Protokoll:
4119

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 4

  • date_rangeSitzungsnummer: 119

  • date_rangeDatum: 5. März 1964

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:31 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 119. Sitzung Bonn, den 5. März 1964 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 5509 A Fragestunde (Drucksache IV/1993) Frage des Abg. Kahn-Ackermann: Gutachten betr. Geschäftsverteilung auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 5509 B, C Kahn-Ackermann (SPD) . . . . . 5509 C Fragen des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Anpassung der Beamtenbesoldung Höcherl, Bundesminister 5509 D, 5510 A, B, C, D, 5511 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . 5510 A, B, 5511 A Wilhelm (SPD) . . . . . . . 5510 C Brück (CDU/CSU) 5510 D Gscheidle (SPD) . . . . 5510D, 5511 A Frage des Abg. Freiherr von Mühlen: Ehrensold für Träger höchster Kriegsauszeichnungen des ersten Weltkrieges Höcherl, Bundesminister 5511 B Frage des Abg. Rademacher: Erfolgsprämien für Besteigung der Eiger-Nordwand Höcherl, Bundesminister 5511 C Dürr (FDP) 5511 C Fragen des Abg. Flämig: Verbot des Mitführens von Stichwaffen Höcherl, Bundesminister 5511 D Frage des Abg. Weigl: Grenzübergang Waldhaus Höcherl, Bundesminister . . . . 5512 A, B Weigl (CDU/CSU) 5512 B Frage des Abg. Fritsch: Öffnung der Grenze bei Furth im Wald Höcherl, Bundesminister . . . . 5512 B, C Fritsch (SPD) 5512 C Fragen des Abg. Dr. Dr. h. c. Friedensburg und des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Stiftungsrat der Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" — Prof. Dr. Reidemeister Höcherl, Bundesminister 5512 D, 5513 B, C, D Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) 5513 A, B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 5513 C Brand (CDU/CSU) 5513 D Frage des Abg. Peiter: Ergänzung des Verzeichnisses für Heilbäder Höcherl, Bundesminister . . . . 5514 A, B Peiter (SPD) 5514 A Schwabe (SPD) . . . . . . . 5514 B II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 119. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. März 1964 Frage des Abg. Jahn: Zweites Ausführungsgesetz zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes Höcherl, Bundesminister . . 5514 B, C, D Jahn (SPD) . . . . . . . . 5514 C, D Frage des Abg. Seibert: Beteiligung der einzelnen Fahrzeugarten an Unfällen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 5515 A, B Haage (München) (SPD) 5515 B Frage des Abg. Seibert: Abmessungen und Gewichte für Nutzkraftfahrzeuge Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5515 B Frage des Abg. Dr. Bechert: Schmutzfänger an den Rädern von Fahrzeugen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5515 D, 5516 A, B, C Dr. Bechert (SPD) . . . 5515 D, 5516 A Haage (München) (SPD) . . . . 5516 A Börner (SPD) 5516 B Fragen des Abg. Biegler: Schienengleicher Bahnübergang in Oppenheim Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5516 D Frage der Abg. Frau Schanzenbach: Murgtalstraße Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . . . 5517 A, C, D Dr. Rinderspacher (SPD) 5517 C Dr. Hauser (CDU/CSU) . . . . 5517 D Fragen des Abg. Dr. Kübler: Schnellförderungsanlage auf der Strecke Stuttgart—Frankfurt—Ruhrgebiet Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 5518 A, B Fragen der Abg. Frau Schanzenbach: Elektrifizierung der Schwarzwaldbahn Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5518 C, 5519 A, B, C Faller (SPD) . . . . . . . . 5519 A, B Haage (München) (SPD) 5519 B Biechele (CDU/CSU) 5519 C Fragen des Abg. Schwabe: Fernreklame entlang der Autobahn Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 5519 C, D, 5520 B, C Schwabe (SPD) 5520 B Margulies (FDP) 5520 C Fragen des Abg. Bühler: Zollfreie Straße zwischen Lörrach und Weil — Tunnel durch den Tüllinger Berg Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 5520 D, 5521 A, B Bühler (CDU/CSU) . . . 5520 D, 5521 A Faller (SPD) 5521 B Fragen des Abg. Härzschel: Straßenausbau bei Lörrach Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 5521 C, 5522 A, B, C Faller (SPD) 5522 A Härzschel (CDU/CSU) 5522 B, C Entwurf eines Dritten Wohnungsbaugesetzes (Bundeswohnungsbaugesetz) (SPD) (Drucksache IV/1850) — Erste Beratung — Jacobi (Köln) (SPD) . . 5522 D, 5545 A Lücke, Bundesminister . . . . . 5528 B Dr. Hesberg (CDU/CSU) . 5531 D, 5548 B Frau Berger-Heise (SPD) . . . . 5537 B Hammersen (FDP) 5539 D Dr. Czaja (CDU/CSU) 5540 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Wertgrenzen in der Zivilgerichtsbarkeit (Drucksache IV/1924) — Erste Beratung Dr. Bucher, Bundesminister . . . 5548 D Jahn (SPD) 5549 C Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . 5552 B Benda (CDU/CSU) 5554 D Mündlicher Bericht des Immunitätsausschusses betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Heiland Mischnick (FDP) 5557 C Antrag betr. Anrufung des Vermittlungsausschusses (Abg. Dr. Hamm [Kaiserslautern], Dr. Jungmann, Frau Dr. Hubert, Dr. Dittrich, Dr. Tamblé u. Gen. und Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP) (Drucksache IV/1958) Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 5558 A Dr. Tamblé (SPD) 5559 B Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 119. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. März 1964 III Antrag betr. Einsetzung eines Sonderausschusses „Reparationsschäden" (Abg. Dr. Weber [Koblenz], Dr. Wahl, Dr. Dehler u. Gen.) (Drucksache IV/1954) Dr. Elbrächter (CDU/CSU) . . . 5560 C Hirsch (SPD) 5561 A Windelen (CDU/CSU) 5561 B Antrag betr. Gesundheitsgefährdung durch Schädlingsbekämpfungsmittel (SPD) (Drucksache IV/1952) Dr. Bechert (SPD) 5561 D Schwarz, Bundesminister . . . 5564 A Frau Geisendörfer (CDU/CSU) . 5564 D Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inneres über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Studienkommission zur Ausarbeitung von Vorschlägen für das Beamtenrecht (Drucksachen IV/1351, IV/1966) Gscheidle (SPD) . . . . . . . . 5565 D Hammersen (FDP) . . . . . . . 5566 D Wagner (CDU/CSU) . . 5567 A, 5568 B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 5568 A Brück (CDU/CSU) . . . . . . 5568 C Nächste Sitzung 5569 Anlage 5571 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 119. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. März 1964 5509 119. Sitzung Bonn, den 5. März 1964 Stenographischer Bericht Beginn: 14.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 119. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. März 1964 5571 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach 6.3. Dr. Arnold 6.3. Bading 6.3. Dr.-Ing. Balke 6.3. Bergmann 6.3. Dr. Bieringer 6.3. Birkelbach 6.3. Fürst von Bismarck 15.3. Blachstein 6.3. Dr. Bleiß 21.3. Dr. h. c. Brauer 6.3. Dr. von Brentano 21.3. Corterier 6.3. Dr. Deist 31.3. Deringer * 6.3. Dr. Dichgans* 5. 3. Frau Döhring 6. 3. Dopatka 15.3. Drachsler 6.3. Dr. Dr. h. c. Dresbach 21.3. Frau Dr. Elsner 6.3. Erler 6.3. Gehring 6.3. Glüsing (Dithmarschen) 17.3. Freiherr zu Guttenberg 6.3. Hahn (Bielefeld) 6.3. Hansing 17.4. Dr. Harm (Hamburg) 26. 3. Hauffe 15.3. Hesemann 6.3. Höhne 21.3. Hoogen 6.3. Kemmer 6.3. Frau Dr. Kiep-Altenloh 6.3. Klinker 6.3. Koenen (Lippstadt) 5. 3. Dr. Kopf 6. 3. Dr. Kreyssig 6.3. Kriedemann 17.3. Frau Dr. Kuchtner 4.7. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lenz (Bremerhaven) 15.3. Lenz (Brühl) 6. 3. Liehr 6.3. Dr. Löhr 20. 3. Lücker (München) * 6.3. Dr. Mälzig 6.3. Mattick 6.3. Frau Dr. Maxsein 6.3. Memmel 6.3. Dr. Meyer (Frankfurt) 20. 3. Michels 6.3. Dr. Miessner 21. 3. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 15.3. Murr 22. 3. Nellen 6.3. Neumann (Allensbach) 5. 3. Paul 6. 3. Dr. Pflaumbaum 22. 3. Dr.-Ing. Philipp 6. 3. Frau Dr. Probst 17.3. Rademacher 6.3. Frau Dr. Rehling 6.3. Richarts 6. 3. Ruland 21.3. Saxowski 22. 3. Frau Schanzenbach 6. 3. Schlick 6.3. Dr. Schmid (Frankfurt) 6.3. Schneider (Hamburg) 6.3. Dr. Seffrin 6.3. Dr. Serres 6. 3. Storch 6. 3. Dr. Süsterhenn 14. 3. Weinkamm* 6.3. Frau Welter (Aachen) 21.3. Dr. Winter 6.3. Dr. Zimmer 6.3. Zoglmann 6. 3. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
Gesamtes Protokol
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411900000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung erweitert um 'die
Beratung des Antrages der Abgeordneten Müller (Nordenham), Könen (Düsseldorf), Figgen, Beuster und Genossen und Fraktion der SPD betr. Änderung der Vorläufigen Richtlinien für die Gewährung von Bundeszuwendungen zu Straßenbaumaßnahmen von Gemeinden und Gemeindeverbänden (Drucksache IV/2005).
Der Antrag soll in Verbindung mit der Vorlage Drucksache IV/1978 unter Punkt 24 der Tagesordnung behandelt werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen zum ersten Punkt der heutigen Tagesordnung:
Fragestunde (Drucksache IV/1993).
Wir kommen zuerst zu der Frage I aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — es ist die Frage des Abgeordneten Kahn-Ackermann —:
Beabsichtigt die Bundesregierung, in absehbarer Zeit Konsequenzen aus dem Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes über das Funktionieren der Geschäftsverteilung auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe zu ziehen?
Bitte sehr, Herr Bundesminister.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411900100
Herr Präsident, ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann im Auftrage des Herrn Bundeskanzlers wie folgt.
Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung einer Straffung der Zuständigkeiten auf dem Gebiete der Entwicklungshilfe im Interesse einer Beschleunigung und besseren Wirksamkeit der Hilfsmaßnahmen bewußt. Auch hat sie die diesbezüglichen Erklärungen der Sprecher aller Fraktionen im Bundestag keinesfalls überhört. Auf Weisung des Herrn Bundeskanzlers stehen die sachlich hauptbeteiligten Ressorts seit geraumer Zeit in Verhandlungen über die bestgeeignete Form einer solchen Kompetenzregelung. Ich darf dazu mitteilen, daß diese Verhandlungen binnen kurzem abgeschlossen sein werden und daß das Ergebnis dem Herrn Bundeskanzler zur Entscheidung vorgetragen wird. Die Feststellungen, die der Präsident des Bundesrechnungshofes über die derzeitige Kompetenzlage getroffen hat, werden bei der dann zu treffenden Entscheidung berücksichtigt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411900200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0411900300
Herr Minister, darf ich in Anbetracht der Tatsache, daß die Frage der Zuständigkeit ja auch für die Regelung des Haushalts auf diesem Gebiet eine gewisse Rolle spielt, hören, was Sie unter dem Begriff „binnen kurzem" verstehen?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411900400
Ich kann Ihnen nicht sagen, welcher Zeitabschnitt hier noch notwendig sein wird; aber die Formulierung „binnen kurzem" kann ich auch nur so auffassen, daß die Verhandlungen noch vor der Behandlung des Haushalts im Plenum dieses Hohen Hauses durchgeführt sein werden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411900500
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, zuerst zu der Frage VI/1 — des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:
Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung über die notwendige Anpassung der Beamtenbesoldung in diesem Jahr, nachdem der Bundesinnenminister in der Öffentlichkeit mehrmals eine schnelle Überprüfung zugesagt hat?
Herr Bundesminister, darf ich bitten.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411900600
Herr Präsident, Herr Kollege Schmitt, ich bitte mir zu gestatten, daß ich die Fragen VI/1 und VI/2 zusammenfassend beantworte.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411900700
Bitte sehr. Ich rufe dann auch die Frage VI/2 — des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen — auf:



