Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag gedenkt zu Beginn dieser Sitzung des am 28. Februar verstorbenen Präsidenten der Bundesrepublik Österreich, Herrn Dr. Adolf Schärf.
Der Präsident dieses Hauses war in jenen Tagen in Wien und hat dem Schwererkrankten noch seine angelegentlichen Wünsche übermitteln lassen wollen; sie haben ihn leider nicht mehr erreicht.Nach dem Tode hat der Präsident des Hauses an den Präsidenten des Nationalrats der Bundesrepublik Österreich folgendes Telegramm übermittelt:Zu dem Tode des östereichischen Staatsoberhauptes, Ihres verehrten Bundespräsidenten, Herrn Dr. Adolf Schärf, spreche ich Ihnen und dem Nationalrat der Bundesrepublik Osterreich die herzliche Anteilnahme des Deutschen Bundestages aus.Der Präsident des österreichischen Nationalrats hat darauf wie folgt geantwortet:Für die Anteilnahme des Deutschen Bundestages, die Sie, sehr geehrter Herr Präsident, durch Ihr Telegramm bekundet haben, darf ich Ihnen im Namen des Nationalrats sowie im eigenen Namen meinen aufrichtigen Dank sagen.Indem ich dem Haus dies bekanntgebe, darf ich erneut unsere Anteilnahme, unseren Respekt und unsere Verbundenheit mit Osterreich ausdrücken.Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. März 1965 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1965 .Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Protokoll vom 15. Juli 1963 zum Internationalen Übereinkommen über die Fischerei im Nordwestatlantik.Fünftes Gesetz zur Änderung des Soldatengesetzes.Drittes Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes. Raumordnungsgesetz.Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Wohnbeihilfen. Gesetz zur Änderung des Weingesetzes.Gesetz über die Verteilung des auf die Bundesrepublik Deutschland entfallenden Anteils an der von Israel für das deutsche weltliche Vermögen in Israel nach dem Abkommen vom 1. Juni 1962 gezahlten Entschädigung.Gesetz über Bildung und Verwaltung eines Sondervermögens für berufliche Leistungsförderung in der Wirtschaft .Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes.Zum Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes hat der Bundesrat ferner eine Entschließung gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt ist.In seiner Sitzung am 5. März 1965 hat der Bundesrat ferner beschlossen, hinsichtlich des Ausländergesetzes zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Das Schreiben ist als Drucksache IV/3151 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat unter dem 23. Februar 1965 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Funcke , Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven), Frau Dr. Heuser und Genossen betr. Anzahl der beschäftigten weiblichen Beamten und Angestellten — Drucksache IV/2779 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/3127 verteilt.Der Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 26. Februar 1965 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Kahn-Ackermann und der Fraktion der SPD betr. Rat für Formgebung — Drucksache IV/3049 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/3132 verteilt.Der Haushaltsausschuß hat am 11. Februar 1965 einen Bericht zum Abschluß des Rechnungsjahres 1963 vorgelegt, der als Drucksache IV/3116 verteilt ist.Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 4. März 1965 die nachfolgenden Gesetzentwürfe zurückgezogen:Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Zuckersteuergesetzes — Drucksache IV/64 —.Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Aufhebung des Kaffeesteuergesetzes — Drucksache IV/65 —.Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Teesteuergesetzes — Drucksache IV/66 —.Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Leistungsrechts der Kindergeldgesetze —Drucksache IV/468 —.Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes — Drucksache IV/2047 —.Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 25. Februar 1965 mitgeteilt, daß der Ausschuß von der Beratung der Vorschläge der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats zur Änderung von Artikel 11 Absatz 2 der Verordnung Nr. 23 und für eine Verordnung des Rats zur Änderung der innergemeinschaftlichen Handelsregelung für .gezuckerte Kondensmilch (Drucksache IV/3099) abgesehen hat. Einwendungen wurden nicht erhoben.Der Vorsitzende des Ausschusses für Inneres hat am 4. März 1965 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die Verordnung Nr. 8/65/EWG, 2/65/Euratom zur Änderung des Artikels 95 des Statuts der Beamten der EWG und der EAG keine Bedenken erhoben hat.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rats betreffend Glukose und Laktose — Drucksache IV/3141 —an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 7. April 1965.Verordnung der Räte der EWG/EAG zur Änderung des Statuts der Beamten und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Atomgemeinschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft,Verordnung zur Bestimmung der Höhe und des Umfangs der in Artikel 3 a des Anhangs VII des Statuts vorgesehenen Pauschalzulage,Verordnung der Räte der EWG/EAG zur Änderung der Berichtigungskoeffizienten für die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten — Drucksache IV/3148 —an den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 12. März 1965.
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8504 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Verordnung der Räte der EWG/EAG zur Änderung der Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der in Artikel 12 Absatz 1 der Protokolle uber die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Atomgemeinschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgesehenen Steuer zugunsten der Gemeinschaft — Drucksache IV/3149 —an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Inneres — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 12. März 1965.Verordnung des Rats über die Festsetzung der Abschöpfungsbeträge gegenüber dritten Ländern für Schweine, Schweinefleisch und Schweinefleisch enthaltende Erzeugnisse für Einfuhren, die vom 1. April bis zum 30. Juni 1965 getätigt werden — Drucksache IV/3157 —an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 12. März 1965.Verordnung des Rats zur zweiten Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 85/63/EWG über die Festsetzung der Einschleusungspreise und der Zusatzbeträge sowie der Übergangsbestimmungen für Teilstücke von Schweinen sowie Schweinefleisch enthaltende Zubereitungen und Konserven — Drucksache IV/3158 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Außenhandelsausschuß — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 12. März 1965.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen:Neunte Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 — Drucksache IV/3143 —an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage desBerichts rechtzeitig vor dem Plenum am 16. Juni 1965.Die heutige Tagesordnung wird auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung erweitert um dieBeratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP betreffend Bildung eines Sonderausschusses „Parteiengesetz" .Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so be,) schlossen.Zu der in der Fragestunde der 168. Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. Februar 1965 gestellten Frage des Abgeordneten Moersch Nr. IX/5 ist inzwischen die schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Langer vom 26. Februar 1965 eingegangen. Sie lautet:Die Frankfurter Messe steht grundsätzlich allen offen, die sich persönlich und sachlich als Aussteller qualifizieren. Über die Standvergabe entscheidet allein die Frankfurter Messegesellschaft, die sich schon im eigenen Interesse stets bemüht, allen Standmietewünschen von Ausstellern gerecht zu werden.Wenn Sie einen bestimmten Fall meinen, dann tragen Sie ihn bitte an das Bundeswirtschaftsministerium heran. Er wird dann umgehend geprüft und Ihnen eine persönliche Antwort erteilt werden.Ich rufe den 1. Punkt der Tagesordnung auf: Fragestunde .Aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes rufe ich die Frage des Abgeordneten Dr. Kohut auf:Will die Bundesregierung die Gepflogenheit beibehalten, politische Entscheidungen, wie z. B. bei den Waffengeschäften oder der Entsendung militärischer Ausbildergruppen, ohne Anhörung des Parlaments zu treffen?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt.
Die Antwort des Stellvertreters des Bundeskanzlers, Dr. Mende, vom 10. März 1965 lautet:Ein fundamentaler Grundsatz des Grundgesetzes ist die Teilung der Gewalten. Art und Umfang der parlamentarischen Kontrolle der Bundesregierung ist im Grundgesetz abschließend geregelt. Die Bundesregierung kann nur von Fall zu Fall entscheiden, ob sie es darüber hinaus für erforderlich hält, das Parlament anzuhoren, bevor sie eine Entscheidung trifft.Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft rufe ich die Frage II/1 — des Herrn Abgeordneten Fritsch — auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß von seiten einiger Bundesländer, die an der Zonengrenze liegen, Bemühungen im Gange sind, nur noch die Linie von der dänischen Grenze bis nach Hof als forderungswürdiges Gebiet anzuerkennen?Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich darf Ihre Frage Nr. 1 mit einem klaren Nein beantworten.
Herr Abgeordneter Fritsch -zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie damit einmal mehr bekunden, daß die Förderungswürdigkeit des Grenzlandgebiets uneingeschränkt gegeben ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Herr Abgeordneter.
Herr Abgeordneter Dittrich zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bin ich -zu Recht der Annahme, daß diese Hereinnahme des Landes entlang der tschechoslowakischen Grenze auf einen Beschluß des Deutschen Bundestages vom Juli 1953 zurückgeht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann das nur bestätigen und möchte darauf verweisen, daß es sich dabei um einen einstimmigen Beschluß des Hohen Hauses handelt. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, eine Anregung zu einer Änderung zu geben.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dittrich.
Ist meine Annahme zutreffend, daß die Bundesregierung von sich aus gar keine Möglichkeit hat, eine Änderung herbeizuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, eindeutig, Herr Abgeordneter.
Ich rufe auf die Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Fritsch —:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Für und Wider der Niederlassung eines ausländischen Werkes zur Herstellung von Zellstoff und Wellpappe im bayerischen Grenzland?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß von den Plänen, auf die Ihre Frage wohl anspielt, der Bundesregierung offiziell nichts bekannt ist. Ich kann diese Feststellung auch für die bayerische Landesregierung treffen. Ein Telefonge-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8505
Staatssekretär Dr. Langerspräch, das ich heute morgen mit dem Herrn bayerischen Wirtschaftsminister gehabt habe, hat das ausdrücklich bestätigt. Daher ist eine Beurteilung derartiger Pläne nur mit sehr großem Vorbehalt und mit sehr großer Zurückhaltung möglich.Unter ausdrücklichem Hinweis auf diese Eingangsfeststellung möchte ich folgendes sagen. Für die Niederlassung weiterer gut fundierter Betriebe im ostbayerischen Grenzland spricht die nach wie vor bestehende Wirtschaftsschwäche dieses Gebietes. Ich verweise insoweit auf die wiederholten Erklärungen der Bundesregierung zugunsten der Förderung der Zonenrandgebiete.Es ist aber nicht zu übersehen, daß es bedeutende Gesichtspunkte gibt, die gegen ein derartiges in den Details nicht bekanntes Projekt sprechen würden. Ich verweise erstens auf die schon sehr knappe Rohstoffbasis für die alteingesessenen Betriebe der Zellstoff- und Papierindustrie sowie der holzverarbeitenden Industrie, die durch die geplante Errichtung eines zusätzlichen großen Betriebes weiter beeinträchtigt würde, zweitens auf die angespannte Ertragslage der betroffenen, zum Teil mittelständischen Industriezweige der Zellstoff, Papier und Pappe erzeugenden sowie verarbeitenden Betriebe, deren Kapazität teilweise nur mit 70 °/o ausgenutzt ist und die unter nicht unerheblichem Einfuhrdruck stehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch!
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Antwort, daß Sie damit eine gewisse Bereitwilligkeit erklären, den bestehenden Betrieben der Papierherstellung und auch der Wellkarton- und Pappenherstellung entsprechende Unterstützung bei der Ausweitung der Zahl ihrer Arbeitsplätze und im Rahmen von Investitionshilfen zu gewähren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann hier nur auf die bestehenden Möglichkeiten der Unterstützung verweisen, die im Rahmen der Zonenrandförderung und der Förderung der übrigen Sanierungsgebiete gegeben sind.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Fritsch!
Herr Staatssekretär, könnten Sie sagen, welche Haltung die Bundesregierung einnähme, falls das Unternehmen, das hier in Rede steht, einen Antrag auf öffentliche Förderung stellte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich muß hier auf meine Eingangserklärung verweisen. Ich glaube, es ist nicht möglich, daß die Bundesregierung eine Erklärung bezüglich eines noch nicht gestellten Antrages abgibt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Dittrich!
Herr Staatssekretär, finden Sie nicht, daß diese Frage am besten an die bayerische Staatsregierung oder an die bayerischen Gremien gerichtet werden sollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gar keine Frage. Ein derartiger Antrag — zu dem ich nicht ermuntern möchte — müßte natürlich zuerst an die bayerische Regierung gestellt werden.
Schönen Dank.
Ich rufe auf die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Frage III/1 — des Abgeordneten Regling —:
Ist die Bundesregierung bereit, die Altenheime und ähnliche Anstalten von den Ton- und Fernsehrundfunkgebühren zu befreien?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wie der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen schon anläßlich der Beantwortung .einer ähnlichen Frage in der Fragestunde der 162. Sitzung am 11. Februar 1965 ausgeführt hat, finden zur Zeit zwischen Vertretern der Bundesregierung und den Regierungen der Länder Verhandlungen über eine Neuordnung des Rundfunkgebührenwesens statt. Ziel dieser Verhandlungen ist der Abschluß einer Vereinbarung, in der auch die Frage der Befreiung von den Rundfunkgebühren abschließend geregelt werden soll. Die Bundesregierung würde dem Ergebnis dieser Verhandlungen vorgreifen, wenn sie schon jetzt Altenheime, Schulen usw. von den Rundfunkgebühren befreite.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Regling.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß oftmals Fernsehgeräte für Altenheime gestiftet werden, die Inbetriebnahme aber wegen der laufenden Gebühren scheitert?
Daß solche Geräte gestiftet werden, ist der Bundesregierung bekannt. Daß ihre Aufstellung an der Gebührenfrage scheitert, ist uns nicht bekannt; denn zur Zeit werden Befreiungen durch die Länder vorgenommen.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe auf die Frage III/2 — des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert —Werden die Fernsehfrequenzumsetzer, die die Städte Landstuhl, Kusel und Zweibrücken mit dem 2. Programm versorgen sollen, zu den vorgesehenen Zeitpunkten in Betrieb genommen?Bitte, Herr Staatssekretär.
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8506 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Nach dem augenblicklichen Stand der Arbeiten und sofern keine unvorhergesehenen Schwierigkeiten mehr auftreten, können die Fernsehfrequenzumsetzeranlagen zur Ausstrahlung des 2. Fernsehprogramms in Landstuhl und Zweibrücken im Juni dieses Jahres in Betrieb genommen werden.
Die Inbetriebnahme des Fernsehfrequenzumsetzers Kusel kann, sofern der benötigte Antennenträger von 40 m Höhe bis Mitte des Jahres fertiggestellt wird, bis zum September dieses Jahres erfolgen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich, daß die gegebenen Zusagen terminlich fast immer nicht eingehalten werden können?
Verehrter Herr Kollege, zunächst weiß ich nichts von gegebenen Zusagen, in denen von bestimmten Monaten gesprochen wurde.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in dem unmittelbar an das in der Frage genannte Gebiet angrenzende Gebiet der oberen Nahe seit mehreren Jahren in Aussicht gestellt wird, der Empfang des 2. Programms werde sichergestellt werden, daß bisher aber kein Erfolg eingetreten ist?
Herr Abgeordneter, daß zugesichert wird, daß mit aller Beschleunigung und unter Anwendung aller Möglichkeiten das 2. Fernsehprogramm nicht nur in den von Ihnen angegebenen Gebieten bis zur Vollendung ausgerüstet wird, ist klar. Wenn Sie von bestimmten Monaten sprechen, von Frühjahr und Sommer, so ersehen Sie doch aus meiner Antwort, daß diese Termine eingehalten werden, soweit uns die Witterung keinen Strich durch die Rechnung macht.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend. Die Frage V/1 — des Abgeordneten Kahn-Ackermann — wird vom Auswärtigen Amt 'beantwortet.
Frage V/2 — des Abgeordneten Schmidt —
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, jungen Familien bereits bei der Eheschließung einen Überblick über die im Rahmen der Familienhilfe einer neu gegründeten Familie zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Erleichterung der Haushaltsgründung und Wohnungsbeschaffung zu geben?
Bitte, Herr Minister.
Herr Kollege, ich habe auf eine ähnliche Frage in einer der letzten Fragestunden schon geantwortet. Es ist in meinem Hause eine Broschüre in Vorbereitung unter dem Stichwort „Wie unser Staat seinen Familien hilft". In diese Aufklärungsschrift sind alle Maßnahmen zur Erleichterung der Haushaltsgründung und Wohnungsbeschaffung für junge Eheleute aufgenommen. Wir bemühen uns zur Zeit, bei den Innenministerien der Länder zu erreichen, daß dieser Ratgeber auf den Standesämtern ausgelegt und dort verteilt wird.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe zunächst auf die Frage V/1 — des Abgeordneten Kahn-Ackermann —:
Trifft es zu, daß 700 Bergarbeiterkinder aus Frankreich, deren Ferienaufenthalt in Deutschland bisher aus Mitteln des Auswärtigen Amts und des Deutsch-Französischen Jugendwerks finanziert wurde, in diesem Jahr aus Mangel an Mitteln nicht mehr eingeladen werden können?
Bitte sehr, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Bis zum Jahre 1963 einschließlich waren die Kosten eines Ferienaufenthalts in Deutschland von Kindern aus deutsch-französischen Ehen aus Mitteln des Kulturfonds des Auswärtigen Amts bestritten worden. Die betreffende Position „Kulturelle Betreuung deutscher Arbeitnehmer im Ausland" konnte nur unter Zurückstellung erheblicher haushaltsrechtlicher Bedenken in Anspruch genommen werden. Im Jahre 1964 hat das Deutsch-Französische Jugendwerk auf Vorstellung des Präsidenten Preuß des Deutschen Hilfsvereins in Paris für den in Rede stehenden Zweck 196 460 DM zur Verfügung gestellt. Das Deutsch-Französische Jugendwerk hat eine erneute Förderung für das Jahr 1965 — dafür wurden 256 160 DM beantragt — mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um eine echte Abwälzung von Kosten.
Die deutsche Botschaft Paris hat darauf hingewiesen, daß an der Ferienverschickungsaktion mehr französische als deutsche Kinder teilnehmen. Auch die Kinder aus deutsch-französischen Ehen wachsen weitestgehend in französischer Umgebung auf. Ihre Muttersprache dürfte in der Regel Französisch sein. Auch dürften diese Kinder durchweg die französische Staatsangehörigkeit besitzen.
Die vor Jahren begonnene Ferienverschickungsaktion stellte praktisch den ersten Anwendungsfall des Deutsch-Französischen Jugendwerks dar. Das Deutsch-Französische Jugendwerk ist gebeten worden, seine ablehnende Entscheidung zu überprüfen. Das Auswärtige Amt bleibt bemüht, die Ferienverschickungsaktion auch im laufenden Jahr nicht am tatsächlichen Mangel an Mitteln scheitern zu lassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8507
Herr Minister, kann ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Ihr Haus eine Aktion, die bereits seit vierzehn Jahren läuft, deren Durchführung von langer Hand geplant ist und deren Nichtdurchführung die Zurücknahme von etwa zwanzig vertraglichen Abmachungen, die eigentlich rechtsverbindliche Verpflichtungen darstellen, durch das Deutsche Hilfswerk mit sich bringen würde, unter allen Umständen durchführen wird, auch wenn das Jugendwerk die Bezahlung in diesem Jahr zurückstellen sollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir bleiben bemüht, diese Ferienverschickungsaktion nicht scheitern zu lassen. Wie weit unsere Möglichkeiten dabei reichen, wird sich ergeben müssen.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann.
Herr Minister, sind Sie bereit, in jedem Falle für das Jahr 1966 seitens der Bundesregierung dafür Sorge zu tragen, daß für diesen Aufgabenbereich entsprechende Mittel in Ihrem Hause bereitgestellt werden, falls sich keine Einigung mit dem Jugendwerk ergibt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage will ich gern prüfen, Herr Kollege.
Ich rufe dann auf die Frage VI/1 — des Abgeordneten Kahn-Ackermann —.
Wann können die an die deutschen Schulen in Argentinien entsandten deutschen Lehrer mit einer endgültigen Festsetzung und Gewährung ihrer Kaufkraftausgleichszulage rechnen?
Bitte, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Im Regelfall erhalten die deutschen Auslandslehrer den gleichen Kaufkraftausgleich wie die am selben Auslandsdienstort tätigen Bundesbeamten. Der Kaufkraftausgleich bildet einen Bestandteil der Gesamtausgleichszulage, den das Auswärtige Amt den Auslandslehrern gewährt. Der Kaufkraftausgleich für die im Ausland beschäftigten Bundesbeamten wird nach § 2 des Bundesbesoldungsgesetzes vom Herrn Bundesminister des Innern im Benehmen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen und dem Auswärtigen Amt für jeden Auslandsdienstort festgesetzt.
Die an deutsche Schulen in Argentinien vermittelten Lehrer erhalten gegenwärtig in Abweichung von dieser Regelung vorübergehend mit 35 % sogar einen höheren Kaufkraftausgleich als die am nämlichen Ort tätigen Bundesbeamten, die 15% beziehen. Dies hängt mit der in Vorbereitung befindlichen Neuregelung der Besoldung der Auslandslehrer zusammen. Der als Übergangsregelung zeitweilig höhere Kaufkraftzuschlag für die Auslandslehrer soll ein Ausgleich dafür sein, daß verschiedene finanzielle Vergünstigungen, die den Auslandsbeamten des Bundes bereits mit Inkrafttreten der Neuregelung der Auslandsbesoldung für Bundesbeamte am 1. Januar 1964 zustehen bzw. zu
einem Teil schon vorher zustanden, den Auslandslehrern erst nach Neufassung der Richtlinien für die Gewährung der Gesamtausgleichszulagen zugute kommen können. Das Auswärtige Amt hofft, daß nach der 7%igen Kürzung der Ansätze des Bundeshaushaltsplanes für 1965 die erforderlichen überplanmäßigen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden können, um ein Inkrafttreten der Neuregelung noch in diesem Jahre zu ermöglichen.
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident, daß die Antwort so lang ausgefallen ist. Das liegt aber am Gegenstand.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß offensichtlich eine Diskrepanz besteht zwischen den Auskünften, die Sie mir eben erteilt haben, und den praktischen Erfahrungen der Lehrer, da nämlich das Bundesverwaltungsamt die gegenwärtig vorgenommene Festsetzung der Kaufkraftzulage nicht als solche anerkennt und sie anderweitig verrechnet, so daß die Lehrer in der Tat nicht auf eine Kaufkraftzulage von 35 % kommen, sondern durch die ungeheuerliche Inflation in Argentinien in einer Weise geschädigt werden, daß sie gegenwärtig 40 % weniger verdienen als ihre Kollegen im Inland, eine Marge, die nach den Richtlinien für die Besoldung der Lehrer im Ausland, die derjenigen der Lehrer im Inland gleichgestellt sein muß, einfach inakzeptabel ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gehe davon aus, Herr Kollege Kahn-Ackermann, daß die Unterlagen, die mir gegeben worden sind, zutreffend sind. Das, was Sie gerade vorgetragen haben, werde ich sorgfältig prüfen. Vielleicht sind Sie damit einverstanden, daß wir die Sache im weiteren Fortgang schriftlich behandeln.
Ich rufe auf die Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:
Haben tatsächlich Schiffe der Bundesrepublik im Hafen von Alexandria auf Weisung der Hafenbehörde zur Begrüßung Ulbrichts die Sirenen ertönen lassen und die Flaggen gehißt?
Herr 'Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, die Antwort auf diese Frage lautet: Nein. Die VAR-Behörden hatten sämtlichen Schiffen im Hafen von Alexandria Anweisung erteilt, über die Toppen zu flaggen und die einlaufende „Völkerfreundschaft" mit Sirenengeheul zu begrüßen. Die Frachter aus der Bundesrepublik 'Deutschland haben weder geflaggt noch Sirenen ertönen lassen.
Gott sei Dank, Herr Minister!
Dann die Frage VI/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:Gedenkt die Bundesregierung angesichts der Vorgänge in Ägypten und Tansania auch weiterhin die Beziehungen zu anderen Ländern von der Einhaltung der sogenannten HallsteinDoktrin abhängig zu machen?Herr Minister!
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8508 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort darauf, 'Herr Kollege Kohut, lautet wie folgt.
Das, was Sie, Herr Kollege, einem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, als die Hallstein-Doktrin bezeichnet 'haben, 'betrifft 'die Haltung der Bundesregierung gegenüber Staaten, die diplomatische Beziehungen zu der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands aufnehmen. Diese Haltung der Bundesregierung ist zum erstenmal durch den damaligen Bundeskanzler Adenauer in der 101. Sitzung des Deutschen Bundestages am 22. September 1955 wie folgt dargestellt worden — ich zitiere —:
Ich muß unzweideutig feststellen daß die Bundesregierung auch künftig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR durch dritte Staaten, mit denen sie offizielle Beziehungen unterhält, als einen unfreundlichen Akt ansehen würde, da er geeignet wäre, die Spaltung Deutschlands zu vertiefen.
— Ende des Zitats.
In der 155. Sitzung des Deutschen Bundestages am 28. Juni 1956 hat mein Vorgänger von Brentano diese Erklärung nochmals wiederholt; ich zitiere auch diese:
Sie
— d. h. die Bundesregierung
kann aber auch nicht umhin, erneut klarzustellen, daß sie auch in Zukunft die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der sogenannten DDR durch dritte Staaten, mit denen die Bundesregierung diplomatische Beziehungen unterhalt, als einen unfreundlichen Akt ansehen müßte, der die Spaltung Deutschlands vertiefen und verhärten würde. Die Bundesregierung müßte in einem solchen Falle ihre Beziehungen zu dem betreffenden Staat einer Überprüfung unterziehen.
Das sind die grundlegenden Erklärungen. Ich möchte abschließend dazu sagen: wir werden unser Recht, ganz 'Deutschland allein zu vertreten und die gesamtdeutschen Lebensinteressen wahrzunehmen, jeweils in der geeignetsten und nachdrücklichsten Weise wahrnehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kohut.
Herr Minister, heißt das, daß jetzt die sogenannte Hallstein-Doktrin beliebig den Staaten gegenüber angewandt wird, bei denen man es riskieren kann, sie anzuwenden, aber nicht solchen Staaten gegenüber, bei denen Iman vorsichtiger auftreten muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich 'sagte, die Anwendung dieser Grundsätze wird immer mit dem Ziel erfolgen, den höchstmöglichen Effekt für die Wahrung der deutschen Lebensinteressen, hier des alleinigen Vertretungsanspruchs, zu erzielen.
Eine weitere Frage, Herr Dr. Kohut.
Stellt die Hallstein-Doktrin nicht eine Belastung dar? Hätte man jetzt nicht einen mutigen Schlußstrich darunter 'setzen müssen und die Hallstein-Doktrin, weil sie uns hemmt oder fesselt, aufgeben sollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kohut, eine so generelle Diskussion würde, glaube ich , den 'Rahmen der Fragestunde übersteigen. Ich möchte meinen, daß das im Auswärtigen Ausschuß diskutiert werden sollte.
Herr Kollege Vogt!
Herr Minister, halten Sie diese jetzt durch Herrn Kollegen Kohut heraufbeschworene Situation nicht für eine gute Gelegenheit, zu klären, daß es sich bei der Hallstein-Doktrin nicht um irgendeine Vorstellung der Bundesregierung handelt, die aus dem luftleeren Raum kommt, sondern daß es sich bei der Anwendung dieser Grundsätze, von denen Sie gesprochen haben, einfach um einen Auftrag 'der Bundesregierung und auch des Parlaments handelt, der aus der Verfassung, dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, her resultiert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Vogt, ich möchte darauf folgendes sagen. Ich vermeide es, allzusehr von Doktrinen zu sprechen, sondern lieber das hervorzuheben, worum es geht. Es geht um den von uns erklärten und, wenn Sie so wollen, auch um den uns aufgegebenen Anspruch, ganz Deutschland allein zu vertreten und die gesamtdeutschen Interessen wahrzunehmen. Das ist ein Grundsatz, der für uns selbstverständlich ist und den wir auch weiter praktizieren werden.
Dann die Dringliche Mündliche Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut auf Drucksache IV/3160:
Gedenkt die Bundesregierung, das Recht auf Alleinvertretung des deutschen Volkes auch in den Staaten zu verwirklichen, mit denen sie keine diplomatischen Beziehungen unterhält, weil diese Pankow anerkannt haben?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich möchte darauf folgendes sagen. Die Politik der Bundesregierung gegenüber den osteuropäischen Staaten, auf die sich Ihre Frage, Herr Kollege Kohut, bezieht, ist durch eine Entschließung bestimmt, die der Deutsche Bundestag in der 162. Sitzung am 14. Juni 1961 einstimmig verabschiedet hat. Der entscheidende Passus dieser Entschließung lautet: Die Bundesregierung solljede sich bietende Möglichkeit 'ergreifen, um ohne Preisgabe lebenswichtiger deutscher Interessen zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den osteuropäischen Staaten zu gelangen,den weiteren Ausbau der bestehenden Beziehungen zu diesen Staaten auf wirtschaftlichem, humanitärem, geistigem und kulturellem Gebiet anstreben,
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8509
Bundesminister Dr. Schröderbei der Gestaltung der Beziehungen zu Polen den besonderen psychologischen Belastungen des deutsch-polnischen Verhältnisses Rechnung tragen und gegenüber solchen Ländern, die deutsche Bevölkerungsteile deportiert oder deutsches Gebiet unter vorläufiger Verwaltung haben, bei der etwaigen Herstellung amtlicher Kontakte die jeweils erforderlichen völkerrechtlichen Vorbehalte ,geltend machen.Dies ist eine .grundlegende Entschließung .des Bundestages, mit der .die Bundesregierung voll übereinstimmt. In diesem Sinne hat sie ihre Politik gegenüber den osteuropäischen Ländern gestaltet. Unser Alleinvertretungsanspruch und unsere Bemühung, ihn sowohl zu verteidigen wie zu realisieren, bleiben davon unberührt; ja, ich würde im Gegenteil sagen, auch unsere Arbeit in diesen Bereichen dient demselben Ziele.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Kohut.
Herr Minister, erschwert uns dieser Alleinvertretungsanspruch nicht, in gute oder bessere diplomatische Beziehungen zu Staaten des Ostens zu kommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kohut, man kann nicht die Frage stellen, ob der Alleinvertretungsanspruch etwas er-
Schwert oder nicht, weil der Alleinvertretungsanspruch ein essentielles Element der deutschen ,Politik ist. Die Frage ist nur, welche Folgerungen aus dem Alleinvertretungsanspruch jeweils gezogen werden können. Das ist das Problem.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Ich rufe die Fragen unter VIII aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf.
Die Frage VIII/1 — des Herrn Abgeordneten Unertl — wird vom Bundesgesundheitsministerium beantwortet werden.
Ich rufe auf die Frage VIII/2 — des Abgeordneten Unertl —:
Ist die Bundesregierung in Anbetracht des verschärften Verkehrsstrafrechts bereit, darauf hinzuwirken, daß die Richter in Verkehrs-Strafsachen nicht nur den Führerschein, sondern auch nachweisbare eigene Fahrpraxis haben sollten?
Bitte, Herr Minister!
Die Anregung, darauf hinzuwirken, daß Richter in Verkehrsstrafsachen nicht nur den Führerschein, sondern auch eine nachweisbare eigene Fahrpraxis haben sollen, wurde bereits vor Jahren auf Konferenzen der Justizminister aufgegriffen. Seitdem sind die Landesjustizverwaltungen bestrebt, nicht nur den mit Verkehrsstrafsachen befaßten Richtern, sondern auch den Staats- und Amtsanwälten, die auf diesem Gebiet tätig sind, eine eigene Fahrpraxis zu vermitteln.
Das am 2. Januar dieses Jahres in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs enthält seinerseits keine Bestimmung, deren Anwendung eine Erweiterung der bisherigen Vorbildung der Verkehrsrichter erfordern würde.
Weiterhin muß ich darauf hinweisen, daß von der Seite der Regierung nur allgemein gefordert werden kann, daß Richter Fahrpraxis haben, nicht aber kann die Regierung auf die Besetzung der Gerichte Einfluß nehmen, da die Geschäftsverteilung keine Maßnahme der Justizverwaltung ist, sondern in den Bereich der richterlichen Unabhängigkeit fällt.
Ich sehe deshalb keinen Anlaß zu weiteren Maßnahmen der Bundesregierung.
Herr Abgeordneter Unertl zu einer Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, wäre es denn nicht möglich, in dem von Ihnen jetzt erklärten Sinne jedenfalls .auf die Länder einzuwirken, um zu verhindern, daß Richter ohne Fahrpraxis den Kraftfahrer auf Grund der verschärften Bestimmungen verurteilen?
Das ist ja, wie ich sagte, bereits geschehen. Man ist sich darüber einig, daß das kein wünschenswerter Zustand wäre.
Ich rufe auf die Frage VIII/3 — des Abgeordneten Kaffka —: -
Warum ist die Zweite Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Sechsten Verordnung zur Durchführung des Feststellungsgesetzes vom 15. April 1958 nicht gehörig verkündet worden?
Bitte, Herr Minister!
Die Verordnung, um die es sich in der Frage handelt, sollte im Hinblick auf ihre 'sachliche Zusammengehörigkeit mit vier weiteren Verordnungen zum Feststellungsgesetz in derselben Nummer des Bundesgesetzblattes im Jahre 1958 verkündet werden. Dagegen sollte die Anlage zu dieser Verordnung, die ein Tabellenwerk von 324 Seiten umfaßt, um das Bundesgesetzblatt nicht damit zu belasten, in der Beilage zum Bundesanzeiger verkündet werden. Bei einem Prozeß, der in Kassel spielt, ist nun die Streitfrage entstanden, ob diese getrennte Verkündung formrichtig sei, ob also die Verordnung, nach der Sie fragen, wirksam verkündet worden ist. Selbstverständlich ist das Justizministerium damals davon ausgegangen, daß dieses Verfahren formrichtig sei. Ich möchte mich aber im jetzigen Augenblick einer Meinungsäußerung dazu enthalten, weil die Frage vor dem Großen Senat des Bundesverwaltungsgerichts anhängig ist, der demnächst darüber entscheiden wird.
Herr Abgeordneter Kaffka, eine Zusatzfrage!
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8510 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Herr Minister, sind Sie der Ansicht, daß es notwendig ist, in Zukunft derartige Formen der Verkündung eines Gesetzes zu unterlassen, damit solche Zweifelsfragen nicht mehr auftauchen?
Ich möchte doch ,abwarten, was das Bundesverwaltungsgericht dazu sagt. Wenn das Bundesverwaltungsgericht diese Art der Verkündung für richtig hält, besteht ja keine Veranlassung, etwas zu ändern. Andernfalls muß selbstverständlich die Rechtsprechung berücksichtigt und dafür gesorgt werden, daß so etwas nicht mehr vorkommt.
Ich rufe auf die Frage VIII/4 — des Abgeordneten Dr. Wahl —:
Ist die Bundesregierung bereit, im Sinne der in der Empfehlung 416 der Beratenden Versammlung des Europarates gegebenen Anregung einen Beamten des Bundesjustizministeriums zu beauftragen, der Abteilung für Menschenrechte im Europarat laufend über alle mit der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zusammenhängenden Fragen zu berichten?
Bitte, Herr Minister!
Ich kann die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wahl mit Ja beantworten.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe auf die Frage IX/1 — des Abgeordneten Langebeck —:
Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung eine Möglichkeit, die Vernichtung des Waldes Brönnhof , der als Truppenübungsplatz vorgesehen ist, zu verhindern?
Bitte, Herr Minister!
Darf ich bitten, Herr Präsident, wegen des Sachzusammenhangs die drei Fragen zusammen beantworten zu können?
Herr Kollege Langebeck ist einverstanden? — Dann rufe ich auch auf die Fragen IX/2 und IX/3 — des Abgeordneten Langebeck —:
Sind der Bundesregierung Gutachten bekanntgeworden, wonach das Gebiet um Schweinfurt das niederschlagärmste Gebiet des Landes Bayern ist und durch die Abholzung des Waldes der Niederschlag weiter vermindert und damit der Wasserhaushalt der Stadt und Umgebung gefährdet wird?
Ist der Bundesregierung bekannt, ob von maßgeblichen Stellen geprüft wurde, ob nicht von Natur aus geeignetere Flächen im Bereiche Unterfrankens für einen Truppenübungsplatz zur Verfügung stehen als das Waldgelände im Landkreis Schweinfurt?
Bitte, Herr Minister!
Der Standortübungsplatz Brönnhof, der von den US-Streitkräften benutzt wird, ist ein wesentlicher Bestandteil des Großstandorts Schweinfurt, auf den nicht verzichtet werden kann. Beide sind durch eine besondere Panzerstraße miteinander verbunden. Bei dem gegebenen Zusammenhang ist eine Verlegung
auf andere und abgelegenere Flächen Unterfrankens nicht in Erwägung gezogen worden. Art und Umfang des Übungsbetriebs werden von den US-Streitkräften im Rahmen ihrer militärischen Überlegungen bestimmt. Sie sind sich aber hierbei der Bedeutung des Waldes Brönnhof für das niederschlagarme Gebiet um Schweinfurt durchaus bewußt. Sie werden daher auch nur die zur Erfüllung ihrer Verteidigungsaufgaben unerläßlichen Abholzungen vornehmen und diese auf das Mindestmaß beschränken. Bisher sind nach Mitteilung der Bayerischen Staatskanzlei auf dem Übungsplatz auch keine Abholzungen größeren Ausmaßes vorgenommen worden. Die Bayerische Staatskanzlei wird, wie sie mir bestätigt, das Verhalten der US-Streitkräfte insoweit aufmerksam beobachten und gegebenenfalls auf die Einhaltung der hierüber getroffenen Absprachen hinwirken.
Ob Gutachten über Auswirkungen von Abholzungen auf den Wasserhaushalt eingeholt sind, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Der Bundesregierung ist weiterhin nicht bekannt, ob von maßgeblichen Stellen eine Überprüfung der Verlegungsmöglichkeit vorgenommen worden ist. Sollte eine Überprüfung für erforderlich gehalten werden, müßte sie zunächst von der Bayerischen Staatskanzlei veranlaßt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Langebeck.
Herr Minister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bundesvermögensverwaltung Bad Kissingen in der Begründung der Ablehnung von Nutzungsverträgen die Aus- und Abholzung, ja sogar die mögliche völlige Devastierung des Waldes in einem Schreiben festgehalten hat?
Ich erinnere mich an dieses Schreiben nicht, Herr Kollege, aber ich nehme an, daß es sich um das Problem handelt, das bei vielen Nutzungsverträgen auftritt. Selbstverständlich muß in den Nutzungsverträgen eine Abmachung über die Ersatzpflicht getroffen werden. Bei einem Nutzungsvertrag muß sich also der Grundeigentümer, der die Fläche nicht endgültig aufgeben möchte, bereit finden, die erforderlichen Maßnahmen auf dem Grundstück zu dulden. Darum wird es sich hier handeln. Wie gesagt, ich erinnere mich an diesen Brief nicht.
Herr Minister, sind Sie bereit, das Schreiben der Bundesvermögensverwaltung Bad Kissingen vom 23. August 1963 einzusehen?
Jawohl. Ich bin dann auch bereit, Ihnen Auskunft darüber zu geben, wie das von mir beurteilt wird.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Langebeck.
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, unabhängig von den Befugnissen und Pflichten des Landes Bayern etwaige Gutachten
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8511
Langebeckanzufordern und abzuwägen, ob die Interessen der Bevölkerung und ihre Wasserversorgung nicht vorrangig sind?
Ich nehme an, daß die Bayerische Staatskanzlei ebenso wie ich bereit sein wird, sich über diese wichtigen Belange zu informieren. Ich würde darüber mit der Bayerischen Staatskanzlei einmal Kontakt aufnehmen.
Wir kommen zu der Frage IX/4 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:
Sieht der Bundesfinanzminister eine Möglichkeit, die im Steueränderungsgesetz 1964 vorgesehene Wahlmöglichkeit der Steuerpflichtigen bei der Wiederbeschaffung von Hausrat bei Vertriebenen auch noch für zurückliegende Veranlagungszeiträume gelten zu lassen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind?
Bitte, Herr Minister!
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, für Vertriebene, die Anspruch auf den sogenannten Flüchtlingsfreibetrag haben, ist ein Wahlrecht dahin gehend, an Stelle des Flüchtlingsfreibetrages die Steuerermäßigung wegen der tatsächlichen Wiederbeschaffungsaufwendungen geltend zu machen, erst durch das Steueränderungsgesetz 1964 eingeführt worden. Die Gesetzesänderung gilt erstmalig für den Veranlagungszeitraum 1965. Eine rückwirkende Anwendung des Wahlrechtes könnte nur durch eine erneute Änderung des Einkommensteuergesetzes herbeigeführt werden. Das ist nicht beabsichtigt, jedenfalls nicht von der Bundesregierung.
Abgesehen davon, daß rückwirkende Gesetzesänderungen aus grundsätzlichen Erwägungen tunlichst vermieden werden sollten, würde eine solche Maßnahme auch mit Ungerechtigkeiten verbunden sein. Eine rückwirkende Zulassung des Wahlrechts würde diejenigen Steuerpflichtigen benachteiligen, die im Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit der bisherigen Regelung und deren Fortgeltung sich mit dem Pauschbetrag begnügt haben und nicht mehr in der Lage sind, ihre tatsächlichen Aufwendungen aus früheren Jahren nachzuweisen.
Sollte etwa das Hohe Haus bei der Beschlußfassung über das gerade anstehende Steueränderungsgesetz Teil II eine Rückwirkung ins Auge fassen, so könnte — wenn überhaupt — nur an die Einbeziehung des Jahres 1964 gedacht werden, weil die Besteuerungsverfahren für die vorgegangenen Jahre so gut wie abgeschlossen sind.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage IX/5 — des Abgeordneten Schultz — auf:
Welche Gründe sind dafür maßgebend, daß Bausparverträge dann nicht prämienberechtigt sind, wenn die Bausparsumme im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes verwendet wird?
Bitte, Herr Minister!
Ihre Frage, Herr Kollege Schultz, beantworte ich wie
folgt. Beiträge an Bausparkassen sind nach den einschlägigen Richtlinien nur dann prämienbegünstigt, wenn sie begrifflich Sonderausgaben sind. Sie dürfen danach weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sein, also mit keiner bestimmten Einkunftsart zusammenhängen.
Diese Beschränkung der Prämienbegünstigung bei den Beiträgen an Bausparkassen ergibt sich aus der Zielsetzung des Wohnungsbau-Prämiengesetzes. Dieses Gesetz will den Beziehern kleiner Einkommen wegen ihrer Aufwendungen für den Wohnungsbau durch die Gewährung einer Geldprämie einen Ausgleich dafür geben, daß die Bezieher größerer Einkommen über den Abzug dieser Aufwendungen als Sonderausgaben eine Steuerermäßigung erhalten. Das ergibt sich z. B. aus dem Bericht des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen der 1. Wahlperiode — Umdruck Nr. 429 Die Auffassung der Verwaltung ist vom Bundesfinanzhof in der Entscheidung vom 13. Mai 1960 bestätigt worden.
Ob das Gesetz etwa auch eine andere Auslegung zuläßt, wird zur Zeit vom Bundesfinanzhof in einem neuen Rechtsbeschwerdeverfahren geprüft. Das Urteil, das in absehbarer Zeit zu erwarten ist, bleibt, wie ich bereits dem Herrn Kollegen Hammersen in der Fragestunde am Mittwoch, dem 29. April 1964, gesagt habe, abzuwarten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schultz.
Herr Bundesfinanzminister, darf ich fragen, ob dann nicht für die landwirtschaftlichen Einkommensteuerpflichtigen, die wegen der geringen Einkommen, die sie haben, nicht steuerpflichtig sind, die Bausparprämienberechtigung eigentlich gegeben sein müßte; denn sie unterscheiden sich doch dann nicht von anderen Kleinverdienern.
Ja, aber es ist trotzdem ein Unterschied. Es sind auch für die Bezieher kleiner Einkommen keine Sonderausgaben, sondern im Zusammenhang mit dem Betrieb eben Werbungskosten oder Betriebsausgaben, und zwar Ausgaben für landwirtschaftliche Wohngebäude. Wo wollen Sie da nun die Grenze ziehen, wo wollen Sie diese Ausgaben trotzdem anerkennen oder nicht anerkennen? Es geht hier wirklich um die Frage: Sind es Sonderausgaben oder sind es Betriebsausgaben?
Das Prämiengesetz wollte nach unserer Auffassung nur die Fälle berücksichtigen, in denen diese Beiträge Sonderausgaben sind. Prämien sollten aber dann nicht gezahlt werden, wenn Betriebsausgaben vorliegen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Schultz.
Herr Bundesfinanzminister, Sie wiesen auf die Beantwortung der Frage des Kollegen Hammersen im Jahre 1964 hin. Ist damit zu
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8512 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Schultzrechnen, daß das von Ihnen angekündigte Urteil des Bundesfinanzhofs vielleicht im Jahre 1966 gefällt sein wird, oder können Sie darüber nichts sagen?
Es ist selbstverständlich sehr, ,sehr schwer, eine Prognose zu stellen, wann das Urteil eines hohen Gerichts ergehen wird. Nach dem Stand des Verfahrens glaube ich, daß dieses Urteil vom Bundesfinanzhof wahrscheinlich noch in diesem Jahr gefällt werden wird.
Herr Abgeordneter Dröscher, eine Zusatzfrage.
Herr Bundesfinanzminister, sind Sie unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in den meisten landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden Wohnungen und Betriebsgebäude ineinander übergehen, bereit, zu prüfen, ob etwa die Landwirte, die nicht einkommensteuerpflichtig sind, doch in das prämienbegünstigte Bausparen auch für solche etwas ungeklärten Investitionen einbezogen werden können?
Ich würde sagen: ja. Aber ich möchte das Urteil des Bundesfinanzhofs abwarten. Die Rechtsbeschwerde beim Bundesfinanzhof ist nämlich deshalb eingelegt worden, weil ein Gericht im Sinne der Frage des Kollegen Schultz entschieden hat; nun muß sich der Bundesfinanzhof noch einmal mit der Sache befassen.
Herr Abgeordneter Strohmayr zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es sehr schwierig sein wird, hier eine Klärung herbeizuführen, nachdem die Landwirtschaft im allgemeinen weder Lohnnoch Einkommensteuer zahlt?
So kann man es auch wieder nicht sagen. Es gibt eben unzählige kleine Landwirte, die nicht in die Steuerpflicht hineinwachsen. Aber das Problem ist z. B. bei einem kleinen, schlecht verdienenden Handwerksbetrieb genauso gegeben.
Ich rufe auf die Frage IX/6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt —:
Kann die Bundesregierung der Klage der Wirtschaft, daß die von Bauunternehmen errichteten halbfertigen Bauten zu sehr unterschiedlichen Werten zur Vermögensteuer herangezogen werden, dadurch abhelfen, daß sie die Länderfinanzverwaltungen zu einer einheitlichen Regelung etwa dahin gehend veranlaßt, daß bei der Bewertung der genannten Bauten noch nicht realisierter Gewinn nicht angesetzt wird?
Bitte, Herr Minister!
Herr Kollege Dr. Schmidt, die vermögensteuerliche Bewertung der Forderungen von Bauunternehmern
aus halbfertigen Bauten ist im Interesse einer einheitlichen Handhabung seitens des Bundesfinanzministeriums wiederholt mit den zuständigen Steuerreferenten der Länderfinanzministerien erörtert worden. Dabei hat sich die einheitliche Verwaltungsauffassung gebildet, daß die am jeweiligen Stichtag bestehenden Teilforderungen der Bauunternehmer grundsätzlich mit einem dem Fertigungsstand der Bauwerke entsprechenden Teil der Gesamtforderungen anzusetzen sind und damit auch den anteiligen Gewinn enthalten müssen, wie das bei jeder Forderungsbewertung — und unbestritten auch bei der Bewertung der Gesamtforderung nach Fertigstellung des Bauwerks — der Fall ist. Nach Auffassung der Länder, in deren alleinige Zuständigkeit die Angelegenheit fällt, muß es den Bauunternehmern überlassen bleiben, ihre abweichende Rechtsauffassung in einem Rechtsmittelverfahren vorzubringen. Die Verwaltung wird die beschleunigte Einleitung und Fortführung eines solchen Rechtsmittelverfahrens unterstützen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmidt.
Ist die hier erwähnte Vereinbarung in einem Verwaltungserlaß niedergelegt?
Soweit ich weiß, nein. Die Zuständigkeit liegt bei den Ländern. Es handelt sich um die Konferenz der Länderfinanzminister und der Referenten mit dem Bundesfinanzministerium. Sie hat den Sinn, eine einigermaßen gleichmäßige Anwendung solcher Vorschriften zu erreichen.
Eine weitere Frage!
Erfährt denn die Öffentlichkeit jetzt zum erstenmal von dieser Verwaltungsvereinbarung?
Nein.
Wo ist sie veröffentlicht?
Das alles ist in den Protokollen der Konferenzen und der Ausschüsse verankert und wird nicht veröffentlicht. Aber die Rechtsauffassung ist durchaus bekannt. Wir streiten mit dem Hauptverband der Bauindustrie seit Jahr und Tag darüber. Ich kann ja nun nicht anraten, ein Rechtsmittel einzulegen; aber wenn es kommt, würde das der Klärung dienlich sein.
Der Herr Bundesfinanzminister wird noch eine Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantworten. Ich rufe
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8513
Vizepräsident Dr. Dehlerauf die Frage X/4 — des Herrn AbgeordnetenUnertl —:ist die Bundesregierung bereit, die Zollbürokratie vor allem bei privaten Warensendungen aus dem Ausland abzubauen, damit Bürger nicht für 6 Flaschen italienischen Wein 19 DM Ein- lade-, Einlagerungs- und Abfertigungsgebühren zahlen und beim Hauptzollamt München vor der Empfangnahme 11 Leute konsultieren und 1 Stunde und 40 Minuten warten müssen?
Herr Kollege Unertl, die Frage, die Sie stellen, geht auf eine Glosse zurück, die in einer Zeitung veröffentlicht worden ist. Dabei ist man von nicht ganz richtigen bzw. in der Glosse nicht erwähnten Tatbeständen ausgegangen.
Die Zollbehandlung privater Warensendungen bis zum Wert von 200 DM ist bereits vereinfacht. Für die Eingangsabgaben gelten pauschalierte Abgabensätze, die die Abfertigung erleichtern. Handelt es sich um Geschenke bis zum Wert von 50 DM, so sind die Sendungen von Eingangsabgaben völlig freigestellt. Die Zollabfertigung solcher Sendungen vollzieht sich daher im Regelfall reibungslos, so daß es weiterer Maßnahmen nicht bedarf.
In dem der Frage zugrunde liegenden Fall war die Sendung falsch adressiert. Der Empfänger konnte von der Deutschen Bundesbahn erst nach mehr als zwei Wochen ausfindig gemacht werden. Inzwischen war die Sendung auf dem Zollboden abgestellt worden. Die Schwierigkeiten und Kosten, die entstanden sind — Eingangsabgaben sind überhaupt nicht erhoben worden, weil es eine Geschenksendung unterhalb der Wertgrenze war —, sind allein auf
diese Umstände zurückzuführen. Die Zollverwaltung kann für die falsche Adresse nicht verantwortlich gemacht werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Unertl.
Herr Bundesminister, hat man Ihnen vom Hauptzollamt München auch darüber berichtet, .daß der fragliche Empfänger durch eine vorgedruckte Benachrichtigung zum Abholen der Ware bestellt worden ist und erst nach Ankunft beim Hauptzollamt diese in ,der Frage erwähnte Wartezeit von einer Stunde und 40 Minuten eingetreten ist?
In der Glosse steht etwas vom „verspäteten Christkindl". Das Christkind war aber gar nicht verspätet; denn die Sendung war schon vor Weihnachten .da. Aber, 'wie gesagt, wegen der falschen Anschrift war der Empfänger zunächst nicht zu ermitteln. Dann— ich glaube, am 7. Januar — ist ihm von der Bundesbahn mitgeteilt worden, daß man ihn als den Adressaten einer eingegangenen Sendung ermittelt und daß die Bundesbahn die Sendung dem 'Zollamt gestellt habe. Dort ist der Empfänger am 12. Januar — wenn ich nicht irre — erschienen. Dabei ist er zunächst — ich habe das sehr genau nachgeprüft, Herr Kollege Unertl — an der falschen Stelle gelandet, und bei der zweiten Stelle war der zuständige Beamte im Augenblick nicht da. Als der Empfänger schließlich
an der richtigen Schmiede war, hat er selber am Schluß gesagt: Nun ist es aber schnell gegangen!
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Unertl.
Herr Bundesminister, wie soll es aber für einen normalen sterblichen oder lebenden Menschen zu begreifen sein, daß für 6 geschenkte Flaschen Wein 19 DM Gebühren entstehen? Auch diese Frage sollte einmal geprüft werden.
Das ist eine Frage, die nicht den Zoll betrifft, denn es handellt sich dabei um Lager- und sonstige Kosten. Wir haben es auch mit falsch adressierten Sendungen zu tun, die nun nicht wie Flaschenwein haltbar, sondern verderblich sind. Um solche Sendungen z. B. zu schützen, muß eine Speditionsfirma eingeschaltet werden, und das kostet eben viel. Ich kann dazu nur sagen: Achten Sie auf die Postanschrift!
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Es handelt sich um drei Fragen des Abgeordneten Glüsing , die Sie, Herr Minister, wohl im Zusammenhang beantworten können. Ich rufe also die Fragen X/1, X/2 und X/3 auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach Dänemark seine Hoheitsgewässer von 3 auf 12 Seemeilen erweitert hat?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei Zutreffen der in Frage X/1 genannten Pressemeldung vornehmlich für deutsche Krabbenfischer, die auch vor der dänischen Westküste ihre Fanggebiete hatten, diese Fanggründe verlorengehen?
Ist die Bundesregierung bereit, im Verhandlungswege an der Westküste Dänemarks vor allem für die Krabbenfischer eine ähnliche Regelung anzustreben, wie sie im Raume Flensburg besteht?
Die Fragen werden von dem Herrn Abgeordneten Storm übernommen.
Zur ersten Frage! Die Pressemeldungen treffen nicht zu. Die dänische Regierung hat allerdings dem Parlament den Entwurf eines Gesetzes über die Ausdehnung der dänischen Fischereigrenze von 3 auf 12 Seemeilen vorgelegt. Es läßt sich jedoch nicht absehen, wann dieses Gesetz verabschiedet wird und in Kraft tritt.Zur zweiten Frage! Der Bundesregierung ist bekannt, daß der deutschen Krabbenfischerei und auch anderen Zweigen der Kutterfischerei durch die Ausdehnung der dänischen Fischereigrenze wichtige Fanggebiete verlorengehen würden. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß den deutschen Fischern nicht alle Fanggebiete innerhalb der geplanten dänischen Fischereizone verlorengehen. Dänemark ist nämlich ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland Partner der Europäischen Fischereikonvention vom 9. März 1964. Das Zustimmungsgesetz zu diesem Übereinkommen
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8514 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Bundesminister Schwarzbefindet sich in Vorbereitung. Auf Grund der Konvention kann die historische deutsche Fischerei in der Zone zwischen 6 und 12 Seemeilen vor der dänischen Küste zeitlich unbefristet fortgesetzt werden. Für die Zone zwischen 3 und 6 Seemeilen ist eine zeitlich befristete Übergangsregelung zu vereinbaren. Der erwähnte dänische Gesetzentwurf sieht deshalb vor, daß die Ausdehnung der Fischereigrenze auf 12 Seemeilen erst dann in Kraft tritt, wenn mit den Ländern, die historische Fischereirechte vor der dänischen Küste nachweisen können, über den Umfang dieser Rechte und die Dauer der Übergangsregelung verhandelt worden ist.Zur dritten Frage! Die Bundesregierung ist bereit, mit der dänischen Regierung wegen einer nachbarschaftlichen Fischereiregelung Fühlung aufzunehmen.
Zusatzfragen werden nicht gestellt. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Ich rufe die von dem Abgeordneten Varelmann gestellte Frage XI/1 auf:
Welche Vorschläge hat die Bundesregierung, um die erheb. lichen Mehrausgaben, die durch den starken Anstieg der Arzthonorare und die Erhöhung der Krankenhauspflegesätze bei den Ortskrankenkassen entstehen, zu decken?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Dr. Claussen vom 10. März 1965 lautet:
Da die von der Bundseregierung verabschiedeten Gebührenordnungen für Ärzte und Zahnärzte sich nicht unmittelbar auf die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung auswirken, lassen sich die für die Krankenkassen — nicht nur für die Ortskrankenkassen — zu erwartenden Mehrausgaben erst dann übersehen, wenn die Honorarverhandlungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen abgeschlossen sind. Ebensowenig läßt sich übersehen, ob sich die Ausgaben für die Krankenhauspflege demnächst über den durchschnittlichen Steigerungssatz der letzten Jahre hinaus entwickeln werden.
Nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung liegt die Finanzhoheit in der gesetzlichen Krankenversicherung bei den Organen der Selbstverwaltung. Sie sind gehalten, die erforderlichen Mittel für die Ausgaben durch entsprechende Festsetzung der Beitragssätze aufzubringen. Bei einzelnen Kassen ist es allerdings möglich, daß die Beiträge über 11 v. H. des Grundlohns erhöht werden müßten, so daß die Garantieträger die erforderliche Beihilfe leisten müßten. Soll dies vermieden werden, so könnte durch Gesetz die Beitragsgrenze der §§ 389 und 390 Reichsversicherungsordnung entsprechend heraufgesetzt werden.
Den Krankenkassen könnten aber auch zur Deckung von Mehrausgaben höhere Einnahmen dadurch verschafft werden, daß — abgesehen von weiteren im Regierungsentwurf eines Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vorgesehenen Maßnahmen — die Beitragsbemessungsgrenze heraufgesetzt würde. Ein Vorschlag der Bundesregierung hierzu liegt im Rahmen des genannten Gesetzentwurfes seit zwei Jahren dem Bundestag vor.
Ich rufe die von dem Abgeordneten Folger gestellte Frage XI/2 auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus der Empfehlung des Rats der OECD über die Arbeitskräftepolitik als' Mittel zur Förderung des Wirtschaftswachstums in nächster Zeit ziehen?
Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu der von dem Abgeordneten Fritsch 'gestellten Frage XI/3:
Ist die Bundesregierung bereit, das Beispiel der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die an alle über 90 Jahre alten
Rentenempfänger einmalige Sonderzuwendungen anläßlich des 90., 95. und 100. Lebensjahres vornimmt, allen anderen Versicherungsträgern zu empfehlen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen sagen zu können, daß diese Frage bereits vor 10 Jahren durch die Bundesregierung in der Form beantwortet worden ist, daß wir am 15. April 1955 die Minister für Arbeit der Länder und die Senatoren gebeten haben, ihren Versicherungsträgern zu empfehlen, an hochbetagte Rentner diese Beträge auszuzahlen. Soweit wir unterrichtet sind, wird im allgemeinen auch entsprechend verfahren.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Fritsch!
Herr Staatssekretär, ist beabsichtigt, eine Empfehlung des Inhalts zu geben, daß z. B. vom 80. Lebensjahr an und dann zur Vollendung des 85. Lebensjahres eine derartige Leistung durch die Sozialversicherungsträger gewährt werden soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Ich würde eine solche Maßnahme deshalb für unzweckmäßig halten, weil ja die Versicherungsträger selber — durch die Selbstverwaltungsorgane — eine entsprechende Regelung treffen können, die dann nur noch der Genehmigung durch die jeweilige Aufsichtsbehörde bedarf. Daher scheinen mir Maßnahmen über die Empfehlungen vom Jahre 1955 hinaus nicht notwendig zu sein.
Wir kommen zu den Fragen XI/4 und XI/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser —:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Bekämpfung der in erschreckendem Maße überhandnehmenden Raubüberfälle auf Kreditinstitute?
Inwieweit besteht die Möglichkeit, durch geeignete Aufklärung über die Strafen für Verbrechen wie die in Frage XI/4 genannten eine gewisse Abschreckung zu erreichen?
Ist der Herr Abgeordnete Dr. Hauser im Raum? — Das ist nicht der Fall. Dann werden die Fragen schriftlich beantwortet.
Frage XI/6—des Herrn Abgeordneten Dröscher—:
Ist es richtig, daß Beschwerden zahlreicher Kriegsopfer nicht abgeholfen werden kann, weil die Versorgungsämter mit ihrem derzeitigen Personalbestand nicht in der Lage sind, die Auswirkungen des Zweiten Neuordnungsgesetzes vom 21. Februar 1964 zu bewältigen, und deshalb noch mit einer jahrelangen Verzögerung, vor allem bei der Neuberechnung der Berufsschadensrente, zu rechnen sei?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Arbeitsbelastung der Versorgungsämter ist nach wie vor erheblich, besonders in den Zeiten, in denen Neuordnungen des Versorgungsgesetzes durchgeführt werden müssen. Sie wird zu einem wesentlichen Teil durch die über 700 000 Aus-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8515
Staatssekretär Dr. Claussengleichsrenten verursacht, die alle neu berechnet werden müssen. Von besonderen Schwierigkeiten bei der Durchführung des Zweiten Neuordnungsgesetzes ist mir allerdings nichts bekannt. Die Ermittlung der Voraussetzungen für die Berufsschadensrente gehört auch, wie Sie sicher wissen, zu den schwierigen und zeitraubenden Arbeiten. Die Erledigung dieser Fälle mag deswegen längere Zeit erfordern als sonst üblich. Von einer jahrelangen Verzögerung kann aber, wie wir festgestellt haben, keine Rede sein.
Herr Abgeordneter Dröscher zu einer Zusatzfrage!
Würden Sie bereit sein, Herr Staatssekretär, der Ansicht zuzustimmen, daß es sich um eine jahrelange Verzögerung handelt, wenn Rentenanträge bis zu 2 oder 3 Jahren unbearbeitet bei den Versorgungsämtern liegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn das der Fall ist, selbstverständlich.
Eine weitere Frage!
Würden Sie bereit sein, Herr Staatssekretär, den entsprechenden Personalverwaltungen zu empfehlen, für die Abwicklung dieses Stoßgeschäftes — so kann man es wohl nennen — Aushilfspersonal einzustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Versorgungsämter, Herr Abgeordneter, sind ja Behörden der Länder. Deswegen ist es für uns überaus schwierig, ihnen — also den Ländern — Empfehlungen zu geben, was sie jeweils tun sollen, um gewisse Arbeitsanhäufungen schnell abzubauen. Aber ich meine, daß schon die Behandlung der Frage in diesem Hohen Haus genügen wird und eine entsprechende Anregung für die Länder darstellt.
Die Fragen XI/7 und XI/8 — des Herrn Abgeordneten Kaffka — werden gemeinsam aufgerufen:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der metallverarbeitenden Industrie die Berufsdermatozoen laufend zunehmen, weil trotz Automation die Industriearbeiter in steigendem Maße mit Noxen in Berührung kommen?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ein hoher Prozentsatz von Berufsdermatozoen durch Kühlschmiermittel verursacht wird, deren schädigende Wirkung durch bestimmte Additive noch verstärkt wild?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann beide Fragen mit Ja beantworten.
