichen, der Identitätspapiere, der Bankensicherung, des Kraftfahrzeugverleihs, sind diese so weit gefördert, daß sie dem Bundestag in absehbarer Zeit zur Entscheidung vorliegen werden.Die Isolierung der Terroristen ist zu einem guten Teil gelungen. Von nichts sind die Terroristen weiter entfernt als von ihrem kardinalen Ziel, eine Basis in der deutschen Bevölkerung zu finden.
Nicht geleugnet werden kann jedoch, daß nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden noch immer ein Umfeld von vermutlich weit mehr als 1 000 Personen vorhanden ist, das den Terrorismus unterstützt. Das ist eine der Hauptursachen dafür, daß die Terroristen in der Lage waren, die verbrecherischen Anschläge des letzten Jahres durchzuführen. Dieses vorhandene Umfeld abzuschmelzen und zu verhindern, das es Nachschub erhält, ist mittel- und langfristig die wichtigste Aufgabe, die wir bei der Bekämpfung des Terrorismus zu bewältigen haben.Zur Lösung dieser Aufgabe gibt es keine Patentrezepte. Gestatten Sir mir deshalb nur einige allgemeine Bemerkungen. Was die Rechtfertigungstheorien der Terroristen und für den Terrorismus in unserem Lande anlangt: Niemand kann leugnen, daß Staaten zum Unrechtsstaat entarten können und daß im Unrechtsstaat das Recht zum gewaltsamen Widerstand besteht. Niemand aber kann den leisesten Hinweis dafür liefern, daß unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, als ein solcher Unrechtsstaat angesehen werden kann, gleichgültig, welche Kriterien man dabei für richtig hält.
Es gibt in unserem Lande kein Recht zum gewaltsamen Widerstand und zum bewaffneten Kampf oder Aufstand.
Es gibt vor allem nicht den geringsten Anlaß für den menschenverachtenden Zynismus und die menschenvernichtende Brutalität, mit der die Terroristen bei uns vorgegangen sind. Kein billig und gerecht Denkender wird das in Frage stellen können.Nur: Diese Einsicht genügt nicht. Das muß allen, die es angeht, auch deutlich gemacht werden — nicht nur von den Verfassungsorganen, nicht nur von den demokratischen Parteien und den großen gesellschaftlichen Organisationen, sondern auf breiter Front und vor allem dann, wenn dieser Tatbestand angezweifelt oder geleugnet wird.Eine weitere Bemerkung. Auch die Klage vom Abbau der Werte in unserer pluralistischen Gesellschaft, von der Wertneutralität unserer Ordnung und davon, daß der Jugend keine Ideale mehr gegeben würden, wird durch ihre ständige Wiederholung nicht richtiger. Richtig dagegen ist — und das darf durch den Blick auf eine Wirtschaftsordnung, die insbesondere von vielen jungen Men-
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Dr. Emmerlichschen als materialistisch, als zu sehr am persönlichen Egoismus und als zu wenig am Gemeinwohl orientiert und damit ungerecht bewertet wird, nicht verschüttet werden —, daß die vom Grundgesetz vorgegebene Grundordnung unseres Staates und unserer Gesellschaft keineswegs wertfrei ist, sondern sie ist in einem Maße von Grundwerten für das Leben des einzelnen Bürgers und für das gesellschaftliche Leben bestimmt, daß es sich lohnt, ja, daß jedermann sich aufgerufen fühlen muß, für die Verwirklichung und den Ausbau dieser Grundordnung eifizutreten.
Ich bestreite nicht, daß die Wirklichkeit in unserem Lande in mancherlei Hinsicht den Ansprüchen und Postulaten unserer freiheitlichen, demokratischen und sozialstaatlichen Grundordnung nicht entspricht. Freiheit und Menschenwürde sind auch bei uns nicht ungefährdet. Sie müssen im Alltag immer wieder errungen werden. Allzu häufig wird dieses Ziel nicht voll, manchmal auch überhaupt nicht erreicht.Ich denke dabei z. B. an die vielerorts geübte Praxis bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst. Vor allem aber weise ich darauf hin, daß z. B. vielen Arbeitern auch heute noch die Forderung nach einem humanen Arbeitsplatz als eine Fata Morgana erscheinen muß.Wer wollte leugnen, daß die sozialen Grundrechte des Menschen — das Recht auf Arbeit, das Recht auf Ausbildung, das Recht auf Bildung — in unserem Lande Not leiden? Wer sieht nicht, wie schwer es für den einzelnen in einer Massengesellschaft ist, zu erleben, daß er nicht Objekt der politischen Entscheidungen anderer ist, sondern die Möglichkeit zur politischen Mitwirkung und Mitgestaltung hat?
Wer von uns Politikern, meine Damen und Herren, will in Abrede stellen, daß auch bei uns selbst zu oft eine zu große Distanz zwischen unseren Worten und unseren Taten besteht?
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich insbesondere bei unserer Jugend Enttäuschung über den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit unserer Verfassung verbreitet. Das ist eine Gefahr, der wir ins Auge sehen müssen und der wir nicht mit schönen Worten begegnen können. Wir müssen uns mehr als bisher anstrengen, um diese Lücke zwischen Sein und Sollen zu beseitigen, zumindest um deutlich zu machen, warum diese Lücke häufig so groß, zu groß ist und trotz aller Anstrengungen noch nicht geschlossen werden konnte.
— Ich bin voll davon überzeugt; ich weiß es sogar.So berechtigt also die Kritik vieler, vor allem junger Menschen an uns und an manchem ist, wasauch zum Bild unseres Landes gehört, richtig ist und bleibt: nur bei Bewahrung unserer freiheitlichdemokratischen und sozialen Grundordnung bestehen die Chance, die Situation in unserem Lande zu verbessern, und die Gewähr, daß ein Rückfall in Unfreiheit und Knechtschaft verhindert werden kann.Es sind nicht wenige, die glauben, den Terroristen und ihrem Umfeld müsse mit mehr Härte begegnet werden. Max Güde, der frühere Generalbundesanwalt und frühere Vorsitzende des Strafrechtssonderausschusses des Deutschen Bundestages, hat unmittelbar nach der Ermordung des Generalbundesanwalts Buback, seines Fahrers und seines Begleiters zu diesem Problem wie folgt Stellung genommen — ich zitiere —:Härte allein ohne menschliches Maß ist kein wirksames Heilmittel gegen Verbrechen. Im Übermaß ist sie schädliches Gift. Nicht die Härte allein verbürgt den Frieden im Staat, sondern die wohlüberlegte gleichmäßige Gerechtigkeit, die sich in ihrem Maß auf das Notwendige beschränkt, so daß sie in ihrer Vernunft auch dem Schuldigen glaubwürdig sein kann.
Die politische Kriminalität
— so fährt Güde fort —unserer Tage hat einen unverkennbaren Zug von geistiger Verwirrung und Besessenheit. Die Gefahr, daß dieses pathologische Element auf die Terroristenverfahren und diejenigen, die sie führen, übergreift, ist unverkennbar und in dem Schrei nach nur mehr Härte und steter Verschärfung offenkundig. Dabei ist es eine uralte Weisheit, daß die größte Härte nicht etwa die wirksamste Gerechtigkeit verbürgt. Gerechtigkeit hängt entscheidend vom rechten Maß ab.
Ich möchte, meine sehr geehrten Damen und Herren, hinzufügen: Härte ohne Maß, Hysterie statt Nüchternheit und Besonnenheit, Rache statt Gerechtigkeit, das wäre genau das, was den Kampf gegen den Terrorismus aussichtslos machen, das Umfeld des Terrorismus stärken und nicht zu seiner weiteren Verringerung führen würde.Die Beseitigung, jedenfalls die Einengung des Handlungsspielraums der Terroristen in diesem von mir soeben dargestellten Sinn ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist diese: die Erhöhung der Aktionsfähigkeit der Sicherheitsorgane. Dazu gehört eine der Aufgabenstellung entsprechende personelle Stärke und sachliche Ausstattung sowie eine dieser Aufgabenstellung entsprechende Organisation. Die Bundesregierung und die Koalition haben das von Anfang an erkannt und gemeinsam mit den Innenministern der Länder das Erforderliche möglich gemacht. Ich erinnere an das Programm zur inneren Sicherheit, das bereits 1970 konzipiert, seitdem mehrfach fortgeschrieben und Schritt für Schritt realisiert worden ist und wird.Ich erinnere auch an die Schaffung des polizeilichen Informationssystems Inpol schon im Jahre 1972.
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5658 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. EmmerlichDie Bemühungen um seine Verbesserung unter Berücksichtigung der jüngsten Erkenntnisse, insbesondere was den Informationsverbund, den Ausbau eines polizeieigenen Fernsprechfunks und den Aufbau eines Langwellenrundfunk-Sendenetzes anbelangt, werden von uns begrüßt und nachhaltig unterstützt.Ich darf in diesem Zusammenhang auch den Ausbau des Bundeskriminalamts zu einer der modernsten zentralen Polizeibehörden der Welt in Erinnerung rufen. Das ist vor allem durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt bereits im Jahr 1973 geschehen, aber auch und nicht zuletzt durch den personellen und materiellen Ausbau, den das Bundeskriminalamt in den Jahren 1969 bis 1977 erfahren hat. Die Zahl der Stellen beim Bundeskriminalamt betrug im Jahr 1969 933, im Jahr 1977 — man höre und staune — 2 545. Das Haushaltsvolumen des Bundeskriminalamts betrug im Jahr 1969 22,4 Millionen DM, im Jahr 1977 sage und schreibe 172,4 Millionen DM. Zu erwähnen ist schließlich auch die Schaffung der Abteilung Terrorismusbekämpfung im Jahr 1975.Ohne dieses moderne Bundeskriminalamt wären die bisherigen Erfolge bei der Terrorismusbekämpfung undenkbar. Allein in der Zeit vom 1. Oktober 1974 bis zum 24. Oktober 1977 sind 239 des Terrorismus verdächtige Personen festgenommen worden. Von 1972 bis Oktober 1974 wurden 140 Terroristen rechtskräftig verurteilt. 74 weitere Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Außerdem laufen 109 Anklagen und 550 weitere Ermittlungsverfahren. Zusätzlich sind 41 Personen ermittelt, die dringend verdächtigt sind, die strafrechtliche Verantwortung insbesondere für die schweren Terroranschläge des letzten Jahres zu tragen. So schmerzlich und gefährlich es ist, daß ihre Ergreifung noch nicht gelungen ist, so besteht doch kein Zweifel daran, daß sie ihrer Verhaftung und Bestrafung nicht entgehen werden.
Ähnlich positive Entwicklungen gibt es beim Bundesamt für Verfassungsschutz und beim Bundesgrenzschutz. Dabei ist vor allem auf die Bildung der Spezialeinheit zur Bekämpfung von Gewaltkriminalität aufmerksam zu machen, ohne die die Befreiung der Besatzung und der Passagiere der „Landshut" nicht möglich gewesen wäre. Wir unterstützen den Bundesminister des Innern bei seinen weiteren Vorhaben zur Stärkung der inneren Sicherheit insbesondere durch Schaffung 5 000 weiterer Stellen im Bereich der inneren Sicherheit und durch eine Ausweitung der Kompetenzen des Bundeskriminalamts zur besseren Bekämpfung des Terrorismus.Was den Justizbereich angeht, so bestand und besteht die Aufgabe darin, das formelle und das materielle Strafrecht so auszugestalten, daß auch die Staatsanwaltschaften und die Gerichte das Ihre dazu beitragen können, damit die Herausforderung, die der Terrorismus ist, bestanden wird, d. h. konkret: ergriffene Terroristen einer gerechten Strafe zugeführt werden und der freiheitliche Rechtsstaat gewahrt bleibt.Zu diesem Zweck sind bereits 1971 ein neuer Straftatbestand „Entführung von und Attentat auf Luftfahrzeuge" geschaffen und die Strafvorschriften gegen Entführung und Geiselnahme modernisiert worden. 1976 ist der § 129 a in das Strafgesetzbuch eingefügt worden, die zentrale Strafvorschrift für die Strafverfolgung der Terroristen und ihrer Helfer. Ferner sind im gleichen Jahr neben anderem die verfassungsfeindliche Befürwortung schwerster Gewalttaten und die Anleitung zu Gewalttaten unter Strafe gestellt und die Anzeigepflicht, verbunden mit einer Strafsanktion, bei Kenntnis bevorstehender Straftaten terroristischer Vereinigungen eingeführt worden.Im Strafverfahrensrecht ist unter anderem das Haftrecht bei dringendem Verdacht terroristischer Straftaten verschärft worden. Es ist dafür gesorgt worden, daß Beschuldigte sich dem Strafverfahren nicht durch schuldhafte Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit entziehen können. Es ist dem Mißbrauch der Erklärungsrechte im Strafverfahren entgegengewirkt und die Möglichkeit zur Konzentration der Strafverfahren auf die gravierenden Straftaten verbessert worden. Ein weiterer Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Strafverfahren wird zur Zeit im Rechtsausschuß behandelt.Ein besonderes Problem für die Bekämpfung des Terrorismus entstand daraus, daß es den Terroristen in unserem Lande gelang, in bis dahin nicht bekannter Weise Verteidiger zu ihren Komplizen zu machen und Rechtsanwälte, die ohnehin Komplizen waren, zum Verteidiger zu bestellen. Das führte zu einer schwerwiegenden Erschwerung des Kampfes gegen den Terrorismus und damit zu einer unerträglichen zusätzlichen Gefährdung der inneren Sicherheit. Das führte aber auch zu einer Beeinträchtigung der Durchführung der Strafverfahren sowie zu einer Minderung. der Effektivität der Verteidigung. Auch dieses konnte nicht verantwortet und hingenommen werden. Deshalb war 1976 die Einführung der richterlichen Überwachung des schriftlichen Verkehrs in Verfahren gegen inhaftierte Terroristen erforderlich, deshalb vor allem haben wir den Ausschluß von Verteidigern ermöglicht, wenn der dringende Verdacht der Komplizenschaft besteht.Diese Bilanz der Aktivitäten der Bundesregierung und der Koalition sowohl im polizeilichen als auch im justiziellen Bereich widerlegt den Vorwurf der Opposition, es sei zur Bekämpfung des Terrorismus nichts geschehen oder nicht genug unternommen worden.
Zwar ist es richtig, daß weitere Vorschläge von der Opposition vorgelegt sind; zum Teil hatten diese Vorschläge jedoch mit der Terrorismusbekämpfung überhaupt nichts zu tun.
Zum anderen Teil waren sie entweder ungeeignet oder — häufig sogar noch zusätzlich — ihrer Annahme standen verfassungsrechtliche bzw. unüberwindliche rechtsstaatliche Bedenken entgegen.
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Dr. Emmerlich
Meine Kollegen Dürr und Weber werden das bei der Würdigung der Anträge der Opposition, die wir heute ablehnen werden, belegen.Bei dem Ihnen heute zur Entscheidung vorliegenden Gesetzentwurf geht es zunächst einmal um eine Verbesserung der Vorschriften über den Verteidigerausschluß und um eine Erweiterung der Durchsuchungsmöglichkeiten bei der Verfolgung von Beschuldigten, die einer Straftat nach § 129 a des Strafgesetzbuches dringend verdächtigt sind. Es geht aber auch darum, festzulegen, wann, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Konsequenzen für den Betroffenen zum Zwecke der Strafverfolgung Kontrollstellen eingerichtet und Identitätsprüfungen durchgeführt werden dürfen.Art. 5 des Gesetzentwurfs können Sie entnehmen, daß dabei das Grundrecht der Wohnung und das der Freiheit der Person eingeschränkt werden. Betroffen sind auch die freie Verteidigerwahl und die Freiheit der Berufsausübung bei Rechtsanwälten. Es handelt sich nicht nur um Eingriffe, die über den Charakter bloßer Belästigungen nicht hinausgehen. Die Durchsuchung einer Vielzahl von Wohnungen, obwohl der Verdächtige nur in einer von ihnen sein kann, ist ein durchaus gravierender Sachverhalt. An einer Kontrollstelle können Hunderte, vielleicht Tausende, angehalten, durchsucht und auf ihre Identität überprüft werden, obwohl von vornherein feststeht, daß allenfalls ein Verdächtiger oder wenige Verdächtige unter ihnen sein können.
Die Identitätsprüfung kann dazu führen, daß der Betroffene bis zu 12 Stunden festgehalten wird, unter besonderen Umständen auch dann, wenn er einer Straftat nicht einmal verdächtigt ist.Wer derartig die Rechte der Bürger in ernst zu nehmender Weise tangierende Maßnahmen beschließt, darf das nicht bedenkenlos tun.
Wer in Anspruch nimmt, verantwortungsbewußt zu handeln, muß Bedenken haben. Eine Fraktion, die diesem Bedenken Raum gibt, die mit diesem Bedenken ringt und die sich mit ihrem Bedenken quält, verdient keinen Tadel.
Eine Fraktion dagegen, in der sich dieses Bedenken nicht artikuliert, muß sich fragen und muß gefragt werden, ob ihr nicht etwas Wichtiges verlorengegangen ist.
Ich bin froh darüber, einer Fraktion angehören zu dürfen, die sich ihre Bedenklichkeit vor solchen Eingriffen in Bürgerrechte bewahrt hat.
Die SPD-Fraktion ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Überzeugung gekommen, daß der Schutz unserer Bürger vor Kriminalität, vor allem vor terroristischen Gewalttaten, daß die Bewahrung unserer freiheitlichen und demokratischen Grundordnung und die Erhaltung der Fähigkeit dieses unseres Staates, den inneren Frieden zu gewährleisten und das Gewaltverbot jedermann gegenüber durchzusetzen, dieses Gesetz notwendig machen, ja, daß es unerläßlich ist.
Wir haben, meine Damen und Herren, keine Veranlassung zu verschweigen, daß einige unserer Kollegen eine andere Bewertung für richtig halten. Wir respektieren ihre Auffassung in der Sache, weil wir aus den gemeinsamen Beratungen wissen, daß sie es sich genauso schwer gemacht haben wie wir, die große Mehrheit der Fraktion, und weil bei niemandem von ihnen der leiseste Zweifel daran erlaubt ist, daß sie wie wir zu einer entschlossenen, energischen und wirksamen Bekämpfung des Terrorismus bereit sind.
Den Bürgern in unserem Lande, denen, die eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus wünschen, und denen, die sich um die Bewahrung der freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen Ordnung sorgen, ihnen, denen wir gleichermaßen verpflichtet sind, sagen wir: Die Bundesregierung und die sozialliberale Koalition handeln so, daß dem Terrorismus erfolgreich begegnet wird und Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat gleichwohl nicht beschädigt werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politik in der parlamentarischen Demokratie hat auch und wohl vor allem die Aufgabe, an der Sache orientierte Alternativen aufzuzeigen. Das Parlament sollte immer wissen, und die Offentlichkeit muß immer die Möglichkeit haben, sich zu informieren und zu orientieren, was denn im Kern eigentlich das Problem einer Sache ist und welche Lösungsmöglichkeiten sich anbieten.Insofern steht die heutige Debatte ganz sicherlich unter keinem guten Stern. Ich meine nicht den bisherigen Verlauf dieser Debatte heute vormittag, sondern ich meine das, was sich seit Wochen und Monaten an Begleitmusik abgespielt hat. Inner-und außerhalb des Parlaments ist ja nichts, beinahe gar nichts unversucht gelassen worden, die Wirklichkeit durch den Schein zu verschleiern und bloße Unterschiede in der Beurteilung und der Bewertung zwischen den politischen Gruppen zu tiefen Gräben zu machen, die unüberbrückbar zwischen diesen Meinungsunterschieden liegen. Es ist immer wieder versucht worden, die Selbstbeweih-
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5660 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Engelhardräucherung als verhinderter und lediglich verkannter Retter des Vaterlandes vor die Sache selbst zu stellen.
Die Opposition — hier meine ich nicht dies, Herr Kollege Dr. Eyrich, was Sie, Ihrem Naturell entsprechend, heute hier sehr moderat gesagt haben — tut in dieser Auseinandersetzung generell so, als ob sie im Alleinbesitz der absoluten Wahrheit zur Bekämpfung des Terrorismus wäre.
Wer ihr nicht folgt, der wird als böswillig oder als Schwächling bezeichnet. Für den nicht ganz sachkundigen Beobachter muß, wenn er sich die Diskussionen so anhört, manchmal der gespenstische Eindruck entstehen, als herrschten in unserem Lande Anarchie auf der einen Seite und Hilflosigkeit bei den Reaktionsmöglichkeiten auf der anderen Seite. Ja, fast hat man manchmal den Eindruck, als solle dem Bürger draußen weisgemacht werden: Dort, wo die Opposition für ein schweres terroristisches Verbrechen Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren fordere, sei die Koalition gewillt, es mit einer gebührenpflichtigen Verwarnung abgehen zu lassen. So gespenstisch verläuft draußen zuweilen die Diskussion.
Davor muß mit allem Nachdruck gewarnt werden.Andere in diesem Lande — es sind wenige, aber sie sind aktiv — zerren die Bundesrepublik Deutschland vor internationale Scheintribunale, um sie der Menschenrechtsverletzung anzuklagen. Andere wollen den Eindruck erwecken, als habe dieser Staat seine Rechtsstaatsqualität bereits abgestreift. In der Diskussion macht sich — zumindest leichtfertig verursacht — der Trend bemerkbar, einem bestimmten Gesetzentwurf oder Vorhaben von vornherein einen häßlichen Namen anzuhängen, z. B. Razziengesetze,
um hier mit dem Einsatz der Sprache als Mittel vorgestanzter Stimmungsmache die Diskussion von vornherein in eine bestimmte Ecke zu drängen.
Ich frage mich: Wie soll sich die Öffentlichkeit, wie soll sich der einzelne Bürger bei einer solchen Diskussion ein wohlabgewogenes Urteil bilden können? Wie soll sich der Bürger draußen orientieren können, wenn wir nicht immer bereit sind, wahrhaftiger und viel nüchterner, aber auch redlicher miteinander umzugehen?
Wir Liberale nehmen für uns nicht Unfehlbarkeit in Anspruch.
Wir sind auch nicht ohne Fehler; aber wir bemühen uns und werden uns weiter bemühen, die Auseinandersetzung zumindest so zu führen, daß unsere Ordnung und unser Staat dabei nicht Schaden nehmen. Wir werden uns bemühen, dafür Sorge zu tragen, daß das Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat nicht geschwächt, sondern gestärkt wird, daß der Bürger zu diesem Staat Vertrauen haben kann. Wir Liberale sind immer besonders sensibel, wenn Fragen der rechtsstaatlichen Ordnung diskutiert werden. Das ist ja für uns alle hier keine Fachfrage. Da ist jeder einzelne aufgerufen, sich zu engagieren. Das ist eine Frage des Herzens wie des Verstandes gleichermaßen.Nun hat ein Mitglied dieses Hauses vor wenigen Tagen in einem Rundfunkinterview die Meinung geäußert, ihn habe die Zustimmung der FDP zu den Vorlagen der Bundesregierung etwas überrascht, weil er gerade von der liberalen FDP erwartet hätte, daß sie antiliberale Gesetze ablehne. Ich meine, der Autor dieses Satzes hat noch wenig von dem politischen Auftrag begriffen, der sich dem wahrhaft Liberalen stellt.
Der Bürger draußen weiß dies aus langjähriger Erfahrung besser. Er weiß, daß sich gerade Liberale an Liberalität und rechtsstaatlicher Gesinnung nicht übertreffen lassen. Der Bürger weiß aus Erfahrung aber auch, daß sich Liberale nicht in ihrer Bereitschaft werden übertreffen lassen, alles Erforderliche zu tun, um den Terrorismus zu bekämpfen und den Bürger mit den Mitteln unseres Rechts zu schützen. Der Rechtsstaat ist ja nicht nur ein Rechtsprinzip, irgendwo aufgehängt in einem Wolkenkuckucksheim. Rechtsstaat, das ist Lebenswirklichkeit aus Fleisch und Blut in einer Welt, die nicht so ist, wie sie sein sollte oder wie sie vielleicht sein könnte. Der Bürger fordert begreiflicherweise von seinem Staate Schutz. In der Auseinandersetzung mit dem Unrecht und mit dem Verbrechen ist auch der Rechtsstaat gefordert. Gerade er ist gefordert. Er ist doppelt gefordert, zum einen als Staat und zum anderen als höchste qualitativ überhaupt mögliche Rechtsordnung. In beiden Funktionen gleichermaßen — so sehen wir Liberale es — muß sich der Rechtsstaat täglich neu in dieser Auseinandersetzung bewähren.Wir haben uns in der Fraktion der FDP unsere Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir haben die Vorschläge sehr frühzeitig, wir haben sie mehrfach und wir haben sie sehr gewissenhaft diskutiert und beraten. Das Ergebnis war, daß die Vorschläge des Rechtsausschusses von allen Mitgliedern unserer Fraktion einstimmig getragen werden. Wir halten es für notwendig, für Kontrollstellen, für Identitätsfeststellungen eine eindeutige Rechtsgrundlage in der Strafprozeßordnung zu schaffen. Wir erwarten ja alle von der Polizei Erfolge bei der Fahndung. Aber
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Engelharddann müssen wir auch dafür sorgen, daß der Polizei die Möglichkeit gegeben wird, rechtmäßig auf eindeutiger Rechtsgrundlage wahrhaftig zu handeln. Das sind wir unserer Polizei schuldig. Darüber hinaus sind wir es dem Rechtsstaat schuldig, daß nicht unter Vorwänden die Polizei genötigt ist, etwas zu tun, was in der Sache richtig ist und von allen Bürgern erwartet wird.Aus den Erfahrungen im Entführungsfall Dr. Schleyer wissen wir, daß es notwendig sein kann, die Wohnungen eines ganzen Gebäudes nach Tätern zu durchsuchen. Wir sollten nicht vergessen, daß wir selber mit Sündenfällen des Städtebaus in der Vergangenheit Bauobjekte geschaffen haben, die heute Maßnahmen im Rahmen der Strafprozeßordnung notwendig machen, an die ehedem überhaupt niemand hätte denken müssen. Aber die Situation ist gegeben. Was die Fahndung in Köln vorgefunden hat, macht es notwendig, als letztes Mittel — restriktiv angewandt, wie ich betonen möchte — die Durchsuchung von Wohnungen eines ganzen Gebäudes zu ermöglichen.Wir haben eine Klarstellung in Sachen Trennscheibe vorgesehen. Auch dies ist ein notwendiger Schritt, nachdem die Bundesländer in der bisher geltenden Regelung diese Ermächtigung nicht gesehen haben.Wir haben uns bei den Beratungen um einen verbesserten Verteidigerausschluß bemüht. Das Problem des Verteidigerausschlusses stellt sich vor allem, ja, fast ausschließlich im terroristischen Bereich. Deswegen haben wir nur dort die Senkung der Verdachtschwelle vorgenommen. Wir haben den Vorwurf der Begünstigung ausgeklammert. Ich glaube, dies ist genau die sachgerechte Entscheidung, die wir treffen mußten und die alle in diesem Hause tragen könnten. Denn das Problem ist nicht, daß Verteidiger im terroristischen Bereich die Taten ihrer Mandanten nachträglich beschönigen und mit unlauteren Mitteln zu rechtfertigen suchen, sondern das Problem ist — das haben wir nur im terroristischen Bereich —, daß es einige Anwälte gibt, die sich dazu bereitgefunden haben, gemeinsam mit den Beschuldigten in die Zukunft hinein zu agieren und neue Straftaten vorzubereiten. Hier soll nun verstärkt der Hebel angesetzt werden, mit einem verbesserten Verteidigerausschluß solche Anwälte, die sich nicht mehr als Organe der Rechtspflege verstehen, aus dem Verfahren überhaupt herauszunehmen.Nun sind in den letzten Tagen erneut Änderungen der Beschlüsse des Rechtsausschusses verlangt worden. Lassen Sie mich sagen, daß es für unsere Zustimmung dieser Änderungen nicht bedurft hätte. Aber wir tragen die jetzt vorgesehenen Änderungen voll mit. Der Grund dafür ist, daß es, inhaltlich gesehen, nur eine wesentliche Änderung ist. Das andere ist mehr Arabeske, die bejaht werden kann, die aber inhaltlich an den Beschlüssen des Rechtsausschusses nichts Wesentliches ändert.Entgegen den Verlautbarungen und Spekulationen in der Öffentlichkeit steht fest, daß auch nach der Änderung gravierende Zufallsfunde bei der Durchsuchung einer Wohnung, sei es Rauschgift oder wasimmer, wenn sie gelegentlich einer Durchsuchung eines ganzen Gebäudes gemacht werden, von der Polizei beschlagnahmt und sichergestellt werden können. Daß dies gewährleistet ist, darauf haben wir allerdings den allergrößten Wert gelegt.Die einzige inhaltliche Änderung liegt darin, daß die herabgesetzte Verdachtsschwelle nun nur noch für den Bereich der terroristischen Vereinigung, nicht mehr für den der kriminellen Vereinigung Geltung haben soll. Wir können auch dem zustimmen, müssen dazu lediglich folgendes anmerken: Wir waren immer der Meinung, daß das, was wir für die Terrorismusbekämpfung brauchen, auch gesetzgeberisch auf den terroristischen Bereich beschränkt werden sollte. Nur wurde uns manchmal entgegengehalten, hier könnte der böse Schein entstehen, man wolle Sonder- und Ausnahmegesetze für einen Bereich zuschneiden. Jetzt ist der Schritt erfolgt: Konzentrierung auf die Terrorismusbekämpfung und nur auf diese. Dazu können wir ja sagen.Die Fraktion der Freien Demokraten wird heute geschlossen zu den Vorschlägen des Rechtsausschusses einschließlich der eben angesprochenen Änderungen ja sagen. Alle Abgeordneten der Koalition, auch diejenigen, die vielleicht auch in dieser Stunde noch mit ihren Zweifeln beschäftigt sind, sollten sich nochmals gewissenhaft überlegen, ob sie uns auf diesem Weg nicht folgen können. Dies ist nicht nur ein Problem der Partei- und Fraktionssolidarität; es ist auch nicht allein die Frage, ob die Bundesregierung in diesem Einzelfall eine parlamentarische Mehrheit hat. Nein, es gibt einen weiteren, einen ganz anderen Grund, den jeder, der politisch zu denken versteht, sehen muß: Die Alternative zu den Vorschlägen der Bundesregierung sind von den politischen Möglichkeiten her nicht der Wunsch und die Vorstellung dieses oder jenes, der zweifeln mag; nein, die Alternative zu den Vorschlägen der Bundesregierung sind vom politisch Durchsetzbaren her allein die Vorschläge der Opposition. Und eben dazu sagen wir nicht ja, das wollen wir nicht.
Wir werden — Herr Kollege Kleinert wird dies nachher im einzelnen begründen — diese Vorschläge der Opposition
deswegen heute auch ablehnen.Ob es sich allerdings die Opposition deshalb gleichfalls leisten kann, zu den Vorschlägen der Bundesregierung ganz einfach nein zu sagen,
muß ich doch mit einem großen Fragezeichen versehen. Sie sagen ja nicht, daß die Vorschläge, die wir unterbreitet haben, in sich untauglich wären. Sie sagen nur, das sei zu wenig. Aber ich frage mich: wie kann es sich die Union leisten, wie kann sie draußen verständlich machen,
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Engelharddaß sie das aus ihrer Sicht Wenige ablehnt, weil sie nicht die Mehrheit hat, das Mehr zu bekommen?Sie sagen immer — das haben auch Sie, Herr Kollege Dr. Eyrich gesagt —, die Koalition tue nicht alles, was nötig ist, ja, sie tue vielleicht nicht einmal alles, was sie selbst als für die Terrorismusbekämpfung nötig erkenne.
Ich bestreite dies; aber wenn ich Ihrem Gedankengang einmal folge, will ich Sie fragen, ob Sie es sich leisten können, zu den Vorschlägen der Bundesregierung ganz einfach nein zu sagen und damit etwas abzulehnen, was auch Sie von Ihrem Standpunkt aus jedenfalls im Ansatz als richtig erkennen.Das muß man am Beispiel der Trennscheibe noch einmal etwas verdeutlichen. Wir waren ja immer der Meinung, daß die Trennscheibe bereits im bisher geltenden § 148 der Strafprozeßordnung verankert ist. Die Landesjustizverwaltungen haben davon keinen Gebrauch gemacht. Wie können Sie, Herr Dr. Eyrich, heute sagen: Warum sollen wir die Trennscheibe mit beschließen, da es sie bereits gibt? Sie wissen doch genau, daß gerade Stammheim das erschreckende Beispiel dafür ist, wie das Vollzugsdefizit Platz gegriffen hat und alles, was wir an gesetzlichen Bestimmungen seit langem haben, eben nicht praktiziert wurde.
Deswegen haben wir hier eine Klarstellung vorgenommen,Vielleicht können Sie als Opposition sich auf Ihre Funktion zurückziehen. Aufgabe der Opposition ist es ja u. a., in geschickter Weise zu Vorschlägen der Regierung nein zu sagen.
— Ich räume Ihnen ein, Herr Dr. Kohl: So kann man dies sehen. Ob der Bürger das allerdings versteht
und ob Sie damit dem Anspruch, den Sie stets an sich selbst stellen, gerecht werden, kann ich Sie nur fragen. Die Antwort darauf, meine Damen und Herren von der Opposition, werden Sie sich selbst geben müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat nunmehr der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte als erstes meiner Genugtuung und meiner Erleichterung darüber Ausdruck geben, daß unsere heutigen Beratungen so sachlich und nüchtern und in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts begonnen haben. Ich hoffe, es gelingt, dies bis zu den Abstimmungen durchzuhalten. Denn unsere Demokratie lebt nicht vom Augenblickseffekt, sie lebt von ihrer Überzeugungskraft und dem Vertrauen, das sie gerade auch in kontroversen Diskussionen immer aufs neue zu bilden vermag. Sie lebt von .der Gemeinsamkeit, die sich in der Art ,des Umgangs miteinander auch dann bewährt, wenn die Sachentscheidungen kontrovers bleiben.Sodann möchte ich einem Eindruck entgegentreten, der im Vorfeld dieser Debatte entstanden ist, dem Eindruck nämlich, hier und heute falle die Entscheidung darüber, ob der Terrorismus endgültig besiegt oder ob der Rechtsstaat endgültig zerstört werde. Meine Damen und Herren von der Opposition, kein anderer als Professor Lübbe, der auf Ihrem Kongreß ein bemerkenswertes Referat gehalten hat, hat völlig zu Recht gesagt: „Im Kampf gegen den Terrorismus können Polizei und Gerichte nur Nacharbeit leisten. An die Ursachen des Terrorismus kommt man mit Verfahren und Verurteilungen nicht heran." Kein Geringerer als Kardinal Ratzinger hat vorgestern in einem bemerkenswerten Interview den gleichen Standpunkt vertreten.
Ich meine, diese Männer haben recht. Wer den Terrorismus überwinden will, muß seine Ursachen erforschen
und sich mit ihm auf vielen Feldern auseinandersetzen,
nicht nur auf dem der Gesetzgebung. Zur Überwindung des Terrors trägt beispielsweise der bittere Streit darüber, ob der Ausschluß oder die Überwachung konspirierender Verteidiger den Vorzug verdient, nichts bei, im Gegenteil, dieser Streit schadet, weil er vom Wesentlichen ablenkt.
Zum Wesentlichen führen Fragen wie diese: Warum ist bei den Terroristen gegenüber den gesellschaftlichen und staatlichen Zuständen in der Bundesrepublik ein so vollständiger Realitätsverlust eingetreten? Inwieweit hat maßlose und übersteigerte Kritik an unserer staatlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit zu diesem Realitätsverlust beigetragen, eine maßlose übersteigerte Kritik, die durchaus nicht nur von einer Seite, sondern von beiden Rändern her geübt wird? Welche Umstände haben zum Abbau der Hemmschwelle gegenüber massiver Gewaltanwendung geführt? Welche Rolle hat dabei die zunehmende Brutalisierung der Sprache gespielt? Warum stoßen einzelne Ziele, ja sogar konkrete Anschläge der Terroristen da und dort auf Zustimmung? Welches sind die Hintergründe des sogenannten Mescalero-Effekts?Dann aber auch die Frage, die nur Selbstgerechte mit einem höhnischen Lächeln beantworten können: Was haben wir selbst falsch gemacht? Warum haben wir die gemeinsame Aufbauleistung von 30 Jah
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Bundesminister Dr. Vogelren nicht in ein positives Staatsgefühl, in eine gefühlsmäßige Bindung gerade auch der jungen Generation an unsere Republik umsetzen können?
Woher stammen die Zweifel, ob dieser Staat wirklich legitimiert ist, Dienst und Opfer zu fordern? Haben wir — und ich sage bewußt „wir" — nicht zu vieles, was zu klären, was auszutragen war, einfach mit materiellem Mehr zugedeckt, ja geradezu betäubt?
Haben wir dann nicht auch später vieles widerstandslos oder doch schweigend geschehen lassen, wo Beharren auf dem Recht und seine Durchsetzung geboten gewesen wären?
— Lieber Herr Kollege Erhard, ich will Ihnen doch die Freude über das Gefühl hundertprozentiger Rechthaberei in keiner Weise schmälern.
Mir geht es um die ernste Darlegung von Fragen,auf die die Patentantwort in einem Satz zu geben,mir verdächtig vorkommt.
— Entschuldigung, dann sind wir d'accord.
Das, meine Damen und Herren,, sind die zentralen Probleme. Das sind die Probleme, mit denen wir uns vielleicht auch deswegen nicht intensiv genug beschäftigen konnten, weil wir uns über Gebühr in Fragen der Gesetzgebung verbissen haben und weil andere zu beschuldigen allemal leichter und reizvoller ist, als Selbstkritik zu üben.
In den Wochen nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer und in den Tagen vor und nach Mogadischu ist hier manche Verkrustung aufgebrochen, manche vorgefaßte Meinung erschüttert, auch manche Brücke geschlagen worden. Es wäre tragisch — und dies sage ich zum ganzen Haus —, wenn alle diese Ansätze wieder verschüttet würden, wenn wir auf eine geschichtliche Herausforderung letzten Endes nur mit Routine, Rechthaberei und Gezänk antworteten.
Gemessen an den Problemen, die ich soeben berührt habe, ist der Gegenstand, über den wir heute verhandeln, bei all seiner Bedeutung nicht von ab- solutem, sondern von relativem Rang. Vergessen wir doch nicht, meine Damen und Herren, was uns Carl Friedrich von Weizsäcker oder auch Manfred Rommel — um einen parteilosen Gelehrten und einen Mann aus dem Lager der Opposition als Zeugen anzurufen — vor Augen geführt haben, daß nämlich die rechtsbrechenden Terroristen keineswegs die einzige Zielgruppe unserer Maßnahmen und Über-legungen sein können, daß vielmehr die Wirkung dessen, was wir tun oder unterlassen, auf andere Zielgruppen für die Frage, ob der Terrorismus ausgetrocknet oder belebt wird, gleichen Rang besitzt.
Ich meine dabei in Anlehnung an diese beiden Männer vor allem die Wirkung auf uns selbst, die wir politische Verantwortung tragen, und unser Verhältnis zueinander, die Wirkung auf das Bewußtsein und die Gefühle der breiten Schichten unseres Volkes, die Wirkung auf andere Völker, deren Meinung und Haltung für die Entwicklung des Terrorismus in der Bundesrepublik durchaus relevant sind, und schließlich die Wirkung auf diejenigen, die schwanken, ob sie sich terroristischen Aktivitäten anschließen oder ihnen doch Vorschub leisten sollen.Dies alles ist bei jedem Schritt zu bedenken; denn was hilft eine Maßnahme, die zwar zehn Verdächtige ohne exakten Schuldnachweis früher oder länger hinter Schloß und Riegel bringt, dafür aber hundert andere motiviert, zu den Terroristen überzulaufen? Was hilft eine vermeintlich harte Gesetzgebung, die von der großen Mehrheit unseres Volkes — und das gebe ich ausdrücklich zu — sicherlich zunächst mit Erleichterung aufgenommen, dann aber eine um so größere Frustration und Staatsverdrossenheit auslösen würde, weil sie voraussehbar das nicht bewirken kann, was die Menschen erwarten, nämlich das Ende der Anschläge.
Was hilft es aber auch, wenn wir um einer vermeintlichen Liberalität willen das unterlassen, was sinnvoll zur Verminderung der Gefahr getan werden kann, und unser Volk deshalb das Vertrauen zur Schutzfähigkeit und zum Behauptungswillen unseres Staates verliert?
Aus all diesen Gründen verträgt aber die Gestaltung der Vorlage, über die heute zu entscheiden ist, auch nicht die Dramatisierung zur Schicksalsfrage unserer Rechtsstaatlichkeit. Es geht vielmehr um ein sehr nüchternes Geschäft, nämlich darum, ob und wie wir erkannten Mißbräuchen und Gefahren durch Änderung einiger gesetzlicher Bestimmungen begegnen können, ohne zugleich an anderer Stelle andere Gefahren und Schäden hervorzurufen. Die Auseinandersetzung darüber führen wir auf anderen Gebieten doch unentwegt. Niemand behauptet dabei, Rechtsänderungen seien ein Allheilmittel oder absolut unerlaubt. Vielmehr prüfen wir die konkreten Vorschläge im Lichte unserer jeweiligen allgemeinen Zielsetzung darauf, ob sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen und den sonstigen Prinzipien unserer Verfassung entsprechen und ob sie effektiv sind, also den gewünschten Erfolg auch tatsächlich erwarten lassen.
Eben das ist während der Ausschußberatungen der letzten Wochen mit größer Sorgfalt geschehen. Dabei hat sich gezeigt, daß einzelne Vorschläge der
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Bundesminister Dr. VogelOpposition auch aus rechtsstaatlichen Gründen auf Bedenken gestoßen sind. Im übrigen, Herr Kollege Eyrich: Ich habe die sorgfältige Prüfung zugesagt; ich habe in keinem Stadium des Gesprächs erklärt, daß die Vorschläge der Union insgesamt übernommen werden könnten.
Wenn ich sage: auf rechtsstaatliche Bedenken, so gilt das insbesondere für den ursprünglichen Vorschlag, bei dringendem Verdacht einer Straftat nach § 129 a des Strafgesetzbuches den Verdächtigen automatisch in Untersuchungshaft zu nehmen. In Ihrem heutigen Änderungsantrag haben Sie diesen Vorschlag ja vernünftigerweise auch fallenlassen;
ein Zeichen, daß das doch eine sachliche Auseinandersetzung über einen wichtigen Punkt ist: ob es rechtsstaatliche Bedenken gibt oder nicht. Sie haben das ja selbst durch Ihr Verhalten in diesem Punkt bestätigt.
Das gilt auch für den Vorschlag zur Sicherungsverwahrung, die niemand als Institut in Frage stellen will. Es geht vielmehr darum, ob sie in einem so weitgehenden — durch Ihren Änderungsantrag von heute ja noch ausgedehnten — Umfang bereits für Ersttäter vorgesehen werden soll.
— Herr Kollege Eyrich, hier sind die Bedenken in einem früheren Stadium ja sogar bei einem Teil Ihrer eigenen Fraktion vorhanden gewesen. Ich erinnere an die „dpa"-Erklärung meines Namensvetters, des Kollegen Vogel, zu einer Äußerung des Kollegen Wittmann zu Beginn der Debatte über die Sicherungsverwahrung.
Das ist doch auch völlig in Ordnung, und ich finde es gut, daß auch in Ihrem Bereich wie im ganzen Hause die Frage der Rechtsstaatlichkeit als ein Kriterium ernst genommen wird.Andere Vorschläge der Opposition erwiesen sich bei näherer Prüfung als nicht in dem notwendigen Maße effektiv oder praktikabel. Das gilt beispielsweise — und hier bin ich im Einklang mit dem, was die Justizministerkonferenz im März vergangenen Jahres festgestellt hat — für den Vorschlag, für bestimmte Delikte die Höchststrafe von 15 auf 20 Jahre zu erhöhen. Glauben Sie wirklich, daß das zu allem entschlossene Terroristen abschreckt? Nach allem, was wir wissen, schreckt diese Terroristen nur eines ab, nämlich die Gewißheit, daß sie ergriffen, daß sie zu lebenslanger Strafe verurteilt und daß sie unter keiner Drohung oder Erpressung aus der Haft entlassen werden.
So betrachtet waren die — übrigens gemeinsam getroffenen — Entscheidungen
von Stockholm, im Entführungsfall Schleyer und von Mogadischu, den erpresserischen Forderungen auf Freilassung nicht nachzugeben, die effektivsten Abschreckungsmaßnahmen, die es in Richtung auf die Terroristen geben konnte.
In der Diskussion war weiter die Forderung nach Überwachung bestimmter Verteidigergespräche umstritten. Ursprünglich — ich stehe dazu — ist diese Forderung auch von mir unterstützt und von der Bundesregierung erhoben worden. Das ist heute völlig zutreffend ausgeführt worden. Die Bundesregie. rung hat sich jedoch von den Argumenten beeindrucken lassen, die während der Diskussion von der gesamten deutschen Anwaltschaft, von der deutschen Richterschaft, die ihren Standpunkt in der Frage ja auch von einem Richtertag zum nächsten geändert hat, vorgetragen wurden; sie hat sich auch durch die Argumente des Generalbundesanwalts beeindrucken lassen, die er gestern noch einmal im Rechtsausschuß vorgetragen hat.Danach muß — von allen anderen Erwägungen einmal abgesehen — davon ausgegangen werden, daß die Überwachung das, was von ihr erwartet wird, nur in unzureichendem Maße leisten kann. Bei der Beratung des Kontaktsperregesetzes — ich muß dies immer wieder sagen — ist es übrigens auch vom Sprecher der Opposition anerkannt worden. Herr Kollege Eyrich, Sie haben damals mit Recht wörtlich ausgeführt:Wissen Sie, ob dieser integre Anwalt überhaupt in der Lage ist, die Bedeutung dessen zu erkennen, was ihm gesagt wird und wovon er glauben kann, daß es zum Zwecke seiner Verteidigung dient, zu erkennen, daß es tatsächlich dieses auch beinhaltet? Haben wir nicht den Ideenreichtum derer, die im Gefängnis sitzen, in den letzten Wochen, Monaten und Jahren kennengelernt?Herr Kollege Eyrich, wir haben die Argumente schon wiederholt ausgetauscht. Wenn dies schon für den integren Anwalt gilt, um wieviel schwieriger ist die richterliche Überwachung, wenn es sich um jemanden handelt, der bereits im Verdacht steht, daß er eben nicht zu dieser Kategorie gehört, der infolgedessen noch ganz andere Techniken einsetzt.
Die Bundesregierung hat deshalb nach anderen Wegen gesucht, die Gefahren zu mindern, die sich aus der Konspiration einzelner Verteidiger mit solchen Häftlingen ergeben können, denen bandenmäßig verübte terroristische Gewalttaten zur Last liegen. Ich begrüße, daß der Rechtsausschuß den beiden darauf abzielenden Vorschlägen der Bundesregierung, nämlich der wirksameren Gestaltung des Ausschlusses verdächtiger Verteidiger und der Normierung der in Teilbereichen schon heute für zuläs-
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Bundesminister Dr. Vogelsig gehaltenen und angewendeten Trennscheiben, zugestimmt hat. Beide Maßnahmen sind rechtsstaatlich und effektiv. Sie sind auch notwendig.
Deshalb haben sich auch die Organisationen der Anwaltschaft, das Präsidium der Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Anwaltverein, diesen Regelungen durch ausdrückliche Erklärungen nicht mehr widersetzt — eine Haltung übrigens der beiden Organisationen, die auf Verantwortungsbewußtsein beruht und ausdrückliche Anerkennung auch von dieser Stelle aus verdient.
Gleiches gilt für die weiteren vom Rechtsausschuß beschlossenen Ergänzungen der Strafprozeßordnung, die sämtlich aus dem Entwurf eines einheitlichen Polizeirechts abgeleitet sind und die Erfahrungen vieler Jahre einschließlich des Jahres 1977 berücksichtigen. Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs wird bei gravierenden Straftaten sowohl durch die Einrichtung von Kontrollstellen als auch durch erweiterte Befugnisse zur Personenfeststellung in angemessener Weise erleichtert. Wer erkennt, daß die Freiheit des einzelnen auch Verpflichtungen gegenüber dem Nächsten und der Gemeinschaft zur Voraussetzung hat, wird auch die kurzfristige Festhaltung Unverdächtiger, so schwer dieser Eingriff auch ist, akzeptieren, wenn auf anderem Wege die jedem Bürger obliegende Zeugenpflicht nicht verwirklicht und nicht durchgesetzt werden kann.Herr Kollege Eyrich hat noch die Frage nach der Definition „Gebäude", „Haus", „Gebäudeteile" angesprochen. Herr Kollege Eyrich, ich glaube, wir sollten hier einfach auch auf Grund der Erfahrungen des Jahres 1977 erkennen: Wenn man sich jetzt auf den Begriff „Gebäude" verständigt hat, und es ist eine Tiefgarage vorhanden, und der Verdacht, der sich aus etwa dort aufgefundenen Gegenständen ergibt, bezieht sich auf zwei oder drei Häuser in dieser Umgebung — weil die räumlichen Verhältnisse so gestaltet sind -, und es liegen die übrigen Voraussetzungen für diese zwei oder drei Häuser vor, dann besteht doch der gesamte Unterschied nur darin, daß der Richter eben in diesem Fall zwei oder drei Durchsuchungsbefehle auszustellen hat, während er in dem anderen Fall mit einem Durchsuchungsbefehl durchkommt.
— Herr Kollege Eyrich, wir kennen beide die richterliche Praxis, und wir wissen, daß es zwischen Praxis und dem, was dem Gesetzgeber vorschwebt, immer eine gewisse Spannweite gibt. Nur: Ich bejahe rechtsstaatlich, daß auf diesem Wege der Richter noch einmal daran erinnert wird, daß er für jedes einzelne Objekt die Voraussetzungen zu prüfen hat.
Darin sehe ich das Positive.
Herr Kollege Eyrich, Sie können doch nicht im Ernst behaupten, daß die Tatsache, daß der Richter drei Befehle ausstellen muß, die Verfolgung von Terroristen ernsthaft behindert. Hier sehe ich überhaupt keine Behinderung.
— Entschuldigung, Sie können mir doch nicht sagen, es komme auf Stunden an, wenn — bei Gefahr im Verzuge — der Staatsanwalt diese Anordnung treffen kann. Er kann sie, wie Sie beide wissen, natürlich auch mündlich treffen. Ich möchte mich — obwohl ich hier jetzt nicht in juristische Details gehen will — nur noch einmal ganz ausdrücklich dagegen wenden, daß Sie in Ihrem Änderungsantrag jetzt sogar den Ausdruck „Bezirk" einführen wollen.
Dieser Ausdruck „Bezirk" ist so unscharf
— so weit will ich gar nicht gehen —, daß Sie erleben werden, daß die Richter von einer solchen Regelung überhaupt keinen Gebrauch machen würden, weil ihnen dies viel zu unbestimmt und ungewiß wäre. Beim ersten Befehl eines Richters, etwa einen ganzen Stadtbezirk zu durchsuchen, würde sofort das Bundesverfassungsgerichts angerufen. Den Ausgang glaube ich Ihnen voraussagen zu können.Was diese Vorlage bringt, ist nicht überhastet erarbeitet worden. In der gegenwärtigen Fassung beinhaltet die Vorlage auch nichts, was den Rechtsstaat gefährdet. Jeder in diesem Hause — hier glaube ich die Opposition einschließen zu können — wird die Berufung auf rechtsstaatliche Sorgen und Zweifel ernst nehmen. Wer es nicht täte, würde sich damit zu dem Geist in Widerspruch setzen, aus dem die Väter unserer Verfassung das Grundgesetz schufen und aus dem unsere Rechtsordnung lebt.
Die Berufung auf solche Zweifel und Sorgen allein genügt aber nicht. Die Zweifel müssen auch der . Prüfung standhalten, wenn ein Akt der Gesetzgebung an ihnen scheitern soll. Dies ist hier nicht der Fall.Für jede Regelung, die heute im Bundestag auf Vorschlag der Bundesregierung verabschiedet werden soll, gibt es in anderen bewährten, unangefochtenen rechtsstaatlichen Demokratien Entsprechungen. Auch die Summe dessen, was seit dem Jahre 1974 an der Strafprozeßordnung geändert wurde, hält sich durchaus in diesem Rahmen. Die Bundesrepublik ist — sie wird dies auch nach Annahme dieser Vorlage sein — unverändert einer der liberalsten Staaten dieser Erde, einer der Staaten, die den Menschenrechten den höchsten Rang einräumen. Aber Menschenrechte — vor allem gilt dies für das Menschenrecht des einzelnen Bürgers auf Schutz seines Lebens und Schutz seiner Freiheit — erfor-
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Bundesminister Dr. Vogeldern auch, das Notwendige und Mögliche zu tun, um Mißbräuche und Gewalttaten zu verhindern.
Deshalb — ich möchte diesen Punkt ganz offen ansprechen — vermag ich die Argumente derer, die aus Sorge um die freiheitliche Qualität unseres Staates gegen die Vorlage stimmen wollen, zwar ,zu respektieren — dieser Respekt hat ja auch im Gang der Verhandlungen seinen Niederschlag und seinen Ausdruck gefunden —, aber ich kann sie nicht akzeptieren. Ich will mit denen, die ich hier anspreche, nicht über die Folgen rechten, die ihre Entscheidung haben könnte. Ich will auch nicht darüber rechten, ob sie dann, wenn es ihnen gelänge, in — dies ist der technische Ausdruck — einer negativen Koalition mit der Opposition aus entgegengesetzten Motiven die Vorlage zu Fall zu bringen, im Ergebnis nicht gerade das herbeiführen helfen, was sie doch verhindern wollen. Ich bitte sie vielmehr, noch einmal in aller Ruhe und in allem Ernst die Argumente und Motive zu wägen, aus denen diese Vorlage eingebracht und im Rechtsausschuß verabschiedet worden ist. Wir wollen, daß diese Vorlage Gesetz wird, weil sie in rechtsstaatlicher Weise konkrete Gefahren mindert und die Chancen erhöht, Menschen zu retten, die sonst vielleicht ihr Leben verlieren würden, weil sie die Last derer erträglicher macht, die in künftigen Entführungsfällen wiederum über Tod oder Leben unschuldiger Geiseln entscheiden müssen, und weil sie das Vertrauen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesen unseren Staat zu bewahren hilft.An die Opposition kann ich eine solche Bitte nicht richten. Sie lehnt ja die Vorlage aus politischen Gründen ab. Das ist legitim. Die Umstände bieten eine starke Verlockung, zu versuchen, ob man der Regierung eine Niederlage beibringen kann. Die Frage ist allerdings wohl erlaubt, ob es nicht ein Stück verantwortungsbewußter wäre, dieser für jeden Politiker verständlichen Versuchung zu widerstehen und für einen Entwurf zu stimmen, der vom Standpunkt der Opposition vielleicht ein minus, aber doch nicht ein aliud darstellt.
Carl Friedrich von Weizsäcker hat kürzlich in einer vielbeachteten Rede in München gesagt:Das einhaltbare Recht entlastet uns von den unerfüllbaren Forderungen des moralischen Rigorismus an die Gesellschaft, Forderungen, die— und wir erleben es —immer wieder in Haß und Selbsthaß umschlagen. Deshalb— so fuhr er fort —ist es eine tiefe Perversion, von Gerichten zu verlangen, daß sie unserem wie auch immer verständlichen Haß gegen den Verbrecher Ausdruck verleihen. Präzise Justiz entlastet uns vom Haß.Das gilt auch für das Recht und die Gesetze. Es wäre in der Tat tiefe Perversion, Gesetze zu schaffen, die unserem wie auch immer und weiß Gottverständlichen Haß gegen die Terroristen Ausdruck verleihen. Nüchtern konzipierte und an den objektiven Bedürfnissen orientierte Normen entlasten uns von diesem Haß und schützen unsere Freiheit und unseren Staat um so wirksamer.
Deshalb bitte ich im Namen der Bundesregierung um die Annahme der Vorlage.
Das Wort
hat der Herr Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viel von dem, was der Herr Bundesjustizminister soeben im grundsätzlichen Bereich gesagt hat, können wir nur unterstreichen. Aber, Herr Bundesjustizminister, jetzt geht es um die Bewältigung einer akuten gesetzgeberischen Situation, die wir Ende September, im Oktober und im November als solche quer durch die Parteien erkannt haben. Wir haben uns im Oktober über die Grenzen von Regierung, Opposition, Koalition und Parteien hinweg mit Überlegungen befaßt, die der akuten Situation Rechnung tragen sollen. Wir haben einen Katalog der vordringlich zu regelnden Materien aufgestellt: die Frage der Sicherungsverwahrung, die Frage der Einstufung der Zugehörigkeit zu einer Terrorbande als Verbrechen, der Verteidigungsausschluß, die Verteidigerüberwachung, die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung für Terroristen, die Kontrollstellen für die Polizei.Was die Opposition an Änderungs- und Ergänzungsvorschlägen zu der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses jetzt erneut vorschlägt, ist sicher nicht das Absolute; aber es soll einer akuten Situation Rechnung tragen. Was heute mit der Mehrheit der Koalition beschlossen wird, ist nicht nur zu wenig, sondern bleibt hinter dem zurück, was der gegenwärtige Rechtszustand ist. Ich denke nur an die Problematik der Kontrollstellen, der Identitätsfeststellung und der Durchsuchung von Gebäuden im Vergleich mit den geltenden Polizeirechtsvorschriften unserer Länder. Hier wird sich bald ein Prozeß entwickeln, der allgemein zu dem Zuwenig oder Weniger hingeht, das wir jetzt geregelt haben.Ich möchte gleich auch einen Irrtum ausräumen, den Herr Kollege Emmerlich hier zu erzeugen versucht hat. Es geht bei unseren Vorschlägen und Anträgen jetzt um die Bekämpfung des Terrorismus. Sie werden keinen Antrag von uns finden, in dem nicht aktuell auf diese Problematik durch Hinweis auf die Bestimmungen über Terrorbanden Bezug genommen ist.
Erzeugen Sie hier bitte nicht den Irrtum, wir würden der Allgemeinheit Opfer zumuten, die weit über das geltende Recht hinausgingen! Wir zielen direkt gegen den Terrorismus. Lesen Sie bitte unsere Anträge!
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Dr. Wittmann
Die jetzt vorgelegten Minimalvorschläge der Koalition von SPD und FDP sprechen dem Hohn, was der Bundespräsident bei der Trauerfeier für Hanns Martin Schleyer gefordert hat. Er forderte damals am 25. Oktober 1977 — ich zitiere —:Aber nun dürfen wir nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen und so tun, als wäre nichts geschehen.In der Tat: Das, was jetzt als Ergebnis des Rechtsausschusses vorliegt, mutet an, als würde man zurTagesordnung übergehen. Die Konsequenzen aus dem, was im Oktober in gemeinsamen Gesprächen als notwendig erachtet wurde, sind keineswegs gezogen.Bis jetzt konnte niemand behaupten und hat niemand behauptet, daß z. B. die Vorschläge der Opposition, wie sie heute dem Hause vorliegen, der Rechtsstaatlichkeit widersprächen. Sie sind nur — das ist unsere Auffassung — effektiver als das, was die Koalition vorschlägt, und gegen die Terroristen unmittelbar gerichtet, weil es jetzt gilt, diese zu bekämpfen und nicht theoretische Diskussionen darüber zu führen, was vielleicht vor einigen Jahren der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform zur Sicherungsverwahrung oder vielleicht zur Einstufung der Zugehörigkeit zu einer Terrorbande als Verbrechen debattiert hat.Ich gewinne heute als Teilnehmer an den verschiedenen Gesprächen im Herbst vergangenen Jahres über die dringend zu regelnden Fragen die Überzeugung, daß man damals versucht hat, die Bevölkerung zu täuschen und nur einen Aktivismus vorgegaukelt hat, der dann sehr schnell wieder der Alltäglichkeit gewichen ist.
Wir sehen auch, daß alles, was die Bundesregierung bringen wollte, nicht auf den Weg kommt. Ich erinnere hier an die melderechtlichen Vorschriften. Ich könnte noch viele andere Dinge aufführen, die wir mit der Koalition, mit dem Bundesjustizminister, mit dem Bundesinnenminister besprochen haben. Vor allem der Bundesinnenminister hätte die Möglichkeit, die Vorschläge sofort dem Innen- und Rechtsausschuß als Formulierungshilfe zu unterbreiten, damit sie unverzüglich mit den Vorschlägen der Opposition beraten werden. Statt dessen wird der weite Umweg über das Kabinett gegangen. Ich meine aber, meine Herren Bundesminister, es ist eher der Umweg über die Koalition, um festzustellen, ob in der jeweiligen Partei für diesen oder jenen Vorschlag überhaupt eine Mehrheit zu bekommen ist.