Vizepräsident Dr. Jaeger
Kann davon ausgegangen werden, daß sich die Bundesregierung der Auffassung der SPD angeschlossen hat, die Ortsklasse B und die Tarifklasse IV beim Ortszuschlag sei nicht mehr zeitgemäß, so daß damit gerechnet werden kann, daß beides in diesem Jahr noch beseitigt wird?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411900800
Auf die beiden Fragen erkläre ich folgendes. Die zugesagte Überprüfung ist in vollem Gange. Über die Einzelheiten kann erst nach dem Abschluß der Überprüfung etwas gesagt werden.
Was die Frage 2 betrifft, so sind auch diese beiden Gesichtspunkte in die Prüfung mit einbezogen. Es handelt sich aber keineswegs darum, daß sich die Bundesregierung der Ansicht der SPD anschließen müßte. Aus den Protokollen zur Harmonisierungsnovelle geht vielmehr hervor, daß alle Kräfte dieses Hohen Hauses sich für diese beiden Fragen interessieren. Auch die Bundesregierung hat eine sehr eigene und sehr positive Meinung dazu.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411900900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411901000
Herr Minister, ich frage Sie, mit welchem Zeitpunkt Sie für die Vorlage in diesem Hohen Hause rechnen, nachdem Sie gesagt haben, daß die Prüfung in vollem Gange sei, und Sie auch von positiven Aspekten der Prüfung gesprochen haben.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411901100
Sie wissen, daß eine solche Vorlage von Verhandlungen mit den Ländern abhängig ist. Ich kann über den Zeitpunkt im Augenblick noch nichts sagen. Auf jeden Fall wird die Vorlage so rechtzeitig erfolgen, wie das die Sache erfordert.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411901200
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411901300
Herr Minister, würden Sie, wenn die Vorlage so rechtzeitig vorgelegt wird, wie es die Sache erfordert, nicht glauben, daß die Vorlage eigentlich schon hier sein müßte?

(Heiterkeit bei der SPD.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411901400
Herr Kollege Schmitt, wir haben eine gemeinsame Verpflichtung, nämlich den 60,3-Milliarden-Haushalt einzuhalten und zu beobachten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411901500
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen, Sie haben natürlich vier Zusatzfragen, weil Sie zwei Fragen gestellt haben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411901600
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, nach § 94 des Bundesbeamtengesetzes die Spitzenorganisationen in die Vorberatungen für die Vorbereitung der Besoldungsnovelle einzuschalten?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411901700
Das ist nicht nur eine Bereitschaft, sondern ich bin dazu verpflichtet, und ich bin gewöhnt, meine Verpflichtungen einzuhalten.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411901800
Herr Abgeordneter Wilhelm zu einer Zusatzfrage.

Werner Wilhelm (SPD):
Rede ID: ID0411901900
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß für Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes in diesem Jahr eine tarifliche Lohn- und Gehaltserhöhung eintreten wird, und sind Sie nicht der Meinung, daß die Beamtenbesoldung in diesem Jahre mindestens entsprechend angepaßt werden muß?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411902000
Das erste ist mir deswegen sehr genau bekannt, weil ich diesen Tarifvertrag in dreißigstündigen Verhandlungen selber abgeschlossen habe. Zweitens höre ich immer wieder — mit recht guten Argumenten —, daß sich die Beamten dagegen verwahren, daß ihre Besoldung zu der Einkommensentwicklung der Angestellten und Arbeiter in Beziehung gebracht wird. Sie wollen diese Abhängigkeit ausdrücklich vermieden haben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411902100
Herr Abgeordneter Brück zu einer Zusatzfrage.

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0411902200
Herr Bundesinnenminister, darf ich Sie fragen, ob Sie im Zusammenhang mit dem von dem Kollegen Schmitt-Vockenhausen in seiner zweiten Frage angeschnittenen Problem auch eine Prüfung hinsichtlich des Kindergeldzuschlages, der in einem Land schon wieder abweichend vom Bund festgelegt worden ist, anstellen werden?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411902300
Eine sehr berechtigte Anregung, der entsprochen wird.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411902400
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gscheidle.

Kurt Gscheidle (SPD):
Rede ID: ID0411902500
Herr Minister, darf ich Sie konkret fragen, ob Sie als zuständiger Minister der Meinung sind, daß auf Grund der von Ihnen abgeschlossenen Tarifverträge für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes — Angestellte und Arbeiter —1964 auch für die Beamten noch im Jahre 1964 eine Besoldungsanpassung notwendig ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411902600
Ich nehme an, Herr Kollege Gscheidle, Sie sind darüber informiert, daß ich in der gestrigen Kabinettssitzung einen umfassenden Bericht zur besoldungspolitischen Lage erstattet habe und beauftragt worden bin, die notwendigen Maßnahmen vorzubereiten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411902700
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gscheidle.




Kurt Gscheidle (SPD):
Rede ID: ID0411902800
Darf ich noch einmal fragen: Herr Minister, sind Sie der Meinung, daß sich diese Überprüfung auf das Jahr 1964 beziehen muß, oder gehen Sie davon aus, daß Ihre Überprüfung die Grundlage für das Jahr 1965 sein soll?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411902900
Ich gehe von der derzeitigen Situation aus.

(Heiterkeit in der Mitte.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411903000
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer weiteren Zusatzfrage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411903100
Herr Minister, nachdem Sie jetzt wieder ausgewichen sind, möchte ich Sie noch einmal fragen: Was ist die derzeitige Situation, ist es das Jahr 1964 oder 1965?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411903200
Ich möchte sagen: die derzeitige Situation ist entwicklungsfähig.