Herr Abgeordneter Kaffka zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bisher Vorstellungen, wie man verhindern kann, daß durch derartige Mittel bei den Arbeitern, die mit diesen Mitteln umgehen müssen, Schäden auftreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber sicher, Herr Abgeordneter. Die Berufsgenossenschaften haben bereits ein Merkblatt zur Verhütung dieser gewerblichen Hauterkrankungen herausgegeben. Sie sind selber der Meinung — und diese Meinung wird vom Arbeitsministerium geteilt —, daß ein großer Teil der Hauterkrankungen vermieden werden könnte, wenn dieses Merkblatt genau beachtet würde.
Vizepräsident Dr. Dehler Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kaffka!
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten bestehen denn, durchzusetzen, daß 'dieses Merkblatt regelmäßig beachtet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist eine Sache der betrieblichen Organisation.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kaffka.
Herr Staatssekretär, sehen Sie Möglichkeiten, auf dem Wege der Gesetzgebung zu verhindern, daß derartige hautschädigende Mittel überhaupt verwandt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es 'wird sicher solche Möglichkeiten geben, Herr Abgeordneter. Wir haben auch eine Reihe von Forschungsaufträgen vergeben, um festzustellen, welche Wirkungen die verschiedenen technischen Öle und die darin enthaltenen Additive auf Arbeiter, die mit diesen Ölen umgehen müssen, haben.
Aber das Entscheidende bei der gesamten Unfallverhütung ist ja die Mitwirkung der unmittelbar Beteiligten. Ich bin der Meinung — das ist die Stellungnahme des Arbeitsministeriums auch in den vergangenen Jahren immer gewesen —, daß die vielen Vorschriften, die wir haben, wirklich genügen. Es kommt darauf an, in den Betrieben die unmittelbar Beteiligten zu veranlassen, sich auch darum zu kümmern, daß die Vorschriften und Merkblätter beachtet werden.
Zur letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kaffka!
Herr Staatssekretär, es handelt sich dabei doch um das durch das Lebensmittelgesetz verbotene Natriumnitrit, das da in starkem Maße verwandt wird und diese Schädigungen hervorruft. Es scheint mir angezeigt zu sein, hier gesetzlich einzugreifen.
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8516 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen zusagen, daß wir diese Frage im Einvernehmen mit den Berufsgenossenschaften nachprüfen werden.
Ich rufe die Frage XI/9 — Ides Herrn Abgeordneten Deneke — auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die berufliche Fortbildung der Angehörigen der freien Berufe auch aus öffentlichen Mitteln gefordert werden sollte, zumal große Gruppen der freien Berufe zur beruflichen Fortbildung gesetzlich verpflichtet sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Deneke zusammen beantworten?
Einverstanden. Ich rufe also auch die Frage XI/10 — des Herrn Abgeordneten Deneke — auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, für die Angehörigen der freien Berufe eine dem Leistungsförderungsgesetz entsprechende Förderung der Fortbildung zu schaffen, nachdem die freien Berufe im Leistungsforderungsgesetz nicht berücksichtigt wurden, weil dieses Gesetz ausschließlich der Wirtschaft vorbehalten ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, widmet die Bundesregierung den Fragen der beruflichen Fortbildung bereits seit
3) geraumer Zeit erhöhte Aufmerksamkeit. Im Vordergrund stand dabei zunächst die finanzielle Förderung der beruflichen Fortbildung der unselbständigen Mittelschichten. Die Bundesregierung ist aber mit Ihnen der Auffassung, daß darüber hinaus die berufliche Fortbildung auch in anderen Bereichen finanziell gefördert werden sollte, soweit eine Notwendigkeit hierzu besteht.
Mein Ministerium hat sich deshalb seit 1962 bemüht, einen Überblick über gegebenenfalls notwendige Maßnahmen zu einer Intensivierung der beruflichen Fortbildung im Bereich der freien Berufe zu erhalten. Die im Rahmen dieser Bemühungen veranlaßte Befragung durch den Bundesverband der freien Berufe, die sowohl die gegenwärtige Situation auf diesem Gebiet erhellen als auch den noch nicht gedeckten Bedarf feststellen sollte, hat bisher leider noch nicht zum Ziele geführt. Erst wenn feststeht, daß ein Bedarf an weiteren Fortbildungsmöglichkeiten und die Notwendigkeit staatlicher Hilfen bestehen, ist die Bundesregierung in der Lage, zu prüfen, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang sie fördernd eingreifen kann.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. — Damit sind wir am Ende der heutigen Fragestunde.
Ich habe die Freude, dem Herrn Kollegen Busch, der am 2. März seinen 65. Geburtstag gefeiert hat, die besten Wünsche des Hauses auszusprechen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
a) Beratung des Berichts des Bundesministers der Justiz über die Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten ,
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Benda, Dr. Wilhelmi, Stingl und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes ,
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfügung eines Artikels 102 a in das Grundgesetz ,
Das Wort zu seinem Bericht hat zunächst der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt kaum eine Frage, die in letzter Zeit die Gemüter im In-und Ausland so sehr bewegt hat wie die Frage der Verjährung der NS-Verbrechen. Die Entscheidung der Bundesregierung vom 5. und 11. November 1964, ihrerseits keinen Entwurf zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vorzulegen, ist nur zum Teil auf Zustimmung, zum anderen Teil jedoch, besonders im Ausland, auf Unverständnis, heftige Kritik oder feindselige Ablehnung gestoßen. Ich will jene Stimmen aus dem östlichen Lager übergehen, die aus allzu durchsichtigen Gründen die Gelegenheit benützen wollen, die Bundesrepublik vor der Weltöffentlichkeit zu diffamieren. Ernst zu nehmen sind aber die Sorgen besonnener Menschen, die uns mündlich und schriftlich unterbreitet worden sind. Zum Teil handelt es sich dabei um Personen, die selbst unter nationalsozialistischer Brutalität gelitten haben oder deren Angehörige Opfer eines verruchten Mordterrors geworden sind. Sie haben ein Recht, gehört zu werden, und ihre Stimme hat auch Gewicht. Man muß Verständnis dafür haben, daß sie Sühne für die Greueltaten verlangen und sich mit einer Verjährung der Untaten nicht abfinden wollen. Dennoch, so meine ich, dürfen wir aber auch sie bitten, sich unseren Schwierigkeiten nicht zu verschließen und sich um ein objektives Urteil zu bemühen.Wer auf der anderen Seite die Verlängerung der Verjährungsfrist ablehnt, der tut das nicht um sich schützend vor nazistische Mordgesellen zu stellen. Er tut es auch nicht, um die grauenvollen Untaten zu bagatellisieren oder den Schleier des Vergessens oder Schweigens darüber zu breiten. Für eine solche Haltung sind vielmehr rechtliche Gesichtspunkte entscheidend.Ich will in diesem Augenblick davon absehen, meine persönliche Meinung zu dieser Sache zu sagen. Ich behalte mir dies für die Debatte nach Begründung der vorliegenden Anträge vor.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8517
Bundesminister Dr. BucherDie Bundesregierung ist vom Bundestag durch Beschluß vom 9. Dezember 1964 aufgefordert worden, unverzüglich im Benehmen mit den Bundesländern Maßnahmen zu ergreifen mit dem Ziel, das gesamte erreichbare Dokumentationsmaterial über Mordtaten aus der NS-Zeit systematisch durch eine zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen auswerten zu lassen. Gleichzeitig wurde der Bundesminister der Justiz beauftragt, bis zum 1. März zu berichten, ob in allen in Betracht kommenden Fällen Ermittlungen eingeleitet worden sind und die Unterbrechung der Verjährung sichergestellt ist, gegebenenfalls, ob die Bundesregierung bereit ist, die Frage der Verlängerung der Verjährung rechtzeitig mit dem Deutschen Bundestag zu prüfen, falls auf andere Weise eine Strafverfolgung solcher Mordtaten nicht gesichert werden kann.Schon am 11. Dezember, also zwei Tage nach diesem Beschluß, haben die Justizminister und -senatoren der Länder die Zuständigkeit der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg auch auf Taten mit Begehungsort innerhalb der Bundesrepublik erstreckt, ausgenommen den Komplex des früheren Reichssicherheitshauptamtes, der in der Zuständigkeit des Generalstaatsanwalts beim Kammergericht in Berlin verblieben ist.Die Zentrale Stelle ist mit der systematischen Auswertung aller erreichbaren Urkunden beauftragt worden. Über den gegenwärtigen Stand der Verfolgung dieser Verbrechen gibt Ihnen der Bericht Aufschluß, den ich dem Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages fristgemäß zum 1. März vorgelegt habe. Ich konnte diesen Termin — das soll hier dankbar gesagt werden — nur dank der schnellen und tatkräftigen Unterstützung durch die Landesjustizverwaltungen einhalten. Der Bericht gibt, wie ich glaube, ein eindrucksvolles Bild über Umfang und Intensität der Verfolgung dieser Straftaten durch deutsche und alliierte Gerichte. Auf die abscheulichen NS-Verbrechen von einem erschreckenden Umfang folgte eine strafrechtliche Abrechnung, die in der Geschichte kein Beispiel hat. Etwa 80 000 Deutsche sind bisher von deutschen Gerichten, Gerichten der Alliierten und ausländischen Gerichten verurteilt worden unter der Beschuldigung, Kriegsverbrechen oder NS-Straftaten begangen zu haben.Ich möchte allerdings hier auf einen Punkt hinweisen, der Gegenstand einer gewissen Kritik war. Der Bericht ist sich durchaus dessen bewußt, daß unter den Deutschen, die von ausländischen Gerichten, vor allem im Osten, verurteilt worden sind, eine ganz große Menge solcher sich befinden, die keineswegs NS-Verbrechen begangen haben. Ich darf auf Seite 37, die letzte Seite des Berichts hinweisen, wo es heißt:Wenn sich auch unter den nicht in der Bundesrepublik Deutschland Verurteilten ein erheblicher Hundertsatz von Personen befinden dürfte, die wegen bloßer Zugehörigkeit zu bestimmten Organisationen oder militärischen Einheiten oder zu Unrecht bestraft wurden, so steht doch die Tatsache fest, ...und so weiter. Es braucht sich also niemand, der von einem ausländischen Gericht zu Unrecht verurteilt worden ist oder nur, weil er einer bestimmten Organisation angehörte, durch diesen Bericht der Bundesregierung als NS-Verbrecher diffamiert zu fühlen.Die Staatsanwaltschaften der Bundesrepublik allein haben gegen mehr als 61 000 Personen Strafverfahren eingeleitet, in denen bisher über 6100 Personen rechtskräftig verurteilt worden sind. Gegen fast 14 000 Personen sind noch Verfahren anhängig, Verfahren, in denen die Verjährung entweder bereits unterbrochen ist oder noch rechtzeitig bis zum 8. Mai unterbrochen werden kann. Diesen Zahlen brauche ich nichts hinzuzufügen, sie sprechen für sich selbst.Im einzelnen weise ich noch auf folgendes besonders hin. Die deutsche Gerichtsbarkeit war bis Ende 1949 für einen bestimmten Teil der nationalsozialistischen Verbrechen ausgeschlossen, so vor allem für die Verfolgung von Taten, deren Opfer Angehörige der alliierten Staaten waren. Für diese waren alliierte Gerichte zuständig, und es darf nicht übersehen werden, daß in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch Deutschlands von den Besatzungsmächten und im Ausland gerade die Personen vor Gericht gestellt wurden, die in führenden Stellungen tätig gewesen waren. Die über 5000 Deutschen, die von den Gerichten der drei westlichen Besatzungsmächte verurteilt wurden, können auf Grund des Überleitungsvertrages von den Justizbehörden der Bundesrepublik nicht mehr verfolgt werden. Beispiele hierfür können Sie den Seiten 6 bis 10 meines Berichts entnehmen.Auch die deutsche Justiz war schon ab 1945 in erheblichem Umfange mit der Ahndung nationalsozialistischer Straftaten befaßt. Die graphische Darstellung auf Seite 18 des Berichts läßt erkennen, daß fast drei Viertel aller bis heute rechtskräftig wegen solcher Taten bestraften Personen vor dem 1. Januar 1950 abgeurteilt wurden. Bis zum Ende des Jahres 1954 waren weitere 23 % der bis heute rechtskräftig gewordenen Verurteilungen ausgesprochen, zusammen also über 95%. Bei dieser Sachlage kann man meiner Ansicht nach nicht sagen, die deutsche Justiz habe erst seit 1950 oder gar erst ab 1955 mit der Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten begonnen.Neben den über 6000 in der Bundesrepublik Deutschland und den über 5000 von ,den drei westlichen Besatzungsmächten verurteilten Personen sind weitere über 12 000 Deutsche durch Gerichte in der sowjetischen Besatzungszone, mindestens 24 000 durch sowjetische Gerichte, fast 17 000 durch polnische Gerichte, über 16 000 durch tschechoslowakische Gerichte und eine nicht bekannte Anzahl weiterer Deutsche durch Gerichte im übrigen Ausland verurteilt worden. Das sind — ich wiederhole es — zusammen weit über 80 000 Deutsche, die wegen wirklicher oder auch angeblicher nationalsozialistischer Straftaten verurteilt worden sind.Ichglaube kaum, daß man angesichts solcher Tatsachen die von verschiedenen Seiten aufgestellte Behauptung ernst nehmen kann, in der Bundesrepu-
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8518 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Bundesminister Dr. Bucherblik oder in der Welt befänden sich noch Zehntausende von nationalsozialistischen Mördern unbestraft auf freiem Fuße.Wie Sie aus meinem Bericht weiter ersehen können, ist ein großer Teil der hier zur Erörterung stehenden Tatkomplexe so weitgehend aufgeklärt, daß in diesen mit dem Bekanntwerden neuer Taten oder Täter kaum noch gerechnet werden kann. Dies gilt z. B. für die Verbrechen bei der Ausschaltung politischer Gegner, für die Vorfälle bei der „Kristallnacht", für die Euthanasieaktionen, für verschiedene Konzentrationslager wie z. B. Auschwitz und Dachau sowie für dein Komplex Reichssicherheitshauptamt.Die Bemühungen der Bundesregierung um Auslieferung verschiedener Beschuldigter habe ich auf den Seiten 19 und 20 meines Berichts dargelegt. Bemerkenswert erscheint mir vor allem die chilenische Gerichtsentscheidung, in der die Auslieferung des SS-Standartenführers Rauff mit der Begründung abgelehnt wird, der Eintritt der Verjährung in Chile sei nach den Grundsätzen des Völkerrechts unbestreitbar.Der Aufruf der Bundesregierung vom 20. November 1964, dem sich das Hohe Haus durch den Beschluß vom 5. Dezember 1964 nachdrücklich angeschlossen hatte, wurde im Ausland im allgemeinen positiv aufgenommen. Mehrere Staaten haben ihre Mitwirkung bei der weiteren Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen ausdrücklich zugesagt. Von einigen ist uns auch Material zugänglich gemacht worden.Wegen der Auswertung der Archive in der Bundesrepublik und im westlichen Ausland verweise ich auf den Ihnen vorliegenden Bericht. Ich kann ergänzend mitteilen, daß von der Zentralen Stelle in Ludwigsburg ein Richter zur Auswertung der bisher noch nicht gesichteten Bestände des Amerikanischen Nationalarchivs in Alexandria entsandt worden ist. Er hat seine Arbeit inzwischen abgeschlossen und berichtet, daß sich dort keine Hinweise auf bisher unbekannte Taten oder Täter ergeben hätten.Der Versuch, Archivmaterial aus der SBZ und dem Sowjetsektor von Berlin zu beschaffen, hatte bisher keinen Erfolg. In welcher Weise dort die Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen betrieben bzw. nicht betrieben wurde, habe ich auf den Seiten 13 bis 16 meines Berichts in der gebotenen Kürze, aber doch wohl deutlich genug dargestellt.Über die Beschaffung von Beweismaterial möchte ich ergänzend folgendes bemerken. Der sowjetzonale Generalstaatsanwalt Streit hat, wie Sie wissen, mit einem an mich gerichteten Schreiben vom 22.Dezember 1964 vorgeschlagen, eine gemeinsame Kommission von Vertretern des Bundesjustizministeriums und seiner Behörde zur Auswertung des in der sowjetisch besetzten Zone vorhandenen Materials zu bilden. Da hierin ein Versuch lag, der Zweistaatentheorie Geltung zu verschaffen und die Durchführung von Ermittlungen außerdem nicht in meine Zuständigkeit fällt, habe ich dieses Schreiben an die Zentrale Stelle in Ludwigsburg weitergeleitet. Diese wandte sich mit Ermächtigung der Landesjustizminister und -senatoren in einem Schreiben vom 15. Januar 1965 an Generalstaatsanwalt Streit mit der Bitte, die Auswertung des in seinem Zuständigkeitsbereich befindlichen Materials durch einen Vertreter oder mehrere Vertreter der Zentralen Stelle zu gestatten. Generalstaatsanwalt Streit antwortete mit Schreiben vom 2.1. Januar, die Zentrale Stelle sei nur für die Aufklärung von Taten zuständig, die außerhalb der Bundesrepublik begangen wurden; er halte deshalb seinen Vorschlag aufrecht, eine gemeinsame Kommission zu bilden. Die Zentrale Stelle wies sofort darauf hin, daß ihre Zuständigkeit erweitert worden sei und jetzt auch Taten mit Begehungsort innerhalb der Bundesrepublik umfasse, und wiederholte ihre Bitte, die Auswertung der sowjetzonalen Archive zu gestatten. Auf dieses Schreiben ist bis heute keine Antwort eingegangen. Ich darf es Ihnen überlassen, sich Ihr Urteil über dieses Verhalten zu bilden:
Wie Ihnen sicher aus Presseberichten bekannt ist, war eine Arbeitsgruppe der Zentralen Stelle mehrere Wochen in Warschau tätig. Das dort gefundene Material ist sehr wertvoll als Beweismittel in bereits anhängigen Verfahren und enthält außerdem zwar keine Hinweise auf bisher unbekannte Tatkomplexe, wohl aber Hinweise auf bisher unbekannte Einzeltäter, die zur 'Einleitung neuer Strafverfahren führen können. Die Durchsicht des gesamten polnischen Materials war in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die Zentrale Stelle hofft, daß die polnischen Behörden ihr weitere Aktenauswertung gestatten. Bis zum 8. Mai 1965 können diese Arbeiten allerdings nicht abgeschlossen werden.In allerneuester Zeit, am 10. Februar, sind außerdem von einem Beauftragten des tschechoslowakischen Verbandes der antifaschistischen Widerstandskämpfer Fotokopien von Urkunden aus Prager Archiven überbracht worden, die von der Zentralen Stelle als äußerst aufschlußreich bezeichnet wurden. Der tschechoslowakische Beauftragte erklärte, es handele sich bei diesen Urkunden nur um einen sehr kleinen Bruchteil des insgesamt in der Tschechoslowakei vorhandenen Materials. Er habe Grund zu der Annahme, daß die Regierung seines Landes ein offizielles Ersuchen der Bundesrepublik, die Auswertung der tschechoslowakischen Archive zu gestatten, nicht abgelehnt werde. Ich halbe daraufhin das Auswärtige Amt sofort umweitere Veranlassung gebeten, was auch geschehen ist.Insgesamt wird man feststellen können, daß ein großer Teil der Tatkomplexe so umfassend aufgeklärt worden ist, daß bei ihnen mit bisher unbekannten Taten und Tätern kaum noch zu rechnen ist. Bei einzelnen Tatkomplexen kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß weitere Ermittlungen neue Belastungen ergeben. Auch hat sich gezeigt, daß in verschiedenen Archiven, vor allem im sowjetischen Machtbereich, noch Material vorhanden ist, das bis zum 8. Mai nicht restlos durchgearbeitet werden kann. Das ergibt sich namentlich aus den Dokumenten, die erst am 10. Februar des Jahres aus der Tschechoslowakei überreicht worden sind. Bei diesem Stand der Dinge kann nicht ausgeschlos-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8519
Bundesminister Dr. BucherI sen werden, daß nach dem 8. Mai 1965 noch bisher unbekannte Taten von Bedeutung oder unbekannte Beschuldigte von Rang bekanntwerden. Inwieweit in solchen Fällen allerdings der zu einer Verurteilung erforderliche Schuldnachweis noch geführt. werden kann, läßt sich schwer abschätzen. Die Beweisschwierigkeiten sind schon heute sehr groß und werden mit zunehmendem Zeitablauf immer größer.Das Ergebnis dieses Berichts wie auch die innenpolitische und die große außenpolitische Bedeutung, die das Verjährungsproblem erlangt hat, zwingen dazu, den Fragenkomplex mit großer Aufmerksamkeit zu behandeln. Wenn ich von der außenpolitischen Bedeutung spreche, so weise ich, abgesehen von den vielen Eingaben von Einzelpersonen aus dem Ausland, besonders auf die Appelle, Resolutionen und Proteste hin, die uns von Vereinigungen und Verbänden aus dem Ausland zugegangen sind und in denen die Verlängerung der Verjährungsfrist für NS-Verbrechen gefordert wird. Auch manche mit uns befreundete Staaten würden es begrüßen, wenn wir eine Verlängerung der Verjährungsfrist ermöglichen könnten. Manche Staaten haben ihrerseits Schritte zur Verlängerung von Verjährungsfristen vorgenommen.Die Bundesregierung hat, wie ich bereits zu Anfang ausführte, keine Möglichkeit gesehen, dem Bundestag ihrerseits eine dahin gehende Novelle vorzuschlagen. Es handelt sich hier um eine Frage, die in erster Linie nach rechtlichen Überlegungen und somit aus dem Gewissen jedes einzelnen heraus entschieden und beantwortet werden muß. Der Herr Bundeskanzler hat deshalb keine Möglichkeit gesehen, hier eine Kabinettsmeinung durch Richtlinienentscheidung festzulegen. Das Kabinett hat auch davon abgesehen, alle seine Mitglieder durch eine Mehrheitsentscheidung auf eine bestimmte Ansicht festzulegen. Es hat die Gewissensentscheidung jedes einzelnen genauso respektiert, wie das in dieser schwierigen Frage die Fraktionen tun. Das Kabinett hat erklärt, daß es bereit sei, den Deutschen Bundestag in seinem Bemühen zu unterstützen, in dieser Frage eine Lösung zu finden, die der Gerechtigkeit Genüge tut und den rechtsstaatlichen Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen unser Staatswesen steht, Rechnung trägt.
Das Wort zur Begründung des von den Abgeordneten Benda, Dr. Wilhelmi, Stingl und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes hat Herr Abgeordneter Benda.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte den Versuch unternehmen, das, was ich in dieser Frage für die Antragsteller zu sagen habe, in sehr einfacher Form zu sagen. Ich werde weniger das Für und Wider in Reaktion auf die in der Öffentlichkeit von allen möglichen Seiten in dieser Frage auf uns zukommenden Stimmen hier zu diskutieren als viel-mehr die Motive darzulegen haben, die die Antragsteller 'bewegt haben.Von verschiedenen, sehr achtbaren Seiten sind wir insgesamt aufgefordert worden, über diese Frage ohne Emotion zu diskutieren. Ich schließe mich dem an. Ich bin der Meinung, daß eine Form der Emotion in dieser Frage, sofern sie uns das klare Nachdenken über das, was notwendig ist, vernebeln sollte, schädlich wäre.
Ich sehe mich allerdings nicht in der Lage — und ich bekenne das offen —, in dieser Sache ohne Leidenschaft zu diskutieren.
Ich meine, daß das eben angeführte Wort Leidenschaft in seinem eigentlichen Wortsinn gebraucht werden muß: wir leiden! Wir leiden unter dieser Frage, meine Damen und Herren, und mit uns leidet das ganze deutsche Volk.
Wir müssen versuchen, unter Einsatz dieser Leidenschaft zu der richtigen Lösung zu kommen.Die Drucksache IV/2965 ist, wie ich annehme, heute morgen verteilt worden. Ich darf zunächst kurz einige Worte zur Erläuterung sagen. Die Antragsteller haben gestern mittag in einer Sitzung 'beschlossen, den ursprünglichen Antrag, der auf der Drucksache 2965 enthalten war, zu ändern. Der ursprüngliche Entwurf eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes hatte vorgesehen, in § 67 des Strafgesetzesbuches die Verjährungsfrist für die Strafverfolgung mit lebenslangem Zuchthaus bedrohter Verbrechen von 'bisher 20 auf 30 Jahre zu verlängern. Nach unserem jetzigen Vorschlag soll der § 67 dahin geändert werden, daß für die Strafverfolgung der mit lebenslangem Zuchthaus 'bedrohten Verbrechen eine Verjährung überhaupt nicht mehr eintritt.
Ich darf bemerken, daß der jetzige Antrag auf Drucksache 2965 nicht die 50 Unterschriften des ursprünglichen Antrags enthält. Ich bitte zu verstehen, daß das technische und keine anderen als technische Gründe hat. Ein Teil der Antragsteller konnte in den späten Abendstunden, als wir die Unterschriften gesammelt haben, nicht mehr erreicht werden. Wir hielten es für richtig, den Antrag trotzdem einzureichen. Ich darf wohl unterstellen — ich habe, glaube ich, mit fast jedem der Kollegen gesprochen, die den ursprünglichen Antrag unterzeichnet haben —, daß die ursprünglichen Antragsteller — vielleicht mit ganz wenigen Ausnahmen — diese Neufassung genauso tragen, wie sie die alte Fassung getragen haben.Der ursprüngliche Antrag war bereits im Herbst des vorigen Jahres angekündigt worden, genauer gesagt, im November 1964. Das frühe Datum der Initiative ersehen Sie daraus, daß einer derjenigen,
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8520 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Bendadie als erste mit unterschrieben haben — ich lege Wert darauf, das zu sagen, weil die Unterschrift dieses Kollegen nicht mehr unter dem jetzigen Antrag stehen kann, da er nicht mehr Mitglied des Hauses ist —, unser früherer Kollege Hoogen war, der jetzt Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages ist. Dieser Antrag hat wie ich meine, mitgeholfen, eine Diskussion wieder zu eröffnen, die zunächst einmal beinahe schon abgeschlossen schien. Es gab eine Entscheidung des Bundeskabinetts, die Sie kennen. Der Herr Bundesjustizminister hat sich eben darauf bezogen. In der Zwischenzeit gibt es einen neuen Beschluß des Bundeskabinetts. Ich habe gehört, was Herr Minister Bucher eben dazu gesagt hat. Ich verstehe, Herr Bundeskanzler, die Entscheidung des Bundeskabinetts vom 24. Februar 1965 als ein klares Votum für eine Verlängerung der Verjährungsfrist, und ich begrüße diese Entscheidung.
Mir scheint auch, daß sich in diesem Hause ein Meinungswandel vollzogen hat. In dem Zeitpunkt, in 'dem unser Antrag vorbereitet und eingebracht wurde, 'sah es vielleicht so .aus, als ob es 'eine Minderheit sein würde, die eine solche Initiative ergreifen würde. Inzwischen scheint mir festzustehen, daß in 'dieser uns bewegenden Frage Über das Ob die Entscheidung bereits gefallen ist und daß es eigentlich nur noch — „nur noch" sage ich; es ist eine sehr schwierige Frage! — um den juristisch und politisch einwandfreiesten und besten Weg geht.Ich habe in diesen Tagen in einer angesehenen Zeitung 'den Satz gelesen, ,daß das — so heißt es in dem Leitartikel —, 'was freiwillig und rechtzeitig als ein moralischer Akt hätte geschehen sollen, jetzt unter dem Druck der Weltmeinung 'als ein mit Opportunisimus belasteter politischer Akt geschehe. Meine Damen und Herren, ich sage ganz offen: Ich halte diese Meinung für ganz falsch. Sie ist auch von anderer Stelle geäußert worden.Die Antragsteller — soweit ich für meine 49 Kollegen und für mich selber sprechen darf — haben in dieser Frage unter einem Druck gestanden und stehen heute noch unter einem Druck: keinem Druck des Auslands, sondern dem Druck der eigenen Überzeugung, meine Damen und Herren!
Ich möchte das erweitern, und ich sage das auch für diejenigen, die vielleicht auf der anderen Seite dieser Diskussion stehen. Wer von uns in dieser Frage überhaupt jemals in den letzten Tagen rechtliche, Gerechtigkeits- und politische Erwägungen angestellt hat — und wer von uns hätte nicht? –, der steht bei dieser Frage unter einem solchen Druck seiner Überzeugung — ich sage: seines Gewissens —, daß das, was ,an Demonstrationen, Resolutionen, Eingaben oder was immer — achtbare Dinge, nebenbei gesagt —auf unis zukommen kann, weit zurücktritt gegenüber 'dem Druck dessen, was in jedem einzelnen von uns vorgeht.
Wenn die Entscheidung in diesem Hause gefallen sein wird, dann wird sie nicht, wie manche meinen — irrigerweise meinen, ich wiederhole es —, der Sieg eines Druckes von außerhalb des Parlaments oder gar aus dem Ausland sein. Meine Damen und Herren, sie wird nach meiner Überzeugung — und das ist in dieser manchmal bitteren Debatte eine tiefe Genugtuung auch für mich — der Sieg des parlamentarischen Prinzips sein, sie wird der Sieg des Prinzips sein, wie es der ,amerikanische Richter Holmes gesagt hat, die Wahrheit zu finden auf dem "marketplace of truth", auf dem Marktplatz der Wahrheit, dm freien, fairen Austausch von Ideen miteinander und, wenn es sein muß, gegeneinander in der Zuversicht, daß das Richtige, das Beste sich dann durchsetzen könnte. Nicht immer setzt es sich dann durch — wir wissen das —, aber wir handeln doch aus der Zuversicht, daß es möglich ist. In dieser Sache — davon bin ich überzeugt — kann es sich und wird es sich durchsetzen. Das bereitet mir —ich wiederhole es — bei manch bitterer Erfahrung in dieser Sache eine tiefe Genugtuung.Das sage ich heute schon, meine Damen und Herren: Das ist heute und in der zweiten und dritten Lesung die Stunde des Parlaments, das frei von allem äußeren Druck, aber zugleich in tiefem Bewußtsein der Bürde seiner inneren Verantwortung diese Entscheidung zu treffen hat und treffen wird.
Wir brauchen uns, meine Kollegen, nicht gegenseitig die Ehrenhaftigkeit zu versichern; das ist selbstverständlich. Ich weiß sehr wohl — und ich sage es hier ausdrücklich —: Es gibt auf beiden Seiten dieser Argumentation, dieses politischen und dieses juristischen Streites respektable und achtbare Motive und repektable und achtbare Männer. Ich unterstelle keinem hier, der in ,der Sache anderer Meinung ist, daß er dies aus Erwägungen täte, die ich nicht für achtbar hielte.Der Deutsche Bundestag hat bei vielen Gelegenheiten — ich brauche die Daten nicht in die Erinnerung zurückzurufen — in einer so eindeutigen Weise und im ganzen Haus übereinstimmend seinen Abscheu vor den Verbrechen des Nationalsozialismus und seinen Willen zur Wiedergutmachung und zur Ablehnung jedes Nationalismus oder jedes Neonazismus in unserem Volke bekundet, daß ich meine — und das ist meine tiefe Überzeugung —: Dieses Parlament vertritt ein deutsches Volk — und es vertritt das ganze deutsche Volk, auch jenseits der Zonengrenze —, ein Volk, in dem der 'Nationalsozialismus, die Irrlehre des Nationalsozialismus überwunden Ist.
Es geht daher in dieser Frage — es wäre töricht, etwas 'anderes anzunehmen — nicht um einen Streit zwischen dem, der etwa Verbrechen bagatellisieren, geschweige denn billigen wollte, und dem, der sie ablehnt, genauso wenig, wie es gehen darf und geht um einen Streit etwa zwischen denen, Herr Bundesjustizminister, die für, und denen, die gegen den Rechtsstaat sind. Auch das sind selbstverständliche Grundlagen, von denen wir gemeinsam ausgehen,
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8521
Bendagleichgültig, welche Meinung wir in dieser Sachfrage hier vertreten.Die sowjetisch besetze Zone — der Herr Bundesjustizminister hat es soeben gesagt, und wir sind ihm dankbar dafür — hat nicht die Beringte Legitimation, die Bundesrepublik als Nachfolger oder wiederaufgelebten Nazistaat zu verleumden. Meine Damen und Herren, dort herrscht ja doch die Fortsetzung des Unrechtsregimes.
Ich lese aus den Verhandlungen der sogenannten Volkskammer der sowjetisch besetzten Zone einen heuchlerischen Appell, dafür zu sorgen, daß alle heute noch in der Bundesrepublik lebenden, auf freiem Fuß befindlichen Nazi- und Kriegsverbrecher ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Ich möchte daran eine etwas konkretere Bemerkung anschließen und kann dazu noch ein paar Einzelheiten sagen. Zu denjenigen, die dieser Entschließung wohl zugestimmt haben werden, gehört vermutlich auch der „Volkskammer"-Abgeordnete des Kreises Kottbus, Herr Stephan Roick. Vor zwei Jahren, meine Damen und Herren, hat der Leiter der jüdischen Dokumentenzentrale in Wien, Herr Wiesenthal, den Machthabern in der sowjetisch besetzten Zone mitgeteilt, daß dieser Mann als SS-Unterscharführer in einer SS-Einheit an der Liquidierung des Gettos in Lublin persönlich beteiligt war. Vor zwei Jahren, meine Damen und Herren! Nichts ist geschehen.
Das — als ein Beispiel — entlarvt, wie ich meine,den heuchlerischen Appell an uns und die interessante örtliche Begrenzung: ihr, nicht wir, nur ihr.Umgekehrt, meine Damen und Herren, gilt aber natürlich auch, daß das Unrecht des Nationalsozialismus nicht deswegen geringer wird, weil sich diejenigen darauf berufen, die zu dieser Berufung am wenigsten legimitiert sind. Auch in diesem Zusammenhang gilt, daß es eine Aufrechnung von Verbrechen gegen Verbrechen nicht gibt.
Nach dem Bericht der Bundesregierung — der Herr Minister hat ihn soeben noch einmal zitiert — ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß nach dem 8 Mai 1965 neue Straftaten bekanntwerden, die Anlaß zu weiteren Ermittlungen geben müßten. Der Bericht, den der Berliner Senat dem Berliner Abgeordnetenhaus vor kurzer Zeit gegeben hat, kommt für seinen begrenzten, aber für die Verfolgung von Verbrechen sehr wichtigen Bereich zu dem gleichen oder zu einem ähnlichen Ergebnis. Danach scheint mir die Folgerung, daß eine Verlängerung oder gar Aufhebung der Verjährung notwendig ist, für jeden zwingend zu sein, der sich nicht damit abfinden will, daß solche schwersten Verbrechen ungesühnt bleiben müssen.Das ist ja auch die Meinung der Bundesregierung gewesen; denn sie hat mit unserer Zustimmung und in unserem Auftrag — wir haben ihr auch einen weiteren Auftrag gegeben, dessen Ergebnis dieser Bericht ist — den Aufruf an die Weltöffentlichkeit
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8522 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Herr Minister, damit wir uns da richtig verstehen: ich kämpfe hier um meine Position, und ich mache Ihnen nicht zum Vorwurf, daß Sie Ihre bestehende taktische Position ausnützen. Aber ich muß einmal klarstellen, wie das in Wirklichkeit ist, und demgegenüber darf man sich dann ja wohl in diesem Hause darauf berufen, daß es nun einen Appell von nicht weniger als 76 Professoren des Straf- und Staatsrechts gibt. Ich habe gar nicht gewußt, daß es so viele bei uns gibt;
aber es scheinen tatsächlich soviel zu sein.Ich habe die Erklärung hier. Sie ist mir heute morgen zugegangen, leider erst heute morgen, zusammen mit einem Schreiben von Herrn Professor Bachof, aus dem ich dann noch — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — eine Passage vorlesen darf. Da vielleicht nicht alle von uns diese Erklärung schon haben, zitiere ich einmal die entscheidenden Sätze:Nach unserer wissenschaftlichen Überzeugung — nicht: politischen Überzeugung —stehen einer allgemeinen Verlängerung der laufenden Verjährung für die Verfolgung von Mordtaten keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Der Gesetzgeber kann die Frist verlängern.Dann wird zugleich gesagt, daß aus Erwägungen der Gerechtigkeit eine Verlängerung oder Aufhebung der Verjährung unerläßlich sei.Professor Bachof schreibt mir in dem Brief, der mich heute morgen erreicht hat — und das ist vielleicht für die Beurteilung dieses Briefes, vor allem derjenigen Namen, die nicht darunter stehen, wichtig —, daß die Aufforderung zur Zustimmung erst am 28. Februar versandt worden sei. Weiter heißt es in dem Brief:Obwohl ein Teil der Hochschullehrer wegen des zu Ende gehenden Semesters nicht erreicht werden konnte, haben innerhalb von nur vier Tagen 76 Staatsrechtslehrer oder Strafrechtslehrer ihre Zustimmung erklärt. Nachträglich haben noch die Professoren Wilhelm Grewe , Landtagsvizepräsident Professor Wilhelm Hoegner (München) und Hellmuth Mayer (Kiel) gebeten, ihre Unterschrift beizufügen. Etliche weitere Hochschullehrer haben in der Sache ihre volle Zustimmung erklärt, aber gemeint, von einer Mitunterzeichnung absehen zu sollen, weil sie sich bereits an anderer Stelle in gleichem
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8523
BendaSinne geäußert hatten oder weil sie sich wegen ihrer Stellung als Richter usw. an einer öffentlichen Erklärung gehindert sahen.Meine Damen und Herren, das scheint mir die Meinung der deutschen Rechtswissenschaft in dieser Frage eindeutig klarzustellen.
Natürlich ist das auch im Kreise der Herren Professoren, vor denen ich allen Respekt habe, keine Frage, die mit Mehrheitsabstimmung entschieden wird. Natürlich können auch die Professoren alle Unrecht haben. Es könnten die sehr achtbaren Stimmen auf der Gegenseite recht haben. Das ist möglich.
Aber man sollte sich doch wohl wehren — und das sagt Gustav Boehmer, der nebst Erich Kaufmann einer der ältesten deutschen Rechtslehrer ist, wie er selber in seinem Leserbrief an die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt; ein Herr, der beinahe 84 Jahre alt ist — gegen den „apodiktischen Doktrinarismus", mit dem behauptet wird, daß eine Verlängerung der Verjährung gegen die Verfassung verstoße.
Nun gibt es — diesen Teil behandle ich sehr kurz — eine Reihe von neuen Vorschlägen. Die Vorschläge der Kollegen der SPD habe ich heute morgen bekommen. Ich will mich dazu gar nicht äußern, weil ich zunächst die Begründung hören möchte. Sie sind ja beinahe noch druckfrisch.Aus den Reihen meiner eigenen Fraktion gibt es ebenfalls eine Reihe von Vorschlägen, zu denen sicherlich in diesem oder jenem Punkt während der Diskussion noch etwas gesagt werden wird. Ich will das alles hier im einzelnen gar nicht diskutieren, sondern nur an die Kollegen, die eine Grundgesetzänderung vorschlagen, die Frage richten — ich werfe die Frage hier nur einmal auf —, ob derjenige, der behauptet hat, daß eine Verlängerung durch Gesetz gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoße, auch berücksichtigt hat, daß das rechtsstaatliche Prinzip durch Art. 20 und Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes gegen eine Verfassungsänderung geschützt ist. Wenn jene Argumentation — die ich freilich nicht für richtig halte — aber zutreffend wäre, so würde das den möglichen Streit vor dem Bundesverfassungsgericht nicht beenden, sondern ihn nur eine Etage höher schieben. Dann würden nämlich wir den Streit haben, den Streit — entschuldigen Sie die etwas banale Ausdrucksweise — nicht nur um eine einfache Verletzung des Grundgesetzes — wenn es eine wäre —, sondern um eine Verletzung eines fundamentalen Prinzips der Verfassung. Ich bitte das hier nur zu erwägen und will das jetzt nicht ausdiskutieren; damit wird sich der Ausschuß zu befassen haben.Ich darf als Antragsteller zu den verschiedenen Vorschlägen ganz allgemein folgendes sagen. Wir haben unseren eigenen Vorschlag gestern geändert. Ich habe — das darf ich für mich persönlich sagen — das, was gestern unseren Vorschlag ausgemacht hat, immer für die richtige Lösung gehalten. Ich sageganz offen, daß es auch Überlegungen über die damals erreichbare Mehrheit waren, die mich veranlaßt haben, meinem Vorschlag die seinerzeitige Fassung zu geben. Ich halte den jetzigen Vorschlag für besser. Aber unabhängig davon, wie man das beurteilen mag: wir halten nicht an unserem Vorschlag fest, wenn jemand uns überzeugen kann, es gibt bessere Wege. Es kommt also gar nicht darauf an, ob der Antrag Benda und Genossen oder der Antrag der SPD oder der Antrag Dr. Adenauer oder welcher Antrag auch immer angenommen wird. Es kommt darauf an, nicht etwa im Wege eines Kompromisses zu versuchen, eine Lösung zu finden, die im Grunde alle nicht befriedigt, sondern es kommt im Gegenteil darauf an, eine Lösung zu finden, die Aussicht darauf hat — und das ist sehr wichtig in dieser Frage —, eine möglichst breite Zustimmung in diesem Hause zu erhalten.
Denn zu der inneren Glaubwürdigkeit dessen, was wir hier vorschlagen, gehört auch, daß eine möglichst große Zahl von Mitgliedern dieses Hauses sich zur Zustimmung entschließen kann.Es wird in dieser Frage sicherlich keine einstimmige Entscheidung geben können, und das wäre auch nicht gut. Ich mißtraue allen, die in dieser Frage einstimmige Entscheidungen getroffen haben, allen!
Ich glaube, in dieser Frage ist es sehr viel achtbarer, wenn man sich uneins ist. Mit den Freunden meiner Fraktion, auch denen, die in der Sache auf der anderen Seite stehen — wir haben manche harten Diskussionen gehabt —, da verstehe ich mich schon. Ich sage sehr gern, daß ich in dieser Frage der Fraktion sehr dankbar bin für die Fairneß, mit der sie sich bereit erklärt hat, zu sagen, daß in dieser Sache jeder seine Überzeugung äußern soll. Natürlich hätte weder formal noch nach meinem eigenen Willen jemand gehindert werden können, das zu tun. Aber ich bin dankbar für die Feststellung, daß eine solche Äußerung der eigenen Überzeugung, die der Meinung der Mehrheit der Fraktion — damals war es wohl eine Mehrheit, heute glaube ich, daß es nicht einmal mehr eine ist — zuwiderläuft, nicht gegen, sondern mit dem Willen der Mehrheit erfolgt. Es gibt auch welche, die sagen, da könnten sie mir gar nicht zustimmen. Ich glaube, in jeder Fraktion gibt es in mehr oder weniger großem Umfang ähnliche Erscheinungen. Wir sollten das nicht bedauern, sondern begrüßen.
Bei der Begründung durch den Antragsteller ist eine Zwischenfrage nicht möglich.
Herr Präsident, ich würde gern eine Zwischenfrage zulassen. Aber abgesehen davon, daß ich das nicht zu entscheiden habe, bitte ich die Kollegen um Verständnis dafür, daß ich hier
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8524 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Bendafür ein Anliegen plädiere. Sie wissen, daß ich mich gern jeder Diskussion stelle. Vielleicht kann die Frage nachher bei anderer Gelegenheit vorgetragen werden. Ich bitte jedenfalls, Verständnis dafür zu haben, daß ich vortragen möchte, was mir am Herzen liegt, und daß ich dabei nicht gestört werden möchte.
Für die Antragsteller steht über allen Erwägungen juristischer Art ganz einfach die Erwägung, daß das Rechtsgefühl eines Volkes in unerträglicher Weise korrumpiert werden würde, wenn Morde ungesühnt bleiben müßten, obwohl sie gesühnt werden könnten. Ich habe hier unter vielen Briefen, die ich bekommen habe, den Brief eines — wie in den allermeisten Fällen — mir ganz unbekannten Mannes, eines Sozialinspektors aus Hamburg, der mit Jugendlichen, die gefährdet sind, straffällig zu werden, zusammenarbeitet. Er schreibt, daß ihn die Jungen, die Dummheiten gemacht haben und nun im Jugendgefängnis sitzen — sie streiten ihre Taten nicht ab, sie sagen, daß sie mit Recht im Jugendgefängnis sitzen, weil sie Dummheiten begangen haben —, fragen, wie es mit der Gerechtigkeit sein könne in einem Staat, in dem für Jungenstreiche jemand ins Gefängnis kommt und Leute, die Morde begangen haben, ungestraft herumspazieren.
Meine Damen und Herren, das ist einfach der Kern des Problems. E)
— Es ist hier nur einfach das Gefühl, Herr Kollege Zoglmann, daß jemand, der bestraft werdenmüßte, —
Ich würde es auch begrüßen, wenn wir diese Verhandlungen in möglichster Ruhe und Sachlichkeit führten. Ich weiß nicht, ob Ausführungen in einer solchen Frage des Beifalls oder des Mißfallens würdig sind. Ich glaube, der Herr Kollege Benda hat einen sehr guten Ton angeschlagen. Wollen wir den doch fortsetzen!
Ich wiederhole also, daß es unerträglich sein 'müßte, wenn der Versuch unterlassen würde, Menschen, die möglicherweise des Mordes schuldig sind, für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen.Herr Kollege Arndt, ich darf nebenbei ein Wort an -Sie richten. Ich habe mit großem Interesse und mit Respekt Ihre Ausführungen in der Juristenzeitung gelesen. Ich will darüber jetzt nicht in der Sache diskutieren. Ich bin aber etwas betroffen darüber, daß Sie meine Ausführungen, die ich an anderer Stelle gemacht habe, so interpretieren, als würde ich unterstellen, daß jemand, der des Mordes angeklagt würde, damit schon der Mörder sei. Ichbenütze diese Gelegenheit nur zu der Klarstellung: natürlich bin ich von dieser Unterstellung weit entfernt. Ich würde mich auch niemals in diesem Zusammenhang zu dem Verhalten eines Mannes äußern, der gegenwärtig in Frankfurt vor Gericht steht. Es gibt eine Variation Ihres Worts — Sie wissen, welches Wort ich meine —, in dem durch einen Vertreter einer hohen staatlichen Stellung ein solcher Name eines Angeklagten zitiert wind. -Es gibt andere Namen, Namen rechtskräftig Abgeurteilter, die man, wenn man schon Namen haben will, zitieren kann. Daraus halte ich mich heraus, genauso wie ich mich heraushalte aus der Diskussion über Vorgänge, die in anderen Städten unserer Bundesrepublik gegenwärtig vor -Gericht behandelt werden, aus dem Pro oder Contra. Es geht nicht, daß sich das Parlament in diese Diskussion einschaltet. Es gehört auch zum Rechtsstaat, daß dies das Gericht entscheidet 'und nicht das Parlament. Ich sage das unbeschadet meiner persönlichen Meinung in der Sache, die ich hier nicht äußere in einer Art Vorurteil pro order contra zu einem Verfahren, das gegenwärtig läuft. Herr Kollege Arndt, ich benutze diese Gelegenheit zu einer Klarstellung. Wenn ich !sage: „Es wäre mir unerträglich, mit vielfachen Mördern zusammenzuleben", dann ist es selbstverständlich, daß natürlich zuerst ermittelt werden muß, ob -der bestimmte Beschuldigte wirklich der Mörder ist, -und daß das Sache eines Strafverfahrens ist. Natürlich gilt im Zweifel zu seinen Gunsten, wie wir alle wissen, das Prinzip, daß er nicht verurteilt werden kann, wenn wir ihn nicht 'der Schuld überführen können. Ich würde überhaupt sagen, daß manche Urteile in dieser Sache, so unbefriedigend sie ausfallen mögen — Sie haben es selber gesagt, da stimme ich Ihnen zu —, doch im Licht dessen gesehen werden müssen, daß ihnen ein rechtstaatliches Element zugrunde liegt und daß — jedenfalls in -den meisten Fällen — nicht etwa böser Wille der Berufs- oder Laienrichter vorhanden ist, die nicht verurteilen wollen: Es ist nämlich einfach das Festhalten am Rechtsstaat, wenn der Grundsatz befolgt wird, daß jemand nur verurteilt werden kann, wenn feststeht, daß er nach unserer Prozeßordnung und nach unserem materiellen Strafrecht verurteilt werden muß.Es gibt eine Sonderfrage, die ich hier aber nur anschneiden und nicht diskutieren möchte, weil das sehr lange dauern würde, die Frage, ob man bei einer möglichen Regelung zwischen Haupttätern und Gehilfen unterscheiden soll. Es gibt sehr extreme Positionen in dieser Frage hinsichtlich des Tätertyps. 'Es gibt auf der einen Seite der Skala den Typ der KZ-Aufseher Sommer und Schubert — um Namen von Verurteilten und nicht von solchen, die vor Gericht stehen für diesen Typ zu sagen —, die zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt worden sind. Diese sind wegen scheußlichster KZ-Verbrechen verurteilt worden, mit denen sich niemand in unserem Volke, wenn er wüßte, was dort geschehen ist, ernsthaft identifizieren könnte und die niemand auch nur in :irgendeiner Weise bagatellisieren würde. Es gibt selbstverständlich die Schreibtischtäter, die intellektuellen Urhuber, die Hauptverantwortlichen, und es gibt auf der anderen Seite der
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Benda4 Skala, sagen wir einmal, das Mädchen, das die Befehle getippt hat, das, juristisch gesehen, einen Tatbeitrag geliefert hat, der natürlich in eine völlig andere Kategorie hineingehört als das andere Extrem, das ich eben genannt habe. Es scheint mir ein wichtiges Anliegen 'zu sein, daß man versucht, hier irgendwie zu differenzieren, wobei — es gibt u. a. Vorschläge des Kollegen Güde — die Grenzziehung ungeheuer schwierig ist. Es wird nicht ganz einfach sein, das, was ich hier angedeutet habe, 'zu konkretisieren. Aber man sollte diesen Versuch unternehmen.Die Frage, mit der wir uns beschäftigen, hat — um auch das noch zu sagen — eine furchtbare, aktuelle Bedeutung. Auch damit müssen wir uns auseinandersetzen. Viele wissen vielleicht gar nicht, daß es nicht nur eine Zentrale Stelle zur Erfassung von Naziverbrechen in Ludwigsburg gibt. Wir haben auch eine Zentralstelle zur Erfassung von Verbrechen drüben, in der sowjetisch 'besetzten Zone, in Salzgitter. Das ist die Kehrseite einer und derselben Sache. Es gehört für mich zum Thema, wenn ich bei dieser Gelegenheit sage, daß derjenige in unserem Volke — man hört gelegentlich solche Stimmen —, der meint, man könne mit diesem oder jenem von den Machthabern von der anderen Seite reden, sich zuvor einmal Überlegen muß, daß er dann in ein Gespräch mit Mördern eintritt.
Das ist nur eine Kehrseite des gleichen Themas. Wer das eine will, muß auch das andere wollen; er darf das nicht außer acht lassen.
Es geht den Antragstellern im Motiv hauptsächlich um die Kennzeichnung der Tat. Es soll klargestellt werden, was hier an Taten, genauer gesagt, an Untaten geschehen ist. Die Bestrafung des Täters mag von seiner Person her natürlich .aus dem natürlichen Sühnebedürfnis heraus nicht ihren Sinn verlieren. Hoffnungen auf eine Wandlung sind ja wohl in erschreckender Weise mit einer Reihe von bitteren Erfahrungen bei gegenwärtig laufenden und vergangenen Prozessen widerlegt. Gewandelt hat sich natürlich das Milieu. Glücklicherweise gibt es in unserem Lande keine Konzentrationslager mehr. Das Milieu, in dem Taten dieser Art begangen werden konnten, hat sich geändert.Es gibt Stimmen, auch von von mir sehr geachteten Kollegen meiner eigenen Fraktion — ich spreche das mit sehr großem Zögern an —, die die Begriffe der Gnade und der Vergebung in die Diskussion einbringen. Dazu sind zunächst einmal nur die Opfer legitimiert, wir, glaube ich, nicht. Im übrigen scheint es mir — ich sage das mit aller Vorsicht — nicht möglich zu sein, auch vom Standpunkt eines Christen aus ohne Erkennen der Schuld von Gnade zu reden.Ich beschränke mich darauf, in diesem Zusammenhang einfach zu zitieren. Ich könnte es nicht so gut sagen, was Präses Scharf bei früherer Gelegenheit in einem Beitrag gesagt hat, der mit „Volk vor Gott" überschrieben ist, also nicht etwa mit „Täter und Justiz" , sondern mit „Volk vor Gott" ; das istdas eigentliche, das tiefste Problem. Präses Scharf sagt:Der einzelne Täter und Gehilfe, auch wenn er inzwischen längst resozialisiert zu sein scheint, hat es um seiner selbst willen, um seiner inneren Heilung willen nötig, daß er seine Verantwortung an dem Geschehenen, seine Mitschuld, seine ganz individuelle Sonderschuld erkennt und anerkennt und daß die Gemeinschaft, zu der er gehört, mit ihm deswegen „verfährt", daß sie mit ihm dagegen angeht und ihm hilft, mit dieser Schuld zu „verfahren" ... Bleibt dagegen Schuld verheimlicht, so wirkt sie im Verborgenen weiter ... Verheimlichte Schuld verwirkt die Vergebung .. .Ich enthalte mich jedes Kommentars. Ich wollte das nur einfach einmal als eine für mich ganz wichtige Meinung in dieser Sache vortragen.Ich schließe ein ganz kurzes Zitat von Oberkirchenrat Wilkens an, der spricht von der Strafe als der „letzten und äußersten Hilfe zur Schulderkenntnis vor Gott, die man dem Verbrecher um seines Menschseins willen nicht vorenthalten mag".Ich komme zu einem letzten, aber für mich noch wichtigen Punkt. Es gibt — ich spreche diesen Punkt offen an — eine zunehmende Neigung, im Zusammenhang mit unserem Thema auch nach Verbrechen anderer zu fragen. Meine Damen und Herren, ich weiß es, und wir alle wissen es, daß im Zusammenhang mit der Vertreibung, im Zusammenhang mit den Ereignissen der letzten Kriegsjahre Verbrechen nicht nur von Deutschen, sondern auch an Deutschen geschehen sind. Wer von uns wüßte das nicht?! Und wir sollten das hier auch aussprechen. Ich wehre mich nicht gegen die verständliche Haltung der Heimatvertriebenen zu dieser Frage, die sagt: Wir wollen doch, daß auch hier Gerechtigkeit vollzogen wird. Ich bin bereit, das mit zu sagen. Ich wehre mich aber gegen ein irgendwo vorhandenes politisches Kalkül, das meinen könnte, daß dort, wo solche Stimmungen sind, vielleicht auch Stimmen zu holen sein könnten.
Ich meine, daß derjenige, der solche Überlegungen anstellt, mit bedenken sollte, daß er die Geister, die er ruft, dann vielleicht nicht mehr los wird.
Es ist leider wahr, daß persönlich unschuldige Menschen in Deutschland für Verbrechen haben büßen müssen, die sie nicht verübt haben. Es ist leider wahr, daß Unrecht geschehen ist in meiner Heimat, in Berlin, in Pommern, in der Tschechoslowakei. Es ist leider wahr, daß die Tschechoslowakei 1946 ein schandbares Amnestiegesetz erlassen hat, und ich bin bereit, mit zu sagen — ich wiederhole es —, daß das Unrecht ist.
Ich fange gar nicht von der Aufrechnungstheorie an. Meines Erachtens bedarf es darüber in diesem Hause keiner Diskussion; 'ich hoffe es. Ich setze mich
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Bendanicht .auseinander mit den törichten Sätzen in einem Buch — ich möchte es hier gar nicht erwähnen; Sie wissen, worum es sich handelt —, das wir alle oder, ich glaube, die meisten von uns bekommen haben, in ,dem bereits auf der Umschlagseite so unsinnige Sätze stehen wie: „Dieses Buch beweist, daß das deutsche Volk sich nicht zu schämen braucht," weil die anderen auch . . . . Das ist — ich zitiere den verstorbenen Bundespräsidenten Heuss — das „Verfahren der moralisch Anspruchslosen" — und er fügt hinzu —, „die es in allen Völkern gibt."
Vor allem aber: Wer unter Berufung auf diese Vorgänge den Schlußstrich fordert, der muß ja davon ausgehen, daß dem deutschen Volk, wenn es Mörder bestraft, damit ein ,Übel zugemutet wird, der muß ja davon ausgehen, daß 'es an sich für uns besser wäre, wenn wir nicht bestraften, daß es also eine Sache ist, die man machen muß.Dann kommt natürlich sofort wieder die unsinnige Behauptung des ausländischen Drucks, dann kommen die anonymen Postkarten der aufrechten deutschen Patrioten bei mir an, die in allem Patriotismus dann vergessen, ihre Briefe oder ihre Postkarten zu unterschreiben; dazu reicht's dann nicht mehr.
Ich werde mir vielleicht ein Vergnügen daraus machen, zusammen mit den Kollegen, die etwas Ähnliches bekommen haben, diese Dinge zu sammeln und dann vorzulegen. Daraus kann man wirklich einiges darüber entnehmen, was es an geistigen Verirrungen in einem Volke gibt, von dem ich unentwegt sage, — und ich wiederhole es, damit das nicht mißverstanden werden kann —, daß es den Nationalsozialismus überwunden hat. Das beweist — deswegen freue ich mich über die Anonymität —, daß die Zeiten nicht so sind, daß man so etwas offen sagen kann in unserem Volke. Da muß man sich eben hinter der feigen Anonymität verkriechen.
Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluß mit einem anspruchsvollen Wort, .das mir ein Kollege gesagt hat, der auf der anderen Seite dieser Diskussion steht, .an dessen persönlicher Redlichkeit ich niemals gezweifelt habe, der aber in dieser Sache einer völlig anderen Meinung ist als ich. Er hat mir gegenüber gemeint, man müsse um der Ehre der Nation willen mit diesen Prozessen Schluß machen. Meine Damen und Herren, Ehre der Nation — hier ist für mich einer der letzten Gründe, warum ich meine, daß wir hier die Verjährungsfrist verlängern bzw. aufheben müßten.
Ich stimme völlig denen zu, die sagen — auch Herr Kollege Arndt hat es mit Recht wieder bei einer anderen Gelegenheit gesagt —, daß es natürlich ein Irrtum wäre, wenn wir meinten, wir könnten das, was in unserem Lande und unserem Volke geschehen ist, dadurch erledigen, daß wir stellvertretend, sozusagen symbolisch, einige ins Zuchthaus schicken und dann meinen, nun sind wir feinheraus. Es gibt eine französische Stimme — ich will sie jetzt nicht mehr vorlesen, aber sie ist sehr interessant und macht einen sehr nachdenklich — von einem französischen Schriftsteller, der davon spricht, daß die Deutschen in der Gefahr sind, so ein „Spezialistentum für Gewissen" zu entwickeln, einige also, die sich um Gewissen kümmern — das ist die Justiz, das sind die Journalisten natürlich und die Geistlichen und ich weiß nicht wer noch —, und es gibt andere, die gehen in der Zwischenzeit allen möglichen anderen Dingen nach und meinen, d a s wird von den Spezialisten erledigt, das geht sie gar nichts an. So nicht! So nicht natürlich! Darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit. Aber ich bestehe darauf — und es gehört für mich zum Begriff der Ehre der Nation —, zu sagen, daß dieses deutsche Volk doch kein Volk von Mördern ist und daß es diesem Volke doch erlaubt sein muß, ja daß es um seiner selbst willen dessen bedarf, daß es mit diesen Mördern nicht identifiziert wird, sondern von diesen Mördern befreit wird, daß es, besser gesagt, deutlicher gesagt, sich selber von diesen Mördern befreien kann.
Das gehört für mich zur Ehre der Nation, daß der, wie ich weiß, unvollkommen bleibende, aber redliche Versuch unternommen wird, das zu tun, daß man von sich sagen kann: man hat das, was möglich ist, getan — ich weiß, daß es die Grenzen der Justiz bei diesem schwierigen Thema gibt, daß wir bei weitem nicht alles in dieser Sache heute noch machen können, was vielleicht früher hätte gemacht werden können, natürlich gibt es Grenzen dafür —, man hat den redlichen Versuch unternommen.Und es gibt dann schließlich das Wort, das ich an den Schluß setzen möchte — es hätte, wenn man es richtig versteht, die ganze lange Rede, für deren Länge ich um Entschuldigung bitte, vielleicht überflüssig gemacht —, es gibt dieses Wort an dem Mahnmal in Jerusalem für die sechs Millionen ermordeten Juden, das in einer eindrucksvollen Form in einer ganz schlichten Halle den Satz zitiert, der nicht aus diesem Jahrhundert stammt, der von einem jüdischen Mystiker des Anfangs des 18. Jahrhunderts stammt — ich sage ihn in meiner notwendigerweise unvollkommenen Übeisetzung gleich in Deutsch, er steht dort in Englisch und Hebräisch —:Das Vergessenwollen verlängert das Exil, unddas Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.
Das Wort zur Begründung der Anträge unter Punkt 2 c und 2 d hat der Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und 'Herren! Ich glaube, wir haben allen Anlaß, dem Kollegen Benda für seine Rede dankbar zu .sein,
und zwar, wie ich meine, insbesondere deswegen,weil er ein Sprecher unserer jungen deutschen Ge-
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Hirschneration ist. Es 'beglückt mich, daß aus dieser jungen deutschen Generation eine solche Rede gekommen ist.
Ich bin persönlich in der glücklichen Lage, jedem Wort zustimmen zu können, das Herr Benda gesagt hat. Auch das ist in diesem Hause, in dem es doch meist kontroverse Meinungen gibt, ein beglückendes Gefühl. Ich möchte auch das ausdrücklich sagen.Ich kann mich in der Begründung der beiden Anträge der SPD sehr kurz fassen. Denn in der Sache sind wir mit dem Antrag Benda völlig einig. Es geht lediglich um einen für mein Gefühl nicht sehr wichtigen Unterschied in der Form, wie das zu erreichen ist, was wir gemeinsam wollen. Ich möchte mich daher damit begnügen, das, was Herr Benda gesagt hat, in einiger Hinsicht zu unterstreichen und anschließend klarzumachen, warum die SPD-Fraktion meint, daß man in der Form etwas anders verfahren sollte.Zunächst also ein paar Bemerkungen zur Sache! Ich glaube, es wäre richtig, wenn wir bei dem Versuch der Klärung dieses Problems, das unser Gewissen jetzt schon so lange belastet und beansprucht, zunächst einmal auf die ganz einfache Frage abstellten: ist es richtig oder nicht, die Verjährungsfrist für Mord allgemein zu verlängern?, wenn man also versuchen würde, von dem Problem der Nazimorde einmal ganz zu abstrahieren. Dazu vorweg zwei Bemerkungen, mit denen ich das, was Herr ) Benda gesagt 'hat, besonders unterstreichen möchte.Es geht hier wahrlich nicht um Entnazifizierung. Herr Kollege Unertl! In der Zeitung 'hat gestanden, Sie 'hätten in Vilshofen gesagt, Sie seien gegen eine neue Entnazifizierung. Ich 'kann mir nicht vorstellen, daß Sie das gesagt haben.