Um einiger Linker willen hat die Koalition die Vorschläge, die man als dringend erachtet hat, auf ein Minimum reduziert, obwohl es bei diesen Vorschlägen zum Teil wirklich um die Bewährung des Rechtsstaates geht. Der FDP-Vorsitzende, Herr Bundesminister Genscher, den ich hier bei dieser Debatte ebenso wenig wie den Bundeskanzler sehe, der anscheinend nur seine Aktentasche deponiert hat — noch sind wir nicht bei Wilhelm Tell, so daß wir vor seiner Aktentasche Respekt haben müßten —, hat erklärt, die Verabschiedung der Terroristengesetze seieine Bewährung für die Koalition. Das ist etwas wenig. Die Verabschiedung dieser Gesetze und die Ablehnung oder Annahme der Gesetze und Anträge der Opposition ist meines Erachtens eine Frage der Bewährung des Staates, insbesondere des Rechtsstaates.
Herrn Genscher und dem Bundeskanzler geht es offenbar doch nur um die Machterhaltung um jeden Preis, auch um den Preis der inneren Sicherheit.
Meine Damen und Herren, was wollen denn Herr Genscher und Herr Schmidt tun, wenn Herr Thüsing seine Ankündigung wahr macht, die er vorgestern abend im Fernsehen auf die Frage verbreitet hat — ich zitiere, Herr Präsident —:Hätten Sie sich wohler gefühlt, wenn Sie hätten dagegen stimmen können?Antwort Thüsing — ich zitiere —:Ja, das muß ich offen sagen. Ich hätte mich sehr viel wohler gefühlt und meine und bin auch entschlossen, nächstens den Widerstand noch energischer zu organisieren.Meine Damen und Herren, hierauf hätte ich gerne eine Antwort des Herrn Bundeskanzlers und des Vizekanzlers. Mit dem Herrn Parteivorsitzenden der SPD wird man ja wohl nicht rechnen können, denn er steht vielleicht Herrn Thüsing etwas näher.
Herr Abgeordneter Wittmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Nein, Herr Wehner,
ich habe zuwenig Zeit. Die Zeit ist sehr begrenzt, ich gestatte keine.
— Herr Wehner, es gab auch Situationen, in denen Sie keine gestattet haben.
— Herr Wehner, schönen Dank für diese Frage.
— Wir stimmen gegen etwas — und ich habe es ausgeführt —, was die — —
— Herr Wehner, Sie sind mir zu alt, als daß ich das Wort „Pharisäer" zurückgebe. Dazu habe ich viel zuviel Respekt vor Ihnen. Sie können über mich sa-
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5668 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. Wittmann
gen, was Sie wollen. Eines ist aber doch an der Sache richtig: daß die Vorschläge, die Sie hier unterbreiten,
weniger als ein Minimum dessen sind, was Sie selbst verantworten können, und deshalb versuchen Sie, den Spieß umzudrehen.
Meine
Damen und Herren, auch wenn die Pharisäer bekanntlich viel bessere Menschen waren, als es nach unserem Sprachgebrauch angenommen werden könnte, so bedaure ich doch, Herr Abgeordneter Wehner, daß Sie diesen Begriff gebraucht haben.
Ich rüge das.
Herr Präsident, mir steht es nicht zu, dazu Stellung zu nehmen. Doch kommt es darauf an, wer derartige Ausdrücke äußert. Bei Herrn Wehner bin ich persönlich das gewohnt.
Meine Damen und Herren, uns geht es heute bei unseren Anträgen nicht um Härte, sondern um die Sicherheit für die Menschen in unserem Lande.
Der Unterschied zur herkömmlichen Kriminalität besteht im Felde des Terrorismus einfach darin, daß die Terroristen nach einem langfristig geplanten Ziel in Banden auftreten und ihre Zielsetzung so zu verwirklichen suchen.Unser Strafrecht kennt z. B. für die Bildung von Terrorbanden nur die Bestrafung als Vergehen. Noch immer ist es ein bloßes Vergehen, wenn jemand einer Verbrecherbande angehört, für sie wirbt oder sie unterstützt, obwohl diese Bande ihre Tätigkeit auf Mord, Totschlag oder Völkermord gerichtet hat, also auf Verbrechen. Noch immer wird jemand wie ein harmloser Dieb bestraft, der einer Bande angehört, die Menschen entführt und Geiseln nimmt. Das gleiche gilt für eine Bande, die Flugzeugentführungen plant. Ebenso wird nur mit einer geringen Strafe bis zu fünf Jahren bedroht, wer einer Bande angehört, sie unterstützt und für sie wirbt, die Sprengstoffanschläge macht, die Brandstiftungen verursacht und die sogar Kernbrennstoff für ihre Anschläge verwenden könnte. Das ist die Gesetzeslage. Auch soll es ein bloßes Vergehen sein, wenn jemand Mitglied einer Bande ist, deren Tätigkeit z. B. darauf gerichtet ist, Lebensmittel zu vergiften. Das alles wird mit der „Harmlosigkeit" eines Diebstahls gleichgesetzt.Meine Damen und Herren, die Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren genügt für die Zugehörigkeit zu einer Bande nicht. Das ist weder derTat angemessen, noch wird es dem Verständnis der rechtstreuen Bevölkerung gerecht. Andererseits hat der Gesetzgeber aus der Gefährlichkeit dieser Terrorbanden seit langem die Konsequenz gezogen, als er z. B. die Voraussetzungen für die Untersuchungshaft bei Terroristen ebenso gestaltete wie bei Mord und Totschlag. Warum kommen wir nicht zur gleichen Konsequenz hinsichtlich der Bestrafung, nämlich dazu, die Terrorbandenzugehörigkeit als Verbrechen einzustufen? Einem solchen Vorschlag wird entgegengehalten, man bestrafe ja Rädelsführer und Hintermänner als Verbrecher. Nun, die Erfahrung hat, glaube ich, zur Genüge gezeigt, daß es im Terroristenbereich Rädelsführer und Hintermänner im ursprünglichen Sinn nicht mehr gibt, sondern jeder Angehörige der Bande einen gleichwertigen Tatbeitrag leistet. So ist doch die Lage heute.Man wirft uns vor, wir würden z. B. auch jemanden als Verbrecher bestrafen, der nur — „nur!" — eine konspirative Wohnung anmiete. Das lasse sich doch nicht damit vergleichen, daß jemand einen Bankraub oder einen Mord aus einer Terrorbande heraus begehe. Meine Damen und Herren, auch hier zeigt die Erfahrung, daß das Anmieten einer konspirativen Wohnung ein Bestandteil des Plans und der Durchführung einer wesentlich schwereren Straftat ist. Wer eine solche konspirative Wohnung für Terroristen anmietet, macht sich genauso schuldig wie die Terroristen, die den Mord begehen.
Wir sehen durchaus, daß es Fälle geben kann, in denen jemand vielleicht nicht mit der ganzen Schwere des Gesetzes bestraft werden kann. Für diesen Fall sieht unser Vorschlag eine geringere Strafe als für den sogenannten minder schweren Fall vor.Die Einstufung der Zugehörigkeit zu einer Terrorbande als Verbrechen hat auch höchst praktische Bedeutung für Verfolgungsmaßnahmen durch die Polizei. Wenn — wie bisher — die Bildung einer Terrorbande und die Zugehörigkeit zu ihr Vergehen bleiben, dann muß beispielsweise ein Polizeibeamter bei einem flüchtigen Terroristen, von dem man nur weiß, daß er einer solchen Bande angehört, erst prüfen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, daß dieser Terrorist von einer Schußwaffe Gebrauch machen wird. Im Ernstfall muß also erst festgestellt werden, ob er eine solche besitzt. Bis dahin, meine Damen und Herren, kann es für diesen Polizisten zu spät sein. Erst wenn diese Feststellung getroffen worden ist, kann dieser Polizist bei der geltenden Einstufung der Zugehörigkeit zu einer Terrorbande von der Schußwaffe Gebrauch machen.Man soll hier nicht entgegnen, daß bei Terroristen ohnehin die Vermutung der Bewaffnung bestehe. Das genügt eben für die Anwendung der Bestimmungen über den Schußwaffengebrauch nicht. Zumindest wird, wenn es bei der gegenwärtigen Rechtslage bleibt, die Folge sein, daß jeder Polizeibeamte nach Schußwaffengebrauch sehr eingehend wird rechtfertigen müssen, warum er so gehandelt hat, wenn festgestellt wird, daß der Terrorist, auf den er geschossen hat, zufälligerweise keine Waffe bei sich hatte.
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Dr. Wittmann
Wenn es sich aber bei der Zugehörigkeit zu einer Terrorbande um ein Verbrechen handelt, so kann ein Polizeibeamter ohne Prüfung der Frage der Bewaffnung notfalls — ich betone: notfalls; auch hier gilt die Verhältnismäßigkeit — von der Schußwaffe Gebrauch machen. Die toten und verletzten Polizisten, die bei der Festnahme von Terroristen Leben und Gesundheit geopfert haben, sollten Mahnung sein, daß wir hier eine Regelung treffen, die geeignet ist, auch der Polizei bei ihrem schweren Dienst zu helfen.Meine Damen und Herren, die Debatten der letzten Monate hier in diesem Plenum, die Beiträge, die von der Bundesregierung oder von der Koalition geleistet wurden, ließen ursprünglich die Hoffnung aufkommen, man werde einer Regelung zustimmen, die es ermöglicht, auch terroristische Ersttäter in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Leider sind wir in dieser Beziehung im Rechtsausschuß wieder getäuscht worden, besser gesagt, enttäuscht worden. Wir haben einmal geprüft, wie ernst es mit den Ankündigungen der Koalition ist. Zur Frage der Sicherungsverwahrung wurden von uns Anträge in vier Varianten gestellt. Auch die mildeste Form der Voraussetzungen ist nicht akzeptiert worden. Ich gebe gern zu, daß der Antrag, der hier und heute von uns gestellt wird, der rigoroseste ist. Aber Sie haben ja im Rechtsausschuß auch den anderen Anträgen nicht zugestimmt, die weiter gefaßt waren. Das beweist mir, daß Sie es nicht haben wollen, daß auch für terroristische Ersttäter Sicherungsverwahrung angeordnet wird, wenn diese keine anderen Straftaten begangen haben.Die Koalition wendet ein, die soziale Prognose könne bei einem Ersttäter noch nicht dahin gehend gestellt werden, er werde weitere Straftaten begehen. Andererseits sieht unser geltendes Recht durchaus vor, daß bei einem Ersttäter, wenn er drei Straftaten begangen hat und zu mindestens zu drei Jahren verurteilt worden ist, auch schon Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Und bei terroristischen Ersttätern sollte sie nicht angewandt werden können, etwa wenn ein Terrorist erklärt, er wolle weitermachen? Bescheinigen die Terroristen durch diese Erklärungen nicht immer wieder ihre weitere Verbrechensabsicht? Ein dreifacher Einbrecher kann wegen Gefährdung der Allgemeinheit als Serientäter schon jetzt bei Erstverurteilung in Sicherungsverwahrung genommen werden, bei einem Terroristen muß man erst warten bis er mindestens drei vorsätzliche Taten begangen hat. Wir sollten uns darüber im klaren sein: Wir haben schon Fälle, in denen Terroristen nach einer Erstverurteilung zu drei, vier oder fünf Jahren entlassen worden sind und sofort wieder im Untergrund verschwunden sind, um sich dann bei Straftaten wieder zu beteiligen, wie die Fälle im letzten Jahr gezeigt haben.Durch die Debatten der letzten Monate zieht sich der Vorwurf von SPD und FDP gegen CDU und CSU wie ein roter Faden, die Unionsparteien wollten die Sicherungsverwahrung rückwirkend für verurteilte Täter einführen. Meine Damen und Herren, man sollte doch endlich dieses Ablenkungsmanöver, eine Ablenkung vom wahren Kern der Probleme, bleiben lassen. Oder hat die Koalition — die fehlenden Fahndungserfolge des Bundeskriminalamtes beweisen es fast — so wenig Hoffnung, daß sie noch frei herumlaufende Terroristen fängt und daß die eines Tages dann auch verurteilt werden? Wenn dem so ist, wäre es traurig. Dann würde es natürlich auch nicht mehr helfen, wenn man für die Zukunft die Sicherungsverwahrung für Terroristen einführt.Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß unser Vorschlag zur Einführung der Sicherungsverwahrung nur gegen Terroristen gerichtet ist, um zu verhindern, daß sich unmittelbar nach Strafverbüßung wieder frühzeitig Terrorbanden reorganisieren. Die Terroristen sollen eben von der Szene ferngehalten werden, damit sie nicht — wie sie immer wieder ankündigen — weitermachen können.Es ist einfach nicht wahr, daß die Sicherungsverwahrung für Ersttäter nicht in unser Rechtssystem passe. Ich habe dargelegt, daß wir sie bereits haben.Im Rechtsausschuß wurde von der Koalition immer wieder gesagt, im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform habe man andere Überlegungen angestellt, habe man den Hangtäter anders definiert, als es vielleicht auf den Terroristen zutreffen könnte. Ich muß hier offen bekennen: Bei der gegenwärtigen Sicherheitslage interessiert mich die Diskussion im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform wenig, weil zu jener Zeit eine solche gefährliche Sicherheitslage für unser Volk nicht gegeben war. Wir müssen auf das reagieren, was jetzt ist, und das schaffen, was jetzt nottut.
Die Rechtsordnung wird von Terroristen mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln in Frage gestellt. Sie wird auf die Probe gestellt und in Frage zu stellen versucht durch Geiselnahmen, durch Erpressung des Staates. Man nimmt dabei nicht nur den Tod von Geiseln in Kauf, man ermordet sie. Um die Rechtsordnung zu bewahren und um den Staat nicht erpreßbar und künftige Versuche dazu als aussichtslos erscheinen zu lassen, hat man — das sollte man offen ansprechen — Unschuldige geopfert. Durch diese tragische Form der Generalprävention kann und darf man moralisch eine Demonstration der Festigkeit des Staates nur einmal betreiben, wenn man nicht alles tut, um gegen die Straftäter vorzugehen, damit das Opfer nicht vergeblich war. Das gebrachte Opfer verpflichtet um so mehr, künftig auf Wiederholungstäter oder potentielle Wiederholungstäter, die schon in Erscheinung getreten sind, einzuwirken. Diese Sicherungsfunktion sollen unsere Vorschläge insbesondere im Bereich der Sicherungsverwahrung haben.Der Bundespräsident hat bei der Trauerfeier für Hanns Martin Schleyer erklärt: „Wir dürfen nicht zulassen, daß das Opfer sinnlos war." Sinnlos ist es nur dann nicht, wenn wir — um mit dem nicht anwesenden Bundeskanzler zu sprechen — bis an die Grenze dessen gehen, was der Rechtsstaat gebietet und erlaubt. Der Rechtsstaat gebietet es, daß wir alles tun; auch auf dem Felde der Gesetzgebung, da-
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Dr. Wittmann
mit der Staatsbürger frei von Angst leben kann. Frei von Angst zu leben ist eines jener Grundrechte und Menschenrechte, die in der Atlantikcharta verkündet worden sind. Auch der Justizminister hat angedeutet, daß die Wahrung des Rechtsstaats in der Gestalt der Sicherheit für den Bürger ein Teil der Verwirklichung der Menschenrechte ist.Meine Damen und Herren, während man bei uns hinter die gegenwärtige Rechtslage zurückgeht, ist man in unserem Nachbarland Frankreich sehr schnell fündig geworden. Wenige Tage nach dem dramatischen Entführungsfall Empain hat der französische Justizminister nicht weniger als 15 Gesetze, 8 Verordnungen und 31 Erlasse auf den Weg gebracht. In wenigen Wochen will die französische Regierung der Offentlichkeit darüber berichten, was daraus geworden ist, und beraten, wie sie diese Gesetze durchbringt und durchsetzt. Die französische Regierung weiß, was sie der Sicherheit ihrer Bürger schuldet. Daß die Mehrheit in diesem Hause und die Bundesregierung das wollen und vor allem können, was die französische Regierung macht, wage ich zu bezweifeln.
— Herr Wehner, Sie werden nicht bestreiten, daß Frankreich ein demokratischer Rechtsstaat ist; das brauche ich Ihrem Zuruf wohl nicht zu entnehmen.Wir werden eines Tages auch im europäischen Verbund hinter den Notwendigkeiten zurückbleiben, wenn wir nicht darangehen, jetzt und heute die Gesetze zu ändern. Denn unsere Strafrechtsreform steht in diesem Punkt nicht mehr im Einklang mit der Wirklichkeit.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der zerstörerischen geballten Irrationalität des Terrorismus können wir nur eines entgegensetzen: die gelassen abwägende Vernunft. Dies ist die zugegeben oft mühselige, schließlich aber am ehesten erfolgversprechende Strategie unseres Gemeinwesens. Die gelassen abwägende Vernunft verlangt von uns, daß wir alle rechtspolitischen Vorschläge zur Bekämpfung des Terrorismus daraufhin prüfen, was kriminalpolitisch notwendig und zugleich rechtsstaatlich vertretbar ist. Diese Versuche zur bestmöglichen Berücksichtigung von Effektivität und Rechtsstaatlichkeit kosten Zeit und Mühe, und es ist keine besondere Leistung, auf die Politiker und die Fraktionen zu schimpfen, die sich hier besondere Mühe gemacht und damit auch Zeit gebraucht haben.
Nehmen wir dafür ein Beispiel: Wir sind doch in den Denkprozessen der letzten drei Jahre von Verteidigerüberwachung zu Verteidigerausschluß undzu Trennscheibe gekommen, und manche — auch der Deutsche Richterbund — haben bei immer wiederholtem vertieften Nachdenken Ansichten geändert. Das ist nicht zu beklagen, das ist zu begrüßen, denn nicht der ist der Klügste, der auf seinem Standpunkt von vor drei Jahren unverändert stehenbleibt, wie das die Opposition gerade beim Kapitel „Verteidigerüberwachung" tut.Wir müssen uns bei unseren Bemühungen immer die Frage stellen, wo die Grenzen gesetzgeberischer Wirksamkeit liegen. Denn übertriebene Erwartung in die Wirksamkeit von Gesetzen plagt uns nicht — bei der Opposition allerdings hat es leider den Anschein —; im Gegenteil, wir warnen vor der Annahme, die Entscheidung im Kampf gegen den Terrorismus falle hauptsächlich oder auch nur zum überwiegenden Teil auf gesetzgeberischem Terrain. Die Opposition nährt leider eine Gesetzesgläubigkeit. Diese birgt die Gefahr in sich, daß sich in unserem Volke eine grundverkehrte Erwartungshaltung ausbreiten könnte. Der Glaube daran, daß der Kampf gegen den Terrorismus in erster Linie mit gesetzgeberischen Mitteln geführt werden könnte, lenkt die Bürger unseres Gemeinwesens allenfalls von der Erkenntnis ab, daß ganz andere Mittel zur Bekämpfung und Beendigung des Terrorismus von höchster Wichtigkeit sind.Entscheidend ist z. B. die Intensivierung der Fahndung nach terroristischen Tätern; denn nichts schreckt mehr ab als die energische Verfolgung der Täter und ihre schnelle Ergreifung sowie ihre Verurteilung. Deshalb haben wir Sorge dafür getragen, daß alle Organe der inneren Sicherheit angemessen verstärkt worden sind.Die Bewährung des Rechtsstaates sehen wir in erster Linie im Durchsetzen des Rechts. Daß unser Staat fähig ist, seinen Gesetzen Geltung zu verschaffen, zeigt sich in der konsequenten Arbeit unserer Strafverfolgungsbehörden und unserer Justiz. Ein Mißtrauen gegenüber diesen Institutionen ist nicht gerechtfertigt; im Gegensatz zur Weimarer Zeit haben sie sich als Hüter des Rechtsstaates bewährt.Wir sollten in der Diskussion über dieses Thema — mehr in der Diskussion draußen als hier in diesem Hause, wo man mehr Vorsicht walten läßt — gelegentlich auch unseren Sprachgebrauch hinterfragen. Da wird in der Offentlichkeit, aber auch von Mitgliedern dieses Hauses der Ruf nach „schärferen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus" und nach „härterer Bestrafung" laut. Ich möchte einige dieser Vorschläge, die hier auch in Änderungsanträgen nicht mehr auftauchen, noch einmal nennen: die Beseitigung der freien Verteidigerwahl, indem terroristischen Gewalttätern nur noch bestellte Pflichtverteidiger beigegeben werden, der Vorschlag zur Einschränkung der Demonstrationsfreiheit für Ausländer, die generelle Erhöhung des Strafrahmens für zahlreiche Straftatbestände und der Höchststrafe von 15 auf 20 Jahre und schließlich von einzelnen sogar die Einführung der Todesstrafe.Herr Kollege Dr. Eyrich, Ihre Rede war in der Bemühung um die Sache und in der anerkennenswerten Form eben nicht für alle Reden von Oppositi-
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Dürronspolitikern repräsentativ. Das spricht für Sie, aber gegen manche andere.Die Forderung nach mehr Härte, die Aufforderung etwa, der Staat müsse Flagge zeigen, kennzeichnet doch einen Rückfall in das Denken der Zeit, als man Kanonenboote ausschickte und Flagge zeigte, um seine Macht zu demonstrieren. Nach der Zeit sehnt sich in diesem Hause, so hoffe ich, niemand zurück.
Die Forderung offenbart aber auch die naive Gesetzesgläubigkeit ihrer Urheber, wonach dem Terrorismus nur — und ich unterstreiche: „nur" — mit wirksameren Gesetzen und ihrer entschiedenen Anwendung beizukommen sei.
— Das sagt in dem Fall der Herr Kollege Dr. Eyrich
oder der, der es für ihn geschrieben hat, in der „Welt" vom 15. Februar 1978, und dort ist es nachzulesen.
Diese Haltung einer lediglich gesetzgeberisch betriebenen Terrorismusbekämpfung birgt auch die Gefahr des Übermaßes in sich. Übermaß ist vom Übel und wegen der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit oft sogar verfassungswidrig. Auch aus verständlichem aktuellen Anlaß heraus dürfen angemessene Strafvorschriften und gewachsene strafprozessuale Sicherungen um einer erhofften, für viele Vorschläge allerdings zweifelhaften Effektivität willen, nicht außer Kraft gesetzt werden. Die Maßnahmen des Gesetzgebers müssen der entstandenen Gefahrenlage entsprechen und auf ein vernünftiges Maß beschränkt werden. Insofern stimmt es, daß sich der Gesetzgeber nicht zu Überreaktionen hinreißen lassen darf.Insbesondere bei der Frage der Erweiterung der Sicherungsverwahrung haben wir uns überlegt, ob nicht die geltenden Gesetze ausreichen, um das Recht durchzusetzen; denn wir frönen einer legalistischen Aktivität nicht um ihrer selbst willen, sondern wollen ein praktikables Recht, das einer effektiven Abwehr von terroristischen Gewalttaten dient. Die Vorschläge der Opposition zur Ausweitung der Sicherungsverwahrung für terroristische Ersttäter sind keine effektive und rechtsstaatlich einwandfreie Maßnahme zur wirksamen Bekämpfung des Terrors, sosehr das manchem auf den ersten flüchtigen Blick hin auch so erscheinen mag. Wir sind dagegen, daß die Sicherungsverwahrung schon bei Ersttätern mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren angeordnet werden kann. Auch halten wir daran fest, daß die erstmalige Anordnung der Sicherungsverwahrung höchstens für einen Zeitraum von zehn Jahren möglich sein soll.Hier muß ich auf Herrn Dr. Wittmann eingehen. Er hat die Begriffe „Ersttäter" und „Erstverurteilter" etwas durcheinandergewirbelt. Unter Ersttäter verstehe ich einen, der wegen einer Tat zum erstenmal verurteilt wird. Herr Wittmann hat den Begriff für jemanden gebraucht, der zum erstenmal verurteilt wird, weil er drei oder noch mehr verschiedene Taten begangen hat. Das sind, wie jedermann einsieht, nicht ein, sondern zwei Paar Stiefel, und so wollen wir es auch halten.In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den Hinweis darauf, daß unser Strafrecht ein Schuldstrafrecht und kein Sicherungsrecht ist. Diese in langen Beratungen zur Strafrechtsreform wohlüberlegte Gewichtung kann nicht bei Gelegenheit schnell geändert werden. Der Gedanke der Sicherung als Strafzweck ist uns aus der Geschichte des Strafrechts bekannt, sein erschreckender Mißbrauch in der Zeit der NS-Diktatur leider auch. Das macht uns in dieser Frage — dafür bitten wir um Verständnis — besonders vorsichtig und gewissenhaft.Die von der Opposition vorgeschlagene Maßregel der Sicherungsverwahrung nach einmaliger Verurteilung wegen einer Tat käme im übrigen in ihren praktischen Auswirkungen einer Strafverbüßung gleich. Eine Tat kann aber nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Aus diesen Gründen besteht wegen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots Erhebliches an verfassungsrechtlichen Zweifeln, ob eine solche Gesetzesänderung überhaupt zurückwirken könnte.Wir sind Herrn Kollegen Wittmann dankbar, daß er hier klargelegt hat, daß dies auch von der Opposition nicht gewollt wird. Bloß bitte ich dann darum, auch auf den Dörfern in Kommunal- und Landtagswahlkämpfen die Tatsache, daß Sie mit Ihren Vorschlägen hier keine Rückwirkung beabsichtigen, mit aller Deutlichkeit klarzustellen, um nicht übertriebene Erwartungen, die hier geweckt worden sind, weiterhin zu schüren.Meine Damen und Herren, ich erinnere daran, daß im übrigen auch gegen Brigitte Mohnhaupt selbst dann keine Sicherungsverwahrung hätte verhängt werden können, wenn der weitgehende Oppositionsvorschlag schon seit einiger Zeit geltendes Recht gewesen wäre. Bei einer Abwägung zwischen den geringen praktischen Erfolgschancen derartiger Vorschläge und den demgegenüber tiefgreifenden Bedenken fiel uns die Ablehnung der oppositionellen Vorschläge nicht besonders schwer.Wir sind ferner gegen eine unbefristete Sicherungsverwahrung bei der ersten Verurteilung. Ein kriminalpolitisches Bedürfnis hat sich dafür nicht ergeben. Die bestehende gesetzlich vorgesehene Höchstdauer von zehn Jahren reicht aus.Aussichten auf Resozialisierung sind zwar bei Personen, die in eine terroristische Vereinigung verstrickt sind, gering, aber nicht gleich Null. Unter uns: Wer hätte denn erwartet, daß sich der Terrorist Hans-Joachim Klein je vom Terrorismus lossagen und der Anwendung von Gewalt eine Absage erteilen würde?
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DürrWeder gerecht noch klug sind Oppositionsanträge, die die Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung bei Personen, die wegen terroristischer Taten verurteilt wurden, nur unter allerstrengsten starren Kautelen gestatten. Ich sagte schon: Resozialisierungsaussichten sind bei in terroristische Vereinigungen verstrickten Tätern geringer als bei anderen Straftätern. Das ist aber noch kein Grund, die Möglichkeiten zur Einzelfallgerechtigkeit so einzuschränken. Wenn z. B. ein Täter wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung plus Beihilfe zur Brandstiftung, ein anderer Täter wegen Anstiftung oder Beihilfe zum Totschlag eine gleich hohe Freiheitsstrafe erhalten haben, wenn also bei beiden gleich hohe Schuld anzunehmen ist, und wenn die Aussicht auf Resozialisierung bei beiden für gleich groß angesehen wird: Meine Damen und Herren, weshalb dann für die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung bei beiden ganz verschiedene Bestimmungen? Das sehen wir nicht ein.Mir ist im übrigen kein einziges Beispiel bekannt, daß unsere Gerichte die Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung bei Personen, die in terroristische Vereinigungen verstrickt waren, zu großzügig gewährt hätten. Schwingt bei den Vorschlägen der Opposition zu diesem Punkt nicht ein gewisses Mißtrauen gegen die Gerichte mit? Dieses Mißtrauen würden wir für völlig unbegründet halten.
Die strafrechtliche Unterscheidung in Ordnungswidrigkeiten, Vergehen und Verbrechen ist nicht im allgemeinen Bewußtsein der Bevölkerung, zumal nicht die Unterscheidung zwischen Vergehen und Verbrechen. Kein Wunder; denn wenn in der Zeitung steht, Herr X sei zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, so ist daraus nicht ersichtlich, ob er ein Verbrechen oder ein Vergehen begangen hat. Deshalb ist die Frage, ob § 129 a nach den Vorschlägen der Opposition Verbrechen werden oder Vergehen bleiben soll, von höchst beschränkter Außenwirkung.Der Unterschied in der Mindeststrafe — bei Vergehen sechs Monate, bei Verbrechen ein Jahr — ist von maßlos geringer praktischer Bedeutung. Auch bei Werbung für oder Förderung von terroristischen Vereinigungen sind in den letzten Jahren Strafen zwischen sechs und zwölf Monaten nur noch in den allerseltensten Fällen, die ausgesprochenen Ausnahmecharakter hatten, verhängt worden. Fast alle Urteile lagen im Strafmaß doch wesentlich höher. Vergessen wir auch nicht, daß in den meisten Fällen Strafen nicht allein wegen Zuwiderhandlung gegen § 129 a, sondern auch wegen anderer Taten, etwa § 129 a im Zusammenhang mit Waffendelikten oder mit Beihilfe zum Raub, ausgesprochen wurden.Das Beispiel, das Herr Kollege Dr. Wittmann zum Waffengebrauch anführte, enthielt, wie man wohl allseits bemerkt hat, Anklänge an Haarspalterei.
Für uns sprechen die überwiegenden Gründe für die Beibehaltung des Vergehenstatbestandes.Herr Dr. Wittmann hat nun eine große Eloge auf die Schnelligkeit der Gesetzgebung in Frankreich losgelassen.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten die Zwischenfrage? — Bitte.
Herr Kollege Dürr, ist Ihnen hinsichtlich der Frage des polizeilichen Schußwaffengebrauchs schon ein Fall bekanntgeworden, bei dem von seiten der Polizei geltend gemacht werden konnte, daß sie, weil es sich nur um ein Vergehen handelt, nicht die Möglichkeit hatte, die Schußwaffe anzuwenden?
Mir ist kein Fall bekanntgeworden. Und gerade dieser Umstand führte dazu, daß ich sagte, was Herr Wittmann dazu ausgeführt habe, nähere sich der Haarspalterei.
Herr
Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Wittmann?
Bitte sehr.
Herr Kollege Dürr, natürlich muß ich es Ihrer Beurteilung überlassen, wie Sie das bewerten. Aber betrachten Sie es als Haarspalterei, wenn z. B. in § 40 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg steht, daß von der Schußwaffe Gebrach gemacht werden kann, wenn eine Person erstens eines Verbrechens dringend verdächtig ist oder sie zweitens eines Vergehens dringend verdächtig ist und — ich betone: und — Anhaltspunkte befürchten lassen, daß sie von einer Schußwaffe oder einem Sprengstoff Gebrauch machen wird? Ist dieser Unterschied im Gesetzestext nach Ihrer Ansicht Haarspalterei?
Erstens, Herr Kollege Wittmann, habe ich das Gefühl, feurige Kohlen auf Ihrem Haupt gesammelt zu haben, weil ich Ihnen eine Zwischenfrage gestattet habe, die Sie nicht einmal dem Herrn Kollegen Wehner vorher gestattet haben. Zweitens bedanke ich mich herzlich dafür, daß ein Bayer einen Baden-Württemberger durch Verlesung eines Paragraphen des baden-württembergischen Polizeigesetzes zu belehren versucht. Drittens sage ich Ihnen: Das, was Sie vorher erklärt haben und was sich so anhörte, als müsse der Polizist dem flüchtigen Terroristen erst in die Tasche greifen und prüfen, ob er eine Waffe habe, bevor er schießen dürfe, war genau der Punkt, an dem ich die Grenze zur Haarspalterei — und jetzt stei-
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Dürrfiere ich mich — nicht nur beinahe erreicht, sondern überschritten sah.
Aber nun, Herr Kollege Wittmann, zu Ihrem hohen Lob die Schnelligkeit der Gesetzgebung in Frankreich. Mir fehlt die Sachkenntnis, um das im Moment beurteilen zu können. Aber Schnelligkeit der Gesetzgebung ist gelegentlich von Übel. Herr Kollege Wittmann, im Zusammenhang mit Ihrem Änderungsantrag — Art. 1 Nr. 4 Buchstabe d— bitte ich Sie, zwei Fehler zu korrigieren, damit wir statt der Drucksache 8/1511 die Drucksache 8/1511 beraten. Um meine Redezeit nicht zu überschreiten, begründe ich diese Bitte nicht, sondern sage Ihnen das nachher in einem Einzelgespräch.
— Herr Kollege Kohl, in Ihrer Eigenschaft als Fraktionsvorsitzender im Bundestag, aber auch als Ministerpräsident haben Sie sicher Wert darauf gelegt, keine Fehler in wichtigen, aber auch keine in weniger wichtigen Sachen zu machen. Ich nehme Ihren Dank mit Ergebenheit entgegen.Es ist ein Erfolg der Koalition, daß wir heute einige alte Bekannte aus dem ursprünglichen Oppositionsentwurf im Änderungsantrag nicht mehr wiederfinden. Das ist eine Folge der sachlichen und auch sachkundigen Diskussionsweise im Rechtsausschuß. Die Opposition hatte vorgeschlagen, die Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung für die einzuschränken, die nicht genügend zur Schadenswiedergutmachung bereit sind. Wir haben Sie anscheinend davon überzeugt, daß dieser Gesichtspunkt auch nach geltendem Recht schon ausreichend berücksichtigt werden kann.Es ist ein besonderer Erfolg, daß die von der Opposition für wichtig und dringlich gehaltene Reform des Haftrechts im Änderungsantrag nicht mehr steht und erst, wie es scheint, in allerletzter Minute herausgenommen wurde. Auf Seite 4 des Änderungsantrags ist es offensichtlich abgedeckt. Sie gestatten mir die Aussage, daß dieser unausgefüllte Zwischenraum — Herr Minister Vogel hat schon auf die Sachproblematik hingewiesen — nach meiner Meinung einer der besten Teile des Änderungsantrags ist.
Hier haben wir uns mit sachlicher Diskussion im Rechtsausschuß zusammengerauft und die Opposition davon überzeugt, daß sie sich auf Grund von zwei Pannen — nämlich der Nichtinhaftnahme von Rechtsanwalt Haag und der Verschonung von der Untersuchungshaft gegen Sicherheitsleistung bei Rechtsanwalt Croissant — im Eifer ins verfassungsrechtlich Unzulässige vergaloppiert hat. Wir danken den Vertretern der Opposition im Rechtsausschuß, daß sie unseren Argumenten gefolgt sind und ihren Antrag jetzt nicht mehr vorlegen. Wir bitten, unseren Argumenten auch in Zukunft am besten in noch größerem Umfang ein geneigtes Ohr zu schenken.Meine Damen und Herren, wir haben im Bundestag Gesetze zu beschließen in dein Wissen, daß Gesetze allein nicht die Welt in Ordnung bringen. Wir tun das in der Unsicherheit, auch nach ausführlichen Beratungen in den Fraktionen, in den Ausschüssen, bei der zweiten und dritten Lesung immer noch nicht sicher zu wissen, ob wir bestimmt die ganz richtige Formulierung gefunden haben. Der Satz von Frau Kollegin Liselotte Funcke „Niemand geht aus diesem Raum ohne Schuld" gilt nicht nur für die Entscheidung um § 218, vor der dieser Satz gesprochen wurde.Ich schließe mit einer Mahnung, die der Bensberger Kreis in seiner Erklärung zur Terrorismusdiskussion ausgesprochen hat. Sie zeigt unsere Aufgaben auf; sie zeigt aber auch, zu einem wie kleinen Teil wir ihnen durch Akte der Gesetzgebung allein gerecht werden können. Ich zitiere:Die Explosion zerstörerischer Gewalt, die im modernen Terrorismus manifest wird, ist Anlaß, uns selbst und alle Mitbürger aufzufordern, täglich die Wirksamkeit der Gewalt in uns selbst und die Macht des Tötens und Zerstörens zu bekämpfen. Für den politisch-gesellschaftlichen Bereich heißt das nach wie vor: mehr Demokratie wagen, für Gerechtigkeit in den sozialen Beziehungen eintreten und Solidarität an die Stelle von Egoismus und Isolierung setzen.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Hartmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der selbstverständlichen Erwartung, der Herr Bundeskanzler werde bei dieser wichtigen Debatte — sie ist doch wohl politisch wichtig; heute findet hier doch wohl kein juristisches Seminar statt —
im Parlament präsent sein,
habe ich mir vorgenommen, ihn zu Beginn meiner Rede persönlich anzusprechen. Das ist doch wohl noch erlaubt, selbst einem einfachen Abgeordneten. Daß sein Platz auf der Regierungsbank leer ist, wird sicher wichtige Gründe haben. Vielleicht muß er Gespräche mit Dissidenten führen.
Dennoch: Herr Bundeskanzler — er kann es wenigstens im Protokoll nachlesen -, heute morgen wurden Ihre neuen Minister vereidigt, die Sie im Schnellverfahren, gewissermaßen als Volkssturm zwangsrekrutiert haben. Noch im Laufe dieses Tages wird sich zeigen, ob Sie und Ihre Regierung in diesem Hause noch eine Mehrheit haben. Wenn Sie noch eine Mehrheit haben sollten — es scheint ja so zu sein, daß man Ihnen nochmals eine abgezählte
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5674 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
HartmannEinstimmenmehrheit zuteilt —, werden wir, wird unser Volk wissen, welchen Preis Sie dafür gezahlt, wieviel Glaubwürdigkeit sie drangegeben haben. Dann werden wir in der Tat eine Regierung Schmidt/ Coppik oder Schmidt/Hansen haben; Namen sind Schall und Rauch und stehen nur für die Kräfte, die beim Thema „innere Sicherheit" in der SPD in Wahrheit das Sagen haben.
Herr Bundeskanzler, daß Sie so mit sich umspringen lassen müssen, offenbart einen für einen Regierungschef unwürdigen und beschämenden Autoritärsverfall.
Sic transit gloria mundi; der Lorbeer von Mogadischu ist schnell verwelkt.Herr Minister Dr. Vogel, es gab einmal Zeiten, in denen Minister zurückgetreten sind, wenn sie sich mit ihren für richtig gehaltenen Vorstellungen schon in der eigenen Fraktion nicht durchsetzen konnten. Sie sind eher zurückgetreten, als daß sie ein EsauGeschäft gemacht hätten. Sie müßten doch eigentlich ihr Haupt verhüllen und sich mit Grausen abwenden angesichts des kümmerlichen, jämmerlichen, erbärmlichen Restes, der von Ihren eigenen Vorschlägen übriggeblieben ist. Ich habe aber Verständnis für Sie. Warum sollten Sie anderen Maßstäben folgen als Ihr Kanzler?Am Sarg Siegfried Bubacks und seiner Begleiter wollte der Herr Bundeskanzler noch — ich zitiere mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten — „die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes mit Zähnen und Klauen verteidigen". In seiner Regierungserklärung vom 20. April 1977 deklamierte er, daß die Bürger mit Recht von uns verlangen — ich zitiere wieder —, „unsere Instrumente immer wieder auf ihre Wirksamkeit zu prüfen und neuen Herausforderungen gegebenenfalls mit neuen Mitteln zu begegnen".
Der Herr Bundesjustizminister hat am 5. Mai des vergangenen Jahres von dieser Stelle aus bekräftigt, was der Bundeskanzler in Karlsruhe beim Staatsakt gesagt hat. Gestern konnte man es in einer Magazinsendung des Zweiten Deutschen Fernsehens noch einmal im Originalton hören. Die Bundesregierung wolle, so hieß es damals, die Kontroverse über den richtigen Weg zur Bekämpfung des Terrors nicht zum erbitterten Streit zwischen den Parteien und nicht zu einer Zerreißprobe zwischen den Demokraten werden lassen. Ich zitiere wieder Herrn Dr. Vogel:Der wirkliche Graben verläuft zwischen den Terroristen und ihren Sympathisanten auf der einen Seite und der ganz erdrückenden Mehrheit unseres Volkes auf der anderen Seite.Dies sagten Sie, Herr Minister Vogel, vor einem Dreivierteljahr. Wo verläuft der Graben heute? Er verläuft ja schon zwischen Ihnen und den Herren Coppik, Hansen und Genossen.
Ich könnte jetzt weiter zitieren, was vor allem der Herr Bundeskanzler am Grabe Jürgen Pontos und während des Leidens und nach dem Tod Hanns Martin Schleyers und seiner Begleiter. an Gelöbnissen, Opferbeschwörungen, Absichtserklärungen und Solidaritätsbekundungen von sich gegeben hat. Man kann es in dieser Broschüre zum Gedenken an die Opfer des Terrorismus nachlesen; vielleicht lassen Sie das im nächsten Wahlkampf verteilen. Wir haben sogar geglaubt, was da gesagt worden ist. Vor allem — und das ist noch schlimmer —: Auch die Bevölkerung hat es geglaubt und sieht sich jetzt zum wiederholten Male getäuscht.
Auch die Angehörigen der Opfer haben es geglaubt. Lesen Sie den Artikel des Sohnes von Hanns Martin Schleyer, Dr. Eberhard Schleyer, in der heutigen Ausgabe einer großen deutschen Zeitung, wo er seine Enttäuschung über die sogenannten Antiterrorgesetze der Koalition äußert. Dies haben Dr. Kohl, Dr. Strauß, Dr. Zimmermann in den letzten Parlamentswochen hier dem Bundeskanzler auf das eindringlichste vorgehalten, vor allem aus dem gemeinsamen Erleben im Krisenstab.Was hat sich im Rechtsausschuß abgespielt? Da wurde uns sorgfältigste Prüfung unserer Vorschläge zugesichert. Und die hat auch stattgefunden. Da haben wir fast ein Jahr vor uns hin beraten, haben uns als juristische Erbsenzähler betätigt und Kommata in Paragraphen hin und her gesetzt. Eine Entscheidung wurde freilich Mal um Mal hinausgezögert, z. B. über den SPD-Parteitag hinaus. Der von uns aufgestellte Prioritätenkatalog mußte wohl oder übel akzeptiert werden. Und dann haben die Vertreter der Koalition mit ihrer Einstimmenmehrheit unsere Vorschläge vom Tisch gefegt. Ihre eigenen „Minimalia", wie sie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" genannt hat, haben Sie im Rechtsausschuß nur beschließen können, weil Sie in einem — von mir als unwürdig empfundenen — Schauspiel jeweils vor den Abstimmungen Herrn Coppik aus dem Verkehr gezogen haben und einen linientreuen Ersatzmann für ihn haben abstimmen lassen.
Und was ist dabei im verfahrensrechtlichen Bereich herausgekommen? Der Berg hat gekreißt — und eine Maus wurde geboren.
Aus dieser im Rechtsausschuß geborenen Maus wurde zwischenzeitlich, nämlich im Verlauf der letzten Tage und Wochen, ein Mäuslein. Meine Damen und Herren von der Koalition, dafür kriegen Sie von uns keine Stimme!
Wir lehnen Ihre Gesetzesretuschen als zur Erhöhungder Sicherheit vor dem Terrorismus völlig ungeeignet ab und setzen als Alternative unsere ebenso
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5775
Hartmannwirksamen wie verfassungs- und rechtsstaatskonformen Gesetzesvorschläge dagegen.
Im einzelnen: Die Durchsuchung von Wohnungen und anderen Räumen sollte nach Ihrem ursprünglichen Beschluß nur zulässig sein, wenn diese sich in einem Gebäude befinden, von dem auf Grund der Tatsachen anzunehmen ist, daß sich der Beschuldigte in ihm aufhält. Dabei wissen Sie ganz genau, daß man es mit einer Stadtguerilla zu tun hat, die vorwiegend in weit verzweigten Gebäudekomplexen und zusammengeballten Wohnbezirken operiert. Noch nicht einmal diesen Beschluß durften Sie aufrechterhalten. Mit unserem Änderungsantrag fordern wir angesichts der Erfahrungen bei der Fahndung nach den Schleyer-Mördern die Erweiterung des Rechts zur Durchsuchung von Wohnungen in einem Gebäudekomplex oder in einem bestimmten Bezirk.Die Einrichtung von Kontrollstellen wollen Sie nur zulassen, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß eine terroristische Vereinigung am Werk war oder ein Raub unter Mitführung einer Schußwaffe begangen worden ist. Sie differenzieren also sogar zwischen den verschiedenen Arten des Raubes. Diese Beschränkung erscheint uns im Interesse einer erfolgreichen Fahndung nach Schwerverbrechern viel zu eng. Deshalb fordern wir die Zulässigkeit der Einrichtung von Kontrollstellen auch für den Verdachtsfall, daß die in § 100 a der Strafprozeßordnung aufgezählten Straftaten — jeder kann nachlesen, was dort steht — begangen worden sind.Auch kann sich die Koalition nur zu einer unzureichenden Rechtsgrundlage für Identitätsfeststellungen verstehen. Zunächst unverdächtige Personen sollen nicht gegen ihren Willen durchsucht und erkennungsdienstlich behandelt werden dürfen. Das halten wir für völlig unpraktikabel. Wir halten es auch für praktisch unzureichend, daß eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identitätsfeststellung die Dauer von insgesamt zwölf Stunden nicht soll überschreiten dürfen. Entsprechend den Beschlüssen der damit befaßten Bund-Länder-Arbeitsgruppe fordern wir, daß eine Person zum Zwecke der Identitätsfeststellung bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen, also bis zu 48 Stunden, festgehalten werden darf, wie es das Grundgesetz in Art. 104 der Polizei ausdrücklich erlaubt. Sie bleiben sogar unter bisherigem Polizeirecht.
— Stellen Sie einmal die Identität eines unverdächtigen Ausländers unbekannter Nationalität, der sich nicht ausweisen kann oder will und jegliche Angaben zu seiner Person verweigert, innerhalb von zwölf Stunden fest! Fragen Sie einmal einen Polizeibeamten, ob das geht!Ich komme zu den Kernpunkten. Da blüht die terroristische Konspiration aus den Haftanstalten heraus, in die Haftanstalten hinein, zwischen den Haftanstalten und innerhalb derselben, da werden bundesweit Informations- und Kommunikationssysteme aufgebaut, in deren Zentren bestimmte Verteidigerwie Spinnen im Netz saßen und wahrscheinlich noch sitzen und die Fäden knüpfen.
Da stellt das Bundeskriminalamt in einem Bericht vom 19. Juli 1977 fest, daß das Informationssystem der inhaftierten Terroristen über bestimmte Anwälte besser denn je funktioniert. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, relativieren und verharmlosen die vom Mißbrauch des Rechts auf ungehinderten Verteidigerverkehr ausgehenden immensen Gefahren und reduzieren das Problem auf die Frage, ob unsere rechtsstaatliche Ordnung über eine minimale Erleichterung des Verteidigerausschlusses oder über die Installation einer Trennscheibe aus den Fugen geraten könnte. Sie glauben, der Verteidigerkonspiration dadurch begegnen zu können, daß Sie in Strafverfahren wegen Bildung terroristischer Vereinigungen die für einen Verteidigerausschluß ausreichende Verdachtsschwelle um eine Stufe herabsetzen. Die noch im Rechtsausschuß von Ihnen beschlossene Erstreckung auch auf kriminelle Vereinigungen — § 129 des Strafgesetzbuchs — haben Sie vorgestern wieder gestrichen, obwohl Sie wissen, daß gegen Terroristen wegen Taten aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 129 a auch noch Strafverfahren wegen Verletzung des § 129 anhängig sind.Herr Kollege Emmerlich, Sie haben moniert, daß die vorliegenden Entwürfe als Antiterrorgesetze bezeichnet werden. Ich frage mich: Warum wollen Sie dann den Verteidigerausschluß auf Terroristenverfahren beschränken, also Sonderrecht schaffen? Auch der Deutsche Richterbund stellt diese Frage in seiner letzten, gestrigen Stellungnahme mit Recht. Im übrigen wollen Sie es bei der geltenden Regelung belassen, die sich als untauglich erwiesen hat. Über die Herabsetzung der Verdachtsschwelle hinaus fordern wir, daß ein Verteidigerausschluß auch dann zulässig sein soll, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß ein Verteidiger den Verkehr mit seinem inhaftierten Mandanten dazu mißbraucht, schon in der Vorbereitungsphase, im Vorfeld, bei der Vorbereitung, der Förderung bestimmter Straftaten zu konspirieren oder die Ordnung in einer Vollzugsanstalt erheblich zu beeinträchtigen und sie nicht nur konkret zu gefährden, oder wenn er es durch sein Verhalten leichtfertig ermöglicht, daß der Verteidigerverkehr in dieser Hinsicht vom inhaftierten Beschuldigten oder dritten Personen mißbraucht wird. Der Generalbundesanwalt hat erst gestern vor dem Rechtsausschuß von der Möglichkeit gesprochen, daß sich Verteidiger gewissermaßen als Briefträger mißbrauchen lassen, nicht wissend oder nicht wissen wollend, was sie transportieren.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, einen konspirierenden Verteidiger aus einem Verfahren wirklich so ausschließen wollen, daß dieser Ausschluß einen Sinn hat, so sollten Sie dafür eine Rechtsgrundlage schaffen, die wirklich greift.
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5676 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
HartmannEine Überwachung der Verteidigerbesuche wird von Ihnen nach wie vor abgelehnt. Ich will jetzt nicht zum soundsovielten Male aufblättern, was der Bundeskanzler und sein Justizminister früher befürwortend zu diesem Thema geäußert haben. Es ist in diesem Hause auch bereits ausführlich dargelegt worden, in wie vielen Ländern mit liberaler Rechtstradition, vielleicht mit einer noch liberaleren Rechtstradition, als wir sie haben, eine Verteidigerüberwachung zulässig ist. Auch die Tatsache, daß eine Besuchsüberwachung bis zum Jahre 1964 auch in der Bundesrepublik zulässig war, ohne daß darin eine Todesünde gegen den Rechtsstaat erblickt worden wäre, ist hier mehrfach aktenkundig gemacht. worden. Wer die Besuchsüberwachung ablehnt, verkennt vor allem zweierlei:Erstens. Keine andere Maßnahme ist besser geeignet, ein illegales Zusammenwirken zwischen einem Verteidiger und einem inhaftierten Beschuldigten schon zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und im Keim zu ersticken, früher also, als ein Ausschluß indiziert ist. Selbst wenn man einen Verteidiger nach Ihren Vorstellungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausschließt, ist kein Kraut dagegen gewachsen, daß der nächste sogenannte Vertrauensanwait als zunächst unbeschriebenes Blatt die Konspiration fortspinnt. Bis zum Ausschluß auch des nachgeschobenen Konspirateurs vergeht mit Sicherheit soviel Zeit, daß der nächste Terroranschlag aus der Zelle heraus bereits verabredet und ferngesteuert worden sein kann.
Auch das beliebte Gegenargument des angeblich überforderten Überwachungsrichters, der unverständlichen Codesprache und des ausgesprochenen, nicht mehr rückholbaren Wortes sticht nicht. Ich habe hier bereits früher ausgeführt, daß kein Gesetz, und sei es noch so rigoros, eine inkriminierte Verhaltensweise auf die Quantität Null reduzieren kann. Auf alle Fälle aber würden Sanktionen hemmend und erschwerend wirken.An dieser Stelle muß ich etwas richtigstellen. Von Ihrer Seite ist dem Kollegen Dr. Eyrich in der letzten Zeit mehrfach das Wort im Munde herumgedreht worden. Es wird behauptet, er habe selber — in der Debattte zum sogenannten Kontaktsperregesetz — darauf hingewiesen, daß ein Anwalt Nachrichten weitergeben könne, deren Tragweite, Inhalt und Sinn er gar nicht erkennen könne. Das sei das beste Argument gegen unsere Verteidigerüberwachungsregelung. Dies wurde uns sogar als der Grund genannt, der den Herrn Bundeskanzler bewogen habe, von seiner früheren Befürchtung der Besuchsüberwachung wieder abzugehen. Meine Damen und Herren, ich darf ausweislich des Protokolls der damaligen Debatte darauf hinweisen und klarstellen, daß Herr Kollege Dr. Eyrich damals auf die Übermittlung eines ganz bestimmten Wortes im Zusammenhang mit dem Fall Schleyer abgestellt hat.
Darum ging es im Bereich des Kontaktsperregesetzes und um nichts anderes. Es ist deshalb eine intellektuell wenig redliche Methode, dieses Wort zuerstaus dem Zusammenhang herauszureißen und dann noch herumzudrehen.Zweitens. Es wurde von uns nie bestritten, daß die Besuchsüberwachung einen erheblichen Eingriff in die unbehinderte Verteidigung darstellen kann. Wenn jedoch höherwertige Rechtsgüter auf dem Spiele stehen, so muß ein solcher Eingriff auf Grund sorgfältiger Abwägung hingenommen werden.
Die gesetzliche Regel bleibt ja weiterhin der un-überwachte Verteidigerverkehr. Es wird doch immer so getan, als wollten wir den unüberwachten Verteidigerverkehr, wie er in § 148 Abs. 1 StPO beschrieben steht, abschaffen. Der bleibt die Regel. Wenn Sie diese Regel noch so hochhängen: wenn Menschenleben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit von Menschen auf dem Spiele stehen, ist ihnen Vorrang vor prozessualen Rechten, und seien diese noch so viel wert, einzuräumen.
Weil auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, diesen Grundgedanken nicht so ohne weiteres vom Tisch kehren konnten, haben Sie die Trennscheibe aus Ihrem Zylinder gezaubert. Wir stellen dazu klar und eindeutig folgendes fest. Wenn wir Ihren diesbezüglichen Gesetzesvorschlag ablehnen, so bedeutet dies nicht, daß wir die Installation von Trennscheiben nicht wollten. Ganz im Gegenteil. Die Installation von Trennscheiben in den Besucherräumen der Vollzugsanstalten ist aber bereits nach geltendem Recht, bestätigt durch höchstrichterliche Entscheidungen, zulässig. So steht es auch in dem vorliegenden Bericht des Rechtsausschusses. Die von Ihnen beantragte gesetzliche Regelung ist daher überflüssig.
Das ist auch — das wird Sie jetzt vielleicht überraschen und nicht sehr angenehm berühren — die Meinung des Deutschen Richterbundes, die er gestern in einer Stellungnahme zum Ausdruck gebracht hat. Die von Ihnen vorgesehene Gesetzesregelung der Trennscheibe — überflüssig wie ein Kropf — soll nur als Alibi dafür dienen, daß Sie wirklich geeignete Maßnahmen, die nach geltendem Recht noch nicht zulässig sind, nicht ermöglichen wollen.
Dieses Alibi werden wir Ihnen nicht verschaffen.
Im übrigen reicht eine Trennscheibe — ob nach geltendem Recht oder auf Grund einer draufgesattelten neuen Vorschrift installiert — zur Unterbindung der Konspiration zwischen Verteidiger und inhaftiertem Beschuldigten keineswegs aus. Sie ist zwar geeignet, die Übergabe von Gegenständen zu verhindern — dazu brauchte ich nicht die gestrige Bestätigung durch den Generalbundesanwalt; das sagen mir die Gesetze der Physik und Mechanik, daß eine Übergabe nicht möglich ist, wenn eine Trennscheibe dazwischen ist —, doch ermöglicht die Trennscheibe auch weiterhin die mündliche Konspiration und das Zeigen von Schriftstücken,
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HartmannPlänen und anderen Informationsträgern durch die Trennscheibe hindurch. Die Übergabe von Gegenständen ist ja nur ein Aspekt der Konspiration,
wie der Generalbundesanwalt im Rechtsausschuß gestern ausdrücklich eingeräumt hat.
Tun Sie doch nicht so, als ob der einzige Fall von Konspiration, der passiert ist oder passiert sein könnte, bei der Übermittlung von Pistolen, Sprengstoff und sonstigen Gegenständen in Stammheim stattgefunden hat! Die mündliche und sonstige Konspiration hat doch — zumindest quantitativ — einen viel größeren Umfang als diese Vorgänge.Meine Damen und Herren, an der rechtsstaatlich abgewogenen Besuchsüberwachung führt deshalb kein Weg vorbei, wenn man sich nicht mitschuldig daran machen will, daß künftige Terrorakte auch weiterhin aus den Gefängniszellen heraus geplant und gesteuert werden. Daß sich die organisierte Anwaltschaft einer Besuchsüberwachung widersetzt, ist aus deren Sicht verständlich. Der Deutsche Anwaltverein und die Bundesrechtsanwaltskammer wären schlechte Standesvertretungen, wenn sie die spezifischen Interessen ihres Standes nicht in legitimer Einseitigkeit, so möchte ich es einmal ausdrükken, vertreten würden.
Das tun andere Interessenvertretungen in unserem Staat, in unserem Lande bekanntlich auch.
Daß der Deutsche Richterbund, der sich neuerdings gegen die Besuchsüberwachung ausgesprochen hat, dieselbe früher befürwortet und seine Meinung dann eben geändert hat — aus welchen Gründen auch immer —, ist jedenfalls ein Indiz dafür, daß die Argumente, die für eine Besuchsüberwachung sprechen, so abwegig, wie Sie tun, auf alle Fälle nicht sein können. Und wenn Sie Strafrechtsprofessoren und hohe Richter als Zeugen gegen die Besuchsüberwachung aufrufen, so könnte aus diesem Personenkreis sowohl qualitativ als auch quantitativ durchaus gegengehalten werden.Herr Kollege Dürr, Sie vermissen in unserem Änderungsantrag die sogenannte obligatorische Untersuchungshaft.
— Ich habe das jetzt nicht wertend gemeint. Sie stellten fest, daß sie in dem Änderungsantrag nicht mehr enthalten ist. Ich darf Ihnen dazu sogleich in voller Offenheit — wer sind wir denn, wir brauchen doch nichts zu verbergen! — Aufklärung zuteil werden lassen. Wir halten zwar das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. August 1965, auf welches Sie sich zur Untermauerung Ihrer Ablehnung berufen haben, nicht für einschlägig. Es lassen sich aus ihm aber immerhin Ansatzpunkte für eine Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit einer obligatorischen Untersuchungshaft entnehmen. Weil wir Wert darauf legen, keine Forderung zu erheben,deren Verfassungsmäßigkeit auch nur andeutungsweise fraglich sein kann, über die man unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit auch nur ernsthaft diskutieren kann, verehrter Herr Kollege Dürr, verfolgen wir unseren Vorschlag nicht weiter. Angesichts der verfassungsmäßigen Wasserdichtheit unserer übrigen Vorschläge fällt uns dieser Verzicht nicht schwer.
— Wenn wir in Beratungen hineingehen, dann kann es durchaus sein, daß am Ende dieser Beratungen etwas anderes herauskommt. Dazu sind Beratungen nämlich da. Wir gehen nicht mit fertigen Ergebnissen in die Beratungen hinein,
sondern wir machen Vorschläge, beraten Sie, und hinterher
legen wir dann fest, was wir in zweiter und dritter Lesung in diesem Hause endgültig zur Abstimmung stellen werden.
Warum wir nein sagen werden, habe ich Ihnen ausführlich erklärt.Verehrter Herr Kollege Emmerlich, die wesentliche Aussage Ihrer Rede ist die Feststellung, daß es kein Patentrezept gegen den Terrorismus gibt. Das stimmt. Für die Lösung der meisten Probleme gerade in der Politik gibt es keine Patentrezepte. Das darf uns aber doch nicht daran hindern, das Mögliche zu tun.Dann reden Sie von „Überreaktion", und Sie tun so, als ob wir mit unseren Vorschlägen mit Kanonen auf Spatzen schießen und dabei die Freiräume der rechtstreuen Bürger geradezu verwüsten würden. Herr Kollege Emmerlich und meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, ich sage Ihnen: kein vernünftiger Mensch — gehen Sie mal hinaus und fragen Sie die Leute draußen im Land —, kein vernünftiger Mensch, dem nicht durch Ideologie die Sinne vernebelt sind und der Blick getrübt ist, empfindet es als „Überreaktion" und „Hysterie", wenn wir Jahre und Monate nach den Anschlägen nach sorgfältigen Beratungen die Lücken im Gesetz schließen wollen, von denen wir wissen, daß die Terroristen gezielt hindurchschlüpfen und auch noch künftig hindurchschlüpfen werden, wenn wir sie nicht schließen.
Dabei liegt uns die Einhaltung der rechtsstaatlichen Grenzen nicht weniger am Herzen als Ihnen auch; dies vermerke ich wirklich nur am Rande, weil wir keinerlei Anlaß haben, uns in diesem Punkte in die Defensive zu begeben.Herr Kollege Engelhard, niemand von uns behauptet, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Das
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5678 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Hartmannüberlassen wir den selbsternannten Halbgöttern und Tempelwächtern an anderer Stelle. Wir behaupten allerdings, daß wir mit mehr Realitätssinn, mit mehr Rücksicht auf die Sicherheit der rechtstreuen Bürger und mit mehr Gedanken an die Opfer und ihre Angehörigen an die Dinge herangehen, und das ist unser Auftrag, dem wir zu folgen haben.