(Heiterkeit in ,der Mitte. — Zurufe von der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411903300
Wir kommen zur Frage VI/3 — des Abgeordneten Freiherr von
Mühlen —:
Hält die Bundesregierung es nicht für angebracht, den Ehrensold zu erhöhen, der für Träger höchster deutscher Kriegsauszeichnungen des ersten Weltkrieges seit dem 1. Oktober 1956 unverändert in Höhe von 25 DM gezahlt wird?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411903400
Der Ehrensold für Träger höchster Kriegsauszeichnungen des ersten Weltkrieges ist durch § 11 des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen vom 26. Juli 1957 auf monatlich 25 DM festgesetzt worden. Eine Änderung dieses Betrages setzt daher eine Änderung des Ordensgesetzes voraus. Die Bundesregierung hat bisher davon abgesehen, dem Bundestag eine derartige Änderung vorzuschlagen. Sie ist der Auffassung, daß der Ehrensold, wie schon der Name sagt, seinem Wesen nach vornehmlich ein stets wiederkehrender staatlicher Ehrenerweis ist. Seine wirtschaftliche Funktion tritt demgegenüber in den Hintergrund. Man kann daher den Ehrensold nicht in gleicher Weise wie die Versorgungs- und Fürsorgeleistungen in Beziehung zur allgemeinen Wirtschafts- und Preisentwicklung setzen. Dem Charakter des Ehrensoldes entsprechend hält die Bundesregierung den Betrag von monatlich 25 DM für angemessen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411903500
Wir kommen dann zu der Frage VI/4 — des Abgeordneten Rademacher —:
Unter Hinweis auf die lebensgefährliche Besteigung der Eiger-Nordwand frage ich die Bundesregierung, ob es gesetzliche Möglichkeiten gibt, in Zukunft Tageszeitungen, illustrierten Zeitschriften und sonstigen Nachrichtenmitteln den Abschluß von sogenannten Verträgen — ausgestattet mit hohen Erfolgsprämien — zu verbieten.
Der Fragesteller wird vertreten durch Herrn Abgeordneten Dürr.
Herr Bundesminister, bitte!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411903600
Nach dem geltenden Recht kann weder der Presse noch einem sonstigen Nachrichtenmittel der Abschluß von Verträgen verboten werden, die etwa durch Erfolgsprämien einen Anreiz zu lebensgefährlichen Unternehmungen bieten. Ein solcher Vertrag kann nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten nichtig sein. Die Feststellung der Nichtigkeit trifft das Gericht. Inwieweit durch Abschluß derartiger Verträge ein Straftatbestand erfüllt wird, hängt vom Einzelfall ab. Darüber haben ebenfalls die Gerichte zu entscheiden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411903700
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dürr!

Hermann Dürr (SPD):
Rede ID: ID0411903800
Herr Minister, würde es die Bundesregierung für begrüßenswert halten, daß sich, weil von amtlicher Seite keine Eingriffsmöglichkeit besteht, der Presserat dieses Problems annähme?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411903900
Jawohl!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411904000
Ich rufe auf die Frage VI/5 — des Abgeordneten Flämig —
Hält die Bundesregierung ein gesetzliches Verbot des Mitführens von Stichwaffen — gegebenenfalls einer bestimmten Größe — angesichts der großen Zahl von Delikten, die in den letzten Jahren unter Verwendung solcher Waffen begangen worden sind, für erforderlich?
und die Frage VI/6 — ebenfalls des Abgeordneten Flämig —:
Trifft es zu, daß in Italien der Erwerb feststehender Messer von den Behörden erschwert wird, indem man für ihren Kauf eine Genehmigung der zuständigen Polizeipräfektur haben muß, die in bestimmten Abständen zu erneuern ist?
Herr Bundesminister, bitte!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411904100
Die erste Frage darf ich wie folgt beantworten: Die meisten Bundesländer, bei denen nach Art. 70 des Grundgesetzes die Gesetzgebungszuständigkeit für ein Verbot des Mitführens von Stichwaffen liegt, lehnen bisher ein solches Verbot ab. Sie sind der Auffassung, daß die Abgrenzung, welche Arten von Messern einem Verbot unterworfen sein sollen, praktisch kaum durchführbar ist. Fahrten-, Küchenoder Schlachtermesser sind ebenso gefährlich wie Dolche; gerade solche Messer oder sonstige gefährliche Werkzeuge werden bei Körperverletzungsoder Tötungsdelikten benutzt. Angesichts der fehlenden Zuständigkeit des Bundes muß es den Gesetzgebungsorganen der Länder überlassen bleiben, sich zu entscheiden, ob sie das Mitführen von Stichwaffen gesetzlich verbieten wollen.
Die zweite Frage beantworte ich wie folgt: Nach italienischem Strafrecht ist das Mitführen von Waffen ohne polizeiliche Erlaubnis strafbar. Nach dem italienischen Polizeiverwaltungsgesetz sind Stich-und Schneideinstrumente, deren Zweckbestimmung in der Verletzung einer Person besteht, Waffen im Sinne des italienischen Strafrechts, z. B. Dolche und Stilette. Sogenannte Fahrtenmesser, die in der Bundesrepublik als unbedenklich angesehen werden, sind in Italien verboten. Stich- und Schneideinstru-



Bundesminister Höcherl
mente, die nach ihrer Zweckbestimmung dem Hausgebrauch, der Landwirtschaft, der Industrie, dem Sport usw. dienen, werden jedoch auch in Italien nicht als Waffen angesehen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411904200
Dann kommen wir zu der Frage VI/7 — des Abgeordneten Weigl —:
Trifft die Aussage eines Gewährsmannes des Oberbürgermeisters der Stadt Weiden zu, wonach der Grenzübergang Waidhaus (Oberpfalz) ab 1964 teilweise, ab 1965 völlig gesperrt werden soll?
Herr Bundesminister, bitte!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411904300
Wie mir das Bayrische Staatsministerium des Innern mitteilte, hat ein tschechoslowakischer Zollbeamter gegenüber einem deutschen Speditionsangestellten geäußert, die tschechoslowakischen Behörden wollten den bisher über den Straßenübergang Waidhaus laufenden Güterverkehr in den Jahren 1964/1965 über Furth i. W. — die Wiedereröffnung dieses Übergangs ist zu erwarten — umleiten. Weiter ist bisher nur bekannt, daß bei Besprechungen zwischen Vertretern der deutschen und der tschechoslowakischen Grenzbehörden bei Furth i. W. der tschechoslowakische Grenzbevollmächtigte erklärt hat, der Übergang Waidhaus solle geöffnet bleiben.
Bei der nächsten Besprechung, die voraussichtlich am 17. März stattfinden wird, wird dem tschechoslowakischen Grenzbevollmächtigten ausdrücklich mitgeteilt werden, daß deutscherseits eine Schließung des Übergangs Waidhaus für den Güterverkehr nicht gewünscht wird. Ich hoffe, nach dieser Besprechung Klarheit über die tatsächlichen Absichten der tschechoslowakischen Behörden zu erhalten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411904400
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Weigl!

Franz Weigl (CSU):
Rede ID: ID0411904500
Herr Minister, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß die beabsichtigte Öffnung des Grenzübergangs Furth i. W. deutscherseits zu keiner Einschränkung des Warenverkehrs über den Grenzübergang Waidhaus führen würde?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411904600
Ja!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411904700
Wir kommen zur Frage VI/8 — des Abgeordneten Fritsch —:
Hat die CSSR bereits Verhandlungen über die Öffnung der Grenze bei Furth im Wald, Eisenstein und Haidmühle angeboten?
Herr Bundesminister, bitte!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411904800
Die tschechoslowakische Regierung hat der Bundesregierung solche Verhandlungen bisher nicht angeboten. Es haben jedoch am 10., 17. und 25. Februar dieses Jahres Besprechungen zwischen Beauftragten der deutschen und der tschechoslowakischen Grenzbehörden über die Wiedereröffnung des Straßenübergangs Furth i. W. stattgefunden. Tschechoslowakische Beamte haben dabei erklärt, daß der Übergang zwischen dem 15. Mai und dem 15. Juni dieses Jahres wieder in Betrieb genommen werden solle.
Bis dahin könnten die baulichen Voraussetzungen für die reibungslose Abwicklung des Verkehrs geschaffen werden.
Der tschechoslowakische Grenzbevollmächtigte hat erwähnt, es sei beabsichtigt, weitere Übergangsstellen, insbesondere den Eisenbahnübergang Eisenstein, wieder zu öffnen, wenn sich der Verkehr über Furth i. W. günstig entwickle. Der Übergang Haidmühle wurde bisher nicht genannt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411904900
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fritsch.