Darum geht es wirklich nicht. Wir sind alle mit Ihnen gegen eine neue Entnazifizierung.
Worum es geht, ist lediglich die Frage, ob die Verjährungsfrist für Mörder verlängert werden soll. Es geht nicht einmal um 'die Frage einer Verlängerung der Verjährungsfristen für Verbrecher allgemein. Die allgemeine Diktion in dieser Hinsicht lautet immer: Verjährung für Naziverbrechen. Sie ist falsch. Alle Naziverbrechen außer Mord sind verjährt, und niemand denkt daran, da die Verjährungsfristen noch einmal zu verlängern. Es geht allein um die Frage: Verlängerung der Verjährungsfrist für Mord.Ich bitte also noch einmal, mit mir den sicherlich sehr schweren Versuch zu machen, einmal zu prüfen, ob es richtig ist, die Verjährungsfrist für Mord als solche zu verlängern oder nicht. Nun ist insofern — das möchte ich in Erinnerung rufen — eine Entscheidung unserer Bundesregierung ja längst gefallen; denn in dem uns vorliegenden Entwurf für eine Strafrechtsreform ist vorgesehen, daß die Verjährungsfrist für Mord auf 30 Jahre verlängert wer-den soll. In der Begründung kommt eindeutig zum Ausdruck, daß nach Meinung der Bundesregierung diese Verjährungsprobleme zum Teil materiellrechtlicher, zum Teil formell-rechtlicher Art seien und daß man diese Lösung gewählt habe, um zu verhindern, daß bereits verjährte Straftaten noch einmal aufgenommen werden könnten, daß man aber andererseits sicherstellen möchte, daß Straftaten, die noch nicht verjährt sind, durch die Verlängerung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre noch verfolgt werden könnten. Damit ist an sich seitens der Bundesregierung die Entscheidung gefallen.Ich möchte außerdem in Erinnerung rufen, daß im gesamten Rahmen der Diskussion unserer Großen Strafrechtskommission, die ja jahrelang an Hand der Unterlagen aus den Zeiten der Weimarer Republik und des Kaiserreichs gearbeitet hat, die Frage, daß die Verjährungsfrist auf mindestens 30 Jahre verlängert werden sollte, überhaupt nie umstritten gewesen ist. Man war sich völlig darin einig, daß das geschehen sollte.In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant — Herr Unertl, fassen Sie das nicht als Spitze gegen Sie auf —, wie man die Frage von Bayern aus in einer Zeit beurteilt hat, als man noch nicht von dem Problem der Verjährung der Nazimorde sprach, sondern als man sich damit beschäftigte, ob man die Verjährungsfrist als solche verlängern soll. In den Protokollen der Großen Strafrechtskommission finden Sie hierzu eine Äußerung des Ministerialrats Dr. Rösch, der jetzt der Präsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist. Er hat in der Auseinandersetzung über die Verjährungsfrage in der Sitzung der Großen Strafrechtskommission vom 24. Juni 1955 — es ist jetzt also zehn Jahre her — wörtlich folgendes gesagt — ich bitte, das zitieren zu dürfen —:Ich begrüße es sehr lebhaft, daß die gesetzlichen Fristen der Verfolgungsverjährung verlängert werden. Besonders wichtig ist dies für die Verlängerung auf 30 Jahre bei Taten, die mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind. Hier darf ich in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß der Bundesrat auf Anregung Bayerns schon einen Vorstoß in dieser Richtung unternommen hat, als das 3. Strafrechtsänderungsgesetz zur Beratung stand; leider ist der Bundestag diesen Vorschlägen nicht gefolgt.— Jetzt kommt die entscheidende Stelle:Wir hatten in Bayern auf Grund eines konkreten Falles ein dringendes Bedürfnis nach dieser Verlängerung gesehen. Es handelte sich um den sechsfachen Raubmord im Hinterkaifeck, der bis vor kurzem so lebendig in der Erinnerung des Volkes lebte, daß die Verjährungsfrist von 20 Jahren zu kurz erschien.
Nun, meine Damen und Herren, wenn nach der bayerischen Volksüberzeugung — und das meint Herr Rösch — ein sechsfacher gemeiner Raubmord den Eindruck hervorruft, daß die Verjährungsfrist von 20 Jahren zu kurz ist, so muß der gleiche Ein-
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Hirschdruck bei rund 10 Millionen Ermordeter aber auch bestehen.
Ich möchte das nicht mehr vertiefen. Denn meiner Meinung nach ist der Standpunkt der Bundesregierung klar. Ich habe es nie verstanden, daß jetzt, als die Sache bei der Erörterung der Frage der Nazimorde aktuell wurde, der Bundesjustizminister, der sicherlich nicht persönlich für diese Begründung verantwortlich ist — denn sie ist vor seiner Zeit ergangen —, plötzlich behauptet hat, eine Möglichkeit einer Verlängerung der Verjährungsfrist für Nazimorde gebe es nicht, und daß er zudem behauptet hat, das sei verfassungsrechtlich völlig eindeutig. Herr Benda hat sehr überzeugend ausgeführt, daß das keineswegs überzeugend ist, und ich habe eben versucht, klarzumachen, daß auch das Bundesjustizministerium und die Große Strafrechtskommission jedenfalls in einer Zeit, als es noch nicht um Nazimord ging, sondern um Mord, anderer Meinung als der Herr Minister jetzt gewesen sind.Wenn man zu dem Ergebnis kommt — wie gesagt, die Bundesregierung ist früher zu dem Ergebnis gekommen, 1952 —, daß die Verjährungsfrist für Mord allgemein mit 20 Jahren zu kurz sei, und wenn man meint, man könne sie verlängern, soweit sie noch nicht angelaufen sei, dann ist lediglich noch zu prüfen, ob die besondere Situation der Nazimorde eine andere Beurteilung .so oder so erfordert. Ich möchte vorweg sagen, daß dem nicht so ist. Ich verstehe alle Argumente, die in dieser Hinsicht vorgebracht worden sind, nicht. Auch insofern kann ich mich voll und ganz auf Herrn Benda beziehen, insbesondere auf die Worte, die er hinsichtlich der sogenannten „Aufrechnung" gesagt hat, aber auch hinsichtlich aller anderen Dinge, die er ausgesprochen hat. Aber vielleicht doch noch ein paar kurze Bemerkungen dazu.Es gibt bei uns Leute, die zunächst gemeint hatten, es sei richtig, die Verjährungsfrist zu verlängern, und jetzt plötzlich sagen: Das können wir nicht; das würde ja so aussehen, als wenn wir dem Druck der Weltöffentlichkeit und dem Terror der Straße nachgäben. Nun, meine Damen und Herren, der Druck der Weltöffentlichkeit ist .schlimm. Ich bin durchaus der Meinung, man sollte ihm nicht nachgeben, wenn er in der Sache falsch wäre. Da er aber in der Sache richtig ist — das hat Herr Benda ausgeführt —, gibt es gar keinen vernünftigen Grund, deswegen, weil es einen Druck gibt, anders zu entscheiden, als man entschieden hätte, wenn es keinen Druck gegeben hätte.
Es ist ferner gesagt worden — es war wohl insbesondere Herr Thielicke —, es sei jetzt viel zu spät, und Bundesregierung und Parlament seien verantwortlich dafür, daß erst jetzt im allerletzten Augenblick diese Dinge aufgegriffen würden, und jetzt könne man das nicht mehr machen; sonst sähe es jetzt so aus, als ob das wirklich unter Druck erfolge. Meine Damen und Herren, auch das istnicht richtig. Meine Fraktion hat sich bereits im Jahre 1960 sehr eindeutig mit dem Problem beschäftigt, als sie damals schon beantragte, die Verjährungsfrist für Totschlag zu ändern. Dieser unser Antrag ist abgelehnt worden. Wir haben uns aber auch im Laufe dieser Legislaturperiode mehrfach bemüht, das Problem in den Griff zu bekommen. Wir haben Kleine Anfragen aller Art gestellt; insbesondere wollten wir uns dadurch bemühen, sicherzustellen, daß bei Nazimorden wirklich alles verfügbare Material in dieser Welt sichergestellt würde. Wir haben Antworten bekommen, die uns nicht befriedigt haben.Insbesondere haben wir lange Zeit die Antwort bekommen, das Material in den Oststaaten könne man doch unmöglich verwerten. Diese Meinung ging so ungefähr von der Auffassung aus, was da aus dem Osten komme, sei gefälscht. Meine Damen und Herren, leider Gottes sind die da im Osten gar nicht darauf angewiesen, zu fälschen, weil sie über genügend richtiges Material verfügen. Wenn man richtiges Material hat, braucht man nicht zu fälschen. Es hat sich eben leider herausgestellt — ich sage ausdrücklich leider; niemand sollte sich darüber freuen, daß es noch so viel belastete Menschen unter uns gibt —, daß das Material im allgemeinen echt ist.Wir sind jetzt in Zeitdruck gekommen. Die Bundesregierung ist im Gegensatz zu ihrer Auffassung vor der Erstattung dieses Berichts jetzt zu dem Schluß gekommen, daß keineswegs alle Fälle erschöpfend erfaßt seien. Das liegt natürlich zum Teil daran, daß wir nicht rechtzeitig von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht haben, die es gab, das vorhandene Material in dieser Welt zu erschöpfen, durchzuarbeiten und auszuwerten.
Aber ein Vorwurf in dieser oder jener Hinsicht nutzt uns nichts. Wir stehen jetzt vor der Situation, daß das Bundesjustizministerium mit seiner sorgfältigen Arbeit, nachdem es sich natürlich zunächst bemüht hatte, zu beweisen, .daß ,seine Auffassung richtig und eine Verlängerung konkret nicht nötig sei, jetzt bekennen muß, es bleibe eine große Lücke offen. So können wir uns, wenn wir die Verjährungsfrist für Mord überhaupt verlängern wollen, heute einer Entscheidung in diesem Sinne gar nicht entziehen. Man muß sich einmal überlegen, daß der Bundestag etwa im Rahmen der normalen Entscheidung über die große Strafrechtsreform nach einigen Jahren entscheidet, die Verjährungsfrist auf 30 Jahre zu verlängern oder überhaupt zu streichen. Was würde man uns dann mit Recht - in diesem Falle aber wirklich mit Recht — in der Weltöffentlichkeit sagen!Noch .eine Bemerkung zu der Frage: Geht es denn überhaupt, oder hat es Sinn, die Nazimorde weiter zu verfolgen? Auch das hat Herr Benda gesagt: Sie werden ja weiter verfolgt. Auf jeden Fall finden auch nach diem 8. Mai Tausende von Verfahren statt. Das, was immer gesagt wird: es habe doch gar keinen Sinn, nach so viel Jahren noch Gerichtsverfahren durchzuführen, und es sei so schwierig, einen
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HirschTäter noch zu überführen, das gilt für alle die tausend Verfahren, wo der Richter die Verjährung unterbrochen hat, genauso.
Wenn dem so ist, dann ist das kein Argument gegenüber einer Verlängerung der Verjährungsfrist, sondern das ist ein berechtigtes allgemeines Argument, das jeden von uns und jeden Richter, jeden Anwalt und jeden Staatsanwalt veranlassen muß, seine Arbeit besonders sorgfältig zu machen. Das aber gilt für jedes Verfahren in unserer Gerichtsbarkeit überhaupt, und für ein Mordverfahren sollte es ohnehin gelten. Ich habe keinen Zweifel, daß das geschieht.Man kann natürlich darüber streiten, ob jedes dieser Verfahren, das heute stattfindet, oder jedes dieser Verfahren, bei dem man die Täter ermittelt hat und bei dem die Verjährung unterbrochen ist, nun wirklich stattfinden müßte. Es gibt sicherlich Verfahren gegen Beschuldigte. gegen Angeklagte, die man, wenn ich mich so ausdrücken darf, heute in Ruhe lassen könnte. Ich möchte mich nicht der Sünde eines Eingriffs in ein schwebendes Verfahren schuldig machen und möchte mich daher nicht über die Anklage gegen die Krankenschwestern in München äußern. Aber eines möchte ich schon sagen. Mich wundert diese Anklage, solange nicht auch ein Verfahren gegen die Generalstaatsanwälte und Oberlandesgerichtspräsidenten eröffnet worden ist, die damals gefragt worden sind, die nichts gegen die Euthanasiemorde unternommen haben und die sich meines Erachtens dadurch mindestens der Beihilfe zum Mord durch Unterlassung schuldig gemacht haben.
Wir dürfen uns nicht dem Verdacht aussetzen, daß wir die Kleinen hängen und die Großen laufen lassen.
Wir müssen aber — bei allen Fehlerquellen, die auch die Justiz hat — ganz einfach Vertrauen in die Weisheit unserer Staatsanwaltschaften und auch unserer Gerichte haben. Wir müssen dabei in Kauf nehmen, daß es Verfahren geben wird — so der so —, in denen Anklage erhoben wird und in denen sich herausstellt, daß die Beweismittel ?für eine Verurteilung nicht ausreichen. Aber ein solcher Freispruch aus Mangel an Beweisen gegen Täter, bei denen man vielleicht das Gefühl hat, daß sie sehr wohl verurteilt warden wären, wenn sie früher angeklagt worden wären, ist etwas ganz ,anderes, als wenn ein Täter herumläuft, sich zu seiner Schuld bekennt und man gar nicht mehr gegen ihn vorgehen kann. Es wird unter den Fällen, die bisher nicht ermittelt sind, mit Sicherheit auch welche geben, wo einwandfreie Überführungsmittel in Form von Urkunden und ,dergleichen vorliegen. Es wäre doch schrecklich, wenn ein solcher Mensch in der Welt herumlaufen und voll Stolz verkünden könnte, was er für Schandtaten begangen hat! Er würde unter Umständen sogar Anhänger dafür 'finden.
Ganz abgesehen davon, ist es auch gar nicht so absurd und abwegig, damit zu rechnen, daß ein solcher Mensch sich als Zeuge in einem Verfahren gegen einen Kollegen anbietet, um dann dort 'zu sagen: Der war es gar nicht, ich war es, woraufhin der andere freigesprochen werden müßte, und ihn müßte man laufen lassen, weil die Verjährungsfrist abgelaufen wäre. Meine Damen und Herren, es ist doch ein unerträgliches Gefühl, daß es zu derartigen Dingen kommen könnte.
Daher meine ich: Wenn man schon die Verlängerung der Verjährungsfrist oder deren Aufhebung bei Mord überhaupt bejahen muß, wie das die Bundesregierung getan hat, dann muß man das erst recht für diesen besonderen Täterkomplex der Nazimörder tun. Denn es wird doch wohl 'niemand im Ernst sagen wollen, daß jemand, der Tausende oder Millionen ermordet hat, weniger 'schuldig 'sei als ein Taximörder.Wir sind also, Herr Benda, mit Ihrem Antrag im Endergebnis völlig einig, insbesondere nachdem Sie jetzt auch die Aufhebung der Verjährungsfrist für Mörder vorgesehen haben und die Verjährungsfrist nicht mehr auf 30 Jahre begrenzen wollen. Wir halten 'das für die sauberste und richtigste Lösung. Der Parlamentarische 'Rat hat die Todesstrafe für Mord abgeschafft. Genau genommen ist die Konsequenz dann, daß eis bei todeswürdigen Verbrechen auch keine Verjährung mehr geben darf. 'Es fragt sich also jetzt nur noch, wie man das Ziel erreicht.Die SPD legt Ihnen zwei Anträge vor. Der eine stimmt jetzt im wesentlichen mit den Bendaschen Vorstellungen überein und sieht eine Änderung des Strafgesetzbuchs in Richtung auf völlige Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord vor.Wir haben aber auch einen weiteren Antrag vorgelegt, der eine Grundgesetzänderung beinhaltet. Ich will versuchen, Ihnen zu erläutern, warum das zusätzlich geschehen ist. Wir sind zunächst der Meinung, daß es der Würde dieses Hauses und der Wichtigkeit dieses Problems entspricht, die Änderung in besonders eindeutiger, feierlicher und unbezweifelbarer Weise in der Form vorzunehmen, daß wir im Grundgesetz feststellen, es gibt keine Verjährung für Mord, wenn es keine Todesstrafe für Mord mehr gibt.Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß wir angesichts der rechtlichen Problematik, die bei Verlängerung der Verjährungsfrist durch ein einfaches Gesetz besteht, auf jeden Fall sichergehen müssen und daß wir daher über eine Grundgesetzänderung zu verhindern haben, daß etwa das Verfassungsgericht später sagt, eine solche Regelung könne nicht durch einfaches Gesetz erfolgen. Meine Damen und Herren, es wäre eine Katastrophe, wenn das geschähe!Herr Benda hat gesagt, er habe Zweifel, ob denn die Situation bei einem einfachen Gesetz anders sei als bei einer Grundgesetzänderung; denn es gehe doch in beiden Fällen, wie von den Gegnern einer Verlängerung der Verjährungsfrist durch einfaches Gesetz gesagt worden sei, um das Rechtsstaatsprinzip in der Bundesrepublik. Darin gebe ich ihm
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Hirschnicht recht. Es ging in der Erörterung zwar auch um das sogenannte Rechtsstaatsprinzip, es ging aber bei denjenigen, die sich mit dem Problem befaßt haben, konkret um Art. 103 des Grundgesetzes und um die Frage, ob die Verjährungsfrist zu den Vorschriften gehört, die nicht rückwirkend geändert werden können. Das ist nicht unbedingt eine Frage des Rechtsstaatsprinzips, sondern ein Problem des Art. 103. Der Art. 103 aber kann geändert werden. Es gibt sehr beachtliche Stimmen, die die Meinung vertreten, eine rückwirkende Änderung der Verjährungsfrist würde gegen Art. 103 verstoßen. Deshalb müssen wir sichergehen, indem wir eine Änderung des Grundgesetzes vornehmen. Sosehr ich mit Ihnen, Herr Benda, persönlich einig bin, daß das an sich nicht nötig wäre, und sosehr ich mit Ihnen die Meinung vertrete — und keineswegs nur eine Minderheit, sondern die nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Mehrheit unserer Staats- und Strafrechtslehrer ist dieser Meinung —, man könnte es durch ein einfaches Gesetz machen, sosehr muß ich Ihnen beipflichten, daß man natürlich nicht wissen kann, wie das Verfassungsgericht entscheidet. Das Verfassungsgericht ist souverän und kann also gegen die überwiegende Mehrheit, theoretisch sogar gegen die gesamte deutsche Wissenschaft entscheiden. Weil wir das nicht wissen, sollten wir sichergehen, um nicht unter Umständen — die Chance ist für mich sehr, sehr gering; das gebe ich Ihnen zu — vor der Situation zu stehen, daß das Verfassungsgericht das, was wir hier machen werden, für verfassungswidrig erklärt.Aber einen dritten Grund haben wir, ganz offen gesagt, noch für unseren Vorschlag, das Grundgesetz zu ändern. Es gibt in diesem Hause sehr verehrungswürdige Kollegen mit großen Kenntnissen, die in der Sache meinen, man sollte verhindern, daß Nazimörder durch das Ende der Verjährungsfrist begünstigt sein könnten, die aber nach ihrer Rechtsüberzeugung glauben, das gehe nicht, weil eine rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfrist gegen die Verfassung verstoßen könnte. Es sind nicht wenige. Ich bin der Meinung, wir sollten es auch ihnen ermöglichen, in der Sache zu entscheiden und ihre wirkliche Meinung zu diesen Dingen zu bekennen, damit sie nicht an formellen Bedenken scheitern und dadurch vielleicht sogar noch in ein falsches Licht geraten.Alle diese Gründe zusammengenommen haben uns veranlaßt, auch den Antrag auf Änderung des Grundgesetzes zu stellen, und wir bitten Sie, auch diesem Antrag zuzustimmen. Wenn wir an die Sache herangehen — und wir müssen es —, sollten wir es mit allen Sicherheiten tun, die möglich sind, und sollten uns nicht mit Lösungen begnügen, die vielleicht doch Gefahren bringen und unvollkommen sein können.Meine Damen und Herren, ich habe versucht, mit aller juristischen Nüchternheit das, was Herr Benda gesagt hat, zu ergänzen. Es ist mir gar nicht leichtgefallen, so nüchtern über die Probleme zu sprechen. Denn Herr Benda hat recht: man kann an diese Fragen, die Gewissensfragen sind, nur mit Leidenschaft herangehen, mit wirklicher Leidenschaft, und ich binmit Ihnen, Herr Benda, der Meinung, daß es im Interesse des deutschen Volkes und auch der überwiegenden Mehrheit derer liegt, die einmal Anhänger des Nationalsozialismus gewesen sind, wenn wir uns befreien von den Verbrechern, von den Mördern, und alles tun, um möglichst nicht mit den Mördern leben zu müssen.
Die Anträge sind eingebracht und begründet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Kollege Benda seinen Antrag und Herr Kollege Hirsch den Antrag der SPD begründet hat, möchte ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt für meine Fraktion mit einem kurzen Beitrag eröffnen.Bei dieser Diskussion, die eine politische Diskussion ist, spürt wohl jeder, daß es Gegenwart ohne Vergangenheit nicht gibt. Da wir dies wissen, gehört die Antwort auf gestern zu unserem Weg in die Zukunft. Deshalb muß aber diese Debatte auch das aufnehmen, was hierzu draußen im Lande gesagt wird. Dieses Parlament würde ein Stück seiner Führungsrolle in der öffentlichen Meinung in Deutschland versäumen, wenn es sich beschränkte allein auf das Dartun des Für und Wider der vorgeschlagenen Paragraphen und auf die Kritik oder die Annahme des Berichts der Bundesregierung, den ich begrüße.Die CDU/CSU kann auch über diese Frage sehr freimütig und unvoreingenommen sprechen; denn sie begann aus Liebe zu einem geschlagenen Volk da, wo Hitler endete, und mit dem, was er hinterließ. Dieser Mann trägt große Schuld auch vor dem deutschen Volk und gerade vor denen, deren vaterländische Gesinnung und deren Idealismus er mißbrauchte. Dieses deutsche Volk ist nicht kollektiv schuldig geworden. -Wir sagen das nun seit 20 Jahren, und wir werden das weiter tun. Wir haben uns immer zu diesem Volk, zu seiner ganzen Geschichte bekannt wie auch zur Ehre des deutschen Soldaten. Auch das werden wir weiter tun. Wir haben kriminelle Delikte immer säuberlich von politischem Irrtum getrennt. Wir werden das auch weiter tun. Nur, wer Verbrechen begangen hat, gehört vor Gericht, damit das Gericht objektiv und endgültig die Schuld feststellen und das Maß der Aussonderung aus der Gemeinschaft bestimmen kann.Anders ist es beim politischen Irrtum. Zur Freiheit gehört immer auch die Möglichkeit falschen Gebrauchs; zur Erkenntnis gehört das Risiko des Irrtums. Alle politische Meinungsbildung als in Freiheit verantwortungsbewußt und ernsthaft gesuchte Erkenntnis ist immer auch der Möglichkeit des Irrtums unterworfen. Das gilt nicht nur heute, das galt auch gestern und das wird auch morgen gelten. Es gibt keine Instanz, die etwa Vorhandensein und Ausmaß von Schuld beim politischen Irrtum feststellen könnte.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8531
Dr. BarzelAuch daran werden wir festhalten, ebenso wie an diesem — und auch das gehört in die Debatte, wenn wir sie so führen, wie ich es eingangs sagte —: Beide, Kommunismus und Nazismus, haben kräftig Hand angelegt zur Zerstörung der Demokratie von Weimar; beide sind autoritär, freiheitsfeindlich, menschenverachtend; beide treten Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde mit Füßen. Und weil das so ist, gehört in diese Debatte auch der Satz, daß Hitler tot ist und Ulbricht lebt,
daß das Hakenkreuz über Deutschland war und die Rote Fahne über einem Teil Deutschlands ist.Die Fraktion der CDU/CSU hat dieser Frage, die jetzt hier ansteht — für eine Debatte in erster Lesung und über den Bericht der Bundesregierung — im letzten halben Jahr mehr Zeit gewidmet als jeder anderen. Wir haben es uns schwer gemacht, und wir machen es uns weiter schwer. Wir haben als erste Herrn Oberstaatsanwalt Schüle in unsere Fraktion geladen; wir haben ihn gehört und wir haben ihn gefragt. Er sagte uns, nach menschlichem Ermessen sei alles erfaßt. Um ganz sicher zu gehen, brachten wir im Dezember den Antrag ein, auf Grund dessen die Regierung jetzt berichtet hat. Wir stellten die Frage, ob alles erfaßt sei; denn wenn das so wäre, bräuchten wir heute nicht zu debattieren. Da die Bundesregierung nun sagt, eben dies sei nicht genügend gesichert, ist wohl für alle eine neue Lage entstanden.Die SPD-Fraktion hat hierauf mit Fraktionsanträgen geantwortet. Wir haben das nicht getan und wir werden das nicht tun. Wir würden es auch bedauern, wenn die FDP hier als Fraktion aufträte oder gar, wie ich gehört habe, die Ausschußüberweisung verweigerte. Wir meinen, daß dies eine Frage ist, in der vor allem gegenseitigem Respekt und ganz persönlicher Entscheidung der Vorrang gebührt.
Wir machen kein Hehl daraus: wir ringen noch mit uns — und aus der Rede des Herrn Kollegen Benda ist wohl jedermann deutlich geworden, daß wir miteinander ringen —, jeder mit sich und wir alle miteinander. Soviel aber kann ich für unsere Fraktion in dieser Situation einer nicht abgeschlossenen Diskussion heute schon sagen. Der Bericht der Bundesregierung schließt mit einem Satz, den ich mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren möchte:Die Bundesregierung wird den Deutschen Bundestag in seinen Bemühungen unterstützen, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze eine Möglichkeit zu schaffen, daß der Gerechtigkeit Genüge getan wird.Dieser Haltung treten wir bei, und ich füge hinzu: Wir sind der Meinung, daß man das Grundgesetz nur ganz, ganz ausnahmsweise und nur unter ganz unüberwindlicher Notwendigkeit ändern sollte. Wir meinen des weiteren, daß dies eine Frage ist, die Parteipolitik weder verträgt noch verdient.Meine Damen, meine Herren, warum machen wir es uns so schwer? Ich will auch darüber einiges offen sagen. Einmal wissen wir alle, daß die Möglichkeitenirdischer Gerechtigkeit begrenzt sind. Justitia und Judicium sind nicht dasselbe. Es ist klar, daß das in der CDU/CSU seinen besonderen Rang hat, und das gilt vor allem, weil durch den zeitlichen Abstand die Gefahr einer unbefriedigenden Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden kann, ebensowenig wie die Gefahr einer Überforderung von Richtern und Zeugen.
Wir unterstreichen deshalb, was hierzu die Bundesregierung in ihrem Bericht sagt.Zum anderen haben viele von uns gerade wegen einer bösen Erfahrung Hemmungen gegenüber dem Problem besonderer Gesetzgebung. Wir haben eine peinliche Genauigkeit im Beachten der Normen, die rechtsstaatliches Denken gebietet, und eben dies wird dann gerade für diejenigen Kollegen zu einem unüberwindlichen Hemmnis, die — entgegen der herrschenden Meinung aber ihrem Gewissen folgend — Verjährungsnormen für materielles Recht halten und eben deshalb dem Problem der Rückwirkung eine besondere Bedeutung beimessen. Gerade weil es Hitler gab — und nicht, um Verbrecher zu schützen —, gibt das bei manchem von uns den Ausschlag. Um es noch klarer zu sagen: Keiner von uns, der gegen Verlängerung ist, ist etwa für Verbrecher.
Keiner von uns will eine neue Entnazifizierung; keiner will Gesinnung bestrafen. Es geht um Schwerverbrecher.Auch aus diesem Grunde werden wir prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, eben dies zu präzisieren und rechtlich zu erfassen.Wir werden, wie ich hoffe, im Ausschuß schnell und rechtzeitig, zusammen mit allen, den besten Weg suchen, der in rechtsstaatlicher Weise die Verfolgung von NS-Mordtaten auch über den 8. Mai hinaus ermöglicht.Ich könnte mir denken, daß wir schließlich die Hinausschiebung des Beginns der Verjährungsfristen mehrheitlich unterstützen werden. Aber da ist noch manches zu fragen, manches zu prüfen. Vielleicht finden wir gemeinsam einen anderen Weg, gemeinsam, ich sage dieses Wort, weil wir alle in der Pflicht stehen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.Wir wollen uns nichts vormachen — auch dies ist ein Punkt, um den es hier in der Diskussion geht —: wir müssen jenen, die uns immer noch mißverstehen, potentielle Anlässe hierfür nehmen. Ich möchte Sie und auch das deutsche Volk darauf hinweisen, daß wir unsere Wiedervereinigung nie erreichen werden, wenn die Basis des Vertrauens zu uns nicht breit und tief ist.
Hier müssen wir uns eben einfach der Tatsache stellen, daß auch falsche Meinung, daß auch Ressentiment eine politische Realität ist.
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8532 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Dr. BarzelWenn wir klug sind, dann stellen wir eben auch das in unsere politische Rechnung ein, schon wegen der Spaltung unseres Landes.Mit 'demselben Freimut möchte ich folgende zwei Bemerkungen hinzufügen.1. Die Bundesregierung hat an die Welt appelliert, alle Akten herauszugeben und sie rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Viele haben das getan. Andere weigern sich. Ihre Absicht ist offenkundig: sie wollen uns schaden, uns politisch diskriminieren, unsere Gesellschaftsordnung erschüttern. Darum sage ich mit aller Härte an alle, die es angeht: Wer Akten nicht herausgibt, leistet Beihilfe zur Verschleierung krimineller Delikte.
Die Machthaber in der Zone, die selber Mörder an der Mauer und am Stacheldraht sind, haben kein Recht, diese Frage aufzugreifen. Sie haben, wie ich meine, nur das Recht, selbst möglichst bald wegen Mordes vor dem Richter zu stehen.
2. Wir diskutieren eine Frage, die allein die unsere ist. Die Integration der Deutschen wird zu leicht gestört durch die Lautstärke anderer. Darum hier eine grundsätzliche Bemerkung:Freiheit oder Unfreiheit, das ist für den Menschen so existentiell wie Wärme oder Kälte, wie Sattsein oder Hunger. Wer immer in der Sonne lebt, kann die Bedingungen des Lebens in Schatten, Kälte undSchnee schwer beurteilen. Hunger kann nur ermessen, wer ihn gehabt hat, es kann ihn nicht ermessen, wer immer satt war.Sie werden ahnen, daß ich das sage, um zu diesem Satz zu kommen: Wer nie in der Diktatur lebte, hat es schwer, sehr schwer, ihre Bedingungen auch nur zu erahnen.
Wer nur die reine Luft des freiheitlichen Rechtsstaates kennt — und es ist ein Geschenk für die, die nur das kennen —, der wird leicht mit zu hartem, mit zu ungerechtem, zu lebensfremdem, zuwenig sachkundigem, ja zu grobem Maß die Lebensumstände, die Möglichkeiten und das Verhalten der Menschen in der 'Diktatur beurteilen.Wir tun das Unsere, Schaden wiedergutzumachen, unsere freiheitliche Gesinnung glaubhaft darzutun, Verbrechen zu verfolgen und Schuld zu sühnen. Wir rechnen auch nicht auf, wiewohl vielen Deutschen unrecht geschehen ist. Aber wer den Menschen kennt, weiß, daß der gute Wille, zumal der durch Taten bekundete, konstruktiver Antwort bedarf.
Die Welt, in der wir leben, ist zu klein, die Freie Welt, für die wir endgültig optiert haben, ist zu gefährdet, als daß hier für Unversöhnlichkeit, als daß hier Raum wäre für Inseln des Hasses.
Erlauben Sie mir ein ganz persönliches Wort, und ich sage dieses Wort wegen so mancher Flugblätter,die uns hier erreichen, und wegen so mancher merkwürdigen Intervention, 'die man in dieses Haus einzuschleusen versucht. Als Hitler kam, war ich acht Jahre alt. Ich war später Soldat und Offizier, und ich glaubte, im Dienst des Vaterlandes zu wirken. Ich kenne ,den Mißbrauch des Idealismus der deutschen Jugend damals. Eben darum war ich bereit, diese Rede zu halten; denn ich glaube an Deutschland.Unser Land ist ein .anderes geworden. Hier ist ein Ort der Humanität, der Freiheit, der Redlichkeit und des Rechts. Deshalb lohnt es sich, wie ich meine, ein Deutscher zu sein.
Unsere Geschichte umfaßt mehr als zwölf böse Jahre. Unsere Gegenwart ist rechtlich und sie ist ehrenhaft. Die anstehende Frage, die nur unsere Frage ist, wollen wir beantworten aus Achtung vor uns selbst und aus dem Geist, der Deutschland seit langem auszeichnet, aus dem auch dieser Wiederaufbau und dieses neue gute Deutschland wieder möglich wurde.Wir hoffen, meine Damen, meine Herren, daß diese Debatte so verläuft, wie es dem Rang der Probleme und unserer Selbstachtung entspricht.
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wiederhole, was ich bei meinen ersten Ausführungen gesagt habe: daß ich jetzt an dieser Stelle nicht namens der Bundesregierung spreche, sondern meine eigenen Gedanken vortrage.Ich gebe zunächst meiner Freude darüber Ausdruck, daß diese Debatte bis jetzt in einer so äußerst sachlichen und vornehmen Atmosphäre verlaufen ist. Sie können mir glauben, daß mir das wohltut, nachdem ich außerhalb dieses Hauses ganz erheblich mit Dreck beworfen worden bin. Aber es ist tatsächlich, wie Herr Kollege Barzel sagte, ein Gebot für dieses Haus, daß wir uns in dieser Sache gegenseitig gelten lassen und keiner dem anderen einen Vorwurf macht.Ich möchte das auch für mich in Anspruch nehmen. Ich habe von Anfang an erklärt, daß ich die Motive derer, die anderer Ansicht sind, würdige und daß ich diese Motive für genauso edle Motive halte wie die meinen und die meiner Freunde. Gerade deshalb habe ich auch immer zum Ausdruck gebracht, daß die Entscheidung dieses Hauses, gleich wie sie ausfallen möge, hingenommen und die von ihm beschlossene Regelung durchgeführt werden muß. Wenn es nach mir ginge, sollte man nach dem 8. Mai dieses Jahres — gleichgültig wie die Entscheidung ausfällt — über dieses Thema, jedenfalls für das nächste halbe Jahr, nicht mehr reden.Herr Kollege Benda hat mir, um das noch vorwegzunehmen, ein etwas zweifelhaftes Kompliment gemacht, indem er sagte, er bekomme Zuschriften, in denen es heiße: Wenn der Bundesjusitzminister
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8533
Bundesminister Dr. Bucherdas sagt, wird das schon stimmen. Ich versichere Ihnen, Herr Kollege Benda, ich habe meinerseits nichts dazu getan, einen solchen Eindruck zu erwekken. Wenn ich vielleicht etwas zu apodiktisch meinen Rechtsstandpunkt vertreten habe, so stehe ich nicht an, zu erklären — und ich habe das auch in der letzten Zeit öfter erklärt; ich bin mir bewußt, daß viele, auch prominente Juristen diesen Standpunkt nicht teilen —, daß er ,sehr umstritten ist. Aber ich glaube, es hat wenig Sinn, wenn wir gegenseitig unsere juristischen oder sonstigen Hilfstruppen aufmarschieren lassen, d. h. der Ausdruck „Hilfstruppen" ist etwas unwürdig für akademische Professoren. Als Mitstreiter möchte ich nur solche für mich in Anspruch nehmen, die wirklich selber sich mit den Dingen befaßt und dazu Artikel geschrieben oder Vorträge gehalten haben.Aber ich halte wenig davon, wenn z. B. an den Herrn Bundestagspräsidenten, an den Bundeskanzler, an mich und an den ganzen Bundestag ein offener Brief versandt wird, der von über 100 Professoren unterzeichnet ist, wenn ich in diesem offenen Brief folgendes sehe. Der zweite Satz lautet in dem maschinengeschriebenen Text: „Der Gedanke, daß von diesem Zeitpunkt an alles Furchtbare, das vor 1945 geschehen ist, ungeahndet bleiben soll". Diese Stelle ist mit Tinte verbessert worden, und es heißt dann in der endgültigen Fassung: „Der Gedanke, daß von diesem Zeitpunkt an Furchtbares, das vor 1945 geschehen ist, ungeahndet bleiben soll." Ich weiß nicht, in welchem Moment und nach wieviel Unterschriften die Korrektur vorgenommen» wurde. Sie sehen daraus, von wie falschen Vorstellungen solche Petenten oft ausgehen.Oder: ich habe gelesen, daß im Storting, dem norwegischen Parlament, eine Petition in dem Sinne eingebracht worden ist, man möge auf die Bundesregierung einwirken, daß sie sich gegen den Eintritt der Verjährung ausspricht, und zur Begründung hat ein Abgeordneter wieder den alten Satz gebracht, es wäre unerträglich, wenn Bormann nach dem 8. Mai bei uns auftauchte.Deshalb sage ich: ich möchte mich nur auf Äußerungen von Personen berufen, die sich wirklich eingehend mit der Sache befaßt haben. Im übrigen enthebt uns auch die Zustimmung oder die Ablehnung noch so prominenter Juristen oder Politiker nicht der Verpflichtung, uns selber in eigener Veranwortung, wie Herr Kollege Barzel gesagt hat, uns unsere Meinung zu bilden.Die Gründe meiner Ablehnung einer Verlängerung durch ein rückwirkendes Gesetz wurzeln in Grundfragen des Rechts überhaupt. Wir müssen uns entscheiden, ob wir dem verständlichen Ruf nach lückenloser Sühne für die verabscheuungswürdigen Verbrechen der NS-Zeit folgen oder ob wir dem alten rechtsstaatlichen Satz treu bleiben wollen, daß jedes rückwirkende Gesetz auf dem Gebiete des Strafrechts von Übel ist. Beide Grundsätze, die Rechtssicherheit einerseits und die materielle Gerechtigkeit andererseits, haben Verfassungsrang. Darin stimme ich mit Herrn Benda vollkommen überein. Ich bezweifle zwar, ob man davon sprechen kann, daß unser heutiger Rechtsstaat im Unterschiedzum Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts so ein Rechtsstaat neuer Art sei. Aber im Ergebnis, daß beide Grundsätze — Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit — Verfassungsrang haben, sind wir, glaube ich, einig.Das Bundesverfassungsgericht hat das wiederholt ausgesprochen und dabei idem Gesetzgeber die Freiheit zuerkannt, sich im Einzelfall zwischen diesen beiden Postulaten zu entscheiden und innerhalb gewisser Grenzen die materielle Gerechtigkeit oder die Rechtssicherheit zurücktreten zu lassen. Der materiellen Gerechtigkeit, also dem Bedürfnis nach Sühne ,den Vorrang einzuräumen, kann aber nur dann sinnvoll sein, wenn wir 'der Überzeugung sein dürften, daß die Verlängerung der geltenden Verjährungsfrist wirklich der Gerechtigkeit zu einem überzeugenden Sieg verhelfen würde. 'Gerade diese Überzeugung habe ich nicht.Ich 'sehe mit Sorge, wie die NS-Verfahren alle Beteiligten, vor allem aber die Gerichte, vor immer unlösbarere Aufgaben stellen. Die Wahrheitssuche wird schon durch den zunehmenden Ausfall von Zeugen, aber auch durch das nachlassende Erinnerungsvermögen der Zeugen wie der Angeklagten immer schwieriger. Anklage wie Verteidigung sind in einem sonst unbekannten Ausmaß dadurch erschwert, daß wichtige Belastungs- und Entlastungszeugen nicht mehr auffindbar sind, nicht mehr bereit oder in der Lage sind, sich zu erinnern. Die Urkundenbeweise sind oft fragmentarischer .Art und erlauben kein umfassendes Bild. Für 'das 'Schwurgericht mit seinen drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen wind es immer schwieriger, sich in erforderlichem Maße in die Einzelheiten eines furchtbaren Zeitgeschehens völlig anomaler Art hineinzuversetzen. Hohe Anerkennung gebührt den Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern, die sich diesen ungeheuren Anforderungen stellen. Aber die geschilderten Schwierigkeiten werden in immer steigendem Maße dazu fuhren, daß Angeklagte freigesprochen werden, weil das Gericht die verbliebenen Beweise nicht für ausreichend hält, um sich von einer Mordschuld zu überzeugen.Mit wachsendem Unbehagen bemerkt die Öffentlichkeit, wie selbst in den Fällen, in denen das Gericht zu einem Schuldspruch kommt, das Strafmaß in einem für das Gerechtigkeitsgefühl fast unerträglichen Mißverhältnis zu der Schwere der Beschuldigung steht. Aber gerade diese Erscheinung beruht nicht zuletzt darauf, daß, wie ich vorhin betonte, auch für die Verteidigung die .Situation erschwert ist. Wenn einem Angeklagten in klaren Tatsachen vorgehalten wird, er habe die und die Morde auf dem Gewissen, so kann der Angeklagte einwenden: „Aber ich habe auch sehr vieles getan, um z. B. andere Menschenleben zu retten. Das müßt ihr mir zugute halten. Aber ich kann es heute nicht mehr beweisen." Aus diesem Beweisnotstand kommen wir, ob man das idem Angeklagten nun glaubt oder nicht, dann zu solchen, oft befremdlich erscheinenden milden Urteilen.Es ist primitiv und ungerecht, in solchen Fällen einfach die Schwurgerichte mit Vorwürfen zu belasten. 'Die Gerichte können und dürfen einen Ange-
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8534 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Bundesminister Dr. Bucherklagten nur mit der Strafe belegen, ,die dem nachgewiesenen Tatbeitrag und dem nachgewiesenen Maß seiner Schuld entspricht.
Aus dieser Situation heraus kommt das ominöse Wort: Wir müssen mit Mördern leben. Ein Wort eines Kollegen aus diesem Hause, dem ich ungewollt zu Weltgeltung verholfen habe, aber beileibe nicht in dem fahrlässigen Sinne, der mir offenbar auch von Herrn Jaspers unterstellt wird, war, ich hätte einfach leichthin gesagt: Es macht doch nichts aus, mit einigen Mördern mehr oder weniger zu leben. Der Nachdruck lag vielmehr auf dem „müssen" ; wir mass e n es.Einmal ist — das ist heute schon gesagt worden — alles verjährt, was nicht Mord ist. Ich habe mich bisher die ganze Zeit mit diesem Komplex befaßt und viele Berichte gelesen, u. a. die entsetzliche Schilderung aus dem Warschauer Getto: Ein Kind hat sich ein Stück Brot verschafft. Der Bewacher sieht das. Das Kind bettelt um sein Leiben. Der Bewacher sagt zu ihm: „Du wirst dein Leben behalten. Aber du wirst nicht mehr schmuggeln." Daraufhin schießt er dem Kind beide Füße ab. — Ist so etwas besser als ein Mörder? Und das können wir heute auch nicht mehr verfolgen.Zweitens. Es ist eine Tatsache, daß viele Mörder von alliierten Gerichten abgeurteilt und nach sehr kurzer Zeit wieder freigelassen worden sind. Ich verzichte hier darauf, Namen zu nennen. Sie kennen diese Namen. Aber einen muß ich doch nennen, Herrn Veesenmayer, der in dem Prozeß gegen Hunsche und Krumey als Zeuge auftrat, obwohl er wahrscheinlich größere Schuld auf sich geladen hat als die beiden dort Angeklagten. Das gleiche gilt auch für deutsche Gerichte. In Hessen wurde ein Euthanasiearzt Gorgass verurteilt und nach verhältnismäßig sehr kurzer Zeit wieder begnadigt. Mit diesen Mördern leben wir auch zusammen.Schließlich: Ich habe schon auf die Schwierigkeit der Gerichte hingewiesen, mit diesen Dingen fertig zu werden. In der „Stuttgarter Zeitung" vom 15. Februar — die „Stuttgarter Zeitung" ist bestimmt nicht dafür bekannt, verjährungssüchtig zu sein — findet sich ein Bericht über den Treblinka-Prozeß, und es wird dort sehr eindringlich und bildhaft geschildert, wie die Zeugen, diese bedauernswerten Menschen, die das Entsetzliche, das sie erlebt haben, vor Gericht wieder auspacken müssen, nicht in der Lage sind, dem Richter zu antworten, wenn er sagt: Ich möchte Einzelheiten haben; ich möchte wissen: War das derjenige, der geschossen hat, den man Frankenstein hieß? Darauf sagen die Zeugen: Ja, das können doch wir nicht sagen, ob der geschossen hat; das könnten die sagen, die er umgebracht hat; wir sind ja durch eine glückliche Fügung dem Schicksal entgangen, wir leben noch, wir haben nicht gesehen, was der hinter seiner Wand getrieben hat. Am Schluß wird hier dann angedeutet, daß auch einige der Treblinka-Angeklagten dem Urteilsspruch gelassen entgegensahen.Schließlich viertens: Können wir uns damit begnügen, einfach zu sagen: Das sind die Mörder, diejetzt hier auf der Anklagebank sitzen und dann verurteilt werden? Als ich in München studierte, gab es einen Professor — doppelter Doktor, der Rechtswissenschaft und der Theologie —, der Staatsrecht las und der uns Studenten in jeder Stunde vom „Charisma" des Führers vorschwatzte. Man wird nicht sagen können, daß er das unter Druck getan habe; denn Griechisch zu reden, haben die Nazis niemanden gezwungen. Nun, Charisma, das bedeutet allerhand. Ein Mann, der mit Charisma begabt ist, der hat es natürlich auch in der Hand, Todesurteile auszusprechen. Und nun überlege man sich: nun kam die Euthanasie, und das nächste Glied in der Kette ist ein Film, der damals lief, ein nicht nur raffiniert, sondern ein auch künstlerisch gemachter Film mit dem Titel „Ich klage an". Dieser Film war eindeutige Propaganda dafür, daß lebensunwertes Leben doch besser vernichtet würde. Jetzt sitzen diejenigen, die sich an diesen Aktionen als ausführende Tabletten- oder Spritzengeber beteiligt haben, auf der Anklagebank, und wir sagen — vorausgesetzt, daß sie verurteilt werden —: Mit diesen Mördern oder Mörderinnen wollen wir nicht zusammenleben. Aber mit dem Herrn Professor, dem wir heute noch begegnen können, führen wir ein interessantes Fachgespräch, und mit dem Herrn Regisseur, der heute noch existiert, unterhalten wir uns bei einem Cocktail in angenehmer Weise. Mit Mördern jedoch wollen wir nicht leben. Ich meine, diese Haltung ist das, was Thielicke als die Unbußfertigkeit des eigenen Gewissens bezeichnete.
Ich kann dem Herrn Kollegen Unertl nicht so ganz unrecht geben, wenn er sagt, daß die Befürchtung bestehe, daß wir wieder eine Art Entnazifizierung betrieben. Sicherlich, das heutige Thema hat mit Entnazifizierung selbstverständlich nichts zu tun. Aber was hat es dann für einen Sinn, wenn im „Spiegel" in drei Nummern hintereinander erwähnt ist, daß der als Bundesrichter vorgeschlagene Herr Loesdau SA-Mann — nicht mehr und nicht weniger — war? Oder war es sehr angebracht, daß wir uns ernsthaft darüber unterhielten, ob Herr Schüle deshalb als Leiter der Ludwigsburger Stelle weiterhin tragbar sei, weil er einfacher Parteigenosse und SA-Mann gewesen sei? Es drängt mich wirklich, an dieser Stelle zu sagen: Ist denn das alles nichts wert, was dieser Mann in sechseinhalb Jahren getan hat?
Ist das alles deshalb nichts wert, weil er SA-Mann und Parteigenosse war? Ich glaube, so viele Morddrohungen wie Herr Schüle hat keiner von uns ins Haus geschickt bekommen. Und er hat das, was er getan hat, sicher nicht nur getan, um etwa ein früheres Nazitum zu tarnen.Das erinnert mich manchmal an das bekannte Wort von Lenin, der ja von den revolutionären Fähigkeiten der Deutschen nicht viel hielt und sagte, wenn man deutsche Revolutionäre beauftrage, einen Bahnhof zu stürmen, dann lösten sie zuerst eine Bahnsteigkarte. Aber auch Lenin hat nicht daran gedacht, daß man mit dieser Bahnsteig-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8535
Bundesminister Dr. Bucherkarte noch nach zwanzig Jahren sich Zugang zum Bahnhof verschaffen wollte.
Natürlich würde es mir sehr schlecht anstehen, hier zu sagen: „Es ist schade, daß wir keine Revolution gehabt haben." Denn eine Revolution ist ja ein höchst ungerechter Vorgang.
Aber ich glaube, wir müssen uns an das Wort erinnern, das Theodor Heuss geprägt hat, der die Kollektivschuld des deutschen Volkes abgelehnt, aber gesagt hat, man müsse von einer „Kollektivscham" sprechen. Das, glaube ich, ist die richtige Haltung, von der wir ausgehen müssen, von der wir auch bei diesen Fragen ausgehen müssen. Wir können nicht dahin kommen, daß, wie es Golo Mann formulierte, eine Hälfte der Nation über die andere Hälfte der Nation zu Gericht sitzt.Ich bitte das Hohe Haus, mich richtig zu verstehen. Ich rede nicht denen das Wort, die überhaupt Schluß machen wollen mit diesen Verfahren. Ich gehe davon aus, daß die Gerichte sich den schweren Aufgaben stellen, die das geltende Recht ihnen vorschreibt. Ich will aber verhindern, daß ein die Verjährung verlängerndes Gesetz diese Belastungen der Gerichte noch vermehrt.Es ist meine Überzeugung, daß man dadurch, daß man den geltenden Gesetzen ihren Lauf läßt, letzten Endes auch der Gerechtigkeit am besten dient.
Aus diesen Erwägungen glaube ich nicht daran, daß eine rückwirkende Verlängerung der laufenden Verjährungsfristen ein eindeutiges Gebot der Gerechtigkeit ist.Ich komme nun zu einem weiteren Punkt, der die Entscheidung so besonders schwer macht. Ich sehe ihn darin, daß nach meiner rechtlichen Überzeugung, die von vielen geteilt wird, eine Grundgesetzänderung nötig ist, wenn man die Fristen rückwirkend verlängern will. Ich möchte versuchen, in aller Kürze den wesentlichen Stand der verfassungsrechtlichen Diskussion wiederzugeben.Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes hat dem alten Rechtsgrundsatz „Nulla poena sine lege" Verfassungsrang gegeben. Über ,die Auslegung dieser Vorschrift haben sich vor allem drei Auffassungen gebildet.Die eine Auffassung, die am profiliertesten wohl von Herrn Kollegen Dr. Arndt vertreten wird oder vertreten worden ist, entnimmt dem Art. 103 Abs. 2 ein besonders strenges Verbot. Nach ihr soll jede der Tat nachfolgende Kompetenzerweiterung, jede Vermehrung der Staatsgewalt und des staatlichen Strafanspruchs im besonderen verboten sein. Es liegt auf der Hand, daß hierunter auch die Verlängerung laufender Verjährungsfristen fällt.Nach dieser Auffassung, die das Rechtsstaatprinzip des Grundgesetzes besonders ernst nimmt, wärealso eine Verlängerung der laufenden Verjährungsfristen durch den einfachen Gesetzgeber auf jeden Fall unzulässig.Diese Auffassung hat aber noch eine weiterreichende Konsequenz, auf die, glaube ich, der Kollege Benda schon hingewiesen hat. Wenn man nämlich in dem Art. 103 Abs. 2 einen Sonderfall des in Art. 20 verankerten Rechtsstaatsprinzips erblickt, so wird es zweifelhaft, ob diese Bestimmung angesichts der Garantie für das Rechtsstaatsprinzip in Art. 79 des Grundgesetzes durch eine Grundgesetzänderung überhaupt durchbrochen werden darf.Im äußersten Gegensatz zu dieser Meinung steht die Auffassung, Art. 103 Abs. 2 fordere nur, daß vor der Tat ein bestimmter Straftatbestand mit einer bestimmten Strafdrohung ausgesprochen sein müsse; kurz, nur das Ob und Wie der Strafbarkeit müsse vor der Tat gesetzlich festliegen.Diese Auslegung läßt eine Verlängerung der Verjährungsfrist durch den einfachen Gesetzgeber. zu. Sie beruft sich auf einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 18. September 1952. Dort hat das Bundesverfassungsgericht dargelegt, daß Art. 103 Abs. 2 dem hessischen Ahndungsgesetz nicht entgegenstand, das lediglich die Vorschriften über die Hemmung der Verjährung nachträglich ergänzte — Vorschriften über die Hemmung der Verjährung währung des Dritten Reiches, über die unter Politikern oder Juristen noch nie eine Meinungsverschiedenheit bestanden hat. Für unsere Frage ist dieser Beschluß nicht unbedingt von abschließender Bedeutung.Ich muß in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, daß das frühere Reichsgericht bis 1942 immer den anderen Standpunkt, also die sogenannte materiell-rechtliche Auffassung, vertreten hat und daß es erst 1942 — es wird behauptet, unter dem Einfluß Freislers; das kann ich nicht nachprüfen, aber die Zeit und der Anlaß sprechen schon dafür — anläßlich einer Entscheidung über die Verbrauchsregelungsstrafverordnung, wo das „Bedürfnis" bestand, die Verjährungsfrist rückwirkend zu verlängern, sich zu der prozessualen Theorie bekannt hat. Ich will beileibe nicht unserem Bundesgerichtshof oder unserem Bundesverfassungsgericht vorwerfen, sie würden nationalsozialistische Rechtsprechung fortsetzen, sondern ich will nur sagen, daß es bei dieser Entstehungsgeschichte und diesem Verlauf durchaus möglich ist, daß die Rechtsprechung entsprechend der überwiegenden Auffassung der Rechtslehre wieder zur materiell-rechtlichen oder zum mindesten zur gemischten Theorie zurückkehrt.Nach einer dritten Auffassung schließlich erstreckt sich das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot auf sämtliche materiell-rechtlichen Vorschriften des Strafrechts. Nach dieser Lehre wäre eine Verlängerung laufender Verjährungsfristen durch den einfachen Gesetzgeber verfassungswidrig, wenn die Verjährung zum materiellen Strafrecht zu rechnen ist.Diese Frage nun ist umstritten, und man kann für sie auch nicht, wie der Herr Abgeordnete Hirsch
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Bundesminister Dr. Buchergetan hat, .aus der Begründung zum Strafrechtsentwurf etwas entnehmen. Dieser Entwurf stellt sich auf den Boden der gemischten Theorie. Man wollte bewußt die Verjährungsvorschriften in das materielle Strafrecht bringen und hatte dies damit begründet, daß auf jeden Fall das ausgeschlossen werden soll, was man im Dritten Reich auch zu tun bereit war, nämlich eine bereits abgelaufene Verjährungsfrist wieder in Gang zu setzen. Aus diesem Passus kann aber nicht gefolgert werden, daß der Entwurf des Strafgesetzbuchs auf dem Standpunkt stehe, eine rückwirkende Verlängerung einer noch nicht abgelaufenen Frist sei möglich. Es war vielmehr von vornherein vorgesehen, das Gegenteil davon im Einführungsgesetz zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen gibt es den § 2 Abs. 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs, der bestimmt, daß bei Verschiedenheit der Gesetze von ,der Tat bis zur Aburteilung das jeweils mildere Gesetz ,anzuwenden ist. Daß in diesem Sinne das Gesetz mit der kürzeren Verjährung das mildere ist, darüber dürfte kein Zweifel bestehen.Ich will aber das Hohe Haus nicht weiter mit juristischen Einzelheiten belasten, mit denen ja das Plenum zum Teil sicher überfordert ist, vor allem in der ersten Lesung. Gleichviel, welcher der dargelegten Auslegungen man folgt, — sicher scheint mir jedenfalls nach dem heutigen Stande der verfassungsrechtlichen Diskussion folgendes zu sein: Nachdem so bedeutsame Stimmen sowohl von Gegnern als auch von Anhängern der Verlängerung eine Grundgesetzänderung für 'erforderlich gehalten haben,- wäre es ein erhebliches verfassungsrechtliches Risiko, die Frist durch ein einfaches Gesetz zu verlängern.Lassen Sie mich diese verfassungsrechtlichen Ausführungen mit einem Hinweis beschließen, der für meine ablehnende Haltung von großem Gewicht ist. Wenn man sich schon entschließen würde, die Bedenken gegen die Verlängerung um der materiellen Gerechtigkeit willen zurückzustellen, und wenn man sich weiter entschließen würde, zu diesem Zweck auch das Grundgesetz zu ändern, so bleibt die gravierende Tatsache, daß diese Änderung einen besonders empfindsamen Punkt unserer Verfassung betreffen würde. Es ist nun einmal ein Unterschied, ob man die Gesetzgebungskompetenz des Bundes erweitert, ob man diese oder jene Verwaltungs- oder Gerichtszuständigkeit in dieser oder jener Richtung verschiebt oder ob die Grundgesetzänderung die Reichweite des Satzes „nulla poena sine lege" betrifft. Dieser Satz ist nämlich zutiefst im allgemeinen Rechtsbewußtsein verwurzelt. Er blickt auf eine große Tradition in .der Rechtsentwicklung zurück und hat in den Verfassungen fast aller deutschen Länder ebenso wie in der Menschenrechtskonvention seinen Niederschlag gefunden.Der Sinn dieses Satzes ist nicht, wie manchmal obenhin gesagt wird, eine Magna Charta des Verbrechers darzustellen. Auch das hat Herr Kollege Benda in dankenswerter Weise bereits richtiggestellt. Ich möchte aber nochmals darauf eingehen, weil oft gesagt wird: Der Verbrecher hat doch keinen Anspruch darauf, daß ihm die Verjährungsfrist, die bestand, als er seinen Mord beging, aufjeden Fall erhalten bleibt. Selbstverständlich hat der Verbrecher keinen Anspruch darauf. Aber vor Gericht und vor dem Staatsanwalt und vor der Polizei steht zunächst einmal nicht ein Verbrecher, sondern ein Bürger, gegen den ermittelt und der dann eventuell angeklagt wird. Es ist ebenso ein alter Rechtsgrundsatz, ein Verfassungsgrundsatz, daß sich jeder Bürger so lange als unbestraft fühlen und bezeichnen kann, solange er nicht rechtskräftig verurteilt ist.
— Ich rede dazu, daß es sich hier nicht 'um eine Magna Charta des Verbrechers 'handelt, sondern um eine Magna Charta des Staatsbürgers.
— Um das geht es ja. Der Staatsbürger wird vor Gericht gestellt, und da wird es festgestellt.
— Das ist das Wesen jeder Verjährung. Dann müssen Sie das Institut der Verjährung überhaupt abschaffen, wenn Sie auf diesem ;Standpunkt stehen.Nehmen Sie doch allein die Zahlen, die auch der Bericht gibt! Hier ergibt sich, daß bei 12 000 erhobenen Anklagen etwa in der Hälfte der Fälle— 6100 — verurteilt worden ist. Damit ist festgestellt, daß sich bei vielen nachher herausgestellt hat, daß es keine Verbrecher waren, und für die gilt diese Magna Charta mindestens genauso, wie für den, der sich nachher als Verbrecher herausstellt.Besonders eindrucksvoll hat diesen rechtlichen Sachverhalt Herr Professor Grünwald ,aus Bonn in einer Stellungnahme wiedergegeben. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich diese paar Sätze zitieren:Art. 103 Abs. 2 hindert den Gesetzgeber, für Taten, die zur Tatzeit zwar verboten, nicht aber von einem Strafgesetz erfaßt waren, rückwirkend Bestrafung anzuordnen; das ist ,unbestritten. Das Rückwirkungsverbot hindert den Gesetzgeber weiter — das ist fast einhellige Meinung —, die Strafe nachträglich zu verschärfen.— Ich kann also nicht sagen, wenn eine Straftat mit höchstens fünf Jahren Zuchthaus bedroht ist: Ich verschärfe sie für eine bereits begangene Tat auf zehn Jahre. —Man wird schwerlich behaupten können, daß die rückwirkende Erhöhung einer Höchststrafe für ein Verbrechen von fünf auf zehn Jahre Zuchthaus deshalb verboten sei, weil damit das Vertrauen des Verbrechers bei seiner Tat darauf, daß es nach spätestens fünf Jahren wieder frei sei, mißachtet würde. In der Stellungnahme der Hamburger Strafrechtslehrer ist erklärt, daß wir keinen Grund hätten, den Mörder, der auf die Verjährung vertraue, in seiner Kalkulation nicht zu enttäuschen. Ebenso aber ließe sich sagen, daß wir unbedenklich die Kalkula-
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Bundesminister Dr. Buchertion dessen, der meint, er werde ,sich durch sein Verbrechen nicht mehr als fünf Jahre Zuchthaus „einhandeln", durchkreuzen können.Man ist sich also darüber einig, daß man die Strafe nicht nachträglich verschärfen kann. Da muß ich doch fragen: Soll es dann möglich sein, nachträglich die Strafbarkeit überhaupt wieder zu bestimmen, wenn sie nach der Gesetzeslage, die zur Zeit der Begehung der Tat bestand, nicht mehr vorhanden gewesen wäre? Nach Grünwald ist der Sinn des Rückwirkungsverbots vor allem, „den Gesetzgeber zu hindern, seine Gesetze unter dem Eindruck geschehener Taten aufzustellen". Ich glaube, das ist wirklich der hauptsächliche, der maßgebende Gesichtspunkt.Ich habe Ihnen meine rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Sorgen gegen eine Verlängerung der laufenden Verjährungsfristen vorgetragen. Sie gelten nach meiner Auffassung genau in dem gleichen Umfang auch gegen eine nachträgliche Hemmung. Ich kann mir Ausführungen dazu sparen.Aber noch ein grundsätzliches Wort zum Schluß! Professor Jaspers sagt in seinem Interview: „Das Recht ist überall in der Welt begründet auf einen politisçhen Willen." Ich möchte umgekehrt sagen: Das Recht ist der Politik vorgegeben.