Der Erfolg der Terrorismusbekämpfung hängt nicht allein von Gesetzgebungsmaßnahmen ab. Das wissen auch wir. Gewiß haben Rechtsprechung und Exekutive da und dort noch Spielraum, die bestehenden Gesetze noch konsequenter auszuschöpfen und zu vollziehen. Ganz gewiß hat auch die Auseinandersetzung auf dem geistig-politischen Feld stattzufinden. Auch hier sind wir ja vorangegangen: mit der Tagung der CDU über die Ursachen der Gewalt. Aber angesichts der spezifischen Erscheinungsformen des Terrorismus sind Lücken unserer liberalen Rechtsordnung offenkundig geworden — ohne die diese Rechtsordnung keinen Deut weniger liberal wäre —, die terroristische Gewalttäter und ihre Helfershelfer zielsicher ausnutzen. Daraus müssen wir halt nun einmal Konsequenzen ziehen, wenn wir die Schutzfunktion unseres Staates nicht in Frage stellen wollen. Unsere Gesetzesvorschläge sind geeignet, diese Lücke zu schließen, ohne daß auch nur ein Deut Liberalität in diesem Land verlorengeht. Das kosmetische „Paragraphen-face-lifting" der Koalition ist dazu nicht imstande.Ich fasse zusammen: Es gilt, die Vorbereitung und Begehung terroristischer Gewalttaten so weit wie möglich zu verhindern und zu erschweren. Dem sollen unsere Vorschläge zum Verteidigerausschluß und zur Überwachung von Verteidigerbesuchen bei inhaftierten Beschuldigten dienen. Es gilt ferner, wenn nicht zu verhindernde Terrorakte, Gott sei es geklagt, begangen worden sind, die Täter ohne Umschweife zu verfolgen und frühestmöglich dingfest zu machen. Dazu machen wir den praktischen Bedürfnissen der Strafverfolgung Rechnung tragende Vorschläge zur Errichtung von Kontrollstellen, Durchsuchung von Gebäudekomplexen und zur Identitätsfeststellung.Jeder Bürger, der sich das Gespür dafür bewahrt hat, daß unsere Verfassung und unsere freiheitliche Ordnung am ehesten durch schrankenlose Freiheitsausnützung kaputtzumachen sind, wird es akzeptieren, daß er irgendwann irgendwo einmal durch die Schleuse einer Sicherheitsmaßnahme hindurchgehen muß, wie wir es alle auf den Flughäfen oder bei Grenzüberschreitungen tun müssen.Wir bewegen uns mit unseren Vorschlägen innerhalb des breiten Handlungsspielraums, den auch der Herr Bundeskanzler in einer seiner letzten Reden — ich glaube, es war in seiner Regierungserklärung vor wenigen Wochen — gesehen und anerkannt hat, in dem breiten Handlungsspielraum zwischen echter Freiheitsbeschränkung und untätigem, permissivem Gewährenlassen. Diesen Spielraum muß der freiheitliche Rechtsstaat nutzen, wenn er sich nicht selber aufgeben will.In der lebensfernen, aber ideologiedurchdrungenen, synthetischen Vorstellungswelt derer, die die natürliche Relation zwischen Freiheit und Sicherheit nicht mehr wahrnehmen, geht die Gefahr für die rechtsstaatliche Ordnung mehr von denjenigen aus, die in Verteidigung dieser Ordnung gesetzliche Lükken in verfassungsmäßiger und rechtsstaatlicher Weise schließen wollen, und weniger von denen, die unter rigoroser Ausnützung solcher Lücken jegliche Ordnung mit Mord und Terror zerstören wollen.Ich meine aber: noch verantwortungsloser als die, welche einer solch verblendeten Betrachtungsweise verfallen sind, handeln diejenigen, die sich solchen verbogenen Maßstäben aus Machtkalkül und Parteipolitik wider bessere Einsicht beugen.
Roman Herzog, Verfassungsrechtler von Rang, sagte über das Staatsverständnis — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Wer es schafft, die harten Pflichten der Freiheit im Bewußtsein des Menschen wieder in ihr Recht einzusetzen, der hat die geistige Führung in seinem Land.Diesem Anspruch, meine Damen und Herren, sollten sich Regierung und die überwältigende Mehrheit des Parlaments verpflichtet fühlen. Wir, die CDU/ CSU-Opposition dieses Hauses, sehen dies jedenfalls als eine vorrangige staatspolitische Aufgabe an. Wir bieten Ihnen, Herr nicht präsenter Bundeskanzler, zum wiederholten Male unsere Stimmen zur Durchsetzung sachgerechter Maßnahmen, zur Wahrung der friedensstiftenden und friedenserhaltenden Kraft unseres Staatswesens an. Zu bloßer Augenwischerei allerdings können und werden wir unsere Hand nicht reichen.
Das
Wort hat der Herr Abgeordneter Dr. Weber .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Sozialdemokratischen Fraktion weise ich den Vorwurf, der hier von allen drei Oppositionsrednern ausgesprochen worden ist, die SPD-Fraktion lege mit diesem Entwurf ein unbrauchbares Gesetz vor, ein Restgesetz, das nur ein Täuschungsmanöver sei,
zurück.
Sie haben in den letzten Tagen und Wochen doch nichts anderes zu tun gehabt, als sich an diesen Äußerungen aufzugeilen. Da kommt die Erklärung - —
Herr
Kollege, die deutsche Sprache ist so reich, daß Sie sicher einen besseren Ausdruck finden.
Herr Präsident, ich nehme diesen Ausdruck zurück, wobei ich allerdings feststelle, daß es der Opposition offenbar biologisch nicht mehr möglich ist, so zu verfahren, wie ich es eben beschrieben habe.
Meine Damen und Herren, Sie haben am 14. Februar 1978 über Ihren Pressedienst in der CSU verbreiten lassen, hier werde ein großes Täuschungsmanöver durchgeführt.
Einen
Augenblick, bitte! Meine sehr geehrten Damen und Herren, soweit Sie nicht unmittelbar den Saal verlassen möchten, bitte ich Sie doch, Platz zu nehmen, damit der Redner im Saal voll verständlich wird. — Bitte.
Der Abgeordnete Spranger hat an keiner Beratung des Rechtsausschusses teilgenommen; er ist gar nicht legitimiert, eine solche Aussage zu machen. Hätten Sie die Erklärungen, die der Herr Generalbundesanwalt gestern vormittag vor dem Rechtsausschuß zu diesen Komplexen abgegeben hat, auch nur einmal gewürdigt, so würden Sie feststellen, daß Ihre mündlichen und schriftlichen Erklärungen uns letztlich nicht weiterhelfen, sondern nur der Brunnenvergiftung dienen,
daß sie dem Bürger draußen nicht den Anhalt geben, den er zu Recht von uns erwartet.
Alle Mitglieder der Fraktion der SPD treten entschieden für den Kampf gegen den Terrorismus ein.
Es geht nur darum, die geeigneten Maßnahmen zur intensiven Bekämpfung von Terroristen und Terrorismus, zur. Überwindung dieser Gefahr, in die unsere demokratische Ordnung von Terroristen gestellt worden ist, zu finden. Sie von der Opposition brauchen uns darüber nicht zu belehren.
Schon zu der Zeit, als die scheußlichen Morde an Ponto, Buback und Schleyer noch nicht geschehen waren, nämlich am 13. März 1975, haben die Koalitionsfraktionen hier eine gemeinsame Entschließung verabschiedet, und ich darf aus ihr folgendes vorlesen:Der Terrorismus ist zu einer neuen Herausforderung in der ganzen Welt geworden.. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist davon betroffen. Der Terrorismus ist ein Angriff auf unseren freiheitlichen, sozialen und demokratischen Rechtsstaat. Diesen Angriff wehren wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln ab.
Und das tun wir mit diesem vorliegenden Gesetz auf diesem Rechtsgebiet.
Ihre Vorwürfe sind doch ein Verbalterrorismus, der uns nicht weiterhilft! Sie, meine Damen und Herren, tragen Mitverantwortung und wollen gleichwohl die vorliegenden Gesetzentwürfe ablehnen, nicht weil Sie diese Gesetze nicht für ausreichend hielten, sondern weil Sie auf dem in Sonthofen vorgeschriebenen Weg des totalen Nein bleiben wollen,
weil Sie letztlich darauf spekulieren, daß diese Gesetze keine Mehrheit finden würden. Aber Sie verspekulieren sich auch in diesem Falle — wie so viele andere Glücksspieler auch.
Wir haben mit Ihnen in den Beratungen des Rechtsausschusses um die rechtsstaatlich richtige Meinung gerungen. Wir haben Ihnen z. B. vorgehalten, daß — und Sie haben das ja, wenn auch sehr spät, heute akzeptiert — Ihre Vorstellungen zur obligatorischen Untersuchungshaft mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht übereinstimmen. Wir haben Sie gleichwohl nicht zu Verfassungsfeinden gestempelt,
obwohl Sie dieses Urteil nicht berücksichtigt haben. Wir haben Ihnen vorgehalten, daß Ihre Vorstellungen über die obligatorische Verhängung der Untersuchungshaft und über die Sicherungsverwahrung nicht vom Strafgesetz getragen werden, wenn wir diesen Rechtsstaat nicht in einen Unrechtsstaat urn-kehren wollen. Wir haben Ihnen. dazu z. B. wörtlich die Äußerungen Ihres früheren Kollegen und früheren Generalbundesanwalts Güde vorgehalten, die er im Strafrechtssonderausschuß gemacht hat. Sie haben sich darüber hinweggesetzt, ohne daß wir Sie als Rechtsstaatsbrecher bezeichnet haben. Wir haben das deshalb nicht getan, weil wir auf der Basis unseres Grundgesetzes miteinander umzugehen verpflichtet sind, weil wir Lösungen suchen müssen, politische Richtungen, und weil wir um diese Richtungen ringen müssen.
Meine Damen und Herren, Heinrich Böll hat in einem Interview am 1. Oktober 1977 gesagt:Wenn es der Wunsch der Terroristen war, Konfrontation und Provokation zu schaffen, dann
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5680 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. Weber
sind sie auf dem besten Wege, dieses Ziel zu erreichen.
— Ich weiß, dieses Zitat paßt Ihnen nicht, genauso wie es Ihnen nicht gepaßt, hat, daß der Vorsitzende Ihrer Sozialausschüsse, Herr Blüm, Herrn Böll zu seinem 60. Geburatstag gratuliert hat. Er mußte sich dann von den Landesverbänden der Jungen Union vorhalten lassen, daß er seine Stellung in seinem Hausblatt mißbrauche. Ein Landesverband der Jungen Union, der in Schleswig-Holstein, hat sogar das, was ein in der Welt anerkannter Nobelpreisträger gesagt hat, als „linke Brühe" tituliert.
Meine Damen und Herren, wenn wir so miteinander umgehen wollen, dann ist das schlimm.Die Gewerkschaft der Polizei — und wer wäre besser dazu berufen, eine solche Erklärung abzugeben — hat auf ihrer Tagung im Dezember 1977 gesagt — ich darf zitieren, Herr Präsident —:Die Beseitigung der Ursachen ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft und nicht etwa der Polizei allein.
Dies ist eine Aufgabe für Generationen, an der sich alle Bürger selbstverständlich und selbstverantwortlich beteiligen müssen.
Lassen Sie mich ein weiteres Zitat der gleichen Tagung anführen. Es heißt dort:Die Gewerkschaft der Polizei ist der Überzeugung, daß die geltende Rechtsordnung grundsätzlich ein ausreichendes Instrumentarium bietet, um auch die terroristische Gewaltkriminalität auf rechtsstaatliche Art und Weise in den Griff zu bekommen. Die bestehenden Gesetze müssen nur angewandt und ausgeschöpft werden.Meine Damen und Herren, deshalb weise ich den Vorwurf zurück, daß diese Regierung schlapp und unfähig sei. Diesen Eindruck werden Sie nach draußen nicht erwecken können,
selbst wenn Sie versuchen, Massenempörung und Massenängste auf Ihre politische Mühle zu leiten.Wir wissen, daß Sie den erleichterten Ausschluß illoyaler Verteidiger ebenfalls wollen, daß Sie die Einführung der Trennscheibe in Strafanstalten ebenfalls wollen. Aber dann sagen Sie es doch! Sie haben gestern in der Beratung des Rechtsausschusses bei der Anhörung des Herrn Generalbundesanwalts noch den Eindruck erweckt, als ob die Anbringungvon Trennscheiben ein verfassungswidriges Handeln sei. Sie haben ausdrücklich auf die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart und das Gutachten der Rechtsanwaltskammer Stuttgart verwiesen. Stimmen Sie doch dann dieser Regelung zu. Aber Sie hoffen, daß Sie die Bundesregierung in Abstimmungsschwierigkeiten bringen können. Auch das wird Ihnen nicht gelingen.
Meine Damen und Herren, darf ich einen Satz zu meinen Kollegen sagen, die bis zum Schluß um ihre Zustimmung zu diesem Gesetz gerungen haben und vielleicht auch jetzt noch darum ringen. Sie tun dies ja nicht, weil sie den Terrorismus nicht bekämpfen wollen oder weil sie mit den mit Terroristen konspirierenden Anwälten gemeinsame Sache machen wollen, sondern sie tun dies in der Sorge, daß nicht revisible Eingriffe in dieses liberale Strafrecht, auf das wir mit Recht stolz sind, erfolgen. Diese Abgeordneten handeln in Abwägung der beiden zu schützenden Rechtsgüter. Sie sehen die Macht des Staates und die Gefahr des Eingriffs in freiheitliche Grundrechte durch diesen Staat. Ich teile diese Sorgen meiner Kollegen nicht. Aber ich nehme jeden vor dem Vorwurf in Schutz, er wolle den Rechtsstaat nicht verteidigen, wenn er nach dieser Güterabwägung nicht anders handelt, als er glaubt, handeln zu dürfen.Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung sieht erstens die erleichterte Ausschließung von Verteidigern vor. Ein Verteidiger soll in den Fällen des § 129 a Strafgesetzbuch auch dann ausgeschlossen werden, wenn nur bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, daß er an der Tat des Inhaftierten beteiligt ist oder die Kontakte mit dem Inhaftierten dazu mißbraucht, um Straftaten zu begehen oder die Anstaltssicherheit erheblich zu gefährden. Damit ist klargestellt, daß nur solche bestimmten Tatsachen zum Verteidigerausschluß herangezogen werden können, die außerhalb eines rechtmäßigen Verteidigerverhaltens liegen. Der Verteidigerausschluß ist nach der im Gesetzentwurf bestimmten Zeit in aller Regel aufzuheben.Dieser durch bestimmte Tatsachen begründete Verdacht ist kein Anfangsverdacht. Er verlangt schlüssiges Tatsachenmaterial, das eindeutig .auf illegales Verhalten hinweist.Sie haben diesen Vorschlag abgelehnt. Sie meinen, da müßte erst einmal eine Erweiterung stattfinden. Dann müßte auch § 129 des Strafgesetzbuches mit einbezogen werden. Darf ich einmal — weil wir heute aus dieser Vorlage den § 129 StGB herausgenommen haben — auf eine Erklärung des Herrn Kollegen Dregger in der Sitzung vom 28. Oktober 1977 hinweisen, der hier gesagt hat — ich darf zitieren:Wir müssen uns davor hüten, liberale Errungenschaften für alle aufzuheben, weil wenige eine besondere Gefahr für alle darstellen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5681
Dr. Weber
Die SPD-Fraktion will nicht den Verteidiger, gegen den bestimmte Tatsachen sprechen, überwachen lassen, sondern sie will diesen Verteidiger aus dem Verfahren ausgeschlossen wissen.
Sie ist sich darin einig mit dem Deutschen Anwaltverein, mit der Bundesrechtsanwaltskammer und mit dem Herrn Generalbundesanwalt.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie haben darauf gedrängt, daß der Herr Generalbundesanwalt noch vor dieser Sitzung heute im Rechtsausschuß gehört werden solle. Sie hatten gestern die Freude. Nur ist das anders ausgegangen, als Sie sich das erhofften. Ich darf aus dem wörtlichen Protokoll des Rechtsausschusses eine Erklärung des Herrn Generalbundesanwalt zitieren:Es ist immerhin denkbar, daß auch bei einer Überwachung des mündlichen Verteidigerverkehrs ein Zwischenfall inszeniert wird, der einen solchen Austausch ermöglicht. Für möglich halte ich auf jeden Fall die Übergabe von Zetteln bei der Begrüßung oder auch die Übergabe von in kleinen Päckchen verpacktem Sprengstoff.
Ich kann es nicht ausschließen, daß auch bei der Überwachung des Verkehrs durch einen Dritten eine Übergabe von verbotenen Gegenständen möglich gewesen wäre.Auf die Frage des Herrn Kollegen Hartmann hinsichtlich der Trennscheibe, erklärte der Herr Generalbundesanwalt wörtlich:Nein, dann ist jeder Austausch von Gegenständen unmöglich, weil diese Trennscheibe keinen Schlitz zum Durchreichen irgendwelcher Gegenstände hat. Aber die Trennscheibe ist ganz bestimmt — das ist meine Überzeugung — das einzige Mittel, das jeglichen Austausch unzulässiger Gegenstände ausschließt.
— Herr Präsident, ich kann keine Zwischenfrage gestatten, weil die Uhr weiterläuft. — Auf eine weitere Frage hat der Herr Generalbundesanwalt dann noch geantwortet:Auch z. B. ein vom Verteidiger oder dem Beschuldigten gegebener Befehl ist gegeben. Das gesprochene Wort kann auch bei der Überwachung nicht rückgängig gemacht werden.Deswegen lehnen wir — erstens — die Verteidigerüberwachung ab, sind wir — zweitens — für denverschärften Ausschluß des Strafverteidigers und — drittens — für die gesetzliche Einführung der Trennscheiben in den Strafanstalten, weil bisher rechtliche Zweifel an deren Zulässigkeit bestanden.Lassen Sie mich dazu eine Feststellung treffen. Herr Strauß hat in der Haushaltsdebatte im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung wörtlich ausgeführt:Wogegen wir uns aber wenden, Herr Bundeskanzler, ist der Bruch des Amtseides.Das ist eine ungeheuerliche Verleumdung und eine Verunglimpfung. Ich habe Sie aufzufordern: Nehmen Sie doch nach diesen Feststellungen, die die Bundesrechtsanwaltskammer, die der Anwaltverein, die der Herr Generalbundesanwalt, und die der Deutsche Richterbund getroffen haben,
diese Erklärung zurück.
Wir haben mit Ihnen darum gestritten, welches die rechtsstaatlich beste und praktikabelste Lösung ist. Wir haben die Lösung gemeinsam mit allen sachkundigen Personen und Institutionen gesucht. Wir haben sie in der Form der §§ 138 a und 148 StPO gefunden.Unser Gesetzentwurf sieht — viertens — die erweiterte Durchsuchungsmöglichkeit nach § 103 StPO vor. In diesem Zusammenhang haben Sie sich heute morgen gegen den zu eng gefaßten Begriff des Gebäudes gewandt. Aus der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzentwurfs wird und darf die Rechtsprechung nur die eine Definition ableiten, daß als Gebäude im Sinne dieser Bestimmung lediglich räumlich abgegrenzte, selbständige bauliche Einheiten zu verstehen sind und nicht etwa Gebäudemehrheiten, mögen sie auch teilweise baulich verbunden sein oder gemeinsame Anlagen haben. Wir stellen das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung gleichrangig neben das Recht, den Terrorismus zu bekämpfen, und wägen rechtsstaatlich ab — —
— Herr Kohl, ich muß mir von Ihnen so viel Unerträgliches anhören und Sie sich auch von Herrn Strauß, daß Sie jetzt auch die Geduld haben sollten, sich das anzuhören, was ich sage.
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5682 Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. Weber
Weil wir das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung achten, entscheiden .wir uns für diese an den Bedürfnissen der Praxis orientierte Lösung.
Wir wollen viertens die Einrichtung einer Kontrollstelle nach § 111 der Strafprozeßordnung. Alles das, was Sie gegen die Kontrollstellen gesagt haben, betrifft präventives Polizeirecht, ist aber kein Strafverfahrensrecht.
Sie verwechseln in primitiver Weise Rechtskenntnisse und Rechtstatsachen, die, ich möchte sagen, ins erste Semester eines Jurastudiums hineingehören. Wir wollen dagegen jedem Richter draußen praktikables Recht geben.
Genauso ist es — fünftens — bei der Identitätsfeststellung. Sie wehren sich gegen die zeitliche Begrenzung auf maximal zwölf Stunden, zitieren das Grundgesetz und verwechseln dabei allerdings, daß das Grundgesetz von der Festnahme des Verdächtigen ausgeht, während es bei der Identitätsfeststellung nach § 163 b und § 163 c StPO u. a. auch um die Festnahme eines nicht Verdächtigen geht.Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat mit diesem Gesetz den ersten Dringlichkeitskatalog — hinsichtlich der Dringlichkeit sogar übereinstimmend mit Ihnen — vorgelegt. Deshalb ist der Vorwurf, die SPD sei nur halbherzig bereit, den Terrorismus zu bekämpfen, falsch.
Die Opposition weiß daß die heute anstehenden rechtspolitischen Erweiterungen der gesetzlichen Vorschriften zur wirksamen Bekämpfung des Terrorismus nur einen kleinen Teil des Gesamtkonzepts der Bundesregierung ausmachen. Deshalb sagen wir ja zu diesem Gesetzentwurf, weil wir wissen, daß er rechtsstaatlich den Boden unserer Politik nicht verläßt und praktisch den Anforderungen, die Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht stellen, gerecht wird.
Meine
Damen und Herren, wir unterbrechen die Beratungen des Deutschen Bundestages und treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 8/1497 —
Wir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. von Dohnanyi zur Verfügung.
Die Frage 2 soll auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Hansen, schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesrepublik Deutschland treffen, nachdem in den zwei ersten im Aussiedlungsprotokoll vorgesehenen Jahren der Abwicklung mit Ausreisedokumenten der Volksrepublik Polen viel weniger als 62 500 Deutsche (die Hälfte von 125 000 in vier Jahren) ausreisen durften, und wird die Bundesregierung gegebenenfalls unter Bezugnahme auf den „Schnur-Brief" sowie die Erklärung gegenüber dem Bundesrat, daß nach dem Ausreiseergebnis von zwei Jahren Folgerungen gezogen werden, die Zahlung der letzten Rate aus der Rentenpauschale an Polen so lange aufschieben, bis die sich zum betreffenden Zeitpunkt ergebenden Teilzahlen von Ausreiseberechtigten aus dem Ausreiseprotokoll erfüllt sind?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
In den ersten zwanzig Monaten seit Inkrafttreten der deutsch-polnischen Vereinbarungen, d. h. von Mai 1976 bis Dezember 1977, sind 48 044 Aussiedler aus Polen mit endgültiger polnischer Ausreisegenehmigung in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Selbst wenn man eine Verpflichtung der polnischen Seite zu streng anteilsmäßigen Monatszahlen annähme, hätten in diesem Zeitraum 50 000 bis 52 000 Genehmigungen erteilt werden müssen. Gemessen an dieser Zahl ist das bisher erreichte Zwischenergebnis nicht unbeachtlich.
Das deutsch-polnische Ausreiseprotokoll sieht indessen keine derartigen festen Monatsquoten vor, sondern nur, daß — ich zitiere — die Ausreisegenehmigungen „in dem vorgenannten Zeitraum" — d. h. in- einem Zeitraum von vier Jahren — „möglichst gleichmäßig erteilt werden" . Die Bundesregierung sieht daher keine Veranlassung, besondere Schritte zu erwägen, um die polnische Seite zur rascheren Erteilung weiterer Ausreisegenehmigungen zu drängen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja, bitte.
Herr Staatsminister, nachdem die Bundesregierung festgestellt hat, daß sie nach zwei Jahren die Folgen des Ausreiseprotokolls überprüfen wird, frage ich Sie, ob im Sinne des in der Verfassung verankerten Schutzauftrages und im Sinne des „Schnur-Briefs" zum Ausreiseprotokoll die Volksrepublik Polen seitens der Bundesregierung in geeigneter Weise darauf hingewiesen werden wird, daß eine weitere Unterschreitung der Rechtsverpflichtung — die Unterschreitung beläuft sich nach den von Ihnen genannten Zahlen im Moment auf etwa 10 % — zu Folgen für die deutschen finan-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5683
Dr. Czajaziellen Leistungen führen würde, wie es dem Bundesrat gegenüber ja angedeutet worden ist.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, Sie haben eben unterstellt, daß es sich um eine rechtlich nicht zulässige Unterschreitung der Zahlen handle. Meine Antwort hat klargemacht, daß die Bundesregierung dies nicht so sieht. Es gibt keine auf Monate aufgeteilten Quoten. Nach unserer Auffassung hat sich die Volksrepublik Polen durchaus an die Vereinbarung gehalten. Wir sehen uns daher nicht veranlaßt, erneut auf die Vereinbarung hinzuweisen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdem die Bundesregierung dem Bundesrat ausdrücklich und in einer schriftlichen Stellungnahme, die auch im Bulletin veröffentlicht wurde, mitgeteilt hat, daß Einhaltung und Folgen des Ausreiseprotokolls nach zwei Jahren überprüft würden, frage ich Sie zusätzlich: Was wird die Bundesregierung tun, um angesichts der Nichterfüllung der Ausreisequote durch Polen wenigstens zu erreichen, daß die hier verbliebenen deutschen Besucher von Polen nicht als illegale Ausreisende betrachtet und daß sie durch polnische Maßnahmen nicht — im Gegensatz zum Menschenrechtspakt — von ihren Familien getrennt werden?
Dr. von Dohnanyi Staatsminister: Herr Kollege Czaja, Ihre Frage basiert erneut auf der Hypothese, daß die Ausreisequote nicht erreicht worden sei.
Dies ist unrichtig. Daher kann ich Ihre Frage nicht beantworten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 103 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Erklärung der amerikanischen Mission in Berlin, wonach ihre eigenen Untersuchungen ergeben hätten, daß DDR-Grenzsoldaten in der vergangenen Woche bei Rudow illegal in den amerikanischen Sektor von Berlin eingedrungen seien, und wie fügt sich dieser Vorgang nach Auffassung der Bundesregierung in den Gesamtzusammenhang der Berlin-Politik der DDR-Regierung ein?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Vorfall bei Rudow fällt in die Zuständigkeit der Drei Mächte für Berlin. Es ist daher allein Sache der alliierten Stellen, die notwendigen Schritte in dieser Angelehenheit zu unternehmen. Die Bundesregierung ist von den drei Mächten über die Angelegenheit in vollem Umfang unterrichtet worden. Die Bundesregierung stellt mit Befriedigung fest, daß die alliierten Stellen die notwendigen Schritte in dieser Angelegenheit unternommen haben.
Die Bundesregierung hat keine Anhalte dafür, daß dieser Vorfall eine spezifische Bedeutung im Rahmen der Berlin-Politik der DDR hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung nicht meine Vermutung teilt, daß dieser Zwischenfall im Rahmen der Bemühungen der DDR zu sehen ist, das innerdeutsche Verhältnisse entscheidend neu zu belasten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe zu dieser Frage eben bereits Stellung genommen, indem ich gesagt habe: Die Bundesregierung hat keine Anhalte dafür, daß dieser Vorfall eine spezifische Bedeutung im Rahmen der Berlin-Politik der DDR hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie mir sagen, Herr Staatsminister, in welcher Weise dieser Zwischenfall abgelaufen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich bin davon ausgegangen und ich gehe weiter davon aus, daß Ihnen die Einzelheiten des Zwischenfalls soweit bekannt sind, wie darüber berichtet wurde. Ich unterstreiche noch einmal, daß die Alliierten für die Feststellung des Sachverhalts im einzelnen zuständig sind und daß die Bundesregierung mit Befriedigung feststellt, daß die alliierten Stellen die notwendigen Schritte unternehmen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 130 und 131 des Herrn Abgeordneten Luster wurden vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 132 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, die Stelle des Sozialreferenten bei der deutschen Botschaft in Delhi zu besetzen, die seit Frühjahr 1977 vakant ist, was bereits ein Jahr zuvor vorauszusehen war?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Aufgaben des Sozialreferenten an der deutschen Botschaft in Neu-Delhi werden zur Zeit stellvertretend von Herrn Dr. Dieter Bricke wahrgenommen, der vor seiner Versetzung nach Indien als Sozialreferent in Belgrad tätig war. Das Einstellungsverfahren für den vom Deutschen Gewerkschaftsbund als Sozialreferent an der Deutschen Botschaft in Neu-Delhi vorgeschlagenen Kandidaten wird voraussichtlich im März 1978 abgeschlossen sein.
Eine Zusatzfrage. Herr Abgeordneter, bitte.
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5684 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Angelegenheit „Sozialreferent" anscheinend etwas mit lässiger Hand betrieben wird, zumal da ich weiß, daß in Moskau die Stelle des Sozialreferenten schon seit zwei Jahren und die in Tokio noch länger nicht besetzt ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann nicht bestätigen, daß dies mit lässiger Hand betrieben wird. Ich habe mich z. B. selbst bereits wenige Wochen, nachdem ich im Januar 1977 in das Auswärtige Amt gekommen war, um diese Frage bemüht. Aber ich gebe zu, daß es bei der Besetzung dieser Stellen gelegentlich zu Verzögerungen kommt, dies jedoch aus Sachzusammenhängen, die weniger vom Auswärtigen Amt zu vertreten als im gesamten Entscheidungsprozeß verankert sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, in dieser Richtung noch stärkere Aktivitäten zu entwickeln, damit diese Misere, die in Tokio schon über drei Jahre anhält, in Bälde beseitigt wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir haben uns im Amt darum bemüht. Ich kann Ihnen versichern, daß wir uns in Zukunft weiter darum bemühen werden, die Zeiträume für diese Ernennungen zu verkürzen. Ich sage Ihnen offen: Auch ich finde diesen Zustand nicht befriedigend.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ist die Annahme richtig, daß es doch ein wenig ungewöhnlich ist, wenn im Fall Neu Delhi die Stelle ein Jahr und, wie wir gerade von dem Kollegen Dr. Becker gehört haben, die Stelle in Tokio sogar drei Jahre vakant sind?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich hatte eben schon gesagt, daß bei der Besetzung der Sozialreferenten-Stellen wegen der Abstimmungen im Entscheidungsprozeß die Zeitabläufe häufig länger sind, als es vielleicht wünschenswert erscheint. Aber ich habe auch gesagt, daß wir uns darum bemühen, diese Fristen zu verkürzen.
Ich rufe die Frage 133 des Herrn Abgeordneten Daweke auf:
Liegen der Bundesregierung Hinweise auf den Wahrheitsgehalt von Agenturmeldungen vom 31. Januar 1978 vor, wonach die somalische Regierung die in Mogadischu anläßlich der Stürmung der Lufthansamaschine Landshut verletzte Terroristin freigelassen hat, und wenn ja, welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung genutzt, um diese Maßnahme der somalischen Regiering zu verhindern?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung hat sichere Hinweise dafür, daß die Agenturmeldungen über eine Freilassung der in Mogadischu verletzten Terroristin nicht den Tatsachen entsprechen.
Eine Zusatzfrage. Herr Abgeordneter, bitte.
Herr Staatsminister, weshalb hat die Bundesregierung diesen Vorgang, der ja erhebliche Unruhe ausgelöst hat, in der Öffentlichkeit nicht so dargestellt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dies ist in erster Linie eine Sache der Regierung in Mogadischu. Auf Ihre Frage geben wir Ihnen hier eine klare Antwort. Aber die Frage betrifft in erster Linie die Regierung in Somalia.
Die zweite Zusatzfrage, bitte.
Darf ich dann fragen, ob die Bundesregierung beabsichtigt, hier ein Auslieferungsbegehren zu stellen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Dies ist nicht erfolgt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ey.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung der gegenwärtige Aufenthaltsort der verletzten Terroristin bekannt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Bis vor kurzer Zeit - ich kann das bis auf die letzten Stunden jetzt nicht beantworten — war uns dieser Aufenthaltsort bekannt.
Ich rufe die Frage 134 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf.Ist der Bundesregierung bekannt, daß sich das kommunistische Kürzel „BRD" in Osterreich in den Massenmedien und auch insbesondere im Sportgeschehen zunehmend verbreitet, und welche Bemühungen hat der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Wien bisher unternommen, um das kommunistische Kürzel „BRD" im Sprachgebrauch Osterreichs abzuwenden?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß die Abkürzung „BRD" keine korrekte Wiedergabe des Staatsnamens der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Das Auswärtige Amt und die deutschen Auslandsvertretungen setzen sich für eine richtige Bezeichnungspraxis im Ausland ein; dies gilt natürlich auch für Osterreich. Allerdings gibt es eine internationale Tendenz, zunehmend Abkürzungen für die Bezeichnung von Staaten heranzuziehen; dies gilt nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland. Deswegen, Herr Kollege, ist der Ausdruck „BRD" nicht einfach als kommunistisches Kürzel zu qualifizieren.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5685
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Abgesehen davon, daß es für mich trotzdem ein kommunistisches Kürzel bleibt, weil es das „Neue Deutschland" erfunden hat und damit auch ein ganz konkreter Zweck verfolgt wird, stelle ich die Frage, Herr Staatsminister: Wie sehen konkret die Bemühungen des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Grabert, in Wien aus, um im gleichen Sprachraum — das ist das Entscheidende; wir sprechen die gleiche Sprache, und damit ist es besonders leicht, aber auf der anderen Seite auch besonders schwer — dazu beizutragen, daß dieses kommunistische Kürzel nicht mehr benutzt wird?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich kann Ihnen aus meinen Unterlagen berichten, daß uns bekannt ist, daß die Botschaft in Wien bei gegebenen Anlässen in vielfältiger Weise, angepaßt an die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls, schriftlich, telefonisch oder auch mündlich die von mir hier dargestellte Auffassung der Bundesregierung energisch vertreten hat und daß diese Bemühungen auch nicht ohne Erfolg geblieben sind.
Eine zweite Zusatzfrage.
Können Sie den Erfolg näher darstellen, und können Sie zusichern, daß sich der Erfolg noch vermehrt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Näher darstellen könnte man nur den Einzelfall, Herr Kollege. Daß sich der Erfolg vermehrt, wenn man sich bemüht, ist nicht immer zu garantieren, aber stets zu hoffen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß dieses Kürzel vornehmlich im österreichischen Fernsehen in einem Ausmaß und in einer Intensität benutzt wird, die die Bemühungen der Bundesregierung in einem etwas fragwürdigen Licht erscheinen lassen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Nach den mir vorliegenden Unterlagen, Herr Kollege — ich kann nur das sagen, was mir auf diese Weise bekannt wird —, ist dies in Osterreich kein besonderer Vorgang, der sich von Entwicklungen hervorhebt, die auch sonst hinsichtlich der Benutzung der Abkürzung von Staatsnamen stattfinden. Wir haben ausdrücklich versucht, zu überprüfen, ob dies in Osterreich der Fall ist, und festgestellt, daß Ihre Besorgnisse hinsichtlich Osterreichs unbegründet sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatsminister, werden Sie darauf hinweisen, daß bei allen Bundesstellen die Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland" und nicht die Bezeichnung „BRD" soweit wie möglich verwandt wird, damit an diesem guten Beispiel zumindest im Ausland gemessen werden kann, wie wir selber die Bezeichnungen in unserem Sinne gebrauchen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Dies ist so, Herr Kollege Josten. Die Bundesregierung braucht hier ihre Position nicht zu verändern. Ich habe die Position der Bundesregierung dargestellt, und ich könnte Ihnen dies an vielen Beispielen illustrieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatsminister, da Sie ausführen, daß es manchmal unumgänglich ist, bestimmte Kürzel zu verwenden, frage ich, ob sich die Bundesregierung über ein anderes Kürzel Gedanken gemacht hat und welches Kürzel sie empfehlen könnte.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung nennt die Bundesrepublik Deutschland „Bundesrepublik Deutschland" und denkt nicht über Kürzel nach. Ich habe soeben bereits darauf hingewiesen, daß das Kürzel, das sich für die Bundesrepublik Deutschland zum Teil im Ausland eingebürgert hat, im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung zu sehen ist, Kürzel für die Bezeichnung von Staaten zu verwenden. Ich nenne nur einmal „UK" für das Vereinigte Königreich, was ganz üblich geworden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatsminister, liegen Ihnen Erkenntnisse darüber vor, daß Hunderttausende, wenn nicht Millionen deutscher Urlauber im Ausland dieses Kürzel verwenden, ohne daß sie das jemals mit irgendeiner Ideologie behaftet haben?
Dr. von Dohnanyi Staatsminister: Herr Kollege Becker, solche Erkenntnisse liegen vor. Ich hatte vorhin schon darauf hingewiesen, daß der Versuch, die Bezeichnung „BRD" als kommunistisches Kürzel zu bezeichnen, eine unzulässige Darstellung ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die Wiener Regierung darüber in Kenntnis zu setzen, daß das Kürzel „BRD" keine korrekte Bezeichnung der
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5686 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. HupkaBundesrepublik Deutschland ist, damit dann erwartet werden kann, daß die Regierung der Republik Osterreich vielleicht das Fernsehen in Osterreich entsprechend informiert?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich hatte Ihnen gesagt, daß die Bundesregierung durch die deutsche Vertretung, durch Botschafter Grabert, in Wien auf die korrekte Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen hat. Ich hatte auch gesagt, daß dies seine Wirkung gehabt hat, und ich glaube nicht, daß ein zusätzlicher, erneuter Hinweis erforderlich sein wird.
Ich rufe die Frage 135 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Sieht die Bundesregierung in der rapide anwachsenden Zahl von sogenannten Verdachtskontrollen gemäß Artikel 16 des Transitabkommens auf den Transitstrecken nach Berlin seit Oktober 1977 — insbesondere bei Reisenden in Pkws — eine Verletzung des Viermächteabkommens vom 3. September 1971 wie des Transitabkommens vom 12. Dezember 1971?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung hat in der 70. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 27. Januar 1978 auf die Anfragen der Kollegen Sauer und Wohlrabe zu Fragen des Transitverkehrs ausführlich Stellung genommen. Auf diese Stellungnahme möchte ich zunächst verweisen, Herr Kollege, und mich gern bereit erklären, Ihnen einen Auszug oder eine Kopie dieser Stellungnahme zu überreichen.
Die Bundesregierung steht wegen aller Vorfälle im Transitverkehr in engem Kontakt mit den drei Mächten, denen allein die Auslegung und die Feststellung von Verletzungen des Viermächteabkommens zusteht. Nach Art. 16 des Transitabkommens sind Durchsuchungen nur bei hinreichendem Verdacht auf Mißbrauch der Transitwege für die in Art. 16 Abs. 1 genannten Zwecke zulässig.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die vertragswidrigen Verdachtskontrollen in den zurückliegenden Monaten rechtlich wie politisch von anderer Qualität sind als die Kontrollmaßnahmen bis zum September 1977, oder ist, wie Minister Franke sagt, die Zahl der Zwischenfälle aus der steigenden Gesamtzahl der Transitreisenden erklärbar?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte von dem Grundsatz, mit dem ich eingeleitet habe, nicht abgehen und feststellen, daß die Auslegung und die Feststellung von Verletzungen nach dem Viermächteabkommen den drei Mächten zusteht. Ich möchte deswegen hier nicht den Versuch machen, diese im einzelnen zu qualifizieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß die Zahl der Verdachtskontrollen, die zu Maßnahmen der DDR-Organe führten, sich in den letzten Jahren nicht erhöht hat, und wird damit nicht überdeutlich, daß die Praxis der Verdachtskontrollen der letzten Monate eindeutig vertragswidrig ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wenn Sie die Entwicklung der letzten Monate und letzten Wochen betrachten, so ist ein Ansteigen der Zahl — wovon Sie ausgehen — in den letzten Wochen nicht zu beobachten, sondern im Gegenteil eine erhebliche Rückläufigkeit. Das heißt, man muß die Dinge wohl über einen längeren Zeitraum hin beobachten. Aber Sie wissen — ich möchte das noch einmal unterstreichen —, daß die Bundesregierung über die Entwicklung beunruhigt ist und mit den drei Mächten über diese Fragen spricht. Nur ist die Qualifikation der einzelnen Vorgänge eine Angelegenheit des Viermächteabkommens und liegt damit in der Zuständigkeit der drei Mächte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die große Zahl von Verdachtskontrollen, die in den letzten Monaten des Jahres 1977 und im Januar 1978 erfolgt sind, der DDR überhaupt nur dadurch möglich war, daß sie sich weigerte, die vorliegenden Verdachtsgründe zu nennen, und daß diese Weigerung der DDR in klarem Widerspruch zum Sinn und wohl auch zum
Wortlaut des Art. 16 des Transitabkommens steht, das ja die Verdachtsgründe ausdrücklich definiert?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, daß über diese Zusammenhänge von seiten der zuständigen Stellen mit der DDR gesprochen worden ist. Aber ich möchte noch einmal unterstreichen, daß es nicht möglich ist, an dieser Stelle den Einzelfall zu qualifizieren. Dies ist in der Tat eine Angelegenheit, die im Zusammenhang mit der Auslegung des Viermächteabkommens zu sehen ist.
Ich rufe die Frage 136 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:Ist die Bundesregierung bereit, Maßnahmen z. B. gemäß Artikel 19 Abs. 5 des Transitabkommens oder entsprechend dem Memorandum des Bundesaußenministers zum Transitabkommen vom 15. Dezember 1971 einzuleiten, nachdem die DDR in der Sitzung der Transitkommission vom 18. Januar 1978 keine Begründung für ihre ungerechtfertigten Kontrollen abgegeben hat und andererseits ihre Verdachtskontrollen in gesteigertem Umfang fortsetzt?Bitte sehr, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die DDR ist auf der Sitzung der Transitkommission am 18. Januar auf die Durchsuchungsfälle der letzten Zeit nachdrücklich angesprochen worden. Die Zahl der Durchsuchungsfälle ist im ersten Drittel des Monats Februar zurückgegangen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5687
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Straßmeir.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß die DDR unsere Proteste in der Sitzung der Transitkommission vom 18. Januar 1978 nicht nur im Einzelfall, sondern generaliter als unbegründet zurückgewiesen hat und daß die Sitzung ohne Einigung der Beteiligten zu Ende gegangen ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die DDR hat in der Transitkommission ihre Rechtsauffassung und ihre Interpretation vertreten. Aber ich unterstreiche noch einmal, was ich zu dieser Frage im Zusammenhang mit der vorangegangenen Frage gesagt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung nicht die Verpflichtung, im Sinne des Art. 19 Abs. 5 des Transitabkommens gegenüber der DDR-Regierung tätig zu werden, nachdem in der Transitkommission die Nichteinigung erstmals förmlich festgestellt wurde und das Gespräch von Herrn Minister Wischnewski in Ost-Berlin von seiten der Verhandlungspartner drüben ausdrücklich als Gespräch in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der SED qualifiziert worden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung hält es angesichts der gegenwärtigen Entwicklung nicht für angezeigt, über das hinauszugehen, was sie in dieser Sache getan hat, und auch nicht über das hinauszugehen, was ich jetzt hier für die Bundesregierung an dieser Stelle gesagt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatsminister, welche Gründe veranlassen die Bundesregierung, sich hinter die alleinige alliierte Auslegungsbefugnis zum Viermächteabkommen zu verschanzen, wo doch der Sitz der Materie in dieser Frage das innerdeutsche Abkommen über den Transitverkehr ist, das, wenn Sie so wollen, ein deutsch-deutscher Vertrag ist, der demgemäß auch der Auslegungsbefugnis beider Vertragspartner unterliegt, also auch der der Bundesregierung?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ob Verletzungen des zugrunde liegenden Viermächteabkommens vorliegen, kann nur durch eine Auslegung festgestellt werden. Diese Auslegung im Rahmen des Viermächteabkommens ist Sache der Alliierten. Dies ist die Grundlage, auf der die Bundesregierung ihren Verpflichtungen im Rahmen des Transitabkommens nachkommt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, im Laufe der Zeit vor dem zuständigen Ausschuß über die Fälle unterschiedlicher Auslegung des Transitabkommens zu berichten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung ist immer bereit, dem zuständigen Ausschuß über Sachverhalte zu berichten, die dieser für wesentlich hält. Das gilt ganz sicherlich auch in diesem Fall.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 137 des Herrn Abgeordneten Biehle auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. — Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Ich komme nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Wolters zur Verfügung.
Die Fragen 30 und 31 des Herrn Abgeordneten Immer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Wehner auf:
Hält die Bundesregierung die Indizierung von NS-Propaganda-material durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdendes Schrifttum für ein geeignetes Mittel, um die offenbar im Ansteigen begriffene Flut solchen Materials in der Bundesrepublik Deutschland einzudämmen, und was gedenkt sie zu tun, um der Bundesprüfstelle auf diesem Gebiet zu einer größeren Wirksamkeit zu verhelfen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Wehner! Die Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ist nur ein bedingt geeignetes Mittel, weil sie nach dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften kein generelles Verbreitungsverbot des indizierten Objekts zur Folge hat. Generelle Verbote der Verbreitung von Propagandamitteln unter Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen -werden durch das Strafgesetzbuch geregelt.Gleichwohl kann nach Meinung der Bundesregierung das von einer Indizierung ausgehende Verbot des Vertriebs und der Weitergabe an Kinder und Jugendliche als ein Mittel der Eindämmung von NS-Propagandamaterial u. a. durchaus in Betracht kommen. Dokumente aus der NS-Zeit können — jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen — den Tatbestand der Jugendgefährdung und damit die Voraussetzungen nach dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften erfüllen. So hat z. B. das Bundesverwaltungsgericht in Bestätigung entsprechender Entscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ausgeführt, daß das Tatbestandsmerkmal „den Krieg verherrlichende Schriften" in § 1 weit auszulegen ist, da das Gesetz „Friedensgesinnung erstrebt".
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5688 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Staatssekretär Dr. WoltersDa die Bundesregierung keine umfassende Marktübersicht hat, ist ihr der genaue Umfang der Verbreitung dieses NS-Propagandamaterials nicht bekannt. Um nähere Informationen zu erhalten, hat das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit die obersten Jugendbehörden der Länder gebeten, die dortigen Erfahrungen über die öffentliche Verbreitung von Schallplatten mit Tondokumenten aus der NS-Zeit und von NS-Zitaten mitzuteilen. Gleichzeitig sind die Länder, die ja die Berechtigung zur Antragsstellung bei der Bundesprüfstelle besitzen, gebeten worden, diesen Schriften besondere Aufmerksamkeit zu widmen und zu berichten, welche Initiativen unter Jugendschutzaspekten getroffen wurden oder beabsichtigt sind. Auch das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit wird den von Ihnen angesprochenen Tatbestand unter dem Aspekt einer eventuellen Antragstellung bei der Bundesprüfstelle sorgfältig prüfen.Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Beobachtung jugendgefährdenden Materials künftig erleichtert werden soll, und zwar durch eine Erweiterung des Kreises der bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften antragsberechtigten Stellen auf die Jugendämter und Landesjugendämter. Eine entsprechende Verordnung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit wird in der nächsten Woche dem Bundesrat zugeleitet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner.
Entspricht es den Tatsachen, daß Ihr Ministerium seit dem Jahre 1972 überhaupt keinen Indizierungsantrag gestellt hat?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Dies entspricht den Tatsachen. Die Gründe dafür liegen in dem Umstand, daß die Bundesprüfstelle eine dem Ministerium nachgeordnete Behörde ist und es deswegen für zweckmäßig gehalten wurde — um auch nur den Anschein irgendeiner Befangenheit zu vermeiden —, die Antragstellung den obersten Landesjugendbehörden — und nach Passieren des eben von mir erwähnten Verordnungsentwurfs den Landesjugendämtern und Jugendämtern — zu überlassen, die darüber hinaus auch geeignetere Instrumente der Marktbeobachtung haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner.
Bedarf es eigentlich einer besonderen Marktforschung, wenn in aufdringlicher Weise nazistische Propagandaschallplatten in großer Menge angeboten, verbreitet, verkauft werden — dazu auch noch besondere Firmen existieren —, Materialien, die in keiner Weise etwa jenen seltsamen Anzeigen entsprechen, daß man sich unterrichten müsse, daß es eine Art Schulungsmaterial sei; sondern es ist bloße nazistisch-faschistische Propaganda und Kriegspropaganda?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, Herr Abgeordneter Wehner, greift einerseits nur durch den Bezug auf den Kreis von Jugendlichen und Kindern, und es nennt eine Reihe von Kriterien, die Voraussetzungen für eine Indizierung sind. Es muß also im Einzelfall geprüft werden, ob diese Kriterien für eine Indizierung hinreichend sind. Ich stimme aber völlig mit Ihnen darin überein, daß es bei solchen offensichtlich auf dem Markt befindlichen Dingen, für die außerdem in Anzeigen geworben wird, keiner systematischen Marktbeobachtung bedarf, sondern daß dies eigentlich für die antragsberechtigten Stellen Anlaß genug sein muß, über die Notwendigkeit eines Antrages nachzudenken.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung — vor dem Hintergrund, daß wir uns doch wohl alle zur streitbaren Demokratie bekennen und in dieser Frage mit liberalistischem Schlendrian nichts zu tun haben wollen — bereit, in die Prüfung dieser Vorgänge auch eine Zeitschrift mit aufzunehmen, die den Namen „National-Zeitung" trägt?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Die Bundesregierung selbst ist, wie ich eben ausgeführt habe, soweit es dieses Gesetz betrifft, nur unter dem Gesichtspunkt angesprochen, eine Antragstellung in Betracht zu ziehen. Ich bin Ihrer Meinung, daß man bei dieser Überlegung das Periodikum, das Sie gerade genannt haben, selbstverständlich auch mit einbeziehen muß, weise aber noch einmal darauf hin, daß in den vergangenen Jahren aus guten Gründen so verfahren wurde, die Antragstellung zunächst einmal den obersten Landesjugendbehörden — in Zukunft also auch den Landesjugendämtern und Jugendämtern — zu überlassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, wieviel Indizierungsanträge zu jugendgefährdenden Schriften anderer verfassungsfeindlicher Organisationen und Parteien sind denn von der Bundesregierung seit 1972 gestellt worden?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Ich hatte vorhin auf die Frage des Abgeordneten Wehner schon gesagt, daß seit dem Jahre 1972 zu keinem der im Gesetz angesprochenen Bereiche ein Indizierungsantrag von der Bundesregierung gestellt worden ist. Mehrere hundert Anträge sind in den vergangenen Jahren von den obersten Landesjugendbehörden gestellt worden, bei denen sich allerdings nur ein relativ kleiner Prozentsatz auf den hier angesprochenen Problemkreis bezog.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jahn.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5689
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung angesichts der eindeutigen Wirkung der Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Schriften nach § 4 des Gesetzes, daß nämlich derartige Schriften und ähnliche Dinge nicht im Einzelhandel, in Kiosken, im Versandhandel oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln vertrieben, verbreitet, verliehen oder zu diesem Zweck vorrätig gehalten werden dürfen, bereit, nunmehr unverzüglich in allen von ihr feststellbaren Fällen Anträge zu stellen, um der Bundesprüfstelle die Möglichkeit zum Handeln zu geben?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Jahn, ich habe mich bei der Beantwortung eingangs vielleicht nicht präzise genug ausgedrückt. Ich habe auszuführen versucht, daß die Bundesregierung bereit ist, bei diesen von Ihnen genannten Schriften zu prüfen, ob die Tatbestandsmerkmale des Gesetzes erfüllt sind, um dann gegebenenfalls einen Antrag zu stellen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, wie groß der Schaden der hier in Rede stehenden NS-Propaganda im Ausland ist, und ist das nicht Veranlassung zu entsprechenden weitergehenden Überlegungen der Bundesregierung?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Selbstverständlich, Herr Abgeordneter Becker, sieht die Bundesregierung den Schaden, der damit im Ausland angerichtet wird. Die weitergehenden Überlegungen beziehen sich nach meiner Auffassung aber nicht nur auf die Anwendung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, sondern in erster Linie auf die Ausschöpfung der §§ 86, 86 a des Strafgesetzbuches.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung unter den gleichen Gesichtspunkten, die Herr Wehner für die NS-Propaganda angesprochen hat, bereit, auch kommunistisches Propagandamaterial zu indizieren, das geeignet ist, unsere heranwachsende Jugend gegen unseren Staat und gegen unsere Gesellschaft aufzuhetzen?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, auch in diesem Falle ist sorgfältig zu prüfen, ob die Kriterien greifen, die das Gesetz nennt, nämlich Anreiz zum Verbrechen, Anreiz zum Rassenhaß, Gewaltverherrlichung und Kriegsverherrlichung.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.
Herr Staatssekretär, erwägt die Bundesregierung, den entsprechenden Paragraphen
im Strafgesetzbuch zu ändern, der insofern eine Schwachstelle enthält, als er der NS-Propaganda den Deckmantel ermöglicht, staatsbürgerliche Aufklärung oder Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen zu betreiben oder ähnliche Zwecke zu verfolgen?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Fiebig, ich möchte davon ausgehen, daß eine solche Frage nur dann zu beantworten ist, wenn man die Erfahrungen der Strafverfolgungsbehörden mit der Ausschöpfung der genannten Paragraphen des Strafgesetzbuches kennt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie vorhin gesagt, daß die Bundesregierung bzw. ihr Haus keine genaue Übersicht über all das habe, was auf dem Markt angeboten werde. Besteht da nicht die Möglichkeit, beim Bundesinnenministerium nachzufragen, wo man schon wegen des jährlichen Berichtes wissen muß, was an radikalistischen Schriften und anderen „einschlägigen Produkten" auf dem Markt ist?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Hupka, die Erkenntnisse des Bundesinnenministeriums werden natürlich den anderen Häusern zugänglich gemacht, erst recht auf Anfrage zugänglich gemacht; aber sie sind nicht vergleichbar mit der systematischen Marktbeobachtung, die ich angesprochen habe, wobei ich außerdem ergänzend ausgeführt habe, daß die systematische Marktbeobachtung keine zwingende Voraussetzung dafür ist, daß solchen Einzelfällen, wie sie vorhin genannt wurden, nachgegangen werden kann und muß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hüsch.
Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß die Bundesregierung nach dem Verlauf dieser Fragestunde in dieser Sache zur Kenntnis nimmt, daß das Parlament mit der Behandlung dieser Sachfrage durch die Bundesregierung eindeutig nicht zufrieden ist?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe in dieser Fragestunde an mehreren Stellen gesagt, daß die Bundesregierung die notwendigen Prüfungen vornehmen und, wenn die Voraussetzungen des Gesetzes erfüllt sind, dem Gesetz entsprechend tätig werden wird.
Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Daweke.
Herr Staatssekretär, darf ich noch einmal präzisierend fragen: Haben Sie deshalb keine Anträge gestellt, weil Sie es nicht für opportun hielten, oder deshalb, weil Sie nicht geprüft haben, oder deshalb, weil Sie nicht wußten,
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5690 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dawekewelches Schrifttum von Links- oder Rechtsextremen auf dem Markt ist?Dr. Wolters, Staatssekretär: Ich habe als Grund dafür, daß in den letzten Jahren das Bundesministerium selbst nicht antragstellend tätig geworden ist, die sehr prinzipielle Überlegung genannt, daß es sich bei der Bundesprüfstelle um eine dem Ministerium nachgeordnete Behörde handelt und es für nicht zweckmäßig gehalten wurde, gegenüber einer nachgeordneten Behörde antragstellend tätig zu werden. Ich habe zusätzlich den Grund genannt, daß es an sich genügend antragsberechtigte und marktbeobachtende Stellen in Form der obersten Landesjugendbehörden gibt, so daß dadurch, daß das Bundesministerium nicht als Antragsteller tätig wird, keine Lücke entstehen muß.Ich habe dann — ich wiederhole es, damit wir nicht auf einen falschen Ausgangspunkt zurückfallen — hinzugefügt — und zwar schon bei meiner ursprünglichen Beantwortung —, daß der hier angesprochene Sachverhalt unter politischen Gesichtspunkten, -auch unter dem Gesichtspunkt des politischen Schadens im Ausland, von der Bundesregierung für so relevant gehalten wird, daß sie sich unbeschadet dieser Grundsatzbedenken nach entsprechender Prüfung, auf die Einzelfälle bezogen, auf eine Antragstellung einstellt.
Die Fragen 60 und 61 des Abgeordneten Stahl sowie die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Kuhlwein werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Trifft es nach dem Erkenntnisstand der Bundesregierung zu, daß — wie aus Pressemitteilungen ersichtlich — in lebenswichtigen Nahrungsmitteln pflanzlicher und tierischer Herkunft Blei- Und Cadmiumgehalte festgestellt wurden, die über den in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Höchstwerten liegen und für die angeblich industriell hergestellte Düngemittel und Abgase verantwortlich sein sollen, und wenn ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Wolters, Staatssekretär: Frau Präsidentin, die. se Frage betrifft denselben Sachverhalt wie die Fragen 65 und 66 des Abgeordneten Marschall. Ich möchte fragen, ob ich alle drei Fragen gemeinsam beantworten kann.
Das ist, glaube ich, machbar, da das Recht, Zusatzfragen zu stellen, dadurch nicht berührt wird. Ich rufe also zusätzlich die Fragen 65 und 66 des Abgeordneten Marschall auf:
Trifft es nach dem Wissensstand der Bundesregierung zu, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Blei- und Cadmiumgehalte von Nahrungsmitteln die von der Weltgesundheitsbehörde als noch tolerierbar festgesetzten täglichen Pro-KopfGrenzwerte z. T. erheblich übersteigen und daß namhafte Wissenschaftler trotz der Erfolge des Benzinbleigesetzes mit einer zunehmenden Massenvergiftung durch Schwermetalle rechnen, und wenn ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
Ist der Bundesregierung bekannt, ob mittels der Orientierungsdaten über Schwermetallgehalte in Lebensmitteln, die das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit den
zuständigen Landesbehörden bekanntgegeben hat, örtlich auftretende Gefahren festgestellt bzw. welche Maßnahmen in den Ländern daraufhin ergriffen wurden?
Bitte.
Dr. Wolters, Staatssekretär: Zum Thema der Rückstände von Schwermetallen in Lebensmitteln hat sich die Bundesregierung am 19. Januar 1977 im Rahmen einer Bundestagsanfrage eingehend geäußert. Zu den von Ihnen angeführten in der Presse veröffentlichten Untersuchungsergebnissen hat die für die Sammlung und Auswertung der in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt anfallenden Daten über Umweltchemikalien in Lebensmitteln zuständige zentrale Erfassungs- und Bewertungsstelle im Bundesgesundheitsamt mitgeteilt, daß in ihrer Datenbank Angaben über den Gehalt an Blei, Kadmium und Quecksilber in einer Reihe von Lebensmitteln, die etwa 50 % des Warenkorbes ausmachen, vorhanden sind. Die auf diesen Daten beruhenden Berechnungen des Bundesgesundheitsamtes haben ergeben, daß die Belastung des Verbrauchers durch die erfaßten Lebensmittel deutlich unter den Werten der Weltgesundheitsorganisation bleibt.
Die Erhebungen der zentralen Erfassungs- und Bewertungsstelle im Bundesgesundheitsamt werden fortgesetzt. Mit ihrem Abschluß wird im Verlauf dieses Jahres gerechnet. Die Bundesregierung beabsichtigt, sodann Höchstmengen im Rahmen einer Rechtsverordnung festzusetzen.
Unabhängig von weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen auf Bundesebene haben die zuständigen Behörden der Länder aber schon jetzt die Möglichkeit, gegen örtlich auftretende Gefahren für Mensch und Tier, die insbesondere infolge von Emissionen in der Nähe von bestimmten Industriebetrieben auftreten können, einzugreifen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär, kann man davon ausgehen, daß die jetzigen Meldungen, die ja gehäuft in sehr vielen Presseorganen aufgetaucht sind, übertrieben sind und sich eigentlich nur auf bestimmte Bereiche der Bundesrepublik beziehen?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Ich habe versucht, Herr Abgeordneter Hammans, in meiner Antwort zum Ausdruck zu bringen, daß es nur regional begrenzt bedenkliche Größenordnungen gegeben hat und daß nach den zitierten Untersuchungen von einer generellen Gefährdung nicht die Rede sein kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hammans.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerade im Hinblick darauf, Herr Staatssekretär, daß ich auch in früheren Reden hier vor dem Plenum zu diesen Problemen der Schwermetalle Stellung genommen habe,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5691
Dr. Hammansmöchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, noch einmal mit aller Deutlichkeit zu unterstreichen, wie giftig diese Schwermetalle für den menschlichen Organismus sind.Dr. Wolters, Staatssekretär: Die Bundesregierung ist dazu nicht nur bereit, sondern tut das z. B. in Zusammenhang mit der Aufklärung zum Lebensmittelrecht und mit der Ernährungsberatung ohnehin.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Marschall.