Walter Fritsch (SPD):
Rede ID: ID0411905000
Herr Minister, ist bei dieser Besprechung auch der öffentliche Grenzübergang bei Haidmühle in Betracht gezogen worden?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411905100
Nein. Er wurde bisher auch nicht genannt. Wir überlassen die Initiative zunächst einmal der anderen Seite, die den Verkehr ja einseitig abgebrochen hat.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411905200
Wir kommen zur Frage VI/9 — des Abgeordneten Dr. Friedensburg —:
Haben die Vertreter der Bundesregierung im Stiftungsrat der Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" alles getan, um die verdienstvolle und für Berlin ganz unersetzliche Tätigkeit des Generaldirektors der staatlichen Museen, Professor Dr. Reidemeister, bis zum 68. Lebensjahr dem Berliner Kulturleben zu erhalten?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411905300
Wenn ich die Frage des Herrn Abgeordneten Friedensburg und die im selben Komplex liegende Frage des Kollegen Schmitt zusammen beantworten dürfte, würde ich das gern tun.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411905400
Ich rufe auch die Frage VI/13 — des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen — auf:
Ist die Bundesregierung bereit, durch die von ihr in den Stiftungsrat der Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" entsandten Mitglieder sicherzustellen, daß Professor Dr. Reidemeister so lange wie möglich für den weiteren Wiederaufbau der Berliner staatlichen Museen als Generaldirektor zur Verfügung steht?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411905500
Ich möchte den beiden Herren Fragestellern zunächst ganz allgemein sagen, daß ich gewisse Bedenken habe, solche internen Vorgänge 'im Personalbereich hier in der Öffentlichkeit auszubreiten.
Sie wissen ganz bestimmt, daß die Länder mit 10 und der Bund mit 9 Stimmen in diesem Stiftungsrat, der für eine solche Entscheidung zuständig ist, vertreten sind und daß eine weitgehend einmütige Entscheidung gefallen ist, ohne daß nach meinem Wissen eine förmliche Abstimmung stattgefunden hätte, und daß vor allem sachliche Gründe wegen einer großen baulichen Planung, die zur Zeit im Anlaufen ist und die auf zehn bis zwölf Jahre hinaus große Neuerungen bringt, im wesentlichen Anlaß gewesen sind, und wenn ich richtig im Bilde bin, ist es auch so, daß organisatorische Veränderungen vorgesehen sind, die offenbar diesen Beschluß herbeigeführt haben.



Bundesminister Höcherl
Selbstverständlich wird bei den hohen Qualitäten der in Frage stehenden Persönlichkeit von allen Beteiligten alles unternommen, um ein geeignetes Arbeitsfeld, soweit es gewünscht wird, offen zu halten.
Was eine Verlängerung der Amtszeit betrifft, so ist nach dem Dienstrecht des Bundes eine Verlängerung nur auf ein einziges Jahr möglich. Sie müßte jährlich erneuert werden. Vereinbarungen, die sich über drei Jahre erstrecken, wären rechtlich unverbindlich.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411905600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedensburg.

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0411905700
Herr Bundesminister, bei voller Würdigung der beamtenrechtlichen Seite der Frage — daß nämlich ein rechtliche Bindung nicht erfolgen kann —: hat die Bundesregierung berücksichtigt, daß bei der Berufung des Generaldirektors von einem sehr angesehenen leitenden Posten in Köln nach Berlin eine Zusicherung von dem zuständigen Senatsdirektor der Berliner Verwaltung gegeben worden ist, daß alles getan würde, um ihn bis zum 68. Lebensjahr in Berlin zu halten, und daß er sich überhaupt nur im Vertrauen auf diese gewiß nicht juristische, aber moralische Bindung hat entschließen können, seinen Posten in Köln aufzugeben?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411905800
Herr Kollege Friedensburg, ich habe schon eingangs gesagt, welchen Bedenken eine solche Erörterung in der Öffentlichkeit auch im Interesse des Beteiligten unterliegt. Sie werden es nicht als Unhöflichkeit betrachten, wenn ich Sie bitte, die weitere Unterhaltung über dieses Thema in einen vertraulichen Kreis zu legen, in dem ich Auskunft zu geben gern bereit bin, soweit mir das möglich ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411905900
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedensburg.

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0411906000
Herr Bundesminister, bei aller Würdigung Ihrer Gesichtspunkte — angesichts der Tatsache, daß ja doch ein großer Teil dieser Vorgänge durch die Veröffentlichung der betreffenden Aktenvorgänge in den Zeitungen gestanden hat, dürfen Sie es uns nicht verargen, wenn wir weiter fragen, und ich frage deshalb weiter: Hat die Bundesregierung, die ja doch bei dieser Abstimmung oder Halbabstimmung mitgewirkt hat, berücksichtigt, welche Bedeutung die kulturelle Leistung für die Widerstandskraft und die Ausstrahlungskraft Berlins besitzt und daß für die Aufrechterhaltung dieser kulturellen Leistung das Verbleiben hervorragender Persönlichkeiten wie 'des betreffenden Generaldirektors von entscheidender Bedeutung ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411906100
Nach meinen Informationen sind ausschließlich sachliche Gesichtspunkte bei der Entscheidung maßgebend gewesen. Ich darf noch einmal erwähnen, daß unsere
Nachforschungen über die angebliche Verlängerungszusage von seiten des Senats nicht das Ergebnis
gebracht haben, wie Sie es vorhin vorgetragen haben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411906200
Sie haben zwei Zusatzfragen gehabt, Herr Kollege Friedensburg; damit ist Ihr Kontingent zu dieser Frage erschöpft. — Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411906300
Herr Minister, ist Ihnen aus Ihrem eigenen Hause in Erinnerung, daß man in solchen Fällen auch langfristig disponieren kann, ohne daß man sofort eine konkrete Zusage über drei Jahre geben kann?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411906400
Aus meinen eigenen unmittelbaren Erfahrungen nicht; aber ich könnte mir solche Konstruktionen zwar nicht rechtsverbindlicher, aber menschlich verbindlicher Art vorstellen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411906500
Ich danke Ihnen. — Ich dachte an Herrn Staatssekretär Anders.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411906600
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411906700
Herr Minister, wären Sie bereit — weil Sie eben gesagt haben: soweit Sie richtig im Bilde seien —, noch einmal einen eindeutigen Bericht der Regierungsvertreter anzufordern, um dann das von Ihnen angeregte Gespräch gegebenenfalls noch einmal hier zu führen? Ich glaube, daß ein berechtigtes Interesse besteht, menschlich und sachlich vertretbare Lösungen zu finden.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411906800
Herr Kollege Schmitt, ich habe einen solchen Bericht, er liegt mir vor, und ich darf Sie zu einem persönlichen und vertraulichen Gespräch einladen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411906900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brand.

Peter Wilhelm Brand (CDU):
Rede ID: ID0411907000
Herr Minister, gestatten Sie die Frage: Ist der Vertreter der Bundesregierung bei der Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" darüber unterrichtet, daß es für eine solche Aufgabe nur vielleicht zwei oder drei Leute der wissenschaftlichen und organisatorischen Qualifikation von Herrn Reidemeister in Deutschland gibt, die sich aber in festen Positionen befinden? Hat man sich überhaupt schon irgendwelche Gedanken darüber gemacht, wen man denn an Stelle von Herrn Reidemeister für diese schwierige Aufgabe einsetzen will?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411907100
Ja, man macht sich solche Gedanken, man ist sich über die Qualitäten des Herrn Reidemeister vollkommen im klaren, und vor allem sind auch die Vertreter des Bundes wie auch der Länder durchaus Persönlichkeiten, die in der Lage sind, einen so schwierigen Fall in seiner vollen Bedeutung erschöpfend zu beurteilen.




Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411907200
Damit komme ich zur Frage VI/12 — des Abgeordneten Peiter —:
Für welchen Zeitpunkt ist eine Ergänzung des Heilbäderverzeichnisses des Bundes gemäß Nr. 6 der Beihilfevorschriften vom 17. März 1959 beabsichtigt?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411907300
Nr. 6 der Beihilfevorschriften ist mit Wirkung vom 1. Januar 1964 geändert worden. Seitdem ist die Beihilfefähigkeit einer Heilkur von der Eintragung des Kurortes in das von meinem Hause herausgegebene Verzeichnis nur noch dann abhängig, wenn es sich um einen Kneipp- oder Luftkurort handelt. Das Verzeichnis dieser Orte wird ergänzt werden, sobald die Vorschläge aller Länder vorliegen. Ich hoffe, daß es im April so weit sein wird.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411907400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peiter.

Willi Peiter (SPD):
Rede ID: ID0411907500
Herr Minister, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß dann auch das Kneippbad Marienberg im Westerwald in das Verzeichnis aufgenommen wird?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411907600
Ein Antrag des zuständigen Landes liegt vor. Ich glaube, daß ihm entsprochen werden kann.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411907700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schwabe.