Das Recht kann nicht von politischen Erwägungen bestimmt werden, weder von innen- noch von außenpolitischen. Wir hatten einen verbrecherischen Staat. Dessen sind wir uns bewußt. Wir können nicht leichthin sagen, so etwas werde nie wieder vorkommen, sondern wir müssen dafür sorgen, daß das nie wieder vorkommt. Um das alber zu erreichen, sind die geeigneten Instrumente nicht die Gerichte, nicht die Tribunale. Vor dem Tribunal steht der einzelne Täter. Das Gericht muß feststellen: Hat dieser einzelne Täter das getan, was damals von Staats wegen in entsetzlichen Befehlen angeordnet worden ist? — Ein Staat und ein Volk selber können nicht vor dem Tribunal Recht nehmen. Das Volk kann nur vor dem Tribunal der Geschichte sein Recht nehmen. Das kann es aber nur, wenn es sich streng an die Grundlagen seines Rechts hält.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß meiner tiefen Enttäuschung über das Ausdruck geben, was der Herr Bundesjustizminister in der letzten halben Stunde zur Debatte beigetragen hat.
Nicht nur, daß wir weit von den überzeugendenund ausgezeichneten Worten der Begründung abgekommen sind, die der Kollege Benda heute morgen zum Thema gefunden hat, sondern, Herr Minister, nachdem ich bis heute morgen noch der Meinung war, ungefähr zu ahnen, welches die Gründe dafür sind, daß Sie gegen eine Verlängerung der Verjährungsfristen sind, ist es Ihnen jetzt gelungen, mir restlos unklar zu machen, wo Ihre waren Motive und Ihre wahren Begründungen liegen.
Damit haben Sie der Debatte und damit haben Sie der Sache keinen Dienst geleistet.
— Seien Sie nicht so ungeduldig!Ich glaube nicht, daß mit der Fülle von möglichen Argumenten, die der Herr Bundesjustizminister hier zusammengetragen hat, in dieser Frage die Antwort und die Entscheidung gefunden werden kann, die dieses Haus zu finden und zu treffen hat. Ich bin in Sorge darüber, daß manches von dem, was hier an sogenannten rechtspolitischen Gründen angeführt worden ist, die gegen eine Verlängerung der Verjährungsfristen sprächen, auch manches von den Argumenten — ich werde mich damit noch auseinanderzusetzen haben —, die vorher hier vorgebracht worden sind, uns doch sehr nahe in den gefährlichen Bereich jener Überlegungen bringt, von denen bisher alle hier gesagt haben, daß das nicht die Grundlage unserer Entscheidung sein soll, nämlich das Bemühen, etwa eine zweite Entnazifizierung einzuführen oder eine zweite Entnazifizierung vorzunehmen. Um die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die vorhandenen Schwierigkeiten, die einzelnen Fälle aufzuklären, die Schwierigkeiten, die Wahrheit im Einzelfalle zu erforschen, wissen wir wohl. Aber wir sollten sie nicht in solcher Weise in den Vordergrund der Überlegungen stellen, wie der Herr Bundesjustizminister es hier getan hat, aus dem einfachen Grunde, weil wir sonst Gefahr laufen, die entscheidende Frage aus dem Auge zu verlieren, und der Herr Minister hat doch ein lebendiges Beispiel dafür geliefert.Die entscheidende Frage ist doch: Soll das ungeheuerliche Ausmaß an Verbrechen, wie sie in dieser Form, in dieser Größenordnung, in dieser Grausamkeit in der Geschichte einmalig sind, einfach mit nur juristischen Erwägungen beantwortet werden, oder sind wir aufgefordert, hier auch und in erster Linie eine politisch-moralische Entscheidung zu treffen?
Meine Damen und Herren, um diese politisch-moralische Entscheidung kommen wir nicht dadurch herum, daß wir hier sagen, der Rechtsstaat sei den politischen Entscheidungen vorgegeben. Das ist, wie einer meiner Kollegen soeben mit Recht gesagt hat, auch ein schillerndes Wort. Niemand von uns möchte eine Lösung und strebt eine Lösung an, die die Grundsätze des Rechtsstaates außer acht läßt, im Gegenteil. Aber ich fürchte, wir würden die Rolle der Juristen in dieser Auseinandersetzung verkennen, wenn es nicht ihr Auftrag wäre, dabei zu hel-
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Jahnfen, eine Lösung zu finden, und nicht das Gegenteil zu tun.
Wir haben uns bemüht, zu dieser Debatte und zu dieser Auseinandersetzung unseren Beitrag zu leisten, indem wir eine solche Hilfe Ihnen mit unseren beiden Anträgen vorgelegt haben. Meine Damen und Herren, ich meine — darüber kann in den Einzelheiten nicht hier gesprochen werden, aber darüber wird in diesem Haus, in seinen Ausschüssen und darüber hinaus, zu sprechen sein —, wenn es richtig ist, daß es ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken gibt, dann sollte allein die Tatsache, daß es solche Bedenken gibt, uns zu der Antwort nötigen: Dann müssen wir sie nicht nur achten, sondern nach Wegen suchen, wie man trotz dieser Bedenken zu einer Lösung findet. Wir meinen, unser Vorschlag, das Grundgesetz in dieser oder meinetwegen — lassen Sie uns darüber sprechen! — anderer Form zu ändern, so zu ändern, daß es diesen Bedenken Rechnung trägt und sie ausräumt, ist ein Ausweg. Er soll — das ist unser Wille — auch all denjenigen hier im Hause helfen, ihre Bedenken zu überwinden, die sie aus solchen rechtsstaatlichen Erwägungen haben.Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr, daß das zutrifft, was Herr Kollege Dr. Barzel zu diesem Thema vorhin gesagt hat: daß niemand in diesem Hause ist, aber auch wirklich niemand, der das Bedürfnis hat, sich hinter rechtsstaatlichen Bedenken etwa mit anderen Motiven zu verstecken.Einige Bemerkungen zu dem, was Herr Kollege Barzel hier gesagt hat, scheinen mir notwendig zu sein. Ich stimme in vollem Umfang mit ihm überein, wenn er sagt: In dieser Frage hat das Parlament in besonderem Maße — so wie auch sonst — seine politische Führungsrolle zu übernehmen und zu erfüllen. Es ist die Aufgabe dieses Hauses — und ich glaube, heute ist ein besonderer Tag, an dem wir es in besonderem Maße deutlich machen können —, in einer Frage von so hohem politischem und moralischem Rang den Weg zu weisen und die Überzeugungskraft auch im eigenen Volke wirksam werden zu lassen, die notwendig ist, um die allseitige Einsicht in die Notwendigkeiten der hier geforderten Entscheidungen herbeizuführen und zu fördern. Ich würde es aber für gefährlich halten, wenn wir uns in dieser Debatte mit Sätzen begnügten, die in solcher Form nicht stehenbleiben dürfen. Sicherlich ist es richtig, wenn Herr Dr. Barzel sagt, daß Hitler das deutsche Volk mißbrauchte. Aber dieser Satz ist nur eine Hälfte der Wahrheit.
— Auch große Schuld vor dem deutschen Volk, und er hat es mißbraucht.
— Das Wort von dem Mißbrauch des deutschen Volkes ist auch dabeigewesen, nicht nur mit den Einschränkungen, die Sie jetzt machen.
Mir geht es darum, hier deutlich zu machen, daß wir mit solchen Formulierungen nicht etwa — ich will das Herrn Kollegen Dr. Barzel gar nicht unterstellen, sondern ich möchte einen Beitrag zur Klärung dieser Frage leisten — —
— Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, daß diese Dinge einmal klar ausgesprochen werden, daß nämlich dieser Mißbrauch nicht möglich gewesen wäre, ohne daß sich eine allzu große Zahl von einzelnen ihrer Verantwortung nicht mehr bewußt gewesen wären, und daß wir nicht nur an die Verantwortlichkeit und den Mißbrauch durch einen einzelnen erinnern dürfen, sondern daß wir die Verantwortlichkeit jedes einzelnen in diesem Zusammenhang nicht übersehen dürfen.
Es ist auch gefährlich, hier von dem Recht auf politischen Irrtum zu sprechen. Gewiß, das Recht auf politischen Irrtum wird man jederzeit aufrechterhalten müssen, auch — und da stimme ich durchaus mit Ihnen überein — als einen Bestandteil unserer Freiheit. Aber wir haben es hier gar nicht mit dem Recht auf politischen Irrtum zu tun. Diejenigen, mit denen wir uns hier zu beschäftigen haben, sind Mörder gewesen, sie sind Mörder in der einfachen Form des Kriminellen gewesen, wie wir sie nach unserer Strafrechtsordnung kennen, und für sie kann doch dieses Wort von dem Recht auf den politischen Irrtum nicht gelten; denn es gibt Dinge, über die man sich nicht irren kann. Wer mordet — ob er es unmittelbar tut oder ob er es vom Schreibtisch aus getan hat, Herr Kollege Dr. Barzel —, der kann dabei nicht irren, der kann sich über das, was er getan hat, nicht im unklaren gewesen sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Jahn, ist Ihnen entgangen, daß ich in meinen Ausführungen Verbrechen und politischen Irrtum differenziert habe, daß ich gesagt habe: Verbrechen muß bestraft
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Dr. Barzel1 werden? Ist Ihnen entgangen, daß ich mich für die Verlängerung der Verjährungsfrist für Mord eingesetzt habe? Bitte, bauen Sie keinen Popanz von einer Meinung auf, die in diesem Hause kein Mensch geäußert hat!
Ich freue mich sehr über diese Frage, Herr Kollege Barzel. Sie macht es mir leichter, festzustellen, daß das, was Sie vorhin über das Recht auf politischen Irrtum gesagt haben — und darin stimmen wir durchaus überein —, nicht in diese Debatte gehört.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Bitte schön.
Wie, glauben Sie, Herr Kollege Jahn, kann dieses Haus seine Führungsfunktion in der öffentlichen Meinung in Deutschland wahrnehmen, wenn es nicht auch Fragen und Mißverständnisse aufnimmt, die draußen im Lande in diesem Zusammenhang geäußert werden?
Das kann man sicherlich nicht da-durch, Herr Kollege Barzel, daß man neue Mißverständnisse in diese Debatte hineinbringt.
Mir liegt nur daran, zu verhindern, daß diese Mißverständnisse etwa vertieft werden könnten. Deswegen bin ich Ihnen für diese von Ihnen selber gegebene Klarstellung durchaus dankbar.
Eine der Bemerkungen des Herrn Kollegen Barzel hat mich besonders beeindruckt. Er hat gesagt, es gehe darum, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Aber auch hier müßten wir uns, glaube ich, doch noch einmal über einige Fragen etwas genauer unterhalten. Gewiß, in der Tendenz und in dem Anliegen werden wir uns vielleicht sehr bald einigen können; aber an dieser Stelle ist dann doch wohl einmal die Frage notwendig: Haben wir, hat denn insbesondere unsere Bundesregierung in all den Jahren immer das Notwendige getan, um gerade in dieser Frage Schaden vom deutschen Volk abzuwenden?
Meine Damen und Herren, vor fünf Jahren haben wir doch schon einmal eine Debatte über die Frage der Verjährung geführt, und da war es die Mehrheit dieses Hauses, ,die eine andere Entscheidung für richtig gehalten hat. Seit fünf Jahren debattieren wir in diesem Hause und in seinen Ausschüssen über die Frage, was denn eigentlich geschieht, um das
Material, das Dokumentenmaterial, von dem wir wissen, daß es in übergroßer Menge in ,den osteuropäischen Ländern, aber auch sonst, vorhanden ist, herbeizuschaffen, auszuwerten und für die Aufgaben der strafrechtlichen Ermittlungen nutzbar zu machen. Ist es denn nicht so gewesen, Herr Kollege Barzel, daß es diese Bundesregierung und ihre Vorgängerinnen waren, die uns immer wieder und immer wieder gesagt haben, sie würden zwar prüfen, aber fünf Jahre hindurch geprüft haben, und daß die Bundesregierung erst unter dem Druck der Zeit und des von Ihnen und uns gemeinsam eingebrachten Antrages vom 9. Dezember des vergangenen Jahres bereit gewesen ist, ihren Widerstand gegen Dinge aufzugeben, den sie jahrelang gepflegt hat,
sogar noch gepflegt hat, als es notwendig war, die nötigen Unterlagen für die Ermittlungen im Auschwitz-Prozeß zu beschaffen. Herr Kollege Dr. Barzel, vielleicht sind Sie so freundlich und hören einmal zu. Was Ihren Einwand hinsichtlich der Kompetenz betrifft, so ist es immer die Bundesregierung gewesen, die mit guten Gründen unter Berufung auf ihre Kompetenz für außenpolitische Dinge hier ein entscheidendes Wort mitzureden hatte. Wegen des Widerstandes der Bundesregierung war es notwendig, hessische Staatsanwälte auf Urlaubsreisen nach Polen zu schicken, damit sie in Auschwitz an Ort und Stelle die Feststellungen treffen konnten, die erforderlich waren, um für den Auschwitz-Prozeß die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Jahn, ist Ihnen entgangen, daß der gemeinsame Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU der die Unterschriften von Herrn Erler und mir trägt, 'beginnt: „In voller Anerkennung der von den Staatsanwälten und Gerichten zur Verfolgung ... geleisteten Arbeit ..."?
Doch, das will er schon sehen; aber die volle Anerkennung für das, was bisher geleistet worden ist, beinhaltet doch wohl kaum die Feststellung, daß genug geleistet worden ist, daß das, was an bisherigen Versäumnissen seitens der Bundesregierung vorliegt, damit schon vom Tisch gewischt ist. Wenn Sie dem diese Interpretation geben wollen, überlasse ich Ihnen das gern. Unsere Interpretation ist das jedenfalls nicht.
Mir liegt an der Feststellung, daß ein jahrelanger hinhaltender Widerstand 'der Bundesregierung in einer Frage, die uns heute einiges an Schwierigkeiten und Belastungen schafft, diese Dinge unnö-
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Jahntigerweise erschwert hat und daß wir heute sehr, sehr viel weiter gewesen wären.
— Über ,die Parteipolitik, Herr Unertl, wollen wir uns gleich einmal unterhalten. Wir wollen uns darüber unterhalten, ob es wirklich im Sinne der Bitte von Herrn Barzel ist — „Schaden von unserem Volk abzuwenden" —, der ich mich sehr gern anschließe, wenn in einem amtlichen Bericht des Bundesministers der Justiz vom 26. Februar 1965 Dinge stehen wie „Rudolf Heß, Stellvertreter ,des Führers", „Karl Dönitz, letzter' Reichspräsident",
„Konstantin von Neurath, Reichsprotektor von Böhmen und Mähren".Meine Damen und Herren, ich frage Sie sehr im Ernst: Ist das unsere Aufgabe? Ist das alles, was wir an Selbstverständnis für unsere Zeit und in der Auseinandersetzung mit jener Vergangenheit haben? Fällt uns nichts Besseres ein, als in kleinlicher buchhalterischer Weise hier noch die Terminologie der Nationalsozialisten in amtliche Drucksachen des Bundestages zu übernehmen?
Wenn wir es uns so leicht machen und uns so wenig anstrengen, in dieser Frage 'auch einmal ein klares Wort zu finden,
dann geschieht nur ein geringer, um nicht zu sagen: ein unzureichender Beitrag in der Richtung: „Schaden von unserem Volke ,abzuwenden".
— Sprechen Sie sich ruhig aus, meine Herren; ich warte gern.
Herr Kollege Jahn, würden Sie mir zugeben, daß in diesem Bericht auch Bezeichnungen wie „SS-Standartenführer" und ähnliche zur Kennzeichnung der Dienststellung dieser Personen angeführt sind, weil der Rang in der nationalsozialistischen Hierarchie bei diesen Leuten wohl kaum ohne Verwendung der damals üblichen Dienstbezeichnungen klargestellt werden kann?
Verehrter Herr Kollege Dürr, meinen Sie nicht, daß es uns wohl angestanden hätte, dann wenigstens doch auf den Gedanken zu kommen, mit dem Mindestaufwand an Druckerschwärze eben in Anführungsstrichen vom „Stellvertreter des Führers" 21.1 sprechen?
Meinen Sie nicht, daß die Funktion und die Verantwortlichkeit des Herrn Dönitz auch ohne die Bezeichnung „letzter Reichspräsident" in diesem Hause hinreichend deutlich gewesen wären?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des 'Herrn Abgeordneten Benda?
Bitte.
Herr Kollege Jahn, im Sinne des uns gemeinsamen Anliegens: meinen Sie nicht, daß wir furchtbar am Kern der Dinge, die uns heute bewegen, vorbeireden
und daß wir von unserem Volke Schaden nicht nur nicht abwenden, sondern ihm sogar Schaden zufügen, wenn wir jetzt in dieser Art in einer solchen Grundfrage parteipolitische Diskussionen führen?
Herr Kollege Benda, seien Sie bitte versichert: mir wäre wohler, ich brauchte über diese Dinge nicht zu sprechen,
und uns wäre wohler, wir brauchten die Frage, was wir eigentlich mit dem Wort „'Schaden vom deutschen Volk abzuwenden" meinen, hier nicht im einzelnen zu erörtern.Aber ich glaube, über diese Dinge muß einfach deshalb gesprochen werden, weil sie bei aller Gemeinsamkeit in dem sachlichen Anliegen doch einfach 'hier nicht unwidersprochen stehenbleiben dürfen. Dieser Bericht über die Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten enthält in sehr weiten Ausführungen Angaben darüber, wie viele im einzelnen verurteilt worden sind. Offenbar soll der Eindruck erweckt werden, daß wegen der großen Zahl der Verurteilten allein schon etwas Eindrucksvolles geschehen ist. Aber wäre es nicht gut gewesen, in diesem Zusammenhang auch einmal ein sehr ernstes Wort darüber zu sagen, wie groß die Zahl der Opfer derjenigen war, um deren Verantwortlichkeit es hier geht? Kann man denn, wenn man in Verantwortung gegenüber dem Ganzen von diesen Dingen spricht, die Frage nach den Opfern, nach ihren Leiden und nach der Zahl dieser Opfer einfach außer acht lassen? Wir haben doch Schaden nicht nur nach außen, sondern wir haben vor allen 'Dingen auch Schaden nach innen abzuwenden.Ich möchte mir, um das deutlich werden zu lassen, doch einiges von dem zu eigen machen, was in dem Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu den NS-Verbrecherprozessen gesagt worden ist. Um diese Frage geht es nämlich auch in der Auseinandersetzung nach innen gegenüber den jungen Menschen in unserem Lande wie gegenüber den älteren. Es wäre gut, wenn mehr von dem auch in diesem Bericht der Bundesregierung zu spüren
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Jahnwäre, was in dem Wort der Evangelischen Kircheunter anderem mit folgenden Worten gesagt wird:Aber wir bitten alle jungen Menschen, sich bewußt zu machen, daß es in dieser kritischen Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit nicht nur um Vergangenes geht, sondern um die Wiederherstellung tragfähiger Fundamente für den Neubau unseres ganzen deutschen Lebens in allen seinen Bereichen und Beziehungen und damit gerade auch um ihre Zukunft.Aber auch an die Älteren richtet sich dieses Wort, indem es heißt:Wir Älteren sind jetzt noch einmal gefragt, ob wir das Ausmaß der in nationalsozialistischer Zeit von deutschen Menschen mit staatlichen Gewaltmitteln geplanten, befohlenen und unbeschreiblich grausam ausgeführten Massenverbrechen endlich zur Kenntnis nehmen und uns dieser Vergangenheit stellen wollen, statt die Erinnerung daran zu verdrängen und jede Mitverantwortung dafür zu leugnen. Begangenes Unrecht kommt nicht dadurch zur Ruhe, daß man es totschweigt, und nur Unverstand kann von Beschmutzung des eigenen Nestes reden, wo es in Wahrheit darum geht, ein schwer beschmutztes West zu säubern.Und an anderer Stelle geht es weiter:Denn diese Verbrechen waren nur möglich, weil unser Volk die politische Gewalt einem Regime überlassen hat, das an die Stelle Gottes und seiner heiligen Gebote die „nordische Rasse" als obersten Wert gesetzt hat, an die Stelle des Glaubens an Gott und ,seinen Heiland Jesus Christus den Glauben an die Nation und ihren „Führer", an die Stelle der Achtung und Liebe gegenüber dem Mitmenschen die Verachtung anderer Völker und die Verteufelung des politischen Gegners. So wurden die Gewissen verwirrt und das Pflichtbewußtsein vieler, im bürgerlichen Leben vielleicht anständiger Menschen so weit pervertiert, daß einige selbst zu Verbrechen fähig wurden, andere biss heute ,glauben, sich jeder Mitverantwortung für das Geschehene durch den Hinweis entziehen zu können, sie hätten nur brav ihre Pflicht getan. Auch der Bürger, der an den Verbrechen nicht beteiligt war, ja, nichts von ihnen wußte, ist mitschuldig geworden, weil er lässig war gegen die Verkehrung aller sittlichen Maßstäbe und Rechtsnormen in unserem Volk.
Meine Damen und Herren, es geht darum, auch darauf zu achten, daß Schaden von unserem Volk abgewendet wird. Wir werden nichts von dem, was war, ungeschehen machen können. Aber wir werden durch die Form der sauberen Auseinandersetzung mit denjenigen, die zu kriminellen Verbrechern geworden sind, eine wichtige Lehre nicht nur für unser Volk, sondern vielleicht auch darüber hinaus geben können. Daran, wie ernst wir es mit diesem notwendigen Teil — der nicht für das Ganze stehen kann — der Auseinandersetzung mit denjenigen, die Unrecht begangen halben, nehmen, werden wir eines Tages gemessen werden in der Frage, ob wir uns nach jener schrecklichen Zeit bewährt haben.
Meine Damen und Herren, auf meiner Liste stehen noch sieben Redner. Ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt die Mittagspause eintreten lassen, jedoch schon um 14.30 Uhr wieder beginnen. — Es ist so beschlossen.
Die Sitzung ist unterbrochen bis 14.30 Uhr.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder von uns steht in der Qual seines Gewissens, unter dem Druck einer fürchterlichen Erbschaft dieser verbrecherischen nationalsozialistischen Zeit, die als Schuld und als Scham auf uns allen lastet, und unter der Verantwortung vor dem Recht, vor unserem Recht.Müssen wir sagen, daß wir in der Abscheu vor dem Geschehenen mit der Welt einig sind? Fast meine ich, unsere Empörung ist größer, tiefer, peinigender. Am Ende sind wir uns doch der Schuld bewußt, jeder von uns, der damals Verantwortung getragen hat. — Wenn ich an die bisherigen Redner denke, dann stelle ich fest, daß sie das Glück hatten, nicht dazu zu gehören. Das ist aber auch der Grund, daß sie diese bittere Erfahrung nicht gemacht haben, was es bedeutet, in einem Staate des Unrechts leben zu müssen. Ich sage: Jeder von uns, der damals Verantwortung getragen hat, hat das Empfinden, daß er zuwenig für das Recht gekämpft hat, daß er zuwenig Mut zur Wahrheit gehabt hat, nicht stark genug war in der Abwehr des Bösen.So ist das Schlimme über uns gekommen und hat Menschen, hat unser Volk in Not gebracht. Fast, möchte ich meinen, ist es insgeheim ein Vorwurf, daß unsereiner noch da ist, daß ich mit Frau und Kind der Hölle des Unrechts entronnen bin, in der viele geliebte Menschen geblieben sind.Was können wir tun, um im Einklang mit der Stimmung, mit dem Willen der Welt zu sein? Sollen wir mit ihr hassen, verfluchen, Schuld und Sühne verewigen? Können wir dadurch Schaden von unserem Volke wenden? Nein, wir können der Welt nur schlicht und fest unseren Willen zum Recht dartun. Ein Mehr gibt es nicht.
Zum Recht, zu unserem Recht gehört auch, daß Schuld, daß jede Schuld verjährt.Auch das gehört zu den Erfahrungen meines Lebens, daß der Mangel an Recht, der Mangel an Rechtsstaatlichkeit Schaden bringt. Der Weg zum
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Dr. DehlerStaat des Unrechts ist dadurch gebahnt worden, daß der Wille zur unbedingten Rechtsstaatlichkeit nicht lebendig genug war.
Weil das Recht, weil der Wille zum Recht in unserem Volke schwanden, kam die Macht über uns in die Hand eines rechtlosen, eines ruchlosen Mannes. Und als wir dann 1945 wiederbegannen, in den Ländern, hier in der Bundesrepublik die deutsche Staatlichkeit zu erneuern, da konnten wir ihr doch nichts geben als den Gehalt des Rechtes, der großen Menschenrechte, der Grund- und Freiheitsrechte, der Rechtsstaatlichkeit. Haben wir ein anderes Fundament, auf dem wir stehen können? Das Recht ist nicht nur eine Form, ist keine wertneutrale Ordnung. Es ist nicht so, daß der Inhalt des Rechtes nach dem Willen des Gesetzgebers bestimmt werden könne, daß der jeweilige Gesetzgeber umschreibe, was Recht oder was gar gerecht ist. Der Gesetzgeber ist gebunden — das ist unser Wille — an die Grundregeln der Verfassung, ist gebunden durch die auf Grund der Verfassung geschaffene Rechtsordnung; sie ist Maß und Schranke. Rechtsstaatlichkeit ist doch viel mehr als die Garantie der Gesetzmäßigkeit von Justiz und Verwaltung, mehr als der Schutz des Bürgers vor staatlicher Willkür. Wir haben die Grund- und Freiheitsrechte an die Spitze unseres Grundgesetzes gestellt, weil sie zusammen mit der Rechtsordnung bestimmen, was Recht, und am Ende auch, was gerecht ist, und sie tragen schon die Spannung zwischen dem Gebot der Rechtssicherheit und dem der Gerechtigkeit in sich aus, sie nehmen dem Gesetzgeber die Möglichkeit, im Widerspruch zu dem gesetzten Rechte nachträglich für „Gerechtigkeit" sorgen zu wollen.Unser Kollege Arndt hat klassisch schöne Worte für diesen Standpunkt gefunden. Der Staat und auch der Gesetzgeber sind unter das Recht und unter das Gesetz gestellt. Daran kann keine Rechtsstaatsklausel, und — Herr Kollege Benda — daran kann keine materielle Rechtsstaatsklausel etwas ändern. Der Wert der Rechtssicherheit als eines wesentlichen Rechtsstaatsbegriffes liegt nicht nur in dem Vertrauen des Bürgers auf die bestehende Rechtsordnung, liegt doch viel mehr in der Achtung des Staates, des Gesetzgebers vor der Rechtsordnung. Der rechtsstaatliche Gleichheitsgrundsatz und das Verbot der Willkür schließen jedes Ausnahmegesetz aus, jede Regelung, die sich gegen einen bestimmten Personenkreis wenden will oder aus einem bestimmten Anlaß heraus die Rechtsfolgen für einen bereits abgeschlossenen Tatbestand ändern will. An diesem Grundsatz scheitert der Versuch, die Verjährungsfrist für den Mord der nationalsozialistischen Zeit, für die Beihilfe hierzu, für den Versuch des Mordes mit rückwirkender Kraft zu ändern. Das ist die entscheidende Frage.Diese Frage, ob es zulässig ist, nachträglich mit Rückwirkung für die Vergangenheit die Verjährungsfristen zu ändern, zu verlängern, also die in den Gesetzen getroffene Regelung zu variieren, ist eine Rechtsfrage und nur eine Rechtsfrage, das ist keine politische Frage. Herr Kollege Jahn hat heute vormittag gesagt: „Soll das Fürchterliche nur nachdem Recht beurteilt werden, oder sollen wir eine politische, moralische, eine politisch-moralische Entscheidung treffen?" Ich glaube, diese Frage trifft in den Kern unserer Auseinandersetzung. „Nur" das Recht? Ich sage: N u r das Recht.
Es gibt keinen höheren Maßstab für die Entscheidung unserer Frage: die Frage, ob eine Frist, die im Gesetz für den Ablauf der Strafbarkeit bestimmt ist, aufgehoben oder auch nur verlängert werden kann, ist doch eine Rechtsfrage.Meine Damen und Herren, auch das ist eine Erfahrung, die ich in langen Jahren hier in diesem Hause gesammelt habe: Wenn da einer sagt, etwas sei zwar wirtschaftlich falsch oder auch sittlich fragwürdig oder rechtlich falsch, es sei aber politisch notwendig, dann war es immer auch politisch falsch.
Gestatten Sie mir den bösen Hinweis, der vielleicht schmerzlich ist: Es gehört zum Wesen — sagen Sie: zum Unwesen — der totalitären Staaten, der totalitären Rechtsverächter, politische Zweckmäßigkeit über das Recht zu stellen.Noch einmal: wir alle sind tief beeindruckt von der Erregung, die der Gedanke, diese schauerlichen nationalsozialistischen Mordtaten könnten verjähren, in der Welt, auch bei vielen unserer Menschen, ausgelöst hat. Alle, die sich mit der Materie befaßt haben, Juristen, Parlamentarier, Schriftsteller, Journalisten, wußten seit vielen Jahren von dieser Rechtsfolge. Wir haben vor fünf Jahren hier in diesem Hause, als der Ablauf der 15jährigen Verjährungsfrist für alle Straftaten, die nicht mit lebenslangem Zuchthaus bedroht sind, zur Diskussion stand, über die Verlängerung der Verjährungsfrist eingehend verhandelt, nach sehr gründlichen und wertvollen Beratungen des Rechtsausschusses, und haben am Ende überwiegend aus rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Gründen die Möglichkeit einer Verlängerung verneint. Seitdem sind keine neuen Gesichtspunkte zutage getreten.Also noch einmal: Die staatliche Strafgewalt ist begrenzt. Auch insoweit ist der Staat nicht Herr des Rechts, sondern an das gesetzte Recht gebunden, auch wenn es peinvoll ist, auch wenn es unserem Gefühl widerstrebt. Der Staat kann seine Strafgewalt — so unser Kollege Arndt — nicht nachträglich auf abgeschlossene Tatbestände ausweiten.Die Verjährung hat einen tiefen rechtspolitischen Sinn, auch bei den Straftaten, die wir hier im Auge haben. Die Verjährung verzichtet der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens wegen auf die letzte Gerechtigkeit. Ich brauche Ihnen das nicht im einzelnen zu sagen. Mit dem Zeitablauf steigen die Beweisschwierigkeiten für die belastenden und auch für die entlastenden Tatsachen. Die Erinnerung der Zeugen wird unscharf. Und bedenken wir doch: Gerade in unserer Zeit so rascher und so tiefgreifender geschichtlicher Wandlungen — noch niemals in der Weltgeschichte hat es solche politischen, geistigen, wirtschaftlichen, sozialen Änderungen gegeben wie
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Dr. Dehlerin den letzten 30 Jahren in unserem Lande — wird es für die Richter, besonders für die Laienrichter, immer schwerer, sich in die Umwelt der Zeit der Tat zu versetzen. Die Verjährung schützt ja — der Herr Bundesjustizminister hat es heute vormittag mit Recht gesagt — nicht nur den Schuldigen, sondern schützt jeden Staatsbürger; jeder, auch der Unschuldige, kann beschuldigt werden und kann nach langer Zeit mit der Widerlegung eines Verdachts in Beweisnot kommen. Im Falle der Bejahung der Schuld ist es doch schier unmöglich, eine Strafe zu finden, die zugleich der Tat und dem Täter angemessen ist und die auf der anderen Seite von dem Rechtsgefühl unseres Volkes als notwendige, als gerechte Sühne erachtet wird. — Das Verlangen der Allgemeinheit nach Bestrafung klingt mit der Zeit ab; in unserem Falle ist diese Frage besonders schwierig, ich will noch ein Wort darüber sagen. In der langen Zeit, die seit dem Begehen einer Straftat verstrichen ist — jetzt können es schon 32 Jahre sein —, ist die Persönlichkeit des Täters eine andere geworden, sie hat sich gewandelt. Es ist zu fragen: Was hat ein Beschuldigter heute noch mit der Tat zu tun, die vor 25 Jahren unter ganz exzeptionellen Verhältnissen geschehen ist, — damals vielleicht ein verhältnismäßig junger Mann, der jetzt ein gereifter Mann geworden ist?Man sagt, die Verjährungsbestimmungen unseres Strafrechts seien veraltet. Ich sage im Gegenteil, sie sind bewährt. Sie bestehen an sich schon seit 1851, seit Einführung des Preußischen Strafgesetzbuchs, und sind 1871 in das deutsche Strafrecht übergegangen. Sie beruhen auf einer bewährten deutschen Rechtstradition. Wir hätten sie ändern können. Wir haben sie nicht geändert. Wir haben niemals daran gedacht, auch nicht als nach der Aufnahme der deutschen Staatlichkeit die Möglichkeit dazu bestanden hätte. Im Gegenteil, diese Bestimmungen sind nach 1945 nicht nur durch Kontrollratsgesetze der Besatzungsmächte — die doch weitgehend von uns mitbestimmt waren —, sondern auch durch die Gesetze der Länder und dann durch die Gesetze des Bundes aufrechterhalten worden. Noch einmal vor fünf Jahren sind wir auch in diesem Haus zu der Entscheidung gekommen, daß kein Anlaß besteht, sie zu ändern. Wenn man also jetzt ein rückwirkendes Ausnahmegesetz damit begründen will, daß unser Strafrecht Verbrechen solchen Ausmaßes nicht vorausgesehen habe, so trifft das insofern nicht zu, als wir sie schon seit 1945/46 genau gekannt und doch keinen Anlaß gesehen haben, unsere einschlägigen strafrechtlichen Bestimmungen zu ändern.Der Hinweis — das ist .das Entscheidende — auf den Ausnahmecharakter dieser Straftaten, auf das Ungeheuerliche, was damals geschehen ist, auf die großen Vernichtungsaktionen, die so unsägliches Unglück über Millionen von Menschen gebracht und so schwere Schuld auf unser Volk geladen haben, — alle diese Erwägungen treffen den objektiven Tatbestand. Aber in jedem Strafverfahren geht es ja um die Schuld des einzelnen, um die Einsicht des Angeklagten, um seine Schuldfähigkeit, um seine Erkenntnis der Rechtswidrigkeit seines Tuns, um seine strafrechtliche Verantwortung. Sie werdender Frage, die uns jetzt quält, nur gerecht, wenn Sie an die Schuld des einzelnen denken. Ist die Tatsache nicht bewegend, daß die meisten von denen, die jetzt schwerster Verbrechen beschuldigt werden, vor jener Zeit unauffällige Menschen waren und daß sie nach jener Zeit wieder als Bürger ordentlich gelebt haben? Ich will einmal von denen absehen, bei denen schauerlicher Sadismus in jener Zeit lebendig geworden ist.Es ist so billig, zu sagen, das seien menschliche Bestien. Ich muß empfehlen, die Hannah Arendt nachzulesen, die den Eichmann-Prozeß auf das genaueste verfolgt hat, die 3600 Protokollseiten nachgelesen und uns gesagt hat, hier und da habe sie — es ist makaber — hell auflachen müssen über die Dummheit, über die Einfalt dieses Menschen; Eichmann sei ein Hanswurst gewesen.
— Hannah Arendt; ich gebe ja nur wieder, HerrMetzger. Das darf ich doch noch? — Das ist eineFrau, der diese Dinge wirklich nahe gegangen sind.Es gibt eine moderne Rechtslehre, die gerade von sehr verantwortungsbewußten Persönlichkeiten der SPD vertreten wird, die sagt, die Willensfreiheit des einzelnen sei sehr zweifelhaft, und die folgert, es gebe kein Schuldstrafrecht, ,der Täter könne nicht bestraft, er müsse geheilt werden, er müsse resozialisiert werden. Wenn Sie diesen Standpunkt zugrunde legten, dann wären Maßnahmen überhaupt nicht möglich; denn eine Wiederholung jener Ausnahmezustände des verbrecherischen Staates, in der diese Schuldiggewordenen wieder schuldig werden könnten, ist doch nicht vorstellbar. Ich bin anderer Meinung. Ich bejahe die Schuld nach unserem Sittengesetz, nach dem Dekalog, nach unserem Strafrecht. Keiner kann sich auf den Befehlsnotstand berufen. Aber ich plädiere doch wahrlich nicht für Naziuntäter, wenn ich das sage, sondern für unser Recht und dafür, daß jeder Täter, daß die Schuld des einzelnen gewertet werden muß auf dem Hintergrund jener Zeit. Der Rechtsstaat war zum Erliegen gekommen; vielleicht wird die Schuld derer, die daran ihren Anteil haben, zu gering bemessen, die Schuld an der Entwicklung zum Jahre 1933, die Schuld am Niedergang der Weimarer Demokratie. Aber der Staat, der dann kam, war ein Verbrecherstaat. Wollen wir das vergessen? Es war ein Staat, an dessen Spitze verbrecherischer Wille am Werke war. Dieser Staat hat Millionen von Menschen für vogelfrei erklärt, die Juden und Schichten der Ostvölker, der Polen, der Russen. Er hat das Todesurteil gesprochen, das dann die Schergen ausgeführt haben. Der Staat hat Verbrechen beschlossen und betrieben. Das müssen wir doch wissen, und nur daran können wir die Schuld der einzelnen messen. Wie kompliziert die psychologischen Verhältnisse lagen, weiß nur, wer damals erlebt hat, wie klein der Schritt war vom Weg des Rechtes zur Bahn 'des Unrechtes, wie rasch einer in die Verstrickung dieses verbrecherischen Staates gekommen ist, wie Menschen, die leben wollten, die mit den Ihren leben wollten, dann auf die abschüssige Bahn schwerster Schuld gekommen sind. Bei allzu vielen waren unsere sittlichen, unsere religiösen, unsere rechtlichen
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8544 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Dr. DehlerVorstellungen zurückgedrängt, verdrängt. Die Kirchen schienen mit dem Regime zu paktieren; für viele Gläubige hatten sie ,aufgehört, Maßstab und Halt zu geben. Wer verlangt, daß für die Verfolgung der nationalsozialistischen Verbrechen schärfere Gesetze geschaffen und schärfere gesetzliche Bestimmungen eingeführt werden, wer verlangt, daß der bevorstehende Ablauf der Verjährungsfrist für unbekannt gebliebene Mordfälle hinausgeschoben der aufgehoben wird, übersieht diese unselige Verstrickung, in die eine verbrecherische Staatsführung jene Menschen gebracht hat. Jeder Richter steht vor dieser Frage. Jeder Richter, der verpflichtet ist, das Maß der Schuld des einzelnen zu bestimmen, die gerechte Strafe auszusprechen, kommt in die schwere rechtliche Verlegenheit, die wir kennen. Die häufige Urteilsschelte beruht doch auf dem Unvermögen, hinter der unermeßlichen Schuld des verbrecherischen Regimes das Maß der Schuld des einzelnen Täters, der ohne jenes nie so schuldig geworden wäre, gerecht zu bemessen.Ein Gesichtspunkt, der noch nicht vorgetragen worden ist! Für alle in der nationalsozialistischen Zeit begangenen Straftaten mit Ausnahme. dieser Mordfälle, also auch für die ganz schweren Verbrechen des Totschlages, des Raubes, der räuberischen Erpressung und viele andere, gilt das Strafgesetzbuch, gelten die im Strafgesetzbuch festgelegten Verjährungsfristen und die im übrigen durch Ländergesetze in den Jahren 1946 und 1947 festgelegten Zeitpunkte des Beginns der Fristen. Für die Strafverfolgung dieser Taten haben die gleichen Erschwernisse, die gleichen Erwägungen gegolten, die wir heute für die Mordfälle anstellen. Noch einmal: der Bundestag hat eine Änderung vor fünf Jahren abgelehnt. Jetzt allein für die Mordfälle eine Änderung des Strafgesetzbuches schaffen zu wollen, würde nach meiner Überzeugung dem Grundsatz der Gleichheit 'widerstreiten.Ich gehe so weit, zu sagen: es ist ein elementarer Grundsatz unseres Strafrechts, daß bei Verschiedenheit des anwendbaren Rechts während der Zeit von der Begehung der Tat bis zur Aburteilung das mildeste Gesetz anzuwenden ist, niedergelegt auch im Strafgesetzbuch in § 2; er gilt auch für die Verjährung. Daran scheitert der Versuch, die Verjährungsvorschriften mit rückwirkender Kraft zu ändern. Der Richter könnte solch eine beschlossene Änderung nicht 'berücksichtigen. In praeteritum non vivitur! Der Richter kann niemals die Tatsache ausschließen, daß in einer bestimmten Zeit, die zwischen Tat und Aburteilung liegt, ein milderes Gesetz gegolten hat, das wegen der Verjährung zur Einstellung des Verfahrens führt. Das kann man nicht nachträglich aus der Welt schaffen. Aus diesem übergeordneten rechtsstaatlichen Grundsatz wäre also der Richter verpflichtet, eine von Ihnen beschlossene Änderung der Verjährungsbestimmungen nicht zu beachten und das frühere, mildere 'Strafgesetz anzuwenden.Mit Recht hat Herr Kollege Benda heute darauf hingewiesen, daß dann, wenn man diesen Standpunkt vertritt, aus rechtsstaatlichen Gründen eine rückwirkende Änderung der Verjährungsvorschriften nicht möglich ist. Die Schranke der Artikel 20und 79 Absatz 3 des Grundgesetzes ist gegeben, so daß also eine Änderung unseres Grundgesetzes, die in den Anträgen der Fraktion der SPD begehrt wird, nicht möglich ist.Es liegt mir auf der Seele, Ihnen diese wesentliche Erwägung nahezubringen, daß es um einen rechtsstaatlichen Grundsatz geht. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz hat im Grundgesetz in Artikel 103 Absatz 2 seinen Ausdruck gefunden, der rechtsstaatliche Grundsatz, daß der Gesetzgeber verhindern soll, Gesetze unter dem Eindruck von bereits abgeschlossenen Vorgängen zu erlassen oder zu ändern, also Gesetze auf vorliegende Tatbestände — dieses Wort soll keine abwertende Bedeutung haben — „zuzuschneiden". Das ist die eigentliche Ratio des rechtsstaatlichen Grundsatzes, daß rückwirkende Strafrechtsgesetze nicht möglich sind; das führt dazu, daß die Änderung des Grundgesetzes wegen dieses Verbotes nicht möglich ist.Noch ein Wort zu dem Problem, wenn man von Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes ausgeht: Das Verbot der Rückwirkung betrifft bestimmt nicht Regeln des Verfahrens, aber alle anderen Bestimmungen, alle Bestimmungen über die Strafbarkeit, über die Strafandrohung, auch alle Bestimmungen über die gesetzlichen Voraussetzungen eines Strafverfahrens und damit der Strafbarkeit überhaupt. Der Gesetzgeber kann nicht gehindert werden, Bestimmungen zu ändern, die das Wie des Verfahrens betreffen: Voraussetzungen des Haftbefehls, Stellung des Angeklagten im Verfahren, Stellung des Verteidigers im Verfahren, die Beweisregeln. Aber er ist gehindert, Bestimmungen zu ändern, die das Ob des Strafverfahrens ändern, also z. B. das Fehlen eines Strafantrags oder den Grundsatz „ne bis in idem", das ein einmal mit Rechtskraft abgeschlossenes Verfahren nicht wiederholt werden kann, daß nicht noch einmal eine Anklage gegen den Beschuldigten wegen des gleichen Tatbestandes möglich ist. Dazu gehört auch die Bestimmung der Verjährung. Das möchten Sie einmal einem nüchternen Mann plausibel machen: daß der Gesetzgeber zwar gehindert sein soll, auch die geringste Änderung einer Nebenstrafe in einem Gesetz vorzunehmen, daß er aber die Frage, ob ein Strafverfahren durchgeführt wird, ob eine Verurteilung möglich ist, nachträglich ändern darf! Früher waren diese Fragen unbestritten. Noch mein Strafrechtslehrer Beling in München hat den Standpunkt vertreten, daß selbstverständlich Verjährungsfristen materiellrechtlichen Charakters sind, auch im Strafgesetzbuch enthalten sind. Kollege Bucher hat heute vormittag darauf hingewiesen, wann die Wandlung in der Rechtsprechung erfolgt ist: 1942 — eine trübe Erinnerung — bei der Änderung aus Anlaß der Verbrauchsregelungs-Strafverordnung. Wir haben keinen Anlaß, uns daran anzuklammern. Richtig ist der Grundsatz, daß Verjährungsvorschriften sowohl materiellrechtlichen wie prozessualen Charakter haben. Aber mit dieser Schlußfolgerung ist eben der Versuch einer nachträglichen Änderung ausgeschlossen.Es trifft auch nicht zu, daß das Bundesverfassungsgericht einen anderen Standpunkt eingenom-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8545
Dr. Dehlermen hat. Wenn man die einzelnen Beschlüsse genau überprüft — den Beschluß aus dem Jahre 1951 in Verbindung mit dem hessischen Ahndungsgesetz vor allem —, kommt man dazu, daß dort dieses Problem in Wirklichkeit nicht erörtert worden ist, daß die Zulässigkeit der Verlängerung der Verjährungsfrist überhaupt nicht zur Debatte stand. Die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neigt sich deutlich dem von mir vertretenen Standpunkt zu. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in einer Entscheidung vom 4. Juni 1957 ausgesprochen, daß die presserechtlichen Verjährungsvorschriften im Sinne der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung zum Gebiet der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse gehören, also materiellrechtlich sind. Der gleiche Senat hat in einer Entscheidung am 13. November 1962 ausgedrückt, daß die Verjährungsvorschriften im Disziplinarrecht dem materiellen Rechte zugeordnet sind.Also meine Meinung: Die Rechtslage ist eindeutig, die Bestimmungen liegen fest. Die Verjährungsfrist für die Strafverfolgung beginnt hier, in der früheren britisch besetzten Zone, am 8. Mai 1945, ebenso in der französisch besetzen Zone. In der amerikanisch besetzten Zone läuft sie am 1. Juli 1965 ab. Wir haben keine Möglichkeit, legitim diese Rechtsfolge zu ändern.Es ist die Frage aufgeworfen worden, inwieweit das Völkerrecht für unsere Entscheidung von Bedeutung ist. Es gibt keine Regelung, es gibt kein Abkommen, daß nationalsozialistische Verbrechen von der Verjährung ausgeschlossen werden können. Wir haben im Jahre 1954 nach dem Beitritt der Bundesrepublik zur Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes eine Strafbestimmung in unser Strafgesetzbuch eingeführt, aber nicht mit rückwirkender Kraft, nicht mit Änderung der übrigen strafrechtlichen Bestimmungen, also auch nicht mit Änderung der Verjährungsvorschriften.Meine Damen und Herren, man hat heute und hier gesagt, bei dieser unserer Entscheidung offenbare sich die Gesinnungsgrundlage unseres Staates, unserer Menschen, auch dieses Hauses. Müssen wir wirklich beweisen, daß wir das Unrecht einer verbrecherischen Zeit verurteilen? Was können wir beweisen? — Bloß unseren Willen zum Recht, zum Recht, das feststeht, das alle, das auch uns bindet. Ich meine, das ist viel.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dittrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist niemand in diesem Saale, der dieser unserer Debatte gefolgt ist und nicht den Eindruck hat, daß wir alle zusammen um die Probleme ringen. Die bewegten Ausführungen meines Kollegen Benda, die klaren Sätze des Herrn Dr. Barzel schienen mir dazu geeignet, wertvolle Beiträge zu der Lösung der Frage zu leisten, ob eine rückwirkende Verlängerung der Verjährungsfrist eintreten solle oder nicht. Der Kollege Hirsch hat in längeren Ausführungen dargetan, daß die Bundesregierung bei den Verbrechen, die hier angesprochen sind, eine Verlängerung der Verjährungsfristen auf 30 Jahre wünscht. Er hat dabei vielleicht zu sagen vergessen, daß die Problematik für uns nicht darin besteht, ob wir in diesem Zeitpunkt eine Verlängerung der Verjährungsfrist für die Zukunft festsetzen können und wollen. Die Problematik besteht doch darin — und das hat soeben Herr Kollege Dr. Dehler in Gründlichkeit dargetan —, ob wir der Rechtsstaatlichkeit genügen, wenn wir hier eine Verlängerung mit Rückwirkung beschließen. Wir werden in den Ausschüssen sicher noch genügend Zeit haben, diese Fragen zu überprüfen.Wenn ich mich auch dankbar dafür aussprechen möchte, daß hier eine sachliche Diskussion — freilich nicht ohne Leidenschaft — geführt wurde, so möchte ich doch eines zum Ausdruck bringen: Was Kollege Jahn heute vormittag diesem Hause geboten hat, war nach meiner Ansicht nicht konstruktiv, sondern destruktiv.
Da diese Debatte sicherlich ein weites Echo hat, darf aber auch nichts stehenbleiben, was entweder überhaupt nicht oder in einem anderen Sinne gesagt wurde. Ich weiß nicht, Herr Kollege Jahn, ob Sie richtig beraten waren, als Sie die Ausführungen meines Kollegen Dr. Barzel kritisierten; denn das, was Herr Kollege Dr. Barzel heute morgen zum Ausdruck gebracht hat, ist meines Erachtens geeignet, von diesem ganzen Hause unterschrieben zu werden.
Gestatten Sie mir deshalb, Herr Kollege Jahn, einige Richtigstellungen. Sie haben in Ihrer Rede gesagt:Sicherlich ist es richtig, wenn Herr Dr. Barzel sagt, daß Hitler das deutsche Volk mißbrauchte. Aber dieser Satz ist nur eine Hälfte der Wahrheit.In Wirklichkeit, Herr Kollege Jahn, hat Herr Dr. Barzel zum Ausdruck gebracht:Die CDU/CSU kann auch über diese Frage sehr freimütig und unvoreingenommen sprechen; denn sie begann aus Liebe zu einem geschlagenen Volk da, wo Hitler endete, und mit dem, was er hinterließ. Dieser Mann trägt große Schuld auch vor dem deutschen Volk und gerade vor denen, deren vaterländische Gesinnung und deren Idealismus er mißbrauchte.Das sind die Worte des Kollegen Barzel gewesen, und nicht jene, die Sie hier zitiert haben.Kollege Barzel stellt mit Recht fest, was offensichtlich von Ihnen nicht in Zweifel gezogen werden kann, daß „dieses deutsche Volk nicht kollektiv schuldig geworden ist".Herr Kollege Jahn, Sie haben außerdem gesagt, daß dieser Mißbrauch nicht möglich gewesen wäre, wenn sich eine allzu große Zahl von einzelnen ihrer Verantwortung bewußt gewesen wäre, und daß wir
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8546 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Dr. Dittrich nicht nur an die Verantwortung und den Mißbrauch durch einen einzelnen erinnern, sondern daß wir die Verantwortlichkeit jedes einzelnen in diesem Zusammenhang nicht übersehen dürften. — Soweit, so gut. Das findet ohne Zweifel auch unsere Zustimmung. Hier geht es aber nicht um diese Problematik, sondern hier geht es um die Ahndung der Verbrechen mit einer rückwirkenden Verlängerung der Verjährungsfristen. Über diese Frage haben wir zu sprechen, und um diese Frage geht es hier.Meine Damen und Herren, verzeihen Sie mir, daß ich noch eines zitiere, was Kollege Jahn zum Ausdruck gebracht hat, und mich dann damit auseinandersetze, obwohl ich der Meinung bin, Herr Kollege Jahn, daß Ihre heute vormittag gehaltene Rede nicht so essentiell gewesen ist, daß man sich mit ihr im einzelnen auseinandersetzen müßte. Sie haben gemäkelt, daß in diesem Bericht der Bundesregierung Rudolf Heß als „Stellvertreter des Führers", Karl Dönitz als „Letzter Reichspräsident" und Konstantin von Neurath als „Reichsprotektor von Böhmen und Mähren" aufgeführt worden sind. Herr Kollege Jahn, ich glaube, die Bundesregierung hat einen sehr guten Grund gehabt, diese sogenannten Titel in diesen Bericht aufzunehmen; denn der Bericht findet nicht nur Beachtung und ein Echo in unserem deutschen Volk, sondern weit darüber hinaus im ganzen Ausland, und deshalb scheint es mir notwendig zu sein, daß man ganz klarstellt — —Lachen bei der SPD. — Abg. Jahn meldetsich zu einer Zwischenfrage.)— Einen Augenblick, Herr Jahn; ich möchte erst meine Ausführungen zu Ende bringen. Ich gebe Ihnen dann gern Gelegenheit zu Ihrer Frage.Ich sage: es scheint mir notwendig zu sein, daß mit diesen sogenannten Titeln nach außen hin kundgetan wird, in welcher Weise bereits Unrechtstaten im deutschen Volk gesühnt wurden oder vor der Sühne stehen. — Davon, Herr Kollege Jahn, haben Sie leider nicht allzuviel in Ihren Ausführungen gebracht, daß nach diesem Bericht die deutschen Gerichte schon einen großen Teil dieser ungeheuerlichen Unrechtstaten abgeurteilt und die Täter der gerechten Strafe zugeführt haben.Noch ein letztes, Herr Kollege 'Jahn.
— Sofort nach diesem Satz. Noch ein Wort möchte ich Ihnen sagen. Sie haben hier folgendes gesagt: „Ich hoffe sehr, daß niemand in diesem Hause, aber auch wirklich niemand, das Bedürfnis hat, sich hinter rechtsstaatlichen Bedenken, etwa mit anderen Motiven, zu verstecken."
— Sehr wahr! — Aber, Herr Kolege Jahn, aus diesem Satz klingt schon in etwa der Verdacht heraus, daß hier Kollegen, daß hier Parlamentarier säßen, die sich von anderen Gesichtspunkten als den Gesichtspunkten ihres Gewissens leiten ließen. Gleichwie die Entscheidung gefällt werden sollte, jeder ist hier seinem Gewissen unterworfen.
— Ich habe zuviel da, was Sie betrifft.Sie haben gesagt: „Ich fürchte, wir würden die Rolle der Juristen in dieser Auseinandersetzung verkennen, wenn es nicht ihr Auftrag wäre, dabei zu helfen, eine Lösung zu finden, und nicht das Gegenteil zu tun." Herr Kollege Jahn, die Aufgabe des Juristen kann hier nur im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit und unseres Grundgesetzes bestehen. Wenn jene, die eine Verlängerung oder eine Aufhebung der Verjährungsfrist für möglich halten, entsprechend votieren, so respektiere ich diese Ansicht. Es muß aber auch eine gegenteilige Auffassung von allen anerkannt werden, — so wie das hier in diesem Hause üblich ist. Wir müssen Achtung voreinander haben.
Also endlich die Zwischenfrage!
Bitte, Herr Kollege Jahn; es eilt Ihnen ja sehr.
Herr Kollege Dittrich, nachdem Sie mich so lange haben warten lassen, darf ich gleich eine Doppelfrage stellen.
Erstens wüßte ich nach Ihren letzten Ausführungen gern, ob Sie mit dem Herrn Kollegen Benda darin einer Meinung sind, daß die Gefahr bestehen könnte, daß der eine oder andere mit Stimmungen Stimmen machen will.
Die andere Frage — nachdem Sie selber von den „sogenannten Titeln" gesprochen haben —: Darf ich davon ausgehen, daß Sie mit mir in der Kritik an der Abfassung des Berichts der Bundesregierung übereinstimmen, oder was hat Sie sonst veranlaßt, von den „sogenannten Titeln" zu sprechen?
Die erste Frage, Herr Kollege Jahn, möchte ich mit einem glatten Nein beantworten.Die zweite Frage scheint mir bei dieser Problematik nur von untergeordneter Bedeutung zu sein. Wie Sie hier auf dieses Podium gehen und den Versuch unternehmen können, an dieser, ich möchte fast sagen, Nebensächlichkeit zu mäkeln, ist mir nicht ganz klargeworden.
Es geht um die rechtsstaatlichen und um die rechtspolitischen Grundsätze, die hier zu beachten sind. Ich persönlich bin der Ansicht, daß wir eine Lösung finden müssen, die mit dem Rahmen unserer Rechtsgrundsätze vereinbar ist. Ich bitte deshalb, einmal zu prüfen — und das sage ich von mir aus —, ob die Anregung des Altbundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer nicht aufgegriffen werden kann, daß man den Beginn der Verjährung anders setzt, als wir ihn
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Dr. Dittrichim gegenwärtigen Zeitpunkt gesetzt haben. Isst es denn in den Monaten nach dem 8. Mai 1945 schon möglich gewesen, derartige Unrechtstaten durch deutsche Gerichte abzuurteilen, oder war das erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich? Das zu überprüfen wird meines Erachtens unser aller Aufgabe sein. Seien wir uns bei der Frage der Aufhebung oder einer Verlängerung der Verjährung darüber im klaren, daß wir hier nur eine irdische Gerechtigkeit üben können und daß es für den Richter und für die Gerichte außerordentlich schwierig sein wird — um so schwieriger, je länger die Unrechtstat zurückliegt —, ein gerechtes Urteil zu fällen! Ich habe die große Sorge, daß, je länger diese Unrechtstaten zurückliegen, Beweisschwierigkeiten auftreten und es dadurch zu Freisprüchen kommt, wo eigentlich eine Verurteilung am Platze wäre, weil der Richter nach dem Grundsatz in dubio pro reo wird urteilen müssen, ein Grundsatz, der von niemandem hier bestritten wird.Meine Damen und Herren, ich darf für meine Freunde der Landesgruppe der CSU folgende Erklärung abgeben:1. Die CSU-Landesgruppe weiß sich mit dem ganzen Deutschen Bundestag darin einig, daß alle während der NS-Zeit begangenen Verbrechen des Mordes nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geahndet werden sollen.2. Die CSU-Landesgruppe entnimmt dem Bericht der Bundesregierung, daß — entgegen der bisher vom Leiter der Zentralstelle in Ludwigsburg vertretenen Ansicht — die Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann, daß ohne gesetzgeberische Maßnahmen eine Anzahl von NS-Verbrechen ungesühnt bleibt.3. Trotzdem ist die CSU-Landesgruppe unverändert der Überzeugung, daß den Vorschlägen, rückwirkend noch laufende Verjährungsfristen zu verlängern, rechtsstaatliche und rechtspolitische Grundsätze entgegenstehen.4. Die Prüfung der Fragen, ab wann die deutsche Rechtspflege nach der Kapitulation in der Lage gewesen ist, NS-Verbrechen des Mordes zu verfolgen, zu untersuchen und abzuurteilen, und ob der Zeitpunkt des Beginns der Verjährungsfrist durch ein Gesetz entsprechend den Anregungen von Bundeskanzler a. D. Dr. Adenauer festgesetzt werden kann, ist innerhalb der CSU-Landesgruppe noch nicht abgeschlossen.Wir werden uns in der CSU-Landesgruppe bemühen, mit dem ganzen Hause zu einer Lösung zu kommen, die ohne Bedenken rechtspolitischer und strafrechtlicher Art eine gerechte Sühne denen bringt, die Unrecht in so großem Maße auf sich geladen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bundestagsdebatte kannin verschiedenen Richtungen und mit unterschiedlichen Zielen geführt werden. Sie kann den guten Sinn haben, gegensätzliche Meinungen einander gegenüberzustellen und stark zu profilieren. Sie kann aber auch den Sinn haben, sich nicht auseinanderzureden, sondern sich zusammenzureden. Ich begrüße das außerordentlich, was soeben Herr Kollege Dittrich gesagt hat, daß die Meinungsbildung in der Christlich-Sozialen Union noch nicht abgeschlossen ist. Denn das läßt uns 'doch noch einen Spalt Tür offen, zusammenzukommen. Ich bitte Sie, den Vorschlag meiner Fraktion, es als Grundgesetzänderung zu machen, auch ails das Angebot zu sehen, daß wir hier glauben, alle, die im Deutschen Bundestag Verantwortung tragen, müssen zusammenstehen.Das ist nicht nur eine Sache 'der Form, das ist auch eine Sache der Einigkeit der Nation. Wir wollen doch um Himmels willen nicht eine Nation werden, so wie es sie einmal gab: mit Schwarz-WeißRot und Schwarz-Rot-Gold; das sind die Verjährer, und das andere sind die Antiverjährer. Das können wir uns nicht leisten, und das wollen wir nicht.
Herr Kollege Benda hat in seiner so ausgezeichneten Rede gesagt: Leidenschaft hier, weil wir darunter litten. In der Tat, ich glaube, alle leiden wir hier. Es ist wohl kaum eine Entscheidung in den 16 Jahren Bundestag so schwer gewesen und so zum Leiden gewesen wie diese, was nicht .ausschließt, Herr Kollege Dittrich, daß man auch polemisiert.Daß das, was mein Kollege Jahn gesagt hat, destruktiv gewesen sei, möchte ich nicht stehenlassen; das werden Sie begreifen. Man kann auch polemisieren, und ich werde mich auch gezwungen sehen, mich an zwei wesentlichen Stellen vom Herrn Kollegen Barzel 'zu .distanzieren.Damit werde ich 'an einer Stelle gleich anfangen. Herr Kollege Barzel hat nicht ohne einen Unterton gesagt, in der CDU/CSU gebe es keinen Fraktionsantrag, denn es gehe um persönliche Entscheidungen. Bei den Freien Demokraten würde es, wie er hoffte, auch keine Fraktionshaltung geben. Die dritte Fraktion war dabei ausgespart. Wir kennen diesen Unterton. Deshalb darf ich Ihnen hier doch etwas aus der Vergangenheit erzählen. Wir haben um diese Frage hier schon vor 'fünf Jahren gerungen, als es um die Verjährung von Totschlag ging. Nicht erst damals habe ich mir meine Überzeugung gebildet, daß nachträglich eine Verlängerung der Verjährungsfristen durch einfaches Gesetz am 'Grundgesetz scheitern muß. Es gab geradezu ein Duell in meiner Fraktion zwischen Walter Menzel, unserem verewigten Kollegen, der in der SPD mein ältester Freund war, und mir. Denn wir haben seit 1934 in Berlin unter bei'dseiti'ger Lebensgefahr miteinander gearbeitet. Ich hatte die Akten, die aus seinem Büro heraus mußten, und er hatte die Papiere, die aus meinem Büro heraus mußten. — Als Menzel in der Bundestagsfraktion damals mit seiner Gruppe siegte — mit großer Mehrheit —, habe ich der Sozialdemokratischen Fraktion gesagt: Ich kann einfach im Plenum gegen den Fraktionsantrag stimmen, daran854AMetadaten/Kopzeile:
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Dr. Arndt
kann mich keiner hindern; dann könnt ihr mich hinterher beschimpfen, das läßt sich nicht ändern; aber .das ist nicht anständig, das ist keine sozialdemokratische Haltung. Ich kann auch wegbleiben; aber das ist nicht gerade sehr mutig in einer Frage, in der man meine Rechtsüberzeugung kennt; ich bitte die Fraktion, daß sie selber wünscht, daß ihr Mitglied Arndt gegen den Fraktionsantrag stimmt, weil sie weiß, daß es unüberwindliche verfassungsrechtliche Bedenken hat. Die Fraktion beschloß einstimmig: Du sollst gegen den Fraktionsantrag stimmen. Und das habe ich getan.