Herr Staatssekretär, halten Sie eine kritische Überprüfung dieses Sachverhalts für angebracht, wenn wir einerseits davon ausgehen, daß die von Ihnen genannte zentrale Erfassungs-
und Bewertungsstelle für Umweltchemikalien sagt, daß die tolerierten Pro-Kopf-Grenzwerte noch nicht erreicht wurden, andererseits aber bekanntgeworden ist, daß dem Umweltbundesamt Werte für Blei bis zu 0,80 Milligramm pro Kopf und Tag vorliegen, die ganz erheblich über den zulässigen WHO-Werten liegen?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Marschall, in der Regel werden zwischen den beiden Ämtern Erkenntnisse ausgetauscht, soweit es für die Arbeit der Ämter oder der entsprechenden Ministerien notwendig ist. Es gibt eine ganze Reihe von Falschberechnungen über die vorhandenen Pro-Kopf-Werte, falsche Berechnungen, die auch in der Presse ihren Niederschlag gefunden haben. Sie sind teilweise darauf zurückzuführen, daß falsche Durchschnittsgewichte zugrunde gelegt werden, woraus dann logischerweise überhöhte Werte resultieren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Marschall?
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becker .
Ist der Bundesregierung bekannt, ob und wo in einzelnen Ländern in den letzten Jahren die Toleranzgrenze für Blei herabgesetzt wurde, und ist der Bundesregierung bekannt, ob die WHO-Richtlinien bzw. -Toleranzgrenzen auf Grund neuerer Erkenntnisse gesenkt werden sollen?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Die Weltgesundheitsorganisation überprüft wie eine ganze Reihe von Industriestaaten und, wie ich vorhin ausgeführt habe, selbstverständlich auch die Bundesregierung die Höchstwerte und ihre Zulässigkeit bzw. auch das tatsächliche Pro-Kopf-Vorkommen laufend.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey, bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die personelle Ausstattung, aber auch die technische Ausstattung der Überwachungsstellen gegenwärtig völlig unzureichend ist?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, mit den Überwachungsstellen sprechen Sie die Landesbehörden und die Landesuntersuchungsämter an. Ich kann eine Bestätigung in der globalen Weise, wie Sie gefragt haben, nicht geben, weiß aber, daß in einer ganzen Reihe von Untersuchungsanstalten der Länder zumindest ein zusätzlicher Personalbedarf und auch Ausstattungsbedarf angemeldet wird.
Es handelt sich um zwei Fragen, und deshalb haben Sie auch zwei Zusatzfragen. Bitte, Herr Kollege Ey.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, intensiver als bisher auf die Länder einzuwirken, um sie zu ermuntern, die ihnen im Rahmen des Pflanzenschutzgesetzes gegebenen Gestaltungsmöglichkeiten wahrzunehmen?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es finden regelmäßige Bund-Länder-Besprechungen auch der für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Beamten statt. Dies ist bei diesen Besprechungen ein regelmäßig auftauchendes Thema.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Ist der Bundesregierung bekannt, ob bzw. daß in der Sowjetunion die Toleranzgrenze für Blei in den letzten Jahren herabgesetzt worden ist?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Ich müßte das überprüfen und gebe Ihnen die Auskunft gerne schriftlich.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär, wann können wir damit rechnen, daß die Landesbehörden mit besseren Geräten ausgestattet sind? Das erscheint mir so wichtig wie die personelle Ausstattung.
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen naturgemäß diese ausschließlich in die Länderkompetenz fallende Frage nicht beantworten.
Ich rufe Frage 70 des Herrn Abgeordneten JaunichIst die Bundesregierung der Auffassung, daß Patienten bei einem Wechsel des behandelnden Arztes das Recht auf Herausgabe der Aufzeichnungen über den wesentlichen Behandlungsverlauf haben sollten, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun, um dieses Recht abzusichern?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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5692 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. Wolters, Staatssekretär: Die Frage kann nicht generell beantwortet werden, Herr Abgeordneter Jaunich. Grundsätzlich sollte sichergestellt sein, daß Ärzte bei Wechsel des behandelnden Arztes die Aufzeichnungen über den Patienten an den weiterbehandelnden Arzt weiterleiten unter Wahrung der Schweigepflicht. Ob der Patient selbst auch die Unterlagen erhalten sollte, wird von den Umständen des Einzelfalles abhängen. Nach den Berufsordnungen der Landesärztekammern ist die Herausgabe von Aufzeichnungen über den Patienten an weiterbehandelnde Ärzte oder an den Patienten nicht ausgeschlossen.Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes in diesem Bereich ist beschränkt, da eine eigenständige Regelungskompetenz für Fragen, die die ärztliche Berufsausübung betreffen, für den Bund nicht besteht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung ein entsprechendes Urteil des Oberlandesgerichts Celle bekannt, welches sich negativ zu dem von mir angesprochenen Sachverhalt ausspricht?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Es gibt eine Reihe von zum Teil einander widersprechenden Urteilen zu der Frage der Herausgabe von Unterlagen an den Patienten. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung dazu wird allerdings ein Eigentum des behandelnden Arztes an den ursprünglichen Unterlagen bejaht. Dies schließt nicht aus, daß Kopien an den Patienten herausgegeben werden, sofern das möglich und geboten ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Ist die Bundesregierung bereit, diesen Sachverhalt noch einmal zu überdenken, ausgehend von dem Prinzip der freien Arztwahl und einer solchen Praxis, die dann auf das Kostenniveau Auswirkungen haben muß?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, einen solchen Sachverhalt zu überdenken. Ich darf aber noch einmal darauf hinweisen, daß der Bund dafür keine Gesetzgebungsbefugnis hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becker .
Ist die Bundesregierung bereit, anzuerkennen, daß die Aufzeichnungen generell Eigentum der betreffenden Ärzte sind und daß die Ärzte im allgemeinen auf Anforderung durch andere Ärzte diese Befunde diesen mitteilen?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Ich habe darauf hingewiesen, Herr Abgeordneter Becker, daß nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung diese Unterlagen Eigentum des Arztes sind, daß aber selbstverständlich die Weitergabe an einen weiterbehandelnden Arzt — soweit das Einverständnis des Patienten vorliegt — notwendig ist.
-Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fiebig.
Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung keine gesetzliche Kompetenz in dieser Frage hat: Wäre es dann nicht möglich, daß das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit durch eine entsprechende Informationspolitik und Gespräche mit den Ärzteverbänden darauf hinwirkte, daß Ärzte von sich aus die Information über den Patienten weitergeben, damit auch die vielfach beklagten Doppel- und Mehrfachuntersuchungen unterblieben? Das Ganze wäre dann auch ein Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen.
Dr. Wolters, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Fiebig, die Bundesregierung hat das wiederholt auch im Zusammenhang mit Diskussionen über die Kostendämpfung getan und gesagt, daß es notwendig ist, solche Unterlagen an weiterbehandelnde Ärzte zu übergeben.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Will-Feld.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Herausgabe aller Informationen an den Patienten nicht ganz unproblematisch ist?
Dr. Wolters, Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß in bestimmten Fällen — dies sind sehr wenige — die Herausgabe aller Informationen an Patienten problematisch sein kann, sogar eine Gesundheitsgefährdung darstellen kann. Deswegen habe ich vorhin bei meinem Hinweis darauf auch eingeschränkt, indem ich gesagt habe: „da, wo es geboten ist".
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haar zur Verfügung.Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Mahne auf:Kann die Bundesregierung bestätigen, daß Motorcaravane bzw. Wohnmobile mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 2,8 t auf Grund des systematischen Verzeichnisses der Fahrzeug- und Aufbauarten des Kraftfahrtbundesamts weder unter Personenkraftwagen noch unter Kraftomnibusse fallen und diese Fahrzeuge sich dadurch an das Überholverbot nach Zeichen 277 StVO zu halten haben, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5693
Frau Präsident, ich würde die beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs gerne gemeinsam beantworten.
Einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Mahne auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß Motorcaravane bzw. Wohnmobile entsprechend den Vorschriften für Personenkraftwagen und Kraftomnibusse behandelt werden sollten, und ist sie gegebenenfalls bereit, diese Fahrzeuge von dem Überholverbot nach Zeichen 277 StVO für Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 2,8 t auszunehmen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Das Überholverbot nach Zeichen 277 der Straßenverkehrsordnung gilt für Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 Tonnen und für Zugmaschinen, ausgenommen Personenkraftwagen und Kraftomnibusse. Da die Motorcaravane bzw. Wohnmobile nach dem systematischen Verzeichnis der Fahrzeuge und Aufbauarten des Kraftfahrtbundesamtes weder unter „Personenkraftwagen" noch unter „Kraftomnibusse" fallen, gilt das Überholverbot nach Zeichen 277 für diese Fahrzeuge, wenn das zulässige Gesamtgewicht über 2,8 Tonnen beträgt.
Die Bundesregierung ist bereit, im Einvernehmen mit den Ländern zu prüfen, ob die Wohnmobile auf Grund ihrer technischen Konstruktion als Personenkraftwagen im Sinne dieses Zeichens behandelt werden können und das systematische Verzeichnis der Fahrzeuge und Aufbauarten entsprechend geändert werden kann, Herr Kollege.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneten Mahne.
Herr Staatssekretär, wann glaubt die Bundesregierung, daß diese erfreulicherweise zugesagte Überprüfung abgeschlossen und das Einvernehmen mit den Ländern hergestellt sein kann?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß noch vor der Sommerpause die Besprechungen mit den Ländern abgeschlossen werden können und insoweit vielleicht schon zum Ferienbeginn in diesem Jahr das sogenannte systematische Verzeichnis ergänzt wird.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Trifft es zu, daß die Deutsche Bundesbahn ihre Ausbaupläne auf der Strecke Köln—Groß-Gerau im Bereich des Rheingrabens in letzter Zeit aufgegeben hat?
Haar, Parl. Staatssekretär: Auch im vorliegenden Falle, Frau Präsident, bitte ich, die Fragen gemeinsam beantworten zu können.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Ist die Bundesregierung informiert, daß die bisher bekanntgewordenen Pläne zum Ausbau der Bundesbahnstrecke im Rheingraben zwischen Koblenz und Bonn in mehreren Orten bei der Bevölkerung zur berechtigten Unruhe geführt hat, z. B. in Bad Breisig oder Brohl/Rhein, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Haar, Parl. Staatssekretär: Auf Grund der Zielvorgaben des Bundesministers für Verkehr an den Vorstand der Deutschen Bundesbahn vom Dezember 1974 entwickelt die Deutsche Bundesbahn zur Zeit einen anderen Lösungsvorschlag zur Verbesserung der Verbindung von Köln und Frankfurt. Die Bauörtlichkeit und die Wahl der zweckmäßigsten Trasse hängen vom Ergebnis der von der Deutschen Bundesbahn noch nicht abgeschlossenen Untersuchung ab. Dabei werden sowohl die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen als auch Gesichtspunkte des Umweltschutzes berücksichtigt. Das gilt auch für die Untersuchung einer Trassenführung im Raum Bad Breisig und Brohl am Rhein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, bis wann kann mit dem Ergebnis der Untersuchung, von der Sie sprachen, gerechnet werden?
Haar, Parl. Staatssekretär: Die Pläne sind noch in Bearbeitung, Herr Kollege. Als Grundlage dienen ja auch Gespräche mit der Bezirksregierung Koblenz unter Beteiligung der Verbandsgemeinden, die in Fortsetzung des Gesprächs durchgeführt werden, das am 17. Dezember vorletzten Jahres stattgefunden hat. Ich kann im Augenblick bezüglich der Problematik der Ortslagen und der daraus resultierenden Schwierigkeiten natürlich keine verbindliche Auskunft geben, bis wann diese Besprechungen abgeschlossen und in Verfahren umgesetzt werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß z. B. die Problematik für Bad Breisig und Brohl-Lützingen darin liegt, daß die bisher bekanntgewordenen Planüberlegungen der Bundesbahn alle anderen in den Ortsbereichen laufenden Planungen beeinträchtigen und deshalb alle Beteiligten unsicher geworden sind, weil sie nicht wissen, was die Zukunft bringt? Daher wäre Eile geboten.Haar, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach den mir vorliegenden Unterlagen ist folgendes festzuhalten. Da auch die Landesregierung Rheinland-Pfalz und die Bezirksregierung Koblenz eine Koordinierung der Planungen der Bundesbahn und des Straßenbauamtes Vallendar für sinnvoll und notwendig erachten, um die Eingriffe in die Ortsbebauung so gering wie möglich zu halten, ist das Linienbestimmungsverfahren zunächst ausgesetzt worden. Ein Ausweichen aus den Ortslagen von Bad Breisig und Brohl ist unter Umständen kleinräumlich auch kaum möglich. Aber die von der Bundesbahn untersuchte
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5694 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Parl. Staatssekretär Haargroßräumige Variante bedingt unverhältnismäßig hohe Mehrkosten. In den weiteren Gesprächen muß daher ein Kompromiß gefunden werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, kann damit gerechnet werden, daß auf Grund der vielen erneut vorgebrachten Bedenken der betroffenen Städte und Gemeinden der vorgesehene Ausbau der Bundesbahn, den Sie erwähnten, bzw. der B 9 mit den zuständigen Stellen an Ort und Stelle noch einmal besprochen wird?
Haar, Parl. Staatssekretär: Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn die zuständigen planerischen Stellen eine solche Besprechung durchführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Herr Staatssekretär, wenn die Trassenführung noch nicht festliegt, vermutlich aber durch die Bäderzone führt, frage ich I Sie: Ist die Bundesregierung bereit, den Eigentümern Schadenersatz zu leisten?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich kann ohne Vorlage der Abschlußbesprechung über die Planung selbst eine solche Aussage nicht in verbindlicher Weise machen, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Dr. Wulff auf:
Hat die Bundesregierung auf dem Autobahnabschnitt Hohenlimburg—Iserlohn bereits Lärmmessungen vornehmen lassen, die sie nach Pressemeldungen vorzunehmen versprochen hat?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich wäre dankbar, wenn ich im vorliegenden Fall die Fragen des Abgeordneten Dr. Wulff ebenfalls gemeinsam beantworten könnte.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Wulff auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen zu ergreifen, wenn die Messungen einen für die Anlieger nicht zumutbaren Lärm ergeben sollten?
Haar, Parl. Staatssekretär: Die Frage des Lärmschutzes an der A 46 zwischen Hohenlimburg und Iserlohn ist bereits vor einiger Zeit von Herrn Parlamentarischen Statssekretär Wrede dem Herrn Kollegen Scheffler gegenüber beantwortet worden. Inzwischen wurde die Straßenbauverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen gebeten, Lärmschutzuntersuchungen auf der bestehenden Rechtsgrundlage durchzuführen. Das Ergebnis der Untersuchung aber liegt noch nicht vor. Lärmschutzmaßnahmen können durchgeführt werden, wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Eine Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung schon erkannt, ob diese Voraussetzungen vorliegen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich kann, soweit es Kontakte auch mit der nachgeordneten Landesstraßenbaubehörde betrifft, nur folgendes in der Sache feststellen, Herr Kollege. Die A 46 zwischen Autobahnkreuz Hagen und Iserlohn ist abschnittsweise 1968, 1974 und 1976 fertiggestellt worden. Im Bereich Iserlohn — die Verkehrsfreigabe erfolgte im Jahre 1976 — sind bereits rund 530 Meter Lärmschutzwände und ein 900 Meter langer Lärmschutzwall gebaut worden. Für den im Bereich Hohenlimburg im Jahre 1968 fertiggestellten Abschnitt könnten Lärmschutzmaßnahmen auf der Grundlage der im Straßenbauplan 1978 erstmals angegebenen Immissionsgrenzwerte, die Ihnen bekannt sind, in Frage kommen. Wir müssen hier das Ergebnis der jetzt laufenden Untersuchungen der zuständigen Landesstraßenbauverwaltungen abwarten.
Zusatzfrage, Herr Dr. Wulff.
Ist die Bundesregierung bereit, die Untersuchungen, d. h. die Lärmmessungen, zu forcieren, damit die Bevölkerung möglichst bald weiß, was die Bundesregierung, falls solche starken Lärmschädigungen vorliegen, zu unternehmen gedenkt?
Haar, Parl. Staatssekretär: Das Land Nordrhein-Westfalen ist bereits mit dieser Prüfung beschäftigt. Ich gehe davon aus, daß wir in Kürze über das Ergebnis Näheres erfahren. Dann werde ich Sie gern darüber informieren.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wulff.
Herr Staatssekretär, für den Fall, daß die Lärmmessungen eine Belästigung der Anlieger zeigen sollten: Hat die Bundesregierung die notwendigen Mittel, um hier Abhilfe zu schaffen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Im Rahmen der vorgesehenen gesetzlichen Regelungen: ja.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Sendung „Hier und heute" des Westdeutschen Fernsehens vom 8. Dezember 1977 mitgeteilten Ergebnisse einer Untersuchung, denenzufolge erhebliche Bedenken hinsichtlich der Zusammensetzung angebotener Speisen sowie der allgemeinen Hygiene in Autobahnraststätten erhoben wurden?Haar, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung verfügt über keine eigenen Untersuchungen, geht aber davon aus, daß die in der Sendung erhobenen Bedenken zutreffen. Obwohl ,die Überwachung derartiger Betriebe den örtlich zuständigen Behörden, nämlich den Gewerbeaufsichtsämterri, obliegt, hat
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5695
Parl. Staatssekretär Haardie Bundesregierung die Verpächterin der Autobahnnebenbetriebe, nämlich die Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen, sofort aufgefordert, Maßnahmen zu treffen, die derartige Mängel soweit wie möglich ausschließen.Die Gesellschaft für Nebenbetriebe hat, wie mir mitgeteilt worden ist, auch ihrerseits eigene Kontrolleure eingesetzt. Vielleicht darf ich auch noch ergänzend erwähnen: In keinem Fall ist festgestellt worden, daß unzulässige Speisen angeboten worden sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hüsch.
Herr Staatssekretär, wenn tatsächlich solche Feststellungen getroffen worden sind, daß keine Beanstandungen berechtigt waren: Was hat die Bundesregierung veranlaßt, eine Richtigstellung in der Presse und im Funk zu unterlassen?
Haar, Pari. Staatssekretär: Wir haben keine Veranlassung, das, was letztlich kritisch allgemein aufgegriffen wird, durch eine zusätzliche Stellungnahme von uns aus zu entkräften, sondern wir haben Veranlassung gesehen, der Gesellschaft für Nebenbetriebe die Auflage zu machen, sich auch künftig der erforderlichen Kontrollen zu bedienen, um dort, wo es erforderlich ist, auch für eine Verbesserung im Service zu sorgen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Nach welchen Auswahlkriterien, Herr Staatssekretär, werden die Pachtverträge abgeschlossen, und wie wird gesichert, daß die Bewerber über die notwendigen Kenntnisse verfügen, solche Geschäfte zu führen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Da die Bundesregierung und das Bundesverkehrsministerium derartige Verträge nicht abschließen, sondern die Gesellschaft für Nebenbetriebe, bin ich gern bereit, Ihnen die erforderlichen Auskünfte schriftlich zuzuleiten.
Zusatzfrage, Abgeordnete Frau Hoffmann.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Fachabteilung „Autobahnraststätten" bereits vor dem Vorfall in Nordrhein-Westfalen ihren Mitgliedern eine freiwillige Kontrolle staatlich vereidigter Lebensmittelchemiker empfohlen hat, von der sehr viele Raststättenpächter schon Gebrauch gemacht haben, und die dergestalt abläuft, daß die Lebensmittelchemiker unangemeldet kontrollieren und den Betrieb in hygienischer und lebensmittelrechtlicher Hinsicht überprüfen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Das ist mir bekannt. Ich darf mich für diese Hinweise bedanken. Ich
kann ergänzend zu den Fragen, die sich auf Grund der Sendung ergeben, hoch eine zusätzliche Information geben: Nur in einem einzigen Fall wurde eine rechtlich unzulässige Deklaration der Speisen beanstandet. Bei der Zahl der bewirtschafteten Stellen ist das, glaube ich, kein Grund zur Beunruhigung.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Will-Feld.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von unzulässigen Speisen. Ist diese Begriffsbestimmung definiert? Können Sie eine Definition geben?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich habe gesagt: eine unzulässige Deklaration der Speisen. Das heißt, in der Ankündigung wurde den gesetzlichen Bestimmungen nicht voll entsprochen. Das ist beanstandet worden. Das haben wir inzwischen auch abstellen lassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß der Ruf der Autobahngaststätten im Volk im allgemeinen verhältnismäßig gut ist, und wäre die Bundesregierung bereit, zur Kontrolle dieser Tatsache auch eine Umfrageaktion bei den Gästen in Autobahnraststätten vornehmen zu lassen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich möchte zunächst feststellen, daß die kritischen Bemerkungen, die dem Bundesverkehrsministerium zugehen, im Grunde der Zahl nach sehr gering sind. Jeder einzelnen Beschwerde solcher Art wird aber über die Gesellschaft der Nebenbetriebe selbst sofort nachgegangen. Im Einzelfall verlangen wir auch Berichte darüber. Wenn Sie anregen, eine derartige Umfrage durchzuführen, so will ich eine solche Anregung gern an die zuständige Gesellschaft für Nebenbetriebe weitergeben. Diese Anregung wird sicher mit Interesse aufgegriffen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch auf:Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung hinsichtlich der Zusammensetzung angebotener Speisen und der allgemeinen Hygiene in Autobahnraststätten ziehen?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.Haar, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat, wie bereits in Beantwortung Ihrer vorangegangenen Frage ausgeführt, die Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen zu verstärkter Kontrolle der Sauberkeit in den Autobahnraststätten aufgefordert und sie veranlaßt, ihrerseits vermehrt öffentlich-rechtliche Kontrollen bei den zuständigen örtlichen Behörden anzuregen.
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5696 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hoffmann.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß bei allen öffentlichen Toilettenanlagen, die — ähnlich wie im Falle der Autobahnraststätten — stark frequentiert werden, eine zu 100 % einwandfreie Hygiene gar nicht erreichbar ist, ja, daß selbst in Krankenhäusern eine 100 %ige Hygiene unerreichbar ist?
Haar, Parl. Staatssekretär: Davon gehe ich aus, Frau Kollegin.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becker .
Herr Staatssekretär, spielt bei diesen mangelhaften Hygieneverhältnissen, auf die ab und zu hingewiesen wird, auch eine Rolle, daß die Entgeltentnahme bzw. die Bezahlung bei diesen Autobahnraststätten nicht so gehandhabt werden kann wie in anderen öffentlichen Bereichen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Unter diesem Gesichtspunkt hat die Bundesregierung die Überprüfung eines derartigen Sachverhalts noch nicht vorgenommen. Ich bin gerne bereit, auch diese Anregung an die zuständige Gesellschaft für Nebenbetriebe weiterzugeben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 79 soll auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner, schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Finanzvorstands der Deutschen Bundesbahn, Reschke, der laut dpa vom 28./29. Januar 1978 erklärt hat, „unsere Eisenbahner werden viel zu hoth bezahlt", und wenn ja, um welche Besoldungsgruppen handelt es sich hier?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Haar, Parl. Staatssekretär: Die Beurteilung und die Regelung der Beziehungen zwischen dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn sowie den Gewerkschaften und Personalräten im Bereich der Deutschen Bundesbahn gehören nicht in den Verantwortungsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zu dem Streit über die angebliche Äußerung eines Vorstandsmitgliedes hat es mehrere Besprechungen zwischen dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn mit dem zuständigen Hauptpersonalrat und den Vertretern der Gewerkschaften gegeben. Diese hatten das Ziel, Meinungsverschiedenheiten über die richtige Wiedergabe der Äußerung zu beseitigen. Eine Erklärung über diese Bemühungen hat der Vorstand auch vor dem Verwaltungsrat der
Deutschen Bundesbahn inzwischen abgegeben. Der Personalausschuß des Verwaltungsrates der Deutschen Bundesbahn wird sich abschließend am 19. April 1978 mit dieser Angelegenheit befassen. Die positive Haltung der Bundesregierung, bezogen auf die Leistungsfähigkeit und Leistungskraft der Eisenbahner, ist in verschiedenen Diskussionen und auch in Erklärungen des Bundesverkehrsministers deutlich geworden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Feststellung, daß das Grundproblem der defizitären Bundesbahn sei, daß auf einem viel zu teuren Apparat viel zu wenig Geschäft gemacht werde, die Bahn habe einen bilanztechnischen Buchwert von 45 Milliarden DM, damit werde im Jahr 15 Milliarden DM Geschäft gemacht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Haar, Parl. Staatssekretär: Da die Deutsche Bundesbahn ihren Fahrweg selbst unterhält, ist eine einfache Schlußfolgerung aus der Umschlaghäufigkeit des Kapitals nicht zu ziehen, Herr Kollege. Die Bundesregierung geht weiter von dem Grundsatz aus, daß die Deutsche Bundesbahn sich schwerpunktmäßig auf den eisenbahnspezifischen Verkehr
I konzentriert. Aus dem Bundeshaushalt müssen ihr die notwendigen Mittel zur Investition in das Schienennetz für die Zukunft zur Verfügung gestellt werden. Es bleibt auch bei dem im Leistungsauftrag der Deutschen Bundsbahn vom April 1977 enthaltenen Maßnahmen mit dem Ziel, die Differenz zwischen Kosten und Erträgen sowohl durch Rationalisierung als auch durch eine bessere Auslastung des Produktionsapparates zu beseitigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kirschner.
Herr Staatssekretär, welche konkreten verkehrspolitischen Konzepte wurden bisher vom Finanzvorstand der Deutschen Bundesbahn vorgelegt, um diesen angesprochenen bilanztechnischen Buchwert zu verbessern?
Haar, Parl. Staatssekretär: Hier gibt es im Grunde Erfahrungen, die unterschiedlich beurteilt werden. Aber es gab bislang keine Vorschläge in dieser Richtung. Hier handelt es sich um eine Äußerung eines Vorstandsmitglieds, die inzwischen schon zu einem Erfahrungsaustausch zwischen unserem Haus und dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn geführt hat.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf.Ist der Bundesregierung bekannt und welche Konsequenzen zieht sie daraus, daß über 19 000 Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren jährlich mit dem Fahrrad verunglücken, 86 v. H. dieser Kinder laut Polizeistatistik „selbst schuld" sind und nahezu
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5697
Vizepräsident Frau Renger7 000 Kinder bei ihrem Unfall schwere Verletzungen oder den Tod erleiden?Bitte, Herr Staatssekretär.Haar, Parl. Staatssekretär: Darf ich die Fragen 82 und 83 zusammen beantworten, Frau Präsident?
Ja; das ist der Fall. Ich rufe daher auch die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf:
Welche Möglichkeiten hinsichtlich eines wirksamen Beitrags zur Verminderung dieser Unfallentwicklung sieht die Bundesregierung angesichts der übereinstimmenden Auffassung sowohl der Rechtsprechung als auch namhafter Verkehrspsychologen, daß Kinder bis zu 12 Jahren mit dem Rad im Straßenverkehr überfordert sind?
Haar, Parl. Staatssekretär: Die besondere Gefährdung der Radfahrer im Alter von 6 bis 15 Jahren ist der Bundesregierung bekannt. Wenngleich im Jahr 1976 6,5 °/o weniger Fahrradfahrer dieser Altersgruppe durch Verkehrsunfälle starben als im Jahr zuvor, stieg im gleichen Zeitraum die Zahl der Verunglückten auf 19 612. Nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamts sind 62 °/o der Radfahrer unter 18 Jahren, die in Unfällen mit Personenschaden verwickelt sind, als Hauptverursacher anzusehen.
Nach Auffassung der Bundesregierung kann die Unfallhäufigkeit in diesem Bereich am wirksamsten durch eine nachhaltige Schulverkehrserziehung vermindert werden. Die Bundesländer haben sich 1972 eine Rahmenvereinbarung gegeben, nach der die Schüler auf die Teilnahme am Straßenverkehr theoretsich und praktisch vorzubereiten sind.
Die Bundesregierung unterstützt und ergänzt diese Aktion. Z. B. trägt sie dazu bei, daß in Zusammenarbeit der Deutschen Verkehrwacht mit den örtlichen Polizeibehörden und dem ADAC jährlich etwa 750 000 Fahrradprüfungen an Grundschulen vorbereitet und abgenommen werden. Die Bundesregierung fördert die Unterhaltung von vier Lehrerseminaren für Schulverkehrserziehung und die Ausstattung von Schulen mit geeigneten Lernmitteln ebenso wie die Veranstaltung von Fahrradturnieren. Auf die besondere Gefährdung der sechs- bis fünfzehnjährigen Radfahrer werden im Rahmen der breiten Verkehrsaufklärung der Bundesregierung und der durch sie unterstützten Organisationen nicht nur die unmittelbar Betroffenen angesprochen, sondern insbesondere auch die Eltern dieser Kinder und die Kraftfahrer.
Die Einführung einer staatlichen Fahrerlaubnis für Radfahrer beabsichtigt die Bundesregierung nicht, Herr Kollege. Die Entscheidung über die Verkehrsteilnahme der Kinder als Radfahrer im Einzelfall soll nach Auffassung der Bundesregierung im Verantwortungsbereich der elterlichen Gewalt bleiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, da verkehrserzieherische Maßnahmen allein bekanntlich nicht ausreichend greifen, darüber hinaus bereit, z. B. klar und eindeutig regeln zu lassen, ob und unter welchen Voraussetzungen das Radfahren für Kinder in dieser Altersgruppe auch auf Bürgersteigen erlaubt ist?
Haar, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Auftrag der Bundesregierung hat die Bundesanstalt für Straßenwesen auf der Grundlage von Forschungsarbeiten ein Merkblatt zur Gestaltung und Sicherung etwa von Schulwegen erstellt, in dem auch Empfehlungen zur Verbesserung der Sicherheit für Radfahrer gegeben werden. Die Bundesregierung beabsichtigt, alsbald in engem Einvernehmen mit den verantwortlichen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen die Umsetzung dieser Empfehlungen in praktische Maßnahmen zu unterstützen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, ist unter diesen empfohlenen Maßnahmen auch die enthalten, von der ich soeben sprach?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich habe die gesamten Unterlagen bezüglich der Empfehlungen jetzt nicht zur Hand, will das aber gern prüfen und Ihnen eine entsprechende Mitteilung zukommen lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, angesichts dieser Darstellungen auch den Radwegausbau zu forcieren und in Planungen für die Zukunft vorzusehen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Bund und Länder sind gehalten, im Rahmen ihrer Zuständigkeit gerade diese Entwicklungen besonders zu berücksichtigen. Ich darf das für das Bundesverkehrsministerium bei den abzustimmenden Planungen im Bundesfernstraßenbau ausdrücklich bestätigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, im Anschluß an die Frage des Kollegen Hoffacker interessiert mich: Welches sind denn die Kriterien, von denen ausgehend das Bundesministerium für Verkehr bei der Planung von Bundesstraßen die Anlage von Fahrradwegen vorsieht?Haar, Parl. Staatssekretär: Wenn es sich etwa um Anlagen in Großstädten handelt, bei denen auf Grund der ermittelten Verkehrsdichte auch Radfahrwege gebaut werden sollen, wird mit der Empfehlung der Länder selbstverständlich eine solche Überlegung mit in die Gesamtplanungen aufgenommen. Im übrigen wird sich die Bundesregierung, soweit es
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5698 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Parl. Staatssekretär Haarsich um Baulasten der Gemeinden — das ist überwiegend der Fall — oder der Länder handelt, nicht selbst einschalten, aber jederzeit begrüßen, wenn zur Entflechtung des Verkehrs und damit zur größeren Verkehrssicherheit derartige zusätzliche Finanzierungen erfolgen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becker .
Herr Staatssekretär, wie viele der genannten 19 000 Kinder verunglückten auf dem Weg zur Schule?
Haar, Parl. Staatssekretär: Das ist aus den statistischen Erhebungen, die mir im Augenblick vorliegen, nicht erkennbar. Ich werde das gern nachfragen lassen und Ihnen das Ergebnis mitteilen.
Ich rufe die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Kolb auf:
Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse darüber, bis wann die zur Zeit in Bau befindliche Autobahn in Vorarlberg und der Ostschweiz — die Strecke Bregenz—Innsbruck bzw. St. Margrethen—Chur—San Bernhardino — ausgebaut sein werden, und, wenn ja, welche Erkenntnisse hat sie?
Haar, Parl. Staatssekretär: Nach den dem Bundesverkehrsministerium vorliegenden Informationen über die angesprochene österreichische Autobahn in Vorarlberg sollen die noch in Bau befindlichen Abschnitte in den Bereichen Bregenz bis Pfändertunnel und Feldkirch bis Bludenz bis 1980 fertig werden.
Vom Arlbergtunnel soll bereits im nächsten Jahr eine Fahrbahn für den Verkehr eröffnet werden können. Mit dem Baubeginn der Verbindung mit dem schweizerischen Nationalstraßennetz zwischen Lauterach und St. Margarethen ist erst nach 1980 zu rechnen. Bezüglich der schweizerischen Nationalstraße N 13 ist das Bundesverkehrsministerium davon unterrichtet, daß die gesamte Strecke, soweit nicht zum Teil bereits auch einbahnig ausgebaut, in Abschnitten in Bau ist und bis 1982 fertiggestellt werden soll.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kolb.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß diese Verbindung die schnellste wäre, die wir von der Bundesrepublik zum Industriegebiet Mailand und nach Norditalien haben?
Haar, Parl. Staatssekretär: Davon ist auszugehen, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Kolb auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ausbau in Vorarlberg und der Ostschweiz und dem vorzeitig vorgesehenen Ausbau der A 7 bis 1983 in bezug auf den Ausbau der Strecke Memmingen—Lindau?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Haar, Parl. Staatssekretär: Die Autobahn A 96 Memmingen—Lindau ist im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen, im wesentlichen allerdings zunächst einbahnig, Dringlichkeit 1 a, also in vorderster Dringlichkeit, enthalten. Damit sind grundsätzlich die Voraussetzungen für den vorrangigen Bau dieser Autobahn gegeben. Ihre durchgehende Fertigstellung wird laut Bauprogramm bis 1983 angestrebt. Der Fertigstellungstermin stimmt somit mit dem für die Autobahn A 7 Würzburg—Ulm angestrebten Bauziel überein. Im grenznahen Raum ist der abschnittsweise Bau zunächst mit Anschluß an die Bundesstraßen 12, 18 und 308 bei Lindau mit den österreichischen Planungen für den Pfändertunnel zeitlich abgestimmt. Die Autobahn Memmingen—Lindau befindet sich durchgehend in der Planung und abschnittsweise auch bereits im Bau. Die Finanzierung ist gesichert. Der Baufortschritt hängt somit vom jeweiligen Abschluß der Bauvorbreitungen der einzelnen Abschnitte ab. Die Arbeiten werden nach anfänglichen Schwierigkeiten vor allem unter wasserversorgerischen Aspekten bei der Linienfestlegung nunmehr forciert vorangetrieben.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, weshalb wird trotz der internationalen Strecke, wie Sie es mir vorher bestätigt haben, hier ein Flaschenhals konstruiert, indem vorläufig nur ein einbahniger Ausbau stattfindet, obwohl sicher mit einem sehr starken Verkehr auf dieser Strecke zu rechnen ist?
Haar, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin über diese etwas kritische Frage insoweit überrascht, als Sie wissen, daß der Deutsche Bundestag den Bundesfernstraßenplan im Jahre 1976 in allen Fraktionen einmütig gebilligt hat. Es heißt: Änderungen dieses Gesetzes und seiner Anlage sind in den jetzt begonnenen Fortschreibungsmaßnahmen, aber unter Einhaltung des gesamten Finanzierungsrahmens möglich. Dazu ist die Bundesregierung bereit.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kolb.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie hoch die zusätzlichen Kosten für diese A 96 wären, die vor allem durch das Wassereinzugsgebiet des Leutkircher Ried geht, wie Sie selbst gesagt haben, was besondere Schwierigkeiten beim Bau bringt, wenn man hier zweibahnig statt einbahnig baute?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich will diese unterschiedlichen Kosten gerne durch die Landesstraßenbauverwaltung, die mit den Bauvorbereitungen befaßt ist, feststellen lassen und Ihnen das mitteilen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5699
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß nach Angaben des Verkehrsministeriums von Baden-Württemberg die Differenz zwischen einem einbahnigen und einem zweibahnigen Ausbau relativ bescheiden ist, prüfen, ob nicht bei der Fortschreibung des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen im Jahre 1980 eine Umstellung oder eine Rufstufung der anderen Fahrbahnen ebenfalls in die Dringlichkeitsstufe I a vorgesehen werden kann?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich kenne derartige Festlegungen der Landesregierung in Baden-Württemberg im Augenblick nicht. Ich halte solche Erklärungen in der Vergangenheit für möglich. Nach dem Vorziehen des Autobahnabschnittes Würzburg—Ulm sind aber sämtliche zur Verfügung stehenden Restmittel, wenn man davon ausgehen kann, als vordringlicher Bedarf für diese Autobahnstrecke vorgesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich hier noch Veränderungsmöglichkeiten zusätzlicher Art ergeben, es sei denn, im Rahmen der jetzt begonnenen Fortschreibungsgespräche.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf. — Ich sehe ihn nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Grobecker auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten — ähnlich wie das hei der US-Küstenwache der Fall ist —, Schiffe unter Billigflaggen, die die deutschen Hoheitsgewässer passieren, auf ihre Schiffssicherheit, Funktionsfähigkeit der Navigationsinstrumente sowie Gültigkeit der Patente der Schiffsführung hin zu kontrollieren?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Haar, Parl. Staatssekretär: Auf dem Gebiet der Schiffssicherheit werden ausländische Schiffe, die deutsche Häfen anlaufen, gemäß § 17 der Schiffssicherheitsverordnung und § 2 der Freibordverordnung daraufhin überprüft, ob sie die vorgeschriebenen Schiffssicherheitszeugnisse an Bord haben, wesentliche Mängel in ihrem Bauzustand, ihrer Einrichtung und Ausrüstung und die Freibordeinheiten aufweisen. Das in der IMCO — das ist eine Entschließung 321 vom 16. Dezember 1975 — vorgesehene Kontrollverfahren ist bereits verbindlich eingeführt worden, Herr Kollege. Die Gültigkeit der Patente ausländischer Schiffsführungen wird gegenwärtig nicht kontrolliert, da hierfür keine gesetzliche Grundlage besteht. Diese wird im Rahmen des Ratifizierungsgesetzes zum ILO-Übereinkommen Nr. 147 über Mindestnormen auf Handelsschiffen vorbereitet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grobecker.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie angesichts dieser Antwort fragen, ob der Bundesregierung bekannt ist, daß inzwischen nach Auskünften des Instituts für Seeverkehrswirtschaft
mehr als 30 % der gesamten Welttonnage unter Billigflaggen laufen und daß dies nicht nur aus steuerlichen oder aus Sicherheitsgründen so ist, sondern auch deswegen, weil dort mit nicht nachprüfbaren Patenten gefahren wird, die eine besondere Gefahr darstellen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Im Detail kann ich das im Augenblick nicht bestätigen. Ich will das aber gerne über die zuständige Fachabteilung meines Hauses überprüfen lassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grobecker.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie dann. auch bitten, Ihrerseits feststellen zu lassen, welche Art von Prüfungen nach den Tankerunglükken in amerikanischen Hoheitsgewässern die US Coastguard jetzt vornimmt, sowie Ihrerseits zu prüfen, ob das ein Muster für die deutsche Gesetzgebung sein kann.
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich will das gern überprüfen lassen, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Ist die Bundesregierung bereit, zur Sicherung der Notversorgung bei außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen einem begrenzten Personenkreis (Ärzte, Feuerwehr, Krankentransporte, Taxifahrer) besonders in ländlichen Gebieten die vorübergehende Benutzung von Spikesreifen zu genehmigen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Haar, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist nach wie vor der Auffassung, daß das Spikes- verbot ohne jede Ausnahme notwendig ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf eine Anfrage in gleicher Angelegenheit, die die Bundesregierung in der Drucksache 8/836 unter Nr. 73 und 74 beantwortet hat, und darf noch einmal darauf hinweisen, daß wir in der Beurteilung dieser Sachlage mit allen Ländern übereinstimmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß sich besonders in dünn besiedelten Gebieten aus dem Verbot der Spikesbenutzung eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen ergeben kann?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich kann das im Einzelfall natürlich nicht beurteilen. Sie reden hier pauschal mit der Formulierung „in dünner besiedelten Gebieten". Ich kann nur sagen, mit den heute möglichen Bereifungen sind im Winter auch ohne Spikes vergleichbare Sicherheitsaspekte gegeben. Das wird auch durch die uns vorliegenden Berichte bestätigt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
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5700 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß ,man Recht zur Benutzung von Spikesreifen mit in den Maßnahmenkatalog zur örtlichen Katastrophenabwehr aufnehmen sollte?
Haar, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch die Länderregierungen sind der Auffassung, daß das Spikesverbot ohne jede bundesweite Ausnahme notwendig ist. Die Erteilung von Einzelausnahmen durch oberste Landesbehörden ist rechtlich möglich, wird jedoch äußerst restriktiv gehandhabt.
Was Ihre konkrete Frage hier anlangt: Da Krankenkraftwagen, Rettungswagen und Feuerwehrfahrzeuge z. B. über der Grenze von 2,8 t liegen, erübrigt sich hier eine Diskussion. Denn hier war schon zu früheren Zeiten eine Ausrüstung mit Spikesreifen nicht erforderlich und nicht vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kolb.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Benutzung von Spikesreifen bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h kaum nennenwerte Schäden verursacht und daß im übrigen die Osterreicher seit Jahren diese Erfahrung machen und Spikes deswegen noch zulassen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen hier auf diese Frage nur ganz allgemein antworten, daß alle Verkehrspolitiker der drei Bundestagsfraktionen nach den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre zu der gemeinsamen Auffassung gekommen sind, Ausnahmen auch künftig nicht zuzulassen, sondern zu versuchen, mit den Möglichkeiten, die sich heute bei vorsichtiger Fahrweise — völlig unabhängig von Kilometerbegrenzungen — ergeben, auch unter Verwendung von Schneeketten und dergleichen, Unfälle zu verhindern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hoffacker.
Herr Staatssekretär, halten Sie selbst eine Ausnahmeregelung für Krankentransporter, soweit es sich um umgebaute Pkws handelt, bezüglich des Umfangs für ausgeschlossen, wie er von Herrn Ey dargelegt worden ist?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß die Länder in Einzelfällen eine solche Möglichkeit der Ausnahmegenehmigung haben, daß es aber bundesweit nicht erforderlich ist, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Gobrecht auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Hartmann auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es um des Heimatgefühls der Bürger willen wünschenswert ist, daß die Deutsche Bundespost die Weiterverwendung des Namens früherer selbständiger Gemeinden, welche im Zuge kommunaler Neugliederungsmaßnahmen als Gemeindeteile in anderen oder neuen Gemeinden aufgegangen sind, in der amtlichen Anschrift und zur Kennzeichnung der Zustellpostämter zuläßt, und wie gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls dies sicherzustellen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Haar, Parl. Staatssekretär: Die Deutsche Bundespost hat ihre Organisation des Sendungseingangs und des Zustelldienstes auf die Gemeindegrenzen abgestellt. Sie übernimmt dementsprechend den der jeweiligen Gemeinde vom zuständigen Landesgesetzgeber verliehenen Gemeindenamen als postamtlichen Namen, der in Verbindung mit der dazugehörigen Postleitzahl dazu dient, die Sendungen rasch, sicher und so kostengünstig wie möglich zum jeweiligen Zustellamt zu befördern. Da der Zustelldienst nach Möglichkeit innerhalb einer Gemeinde bei einem Zustellpostamt zusammengefaßt wird, ist dieses Amt in der Postanschrift durch die Postleitzahl und den postamtlichen Namen eindeutig gekennzeichnet. Sofern im Ausnahmefall mehrere Zustellpostämter zur Versorgung einer Gemeinde erforderlich sind, muß der postamtliche Name durch arabische Ziffern gekennzeichnet oder ergänzt werden.
Frühere Gemeindenamen sind zur Unterscheidung von Zustellpostämtern nicht geeignet, weil die Zustellamtsbereiche meist nicht in den Ortsteilen liegen und damit auch nicht übereinstimmen. Die Deutsche Bundespost kommt dem Wunsch der Bürger nach Erhaltung historischer Ortsnamen — auch in der Anschrift und in der Absenderangabe — aber dadurch entgegen, daß sie Ortsteil- und Stadtteilnamen in der Zeile oberhalb der Straßenangabe zugelassen hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hartmann.
Würden Sie mir erläutern, was Sie unter historischen Ortsnamen verstehen? Ist das eine besondere Kategorie, oder fällt darunter jeder Ortsname eines zwischenzeitlich eingemeindeten Gemeindeteils?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich habe diese Bemerkung deshalb gemacht, Herr Kollege, weil in vielen Fällen unter Bezugnahme auf das historische Wachsen einer Gemeinde und auch eines Namens auch heute noch, nach den beschlossenen Veränderungen in einer Region, gefordert wird, aus solchen historischen Erwägungen heraus die alte Bezeichnung zu belassen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hartmann.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5701
Ich gehe dann richtig davon aus, daß jeder Ortsname, der nach der Gemeindegebietsreform kein Gemeindename mehr ist, weil dieser Ortsteil eingemeindet worden ist, als postamtlicher Zusatz dienen kann?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ein Zusatz kann erfolgen, wenn er nicht auf der gleichen Linie wie der vorgesehene Ortsname steht. Ich habe das, glaube ich, in meiner Antwort auf Ihre Frage deutlich gemacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, warum die Bezeichnung eines Teilorts in der Zustellanschrift mit dem Teilortsnamen weniger klar und deutlich sein soll als mit einer Nummer, wo es sich doch bei der jeweiligen Gemeinde nur um eine begrenzte Zahl von Teilorten handelt, die von ein und demselben Zustellpostamt aus bedient werden?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich darf das vielleicht an einem praktischen Beispiel deutlich machen. In Bonn gibt es zwei Postämter, von denen aus Briefe zugestellt werden, nämlich Bonn 1 und Bonn 2. Alle Sendungen, die z. B. aus Hamburg für Bonn bestimmt sind, müssen also schon in Hamburg auf diese zwei Postämter verteilt werden. Wenn jetzt die Absender schreiben „Bonn-Ippendorf" — als Beispiel — oder „Bonn-Duisdorf" oder „Bonn-Bad Godesberg-Mehlem", dann können die Hamburger Mitarbeiter der Post diese Briefe zunächst nicht unterbringen, weil sie in ihren Verteilspinden nur die Fächer für Bonn 1 und Bonn 2 haben. Sie können solche Sendungen nur nach einem der Ämter, nämlich Bonn 1, weitergeben, da ihnen nicht für Bonn und alle anderen Städte bekannt sein kann, zu welchen Zustellämtern die einzelnen Ortsteile gehören. Wenn Sie davon ausgehen, daß die Verteilkräfte in der Stunde etwa 1500 Briefe verteilen und jeder Brief durch etwa 12 Hände geht, dann wird klar, daß die Verteilung durch solche Briefe insgesamt verlangsamt wird, wenn einfach der alte Ortsteil eingetragen ist. Ganz sicher kommt es aber zu Verzögerungen solcher Sendungen, die erst nach Bonn 1 befördert, in Bonn 1 aber als Sendung für Bonn 2 erkannt, aussortiert und nach dort zugeführt werden. Das ist der Grund, warum wir bitten, auch auf diese etwas schematische, aber doch notwendige Veränderung Rücksicht nehmen zu wollen, auch im Interesse eines raschen und zuverlässigen Zustelldienstes.
Frage 92 — des Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim — wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Raume ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf.
Herr Bundesminister Dr. Haack steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Frage 93 des Herrn Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Aufstellung von Flächennutzungsplänen in Großstädten, wie z. B. derzeit in Köln, nach dem neuen Bundesbaugesetz -und der Baunutzungsverordnung in gewachsenen Gemengeanlagen überwiegend dazu führt, daß in solchen Lagen befindliche Industrie- und Gewerbebetriebe in ihrem Bestand mittelfristig gefährdet werden und damit Arbeitsplätze verlorengehen, und wenn ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
Herr Bundesminister, bitte.
Flächennutzungspläne enthalten keine verbindliche Regelung für die Bodennutzung. Sie ändern das geltende örtliche Bodenrecht nicht ab. Darstellungen der Art der Bodennutzung im Flächennutzungsplan werden nur insoweit erheblich, als sie ihren Niederschlag im Bebauungsplan finden.
Im Flächennutzungsplan vorgesehene Umstrukturierungen, von denen Industrie- und Gewerbegebiete in gewachsenen Gemengelagen betroffen werden, können erst realisiert werden, wenn sie im Bebauungsplan festgesetzt sind. Wegen der Ungewißheit des Zeitpunktes ihrer Realisierung können sich allerdings in gewissem Umfang Unsicherheiten ergeben.
Die Absicht, Umstrukturierungen vorzunehmen, ist eine planerische Entscheidung der Gemeinde. Im Rahmen dieser planerischen Entscheidung hat die Gemeinde nicht nur die Belange des Immissionsschutzes, sondern auch die Belange der Wirtschaft zu berücksichtigen. Es ist Aufgabe der Länder und Gemeinden, sachgerechte Lösungen für derartige Nutzungskonflikte zu finden. Zur Lösung dieser mit einer Umstrukturierung verbundenen Probleme kann insbesondere das Städtebauförderungsgesetz beitragen.
Der Bundesregierung ist diese Problematik, die von Ihnen, Herr Abgeordneter, auch in der Frage angesprochen wird, bekannt. Der Bundesbauminister hat diese Fragen bereits an die Arbeitsgemeinschaft der für das Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder — ARGEBAU — herangetragen. Sie werden gegenwärtig von der Fachkommission „Städtebau" der ARGEBAU beraten.
Im übrigen ist noch darauf hinzuweisen, daß Gewerbe- und Industriebetriebe in einem gewissen Umfang den verfassungsrechtlich gewährleisteten Bestandsschutz genießen.
Zusatzfragen, Herr Abgeordneter? - Keine Zusatzfrage.Dann rufe ich Frage 94 des Herrn Abgeordneten von der Heydt Freiherr von Massenbach auf:Hält die Bundesregierung es angesichts der Arbeitsmarktlage für sinnvoll, in der Baunutzungsverordnung eine Kennzeichnung für besondere Mischgebiete aufzunehmen, in denen Wohnen, Handwerk, Gewerbe und Industrie unter Hinnahme definierter Immissionsvorbelastungen zulässig sind, und dies in der Weise, daß der Besitzstand der Betriebe mit Hilfe von Erneuerungs- und begrenzten Erweiterungsinvestitionen sichergestellt werden kann?Bitte, Herr Bundesminister.
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5702 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. Haack, Bundesminister: Herr Kollege, Die Baunutzungsverordnung bietet den Grundsätzen der Bauleitplanung und den städtebaulichen Bedürfnissen entsprechend eine Reihe von Gebietskategorien an, die in den Bauleitplänen festgelegt werden können, darunter auch Mischgebiete, die sowohl dem Wohnen als auch der gewerblichen Nutzung dienen, die das Wohnen nicht wesentlich stört. Mit dieser Gebietskategorie trägt die Baunutzungsverordnung bereits dem Umstand Rechnung, daß es zahlreiche innerstädtische Gebiete gibt, die eine in anderen Baugebieten nicht zulässige Mischung von Nutzungen aufweisen. Der Schutz der Wohnnutzung gegen Störungen und sonstige Beeinträchtigungen durch Gewerbenutzungen ist zwar im Hinblick auf die Eigenart dieser Gebiete geringer als in anderen ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebieten. Die Wohnnutzung darf aber nicht wesentlich gestört werden. Ob eine wesentliche Störung vorliegt, ist vor allem aus dem Schutzgut des gesunden Wohnens zu ermitteln.Damit ist die äußerste Grenze dessen erreicht, was aus städtebaulichen Gründen unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse noch vertretbar ist.Die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sind auch als Belang bei der Aufstellung von Bauleitplänen zu berücksichtigen. Die planerischen Konsequenzen dieser Anforderungen schlagen sich u. a. in der Bildung geschlossener Gewerbe- und Industriegebiete und in dem Grundsatz angemessener räumlicher Trennung nieder. Inwieweit Störungen im einzelnen hinzunehmen sind, ist eine Frage des Immissionsschutzrechts. Immissionsrichtwerte für Gebiete — allerdings nicht in Anlehnung an die Baugebiete der Baunutzungsverordnung — als Mindestanforderungen für gesunde Wohnverhältnisse enthalten die einzelnen Technischen Anleitungen wie die TA Luft und die TA Lärm.Im übrigen wird auch dieser Problemkreis im Rahmen der ARGEBAU beraten, ähnlich wie die anderen Probleme, von denen ich bei Ihrer anderen Frage gesprochen habe.Die Schaffung eines weiteren Baugebiets, etwa eines besonderen Mischgebiets, ist aus den oben genannten Gründen städtebaulich nicht erforderlich und auch sachlich nach unserer Auffassung nicht gerechtfertigt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Keine Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Die Fragen 100, 101, 106 bis 109, 115, 116 und 124 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 18, 19, 122 und 123 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
Alle übrigen nicht mündlich beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herrn, auf der Diplomatentribüne hat Seine Exzellenz der Postminister der Republik Afghanistan, Herr Diplom-Ingenieur Abdul Karim Attaie, Platz genommen. Wir begrüßen ihn sehr herzlich im Deutschen Bundestag und wünschen ihm einen guten Aufenthalt.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung des Tagesordnungspunktes 3 — Änderung der Strafprozeßordnung — fort.
Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Weit davon entfernt, abergläubisch zu sein, möchte ich Sie dennoch darauf hinweisen, daß wir heute zum dreizehnten Male in dieser Legislaturperiode über die Frage der Terrorismusbekämpfung sprechen. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, daß die Opposition sehr viel moderater, als das bei früheren Gelegenheiten geschah, zu dem Thema Stellung genommen hat.Wir haben grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten, die Herr Wittmann, glaube ich, am besten darstellte, als er sagte, die Koalitionsfraktionen legten hier eine Minimallösung vor, es sei das Minimum dessen, was gesetzlich zu tun sei. Dazu muß ich Ihnen, insbesondere für die Fraktion der Freien Demokraten, sagen, wir sehen es als unsere selbstverständliche politische Verpflichtung an, bei der Einschränkung von Rechten der Staatsbürger, insbesondere durch Strafgesetz, beim Minimum aufzuhören,
in jedem Falle das Wenigste, was erforderlich ist, um dem Zweck zu dienen, zu tun; das ist die andere Marge.Wir müssen selbstverständlich darauf achten, daß neuen Verbrechensformen auch neue Mittel der Verbrechensbekämpfung entgegengestellt werden, soweit dies der Gesetzgeber leisten kann. Ich meine, wie haben es uns wahrlich sehr schwer gemacht. Alles, was hier heute über die Verantwortung gegenüber den Opfern und gegenüber den Hinterbliebenen gesagt worden ist, nehmen wir selbstverständlich genauso für uns in Anspruch, wie es die Redner der Opposition hier heute getan haben. Insofern ist es vielleicht doch etwas unpassend, daß dies so sehr betont worden ist, als ob irgend jemand hier im Hause an dieser Tragik der betroffenen Familien vorbeiginge. Das hat aber mit unseren rechtspolitischen Folgerungen nur sehr am Rande etwas zu tun und wird uns eben nicht zur Überreaktion verleiten; das wird eben nicht der Grund dafür sein, daß wir unsere rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Erwägungen hintanstellen, sondern das verpflichtet uns um so mehr im Sinne der langfristigen, richtigen Bekämpfung des Terrorismus ganz sorgfältig zu Werke zu gehen, und das haben wir getan.Die dreizehnmalige Diskussion in dieser Legislaturperiode, die ich eben erwähnt habe, hat ja ihre
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Kleinert) Vorläufer gehabt. Etwa seit 1972 unterhalten wir uns über diese Fragen. Eine der Kernfragen, die heute wieder einmal zur Abstimmung steht, ist die Frage der Verteidigerüberwachung; wir haben sie hier erstmals im Jahre 1974 und seitdem immer wieder behandelt. Nur hat die Diskussion ergeben — Herr Kollege Weber hat das vorhin schon dargelegt —, daß im Laufe dieser Jahre immer mehr sehr Sachkundige — auch Vereinigungen von sehr sachkundigen Leuten — unserer Auffassung zugestimmt haben. Ich gehe gar nicht auf den Deutschen Anwaltverein und auf die Bundesrechtsanwaltskammer ein; viel wichtiger ist mir das, was der Deutsche Richterbund dazu sagt, und das müßte doch eigentlich die Damen und Herren von der Opposition beeindrucken. Der Deutsche Richterbund sagt, wir können das, was die Opposition des Bundestages uns hier andient, in der Praxis nicht leisten, und wir werden auch keine Erfolge damit haben. — Es ist ein Ergebnis der mehrjährigen Diskussion dieser Frage, daß sich die maßgebende Vereinigung der deutschen Richterschaft diese unsere Ansicht zu eigen gemacht hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?
Bitte schön, Herr Lenz.
Herr Kollege Kleinert, würden Sie mir in der Feststellung beipflichten. daß in dieser Frage alle möglichen Institutionen im Laufe der Zeit ihre Meinung geändert haben und daß es nur zwei Institutionen gibt, die ihre Meinung nicht geändert haben? Die eine ist der Deutsche Anwaltverein, und die andere ist die CDU/ CSU.
Herr Lenz, was soll ich daraus schließen, daß Sie Ihre Meinung nicht geändert haben? Das ist ein ungewöhnlich ambivalenter Vortrag.
Da könnte man an so viele Dinge anknüpfen! Gerade weil ich Sie so sehr schätze, Herr Dr. Lenz, will ich die Fülle von Möglichkeiten, die Sie mit dieser Frage eröffnet haben, nicht ausschöpfen.
Wir jedenfalls haben es uns in dieser und in einigen anderen Fragen, die hier heute wieder zur Entscheidung anstehen, nicht leicht gemacht. Die Diskussion hat sich dann so entwickelt, wie es bereits dargestellt worden ist: daß diejenigen, die es praktisch wissen müssen, nach und nach unsere Ansicht unterstützt haben. Wir wären bei Vorliegen anderer Fakten übrigens ebenfalls bereit gewesen, unsere Ansicht zu ändern.
Einige neuere Fakten werden . von Ihnen mit Fleiß nicht in die Diskussion eingeführt. Zum
Beispiel haben wir mit Interesse festgestellt, daß im Falle des verhafteten früheren Rechtsanwalts Newerla erstmals ganz eindeutig nachgewiesen ist, daß Rasierklingen auf dem Wege über die Bewacher — wenn ich mich richtig erinnere, auf dem Wege über die Kantine — im Untersuchungsgefängnis Mannheim an diesen Inhaftierten gelangt sind; ein Beispiel dafür, daß wir recht hatten, als wir gesagt haben: Nicht die Verteidiger sind diejenigen, die in erster Linie die Undurchdringlichkeit der Mauern unterlaufen haben, sondern hier sind wie seit alters andere am Werke. In anderen Fällen ist es offen geblieben, in einigen Fällen ist auch bewiesen worden, daß die Verteidiger beteiligt waren. Aber hier ist jedenfalls einmal bewiesen worden, daß es nicht die Verteidiger waren und daß Sie also mit diesem extremen Eingriff in die Rechte des Angeklagten zu keinem praktischen Ergebnis kommen würden. Und wenn das feststeht, müssen wir uns allerdings gegen einen solchen Eingriff in eines der vornehmsten rechtsstaatlichen Rechte weiterhin wehren und Ihren diesbezüglichen Antrag ablehnen.
Mit Ihren Anträgen ist das ohnehin so eine Sache. In dem von Ihnen vorgelegten Konvolut von Anträgen findet sich z. B. unter Art. 2 Nr. 3 ein Antrag, der wortgleich ist — soweit ich mich erinnere, ist das ein Novum in der Geschichte des Hauses — mit dem Beschluß des Rechtsausschusses. Das ist ein ganz dolles Ding. Wenn Ihnen nun gar nichts mehr einfällt, um der Offentlichkeit zu demonstrieren, daß Sie diejenigen sind, die den Terrorismus bekämpfen, während die Koalitionsfraktionen dazu nicht taugen, dann schreiben Sie wortgleich das Ergebnis der Beratungen des Rechtsausschusses, so abgestimmt von der Mehrheit der Koalitionsfraktionen im Rechtsausschuß, ab und verkaufen das als Änderungsantrag. Das ist eine ganz merkwürdige Geschichte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hartmann?