Wolfgang Schwabe (SPD):
Rede ID: ID0411907800
Herr Minister, würden Sie bereit sein, in Ihrem Hause Überlegungen anstellen zu lassen, ob die seitherigen, in den Ländern verschieden gehandhabten Begriffsbestimmungen über die Zulassung von Kurorten einheitlich geregelt werden sollen, weil sonst die Gefahr besteht, daß die Zulassung zu diesem Verzeichnis sehr individuell je nach Lage der Heilbäder und Kurorte in den Ländern erfolgt?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411907900
Ja.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411908000
Wir kommen zur Frage VI/14 — des Abgeordneten Jahn —:
Wann wird die Bundesregierung in Ausführung des einstimmigen Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 28. Juni 1963 den Entwurf eines Zweiten Ausführungsgesetzes zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes vorlegen?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411908100
Herr Kollege Jahn, Sie waren ja an der Unterhaltung mit den drei Fraktionsvertretern beteiligt, bei der im Innenministerium sehr, sehr eingehend das ganze Thema besprochen worden ist. Was den Art. 26 und ein Ausführungsgesetz dazu betrifft, mußten leider, auch mit Ihrer Zustimmung, eine ganze Reihe von rechtlichen Bedenken geäußert werden, die wegen der Formulierung des Art. 26 sehr, sehr schwer zu überwinden sind. In ,der Absicht und Tendenz gibt es gar keinen Streit und gar keinen Zweifel.
Ich habe einen Ausweg angeboten, der vom Innenministerium fertigformuliert ist und mit dem größten Nachdruck zwei mitbeteiligten Häusern zur Äußerung bereits zugeleitet ist. Ich rechne damit, daß schon in allernächster Zeit die Vorlage im Kabinett verabschiedet werden kann, über die bereits eine Grundsatzentscheidung vorliegt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411908200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0411908300
Herr Minister, die interfraktionelle Besprechung, die Sie eben erwähnt haben, fand am 16. Januar statt. Was ist der Grund ,dafür, daß bis zum heutigen Tage, nachdem wir damals eine Äußerungsfrist von acht Tagen vereinbart hatten, eine Vorlage immer noch nicht da ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411908400
Herr Kollege Jahn, Sie wissen ja, wie der Weg war: zunächst ein Auftrag des Hohen Hauses, der sich rechtlich nicht ganz verwirklichen ließ

(Abg. Jahn: Nur in den letzten acht Wochen, Herr Minister!)

— ja, ich komme sofort darauf, aber ich darf es doch etwas ,einkleiden, Herr Kollege Jahn —, dann war die Besprechung, und ich sage sehr ungern, daß die schriftlichen Äußerungen von alien Seiten nicht mit derselben Pünktlichkeit eingetroffen sind. Erst nachdem sie vorlagen, war es möglich, dem Vorschlag des Innenministeriums die letzte Fassung zu geben. Dann kommt die Geschäftsordnung mit ihrer verbindlich vorgesehenen Stellungnahme der Beteiligten, die, wie gesagt, sehr beschleunigt betrieben wird. Ich glaube nicht, daß auf diesem ganzen Wege ein vierzögerliches Moment schuldhafter Art festzustellen wäre.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411908500
Eine zweite Zusatzfrage!

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0411908600
Können Sie einen annähernd bestimmten Zeitpunkt angeben, zu dem Sie mit der Vorlage rechnen?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0411908700
Ich möchte sagen, in den nächsten 14 Tagen dürfte sie vom Kabinett ;verabschiedet sein.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411908800
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, und zwar zunächst zur Frage IX/1 — des Abgeordneten Seibert —:
Ist die Bundesregierung in der Lage, in Ergänzung zu den in der 95. Sitzung des Deutschen Bundestages am 20. Januar 1960 gemachten Angaben über die Unfallbeteiligung von Lastkraft-wagen Auskunft darüber zu erteilen, wie sich in der Zwischenzeit die Schadenshäufigkeit der einzelnen Fahrzeuggruppen — insbesondere der schweren Lastkraftwagen — entwickelt hat?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.




Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411908900
Herr Kollege Seibert, Angaben des Statistischen Bundesamtes über die Unfallbeteiligung der einzelnen Fahrzeugarten, insbesondere der schweren Lastkraftwagen über 9 t Gesamtgewicht, liegen bisher nur für die Jahre 1960 und 1961 vollständig vor; für das Jahr 1962 stehen vorerst nur vorläufige Angaben zur Verfügung.
Die Liefer- und Lastkraftwagen mit und ohne Anhänger mit einem Gesamtgewicht von 9 t und mehr sind im Jahre 1960 und 1961 zweieinhalb- bis dreimal so oft an Unfällen mit Getöteten beteiligt gewesen wie die Liefer- und Lastkraftwagen mit und ohne Anhänger unter 9. t Gesamtgewicht und wie die Personenkraftwagen.
Die genauen Zahlen sind folgende. Bei 100 Millionen gefahrenen Kilometern waren an Unfällen mit Getöteten beteiligt:
1960 1961
Personenkraftwagen 11 10
Liefer- und Lastkraftwagen
mit und ohne Anhänger
unter 9 t Gesamtgewicht 12 10
über 9 t Gesamtgewicht 30 25
Auf Wunsch bin ich gern bereit, Ihnen Tabellen mit ausführlichen Angaben über die Unfallbeteiligung der einzelnen Fahrzeugarten, die sich zur Verlesung an dieser Stelle nicht eignen, schriftlich vorzulegen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411909000
Eine Zusatzfrage!

Hermann Haage (SPD):
Rede ID: ID0411909100
Herr Minister, trifft es zu, daß Lastkraftwagen über 9 t oft höhere Kilometerleistungen aufzuweisen haben?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411909200
Das ist selbstverständlich; denn die Durchschnittskilometerleistungen sind bei den einzelnen Fahrzeugarten durchaus verschieden. Aber hier wird ja, um diese Gefährdungen auszuschließen, auf 100 Millionen gefahrene Kilometer bezogen, so daß eine gleichmäßige Bezugswertquelle angegeben ist, die die Mehrleistungen der einzelnen Fahrzeugarten ausschließt und auf einen gemeinsamen Nenner bringt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411909300
Frage IX/2 — des Abgeordneten Seibert —:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine erneute Erhöhung der Abmessungen und Gewichte für Nutzkraftfahrzeuge infolge einer Anpassung an die vom Europäischen Parlament befürworteten Maximalwerte im Hinblick auf die Sicherheit im Straßenverkehr und den Ausbauzustand des Straßennetzes in der Bundesrepublik nicht vertretbar wäre?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411909400
Zu Ihrer zweiten Fragen, Herr Kollege Seibert, möchte ich zunächst auf den Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 107. Sitzung vom 22. Januar dieses Jahres hinweisen, durch den die Bundesregierung aufgefordert wurde, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft möglichst schnell eine gemeinsame und dauerhafte Lösung dieses Problems zu erreichen. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die wichtigsten Grenzwerte, die das Europäische Parlament in seinen Beratungen vorgeschlagen hat, vom Gesichtspunkt der Straßenverkehrssicherheit und der Straßenschonung in der Bundesrepublik wesentlich zu hoch bemessen sind. Bei den Verhandlungen in Brüssel bemühe ich mich entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages um einen tragbaren Kompromiß. Unannehmbar sind bei dem Ausbauzustand unseres Straßennetzes jedoch die vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Achslasten von 13 t für die Einzelachse und von 19 t für die Doppelachse. Das würde nach den Ergebnissen des Aasho-Road-Testes, den bekannten großen amerikanischen Untersuchungen, sicher zu Zerstörungen unserer Autobahnen und Bundesfernstraßen bei der auf ihnen zu erwartenden hohen Zahl der Überrollungen in einem Ausmaß führen, daß unser überaus dichter Straßenverkehr infolge der Häufung von Reparaturstellen zusammenbrechen müßte. Es gibt auch bei uns kein geschlossenes Straßennetz innerhalb des Gesamtnetzes, das diesen Belastungen bei der zu erwartenden hohen Zahl der Überrollungen gewachsen wäre. Auch die neugebauten und die wiederhergestellten Autobahnteilstrecken können solche Belastungen nicht aushalten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411909500
Keine Zusatzfrage!
Ich komme zur Frage IX/3 — des Abgeordneten Dr. Bechert —:
Trifft es zu, daß in Holland Vorschrift ist, Schmutzfänger an den Rädern von Kraftwagen anzubringen?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411909600
Herr Kollege Dr. Bechert, nach Artikel 65 aa der Niederländischen Straßenverkehrsordnung sind an den Hinterrädern von Fahrzeugen Radabdeckungen vorgeschrieben; dies gilt allerdings nicht für Kraftfahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 20 Kilometern in der Stunde, für Krafträder mit oder ohne Beiwagen und für Kraftfahrzeuge ohne vollständigen Aufbau. Es besteht jedoch in Holland keine 'bindende Vorschrift, Schmutzfänger an den Rädern von Straßenfahrzeugen anzubringen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411909700
Herr Abgeordneter Dr. Bechert zu einer Zusatzfrage.

Dr. Karl Bechert (SPD):
Rede ID: ID0411909800
Herr Minister, hält die Bundesregierung eine solche Vorschrift für das Bundesgebiet nicht für notwendig, da ja durch schnelles Fahren durch Pfützen das vorauffahrende Fahrzeug einen solchen Schmutzbelag auf das Fenster des nachfolgenden Fahrzeugs liefern kann, daß ein Verkehrsunfall die Folge ist?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411909900
Ich teile durchaus Ihre Sorgen, Herr Kollege Bechert, in .dieser Hinsicht. Aber wir haben bisher leider noch keine technische Einrichtung gefunden, die das vollständig vermeidet, weil das Herausspritzen bei einer nassen Straße nicht nur nach hinten, sondern auch seitlich nach hinten von den Rädern her er-



Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
folgt, so daß die Beaufschlagung der Scheibe des nachfolgenden Fahrzeugs auch durch Schmutzfänger, die direkt an den Radkappen angebracht sind, wahrscheinlich nicht vollständig vermieden werden kann. Wir untersuchen aber das Problem immer weiter und bemühen uns, eine vernünftige Form zu finden, die wir dann auch vorschreiben können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411910000
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bechert.