Also bitte, Herr Dr. Barzel, bringen Sie doch nicht solche Töne 'hier 'hinein, als ob es zwei Fraktionen gebe, in denen die persönliche Entscheidung geachtet werde, und eine, in der das nicht der Fall sei.
Uneinigkeit ist noch kein wechselseitiges Verständnis.
— Dann ist es sehr schön, wenn Sie es gar nicht gesagt haben. Aber Sie begreifen, daß wir empfindlich sind, denn wir kriegen oft solche — — Ich will mir einen Ausdruck verkneifen, denn ich möchte ja, daß wir uns zusammenreden. Ich werde Sie an einer anderen Stelle auch noch kritisieren müssen, was in aller Freundschaft geschieht.Nun sind wir bei der Rechtsfrage angekommen. Ich bin mit Herrn Kollegen Dehler völlig einig — und meine ganze Fraktion ist es mit mir —, daß natürlich an erster Stelle geprüft werden muß, ob etwas, was man will, auch rechtlich geht. Darüber ist in einem Staat gesitteter Art wie dem unseren gar kein Zweifel, und ich nehme an, daß im ganzen Haus niemand ist, der anders denkt. Aber eines hat mich doch in der Öffentlichkeit erschreckt, nämlich: daß immer wieder miteinander identifiziert wurden das juristische Ergebnis, zu dem einer kam, und die Frage der politischen Wünschbarkeit. Sie, Herr Kollege Benda, haben sich heute mit Recht dagegen gewehrt, daß man denen, die ein einfaches Gesetz für ausreichend halten, unterstellt, sie hätten die Verfassung im Sinne ihrer Willensvorstellungen manipuliert. Aber genauso ist es doch für denjenigen, der zu der Auffassung kommt, daß ein einfaches Gesetz nicht ,genügt. Das tut er doch nicht, weil er die Verlängerung nicht wünscht, sondern das tut er, weil er zunächst einmal seine Reverenz vor dem Recht macht. Rechtsauffassungen kann man sich nicht bilden je nachdem, ob man sie für wünschbar hält oder nicht für wünschbar hält. Denn dann wäre das ganze Recht nichts weiter wert als eine Attrappe. Dann wäre das Recht das, was man uns von östlicher Auffassung aus vorwirft.Aber ich muß jetzt einen deutlichen Unterschied in den Auffassungen zwischen Herrn Bundesminister Bucher und mir machen und mich da auch abgrenzen gegen einiges, was Herr Benda heute morgen gesagt hat. Herr Bucher hat geglaubt, ich hätte erklärt, dasRechtsstaatsprinzip müsse bei Art. 103 Abs. 2 besonders ernst genommen werden. Es wäre anmaßend, wenn ich von Herrn Bundesminister Bucher oder von sonst einem verlangen wollte, er sollte alles lesen, was ich geschrieben habe, zumal das wahrscheinlich viel zuviel ist. Aber wenn über meine Auffassungen gesprochen wird und sich einer darauf beruft, dann 'habe ich allerdings die Bitte, daß er sich an das hält, was ich wirklich gesagt und geschrieben habe.Ich habe mich in dieser Sache niemals auf das allgemeine Rechtsstaatsprinzip berufen, und noch niemals habe ich mich überhaupt auf das Prinzip der Rechtssicherheit berufen. Denn bei dem Prinzip der Rechtssicherheit habe ich eine vielleicht sehr einseitige Meinung. Ich habe einmal in einem Vortrag vor der Richterschaft in Braunschweig gesagt: Wenn in Ihren Beratungen das Wort „Rechtssicherheit" fällt, dann setzen Sie alle Alarmklingeln des Gerichts in Gang; denn dann sind Sie immer in Gefahr, etwas Ungerechtes zu tun und es mit der Sicherheit zu motivieren. Das ist meine Haltung zur Rechtssicherheit. Ich bin überzeugt, daß Sicherheit nur das Recht gibt, aber nicht umgekehrt, daß man das Recht hintanstellen könnte wegen irgendwelcher Sicherheitswünsche oder Sicherheitsvorstellungen.Hier beginnt die große Diskrepanz in der Auslegung des Art. 103 Abs. 2 zwischen Herrn Dr. Bucher, Herrn Kollegen Dehler und mir. Auf der einen Seite steht das Rechtssicherheitsdenken, wobei im Zweifel zugunsten der Ordnung optiert wird, und ein Denken, ,das zwar nicht bei Herrn Kollegen Dehler, aber leider bei der Bundesregierung zehn Jahre hindurch f zu einer Minimalisierung der Grundrechte führte, weil die Grundrechte .als gefährlich erscheinen. Seit zehn Jahren stehe ich beim Bundesverfassungsgericht im Kampf mit der Bundesregierung, die immer das rechtliche Gehör, den gesetzliche Richter, die Gemeindefreiheit, die Gewissensfreiheit und was es immer sei, durch die Stellungnahmen ihrer verschiedenen Ressorts zu minimalisieren sucht, während meine Auffassung die ist, daß den Grundrechten die optimale Wirkung zukommen muß, und zwar nicht als Sicherheits-, sondern als Freiheitsauslegung, daß der größte Grad an Freiheitskraft, den ein Grundrecht entfalten kann, zur Geltung gebracht werden muß.
Das ist bei mir der Grund, warum ich dem Art. 103 Abs. 2 diese Auslegung gebe, daß das Wort „Strafbarkeit" dort sehr viel mehr umfaßt als die bloße technische Strafe im Sinne des Strafgesetzbuches, daß es z. B. auch, was in der Literatur bestritten wird, die Sicherungsverwahrung umfaßt, die man wegen Art. 103 Abs. 2 nicht nachträglich anordnen kann. Also es gibt bei mir keine Berufung auf Rechtssicherheit, keine Berufung auf ein allgemeines Rechtsstaatsprinzip, sondern eine grundsätzliche Haltung zu allen Grundrechten überhaupt und deshalb in diesem Fall auch zu Art. 103 Abs. 2, .auch wenn darin die Gefahr liegt, daß das Mördern zugute kommt; denn ich bekenne mich dazu, daß in einem Verfassungsstaat ebensowenig wie die Opfer auch die Mörder aus der Hand des Rechts fallen
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8549
Dr. Arndt
können. Auch die Mörder stehen in einem Verfassungsstaat in der Hand des Rechts.
Meinen Standpunkt kennt meine Fraktion. Ich bin in der Minderheit. Aber meine Fraktion toleriert ihn, sie respektiert ihn. Wir suchen jedoch, da niemand von uns ein juristisches Orakel ist und keiner für sich die Unfehlbarkeit in Anspruch nehmen kann und auch die Zahl der Professoren es nicht ausmacht — denn auch Professoren kann man nicht gegenseitig aufrechnen —,
einen gemeinsamen Weg als Fraktion. Herr Barzel, das ist uns auch, Gott sei Dank, gelungen; denn, ich glaube, alle können den Weg gehen, daß wir hier das Grundgesetz in der einen oder anderen Form ändern.Nun ist Herr Kollege Dehler, den ich so hoch achte, wie er hier mit sich gerungen hat, der Auffassung gewesen, da es gegen die Rechtsstaatlichkeit sei, könne man das auch im Grundgesetz nicht machen. Nun, der grundgesetzändernde Gesetzgeber hat auch seine Grenzen. Das geht aus Art. 1 des Grundgesetzes hervor — er darf nichts machen, was gegen die Würde des Menschen verstößt —, und das geht aus der „Ewigkeitsgarantie", wie man es genannt hat, des Art. 79 des Grundgesetzes hervor, daß gewisse Grundsätze der Änderung entzogensind.Aber hier liegen doch nach meiner Auffassung, nach meiner höchstpersönlichen Auffassung die Dinge so: wenn man den Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes — womit ich ziemlich alleine stehe — so weit auslegt, daß man sagt, dieses Freiheitsrecht schütze sogar vor der nachträglichen Aufhebung einer vom Staat sich selbst gesetzten Zeitgrenze, muß man sehen, daß wir hier, wozu wir allen Grund hatten, mehr getan haben, als rechtsstaatlich notwendig wäre. Denn auch das Rechtsstaatsprinzip läßt ja doch einem Verfassungsgesetzgeber und einem verfassungsändernden Gesetzgeber einen erheblichen Spielraum. Zum Rechtsstaatsprinzip gehört z. B. die Gewaltenteilung. Sie wissen aber doch alle, daß die Gewaltenteilung in Großbritannien in der praktischen Verfassung völlig anders ist als in den Vereinigten Staaten und dort wieder anders als bei uns. Wenn hier in Bonn die Bundesregierung in den Bundestag integriert ist, so ist das nach amerikanischer Verfassungsauffassung eine grobe Abweichung vom Prinzip der Gewaltenteilung. Trotzdem wird doch niemand sagen, daß unsere Variante der Gewaltenteilung nun rechtsstaatwidrig sei. Das Rechtsstaatsprinzip als allgemeines läßt ja doch für die Konkretisierung in dem Leben einen erheblichen Spielraum, und hier ist es so, daß in der extremen Auslegung des Art. 103, zu der ich mich bekenne, weit mehr an Rechtsstaatlichkeit oder, sagen wir mal, an Begrenzung der Staatsmacht und an Selbstbescheidung des Staates getan ist, als ein Staat tun muß, um rechtsstaatlich zu sein.Dazu — ich möchte so gerne den Herrn Kollegen Thomas Dehler überzeugen — haben wir einen ganz klaren Beweis. Wir haben den Beweis in Art. 7 der römischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom Jahre 1950. Denn das, was wir im Art. 103 des Grundgesetzes als Begrenzung der Staatsmacht durch die Zeitgrenze haben, braucht nicht zu sein, um die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu wahren. Weil es darüber hinausgeht, hat die Bundesrepublik Deutschland, als wir diese Konvention ratifizierten, zum Art. 7 einen Vorbehalt gemacht — der zulässig ist — und gesagt: Aber unser Art. 103 geht darüber hinaus, also die Bestimmung, daß niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden kann, wenn die Strafbarkeit nicht vor der Tat gesetzlich bestimmt gewesen ist, also der berühmte Grundsatz des Verbots des Ex-post-factumGesetzes bei Strafsachen. Denn der Art. 7 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sagt in seinem zweiten Absatz ausdrücklich:Durch diesen Artikel darf die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war.Das ist die gemeinsame Überzeugung der gesitteten Welt, und in diesem Rahmen der gemeinsamen Überzeugung der gesitteten Welt halten wir uns, wenn wir der Form nach — nicht der Sache nach — sagen, daß für die Verfolgung der Mordverbrechen aus der Zeit seit 1933 eine längere Zeitgrenze gilt, und zwar nicht als Ausnahmegesetz, als Maßnahmegesetz, als Verfassungsdurchbrechung, sondern für immer, weil wir allgemein erkannt haben, daß die 20 Jahre für Mord überhaupt und für Völkermord erst recht zu kurz sind.Also wir weichen hier von keinem rechtsstaatlichen Prinzip ab, sondern wir befinden uns in Einklang mit einer Konvention, die die Überzeugungen der gesitteten, rechtlich denkenden Welt zum Ausdruck bringt.Meine verehrten Damen und Herren, wir müssen die Dinge doch auch einmal in der Perspektive lassen. Es wird hier — nicht mit böser Absicht; auch besonders unser Kollege Thomas Dehler hat das ja nicht so gemeint — so diskutiert, daß es, wenn man es hört, den Anschein macht, als ob denen, die wegen ihrer Beteiligung am Völkermord und am Massenmord jetzt überführt werden, nachträglich irgendein ganz besonders schweres Übel zugefügt werden solle, als ob etwa Gefängnisstrafen in Zuchthausstrafen verwandelt werden sollten oder als ob nachträglich die Sicherungsverwahrung geschehen sollte oder was weiß ich. Was ist denn die Wirklichkeit? Die Leute hatten nach damals geltendem Recht ihren Kopf verwirkt. Das ist die Wahrheit.
Dieser Kopf wurde ihnen vom Bonner Grundgesetzgeschenkt. Das Grundgesetz, das ihnen den Kopf
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Dr. Arndt
geschenkt hat, kann doch weiß Gott auch noch sagen, ohne daß wir gegen rechtsstaatliche oder menschenrechtliche Grundsätze verstoßen: Wir brauchen etwas länger Zeit dazu, das hier noch strafrechtlich zu verfolgen. Denn andernfalls käme man doch auf die berühmte Goebbelsche Tür, die er hinter sich zuknallen wollte, daß es durch die Weltgeschichte hallen sollte, und dann könnten doch in Zukunft diese Täter denken: „Je mehr Morde wir machen und je größer das Chaos ist, das wir anrichten, um so weniger Zeit werden die anderen nachher finden, das abzuurteilen."
Das kann doch kein Gesichtspunkt sein. Das kann doch kein Gesichtspunkt sein!Sosehr ich mich also zu der Auffassung bekenne, daß nach geltendem Recht beim Bonner Grundgesetz eine bloße nachträgliche Verlängerung der Verjährungsfrist durch einfaches Gesetz an der selbstgesetzten Grenze scheitert, eine Auffassung, von der ich für meine Person nicht um Haaresbreite abgehe, auch nicht, wenn wir vom Ausland her noch so sehr kritisiert werden, bin ich der vollen Überzeugung, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber befugt ist, hier eine Regelung zu treffen. Denn er hat eine andere Legitimation. Das ist doch nicht nur eine Formsache. „Verfassungsändernder Gesetzgeber" — daß wir eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern haben müssen — heißt ja doch, daß die Nation einig sein muß und sich dahin einigt und daß alle auf dem Boden der Verfassung dahinterstehen.Und wenn wir nun hier bei der Frage sind — de lege ferenda —, ob wir die Verfassung ändern sollen, um einen doch allseits erkannten Mißstand — und da bin ich sehr dankbar, daß Herr Kollege Dittrich das auch für die CSU gesagt hat — jetzt rechtmäßig zu ordnen, dann sind legitim auch politische Gesichtspunkte angebracht. Denn ob wir eine Verfassungsneuschöpfung machen, ist auch eine politische Frage und ist auch eine Frage — Sie haben ein schönes Wort gesagt, Herr Dr. Barzel: „Wir wollen, daß Deutschland keinen Schaden nimmt" —, wo wir auch, ich sage das in aller Offenheit, eine Weltmeinung legitim beachten können, wenn wir sie für richtig halten. Das ist nach meiner Auffassung so der Fall. Ich glaube, wir haben nicht Anlaß, uns, wie das manche tun, so ungeheuer in die Brust zu werfen, als ob uns niemand in der Welt draußen etwas sagen könnte. Ich hoffe, daß ja auch draußen in der Welt in der Kritik, die weit über das Ziel hinausschießt und manchmal hart ist, doch ein gewisses Verlangen nach Solidarität mit uns mitschwingt. Ich möchte an dieser Stelle meiner Dankbarkeit dafür Ausdruck geben, daß die Sprache des Ministerpräsidenten Eschkol von Israel und überhaupt die Sprache aus Israel und die Sprache polnischer Autoren die gemäßigste in der ganzen Welt ist; aus einem sehr einfachen Grunde; weil das die beiden Völker sind, die am meisten gelitten haben. Wer am meisten gelitten hat, der zeigt in der Regel auch das meiste Verständnis, während die, die nicht gelitten haben, sich oft dem Verständnis verschließen.Hier ist es also nicht so, wie Herr Kollege Dehler meint, daß irgendein Naturrecht der Rechtsstaatlichkeit entgegenstünde. Auch die Erwägungen, die dazu von ihm angestellt worden sind, sind für mich in keiner Weise überzeugend. Herr Kollege Dehler sagt „der Staat". Ja, meine Damen und Herren, „der Staat" ist ein Abstraktum, und dahinter sollte man sich nicht verbergen. Es sind Menschen gewesen, die damals als Staat handelten, und es sind Menschen, die heute als Staat handeln.So richtig sonst der Gedanke ist, den Herr Kollege Dehler in die Debatte geworfen hat, indem er fragte: Was hat ein Beschuldigter heute noch mit der Tat zu tun? Gewiß, so etwas gibt es. Wir haben in Hessen einen Fall von Synagogenbrandstiftung gehabt. Der Täter wurde gleich in den eisten Jahren, 1946/47, abgeurteilt und zu einer mit Recht milden Strafe verurteilt, obgleich Brandstiftung an Gotteshäusern ein sehr schweres Delikt ist. Der Mensch war 17 Jahre alt, als er die Brandstiftung mitmachte, war SA-Mann, war da mitgelaufen, es war nett gewesen — ein uniformierter Haufen und abenteuerlich —, und als er abgeurteilt wurde, hatte er sechs Jahre Krieg hinter sich, ein Bein amputiert, war verheiratet, hatte zwei Kinder und war weit entfernt von den Streichen, die er 1938 gemacht hatte. Das gibt es, und das ist ein Gedanke, der bei der Verjährung mitschwingt. Aber wieder müssen wir doch, Herr Kollege Dehler, hier in der Perspektive bleiben. Ein Mann, der vor den Augen der Mutter einen Säugling an den Füßen nimmt und mit dem Kopf am nächsten Eisenpfahl zerschmettert, —ein Mann, der 20 000, 30 000 Menschen füsilieren läßt oder das mitmacht, — ein Mann, der seinen Hund darauf dressiert, daß er den Gefangenen die Geschlechtsteile zerfleischt, und dann wird der Gefangene irgendwie auf die grausamste Weise zu Tode gebracht, — ein Mann, der dabei mitwirkt, daß die Gefangenen sich an die von ihnen selbst aufgeworfene Grube knien müssen, dann bekommen sie den Genickschuß, und dann kommt die nächste Lage hinein, so daß noch tagelang die Blutfontäne aus diesem Massengrab spritzte, — da kann man nicht sagen: Was hat der Mann heute noch mit seiner Tat zu tun?
Diese Taten sind allerdings keine Kriegsverbrechen. Diesen Hinweis habe ich bei Ihnen vermißt, Herr Kollege Dittrich. Ich hätte es gern gesehen, wenn klargeworden wäre, daß wir uns alle darin einig sind, daß das keine Kriegsverbrechen sind. Kriegsverbrechen sind Exzesse aus der Erregung der Kampfhandlung oder auch aus einem Übertreiben der Generalität oder der Admiralität, die etwas plant. Die Zerstörung Dresdens z. B. war ein großes, sehr schweres Kriegsverbrechen, aber doch immerhin im Zuge eines Eifers für den Sieg. Das hat hiermit doch gar nichts zu tun. Wir haben ja keinen Krieg gegen die Katholische Aktion geführt, wir haben keinen Krieg gegen die Bekennende Kirche geführt, wir haben keinen Krieg gegen die Schwachsinnigen, die Bettnässer, die Geisteskranken in den Heilanstalten geführt, und wir haben auch keinen
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Dr. Arndt
Krieg gegen jüdische Frauen, Schwangere, Kinder, Säuglinge, Greise und Männer geführt. Das hat mit Krieg gar nichts zu tun, das war eine eiskalt unter Einsatz der ganzen Staatsmaschinerie geplante, überlegte Mordaktion.
Mit Kriegsverbrechen hat das gar nichts zu tun, darüber sollte sich doch das Haus einig sein.Ich bin jetzt aber etwas aus dem Gedankengang herausgekommen. Ich sprach davon, daß diese Taten, die keine Kriegsverbrechen sind, das Gemeinste an kriminellem Mord sind, was je geschehen ist, daß sie so furchtbar und so grausig sind, daß man nicht fragen kann, ob ein Beschuldigter heute noch mit der Tat etwas zu tun hat.Etwas ganz anderes ist, Herr Kollege Dehler — und da sind wir einig —, daß es sehr viel schwieriger ist, angesichts der geschichtlichen Offenkundigkeit der objektiven Taten nun punktuell dem einzelnen seine individuelle Beteiligung, seine Gesamtsituation, sein eigenes Denken, sein eigenes Handeln dabei nachzuweisen. Das ist sehr schwer, und das führt dann zu oft unbefriedigenden Urteilen, bei denen ich aber auch von dieser Stelle aus die Richterschaft in Schutz nehmen will. Wer je Richter war, weiß, wie furchtbar schwierig es ist, sich die Überzeugung von der Wahrheit zu bilden in Fällen, die so undurchsichtig sind, wie es hier die einzelne Beteiligung ist. Im übrigen sind es meistens die Geschworenen, die ja allein entscheiden können. Denn die Geschworenen allein können verurteilen, ohne daß die drei Berufsrichter mitwirken, und die Geschworenen können allein freisprechen gegen die drei Berufsrichter. Die drei Berufsrichter sind immer in der unerheblichen Minderheit. Es sind weit mehr die Geschworenen als die Berufsrichter.Es kann also in einer Reihe von Fällen herauskommen, daß wir unbefriedigende Freisprüche bekommen. Da sollten wir uns jetzt schon vornehmen, daß wir der Justiz zur Seite stehen. Denn die Justiz wird, wenn es, wie ich hoffe, zu einer Neuregelung der Verjährung kommt, vor eine schwere Aufgabe gestellt sein.Diese Tätigkeit der Justiz wird uns auch nicht davor bewahren, daß es uns als Schicksal aufgegeben ist, mit Mördern zu leben. Es ist mir eine Ehrenpflicht, den Herrn Bundesjustizminister davon zu entlasten. Er hat die Angriffe wegen dieser Äußerung auf sein Haupt gezogen. Ich möchte sie hiermit auf mein Haupt ziehen. Denn ich habe das gesagt, allerdings nicht in dem Sinne, den man daraus gemacht hat: „Was macht das schon? Wir müssen uns daran gewöhnen, auch mit ein paar Mördern zu leben" ; das habe ich nicht gesagt. Ich habe damit gemeint und hoffte, es zum Ausdruck zu bringen, daß es uns als Schicksal, als Buße und als Strafe auferlegt ist — und so hat es auch Herr Dr. Bucher verstanden —, mit Mördern leben zu müssen. Denn auch, wenn wir sie hinter die Mauern bringen, sind sie noch unter uns da, und so oder so werden wir niemals alle hinter Mauern bringen. Es laufen einige der ganz großen Massenmörder, leichtfertig von den Besatzungsmächten nach kurzer Zeit entlassen, unter uns herum.Meine Damen und Herren, das sind die Gründe, aus denen wir bitten, im Ausschuß zu prüfen, ob nicht der von uns gezeigte Weg für alle gangbar ist und auch jeden rechtlichen Zweifel ausschließt. Denn — das hat hier niemand gesagt, auch Herr Dehler nicht, aber ich möchte es doch noch einmal klarstellen — die Verjährungsvorschriften bedeuten keinen Pakt des Staates mit dem Verbrecher. Sie bedeuten eine weise Selbstbeschränkung des Staates, der sich die Zurückhaltung einer Zeitgrenze auferlegt. Aber die Zeitgrenze, die hier in Betracht kommt, ist dabei keineswegs unmenschlich oder unrechtsstaatlich. Wir schließen uns nur dem an, was in angelsächsischen Ländern schon seit langer Zeit gang und gäbe ist.Vielleicht führt diese uns alle so aufregende und aufwühlende Debatte auch dazu, daß jene Ereignisse, mit denen wir uns jetzt abquälen müssen, mehr noch in die Mitte unseres öffentlichen und unseres persönlichen Lebens gerückt werden. Es ist hier so etwas leichthin gesagt worden, das alles kehre doch nicht wieder. Niemand kann in der Geschichte für irgendein Volk die Hand ins Feuer legen, daß Massaker nicht wieder vorkommen. Die Weltgeschichte ist erfüllt von Gemetzeln schlimmster Art.Ich muß hierbei etwas zur Sprache bringen, was mir peinlich ist, aber ich halte es für meine Pflicht. Wir können schon aus .dem Grunde leider Gottes nicht sagen, das alles wiederhole sich nicht, weil hier bei uns in Deutschland Zeitungsblättchen erscheinen .wie 2. B. die „Nationalzeitung", bei der aus jeder Zeile der giftigste Antisemitismus schwitzt.
Wenn dieses Blatt erscheint und die unverschämt freche Überschrift „Erpreßt in alle Ewigkeit" hat, womit also das Verhältnis von Israel zu uns gemeint ist, wenn es seinen Artikel über den „Juden Ludwig Rosenberg" — wie es schreibt — bringt, dann ist das genau die Sprache, die wir Älteren aus der Weimarer Zeit kennen.
Damals hieß es: „Stecht ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!" Nun, etwas vorsichtiger ist man. Aber was in der „Nationalzeitung" steht, das ist die Sprache der potentiellen Mörder von morgen.
Wenn es je etwas Ehrenloses gab, etwas bis in den letzten Winkel des Schmutzes der eigenen Seele Verlumptes, dann ist- das diese ehrlose Haltung solcher Blätter. Das will ich einmal hier gesagt haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen und mich da noch einmal mit einer
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Dr. Arndt
der distinguierten Formeln des Herrn Kollegen Barzel auseinandersetzen. 'Hoffentlich zitiere ich Sie nicht falsch. Ich kann Sie nicht wörtlich zitieren, und ich will Ihnen kein Unrecht tun. Aber ich hatte so etwas bei Ihnen das Gefühl einer Distinktion zwischen der These „es gibt keine Kollektivschuld" und und „wir tragen keine Kollektivschuld" auf der einen Seite und auf der anderen Seite Ihrer bejahten Forderung nach der Aburteilung krimineller Verbrechen einzelner. Diese Distinktion geht nicht ganz auf. Einig sind wir uns darüber, daß es keine Kollektivschuld gibt. Der erste, der den Vorwurf der Kollektivschuld zurückwies, war das verewigte Mitglied dieses Hauses Dr. Kurt Schumacher. Schuld gibt es nur persönlich. Es gibt darum keine Kollektivschuld des deutschen Volkes. Am allerwenigsten gibt es eine Kollektivschuld, welche diejenigen mit einbezieht, die überhaupt noch gar nicht geboren waren, als sich das Unheil ereignete.
Weshalb ich diese Distinktion nicht mitmache, hat folgenden Grund: weil es Schuld nicht nur als kriminelle Schuld gibt. Es gibt auch geschichtliche und moralische Schuld.
— Bitte schön!
Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Gestatten Sie mir sofort eine Bemerkung, Herr Kollege Arndt, damit kein Mißverständnis entsteht. Ich habe auch von persönlicher Schuld gesprochen, selbst beim politischen Irrtum, und habe auch eine Distinktion, wie Sie es nennen, angebracht.
So, dann bin ich dankbar, dann werden wir sogar einig sein; denn woran mir lag, ist, daß das Recht auf den politischen Irrtum keinen Freibrief von geschichtlicher und moralischer Schuld bildet.
— Nein, in keiner Weise justitiabel!
Das ist außerordentlich wichtig. Das müssen wir vorallen Dingen auch unseren jungen Menschen sagen.Lassen Sie mich mit einer Erinnerung schließen, die zugleich das zum Ausdruck bringt, was ich jetzt noch zu sagen habe, nur noch für mich ganz persönlich sagen und damit in keiner Weise die sozialdemokratische Fraktion oder Partei belasten kann. Der Krieg neigte sich seinem Ende zu, als mich in Marklissam in Schlesien, wo damals meine Familie lebte, der evangelische Geistliche . aufsuchte, ein Pommer, ein Mann wie ein Baum, ein Mann der Bekennenden Kirche, und mir sagte: „Da wirft man immer unserer Kirche vor, daß sie ,für die Sünden die Höllenstrafen predige, unmenschliche Höllenstrafen verheiße." Ob ich denn wohl glaube, wollte der Pastor von mir wissen, daß für die Verbrechen, die jetzt geschähen, die Höllenstrafen, wie sie in der Kirche gelehrt worden seien, ausreichten. Ich habe 'die Frage nicht 'beantworten können, ich kann sie heute nicht beantworten. Aber diese an mich damals gerichtete Frage beweist erstens einmal, wie persönlich ,das Stellungnehmen dazu ist. Sie beweist zweitens, wieviel wir damals wußten, daß wir alles Wesentliche wußten. Wir wußten in Marklissan, ,daß aus der Pflegeanstalt Hephata die Schwachsinnigen und Verkrüppelten abtransportiert und ermordet wurden. Das wußte man! Und es gab genügend Urlauber aus den 'besetzten Ostgebieten, namentlich Landesschützen, die unter Tränen ihrer Frau, ihrer Mutter, ihren Angehörigen berichtet haben, was sie in Polen mit ansehen müßten, und sie könnten doch nichts dagegen tun. Das Wesentliche wurde gewußt.Ich halbe einmal bei der evangelischen Jugend von Baden in Herrenalb sprechen müssen. Da hatte vor mir ein evangelischer Theologe gesprochen und gesagt, das hätten wir alles nicht gewußt. Ich habe damals den jungen Menschen sagen müssen: Wenn eure leibliche Mutter auf dem Sterbebett liegt und sie schwört bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden auf die Bibel, daß sie nichts gewußt hat, dann sage ich euch: Die Mutter bringt's nur nicht über die Lippen, weil es zu furchtbar ist, das gewußt zu haben oder wissen zu können, aber nicht wissen zu wollen.
— Das ist meine Überzeugung. Ich spreche da nicht für die Sozialdemokratische Partei. Das müssen wir in ,dieser 'Sache sehen. Wir müssen sehen, wie furchtbar das für uns war.Deshalb komme ich jetzt zu meinem ganz persönlichen Bekenntnis, das ich Ihnen sage: Ich weiß mich mit in der Schuld. Denn sehen Sie, ich bin nicht auf die Straße gegangen und habe geschrien, als ich sah, daß die Juden aus unserer Mitte lastkraftwagenweise abtransportiert wurden. Ich habe mir nicht den gelben Stern umgemacht und gesagt: Ich auch! Es hat eine Ausnahme gegeben. Das waren die Frauen von Berlin, die nichtjüdischen Frauen der jüdischen Männer, die bei einer Aktion in die StaatspolizeiLeitstelle Große Hamburger Straße gebracht wurden, wo am nächsten Morgen spontan und unverabredet alle diese Frauen erschienen — sie wußten gar nicht, was sie wollten, ob sie mitreisen wollten oder ob sie bitten wollten —, in so großer Zahl, daß diese Frauen von Berlin ihre Männer tatsächlich herausgebracht haben. Aber ich weiß mich mit in der Schuld. Ich kann nicht sagen, daß ich genug getan hätte. Ich weiß nicht, wer das von sich sagen will. Aber das verpflichtet uns, das ist ein Erbe.Meine Damen und Herren, ich sage das hier auch gegenüber dem Ausland. Denn so legitim beachtlich ich es erklärt habe, auf das Ausland zu hören, wenn es seine Solidarität mit uns wieder wünscht und ungern sieht, daß wir mit solchen Dingen nicht fertig werden, so gibt es auch umgekehrt eine Solidarität. Ich habe jahrelang als Anwalt Menschen zu helfen versucht, die auswandern wollten, und habe gesehen, wie von Jahr zu Jahr die Schweiz und Holland
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und Belgien und England und die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Tore mehr zugemacht haben. Je schlimmer die Reden von Hitler und je stärker seine Drohungen wurden, um so unbarmherziger wurden die Tore geschlossen. Das ist am meisten geschehen nach dem 8./9. November 1938, den man doch nicht, Herr Bundesjustizminister, als „sogenannte Reichskristallnacht" bezeichnen sollte. Das ist ein blutiger Berliner Witz gewesen, weil man sich damals anders nicht zu helfen wußte. Aber man sollte doch heute ein Pogrom ein Pogrom nennen und nicht anders.
Da hat man die Türen zugemacht und hat die Mitschuld auf sich geladen für Zehntausende und Aberzehntausende von Menschen, die hätten gerettet werden können, wenn die gesittete Welt gesagt hätte: Kommt, ihr könnt bei uns Asyl finden! — Auch das will ich hier zum Ausdruck bringen. Wir alle haben dieses Erbe.Ich habe vorhin gemerkt: ich habe einiges als ganz persönliches Bekenntnis gesagt, was Ihnen zu weit gegangen ist, Sie erregt hat. Aber verstehen Sie bitte: In dieser Sache muß das Herz sprechen, da kann man sich kein Blatt vor den Mund nehmen.
Da muß der Kollege Dehler sagen können, er ist aus den und den Gründen dagegen, und ich muß Ihnen hier das Letzte auf den Tisch des Hauses legen, was in meinem Kopf als meine Überzeugung ist. Um das Erbe müssen wir allerdings wissen.Den jungen Leuten soll gesagt sein: Ein Volk lebt doch nicht punktuell, es lebt doch als Geschlechterfolge, und man kann doch nicht sagen: Ich war noch nicht geboren, dieses Erbe geht mich gar nichts an.Was haben wir zu tun? Wir haben nicht nur daran zu denken, daß der Gerechtigkeit wegen, auf die wir uns berufen, die überführten Mörder abgeurteilt werden sollen, sondern wir haben auch den Opfern Recht zuteil werden zu lassen schon allein durch den richterlichen Ausspruch, daß das hier ein Mord war. Schon dieser Ausspruch ist ein Tropfen, ein winziger Tropfen Gerechtigkeit, der doch zu erwarten ist zur Ehre aller derer, die in unbekannten Massengräbern draußen in der Welt liegen. Nicht daß wir Jüngstes Gericht spielen wollen; das steht uns nicht zu. Nicht daß es hier eine iustitia triumphans gäbe! Es geht darum, eine sehr schwere und im Augenblick leider noch ganz unpopuläre Last und Bürde auf uns zu nehmen. Es geht darum, daß wir dem Gebirge an Schuld und Unheil, das hinter uns liegt, nicht den Rücken kehren, sondern daß wir uns als das zusammenfinden, was wir sein sollen: kleine, demütige Kärrner, Kärrner der Gerechtigkeit, nicht mehr.
Herr Kollege Arndt, ich möchte Ihnen den Dank des Hauses dafür aussprechen, daß Sie den Mut gehabt haben, eine
Untat in diesem Haus präzis beim Namen zu nennen und etwas, was uns in diesem Abschnitt der deutschen Entwicklung zur Unehre gereicht, in diesem Haus so anzugreifen, wie sich das für einen freiheitsliebenden und rechtschaffenen Abgeordneten gehört. — Das bezieht sich auf die Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt über eine deutsche Zeitung, die hier mit Namen genannt worden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussprache des heutigen Tages hat das für uns alle ermutigende und vielleicht teilweise überraschende Ergebnis gehabt, daß das Haus, die Vertretung des deutschen Volkes, in seinem grundsätzlichen Anliegen einig ist. Die ominösen Voraussagen, es werde sich herausstellen, daß ein Teil von uns versuchen werde, das zu decken, was einmal geschehen ist, haben sich nicht bestätigt. Ich glaube, wir sind es uns selber schuldig, das mit allem Nachdruck zu sagen. In einer solchen Situation fällt es nicht ganz leicht, eine Auseinandersetzung zu führen. Ich glaube, im Grundsatz sind wir aber so einig, daß wir es uns leisten können, das eine oder andere in dieser Form noch miteinander auszutragen.Ich will mein Bedauern hier nicht auch noch aussprechen über die Form, in der Kollege Jahn — ein sonst von uns geschätzter Kollege — seine Ausführungen gemacht hat. Unser Freund Benda hat das Notwendige hierzu in hervorragender Form gesagt; wir sind ihm dafür dankbar, dankbar für die Initiative, mit der er diesen Gesetzentwurf eingebracht hat, und wir sind ihm dankbar für die ausgezeichnete Form, in der er dieses Gesetz vertreten hat. Ich bin aber auch dankbar für die wirkungsvolle Form, in der er dem Kollegen Jahn gegenüber unseren Standpunkt kurz und klar wahrgenommen hat.Wenn ich aber das Wort zu einer Auseinandersetzung ergreife, so muß ich leider den Herrn Bundesjustizminister ansprechen. Herr Bundesminister, Sie haben in Ihrem Bericht als Auffassung der Bundesregierung wiedergegeben, die Bundesregierung werde den Deutschen Bundestag in dem Bemühen unterstützen, bei Wahrung der Rechtsstaatlichkeit eine Lösung zu finden, die der Gerechtigkeit Genüge tue. Herr Bundesminister, Sie sind uns diese Unterstützung schuldig geblieben. Wir haben von Ihnen sicherlich sehr ehrliche und wohl auch sehr sorgfältig durchdachte Einwendungen gegen die Verlängerung der Verjährungsfrist gehört, aber von einer Unterstützung unseres Bemühens, nun eine Lösung dieses schwierigen Problems zu finden, haben wir nichts vernommen. Ich bedaure, daß gerade der zuständige Ressortminister diese Zusage der Bundesregierung bisher nicht erfüllt hat.
Wir müssen das um so mehr bedauern, als Ihrerechtliche Auffassung, die wir respektieren und die
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Dr. Dr. h. c. Friedensburgsich mit derjenigen des Kollegen Dehler deckt, von einer großen Zahl von uns nicht geteilt wird. Wir hätten von dem Bundesjustizminister erwartet, daß er sich nun doch mit der anderen Auffassung in irgendeiner Form auseinandersetzen würde. Sie habe ja selber zugeben müssen, daß Ihre Auffassung von einem großen Teil der Rechtswissenschaftler nicht geteilt wird. Wenn man das gehört hat, kann man den Kollegen Dehler verstehen, der sogar der Ansicht ist, daß überhaupt kein Richter ein solches Gesetz, wie es hier vorbereitet wird, anerkennen würde, ja daß er nicht einmal eine Verfassungsänderun g anerkennen würde. So weit und so radikal sind die Auffassungen der beiden Herren.Ich wiederhole, daß das nicht der Standpunkt der Mehrheit der Rechtswissenschaftler ist. Aber angesichts der Zweifelhaftigkeit des Problems, angesichts der Dringlichkeit und der Ernsthaftigkeit unseres Bemühens um eine Lösung können wir uns nicht damit begnügen, von Ihnen nur Gegenargumente zu hören, das um so weniger, Herr Minister— und das möchte ich gerade auch an die Adresse des Kollegen Dehler sagen —, als die Judikatur der höchsten Gerichte Ihnen ja nicht recht gibt.Ich weiß nicht, Herr Kollege Dehler, ob Sie als „alter" Bundesjustizminister die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. April 1952 kennen.
— Gestatten Sie, daß ich diese Ausführungen zu Ende bringe; dann bin ich gern bereit, Rede und Antwort zu stehen. Ich zitiere diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs — Urteil vom 22. April 1952, I — 622/51 —:Die Länge der gesetzlichen Verjährungsfrist ist nichts, worauf der Täter, der das Strafgesetz verletzt hat, einen unabänderlichen, verfechtbaren Anspruch gegen den Staat besäße.
Ihre spätere gesetzliche Verlängerung verletzt das Verbot rückwirkender Bestrafung nicht.Meine Damen und Herren, das hat der Bundesgerichtshof 1952 so festgestellt.Das Bundesverfassungsgericht hat ein halbes Jahr später, in einem Urteil vom 18. September 1952 —I — 612/52 —, folgendes gesagt:Art. 103 Abs. 2 steht einem Gesetz, dais die Bestimmungen über die Hemmung von Strafverfolgungsverjährung mit Wirkung auch für bereits begangene Taten ergänzt, nicht entgegen.Angesichts dessen wundere ich mich, wie man den Mut haben kann, unser Bemühen als von vornherein rechtlich unwirksam zu erklären.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Bitte!
Herr Kollege Professor Dr. Friedensburg, ist Ihnen bei Ihrer Kritik an ,dem Herrn Bundesjustizminister nicht bekannt, daß das Bundeskabinett am 5. November vergangenen Jahres entschieden hat, eine Verlängerung der Verjährungsfrist sei mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren, und daß dieser Beschluß des Bundeskabinetts bis heute nicht abgeändert worden ist?
Ich muß Ihnen gegenüber feststellen, Herr Kollege, daß mir das Gegenteil bekannt ist. Mir ist bekannt, daß das Bundeskabinett in einer neuen Entscheidung vom Februar dieses Jahres jenen Beschluß gefaßt hat, der in 'dem Bericht des Herrn Bundesjustizministers wörtlich wiedergegeben ist.
— Entschuldigen Sie, lesen Sie es doch nach! Dort steht:
Die Bundesregierung wird den Bundestag in seinem Bemühen unterstützen, eine Möglichkeit zu finden, die der Gerechtigkeit Genüge tut.
Angesichts dessen ist es doch wohl nicht unbillig, vom Herrn Bundesjustizminister irgendeinen Vorschlag zu erwarten, wie er uns diese Unterstützung leisten will.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege, wären Sie bereit, diese Zusammenhänge noch einmal genau zu überprüfen?
Ich sehe keinen Anlaß, ,das zu überprüfen. Aber wenn Sie glauben, daß da noch irgendeine Unklarheit besteht — ich habe nicht den Eindruck —, kann das selbstverständlich noch einmal geprüft werden. In dieser ernsten und wichtigen Frage kann man nicht gewissenhaft genug sein. Aber ich würde meinen, das Wort in dieser Sache ist beim Herrn Bundesjustizminister bzw. bei der .Bundesregierung, die uns ja diese Stellungnahme schuldig geblieben ist.
Um einen Augenblick bei diesem Punkt zu verweilen: Es handelt sich hier ja nicht um irgendeine formale oder formalistische Frage, sondern der Gedanke, daß Verjährung und Strafbarkeit nichts miteinander zu tun haben, ist doch ein Bestandteil unseres Rechtsbewußtseins. Ich bin in der nationalsozialistischen Zeit zweimal bestraft worden, einmal nach dem Gesetz für die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und das andere Mal wegen angeblichen fahrlässigen Landesverrats. In 'beiden Fällen handelte es sich um Bestimmungen, die bis
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Dr. Dr. h. c. Friedensburgdahin, als ich mich im Sinne der nationalsozialistischen Machthalber strafbar machte, noch nicht gegolten hatten. Aber ich habe nicht einen Augenblick gedacht, daß der Einwand, daß diese Vorschriften nachträglich erlassen waren, wichtig war. Wichtig war der Unrechtsgehalt dieser Gesetze, nicht jene formale Frage.Der Grundsatz „nulla poena sine lege", keine Strafe ohne Gesetz, hat doch nicht den Sinn, die Verjährungsfrist festzulegen oder zu zementieren. Vielmehr bedeutet er, daß der Täter nicht wegen eines Tatbestandes bestraft werden sollte, den er noch gar nicht für strafbar halten konnte.
Es kann doch nicht jemand deswegen von der Bestrafung ausgenommen werden, weil er seinerzeit noch nicht gewußt hat, ob die Verjährung nach 20 oder 30 Jahren eintritt. Ein anderes Denken wäre überspitzt und doktrinär; wir könnten es nicht akzeptieren.Wenn es etwa formelle Bedenken geben sollte, dann sind wir berufen, deren Ursache zu beseitigen.
Dafür sind wir hier zusammen. Im einzelnen wird sich dann der Rechtsausschuß damit zu befassen haben.
Vieles ist gesagt, und ich will die Geduld des Hauses nicht über Gebühr beanspruchen. Aber ein Punkt muß noch behandelt werden. Die öffentliche Meinung steht in dieser Frage sehr stark unter dem Druck der Auffassung, daß nun endlich mal Ruhe herrschen müsse; es müsse endlich einmal Schluß sein. Man dürfe diese schreckliche Last, die nun einmal auf unserem Volke ruhe, nicht auf unbegrenzte Zeit fortführen. Ich glaube, ich täusche mich nicht, daß ein gut Teil der Kritik und der Opposition gegen unsere Auffassungen und gegen unsere Vorhaben hier ihren Ursprung hat.Wer so denkt, unterliegt der verhängnisvollen Illusion, als wenn man durch eine Verjährungsfrist mit diesen leidigen Dingen Schluß machen könne. Das ist eine Verwechslung von Amnestie und Verjährung, die völlig unzulässig ist. Ein gut Teil dessen, was Kollege Dehler ausgeführt hat, beruht allein auf dieser Verwechslung. Wir könen eine solche Forderung doch nicht deshalb aufstellen, weil es heute schwer ist, Straftaten noch in allen Einzelheiten aufzuklären. Herr Kollege Dehler, es tut mir leid, ich halbe Sie so verstehen müssen, und ich konnte Sie auch nur so verstehen. Ihre Auffassung beruht auf der Verwechslung von Amnestie- und Verjährung. Wir haben doch einen großen, leider entsetzlich reichen Komplex von Straftaten, bei denen die Verjährungsfrist längst unterbrochen worden ist und wo wir die Prozesse in den nächsten Jahren noch abrollen sehen werden. Da steht der Richter vor all den Schwierigkeiten, die Sie so anschaulich -geschildert haben. Wenn das richtig ist, was Sie ausgeführt haben, Herr Kollege Dehler,dann müßten wir eine Amnestie beschließen. Dann l müßten wir sagen: es kann überhaupt nicht mehr verfolgt werden. Aber nur deshalb jemanden herauszulassen, weil wir angesichts der ganz besonderen Ausnahmeumstände unserer politischen Situation zur Strafverfolgung bisher nicht halben ansetzen können, das scheint mir gegen ein Urprinzip des Rechtsstaates zu verstoßen, und das können wir nicht hinnehmen.Ich wiederhole: verfallen wir nicht in die Illusion, daß wir uns durch die Anerkennung der Verjährungsfrist Ruhe verschaffen werden. Ich liebe es nicht, zu prophezeien. Aber wenn die Verjährungsfrist tatsächlich am 8. Mai eintreten sollte, möchte ich mit einer gewissen Sicherheit voraussagen, daß der Professor Norden in Oslberlin für diesen Fall seine Dokumentensammlung schon bereit -hat. Dann werden wir alle halbe Jahre, wohl gezielt und mit schön präparierten Dokumenten in Pressekonferenzen, an denen sich bekanntlich auch immer die westliche Zeitungswelt zu beteiligen pflegt, neue Schandtaten vorgeführt bekommen. Dann stehen wir vor der noch viel schwierigeren Frage, wie wir uns damit abfinden sollen. Heute ist ja schon einmal angedeutet worden: glauben Sie wirklich, daß die Leute, die dann gegen Strafverfolgung gesichert sind, sich bescheiden und taktvoll zurückhalten werden? Wer garantiert uns, daß sich nicht irgendein Massenkommunikationsmittel findet, das das dann noch ausschlachtet, weil das so sensationell ist und die Leute das eben gern lesen. Der Betreffende braucht sich dann nur noch zu tarnen als jemand, der es bereut, es aber um so eifriger bekräftigt. Dann haben wir eine noch viel mehr beunruhigende Entwicklung in unserem Lande.
Dann dürfen wir nicht sagen: das haben wir nicht vorausgesehen.
— Verzeihung, ich habe das nicht verstanden.Ich will jedenfalls sagen, daß wir nur durch eine Verlängerung der Verjährungsfrist wenigstens eine gewisse Beruhigung in unsere Entwicklung hineinbringen. Damit können wir dann den einsetzenden Angriffen, die im Ausland — auch in dem mit uns befreundeten und uns nahestehenden Ausland — ihre Wirkung nicht verfehlen werden, mit einem guten Gewissen gegenübertreten.Wir stehen vor einem Problem — ich will das in aller Bescheidenheit sagen —, für das es eine Patentlösung überhaupt nicht gibt. Wir haben hier ein weiteres Glied der entsetzlichen Erblast vor uns, die uns die Hitlerzeit hinterlassen hat. Wir können — darüber sind wir uns klar — nur einen Teil davon einigermaßen ordnen und regeln. Wir brauchen dazu selbstverständlich die Unterstützung der Bundesregierung. Aber es bedarf auch eines Zusammenwirkens von uns allen. Ich freue mich, daß das heute doch in überraschendem Umfange zutage getreten ist. Wir dürfen uns nicht von unseren Enkeln und von unseren Freunden im Ausland den Vorwurf
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Dr. Dr. h. c. Friedensburgmachen lassen, daß wir sehenden Auges weiter Unrecht in unserem Lande ungesühnt gelassen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe das Bedürfnis, zunächst einmal dem Kollegen Benda sehr herzlich zu danken. Ich möchte das, was er gesagt hat, Wort für Wort unterstreichen. Ich finde es besonders erfreulich, daß es ihm, dem jungen Kollegen, gelungen ist, bei all der Leidenschaft, die man gespürt hat, mit verhaltener Leidenschaft zu sprechen. Ich gestehe offen, daß mir das nicht 'so leichtfällt. Ich neige eher dazu, auch einmal die Leidenschaft losgehen zu lassen. Vielleicht ist es ganz gut, daß ein Mann wie unser Kollege Arndt mit offener Leidenschaft gesprochen hat. In beiden Fällen spüren 'wir, was dahintersteht. Niemand von uns, der unser Volk ernst nimmt und der unsere Geschichte ernst nimmt, kann über diese Dinge nachdenken und reden und handeln, ohne daß er wirklich von Leidenschaft erfüllt ist.Ich will nicht das wiederholen, was hier gesagt worden ist. Es ist viel von der Rechtsstaatlichkeit die Rede gewesen. Ich bin der Meinung, daß wir alle Veranlassung haben, uns zu der Rechtsstaatlichkeit zu bekennen. Aber ich habe manchmal Sorge, daß wir die Rechtsstaatlichkeit in einer Weise auslegen, in der das Instrument der Rechtsstaatlichkeit, nämlich der Staat selbst, darunter Not leidet. Bei der Rechtsstaatlichkeit geht es nicht nur darum, daß der einzelne Bürger seine Garantien hat, sondern es geht auch darum, daß dieses Instrument der Rechtsstaatlichkeit diese Garantien ausüben kann.Ich habe auch da manchmal die 'Befürchtung, daß die Frage der Rechtsgleichheit in einer so formalen Weise ausgelegt wird, daß unser Staat, der ja unser aller Schützer sein soll, der kein Ungetüm ist, kein Abstraktum, wie es hier zum Teil dargestellt worden ist, nicht mehr fähig sein wird, die notwendigen Dinge 'zu tun. Wir, die wir noch, wenn auch als junge Menschen, die Weimarer Zeit miterlebt haben, können uns von manchen Sorgen einfach nicht lösen. Ich will Ihnen ein 'Beispiel erzählen, wie in der Weimarer Zeit die Rechtsgleichheit 'behandelt worden ist. Da sind die Uniformen verboten worden, und da 'hat man schlechthin alle Uniformen verboten, Was war das Ergebnis? Ich habe es selber miterlebt. Da sind den SA-Leuten die Uniformen ausgezogen worden, und da sind den Leuten vom Reichsbanner die Uniformen ausgezogen worden. Im Reichsbanner waren nicht nur Sozialdemokraten, da waren Zentrumsleute, da waren Demokraten, kurzum alles Leute, die die Weimarer Republik retten wollten. Was hat die Weimarer Republik getan? Sie hat die SA-Leute so behandelt wie die Reichsbanner-Leute und die Reichsbanner-Leute so wie die SA-Leute, — weil sie den Tick der Rechtsgleichheit hatte, weil sie geglaubt hat, sie müsse den einen genauso behandeln wie den anderen. Da hat sie den Staatsfeind genauso behandelt wie den, der für diesen Staateingetreten ist. Unter diesen Umständen konnte einStaat nicht existieren. Da war etwas im Grunde faul.Meine lieben Freunde — ich spreche Sie als Freunde an, weil wir hier alle an einem Strang ziehen —, es ist nun einfach die Frage, ob wir diesen unseren Staat — er mag uns mehr oder weniger behagen; manches an ihm behagt mir gar nicht — erhalten und die Möglichkeit schaffen, daß er weiterhin unsere Freiheit schützen kann. Wir können das Gegenteil tun. Auch bei der Frage der Verjährung spielt das eine Rolle.Ich will nicht wiederholen, was zur Begründung für die Verlängerung der Verjährungsfrist schon gesagt worden ist. Dazu will ich in Klammern sagen, daß ich persönlich der Meinung bin, daß die Verlängerung der Verjährungsfrist ohne eine Änderung der Verfassung möglich ist. Wenn allerdings mit einer Änderung der Verfassung Bedenken bei einigen ausgeräumt werden können, die dann mit uns ziehen können, dann soll mir das recht sein.Aber, wie gesagt, bei der Frage der Verlängerung der Verjährungsfrist spielt doch eben auch die Frage eine Rolle, ob wir es nicht nur zulassen wollen, daß die Gerechtigkeit verwirklicht wird, auch die Gerechtigkeit zwischen den Mördern, die ja auch eine Rolle spielt, sondern ob wir es auch zulassen oder verhindern wollen, daß Mörder, die Feinde dieses Staates sind, die es bis heute geblieben sind, die sich nicht geändert haben, frei ausgehen und dann hier herumlaufen und sich nicht nur brüsten, sondern auch wieder tätig werden können.Meine Damen und Herren, unterschätzen wir das nicht! Hier ist von der Nationalzeitung die Rede gewesen. Darin sind die Elemente schon enthalten. Wenn diese Elemente, die straffrei ausgehen können, die sich lustig über uns machen können, gestärkt werden, glauben Sie, daß das dann eine Stärkung unseres Staates sei? Glauben Sie, daß das eine Stärkung der Rechtsgarantien sei, von denen Herr Dehler und andere gesprochen haben und die nur dann existieren können, wenn die Menschen da sind, die den Staat tragen, und die nicht existieren können, wenn die Menschen den Staat von neuem unterhöhlen können? Wir sollten die Dinge auch einmal von diesem Standpunkt aus sehen.Ich will dem, was der Kollege Arndt von der Nationalzeitung gesagt hat, gar nichts hinzufügen. Aber ich möchte eines doch noch zu bedenken geben: ob wir hier als Bundestag nicht auch die Verpflichtung haben, uns einmal Gedanken darüber zu machen, wie lange wir dieses Treiben zulassen wollen, ob wir nicht rechtliche Vorkehrungen treffen müssen — trotz Pressefreiheit usw. —, damit diese Schweinereien bei uns einfach nicht mehr möglich sind. Denn auch das ist für uns doch einfach eine Schande. Was diese Elemente im Ausland an Schaden anrichten, darüber brauchen wir ja nicht zu reden.Ich möchte also sagen: der Staat ist keine Abstraktion, der Staat ist kein Ungeheuer, der Staat ist genau das, was wir selbst sind. Es ist die Frage, was wir aus dem Staat machen. Es ist auch die Frage, was wir uns in diesem Staat gefallen lassen.
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MetzgerUnd es ist die Frage, wie wir in diesem Staat die einen oder anderen gewähren lassen oder nicht gewähren lassen. Von daher, glaube ich, müssen wir den Staat sehen. Wir dürfen ihn nicht abstrakt, nicht blutleer, sondern müssen ihn, blutvoll sehen.Nun noch ein Wort zum Herrn Bundesjustizminister. Er hat uns eine lange Rede darüber gehalten, welche Schwierigkeiten es gibt, wenn auch in Zukunft die NS-Verbrechen verfolgt werden müßten, und daß die Gefahr bestünde, daß auch einige Freisprüche herauskämen und die Sache dann schlechter sei, als wenn wir überhaupt nicht verfolgen.
Ich habe manchmal ein bißchen den Eindruck gehabt, daß Herr Bucher dabei ein Rückzugsgefecht geliefert hat. Ich möchte es beinahe hoffen. Ich kenne ihn ja aus langen Jahren der Zusammenarbeit im Rechtsausschuß, und ich gestehe ganz offen: Ich habe menschlich eine hohe Meinung von ihm und schätze ihn. Ich bin eigentlich ein bißchen traurig darüber, daß er heute seine Stellung so schwach begründet hat. Was er in bezug auf die Unzulänglichkeit künftiger Prozesse sagte, ist ja alles richtig; das wissen wir selbst, das braucht er uns nicht zu sagen. Wir wissen, daß es auch Freisprüche geben kann. Aber, meine Damen und Herren, werden wir deswegen die Justiz abschaffen, weil es auch Freisprüche gibt, nicht aus erwiesener Unschuld, sondern weil man nicht genügend nachweisen kann? Kein Mensch denkt daran. Es ist doch unmöglich, deswegen zu sagen: Jetzt werden wir das nicht tun, was notwendig ist.Ich möchte aber noch etwas anderes betonen. Das hängt wiederum mit der Existenz dieses unseres konkreten Staates zusammen. Es hätte dem Justizminister gut angestanden, wenn er nicht nur darüber gejammert hätte, daß da nun weitere Prozesse kommen — sie kommen ja ohnedies, auch wenn die Verjährungsfrist nicht verlängert wird —, die vielleicht unzulänglich geführt werden können, sondern wenn er auch etwas von der Verantwortung gesagt hätte. Wir wollen hier unsere Verantwortung als Parlamentarier, als Gesetzgeber wahrnehmen. Es gibt eine andere Macht in unserem Staat, das ist die Justiz; die hat ihre Verantwortung. Ich hätte den Wunsch gehabt, daß der Herr Justizminister, gar nicht um leichte Kritik zu üben, sondern um den Staat und seine Elemente zu stärken, auch von dieser Verantwortung etwas gesagt hätte.Wir wissen, im Strafprozeß gilt das Prinzip der freien Beweiswürdigung. Die freie Beweiswürdigung bedeutet eine ganz besonders große Verantwortung. Wer Richter war oder wer wie ich als Strafverteidiger oft genug die Möglichkeit hatte, Gerichte zu erleben, der wird nicht bestreiten können, daß die freie Beweiswürdigung bei aller höchstrichterlichen Rechtsprechung doch sehr verschieden gehandhabt wird. Manchmal hat man erlebt, daß man in kleinen Fällen bei der freien Beweiswürdigung sehr viel großzügiger ist als z. B. bei den Fällen, die jetzt zur Debatte stehen. Auch das muß doch einmal klipp und klar gesagt werden.Unsere Gerichte werden in Zukunft eine schwere Arbeit haben, und wir müssen Achtung vor dem haben, was getan wird. Aber ich glaube, wir haben auch die Verpflichtung, von diesem Hause .aus zu mahnen, daß Verantwortung wahrgenommen werden muß. Ich muß Ihnen offen gestehen: wenn der Rechtsberater des Herrn Eichmann vor Gericht steht und wenn man dann auf Grund der freien Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommt, daß die letzten Beweise fehlen, ist mir nicht wohl dabei zu Mute. Der Nichtjurist fängt schon ganz und gar an zu stutzen. Aber .auch der Jurist hat das Recht, sich da einige Gedanken zu machen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß einer, wenn er Rechtsberater des Herrn Eichmann war, wenn er also all die Dinge, die dieser getan hat, rechtlich untermauert, wenn er Herrn Eichmann beraten hat, so ausgehen kann, daß man sagt: Es ist zwar bedauerlich, aber nachweisen kann man ihm nichts. Daß hier bei dem Gericht etwas nicht in Ordnung ist, sehen wir ja auch daran, daß der andere Kumpan, bei ,dem man ,die Tat als erwiesen angesehen hat, mit einer sehr gelinden Strafe davongekommen ist.Da muß ich mir sagen: Was ist bei :dem Gericht eigentlich los gewesen? Was hat man sich gedacht? Wie haben z. B. die Berufsrichter die Laienrichter belehrt? Es ist vorhin gesagt worden, die Laienrichter seien oft ausschlaggebend. Aber wer einmal in einem Gericht gesessen hat, der weiß .ganz genau, wie stark es auf die Berufsrichter ankommt, wieviel Möglichkeiten die haben, ,die Laienrichter nach der einen oder nach der anderen Seite zu beeinflussen. Auch das gehört dazu. Es ist nicht so, daß man sich selbst eine Rechtsmeinung bildet und dann sagt: „So, jetzt sollen die Laienrichter einmal sehen, wie sie einig werden", und, wenn sie zu einem Freispruch kommen, vielleicht ganz befriedigt ist, sondern dann muß man ja dafür sorgen; daß eine Überzeugung, die man sich als Richter selbst geschaffen hat, auch zum Durchbruch kommt.Noch ein anderes Problem — es ist vorhin schon einmal angesprochen worden — soll hier angeschnitten werden: das Problem der Haupttäter und der Gehilfen. Meine Damen und Herren, was hier an Rechtsprechung geleistet wird, ist meines Erachtens teilweise nicht zu verantworten. Der Gehilfe ist derjenige, ,der eine Tat als fremde Tat, als nicht eigene Tat tut; der Haupttäter will eine Tat als eigene Tat. Natürlich ist es so, daß die Kerle, die im KZ Kinderköpfe an die Wand geworfen haben usw., zunächst einmal einen Befehl hatten. Aber wer solche Exzesse begeht, der will doch die Tat als eigene. Ich finde es einfach unverständlich, daß man da noch sagen kann: Hier liegt nur Gehilfenschaft vor, ,der wird als Gehilfe und dementsprechend milde bestraft, — auch dann, wenn er einen Auftrag zur Tat hat, wenn er die Tat aber mit Wollust ausführt, wenn er sich noch überlegt, wie er diese Tat besonders sadistisch ausgestalten kann. Dafür haben wir Beispiele über Beispiele. Ein solcher Mann kann doch nicht in Anspruch nehmen, als Gehilfe bestraft zu werden.Da müßten sich doch die Richter sehr viel mehr Gedanken machen. Ich kann mir nicht helfen: Gerichte, die hier zu dem Ergebnis kommen, es liegt
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Metzger1 Gehilfenschaft vor, haben die Dinge entweder nicht genügend klar durchdacht, oder es war ihnen auch ganz recht, daß sie diese Eselsbrücke hatten. Ich möchte sagen — wiederum ohne irgendein Kollektivurteil zu fällen —: ich weiß, wie verschieden da auch die Richter denken. Ich will gar nicht anklagen, sondern ich möchte helfen, daß auch hier bei unserer Rechtsprechung eine Gerechtigkeit waltet, die vertreten werden kann.Ich möchte zu gleicher Zeit auch an unsere Rechtslehrer appellieren. Unsere Rechtslehrer sollten sich einmal mit dem Problem „Haupttäter und Gehilfen" gerade anhand der Rechtsprechung, die 'bis jetzt vorliegt, beschäftigen, und sie sollten helfen, daß unseren Richtern das Gewissen geschärft wird.Und, Herr Justizminister, es tut mir leid: ich bin der Meinung, es wäre Ihre Aufgabe gewesen, unseren Richtern das Gewissen zu schärfen und nicht darüber zu jammern, daß das alles so schwer ist und daß dann zum Schluß Freisprüche herauskommen und daß man deswegen am besten überhaupt nichts tut.