Verehrter Herr Kollege Kleinert, haben Sie vergessen, möglicherweise wegen dazwischenliegender bedeutender Ereignisse, daß ich Ihnen heute früh auf Ihre eigene Frage erklärt habe, daß wir dem § 127, weil er unserem eigenen Antrag entspricht, zustimmen werden und daß der nur darin steht, weil wir aus Gründen der Systematik in unserem Antrag das gesamte Änderungsgesetz zusammengefaßt haben? Haben Sie das vergessen, daß ich Ihnen das auf Ihre Frage ausdrücklich erklärt habe? Jetzt machen Sie daraus I eine Polemik. .
Herr Kollege Hartmann, wie können Sie glauben, daß ich binnen weniger Stunden etwas vergessen würde, was Sie mir gesagt haben? Das ist doch abwegig.
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5704 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Kleinert1 Ich habe Sie heute morgen gefragt, weil ich meinen Augen nicht getraut habe und weil ich ganz sicher sein wollte — das ist unsere sorgfältige Art, mit solchen Fakten umzugehen —, bevor ich hier von diesem Platz aus dazu Stellung nehme, daß ich mich nicht doch an irgendeiner Stelle verlesen habe. Nachdem Sie mir das erklärt haben mit der Systematik, muß ich Ihnen sagen: Die Systematik ist normalerweise etwas, was man herholt, wenn man etwas nicht mehr einleuchtend begründen kann.
Es ist nun einmal nicht möglich, ein Ding Änderungsantrag zu nennen, wenn das, was geändert werden soll, wörtlich diesem Änderungsantrag entspricht. Ich "sage es hier, weil es mir symptomatisch für die Bemühungen der Opposition
in dieser für unser Land so wichtigen Frage zu sein scheint, sich immer wieder auf jede nur mögliche und, wie man hier sehen kann, unmögliche Weise so darzustellen, als meinten Sie es ernster mit der Bekämpfung des Terrorismus als wir. Dabei erfinden Sie notfalls großzügig einige zusätzliche, aber auch überflüssige Bestimmungen, obwohl dadurch genau das geschieht, was die Terroristen gerne möchten, daß sich nämlich dieser Rechtsstaat ins Unrecht setzt, sich die Sympathisantenszene vergrößert und im übrigen praktisch nichts geleistet wird.
Das gibt es auch an anderen Stellen in Ihrem Entwurf. Der Streit um das Strafmaß gegenüber Leuten, die allesamt entschlossen sind zu morden, zu töten, gehört doch in diese Kategorie, daß Sie sich als Leute darstellen wollen, die weitergehen als die Koalitionsfraktionen.Ich sage Ihnen noch einmal: Wir werden nur so weit gehen, wie es ganz unbedingt erforderlich ist, weil wir sonst das Geschäft der Terroristen besorgten, wenn wir auch nur in peripheren Bereichen an unsere Rechtsordnung herangingen und sie diesen Leuten zuliebe einschränkten. Wir schlagen Ihnen nur das vor, was wirklich praktisch wirksam ist, das allerdings auch mit großer Entschiedenheit. Es ist schon so oft gesagt worden, und ich sage es Ihnen jetzt noch einmal: Wir haben mit dem Ausschluß der Verteidiger die mit Abstand härtere Maßnahme gleich zu Beginn der Diskussion im Jahre 1974 vorgeschlagen. Daß dieser Ausschluß nicht richtig funktioniert hat, hat mehrere Gründe. Erstens haben wir es vielleicht nicht scharf genug formuliert. Zweitens haben wir hier das neuerdings mit einem Schlagwort so genannte Vollzugsdefizit bei der Durchsetzung unserer gesetzgeberischen Absichten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jäger?
Ja.
Herr Kollege Kleinert, wenn Sie sagen, daß alles, was über die Minilösung der Koalition hinausgehe, in Wahrheit die Geschäfte der Terroristen betreibe, sind Sie dann auch der Auffassung, daß die Bundesregierung, als sie im Jahre 1975 selber einen Antrag und einen Gesetzentwurf zur Überwachung der Verteidigergespräche einbrachte, ebenfalls die Geschäfte der Terroristen betrieben hat?
Sie sind ja noch nicht so sehr lange hier.
— Aber fest steht doch, daß wir dieses Thema hier nicht nur die eben erwähnten dreizehnmal, sondern viel öfter abgehandelt haben.
Die Bundesregierung hat einen Vorschlag gemacht, von dem sie überzeugt war, daß er der Bekämpfung des Terrorismus dienen könne. Sie hat sich in den Beratungen — und das hat der Bundesminister der Justiz hier seinerzeit sehr nachhaltig und sehr eindrucksvoll dargelegt — davon überzeugen lassen, daß dieser Vorschlag eben nicht so
sinnvoll war, wie sie gemeint hat. Dann hat sie ihre Ansicht geändert und sich dem angeschlossen, was wir nach wie vor hier vertreten.
Im übrigen sage ich nicht, daß Sie Geschäfte der Terroristen betreiben. Sie haben das eben so locker ausgedrückt und damit meine Worte verschoben. Ich werfe niemandem in der CDU vor — ich wiederhole das, was auch einige andere Redner der Koalition schon gesagt haben —, daß Sie sich nicht genauso wie wir um das Problem Sorgen machen würden. Ich sage nur: Wir sind sachlich anderer Ansicht. Sie gehen etwas zu weit, und wenn Sie zu weit gehen, dann werden Sie, ohne das zu wollen — das ist der wichtige Punkt —, die Geschäfte der Terroristen besorgen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Kleinert, könnte es sein, daß Herr Jäger Schwierigkeiten hat, zu erkennen, daß die verschiedenen Gesetzesvorlagen der Bundesregierung und der Opposition von grundsätzlich verschiedenen Ansätzen ausgehen?
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Ich halte das für möglich und habe das von dieser Stelle aus mehrfach gesagt. Es herrscht nun einmal bei der konservativen Partei in diesem Hause mehr, weit mehr als bei uns, der Glaube, daß man durch Strafandrohungen, auch wenn sie keinen praktischen Erfolg bei ihrem Vollzug versprechen, bewußtseinsverändernd wirken könne. Das haben wir bei einer Reihe von Gesetzes hier zu diskutieren gehabt. Von da aus haben wir tatsächlich unterschiedliche Ansatzpunkte.
Wir sind der Meinung: Das Gesetz ist nur für den bewiesenen Notfall und nur für den Fall, in dem man damit praktisch etwas bewirken kann, geschaffen. Nur in dem Sinne dürfen wir es auch verändern. Sie sind der Meinung: Ich kann durch das Gesetz das Bewußtsein verändern,
und ich soll das auch tun, trotz all der nachteiligen Wirkungen, die sich daraus ergeben.
Ich muß, nachdem wir die Argumente nicht vermehren, sondern nur zyklisch austauschen können, hier zum Ende kommen. Ich möchte noch auf eine Frage technischer Art eingehen.
Die in unserem Entwurf verlangten Vorrichtungen zur Verhinderung der Übergabe von Gegenständen, sprich: Trennscheibe — das ist allerdings technisch auch auf verschiedene andere Art denkbar —, sind natürlich nicht so überflüssig, wie das von Ihnen hier heute dargestellt worden ist. Wir haben einen Beschluß eines Richters in Stuttgart — wo anders? —, der die dort eingebaute Trennscheibe auf Beschwerde der Verteidiger untersagt hat, und wir haben einen weiteren Beschluß des Landgerichts Osnabrück, in dem ebenfalls der Einbau einer Trennscheibe untersagt worden ist. Deshalb muß hier etwas geschehen.
Die Trennscheibe und die geradezu drakonische, uns sehr belastende und von uns nur mit sehr schwerem Herzen getroffene Entscheidung für die Erleichterung des Verteidigerausschlusses sind der Beweis dafür, daß das, was wirklich greifen kann, von uns entschieden getan wird — nicht nur im Bereich der Gesetzgebung, sondern auch im Bereiche der inneren Sicherheit im allgemeinen, der Polizei, des Vollzuges —, daß wir es aber andererseits nach wie vor ablehnen, rechtsstaatliche Einrichtungen auch nur zu gefährden, wenn nicht gleichzeitig bewiesen werden kann, daß das dem von Ihnen angegebenen Zwecke nützt. Ihre sämtlichen Vorschläge tun das nicht, unsere sehr wohl. So werden wir uns als Freie Demokraten in der Abstimmung verhalten.
In der allgemeinen Aussprache der zweiten Beratung liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung. Zunächst kommen wir zu Art. 1 des Antrages der CDU/CSU auf Drucksache 8/1511, der
seinem Inhalt nach vor Art. 1 der Ausschußvorlage gehört. Wird eine Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Das Wort zur Aussprache hat Herr Abgeordneter Sieglerschmidt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Materie, die in Art. 1 Nrn. 2 und 3 des Antrages der CDU/CSU geregelt werden soll, nämlich Änderungen zur Sicherungsverwahrung, handelt es sich um Fragen von besonderer grundsätzlicher Bedeutung für den Rechtsstaat. Man könnte auch — sehr vorsichtig ausgedrückt — sagen, daß mit diesen Vorschlägen an die Grenzen des Rechtsstaates vorgestoßen wird. Angesichts dieser Situation beantragt meine Fraktion zu den Nrn. 2 und 3 des Art. 1 Antrages der CDU/CSU namentliche Abstimmung.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen über Art. 1 des Änderungsantrages der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1511 ab, und zwar getrennt nach Nummern. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 zur Abstimmung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Nun kommen wir zu Art. 1 Nr. 2 und 3, über die wir gemeinsam abstimmen. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die Abstimmung. —Haben alle Kolleginnen und Kollegen, die abzustimmen wünschen, ihre Stimmkarten abgegeben? — Ich schließe die Stimmabgabe und bitte, mit der Auszählung zu beginnen.Es sind mehrere namentliche Abstimmungen angekündigt. Ich möchte das mitteilen und Sie bitten, sich darauf einzurichten, weil wir sonst immer sehr lang warten müssen, bis die Stimmabgabe beendet werden kann. Es ist im Interesse aller Kolleginnen und Kollegen, daß wir schnell weiterkommen. Deshalb bitte ich, in der Nähe zu bleiben.Meine Damen und Herren, das Abstimmungsergebnis liegt vor. Insgesamt haben 487 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete und 22 Berliner Abgeordnete ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben 237 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete, mit Nein 250 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete gestimmt; der Stimme enthalten hat sich kein Abgeordneter. Von den Berliner Abgeordneten haben 11 mit Ja und 11 mit Nein gestimmt.ErgebnisAbgegebene Stimmen 487 und 22 Berliner Abgeordnete; davonja: 237 und 11 Berliner Abgeordnete,nein: 250 und 11 Berliner Abgeordnete
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5706 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Vizepräsident Frau FunckeJaCDU/CSUDr. AbeleinDr. van AerssenDr. Aigner AlberDr. AlthammerDr. ArnoldDr. Becher
Dr. Becker Frau BenedixBenzBerger
Berger BiecheleDr. BiedenkopfBiehleDr. von BismarckDr. Blüm BlumenfeldBöhm
Dr. Bötsch BraunBreidbach BrollBühler BurgerCarstens Carstens (Fehmarn) Conrad (Riegelsberg)Dr. Czaja DammDawekeDr. DollingerDr. Dregger DreyerEngelsbergerErhard ErnestiDr. Evers EyEymer
Dr. Eyrich FeinendegenFrau Fischer Francke FrankeDr. FriedmannDr. FrühDr. Fuchs Frau Geier Geisenhofer Dr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGerster Gierenstein GlosDr. Gruhl Haase
HaberlDr. Häfele Dr. HammansHandlosHanz
Dr. Hennigvon der Heydt Freiherrvon Massenbach HöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. Hornhues HorstmeierDr. HubrigFrau HürlandDr. HüschDr. HupkaGraf HuynDr. JaegerJäger
Dr. Jahn Dr. Jahn (Münster)Dr. JenningerDr. Jentsch JostenFrau KarwatzkiKatzer KiechleDr. Klein Klein (München)Dr. KlepschKlinkerDr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KösterDr. Kohl KolbKrampe KrausDr. KreileKreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kunz Lagershausen LampersbachLandréDr. LangguthDr. LaufsLemmrichDr. Lenz LenzerLinkLintner Löher Dr. LudaLücker Dr. MarxDr. MendeDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup Dr. MikatDr. MiltnerMilzDr. MöllerDr. MüllerMüller Müller (Wadern)Dr. Müller-HermannDr. NarjesNeuhausFrau Dr. Neumeister NiegelNordlohneFrau PackPetersenPfeffermannPfeifer Picard Pieroth Dr. PingerPohlmannPrangenbergDr. ProbstRainer RaweReddemann RegenspurgerDr. ReimersFrau Dr. Riede
Dr. Riedl
Dr. RiesenhuberDr. RitzRöhnerDr. RoseRüheRusseSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchartz
SchedlFrau Schleicher SchmidhuberSchmidt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderDr. Schröder Schröder (Luneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (SchwäbischGmünd) SchwarzDr; Schwarz-SchillingDr. Schwörer SeitersSickDr. Freiherr Spies von BüllesheimSpilkerSpranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark
Dr. Starke
Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. Stercken StommelStraußStücklenStutzerSussetde TerraTillmannDr. TodenhöferFrau Tübler Dr. Unland Frau VerhülsdonkVogel
Vogt VolmerDr. VossDr. WaffenschmidtDr. Waigel Frau Dr. WalzDr. WarnkeDr. von Wartenberg WawrzikWeber Weiskirch (Olpe)Dr. von WeizsäckerWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski Wissebach WissmannDr. Wittmann
Dr. WörnerBaron von Wrangel WürzbachDr. Wulff Dr. Zeitel ZeyerZieglerDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. GradlKittelmann Kunz LusterMüller
Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir WohlrabeNeinSPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Dr. ApelArendt AugsteinBaack BahrDr. BardensBatzDr. BayerlBecker BiermannBindig BlankDr. Böhme Frau von Bothmer BrandtBrandt BrückBuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfortDr. BußmannCollet ConradiCoppikDr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. EhmkeDr. Ehrenberg EickmeyerFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmFrau ErlerEsters Ewen FellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. FockeFranke Friedrich (Würzburg) GanselGerstl
Dr. GeßnerGlombigGobrechtGrobeckerGrunenberg
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5707
Vizepräsident Frau FunckeGscheidleDr. HaackHaarHaase
HaehserHansenFrau Dr. Hartenstein HauckDr. Hauff HenkeHeyennHöhmannHoffmann Hofmann (Kronach)Dr. Holtz HornFrau Huber Huonker IbrüggerImmer
Jahn
JaunichDr. Jens Junghans Jungmann JunkerKaffkaKirschnerKlein
KoblitzKonradKratzKretkowskiDr. KreutzmannKrockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus LangeLattmannDr. LauritzenLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeDr. Linde LutzMahneMarquardt MarschallFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MeininghausMenzelMöhringMüller
Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. Nöbel Offergeld OostergeteloPaternaPawelczyk PeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehn PorznerRapp
Rappe RavensFrau Renger ReuschenbachRohdeRosenthalRothSaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheu Schirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreiberSchulte
Dr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) SeefeldSielerFrau Simonis SimpfendörferDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. StaudtDr. StegerFrau Steinhauer StocklebenStöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. TimmTönjes TopmannFrau TraupeUeberhorstUrbaniakDr. Vogel VogelsangVoigt WaltematheWaltherDr. Weber
WehnerWeißkirchen WendtDr. WernitzWestphalWiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWürtz Wüster Wuttke Wuwer Zander ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich
Dr. Dübber EgertLöfflerMänningMattickFrau Schlei Schulze SieglerschmidtFDPAngermeyer Dr. Bangemann BaumCronenbergEimer EngelhardErtlFrau FunckeGärtnerGallusGattermannGenscherGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann HölscherHoffieJungKleinertDr.-Ing. Laermann Dr. Graf LambsdorffLudewigDr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier MischnickMöllemann PaintnerPeters Schäfer (Mainz)Schmidt
von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeDanach ist der Antrag abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Nr. 4 in Artikel 1 des Änderungsantrags der CDU/CSU auf Drucksache 8/1511. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Wir müssen noch einmal abstimmen. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um .das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zu Art. 1 Nr. 1 der Ausschußvorlage. Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1511 vor, und zwar unter Art. 2 Nr. 1.Dazu hat das Wort Herr Abgeordneter Erhard .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! § 103 befaßt sich mit der sogenannten Razzia. Hier gibt es zwei verschiedene Probleme und ein drittes durch den Änderungsantrag der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion.Das erste Problem ist die Frage, wer überhaupt eine solche Durchsuchung von Wohnungen anordnen darf. Nach dem geltenden § 103 der Strafprozeßordnung kann bei Gefahr im Verzug auch die Wohnung eines Nichtbeschuldigten, also jeder anderen Person, durchsucht werden, wenn anzunehmen ist, daß eine Person, eine Spur oder irgendein Gegenstand, die auf die Überführung eines Täters hinweisen könnten, in der Wohnung sind. Jetzt wird dieses Institut, daß bei Gefahr im Verzug der Staatsanwalt oder auch die zuständigen Polizeibeamten eine solche Durchsuchung vornehmen können, für das Gebäude dahin gehend eingeschränkt, daß es nur noch der Staatsanwalt oder der Richter tun darf, auch bei Gefahr in Verzug, und zusätzlich wird der Begriff „Gebäudekomplex", wie die Regierung ihn an sich vorgeschlagen hatte, durch den Begriff „Gebäude" ersetzt. Dieser Begriff wird durch eine Erklärung noch weiter eingeengt. Gestern ist von der SPD-Fraktion im Rechtsausschuß mitgeteilt worden, was man unter „Gebäude" in Abweichung von den Be-
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Erhard
ratungen des Rechtsausschusses nunmehr einengend verstehen will.In dem Änderungsantrag der Koalitions-Fraktionen zu § 108 wird wiederum auf die Änderung des § 103 Bezug genommen. Was besagt sie? Wenn bei einer solchen vom Richter oder Staatsanwalt angeordneten Durchsuchung beispielsweise Rauschgift gefunden wird, dann soll dieses nicht vorläufig beschlagnahmt werden dürfen. Überhaupt keine solchen Gegenstände sollen beschlagnahmt werden dürfen, wenn diese Durchsuchung stattgefunden hat.
Wir halten das für eine unerträgliche Einengung, geradezu für eine Anordnung zur Verhinderung der Aufklärung von Straftaten. Wir lehnen dies ab und verlangen auch hier namentliche Abstimmung.
Das Wort dazu hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag der Opposition lag bereits im Rechtsausschuß vor. Wir haben dort sämtliche Gründe, die Sie damals für ihn vorgetragen haben, ausführlich erörtert, der Rechtsausschuß hat Ihren Änderungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Ich darf hier in einem Punkt zusammenfassen, warum das der Fall war. Ihr Änderungsantrag will die Durchsuchung von Wohnungen, die keinen unmittelbaren Kontakt zu Straftaten in irgendeiner Form haben, unter noch leichteren und unter noch weiteren Voraussetzungen zulassen, als die vom Rechtsausschuß vorgeschlagene Fassung. Wir sind der Meinung, daß Ihre Fassung schlechter dem hohen Wert Rechnung trägt, den der Freiraum Wohnung für jeden Bürger haben muß, weniger auch dem Grundgesetz und seiner Einschätzung dieses Freiraumes. Wir sind weiterhin der Meinung, daß Ihre weitere Fassung zur Terrorismusbekämpfung nicht erforderlich ist, und lehnen sie daher ab.
Lassen Sie mich noch eines anfügen. Ihr Vorschlag „abgegrenzter Bezirk" ist so weit, daß die Vorschrift nicht mehr akzeptabel wäre. Ich brauche hier, glaube ich, kaum eine scherzhaft gemeinte Äußerung anzuschließen, daß es in Berlin beispielsweise ganze Städte als „Bezirke" gibt, etwa Zehlendorf; die könnten dann durchsucht werden, wenn wir Ihrer Formulierung folgten. Wie gesagt, wir halten Ihren Alternativantrag überhaupt nicht für sachgerecht.
Lassen Sie mich noch einen Satz hinzufügen: Wenn Sie sagen, Herr Erhard, die Ausschließung des § 108 StPO, also der Regelung über die Zufallsbeschlagnahme in den Fällen des jetzigen § 103 Abs. 1 Satz 2 würde zu so grotesken Ergebnissen führen wie die, die Sie anführen, so ist das schlicht und einfach falsch. Sie wissen genau, worum es geht. Es geht darum, daß wir Bagatellfälle — Zufallsfunde: Plakate, Bücher — und Schnüffeleien bei der Durchsuchung im Zusammenhang mit der Suche nach Terroristen ausschließen. Das wollen wir. Auch das verstehen wir unter „Verhältnismäßigkeitsprinzip". Wir lehnen deshalb Ihren Antrag ab.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag der CDU/CSU. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen damit zur Abstimmung über Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. -Sind noch Abgeordnete im Saal, die ihre Stimme nicht abgegeben haben? — Wenn das nicht der Fall ist, schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich 487 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 22 Berliner Abgeordnete beteiligt. Mit Ja haben 245 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete, mit Nein 242 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete gestimmt. Von den Berliner Abgeordneten haben 11 mit Ja und 11 mit Nein gestimmt.ErgebnisAbgegebene Stimmen 487 und 22 Berliner Abgeordnete; davonja: 245 und 11 Berliner Abgeordnete,nein: 242 und 11 Berliner AbgeordneteJaSPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Dr. Apel Arendt AugsteinBaack BahrDr. BardensBatzDr. BayerlBecker BiermannBindig BlankDr. Böhme Frau von Bothmer BrandtBrandt BrückBuchstallerBüchler Büchner (Speyer)Dr. von Bülow BuschfortDr. BußmannColletConradiDr. Corterier CurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. EhmkeDr. EhrenbergEickmeyerFrau Eilers
Dr. EmmerlichDr. Enders EngholmFrau Erler EstersEwenFellermaier FiebigDr. Fischer FlämigFrau Dr. FockeFranke
Friedrich
GanselGerstl
Dr. Geßner GlombigGobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5709
Vizepräsident Frau FunckeHaarHaase
HaehserFrau Dr. Hartenstein Hauck 'Dr. Hauff HenkeHeyenn HöhmannHoffmann Hofmann (Kronach)Dr. Holtz HornFrau HuberHuonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JaunichDr. Jens Junghans JungmannJunker Kaffka KirschnerKlein
Koblitz Konrad KratzKretkowskiDr. KreutzmannKrockert KühbacherKuhlweinLambinus LangeDr. LauritzenLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtke Dr. Linde LutzMahne MarquardtMarschallFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke MeininghausMenzel Möhring Müller
Müller
Müller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumannDr. NöbelOffergeldOostergeteloPaterna PawelczykPeiterDr. PennerPensky PeterPolkehn Porzner Rapp
Rappe RavensFrau Renger ReuschenbachRohde RosenthalRothSaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuSchirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreiber Schulte
Dr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) SeefeldSielerFrau Simonis SimpfendörferDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. Staudt Dr. StegerFrau Steinhauer StocklebenStöcklSybertz Thüsing Frau Dr. TimmTönjesTopmann Frau TraupeUeberhorstUrbaniakDr. Vogel VogelsangVoigt WaltematheWaltherDr. Weber
WehnerWeißkirchen WendtDr. WernitzWestphal WiefelWilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWürtzWuttke Wuwer Zander ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich
Dr. DübberEgertLöfflerMänning Mattick Frau SchleiSchulze SieglerschmidtFDPAngermeyer Dr. BangemannBaumCronenberg Eimer Engelhard ErtlFrau Funcke GärtnerGallusGattermann GenscherGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann HölscherHoffieJungKleinertDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LudewigDr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier MischnickMöllemann PaintnerPeters Schäfer (Mainz) Schmidt (Kempten)von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. van AerssenDr. Aigner AlberDr. AlthammerDr. Arnold BayhaDr. Becher
Dr. Becker Frau BenedixBenzBerger
Berger BiecheleDr. BiedenkopfBiehleDr. von BismarckDr. BlümBlumenfeldBöhm
Dr. Bötsch BraunBreidbach BroilBühler BurgerCarstens Carstens (Fehmarn) Conrad (Riegelsberg) Dr. CzajaDammDawekeDr. DollingerDr. Dregger DreyerEngelsbergerErhard ErnestiDr. EversEyEymer
Dr. Eyrich Feinendegen Frau FischerFrancke
FrankeDr. FriedmannDr. FrühDr. Fuchs Frau Geier GeisenhoferDr. von GeldernDr. George Gerlach
GersteinGerster
Gierenstein GlosDr. Gruhl Haase
HaberlDr. Häfele Dr. HammansHandlosHanzHartmann Hasinger
Hauser
Helmrich Dr. Hennig von der Heydt Freiherrvon MassenbachHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. HornhuesHorstmeier Dr. Hubrig Frau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger
Dr. Jahn
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jentsch JostenFrau KarwatzkiKatzerKiechleDr. Klein
Klein
Dr. Klepsch KlinkerDr. Köhler
Dr. Köhler KösterDr. KohlKolbKrampeKrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kunz LagershausenLampersbachLandréDr. Langguth
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5710 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Vizepräsident Frau FunckeDr. Langner Dr. Laufs LemmrichDr. Lenz LenzerLinkLintnerLöherDr. Luda LückerDr. Marx Dr. MendeDr. Mertes MetzDr. Meyer zu BentrupDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. Möller Dr. Müller Müller
Müller
Dr. Müller-HermannDr. Narjes Neuhaus Frau Dr. NeumeisterNiegelNordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann PfeiferPicardPierothDr. Pinger Pohlmann Prangenberg Dr. Probst RainerRaweReddemann RegenspurgerDr. Reimers Frau Dr. Riede
Dr. Riedl
Dr. RiesenhuberDr. RitzRöhnerDr. RoseRüheRusseSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchartz
SchedlFrau Schleicher SchmidhuberSchmidt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderDr. Schröder Schröder (Luneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (SchwäbischGmünd) SchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. SchwörerSeitersSickDr. Freiherr Spies von BüllesheimSpilkerSpranger Stahlberg Dr. Stark
Dr. Starke
Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. SterckenStommel StraußStücklen StutzerSussetde Terra Tillmann Dr. TodenhöferFrau TüblerDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
VolmerDr. VossDr. WaffenschmidtDr. Waigel Frau Dr. WalzDr. WarnkeDr. von Wartenberg WawrzikWeber Weiskirch (Olpe)Dr. von WeizsäckerWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski -WissebachWissmannDr. Wittmann
Dr. WörnerBaron von Wrangel WürzbachDr. Wulff Dr. Zeitel ZeyerZieglerDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. GradlKittelmann Kunz LusterMüller
Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir WohlrabeSPDCoppik Hansen Lattmann Meinike
Damit ist der Antrag angenommen.Ich möchte darauf hinweisen, daß möglicherweise mit weiteren namentlichen Abstimmungen zu rechnen ist. Darüber hinaus kann gegebenenfalls aucheine Auszählung erforderlich werden. Ich bitte, sich darauf einzurichten.Wir setzen die Einzelberatung und -abstimmung fort. Ich rufe Art. 1 Nr. 2 in der Fassung der Ausschußvorlage auf. Wer dieser Nummer zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe!Bitte noch einmal! Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe!Meine Damen und Herren, der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Ich wäre wirklich dankbar, wenn zunächst einmal alle Kollegen Platz nähmen, damit die Übersicht etwas besser ist. Sonst müssen wir auszählen, und die Sache dauert noch länger.Wer Art. 1 Nr. 2 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe!
Meine Damen und Herren, der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Wir müssen auszählen. Ich bitte, den Saal zu verlassen.Können wir davon ausgehen, daß alle Kolleginnen und Kollegen, die abstimmen wollen, wieder hereingekommen sind?Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer hierher.Ich bitte Platz zu nehmen und möchte noch einmal darauf hinweisen, daß es uns allen die Sache erleichtert, wenn die Kollegen jetzt hierbleiben und wir die Mehrheiten feststellen können.Es haben insgesamt 511 Abgeordnete abgestimmt, von denen 261 mit Ja und 250 mit Nein gestimmt haben. Enthaltungen gab es nicht. Damit ist die Ausschußfassung angenommen.Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/1509, eine Nr. 2 a einzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe nunmehr Art. 1 Nr. 3 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1511 unter Art. 2 Ziffer 2 vor. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen damit zur Abstimmung über Art. 1 Nr. 3 der Ausschußvorlage. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Ausschußfassung ist angenommen.Wir kommen nunmehr zu Art. 1 Nr. 4. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1511 unter Art. 2 Ziffer 3 vor.Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5311
Vizepräsident Frau FunckeWir kommen zur Abstimmung über Art. 1 Nr. 4 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Die Nummer ist angenommen.Zur Nr. 5 liegen zwei Änderungsanträge vor, zunächst der Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 8/1511, dort Art. 2 Nr. 4. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/1509 unter I Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Änderungsantrag ist angenommen.Wer Art. 1 Nr. 5 in der so geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! — Angenommen.Wir kommen nunmehr zu Nr. 6. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 8/1511, dort Art. 2 Nr. 5 vor. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen damit zur Abstimmung über Nr. 6 in der Fassung der Ausschußvorlage. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Auschußfassung ist angenommen.Wir kommen nun zu Nr. 7. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 7 ist angenommen.Zu Nr. 8 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1511, dort Art. 2 Nr. 6 und Nr. 7, vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über die gesamte Nr. 8 nach der Ausschußvorlage. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Ausschußfassung ist angenommen.Zu Nr. 9 haben wir den Änderungsantrag der CDU CSU auf Umdruck 8/1511, dort Art. 2 Nr. 8. Wer dieser Fassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
— Ich bitte um Entschuldigung, es geht um den Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/1509.
— Ich nehme an, daß die Abstimmung wiederholt werden soll. Es geht um den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 8/1509 betreffend Nr. 9. Wer dieser Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Wir stimmen nun über die Nr. 9 in der geänderten Fassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen angenommen.Jetzt müssen wir noch über eine von der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/1511 zu Art. 1 gewünschte Einfügung abstimmen, dort ausgedruckt unter Art. 3. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe nunmehr Art. 2 in der Fassung der Ausschußvorlage auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1511 vor, dort ausgedruckt unter Art. 4. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Zum gleichen Punkt rufe ich den Änderungsantrag der SPD/FDP-Fraktion auf Drucksache 8/1509 auf. Wer dieser Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei zwei Enthaltungen angenommen.Wer Art. 2 in der abgeänderten Fassung nunmehr zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 3 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1511 vor, ausgedruckt unter Art. 6. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nun zu Art. 3 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen angenommen.Ich rufe nun Art. 4 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1511 vor, ausgedruckt unter Art. 5. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Art. 4 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei vier Enthaltungen angenommen.Ich rufe Art. 5 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 8/1511 vor, ausgedruckt unter Art. 7. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich urn das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei einer Enthaltung abgelehnt.
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5712 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Vizepräsident Frau FunckeWir kommen nunmehr zur Abstimmung über Ar. 5 in der Ausschußfassung sowie Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei vier Enthaltungen angenommen.Damit haben wir die zweite Beratung beendet. Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort hat der Abgeordnete Lattmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Unter Berufung auf diesen Wortlaut im Art. 38 des Grundgesetzes begründe ich eine von der Mehrheit der eigenen Fraktion unterschiedene Überzeugung.Der vorliegende Gesetzentwurf enthält einschließlich der Empfehlungen des Rechtsausschusses eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, die im Laufe der Beratungen unbestritten waren oder es durch eingrenzende Bestimmungen geworden sind. Über die Einführung der Kontrollstelle etwa oder der Trennscheibe wird es zwar nach wie vor verschiedene Ansichten, aber schwerlich Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition bis zur Schlußabstimmung hier im Plenum geben. Ich verkenne auch nicht, daß die große Mehrheit der Koalitionsfraktionen mit eindrucksvoller demokratischer Toleranz, wie sie auch heute morgen hier in mehreren Reden deutlich wurde — darunter denen des Bundesjustizministers und der Fraktionskollegen Dürr und Emmerlich —, einer kleinen Minderheit durch engere Vorschriften als in den ursprünglichen Entwürfen bei der Identitätsfeststellung und fast allen übrigen Punkten weit entgegengekommen ist.
Dennoch bleiben, meine ich, im Blick auf die Praxis bei der Herabsetzung der Verdachtsschwelle für den Verteidigerausschluß und bei der Durchsuchung von Gebäuden erhebliche Bedenken bestehen. Denn jeder Eingriff in die freie Wahl und Ausübung der Verteidigung beeinträchtigt ein hohes Rechtsgut. Außerdem muß man sich sorgen, daß bei Fahndungen der Art. 13 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert, unverhältnismäßig eingeschränkt wird und unter Umständen Hunderte von Wohnungen mit Tausenden von unverdächtigen Mitbürgern davon betroffen werden können.Ich vermag nicht zu sehen, auf welche Weise diese neuen Regelungen tatsächlich eine wirksamere Bekämpfung des Terrorismus gewährleisten. Ich teile die Befürchtung des Bundesverfassungsrichters Helmut Simon, der beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie in Tutzing erklärt hat, je perfekter der Staatsschutz werde, desto mehr wachse die Gefahr, daß das Schutzobjekt selbst verändert, unansehnlich oder gar erstickt werde. „Gerade eineGeneration", sagte Simon, „die für Irrtümer ihrer eigenen Jugend so sehr auf Nachsicht angewiesen ist und die ihren Staat mit zahllosen alten Nazis aufgebaut hat, sollte ihren eigenen Kindern die Chance lassen, Irrtümer durch den Lernprozeß praktischer Bewährung zu überwinden."In diesem Sinn geht es bei der Gesetzgebung, die der Terrorismus hervorruft, nicht mehr nur um ein unterschiedliches Verständnis einzelner Regelungen und der möglichen Auslegung. Es geht um eine im Kern andere Beurteilung der Folgen des Terrorismus für unser Rechtswesen und die Qualität unserer Demokratie. „Wer analysiert, darf die Terroristen nicht mythologisieren", hat der Züricher Sozialpsychologe Gerhard Schmidtchen festgestellt. Der Soziologe Roland Eckert aus Trier warnte: „So gefährlich der Terrorismus ist, gefährlicher aber noch könnten dann freiheitsfeindliche Reaktionen auf ihn für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und für die Bewältigung der Zukunft sein; wenn wir uns nämlich in der Verteidigung der Freiheit dem Gegner anverwandeln." Das wurde auf dem Terrorismus-Kongreß der CDU gesagt.Es wäre gut, solche Maßstäbe ließen sich nicht nur in der Theorie eines wissenschaftlichen Forums erkennen, sondern auch in der konkreten Politik der CDU/CSU. Statt dessen hagelt es Diffamierungen wie die des CSU-Abgeordneten Spranger, der unterstellt, daß es auf dem linken Flügel der SPD Leute gebe, die sich gegen eine entschiedene Bekämpfung des Terrorismus stemmten.
Überhaupt betätigt sich dieser Abgeordnete seit Jahr und Tag nach dem Vorbild von Weimarer Scharfmachern als ein personifizierter Pranger.
Wo bleibt die liberal-konservative Alternative der Opposition? Warum halten sich Überzeugungen, wie sie den Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel international angesehen machten, hier im Bundestag in Ihren Reihen nur im Verborgenen auf? Es ist kaum denkbar, daß es eine solche Gesinnung nicht auch in der Oppositionsfraktion gibt; aber sie taucht nicht auf. Statt dessen wird zum Schaden des Gemeinwohls in unserem Land auch noch der Terrorismus auf der Jagd nach so kurzfristigen wie trügerischen Vorteilen von zahlreichen Oppositionssprechern zu manischer Polarisierung zwischen den Parteien mißbraucht.
Dabei stellt sich in Wahrheit uns allen die Frage, ob wir uns nach dem Plan der Terroristen durch deren mörderische Aktionen dazu hinreißen lassen wollen, Grundrechte einzuschränken und den Staat immer mehr in Waffen gehen zu lassen, ober ob wir die freiheitlichen Grundrechte gerade angesichts des Terrorismus um so entschiedener verteidigen wollen. Von Freiheit reden ja alle. Keine Beschwörungsformel perlt Ordnungspolitikern der Rechten geläufiger von den Lippen als die von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Man höre auf,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5713
Lattmannprahlerisch von der Freiheit zu tönen; man praktiziere sie!
Dazu gehört auch, daß man unerschrocken darstellt, was in einem Augenblick wie diesem im Parlament geschieht. Wer wollte leugnen, daß es in der Politik mächtige Einwirkungen gibt, die sich dem Rationalen entziehen. Dabei wird eine Dynamik freigesetzt, der es nicht mehr um die zu verhandelnde Sache, sondern um ganz andere Ziele, Voraussetzungen und Wirkungen geht. Die Kraft der Emotion verdrängt die Nüchternheit. Zwischen Parteien und Medien steigt der Entscheidungspegel in schwindelnde Höhen. Plötzlich geht es scheinbar nicht mehr um ein Gesetz, dessen Sinn und Nutzen sachlich zu prüfen sind, sondern um das Ritual der Macht.Deswegen sei hier mit Entschiedenheit klargestellt: Wer ein Nein in dieser Sachfrage mit einem Nein zur sozialliberalen Bundesregierung verwechselt, betreibt öffentliche Irreführung.
Keiner von den Sozialdemokraten, die dem Gesetz nicht zustimmen, will, daß die Bundesrepublik von rechts regiert wird. Ebenso ist kein Berichterstatter gezwungen, dem Zweckgerücht aufzusitzen, der Regierung fehlten entscheidende Stimmen, wenn es tatsächlich einmal um die Regierung geht.
Das auseinanderzuhalten sollte gelingen; denn Hundertprozentigkeit ist nicht das wesentliche Merkmal der Demokratie. Im Gegenteil, es gibt in der Bundesrepublik überall an der Basis der Parteien — auch Ihrer Partei —, der Gewerkschaften und vieler Bürgerinitiativen, vor allem in der jungen Generation, ein wachsendes Verlangen nach der demokratischen Funktion von Widerspruch in der Sache bei gleichzeitiger Loyalität gegenüber dieser Bundesregierung. Dieses Verlangen zählt nach Hunderttausenden; es braucht auch eine Antwort im Parlament.
Kein Vernünftiger wird die Gefährlichkeit der terroristischen Verbrechen unterschätzen; denn es geht von ihnen eine mächtige massenpsychologische Wirkung aus. Fest steht deswegen gerade: Der Terrorismus ist nur dann erfolgreich, wenn wir uns terrorisieren lassen.
In einigen Bereichen haben wir ihm schon zuviel Macht über uns eingeräumt.
Die Tatsache, daß es jeden treffen kann, macht es noch nicht sinnvoll, alle zu bewachen. Gebraucht wird zur wirkungsvollen Bekämpfung dieser Kriminalität neben der Verbesserung der Fahndung und internationalen Abkommen — wie geschehen — in erster Linie die rückhaltlose und allgemein begreifliche Aufklärung über seine Methoden und wahrenAbsichten. Der Terrorismus will tatsächlich die Bundesrepublik verändern, nämlich in einen autoritären Ordnungsstaat. Er ist das militante Gegenteil einer linken Reformbewegung. Seine Gewalttaten richten sich gegen die Demokratie als Lebensform.Es spielt sich zu wiederholten Malen folgender öffentlicher Mechanismus ab: Nach jedem Terrorakt geht der Ruf nach schärferen Gesetzen durchs Land, obwohl deren Wirkung äußerst bezweifelbar ist. Die nur zu verständliche Empörung der Bevölkerung mäßigt sich um so weniger, je länger umfassende Fahndungserfolge ausbleiben. Der Eindruck von Wehrlosigkeit des Staates, den die Terroristen bis zur Geiselbefreiung von Mogadischu mit Perfektion zu erwecken wußten, schlägt an den Stammtischen der Republik in Aggressionen um. Wenn man der Täter nicht hinreichend habhaft werden kann, sucht man Ersatzschuldige und fordert Ersatzgesetze.Schon einige solcher Gesetze haben wir unter dem Eindruck der öffentlichen wie der veröffentlichten Meinung hier in zurückliegender Zeit beschlossen, ohne daß sie ihr Ziel erreicht hätten. Als augenfällige Beispiele erscheinen mir der neue § 88 a im Strafgesetzbuch oder das Kontaktsperregesetz. So hat die Strafandrohung gegen die Befürwortung von Gewalt in Schriften für die Terrorismusbekämpfung keine überzeugenden Ergebnisse gebracht, wohl aber unter Schriftstellern, Medienmitarbeitern, Künstlern, Wissenschaftlern und Buchhändlern Einschüchterung hervorgerufen und dadurch tatsächlich demokratische Freiräume eingeengt.Man fragt sich, welcher Beweise es insgesamt noch bedarf, um offenkundig zu machen, daß der Terrorismus nach seinem Vorsatz und geschichtlichen Muster — wie so häufig Attentate und in Mord umgeschlagene Anarchie — als Auslösungsfaktor für reaktionäres Handeln und als Vorwand für Repression dient. Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung haben das seit den Sozialistengesetzen erfahren, und diese Erfahrung hört nicht auf.
Die Zukunft gehört, so scheint es im Augenblick, der Angst und nicht der Hoffnung auf mehr Demokratie. Das hat Max Frisch auf dem Hamburger Bundesparteitag der SPD gesagt.
Dieser Formel tätig zu widersprechen und an freiheitlichen Grundrechten unerschütterlich festzuhalten ist die Aufgabe aller Demokraten. Gebraucht wird dazu nicht immer nur die Tapferkeit des Gehorsams, die in Deutschland ohne Mühe nachwächst, sondern auch einmal die Zivilcourage des Ungehorsams, die sich über keinen anders Entschiedenen moralisch zu erheben trachtet, sondern die demokratisch errungene Mehrheit respektiert, auch wenn sie ihr im Einzelfall nicht immer folgen kann. Das gilt meiner Fraktion, in der viele trotz schwerwiegender Bedenken zustimmen, weil sie die Güterabwägung anders beurteilen. Der einzelne, der sich diesem Prozeß verweigert, muß sich der Gefahr der Selbsterhöhung bewußt sein, um ihr zu entgehen
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5714 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Lattmannund sachlich zurückzufinden in seinen politischen Zusammenhang.In diesem Sinne stimme ich wie meine Fraktionskollegen Manfred Coppik, Karl-Heinz Hansen und Erich Meinike gegen das Gesetz. Unsere Nähe zur CDU/CSU im Protokoll wird nur eine typographische Nähe sein.
Ich stimme so, indem ich den Herrn Bundeskanzler aus seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 24. Januar 1978 zitiere:Wenn im Ernst einer von uns dem anderen dessen sittliche Grundpositionen bestreiten wollte,
wäre das ein schlimmer Sieg der Terroristen im Deutschen Bundestag.
Das Wort hat der Abgeordnete Conradi.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Oppositionsführer, Herr Dr. Kohl, hat am 19. Januar hier behauptet, daß „das Diktat der Linken in der SPD den Bundestag daran hindere," diese Gesetze zu verabschieden, und er hat gesagt, daß „eine Handvoll linker Abgeordneter dem Parlament, dem ganzen Land ihre ideologischen Vorstellungen scheinbarer Liberalität oktroyieren" wolle.
Ich bin einer von denen, Herr Dr. Kohl, die Sie da wohl gemeint haben. Deswegen will ich Ihnen in dieser Debatte antworten, nicht im Auftrag, nicht im Namen meiner Fraktion, aber doch für eine ganze Reihe von Freunden in dieser Fraktion, die meine Meinung, meine Befürchtungen in dieser Sache teilen.
Wenn Sie in diesem Zusammenhang von Diktat gesprochen haben, von Erpressung, dann haben Sie eine falsche Vorstellung von der Diskussion in der SPD. Ich meine, es sei keine Schande, in einer Demokratie eine abweichende Meinung zu vertreten. Das Wort „Abweichler" ist nur in totalitären Staaten ein Schimpfwort, bei uns kann es das nicht sein.
Ich verstehe, Herr Dr. Kohl, daß die Art und Weise, wie eine Minderheit in Ihrer Fraktion mit Ihnen umgeht — Sie mußten sogar Verträge schließen, die dieser Minderheit ein Vetorecht garantieren —, Sie den schwierigen und mühsamen Meinungs- undMehrheitsbildungsprozeß in unserer Fraktion schwer verstehen läßt.Sie haben die Richtlinienkompetenz des Herrn Bundeskanzlers bemüht. Das zeigt ein seltsames Verständnis der Richtlinienkompetenz, denn Art. 65 des Grundgesetzes statuiert die Richtlinienkompetenz gegenüber dem Kabinett. Der Bundeskanzler als ein leidenschaftlicher Parlamentarier würde die Vorstellung, die Koalitionsabgeordneten seien seine Befehlsempfänger, sicher entschieden ablehnen.
Die Art, wie Sie diese Debatte führen, die Vokabeln, die Sie da verwenden — Diktat, Erpressung —, kennzeichnet ein illiberales, ein obrigkeitsstaatliches Denken.
Lassen Sie mich einige Beispiele für die Bedenken, die wir zu diesem Gesetz diskutiert haben, aufführen.
— Ich habe gesagt, Herr Stark, ich spreche nicht im Namen und im Auftrag der SPD-Fraktion, sondern für eine Reihe von Freunden, die meine Bedenken teilen.
Ich sehe z. B., daß die erweiterte Möglichkeit der Durchsuchung von Wohnungen unstrittig ist bei Mord, Geiselnahme und Entführungen. Da kann es eigentlich keinen Zweifel geben.
Daß die erweiterte Möglichkeit der Durchsuchung von Wohnungen aber schon allein beim Verdacht der Werbung für eine terroristische Vereinigung gegeben sein soll, macht mich besorgt und legt mir die Befürchtung nahe, es könne da Mißbrauch getrieben werden, es könne etwa schon das kindische Flugblatt irgendeiner Spontigruppe massenhafte Durchsuchungen von Studentenheimen und Studentenwohngemeinschaften ermöglichen.Es ist nicht strittig, daß Massenkontrollen bei schwersten Straftaten, nach einer Entführung, einer Geiselnahme oder einem Mord möglich sein müssen. Nach diesem Gesetz sind sie aber schon allein beim Verdacht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und zur Sicherstellung von Beweismitteln möglich. Nehmen Sie es mir nicht übel, ich habe da Bedenken. Hier ist der Mißbrauch möglich, daß etwa eine Landesregierung eine ihr unerwünschte Demonstration durch solche Kontrollstellen unmöglich macht.Es ist doch nicht strittig, daß sich verdächtige Bürger identifizieren lassen müssen. Bei Unverdächtigen frage ich mich hingegen: Was hat das überhaupt mit Terrorismus zu tun, was hier beschlossenDeutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonh, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5715Conradiwird? Es gilt ja nicht für schwerste Straftaten — dagegen hätte ich nichts —, sondern es gilt für a 11 e Straftaten. Bei jedem Verdacht auf eine Straftat muß sich ein unverdächtiger Bürger zur Aufklärung identifizieren und möglichenfalls 12 Stunden festhalten lassen. Ich sehe auch dort Mißbrauchsmöglichkeiten. Ich habe wirklich Sorge, daß wir bei der Tendenz, die ich bei einigen von Ihnen sehe und höre, den Streik zu kriminalisieren, damit rechnen können, daß einmal bei einem Gerangel am Streiktor, bei den Streikposten unverdächtige Streikende zur Feststellung ihrer Personalien festgesetzt werden. Ich will nicht, daß dies geschieht.
Schließlich meine ich, daß die erweiterte Ausschlußmöglichkeit von Strafverteidigern ohne überzeugende Begründung eine Mißbrauchsmöglichkeit eröffnet, mißliebige Strafverteidiger unter Ausschlußdrohungen zu stellen. Tatsachen für einen Verdacht, der Verteidiger mißbrauche sein Amt, sind schnell zu finden. Es könnte sein, daß diese Vorschrift die Verteidigung eines terroristischen Täters auch für einen ehrenhaften, auch für einen korrekten Anwalt zu einem kaum mehr tragbaren beruflichen Risiko macht.Ich habe Ihnen einige Bedenken, über die wir diskutiert haben, hier dargestellt. In vielen Punkten haben wir Modifikationen erreichen können. Ich sehe aber auch die Bedenkenlosigkeit, mit der einige von Ihnen hier rechtsstaatlichen Positionen zu Leibe rücken wollten. Nehmen wir etwa die Forderung von Herrn Strauß, rückwirkend die Sicherungsverwahrung einzuführen. Er hat am 24. Januar wörtlich gesagt: „Für diese Fälle ... allein die im Jahre 1977 entlassenen 20 Terroristen ...". Wenn ich diese Bedenkenlosigkeit sehe, dann weiß ich, was wir an Abbau rechtsstaatlicher Positionen zu befürchten hätten — und bis 1984 sind es weniger als sechs Jahre —, hätten Sie hier die Mehrheit.Hier — und nur hier — liegt der Grund meiner Zustimmung zu diesem Gesetz.
Die Ankündigung, ein Scheitern dieses Gesetzes würde die Regierungsfähigkeit dieser Koalition gefährden, nehme ich sehr ernst. Für mich wie für einige andere wird damit die Abstimmung über dieses Gesetz, ein Gesetz, das wir nicht gewollt haben,
tatsächlich zur Abstimmung über diese Koalition, die wir wollen, nicht zuletzt um der Erhaltung des Rechtsstaates willen.
Die Zustimmung zu diesem Gesetz wird mir leichter, wenn die Bundesregierung sorgfältig darauf achtet, daß nicht der Eindruck entsteht, es würdenetwa bei der Fahndung nach Terroristen Grundrechte verletzt.
Ich weiß und will hier deutlich machen, daß die übergroße Mehrheit der Polizeibeamten, der Kriminalbeamten, der Grenzschutzbeamten gesetzlich korrekt handelt. Selbst wenn da bei einer Fahndung während der akuten Phase der SchleyerEntführung ein Fehlgriff vorgekommen ist, ist dies verständlich und auch entschuldbar.Aber mich bedrückt der Verdacht auf Rechtsverletzungen, etwa, wenn das Bundeskriminalamt versucht, in der Vormundschaftssache eines Kindes eines Terroristen in Stuttgart Einfluß zu nehmen. Der Vater sitzt wegen Verdachts einer terroristischen Straftat ein, die Mutter ist flüchtig. Das Bundeskriminalamt versucht, auf die Vormundschaftssache einzuwirken. Ich meine, dies sind so schwerwiegende Dinge, daß sie nicht wochenlang unwidersprochen stehenbleiben dürften. Die Bundesregierung muß jedem Verdacht einer Rechtsverletzung rasch und unnachsichtig nachgehen — nicht so, wie im Fall Traube, wo der Journalist, der diese Verfassungsverletzung aufgedeckt hat, von der Bundesanwaltschaft der „verfassungsfeindlichen Sabotage" beschuldigt und deshalb festgenommen wurde. Dies kann nicht der richtige Weg sein. Vielmehr muß jedem Bürger, jedem Beamten klar sein: Die Bundesregierung nimmt das Grundgesetz, die Grundrechte jedes einzelnen Bürgers auch bei der Fahndung nach den Terroristen, bei der Bekämpfung der Terroristen bitter ernst.
Ich möchte zum Schluß die Bundesregierung ermutigen, die Fragen der inneren Sicherheit nicht allein der Justiz und Polizei zu überlassen. Das Gesetz, dessen Beschluß hier ansteht, greift immer erst nach Straftaten. Fahndung, Kontrolle, Durchsuchung, Trennscheiben, Anwaltsausschluß sind immer Maßnahmen nach einer Straftat, die allenfalls die Wiederholung einer Straftat verhindern können. Wir sollten uns alle und auch die Offentlichkeit nicht darüber täuschen, daß dies nicht sehr viel mehr an innerer Sicherheit bringt, sondern daß andere Maßnahmen dazugehören, die den Terroristen v o r der Tat das Handwerk erschweren, z. B. im Bereich Kraftfahrzeugkennzeichen, Ausweise, Bankensicherung.Der entscheidende Punkt liegt doch in dem Bereich, der hier so oft angesprochen worden ist, der geistigen Auseinandersetzung. Sie haben doch eine gute Fachkonferenz über dieses Thema, über die Ursachen des Terrorismus gehabt. Sie haben — das ist mein Eindruck — aus der Fachkonferenz leider nicht sehr viel gelernt. Einige von Ihnen führen die Auseinandersetzung so, als sei der Kampf gegen den Terrorismus ein Kampf gegen die Koalition, als könne der Terrorismus nur besiegt werden, wenn die Koalition besiegt wird. Insofern ist die Aufschrift, Ihre Gesetzentwürfe sollten dem inneren Frieden dienen, nicht kongruent mit dem, was Sie draußen im Lande zu diesem Thema sagen.
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5716 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
ConradiNein, ich meine mit der Frage nach der geistigenAuseinandersetzung das Problem, daß doch nicht einige Dutzend Terroristen die Demokratie gefährden, sondern daß die viel schlimmere Gefahr für die Demokratie, für diesen Staat darin liegt, daß viele, zu viele kritische junge Menschen in Resignation verfallen, Ohnmachtsgefühle, Mißtrauen, Distanz gegenüber diesem Staat haben. Darauf geben wir die Antwort ganz sicher nicht mit der Polizei und der Justiz. Im Gegenteil: Dieses Gesetz — und erst recht jeder Mißbrauch dieses Gesetzes — kann mehr Distanz, kann weniger Vertrauen bewirken.Ich weiß nicht, ob auch andere hier im Saal gestern abend die Diskussion mit zwei ehemaligen Terroristen gesehen haben, diese sehr ernsthafte Auseinandersetzung von Mahler und Bäcker mit ihrer Vergangenheit. Ich meine, was die beiden dort gezeigt haben, kann viele junge Menschen, die einmal auf diesem Weg waren oder vielleicht noch sind, davon abbringen, diesen Weg weiterzugehen. Unsere Antwort auf die Gefährdung der Demokratie durch die Resignation junger Menschen kann nur in einer breit angelegten Politik liegen, von der Schulpolitik bis zur Berufsbildung, von der Jugendhilfe bis zur Arbeitsmarktpolitik, um, wie Max Frisch gesagt hat, „Politik wieder herzustellen als Entwurf eines Zusammenlebens der Menschen".Viele junge Menschen in diesem Lande fühlen sich einem „kalten Krieg" ausgesetzt. Wir sollten eine „Entspannungspolitik nach innen" machen, in der wir Offenheit, Gelassenheit, Ehrlichkeit zeigen. Weil ich die Hoffnung habe, daß diese Bundesregierung zu einer solchen Politik fähig ist, stimme ich diesem Gesetz trotz schwerer Bedenken zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwencke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe das Wort für eine kurze persönliche Erklärung erbeten.Ich werde dem heute behandelten „Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung", dem sogenannten Antiterrorgesetzpaket, zustimmen — gegen mein Gewissen.
Nicht meine Fraktion, nicht der SPD-Vorsitzende, der Bundeskanzler oder Fraktionsvorsitzende haben mich zu dieser Entscheidung gedrängt.
Das war auch nicht möglich. Weitere Einschränkungen von Grundrechten vorzunehmen kann, wenn überhaupt, nur der einzelne Abgeordnete verantworten. Kein Kollektivum kann ihm diese Verantwortung abnehmen.Einziger Grund für meine Zustimmung sind Sie, meine Damen und Herren in der CDU/CSU-Fraktion.
Ich werde, der Einsicht ins politisch Notwendige folgend, nämlich um Schlimmeres zu verhindern, zustimmen.
Auf dieses Schlimmere haben Sie mit Ihren Gesetzesinitiativen einen fatalen Vorgeschmack gegeben. Ich will den Rechtsstaat, den sozialen Rechtsstaat und nicht den Polizeistaat. Aber die Gefahr ist nicht auszuschließen, daß der Polizeistaat vor der Tür steht, wenn auch nur ein Bruchteil der Gesetzentwürfe, die Sie uns vorgelegt haben, geltendes Recht werden würde. Um diesen Schaden, der unserer Republik droht, abzuwenden, werde ich diesem Gesetzespaket zustimmen.Vieles, allzu vieles, ist in diesen Tagen über das Gewissen gesagt worden. Die Gewissensfrage zu stellen, ist für mich der Versuch, christliche Verantwortung wahrzunehmen. Das stellt sich mir als das Dilemma dar: dem eigenen Gewissensentscheid eine „höhere" Einsicht für politisch aktuell Notwendiges überordnen zu müssen. Ob dem eine neue Gewissenqualität zukommt, wage ich auch theologisch nicht zu entscheiden; politisch wird es so sein.Solches Abwägen mag das Geschäft des Politikers sein — ein alltägliches ist es nicht und darf es nicht werden. Meinem Wunsche, daß der Bundestag die vorgelegten Gesetzesänderungen der Koalition nicht verabschieden möchte, muß ein übergeordneter Gesichtspunkt entgegenstehen: diese Gesetze zwar nicht zu wünschen, aber andererseits nicht zu wollen, nicht wollen zu dürfen, daß sie scheitern — im Blick auf die nicht nur möglichen, sondern wahrscheinlichen Folgen.Indem meine Freunde und ich so handeln, tragen wir dazu bei — meinen wir —, daß Schaden von unserem Volke abgehalten wird. Welchen Schaden? — Den Schaden, den die Deminuierung des freiheitlichrechtsstaatlichen Bestands unserer Republik darstellt.Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, würden, wenn unsere Gesetze scheiterten, mit Ihren Gesetzentwürfen soviel Schaden über unser Volk bringen, einen Schaden, der mit Sicherheit in der Verstümmelung unserer parlamentarischen Demokratie liegen würde.
Sie haben dies mit der brunnenvergiftenden Wahlkampfparole „Freiheit oder Sozialismus" begonnen und dabei häufig die „Solidarität der Demokraten" beschworen, aber doch wohl nicht gemeint. Damit haben sie sich • — ungewollt — zu Sympathisanten derer gemacht, die wir doch gemeinsam bekämpfen wollen.
Ihre „Freiheit" ist nicht unsere, und Sie hätten diese reduzierte Freiheit durch Ihre Gesetze allen Bürgern und Bürgerinnen dieses Landes zugeordnet.
Und das ist ein Theologe!)
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5717
Dr. Schwencke
Hieße das nicht, sich zum Wegbereiter von politischen Bewegungen zu machen, die Sie nicht wollen in Ihrer Mehrheit, die aber ante portas stehen? Würde die wachsende Angst, die in diesem Lande viele Väter hat, die innere Sicherheit dieses Staates letztlich nicht mehr gefährden als die Terroristen?Ich ziehe nicht — das ist im strengen Sinne nicht logisch — die Konsequenz, indem ich mein Bundestagsmandat zurückgebe.
Ich will es noch intensiver als bisher nutzen,
mit Leidenschaft, Verantwortung und auch mit dem Versuch von Augenmaß.
Denn die terroristischen Verbrecher zu bekämpfen, darf nicht auf Kosten der Liberalität aller Bürger gehen. Der beste Schutz der Republik ist nicht weniger, sondern mehr Liberalität.Im Blick auf das, was Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, diesem Lande mit Ihrem Strafverschärfungspaket zumuten, stimme ich dem vorliegenden Gesetzespaket zu.
Unsere demokratische Tradition, die wir gemeinsam haben und die den Namen „Grundgesetz" trägt, gilt es zu schützen.Unsere politische Arbeit, dieses Grundgesetz zur gesellschaftlichen Wirklichkeit zu machen, ist „eine schwere, kühne und langwierige Arbeit. Sie ist Kampf gegen die Hysterie, die einspurt auf Kristallnacht-Mentalität. Sie ist Kampf für mehr Demokratie."Mit diesen Worten, meine Damen und Herren, hat Max Frisch vor dem Hamburger Parteitag der SPD im November 1977 das gesagt, was auch ich in diesem Augenblick empfinde. Lassen Sie mich damit meine persönliche Erklärung abschließen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese heutige Debatte um die sogenannten Terrorismusvorlagen ist der vorläufige Höhepunkt — so dachten zumindest viele — in einem Ringen um die Verteidigung unserer rechtsstaatlichen Ordnung. — Es ist schon bemerkenswert, daß das deutsche Parlament überdiese — wie jeder hier spürt — uns alle bewegende und tief anrührende Frage debattiert und über weite Teile dieser Debatte der amtierende Bundeskanzler von dieser Debatte überhaupt keine Kenntnis nimmt.
Daß er jetzt bei der Schlußabstimmung statt auf der Regierungsbank inmitten seiner Fraktion Platz genommen hat, verstehe ich nach den Ergebnissen der letzten Tage.
Herr Bundeskanzler, wie können Sie — dies ist eine Frage, die ich Ihnen zuerst stellen muß — ein solches Verhalten unseren Mitbürgern erklären, die doch gerade von dieser Debatte Aufschluß über Meinung und Denken der führenden politischen Kräfte unserer Bundesrepublik erwarten? Wie können eigentlich der demokratische Staat und seine Repräsentanten — etwa der Bundeskanzler — Kraft und Autorität des Amtes in Anspruch nehmen, wenn der Bundeskanzler — und das ist mehr als eine Stilfrage — sich hier in dieser Form demonstrativ verhält? Es kann sein, Herr Bundeskanzler, daß Sie an dieser Debatte nicht teilgenommen haben, weil Sie sich vielleicht schämen, die Vorlage öffentlich mit zu vertreten, die hier zur Abstimmung ansteht.