Dr. Karl Bechert (SPD):
Rede ID: ID0411910100
Herr Minister, darf ich darauf hinweisen, daß durch das Anbringen der Schmutzfänger wenigstens schon ein Teil der Unfälle vermieden werden könnte, wie aus Ihren Ausführungen ,soeben hervorgeht?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411910200
Ja, zum Teil. Zum Teil ist die Sache aber natürlich auch schwierig. Denn wir können die Leute nur dann mit solchen Einrichtungen belasten, wenn sie auch wirklich wirksam sind. Wir haben versucht, durch die Verlängerung, durch die Schutzlappen usw. hier nach Möglichkeit schon einen Effekt zu erzielen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411910300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haage.

Hermann Haage (SPD):
Rede ID: ID0411910400
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Automobilfirmen, wenn man ein derartige Bestimmung in die Straßenverkehrsordnung aufnimmt, von sich aus den nötigen Schutz mit einbauen?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411910500
Nein, der Meinung bin ich nicht.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411910600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börner.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0411910700
Herr Minister, unter Bezugnahme auf eine von Ihnen vor einigen Monaten gegebene Antwort hinsichtlich der wissenschaftlichen Überprüfung dieses Problems möchte ich Sie fragen, ob nicht angesichts der zunehmenden Verkehrsdichte auch im Lastfahrzeugverkehr aus Gründen der allgemeinen Verkehrssicherheit eine Beschleunigung dieser Überprüfung und eine baldige Einführung zumindest dieser von Ihnen als teilwirksam bezeichneten Schmutzfänger nützlich wäre.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411910800
Ich halte das für durchaus nützlich, und wir bemühen uns, die Überprüfung soweit wie möglich zu beschleunigen, 'damit wir den Betroffenen eine solche Maßnahme auch in begründeter Form auferlegen können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411910900
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börner.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0411911000
Darf ich Sie fragen, ob mit Ihrer Stellungnahme gleichzeitig Gerüchte dementiert
werden könnten, die dahin gehen, daß der heftigste Widerstand gegen die Einführung von solchen Schmutzfängern bisher aus Kostengründen von der Automobilindustrie gekommen ist?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411911100
Nun, wissen Sie, die Automobilindustrie ist bei jeder Sache — denken Sie z. B. an die Einrichtungen für die Gurte — nicht dazu bereit, bei ihren an sich scharf kalkulierten Preisen noch zusätzliche Leistungen zu bieten. Diese zusätzlichen Leistungen müssen ihr immer abgerungen werden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411911200
Wir kommen zu den Fragen IX/4, IX/5 und IX/6 — des Herrn Abgeordneten .Biegler —:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung das Projekt der Beseitigung des schienengleichen Bahnüberganges in Oppenheim (Rhein) im Zuge der B 9 fallengelassen hat, obwohl zu seiner Realisierung bereits ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet worden ist und die Fachbehörden in Kenntnis des mit diesem Übergang gegebenen Gefahrenpunktes sowie der durch ihn verursachten großen verkehrstechnischen Schwierigkeiten immer wieder auf eine Änderung gedrängt haben?
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Verwirklichung des unter Frage IX/4 genannten Projektes nicht mehr gegeben seien, nachdem sie sich entschlossen hat, die Bundesstraße 9 rheinseitig neu zu bauen?
Ist die Bundesregierung der Ansicht, trotz der äußerst stichhaltigen Argumente, die die Stadtverwaltung Oppenheim in einem Schreiben an den Bundesverkehrsminister unter dem 14. Februar 1964 anführt, es tatsächlich vertreten zu können, daß die Durchführung der Beseitigung des schienengleichen Bahnübergangs in Oppenheim (Rhein) bis zum Bau der Umgehungsstraße hinausgezögert werden kann und eine alsbaldige Abhilfe in der Weise, wie sie das Planfeststellungsverfahren vorsieht, nicht dringend geboten erscheint?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411911300
Ich darf, Herr Präsident, diese Fragen gemeinsam beantworten, weil sie einen gemeinsamen Tatbestand betreffen. Ich hoffe, daß Herr Kollege Biegler einverstanden ist.

(Abg. Biegler: Ja!)

Ich darf zunächst feststellen, daß die Fragen wegen des Bahnüberganges Oppenheim auch den Bahnübergang Guntersblum betreffen und daher dieser Bahnübergang hier in 'der Antwort mitbehandelt werden muß. Es handelt sich um ein sehr vielschichtiges und schwieriges Problem, das ,sehr sorgfältig geprüft und vorbereitet werden muß.
Die Bundesregierung hat bisher die Planung zur Beseitigung der ,schienengleichen Bahnübergänge in Oppenheim und Guntersblum nicht aufgegeben, obwohl sich insbesondere in Oppenheim große Schwierigkeiten durch dazu notwendige Eingriffe in die Bausubstanz ergeben. Sie hat sich aber auch bisher noch nicht entschlossen, die beiden Bahnübergänge etwa durch den Bau einer großzügigen Umgehungsstraße, die nördlich von Oppenheim nach Osten ansetzt und erst südlich von Guntersblum ,die Bundesstraße 9 wieder erreicht, für den Durchgangsverkehr auszuschalten. Bekanntlich ist die Straßenführung nicht nur durch die beiden Bahnübergänge, .sondern auch durch die Straßenführung in den beiden Ortschaften sehr behindert. Da das Bundesverkehrsministerium als zuständige oberste Fachbehörde gehalten ist, nur solchen Lösungen und Vorschlägen zuzustimmen, die in verkehnstechni-



Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
scher und wirtschaftlicher Hinsicht vertretbar sind, und es daneben die besondere Aufgabe hat, die Bundesmittel sparsam zu verwenden, wurde die Auftragsverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz von uns beauftragt, die Kosten und die Vor- und die Nachteile beider Lösungen zu ermitteln. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist vor kurzem bei uns eingegangen und wird zur Zeit geprüft. Dabei werden auch ,das Schreiben der Stadtverwaltung Oppenheim vom 14. Februar 1964 und ,die darin genannten Gründe beachtet werden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411911400
Die Frage IX/7 — des Herrn Abgeordneten Unertl — ist vom Fragesteller zurückgestellt.
Ich rufe auf die Frage IX/8, gestellt von der Frau Abgeordneten Schanzenbach — vertreten durch Herrn Abgeordneten Rinderspacher —:
Welche Konsequenzen zieht das Bundesverkehrsministerium aus der Tatsache, daß die für den Fremdenverkehr außerordentlich wichtige B 462 (Murgtalstraße) sich nicht nur in einem schlechten Allgemeinzustand befindet, sondern auch durch Steinschläge in zunehmendem Maße der Verkehr gefährdet ist?
Bitte, Herr Minister.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411911500
Herr Kollege, die Murgtalstraße, die früher als Landstraße I. Ordnung in der Baulast des Landes Baden-Württemberg stand, ist erst ab 1. Januar 1962 zur Bundesstraße aufgestuft worden und hat die Nummer 462 erhalten. Seither hat der Bund diesen
B) für die Industrie und den Fremdenverkehr im Murgtal sehr wichtigen Straßenzug unter Einsatz erheblicher Mittel weiter ausgebaut. Auch in den kommenden Jahren wird der Ausbau der Murgtalstraße zügig weiter fortzusetzen sein. Dabei werden die zur Verfügung stehenden Mittel schwerpunktmäßig zur Verbesserung von besonders schwierigen Streckenabschnitten zu verwenden sein. Hierzu gehört in erster Linie auch die steinschlaggefährdete Teilstrecke im Bereich der Tennetschlucht bei Gausbach, wo der nicht weiter ausbaufähige Tunnel und die anschließenden scharfen Kurven durch ein großes Brückenbauwerk ausgeschaltet werden, das sich in der Ausschreibung befindet. Ferner ,sind der Ausbau der Ortsdurchfahrt Gernsbach mit zwei Richtungsfahrbahnen und weitere Maßnahmen bei Weisenbach und bei Langenbrand als vordringlich vorgesehen. Ich habe mir im Januar dieses Jahres die Verhältnisse selber angesehen und sie mit den Landes- und Kommunalbehörden in Gernsbach erörtert.
Sie ersehen daraus, daß wir dem Ausbau der Bundesstraße 462 die erforderliche Beachtung schenken und den zwischen Rastatt-Nord und Gernsbach mit Umgehung Gaggenau bereits erfolgten Ausbau planmäßig fortsetzen werden. Aber bis zum Abschluß aller geplanten Maßnahmen — nämlich bis nach Freudenstadt — werden vor allem aus technischen Gründen noch mehrere Jahre benötigt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411911600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rinderspacher.