Ich glaube, so kann ein verantwortlicher Justizminister einfach nicht auftreten. Er sollte sich darüber im klaren sein, daß er eine Verantwortung hat auch durch das, was er sagt, auch durch das, was er an Ermahnungen ausspricht.Ebenso wir hier im Bundestag! Ich habe es für notwendig gehalten — da die anderen Dinge ja alle gesagt sind —, diese Punkte herauszugreifen, um auch hier das Gewissen von uns allen so zu schärfen, daß wir wirklich ein Rechtsstaat 'sind, daß wir wirklich ein Staat sind, in dem die Gerechtigkeit, soweit sie irgend verwirklicht werden kann, herrscht, und daß wir ein Staat bleiben, der in der Lage ist, diese Gerechtigkeit zu verwirklichen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Memmel.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bitte werfen Sie mir nicht vor, daß ich mit Geschäftsordnungsfinessen komme, wenn ich als Vorbemerkung eine kleine Rüge anbringe. Meine Damen und Herren, wir haben heute morgen geglaubt, — ich wenigstens habe es, als ich in den Saal hineinging, geglaubt —, wir befassen uns mit der Drucksache IV/2965, mit dem von 50 Mitgliedern unterschriebenen Antrag auf Verlängerung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre. Statt dessen behandeln wir den Antrag Drucksache IV/2965 , in dem von 30 Jahren nicht mehr die Rede ist, sondern von der Abschaffung der Verjährung überhaupt.
Zu Ihrer Fraktion, Herr Kollege Erler, darf ich sagen: Es wäre mir lieb gewesen — und sicherlich auch denen, die wie Sie, Herr Kollege Benda sagen, „auf der anderen Seite stehen" —, wenn wir Ihre beiden Anträge wenigstens gestern gehabt hätten und nicht erst heute morgen um 9 Uhr. Man hätte sie dann durchlesen können, sich Gedanken machen
können, eine Nacht darüber schlafen können, sich vielleicht ein bißchen darauf vorbereiten können.
Herr Abgeordneter Memmel, erinnern Sie sich bitte daran, daß Herr Kollege Benda im Eingang seiner Rede diese Änderung des Antrages dargelegt hat und daß von keiner Seite Einspruch eingelegt worden ist.
Herr Präsident, nachdem die Sache schon behandelt war; natürlich. Ich will hier auch keinen Einspruch einlegen; ich will damit nur sagen, daß diejenigen, die sich in etwa mit den 30 Jahren befassen wollen, jetzt natürlich auf eine andere Situation gestoßen sind.
Bitte, Herr Kollege Jahn!
Herr Kollege Memmel, Sie haben ja sicher gewußt, daß wir gestern sehr lange beraten haben. Haben Sie irgendwelche Schwierigkeiten gehabt bei dem Bemühen darum, unsere Beschlüsse zu bekommen?
Herr Kollege Jahn, ich sage Ihnen ganz ehrlich, daß ich sie heute morgen zum erstenmal auf dem Papier gesehen habe. Sie sind ja noch nicht einmal ausgedruckt, sie sind nur auf diesem hektographierten Papier.
Gestatten Sie eine i weitere Frage?
— Herr Abgeordneter Benda!
Herr Kollege Memmel, ich halte das Thema nicht für wichtig; aber Sie haben es angeschnitten. Darf ich doch fragen, ob Sie nicht gestern bei der Fraktionssitzung der CDU/CSU anwesend waren, in der ein Kollege von mir, nämlich Herr Dr. Wilhelmi, diesen Antrag angekündigt hat?
Nein, da muß ich gerade bei unserer CSU-Besprechung im Fraktionsvorstandszimmer nebenan gewesen sein.
— Ja, da habe ich eben gefehlt, Herr Kollege Benda. Als ich heute morgen in den Saal kam und das gegenüber einem Kollegen rügte, sagte er mir: Na, darauf kommt es doch schon gar nimmer an; wenn einer schon für 30 Jahre ist, dann kann man doch die Verjährung überhaupt abschaffen. Nun, ich bin der Meinung, es kommt schon ein bißchen darauf an, es ist schon ein Unterschied, ob ich eine 30jährige Verjährungsfrist festsetze oder überhaupt keine Verjährung mehr kenne. Wer sagt, da sei kein Unterschied, verkennt doch den Sinn der Verjährung, die, wie heute morgen schon ein paarmal gesagt wurde, keine Schutzfunktion für den Täter allein darstellt, auch nicht etwa eine Fristsetzung für die Strafverfolgungsbehörde, innerhalb deren sie
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Memmeleine Sache aufdecken müßte, sondern die doch den Schutz vor einem Justizirrtum und den Schutz vor einem ungerechten Urteil darstellt, wie das Herr Kollege Arndt viel besser ausgeführt hat, als ich es kann, sowohl in der Juristenzeitung als auch vorhin.Sie finden in mir und finden auch unter den Kollegen, die mit mir einer Meinung sind, sicherlich keinen Gegner, wenn die Verjährungsfrist 'ab jetzt auf 30 Jahre verlängert werden sollte. Man würde damit einem Petitum des Bayerischen Landtags folgen — Herr Kollege Hirsch hat es heute morgen schon angedeutet —, denn der Bayerische Landtag hat sich schon einmal mit der Frage befaßt. Das war anläßlich des sechsfachen Raubmordes in Hinterkaifeck, bei dem — wie üblich — die Justiz wegen der Einstellung des Verfahrens beschimpft wurde. Es kam dann zu einer Debatte im Landtag und schließlich zu der berühmten Empfehlung, daß 20 Jahre nicht genügend seien. Man würde damit auch der Empfehlung der Großen Strafrechtskommission folgen, die ja ihren Niederschlag in dem Strafgesetzentwurf von 1962 gefunden hat, nämlich die Verjährung auf 30 Jahre festzusetzen. Und man würde damit vielleicht noch etwas tun: man würde den 'für Laien wirklich schwer verständlichen Unterschied zwischen Vollstreckungsverjährung und Verfolgungsverjährung beseitigen. Denn in § 70 StGB haben wir ja die Vollstreckungsverjährung mit 30 Jahren und in § 67 StGB die Verfolgungsverjährung mit 20 Jahren.Wenn es sich also darum handeln würde, meine Damen und Herren, von jetzt ab eine Verjährungsfrist von 30 Jahren einzuführen, wären wir sofort dabei. Wogegen wir uns wenden, ist etwas anderes, und da spreche ich jetzt wirklich für den Großteil der CSU. Gestern abend gab es nur zwei andere Stimmen. Vielleicht sind es heute durch die hier gemachten Ausführungen ein paar mehr geworden; aber gestern abend waren es nur zwei. Vielleicht haben Sie dazu beigetragen, Herr Kollege Benda,
— Es können inzwischen ein paar mehr geworden sein. Das ist das gute Recht eines jeden nach einer so ausführlichen Debatte. Aber der Großteil der CSU ist absolut gegen jede Verlängerung der Verjährung mit rückwirkender Kraft. Um diese Frage allein geht es.Ich will mich jetzt nicht auf die verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte kaprizieren. Das hat Herr Kollege Dr. Dehler viel besser getan. Ich will nur sagen, daß man nach meiner Meinung bei dem Leidensweg, den die Verjährung seit 1943, seit der Rechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943, durchgemacht hat, an der Verjährung jetzt nicht noch mehr herummachen kann, als man schon herumgemacht hat. Herr Kollege Dr. Dehler hat gesagt, seit 1851 über 1871 und bis in den letzten Krieg hinein hat die Vorschrift über die Verjährung im Strafgesetzbuch gegolten. Erst 1943 ist der berühmte Abs. 2 in § 66 StGB eingefügt worden, der wörtlich lautet: „Der Staatsanwalt kann die Verfolgung einleiten, wenn die Verhängung der Todesstrafe odervon lebenslangem Zuchthaus zu erwarten ist." Das bedeutet auf Deutsch die Abschaffung der Verjährung. Eigentlich erst seit dieser Zeit — wer die Rechtsprechung des Reichsgerichts daraufhin überprüft, stellt das fest — ist ein Umbruch, eine Wandlung in den Reichsgerichtsentscheidungen zu erkennen. Bis dahin hatte es nämlich auch immer eine ganz andere Auffassung hinsichtlich der Verjährung gegeben. Erst in Band 76 und Band 77 — ab Band 71 zitiert man ja Reichsgerichtsentscheidungen jetzt nicht mehr so gern — gibt es einige Entscheidungen, die damit zusammenhängen, nämlich mit .der Außerkraftsetzung der Verjährung ab 29. Mai 1943, die, wie man lesen kann, auf Betreiben von Roland Freisler erfolgt sein soll.Nun ein Wort zu den Professoren! Ich gehöre zu dem berühmten Jahrgang 1914.
— Na, das ist so der Jahrgang, Herr Kollege Schäfer, der alles über sich hat ergehen lassen müssen, Arbeitsdienst, erst ein Jahr Wehrpflicht, dann zwei Jahre Wehrpflicht usw. — Ich gehöre also zu diesem berühmten Jahrgang 1914. Als ich 18jährig 1933 die Universität bezog und dann im Sommersemester 1934 im September im Hörsaal saß, da war oben ein Professor, zu dem ich gläubig und verehrungsvoll und mit Hingabe hinaufblickte — ich war 19 Jahre alt —, der von dort herunter dozierte: „Des Führers Gebot ist oberstes Gesetz." Dann hat er gesagt: „Der Führerwille ist Gesetz im materiellen Sinn,"
und dann hat er noch gesagt: „Der Führerbefehl ist ein Gesetz im materiellen Sinn, im Rechtssinn, das keiner Nachprüfung unterliegt."
Das habe ich unten mit angehört. Im Sommersemester 1936 — wenn Sie es noch genau wissen wollen— saß ich auch unten, und da sagte der Professor:
„Der Führer hat immer recht". — Meine Damne und Herren, da habe ich schön geschaut. Denn mir ist es am Gymnasium schon furchtbar schwer angekommen, als der Religionsprofessor die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes verkündete, obwohl sich das auf zwei Gebiete beschränkte. Aber hier: „der Führer hat immer recht", — da habe ich schon mit dem Kopf geschüttelt.
— Darf ich das zu Ende führen, Herr Kollege. — Dann kam ein anderer Professor, auch im Sommersemester 1936, der sagte: „Recht ist, was dem Volk nützt". Das war ein Rechtssatz. Dann kam ein bißchen später die Lehre vom lebensunwerten Leben. — Bitte, Herr Kollege Schäfer.
Ich gehöre ungefähr zum gleichen Jahrgang, ich bin nur ein Jahr jünger. Ich hatte
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Dr. Schäferalso ähnliche Erlebnisse. Aber so, wie Sie das schildern, drängt sich die Frage auf, ob der betreffende Professor nachher in einem Bundesland Kultusminister wurde.
Herr Kollege Schäfer, ich weiß schon, wen Sie meinen. Bei dem habe ich nicht gehört. Aber der, den ich meine, hat später auch wieder gelehrt, und seitdem habe ich es mit den Professoren nicht mehr so. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich.
Aber nun wollen wir wieder zum Ernst zurückkehren.
— Na ja, das war eine kleine Einlage, Herr Kollege Schäfer. — Wenn man daran denkt, daß man das in dieser Zeit täglich gehört hat und daß es junge Menschen waren, die das gehört haben, dann wird man vielleicht auch ein bißchen Verständnis dafür haben. Ich denke an bestimmte Prozesse, die jetzt gerade laufen. Ich will den Prozeß nicht nennen, obwohl die Plädoyers abgeschlossen sind.
— Ach, es könnte als ein Eingriff in die Justiz angesehen werden, und ich komme aus derselben bayerischen Justiz. Ich will die Prozesse nicht direkt beim Namen nennen. Aber wenn man daran denkt, daß jemand das, was ich jetzt gesagt habe, mit 19 oder 20 Jahren tagtäglich hört und liest und daß ein bestimmter Befehl an so einen jungen Menschen, der zu dienen und zu gehorchen gewohnt ist auf Grund seiner Aufgabe, von der höchsten Autorität überbracht wird, die es für eine Krankenschwester gibt, nämlich vom Chefarzt, dann sollte man das Verhalten dieser Schwestern ein bißchen anders beurteilen und darüber nachdenken, ob das Unrechtsbewußtsein in diesem Zeitpunkt überhaupt vorhanden war. Daß es jetzt vorhanden ist, ist klar. Aber ob es in diesem Zeitpunkt bei dieser massiven Beeinflussung und bei dieser massiven Lehre vorhanden war, darauf kommt es an. — Herr Kollege Jahn?
Herr Kollege Memmel, räumen Sie mir dann wenigstens ein, daß das Unrechtsbewußtsein zumindest bei denjenigen vorhanden gewesen sein muß, die als hohe und höchste Richter, Staatsanwälte usw. in jener Zeit keine Bedenken gegen den organisierten Massenmord laut werden ließen?
Selbstverständlich, Herr Kollege Jahn. Das empfinde ich als die größte Ungerechtigkeit, daß man die Krankenschwestern dort vor das Schwurgericht zitiert und daß die Leute, die damals Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte waren und die in der Wannsee-Konferenz kein Wort gesagt haben, als damals beschlossen wurde,
daß die sogenannte Euthanasie eintreten solle,
jetzt frei herumlaufen. Das ist die weit größere Ungerechtigkeit. Denen geschieht nichts, und die armen Schwestern zitiert man vor das Schwurgericht.
Wer Glück hatte von diesen Leuten damals, der ist vom Militärgericht verurteilt worden, hat vielleicht sogar lebenslänglich bekommen, ist längst begnadigt, läuft herum und kann nicht mehr gepackt werden, von uns nicht und von niemandem.
— Ich werde es Ihnen sagen. Trotz dieser schreienden, für mich schreienden Ungerechtigkeit kann ich mich nicht dazu verstehen, ein Gesetz mit rückwirkender Kraft zu machen. Ich kann das einfach nicht.
Ich will zum Schluß kommen.
— Bitte, Herr Kollege Jahn! Vizepräsident Dr. Schmid: Bitte schön!
Wenn Sie also keine Lösung des Problems haben wollen, Herr Kollege Memmel, dann billigen Sie somit das Ergebnis, das Sie nach Ihren eigenen Worten, wenn auch nicht sinngemäß, eben schon dargelegt haben, daß man die Kleinen hängt und die Großen laufen läßt.
Memme! : Herr Kollege Jahn, Tatsache ist, daß zur Zeit Beispiele für dieses Wort „die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen" viel zu sehen sind. Zur Zeit! Das hängt aber damit zusammen, — —
— Das muß ich dabei belassen. Leider muß ich es dabei belassen, .es sei denn, daß jetzt die Zeit bis zum 8. Mai noch zur Unterbrechung der Verjährung benutzt wird.Ich will mich ganz kurz noch gegen etwas wenden. Es ist vorhin gesagt worden, es sei nichts oder zuwenig in der Justiz getan worden. Meine Damen und Herren, dort sitzt Herr Kollege Dr. Dehler. Das war mein Vorgesetzter, mein Generalstaatsanwalt 1947. ich kann Ihnen sagen, daß im Bereich des Landgerichts Würzburg etwas geschah. Wir waren acht Staatsanwälte. Davon waren zwei nur mit „politischen Sachen" befaßt, wie wir damals sagten. Wir haben jeden Fall des Judenpogroms, jeden Fall der Brandstiftung .an Synagogen aufgeklärt und behan-
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Memmeldelt. Das ist ihm, der damals Generalstaatsanwalt war, wirklich mit zu verdanken. Es ist in der Zeit viel geschehen.Bei dem Gedanken an die Prozesse von damals muß ich sagen: es war ungeheuer schwierig -für den Richter — damals waren erst 10 Jahre seit dem Judenpogroms vergangen —, diese Prozesse zu führen. Der alte Landgerichtsdirektor, der die Kammer hatte, war doppelt so alt wie ich. Er hatte sich noch als Pensionär zur Verfügung gestellt. Ich ging jeden Abend mit ihm heim und habe von ihm mehr an richterlicher Abgeklärtheit und Weisheit gelernt als von den Professoren. Er hat mir bei manchen der Spaziergänge auf dem Heimweg gesagt: „Herr Kollege Memmel, ich weiß gar nicht, was die Menschen für ein schlechtes Gedächtnis haben. Dabei kann ich nicht einmal feststellen, ob sie tatsächlich nichts mehr wissen oder ob sie nichts mehr wissen wollen." Das hat er 1948 gesagt, zehn Jahre nach der Tat!Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren: Wenn Sie jetzt die Verjährungsfrist — damit komme ich auf etwas Rechtspolitisches — abschaffen wollen, also ermöglichen wollen, daß tauch in zehn oder fünfzehn Jahren noch Prozesse stattfinden, überfordern Sie damit wirklich nicht die Justiz? Denken Sie doch bei Ihren Entscheidungen auch ein bißchen an die Justiz, an die so viel gescholtene und zur Zeit getretene Justiz, die dann natürlich um so mehr gescholten und getreten wird, wenn auf Grund der ungünstigen Beweissituation oder auf Grund des schlechten Gedächtnisses, ganz gleich, ob es die Betreffenden tatsächlich nicht mehr wissen oder nicht sagen wollen, freisprechende Urteile herauskommen; denn auch für den Angeklagten muß „in dubio pro reo" gelten. Denken Sie daran, ob dann nicht diese Reaktion, daß man 'sich nämlich auf die Justiz stürzt und sagt: „Die wollen den Leuten ja nichts mehr tun", nicht viel, viel schädlicher ist!Zusammenfassend möchte ich sagen: Erstens — damit komme ich auch auf die Entschließung zu sprechen, die vorhin verlesen worden ist —: absolute Aufhebung der Verjährung, nein! Verlängerung auf 30 Jahre, ja, aber nicht mit Rückwirkung, keinesfalls rückwirkend ! Zu der anderen Lösung greife ich ein Wort auf, das der verstorbene Kollege Menzel in diesem Hohen Haus am 24. Mai 1960 gesagt hat. Bei den Bemühungen, endgültig und endlich festzulegen, wann die deutsche Justiz nach der Kapitulation, nach diesem totalen Zusammenbruch, nach dieser Debellatio, wie man es an sich nennt, fähig und in der Lage war, Verbrechen des Mordes zu verfolgen und abzuurteilen, werden wir mitwirken.
Das Wort hat der Herr Justizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Worte der Erwiderung auf das, was die Herren Kollegen Professor Friedensburg und 'Metzger gesagt haben. 'Herr Kollege Friedensburg, Sie haben sich darüber enttäuscht geäußert, daß ich entgegender Erklärung der Bundesregierung dem Bundestag keine Unterstützung zuteil werden lasse. Sie haben mir allerdings zugebilligt, daß ich meine Ansicht wohl ehrlich und ernsthaft hier vorgetragen hätte. Nun, meine Ansicht habe ich bereits einmal am 24. Mai 1960, als wir über die Verlängerung der 15jährigen Verjährungsfrist berieten, vorgetragen. Sie war dieselbe. Es ist logisch, daß man mir nicht zumuten kann, meine Rechtsauffassung aufzugeben.Wie ich zu Beginn ausführte, als ich mich zu dem Bericht äußerte, hat die Bundesregierung ihren Beschluß vom 5. November nicht aufgehoben, sie hat keine Initiative ergriffen. Sie hat darauf verzichtet, jedes einzelne ihrer Mitglieder auf eine bestimmte Rechtsauffassung festzulegen; das wäre einfach unmöglich. Sie sehen ja, daß es hier im Hause auch quer durch die Fraktionen, quer durch den Raum und auch quer durch die Zeit geht. Es gibt hier einige Mitglieder, die ihre Meinung geändert haben, ohne daß ich ihnen daraus einen Vorwurf mache. Aber solange ich die Möglichkeit habe, meinen Standpunkt hier 2u vertreten, tue ich das. Wenn ich diese Möglichkeit nicht mehr hätte, wenn die Bundesregierung ihren Standpunkt änderte oder mich hier nicht sprechen ließe, dann müßte ich daraus die Folgerung ziehen — das habe ich auch erklärt —, und zwar die Folgerung nicht in dem Sinne, daß ich nun böse wäre, sondern einfach im Sinne einer logischen Konsequenz.Die Bundesregierung erklärt nun ihre Bereitschaft, wie es wörtlich heißt, den Bundestag in seinen Bemühungen zu unterstützen, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze eine Möglichkeit zu schaffen, daß der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Das kann ja nicht heißen, daß ich bereits in der ersten Lesung vorwegnehme, was voraussichtlich das konkrete Ziel des Bundestages sein wird. In der ersten Lesung kann ich ja nur dazu beitragen, die Grundsätze herauszustellen, die für diese beiden Anliegen von Bedeutung sind: Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze und Genügetun der Gerechtigkeit.Ich glaube, in meinen Ausführungen ist einiges von Wert auch für diejenigen, die Anhänger der Verlängerung sind. Ich habe doch einen großen Teil Ausführungen gemacht, die völlig objektiv gehalten waren.Schließlich der Vorwurf, ich hätte mich gar nicht mit der Rechtsprechung auseinandergesetzt. Ich glaube, es ist Ihnen entgangen, Herr Kollege Friedensburg, daß ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das auch Sie zitiert haben, erwähnt habe. Ich habe gesagt, in welchem Zusammenhang es erging — im Zusammenhang mit dem hessischen Ahndungsgesetz —, und habe ausgeführt, daß diese Rechtsprechung nicht als so absolut gesichert betrachtet werden könne, daß man nicht damit rechnen müsse, daß diese Rechtsprechung sich auch wieder ändere. Daß im übrigen ein verfassungsrechtliches Risiko in der Sache ist, haben ja auch viele andere Sprecher angeführt.Jedenfalls dürfen Sie überzeugt sein, daß meine Motive immer nur die Motive sind, die Herr Kollege Dehler und ich angeführt haben. Wir haben auch
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8562 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Bundesminister Dr. Bucherwirklich keine Veranlassung, uns im Haus gegenseitig andere Motive zu unterstellen. Das ganze Haus ist dem beigetreten, was Kollege Arndt zur „Nationalzeitung" gesagt hat und was der Herr Präsident eigens unterstrichen hat.
Herr Professor Friedensburg!
Herr Minister, worin besteht denn nun die Unterstützung die die Bundesregierung in dieser gedruckten Erklärung zugesagt hat, die Sie sich auch sehr dankenswerterweise heute morgen ausdrücklich zu eigen gemacht haben? Es muß doch irgendeine Vorstellung bei der Bundesregierung bestanden haben, worin denn nun diese Unterstützung bestehen soll.
Die Bundesregierung wird bei der Beratung im Ausschuß
Gelegenheit haben, ihren Standpunkt vorzutragen und die Beratung im Ausschuß zu fördern und zu unterstützen.
Aber noch zu dem, was der Kollege Metzger gesagt hat! Ich freue mich, daß mir Kollege Metzger wenigstens die alte menschliche Verbundenheit im Rechtsausschuß bestätigt hat. Aber ich muß nun wirklich dem widersprechen, daß es meine Aufgabe oder die Aufgabe irgendeines Justizministers wäre, den Richtern das Gewissen zu schärfen.
Herr Kollege Metzger, ich habe unmittelbar nur mit den Richtern des Bundesgerichtshofs zu tun,
und wenn ich mir diese höchst eigenwilligen Persönlichkeiten vorstelle, ich glaube, ich käme bei denen sehr schlecht an, wenn ich den Versuch machen wollte, ihnen das Gewissen zu schärfen — was ich auch nicht für notwendig halte.
Ich möchte für die Richter im gesamten und im allgemeinen sagen, daß die Institution der richterlichen Unabhängigkeit jedenfalls eine solche Formulierung verbieten würde.
Die richterliche Autorität — ich meine damit nicht die Autorität des einzelnen Richters, sondern die richterliche Autorität als Institution — steht für mich jedenfalls über der Autorität irgendeines Regierungsmitglieds.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Ich glaube nicht, daß es der heutigen Aussprache sehr dienlich wäre, wenn ich noch eine lange, polemische Rede hielte; denn an sich ist, wie ich glaube, alles Wesentliche zu dem gesagt worden, was das Pro und Kontra anbetrifft. Zu dem Standpunkt, den jedenfalls der überwiegende Teil meiner Freunde eindeutig vertritt, hat Herr Thomas Dehler heute das, was dazu zu sagen ist, so klar gesagt, daß es Wasser in den Wein gießen hieße, wenn ich diese Ausführungen ergänzen wollte. Trotzdem muß ich auf einige wenige Bemerkungen noch eingehen. Ich beginne mit zwei Bemerkungen, die Herr Kollege Benda heute morgen gemacht hat. Auch ich erkenne an, daß Herr Benda versucht hat, seinen Standpunkt hier in sachlicher, klarer Weise darzustellen und daß auch die, die anderer Meinung sind, bei ihm im großen und ganzen nicht zu schlecht weggekommen sind. Aber ein Satz ist ihm dabei untergerutscht — Herr Kollege Jahn hat ihn soeben noch einmal unterstrichen —, gegen den ich mich nun freilich mit aller Entschiedenheit wehren muß. Ich wehre mich dagegen, daß Sie auch nur die Möglichkeit unterstellen, jemand wolle hier aus Stimmung heraus Stimmen gewinnen.
Ich habe mehrfach in diesem Hause gerade zu verfassungsrechtlichen Problemen sprechen dürfen. Wir haben — ich muß es immer wieder erwähnen —einmal die .erfreuliche Tatsache gehabt, daß das ganze Haus in einer verfassungsrechtlichen Frage einer Meinung war. Es handelte sich um den Fall Argoud. Wir haben dann eine Fülle von anderen Fragen gehabt, wo die Meinungen durchaus divergierten. Ich nehme für uns von der Freien Demokratischen Partei und auch für mich persönlich in in Anspruch, daß wir — ob immer im rechten oder im unrechten Sinne, lasse ich offen — unser ganzes Bemühen stets darauf gerichtet haben, in diesem Hause und in diesem Staate strengste Verfassungsmäßigkeit vorzuführen, zu exerzieren, lebendige Wirklichkeit werden zu lassen.
Wir haben uns nicht gescheut — jedenfalls der größte Teil unserer Fraktion nicht —, uns eindeutig gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe zu stellen, als die Stimmung im Volke entscheidend anders war, als eine Volksbefragung wahrscheinlich ergeben hätte, daß man die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließen sollte. Wir haben uns nicht von dieser Volksstimmung tragen lassen, wir haben den verfassungsmäßigen Standpunkt eingenommen und uns gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesprochen.Diese und viele andere Beispiele sollten klarmachen, daß es hier nicht darum geht, Stimmen zu fangen oder aus Stimmungen Stimmen zu gewinnen, sondern daß unser Anliegen hier tatsächlich wieder das gleiche ist, was es in allen anderen Fällen gewesen ist.
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BusseEs kommt ein Zweites hinzu, das mich einfach etwas schockiert hat, nämlich der Gesichtspunkt, den Sie angeführt haben, daß das Rechtsgefühl korrumpiert werden müßte, wenn Morde ungesühnt blieben. So haben Sie gesagt. Herr Kollege Benda, ich glaube nicht, daß die sehr ehrenwerten Väter des Strafgesetzbuches diesen Vorwurf wirklich hinnehmen könnten, ja daß er auch nur mit dem Schein des Rechts erhoben werden könnte. Seit eh und je hat aber das Vorhandensein der Verjährungsfrist zur Folge gehabt, daß Morde ungesühnt blieben, und ich glaube nicht, daß dadurch das Rechtsgefühl im deutschen Volks korrumpiert worden ist, sondern korrumpiert worden ist es durch Dinge, die hinterher unter ganz anderen Aspekten geschehen sind,
indem man später nämlich von den strengen Grundsätzen abgewichen ist, die die Rechtsstaatlichkeit nun einmal verlangt.
Ebenso klar möchte ich noch einen weiteren Gedanken ansprechen, der, wie ich glaube, mindestens zur Klarstellung dient. Ich verkenne keineswegs, daß alle Anträge oder Gesetzentwürfe, die uns jetzt vorliegen, nicht von „Naziverbrechen", von „Nazimorden" sprechen, sondern von „Morden" allgemein. Wenn es aber überhaupt noch einer Klarstellung bedurfte, so hat die heutige Debatte eindeutig gezeigt, daß der Anlaß und das Anliegen dieser Gesetze im wesentlichen darin besteht, Nazimorde zu treffen. Da das der Fall ist, Herr Kollege Arndt— es tut mir leid —, muß ich auf eine schriftliche Äußerung, die Sie früher gemacht haben, zu sprechen kommen; wir sprachen gestern abend kurz darüber, daß ich Sie stets so verstanden hätte, daß Sie auch eine Grundgesetzänderung nicht für ausreichend hielten, um das zu verwirklichen, was Ihr Anliegen ist.
— Ich habe gesagt, daß ich Sie so verstanden hätte. Ich habe es inzwischen nachgelesen. In der Tat haben Sie seinerzeit geschrieben:Dagegen hilft auch kein Versuch, die Verfassung zu ändern; denn er führt zu einer Durchbrechung der Verfassung.Das sind Ihre eigenen Worte gewesen, und genau das wollte, glaube ich, auch Kollege Dehler ansprechen, als er sagte, die Grundsätze unseres verfassungsmäßigen Rechtsstaates würden durch ein Gesetz, wie es hier zur Erörterung steht, tangiert werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Arndt?
Herr Kollege Busse, habe ich Ihnen gestern abend nicht genauestens erklärt, daß ich nach wie vor eine bloße Durchbrechung der Verfassung für unzulässig halte, daß es uns aber hier darum geht, keine Durchbrechung
zu machen, sondern eine grundsätzliche Neuregelung?
Wenn ich eine zweite Frage gleich anschließen darf: Ist Ihnen nicht bekannt, daß die einzige Durchbrechung des Grundgesetzes von Ihren Freunden mitbeschlossen worden ist, nämlich in Art. 142 a?
Herr Kollege Arndt, Sie sind nicht böse, wenn ich die letzte Frage nicht beantworte, weil ich sie einfach wissensmäßig nicht beantworten kann.. Was die erste Frage betrifft, so konzediere ich Ihnen, daß Sie mir das, was Sie jetzt gesagt haben, auch gestern abend erklärt haben. Ich muß aber offen gestehen, daß die Nacht nicht ausreichte, um mir die Differenz zwischen dem, was Sie geschrieben haben, und dem, was Sie jetzt sagen, klarzumachen. Das liegt vielleicht an meiner mangelhaften Auffassungsgabe; aber ich fürchte, es wird auch für andere Mitglieder dieses Hauses nicht ganz einfach sein, das noch zu verstehen.
Ich halte mich auch für verpflichtet, Herr Kollege Jahn, noch auf eins aufmerksam zu machen, weil es mir einfach ein Gebot der Gerechtigkeit zu sein scheint. Sie haben moniert, daß der Bericht der Bundesregierung wohl vieles über die Bestrafung der Täter sage, aber einen wesentlichen Punkt außer acht lasse, nämlich die Opfer zu erwähnen. Ich glaube, ich habe Sie einigermaßen richtig zitiert. — Ich darf aber darauf hinweisen, daß der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht, der im Juli 1964 erschienen ist, bereits sehr eingehend dargelegt hat, wie sich die Auswirkungen des Naziregimes gestaltet haben. Auf den Seiten 18 bis 29 sind detaillierte Angaben darüber enthalten. Nun, nachdem ein spezieller Bericht angefordert ist, daraus zu folgern, daß darin das bereits einmal Dargelegte noch einmal hätte wiederholt werden müssen, geht wohl zu weit. Die Bundesregierung hat doch wirklich nicht den geringsten Anlaß, zu verschweigen, was an bösen Dingen geschehen ist. Im Gegenteil, wir waren bemüht, wir sind bemüht und wir werden bemüht sein, diese Dinge aufzuklären und in gerechter Weise zu sühnen wie auch die Täter zur Bestrafung zu bringen.Zu dem letztgenannten Punkt noch ein Wort! Ich hätte menschliches Verständnis dafür, daß jemand der Bestrafung zugeführt werden soll, der Verbrechen begangen hat. Wofür ich aber kein Verständnis habe, ist das Argument — das ist heute morgen sowohl bei Herrn Benda wie auch bei Herrn Hirsch angeklungen —, daß Strafprozesse dazu dienen sollen, aufzuklären, was geschehen ist. Das ist nicht der Sinn eines Strafprozesses.
— Herr Benda hat wörtlich vorgetragen — Sie können es nachher im Protokoll nachlesen —: Es soll klargestellt werden, was geschehen ist. Und er sagte weiter, die Strafe sei demgegenüber sekundär. So haben Sie, Herr Kollege Benda, es — sinngemäß
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8564 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Busse— vorgetragen. Ich habe es mir sofort notiert. Bei Herrn Hirsch klang Ähnliches an.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Benda?
Bitte.
Herr Kollege Busse, darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, .daß ich meine Motive dargelegt habe, auf Grund deren ich meine, daß eine Fortsetzung der Strafverfahren notwendig. ist, und daß ich natürlich weder :das materielle Strafrecht noch das geltende Strafverfahrensrecht — abgesehen von der Verjährung, über .die wir uns hier unterhalten — ändern will, daß ich vielmehr nur gesagt habe, für mich sei der Sinn eines solchen Prozesses auch — aber nicht in erster Linie — die Bestrafung des Täters, viel mehr aber das Deutlichmachen des Unrechts, mit dem wir uns hier zu beschäftigen haben?
Ja, Herr Kollege, da gehen unsere Meinungen über Sinn und Zweck zumindest eines irdischen Strafverfahrens anscheinend doch sehr auseinander.
Sie haben für sich in Anspruch genommen, daß Sie mit Leidenschaft für Ihren Standpunkt eintreten. Wir bitten um Ihr Verständnis dafür, daß wir mit gleicher, ja wohl sogar mit größerer Leidenschaft dafür eintreten, daß in unserem Staate die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit strengstens gewahrt werden. Ich möchte jetzt nicht mißverstanden werden und bitte um wohlwollende Beurteilung, wenn ich es nicht mehr in langen .Ausführungen sage: Vieles von dem, was ich heute hier gehört habe, angefangen von dem wenig schönen Wort des Herrn Kollegen Metzger über .die Schärfung des Gewissens bei unseren Richtern — ich will jetzt keine weiteren Zitate bringen —, habe ich früher zur Begründung anderer Dinge gehört, .als ich noch unter .dem Unrechtsstaat des Nationalsozialismus leben mußte. Das ist das, was wir nicht wollen. Niemand .gewährleistet uns, daß wir immer von gleichem Bemühen um rechtsstaatliches Leben und Denken beseelt sind, so wie es glücklicherweise dieser Bundestag heute ist. Eine verfassungsmäßige Regelung muß über den Tag hinausdenken, muß Grundlagen für weitere, für andere mögliche Situationen legen, .die kommen können. Daß diese Grundlagen die Klarheit behalten — wie Herr Dehler ausgeführt hat —, das ist unser leidenschaftliches Anliegen. Darum habe ich bereits Anfang Dezember des vergangenen Jahres erklärt, daß es in dieser grundlegenden Frage für uns kein Wenn und Aber gilbt. Das war ganz eindeutig. Wir werden weder eine Verfassungsänderung noch einem normalen Gesetz zustimmen.
Darum, Herr Kollege Barzel, bitte ich um Verständnis. Bei dieser eindeutigen Einstellung gibt es für uns nur eines: alle bereits gestellten Anträge abzulehnen; ihre Annahme ist für uns bei unserer Grundeinstellung nicht weiter diskutabel. Wir werden daher auch einem Antrag auf Ausschußüberweisung nicht zustimmen können.
Das Wort hat der Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat, glaube ich, wenig Debatten in diesem Hause gegeben, die so an die Wurzel unserer moralischen politischen Existenz greifen, in der wir uns, die wir diese Zeit noch miterlebt haben, selber zu verstehen suchen. Irgendwie ist die Debatte — ich sehe die große Verantwortung, die wir alle haben, in ihrem tiefen Ernst — auch ein Gericht über uns selber.Hier ist nicht der Ort — das ist auch nicht das Angemessene und auch nicht der Stil einer solchen Aussprache —, mit Worten des Pathos zu sprechen. Aber eines darf ich doch wohl sagen: die Toten, die zu Unrecht Gequälten sind in unserem Leben wirklich existent. Irgendwie geht durch uns ein tiefer Unfriede. Es ist wahrhaft ein Unrecht geschehen. Da schließe ich allerdings auch die Vertreibung, die Kriegsverbrechen und all diese Geschehnisse mit ein. Es ist ein Unrecht geschehen, das wahrhaft zum Himmel schreit, und es geschieht unentwegt weiter Unrecht; man denke nur an Vietnam, man denke an das, was in Algerien geschehen ist, was sonst in der Welt geschehen ist und was droht, weiterhin zu geschehen.Die Unrast und der Unfriede, der in unserer Gesellschaft doch in Wahrheit umgeht, der Mangel an Lebensfreude und das Isoliertsein der Menschen sind eine ganz unmittelbare Folge dieses Geschehens. Sehen Sie nur einmal in die Literatur der Zeit vor dem Nationalsozialismus, welche Gedankensünden sich die Menschen damals schon zuschulden kommen ließen. Ich erinnere an Otto Julius Bierbaum und an ähnliche Literaten, die schon vor dem ersten Weltkrieg geschrieben haben. Da wurde dieses Unheil vorbereitet, und die Seelen wurden vergiftet. Gerade weil es so ist, sind wir alle verstrickt, nicht in eine kriminelle Schuld, in eine Art, wie soll ich mich ausdrücken, metaphysische Schuld, wir alle miteinander. Auch dazu bekenne ich mich.Wenn das so ist, glaube ich, daß wir — jedenfalls bekenne ich mich dazu — heute zu ganz klaren Lösungen kommen müssen. Es fällt mir schwer, das Maß der Rede zu finden. Ich möchte ganz schlicht sagen: ich bin gegen jeden Versuch, in der Frage der Verjährung von dem bestehenden Recht abzugehen.
In der Diskussion, die wir gestern in der Fraktion gehabt haben, sind zwei Gedanken vorgebracht worden: Was hat den höheren Rang, was muß gegeneinander abgewogen werden, die Gerechtigkeit oder der Rechtsfrieden, d. h. welches Prinzip Rechtsfrieden oder — man kann auch sagen — Rechtssicherheit? Da war eine sehr starke Gruppe, die sagte: Die Gerechtigkeit hat den Vorrang. Ich
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Dr. von Merkatzmuß diesem Gedanken widersprechen. Gerechtigkeit auf dieser Erde ist etwas, was man suchen muß, was mit der Reife des Menschen und dem Bewußtsein der Menschen in der Gesellschaft wächst. Wir müssen uns jedoch der Grenzen irdischer Gerechtigkeit vor allen Dingen dann klar werden, wenn es gilt, einen Frevel zu sühnen.Hier ist heute viel vom Rechtsstaat gesprochen worden. Auch der Rechtsstaat ist ein Begriff, ist ein Bewußtsein, das sich mit der Zeit entwickelt hat. Vielleicht darf man sagen: die Schweiz und die Vereinigten Staaten von Amerika haben die moderne Demokratie geschaffen, England den Parlamentarismus; der Gedanke des Rechtsstaates entspringt einer preußisch-deutschen Tradition. Er ist bei uns gewachsen, aus der Zeit des 18. Jahrhunderts, vor der französischen Revolution, und er ist immer weiter gewachsen. Sein Kern scheint mir die Frage der Rechtsgewißheit zu sein. Von diesem Standpunkt aus betrachte ich die Dinge. Ich brauche die Gedanken nicht zu wiederholen. Herr Kollege Dehler hat sie vorgetragen, und ich unterschreibe die Analyse, die er vorgenommen hat, Wort für Wort.Die Einrichtung der Verjährung ist, wie hier festgestellt wurde, eine Frage des materiellen Rechts und des formellen Rechts, ist beides. Wie soll nach dem Ablauf einer gewissen Zeit das wirkliche Schuldmaß noch festgestellt werden? Man kann das Regimeverbrechen als solches feststellen, den historischen Tatbestand. Aber wie kann bei dem einzelnen kriminellen Täter ein Richter hier wirklich noch gerecht urteilen? Man kann sagen: irdische Gerechtigkeit ist immer etwas Unvollkommenes, das muß man in Kauf nehmen; der Richter muß die Dinge abwägen. Aber sehr oft kommt dann doch der Grundsatz zum Zuge, den wir nicht verlassen können, dann, wenn man die Belastungszeugen und die Entlastungszeugen nicht mehr zur Hand hat und wenn auch die Belastungszeugen, z. B. wenn sie aus dem Ausland kommen, nicht ganz frei in dem sind, was sie wirklich aussagen. Dazu kommt der Gedächtnisschwund. Soll der Richter hier nicht doch letzthin auf den Satz „in dubio pro reo" ausweichen müssen?Hier ist niemand, der einem anderen Kollegen unterschiebt, daß er, sagen wir, entweder Rache nehmen oder aber einen Verbrecher decken wolle. Das liegt doch völlig außerhalb der Moralität dieses Hauses und auch unserer Erfahrung. Aber die Bestimmung des Verbots der Rückwirkung muß hier sehr, sehr ernst genommen werden. Die Achtung vor dem bestehenden Recht scheint mir eines der Fundamente der Rechtsgewißheit und damit des Rechtsstaates zu sein.Es handelt sich bei der Verjährung nicht nur um eine einfache Ordnungs- und Verfahrensvorschrift, sondern es handelt sich wesentlich um materielles Recht, dessen Grundlage ist, daß einmal das Schuldmaß nicht mehr feststellbar ist und daß mit dem Zeitablauf die Fähigkeit des Menschen nachläßt, Gerechtigkeit und auch die richtige Beurteilung der Person des Täters zu finden, nicht mehr in dem erforderlichen Maße gegeben ist.Hier ist das Wort von dem moralischen Erbe, das wir zu tragen 'haben, gefallen. Es wurde befürchtet, durch eine Befolgung des Grundsatzes, den ich und andere Kollegen hier vertreten haben — keine Verlängerung der Verjährungsfrist —,könne eine korrumpierende Wirkung auf die Gesellschaft ausgeübt werden. Das ist etwas, was man sich sehr sorgfältig überlegen muß. Eine falsche Milde oder auch Lässigkeit gerade auf diesem empfindlichen Gebiet des Strafrechts könnte angesichts der Taten, die begangen worden sind, eine laxe Auffassung zur Folge haben.Dennoch glaube ich, daß uns die Forderung der Rechtsgewißheit hier leiten muß. Eine reinigende Wirkung geht, meine Damen und Herren, aus den Prozessen allein ganz bestimmt nicht hervor;
dort liegt nicht die reinigende Wirkung. Die reinigende Wirkung ist, glaube ich, im Blick auf die Zukunft, auf die Schaffung gewisser Grundbewußtseinsinhalte in unserem politischen Leben notwendig.Gewiß, ich erkenne an, wir leben nicht nur in einer politischen Interdependenz der Staaten, wir leben auch in einer moralischen Interdependenz. Die Überzeugung, die Rechtsüberzeugungen, die moralischen Bewußtseinsinhalte in Europa und in der Welt, die uns kulturell und zivilisatorisch am nächsten steht, können wir nicht einfach übergehen. Aber, meine Damen und Herren, die Frage ist: Sind hier wirklich einheitliche Überzeugungen, und ist es nicht gerade unsere Aufgabe, in der Erkenntnis der Tatbestände, die geschehen sind, in der psychologischen Grundlage hier etwas Neues zu schaffen, wodurch in unserer europäischen Rechtsgemeinschaft ein gemeinsamer neuer Bewußtseinsinhalt gebildet wird?Ich glaube, daß die Vorschrift des § 220 a des Strafgesetzbuches, die beschlossen wurde im Zusammenhang mit der Ratifikation der Konvention gegen Völkermord, nicht ganz ausreicht, um den Erfahrungen Rechnung zu tragen, die gerade diese Prozesse für eine rechtspolitische Fortentwicklung des Strafrechts gebracht haben.Ich sehe hier vor allen Dingen zwei Tatbestände, die in der Diskussion schon genannt wurden und auch unterschieden wurden. Es sind einmal die Regimeverbrechen oder, wie es Jaspers genannt hat, die Verwaltungsmassenmorde, die kaltherzig, berechnend, planmäßig vollzogen werden, und zum anderen die Verbrechen, die aus Revolutionen und Ausnahmezuständen hervorgehen.Meine Damen und Herren, was mich bei den Verbrechen im Namen ,des Staates immer am meisten berührt hat, ist der kollektiv erzeugte Wahn, der Menschen aufgedrückt wurde, deren Rechtsbewußtsein durchaus das Unrecht begriff. Aber man sagte ihnen: Du hast Herr über dich selbst zu sein, einer höheren Idee zu dienen. Und man rief, was ja gerade bei primitiven Geistern und bei Leuten, die seelisch etwas „unterbemittelt" sind, oft sosehr zieht, einen falschen Idealismus hoch, der dann zu
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Dr. von MerkatzTaten führt, die, nüchtern betrachtet, für den Menschen überhaupt kaum verständlich sind.
Haben wir diese kollektive Vergiftung durch den Haß heute nicht auch noch in der Welt? Was. geschieht im Kongo? Was redet man den Menschen ein, bis sie zu Wahnsinnstaten schreiten? Hier, meine ich, sollte es doch eine strafrechtliche Therapie für die Zukunft geben. Rückwirkend kann man das alles nicht machen. Aber die Zeit ist reif, unser Gewissen ist geschärft, unser Bewußtsein ist vertieft, uns mit solchen Tatbeständen zu befassen.Etwas anderes sind die Revolutionsverbrechen. Sie sind Folge einer Anarchie. Und eines tritt doch ganz tief in das Bewußtsein unserer Zeit. Ich erinnere mich hier eines Ausspruchs meines alten Lehrers Professor Gerland aus Jena, der zu Beginn seiner Strafrechtsvorlesung sagte: „Bedenken Sie, daß all diese Kultur und Zivilisation ja nur ein kleiner Firnis über den Menschen sind. Darunter sind die unberechenbaren Triebe". Die Schuld, die tiefe Schuld, die bei Regimeverbrechern besteht, liegt darin, daß der Staat selber der eigentliche Anstifter des Verbrechens ist. Wenn man diese zivilisatorische Schicht hinwegräumt, sieht man, daß in der Tiefe des Menschen — jeder prüfe sich, auch Goethe hat darüber einiges gesagt — eine Hölle ist. Es ist die große Führungsaufgabe, die Ordnung des Rechts, gegen diese Tiefennatur des Menschen, da, wo die Hölle ist, wo die Anarchie ist, die jederzeit ausbrechen kann, wenn sie draußen gewisse Gelegenheiten dazu findet, anzugehen und diese Gefahr zu bannen.Das ist unsere Aufgabe, das ist unser Erbe, das ist die Schlußfolgerung, die wir aus der Zeit des Regimeverbrechens des Unrechtsstaates zu ziehen haben. Wir haben weitgehend gesühnt, die, die die Heimat verloren haben, die, die liebste Menschen verloren haben, die, die für ihr Leben lang zertreten worden sind. Denn es gibt Verletzungen der Seele, über die der Mensch nicht hinwegkommt. Hier im Hause sitzen viele — ich wage eigentlich kaum, es zu sagen, weil das eigene Erleben nicht so schrecklich gewesen ist —, die das, von dem ich eben sprach, durchgemacht haben. Daraus müssen wir eine Folgerung für die Zukunft ziehen, wir müssen unser seelisches Leben gesunden lassen. Aber das alles ist nicht mit rückwirkender Kraft und nicht zurückgespiegelt auf die andere Zeit zu machen, sondern nur im Schritt nach vorn.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich habe die Ehre, als letzter meiner Fraktion zu sprechen, und ich will mich bemühen, das nicht zu breit zu tun. Ich will versuchen, nur noch ein paar Gesichtspunkte zu dem hinzuzufügen, was von so vielen Stimmen so eindrucksvoll gesagt worden ist. Der Herr Bundesjustizminister hat vorhin gemeint — und vielleicht hat er recht —, manches Mitglied dieses Hauses habe vielleicht noch im Laufe des heutigen Tages seine Meinung geändert. Vielleicht hat er recht, vielleicht werde auch ich zu denen gezählt, die ihre Meinung geändert haben.Mein Kollege Benda, den ich ,aufrichtig 'beglückwünsche zu der Art, wie er sein Anliegen durchgesetzt, und zu der noblen Art, in der er es heute vertreten hat, hat mich in unserer Fraktion zum Gegenpart gezählt. Mit Recht! Ich bekenne mich auch jetzt noch dazu, daß ich mehr oder weniger Gegenpart bin. Aber ich sage: wenn hier einer seine Meinung geändert hat, schändet ihn das nicht. Auch wenn ich sie geändert hätte, würde ich mich durchaus dazu bekennen. Ich bin es gewohnt, dort, wo mit Argumenten gekämpft wird, Argument gegen Argument, auch ein besseres Argument anzunehmen.
Das schändet niemanden, meine Damen und Herren.Es kommt etwas hinzu, was auch der Herr Kollege Dr. Arndt schon angesprochen hat. Unsere Diskussion mit Argumentation geht über unseren innerdeutschen Raum hinaus. Das ist eine Diskussion in Europa. Und wenn mich etwas beeinflußt und beeindruckt hat, so sind es die Argumente der Freunde im Europarat gewesen, die Argumente, die man nicht leichthin beiseite schieben kann, Argumente, mit denen man sich auseinandersetzen muß.Und noch ein Drittes aus meinem bisherigen Beruf: man muß sich auch überstimmen lassen können — in Ehren.Ich sage das alles drei immer noch in dem Wunsch, es möge das möglich sein, was der Herr Kollege Dr. Arndt gesagt hat: einen gemeinsamen rechtmäßigen und gerechten Weg zu finden, um dieses Problem zu lösen. Denn das Problem ist ein bitteres für uns alle, meine Damen und Herren. Ich habe es erlebt seit 1945 als Richter und Staatsanwalt. Es hat mancher hier seine Qual bekannt — es ist eine eigene Qual —, nach einem Unrechtsstaat, nach so viel verdammtem Unrecht wieder Strafrichter und Staatsanwalt zu sein und das Recht einzufordern, und man kann es nur, wenn man die Gewißheit hat, in Gerechtigkeit in einer gerechten Ordnung strafen zu können.Da muß ich eines sagen, was gegen manche Selbstanklagen einfach gesagt werden muß. Wir Deutschen haben ja in der Verfolgung und Aburteilung dieser nationalsozialistischen Verbrechen ein ausgesprochenes Unglück gehabt. Wir haben sie nämlich nie in den Griff bekommen. Mit der Aburteilung begonnen haben die Alliierten in einer Zeit, in der wir in der Sache völlig ohnmächtig waren. Sie haben — das ergibt sich aus dem Bericht des Herrn Bundesjustizministers — zwischen 1945 und 1950/51 rund 5000 Menschen abgeurteilt, davon rund 1000 zum Tode verurteilt, und rund 600, würde ich aus dem Gedächtnis sagen, auch hingerichtet. Sie wissen, meine Damen und Herren, die alliierten Verurteilungen sind praktisch wieder ausgelöscht worden in den Begnadigungen der Jahre 1952 bis 1956/57.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8567
Dr. h. c. GüdeDiese doppelte Intervention der Alliierten in den deutschen Rechtsraum hat die Dinge verwirrt bis in den heutigen Tag;
das erste wie das zweite; das zweite fast noch schlimmer als das erste.Ich habe schon 1947 — oder wann — mit Aufmerksamkeit gelesen, was Jackson, der amerikanische Hauptankläger im Nürnberger Prozeß in der zweiten Anklagerede in einer sehr bemerkenswerten Unterscheidung .gesagt hat. Er hat gesagt: „Wenn das Statut dieses Gerichtshofes es sich zur Aufgabe macht, vergeltende Gerechtigkeit zu üben". Er zieht dann Folgerungen und fährt fort: „Das Statut kümmert sich ja nicht allein um vergeltende Gerechtigkeit; es spricht aus ihm auch ein Wille zum Aufbau." Der Herr Bundesjustizminister hat in seiner zweiten Rede dieses Thema angeschnitten, was vorgegeben sei — das Recht oder der Staat. Nun, Sie sehen an diesem unbefangen zitierten Beispiel: Blind vollzieht sich ,die Justiz in einem so großen Komplex nicht; das ist ein Irrtum, dem man nicht huldigen darf. Blind vollzieht sie sich nicht. Überlegen Sie sich, meine Damen und Herren — das ist der Überlegung auch heute noch wert —: 'Was hätten wir gemacht, wenn wir 1945 unserer selbst Herr gewesen wären? Wie hätten wir uns dieser Aufgabe der Sühne für das tausendfache Unrecht gestellt? Ich glaube, wir hätten sie uns nicht anders vornehmen können als — nun, ich sage einmal vorweg das Ziel — mit dem Ziel, in der Ahndung des großen Unrechts die große Gerechtigkeit wiederherzustellen. Wir hätten uns nicht vornehmen können, meine Damen und Herren, auch den letzten noch in diese Untaten Verwickelten zur Strafe zu ziehen, weil wir, wenn wir es so angefangen hätten, die große Aufgabe verfehlt hätten. Wir hätten die große Aufgabe verfehlt, das große Bild der Gerechtigkeit in diesem Volke wieder aufzurichten. Das Unglück, daß uns das nicht gelungen ist und nicht gelingt, verfolgt uns bis zum heutigen Tag. Denn — um das einmal ganz klar zu sagen — für alle, die in diesem Gebiete Strafrecht üben, gibt es die qualvolle Aufgabe, ein gerechtes Strafmaß zu finden im Hinblick auf die größeren und zum Teil großen Schuldigen, die nach zwei, drei oder fünf Jahren alliierter Haft auf freien Fuß gekommen sind, während die Viert-und Fünftrangigen, die hinter ihnen beteiligt 'waren, jetzt zur Aburteilung kommen und mit Strafen rechnen müssen, die 'weit über dem liegen, was die Größeren an Strafen wirklich verbüßt haben. Es ist so grotesk, daß man in manchem Falle bei einem von einem deutschen Gericht Verurteilten sagen muß, indem man 'ein Gnadengesuch unterstützt, — ich habe es letzthin schreiben müssen —: Wenn er das Glück gehabt hätte, von einem amerikanischen Militärgericht zum Tode verurteilt zu werden und nicht hingerichtet zu werden, dann wäre er jetzt schon wieder zehn Jahre auf 'freiem Fuß. Solche unglücklichen Fälle gibt es gar nicht selten, daß der Haupttäter seit zehn Jahren auf freiem Fuß ist und in recht angesehener Stellung sitzt, während ein Dritt- oder Fünftrangiger eine lebenslange Zuchthausstrafe absitzt. Hier ist — der Herr Kollege Arndt hat das, nicht heute, sondern in einem seiner Aufsätze mitRecht gesagt — die Gleichheit unheilbar verdorben worden.Meine Damen und Herren, ich sage das aus zwei Gründen. Erstens um die deutsche Justiz, auch die deutsche Regierung und uns alle von dem Vorwurf zu entlasten, daß wir etwa leichtfertig nichts getan hätten. In der Tat hat die .große Intervention der Alliierten jedes geschlossene Konzept verdorben. Zweitens, weil die drohende Verjährung nicht das einzige Unheil ist, Idas uns auf diesem Gebiet droht. Wenn wir uns vor Augen führen, daß jetzt 700 bis 800 Verfahren mit rund 14 000 Beschuldigten schweben, gegen die die Verjährung unterbrochen ist, dann wind klar, daß uns ein endloser Prozeß dieser Dinge droht, von dem ich glaube, daß er nicht gut ist — nicht gut für das deutsche Volk und nicht gut für das große Bild der Gerechtigkeit.
Wir werden nicht darum herumkommen — und es wäre gut, wenn wir das jetzt schon in diesem Zusammenhang sehen wollten —, der Justiz ihre Aufgabe zu erleichtern, indem wir Unterscheidungsmerkmale geben, damit immer noch nach Möglichkeit mit annähernder Gerechtigkeit erreicht werden kann, was für das deutsche Volk und für die Gerechtigkeit notwendig ist. Wenn wir die Dinge blind und automatisch ablaufen lassen, dann versündigen wir uns alle an der Aufgabe.Ich sage das auch aus einem ganz bestimmten Grunde. Ich will ihn nachher noch in den Zusammenhang stellen; aber ich will ihn jetzt schon nennen. Nach meiner Ansicht kann man die Verjährung nicht wahllos gegen das ganze Heer von Tätern und Gehilfen unterbrechen, sondern man muß eine Unterscheidung einführen, indem man — ich sage jetzt einmal: Die Schwererbelasteten, die Höherrangigen von den Mitläufern unterscheidet. In welcher Gestalt das geschieht, ist eine Frage für sich. Das kann man ganz kurz andeuten. In der Beratenden Versammlung des Europarates ist dieser Gesichtspunkt von einem Franzosen mit aller Klarheit ausgesprochen worden, genauso wie ich ihn dem Sinne nach jetzt entwickelt habe. Der Bürgermeister von Straßburg Radius hat dort, zu uns hin sprechend, gesagt:Gewiß, wir verlangen nicht die exemplarische Bestrafung der Ranglosen, derer, die schließlich nichts anderes getan haben, als sich einer eisernen Disziplin zu unterwerfen, und die nur Glieder in der Kette des Verbrechens waren. Von diesen Ranglosen und selbst den mittleren Rängen verlangen wir im Jahre 1965 nur, daß sie ein wenig Scham haben. Aber wir können nicht zulassen, daß für die während des letzten Krieges begangene Grausamkeiten bekanntgewordene Verantwortliche, die sich täglich an Schrecken geweidet haben, die Verjährung genießen.Sie sehen, hier trifft jemand von außen die Unterscheidung, die auch ich aus der Sache selbst entwickle und die ich seit Jahren für unentbehrlich halte, wenn Sie die Justiz nicht an dieser unmöglichen Aufgabe zugrunde gehen lassen wollen.
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8568 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Dr. h. c. GüdeIch zitiere jetzt einmal ein Wort eines alten jüdischen Freundes, meines ersten Ausbilders als Referendar, der in der Emigration Amerikaner geworden ist, des Landgerichtspräsidenten Dr. Marx, der sagte: Wenn man eine Lösung für die Ahndung der Exzesse sucht, muß man sich darüber klar sein, daß man einem Volk nicht zumuten kann, seine Vergangenheit immer wiederzukäuen. Ich hätte es vielleicht nicht gewagt, diesen Satz selbst zu sagen. Er stammt, wie gesagt, von einem Juristen, einem alten jüdischen Freund, der einmal mein Lehrer war. Aber es ist ein therapeutischer Satz. Es ist kein Satz für Juristen, es ist ein Satz für die Therapie für das Volk.Meine Damen und Herren, ich habe vorhin gesagt: Vielleicht werde auch ich zu denen gezählt, die ihre Meinung geändert haben. Ich habe sie nicht geändert hinsichtlich der Auslegung des Art. 103 Abs. 2. Insoweit bin ich für mein Teil immer der Auslegung beigetreten, die die Verjährung als nicht durch die Garantie der Verfassung gedeckt ansehen. Aber ich sage gleich: Es haben sich so namhafte, so ernst zu nehmende Stimmen dafür ergeben, daß ich für mein Teil sage: Wenn Sie die Frage der Verlängerung der Verjährung verfassungssicher regeln wollen, so sicher, daß sie für die Praxis brauchbar ist und daß sie nicht noch Jahre im Ungewissen schwebt, meine Damen und Herren, dann müssen Sie sie in der Tat — und darin stimme ich im wesentlichen dem Abgeordneten Dr. Arndt und dem Antrag der SPD zu — im Wege der Grundgesetzänderung untermauern. Nur das gibt eine sichere I Grundlage.Ich selbst werde der endgültigen Lösung, die wir gemeinsam suchen müssen, nur dann zustimmen, wenn nicht noch einmal das ganze Geröll der 14 000 Fälle — und vielleicht sind es dann 16 000 oder 17 000 Fälle — vor uns hergeschoben wird, sondern wenn eine Lösung gefunden wird, die, sei eis durch Lockerung des Verfolgungszwangs, sei es durch tatbestandliche Ausgliederung, die Verlängerung der Verjährung auf einen schmalen Sektor der größeren Verantwortlichen beschränkt, der Ranghöheren, derjenigen, die ,es bei Gott verdienen, daß sie bestraft werden. Je weiter nach unten, desto zweifelhafter wird das Verdienen, desto zweifelhafter wird auch die Chance des Prozesses.Ich will Ihnen sagen, warum ich, der ich von Hause aus gesagt habe: Ich bin gegen die Verlängerung der Verjährung, mich bereit erkläre, nach dem rechtmäßigen und gerechten Weg mit zu suchen. Das Schlimmste, was einer Strafverfolgung passieren kann, ist, daß sie vom Zufall abhängig wird. Der Herr Kollege Busse hat vorhin gesagt: Das war schon immer eine Folge der Verjährung, daß Morde und Totschläge und andere Delikte ungesühnt geblieben sind. Dazu sage ich: aber nie in der Weise, daß der eine neben dem anderen durch Zufall der Strafe entgeht und der andere durch Zufall der Strafe zugeführt wurde.
Der wesentliche Unterschied ist, daß es 'bei Komplexen mit völlig vergleichbaren Tätern auf denZufall ankommen soll. Der Zufall ist — jedenfalls für die Wirkung der Strafjustiz — der gefährlichste Feind der Gerechtigkeit.Meine Damen und Herren, ich habe — ich glaube, Herr Dr. Barzel 'hat es heute morgen schon gesagt — nicht das Glück, für den geschlossenen Block einer Fraktion sprechen zu können. Es gibt bei uns — Sie haben das eben von Herrn von Merkatz gehört — Männer, die mit genau derselben Leidenschaft wie Herr Dr. Dehler — vor beiden meinen tiefen Respekt — eine Verlängerung ablehnen. Sie finden solche, die für eine Verlängerung der Verjährungsfrist eintreten, und Sie finden skeptische, mittlere Positionen wie die meine, von der aus ich allerdings sowohl zu meiner eigenen Fraktion wie zu dem ganzen Hause sage: Suchen Sie mit, 'helfen Sie mit, zu einem rechtmäßigen und einem gerechten Weg zu kommen, der das berücksichtigt, was in der Sache selbst auf uns als Aufgabe zukommt! Helfen Sie alle mit! Es hat keinen Sinn — nein, es hat keinen Sinn —, sage ich für mich, doktrinär an meinem ursprünglichen Standpunkt festzuhalten. Die größte Chance der Gerechtigkeit sehe ich auf dem anderen Weg. Von daher, von meinem eigenen Standpunkt her, appelliere ich an Sie alle, meine Damen und Herren: Schwören Sie sich nicht jetzt schon fest, bevor die Beratung beginnt!