Nach all dem, was wir — damit sind wir nicht indiskret — über Ihr Denken wissen, können wir uns vorstellen, wie Sie nach den Redeauftritten, die wir gerade erlebt haben, innerlich reagieren.Am 13. April 1977, in jenen bewegenden Stunden beim Staatsakt für den ermordeten Generalbundesanwalt Siegfried Buback in Karlsruhe sagten Sie wörtlich:Nach dem Stockholmer Attentat habe ich dem Bundestag gesagt — und ich möchte das wiederholen —: Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, der muß innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was vom Rechtsstaat erlaubt und geboten ist. . . . Folglich kann für die Bekämpfung von Terroristen nur der Grundgedanke der Sicherung bestimmend sein. Und das heißt: Wir müssen sie hinter Schloß und Riegel bringen.Herr Bundeskanzler, glaube Sie und die Mitglieder Ihres Kabinetts, die eben abgestimmt haben und gleich anschließend wieder abstimmen werden, im Ernst, daß dieses Zitat, gesprochen am Sarge Siegfried Bubacks und seiner Begleiter, mit Ihrem Verhalten, das wir soeben hier erlebt haben, zu messen ist? Ich glaube dies nicht.
Wer diese Debatte erlebt hat und wer die Protokolle einmal nachliest — in Worten wird vieles noch deutlicher werden —, wird mir sicher zustimmen, daß diese Debatte auch ein vorläufiger Höhepunkt jenes seit Monaten laufenden Versuchs der sozialdemokratischen Parteiführung ist, die öffentliche Debatte in der Bundesrepublik zum Thema der
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5718 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. KohlVerteidigung des freiheitlichen Rechtsstaates oder der Verteidigung gegen die Angriffe des Terrorismus in eine Debatte in der Form umzufunktionieren, daß jene, die auch — wie Sie — den Rechtsstaat verteidigen wollen, auf die Anklagebank gedrängt werden. Derjenige, der sich ohne jede Einschränkung zum Rechtsstaat bekennt, soll nach Ihrem Konzept schuld sein. Sie reden aber kaum von denen, die uns diese Heimsuchung in den letzten Jahren gebracht haben.
Sie reden nicht — ein besonderes Beispiel intellektueller Unredlichkeit haben wir in den Ausführungen des Abgeordneten Lattmann gerade erlebt — von den wirklichen geistigen Ursachen, und Sie stellen sich ja auch nicht der Diskussion an den deutschen Universitäten, weil Sie das Werk, das Sie mit heraufbeschworen haben, jetzt aus der Nähe gar nicht mehr anschauen können.
Wer diese Debatte und Ihre flankierende Verleumdungsaktion draußen im Lande verfolgt hat, der weiß, daß Sie erreichen wollen, daß unsere Mitbürger das Bild gewinnen: Es geht doch gar nicht um den Terrorismus, sondern hier sind finstere Kräfte am Werk, die diesen Rechtsstaat umbringen wollen.Ich habe mir einige dieser Zitate aufgeschrieben. Sprache ist verdächtig. Herr Lattmann, vor allem Siesollten das wissen. Sie gebrauchen hier wieder das Wort von An-den-Pranger-Stellen. Sie sagen „prahlerisch von Freiheit reden" . Glauben Sie denn im Ernst, daß im Zusammenhang mit Fragen des Terrorismus das Wort „prahlerisch" das richtige Wort ist, wo wir doch alle verspüren, welches Gewicht diese Entscheidung auch angesichts der Toten, angesichts ihrer Angehörigen und angesichts auch der Notwendigkeit, freiheitliche Ordnung garantieren zu können, für uns alle verbindlich besitzt?
Was ist das für ein für freiheitliche Demokratie tödlicher Geist, der da durchs Land zieht und verleumdet und verteufelt, der davon schwätzt, in diesem Lande gehe der Gedanke um, daß alle zu bewachen sind, daß die Zukunft in diesem Lande — ich zitiere wörtlich Herrn Lattmann — der Angst gehört und nicht der Hoffnung? Herr Lattmann, wenn dies Ihre Meinung ist, kann ich nur sagen: In welcher Bundesrepublik Deutschland leben Sie überhaupt?
Aus Ihren Worten und den Worten Ihrer Freunde spricht doch in der Tat dieser Haß, der in Ihrem Lager gezüchtet wird. Was ist das für eine Sprache im Deutschen Bundestag, wenn hier einer formuliert: Es gibt eine typographische Nähe zur CDU/CSU! Das ist das Freund-Feind-Verhältnis, das die Weimarer Republik zerstört hat.
Und Sie sind dabei, diese Republik wieder zu zerstören, wenn Sie so fortfahren.
Da kommt ein anderer. Ich will seinen Namen gar nicht nennen. Aber hier muß ich die Weitsicht der personalpolitischen Einsicht des Herrn Bundeskanzlers im Blick auf die denkbare Berufung als Parlamentarischer Staatssekretär bewundern. Da war eben ein Redner, der sagte, es werde rücksichtslos aus dem Lager der CDU/CSU rechtsstaatlichen Positionen zu Leibe gerückt, und die Koalition müsse bleiben, weil — überlegen Sie, was das heißt! — die Koalition zur Erhaltung des Rechtsstaates notwendig sei.
Und Sie haben dafür Beifall bekommen. Wenn dies die Meinung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ist, tut sich hier ein Graben auf, der sich für lange Zeit nicht mehr schließt. Denn dies zeigt doch, daß Sie eine andere Vorstellung von Republik haben als diese Bundesrepublik Deutschland.
Und das müssen wir uns von Leuten sagen lassen, die Lauschangriffe
in private Bereiche von Mitbürgern in einer Zahl geführt haben, wie sie in der Zeit der Geltung des Grundgesetzes noch niemals vorgekommen waren.
Das müssen wir uns von Leuten sagen lassen, die hier von Demokratie — man kann es nicht anders formulieren — schwätzen — und in Nordrhein-Westfalen sind es Ihre politischen Freunde, die ein unerwünschtes Volksbegehren mit den billigsten Methoden abqualifizieren und sperren wollen.
Herr Brandt, Sie sagten: Wir wollen mehr Demokratie wagen. Hier steht die Elternschaft eines Landes gegen eine unsinnige Schulpolitik auf,
und dann geben Sie für 400 000, 500 000 stimmberechtigte Einwohnern acht oder neun Abstimmungsstellen. Wenn das keine Manipulation ist, dann weiß ich überhaupt nicht, was Manipulation ist.
Angesichts solcher Vorkommnisse reden Sie von Demokratie, von Angriffen auf Demokratie! Verehrter Herr Conradi, Demokratie ist für Sie das, was der Sozialdemokratischen Partei dient und sonst gar nichts.
Einen Mann, der hierher kommt und erklärt, -junge Menschen seien in der Bundesrepublik dem Kalten Krieg ausgesetzt, den kann ich nur fragen: Wo leben denn diese jungen Menschen, die dem Kalten Krieg ausgesetzt sind?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5719
Dr. Kohl— Herr Abgeordneter aus Mainz, ich möchte Ihnen auf Grund unserer gemeinsamen Wegstrecke raten, dazu keinen Zwischenruf zu machen.
Zuletzt haben wir von einem dritten Redner aus dem Lager der SPD eine erstaunliche theologische Umformulierung des Gewissensbegriffes erlebt. Ich hätte Ihnen nicht übel genommen, wenn Sie ans Pult gegangen wären und gesagt hätten: Ich war bei Willy Brandt eingeladen — das ist sein Geschäft als Parteivorsitzender, das ist in Ordnung —, der mir die Gefahren für die Koalition vor Augen gestellt hat, und zähneknirschend stimme ich zu. Das wäre die Begründung eines Mannes gewesen. Aber hören Sie mit diesem läppischen Geschwätz von Gewissen auf, wenn Sie gleichzeitig sagen: Es geht um den Machterhalt der Koalition! Wenn es eine Gewissensentscheidung ist, müssen Sie die Konsequenzen entsprechend ziehen.
Aber das ist jene intellektuell-moralische Hoffart, die Sie seit Jahren durchs Land ziehen läßt und die zu so makabren Formulierungen führt: Ihre Freiheit ist nicht unsere. Ich antworte Ihnen gern darauf: Ihre Republik ist nicht unsere, und darüber werden wir uns auseinandersetzen.
Wer so wie Sie den politisch Andersdenkenden in seiner moralischen Grundlage angreift, der muß die Antwort bekommen, die er allein versteht.
— Herr Kollege Ehmke, wenn wir beide uns über die „National-Zeitung" unterhalten, läßt sich unser beider Lebensweg in diesem Zusammenhang sehr wohl miteinander vergleichen.
Bringen Sie mich bitte nicht in die Lage, über Geschichte der NS-Zeit mit Ihnen debattieren zu müssen.
Ich werfe niemandem einen politischen Fehler, einen Irrweg oder einen Irrtum in jungen Lebensjahren vor. Ich bin dafür, daß das Recht auf politischen Irrtum für jedermann gilt - ich sage bewußt: für jedermann auch für jedermann im Deutschen Bundestag. Aber Herr Ehmke, es ist unerträglich, daß von Ihrer Seite derartige Töne des Rechtsradikalismus immer wieder hereingetragen werden.Soeben hat einer Ihrer Redner im Hinblick auf ein Zitat eines bekannten deutschen Richters auch wieder so eine spezielle Formulierung hier eingeführt. Damit dies klar ist: Auch wenn es sich um den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts handelt, so muß er sich selbst fragen — ich beziehe mich auf das Zitat —, wie er mit diesem Zitat leben kann. Ich gehe davon aus, daß die Bundesrepublik Deutschland von allen ihren Bürgern in allen demokratischen Lagern aufgebaut wurde, und ich billige jenen, die früher bei der NSDAP waren und beim Wiederaufbau mitgeholfen haben, einen beachtlichen Respekt zu, wenn sie dazugelernt haben, wenn sie bereit waren umzulernen. Es hat niemand das Recht, in diesem Zusammenhang die Liberalität der Bundesrepublik in Frage zu stellen. Und kommen Sie von der SPD dann bitte nicht und jammern über Stimmen im Ausland, über „faschistoide Grundlagen der Bundesrepublik", wenn Sie im Deutschen Bundestag in dieser Form zu diesem Thema diskutieren.
Herr Abgeordneter Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Ehmke.
Herr Kollege Kohl, würden Sie so gut sein, sich gelegentlich davon zu überzeugen, daß Sie bei der Unterstellung, die Sie hier eben mir gegenüber zum Ausdruck gebracht haben, selbst ein Opfer der Rechtspresse sind? Und zweitens, würden Sie zur Kenntnis nehmen, Herr Kollege Kohl, daß sich meine Bemerkung „National-Zeitung" darauf bezog, daß Sie hier eben die schlimme Behauptung aufgestellt haben, unsere Republik sei nicht Ihre Republik? Dies ist allerdings eine Sentenz, die ich in diesem Hause noch nicht gehört, wohl aber in der „National-Zeitung" gelesen habe.
Herr Abgeordneter Ehmke, ich habe auf zwei Zitate geantwortet, die ich wiederhole. Ich hätte es begrüßt, wenn Sie im Rahmen Ihrer Zwischenfrage diesen Hintergrund noch einmal herausgestellt hätten. Ich habe zu zwei Rednern Ihrer Fraktion gesagt, daß es unerträglich ist, die Behauptung aufzustellen, junge Menschen in der Bundesrepublik seien dem Kalten Krieg ausgesetzt, und zu einem anderen, daß Ihre Freiheit nicht unsere ist. „Ihre", das ist CDU/CSU. Wollen Sie mir widersprechen, daß diese Unterstellung und Thèse eine völlig andere Auffassung vom inneren Gehalt unserer Republik beinhaltet? Wären Sie bereit, mir deutlich zu machen, was dann an meiner Entgegnung falsch ist?
Herr Abgeordneter Kohl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel? — Herr Abgeordneter Gansel, bitte.
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5720 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Herr Kollege Kohl — ich sage ausdrücklich: Herr Kollege Kohl —, wären Sie bereit, bei allen Meinungsunterschieden, die wir haben, Ihren Satz: „Ihre Republik ist nicht unsere Republik" zu korrigieren, wenn der Abgeordnete Schwencke hier klarstellt, daß das, was er gemeint hat, war: Ihr Verständnis von Freiheit ist nicht unser Verständnis von Freiheit?
Herr Abgeordneter, wir brauchen hier keine Emissäre, um Verständigungsverhandlungen einzuleiten. Wenn der Sprecher Ihrer Fraktion, der hier auftrat, und Ihr Fraktionsvorsitzender das, was dazu zu sagen ist, klarstellt, bin ich der allerletzte, der nicht sofort in dem gleichen Moment hier ans Pult tritt und das Notwendige auch von meiner Seite sagt.
Das Hauptthema, das uns heute hier bewegt, die Terrorismusgesetzgebung, ist ein Thema, das nicht losgelöst von den Schicksalen der unmittelbar betroffenen Menschen gesehen werden kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, danke schön. Ich möchte mich jetzt dem Thema zuwenden. — Während der Entführung Hanns Martin Schleyers hat sich sein Sohn an das Bundesverfassungsgericht mit dem Ersuchen gewandt, eine gerichtliche Anordnung zu erlassen, daß den Forderungen der Entführer nachgegeben wird. Das Bundesverfassungsgericht hat seinerzeit diesen Antrag zurückgewiesen. Es ist kein Geheimnis, daß die allermeisten von uns diese Entscheidung nicht nur innerlich getragen und unterstützt haben. In seinem Urteil stellte das höchste deutsche Gericht damals fest, das Grundgesetz begründe eine Schutzpflicht nicht nur gegenüber dem einzelnen, sondern auch gegenüber der Gesamtheit aller Bürger. Der Staat sei verpflichtet, jedes Leben zu schützen, d. h. es vor allem auch vor rechtswidrigen Angriffen anderer zu bewahren. Da das menschliche Leben einen Höchstwert darstelle, müsse diese Schutzpflicht besonders ernst genommen werden.Meine Damen und Herren und vor allem verehrter Herr Bundeskanzler, gemessen am Ernst dieser Feststellung unseres höchsten deutschen Gerichtes mutet es meine Freunde und mich wie Hohn an, wenn bei Beratung des Minimalkatalogs der Bundesregierung zur Beruhigung der linken Gruppe Ihrer eigenen Partei darum gefeilscht wurde, ob künftig Wohnungen in einem Gebäude oder auch ein ganzer Gebäudekomplex durchsucht werden dürfen. Herr Bundeskanzler, ich frage Sie, was Sie wohl in jener Nacht gesagt hätten, als wir beisammen saßen, als es darum ging, auf Grund bestimmter Ermittlungen der Polizei das sogenannte Uni-Center in Köln zu durchsuchen. Sie hätten es angesichts der Bedrohung, in der wir alle unmittelbar standen und die wir empfanden, mit dem Ihnen eigenen Temperament sicherlich in kräftigster Form weit von sichgewiesen, darüber zu reden, ob Wohnungen in einem Gebäude oder ein ganzer Gebäudekomplex künftig durchsucht werden dürfen.
Herr Bundeskanzler, wir haben in dem Vertrauen darauf, daß wir bei allem Streit im Detail doch letztendlich zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen, diese Verantwortung gemeinsam getragen. Wir — und vor allem auch Sie — wissen, wie erfolgreich sich skrupellose Terroristen zu tarnen verstehen. Weil dies so ist, wissen wir, daß eine Regelung — gerade wegen ihrer scheinbaren Liberalität — nichts anderes ist als eine ineffiziente, obrigkeitsstaatliche Belästigung. Maßnahmen dieser Art — Sie wissen das genau — sind kein Beitrag zum Schutze des Lebens als verfassungsrechtlichem Höchstwert. Maßnahmen dieser Art verschaffen dem Staat nicht die Legitimation, seinen Bürgern in einer extremen Situation unserer Republik Opfer an Leib und Leben zuzumuten. Alle Bürger unseres Landes wissen um diese Problematik. Wir wissen aus jüngsten Befragungen, daß eine riesige Mehrheit unserer Mitbürger, rechtsstaatlich gesinnte Demokraten, durchaus bereit ist, politische Entscheidungen dieser Art mitzutragen.Aber, meine Damen und Herren, es geht ja leider gar nicht mehr darum. Denn daß alle Vorlagen auf dem Boden des Rechtsstaats erwachsen sind — ob von FDP, SPD oder CDU/CSU vorgelegt — steht außer Frage. Es gibt keinen geringeren Zeugen als den Herrn Bundespräsidenten, der das sehr demonstrativ und — aus gutem Grunde — mehrmals öffentlich bekundet hat. 120 Tage nach dem Tod von Hanns Martin Schleyer müssen wir doch fragen: Hat die Erfahrung, die wir in diesen letzten Jahren sammeln mußten, wirklich ihren Niederschlag in den heute hier zur Abstimmung stehenden Vorlagen gefunden? Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht im Ernst glauben, daß irgendein Brüger unseres Landes, der sich mit diesem Thema beschäftigt, Ihnen das abnimmt.Wer die Reden der drei Kollegen von der SPD gerade gehört hat, weiß doch, wie es in Wahrheit ist. Hier geht es doch nicht um die umstrittene Liberalität, daß in einer Fraktion auch kontrovers abgestimmt werden kann. Das Grundgesetz kennt — aus gutem geschichtlichen Grund — ganz klar die Freiheit des Abgeordneten bei seiner Gewissensentscheidung. Hier aber geht es doch um den Machterhalt. Ich habe allen Respekt vor jedem, der mit guten Gründen begründet, warum er einen anderen Weg gehen muß. Wir alle haben in unserer Parteigeschichte solche Fälle gekannt, Fälle, die einzelne Persönlichkeiten zutiefst berührt und aufgerüttelt haben. Das aber ist gar nicht unsere Frage. Es geht doch darum, daß Sie aus Gründen des nackten Machterhalts — das gilt vor allem für Sie ganz persönlich, Herr Bundeskanzler — jetzt nicht das Richtige tun, weil Sie nicht den Mut gefunden haben, mit allen Demokraten in diesem Lande rechtzeitig ein offenes, verbindliches Gespräch zu führen, um zur Gemeinsamkeit zu kommen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5721
Dr. KohlWir verlangten in der Vergangenheit Opfer von Mitbürgern. Ich befürchte, wir müssen das in Zukunft wieder verlangen. Ist diese Vorlage, die Sie jetzt mit einer Minimehrheit beschließen werden, darauf die würdige, die glaubwürdige, die überzeugende Antwort? Ich glaube dies nicht. Ist sie eine Antwort auf die moralische Anfrage, die der Sohn von Hanns Martin Schleyer am heutigen Tage in der „Bild"-Zeitung in einem dramatischen Aufruf gestellt hat? Er schreibt dort:Dieser Staat hat für die Freiheit aller Bürger Menschenleben geopfert. Mit Erbitterung und Empörung muß ich nunmehr feststellen, daß diese Opfer sinnlos zu werden drohen. Wenn schon Menschen für die Allgemeinheit sterben mußten, dann müssen auch notwendige Einschränkungen persönlicher Freiheiten geduldet werden, die im Interesse der Sicherheit aller Bürger erforderlich sind.Er schreibt zum Schluß:Der Bundeskanzler ist nunmehr in die Pflicht genommen.Wir haben dieses Angebot der Zusammenarbeit immer wieder gemacht. Sie haben es aus taktischen Erwägungen zurückgestoßen. Sie wußten wohl, daß es hier weit über die Frage des Zusammenhalts der Koalition hinaus um eine Frage der moralischen Statur, der Autorität, der Verteidigungskraft des freiheitlichen Rechtsstaats der Bundesrepublik Deutschland ging und geht. Sie haben dennoch den kleinmütigen, den bescheidenen Weg gewählt, nämlich den Weg, sich mit einer winzig knappen Mehrheit und mit dem Schaudern im Rücken, ob es diesmal noch einmal langt und ob der Rotstift Herbert Wehners es noch einmal geschafft hat, über die Runden zu bringen. Dazu kann Ihnen niemand Glück wünschen. Dies ist keine glückliche Stunde der Bundesregierung, dies ist keine glückliche Stunde des Bundeskanzlers, und die ist ganz gewiß — und das ist das Wichtigere — keine glückliche Stunde für die Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwencke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte folgende persönliche Erklärung abgeben. Mir ging es in meiner Rede darum, deutlich zu machen, daß Ihr Verständnis von Freiheit sich von unserem Freiheitsverständnis unterscheidet.
Wir haben sicher einen unterschiedlichen Freiheitsbegriff.
Ihren sehe ich — wie ich meiner Rede ausgeführt — in dem Scheingegensatz von „Freiheit statt Sozialismus", meiner ist gerade der von Rosa Luxemburg: „Freiheit"
— ein Zitat, meine Damen und Herren! — „ist immer die Freiheit des anderen."
Ich bedauere, mich offenbar mißverständlich ausgedrückt zu haben. Es wäre gut, wenn Sie, Herr Kohl, als Mißverständnis eingestehen würden, daß das ebenso auf Ihr Zitat zutrifft: „Ihre Republik ist nicht unsere Republik".
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei aller Härte dieser Debatte und der Schärfe der Gegensätze wollen meine Freunde und vor allem auch ich selbst zu keiner Minute vergessen, was der Gegenstand dieser Debatte ist. Uns trennt ganz gewiß vieles von dem Kollegen, der vor mir sprach. Ich habe seine Erklärung gehört. Ich akzeptiere sie und sage selbstverständlich in diesem Sinne, daß ich meine Bemerkung „Unsere Republik ist offensichtlich nicht Ihre Republik" so interpretiere, daß ich bei allen Gegensätzen davon ausgehe, daß wir gemeinsam den freiheitlichen Rechtsstaat wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir nicht leicht, nach dieser eigentümlichen Debatte, die keine Debatte war,
das Wort zu nehmen. Eben hat der Oppositionsführer das, was in seiner Rede besonders schlimm geklungen hat, modifiziert. Das ist wohl ein Ausdruck dafür, daß das, was er mit dem Satz gesagt hat: „Ihre Republik ist nicht unsere", auch bei Ihnen nicht festgegossen werden kann. Denn sonst gibt es, Herr Kohl, keine Republik; sonst gibt es keine Republik.
— Hören Sie mal, ich streite heute mit Ihnen nicht. Sie sind nicht in einer Verfassung, in der es Ihnen ansteht, mir hier jetzt zu sagen, was ich heute denken sollte.
Sie haben hier z. B. gesagt, Herr Kohl, das, was hier gesagt worden sei, müßten Sie sich von Leuten sagen lassen, die Lauschangriffe in einer Zahl zu verantworten haben, wie sie noch nie in der Zeit der Bundesrepublik Deutschland gewesen seien.
Warten Sie mal bitte ab, Herr Kohl!
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5722 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Wehner— Nein, nein. Es kann ja sein; denn die Bundesrepublik ist ja nun schon einige Jahrzehnte alt.
Ich gehöre nicht zu denen, die die Bundesrepublik ruinieren wollen. Ich hoffe, Sie machen noch halt, Herr Kohl, ehe Sie unwissentlich vieles dazu tun, daß sie ruiniert wird.
— Meine Herren, solche Werturteile, wie Sie sie mirentgegenschreien, machen auf mich nur den wehmütigen Eindruck, daß vieles von dem, wofür viele— und ich zusammen mit ihnen — von Anfang an eingetreten sind, umsonst gewesen ist. Das beweist Ihre Art;
das beweist auch — ich bin da selbstkritisch —manches von dem, was ich im eigenen Lager erlebe.
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes?
Nein. — Sie haben hier gesagt, Herr Kohl, wir seien dabei, wir, die Sozialdemokraten, diese Republik „wieder zu zerstören". Ich halte mich hier an ein eindeutiges Wort Kurt Schumachers, meines Lehrers: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist nach dem Zweiten Weltkrieg von der Idee ausgegangen, ein Deutschland zu schaffen, das die Wiederholung der Schrecken der Vergangenheit ausschließt. Und dabei bleiben wir.
Daß das, meine Damen und Herren, sehr schwer wird, je länger der Weg dauert und je weniger von denen noch etwas mitwirken dürfen, die das von Anfang an begriffen haben, daß wir vieles gutzumachen haben, was früher war und woran wir manches falsch gemacht haben, und daß wir das nicht wiederkommen lassen dürfen, ist mir klar; denn dumm bin ich nicht.
Sie haben, Herr Oppositionsführer, hier gesagt, aus den Worten z. B. des Herrn Lattmann spreche der Haß. Sehen Sie mal, die Worte des Herrn Lattmann sind nicht meine, und wir haben über Fragen, wie sie hier — —
— Das gibt es ja doch wohl, Sie, sehr geehrter Herr, der Sie sich da besonders darüber mokieren. Das gibt es, das leugnen wir auch gar nicht, das verbrämen wir auch gar nicht. Wir brauchen keine „Strategiekommission" — haben wir nicht, haben wir nicht.
Nur, Herr Kohl, Sie irren. Ich will Sie nicht zu Wertungen verführen.
— Da bin ich gerne bereit, Sie aufzuklären. Sie müssen nicht Namen nehmen und etwas Falsches hineinlegen. Das hat keinen Zweck, in dieser Stunde, wo soeben der Oppositionsführer mit großer Rührung davon gesprochen hat, was für eine schwere Stunde das für die Bundesrepublik Deutschland sei, solche Kinkerlitzchen zu machen.
— Ja, ich bin gerade dabei, ich bin nur ein wenig abgelenkt durch gewisse Fragen, auf die ich Antworten gebe, verehrte Herren; aber Sie machen mich doch nicht verrückt.
Ich weiß, daß ich zu denen gehöre, die weniger werden; ist auch ganz in Ordnung. Nur, solange ich kann, werde ich für das eintreten, wofür ich nach dem Zweiten Weltkrieg eingetreten bin.
Ich war dabei, Ihnen, Herr Kohl, zu sagen, Sie irren sich — sagen wir besser, Sie täuschen sich —, wenn Sie annehmen, aus den Worten Lattmanns, die ich nicht teile — das weiß er, aber er hatte hier wohl das Recht, sie auszusprechen, und ich habe auch das Recht, sie mir nicht zu eigen zu machen —, spreche Haß. Daraus spricht nicht Haß. Wissen Sie, was daraus spricht? Er wird mir das wohl — —
— Nein, nein, Furcht spricht daraus, Befürchtungen sprechen daraus,
die ich nicht teile. Und wenn wir hier ein Parlament wären, in dem diskutiert werden könnte, in dem auch Zweifel gelöst werden könnten, würden wir bald merken,
wo der Grund für solche Befürchtungen liegt, und dann könnten wir manches davon überwinden.
— Formell ja.
Herr Kohl, Sie sind nicht die Persönlichkeit, die mit Behauptungen, wie Sie sie hier uns gegenüber geschleudert haben, tiefen Eindruck machen könnte: denn es ist erst zwei Wochen her, da haben Sie von unserer Bundesrepublik als von einer „Bananenrepublik" gesprochen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5723
Wehner— Wenn Sie das jetzt für unwahr erklären, nehme ich das gerne entgegen.
aber das Protokoll — Sie werden es wohl nicht noch nachträglich haben retuschieren lassen —
zeigt es ja, und die, die dabei waren, wissen noch ganz genau, wie es wirklich war.
Aber es war wohl sehr unangenehm, und es ist Ihnen nachträglich von einigen gesagt worden, daß das sehr unangenehm und auch politisch schädlich war. Gehen Sie herunter von solchen Vorstellungen, die nicht in unsere Landschaft passen!
— Das müssen Sie mir sagen!
Ich sage die Wahrheit, und wenn ich mich irre, sage ich das auch. Aber Sie sind Leute,
die können nur andere mit Füßen treten.
— Das kriegen Sie nicht fertig!
— Mann, hampeln Sie doch nicht so herum, Sie sind doch Geschäftsführer und nicht Geschwätzführer!
Herr Abgeordneter Wehner, der Ausdruck „Geschwätzführer" ist nicht parlamentarisch.
Sie haben gesprochen von einer Debatte, wie sie hier geführt würde, und von „den sie flankierenden Verleumdungsaktionen draußen". War das parlamentarisch?
War es parlamentarisch, einer Partei von dieser Tradition vorzuwerfen, sie flankiere die hiesigen Debatten mit „Verleumdungsaktionen" und -kampagnen draußen?
Nein, nein, das ist nicht in Ordnung; bei uns ist manches nicht in Ordnung.
Und weil Sie von den Lauschangriffen und ihrer Zahl gesprochen haben: Warten Sie bitte das Ergebnis der Untersuchungsausschüsse ab! Warten wir es allseitig ab, statt vorher einmal einen Untersuchungsausschuß zu sprengen, herauszugehen und dann Behauptungen aufzustellen, ehe überhaupt geprüft worden ist. Das mag Ihre Art sein. Unsere Art ist das nicht. Wir gehen allen diesen Dingen auf den Grund.
Meine Herren, für den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung ist die Mehrheit hier bei den Abstimmungen in der zweiten Lesung unbestreitbar — knapp, aber unbestreitbar — gewesen, und die Minderheit gegen den Entwurf war es auch. CDU und CSU haben es verschmäht, der Mehrheit zu folgen. Sie wollten SPD und FDP scheitern machen.
— Ja, das weiß ich! Daß Sie das noch beklatschen, werden Sie noch einmal sehr kritisch betrachten; denn wenn es so ist, daß wir in schweren Zeiten leben, ist, diejenigen — auch wenn man sie nicht mag oder nicht liebt — an einem Punkt scheitern zu lassen oder scheitern lassen zu wollen, von dem Sie dann bei ihrer Art zu dramatisieren, wissen müssen, daß es uns alle zum Scheitern bringen würde,
eine Philosophie von unserem Staat, die ich mir nicht zu eigen machen werde.Sie haben es verschmäht, Sie wollten SPD und FDP scheitern machen, Sie haben abgelehnt, was nach Auffassung der Mehrheit zu einer wirksameren Bekämpfung des Terrorismus getan werden kann und soll bei gleichzeitiger Bewahrung dessen, was in unserem Staat rechtsstaatlich und freiheitlich ist.Bei uns hat sich eine Minderheit der Fraktion eine separate Stellungnahme zur Vorlage vorbehalten. Die Fraktion der SPD hat sich in langen Diskussionen bemüht, zu klären, worum es insgesamt geht. Sie respektiert es, daß einige ihrer Mitglieder nicht mit der Fraktion stimmen, obwohl keines dieser Mitglieder Terrorismus unterstützen oder verharmlosen will. Sie bedauert, daß einige — aus Motiven, die ganz anders sind als die Motive, aus denen heraus die CDU/CSU die Vorlagen ablehnt — durch ihre Stimmen Gelegenheit geben, an ihren Motiven herumzudeuteln — das müssen sie mit sich selbst abmachen — und damit die Haltung der Sozialdemokraten als Partei in Deutschland und hier im Deutschen Bundestag in ein falsches Licht zu bringen. Das haben wir zu tragen.Die Koalition der SPD und der FDP ist sich ihrer Verantwortung bewußt. Sie wird nichts versäumen, die Bundesrepublik Deutschland fähig zu erhalten, dem Terrorismus zu widerstehen. Die Opposition hat versucht, sich die . Schwierigkeiten zunutze zu machen und die Regierung der sozialliberalen Koalition zum Scheitern zu bringen. Die Opposition hat die Änderung der Strafprozeßordnung abgelehnt,
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5724 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Wehnerstatt sich dazu durchzuringen, über eigene konstruktive Beiträge selbst etwas dazu zu tun.
— Sicher, Sie haben alles immer nur abgelehnt. Sie waren nicht bereit — —
— Ja, das haben wir abgelehnt.
Aber Sie haben selbst da, wo es auch nach Ihrer Philosophie einen Schritt zu tun gäbe, abgelehnt. Es gab bei Ihnen nur nein. Ich will Sie mit keiner anderen Partei vergleichen, die sich ganz entsprechend verhält.
— Ja, das haben wir ja vorher gesagt. Aber was hat das denn damit zu tun, daß Sie Schritte zur Verbesserung der Bekämpfung des Terrorismus ablehnen, bloß weil sie nicht Ihre großen Stiefel anhaben?
Meine Damen und Herren, die Stunde ist vorgerückt. Ich hatte hier keine Rede halten wollen, die die klassische Rede zur dritten Lesung hätte sein sollen. Ich habe mich hier gegen Beschuldigungen gewandt, die der SPD angehängt werden.
— Sie werden das bald noch im Traume sagen, und dann denkt vielleicht jemand bei Ihnen im Hause, es sei ein Papagei, wenn Sie dauernd diesen Namen vor sich hin plappern.
— Ich sage ihn nicht.
Ich weiß, womit zu ringen ist, verehrte Herren, und ich weiß, daß man das mit gutem Gewissen tun kann, wenn man zugleich zu verstehen versucht, was die, mit denen man ringen muß, eigentlich bewegt und in manchen Beziehungen lähmt. Das gehört zu meinem Handwerk. Mehr bin ich zur Zeit nicht mehr zu tun imstande. Aber der Republik wegen, die heute in ein seltsames Wortspiel hineingeraten ist, und der Partei wegen, die nach dem Zweiten Weltkrieg angetreten ist, ein Deutschland zu schaffen, das die Wiederholung der Schrecken der Vergangenheit ausschließt, tue ich das.Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte umNachsicht dafür, daß ich Ihre Zeit wegen einer Bemerkung des Abgeordneten Kohl in Anspruch nehme.
Der Abgeordnete Kohl hat mir als dem für die Durchführung des Volksbegehrens in Nordrhein-Westfalen verfassungsrechtlich verantwortlichen Minister den Vorwurf der Manipulation gemacht.
Diesen Vorwurf muß ich — auch im Interesse meiner Mitarbeiter im Hause und in den Kommunen, meiner Mitarbeiter, die übrigens, Herr Abgeordneter, selbstverständlich Mitglieder aller drei demokratischen Parteien sind —
mit aller Entschiedenheit zurückweisen.
Ich bin Ihnen zunächst einmal dankbar dafür, daß Sie hier dem nordrhein-westfälischen Grundrecht des Volksbegehrens einen hohen Rang einräumen. Bei der Verfassungsgesetzgebung waren Ihre Freunde anderer Meinung. Sie haben kein Volksbegehren vorgesehen.
Sie haben mit aller Entschiedenheit dafür gekämpft — und es erreicht —, daß das Quorum damals von 10 auf 20 °/o erhöht wurde, ein Umstand, den Sie heute anscheinend bedauern.
Es ist hier auch nicht der Ort, Herr Abgeordneter Kohl, über die Schulgesetzgebung des Landes Nordrhein-Westfalen zu sprechen.
Ich bin ein Anhänger dieses Gesetzes. Aber gerade weil ich für dieses Gesetz bin — und aus Achtung vor der Verfassung meines Landes —, habe ich alles getan und werde ich alles dafür tun,
damit dieses Volksbegehren in verfassungsmäßiger Form und ohne jede Beeinträchtigung stattfindet, so, wie das Gesetz es vorsieht.
Ich werde das schon deswegen tun, um jedem Versuch, vorbeugend eine Dolchstoßlegende aufzubauen, mit Erfolg entgegentreten zu können.
Ich habe alle Erlasse zur Durchführung dieses Volksbegehrens offen herausgegeben. Der Bund Freiheit der Wissenschaft, der mir vorgeworfen hat, ich hätte Geheimerlasse dazu herausgegeben — ich habe das im Landtag ohne Schutz der Immunität als Verleumdung bezeichnet —, hat diesen Vorwurf zurückgenommen.Wir haben den Eintragungszeitraum für das Volksbegehren so günstig gelegt wie nur irgend denkbar.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5725
Minister Dr. HirschDie Aktion Volksbegehren hat mir dafür ausdrücklich gedankt.Wir haben in den Kommunen zehnmal mehr Eintragungsstellen eingerichtet als bei den vorhergehenden Volksbegehren. Die Eintragungsstellen sind, wie Sie wissen, 14 Tage lang offen. Sie sind nicht nur außerhalb der Dienststunden offen; sie sind auch am Samstag und am Sonntag offen.
— Das ist einfach nicht zutreffend, Herr Abgeordneter. Sie verkennen und wissen offenbar nicht, daß es nicht allein auf die Zahl der Eintragungsstellen ankommt, sondern auf die innere Organisation dieser Eintragungsstellen, darauf, daß sie groß genug eingerichtet sind, damit sich jeder in vernünftiger Zeit eintragen kann, der das will. Dafür ist Sorge getragen.Es sind seit heute — Beginn des Volksbegehrens— Mitarbeiter meines Hauses unterwegs, die die Ordnungsmäßigkeit der Durchführung kontrollieren, um bei Beschwerden sofort aus eigener Sachkenntnis Entscheidungsgrundlagen liefern zu können.Ich wehre mich allerdings auch mit aller Entschiedenheit gegen den Versuch der Betreiber dieses Volksbegehrens, das Ergebnis zu manipulieren.
Dazu gehört z. B., Herr Abgeordneter Kohl, daß Eintragungskarten versendet werden, die dem äußeren Anschein nach einen amtlichen Eindruck machen und dem Empfänger den Eindruck suggerieren, er habe, wie bei einer Wahl, die Pflicht, eine solche Eintragungsstelle aufzusuchen, während es doch richtig ist, daß nur derjenige zur Eintragungsstelle zu gehen hat, der das Volksbegehren unterstützen will.
— Sie können so laut schreien, wie Sie wollen; es ist die nackte Wahrheit.
Ich wehre mich auch dagegen, daß ein Unternehmer seine Arbeitnehmer mit einem Rücklaufschein anschreibt, sie darin auffordert, das Volksbegehren zu unterstützen, und sie durch eine Rücklaufkarte mitteilen läßt, ob sie dazu bereit sind, ob sie nur teilweise bereit sind oder ob sie die Mitarbeit bei der Unterstützung des Volksbegehrens ablehnen. Ist das die Manipulation oder die Freiheit, die Ihnen vorschwebt, Herr Abgeordneter Kohl?
Nach dem in Nordrhein-Westfalen geltenden Recht ist es die Pflicht der Verwaltung, das Volksbegehren weder zu begünstigen noch zu behindern. Ich sage Ihnen, daß das Volksbegehren so durchgeführt werden wird, wie es die Verfassung und das Gesetz vorschreiben. Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Abgeordneter Kohl, wenn Sie Ihre Interventionen auf Gebiete konzentrieren würden, für die Ihnen Sachkenntnis zugerechnet werden könnte.
Das Wort hat der Abgeordnete Biedenkopf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der nordrhein-westfälische Innenminister hat einige Bemerkungen des Fraktionsvorsitzenden zum Anlaß genommen; um zu seiner, wie er sagt, verfassungsrechtlichen Verpflichtung Stellung zu nehmen, Hindernisse, die sich möglicherweise der Ausübung des Verfassungsrechtes eines Volksbegehrens entgegensetzen, auszuräumen. Ich möchte als Antwort darauf nur einige Zahlen nennen.
— Ich beantworte eine Intervention, Herr Ehmke, wenn Sie nichts dagegen haben.
— Wenn Sie etwas dagegen haben, spielt das kaum eine große Rolle.
In der Stadt Essen sind bei 700 000 Einwohnern 14 Einschreibestellen geöffnet.
Das bedeutet, es ist fast unmöglich — selbst wenn die Einwohner bereit sind, sich längere Zeit anzustellen —, daß sich die notwendige Zahl von 20 % der Einwohner überhaupt eintragen kann. In Dortmund sind für 500 000 Einwohner 14 Stellen vorgesehen, dagegen in dem Ort Warstein mit 30 000 Einwohnern auch 14 Stellen. In Warstein mit 30 000 Einwohnern hat die CDU darauf hingewirkt, daß eine ausreichende Zahl von Stellen eingerichtet wird; wie im übrigen dann in anderen Städten unter dem Druck des Spruchs des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichts auch eine genügend große Zahl von Eintragestellen eingerichtet worden ist, etwa in Köln über 50. Aber vor allen Dingen im Ruhrgebiet, wo die Sozialdemokraten die Verantwortung für die Kommunalpolitik tragen, ist das Mehr-DemokratieWagen des Herrn Parteivorsitzenden der SPD umgesetzt worden in eine systematische Obstruktion zu Lasten des Volksbegehrens.
— Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage.
Der Herr Innenminister — das ist meine abschließende Bemerkung —, der eben von seinem Verfassungsauftrag gesprochen hat, hat per Erlaß verboten, daß die Zwischenergebnisse der Eintragung bekanntgemacht werden, damit sich die Bürger nicht orientieren können, wie sich das Volksbegehren entwickelt, damit sie sich nicht gegenseitig ermutigen können, zu den Eintragungsstellen zu gehen. Mehr habe ich nicht zu sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Debatte entwickelt sich weg
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5726 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Vizepräsident Stücklenvom Tagesordnungspunkt, der jetzt zur Diskussion steht. Da aber ein Mitglied des Bundesrats ebenso wie ein Mitglied der Bundesregierung immer das Recht hat, das Wort zu ergreifen,
gebe ich das Wort dem Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich auf wenige Sätze beschränken. Herr Abgeordneter Kohl, ich hätte es dankbar begrüßt, wenn Sie geantwortet hätten und in der Lage gewesen wären, das zu tun, ohne einen Nothelfer dazu in Anspruch nehmen zu müssen.
Herr Abgeordneter Biedenkopf, wenn Sie das Urteil des Verfassungsgerichtshofs in der Sache Wattenscheid lesen würden, würden Sie feststellen, daß die Dichte der Eintragungsstellen differieren muß — nach dem Urteil — in Ballungsgebieten und Randgebieten, und zwar je nach der Erreichbarkeit. Diese Voraussetzung ist in allen Städten, die Sie genannt haben, erfüllt.
Die innere Organisation auch der Eintragungsstellen in Essen reicht aus, um jedem Bürger die Möglichkeit zu geben, sich einzutragen.
Sie werden ja das Erlebnis haben, nach dem Scheitern des Volksbegehrens die schon angekündigte verfassungsgerichtliche Nachprüfung zu erleben. Ihre Aufgeregtheit in diesem Punkt spricht nicht für sehr viel Zuversicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, daß wir uns jetzt wieder voll auf den Tagesordnungspunkt konzentieren. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir. stehen am Ende einer Debatte, die heute morgen aufgelockert, ja in manchen Passagen anscheinend — oder soll ich sagen „scheinbar"? — heiter verlief. Ich habe mich heute morgen gefragt, ob sie eigentlich dem Ernst des Gegenstands gerecht wird, um den es heute geht.Heute nachmittag verlief sie erregt.•
Es sind auf allen Seiten des Hauses Formulierungen gebraucht worden, von denen ich sagen möchte, daß sie nicht sehr überlegt waren. Ich will sie auch nicht bewerten, und ich will auch nicht alle unge-rechtfertigten Angriffe zurückweisen, die insbesondere der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Wehner, gegen uns — aber nicht nur gegen uns — gerichtet hat.Ich möchte nur eine Aussage aufgreifen, die ich für schlimm halte, weil sie dieses Parlament, den Deutschen Bundestag, betrifft. Herr Wehner hat ausgeführt — ich nehme an: unüberlegt —,
hier in diesem Hause sei es nicht möglich, Zweifel zu äußern. Auf einen Zwischenruf hin hat er bemerkt: ja, formell gehe es.Herr Wehner, ich glaube nicht, daß Sie die Absicht hatten, dieses freie deutsche Parlament in dieser Weise zu diffamieren. Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn Sie anschließend an dieses Pult gehen würden, um Ihre Aussage zu interpretieren. Würden Sie es nicht tun, möchte ich als freier deutscher Parlamentarier diese Ihre Aussage auf das schärfste zurückweisen.
Meine Damen und Herren, um was geht es eigentlich in dieser Debatte? Nach der eindrucksvollen Mordserie,
— so ist es —, nach der grauenvollen Mordserie, die unser Land erschüttert hat, standen dieses deutsche Parlament und mit ihm die deutsche Regierung in der Gesetzgebung — es gibt noch andere Aufgaben im Bereich der Sicherheitsdienste und im Bereich der geistig-politischen Auseinandersetzung — vor zwei Aufgaben, die es gleichzeitig zu erfüllen galt, nämlich erstens wirksame Vorkehrungen zu treffen, um im Interesse aller der Gewalt weniger zu begegnen, und zweitens gleichzeitig zu verhindern, daß wegen der Gefährlichkeit weniger die Gesetze für alle verschärft werden.In meiner Rede vom 28. Oktober habe ich beide Felder, um die es hier geht, behandelt. Bei meinen Aussagen zu der zweiten Aufgabe, nämlich zu verhindern, daß wegen der Gefährlichkeit weniger die Gesetze für alle verschärft werden, habe ich auch von einigen Abgeordneten der Koalition Beifall bekommen.Heute, am Ende monatelanger öffentlicher und interner Diskussionen und Beratungen geht es nicht mehr darum, Absichten auszutauschen und Gemeinsamkeiten zu beschwören. Heute gilt es, Entscheidungen zu treffen und Ergebnisse zu bewerten. Es geht nicht darum, Motive Andersmeinender zu bewerten, sie moralisch zu bewerten oder sie abzuwerten. Es geht vielmehr darum, Ergebnisse politisch zu bewerten. Wir sind schließlich das deutsche Parlament, das zur Bekämpfung des Terrorismus einen politischen Beitrag zu leisten hat, den die Öffentlichkeit von uns mit Recht erwartet.Ich muß noch auf die Ausführungen eines Kollegen zurückkommen. Der Kollege Conradi hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, schwere Angriffe gegen das Bundeskriminalamt im Zusammenhang
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5727
Dr. Dreggermit dessen Verhalten in einer Vormundschaftssache in Stuttgart gerichtet. Herr Conradi, ich fände es sehr gut, wenn der Herr Bundesinnenminister, der hier anwesend ist, als der Dienstherr des Bundeskriminalamtes diese Frage klärte, um das Bundeskriminalamt dem Verdacht zu entziehen, in das es durch Herrn Conradi gebracht worden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich gesagt habe, wenn ein solcher Verdacht öffentlich geäußert werde, dürfe er nicht wochenlang unwidersprochen stehenbleiben, d. h., daß ich mir den Verdacht nicht zu eigen gemacht habe, sondern die Aufforderung an die Bundesregierung gerichtet habe, rasch eine Klarstellung vorzunehmen?
Herr Conradi, wenn Sie diesen Verdacht wochenlang gehegt haben, frage ich Sie: Warum wenden Sie sich nicht an den Bundesinnenminister, der ja Ihrer Koalition angehört, und klären die Sache intern, statt das Bundeskriminalamt öffentlich in Mißkredit zu bringen? Dies ist die Frage, die ich an Sie richten muß.
Meine Damen und Herren, heute gilt es also, Ergebnisse politisch zu bewerten. Fachlich sind sie heute morgen bewertet worden. Ich glaube, niemand wird sagen können, daß die Bilanz unserer Beratungen und Entscheidungen heute abend positiv aussehen wird. Man kann dieser Koalition und dieser Regierung nicht den Vorwurf ersparen, daß sie diese Doppelaufgabe, von der ich gesprochen habe, nicht zu erfüllen in der Lage gewesen sind. Dafür mag es viele Ursachen geben. Ich glaube, eine Ursache war die Tatsache, daß Sie in den letzten Wochen ganz andere Sorgen hatten. Ihre Bemühungen in der Koalition richteten sich ja nicht darauf, wirksame Gesetze gegen den Terrorismus zu schaffen, sondern Ihre Sorge war doch, den Zusammenhalt innerhalb der SPD wiederherzustellen.
Mit der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nach der Verabschiedung des Kontaktsperregesetzes, daß er keine Gesetze mehr wünsche, die nicht allein durch die Koalition eine Mehrheit im deutschen Parlament fänden, war das Schicksal einer wirksamen Terrorismusgesetzgebung in diesem Hause besiegelt. Denn die Verabschiedung des Kontaktsperregesetzes hat gezeigt, daß es in dieser Koalition Abgeordnete gibt, die, aus welchen Motiven auch immer — die ich hier nicht bewertenwill —, fest entschlossen sind, eine wirksame Ter. rorismus-Gesetzgebung zu verhindern.
Bei dieser Koalition, die sich in die Abhängigkeit von einigen wenigen Abgeordneten begibt, entscheidet nicht die Mehrheit. Es entscheidet nicht die stärkste Fraktion dieses Hauses, die sich in der Opposition befindet. Es entscheidet auch nicht die Mehrheit der Koalition. Es entscheiden einige wenige Abgeordnete, die sich am linkesten Rand des deutschen Parlaments aufhalten.
Das ist die Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit auf einem Feld, auf dem das besonders unerträglich ist.
Man fragt sich, warum sich die Koalition in die Abhängigkeit dieser wenigen Abgeordneten begeben hat. Auch dafür mag es mehrere Gründe geben. Ein Grund ist sicher die Tatsache, daß diese Abgeordneten der SPD in ihrer Partei einen starken Rückhalt haben. Auf dem Bundeskongreß der Jungsozialisten, der in dieser Woche in Hofheim in Hessen stattfand, wurden diese Abgeordneten als Helden gefeiert. Sie waren die Helden der Antirevisionisten, die Helden des Stamokap-Flügels, die den Sozialismus verherrlichen und dafür die deutsche Demokratie verleumden. Das ist eine Tatsache.
Mit einer Partei, die sich dieser Kräfte nicht erwehren kann, mit einer Regierungsfraktion, die sich in ihre Abhängigkeit begeben hat, mit einer Koalition, die deshalb auf dem Feld der Terrorismusgesetzgebung handlungsunfähig geworden ist, mit einem Bundeskanzler, einem Bundesjustizminister und einem Bundesinnenminister, die in ihrer Koalition in dieser Frage über weniger Einfluß als die Herren Coppik und Genossen verfügen, kann die Terrorismusgesetzgebung nicht wirksam gestaltet und die innere Sicherheit unseres Landes nicht wiederhergestellt werden.
Innere Sicherheit und soziale Sicherheit haben unterschiedliche Gegenstände zum Inhalt. Aber beide — innere Sicherheit und soziale Sicherheit — betreffen Grundbedürfnisse des Menschen und Grundelemente des sozialen Rechtsstaats. Beide — die innere Sicherheit und die soziale Sicherheit — sind durch gefährliche Fehlentwicklungen in Gefahr geraten.Wir müssen diesen Gefahren begegnen. Dazu sind Eingriffe notwendig, Eingriffe, die leider nicht immer der Härte entbehren können. Aber es ist doch die Frage, wo wir hart sind, gegenüber wem, an welcher Stelle und in welcher Weise.Meine Damen und Herren auf der Linken, viele von Ihnen waren nicht bereit, Terroristen gegenüber Härte zu zeigen.
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5728 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. DreggerDafür haben Sie in diesen Tagen um so mehr Härte den Rentnern gegenüber gezeigt.
Während Sie dabei sind, die Rentenentwicklung von der Lohnentwicklung abzukoppeln und damit die größte Sozialreform dieses Jahrhunderts zu zerstören,
während Sie für die Belastung der Rentner den unsozialsten Weg wählen, den es gibt, nämlich den der gleichmäßigen Kürzung für. alle und damit eine extreme Belastung der Kleinrentner,
sind Sie nicht bereit, mit Entschiedenheit und Entschlossenheit denen zu begegnen, die mit Waffen die deutsche Demokratie zerstören wollen.
Die Menschen draußen im Lande müssen wissen, daß es zu Ihrer Politik eine Alternative gibt. Wie es für die Schließung des Lochs in der Rentenversicherung einen sozialeren Weg gibt, den Hans Katzer gewiesen hat, so gibt es zur Verteidigung unseres freiheitlichen Rechtsstaats einen Weg, der zugleich wirksam und liberal ist. Wir können die Terroristen auch in der Gesetzgebung treffen, ohne die Gesetze für alle zu verschärfen.
Unsere Gesetzesvorschäge, die wir gemacht haben und die heute auch zur Abstimmung anstehen, haben alle zur tatbestandlichen Voraussetzung, daß es sich um Mitglieder terroristisch-krimineller Vereinigungen handelt.
Diese Gesetze treffen nicht einmal den normalen Ganoven, sondern nur diese Leute, gegen die wir uns zur Wehr setzen müssen.
Ich habe in meiner Rede vom 28. Oktober 1977 darüber hinaus zu erwägen gegeben, wenn sich weitere gesetzliche Eingriffe als erforderlich erweisen, ein Sonderrecht zu schaffen, das verfassungsrechtlich abgesichert ist und das auch auf Zeit zur Abwehr einer solchen Gefahr in Kraft gesetzt werden kann. Es gibt Gesetze, die nur diejenigen treffen, die getroffen werden müssen, aber die Liberalität unserer freiheitlichen Ordnung überhaupt nicht in Frage stellen. Das ist die entscheidende Erkenntnis.
Sie sind auf all das nicht eingegangen. Was Sie vorgelegt haben und was heute entschieden werden soll, ist eine Schimäre. Es handelt sich um Vorschläge, die entweder überflüssig sind, wie es heute unser Kollege Hartmann im Hinblick auf die Verwendung der Trennscheibe dargelegt hat, die bereits heute dem geltenden Recht entspricht,
oder um Vorschriften, die im Ergebnis wirkungslos sind. Deswegen werden wir uns an der Verabschiedung dieser Gesetze nicht beteiligen.Wenn man zusammenfaßt, wie sich auswirkt, was sie für die Lösung der aktuellen Probleme der inneren Sicherheit und der sozialen Sicherheit anzubieten haben, dann kann man nur bestürzt feststellen: Die Terroristen werden geschont, und die Rentner werden geschröpft.
— Herr Wehner, auch wenn Sie „Pfui" rufen, müssen Sie es entgegennehmen, wenn ich hier meine Überzeugungen darlege, sie begründe und die Wahrheit sage.
Ich kann hier nur eines sagen: Gegen diese Gefährdungen der inneren und sozialen Sicherheit unseres Landes werden wir Front machen: heute in der Opposition und morgen in der Regierung!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie, Herr Kollege Dregger, sich heute in dieser Debatte als der bessere Kollege Kohl darstellen wollten,
dann haben Sie sich mit dem Bereich, den Sie nicht kennen, nämlich mit sozialpolitischen Fragen, völlig disqualifiziert.
Wenn Sie hir aber außerdem noch zu sagen wagen, die Terroristen werden geschont, die Rentner werden geschröpft, dann ist das genau die Methode, die Ihr Vorsitzender vorher für diese Debatte angeprangert hat. Er hat zu Recht Sie und niemand anders damit angeprangert.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5729
MischnickWenn Sie beklagt haben, heute früh sei die Debatte vielleicht nicht dem Gegenstand angepaßt gewesen, weil sie manchmal etwas ruhiger war und erst während des Nachmittags erregter gewesen ist, so gestehe ich Ihnen ganz offen: Wir sollten uns bemühen, gerade diese Fragen so leidenschaftslos wie möglich, aber so nüchtern und sachlich-konsequent wie nötig und nicht in Emotionen zu diskutieren. Ich kann nur hoffen, daß die Formulierung „eindrucksvolle Mordserie" ein Ausrutscher gewesen ist. Es ist für mich eine bittere Mordserie, aber keine eindrucksvolle Mordserie, die wir erlebt haben.
Sie, Herr Kollege Dregger, haben davon gesprochen, daß wir die politische Wertung richtig vornehmen müssen, und Sie haben behauptet, wir hätten die Doppelaufgabe, die uns gestellt ist, nicht erfüllt. Das, was wir heute verabschieden, ist natürlich, das wissen wir doch alle, ein weiterer Versuch, die Freiheitsrechte der großen Mehrheit dieses Volkes gegen den Mißbrauch der Freiheit durch wenige zu schützen, ohne die Freiheit der großen Mehrheit dieses Volkes unnötig einzuschränken. Darum geht es uns.
Ich erhebe nicht den Vorwurf, daß das, was die Union vorgeschlagen hat, nicht mit dem Rechtsstaat vereinbar sei. Aber die Konsequenz ist doch, daß Sie dann denjenigen, die das nicht beschließen wollen, was Sie vorgeschlagen haben, nicht vorwerfen dürfen, daß sie den Rechtsstaat nicht entsprechend verteidigen. Das bedingt doch beides, das gilt doch nach beiden Richtungen.
Sie haben davon gesprochen, daß innere Sicherheit und soziale Sicherheit notwendig seien und daß beides gefährdet sei, Herr Kollege Dregger. Dann haben Sie einiges zur Rentengesetzgebung gesagt. Ich möchte mich hier auch nur auf ganz wenige Bemerkungen beschränken. Wenn Sie behaupten, diese Koalition zerstöre die größte Sozialreform dieses Jahrhunderts, dann haben Sie entweder die Vorschläge nicht gelesen oder Sie behaupten wider besseres Wissen etwas, was Sie vor sich selbst nicht verantworten können..
Gerade mit den Maßnahmen, die wir hier in extensozu diskutieren haben werden, können wir auf Dauerdas sichern, was bereits bei der Verabschiedung 1957
den Keim der Reformnotwendigkeit nach 20, 25 Jahren in sich getragen hat.
Lesen Sie die Debatten von damals nach. Dann werden Sie finden, daß all das, was wir in den nächsten Wochen zu diskutieren haben, insbesondere von unseren Freunden schon damals deutlich gemacht worden ist.Im übrigen, Herr Kollege Dregger, wenn das der Versuch war, den neuen Dregger-Staatsmann deutlich zu machen, der damit als der liberale Hesse auftreten will, dann muß ich sagen, es war ein Fehlstart par excellence, den Sie hier hingelegt haben.
Ich möchte mich nicht in die Auseinandersetzungen über Zahlen in Nordrhein-Westfalen einmischen, sondern Ihnen nur sagen, Herr Kollege Biedenkopf, als in Bayern die Freien Demokraten ein Volksbegehren verlangt haben und es durchgeführt wurde, hat natürlich die Bayerische Staatsregierung zu keinem Zeitpunkt daran gedacht, Zwischenergebnisse durch die Staatsregierung zu veröffentlichen. Sie sollten, wenn Sie eine solche Forderung aufstellen, schon so konsequent sein, überall nach den gleichen Maßstäben vorzugehen und dies nicht da, wo es Ihnen gerade paßt, zu verlangen.
Herr Abgeordneter Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biedenkopf? — Bitte, Herr Abgeordneter Biedenkopf.
Herr Abgeordneter Mischnick, darf ich Sie fragen, ob die Bayerische Landesregierung in dem von Ihnen erwähnten Fall die Veröffentlichung von Zwischenergebnissen durch Dritte verboten hat?
Herr Kollege Biedenkopf, wir kommen gar nicht auf die Idee, so etwas, was mit dem Gesetz nicht vereinbar ist, zu verlangen. Sie scheinen hier Dinge zu verlangen, die gar nicht vorgeschrieben sind.
Zweiter Punkt: Wir haben natürlich die eigene Möglichkeit, die eigene Kenntnis genutzt.
Dritter Punkt: Wenn Sie Zwischenergebnisse feststellen und diese Feststellung aus eigener Kenntnis treffen, ist das völlig Ihnen überlassen und niemand anderem. Dies können Sie bei sich selber erledigen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel?
Bitte.
Herr Kollege Mischnick, darf ich aus Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Biedenkopf entnehmen, daß Sie als Liberaler von dem Grundsatz ausgehen, daß verboten alles das ist, was nicht ausdrücklich erlaubt ist?
Auf diese Idee bin ich noch nie gekommen. Auf eine solche Idee kann nur ein CDU-Kollege kommen. Das ist der Unterschied.
5730 Deutschei Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Mischnick
Meine Damen und Herren, ich bedaure sehr, daß der Kanzlerkandidat der CDU, Herr Kohl, gegenüber einigen Andersdenkenden aus der SPD heute hier nicht souveräner reagiert hat.
Ich teile deren Meinung zwar nicht. Ich halte nichts von dem, was da zum Teil gesagt worden ist. Manches davon halte ich für bedenklich; das sage ich in aller Offenheit. Aber dies zum Maßstab bei der Gesamtwertung der Debatte zu machen, zeugt wirklich von wenig Souveränität.
Wir haben uns das Ringen um diese Fragen nicht leicht gemacht. Wir haben in der eigenen Fraktion — der Herr Kollege Engelhard hat es dargestellt — wochenlang über das Für und Wider gestritten.
- Entschuldigen Sie! Da wir nicht an jedem Tag eines Monats diskutiert haben, kommen dabei eben Wochen heraus. Glauben Sie mir das! Denn als Fraktionsvorsitzender hat man sehr genau in Erinnerung, wie oft man diskutiert hat. — Dabei gab es Bedenken, die in verschiedene Richtungen gingen. Sie sind abgewogen worden, und wir haben uns zu einer gemeinsamen Haltung durchgerungen. Aber dieses Durchringen zu einer solchen gemeinsamen Haltung unter Abwägen aller Motive ist doch nichts Schlechtes, Verwerfliches, sondern es zeugt doch davon, daß der liberale Rechtsstaat von uns in jedem einzelnen Punkt ernst genommen wird und daß nicht Emotionen dafür entscheidend sind, was wir mit der Abstimmung durchführen werden.