Dr. Fritz Rinderspacher (SPD):
Rede ID: ID0411911700
Ist Ihrer Antwort zu entnehmen, Herr Bundesminister, daß die besonderen Gefahren des Steinschlags vordringlich behoben werden?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411911800
Ja, deswegen habe ich gerade in einer Besprechung, die ich im Dezember mit dem südbadischen Regierungspräsidenten und seinen Mitarbeitern führte, Wert darauf gelegt, daß das Problem „Tennetschlucht" vordringlich behandelt wird.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411911900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0411912000
Herr Minister, können Sie sagen, bis wann die Submission für das Projekt Tennetschlucht durchgeführt wird, so daß die Baumaßnahmen an einer der gefährdesten Stellen der Murgtalstraße tatsächlich in Angriff genommen werden können?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411912100
Die Submission soll am 20. März stattfinden. Aber natürlich ist die Beendigung der Submission noch keineswegs gleichbedeutend mit dem Beginn des Baus, weil dann erst — nach eingehender Prüfung der Submissionsergebnisse — die Vergabe erfolgen muß.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411912200
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0411912300
Herr Minister, ist es möglich und geboten, daß statt der bisherigen Baurate von 3 Millionen DM pro Jahr zur Beschleunigung des Ausbaues der Murgtalstraße höhere Beträge ausgeworfen werden?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411912400
Herr Kollege, geboten ist natürlich an vielen Stellen das Auswerfen von höheren Beträgen. Ich darf Sie daran erinnern, daß der baden-württembergische Landtag für die Murgtalstraße höhere Beträge aus dem Landeshaushalt verbindlich in Aussicht gestellt hat, als wir sie jetzt nach der Aufstufung geben können. Ich darf Sie daran erinnern, daß im Straßenbauplan für die aufgestuften Straßen ein besonderer Titel vorhanden ist, der eine bestimmte Bemessung hat, und daß wir uns bemühen, diesen Titel so gut es geht zu bewirtschaften. Wenn wir die Murgtalstraße stärker berücksichtigen wollten, müßte mit dem Land Baden-Württemberg vereinbart werden, daß an anderen Stellen der Ausbau aufgestufter Straßen zurückgestellt wird. Das ist eine Angelegenheit, über die ich Vorschläge von der Landesstraßenbauverwaltung erwarte.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411912500
Wir kommen zu der Frage IX/9 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler —:
Sieht die Bundesregierung in den Plänen der Gesellschaft für Planung und Beratung in der internationalen Verkehrswissenschaft (Intertraffic) für eine automatische Schnellförderungsanlage



Vizepräsident Dr. Jaeger
auf der Strecke Stuttgart-Frankfurt-Ruhrgebiet eine Möglichkeit
zur Behebung des Verkehrschaos?
Herr Bundesminister, bitte.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411912600
Herr Dr. Kübler, dem Bundesminister für Verkehr ist eine Reihe von Vorschlägen zur Bewältigung des künftigen Verkehrs bekannt, darunter die Gedanken von Herrn Professor Bäseler über eine sogenannte Rollbahn. Diese Möglichkeit hat mich veranlaßt, die Intertraffic um eine Untersuchung der Frage unter Mitarbeit von Herrn Professor Bäseler zu bitten. Das Ergebnis der Untersuchung wurde dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundesverkehrsministeriums und der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn zur Äußerung zugeleitet. Beide Antworten und auch meine Überzeugung stimmen darihn überein, daß eine derartige Bahn in Sonderbauart grundsätzlich zwar technisch möglich, aber wirtschaftlich unter den aufgezeigten Verhältnissen nicht vertretbar ist. Zunächst sollten deshalb die Möglichkeiten einer Verbesserung der klassischen Eisenbahn ausgeschöpft werden.
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß in der Schriftenreihe des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesverkehrsministerium gerade jetzt diese Gutachten des Beirats erschienen sind, ein Gutachten der Gruppe A — Verkehrswirtschaft — über die Weiterentwicklung des Schnellverkehrs auf der Schiene und ein Gutachten der Gruppe B — Verkehrstechnik — über den spurgebundenen Schnellverkehr. Aus diesen Darlegungen und Untersuchungen werden Sie weitere Unterlagen entnehmen können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411912700
Ich rufe auf die Frage IX/10 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler —:
Ist die Deutsche Bundesbahn an den in Frage IX/9 genannten Planungen, die auf Professor Dr. Bäseler, München, zurückgehen, beteiligt?
Bitte, Herr Bundesverkehrsminister!

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411912800
Zur Frage 10 darf ich die Antwort geben: Die Deutsche Bundesbahn ist an der Planung nicht unmittelbar beteiligt. Herr Professor Dr. Bäseler hatte jedoch Gelegenheit, mit den Experten der Deutschen Bundesbahn die technischen Probleme seines Rollbahnvorschlages zu diskutieren. Sie wissen, daß Herr Professor Dr. Bäseler früher Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn war, jetzt aber in Pension ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411912900
Ich rufe auf die Frage IX/11 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler —:
Hat die Bundesregierung schon Vorstellungen darüber, wie evtl. die in Frage IX/9 genannten Planungen realisiert werden könnten?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411913000
Die Klärung des Verkehrsbedürfnisses ist die unbedingte Voraussetzung für die Planung eines neuen Verkehrsweges und erst recht für die Planung eines neuen Verkehrsmittels. Der erste Schritt in dieser
Richtung ist von der Deutschen Bundesbahn bereits getan worden. Sie hat ein Netz von HuckepackSchnellgüterzügen ausgearbeitet, das ganz besonders attraktive Verbindungen zwischen den großen Produktionszentren herstellt. Ab Sommerfahrplan 1964 werden davon vier Relationen bedient. Auch für den Pkw-Transport wird erstmalig in diesem Sommer zusätzlich an den Wochenenden zu den anderen Verbindungen ein Auto-Reisezug Düsseldorf—Karlsruhe und zurück angeboten, dessen Ziel eine Entlastung der überbelasteten Autobahn auf dieser Strecke an Wochenenden und zu Ferienbeginn ist.
Diese Repräsentativversuche unterstützen die Absicht, Aufschlüsse über ein Verkehrsbedürfnis zu erhalten und danach die weitere Planung vorzunehmen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411913100
Ich rufe auf die Fragen IX/12 und IX/13, gestellt von der Abgeordneten Frau Schanzenbach — vertreten durch den Abgeordneten Rinderspacher —:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn darauf hinzuwirken, daß die Schwarzwaldbahn in das Elektrifizierungsprogramm der Bundesbahn aufgenommen wird?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, auf einer elektrifizierten Schwarzwaldbahn eine internationale Verbindung von Frankreich über den Schwarzwald, die BodenseeUferbahn und Innsbruck nach Salzburg und Wien einzurichten?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411913200
Zur Frage 12 darf ich antworten: Bei der Planung über die Fortführung der im Land Baden-Württemberg zu elektrifizierenden Bundesbahnstrecken wurde bereits eingehend geprüft, die Schwarzwaldbahn Offenburg—Singen in das elektrifizierte Netz einzubeziehen. Nachdem von der in Baden-Württemberg ansässigen Motoren- und Getriebeindustrie, besonders den Firmen Daimler-Benz, Voith und Maybach, Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der Elektrifizierung dieser Strecke in der Öffentlichkeit erhoben wurden, ist die endgültige Entscheidung noch solange zurückgestellt worden, bis die vom Land Baden-Württemberg Ende 1963 in Auftrag gegebene neutrale Sachverständigenbefragung über die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen modernen Traktionsarten ,auf der Schwarzwaldbahn vorliegt.
Die Untersuchungen auf Wirtschaftlichkeit der künftigen Umstellungsmaßnahmen fallen unter die Kompetenz des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn. Solange dieser Vorstand keine Entschließung gefaßt und mir vorgelegt hat, kann die Bundesregierung in dieser Frage auch nicht tätig werden. Wir haben jedoch schon wiederholt den Vorstand 'der Deutschen Bundesbahn gebeten, das Bundesverkehrsministerium baldigst abschließend zu unterrichten.
Die Antwort auf die Frage 13 lautet: Eine internationale Verbindung, Herr Kollege, von Paris nach Wien über die Schwarzwald- und Bodensee-Uferbahn zu leiten, wird wegen der ungünstigen, topographisch bedingten Linienführung dieser Bahnen immer, auch im Falle einer Elektrifizierung, verhältnismäßig lange Reisezeiten erfordern. Eine solche



Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
Verbindung wäre verkehrlich ohne Bedeutung, da die Reisenden wegen der wesentlich kürzeren Fahrzeit die Verbindung von Paris über Straßburg —Stuttgart — München — Salzburg nach Wien bevorzugen würden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411913300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Faller!