Schwören Sie sich nicht fest, bevor die Beratung beginnt! Wir werden — dafür 'zeugt schon diese Debatte — an keine Aufgabe mit größerem Eifer, mit 'heißerem Herzen, mit mehr 'Rechtsgewissen herangehen als an diese. 'Schwören Sie sich nicht fest, sondern helfen Sie mit, einen Weg zu suchen, der der Gerechtigkeit und dem Ansehen des deutschen Volkes und der Justiz und allen Dingen dient, die uns teuer sind und die von beredterem Mund als dem meinem heute so hoch gepriesen worden sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus den Reihen meiner Fraktion liegen zwei Anträge vor, die zusammen mit anderen Anträgen nunmehr dem zuständigen Ausschuß des :Deutschen Bundestages zur Beratung überwiesen werden dürften. Es ziemt sich daher für einen der Antragsteller, nach dem bisherigen Verlauf der Debatte noch einige Worte über seine Eindrücke aus dieser Debatte zu sagen. Der Deutsche Bundestag 'hat den ersten Plenarsitzungstag benutzt, der nach der von ihm selbst geforderten Vorlage des 'Berichts der Bundesregierung zur Verfügung stand, um dieses Problem, um das es heute geht, zu erörtern. Wir haben eine 'bewegende Aussprache über Probleme des Rechts und der Gerechtigkeit, des Rechtsstaates und des Unrechtsstaates und der Konsequenzen gehabt, die beide für unser Volk haben. Es geht wohl niemandem in diesem Raum um ein Sondergesetz. Es geht um eine Rechtsnorm,
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8569
Erlerdie für gleiche Tatbestände gleiches Recht auch in Zukunft anwendet. Es geht um Mord und um nichts anderes. Die Regierungsvorlage zur Großen Strafrechtsreform hat seinerzeit schon erkennen lassen, daß die bisher für dieses Verbrechen geltende Verjährungsfrist von 20 Jahren sich nicht so bewährt hat, wie der Kollege Dr. Dehler meint. Die Verhältnisse haben sich seit 1871 gewandelt, nicht nur angesichts der Katastrophen, durch die unser Volk hindurchgegangen ist, auch sonst schon im Hinblick auf die gestiegene Lebenserwartung hat sich manches geändert. Die Abschaffung der Todesstrafe ist auch ein Argument, zu prüfen, ob bei einem solchen Delikt eine zeitliche Verjährungsfrist noch angemessen ist.Das wirkliche Problem, um das es hier und heute geht, ist aber nicht allein die Abschaffung der Verjährung für Mord schlechthin oder die Verlängerung der Verjährungsfrist. Das würde uns weniger innerlich bewegt haben, wenn wir nur diskutierten für Verbrechen, die von nun an begangen würden. Das wirkliche Problem ist das, was — und ich glaube, nicht ganz zu Recht — unter .dem Gesichtspunkt der Rückwirkung hier erörtert worden ist. Rückwirkend wäre ein Beschluß, ein Gesetz, wie es Kollege Benda vorsieht oder wie wir es vorsehen, doch nur dann, wenn es sich auf bereits verjährte Straftaten erstrecken würde. Daran denkt niemand.
Durch die Aufhebung der Verjährung oder Fristverlängerung wird an der Substanz des Strafanspruchs selbst nichts geändert. Wir sind damit meilenweit fern etwa von jener Sondergesetzgebung, mit der nachträglich Rechtsnormen, die zum Zeitpunkt der Begehung der Tat galten, zum Nachteil des Beschuldigten geändert wurden, wie etwa seinerzeit zu Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, als man für Brandstiftung die Todesstrafe einführte, nur um der nachträglichen Wirkung willen, eines vielleicht lästigen Zeugen sich entledigen zu können. Wer auch nur von Ferne an derartige Parallelen denkt, der sieht die rechtliche Problematik nicht richtig.Ich verstehe sehr wohl all die Bedenken derer, die aus Sorge um das Recht hier einen anderen Standpunkt vertreten, als ihn Kollege Benda und viele Angehörige seiner Fraktion und auch viele der meinen vertreten, obwohl ich davon überzeugt bin, daß die Richter des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, die die zugrunde liegende Rechtsfrage ja bereits entschieden haben,
es sich bei ihren Urteilen nicht leicht gemacht haben.Meine Damen und Herren, wir haben den Vorschlag der Grundgesetzänderung gemacht, um einen Weg zu weisen, der jeden Zweifel ausschließt, obwohl es für viele nach den höchstrichterlichen Entscheidungen solche Zweifel nicht gibt. Aber wir haben Respekt auch vor denen, die solche Zweifel halben. Daher der Vorschlag der Grundgesetzergänzung.Ich habe mit Befriedigung gehört, wie heute, wohl für einen großen Teil seiner Freunde aus der CSU, der Kollege Memmel wenigstens einen Gedanken als wohlwollender Prüfung wert bezeichnete, nämlich den, zu prüfen, ob es denn wirklich der Weisheit letzter Schluß sei, daß die Rechtspflege in Deutschland nur Ibis zum 8. Mai 1945 gehemmt gewesen sei. Sicher ist es richtig, daß alsbald nach diesem 8. Mai von alliierten und auch von deutschen Gerichten bestimmte Gruppen von Taten und Tätern verfolgt und bestraft worden sind, aber eben nur bestimmte. Eine ordnungmäßig organisierte Untersuchung und Verfolgung jener schrecklichen Gewalttaten aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft war in den ersten Jahren nach 1945 noch nicht möglich. Es dürfte sich also lohnen, auch diesen Weg sorgsam zu prüfen.Ich möchte mich dem Appell des Kollegen Güde anschließen: wir sollten uns in dieser Debatte nicht schon festschwören, sondern bei der allgemeinen Gesinnung, die hier zum Ausdruck kam, gemeinsam nach einem Wege suchen, der der Gerechtigkeit dient und Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit auszuschließen geeignet ist.Es wurde von Beweisnotstand gesprochen, der eventuell eintreten würde, wenn man die Verjährung aufhöbe oder die Fristen verlängerte. Das gilt doch auch für die vielen, vielen Verfahren, bei denen der Lauf der Verjährungsfrist bisher durch richterliche Handlung unterbrochen worden ist.
Da gibt es doch gar keinen Unterschied. Was wir eben nicht wollen, ist, daß es ein Privileg gibt für bisher unbekannt gebliebene Mörder. Das ist der wirkliche Sachverhalt.
Vielleicht ist es gut, diesen Teil unseres Problems auch noch einmal der Umwelt deutlich zu machen, weil wir draußen sehr mißverstanden worden sind. Manches Echo — nicht nur bei denen, die die Bundesrepublik Deutschland gewohnheitsmäßig diffamieren, in den östlichen Ländern, von Ost-Berlin ganz zu schweigen, vielmehr auch im Westen — hat das Problem, um das wir heute ringen, in grauenhafter Weise verzerrt dargestellt. Da sieht es so aus, als ob sich am 8. Mai 1965 die Zuchthaustore öffneten und alle Mörder der nationalsozialistischen Ara frei herumliefen und den Demokraten schadenfroh ins Gesicht blickten. So war die Propaganda.
Deshalb ist es vielleicht ganz gut, Herr Kollege Memmel, daß gerade ich hier so, wie wir es bei unseren Freunden bei einer Tagung in London in der Sozialistischen Internationale taten und deshalb einen sehr korrekten Beschluß unter Mitwirkung auch von Vertretern aus dem Lande Israel herbeigeführt haben, noch einmal darauf aufmerksam mache: es handelt sich ausschließlich und allein um die Untersuchung und Verfolgung von bisher un-
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Erlerbekannt gebliebenen Mordtaten und bisher unbekannt gebliebenen Tätern, um nichts anderes. Das ist das wirkliche Problem, nicht weil das andere nicht auch Probleme' stellte, aber weil das andere rechtlich einwandfrei gelöst ist und im übrigen dann lediglich menschliche Unvollkommenheit, Zeitablauf und andere Umstände vielleicht dazu beitragen, daß der Gerechtigkeit nicht immer so Genüge getan wird, wie wir das vielleicht für richtiger hielten.Wir haben es dabei auch mit jenem Problem zu tun, auf das ich in einer kürzlichen Debatte einmal kurz aufmerksam gemacht habe. Wie oft — wir haben es übrigens heute auch bei den Krankenschwestern noch einmal kurz besprochen — erleben wir es, daß Menschen vor Gericht stehen und sich dort — ob zu Recht oder zu Unrecht, das will ich jetzt gar nicht untersuchen — auf den Befehlsnotstand berufen. Manchmal wird er zugebilligt, manchmal nur in Grenzen, manchmal ist die eigene Verantwortlichkeit größer, das eigene Zutun, die eigene sadistische Veranlagung stärker, als der - erteilte Befehl es war. Dennoch zwingt uns schon dieses häufige Auftauchen des Arguments vom Befehlsnotstand, darüber nachzudenken, daß es doch Männer gegeben haben muß, die jene anderen in den Befehlsnotstand hineingebracht haben. Sollen sie milder davonkommen als die gequälten anderen? Auch das ist ein Problem, das einen der Hintergründe der heutigen Debatte bildet.Bei allen diesen Fragen haben wir es auch — unbeschadet des in jedem Staatswesen normalen Ringens um Recht und Gerechtigkeit — mit einem schrecklichen Kapitel der Geschichte unseres eigenen deutschen Volkes zu tun. Wem von uns stockte nicht seinerzeit das Blut in den Adern, als er die Einzelheiten las über die Vorgänge in Auschwitz und Treblinka, oder Jahre vorher schon über die in Buchenwald und anderen Orten auf deutschem Boden, wo Untaten auch an Deutschen in grauenhaftem Ausmaße verübt worden waren?Wenn wir an jenes Geschehen denken — durch die jüngsten Prozesse wieder in Erinnerung gerufen —, 'dann ist es ganz klar, daß es bei jenen sadistischen Tätern und Taten eben nicht um mißbrauchte Idealisten ging, sondern •ausschließlich und allein um Morde und Mörder.Unser Kollege Dr. Dehler hat nun die Frage gestellt: Was war hier Verantwortung der Staatsmaschine und was war Menschenwerk? Meine Damen und Herren, wer ist denn eigentlich der Staat? Ist das ein Abstraktum, ganz fremd, losgelöst von den Menschen? — Wohl doch nicht. In unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung besteht der Staat aus der Gesamtheit unserer Bürger, die ihn tragen. In der Zeit der Gewaltherrschaft war das sicher anders. Aber dennoch war das, was von der Gewaltherrschaft angerichtet wurde, doch auch nicht möglich ohne jene lebendigen Menschen, welche Verbrechen planten, anordneten, ausführten und gegen Entdeckung sicherten. Um die geht es, nicht lediglich um die Maschine, wohl wissend, daß der Mechanismus einer totalitären Gewaltherrschaft sehr viel mehr imstande ist, Menschen auf die Bahn des Unrechtes zu führen, die in einer normalen demokratischen Gesellschaft niemals auf einen solchen Weg geraten wären. Und diese Menschen nun, von denen ich eben sprach, sie waren — niemand von uns kann und will das leugnen — Angehörige unseres Volkes.Herr Kollege Barzel hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß wir uns wehren — nicht erst seit heute und gestern; hier wurde an Kurt Schumacher erinnert — gegen jene früher einmal weit verbreitete Irrlehre von der Kollektivschuld des deutschen Volkes. Was aber bleibt, ist Verantwortung, Verantwortung all der Älteren, zu denen sich auch die einstmals Jüngeren dieses Hauses nun langsam zählen müssen, dafür daß es einmal so weit kam, Verantwortung auch derer, die im Widerstand standen und nicht stark genug waren, das Unheil beizeiten aufzuhalten, Verantwortung derer, .die in Weimar nicht nur von den Extremen her die Demokratie zerstört haben, sondern auf der Seite der Demokratie nicht fähig genug waren, jene Demokratie mit Zähnen und Krallen und Geschick gegen die Anfechtungen des Totalitarismus zu schützen, ein Stück Mitverantwortung wohl auch jener Umwelt, die der Weimarer Demokratie jenes Mindestmaß an nationalen Zugeständnissen verweigerte, die man später in überreichem Maße der Hitlerschen Erpressungspolitik gegenüber aufgebracht hat.
Meine Damen und Herren, wir alle gehören zur ganzen deutschen Geschichte und bemühen uns darum, daß dieses unser Volk mit sich selbst ins reine kommt, sich mit sich selbst aussöhnt. Daher spüren wir die Verantwortung dafür, daß die Schrecken der Vergangenheit sich nicht wiederholen dürfen, daß nicht von deutschem Boden eine neue Drachensaat gesät werden kann, und da gilt es, ein paar Zeichen aufzurichten. Eines dieser Zeichen betrifft das Thema, über das wir heute sprechen: daß Mord nicht ungesühnt bleibt. Ein zweites Zeichen ist vom Kollegen Barzel erwähnt worden: daß wir uns nicht abfinden können mit einem neuen Unrechtsstaat auf deutschem Boden; auch daher die schonungslose Auseinandersetzung mit dem Ulbricht-Regime in Verantwortung vor der deutschen Geschichte, weil uns in diesem Regime erneut 'ein Stück böser deutscher Vergangenheit in der Form der totalitären Gewaltherrschaft ins Auge blickt.
So gehen wir frei von Selbstgerechtigkeit — denn wir wissen alle, was an Schwerem hinter uns liegt — redlich in diese Auseinandersetzung hinein. Daraus erwächst dann aber auch der Anspruch auf Verständnis der Umwelt für diese unsere Probleme. Wer Haß gegen das deutsche Volk zu säen unternimmt, der verfällt damit einem umgekehrten Rassimus, der bereitet damit den Lehren Hitlers einen späten, nachträglichen Triumph, den man ihnen nicht zubilligen sollte. Wer ein Volk .ständig als schwarzes Schaf behandelt, der kann damit gefährliche Reaktionen heraufbeschwören.
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ErlerWer unserem Volk eine hellere Zukunft sichern will, der muß auch den Jüngeren die Lehren unserer Geschichte übermitteln. Unsere Geschichte besteht nicht nur aus den letzten drei bis vier Jahrzehnten. Sie enthält große Kapitel und unvorstellbar Schreckliches, Glanz und Elend, Höhen und Tiefen. Scham kann kein Dauerzustand für die heranwachsende Generation eines Volkes sein,
insbesondere jener Generation, die erst geboren wurde, nachdem das Hitler-Regime längst an der Macht war. Aber uns allen hier in diesem Hause geziemt Scham über das Geschehene, das damals leider im deutschen Namen Geschehene, damit aus Läuterung und Lehre die Keime wachsen können auch für den Stolz, diesem unserem reichbegabten Volk anzugehören, das in seiner überwältigenden Mehrheit so zäh ringt um Demokratie und Rechtsstaat, um Ausgleich und um Frieden. Ich glaube, das ist die Gesinnung, in der wir hier miteinander verbunden sind.Zum Problem selbst gibt es in allen Parteien verschiedene Meinungen, auch in der meinen. Wir haben gestern lebhaft die Fragen durchgesprochen und mit Mehrheit Vorschläge vorgelegt, damit auch von unserer Seite her ein konstruktiver Beitrag geleistet werden konnte. Eingeschworen ist niemand. Wir hoffen, daß es gelingt, in den Beratungen der Ausschüsse eine Lösung auf möglichst breiter Grundlage zu finden. Wie sie auch aussehen mag, in diesem Hause wird jeder, auch jeder Abgeordnete meiner Fraktion, nur nach seinem Gewissen abstimmen und nach keinem anderen Maßstab.Allerdings hätte ich es wegen der Wirkung dieser Debatte auf unser Volk und auf die Umwelt begrüßt, wenn der Herr Bundeskanzler seine Meinung gesagt und damit auch seine Autorität ins Feld geführt hätte.
Ich hoffe nach den Äußerungen des Herrn Justizministers, daß die Unterstützung der Regierung im Ausschuß nicht nur in technischer Formulierungshilfe bestehen wird, sondern etwas darüber hinausgeht.Wir wollen das Problem weder unter dem Druck der Umwelt lösen noch Drohungen aus dem Inland nachgeben, die es ja auch gibt. Wir haben die Hoffnung, einvernehmlich zu einer breiten eindrucksvollen Mehrheit in diesem Hause zu kommen. Dabei möchte ich dem Kollegen von Merkatz, der den Unterschied zwischen ,dem Recht und der Gerechtigkeit dargetan hat, das entgegenhalten, was einmal im Aufgreifen eines alten, alten Wortes der frühere Bundespräsident Heuss in seiner Antrittsrede in diesem Hause gesagt hat: Gerechtigkeit erhöhet ein Volk.
Meine Damen und Herren, ich habe keine Wortmeldungen mehr vorliegen und schließe daher die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Kann ich über die Punkte b), c) und d) in einem Gang abstimmen lassen?
— Dann stimmen wir über diese drei Punkte ab. Es ist die Überweisung an den Rechtsausschuß 'beantragt. Kein weiterer Antrag? — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen zahlreiche Gegenstimmen mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, es ist nicht Sache des Präsidenten, dem Parlament Zensuren zu erteilen. Aber ich nehme mir das Recht, zu sagen, daß dieser Tag dem Parlament zur Ehre ,gereicht.
Nach einer Absprache der Fraktionen soll vor dein Punkt 3 behandelt werden der
Antrag der Fraktionen •der CDU/CSU, FDP betr. Bildung eines Sonderausschusses „Parteiengesetz" .
Wer spricht zur Begründung? — Zur Begründung hat der Abgeordnete Wagner das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schwer, nach dieser erregenden Debatte über die Frage der Verlängerung der Verjährungsfrist, in der unser Sachverstand, unsere Verantwortung und unser Gewissen in so hohem Maße angesprochen wurden, ein Thema — sicherlich von hohem Rang, aber nüchterner Natur — wie das Parteiengesetz hier zu behandeln. Ich hätte dieser Beratung eine günstigere Placierung gewünscht. Aber die Arbeitslage in diesem Hause läßt dies nicht zu. Ich möchte Ihnen kurz den Antrag der CDU/CSU und der FDP auf Einsetzung eines Sonderausschusses „Parteiengesetz" begründen.Meine Damen und Herren! Ich bin sicher, wir sind uns alle in diesem Hause einig, daß das Parteiengesetz so schnell wie möglich, d. h. auf jeden Fall noch vor Abschluß dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollte. Das gebieten uns der Auftrag des Art. 20 des Grundgesetzes und außerdem die Notwendigkeit, auch die Satzungen der Parteien so bald wie möglich in Einklang zu bringen mit dem Wahlrecht, mit dem neuen Vereinsrecht und dem zu schaffenden Parteiengesetz. Die CDU/CSU-Fraktion hat diesen Willen zuletzt durch ihren Vorsitzenden Dr. Barzel am 15, Februar 1964 anläßlich der damaligen Haushaltsdebatte deutlich gemacht. Wir haben uns in der Folgezeit bemüht, zu einem gemeinsamen Vorschlag zu kommen. Diese Bemühungen sind leider gescheitert.Heute liegen uns nun ein Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU, FDP — Drucksache IV/2853 — und ein Antrag der SPD-Fraktion — Drucksache IV/3112 — vor. Die sorgfältige Beratung von zwei Entwürfen erfordert Zeit, mehr Zeit, als uns in den
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8572 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Wagnernormal damit zu befassenden Ausschüssen — dem Innenausschuß und dem Rechtsausschuß — zur Verfügung steht, wenn wir nicht andere Gesetzesmaterien dort einfach in den Papierkorb werfen wollen. Im Innenausschuss stehen derzeit noch 34 Vorlagen zur Beratung an, bei denen der Innenausschuß federführend oder mitberatend ist. Ähnlich ist die Lage im Rechtsausschuß. Dort sind es 43 Vorlagen, bei denen der Ausschuß federführend oder mitberaTend tätig ist. Wenn wir wollen, daß das Parteiengesetz noch vor Abschluß dieser Periode verabschiedet wird, gibt es keinen anderen Weg als den der Einsetzung eines Sonderausschusses. Das ist der einzige Grund für unseren Antrag.Es ist ein Antrag, der aus Gründen der Zweckmäßigkeit so gestellt wird, und ich möchte Sie — um das Ziel zu erreichen, das Parteiengesetz noch vor Abschluß dieser Legislaturperiode zu verabschieden — bitten, unserem Antrag auf Bildung eines Sonderausschusses „Parteiengesetz" zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein Irrtum, Herr Rasner, wenn man meint, daß man durch möglichst viele Ausschüsse die Arbeit beschleunigen könne. Es handelt sich bei dem Parteiengesetz — ganz richtig hat das Herr Kollege Wagner dargelegt — um einen Verfassungsauftrag. Dann ist es auch sinnvoll und normal, daß der Ausschuß, der Verfassungsaufträge oder Verfassungsergänzungen behandelt — es 'handelt sich um den Rang der Verfassungsergänzung —, nämlich der Rechtsausschuß, diese Beratung mindestens als mitberatender Ausschuß vornimmt.
Wir meinen aber auch, daß gar keine Beschleunigung auf Grund eines solchen Antrags eintritt. Denn es sind die gleichen Abgeordneten, die gleichen Kollegen, die die Vorbesprechungen geführt haben, die im Rechtsausschuß und die im Innenausschuß tätig sind und die dann wieder benannt werden müssen für den Sonderausschuß. Dieser Sonderausschuß kann auch nicht tagen, wenn einer der Hauptausschüsse tagt. Sie wollen doch nicht indirekt — auf das käme es 'heraus — die Hauptausschüsse dadurch stillegen, daß Sie den Sonderausschuß tagen lassen.
Wir meinen also, es wäre sinnvoller, den Entwurf eines Parteiengesetzes auf die übliche Weise an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Es besteht gar nicht die Notwendigkeit, einen Sonderausschuß zu schaffen. Wir sind mit Ihnen der Meinung, meine Herren Kollegen von den Koalitionsparteien, daß das Parteiengesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll. Wir meinen aber, das geschieht zuverlässiger und richtiger durch Beratung in den bestehenden Ausschüssen. Deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Dann stimmen wir ab. Wer für die Einsetzung des beantragten Sonderausschusses „Parteiengesetz" ist, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen. Das erste war die Mehrheit, der Antrag ist angenommen.
Dann rufe ich die Punkte 3 a) und 3 b) auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die politischen Parteien (Drucksache IV/2853) ;
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die politischen Parteien (Drucksache IV/3112).
Können beide Punkte gemeinsam beraten werden? Wer begründet die Vorlage unter 3 a)? — Das Wort hat der Abgeordnete Professor Burgbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage der Fraktionen der CDU/CSU und FDP beruht auf dem Grundgesetzauftrag in Art. 21. Bekanntlich ist in unserem Grundgesetz — meines Wissens dem einzigen in der freien Welt mit einer solchen Vorschrift — in Art. 21 den politischen Parteien ein Auftrag erteilt worden: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit ... Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen ... Das Nähere regeln Bundesgesetze."Ich gehörte zu denen, die der Meinung waren — und ich habe noch eine leise Hoffnung —, daß die Endfassung des Parteiengesetzes, wie sie nach den Beratungen in dem nunmehr beschlossenen Sonderausschuß in der zweiten und dritten Lesung vorliegen wird, vielleicht zum wesentlichen Teil, wenn nicht völlig einvernehmlich erfolgt.Vor dieser Vorlage liefen monatelang Verhandlungen der von den Präsidien der in diesem Hause vertretenen Parteien bestellten Vertreter mit dem Versuch einer einvernehmlichen Regelung. Diejenigen, die diese Auffassung vertreten haben, sind der Meinung, daß es unserem demokratischen Staat gut anstehe, wenn die Parteien dieses Hauses untereinander so viel Verständnis für ihre berechtigten Anliegen — im Rahmen des Grundgesetzes — aufbrächten, daß sie dieses Gesetz möglichst im Einvernehmen verabschiedeten. Es ist in der Tat gelungen, über eine große Zahl von Bestimmungen ein Einvernehmen zu erzielen, wenn auch in dem einen oder anderen Punkt mehr oder weniger bedeutende Unterschiede zwischen dem SPD-Entwurf und dem Koalitionsentwurf zu verzeichnen sind.Es ist nach meiner Auffassung vieleicht begreiflich, aber nicht berechtigt, die Debatte über das Parteiengesetz mehr oder weniger zu einer Debatte über die Parteienfinanzierung zu machen. Der Inhalt des Parteiengesetzes hat eine weit über diese Finanzfrage hinausgehende Bedeutung für unser politisches Leben.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8573
Dr. BurgbacherEs ist bedauerlich, daß über die Punkte der Rechenschaftslegung und der Finanzierung kein Einvernehmen erzielt werden konnte. Die Koalitionsparteien stehen auf dem Standpunkt, daß die Rechenschaftslegung nicht nur die Einnahmen, sondern aus praktischen Gründen auch .die Ausgaben einbezogen werden sollten, ebenso die Vermögensrechnung der Parteien, und. zwar mit Rücksicht auf die sehr verschiedene Situation auf diesem Gebiet, auf deren Kenntnis man bei der Beurteilung von Fragen der Chancengleichheit und bei anderen Fragen nach unserer Auffassung in der Öffentlichkeit nicht verzichten kann.Außer in der Frage der Rechenschaft besteht eine Differenz bezüglich der Finanzierung. In dem Entwurf der Koalitionsparteien ist 1 DM pro Wahlberechtigten und Jahr vorgesehen. Das sind die in dem Haushalt beschlossenen 38 Millionen DM. Die SPD konnte sich nicht entschließen, dem zuzustimmen, sondern hatte in den Besprechungen einen Vergleichsvorschlag gemacht, der sich im materiellen Ergebnis bei der Verabschiedung des Haushalts wieder in dem Antrag dargestellt hat, an Stelle von 38 Millionen DM oder 1 DM pro Wahlberechtigten und Jahr 20 Millionen DM oder knapp 60 Pf pro Wahlberechtigten und Jahr einzusetzen.Worauf beruht die unterschiedliche Beurteilung? Sie beruht darauf, daß die Koalitionsparteien leider — leider! — nicht über die Mitgliederzahlen verfügen, die die Sozialdemokratische Partei Deutschlands aufweist. Ich habe „leider" gesagt und wiederhole das. Ich bedauere, daß unsere Wähler uns zwar, wie .die Sitzverteilung in diesem Hause beweist, in gutem Umfange wählen, aber nicht in entsprechendem Umfange unsere Mitglieder sind. Da aber das Grundgesetz die politische Bedeutung der Parteien nicht in ihrer Mitgliederzahl sieht, sondern in der Zahl der Stimmen, die von unsern Mitbürgern in geheimer Wahl abgegeben werden, glauben wir, daß die Finanzierung der Parteien nicht allein nach Mitgliederzahl-Gesichtspunkten, sondern auch nach dem politischen Gewicht zu beurteilen ist, das durch die geheime Abstimmung der Bürger zum Ausdruck kommt.Die Mitgliedsbeiträge der drei in der Koalition vertretenen Parteien betragen zusammen rund 5 Millionen DM pro Jahr. Die der SPD betragen rund 14 Millionen DM pro Jahr. Außerdem verfügt die SPD über ein für ihre Interessen erfreuliches Vermögen, dessen Grundstock sie mit vollem Recht als Rechtsnachfolger der alten Sozialdemokratischen Partei aus den Wiedergutmachungsmitteln legen konnte. Wenn ich richtig unterrichtet bin, sind in den Unternehmen der SPD etwa 15 000 Personen beschäftigt, und ich glaube, vermuten zu dürfen, daß diese Unternehmen der SPD einen Jahresumsatz von 250 Millionen DM und einen Vermögenswert von rund 200 Millionen DM haben.In dem § 8 des Parteistatuts der SPD vom 29. Mai 1962 ist bestimmt:Zur Deckung der Werbeunkosten zentraler Einrichtungen haben alle Parteiunternehmungen geschäftlicher Art einen monatlich an die Kassedes Parteivorstandes abzuführenden Werbebeitrag zu leisten, dessen Höhe jährlich vom Parteivorstand festgesetzt wird.Aus dieser Darstellung ergibt sich, daß, wenn die' Öffentlichkeit über die Finanzkraft der Parteien gemäß Art. 21 des Grundgesetzes zutreffend unterrichtet sein will, die Vermögensrechnung in die Rechenschaftslegung einzubeziehen ist.Wir haben in unserem Entwurf weiter die Einführung von Spendenscheinen vorgesehen. Die Parteien sollen nach unserer Vorstellung Spendenscheine an Spender verkaufen dürfen, und dann sollen dem Spender 40 % seiner Spende aus öffentlichen Kassen zurückvergütet werden.
— Kein Mensch ist über diese Konstruktion außergewöhnlich glücklich, auch wir nicht.
— Sie haben uns dazu gezwungen durch das Urteil — —
— Ich komme noch darauf. Dann ist es eine Frage des Gemüts, ob Sie lachen oder weinen wollen; es macht mir auch nichts aus.Diese Spendenscheine sind vorgesehen in Höhe der doppelten Summe der öffentlichen Mittel. Wenn wir in dem Parteiengesetz 1 DM pro Wahlberechtigten vorgesehen haben, so ist damit gleichzeitig eine Obergrenze gezogen. Wer alle anderen Aufwendungen und Ausgaben des deutschen Volkes für Zwecke, die nach unserer Meinung der politischen Bedeutung der Parteien in keiner Weise nahekommen, kennt, der muß feststellen, daß diese Begrenzung, die ja dann im Gesetz ist und damit eine Begrenzung nach oben und unten ist, auch ihr Gewicht und ihre Berechtigung hat.Nun haben Sie gefragt, wer uns dazu zwingt, diese Spendenschein-Idee vorzulegen, und ich habe gesagt: Sie! Dafür bin ich den Beweis schuldig: Die Koalitionsparteien haben bis 1958 — in Wirklichkeit ging es noch etwas weiter, weil das Bundesverfassungsgericht eine Karenzzeit zugelassen hat — außer aus Beiträgen aus Spenden gelebt, die steuerlich abzugsfähig waren. Das Land Hessen hat damals beim Bundesverfassungsgericht eine Klage angestrengt mit dem Ziele, die steuerliche Abzugsfähigkeit mit Rücksicht auf die verschieden große Begünstigung durch die steuerliche Abzugsfähigkeit für unzulässig zu erklären
— Herr Schmitt-Vockenhausen, ich werde Sie sehr bald an Ihren Respekt vor dem Verfassungsgericht erinnern! —, und zwar mit der Begründung, daß die Potenz der Wählerschaft verschieden sei. Ich übertreibe jetzt etwas, weil es so lustig ist, das in der heutigen Sicht festzustellen: Die SPD hat die mehr
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8574 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Dr. Burgbacherarmen Leute und wir anderen haben die mehr reichen Leute.
— Laut Verfassungsgericht!
Der zweite Grund war der, daß nicht nur die Potenz der Wähler verschieden 'sei, sondern der reiche Wähler — das ist unzweifelhaft richtig — durch die Progression des Einkommensteuerrechts bei Abzugsfähigkeit seiner Spende einen größeren Vorteil habe als der Spender in kleineren Verhältnissen.So gesehen ist das ganz richtig, obwohl natürlich die Sache mit der Chancengleichheit so mathematisch gemessen einen Sondervortrag wert ist; aber damit will ich Sie heute verschonen; außerdem ist es Verfassungsgerichtsurteil und damit basta.Aber in dem Antrag des Landes Hessen beim Verfassungsgericht, der durch unseren sehr verehrten Kollegen Arndt vertreten wurde, war enthalten, daß das Land Hessen der Meinung war, es wäre doch viel besser, wenn die Parteien nicht durch steuerabzugsfähige Spenden, die die dargelegten Mängel hätten, sondern aus öffentlichen Mitteln finanziert würden. Dieser Hinweis im Antrag des Landes Hessen — in Klammern bemerkt: der SPD — auf die öffentlichen Mittel wurde dann von Herrn Kollegen Dr. Arndt im Prozeß — Akten Seite 21 -zurückgezogen. Herr Dr. Arndt hat gesagt: nein, das meine er auch nicht — die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, die vorher noch das Land Hessen
— Sie werden doch vor dem Land Hessen noch Respekt haben, oder nicht mehr? — in seinem Antrag für richtig gehalten hatte.Jetzt kommt aber der Punkt, verehrter Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wo ich Sie — und auch Sie, Herr Kollege Schäfer — an den Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht erinnere, den Sie von uns mit Recht erwarten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil trotz der Zurückziehung des Hinweises in dem Antrag von Hessen auf öffentliche Mittel bestimmt: Die Steuerabzugsfähigkeit ist unzulässig, aber die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln für Wahlen und laufenden Aufwand der Partei ist zulässig.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?
— Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Kollege Burgbacher, unter Zugrundelegung, daß es dort so steht, wie Sie es sagten, so gilt doch: Was man darf, muß man nicht tun; und was man darf, kann von uns trotzdem politisch für unrichtig gehalten 'werden.
„Was man darf, muß man nicht tun" — meinen Sie jetzt Ihre Klage oder meinen Sie das Urteil?
Gestatten Sie noch eine Frage, Herr Abgeordneter?
— Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Burgbacher, stimmen Sie mit mir darin überein, daß Sie diesen Teil des Urteils recht frei ausgelegt haben? Es geht doch nur darum, daß als eine der Quellen, die die Parteien notfalls heranziehen können, 'u. a. 'die öffentlichen 'Mittel genannt 'werden.
Ich halte diese Frage für so berechtigt, daß ich diesen Passus aus dem Urteil im Wortlaut vorlesen will, nach der „Juristischen Wochenschrift" 11. Jahrgang.
— Haben Sie Vertrauen zur „Juristischen Wochenschrift"?
— Sie kommen nicht darum herum, Sie bekommen es jetzt wörtlich vorgelesen:
Da die Abhaltung von Wahlen eine öffentliche Aufgabe ist und den Parteien bei der Durchführung dieser öffentlichen Aufgabe von Verfassungs wegen eine entscheidende Rolle zukommt, ist es zulässig, nicht nur für die Wahlen selbst, sondern auch für die die Wahlen tragenden politischen Parteien finanzielle Mittel von Staats wegen zur Verfügung zu stellen.
— Wer redet denn von der gesamten Finanzierung? Ich verstehe ja Ihre Nervosität. Das ist nämlich für Sie der wunde Punkt.
— Natürlich! Sie haben in dem, was Ihnen damals als Hauptsache erschien, ein Urteil in Ihrem Sinne erreicht. Sie haben zwar gewußt, was Sie wollen, nämlich uns die Quellen absperren. Das ist Ihnen auch gelungen. Sie haben aber das Verantwortungsbewußtsein unseres höchsten Gerichtes unterschätzt. Das hat nämlich in dieser Sache ein höheres Verantwortungsbewußtsein als Sie. Dieses 'höchste Gericht hat sich gesagt: Wir können den Einwänden gegen die Spenden nichts Vernünftiges entgegenhalten und müssen deshalb der Klage der SPD entsprechen; wir können aber nicht so unrealistisch sein, daß wir die Mehrheitsparteien im Bundestag trocken legen, — wie Sie es wollten.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8575
Bitte sehr!
Herr Kollege Burgbacher, habe ich Ihr Zitat vorhin richtig dahin verstanden, daß das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, es sei zulässig?
— Darf ich dann fragen, ob Sie uns das Recht bestreiten wollen, zu sagen: was das Bundesverfassungsgericht für zulässig hält, halten wir trotzdem für den politisch nicht richtigen Weg, und deshalb gehen 'wir einen anderen Weg?
Das können Sie natürlich sagen; aber Sie werden uns nicht übelnehmen, wenn wir .etwas anderes sagen.
Gestatten Sie noch eine Frage, Herr Abgeordneter?
Bitte!
Herr Kollege Dr. Burgbacher, glauben Sie aber nicht, daß das Bundesverfassungsgericht mit dem Hinweis auf die Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln davon ausgeht, daß Sie mindestens in einem übergroßen Umfang nach den Grundsätzen, die Sie auch sonst in .der Politik vertreten, zunächst einmal Eigenmittel beibringen müssen?
Ich bin über die Seelenvorgänge bei den Verfassungsrichtern nicht informiert worden.
Ich kann nur das Urteil im Wortlaut lesen — ich glaube, das entspricht gutem Juristenbrauch —, und ich halte das Urteil deshalb für so gewichtig, weil das Bundesverfassungsgericht das gesagt hat, obwohl Herr Arndt erklärt hatte: den Antrag von Hessen übernehme ich insoweit nicht. Wenn Herr Arndt es überhaupt nicht behandelt hätte, wäre das juristische Gewicht dieses Hinweises viel geringer, als es jetzt ist.Nun wird gesagt, die Parteien würden damit zu Agenturen des Staates. Ich nehme an, daß Sie das noch sagen, und das möchte ich Ihnen dann erleichtern.
Dann gibt es natürlich unzählige Agenturen des Staates — ich habe es schon einmal gesagt —, dann sind die hier Sitzenden alle Agenten des Staates; denn wir werden alle aus öffentlichen Mitteln honoriert. Dann ist das ganze Schulwesen, sind die Hochschulen, die Wissenschaft —
— Entschuldigen Sie, das kann doch viel gefährlicher sein.Also entweder halten Sie Ihre These, daß, wer aus öffentlichen Mitteln Finanzen bekommt, eine Agentur des Staates ist, aufrecht — —
— Herr Schmitt-Vockenhausen.
— Das steht in Aufsätzen von Ihnen.
— Also, meine Freude darüber, daß Sie das heute zurücknehmen, ist so groß, daß ich mich der Mühe unterziehen werde, Ihnen persönlich zuzuschicken, wer es gesagt hat. Ich stelle aber sozusagen zu Protokoll fest, daß Sie das nicht aufrechterhalten.
— Im „Parlament" sogar, sehen Sie mal! Aber wollen wir das doch lassen.Übrigens möchte ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium zur Verbesserung des Zusammenwirkens staatlicher und nichtstaatlicher Kräfte im „Bulletin" vom 9. März den Schlußabschnitt vorlesen. Ich will nicht kommentieren, sondern ich überlasse es den mehr oder weniger zahlreichen anwesenden Mitgliedern des Hohen Hauses, selbst darüber nachzudenken:Nach allgemeiner Überzeugung sind das Wahlrecht zu den parlamentarischen Körperschaften und die Rechtsvorschriften, denen die Finanzierung politischer Parteien und Wahlen unterliegen, in erheblichem Grade ausschlaggebend für den Umfang, in dem nichtstaatliche Mächte in der Lage sind, unkontrollierten Einfluß auf die Gesetzgebung auszuüben. Obwohl für diesen Fragenkreis selbst nicht sachverständig, hält der Beirat es doch für geboten, die zuständigen Stellen auf diese Zusammenhänge hinzuweisen.Da wir im freiheitlichen Staat unsere Bürger nicht zwingen können, Mitglieder zu werden, und auch nicht zwingen wollen — wir wollen Mitglieder, aber sie nicht zwingen — —
— Tun wir auch, Herr Schmitt-Vockenhausen, tun wir auch. Wir bemühen uns heftig darum. — Also, ich wiederhole: Da wir in der freiheitlichen Ordnung unsere Bürger nicht zwingen können, Mitglied einer Partei zu werden, kann die Partei nur aus Spenden leben, — aus Spenden, die Sie sehr zielgerecht verhindert haben. Wenn Sie das getan haben und jetzt trotz dem Verfassungsgericht auch die öffentlichen Mittel bestreiten, dann kommen Sie ganz verdächtig in die Nähe der Araber, die den Israelis das Jordanwasser abgraben wollen.
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8576 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Seuffert?
Bitte.
Herr Kollege Burgbacher, Sie sagen, wir hätten Spenden an Parteien zielgerecht verhindert. Wissen Sie denn gar nicht, daß niemand etwas gegen Spenden an Parteien hat, aber sehr wohl etwas gegen Steuerbegünstigung von Spenden an Parteien?
Herr Kollege Seuffert, das war sehr schön gesagt, ausgezeichnet. Aber haben Sie denn so wenig Kenntnis Ihrer Mitmenschen, daß Sie das ernst meinen, was Sie sagen?
Das ist wirklich unerhört, was Sie hier sagen!
Warum ist das unerhört? Das ist die Realität.
Glauben Sie denn wirklich, es könnte niemand einer Partei auch dann Geld geben, wenn er keine Steuerbegünstigung dafür kriegt?
Doch, das kann er. Er muß .es nur tun.
Ich schlage vor, daß wir die Debatte fortsetzen.
Warum wollen Sie das Vermögen nicht in der Rechenschaft haben? Das werden Sie wahrscheinlich noch in der Begründung Ihres Antrages sagen!
Warum wollen Sie mit vielen von uns in Fragen des Kartell- und Wirtschaftsrechts die Politik der gläsernen Taschen, während Sie sie sich selbst eisern zementieren wollen? Warum? Warum wollen Sie nicht die gleichen Methoden, die Sie von der Wirtschaft verlangen, auf sich selbst ,anwenden? Gläserne Taschen! Diese Formulierung stammt von Ihnen, sie ist sehr eindrucksvoll und hat mir sehr gut ge- fallen. Wahrscheinlich wird es Milchglas, aber das ist egal. Das ist immerhin eine Forderung nach gläsernen Taschen. Sie haben aber Ihre Taschen mit Eisen zugenagelt. Natürlich, Sie wollen nicht darlegen, welche Wirtschaftspotenz in Ihrer Partei und zu Ihrer Verfügung ist.
Ich halte mich ja zurück, weil ich die Hoffnung habe,
daß in der Ausschußarbeit die Lücke, die wir in der
vorparlamentarischen Arbeit nicht schließen konnten, noch in irgendeiner Weise geschlossen wird.
Aber wir sind auch bereit, mit anderen Tatsachen über die finanziellen Dinge aufzuwarten.
— Natürlich, wir können uns sonst nicht zusammenraufen.
— Sie aber auch.
Ich wiederhole: Sie können sich doch nach meiner Ansicht politisch nicht leicht dem Verdacht aussetzen, daß Sie ,auf diesem Wege die Koalitionsparteien hindern wollen, ihren Auftrag nach Art. 21 des Grundgesetzes auszuführen. Natürlich wollen Sie das.
— Natürlich, denn Sie wissen genau, daß auch eine Partei ohne Mittel nicht leben kann.
— Wir drehen uns im Kreise. Sie müssen anerkennen, daß die Zahl der Wähler das politische Gesicht der Parteien bestimmt.
Sie wollen als Grundlage die Zahl der Mitglieder haben.
Wissen Sie, wie sich Ihr Antrag bei der Haushaltsberatung, die Zuschüsse von 38 Millionen DM auf 20 Millionen DM herabzusetzen, für einen normalen Bürger liest, der etwas Einblick in die Verhältnisse hat? Der liest sich so: Da die SPD auch nicht allein von ihren Mitgliederbeiträgen leben kann, braucht sie ebenfalls öffentliche Mittel. In dem Maße, in dem sie sie braucht, sind sie unbestritten in Ordnung. In dem Maße, in dem sie die anderen brauchen, sind sie unbestritten nicht in Ordnung.
Herr Professor Burgbacher, gestatten Sie eine Frage?
Ja, natürlich.
Bitte, Herr Abgeordneter Seuffert.
Herr Kollege Burgbacher, Sie sagten, Zahl der Wähler oder Zahl der Mitglieder bestimmten das politische Gewicht. Setzen Sie das
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8577
Seuffertpolitische Gewicht einer Partei wirklich einfach mit der Finanzkraft einer Partei gleich?
Nein.
— Nein, nein.
— Nein, das setze ich gar nicht damit gleich. Aber wenn Sie damit den Umkehrschluß provozieren wollen: also brauche ich überhaupt kein Geld, um eine politische Partei zu führen, so kann ich dem auch nicht folgen.
Sie setzen sich dem Verdacht aus, .daß, ob man 20 Millionen DM oder 38 Millionen DM Haushaltsmittel beantragt — —
— Ich halte mich an Tatsachen, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen.
— Wer 20 Millionen DM statt 38 Millionen DM beantragt, wenn sich der Betrag zufällig mit dem deckt, was man noch in seinem eigenen Haushalt braucht und das darüber als, na sagen wir mal, nicht zulässig bestreitet, mißt mit zweierlei Maß, setzt die Moralgrenze an seiner Interessengrenze.
Gestatten Sie . eine zweite Frage, Herr Abgeordneter?
Bitte sehr.
Herr Kollege Burgbacher, ist Ihnen entgangen, daß die Begründung, die Sie und Ihre Freunde seinerzeit für die 20 Millionen DM zur Finanzierung staatspolitischer Bildungsarbeit gegeben haben, von der SPD für staatspolitische Bildungsarbeit übernommen worden ist?
Es ist sehr gut, daß Sie mir das Stichwort „Mittel für politische Bildung" zurufen; ich hätte es wahrscheinlich vergessen. Ich weiß nicht, ob es noch kommt. Das trifft nämlich zu. Ich habe mich mit vielen meiner Freunde immer gegen diese Formel gewehrt.
Wissen Sie, was darin steckt? Geben wir eigentlich in den Parteien Geld aus, das nicht in irgendeinem Sinne der staatsbürgerlichen Bildungsarbeit dient? Haben wir zwei Etats, einen für politische Bildungsarbeit und einen anderen für — was weiß ich? —Unfug? Ist nicht das ganze Leben der politischen Parteien nach Art. 21 des Grundgesetzes darauf ausgerichtet, im weitesten Sinne des Wortes politische Bildungsarbeit zu leisten?Ich bin der Auffassung, daß wir auf Art. 21 des Grundgesetzes und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf einer festen, nicht anzuzweifelnden Basis stehen, die den Beschluß über 1 DM pro Wahlberechtigten und Jahr im Haushalt juristisch vollkommen rechtfertigt.Natürlich ist die Verabschiedung des Parteiengesetzes, nachdem öffentliche Mittel in dieser Höhe beansprucht werden, sehr dringend geworden, und die Rechenschaft muß jetzt natürlich noch strenger aufgefaßt werden, als sie im Wortlaut des Art. 21 GG enthalten ist. Wir sind zu dieser größeren Strenge bereit.
Wir wollen mal sehen, ob Sie auch zu dieser größeren Strenge der Rechenschaftslegung bereit sind.
Außerdem war notwendig ein Abkommen über die Wahlkampfkostenbegrenzung. Das ist uns ja Gott sei Dank mehr oder weniger gut — ich hoffe, gut — gelungen.
— Wieso denn über die Bundesregierung?
— Darüber haben wir in privaten Gesprächen ja gesprochen. Soll ich Ihnen jetzt sagen: Und wie ist es mit den Gewerkschaften? Oder soll ich sagen: Wie ist es mit den Mitarbeiterstäben der Konsumgenossenschaften und all dem?
— Wenn Sie es noch nicht haben, sind das vielleicht wertvolle Anregungen für Sie.Aber wogegen wir uns ganz klar wehren, ist, daß Sie den Teil des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, der das Verbot der Abzugsfähigkeit der Spenden betrifft — während man in der Bundesrepublik Spenden für Kaninchenzüchtervereine und Gott weiß was steuerfrei abziehen kann —, diese Methode, immer noch für richtig halten. Dann bestehen wir auf dem anderen Teil des Urteils, nämlich der Finanzierung aus öffentlichen Mitteln.Übrigens gibt es noch in acht Ländern, in kleinerem Umfang natürlich, öffentliche Mittel für Parteien. Wenn meine Unterlagen richtig sind — und ich glaube das —, hat die SPD in sieben von den acht Ländern zugestimmt, daß aus Landesetats öffentliche Mittel an die Parteien gehen.Ich habe schon einmal gesagt und wiederhole es auf die Gefahr hin, erneut Ihr Mißfallen zu erregen: Es geht Ihnen nicht um das Prinzip, es geht Ihnen
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8578 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Dr. Burgbacherum die Quantität. Ihre Buchspende ist genau der Betrag, der 20 Millionen DM übersteigt.
— Ja natürlich, da sehe ich zweierlei, einmal, daß Sie konsequent sind und mit dem Betrag über 20 Millionen DM die Buchspende machen. Bitte sehr, das wird anerkannt. Ich sehe aber auch, daß Sie die 20 Millionen DM für laufende Zwecke brauchen. Wenn Sie sie nicht brauchten, hätten Sie doch die Buchspende bei Ihrer Gewissenhaftigkeit höher gemacht.
Wir haben auf Ihren dringenden Wunsch im Wahlkampfabkommen auch ein Fairneßabkommen abgeschlossen. Fairneß ist eigentlich sozusagen selbstverständlich. Ich werfe jetzt nur die Frage auf, ob es nicht auch zur Fairneß gehört, den anderen im Hause vertretenen politischen Parteien die Existenzmittel in angemessenem Umfang nicht zu verweigern.
— Überlegen Sie, schlafen Sie doch einmal darüber! Ich werfe die Frage auf, ob zur politischen Fairneß nicht auch der Respekt vor der unbedingt notwendigen Existenzbasis der in diesem Hohen Haus durch Wählerwillen vertretenen Parteien gehört.
Warten wir die Beratungen ab! Es gibt Leute bei uns, die würden jetzt sagen: Das ist ein unverbesserlicher Optimist. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß unsere wertvolle Arbeit, die wir bei anderen Fragen mit Erfolg zu Ende geführt haben, auch noch in den Zweifelsfragen zum Erfolg führen wird; denn — und das meine ich nun in tiefem Ernst — ich würde es der parlamentarischen Demokratie für würdig halten, wenn das Gesetz, das die Parteien betrifft, das Parteiengesetz, von diesem Hohen Hause im Einvernehmen verabschiedet werden könnte.
Das Wort zur Begründung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die politischen Parteien hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Burgbacher, es ist doch ein bißchen zuviel verlangt, daß es zum Fairneß-Abkommen gehören soll, zu überlegen, wie wir die Sorgen des Schatzmeisters der CDU beseitigen. Da müssen Sie sich schon selbst etwas mehr auf die Hosen 'setzen und sich darum kümmern.
Ich habe natürlich Verständnis dafür, daß Sie, statt den unbequemen Weg über Mitgliederwerbung und Aktivierung von Kräften in der Gesellschaftund in der Bevölkerung zu gehen, hier den leichten Weg der Mehrheitsentscheidungen über Steuergelder ,geien wollen. Was Sie heute abend hier gemacht haben, ist doch nichts anderes: Sie haben einen Sonderausschuß zur Beschaffung von Wahlgeldern gebildet.
Ich muß Ihnen auch sagen: Sie haben trotz der geringen Zahl von Mitgliedern sicher viel mehr finanziell potente Mitglieder als die SPD.
Trotzdem können wir mit Stolz sagen, daß die Hunderttausende von Sozialdemokraten dreimal so viel Mitgliedsbeiträge wie die drei Parteien zusammen aufbringen.
— Herr Stecker, zahlen Sie zuerst einmal die Beträge in angemessener Form, ,dann 'können Sie hier mit uns wieder reden.
Herr Kollege Burgbacher, ich will nicht über die Moralgrenze mit Ihnen reden. Ihre Moralgrenze liegt nach dem, was Sie heute abend hier zur Begründung der Gesetzesvorlage vorgetragen haben, offensichtlich bei fast hundert Millionen.
— Für die Parteifinanzierung!
Meine Damen und Herren, ich will auch die etwas— ich bitte um Nachsicht — abwegigen Vergleiche mit dem Jordanwasser hier nicht in Gang bringen.
— Da können Sie sicher sein. Übrigens interessieren sich Gott sei dank viel mehr Bürger dafür, wie sich die Parteien finanzieren, als ich bisher gedacht habe. Das ist sehr erfreulich.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8579
Schmitt-Vockenhausen— Ach, Herr Kollege Zoglmann, Ihre „Abrundungen" in Ehren; aber so, wie Sie das glauben, wird es sicher nicht.
Nun, wir sollten zunächst einmal feststellen: Wenn die politischen Parteien in eigener Sache entscheiden müssen, Herr Professor Burgbacher, haben wir eine besondere Sorgfaltspflicht und eine besonders große Verantwortung.
Meine Damen und Herren, wenn man in eigener Sache entscheiden muß — und es bleibt ja gar kein anderer Weg —, dann ist diese Pflicht doppelt so groß wie bei jeder anderen Sache. Ich möchte Sie herzlich bitten, doch nicht vom Finanzbedarf her an die Dinge heranzugehen, sondern von der Sache her zu den Problemen Stellung zu nehmen. Deswegen bitte ich freundlichst um Genehmigung dafür, daß ich zu dem Gesamtkomplex des Parteiengesetzes und zu den Grundlagen unseres Antrages einiges sage.Das deutsche Verfassungsrecht hat ja nur sehr zögernd von der Existenz der politischen Parteien Kenntnis genommen. Ich will es mir in dieser Stunde ersparen, im Hinblick .auf Lehre und Rechtsprechung in der Weimarer Republik hier noch einmal deutlich zu machen, wie gering in Deutschland oft genug das Verständnis für Aufgaben und Ziele der politischen Parteien war. Ich meine, es gibt gar keinen Zweifel darüber, meine Damen und Herren, daß mancher Erfolg Hitlers bei den sogenannten Unpolitischen in unserem Lande auch dadurch erzielt werden konnte, daß in weiten Kreisen der deutschen Öffentlichkeit Ziele und Aufgaben der politischen Parteien nicht verstanden worden sind.
Das Grundgesetz hat hierzu — mindestens soweit es die verfassungsrechtlichen Grundlagen betrifft — —
— Herr Moersch, wenn ich Ihnen dazu noch ein Privatissime geben müßte, was ich eigentlich nicht hoffe, wäre ich dazu gern bereit.
— Ich habe nichts zu Protokoll dazu zu geben. Ich habe nur einige Grundsätze der Vorlage vorzutragen. Ich werde es aber gern ausführlicher machen, wenn es notwendig ist.Das Grundgesetz hat hier eine Änderung geschaffen, und es hat durch die Aufnahme der Bestimmungen über die politischen Parteien deren Bedeutung und Aufgaben in der demokratischen Staatsordnung sichtbar gemacht. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat diese Stellung verdeutlicht und positiv weiterentwickelt.
— Ja, Herr Ertl, solche Schlagworte, wie man sie in Bauernversammlungen in kleiner Münze gelegentlich um den Aschermittwoch verkaufen kann, habe ich nicht.Das in Art. 21 des Grundgesetzes geforderte, zur Klärung der Rechtsstellung, zur Festigung der innerparteilichen Demokratie und zur Rechenschaftslegung über die Herkunft der Mittel der Parteien vorgesehene Parteiengesetz ist leider 15 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes immer noch nicht ergangen. Ich will nun hier nicht auf die Gründe und auf die Hintergründe dieser Verzögerung im einzelnen eingehen. Ich will auch nicht erörtern, warum die Regierungsparteien auf die Verabschiedung dieses Gesetzes, -das ja eigentlich mehr den Namen „Gesetz zur Finanzierung von Wahlkämpfen" verdient, so drängen.
Ich will mich darauf beschränken, ein paar kurze Worte zur Vorgeschichte der Entwürfe der CDU/CSU, FDP und der SPD zu sagen.Die Schatzmeister der drei Parteien
— der vier Parteien; das ist bei Ihnen immer sehr unterschiedlich; es kommt je nach der Interessenlage darauf an, ob Sie zu dritt oder zu viert auftreten — und die Vertreter der Bundestagsfraktionen haben in eingehenden Beratungen versucht, einen gemeinsamen Entwurf zu erarbeiten. Das ist leider an der Frage der Finanzierung aus öffentlichen Mitteln und an der Frage der Rechenschaftslegung gescheitert, Herr Kollege Burgbacher. Wir haben nun in unserem Entwurf diejenigen Abschnitte, über die bei den Vorberatungen eine weitgehende Übereinstimmung erzielt werden konnte, übernommen, um das gemeinsame Wollen aller im Bundestag vertretenen Parteien auch nach außen hin zu dokumentieren. Es handelt sich vor allem um den Ersten und Zweiten, sowie den Sechsten und Siebenten Abschnitt, um die innere Ordnung und den Vollzug des Verbotes verfassungswidriger Parteien. Meine Damen und Herren, wir behalten uns natürlich vor, auf dieser gemeinsam erarbeiteten Grundlage, bei der die dankenswerte Hilfe Ihres Hauses, Herr Minister Höcherl, in den Beratungen erwähnt werden muß, weitere Anträge zu stellen.Es ist nun aber die Frage, von welchen Grundsätzen wir uns bei unserem Entwurf haben leiten lassen. Meine Damen und Herren, der Entwurf der SPD berücksichtigt in angemessener Form die Stellung der Parteien zwischen Staat und Gesellschaft. Ich glaube, dem kann niemand widersprechen. Sicher sind der Erste und Zweite Abschnitt in den beiden Entwürfen weitgehend identisch. Unser Entwurf unterscheidet sich aber in sehr wesentlichen Punkten von Ihrem Entwurf. In § 1 wird die Mitwirkung der politischen Parteien bei der politischen Willensbildung in den Gemeinden stärker betont. Gerade die Arbeit in den Gemeinden ist eine hohe Schule der Politik, die Kenntnis und Hilfe für größere Aufgaben im politischen Leben bringt. Ich glaube, es ist gut und billig, daß gerade dieser große Aufgabenbereich der politischen Parteien in einem solchen Parteiengesetz verdeutlicht wird.
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8580 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Schmitt-VockenhausenEs fehlt bei uns die Lex specialis für die besonderen Interessen des Koalitionspartners der FDP in § 5. Meine Damen und Herren, wo Sie soviel inneren Ärger in der Koalition haben, haben wir Verständnis, daß Sie dort ein kleines Trostpflaster geben mußten. Sie werden verstehen, daß wir auf eine solche Spezialbestimmung verzichtet haben.Nach unserem Entwurf werden sämtliche Mitglieder eines Vorstandes gewählt. Es ist nach unserer, Meinung eine unzulässige Ausweitung der sogenannten Organisationsfreiheit, wenn den Vorständen kraft Satzung so viele nicht gewählte Parteimitglieder angehören. Wir haben deshalb besonderen Wert darauf gelegt, daß die unmittelbare Wahl ein entscheidendes Kriterium für politische Parteien ist. — Ich würde mich sehr freuen, wenn ich aus Ihrem Nicken entnehmen darf, daß wir da auf Zustimmung von dieser Seite des Hauses rechnen können.Sie wissen, daß in der Satzung der SPD eine über 100 Jahre alte Tradition innerparteilicher Demokratie ihren Niederschlag gefunden hat. Um diese gefestigte innerparteiliche Demokratie ist die SPD schon oft beneidet worden. Die Satzung der SPD kann geradezu als ein Modell, als Vorbild für die innere Ordnung politischer Parteien gelten.Wir sind der Meinung, daß die Einzelbestimmungen über die Aufstellung von Wahlbewerbern in den Wahlgesetzen verbleiben können, weil diese Fragen gesetzlich gut und ausreichend geregelt sind. Allerdings glauben wir, daß es wichtig ist, auf die Wahlgesetze in dem vorliegenden Gesetz hinzuweisen und daß die Notwendigkeit der geheimen Abstimmung bei der Aufstellung der Wahlbewerber besonders hervorgehoben werden sollte, weil das ein unverzichtbarer Grundsatz für die Durchführung der Aufstellung von Wahlbewerbern ist.Die Verhandlungen über einen gemeinsamen Entwurf — es sind wesentliche Punkte, über die wir uns erfreulicherweise haben einigen können — sind gescheitert an der Frage der Finanzierung und der Rechenschaftslegung. Sie wissen, daß die unerfreulichen Erfahrungen in der Weimarer Zeit zu dem Verlangen des Verfassungsgebers geführt haben, daß die Parteien Rechenschaft über die Herkunft ihrer Mittel geben. Der Gedanke, daß die Parteien aus öffentlichen Mitteln finanziert werden sollten, stand dabei in keiner Weise zur Debatte. Er ist erst später aufgekommen und heute abend durch Herrn Professor Burgbacher in so freundlicher Weise noch einmal deutlich geltend gemacht worden.Grundsatz muß doch sein — das muß hier ganz klar gesagt werden —, daß die Parteien ihre Aufwendungen selber zu decken haben.
Das ist ein so wesentlicher Grundsatz des politischen Lebens, daß man ihn nicht verlassen sollte. Das setzt natürlich voraus, Herr Professor Burgbacher, daß das Interesse des Bürgers an den Parteien stärker als bisher geweckt wird, und das setzt wiederum eine lebendige innerparteiliche Demokratie voraus.Die SPD ist eine Mitgliederpartei. Meine Damen und Herren, wir sind stolz darauf! 'Die Opferbereitschaft unserer Mitglieder finanziert diese große Partei in sehr entscheidender Weise. Wie sehr uns die Werbung neuer Mitglieder Herzenssache ist, will ich Ihnen nur an einem Beispiel zeigen. Allein im Jahre 1964 ist es der SPD gelungen, 70 000 neue Mitglieder in der Bundesrepublik zu gewinnen.
Ich darf hier auf die Ausführungen des Herrn Schatzmeisters meiner Partei, Alfred Nau, verweisen, die er auf dem' Parteitag in Karlsruhe gemacht hat — ich darf mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:Nach einer von uns vorgenommenen Marktforschung wäre etwa jeder 9. Wähler unter Umständen bereit, in eine Partei einzutreten. Das wären rund 4 Millionen. Selbst wenn man vorsichtig davon ausginge, daß davon nur jeder Dritte sich zum Eintritt in eine Partei bewegen ließe, könnte sich die Mitgliederzahl aller Parteien verdoppeln.Meine Damen und Herren, außer ein paar „schneidigen" Attacken des Herrn Dufhues — „schneidig" jedenfalls gegen die SPD und gelegentlich auch gegen die FDP — ist doch die Parteireform bei Ihnen gescheitert. Herr Dufhues hat doch in dieser Aufgabe Konkurs anmelden müssen. Hätten Sie ihn damals an dieser Aufgabe festgehalten, dann brauchten wir heute nicht über so große Beträge aus Steuermitteln zu reden. Es wäre seine Aufgabe gewesen, wenn er die Parteirefom durchzuführen gehabt hätte, mehr Mitglieder zu gewinnen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burgbacher?
Bitte!
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, würden Sie so freundlich sein, zu sagen, was Sie unter dem Konkurs von Herrn Dufhues verstehen?
Darunter verstehe ich die Ausführungen von Delegierten auf Ihrem Parteitag, daß sich die Vorstellungen, die man an die Berufung von Herrn Dufhues in der Frage der Parteireform geknüpft habe, nicht erfüllt haben.
Sind Sie der Meinung, daß jede Kritik an einem Kandidaten — sei es ein geschäftsführender Vorstand, sei es ein Kanzlerkandidat — zum Konkurs führt?
Herr Kollege, ich sehe es von der Aufgabe der Parteireform her, die ihm gestellt war.Meine Damen und Herren, Sie sind offensichtlich nicht bereit, diesen beschwerlichen Weg zu gehen,
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8581
Schmitt-VockenhausenSie gehen den bequemeren Weg. Der bequemere Weg ist der, hier durch Mehrheitsbeschlüsse zu entscheiden. 1959 waren es 5 Millionen, 1962 20 Millionen; 1964 sind es 38 Millionen, und 1965 wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, erreichen wir fast die Hundert-Millionen-Grenze.