Hier ist davon gesprochen worden, wir hätten zuwenig an das gedacht, was diese Heimsuchung, wie Sie es zu formulieren pflegen, über uns gebracht hat. Bei jedem einzelnen Punkt haben wir dies vor Augen gehabt. Aber wir haben gleichzeitig vor Augen gehabt: Hilft das in der entsprechenden Weise, oder kann es dazu führen, daß das, was wir den Sympathisantenkreis nennen, ungewollt erweitert wird? Deshalb mußte das Abgewogene immer wieder geprüft werden, um den richtigen Weg für die Entscheidung zu finden.
Wer behauptet, das Ganze bringe nichts, den kann ich nur fragen, wieso dann auf der einen Seite z. B. argumentiert wird, wir bräuchten für die Trennscheibe eigentlich gar keine Regelung, während auf der anderen Seite das Ganze als ein nicht besonders wichtiger Gegenstand bezeichnet wird. Wenn es wirklich so wäre, wie kann dann die Diskussion über die Frage der Herabsetzung der Möglichkeit des Verteidigerausschlusses zwischen den Betroffenen — Rechtsanwälten, Richtern — überhaupt zu solchen Auseinandersetzungen führen? Das ist doch ein Beweis dafür, daß wir hier Entscheidungen treffen, die nicht leichtfallen, die wirkungsvoll sind, die aber abgewogen werden müssen, Punkt für Punkt. Das ist geschehen.
Wie richtig es ist, solche Fragen nüchtern zu analysieren und wirklich alle Gesichtspunkte abzuwägen, haben wir wenige Tage — ich weiß nicht, ob es 14 Tage waren — nach der Entscheidung über das Kontaktsperregesetz erlebt. Wir haben dieses Gesetz, nachdem ein Änderungsantrag von uns gestellt und abgelehnt worden war, hier verabschiedet und dann kurz danach durch eine Gerichtsentscheidung erfahren müssen, daß Gedanken, die unser Antrag enthielt, durchaus erwägenswert sind und nicht im Widerspruch zu dem stehen, was wir unseren freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat nennen. Dies hat gezeigt, wie schnell wir auch hier durch gerichtliche Entscheidungen — gerade Sie in der Union bringen doch, wenn es um Sachentscheidungen geht, immer wieder den Hinweis auf solche Gerichtsentscheidungen — bei allem politisch richtigen Wollen an Grenzen stoßen, wo unsere Gerichte uns bescheinigen: Hier muß neu nachgedacht werden. Auch das ist eine Konsequenz aus dem sorgfältigen Abwägen: daß wir hier prüfen müssen, wieweit diese Gerichtsentscheidung umgesetzt werden muß.
Dies alles sollte Sie von der Union doch zum Nachdenken darüber bringen, ob es wirklich richtig ist, das Ringen um diese Fragen nur als eine politische Machtfrage anzusehen. Denn Sie sehen es doch als politische Machtfrage an. Nur so ist es doch zu erklären, daß Sie im Endeffekt diesem Gesetzentwurf, so wie er zur Abstimmung steht, nicht zustimmen. Sie sagen doch nur aus machtpolitischen Gründen nein. Sachlich könnten Sie dazu überhaupt nicht nein sagen.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, ist doch der Bruch in Ihrer Logik, in der Logik, daß Sie uns vorwerfen, wir täten zu wenig, während Sie selber das, was Sie als zu wenig ansehen, ablehnen, weil Sie damit eine Machtprobe verbinden wollen.
Wir werden beweisen, daß wir dafür eine, wenn auch knappe Mehrheit haben. Wir haben hier auch von 1969 bis 1972 entscheidende Abstimmungen mit knappen Mehrheiten durchführen müssen. Wir werden an diesem Beispiel zeigen, daß diejenigen, die diese Koalition tragen, dem Gesetzentwurf nicht um der Machtpolitik willen zustimmen, sondern deshalb, weil sie ihn für die sachlich richtige Lösung halten.
In diesem Sinne wird meine Fraktion diesem Gesetzentwurf geschlossen zustimmen.
Das Wort hat der Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu einigen Bemerkungen etwas sagen, die in dieser Debatte an mich persönlich gerichtet worden sind.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5731
Bundeskanzler SchmidtHerr Abgeordneter Kohl hat beanstandet, daß ich heute nachmittag und heute abend auf meinen Abgeordnetenplatz gesessen hätte.
Ich muß Ihnen sagen: Wir debattieren hier nicht über die Sitzordnung, sondern über die Rechtsordnung unseres Staates.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber gern.
Herr Bundeskanzler, wären Sie bereit, anzunehmen, daß ich in meinen Ausführungen gerügt habe, daß Sie — es ging nicht um den Sitzplatz — über den Lauf des Tages nicht an der Debatte teilgenommen haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben beides gerügt, Herr Abgeordneter Kohl. Auf das zweite gehe ich jetzt auch noch ein. Wenn, nachdem ich Ihnen, als Bundeskanzler sprechend, im Laufe der letzten Monate zweimal im Bundestag dargetan habe, warum ich große Zweifel habe, mich Ihrem Antrag anzuschließen, jemanden, der wegen einer Straftat nach § 129 a zum erstenmal zu wenigstens drei Jahren verurteilt wird, mit Sicherungsverwahrung zu belegen, daraufhin zur Sache aber überhaupt nichts Neues vorgetragen wird, dann frage ich mich, ob ich, nachdem man schon am Nachmittag diese ganze Debatte gehört hat über Dinge, die nun wirklich mit Ihren Anträgen überhaupt nichts zu tun haben — von der Schulpolitik in einem Lande, über die Rentenpolitik und über die Nachrichtendienste woanders —, viel versäumt habe, wenn ich heute morgen genauso wenig wie der größere Teil Ihrer Fraktion Ihren Rednern zugehört habe.
— Wissen Sie, die Sache, über die wir hier streiten — —
— Herr Abgeordneter Jenninger, dies ist eine im Grunde ernst zu nehmende Debatte. Es wäre gut, wir würden uns dabei auf die Gegenstände konzentrieren, die mit dem Tagesordnungspunkt zusammenhängen. Da muß ich sagen, daß ich in diesem Punkt Verständnis für ein paar Bemerkungen gehabt habe, die sich der Oppositionsführer eingehandelt hat.Er hat an meine Adresse gesagt, ich müßte mich wohl schämen, die heutige Vorlage zu vertreten. Die Formulierung ist vom Präsidenten sicherlich noch nicht zu beanstanden. Aber ich finde, Herr Dr. Kohl, Sie sollten das noch einmal in Ruhe überdenken. Nicht alle Ihre Formulierungen der letzten Wochen möchten Sie im Grunde gerne so wieder lesen, wie sie im Protokoll stehen.Ich jedenfalls erkläre Ihnen: Ich halte diese Vorlage für nützlich und in einem Punkt allerdings für unerläßlich notwendig; das ist der Punkt, der die Verteidiger angeht.
Sie haben aus einer Rede an der Bahre eines der Opfer des Terrorismus zitiert — und ich habe es ja nicht nur dort gesagt —, man müsse wegen des Rechtsstaates bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was der Rechtsstaat erlaubt und was er gebietet.
Dies war meine Meinung und ist meine Meinung und bleibt sie auch, Herr Abgeordneter Kohl. Aber außerdem muß doch das auch noch zweckmäßig sein, was Sie unter dem Motto einer solchen, wie ich denke, richtigen Staatsphilosophie vortragen. Es muß zweckmäßig sein, und außerdem kann ja doch nicht eine Maxime daraus gemacht werden, daß man gezwungen sei, um des Prinzips willen überall bis an die Grenze zu gehen.
Ich gebe Ihnen drei oder vier Beispiele.
Ich habe aus voller innerer Überzeugung Ihren heutigen Antrag zur Sicherungsverwahrung abgelehnt. Ich bin zu keinem Zeitpunkt dem ernsthaften Versuch der Opposition ausgesetzt gewesen, überzeugt zu werden, voll und innerlich überzeugt zu werden. Wenn jemand als Terrorist wegen einer schweren Straftat verurteilt worden ist, dann kommt er nicht mit drei Jahren davon; dann wird er lange sitzen müssen, und dann erledigt sich die Frage der Sicherungsverwahrung. Wenn einer aber nur zu drei Jahren verurteilt wird — das ist eine erhebliche Strafe, aber es ist offensichtlich dann doch kein Kapitalverbrechen gewesen, weswegen er bestraft wird — und dann schon nach dieser einzigen Verurteilung in Sicherungsverwahrung genommen werden soll, dann werden, das weiß ich, viele in Ihren eigenen Reihen in Wirklichkeit tiefe innere sittliche Zweifel daran haben, ob das eine vernünftige Gesetzgebung ist.
Ich bin überzeugt, daß es auf der anderen Seite auch viele bei Ihnen gibt, die das für notwendig und vertretbar halten. Aber daß Sie alle einer Meinung seien, z. B. nur in diesem einen Punkt, dafür habe ich zu viele persönliche Gespräche im Laufe der letzten Monate geführt, um das zu glauben.
Lassen Sie mich ein zweites Beispiel geben. Wir stimmen überein, daß man in bestimmten Lagen die
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5732 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Bundeskanzler Schmidtrechtsstaatlichen Möglichkeiten ausschöpfen muß; so haben Sie mich zitiert. Sicher! Aber das heißt doch nicht: durch gesetzgeberische Massenproduktion als ausschließliche Darstellung und ausschließliche Handlungsmöglichkeit eines Staates, sondern vor allem doch durch das Ausschöpfen der Gesetze, so wie sie uns gegeben sind.
Da sind z. B. im Stammheimer Gefängnis und anderswo, aber auch im Stammheimer Gericht Dinge vorgekommen, die bei voller Ausschöpfung der bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten niemals hätten vorkommen dürfen.
Im Ernst ist nicht erst eine Gesetzgebung notwendig, um in Zukunft zu verhindern, daß Sprengstoff und Pistolen in Gefängniszellen verbracht werden können. Das kann man auf Grund der bestehenden Gesetze verhindern, wenn man sie nur ausschöpft, wenn man nicht nur Reden in Parlamenten hält, sondern sich darum kümmert, mit Energie die Gesetze zu verwirklichen.
Ein drittes Beispiel. Es ist dies ja noch nicht das Ende aller Gesetzgebung. Da kommt demnächst eine Novelle zum Gesetz über das Bundeskriminalamt. Sie können bei dieser Gelegenheit zeigen, wieweit Sie im Gegensatz zu manchen Ihrer Freunde in Landtagen und Landesregierungen bereit sind, bis an die Grenzen zu gehen — nicht an die Grenzen des Rechtsstaates, sondern der Ausschöpfung der Möglichkeiten vernünftiger Zentralisation in der kriminalpolizeilichen Bekämpfung des Terrorismus.
Ich muß ein viertes Beispiel aufgreifen. Ich bin nicht sicher, ob ich Sie in diesem Punkt — ich möchte Ihnen kein Unrecht antun — recht verstanden habe. Mir schien es so, als ob Sie an eine in jenen Sitzungen während der Entführung von Dr. Schleyer gemeinsam erlebte Episode erinnerten, eine Durchsuchung betreffend. Vielleicht war der Wortlaut mißverständlich, den Sie gebraucht haben. Vielleicht war auch zuviel Unruhe im Saal. Ich möchte jedenfalls aus Anlaß dieser von Ihnen vorgeführten Erinnerung oder dieses Hinweises eines sagen: Ich bin fest davon überzeugt, daß wir alle, die wir während der Entführung Dr. Schleyers oder früher schon während der Besetzung unserer Stockholmer Botschaft oder früher schon während der Entführung unseres Kollegen Lorenz oder während der Entführung der Passagiere und Besatzung jenes Flugzeuges, das dann schließlich in einem anderen Kontinent durch deutsche Beamte hat befreit werden können, Verantwortung getragen haben, daß wir nirgendwo das Gesetz und das Grundgesetz verletzt haben, jedenfalls nicht willentlich und auch nicht wissentlich. Da bin ich ganz sicher.Es war uns solches aber hier und da angesonnen worden, nicht in den internen Beratungen, jedenfalls nicht durch den Abgeordneten Kohl; das sage ich nur, um mich vor dem Mißverständnis zu schützen, als ob ich mich hier an seine persönliche Adresse wendete. Das ist nicht der Fall. Es ist uns solches aber damals empfohlen worden. Für mich ist das der Anlaß gewesen, während der Entführung Dr. Schleyers, am 15. September vorigen Jahres, hier im Deutschen Bundestag zu sagen, daß Drohungen mit Schritten, die unsere Verfassung brechen würden, deshalb untauglich sind, weil man nur das androhen kann, was man auch tatsächlich ausführen will und was man ausführen darf. Und ich habe hinzugefügt, daß wir — die Mitglieder der Bundesregierung wie auch ich selbst — vor dem Bundestag geschworen hätten, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen; und ich hätte den festen Willen, diesem Eide zu gehorchen.Ich rufe das hier in Erinnerung, weil Ihr Wortlaut den Eindruck erweckte, als ob man es möglicherweise während jener Verbrechensabläufe mit Gesetz und Recht nicht so genau genommen hätte.
— Möglicherweise!
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich würde dann wieder eine Zwischenfrage gestatten, wenn der Abgeordnete Kohl, der sicherlich genau zuhört, meint, er möchte eine Zwischenfrage stellen.
— Es hat doch keinen Zweck, daß dann, wenn der Oppositionsführer sehr deutliche Worte spricht und der Bundeskanzler ihm antwortet, Herr Biedenkopf oder ein anderer Kollege ihm zu Hilfe kommt, weil er meint, er hätte die Hilfe nötig. Das ist ja wohl nicht in Ordnung.
Bei vielen Gesetzgebungen kann es gar nicht anders sein — jedenfalls ist das in anderen Demokratien genauso wie bei uns —: Es gibt erregende Auseinandersetzungen, und sie müssen besonders erregend sein, wenn es sich um Gesetzgebung im Spannungsfeld zwischen staatlicher Anordnung, staatlicher Eingriffsbefugnis auf der einen Seite und den Freiheitsrechten der Person andererseits handelt. Es gibt nur in andersartigen Regimen in solchen Fragen Einigkeit, oder jedenfalls werden andere Meinungen dort unterdrückt, so daß nur eine einzige Meinung dazu laut werden kann. Bei uns muß man darüber Auseinandersetzungen führen.Ich denke nur, daß bei solcher Abwägung niemand — und ich schaue nicht nur in Richtung CDU/CSU — von sich selbst und von seiner Meinung glauben sollte, seine Vorstellungen seien die einzige Meß-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5733
Bundeskanzler Schmidtlatte, nach der alle übrigen Demokraten sich zu richten hätten.
Wer sich so verhält, daß er zu verstehen gibt, seine Vorstellungen und seine Vorschläge seien die einzige Meßlatte, nach der alle Demokraten sich zu richten hätten, der verrät mehr, als er möchte, über seine eigene geistig-politische Haltung.
Herr Abgeordneter Kohl hat einen Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion kritisiert, weil der, wie er ausdrücklich sagte, die sozialliberale Koalition und Bundesregierung erhalten wissen wollte.
Und damit steht jener Kollege bestimmt nicht allein; ich z. B. bin auch seiner Meinung.
Nun kann man gewiß die Formulierung, die da gebraucht worden war — sie ist ja inzwischen zurechtgerückt worden — für unglücklich halten. Aber eines ist doch aus den Reden, die Sie selbst und insbesondere Herr Kollege Dregger gehalten haben, klargeworden: Sie haben viele Ihrer Sätze und viele der Themata, die Sie angeschnitten haben, nicht um der Bekämpfung des Terrorismus willen angeführt, sondern um des politischen Streites willen. Das ist ja auch Ihr gutes Recht. Dann tun Sie doch aber nicht so, als ob Sie hier den ganzen Abend um eine möglichst effektive Bekämpfung des Terrorismus stritten. Sie kämpfen um die Macht — das ist Ihr Recht —, aber Sie kriegen sie nicht.
Sie haben heute nachmittag und heute abend gehofft und Sie hoffen immer noch bis zur letzten Minute auf eine Negativkoalition, die jedwede Gesetzgebung verhindert. Gleichzeitig möchten Sie vor dem Volk den Eindruck erwecken, als ob es eigentlich noch möglich sei, mit Ihnen gemeinsam Gesetze zu machen,
allerdings nur nach dem Maßstab, den Sie selbstsetzen und den Sie für ausschließlich richtig halten.
Sie haben darüber hinaus — das war wahrscheinlich von dem Kollegen Dregger aus dem Gedächtnis zitiert und deswegen nicht ganz richtig — und nicht zum erstenmal heute den Eindruck erweckt,
als ob es in den vergangenen Monaten die Auffassung der Bundesregierung oder meine Auffassung gewesen sei, man müsse auf diesem Feld eine gemeinsame Gesetzgebung ermöglichen. Ich lese Ihnen jetzt vor, was ich im letzten Herbst zweimal im Deutschen Bundestag gesagt habe, einmal während der noch andauernden Entführung Dr. Schleyers am 15. September und das andere Mal fünf Wochen später am 20. Oktober nach den Vorkommnissen von Mogadischu. Ich habe während der Schleyer-Entführung zu diesem Thema vor dem Deutschen Bundestag folgendes ausgeführt:. . . will ich . . . deutlich erklären, daß ich zur Erörterung jedes ernsthaften Rechtsgedankens, der uns in bezug auf zukünftige Gesetzgebung vorgetragen wird, bereit bin. Es ist klar, daß solche Erörterungen einerseits nur in Verantwortung für das Ganze und nur auf dem Fundament der tragenden Eckpfeiler unseres Grundgesetzes möglich sind; es ist andererseits klar, daß sie auch streitig geführt werden können, wenn der Zeitpunkt für solche Erörterungen gekommen sein wird.Der Zeitpunkt ist nun heute wirklich gegeben.Ich habe weiter ausgeführt und dachte — und glaube dies auch heute noch — damit gleichzeitig für Sie mitzusprechen:Wir alle werden dabei den Staat nicht auf den Weg zu jenem Ende drängen lassen, welches die Terroristen unserer freiheitlichen, demokratitischen Grundordnung zugedacht haben. Der Staat, den sie für ohnmächtig halten, den sie zu unterminieren trachten, dieser Staat ist keineswegs ohnmächtig.Fünf Wochen später, zwei Tage nach Modadischuhabe ich hier im Bundestag im Plenum ausgeführt:Wir haben ... nicht die Absicht, für die Zukunft auf allen Gebieten große Gesetzegebungskoalitionen zu verabreden. Im Gegenteil, Verantwortungen dürfen nicht verwischt werden, und ohne parlamentarische Auseinandersetzung würden wir oft zu sachlich vernünftigen Lösungen nicht kommen. Die Bürger unseres Landes haben verschiedene politische Auffassungen, und es bleibt die Führungsaufgabe des Parlaments, diese Unterschiedlichkeit der politischen Grundströmungen vorzutragen und auszutragen.Dann habe ich einen Satz hinzugefügt, der in Ihrem Gedächtnis geblieben ist, allerdings nicht ganz in dem Zusammenhang, in dem er steht. Ich habe dann nämlich gesagt:Allerdings würde ich es begrüßen, wenn der schon eingeleitete Versuch, einzelne Vorschläge zur besseren Bekämpfung des Terrorismus nach sorgfältiger Prüfung in einer gemeinsamen Gesetzesinitiative der drei Fraktionen zusammenzufassen, fortgesetzt und zu einem konstruktiven Ende geführt würde.„Einzelne Vorschläge", aber doch nicht dieses dicke Paket, was Sie uns heute andienen. Das ist doch nur unter dem Aspekt zusammengestellt, möglichst viele Punkte zu haben, von denen man glauben machen möchte, die dienten in Wirklichkeit der Bekämpfung der Hintergründe, vor denen der Terrorismus möglich geworden ist.
Die Bundesregierung war genausowenig wie die beiden sozialliberalen Fraktionen um jeden Preis auf eine gemeinsame Gesetzgebung festgelegt. Das beweisen diese beiden Selbstzitate. Aber wir haben sie auch nicht ausgeschlossen. Wir würden sie auch heute nicht ausschließen. Herr Kollege
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Bundeskanzler SchmidtMischnick hat jedoch vollständig recht gehabt, als er Ihnen soeben noch einmal vorhielt, daß Sie im Grunde das, was in unserem heutigen Gesetz steht, durchaus wollenn. Niemand hält das für falsch. Sie wollen nur mehr. Aber weil Sie nicht zugeben möchten, daß hier etwas im Grunde Vernünftiges — wenn auch nach Ihrer Meinung nicht genug — getan wird, weil Sie insbesondere auf eine Negativkoalition hoffen, deswegen lehnen Sie etwas Vernünftiges ab. Das ist der eigentliche Kern der heutigen Auseinandersetzung.
Wenn Sie von Machtfragen oder von politischer Auseinandersetzung reden, was nur verschiedene Worte für dieselbe Sache sind, und meinen, es sei illegitim, eine Gesetzgebungs- und Regierungskoalition zu erhalten, die nun schon im neunten Jahr für dieses Land eine sehr gute Arbeit geleistet hat,
dann hätten Sie eigentlich gleichzeitig Selbstvorwürfe dafür aussprechen müssen, daß das, was Sie den ganzen Nachmittag treiben, nichts anderes ist als der Versuch, die Hoffnung, eine Regierung stürzen zu helfen, ohne selber die Kraft zu haben, eine Regierung zu bilden.
Ich will Ihnen ganz offen sagen: Ich habe allerdings Sorgen, wenn ich gewisse Reden der letzten Plenardebatten im Ohr habe. Es hat noch keine Entschuldigung für den Vorwurf des Eidesbruchs gegeben. Die ,,Bananen-Republik" ist noch nicht vom Tisch. Was Herr Dregger heute gesagt hat, war auch nicht gerade ein Ausweis von staatspolitischer Weisheit, Herr Kollege Dregger.
Die Art und Weise, wie die Führer der Opposition — das sind die Herren Strauß und Kohl und Dregger; wahrscheinlich ist das auch die richtige protokollarische Reihenfolge — hier gesprochen haben, muß einem in der Tat für den Fall Sorgen machen, daß Sie die zukünftige Regierung unseres Vaterlandes wären.
Ich bin ganz gewiß, daß viele Menschen in unserem Land — weit über die Wählerschaft und Anhängerschaft der beiden Koalitionsparteien hinaus — erwarten, daß die Koalition und die von ihr getragene Regierung ihre Pflicht tun werden. Ich bedaure, daß einzelne Personen durch öffentliche Äußerungen den Eindruck ermöglicht haben, als seian diesem Willen zu zweifeln. Ich bin ebenso gewiß, daß die Bürger gut verstehen werden, wenn ich sage: Man darf es sich mit dem Gesetzemachen nie zu leicht machen, und schon gar nicht dann, wenn es um die Abwägung von Freiheitsrechten geht.
Ich denke, wir finden im Lande viel Zustimmung, nach dem Miterleben all dieser Debatten, nicht nur im Bundestag, sondern auch in den Parlamenten von Ländern, wenn man hinzufügt: Man muß aber die Gesetze mit Genauigkeit und mit Energie dann auch anwenden und ausführen, als Verwaltung, als Gericht, als Gefängnisverwaltung, als Landesregierung, auch als Bundesregierung. Es hat sich bisher niemand hierher gestellt und gezweifelt oder Zweifel ausgesät an unserer Entschlossenheit und Energie, die Gesetze, die uns gegeben worden sind, auch tatsächlich auszuüben, auszuführen und auszuschöpfen.
Eine letzte Bemerkung.
Der Kollege Dregger hat in einer sicherlich nicht ordnungsrufbedürftigen Weise polemisiert gegen den — —
— Was heißt Ihr Zwischenruf „Feldwebel" ? Ich würde es wirklich begrüßen, wenn sich einige in diesem Hause zusammensetzten, um herauszufinden, ob der bisher im Raum stehende und nicht zurückgenommene Vorwurf des Eidesbruchs gegenüber dem Bundeskanzler, im Verfassungsorgan Bundestag erhoben, nicht aus der Welt geschafft werden sollte.
Ich habe mich in dieser Sache sehr zurückhaltend bis zu dem Augenblick verhalten, wo eben dieser Zwischenruf kam.
Ich habe nach jener Sitzung den Bundestagspräsidenten aufgesucht, nachdem sie vorbei war, und habe ihm meine Vorstellungen mündlich dargetan. Der Bundestagspräsident hat darüber, wie ich weiß, mit einigen gesprochen. Er hat mich über den Gang seiner Gespräche unterrichtet. Es tut mir leid, daß ich das jetzt ausbreiten muß.
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Bundeskanzler Schmidt— Ich glaube, daß es mehrere in diesem Hause gibt — auch auf seiten der Christlich Demokratischen Union —, die bedauern, daß in einem Verfassungsorgan eine solche Sprache gegen ein anderes Verfassungsorgan geführt werden darf.
Zurückkommend auf die Bemerkung des Kollegen Dregger gegenüber dem Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei:
Ich nehme an, Sie haben ihn nicht recht verstanden.
Aber wenn Sie jetzt einen Augenblick darüber nachdenken, muß Ihnen klar sein, was Herr Wehner gemeint hat. Dies ist dann ein Parlament, Herr Dregger, wenn jeder das sagt, was er denkt, und seine Polemik gegen den Gegner nicht schriftlich vorbereitet, um sie dann ablesen zu können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Ich gehe davon aus, daß Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt ist. Wir treten in die namentliche Abstimmung ein.Meine Damen und Herren, vielleicht muntert es uns in dieser Stunde etwas auf, wenn ich Ihnen mitteile, daß der Kollege Gärtner während der Debatte Vater einer gesunden Tochter geworden ist. Wir gratulieren ihm und seiner Gattin sehr herzlich.
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte mit der Auszählung zu beginnen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nehmen würden, damit ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung in dritter Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung bekanntgeben kann.An der namentlichen Abstimmung haben sich 489 uneingeschränkt stimmberechtigte und 22 Berliner Abgeordnete beteiligt. Mit Ja haben 245, mit Nein 244 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses gestimmt. Je 11 Kollegen aus Berlin haben mit Ja und Nein gestimmt.ErgebnisAbgegebene Stimmen 489 und 22 Berliner Abgeordnete; davonja: 245 und 11 Berliner Abgeordnete,nein: 244 und 11 Berliner AbgeordneteJaSPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Dr. Apel Arendt AugsteinBaack BahrDr. BardensBatzDr. Bayer!Becker BiermannBindig BlankDr. Böhme Frau von Bothmer BrandtBrandt BrückBuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfortDr. BußmannCollet Conradi Dr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. EhmkeDr. Ehrenberg EickmeyerFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmFrau ErlerEsters EwenFellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. FockeFranke Friedrich (Würzburg) GanselGerstl
Dr. GeßnerGlombigGobrechtGrobeckerGrunenbergGscheidleDr. HaackHaarHaase
HaehserFrau Dr. Hartenstein HauckDr. HauffHenke Heyenn HöhmannHoffmann Hofmann (Kronach)Dr. HoltzHornFrau HuberHuonkerIbrüggerImmer
Jahn
JaunichDr. Jens
Junghans Jungmann JunkerKaffkaKirschnerKlein
KoblitzKonradKratzKretkowskiDr. KreutzmannKrockert Kühbacher Kuhlwein Lambinus LangeDr. LauritzenLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeDr. Linde LutzMahneMarquardt MarschallFrau Dr. Martiny-Glotz MatthöferDr. Meinecke MeininghausMenzelMöhringMüller
Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. Nöbel Offergeld OostergeteloPaternaPawelczyk PeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehn PorznerRapp
Rappe
RavensFrau RengerReuschenbachRohdeRothSaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuSchirmer SchlagaSchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg)Schmidt
Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-VockenhausenDr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreiber Schulte
Dr. Schwencke
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5736 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Vizpräsident Dr_ Schmitt-VockenhausenDr. Schwenk SeefeldSielerFrau Simonis SimpfendörferDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. StaudtDr. StegerFrau Steinhauer StocklebenStöckl Sybertz Thüsing Frau Dr. TimmTönjes TopmannFrau TraupeUeberhorstUrbaniakDr. Vogel VogelsangVoigt WaltematheWaltherDr. Weber
WehnerWeißkirchen WendtDr. WernitzWestphalWiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWürtz Wüster Wuttke Wuwer Zander ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich Dr. DübberEgertLöfflerManningMattickFrau SchleiSchulze SieglerschmidtFDPAngermeyerDr. BangemannBaum CronenbergEimer
EngelhardErtlFrau FunckeGartner Gallus GattermannGenscherGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannHölscherHoffie JungKleinertDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LudewigDr. Dr. h. c. Maihofer Frau Matthäus-Maier MischnickMöllemann PaintnerPeters Schäfer (Mainz)Schmidt
von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. van AerssenDr. AignerAlberDr. AlthammerDr. ArnoldDr. BarzelBayhaDr. Becher
Dr. Becker Frau BenedixBenzBerger
Berger BiecheleDr. BiedenkopfBiehleDr. von BismarckDr. BlümBlumenfeldBöhm
Dr. BötschBraun BreidbachBrollBühler
BurgerCarstens Carstens (Fehmarn) Conrad (Riegelsberg)Dr. CzajaDamm DawekeDr. DollingerDr. DreggerDreyer EngelsbergerErhard ErnestiDr. EversEyEymer
Dr. EyrichFeinendegenFrau FischerFrancke FrankeDr. FriedmannDr. FrühDr. Fuchs Frau Geier GeisenhoferDr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGerster Gierenstein GlosDr. Gruhl Haase
HaberlDr. Häfele Dr. HammansHandlosHanz
Dr. Hennigvon der Heydt Freiherrvon Massenbach HöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. Hornhues HorstmeierDr. Hubrig Frau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Dr. Jaeger Jäger
Dr. Jahn Dr. Jahn (Münster)Dr. JenningerDr. Jentsch JostenFrau KarwatzkiKatzerKiechle.Dr. Klein Klein (München)Dr. Klepsch KlinkerDr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KösterDr. KohlKolbKrampeKrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kunz Lagershausen LampersbachLandréDr. Langguth Dr. Langner Dr. Laufs LemmrichDr. Lenz LenzerLinkLintnerLöherDr. LudaLückerDr. Marx Dr. MendeDr. Mertes MetzDr. Meyer zu BentrupDr. Mikat Dr. Miltner MilzDr. Möller Dr. Müller Müller
Müller
Dr. Müller-HermannDr. Narjes Neuhaus Frau Dr. NeumeisterNiegelNordlohne Frau Pack Petersen Pfeffermann PfeiferPicardPierothDr. Pinger Pohlmann PrangenbergDr. Probst RainerRaweReddemann RegenspurgerDr. Reimers Frau Dr. Riede
Dr.Rical
Dr. RiesenhuberDr. RitzRöhnerDr. Rose RüheRusseSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchartz
SchedlFrau Schleicher SchmidhuberSchmidt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderDr. Schröder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (SchwäbischGmünd) Schwarz Dr. Schwarz-SchillingDr. SchwörerSeitersSickDr. Freiherr Spies von BüllesheimSpilkerSpranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark
Dr. Starke
Graf StauffenbergDr. StavenhagenDr. Stercken Stommel StraußStücklen StutzerSussetde Terra Tillmann Dr. TodenhöferFrau Tübler Dr. Unland Frau VerhülsdonkVogel
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5737
Vizepräsident Dr. Shmitt-VockenhausenVogt VolmerDr. VossDr. WaffenschmidtDr. Waigel Frau Dr. WalzDr. WarnkeDr. von Wartenberg WawrzikWeber Weiskirch (Olpe)Dr. von WeizsäckerWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski Wissebach WissmannDr. Wittmann
Dr. WörnerBaron von Wrangel WürzbachDr. WulffDr. ZeitelZeyerZieglerDr. Zimmermann ZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger Dr. GradlKittelmann Kunz LusterMüller
Dr. Pfennig Frau Pieser Straßmeir WohlrabeSPDCoppik Hansen LattmannMeinike
Damit ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.
Der Ausschuß schlägt vor, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 8/322, 8/976 und 8/996 sowie den unter Tagesordnungspunkt 3 b) aufgeführten Gesetzentwurf Drucksache 8/1283 insgesamt für erledigt zu erklären. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ferner wird vorgeschlagen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/1510: Die Bundesregierung wird aufgefordert, bis zum 31. Dezember 1979 einen Bericht über die Erfahrungen beim Vollzug des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vorzulegen. — Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir haben heute morgen beschlossen, den Punkt 4 der Tagesordnung abzusetzen.Ich rufe nunmehr Punkt 5 auf:5. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Mitgliedstaaten dieser Gemeinschaft einerseits, der Tunesischen Republik, der Demokratischen Volksrepublik Algerien und dem Königreich Marokko andererseits sowie zu den Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und diesen Staaten— Drucksache 8/1036 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/1515 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Sperlingb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/1432 — Berichterstatter:Abgeordneter Angermeyer
Ich frage die Herren Berichterstatter, ob eine Ergänzung der Berichte gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt.Ich verbinde die zweite Beratung mit der Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung und der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Entwurf einstimmig gebilligt.Ich rufe nunmehr die Punkte 6 bis 8 auf:6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 15. Dezember 1975 zum Protokoll vom 13. April 1962 über die Gründung Europäischer Schulen— Drucksache 8/1399 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Vertrieb von Anteilen an VermögensanlagenDrucksache 8/1405 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
RechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes— Drucksache 8/1440 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenVon der Bundesregierung wird das Wort zur Begründung nicht gewünscht. Ich frage, ob in der Aussprache das Wort verlangt wird. — Auch das ist nicht der Fall.Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates finden Sie in der Tagesordnung. Ergänzende Anträge sind nicht gestellt worden. Wir stimmen über die Überweisungsvorschläge ab. — Ich sehe und
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenhöre keinen Widerspruch. Dann ist beschlossen, daß die Vorlagen entsprechend überwiesen werden.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Schulte , Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU Fernmeldesonderbauprogramm und früherer Beginn des „Mondscheintarifs"— Drucksache 8/1345 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und FernmeldewesenIch schlage Ihnen vor, daß wir 30 Minuten für die Aussprache vorsehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Das Wort zur Begründung des Antrags hat der Abgeordnete Straßmeir.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem aufgerufenen Antrag fordert die CDU/CSU-Fraktion die Bundesregierung erstens auf, unverzüglich ein Sonderbauprogramm zu beginnen, mit dem die Behinderung des Telefonierens durch zunehmend auftretende Blockaden der Fernmeldeleitungen beseitigt wird, und zweitens, den Beginn des verbilligten Tarifs, des sogenannten Mondscheintarifs, wochentags statt um 22 Uhr bereits um 20 Uhr und samstags statt um 22 Uhr bereits um 14 Uhr anzusetzen.
Wir haben den Antrag am 15. Dezember 1977 eingebracht. Unmittelbar danach hat Herr Bundesminister Gscheidle in einer ersten Stellungnahme zugestanden, daß die zunehmende Überlastung des Fernsprechnetzes zu bestimmten Tageszeiten, insbesondere zu Beginn des sogenannten Mondscheintarifs, auch von der Bundesregierung nunmehr nicht bestritten wird. Die Bundesregierung stimmt mit uns darin überein, daß dagegen endlich etwas getan werden muß.
Wer Anträge stellt, muß damit rechnen, daß sie angenommen werden.
Wir bleiben aber bei unserem Antrag vollinhaltlich, weil die weiteren Maßnahmen, die die Bundesregierung angekündigt hat, von unserer Warte her gesehen unzureichend sind.
Lassen Sie mich bei aller Wertschätzung hier ein paar Worte in bezug auf die Strickart Ihrer politischen Taktik, Herr Minister, sagen. Da paart sicheine gewisse Einfallslosigkeit mit einem hohen Maß an Dreistigkeit.
In regelmäßiger Schönheit behauptet die Koalition, die Union verfüge über keine Alternativen. Haben wir die Alternativen, sagt die Regierung, das geht nicht, das geht finanziell nicht, das geht technisch nicht, die Opposition ist unrealistisch. Bricht Ihre Argumentationskette unter dem Zwang der Ereignisse zusammen, dann allerdings springen Sie auf den fahrenden Zug auf und lassen durch Ihre Kollegen im Parlament erklären — so nach der Methode Igel-Hase —: Das haben wir ja doch schon lange vor euch gewollt, das ist längst in Arbeit und kommt auch bald. An vielen Stellen warten wir bis heute vergeblich darauf. Das haben Sie mit uns so gemacht beim Mehrfachtäter-Punktsystem, beim Verkehrssicherheitsbericht über die Zweiradfahrer und bei vielen anderen Punkten mehr. Ich warte darauf, daß heute der Sprecher der Koalition denselben Singsang wieder anstimmen wird. Nur, meine Damen und Herren, das glaubt Ihnen nun langsam niemand mehr in unserem Land.
Herr Bundesminister Gscheidle behauptet sogar, daß er bereits im September ein Zusatzinvestitionsprogramm zur ausreichenden Kapazität, insbesondere für den Mondscheintarif, veranlaßt hat, das sich auf 500 Millionen DM belaufen und sich auf die Jahre 1978 bis 1980 erstrecken soll. Dieses Zusatzinvestitionsprogramm sucht man allerdings vergeblich im Haushaltsvoranschlag. Ich wäre der Regierung dankbar, wenn sie hier und heute erläutern würde, wo sie die finanzielle und haushaltsmäßige Absicherung vorgenommen hat. Früher war es jedenfalls so, daß Sonderbauprogramme im Haushalt der Bundespost auch gesondert ausgewiesen worden sind. Sie werden vielleicht sagen, daß sei nicht so. Aber es ist bisher so gewesen.Auf der anderen Seite wissen wir sehr genau, daß die Bundespost bereits für 270 Millionen DM einen Auftrag zur Beschaffung von Einrichtungen im Zusammenhang mit der Einführung des Nandienstes und des Zeittaktes vergeben will. Keine Angst, meine sehr verehrten Herren Kollegen, heute reden wir hier nicht über den Zeittakt,
aber über die Dienstaufsichtsbeschwerde der Aktion „Billiges Telefon", die beim Bundeskanzler über den Herrn Bundesminister Gscheidle vorliegt, werden wir uns sicherlich noch einmal parlamentarisch auseinandersetzen.
Die Bundesregierung will 50 Millionen DM aufbringen, um die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Nachttarif II — allerdings nur schrittweise — beseitigen zu können. Das wären nach unserer Rechnung — und die war, glaube ich, exakt — ganze 10 % des behaupteten Investitionsprogramms. Wie gesagt, hier ist die Gelegenheit, den
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5739
StraßmeirNachweis über die finanzielle Absicherung zu bringen. Solange das nicht geschehen ist, Herr Bundesminister, bleiben wir bei unserer Feststellung, daß in diesem Zusammenhang nicht nur in den vergangenen Jahren zu wenig investiert wurde, sondern daß man auch bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine durchgreifenden Maßnahmen in Angriff genommen hat.Die zunehmend auftretenden Blockaden beim Telefon sind ja nichts anderes als die Folge des in den Jahren seit 1974 vernachlässigten Ausbaus des Fernmeldenetzes. Seit 1973 sind die Investitionen bis zu 2 Milliarden DM — das ist annähernd ein Drittel des Volumens — zurückgegangen.
Das hat beispielsweise dazu geführt, daß 1977 sogar nominal weniger als 1971 — und das heißt natürlich, real in noch viel stärker abfallendem Umfang — investiert worden ist.
Dem Herrn Bundeskanzler beliebt es, private Unternehmen als Unterlasser zu schelten, weil sie nicht in hinreichendem Umfange investieren. Ihn interessiert es in diesem Zusammenhang überhaupt nicht, daß ein Teil der Unternehmen im Hinblick auf die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik und im Hinblick auf eine ungewisse Ertragserwartung lediglich vorsichtig investiert.Die Bundespost befindet sich, zumindest im Bereich des Fernmeldewesens, in krassem Gegensatz dazu. Sie hat eine günstige Entwicklungsphase. Beispielsweise hat die Zahl der Telefonanschlüsse allein im Jahre 1977 um rund 1,5 Millionen zugenommen. Aus diesem Grunde und wegen der gepfefferten Preise gibt es dort auch eine zunehmende Kostenüberdeckung, d. h. einen Gewinn. 1976 waren das runde 3,6 Milliarden DM. Berücksichtigt man die in Ansatz gebrachten kalkulatorischen Zinsen, so wächst der Gewinn um weitere Milliarden. Die Deutsche Bundespost rechnet trotz des defizitären Postdienstes beispielsweise 1977 mit einem Gewinn von insgesamt 3,2 Milliarden DM. Für 1978 wird der Überschuß einschließlich der Rücklagen und des Abbaus der Verschuldung auf 4 Milliarden DM veranschlagt. Die Zahlen sind eindeutig; die notwendigen Mittel für die von uns geforderten Maßnahmen sind vorhanden.Sie haben die notwendigen Investitionen unterlassen. Der vernachlässigte Ausbau des Fernmeldenetzes führt zu den angesprochenen Netzblockaden. Die Telefonkunden ärgern sich; sie können nicht verstehen, warum die gewünschten Telefonverbindungen nicht zustande kommen. Ich meine, sie ärgern sich zu Recht. Auf der einen Seite stehen genügend Mittel zur Verfügung; andererseits klagt die Fernmeldeindustrie über unausgelastete Kapazitäten. Sie war überdies zu Kurzarbeit und Entlassungen gezwungen. Der Werbeslogan der Post „Ruf doch mal an" wird hier ad absurdum geführt. Telefonieren kann man in Deutschland zu bestimmtenTageszeiten nur noch, wenn man viel Glück, viel Zeit und sehr gute Nerven hat.Minister Gscheidle hat mehrfach gesagt, der Zeittakt müsse her, damit die Telefonleitungen nicht durch Dauergespräche blockiert werden; dadurch gingen der Post viele Gespräche und damit Einnahmen verloren. Wir, meine Damen und Herren, müssen feststellen, daß heute schon ohne die Nahbereiche die Netzblockade eintritt und der Post Einnahmen verlorengehen. Aber vielleicht ist das der gewünschte Effekt, damit man nicht noch höhere Gewinne ausweisen muß. Im Sinne der Postkunden ist es nicht.Die Bundesregierung negiert nicht nur konjunkturelle Erfordernisse, sondern ist zugleich auch ihrem eigenen Postverwaltungsgesetz nicht treu, denn sie soll die Anlagen nicht nur erhalten, sondern auch technisch und betrieblich den Anforderungen des Verkehrs entsprechend weiterentwikkeln und vervollkommnen.In bezug auf den Mondscheintarif an den Samstagen ist uns die Bundesregierung gefolgt. Wir bitten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sich zu entschließen und sich unseren übrigen Forderungen anzuschließen, denn die Forderungen sind gerechtfertigt und die Maßnahmen der Bundesregierung halbherzig. Die im Vergleich zum Mondscheintarif geringfügige Herabsetzung des Nachttarifs I — und das auch nur in den Zonen III und IV — ist sicherlich ungeeignet, eine Entzerrung zu bewirken. Sie bringt den Telefonkunden keinen motivierenden Anreiz, um die Gespräche zu anderer Zeit zu führen. Nach unserer Meinung führt nur die generelle Vorverlegung des sogenannten Mondscheintarifs an allen Werktagen auf 20 Uhr zu der gewünschten Entzerrung, weil sich auf diese Weise die Gesprächswünsche auf einen längeren Zeitraum zu einem akzeptablen Preis verteilen lassen.
Ihr Angebot, meine Damen und Herren, ist selbst nach den Reduzierungsplänen der Bundesregierung noch immer für den Postkunden um das Dreifache teurer als unser Vorschlag. Im Gegensatz zu den Vorschlägen der Bundesregierung enthält unser Vorschlag die motivierenden Anreize, um den gewünschten Effekt zu bewirken. Die Regierung sollte sich auch in diesem Fall nicht immer Schritt für Schritt in die richtige Richtung schubsen lassen, sie sollte sich einmal überwinden und gleich sagen: Weil es von der Opposition ist, kann es auch gut sein; wir folgen dem Vorschlag.
Meine Damen und Herren, unser Antrag dient den Postkunden. Er ist für die Post technisch wie finanziell bekömmlich. Er ist ein Beitrag zur Konjunkturpolitik und sichert Arbeitsplätze. Wir fordern Sie auf, unserem Antrag beizutreten.
DasWort hat der Herr Abgeordnete Paterna.
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5740 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion trägt einerseits Eulen nach Athen — Sie sehen, Herr Straßmeir, es kommt genau das, was Sie erwartet haben, aber ich werde es Ihnen auch noch nachweisen —, andererseits, um im Bilde zu bleiben, ist er nicht einmal vom Mondschein, geschweige denn von der Sonne der Sachkenntnis erleuchtet. Da ich nun die Herren Antragsteller für so uninformiert nicht halte, wie sie in diesem Antrag tun, kann nur irgend etwas anderes dahinterstecken. Bei näherer Prüfung kommt dann genau das heraus, was sich bei vielen anderen Anträgen der Opposition auch abspielt: Hier wird das Parlament als Vehikel für Presseerklärungen mißbraucht, die Aktivitäten vortäuschen sollen.
Das geht dann so: Man nehme ein paar interne Informationen aus dem Ministerium, wenn über Pläne nachgedacht wird, oder man macht das noch ein bißchen dreister und verkauft bereits öffentlich angekündigte Maßnahmen als eigene, rührt dann noch ein bißchen dazu, was sich zwar populär anhört, aber aus fachlicher Sicht nicht sinnvoll ist, garniert das Ganze noch mit einer sogenannten Begründung, die im Grunde nur aus Polemik besteht, und dann hat man das, was von mir eine Scheininitiative genannt wird.Ich gebe Ihnen also die Bewertung vorweg und komme nun zur Sache. Wir wollen uns das einmal im einzelnen ansehen.
— Herr Vorsitzender, Sie haben das nicht so gerne, wenn ich während der von Ihnen geleiteten Sitzungen rede. Es steht mir nicht zu, aber vielleicht hören Sie doch einmal zu.
Erstens. Die CDU/CSU fordert ein Sonderbauprogramm. Dabei gibt es bereits zwei Sonderbauprogramme, eines davon zur Einführung der Nahbereiche. Ich muß hier noch einmal wiederholen: ein Viertel dieses Programms geht in die Zeitzählungen, Dreiviertel gehen in die Netzverstärkung. Dieses ist hier schon ein paarmal erläutert worden. Es ist damals von Ihnen kritisiert worden, obwohl wir Ihnen die Dringlichkeit und das Vorziehen des Programms mit eben dem Arbeitsplatzargument erläutert haben, das Sie uns jetzt in Ihrer Begründung wieder „unterjubeln", als sei das Ihre eigene Erfindung. Das Programm kostet zirka 1,6 Milliarden DM. Das wissen Sie längst.Das zweite Programm über 1,4 Milliarden DM— ebenfalls schon im vergangenen Jahr begonnen— wird speziell zur Erweiterung der Kapazität des privaten Fernsprechbereichs in den nächsten vier Jahren durchgeführt. Nun sagt der Kollege Straßmeir: „Ja, woher sollen wir denn das alles wissen? Der Minister — flink wie er ist — hat also einen Tag, nachdem wir unseren Antrag eingebracht haben, endlich zugegeben, . . ." — Okay.
Dann wollten Sie auch noch wissen, wo das Geld herkommt. Dann will ich Ihnen einmal empfehlen, das Protokoll des Deutschen Bundestages vom 20. Oktober 1977 nachzulesen. Ich sage Ihnen auch noch die Seitenzahl: 3810 und folgende. Da hat Ihnen nämlich der Herr Kollege Wuttke mal erklärt, wie das eigentlich zustande kommt, was der Postverwaltungsrat ist und was der zu sagen hat und daß dort Vorausermächtigungen in Höhe von 3 Milliarden DM beschlossen worden sind und was damit alles so zu tun ist.
Das ist hier von diesem Pult aus im einzelnen erläutert worden. Ich brauche Ihnen das nicht näher vorzulesen.
— Seien Sie doch nicht so aufgeregt.Davon, was der Minister angeblich „zugegeben" hat, nachdem Sie Ihren Antrag gestellt haben, war schon ein Jahr vorher die Rede. Ich könnte Ihnen hier z. B. als Quelle das Interview im „Deutschlandfunk" vom 3. Juli 1977 empfehlen. Das hat zu dieser Zeit auch in leichter zugänglichen Quellen wie z. B. der „Bild" -Zeitung gestanden. Auch diese Quelle könnte ich Ihnen noch genau nennen. Da wird von Blockierungen geredet und dann heißt es — ich zitiere —:Das heißt, hier wird man zum einen mit zusätzlichen Investitionen, zum anderen aber sicher mit dem Gedanken arbeiten müssen, ob man durch die zeitliche Verschiebung des Sonntagstarifs . . .Genau da haben Sie diese Punkte, nur ein halbes Jahr vor Ihrem Antrag und nicht einen Tag nach Ihrem Antrag. Das ist der kleine, aber entscheidende Unterschied, auf den es manchmal ankommt. Nur, wenn man sich an die Tatsachen und an die Wahrheit hält, dann hört sich das alles nicht mehr so gut an wie das, was Sie hier verbraten haben.
— Ja, ich bin immer bei Ihrem Antrag.
— Aber sicher.Dann kommt der zweite Punkt. Es ist richtig, daß es zu Beginn der Geltungszeiten des verbilligten Tarifs zu Engpässen kommt. Nur, meine Damen und Herren, dies ist völlig klar. Das wird immer so sein. Da können Sie den Tarif hinlegen, wo Sie wollen, am Anfang werden Sie immer Spitzen kriegen. Wenn Sie das so machten, wie Sie das vorschlagen, werden Sie zu erheblich größeren Blockaden kommen. Wenn Sie sich die Mühe machten, einmal die Verteilungskurve der Fernsprechbenutzungsfrequenzen anzuschauen, dann würden Sie feststellen, daß Sie natürlich einen Teil der nach 22 Uhr Telefonierenden auf die Zeit nach 20 Uhr vorzögen, aber natürlich auch einen Teil derjenigen — und das haben Sie vergessen zu überlegen —, die vor 18 Uhr telefonieren, dazu bewegen, bis 20 Uhr zu warten. Damit würden Sie von beiden Seiten auf einen Sockel
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5741
Paternadraufsatteln, der sowieso schon höher ist. Wir brauchen das hier, glaube ich, im technischen Detail nicht zu erörtern. Dazu ist im Ausschuß noch Zeit genug. So einleuchtend wie das, was Sie hier erzählen, ist es in der Praxis in der Tat nicht. Im Gegenteil, Sie kämen, wenn wir das so machten, wie Sie es vorschlagen — und dies wäre dann im Ausschuß mit den Fachleuten zu diskutieren —, zum genauen Gegenteil von dem, was Sie wollen.
— Da kommen wir noch hin. Nur mal langsam.
Außerdem, Herr Kollege Straßmeir, sind Sie immer dafür, daß der Staat wirtschaftlich arbeitet. Nun muß ich Ihnen einmal in allem Ernst etwas sagen. Sie sagen in der Begründung Ihres Antrags, hier gäbe es an fünf Tagen Engpässe zwischen 22 Uhr und 22.30 Uhr. Das sind insgesamt zweieinhalb Stunden. Angesichts dieses, gemessen an der Zahl von fünfmal vierundzwanzig Stunden, kleinen Zeitraums wollen Sie mir, dem Deutschen Bundestag und dem deutschen Steuerzahler vor allen Dingen doch nicht im Ernst sagen, daß die Netzkapazität auf die Spitzenbelastung dieser jeweils halben Stunde von vierundzwanzig Stunden ausgelegt werden sollte. Das können Sie dem deutschen Steuerzahler doch nicht im Ernst zumuten wollen.
Daß es aber sehr vernünftig ist — und da liegen Sie dann wieder richtig; da kommt dann wieder die Oppositionseule —, den Nachttarif II in die hellen Stunden des Tages Sonnabend— in die Stunden ab 14 Uhr — vorzuverlegen, darin sind wir uns einig. Da laufen Sie aber wieder der Entwicklung hinterher; denn auch dieses ist eine längst öffentlich gehandelte Maßnahme.
— Wenn Sie eine Netzkapazität auf den allerhöchsten Spitzenbedarf des privaten Fernsprechverkehrs im Fernbereich auslegen — darauf heben Sie ab —, dann ist doch völlig klar, daß Sie damit in dieser halben Stunde zwar bedarfsgerecht ausbauen, aber für den Rest, nämlich für 231/2 Stunden des Tages entsprechende Oberkapazitäten haben. Da wird es dann wohl doch ein bißchen zu üppig.Fazit: Der CDU/CSU-Antrag ist eine publizistische Seifenblase. Damit Sie sich aber wirklich ernst genommen fühlen
— im Augenblik rede ich immer noch im` Zeittakt, nicht ganz acht Minuten; Sie sehen, in dieser Zeit kann man eine ganze Menge darlegen —, will ich mich die letzten zwei Minuten Ihrer Begründung widmen, damit Sie nicht meinen, idh hätte etwas ausgelassen.Erstens. Die dramatisierten Blockaden im Selbstwählferndienst — damit argumentieren Sie ja — liegen weit unter den international empfohlenen Werten.Zweiter Punkt. Die Investitionen — da haben Sie recht — waren in den letzten Jahren tatsächlich geringer. Aber sie waren immer noch erheblich höher, als aus betriebswirtschaftlichen Gründen eigentlich notwendig gewesen wäre. Die Post hat also über den kurzfristig betrieblichen Bedarf hinaus investiert. Nur so ist es zu erklären, daß der erhebliche Zuwachs an Kunden so schnell und reibungslos verkraftet werden konnte.Dritte Bemerkung zu Ihrer Begründung. Die Post macht tatsächlich Gewinne. Aber da frage ich: Warum nicht? Der Postminister kriegt keine Gewinnbeteiligung. Das, was er als Gewinn einfährt, kommt den Postkunden zugute, den Fernsprechkunden im übrigen auch. Das wird nicht nur alles transferiert, wie Sie gelegentlich behaupten. Da gibt es konkrete Vorschläge. Da Sie die inzwischen kennen, empfehle ich Ihnen: Machen Sie daraus wieder einen Antrag; dann können Sie wieder so tun, als wären das Ihre eigenen Ideen.Zum Schluß zu den Arbeitsplätzen, wozu ich schon etwas gesagt habe. Ich habe insbesondere das Investitionsprogramm genannt. Rechnen Sie pro 100 Millionen DM etwa 800 Arbeitsplätze pro Jahr. Dann können Sie sich bei dem Gesamtvolumen von 3 Milliarden DM ausrechnen, was möglich ist.Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren von der Opposition: Wir bedanken uns, daß Sie durch einen an sich überflüssigen Antrag Gelegenheit gegeben haben, die Leistungen des Postministers noch einmal entsprechend zu würdigen, und das — um in einem letzten Schlenker auf Ihre Begründung zu kommen — auch ohne PR-Anzeige, somit im Zeitakt zum Normaltarif.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die .Überschrift des Antrages der Opposition, nämlich „Fernmeldesonderbauprogramm und früherer Beginn des ,Mondscheintarifs' ", können wir voll und ganz unterschreiben, Ihre in zwei Punkte aufgegliederten Forderungen jedoch nur noch teilweise und die Begründung schließlich fast überhaupt nicht mehr.Die wichtigsten sachlichen Bedenken gegen Ihren Vorstoß, der hinsichtlich der sinnvollen und allgemein wünschenswerten Komponenten weitgehend das wiederholt, was schon seit längerem von der FDP gefordert und vom Bundespostminister nicht erst auf Grund Ihres Antrages, sondern bereits in der Mitte des vergangenen Jahres angekündigt worden ist, hat der Kollege Paterna in seiner Jungfernrede, zu der ich ihm gratulieren darf, soeben dezidiert ausgeführt, so daß ich Ihnen und mir Wiederholungen ersparen kann. Nunmehr wird es an Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, sein, in den Ausschußberatungen sowie möglicherweise auch im Postverwaltungsrat unsere begründeten Zweifel an der Zweckmäßigkeit Ihres Antrages zu entkräften.
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5742 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Hof fieSelbst bei betriebswirtschaftlich vernünftigem Ausbau des bisherigen Netzes — das muß ja wohl der Maßstab bei Investitionsvorhaben immer noch sein und bleiben — können wir schon heute ziemlich gewiß sein, daß bei einem Beginn des Nachttarifs II um 20 Uhr an Wochentagen außer samstags das Verkehrsaufkommen in der Zeit von 20 bis 22 Uhr so sprunghaft ansteigt, daß Verhältnisse entstünden, die adäquat nur noch mit „chaotisch" umschrieben werden könnten. Das, Herr Kollege Straßmeir, ist eben nicht ein Schritt in die richtige, sondern in die falsche Richtung.Wir können uns demgegenüber eine allen Beteiligten gegenüber gerecht werdende und das Verkehrsaufkommen auch nachhaltig entzerrende Lösung einerseits insoweit vorstellen, als der bisherige Nachttarif I — also von montags bis freitags von 18 bis 22 Uhr und samstags von 14 bis 22 Uhr — durch eine spürbare Verbilligung insbesondere für den privaten Verbraucher so attraktiv wird, daß er sein Kommunikationsbedürfnis nicht mehr bis 22 Uhr und später hinauszögert. Andererseits sollte der Nachttarif II an Samstagen sowie am 24. und 31. Dezember — davon war bereits die Rede — schon ab 14 Uhr gelten. Eine derartige Maßnahme wäre gerade für den privaten Verbraucher geeignet. Diese Verbilligung würde durch die vorgesehene Einführung der zeitabhängigen Telefonnahbereiche noch verstärkt.Verbilligung und Investitionskosten für ein Fernmeldesonderbauprogramm und für die Einrichtung der Nahbereiche erscheinen prima vista angesichts der ausgezeichneten Finanzlage im Fernmeldebereich machbar, wenn sich die Kostenstruktur im Postwesen in gewisser Weise verbessern läßt, was wir anstreben müssen. Über all diese Fragen werden wir in den nächsten Wochen mit dem Postminister intensiv zu diskutieren haben.Eines verdient aber an dieser Stelle nochmals mit aller Deutlichkeit festgehalten zu werden: Betriebswirtschaftlich unvernünftig wäre es, das Netz so auszubauen, daß sämtliche Wünsche aus dem Billigsttarif erfüllt werden können; denn der Billigsttarif ist ein Sonderangebot, und an Sonderangeboten können Sie Ihr Geschäftsgebaren nicht ausrichten. Bekannterweise haben ja auch die „billigen Jakobs" nichts zu verschenken. Wir rufen aber die Post auf, sich darum zu bemühen, daß in zumutbarer Zeit jemand, der zum Billigsttarif telefonieren will, dann auch sprechen kann.Heftig widersprechen muß ich dem Schwerpunkt Ihrer Begründung, mit dem Sie die mangelhaften Kapazitäten im Fernmeldebereich auf eine verfehlte, weil drastisch gekürzte und falsche Investitionspolitik unter der sozialliberalen Regierung zurückführen wollen. Das ist ein pauschaler Vorwurf, den man in dieser Pauschalität auch nur widerlegen kann. Die Post hat nicht nur kontinuierlich und bedarfsgerecht investiert, sondern sogar noch mehr als dies.Wie anders ist denn sonst der rapide Abbau der Wartelisten bei Telefonanschlüssen, Herr Straßmeir, in den letzten Jahren zu erklären? Nein, die Deutsche Bundespost hat stets über das betriebswirtschaftlich Optimale hinaus investiert und hat geradeRücksicht auf die Arbeit in der Fernmeldeindustrie genommen.Nehmen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, auch einmal zur Kenntnis, daß im Fernmeldebereich im Moment alljährlich Zuwächse von mehr als 1 Million Hauptanschlüsse verkraftet werden. Das ist eben nur möglich wegen der Reserven, die die Post in den Jahren angesammelt hat, in denen sie mehr investierte, als eigentlich nach dem Bedarf notwendig war. Was sollen also die schrillen Töne, wo doch moderate Töne viel mehr angebracht wären? .Bleibt festzustellen, daß Sie in der Opposition Wiener einmal in dem Moment aus dem Tritt und ins Stolpern geraten sind, in dem Sie von Ihrer ipsistischen Haltung abgehen und es bei der grundsätzlichen Kritik an der Regierung und eher vagen Angaben über Ihre eigenen Pläne belassen. So zahlt sich für Sie beides nicht aus: weder die häufig empfohlene Regel, sich in der Opposition nicht über konkrete politische Ziele zu äußern und die Regierenden anzugreifen, ohne Ansatzflächen der Gegenkritik zu liefern, noch Ihr Versuch einer Auseinandersetzung im mittleren Feld pragmatischer und konkreter Politik. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir werden sehen, ob Sie bei den Ausschußberatungen mehr zu bieten haben als das, was heute hier zu hören war.