— Mit den Spendengutscheinen kommen noch einmal Steuermittel hinzu, und dann die Hälfte aus den Ländern; das ist doch in Ihrem Gesetzentwurf drin. Herr Kollege, ich muß Ihnen das doch nicht vorrechnen?
Gestatten Sie eine Frage? — Herr Professor Burgbacher.
Sind Sie denn der Meinung, daß Sie die 38 Millionen aus Bundesmitteln mit der Möglichkeit des Verkaufs der Spendengutscheine gleichsetzen können? Dann wäre das für uns eine höchst angenehme Feststellung. Oder glauben Sie nicht auch — was meine Auffassung ist —, daß es ausgeschlossen ist, daß wir — wenigstens ein wesentlicher Teil der Koalitionsparteien — diese Spendengutscheine alle unterbringen?
Herr Professor Burgbacher, wenn Sie dieser Meinung sind, dann frage ich mich, warum Sie diese große Summe eingesetzt haben.
— Wieso erst im Ausschuß?
Meine Damen und Herren, was ist das für eine großzügige Steigerung bei gleichzeitigem Appell an das Maßhalten hier bei den Haushaltsberatungen!
Ich will nicht noch einmal die Gefahren einer derartigen Verstaatlichung der Parteien hier im einzelnen darstellen. Diese Gefahren sind in den letzten Monaten von allen Seiten, von den politischen Wissenschaftlern, von der deutschen Öffentlichkeit und von uns aufgezeigt worden. Die Parteien geraten in eine gewisse Abhängigkeit vom Staat. Das beeinträchtigt ihr Wirken und erhöht vor allem beim Staatsbürger die Verdrossenheit gegenüber den Parteien. Es kommt hinzu, daß bei Parteien mit wenig gefestigter innerparteilicher Demokratie die Gefahr besteht, daß der über das Geld des Staates verfügende Apparat gegenüber den Mitgliedern noch mächtiger wird. Die freiwillige Mitarbeit der Staatsbürger wird geringer. Die staatliche Finanzierung beeinträchtigt den freien Wettbewerb zwischen den Parteien.
Ich darf Sie hier an die warnenden, beschwörenden Worte meines Freundes Herbert Wehner in der 122. Sitzung vom 15. April 1964 an dieser Stelle erinnern. Ich fürchte allerdings, daß weder die wohlbegründeten Warnungen aller Gutmeinenden noch die sicher bei vielen Ihrer Kollegen vorherrschende Einsicht in die sachliche Berechtigung dieser Warnungen Sie von dem nun einmal beschrittenen Weg abhalten werden. Wir haben es, Herr Kollege Burgbacher, nicht an Vorschlägen fehlen lassen. Sie wissen, daß auch das Wahlkampfabkommen nicht zuletzt aus unseren Bemühungen hervorgegangen ist, die Flut der Ausgaben zu dämmen und hier nach Wegen zu suchen, wie weniger Geld ausgegeben wird. — Bitte schön, Herr Kollege!
Soll das heißen, daß die SPD für das Wahlkampfabkommen die Vaterschaft beansprucht? Wollen Sie die Basis, daß alle Parteien das gewünscht haben, verlassen?
Ich habe jetzt nur von dem Vorschlag gesprochen. Gewiß haben es alle unterschrieben.
— Entschuldigen Sie, wenn ich den historischen Werdegang nehme, dann ging es von Herrn Nau aus.
— Gut, ich nehme das gern zur Kenntnis.
Ich bitte, den Redner fortfahren zu lassen.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß damit nicht alle Wünsche erfüllt worden sind. Es ist aber wenigstens ein Anfang gemacht. Wir sind der Meinung, daß eine Partei nur dann eine wirkliche innere Kraft und Unabhängigkeit hat, wenn auch die Mitglieder sich so engagieren, daß den finanziellen Notwendigkeiten Rechnung getragen werden kann. Sie wissen, warum wir die öffentlichen Mittel vorgesehen haben. Ich habe hier das Urteil mitgebracht, Herr Probessor Burgbacher, um diese Dinge noch einmal klarzulegen. Ich könnte Ihnen das jetzt vorlesen. Es kommt hier zum Ausdruck, daß finanzielle Mittel von Staats wegen zur Verfügung gestellt werden, daß aber nicht die überwiegende Finanzierung gemeint ist, sondern selbstverständlich nur Zuschüsse. Herr Kollege Stoltenberg hat das ja auch einmal richtig in der „Welt" interpretiert, indem er gesägt hat: bis zu einem Drittel. Ich darf mich hier ausdrücklich auf diese Interpretation berufen. Wenn ein so maßgeblicher Mann Ihrer Fraktion das der deutschen Öffentlichkeit sagt, dann hat er das nicht getan, ohne vorher auch mit seiner Partei wegen dieser Frage Fühlung genommen zu haben.Meine Damen und Herren, wir wollen Sie nicht austrocknen, wie Sie meinen, sondern was wir wollen, ist, daß wir beschränken. Wenn Sie schon ohne staatliche Krückstöcke nicht auskommen, dann ja,
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Schmitt-Vockenhausenaber nur für die politische ,Bildung, um auf diese Weise eine klare ,Zweckbestimmung für die staatsbürgerliche Bildung zu erreichen. Die Höhe muß aber in jedem Falle in einem angemessenen Verhältnis zur Eigenleistung stehen. Wir sind bereit, mit Ihnen diese Fragen zu erörtern. Wir haben immer wieder gesagt: wenn Sie eine angemessene Eigenleistung nachweisen. Sehen Sie einmal: wenn wir diese geradezu geheiligten Grundsätze, die Sie — vom Sozialhilfegesetz bis zur ,Haushaltspolitik — hier immer vertreten, nun einmal an Ihnen selber praktizieren sollen, dann wollen Sie das nicht. Das kann ich überhaupt nicht verstehen.
— Herr Kollege, beim 312-DM-Gesetz nehmen Sie sich erst einmal gegenseitig in ,der Koalition beim Wort, und dann reden Sie mit uns.Wir lehnen die Ausweitung der Staatsfinanzierung durch Ausgabe von Spendengutscheinen ab. Im Grunde bewirken die Spendengutscheine nur eine zusätzliche öffentliche Finanzierung, wobei 'die Spender auch noch die Illusion haben sollen, als ob sie etwas zurückerhielten, obwohl in Wirklichkeit die Staatskasse zuzahlen muß. Die Gefahren für die Parteien liegen auf der Hand.Auch im Abschnitt V — Rechenschaftslegung — unterscheiden sich unsere Auffassungen in einigen wesentlichen Punkten. Wir sind der Auffassung, daß die Forderung des Art. 21 — Rechenschaft über die Herkunft der Mittel abzulegen — nur dann erfüllt wird, wenn die Namen der Spender, zumindest von einer gewissen Höhe der Spenden an, bekanntwerden. Ich habe durchaus Verständnis dafür, daß man diese Grenze nicht mehr nach den Erfahrungen von 1949 und der Weimarer Zeit festlegt, wo die Parteien selbst für kleine Beträge dankbar sein mußten. Aber es kommt darauf an, transparent zu machen, wo wirklich politischer Einfluß gesucht wird und wo er geschaffen wird. Wir haben diese Auffassung von jeher vertreten, und wir stehen auch heute noch dazu. Wir sind zu Gesprächen über diese Frage, Herr Professor Burgbacher, bereit. Nur vermissen wir in Ihrem Entwurf völlig jede Klärung über diese vom Grundgesetz ausdrücklich festgelegte Forderung. Ich bin erstaunt, daß Sie heute abend Ihre Ausführungen damit begonnen haben, daß Sie gesagt haben, Sie hätten den Auftrag des Grundgesetzes erfüllt. Sie haben alles Mögliche 'gemacht, nur diesen Auftrag des Grundgesetzes haben Sie 'bestimmt nicht erfüllt.
Ich will in dieser Stunde nicht auf die vom Herrn Kollegen Even gern vorgetragene Ansicht eingehen, daß der Gleichheitsgrundsatz durch die Namensnennung verletzt werde. Das ist nicht stichhaltig. Wir haben darüber oft gesprochen. Ich will mich. darauf beschränken, auf die erste Lesung des Regierungsentwurfs des Jahres 1959 hinzuweisen. Wir sind der Auffassung, daß die Spenden sowohl von Mitgliedern als auch von Außenstehenden stärker, als in dem Entwurf von CDU/CSU und FDP vorgesehenist, auch nach Gruppen aufgeschlüsselt werden müssen, um eine Vorstellung über die Größenordnungen der Spenden zu bekommen. Ich darf an unseren Vorschlag erinnern. Wir sind bereit, über diesen Vorschlag zu sprechen, um mit Ihnen gemeinsam einen Weg zu suchen.Nun noch ein Wort zu unserem Vermögen, das Sie heute abend in schillernden Farben der deutschen Öffentlichkeit dargestellt haben. Wir bekennen uns zu unserem Vermögen, obwohl man, Herr Professor Burgbacher, auch in diesem Fall, wie oft, übertriebene Vorstellungen von dem hat, was der andere hat. Aber wir sind auch auf dieses Vermögen stolz. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes die Opfer von Hunderttausenden von Mitgliedern, die pfennigweise in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg ihr Geld zusammengertagen haben und ihren politischen Überzeugungen als Tribut gezollt haben. Wir haben das nie verheimlicht, und wir sind immer bereit gewesen, über diese Finanzen und damit auch über das Vermögen der Partei Rechenschaft abzulegen. Darf ich Sie nur an die Veröffentlichung von Herrn Nau in der Zeitschrift „Kapital" erinnern, in der er eingehend die finanzielle Situation und die wirtschaftlichen Unternehmen der SPD behandelt hat.
Oder nehmen Sie die Jahrbücher der SPD zur Hand, nehmen ,Sie das Jahrbuch 1962/1963. Auf über 30 Seiten finden Sie bis ins einzelne Einnahmen und Ausgaben der Partei. Dann müssen Sie doch zugeben, Herr Professor Burgbacher, daß wir die einzige Partei sind, die schon bisher in der Frage der der Partei zufließenden Mittel so detailliert der deutschen Öffentlichkeit Auskunft gegeben hat. Für uns ist selbstverständlich, daß in den Rechenschaftsbericht auch die der SPD zufließenden Mittel aus Vermögen und sonstige der Partei zugute kommende Vergünstigungen aus den der SPD gehörenden Wirtschaftsbetrieben aufgenommen werden.Wogegen wir uns wenden, und zwar mit Nachdruck, Herr Professor Burgbacher, ist, daß die wirtschaftlichen Unternehmen der SPD im Wettbewerb und in der Publizität unter ein Sonderrecht gestellt werden. Das ist verfassungsrechtlich unzulässig. Wir werden uns, soweit das notwendig ist, gegen die im letzten Augenblick noch eilig in diesen Entwurf eingefügten Bestimmungen zu wehren wissen.Geradezu grotesk und bezeichnend für die nicht lauteren Absichten in dieser Frage, Herr Kollege Burgbacher, ist aber der § 27 des Entwurfs der Regierungsparteien, der besagt, daß der Wert des Grundbesitzes durch den Preis bestimmt wird, „der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bei einer Veräußerung üblicherweise zu erzielen wäre". Meine Damen und Herren, Sie, die Sie seit drei Legislaturperioden die Änderung des Bewertungsgesetzes vor sich herschieben und hier niemals zu einer Lösung gekommen sind, wollen eine Lex specialis für SPD-Vermögen machen, das, was Sie sonst überhaupt nicht fertigbringen können. Sie können doch nicht glauben, daß wir das mitmachen werden!
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965 8583
Schmitt-VockenhausenDer Entwurf der SPD regelt nach unserer Auffassung in vernünftiger Weise die Rechtsstellung der Parteien. Er sichert die innerparteiliche Demokratie. Wir sind gern bereit, über Verbesserungen hier mit uns reden zu lassen und Ihnen zuzustimmen; denn es sind, da wir in vielen Punkten bei Kompromißlösungen verblieben sind, sicherlich noch Verbesserungen möglich. Unser Entwurf erfüllt insoweit in allen Punkten die Forderung des Grundgesetzes, die innerparteiliche Demokratie zu sichern und Rechenschaft über die Herkunft der Mittel der Parteien abzulegen.Wir appellieren noch einmal eindringlich an Sie, von dem Weg der totalen Staatsfinanzierung der Parteien abzugehen. Wir halten ihn für schlecht für die innere Struktur der Parteien, für schlecht für das innere Verhältnis des Bürgers zu den Parteien und für die Unabhängigkeit der Parteien vom Staat. Es gibt kein demokratisches Land in der Welt, in dem die Parteien in dieser Form vom Staat Geld erhalten. Lassen Sie hier die Hände weg von der Staatsfinanzierung! Es ist eine schwere Verantwortung, die Sie sich hier aufladen. Es besteht die Möglichkeit, daß die mühsam errungene Stabilisierung unserer demokratischen Ordnung in Gefahr gerät.Wir bitten das Hohe Haus, den Antrag der SPD zu würdigen und anzunehmen. Wir werden mit Kraft im Sinne dessen, was ich vorgetragen habe, gegen Ihre Vorschläge stimmen.Wir beantragen, den Entwurf gemäß § 96 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß zu überweisen.
— Dann muß das Haus aber ausdrücklich feststellen, daß er auch dem Haushaltsausschuß zugewiesen wird. Darauf legen wir entscheidenden Wert, meine Damen und Herren, nachdem Sie sich hier im Hinblick auf den nahenden Wahlkampf für die Mittelbeschaffung schon einen Sonderausschuß gebildet haben.
— Herr Präsident, ich will dem Kollegen Burgbacher, der so rücksichtsvoll mir gegenüber war — —
Ich will Sie nicht hindern, Herr Kollege.
Jetzt bin ich in einem Konflikt als Schatzmeister und als politischer Abgeordneter.
Das sind Sie dauernd.
Wollen Sie mir mal sagen, welche 'Mittel vor dem Wahlkampf durch die Verabschiedung des Gesetzes außer , den beschlossenen uns zufließen?
— Die können ja gar nicht verwertet werden. Das ist ja gar nicht drin.
Sie haben es so eilig, daß wir den Verdacht haben, daß Sie das so schnell in Kraft setzen wollen, damit Sie auch in diesem Jahr noch mehr erhalten.
Nein, Herr Schmitt-Vockenhausen. Entschuldigen Sie, das ist keine Frage. Wir haben bei der Beantragung der öffentlichen Mittel von diesem Platz aus versprochen, daß zwei Dinge geschehen: daß noch in dieser Legislaturperiode das Parteiengesetz und eine Wahlkampfkostenbegrenzung kommen. Und diese beiden Erklärungen' wollen wir einlösen.
Eines wollen Sie in jedem Fall: die lästige jährliche Kontrolle durch die deutsche Öffentlichkeit loswerden.
Meine Damen und Herren, ich habe dieses Gespräch zwischen den beiden Herren laufen lassen, obwohl es nicht der Form der Debatte entspricht, die wir im allgemeinen in diesem Hause pflegen.
Ich werde in Zukunft aber in diesem Punkt die Augen nach keiner Seite zudrücken.
Was im übrigen die Frage der Ausschußüberweisung betrifft, so schreibt § 96 der Geschäftsordnung dieses Hauses für Finanzvorlagen — und zweifellos handelt es sich um solche — die Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. Beide Gesetzentwürfe wären also auch an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Zimmermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Herren Kollegen von der SPD, ich freue mich natürlich, daß Sie auch mir gegenüber den freundlichen Tonfall der letzten Stunde beibehalten wollen, und es soll nicht an mir liegen, daß das Gespräch jetzt etwa ernstere Formen annimmt, wenngleich ich natürlich sehr davon beeindruckt war, wie ernsthaft der Kollege Schmitt-Vockenhausen versucht hat, zur Würde des Parteiengesetzes, zur verfassungsmäßigen Stellung dieses Werks, das da vor uns liegt, in adäquater Weise, dem Grundgedanken gemäß zurückzukehren.Damit wären wir bei einem Punkt, der mir schon ein wenig am Herzen liegt. Ich sage Ihnen ganz offen: es wäre auch mir lieb gewesen, wenn wir nicht nach dieser unerhört erregenden Debatte von heute vormittag und nachmittag nachher noch als Anhängsel ein Gesetz wie dieses in der ersten Lesung miteinander hätten erörtern müssen. Aber
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Dr. Zimmermann
da sind wir schon, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, beim Zeitablauf, zu dem Sie eine Reihe von Ausführungen gemacht haben. Sie sagten, 15 Jahre stünden jetzt die Dinge, ohne verabschiedet zu werden. Nun, den Bundesinnenminister — ich brauche ihn sicher nicht in Schutz zu nehmen; er kann selbst das Nötige sagen — trifft daran wohl keine Schuld; denn er hat schon in der letzten Periode den Entwurf vorgelegt, und er hat ihn diesmal ja dem Parlament nur deshalb nicht vorgelegt, weil er erreichen wollte, daß die Fraktionen über ihr Gesetz, daß die Parteien über i h r Gesetz in erster Linie selbst die Übereinstimmung untereinander finden, und weil er wohl mit Recht hier die Initiative des Hauses vor die Initiative der Regierung gestellt hat.Aber wenn ich mir so das letzte Jahr betrachte, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wo wir, die Schatzmeister und die Vertreter der Parteien und der Fraktionen, in einer so überaus angenehmen Weise diesen Entwurf beraten haben, so muß ich doch sagen: Eine Zeitlang schien es so, als kämen wir nicht nur gut voran in den Formulierungen, in der Abstimmung, in dem gegenseitigen Entgegenkommen, sondern als kämen wir auch wirklich zu Rande. Und dann auf einmal erschienen — Sie werden sich daran erinnern — ein paar andere Gesichter aus Ihrer Fraktion, und wir mußten feststellen: Wir kommen nicht mehr zu Rande, es geht nicht mehr vorwärts, die Divergenzen und die Differenzen türmen sich, und wir alle haben sehr schnell sehen müssen, daß es zu einer gemeinsamen Einbringung des Entwurfs, daß es zu einem gemeinsamen Entwurfoffenbar nicht mehr kommen konnte.Seither, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen — und damit bin ich auch schon beim Sonderausschuß —, mußte es uns leider so scheinen, als legten Sie in dieser Periode nicht mehr den gleichen Wert auf die Verabschiedung dieses Gesetzes, den Sie früher vielleicht einmal auf sie gelegt haben. Wir mußten den Eindruck gewinnen, als komme es Ihnen jetzt eigentlich darauf an, das Gesetz auf die nächste Periode zu verschieben.Und sehen Sie, es ist eben kein Gesetz zur Wahlkampffinanzierung. Denn — das wissen Sie so gut wie ich — nach unserem Entwurf ist das Inkrafttreten dieses Gesetzes für den 1. Juli 1966 vorgesehen. Daher kann das Gesetz nichts, aber auch gar nichts mit diesem Wahlkampf und mit der Finanzierung dieses Wahlkampfes zu tun haben.
Warum haben wir uns für einen Sonderausschuß entschieden? Lieber Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ja doch nur, um Sie, den vielgeplagten und -geprüften Vorsitzenden des Innenausschusses, bei dem so wesentliche Gesetzesvorlagen wie der Notstand ruhen, zu entlasten, um damit die Gewißheit zu bekommen, daß nicht in Ihren vielbeschäftigten, enervierend arbeitenden Ausschuß in diesen Monaten auch noch das Werk Parteiengesetz hineinkommt und dann vielleicht nicht mehr herauskommt.Da war es uns lieber und da hielten wir es bei der Bedeutung dieses Gesetzes für adäquater, daß ein Sonderausschuß gebildet wird. Sonderausschüssehat es in diesem Hause bei anderen Aufgabestellungen auch schon gegeben, und die Frage der Parteienfinanzierung ist sicher keine geringe. Denn das Grundgesetz selbst ist es ja, das den Parteien den verfassungsmäßigen Platz zuweist. Sehen Sie, gerade da möchte ich jetzt den Haken einschlagen, weil Sie so sehr betont haben, dies sei doch eigentlich nur ein Gesetz zur Beschaffung von Wahlgeldern. Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, in § 1 dieses Gesetzes steht:Die Parteien erfüllen bei ihrer Mitwirkuung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen vom Grundgesetz übertragene öffentliche Aufgabe.Das ist der entscheidende Punkt, wenn wir schon in diesem Gesetz auch über Finanzierung zu reden haben. Es ist in der Tat die öffentliche Aufgabe.Wenn diese Aufgabe unserer Parteien in der Bundesrepublik Deutschland eine öffentliche Aufgabe ist — und das ist hier wohl nicht streitig —, vermag ich allerdings nicht einzusehen, warum Sie um jeden Preis in der öffentlichen Finanzierung den Teufel und den Beelzebub erblicken wollen, warum Sie die Parteien, die eine öffentlich Aufgabe erfüllen, schlechter stellen wollen als Zehntausende von Vereinen und Vereinigungen oft kleiner und kleinster Art, die von Staats wegen den Status der Gemeinnützigkeit zuerkannt erhalten haben und täglich neu zuerkannt erhalten, ohne daß sie auch nur ein Jota von öffentlichen Aufgaben auf sich nehmen.
Deswegen, finde ich, sollte man bei dem Range dieser Aufgabe nicht so tun, als wären — bei der Bedeutung dieser Aufgabe und der Bedeutung der Parteien — 38 Millionen DM Steuergelder etwas, das die deutschen Parteien auch nur in etwa, auch nur im geringsten in eine Abhängigkeit vom Staat bringen könnte.Sie haben sehr oft die innerparteiliche Demokratie zitiert. Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wir alle wissen, wie diszipliniert, wie straff organisiert und geführt Ihre Partei, die Sozialdemokratische Partei, ist — manschmal beneiden wir Sie darum — und daß Sie im Recht des Mitglieds, bei der Möglichkeit des Ausschlusses und bei vielen anderen Dingen viel härter und schärfer und disziplinierter und straffer vorgehen, als sich das andere Parteien leisten, die sehr viel individueller sind. Ich würde sagen: nach diesen Maximen ist die innerparteiliche Demokratie wahrscheinlich bei den Freien Demokraten am größten, aber doch sicher nicht bei Ihnen. Wenn Sie vorhin gesagt haben, Parteien mit einer schwach entwickelten innerparteilichen Demokratie seien dann ganz besonders in der Gefahr, vom Staate abhängig zu werden, so glaube ich nicht, daß dieser Vergleich zulässig ist, daß er uns zu irgend etwas führen kann.Darf ich Sie weiter daran erinnern, daß wir — die Schatzmeister und die Vertreter der Parteien — ganz ausführlich über den Begriff „staatspolitische und staatsbürgerliche Bildung" geredet haben und und daß Sie niemand in der Bundesrepublik Deutsch-
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Dr. Zimmermann
land finden können, nicht bei uns und vielleicht auch nicht bei dem noch größeren Sachverstand von Professoren der politischen Wissenschaften — dem größeren theoretischen Sachverstand, möchte ich ergänzen —, der Ihnen glasklare Definitionen geben kann, was denn eigentlich die Begriffe „politische Bildung", „staatsbürgerliche Bildungsarbeit" ausfüllt, wie weit, wie eng sie auszulegen sind.Wir sollten es uns auch selbst — als verfassungsmäßige Parteien, die eine öffentliche Aufgabe haben — nicht zu schwer machen und bei uns die Aufgaben differenzieren wollen, die wir in dem breiten Bereich der Parteiarbeit jeden Tag vor uns sehen, differenzieren wollen, was denn davon staatsbürgerliche oder parteibürgerliche Bildung und Erziehung ist. Wie kann man das differenzieren, wie kann man das definieren? Sind wir nicht dazu da, in diesem Staat für diesen Staat als demokratische Parteien mit dem demokratischen Wahlverfahren die Willensbildung zu vollziehen, mit allen Mitteln, die uns dafür zur Verfügung stehen? Da kann man nicht anfangen, mit der Elle zu messen, und kann nicht sagen: Das ist staatsbürgerlich und staatspolitisch, da stimmt die SPD zu, und hier wird es auf einmal parteipolitisch, hier können wir nicht mehr mitmachen. Ich glaube, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, Sie machen es nicht nur uns, Sie machen es auch sich selbst unnötig schwer, wenn Sie hier eine Unterscheidung einführen wollen. Und noch mehr: diese Parteien haben es auch nicht verdient, daß man hier mit der Elle etwa des Bundesrechnungshofes mißt und daß jemand feststellt: Das ist noch staatsbürgerlich und das ist es nicht mehr.Nun zum letzten Punkt des Vermögens, der Finanzen überhaupt! Ich möchte ungern, daß Sie von der Sozialdemokratie sich so als die Säulenheiligen, als die Finanzheiligen hinstellen und sagen: Wir, die große Mitgliederpartei, können es uns leisten, ganz andere, hehre Grundsätze zu vertreten als die CDU und CSU und als die FDP.
Vom April bis zum Dezember 1964 haben Sie nach den sorgfältigen Errechnungen von Fachleuten in den Wahlkämpfen — Landtagswahlen Baden-Württemberg, Kommunalwahlen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen —, für die Kongresse in dieser Zeit, für Ihre allgemeinen Werbemittel, den TokioProspekt usw., für Broschüren und für Ihre großherzige Bücherspende an die Volksschulen etwa 10,75 Millionen DM ausgegeben, bei Einnahmen aus Ihren Mitgliedsbeiträgen, die Ihr Schatzmeister Alfred Nau für den gleichen Zeitraum mit rund 14 Millionen DM beziffert hat. Für jeden ist also klar, daß natürlich auch Sie sich nicht aus den Mitgliedsbeiträgen finanzieren können, daß auch Sie bei den hohen Kosten Ihres gewaltigen Apparates sehr, sehr viele Millionen über die Mitgliedsbeiträge hinaus brauchen, und für die Wahlkämpfe natürlich noch mehr.Wir kennen Ihre Hilfstruppen. Wir kennen die mächtigen Organisationen, die hinter Ihnen stehen. Wir wissen, daß Sie eine Partei mit Vermögen, mit Zeitungen, mit Druckereien sind. Und, Herr KollegeSchmitt-Vockenhausen, die Pfennige Ihrer Mitglieder aus den Jahren vor 1933 natürlich in Ehren — aber waren es nicht auch die Zeitungslizenzen der Besatzungsmächte nach 1945, die Ihnen zu diesem Vermögen verholfen haben?
Nichts Schlechtes! Aber man darf, man muß es sagen, wenn man an Ihre Druckhäuser, an Ihre Zeitungen, an Ihre Betriebe denkt.Wenn Sie hier die öffentliche Aufgabe darin sehen wollten, daß man den Parteien in Deutschland die öffentlichen Mittel verweigert, würden Sie ja beinahe zwangsläufig CDU, CSU und FDP dahin treiben — was in Österreich und vielleicht auch in anderen Ländern ein wenig in der Mode ist —, daß sie sich nun auch wirtschaftlich betätigen, Betriebe gründen und sich ein Vermögen anzulegen versuchen. Ist denn das etwa im Sinne des Erfinders? Wäre es gut für die öffentliche Aufgabe der Parteien, wenn sie gezwungen wären, sich selbst aus Wirtschaftsbetrieben zu finanzieren und eigene wirtschaftliche Konzerne aufzubauen? Ich glaube, das wäre noch viel schlechter als das, was hier legal, legitim und nach dem Bundesverfassungsgericht zulässig von uns beabsichtigt ist.Sie wissen auch ganz genau, daß die Höhe der Spendengutscheine wirklich nur ein Rahmen, aber in der Ausfüllung eine Schimäre ist. Denn jeder weiß, daß diese Beträge nicht erreicht werden können. Und über die Höhe dieser Spendengutscheine kann man ja durchaus reden.Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, trotz der mißglückten Versuche der letzten Monate wollen wir im Ausschuß gern noch einmal unseren und Ihren Entwurf nebeneinanderlegen. Aber ich sage Ihnen auch mit genauso großer Deutlichkeit und Klarheit: Wir wollen und wir werden dieses Parteiengesetz in dieser Periode entscheiden und verabschieden, weil wir das für notwendig halten, weil der Rang danach ist, weil die öffentliche Aufgabe danach ist, und wir werden uns in dieser Beratung nicht mehr leichtgläubig durch kleine Manöver der Verzögerung, mögen sie auch noch so gut gemeint sein, von unserem Vorhaben abbringen lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der „freundlichen "Schlußbemerkung von Herrn Zimmermann, sozusagen der Ouvertüre hinsichtlich des zu erwartenden Stils in-der Beratung des Sonderausschusses, möchte ich gern Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf ein Problem lenken, das Herr Professor Burgbacher zu Beginn seiner Ausführungen angerührt hat, als er von Art. 21 unserer Verfassung ausging. Wenn man sich einmal die Mühe macht, in den Protokollen des Parlamentarischen Rats nachzublättern, stößt man vor allen Dingen in den Bemerkungen und Anregungen des damaligen Zentrumsabgeordneten Brockmann auf zwei Argumente, .die entscheidend zu dem Art. 21
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8586 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Dr. Lohmarmit dem Gebot, ihn durch Parteiengesetze — von einem Gesetz ist gar nicht die Rede — zu ergänzen, geführt ,halben. Das waren Argumente, über die nachzudenken sich lohnt. Sie berühren politische Erfahrungen aus der Weimarer Republik. Das eine Argument im Parlamentarischen Rat war, man müsse verhindern, daß eine totalitäre Entwicklung von Parteien in ihrer inneren Struktur noch einmal Platz greifen könne. Das zweite Argument war, wohl vor allem in Erinnerung an die Fremdfinanzierung Hitlers durch bestimmte Wirtschaftsgruppen, man müsse die politische Unabhängigkeit der Parteien in der Weise schützen, daß man sie von wirtschaftlichen Pressionen freimache, die von Interessenten politischer oder wirtschaftlicher Art auf sie ausgeübt werden könnten.Nun, meine Damen und Herren, es ist dies nicht der einzige Teil unserer Verfassung, der mehr in der argwöhnischen und kritischen Erinnerung an Weimar verfaßt worden ist ,und weniger im Blick auf die Bedingungen einer modernen Industriegesellschaft, wie sie sich in der Bundesrepublik herausgebildet hat. Ich meine deshalb, daß uns die Entstehungsgeschichte des Art. 21 allein keine Antwort im Detail darauf erlaubt, was wir in ein solches Parteiengesetz hineinschreiben können. Man muß wohl auch hinzunehmen, wie die Parteien, die heute im Bundestag vertreten sind und die sich jetzt nach langem Zögern endlich alle um die Abfassung eines Parteiengesetz bemühen wollen, zu ihrer heutigen Gestalt geworden sind.Die SPD ist nicht erst seit heute eine Mitgliederpartei. Sie war es immer. Sie war es nicht ,allein deshalb, weil ihre Anhänger eher bereit waren, sich zu einer Mitarbeit in einer politischen Partei zu entschließen. Sie war auchdeshalb immer mehr Mitgliederpartei als andere politische Parteien in Deutschland, weil sie eine andere Vorstellung von dem Verhältnis zwischen Staat und Bürger hatte, als sie in anderen Parteien gelegentlich anzutreffen gewesen ist. Ich will .das nicht vertiefen. Aber was ichmeine, wird klar, wenn man diesem Typ Mitgliederpartei bei der Sozialdemokratie den anderen Typ der Honoratiorenpartei gegenüberstellt, die wir heute, wenn auch durch neuere Entwicklungen modifiziert, bei der FDP noch am ausgeprägtesten, aber auch bei der CDU/CSU vorfinden.
Die Frage, die Herr Burgbacher gestellt hat, in welcher Weise Mitglieder und Wähler bei der Bewertung des Gewichts von politischen Parteien miteinander in Beziehung gebracht werden könnten, stellt sich auch für mich. Nur ist meine Antwort, Herr Kollege Burgbacher, mit einigen Fragen befrachtet, die Sie in Ihren Überlegungen nicht gestellt haben.Lassen Sie mich dazu einiges sagen. Sie haben der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion vorgeworfen, sie tue so, als ob das Parteiengesetz lediglich ein Parteienfinanzierungsgesetz sein sollte. Ich glaube, das ist ein irriger Eindruck bei Ihnen. Nicht w i r haben die Parteienfinanzierung zu einem Kernstück des Gesetzentwurfes gemacht; das war die Koalition, das waren Sie,
während es uns darum geht, den Parteien einen Mantel schneidern zu helfen, der ihnen unter den Bedingungen ihres Wirkens in unserer heutigen Gesellschaft paßt und der weit genug ist, um ihre Unabhängigkeit und Freiheit darin zu bewahren.Herr Burgbacher, ich habe mir in Ruhe Ihre Argumente überlegt, und ohne jetzt die taktischen Überlegungen der einen oder anderen Seite über Gebühr mit zu bedenken, möchte ich Ihnen gerne einige Fragen stellen. Ich gehe davon aus, daß jedenfalls die Führung der CDU/CSU mit den Sozialdemokraten darin übereinstimmt, daß wir heute mit dem Typ der Honoratiorenpartei nicht mehr auskommen, sondern daß wir eine Mitgliederpartei brauchen. Das heißt, daß — zwar mit einem anderen Parteibuch, aber vom Typ Partei her gesehen — das Modell der SPD im ganzen für Sie nachahmenswert ist. Wenn das so ist, frage ich mich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ob Sie im Ernst glauben können, auf dem Wege einer weitgehenden Staatsfinanzierung dieses Ziel erreichen zu können, oder ob nicht die Befürchtung naheliegt, daß Sie dieses Ziel mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem Weg, den Sie jetzt einschlagen wollen, verfehlen werden.Ich meine, es gibt drei Argumente, über die wir in den Beratungen des von Ihnen für richtig gehaltenen Sonderausschusses miteinander debattieren sollten. Das eine möchte ich mit der Gefahr bezeichnen, die Bereitschaft von Mitgliedern auszuhöhlen, ihrerseits etwas zur Stärkung politischer Parteien beizutragen. Ich kenne das Gegenargument, das da heißt, Mitglieder würden sich nicht deshalb in einer Partei betätigen, weil es ihnen darum gehe oder weil sie bereit seien, einen Beitrag zu zahlen; sie arbeiteten aus anderen Gründen mit. Das ist richtig. Aber es bleibt auch richtig, daß die Dokumentation der Mitarbeit in einer politischen Partei durch den Beitrag des Mitgliedes eine wichtige und, wie wir meinen, unverzichtbare Form des Ausdrucks dieser Mitarbeit in einer politischen Partei ist und sein sollte.
Wenn Sie bis zu einer Gesamthöhe von 90 Millionen DM pro Jahr — wenn man Bund und Länder zusammennimmt — öffentliche Mittel in Anspruch nehmen, wie wollen Sie dann den Mitgliedern klarmachen, daß sie noch etwas zur Finanzierung ihrer Parteien betragen sollen? Nennen Sie mir ein Argument, das den Mitgliedern die Plausibilität eines solchen Wunsches noch klarmachen könnte! Mehr Geld können Sie ja gar nicht verbrauchen! Sie verschütten sich doch selber den Weg zur Mitgliederpartei, wenn Sie eine Staatsfinanzierung — ich sage: in diesem Ausmaß — durchsetzen wollen.
Herr Burgbacher, hier schlägt die Quantität ebendoch in die Qualität um, auch wenn Sie den Unter-schied zwischen Norm und Quantität gemacht haben.Die zweite Befürchtung, die ich hege, ist die folgende: Ich gehe mit Ihnen, Herr Burgbacher, davon aus, daß es darum geht, auch die politische Entscheidung des Wählers richtig zu würdigen im Zusam-
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Dr. Lohmarmenhang mit dem Gewicht, das politische Parteien haben. Wenn ich das tue, dann frage ich mich, ob es einem Wähler, der sich für die 'eine oder andere Partei entscheidet, zugemutet werden kann, gegen seinen eigenen Willen durch eine staatliche Zwangsumlage an der Finanzierung von Parteien mitzuwirken, für deren Mitgliedschaft er sich aus Gründen, die bei ihm liegen, bisher nicht erwärmen konnte. Ich frage mich, ob Sie dadurch nicht eine größere Fremdheit des Wählers gegenüber den Parteien provozieren.Das dritte Argument, das ich Ihnen zu bedenken geben möchte, ist dieses: Wofür werden die politischen Parteien, meine eingeschlossen, meine Damen und Herren, wenn sie Jahr für Jahr, auch in den wahlfreien Jahren, Mittel in diesem Umfang von der öffentlichen Hand bekommen, diese Mittel verwenden? Sie werden sie, fürchte ich, nicht vorrangig zur Unterstützung mal dieser, mal jener Initiative verwenden, sondern sie werden sie verwenden zur Aufforstung ihrer Bürokratie mit der Folge, daß dann das ehrenamtliche Element, von dem das demokratische Leben in einer politischen Partei abhängt, immer mehr durch das hauptamtliche Element in den Parteien zurückgedrängt wird.
Ich halte auch das 'für eine 'Entwicklung, die man übertreiben kann.
— Herr Kollege Zimmermann, ich will Ihnen aus Ihrer eigenen Partei-Statistik einen Hinweis geben. Ich habe mich aus einem anderen Anlaß einmal mit dem Grad der Bürokratisierung unserer Parteien beschäftigt und bin dabei zu dem auch für mich überraschenden Resultat gekommen, daß die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter der SPD auf Bundes- und Länderebenen im ganzen bei 500 liegt, bei der CDU/ CSU aber bei 700, das heißt, der Grad an Bürokratisierung bei Ihnen ist heute schon weiter gediehen als bei der SPD. — Herr Kollege Burgbacher!
Herr Kollege Lohmar, haben Sie bei dieser Statistik, die so, wie Sie sie dargestellt haben, auch nach meiner Kenntnis ungefähr stimmt, nur die hauptamtlichen Angestellten gezählt, oder haben Sie auch die Mitarbeiter gezählt, die Ihnen von Gewerkschaften oder Konsumvereinen monatelang zur Verfügung stehen?
Herr Kollege Burgbacher, es ist ja so, daß jede Partei ihr soziologisches Hinterland hat, daß es, wenn Sie so wollen, eine natürliche Nähe der einen oder anderen Gruppe zu der einen oder anderen Partei gibt. Ob man das im einzelnen gegeneinander aufrechnen kann und soll und ob wir uns nicht auch manchmal in den bei
uns wechselseitig vermuteten Gruppen irren, möchte ich dahingestellt sein lassen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dies zusammenfassen: Ich fürchte, daß die Politiker der CDU/CSU, .die den Weg zu einer Mitgliederpartei als einer angemessenen Form der politischen Mitwirkung von Bürgern in unserem Staat einschlagen und sich darum ernstlich bemühen wollen, durch die Entscheidung für eine so weitgehende Staatsfinanzierung sich selber den Weg dahin unibegehbar machen werden wegen der Gefahr einer übermäßig verstärkten Bürokratisierung und wegen der Aushöhlung der Bereitschaft zu einer freiwilligen Mitarbeit sowohl bei den Mitgliedern als auch bei den Wählern.
Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zu dem machen, was der Kollege Zimmermann gesagt hat. Herr Zimmermann, Sie haben uns gebeten, zu verstehen, daß man die Parteien doch nicht schlechter stellen solle und könne als die Vereine. Ich würde mich gegen dieses Ansinnen nicht einmal so entschieden zur Wehr setzen, wenn Sie die gleiche Praxis empfehlen würden, die wir bei den Vereinen, die staatliche Unterstützung erhalten, anwenden. Vereine bekommen nur etwas, wenn sie das Wesentliche dessen, was sie vorhaben, aus eigenen Mitteln finanzieren.
— Ja. Es geht aber hier nicht um Steuerfreiheit. Sie wollen doch direkte Zuschüsse des Staates an die Parteien zahlen.
Bei den Vereinen haben wir das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe in der Relation Staat / Verein, während Sie bei den Parteien das Prinzip der Hilfe ohne Eigenleistung durchsetzen wollen.
Das ist doch ein Unterschied, den man sehen muß. — Herr Zimmermann, wollen Sie mich durch eine Frage genauer über Ihre Absichten informieren?
Herr Kollege Lohmar, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich die Gemeinnützigkeitsverordnung meinte und daß ich jene Zehntausende von Vereinigungen und Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene und weit herunter bis in die kleinsten Gemeinden meinte, die — und das erreicht man in diesem Staat, wie Sie wissen, sehr leicht — die Gemeinnützigkeit zuerkannt erhalten haben und deswegen weitaus privilegierter sind als die deutschen Parteien nach dem Karlsruher Urteil.
Das würde aber nur den Teil der Parteienfinanzierung berühren, der sich mit Ihren Spenden beschäftigt, nicht aber die Parteienfinanzierung in der direkten Form, nicht wahr?
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8588 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Dr. Lohmar— Gut, das mindert aber nicht meine Einwände gegen Ihr Argument.Zweitens, Herr Zimmermann, haben Sie uns gefragt, wieso wir dazu kämen, eine Begrenzung der öffentlichen Mittel für Aufgaben in der politischen Bildung vorzuschlagen. Sie haben gemeint, es lasse sich doch nicht per definitionem bestimmen, was politische Bildung sei, wo sie beginne und wo sie aufhöre. Wenn man das will, Herr Zimmermann, dann ließen sich auch die Aufgaben der politischen Parteien in diesem exakten Sinne nicht bestimmen. Wir haben uns dennoch, und zwar alle Fraktionen gemeinsam, in den Vorbesprechungen dazu verstanden, den Parteien besondere Aufgaben in dem Entwurf für ein Parteiengesetz zuzudenken. Ich darf sie mit der freundlichen Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren. Es heißt, bei Ihnen und bei uns im Wortlaut übereinstimmend:.Ferner wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung ... mit, indem sie die Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern, auf die Verbundenheit des Volkes mit dem Staat und seiner verfassungsmäßigen Ordnung hinwirken, die politische Bildung anregen und vertiefen, zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Persönlichkeiten heranbilden und sich zum Wohle des Volkes um den Ausgleich von Gruppeninteressen bemühen.Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren: Wieso haben Sie dieser Fassung in den Vorbesprechungen zugestimmt, wenn Sie die Bestimmbarkeit dessen, was mit politischer Bildung gemeint ist, jetzt grundsätzlich in Frage stellen?
Wir haben uns verständigt, daß politische Bildung eine wesentliche Aufgabe der Parteien ist. Wenn Sie dem zustimmen — und das haben Sie in Ihrem eigenen Entwurf getan —, müssen Sie doch wie wir davon ausgehen, daß man sich dabei etwas Konkretes denken kann. Ich möchte auch meinen, daß das möglich ist, nicht im Sinne und in der Form einer abstrakten, theoretischen Definition, aber durch positive Beispiele. Ein positives Beispiel dafür ist etwa die Bücherspendenaktion meiner Partei. Ein anderes Beispiel für das, was wir unter politischer Bildung verstehen, ist die Förderung von Dissertationen oder anderen wissenschaftlichen Arbeiten junger Wissenschaftler, die sich im Rahmen zeitgeschichtlicher Fragestellungen mit solchen Themen beschäftigen. Dieser Beispiele ließen sich viele aufzählen.
— Gewiß, Herr Dürr; aber was hindert uns daran, das Geld für Aufgaben zu verwenden, bei denen es keine Meinungsverschiedenheiten darüber gibt, daß sie zum Bereich der politischen Bildung gehören?
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend eine Bitte äußern. Ich meine, wenn man die Interessenlage der im Bundestag vertretenenParteien im ganzen sieht — und darum sollten wir uns mit gutem Willen bemühen —, wird man mit wechselnden Nuancen doch sehen müssen, daß es bei der endgültigen Formulierung des Parteingesetzes um drei entscheidende Probleme geht. Es handelt sich erstens darum: Wie ist die Unabhängigkeit der politischen Parteien gegenüber dem Staat und gegenüber Interessentengruppen durchzusetzen und zu sichern? Es handelt sich zweitens um die Frage: Wie ist die Chancengleichheit der politischen Parteien zu gewährleisten? Das bedeutet auch, daß es nicht genügt, den Status quo der bestehenden politischen Parteien gegenüber jeder anderen möglichen Partei abzusichern. Auch das, meine ich, sollte in dieser Debatte gesagt werden: daß es hier kein für immer bestehendes Kartell der bestehenden politischen Parteien geben kann. Wir müssen bereit sein, auch anderen politischen Entwicklungen Raum zu geben,
wenn sie sich im Rahmen unserer Verfassung darum bemühen.Das Dritte, worum es geht, ist die Arbeitsfähigkeit der politischen Parteien. Sie, Herr Burgbacher, haben gesagt, daß Ihr Entwurf auf dem Art. 21 des Grundgesetzes beruhe. Das ist sicher der Fall. Aber die Frage ist nicht, ob Ihr oder unser Entwurf darauf beruht, sondern ob wir einen Gesetzentwurf vorzulegen in der Lage sind, der den Vorschriften des Art. 21 und seiner politischen Zielrichtung in einer sachgemäßen, unserer Zeit entsprechenden Form entspricht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte es mir ersparen, auf das soziologische Hinterland der Parteien in der ersten Beratung dieses Gesetzes noch einzugehen, obwohl das ohne Zweifel sehr interessant wäre, nicht nur aus der Sicht des Kollegen Lohmar, sondern auch aus unserer Sicht; denn über die Mobilwerbung, die ADK und ähnliche Institutionen ließe sich natürlich auch aus unserer Sicht einiges mitteilen. Es kommt uns aber darauf an, möglichst bald einen Auftrag zu erfüllen, der diesem Hause erteilt ist, und wir sollten deswegen auch versuchen, möglichst bald eine Verabschiedung dieses Gesetzes in zweiter und dritter Lesung in diesem Hause zu erreichen.Nur muß ich in einem Fall dem Kollegen Lohmar doch widersprechen, wenn er nähmilch glaubt, die FDP sei heute noch eine Honoratiorenpartei. Natürlich gibt es sehr honorige Männer und Frauen in dieser Partei; darüber gibt es keinen Zweifel. Wir haben uns aber insofern mit Sicherheit etwas von dem Modell der SPD — ohne politisch anfällig geworden zu sein — anreizen lassen und eine Mitgliederwerbung in ziemlich großem Umfange durch-
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Dorngeführt. Ich darf Ihnen sagen, Herr Kollege Lohmar, daß diese Mitgliederwerbung sogar erfolgreich war und daß Sie eine Sorge, die Sie hier ausgesprochen haben, nicht zu haben brauchen, nämlich die Sorge, ob die Mitglieder jetzt noch zu der Überzeugung kommen könnten, Beiträge zahlen zu müssen, nachdem die Parteien aus öffentlichen Mitteln erhebliche Gelder in Anspruch nehmen. Wir haben festgestellt, daß wir gerade im Lande Nordrhein-Westfalen in den letzten Wochen eine erhebliche Steigerung der Beitragssätze bei den Mitgliedern haben durchsetzen können, und zwar trotz der Finanzierung aus öffentlichen Mitteln.Das Problem, ob Mitgliederpartei oder Honoratiorenpartei, stellt sich heute gar nicht mehr so. Denn letzten Endes ist jede Partei praktisch gezwungen, eine größere Zahl von Mitgliedern zu werben, weil sie sonst einfach nicht in der Lage ist, die auf sie zukommenden Probleme — angefangen bei den kommunalpolitischen Aufgabenstellungen — zu lösen.
Jede Partei, die in diesem Hause vertreten ist, wird mit Sicherheit mehr und mehr danach streben müssen, eine Mitgliederpartei zu werden.Der Vorwurf, daß wir die Dinge vielleicht deswegen mit einem Sonderausschuß so schnell bereinigen wollten, um noch in diesem Jahr wahlfinanzierungsmäßige Auswirkungen dieses Gesetzes zu bekommen, trifft nicht zu; ich glaube, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, das ist inzwischen auch bei Ihnen eingesehen. Denn die Auswirkungen dieses Gesetzes, das ja erst am 1. Juli 1966 in Kraft treten soll, können mit dem Wahlkampf dieses Jahres absolut nichts mehr zu tun haben. Es kam mir darauf an, daß noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen.Nun könnte man sich im Zusammenhang mit der Frage der Parteienfinanzierung darüber unterhalten, ob das, was in der Vergangenheit geschehen ist, immer sehr glücklich, maßvoll und sinnvoll war. Die Kollegen Heinemann und Schütz von der SPD haben sich dafür eingesetzt, daß eine auf Mitgliedsbeiträge beschränkte Steuerbegünstigung vorgesehen wird. Sie haben allerdings nicht erläutert, wie sie den Unterschied zwischen Beiträgen und Spenden gesetzlich erfassen wollen. Ich glaube, es ist auch angesichts von 10,3 Millionen nichtsteuerpflichtiger Arbeitnehmer in der Bundesrepublik schwierig, dieses Problem so zu lösen, daß keine Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichts wegen einseitiger Privilegierung hoher Einkommen zu erwarten sind. So ist also der Weg, der von den beiden Kollegen der SPD-Fraktion schon vor Jahren vorgeschlagen worden ist, in der Praxis nicht zu realisieren.Der Kollege Schmitt-Vockenhausen 'hat gesagt, die SPD -sei der Auffassung, daß die Parteien ihre Aufwendungen selbst decken müßten, und er hat davon gesprochen, daß eine große Zahl -der SPD-Mitglieder durch Beitragszahlungen und Spenden in der Vergangenheit erhebliche Opfer gebracht haben. Das ist gar nicht zu bestreiten, Herr Kollege Schmitt-Vokkenhausen. Nur kann heute niemand leugnen, daß mit dem Aufkommen aus Beiträgen allein weder die Parteifinanzierung noch die Wahlkampffinanzierung gesichert -werden kann. Ich komme nachher noch auf Beispiele der SPD zu sprechen, die das deutlich machen.Man kann natürlich so weit gehen, wie -das im Jahrbuch der SPD geschehen ist, wo man 'z. B. im Jahrgang 1958/59 ganzseitige Anzeigen einer CDU-Landesregierung aufgenommen hat. Damals -ist dort eine doppelseitige Anzeige der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen mit dem Bild von Herrn Ministerpräsidenten Meyers erschienen.
— Sicher, Herr Kollege Lohmar! So kann man natürlich die Entwicklungshilfe der Parteien untereinander erheblich befruchten.Die Frage ist also, wie man die Parteifinanzierung anders als durch Mitgliedsbeiträge in einem vernünftigen Ausmaß sicherstellen kann, ohne daß besondere Abhängigkeitssituation für die Parteien eintreten. Ich darf hier zwei Beispiele aus Bundestagswahlen und zwar aus den Jahren 1961 und 1953, anführen.Am 4. Juli 1961 hat Herr Alfred Nau an einige hundert Industrieunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland einen ausführlichen Brief geschrieben. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur zwei Absätze a-us diesem Brief zitieren. Herr Nau hat damals, unterstützt von einer ganzen Reihe von prominenten Sozialdemokraten — von Carlo Schmid bis Max Brauer und August Zinn —folgendes geschrieben:Wir bitten Sie höflichst um eine Spende -für den Wahlfonds des sozialdemokratischen Bundeskanzlerkandidaten Willy Brandt, 'dem Regierenden Bürgermeister von Berlin.
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich will nur auf das Problem zu sprechen kommen. — Nun die Geste, mit der man Industriefirmen angesprochen hat:Mit manchen alten Denkschablonen und Vorurteilen ist längst aufgeräumt worden. Wir sind sicher, daß auch der Wirtschaft daran gelegen ist, dem -Ganzen verpflichtet zu sein. Eine von Willy Brandt geführte Bundesregierung wird dem Ganzen dienen.Soweit ist gar nichts dagegen einzuwenden. Ich sage nur, das ist der Beweis dafür, daß ,auch Ihre Partei mit den Geldern, die aus Ihrem eigenen Bereich aufgebracht werden können, nicht in der Lage ist, alle erforderlichen Aufgaben zu bestreiten.Nun ist natürlich die Frage — Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, diese Frage ist von Ihnen bereits im Jahre 1964 angesprochen worden —, ob man sich nicht durch bestimmte Unterstützungsmaßnahmen, die man sich sichern will, in Abhängigkeiten begibt, die bedeutend geringer sind als die Abhängigkeiten jemals werden können, die sich erge-
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DornI ben, wenn man öffentliche Mittel in Anspruch nimmt. Lassen Sie mich dafür ein Beispiel bringen. Ich bitte noch einmal um die Genehmigung des Herrn Präsidenten für ein letztes Zitat aus einem Buch, das in der Fuldaer Verlagsanstalt erschienen ist. Es hat den Titel „Verraten und verkauft" und befaßt sich mit der Parteifinanzierung der SPD für den Bundestagswahlkampf 1953.
— Nun, das Buch ist mir halt auf den Tisch geflattert, Herr Kollege Lohmar. Sie werden es sicher kennen.
— Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, zumindest hat ein Mann dieses Buch geschrieben, der über die Praxis der Finanzierung eines solchen Bundestagswahlkampfes innerhalb der Sozialdemokratischen Partei sehr gut informiert sein muß. Wenn ich das zitiert habe, werden vielleicht auch Sie zu dieser Überzeugung kommen. Es geht also um die Bundestagswahl 1953:Die SPD ist stark in die Verteidigung gedrängt und macht sich Sorgen um die Finanzierung des Bundestagswahlkampfes.In dieser Lage verschicken Erich Ollenhauer und Alfred Nau an führende Funktionäre der Ge-werkschafts- und Genossenschaftsbewegung Einladungen zu einer Sitzung, auf .der die Finanzierung des Bundestagswahlkampfes erörtert werden soll. Davon steht selbstverständlich nichts auf der Einladung; Erich Ollenhauer bittet offiziell zum Abendessen in den Kölner Hof zu Köln. Für die Konsumgenossenschaften und Volksfürsorge erscheinen Gustav Dahrendorff und Karl Wiederkehr, für den DGB u. a. Albin Karl und für die Bank für die Gemeindewirtschaft Friedrich Simon, außerdem Dr. Viktor Agartz.Die SPD braucht mehrere Millionen Deutsche Mark, wobei es auf zweierlei im Kölner Hof ankommt: Die Beträge müssen getarnt und die Entnahmen so verbucht werden, daß die an führender Stelle stehenden CDU-Kollegen von den Transaktionen keine Kenntnis erhalten können.
Das Unternehmen sieht gar nicht neutral aus. Man diskutiert die Möglichkeiten der Finanzierung durch geringe Verzinsung von Gewerkschaftsguthaben bei den Banken, wobei die ausfallende Differenz als Wahlgelder zugunsten der SPD ausgezahlt werden könnte. Man überlegt Scheinzahlungen der Industriegewerkschaften an den Solidaritätsfonds; die anweisende Industriegewerkschaft müßte dann den Betrag verbuchen, nicht aber der Empfänger, oder aber Überweisungen an das Wirtschaftswissenschaftliche Institut, ohne daß die Summen in der Buchhaltung des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts als Eingänge verarbeitet würden.
Bei den Überlegungen ist weiterhin wesentlich, daß als Geldspender die einzelnen Industriegewerkschaften auftreten, nicht aber der DGB selbst, damit der Bundesvorstand immer in der Lage ist, erklären zu können, daß er niemals Wahlgelder für die SPD zur Verfügung gestellt hat.Viktor Agartz steht völlig hinter dem Plan, die Sozialdemokratie mit mehreren Millionen Gewerkschaftsgeldern wahlpolitisch zu unterstützen.... Aus diesem Grunde erklärt er sich bereit, die Transaktion in vollem Umfang zu unterstützen; die auf das Wirtschaftswissenschaftliche Institut ausgestellten Barschecks werden in den darauffolgenden Tagen vom Parteivorstand der SPD in seiner Privatwohnung abgeholt.
Meine Damen und Herren, in Anbetracht der Dinge, die am 29. Oktober 1956 im Pressedienst der SPD kritisiert worden sind, ist das natürlich sehr interessant. Es ist vor allem deshalb interessant, weil die SPD im gleichen Jahr — ebenfalls im Rahmen des Bundestagswahlkampfes — eine Broschüre herausgegeben hat, die den Titel trug: „Unternehmermillionen kaufen politische Macht."
— Genauso war es, Herr Kollege Schäfer, und das wollen wir für die Zukunft nicht mehr ermöglichen. Wir sind der Meinung, daß die Abhängigkeit der Parteien, wenn sie aus öffentlichen Mitteln Geld in Anspruch nehmen, gleich Null ist.
Ich darf Ihnen gleich ein praktisches Beispiel dafür geben, weil gerade wir Freien Demokraten gebrannte Kinder sind.
— Seit Februar 1956. Ich komme darauf zu sprechen, Herr Kollege Schäfer. Ich darf auf ein anderes Argument eingehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage? — Bitte, Herr Abgeordneter Lohmar.
Herr Dorn, wie erklären Sie den Widerspruch zwischen Ihrer Begründung, Sie brauchten die Staatsfinanzierung, um von wirtschaftlichen Spenden unabhängig zu werden, und der anderen Begründung, die aus Ihren Reihen kommt, Sie brauchten die Staatsfinanzierung deshalb, weil die Unternehmer nichts mehr zahlten?
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Sie unterstellen Dinge, die ich im Moment nicht beurteilen kann, weil ich für die Finanzierung meiner Partei nicht zuständig bin.
— Herr Kollege Mommer, so billig machen wir es uns nicht in der Auseinandersetzung um das Problem.
Lassen Sie mich etwas anderes sagen. Der SPD-Pressedienst hat am 24. Oktober 1956 sehr kritisiert, daß die Berufsverbände Gelder an die Fördergesellschaften zahlten, weil auf diese Weise auch sozialdemokratische Gewerbetreibende die CDU mitfinanzierten. Sie haben immer wieder auf der einen Seite Ihre Bedenken gegen Finanzierung aus nichtöffentlichen Mitteln angemeldet, auf der anderen Seite sprechen Sie jetzt davon, daß die Abhängigkeit für die Parteien, wenn man öffentliche Mittel in Anspruch nehme, in erhöhtem Maße eintreten würde. Lassen Sie mich deswegen zu dem letzten Argument, das auch Sie, Herr Kollege Lohmar, angesprochen haben, noch einiges zur Begründung sagen.
Es ist gar kein Zweifel darüber gewesen, daß die Fördergesellschaften oder Staatsbürgerlichen Vereinigungen — oder wie man sie immer nennt — der CDU und FDP mehr Mittel haben zukommen lassen als der SPD. Darüber gibt es keinen Zweifel. Das haben wir auch nie bestritten. Das Problem ist nur, in welchem Umfang die Gefahr für eine Partei oder für eine Fraktion bestehen kann, in eine so schwierige Situation zu kommen, daß der Geldgeber eines Tages durch Zudrehen des Hahnes Forderungen und Abhängigkeiten entstehen lassen kann.
— Eben. Darauf komme ich zurück, Herr Kollege Schäfer; weil wir ja Erfahrungen gesammelt haben, deswegen sind wir der Auffassung, daß so etwas nicht wieder vorkommen soll. Der heutige CDU-Abgeordnete Stein hat damals die Sperre der Finanzierung der FDP mit Mitteln der Staatsbürgerlichen Vereinigung im Februar 1956 mit der Begründung erklärt, man habe die Koalition unterstützen wollen; nachdem aber die FDP in Düsseldorf die Regierung gestürzt habe und in Bonn aus der Regierung ausgeschieden sei, sei es nicht mehr notwendig, diese Unterstützung fortwährend zu gewähren.
Hier zeigt sich doch, welche Gefahren bestehen können. Es ist für die FDP keine Situation eingetreten, in der wir in eine Abhängigkeit geraten sind. Aber nur deswegen, weil durch erhöhte, unerhörte Anstrengungen der Fraktionen, der Landesverbände der FDP diese Krise überwunden werden konnte. Ich kann Ihnen nur sagen, daß das, was in Zukunft auf uns zukommen wird hinsichtlich der Arbeit auch in den Gemeinden — die Sie angesprochen haben, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen —, jede Fraktion und jede Partei vor erhöhte, auch finanzielle Aufwendungen stellen wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage? — Bitte, Herr Abgeordneter Schäfer.
Herr Kollege Dorn, nachdem Sie uns in so interessanter Weise erzählt haben, wann und mit welcher Begründung das Ende damals eingetreten ist, würden Sie uns da jetzt auch sagen, von wann an und unter welchen Bedingungen die Zahlungen wieder geleistet wurden?
Herr Kollege Schäfer, das kann ich Ihnen leider nicht genau sagen.
— Wenn er den Dübber zur Hand hätte, könnte er es vielleicht tun. Ich habe ihm im Moment nicht hier. Sie können den Dübber in der Bibliothek des Hauses ausleihen. Da werden Sie es mit Sicherheit sofort feststellen können.
Mit Sicherheit darf ich Ihnen aber sagen, Herr Kollege Schäfer, daß die Bedingungen seitens der FDP-Fraktion, wenn Weiterzahlungen erfolgt sind, zu keinem Zeitpunkt erfüllt worden sind.
— Das weiß ich, weil ich lange genug dem Vorstand dieser Partei angehöre.
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, Sie haben nun gesagt, daß in Ihrem Entwurf natürlich die Lex specialis für die FDP fehle, und Sie meinten, daß Sie viele gutgemeinte Vorschläge zur Abkehr von der staatlichen Finanzierung gemacht hätten. Ich würde Ihnen sagen: Sie sollten vielleicht noch einmal überlegen, ob es nicht auch viele gute Gründe für eine solch saubere Teilfinanzierung, wie sie durch den Staat durchgeführt wird, gibt, die man anerkennen könnte, zumal, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, die Sozialdemokraten in den Gemeinden und in den Ländern bei weitem nicht so pingelig und kritisch sind, wie Sie es hier im Bundestag immer wieder äußern.
Was Sie in den Gemeinden an Finanzierungsquellen zusätzlich erschlossen und mit unterstützt haben, geht in weitem Umfang über die Forderungen der FDP in den Gemeinden hinaus, in denen ich .es in meinem Kreis kenne.
Das Wort wird nicht weiter gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.Meine Damen und Herren, wir kommen zu den Vorschlägen für die Überweisung der beiden Gesetzentwürfe. Es ist vorgeschlagen — es ist auch bereits beschlossen —, einen Sonderausschuß für die Behandlung dieser 'Materie zu bilden. Ich nehme
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8592 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1965
Vizepräsident Schoettlean, daß darüber nicht besonders zugestimmt werden muß.Ich habe vorhin festgestellt, daß die beiden Vorlagen nach der Geschäftsordnung gemäß § 96 auch dem Haushaltsausschuß überwiesen werden sollen. — Das wird auch akzeptiert. Damit ist die Überweisung beschlossen.Meine Damen und Herren, ich nehme an, Sie sind damit einverstanden, wenn ich jetzt erkläre, daß die Sitzung nicht weitergeführt wird.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. März, 14 Uhr ein, und zwar zur Fragestunde.Die Sitzung ist geschlossen.