Das
Wort hat Herr Bundesminister Gscheidle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Straßmeir, einige schwerwiegende Fehler, die in Ihren Ausführungen deutlich wurden, veranlassen mich doch, den Versuch zu unternehmen, an Hand von drei Beispielen abschließend einen Rat zu begründen.Erstens. Ihre Vorstellung, daß ein Sonderprogramm in einem Haushalt der Bundespost erscheint, läßt die Kenntnis wesentlicher Zusammenhänge vermissen, die ich an und für sich bei Ihnen vermutet hätte. Ich möchte dies begründen. Wenn Sie zum Zweck der Beseitigung einer Hemmnisschwelle technische Investitionen vornehmen, so dienen die technischen Einrichtungen, die Sie investieren, keinesfalls nur dem Zweck, beispielsweise die Hemmnisse während einer bestimmten Tarifzeit zu beseitigen. Sie können die einzelnen technischen Einrichtungen überhaupt nicht differenzieren, sondern Sie schaffen einen Haushaltsansatz für Leitungen, Kabelarten, Übertragungen, Wähleinrichtungen etc. Man kann natürlich — dies haben Sie, wie ich befürchte, verwechselt — sozusagen von der Unternehmensentscheidung her sagen: Zu dem, was ich allgemein an Investitionen vorgesehen habe, gebe ich nun ein Sonderprogramm z. B. in der Größenordnung von 500 Millionen DM hinzu. Das haben wir gesagt. Im Haushalt kann dieser Betrag allerdings nicht erscheinen, sondern er erscheint als Mehrausgabe unter zahlreichen Titeln.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5743
Bundesminister GscheidleEine zweite Bemerkung. Mich hat überrascht, daß Sie sagten: Warum hat die Bundespost dies eigentlich erst entstehen lassen? Wenn man mit den Investitionen zurückfährt, ist doch klar, daß man solche Schwierigkeiten bekommt. — Herr Straßmeir, dann hätten Sie vorausgesetzt, daß wir zu einem Zeitpunkt investiert hätten, zu dem wir den Nachttarif II noch gar nicht eingeführt hatten. Der Nachttarif II wurde 1974 beschlossen. Die ersten Auswirkungen waren für alle Verkehrstheoretiker überraschend, weil die Nachfrageelastizität des Marktes bei einem Dienstleistungsangebot, das Sie noch nie hatten — internationale Erfahrungen gab es auch nicht —, mindestens ein Jahr Betrieb, ein halbes Jahr Auswertung und danach ein halbes Jahr an planerischen Entscheidungen benötigt.Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Straßmeir: Ich habe bei Ihren Ausführungen den Eindruck gehabt, daß Sie sich die Bundespost ungefähr wie einen Bauchladen vorstellen, der leicht übersehbar it. Alle fehlenden Zigaretten, Streichhölzer oder Schuhnestel können leicht ersetzt werden. — So leicht ist die Bundespost nun aber nicht zu führen. Deshalb hat sie auch einen Postverwaltungsrat.Damit komme ich zu meiner dritten Bemerkung. Ich bin über Ihre Vorstellungen manchmal einfach deswegen überrascht, weil Sie in diesem Verwaltungsrat als Opposition wirklich gut vertreten sind. In ihm ist Herr Stücklen als langjähriger Postminister vertreten. Herr Leicht als Vorsitzender des Haushaltsausschusses ist nach seinem Ausscheiden jetzt durch Herrn Windelen ersetzt worden. Sie werden bei Ihrer Kritik gegenüber der Bundespost, die auch den Verwaltungsrat einschließt, doch wohl nicht im Ernst davon ausgehen, daß die Herren nicht in der Lage wären, uns entsprechend ihrem Amt im Verwaltungsrat zu kontrollieren. Es tut mir auch etwas leid für die vielen tausend Führungskräfte der Bundespost, die sich alle Mühe geben, die Sache richtig zu machen. Es steht ihnen frei, den Postminister als Trottel hinzustellen. Ich unterstelle einmal, er wäre einer. Glauben Sie im Ernst, daß ein Postminister in der Lage wäre, bei einem solchen Unternehmen gegen den Sachverstand von 18 000 Ingenieuren Mist zu bauen? Haben Sie wirklich eine solche kleinliche Vorstellung über das, was die Bundespost ist?
Wir haben ja nichts dagegen, daß Sie uns Anregungen geben. Es ist auch nicht so, daß wir nicht sagen: Viele Ihrer Anregungen gehen mit in unsere Unternehmensentscheidungen ein. Warum packen Sie dies alles aber in so eine allfällige Polemik? Wenn es um Unternehmenspolitik geht, können Sie in der Regel alle Entscheidungen — von den Anfängen an — auf dem Wege über die Tätigkeit des Verwaltungsrates nachkontrollieren. Herr Straßmeir, warum gehen Sie bei der Vorbereitung Ihrer Beiträge um Himmels willen nicht dazu über, den Sachverstand Ihrer Kollegen zu nutzen, die Sie in diesem Verwaltungsrat vertreten? Im übrigen verrate ich Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, daß die Personalpolitik bei der Bundespost in den Jahren ab 1949 das Ihre getan hat. Sie finden genügendsachverständige Beamte, die Ihnen politisch nahestehen. Sie erhalten von mir jederzeit die Erlaubnis, Ihnen auf sachliche Fragen eine sachliche Auskunft zu geben. Aber warum wollen Sie die Bundespost hier als eine Organisation, ein Unternehmen darstellen, das nicht genau weiß, was es tun soll?Die letzte Bemerkung. Sie kommen bezüglich Ihrer Kritik zu einer ganz einfachen Erkenntnis der Zusammenhänge bei Innovationsentscheidungen hinsichtlich Erweiterungsinvestitionen. Innovationen werden in einem solchen Unternehmen durch die Nachfrage oder durch die Erweiterungsinvestitionen ausgelöst, die wir im voraus als Reserven für mutmaßliche Entwicklungen planen. Sehen Sie sich hinsichtlich des Zugangs an Hauptanschlüssen und hinsichtlich der technologischen Umrüstung die Statistik an, und Sie können unschwer davon ablesen, was an Investitionen notwendig war, und erkennen, was der Rechnungsprüfungsausschuß und der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in vielen Dokumenten bestätigen: Es handelt sich bei der Bundespost um eine hervorragende Unternehmenspolitik.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klein , Frau Dr. Waltz, Benz, Blumenfeld, Eymer (Lübeck), Dr. von Geldern, Dr. Hupka, Klein (München), Kroll-Schlüter, Metz, Dr. Narjes, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Schmidhuber, Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Stercken, Weiskirch (Olpe), Frau Dr. Wilms, Wohlrabe und der Fraktion der CDU/CSU
Informations- und Dokumentationsprogramm der Bundesregierung und Zeitschriften sowie Fachpresse
— Drucksache 8/1339 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie Innenausschuß
Rechtsausschuß
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klein.
Herr Präsident! Meine Herren! Der Antrag betreffend IuD-Programm der Bundesregierung und Zeitschriften sowie Fachpresse, der Ihnen heute zur ersten Beratung vorgelegt wird, fordert die Bundesregierung auf, bis zum Ende dieses Jahres — dabei kommt es uns auf einige Wochen oder Monate nicht an — einen Bericht zu erarbeiten und dem Deutschen Bundestag vorzulegen, der in der gebotenen Sachlichkeit ausführlich und systematisch alle verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und organisatorischen Fragen, Probleme und Folgen behandelt und darstellt,
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5744 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Dr. Klein
die sich für das Publikum, für die Zeitschriften, für die Fachpresse, nicht zuletzt aber auch für die Autoren aus dem Regierungsprogramm zur Förderung der Information und Dokumentation und den geplanten 16 sogenannten Fachinformationszentren ergeben.Dieser Antrag, der, soweit ich sehe, ja weniger von parteipolitischer Brisanz als vielmehr von großem sachlichen Interesse für die Betroffenen — und das sind wir letztlich alle — ist, geht auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion zurück, die von der Bundesregierung inzwischen beantwortet ist, wobei diese Antwort aber eine ganze Reihe von Dingen zu wünschen übrigläßt.Meine Fraktion geht deshalb von der Überzeugung aus, daß es nicht nur im Interesse aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, sondern auch im Interesse einer sachorientierten Politik liegen muß, diese politischen Planungs- und Entscheidungshilfen unverzüglich in Auftrag zu geben und dem Deutschen Bundestag zu gegebener Zeit über die Ergebnisse ausführlich und systematisch Bericht zu erstatten.Die in unserem Antrag ebenfalls genannten und für einen solchen Bericht an gesprochenen Fragen, die sich für das Urheberrecht aus der sprunghaften Entwicklung von Technik und Ausmaß des Fotokopierens inzwischen ergeben haben und noch verstärkt ergeben werden, hängen ursächlich mit den eben nur skizzierten Problemen zusammen. Eine gleichzeitige gründliche Behandlung dieser Problematik im Rahmen des von uns erbetenen Berichts der Bundesregierung bietet sich an.Die tiefgreifenden Veränderungen und Entwicklungen im Bereich der Massenmedien und die sich rasch und grundlegend verändernden inneren und äußeren Strukturen in diesem Bereich machen den Hinweis auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen und das verfassungsrechtlich garantierte Informationsrecht und die Informationsfreiheit des Bürgers nur noch dringlicher. Diese für die Presse insgesamt maßgebenden und richtungweisenden Grundsätze gelten selbstverständlich auch für die Fachpresse und die Zeitschriften.Wir sind mit der Bundesregierung der Auffassung, daß angesichts der ständig steigenden Informationsflut insbesondere im Bereich der Fachliteratur das Angebot an Fachliteratur, vor allem an Fachzeitschriften, besser erfaßt werden muß, damit es vielfach erst einmal erschlossen und dann dem interessierten Leser und Spezialisten rascher, umfassender und gründlicher zugänglich gemacht werden kann. Dabei geht die Union davon aus, daß, so wünschenswert verbesserter Zugang und optimale Verfügbarkeit auch sind, zunächst einmal alle rechtlichen und insbesondere alle verfassungsrechtlichen Fragen eindeutig geklärt und die wesentlichen Konsequenzen für die Fachpresse erfaßt und dargestellt werden müssen, bevor man dieses Programm in die Tat umzusetzen beginnt.Unter dem Einfluß der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien werden sich die Fachzeitschrift selbst und das Bild des Verlegers sicherlich allmählich verändern. Zur Verarbeitung des Informationsangebots werden sich neue spezielle Dienstleistungssektoren und neue Verlagsserviceleistungen entwickeln und mittelfristig durchsetzen. Auf der. anderen Seite könnte die voreilige Einrichtung und Förderung von Fachinformationszentren nicht nur zu einer ersten Gefährdung für die Zeitschriften und Fachpresseverlage, sondern auch zu einem unkalkulierbaren und gefährlichen Risiko für die Informationsquelle Fachpresse werden.Um das Ausmaß dieser Gefährdungen in überschaubaren Größen zu halten, wird es darauf ankommen, wie diese Fachinformationssysteme ausgestaltet werden sollen und können. Hier gibt es zur Zeit noch zu viele ungelöste Probleme, als daß man bereits jetzt zu politischen Entscheidungen kommen dürfte. So sind z. B. die wichtigen Fragen der Trägerschaft, des Zugangs, von Umfang und Art der gespeicherten Informationen, d. h. die Fragen: nur Fundstellennachweise oder Volltextdokumentation, nur bereits veröffentlichte Literatur oder auch sogenannte Primärdokumentation, und andere, mehr weiter offen und dies stiftet angesichts einiger übereilter Entscheidungen ständig neue Unruhe und Verwirrung.Wir halten es für wichtig, daß die Bundesregierung und vor allen Dingen das Bundesministerium für Forschung und Technologie in diesem Zusammenhang in der Öffentlichkeit mehrfach verlauten ließ und versichert hat, daß für die vorhandenen oder einzurichtenden IuD-Einrichtungen die sogenannte Volltextspeicherung und damit eine Belieferung mit Originalliteratur und kopierten sowie ausgedruckten Volltexten nicht beabsichtigt sei. Man muß sich freilich- fragen, was von solchen Versicherungen zu halten ist, wenn gleichzeitig die Tatsache bekannt wird, daß die mit dem BMFT kooperierenden, von ihm finanziell geförderten und für die Integration in IuD-Einrichtungen vorgesehenen Doma-Informgesellschaft zur Literaturinformation des Maschinenbaus mbH in Frankfurt und die Zentralstelle Dokumentation Elektrotechnik e. V. beim VDE in Offenbach am Main ihren Benutzern den Bezug von fotokopierter Originalliteratur anbieten. Am Beispiel dieser beiden Einrichtungen, die beide mit der Technischen Informationsbibliothek in Hannover zusammenarbeiten, werden die rechtlichen Fragen und ungelösten Probleme deutlich.Ich meine, hier ist das Parlament aufgefordert, im Interesse seiner Glaubwürdigkeit geschlossen und einmütig von der Regierung Aufklärung und Auskunft zu erbitten. Der in dem Ihnen hier vorliegenden Antrag von uns geforderte Bericht könnte diese umfassende und systematische Aufklärung liefern. Ich bitte Sie nachdrücklich um Ihre Unterstützung für unseren Antrag.Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich mich jetzt unmittelbar in den parallel tagenden Unterausschuß für die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste zurückziehe, wo ich Berichterstatterpflichten zu erfüllen habe.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5745
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stockleben.
Herr Präsident! Meine Herren! Für die SPD/FDP-Bundestagsfraktionen stelle ich zum Inhalt des Antrages der Opposition folgendes fest. Das Informations- und Dokumentationsprogramm der Bundesregierung ist eine gute Chance, Fachinformationen dem Leser rascher zugänglich zu machen, den Umgang mit der Fachliteratur zu erleichtern und deren Nutzung zu intensivieren. Der positive Aspekt, den das Informations- und Dokumentationsprogramm schon bisher für unsere Volkswirtschaft insgesamt beinhaltet, wird sicherlich von niemand in diesem Hohen Hause bestritten. Denn die ökonomischen Vorteile, die die Abnehmer von Informationen, insbesondere auch Klein- und Mittelbetriebe, hierdurch als Angebot erhalten, sind von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung des sich rasch verändernden Wissensstandes sowie für die Strukturveränderung in einer sich rasch verändernden Produktionstechnik. Es ist daher wichtig und richtig, durch Erweiterung und Verbesserung der Informationsdienstleistungen die Effekttivität der Forschungs- und Entwicklungsarbeit in unserem Lande zu erhöhen, um somit Innovationsvorgänge im Wirtschaftsbereich zu beschleunigen. Die wirtschaftliche Weiterentwicklung und die Sicherung der Arbeitsplätze der Zukunft in unserem hochindustrialisierten Staat ist weitgehend mit der qualitativen Verbesserung der Produkte verbunden. Dies setzt künftig stärker als bisher eine rasche Umsetzung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse voraus. Die vorhandenen Fachinformationszentren sollen und werden in verstärktem Maße branchenspezifisch sowie regional gezielt zwischen Forschung und Industrie den Informationsfluß verbessern.Die Bundesregierung hat deshalb bereits in ihrer Antwort auf die Anfrage der Opposition gut verdeutlicht, daß durch die verbesserte Nutzung der Erkenntnisse aus der Fachliteratur künftig nach den bisherigen Erfahrungen noch eine verstärkte Nachfrage zu erwarten ist. Als positives Zeichen dieser Entwicklung ist die im Jahre 1977 gegenüber 1976 um 27 % gestiegene Anforderung der Literatur bei den Zentralbibliotheken der Medizin anzusehen. Die Inanspruchnahme dieses Angebots zeigt uns in der bisherigen Praxis sehr deutlich, welches Interesse die Fachinformationszentren bereits heute im Bereich der Medizin haben. Die angeblich negativen Folgen des Informations- und Dokumentationsprogramms' für die Zeitschriften- und die Fachpresse, wie von der CDU behauptet, aber nicht belegt, sollten von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, durch konkrete Sachverhalte bzw. Fakten belegt werden.Was die verfassungsrechtlichen und organisatorischen Fragen angeht, so sind wir der Meinung, daß es gut und notwendig ist, daß zunächst einmal das Max-Planck-Institut zu 'den urheberrechtlichen Fragen eine entsprechende Untersuchung durchführt, damit es gleichzeitig zu dem Patent-, dem Urheber- sowie dem Wettbewerbsrecht eine entsprechende Begutachtung vornimmt. Dieser Auftrag ist seit längerer Zeit vergeben. Wenn diese Ergebnisse 1978 vorliegen und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seine ebenfalls in Vorbereitung befindliche Materialsammlung abgeschlossen hat, werden wir prüfen, welcher Fragenkomplex des Urheberrechts zu novellieren ist.Die sozialliberale Koalition ist bereit, die Regierung in ihrem, wie ich meine, positiven Vorhaben zu unterstützen. Ihr Vorwurf, meine Damen und Herren von der Opposition, in dem Fachinformationszentrum „Juris" seien längst solche Volltexte gespeichert, ist nicht haltbar. Richtig ist, daß die Volltextspeicherung auf Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen beschränkt ist. Da dieser Bereich urheberrechtlich jedoch nicht geschützt ist, ist auch dieser Punkt Ihrer Begründung gegenstandslos.Die Träger der Fachinformationszentren sind als GmbH gegründet, also auf privatwirtschaftlicher Grundlage. Dem Verlangen, der Bundesregierung eine Beteiligung anzubieten, wird gefolgt Sie sehen, daß wir auch hier dem privaten Interesse entgegenkommen. Wo allerdings das öffentliche Interesse überwiegt, wie im Bereich der Bildung bzw. der Medizin, sollten öffentlich-rechtliche Gesellschaftsformen möglich sein. Dies ist für uns keine Doktrin, sondern ausschließlich eine Frage der Zweckmäßigkeit.Meine Damen und Herren der Opposition, Ihr Antrag geht auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage zurück. Sie sollten bei aufmerksamem Lesen der Beantwortung bereits festgestellt haben, daß sich keine negativen verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen sowie organisatorischen Folgen für die Fachpresse aus dem I-und-D-Programm der Bundesregierung ergeben.
Sie, die Opposition, müssen daher erst einmal deutlich machen, welche negativen Konsequenzen Sie tatsächlich sehen.Noch einige Sätze zur augenblicklichen Handhabung des Kopierwesens. Hier wird vom BMFT im Sachverständigenkreis „Fachkommunikation" bereits ein vorliegendes Projekt „Zentraler Kopierdienst" vorbereitet, das auf die Anregung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zurückgeht. Meine Damen und Herren, Material über Nachteile des Kopierens für Urheber wird nach Aussage des Bundesministers der Justiz inzwischen auch vom Börsenverein zusammengetragen. Damit soll das Begehren zur Änderung des Urheberrechts untermauert werden. Da dieses Material zur Zeit jedoch noch nicht vorliegt, ist der Zeitpunkt für eine Novellierung, obwohl in dem Gesetzgebungsprogramm dieser Legislaturperiode enthalten, noch offen. Deshalb schlagen wir vor, den Antrag der Opposition zur weiteren Behandlung und zur Präzisierung an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen.
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5746 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, den Antrag an den Ausschuß für Forschung und Technologie — federführend — und an den Innen- und Rechtsausschuß —mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU
Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Antarktis-Vertrag
— Drucksache 8/1427 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Zur Begründung des Antrags hat der Herr Abgeordnete von Geldern das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland ist bei wichtigen zukunftsorientierten internationalen Konferenzen in den letzten Jahren auf der Straße der Verlierer gewesen. Ich nenne hier nur die Dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen, die in wenigen Wochen in die 7. Session geht und uns bisher nur Unerfreuliches beschert hat. Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages beantragt nun heute den Beitritt der Bundesrepublik als Vollmitglied zum Antarktis-Vertrag, damit wir nicht auch den Wettlauf um den sechsten Kontinent verlieren.Nach dem Antarktis-Vertrag vom 1. Dezember 1959 soll die Antarktis ausschließlich friedlichen Zwecken dienen und nicht zum internationalen Streitobjekt werden. Die Freiheit und internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung in der Antarktis sollen erhalten bleiben und gefördert werden. Den zwölf Vertragspartnern — unter ihnen die USA, die UdSSR, Großbritannien, Frankreich und Japan — hat sich im vergangenen Jahr Polen angeschlossen. Sechs Nichtkonsultativ-, Nichtvollmitglieder kamen hinzu, darunter am 19. November 1974 die DDR. Nach diesem Vertrag stellt sich die Antarktis als ein internationaler Gemeinschaftsraum dar, in dem eine Staatengruppe vertraglich zu internationaler Zusammenarbeit auf einem Spezialgebiet verpflichtet ist.In der Antarktis ist inzwischen eine neue Zeit angebrochen. Die romantische und heroische Ära. der antarktischen Entdeckungen ist weitgehend vorbei. Die Nachfolger von Scott und Amundsen sind hochspezialisierte, scharf planende Wissenschaftler. Schon längst ist ein mit großer Härte, zuweilen sogar mit Verbitterung geführter Verteilungskampf um Nutzungsrechte an den letzten großen Reserven der Menschheit entbrannt.Das Thema „Bodenschätze der Antarktis" soll das zentrale Thema der 10. Tagung der Vertragsstaaten, die in wenigen Tagen in Canberra beginnt, sein. Öl,Gas und Krill sind drei der Rohstoffe, um die es dabei geht. Aber auch Uran sowie Platin, Chrom, Nikkel, Kupfer, Blei, Zink, Vanadium, Eisen, Kobalt, Zinn und Gold gibt es in der Antarktis. Selbst die wirtschaftliche Nutzung der Eisberge zur Wasserversorgung trockener Gebiete der Erde ist in den Bereich ernsthafter Betrachtung gerückt. Die Antarktis umfaßt fast 90 % der Süßwasserreserven der Erde. Die Antarktis ist daher ein Kontinent der Zukunft, der einmal Nahrung, Energie und Rohstoffe liefern kann.Die Bundesrepublik ist als ein Handels-, Schifffahrts- und Fernfischereistaat, als ein extrem rohstoffabhängiges, hochindustrialisiertes und weltmarktbezogenes Land mit der höchsten Exportabhängigkeit unter den großen Industriestaaten von der Neugestaltung der Rechte am, im und unter dem Meer und von der Ausschöpfung der Möglichkeiten der Hohen See und der Antarktis abhängig. Es ist das vitale Interesse der Bundesrepublik, bisher ungenutzte Rohstoffquellen zu erschließen. Das erfordert zwar hohe Investitionskosten. Da aber nur auf diese Weise zugleich Abhängigkeiten gemindert und ein Stück zusätzlicher Sicherheit für unsere Volkswirtschaft und für die Arbeitsplätze in unserem Land gewonnen werden können, sind diese Investitionen notwendig und in der Verantwortung für die Zukunft unausweichlich.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 3. Februar 1978 ist insoweit unzureichend. Es heißt darin: Bund, Länder und Gemeinden werden durch diesen Gesetzentwurf nicht unmittelbar mit Kosten belastet. Vage heißt es bei der Bewertung des Interesses der Bundesrepublik Deutschland am Vertrag, die Bundesrepublik werde sich zu gegebener Zeit auch für die Teilnahme an den Konsultationstreffen qualifizieren können.Bis heute verantwortlich für diesen Bereich war Herr Matthöfer. Herr Matthöfer äußerte noch vor wenigen Wochen, am 8. Dezember 1977, er sei nicht der Auffassung, daß die Nutzung der antarktischen Rohstoffvorkommen nur denjenigen Staaten vorbehalten bleiben werde, die Mitglieder der sogenannten Konsultationstreffen des Antarktis-Vertrages sind und das dafür geforderte Eintrittsgeld entrichtet haben. Er gab sich auch noch der Illusion hin, daß die Bundesrepublik bereits von Anfang an an den Verhandlungen über den Abschluß einer internationalen Konvention über Fischerei in der Antarktis beteiligt werde.Herr Matthöfer hielt ausdrücklich für unvertretbar, was jetzt eingetreten ist: daß nämlich andere Staaten ohne Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland beschließen, in welchen Gebieten der antarktischen Gewässer und in welchem Umfang deutsche Trawler Krill fangen bzw. deutsche Forschungsschiffe wissenschaftliche Untersuchungen durchführen können.Ganz anders Herr Matthöfer am 30. Januar 1978. Jetzt, als feststand, daß er als Bundesminister für Forschung und Technologie von dem Teilzusammenbruch der Bundesregierung mitgerissen würde, jetzt, nachdem sich zwei Kabinettssitzungen, nämlich am 30. November 1977 und am 18. Januar 1978, mit dem
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Dr. von GeldernThema Antarktis-Vertrag noch auf dem alten Kenntnis- und Meinungsstand von Herrn Matthöfer befaßt hatten, teilte er plötzlich dem Bundeskanzler mit — nachzulesen in der „Süddeutschen Zeitung" vom 13. Februar 1978 —, er sei nun für einen Beitritt der Bundesrepublik zum Antarktis-Vertrag als Vollmitglied. Eine späte Erkenntnis. Herr Matthöfer schließt daran die Mitteilung an, daß das natürlich auch Haushaltskonsequenzen haben werde. Ich kann dazu nur sagen -- auch wenn er heute abend nicht hier ist —: Herr Finanzminister Matthöfer, hier sind Sie von sich selber angesprochen. Wir müssen eine eigene landgelegene Forschungsstation einrichten.Aber wie einheitlich ist eigentlich in dieser Frage die Haltung der SPD-Fraktion? Vor drei Tagen erklärte im Pressedienst der SPD die Kollegin Frau Erler hinsichtlich der künftigen Nutzung des Meeresbodens, es dürfe kein Klub der Superreichen und Supertechnologiebesitzenden gebildet werden. Gegen den erklärten Widerstand der Entwicklungsländer dürften Gebiete, die uns nicht gehören, nicht erschlossen und nicht ausgebeutet werden. Es dürften keine ungerechtfertigten Privilegien verteidigt werden, sondern es müsse eine sichere Rohstoffversorgung aus den Entwicklungsländern angestrebt werden. Wie paßt das zu den neueren Erkenntnissen von Herrn Minister Matthöfer?Wir jedenfalls erklären: Der volle Schritt muß nun getan werden, und zwar sofort. Das deutsche Interesse an der Erforschung der Antarktis und die Notwendigkeit einer aktiven Beteiligung an allen internationalen Gremien im Rohstoffbereich sind nicht erst seit Tagen, sondern seit Jahren von Vertretern von Forschung und Wirtschaft vorgetragen worden. Eine Entschlußlosigkeit auf Raten können wir uns nicht länger leisten. Wirtschaftswachstum, technologische Entwicklung, Exportfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit, die Arbeitsplatzsicherung in der Bundesrepublik Deutschland und gerade auch die Unterstützung der Entwicklungsländer wären sonst gefährdet.Es waren rasche Schritte von der Entdeckungsgeschichte und Eroberungsgeschichte der Antarktis in unserem Jahrhundert bis in die Politik von heute. Es werden rasche Schritte folgen von der Forschung und Wissenschaft von heute in die Wirtschaft der Zukunft.Es reicht nicht, daß der Bundeskanzler seine seefahrende Weltoffenheit mit der Mütze dokumentiert
und zugleich die notwendige politische Führung unterläßt, die die Chancen für die Forschung und Technologie wahrnimmt, für die lebenswichtige Rohstoffzufuhr unserer Wirtschaft, für die Wahrung deutscher Interessen, wo immer diese im friedlichen Zusammenwirken mit den Völkern genutzt werden können. Noch längeres Zögern auf diesem Gebiet wäre unverantwortlich.
Damit
ist der Antrag begründet.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Grunenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU scheint eine Art Bewältigung der Versäumnisse vergangener CDU/CSU-Regierungstätigkeit zu sein.
Schließlich war schon 1959 die Möglichkeit gegeben, dem Antarktis-Pakt als Signatarstaat beizutreten. Das können Sie wohl nicht bestreiten.Außerdem ist es politischer Theaterdonner, einen derartigen Antrag zu stellen, zumal der Opposition spätestens seit November vorigen Jahres bekannt ist, daß die Bundesregierung intensiv einen Gesetzentwurf zum Beitritt zum Antarkis-Vertrag vorbereitet.Der Gesetzentwurf wurde am 18. Januar 1978 vom Kabinett verabschiedet und den Gesetzgebungsorganen der Bundesrepublik überwiesen. Die Forderung im Oppositionsantrag, rohstoffbezogene Forschung als Begründung für den Vertragsbeitritt in den Vordergrund zu stellen, würde dem Sinn und Gehalt des Vertrags völlig widersprechen und der Absicht, Konsultativmitglied zu werden, geradezu einen Riegel vorschieben.Ausschließlich friedliche Nutzung der Antarktis und internationale Zusammenarbeit auf der Grundlage von Forschungsfreiheit im Interesse der Wissenschaft und des Fortschritts der gesamten Menschheit im Sinne der Charta der Vereinten Nationen und wie sie während des internationalen geophysikalischen Jahres gehandhabt wurden, müssen vorrangiges Ziel unseres Beitritts sein.
Die Prinzipien des Vertrags müssen für uns ein wichtiges Anliegen sein. Das Verbot jeglicher militärischer Nutzung, das Verbot jeglicher Nuklearexplosionen, das Verbot der Ablagerung radioaktiven Mülls — im Gegensatz zu der Auffassung des derzeitigen niedersächsischen Ministerpräsidenten bin ich der Meinung, daß das auch für Grönland gelten sollte —, die Forschungsfreiheit auf dem Land, im, auf und über dem Meer sowie auf und unter dem Meeresboden südlich des 60. Grades südlicher Breite, die Zugangs- und Bewegungsfreiheit, die Inspektionsfreiheit, das Konsultations- und Einmütigkeitsprinzip und die Streitbeilegung sind die wichtigsten Prinzipien.Wir Sozialdemokraten streben schon lange die Konsultativmitgliedschaft an. Bereits im Jahre 1974 wurde von uns im Ernährungsausschuß des Bundestages nicht ohne Widerspruch der Opposition die Bereitstellung von Mitteln für die antarktischen Krill-Expeditionen beantragt. Die konzeptionellen Lösungsvorschläge der Seerechtsexperten der SPD-Fraktion haben die Bundesregierung schon Anfang 1977 bewogen, dem Forschungsschiff „Explorer" die Teilnahme an einem geophysikalischen Forschungsprogramm mit anderen Staaten in der Antarktis zu
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Grunenbergermöglichen. Das Schiff ist übrigens vor wenigen Tagen wieder in Kapstadt eingelaufen.Das Beispiel der Volksrepublik Polen, die im letzten Jahr einziges Konsultativmitglied geworden ist, lehrt uns aber, daß der Weg zur Konsultativmitgliedschaft über die einfache Mitgliedschaft und über die abgeschlossene Errichtung einer Forschungsstation auf dem antarktischen Festland erfolgen muß. Es ist daher völliger Unsinn, von der Bundesregierung zu verlangen, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun.
Die SPD-Bundestagsfraktion ermutigt die Bundesregierung, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen und schnellstmöglich die Voraussetzung für die Aufnahme als Konsultativmitglied des Antarktis Vertrags zu schaffen, und zwar durch Errichtung einer landgelegenen Forschungsstation, Erstellung des dazu erforderlichen Logistiksystems und Einrichtung eines Polarforschungsinstituts, eventuell in Verbindung mit einer Bundesforschungsanstalt, an dem sich die Länder beteiligen können. Erste Mittel sollten, soweit haushaltsrechtlich möglich, bereits in diesem Jahr zur Verfügung gestellt werden.Es liegt jetzt am Bundesrat, den ihm vorliegenden Gesetzentwurf schleunigst zu behandeln, damit der Bundestag das Gesetz über den Beitritt zum Antarktis-Vertrag verabschieden kann.Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion Drucksache 8/1427 sollte als Diskussionsmaterial für die zuständigen Ausschüsse betrachtet werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die etwas polemischen Bemerkungen des Herrn Kollegen von Geldern sind mir nicht ganz verständlich, weil eine Prämisse des Antrags der CDU/CSU nämlich, daß man der UNO angehört denn nur den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen steht der Beitritt zum AntarktisVertrag offen — erst zu schaffen war, und da darf ich Sie, Herrn von Geldern, an die Haltung Ihrer Fraktion erinnern. Dieser Vorwurf gegenüber der Bundesregierung oder den Koalitionsfraktionen geht also ins Leere.
Aber ich sehe Ihnen nach, daß Sie dies offensichtlich übersehen haben, weil Sie zu dem betreffenden Zeitpunkt nicht dem Deutschen Bundestag angehörten.
Ich möchte hier aber doch mehr die Gemeinsamkeiten der drei Fraktionen und das gemeinsame Interesse dieses Hauses am Beitritt zum AntarktisVertrag unterstreichen; denn die Grundzüge des Antarktisi-Vertrages entsprechen den politischen Forderungen insbesondere auch meiner Fraktion. Auf die Details brauche ich deswegen nicht so sehr
einzugehen, weil beide Vorredner hier den Inhalt beleuchtet haben.
Wir meinen, daß die Vereinbarung, den Raum der Antarktis von militärischen Einrichtungen freizuhalten, in diesem Raum vertrauensbildende Maßnahmen praktisch zu erproben und die vertraglich fixierte Sicherung ungestörter wissenschaftlicher Forschung und Kooperation auszubauen, allein schon die Notwendigkeit unterstreicht, diesem Antarktis-Vertrag beizutreten.
Wir begrüßen den Beitrittantrag darüber hinaus deshalb, weil er die Grundzüge der von uns getragnen Außenpolitik verdeutlicht. Hier kann ein weiteres Mal nachgewiesen werden, daß die Bundesrepublik bereit ist, mitgestaltend Verantwortung zu übernehmen, Partnerschaft im Rahmen des Prinzips der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu praktizieren.
Wir gehen davon aus, daß die Bundesrepublik in alle Pflichten und Rechte eintritt, also auch die Aufnahme in die sogenannte Konsultationsrunde anstrebt. Es erscheint uns unumgänglich, uns die damit verbundenen wissenschaftlichen Möglichkeiten, die Herr Kollege von Geldern hier verdeutlicht hat, zu erschließen. Auf die Notwendigkeit gerade der Möglichkeiten der globalen meteorologischen Forschung sei hier ebenso am Rande verwiesen wie darauf, die Erforschung lebender Nahrungsreserven zu intensivieren. Erste Erfolge außerhalb dieses Vertrages — es wurde schon gesagt — hat bereits die Krill-Expedition 1975/76 erbracht.
Uns liegt ferner daran, deutlich zu machen, daß der Antarktis-Vertrag besondere Bedeutung dadurch erhält, daß er zum einen der erste Nichtrüstungsvertrag nach 1945 war und daß zum anderen hier das Prinzip der kernwaffenfreien Region einvernehmlich vertraglich geregelt wurde. Wir treten dafür ein, diese beiden Sonderbedeutungen des Vertrages beispielhaft auszugestalten.
Die Vollmitgliedschaft erscheint uns auch nötig, um in voller Verantwortung an dem möglichen wirtschaftlichen Ausbau des Vertrags teilzuhaben. Der Bundesrepublik kann dabei daraus, daß sie territoriale Ansprüche nicht vertreten muß, eine besondere Rolle zuwachsen, die dazu beitragen kann, die genannten außenpolitischen Prinzipien glaubhaft zu machen. — Deswegen darf ich hier für die Fraktion der Freien Demokraten betonen, daß wir den Antrag unterstützen und ihm zustimmen.
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Dr. von Dohnanyi.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst, Herr Kollege von Geldern, eine Bemerkung zu einem Satz machen, den ich möglicherweise nicht richtig verstanden habe, der mir aber, wenn er so mißverständlich stehenbliebe, bedenklich erschiene. Sie haben sich etwa
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5749
Staatsminister Dr. von Dohnanyiso geäußert, daß es wichtig sei, daß die Bundesrepublik nicht auch den Wettlauf um den sechsten Kontinent verliere. — Ich kann nicht sehen, wo wir den Wettlauf um einen Kontinent verloren hätten. Dies ist auch eine Sprache, die eher aus den Jahren vor 1914 zu stammen scheint
und die ja nun wirklich auch für die Bundesrepublik in keiner Weise gilt. Wir haben in den Jahren der Bundesrepublik Deutschland dafür gesorgt, alle gemeinsam, Sie und wir in Regierungsverantwortung und im Parlament, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Position politisch und ökonomisch ausbaut und sichert. Mir würde ein solcher Satz als ein Mißverständnis unangenehm sein. — Bitte, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie die Zwischenfrage? — Bitte !
Herr Kollege von Dohnanyi, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß diese gängige Formulierung der Beurteilung des Kampfes um den Weltraum, die Tiefsee und jetzt auch die Antarktis entspricht? Dies sind die drei Bereiche, in denen Naturforschung, Wissenschaft und technischer Wagemut und politische Entscheidungen zusammen etwas erreichen können.
Herr Kollege Narjes, die Formulierung von dem Wettlauf um die Kontinente stammt wirklich — nehmen Sie mir das nicht übel — aus den Jahren vor 1914. Ich möchte hoffen, daß wir diese Formulierung zumindest auf Kontinente nicht mehr anwenden. Wenn es um den Weltraum einen Wettlauf geben muß, dann ist das eine andere Sache, aber bitte nicht in der Form, in der das hier genannt worden ist.
Wenn das Mißverständnis damit aufgeklärt ist, um so besser.Die Bundesregierung begrüßt im übrigen die Tatsache, daß auf das Datum genau zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Beschluß im Kabinett gefällt wurde, die Opposition einen Antrag eingebracht hat, der im Kern die Ziele der Bundesregierung unterstützt. Der Entwurf des Zustimmungsgesetzes auf der Bundesratsdrucksache 79/78 vom 3. Februar 1978 wird im Bundesrat am 17. März behandelt und anschließend dem Bundestag zur ersten Lesung zugeleitet werden. In der genannten Bundesratsdrucksache werden folgende Gründe genannt, die die Bundesregierung bestimmen, dem Vertrag beizutreten:1. Aktive Fortsetzung unserer Beteiligung an der internationalen Zusammenarbeit bei der Erforschung der Ressourcen dieser Region,2. Sicherung unseres Anspruchs auf Teilnahme an der freien wissenschaftlichen Forschung in der Antarktis,3. Erleichterung des Informationsaustausches mit anderen Ländern, die bereits heute oder später über Erfahrungen in der Antarktisforschung verfügen.Die Bundesregierung unterstützt ausdrücklich die politische Zielsetzung des Antarktis-Vertrages hinsichtlich der Rüstungsbeschränkung und der Freihaltung der Region von Kernexplosionen. Die Bundesregierung erkennt auch die zunehmende Bedeutung, die der Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Nutzung der Antarktis in letzter Zeit gewonnen hat. Die hiermit zusammenhängende Fortentwicklung des Vertrages ist Gegenstand der Beratungen der Konsultativrunde, der heute 13 Staaten angehören. An .der Teilnahme in der Konsultativrunde sind wir ebenfalls interessiert, um auch ein Mitspracherecht bei der Festlegung der Nutzungsregionen zu haben. Die erste Voraussetzung für die Aufnahme in die Konsultativrunde ist aber der Beitritt zum Vertrag. Die Voraussetzungen hierfür sind von der Bundesregierung geschaffen worden. Die zweite Voraussetzung sind Ausführung und Nachweis erheblicher wissenschaftlicher Forschungsarbeiten. Mein Kollege Grunenberg hat auf den Zusammenhang hingewiesen, der hier hinsichtlich des Grundlagencharakters der Forschungsarbeiten zu beachten ist. Die Signatarstaaten des Antarktis-Vertrages verstehen hierunter in erster Linie die Einrichtung und den Betrieb landgelegener Forschungsstationen.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung teilt also auch die Auffassung der Antragsteller insofern, daß es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt, Zugang zu der Konsultativrunde zu gewinnen. Ich will aber im Gegensatz zu dem, was Herr von Geldern hier gesagt hat, unterstreichen, daß der Kollege Matthöfer nicht bestritten hat, daß dies im Interesse der Bundesrepublik liegen könne. Er hat lediglich darauf hingewiesen, daß die Verteilung von Rohstoffen nicht allein den Mitgliedern des Antarktis-Paktes zugute kommen werde. Ich glaube, Herr Kollege von Geldern, dies kann auch nicht bestritten werden.Die Fischereifrage, auf die Sie hingewiesen haben, ist noch nicht entschieden.Im übrigen geht es u. a. auch aus rohstoffpolitischen Gründen um ein Vorantreiben der Forschung in diesem Bereich. Konkrete Einzelheiten über Ausmaß und Zusammensetzung der Rohstoffvorkommen sind noch nicht vollständig bekannt. Das liegt zum Teil daran, daß sich einerseits die systematische Suche nach Rohstoffen noch im Anfangsstadium befindet, und zum anderen daran, daß nur ein kleiner Teil der bisherigen Forschungsergebnisse veröffentlicht worden ist.Wenn wir an einem Zugang der deutschen Wirtschaft zu den antarktischen Zukunftsreserven interessiert sind, so geht es hierbei neben einer Sicherung unserer Rohstoffversorgung auch um die Mitwirkung an der Entwicklung und Bereitstellung der für die Ausbeutung dieser Rohstoffe geeigneten Technologien. Auch in dieser Beziehung soll die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten bleiben und gestärkt werden.
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5750 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Staatsminister Dr. von DohnanyiDie Bedeutung, die die Bundesregierung der Erschließung antarktischer Ressourcen beimißt, ist an den beiden Expeditionen — auf die hier bereits Bezug genommen wurde — zur Erforschung der Krillbestände abzulesen. Die für die Kriliforschung bislang aufgewandten Mittel betragen zwischen 35 und 40 Millionen DM. Der scheidende Bundesforschungsminister hat — darauf ist hingewiesen worden — in einem öffentlich bekanntgewordenen Brief die Richtung angedeutet, in der ,die Forschungspolitik auf diesem Sektor in Zukunft vorangetrieben werden sollte.Meine Damen und Herren, wir werden — dessen bin ich sicher — Gelegenheit haben, diese Fragen im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Gesetzes zum Antarktis-Vertrag, Bundesrats-Drucksache 79/78, zu debattieren. Ich bin sicher, daß wir dann auch Gelegenheit haben werden, wenigstens in dieser Frage eine gemeinsame Zielsetzung deutlich zu machen.
Ich
schließe die Aussprache und schlage vor, den Antrag an den Auswärtigen Ausschuß — federführend —, an den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Forschung und Technologie — mitberatend — sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1976
— Drucksache 8/1428 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort zur Begründung und zur Aussprache wird nicht gewünscht. Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen
Veräußerung des „General-von-SteubenHotels" an die Stadt Wiesbaden
— Drucksache 8/1442 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Das Wort zur Begründung und zur Aussprache wird nicht gewünscht. Ich schlage vor, die Vorlage an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Nunmehr rufe ich Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Abgeordneten Lemmrich, Dr. Abelein, Spranger, Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Dr. Dollinger, Dr. Jenninger, Dr. Bötsch, Dr. Miltner, Ziegler, Kiechle, Biehle, Dr. Stark (Nürtingen), Stücklen, Susset, Dr. Rose, Höffkes, Feinendegen, Glos, Regenspurger, Dr. Voss, Kolb, Lintner und Genossen
Autobahn Würzburg—Ulm
— Drucksachen 8/1075, 8/1466 —
Berichterstatter: Abgeordneter Ollesch
Eine Ergänzung der Berichterstattung wird nicht gewünscht. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diesen Antrag haben wir bei der ersten Lesung hier im Bundestag nicht behandelt. Aber die Sache hat, glaube ich, doch eine gewisse Bedeutung, so daß wir sie jetzt bei der Verabschiedung erörtern müssen.Eine bedeutende in Hamburg erscheinende Wochenzeitung schrieb am 10. Februar dieses Jahres über die Nadelöhre im Fernstraßennetz des deutschen Südens wie folgt:Die Münchener und die Stuttgarter wären glücklich, wenn sie der Reisesaison ebenso freudig entgegenschauen könnten wie die Frankfurter.— Das Autobahnkreuz bei Frankfurt wird ausgebaut. —So gewiß wie die Schulferientermine sind die Stauungen in den süddeutschen Flaschenhälsen, und deren Länge wird in realem Verhältnis zu den kräftig gestiegenen Autozulassungen stehen.Diese Stauungen führen nicht nur im gesamten Straßennetz der süddeutschen Bundesländer infolge der Rückstauungen zu starken Behinderungen, betroffen sind vor allem die Autofahrer aus Nord-und aus Nordwestdeutschland, die stundenlang im Sommer in diesen Stauungen im süddeutschen Autobahnnetz stehen müssen.Eine Änderung dieses Zustandes liegt nicht nur im Interesse der Süddeutschen, sondern im Interesse aller Bürger der Bundesrepublik.Bei der Überprüfung der Dringlichkeiten im Fernstraßenbau im Jahre 1975 — wie sie das Ausbauplangesetz vorschreibt — wurden die Verkehrsdaten des Jahres 1973 zugrunde gelegt, die noch unter dem Eindruck des Mineralölschocks standen. Für 1985 wurde dabei ein Pkw-Bestand von 21 Millionen Fahrzeugen angenommen. Doch bereits 1977 wurde die 20-Millionen-Grenze überschritten. Seit 1974 nahm der Pkw-Bestand jährlich um eine Million Fahrzeuge zu.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978 5751
LemmrichDas schlug sich besonders beim Ferienreiseverkehr stark nieder. Für viele war die Fahrt in den Urlaub erst einmal eine Reise in das Chaos. Das veranlaßte den Herrn Bundesverkehrsminister im Herbst 1977, sich bei sachkundigen Verbänden Rat zu holen, wie das geändert werden könnte.Die Entwicklung des Ferienreiseverkehrs z. B. auf der Autobahn von Hamburg bis Würzburg im bayerischen Bereich verdeutlicht die Problematik. Während 1974 noch 24 200 Fahrzeuge gezählt wurden, waren es 1976 bereits 31 100, was einen Zuwachs von 28 % innerhalb von drei Jahren ausmacht. Eine andere Zahl demonstriert diesen Sachverhalt ebenfalls.Während der Verkehr auf den Autobahnen im Bundesdurchschnitt bei 9 % lag, waren es auf den süddeutschen Autobahnen 31 %. Die zunehmenden Verkehrsstaus im süddeutschen Raum während annähernd 200 Tagen im Jahr müssen dringend abgebaut werden. Auch die Erhöhung der Verkehrssicherheit gebietet das.Einen entscheidenden Beitrag zur Lösung dieses Problems kann der durchgehende Bau der A 7, die von Flensburg über Hamburg, Hannover, Kassel, Würzburg, Ulm zur Bundesgrenze Süd bei Füssen bzw. Lindau führt, leisten. Dort wird die große internationale Verbindung in das österreichische und dann in das schweizerische Autobahnnetz eingeführt. Durch diese Autobahn könnte eine Entlastung der überlasteten Autobahnen nach Süden erfolgen. Bis 1983 könnte diese 890 km lange Autobahn durchgehend befahrbar sein, wenn nicht ein Reststück von 89 km von Gollhofen — das ist südlich von Würzburg — bis Aalen in Württemberg fehlen würde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die ungünstige Bewertung des Abschnittes Würzburg—Ulm ist seit einiger Zeit zum Anlaß genommen worden, 'die Richtigkeit der Datengrundlage des Bewertungsverfahrens in Zweifel zu ziehen ... Die von Bayern und Baden-Württemberg genannten Zahlen sind weit übersetzt. Bei einer sinnvollen Reduzierung ergäben sich für die Strecke Würzburg—Ulm Belastungswerte, die in etwa denen der Bewertung des Bundesverkehrsministers entsprächen.Heute muß festgestellt werden, daß das ein Irrtum gewesen war. Der Verkehrsausschuß hat jedoch bereits damals die Bedeutung dieser Autobahn für den gesamten Verkehr in der Bundesrepublik richtig ein-geschätzt. Mit Zustimmung aller Fraktionen hat er beträchtliche Teile dieser Autobahn in der Dringlichkeit aufgestuft und dafür andere Maßnahmen in den süddeutschen Bundesländern abgestuft. Da diese Tauschmöglichkeiten jedoch begrenzt waren, blieb die Lücke von 89 km.Nachdem alle Gespräche mit dem Bundesminister für Verkehr wie auch Briefe an ihn bzw. seinen Parlamentarischen Staatssekretär ohne Erfolg blieben, haben 49 Abgeordnete der CDU/CSU am 24. Oktober 1977 einen entsprechenden Antrag im Bundestag eingebracht.
— Wenn Sie nicht richtig zählen können, ist das Ihre Sache. — Auf Grund der wesentlich veränderten Verkehrsdaten gegenüber den vom Bundesminister angegebenen wird der Bundesminister für Verkehr ersucht, von § 6 des Fernstraßenausbauplangesetzes Gebrauch zu machen. Dieser Paragraph sieht vor, daß bei wesentlichen Änderungen der Verkehrsdaten von den festgesetzten Dringlichkeiten abgewichen werden kann.Für eine solche Lösung spricht auch, daß die 890 km lange A 7 ihre volle Verkehrswirksamkeit erst erhält, wenn auch das 89 km lange Reststück, um das es sich bei diesem Antrag handelt, fertiggestellt ist. Solche großen Verkehrsverbindungen sollten in einem Zuge gebaut werden, nicht — wie im Bedarfsplan beabsichtigt — mit einer Zeitlücke, die von 1983 bis 1995 reichen würde.Auch andere Strecken wie die linksrheinische Autobahn wurden zu Recht in einem Zuge durchgebaut. Bayern und Baden-Württemberg haben dazu durch eine beträchtliche Reduzierung der auf sie entfallenden Straßenbaumittel damals in den Jahren 1971 bis 1975 beigetragen.Allerdings hat es auch nach Einreichung dieses Antrags noch einige Zeit gebraucht, bis der Bundesminister für Verkehr die Bedeutung der Schließung dieser Autobahnlücke erkannte. Noch am 7. Dezember 1977 hat sein Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsausschuß bei der Beratung über den Ferienreiseverkehr diesen Antrag abgelehnt. Doch am selben Tag hat der Bundestagsausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau einstimmig, d. h. mit den Stimmen von CDU, CSU, SPD und FDP, diesen Antrag befürwortet.Dies hat augenscheinlich dem Bundesminister für Verkehr neue Denkanstöße gegeben, was nach Jahren der Ablehnung zur Änderung seiner Haltung führte. Wir freuen uns, daß er sich den stichhaltigen Argumenten nicht mehr verschloß.Eigenartig war allerdings eine Pressemeldung des Bundesverkehrsministeriums in der „Süddeutschen Zeitung" vom 15. Dezember 1977, wonach der Bundesminister für Verkehr mitteilte, daß auch das Reststück der A 7 in Bau gehen soll und daß dieser Entscheidung ein Gespräch mit seinem SPD-Kollegen, nämlich meinem Stellvertreter im Vorsitz des Verkehrsausschusses, vorangegangen sei. Dadurch wird der Eindruck erweckt, als sei erst dadurch die Erkenntnisfähigkeit des Herrn Ministers hergestellt
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5752 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 72. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Februar 1978
Lemmrichworden — ein etwas eigenartiges Verhalten im Blick auf einen im Bundestag zur Beratung anstehenden Antrag. Es mag sein, wie es will: Entscheidend ist, daß durch diesen Antrag das Nachdenken des Bundesministers für Verkehr neue Impulse erhielt.Als schwäbischer Abgeordneter war ich vorher etwas traurig, daß ausgerechnet die beiden Schwaben im Bundesverkehrsministerium — Herr Minister Gscheidle und Herr Staatssekretär Haar — sich anschicken, gleich den sieben Schwaben einen Schwabenstreich zu spielen. Niemand hätte verstanden, wenn bei einer 890 km langen Autobahn 89 km nicht fertiggestellt würden. An dem Tag, an dem der Verkehrsausschuß den Antrag beriet — es war dies am 18. Januar 1978 —,
ordnete der Bundesminister für Verkehr gegenüber den zuständigen Landesbehörden an, daß gemäß § 6 des Ausbauplangesetzes, wie es in unserem Antrag gefordert wird, der Bau auch dieses Reststückes umgehend in Angriff zu nehmen ist.Der Bundesminister für Verkehr hat Einsicht gezeigt, wofür ihm Dank gebührt.
— Für diejenigen, die so ihre Bemerkungen machen wollen, ist vielleicht der Kindergarten ein günstiger Aufenthaltsort!Die Abgeordneten des Bundestages sind ihrer Kontrollfunktion gerecht geworden; denn alle Welt hätte 1983 schallend über uns gelacht, wenn der großen internationalen Verbindung von Flensburg bis Füssen oder Lindau mit ihrer Länge von 890 km ganze 89 km gefehlt hätten. Das zu verhindern, ist, glaube ich, ein Anliegen aller gewesen.Ich bedanke mich bei allen Kollegen von CDU/ CSU, SPD und FDP, die an dieser positiven Entscheidung beteiligt sind. Viele haben sich seit Jahren gemüht. Es ist eine Entscheidung nicht zuerst für eine Region, sondern für alle Bürger unseres Landes, die auf unseren Autobahnen fahren.
Das Wort hat der Herr Kollege Batz.
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen! Wenn ich ein Redemanuskript hätte, hätte ich es aus Gründen einer rationellen Beratung gerne dem Herrn Präsidenten zu Protokoll gegeben. Weil mir das nicht möglich ist, muß ich mir einige Bernerkungen erlauben dürfen.
Lieber Herr Kollege Lemmrich, wenn ich mir den Punkt 14 ansehe, dann muß ich feststellen, daß 22 Antragsteller mit ihrem Namen für diesen Antrag zeichnen. Ich möchte jetzt nicht schelten, wo die meisten sitzen; aber von den 22 Antragstellern sind nur drei hier, die sich diesem Antrag angeschlossen haben.
Nun weiß ich eigentlich nicht, was wir heute hier diskutieren sollen. Geht es wirklich — ich habe versucht, das im Ausschuß deutlich zu machen — um das Erstgeburtsrecht, wem es am schnellsten eingefallen ist, daß der Computer bei der Regierung einen Fehler gemacht hat und daß wir die A 7 eigentlich früher gebraucht hätten, oder wäre es nicht fair, zuzugeben, daß auch die Bayerische Staatsregierung damals, als wir uns alle damit beschäftigten, noch keinen Lösungsvorschlag machen konnte? Im Gegenteil. Wir befürchteten alle — ich sage das hier in aller Offenheit —, daß man unter Umständen sogar die Maintal-Autobahn angeboten hätte. Unsere Kollegen aus den Zonenrandgebieten haben uns alle sehr deutlich wissen lassen, daß sie damit nicht einverstanden sein könnten und auch nicht einverstanden sein wollten.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Natürlich, gern.
Herr Kollege Batz, ist Ihnen nicht bekannt, daß bei den Vorschlägen des Freistaates Bayern zur Fortschreibung der Dringlichkeiten die gesamte Strecke im bayerischen Gebiet die höchste Dringlichkeitsstufe erhalten sollte?
Ich weiß das wohl. Mir geht es aber schließlich auch darum, daß man ein gewisses Quorum hat, auch wenn niemand das anerkennen will. Die Bayerische Staatsregierung muß von sich auch aus klarmachen, inwieweit sie überhaupt die finanziellen Möglichkeiten sieht, das Problem so zu lösen, wie wir es uns vorgestellt haben. Ich sage es noch einmal: Ich streite darum nicht. Jeder von uns ist froh, daß wir jetzt die A 7 ausbauen können. Jedem wird dieser Ausbau nützen, vor allen Dingen wenn es darum geht, die Reise in den Urlaub statt die Reise in das Chaos anzutreten. Das Wort „Chaos" wird von diesem Podium aus ja oft in anderen Zusammenhängen gebraucht. Ich möchte mich jetzt nicht unbedingt anschließen.Sehr geehrter Herr Minister, mir geht es darum, Ihnen zu sagen, daß meine Fraktion es sehr wohl anerkennt, daß wir rechtzeitig eine Situation geschaffen haben, die dem Raum dort nicht nur von der Verkehrsstruktur, sondern auch von .der wirtschaftlichen Struktur entgegenkommt.Der Berichterstatter zu diesem Antrag hat im Ausschuß damals die Auffassung vertreten, daß man diesen Antrag nicht als erledigt zu betrachten habe, sondern ihn als voll erfüllt ansehen könne.
Im Ausschuß hat es niemanden gegeben, der dem widersprochen hätte, auch nicht der Vorsitzende. Daher sollten wir hier im Plenum wirklich die Zeit sparen. Wir sollten nicht unbedingt so tun, als habe der eine in dieser Sache mehr Erfolg als der andere. Ich freue mich für meine bayerischen Landsleute, daß es klappt. Ich freue mich auch für die sogenannten Nordlichter, die nun in einigen
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BatzJahren vielleicht etwas zügiger bei mir in Nürnberg vorbeifahren können. Ich hoffe, daß dann zumindest der Streit ausgestanden ist, wer der erste war, wer die meisten Erfahrungen in dieser Sache hat und wer die meisten Erfolge in dieser Situation verzeichnen kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Ihrem Zwischenruf, Herr Kollege, möchte ich sagen: Nein, ich selbst war es sicherlich nicht. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt die neuerliche Entwicklung hinsichtlich des Ausbaus der A 7 Würzburg—Ulm. Sie tut das insbesondere deshalb, weil es in der Tat die Freien Demokraten — insbesondere mein Kollege Alfred Ollesch — waren, die sich seit den Beratungen im März 1976 über den Ausbauplan für Bundesfernstraßen für den beschleunigten Ausbau dieser Autobahn eingesetzt haben. Sie bestätigen das, Herr Lemmrich. Von daher sind wir schon sehr dankbar dafür, daß Sie sich genötigt sahen, dieses Thema hier heute abend noch einmal anzusprechen. Damit habe ich zugleich auch die Streitfrage beantwortet, wer welche Verdienste hat.
— Wie bei so manchen rätselhaften Vaterschaften, Herr Kollege Wehner, ist es auch hier so, daß es letztlich doch nur einer gewesen ist und daß am Schluß auch immer nur einer zahlt, wenn man es einmal richtig überprüft.
Die Verkehrsentwicklung, wie sie im Antrag einer Gruppe von Abgeordneten der Opposition richtig dargestellt worden ist, hat die Planungen von damals überrollt. Dies hat der Verkehrsminister erkannt und im Herbst letzten Jahres den Auftrag erteit, die Fortschreibung des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen beschleunigt durchzuführen und neue Daten im Hinblick auf die Festlegung von Dringlichkeitsstufen zu erarbeiten. Nachdem in Gesprächen mit den zuständigen Ländern die finanzielle Absicherung des Ausbaus der A 7 hatte geklärt werden können und die Fertigstellung bis 1983 vorgesehen worden war, konnte — wie hier schon festgestellt wurde — der Antrag als tatsächlich voll erfüllt angesehen werden.
Die FDP befürwortet ganz grundsätzlich, daß, falls es erforderlich ist, die festgelegten Daten des Bedarfsplans für Bundesfernstraßen gegebenenfalls entsprechend der Verkehrsentwicklung geändert werden, selbst wenn dies kurzfristig zu Verschiebungen der Länderquoten führt. Es hat sich gezeigt, daß die zur Verfügung gestellten Mittel in einigen Ländern nicht verbaut werden konnten, so daß es möglich ist, diese Gelder an anderer Stelle zu verwenden, wo eine besondere Dringlichkeit besteht und die Planungen abgeschlossen sind.
Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu. Sie dankt dem Bundesminister für Verkehr besonders im Namen der Bevölkerung des süddeutschen Raums, vor allem aber aller Autofahrer, die die südlichen Autobahnen befahren werden oder müssen, für diese rasche Initiative. — Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit zu so später Stunde.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses, den Antrag als erfüllt anzusehen, zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Der Beschlußempfehlung ist einstimmig zugestimmt.Ich rufe die Punkte 15 und 16 gemeinsam auf:15. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu den Verordnungen der Bundesregierung Aufhebbare Vierunddreißigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —Aufhebbare Achtunddreißigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 8/1071, 8/1225, 8/1433 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schachtschabel16. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu den Verordnungen der Bundesregierung Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 12/77 — Erhöhung des Zollkontingents 1977 für Bananen)Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 8/1028, 8/1395, 8/1396, 8/1443 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. SchachtschabelVon diesen Berichten braucht das Haus, wenn nicht Anträge aus der Mitte des Hauses vorliegen, nur Kenntnis zu nehmen. Weder zu Punkt 15 noch zu Punkt 16 liegen Anträge vor. Das Haus hat von den beiden Berichten Kenntnis genommen.Ich rufe Punkt 17 auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Ratesüber die Gewährung finanzieller Beihilfen für
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Demonstrationsvorhaben zur Energie-EinsparungVorschlag einer Verordnung des Rates über die Gewährung einer finanziellen Unterstützung für Vorhaben zur Nutzung alternativer Energiequellen— Drucksachen 8/637, 8/1431 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. HaussmannIch danke dem Herrn Berichterstatter. Das' Wort wird weder zur Ergänzung des Berichts noch zur Aussprache gewünscht.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses in den Nummern 1 und 2 der Drucksache 8/1431 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Damit sind wir am Ende der heutigen Beratungen.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 17. Februar, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.