Walter Faller (SPD):
Rede ID: ID0411913400
Herr Minister, ich bin etwas erstaunt über Ihren Standpunkt bezüglich des Standes der Elektrifizierung. Darf ich Sie deshalb fragen, ob die Petenten, die angeblich eine Durchführung der Elektrifizierung verhindert haben, ausgesprochene Interessenten auf diesem Gebiet sind?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411913500
Ich möchte das meinen, Herr Kollege. Aber die Frage ist deswegen etwas anders zu beantworten, weil ich natürlich nicht vorgreifen kann, wenn die Landesregierung, die sich sehr darum bemüht, der Bundesbahn bei der Finanzierung der Elektrifizierung zu helfen, ihrerseits die Frage noch zurückgestellt hat, um sich ein besonderes Sachverständigengutachten vorlegen zu lassen. Ich glaube, man muß der Landesregierung zubilligen, daß sie das Recht hat, einen solchen Weg zu gehen, bevor sie sich mit nicht unerheblichen Mitteln für diese Elektrifizierung einsetzt. Für mich persönlich ist, wie Sie wissen, diese rage geklärt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411913600
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Faller!

Walter Faller (SPD):
Rede ID: ID0411913700
Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß die Bundesbahndirektion Karlsruhe das Projekt der Elektrifizierung geprüft und für gut befunden hat?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411913800
Herr Kollege Faller, ich sagte soeben, meine eigene Auffasung dazu — die ich mir auf Grund der Prüfung der mir vorliegenden Unterlagen gebildet habe — ist ja bekannt. Aber nachdem die Landesregierung den Wunsch hat, dazu noch ein besonderes Sachverständigengutachten beizuziehen, muß ich ihr die Chance lassen, weil sie sich an der Finanzierung einer solchen Großaufgabe entscheidend beteiligt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411913900
Herr Abgeordneter Haage!

Hermann Haage (SPD):
Rede ID: ID0411914000
Herr Präsident, darf ich noch zu Frage 11 eine Zusatzfrage stellen? Sie scheinen meine Meldung übersehen zu haben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411914100
Frage 11 ist abgeschlossen. Es tut mir sehr leid, aber es ist nicht mehr zu ändern.
Noch eine Zusatzfrage zu den Fragen 12 und 13? — Herr Abgeordneter Biechele.

Hermann Biechele (CDU):
Rede ID: ID0411914200
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß vor einigen Wochen die Industrie-und Handelskammern Villingen und Konstanz unter Leitung von Dr. Paulssen zu einer Tagung in Singen eingeladen hatten mit dem Tagesordnungspunkt: „Prüfung der Frage der Elektrifizierung der Schwarzwaldbahn" und daß dabei der Fachreferent der Bundesbahndirektion Karlsruhe sich eindeutig für die Elektrifizierung ausgesprochen hat?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411914300
Das ist mir durchaus bekannt, und ich habe das auch keineswegs bestritten. Ich habe meine persönliche Meinung in dieser Richtung ja auch ausgesprochen. Ich kann nur immer wieder unterstreichen, daß der Vorstand der Bundesbahn, der letzten Endes den Vorschlag einbringen muß, genötigt ist, sich mit dem Land Baden-Württemberg wegen der Finanzierung abzustimmen, und daß das Land ein Sachverständigengutachten veranlaßt hat. Das kann man dem Land nicht übelnehmen, denn das Land muß ja auf die in seinem Gebiet ansässige Industrie Rücksicht nehmen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411914400
Wir kommen zu den Fragen des Abgeordneten Schwabe unter den Ziffern IX/14 bis 16.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411914500
Herr Präsident, wenn der Kollege Schwabe einverstanden ist, würde ich bitten, die Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411914600
Bitte sehr. Ich rufe also alle drei Fragen auf:
Hält die Bundesregierung die Errichtung von immer mehr und immer größeren Fernreklameeinrichtungen entlang der Bundesautobahn für wünschenswert oder vertretbar?
Hält die Bundesregierung die beabsichtigt herbeigeführte Ablenkung der Kraftfahrer durch Fernreklameeinrichtungen entlang der Bundesautobahn nicht für sehr gefährlich?
Sieht die Bundesregierung nicht eine zusätzlich gefährliche Ablenkung der Kraftfahrer zur Nachtzeit durch die Verwendung beweglicher Lichtreklame im Blickfeld der Autobahnen?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411914700
Die Bundesregierung hält die Errichtung von Reklameanlagen entlang den Bundesautobahnen weder für wünschenswert noch für vertretbar. Sie hat dies auch schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, so z. B. in ihren Stellungnahmen zu den Anträgen auf Zulassung der Reklame an den Bundesautobahnen in der ersten und zweiten Wahlperiode.
Reklameanlagen stören die landschaftliche Geschlossenheit der Bundesautobahnen und der Landschaft, auf die wir Wert legen. Vor allem aber sind sie geeignet, die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer vom Verkehrsgeschehen abzulenken und dadurch die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gefährden. Dies gilt insbesondere auch für die von Ihnen angesprochene Fern- und Lichtreklame im Blickfeld der Bundesautobahnen.



Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm
Den Werbeanlagen kann im näheren Bereich der Bundesautobahnen mit Hilfe des Straßenbaurechts entgegengewirkt werden. Nach § 9 des Bundesfernstraßengesetzes sind Werbeanlagen beiderseits der Bundesautobahnen bis zu 40 m vom Rand untersagt. Im Bereich von 40 bis 100 m darf Reklame nicht zugelassen werden, wenn sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf den Bundesautobahnen beeinträchtigen kann. Die Entscheidung darüber, ob dies geschieht, obliegt den Straßenbaubehörden der Länder.
Verkehrsgefährdende Reklame kann im Blickfeld der Bundesautobahnen auch auf Grund des Straßenverkehrsrechts verhindert werden, denn § 42 der Straßenverkehrs-Ordnung verbietet jede Werbung, die geeignet ist, den Verkehr auf den Bundesautobahnen zu beeinträchtigen. Nach den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrs-Ordnung sind die Straßenverkehrsbehörden angewiesen, dafür strenge Maßstäbe anzulegen.
Verkehrsgefährdende Werbeanlagen zu unterbinden ist vor allem Aufgabe des allgemeinen Bauordnungsrechts, für das die Länder zuständig sind. Nach den bestehenden Landesbauordnungen ist die Errichtung von Reklameanlagen außerhalb der geschlossenen Ortslage grundsätzlich unzulässig.
Bei den obersten Straßenbaubehörden der Länder werde ich erneut veranlassen, daß sie für die Freihaltung des Blickfelds der Bundesautobahnen von Werbeanlagen Sorge tragen und auf ihre Bauordnungsbehörden entsprechend einwirken.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411914800
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schwabe!

Wolfgang Schwabe (SPD):
Rede ID: ID0411914900
Herr Minister, Sie sind sicher auch der Ansicht, daß die jüngste Entwicklung insofern bedenklich stimmt, als ganz starke Ansätze sichtbar werden. Ich frage Sie: Sehen Sie einen Weg, von hier aus, also von Parlament und Regierung her, dem sobald wie möglich einen Riegel vorzuschieben, damit wir nicht an unseren Autobahnen italienische oder amerikanische Verhältnisse bekommen?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411915000
Herr Kollege Schwabe, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß sich an verschiedenen Stellen sehr unangenehme Auswüchse zeigen. Ich glaube aber, daß diese Auswüchse ohne weiteres von den zuständigen Länderbehörden abgestellt werden könnten. Die Frage, ob wir über den Hundertmeterstreifen hinaus noch bindende Vorschriften erlassen können, ist eine Frage des Eingriffs in das Eigentumsrecht. Das wirft natürlich eine Reihe von schwierigen Problemen auf, die wir damals schon untersucht haben. Wir haben damals davon Abstand genommen, eine weitere Ausdehnung vorzunehmen, weil wir fürchteten, daß zu große Regreßansprüche an uns gestellt werden oder daß wir mit entsprechenden Einsprüchen im Verwaltungsverfahren rechnen müßten, womit wir auch nicht weiterkämen. Ich bin aber der Meinung, daß dann, wenn die Länderbehörden hier
richtig auf die örtlichen Stellen einwirken, auch dieser Unfug verhindert wird.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411915100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Margulies.

Robert Margulies (FDP):
Rede ID: ID0411915200
Herr Minister, glauben Sie nicht auch, daß die längs der Autobahn aufgestellten, humoristisch aufgemachten Warnschilder dieselbe Gefahr hervorrufen wie eine Autobahnreklame?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411915300
Ich bin grundsätzlich der Meinung, daß das richtig ist. Aber Sie wissen ja, daß in anderen Ländern mit solchen Warnschildern für die Straßenverkehrssicherheit gute Erfahrungen gemacht worden sind; ich erinnere an die Schweiz. Daß sich dann natürlich bei uns die Straßenverkehrsbehörden bemühen, mal Versuche in dieser Richtung zu machen, halte ich nicht für ganz abwegig. Man muß aber darauf sehen, daß das nicht überhand nimmt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411915400
Wir kommen nun zu den Fragen IX/17, IX/18, IX/19 — des Abgeordneten Bühler —:
Beabsichtigt die Bundesregierung, auf die Erfüllung des bereits etwa 112 Jahre alten Vertrages zu verzichten, wonach die Schweiz den Bau einer „zollfreien Straße" zwischen Lörrach und Weil am Rhein zu gestatten hat?
Beabsichtigt die Bundesregierung, anstelle der „zollfreien Straße" zwischen Lörrach und Weil am Rhein über Schweizer Gebiet einen Straßentunnel durch den Tüllinger Berg zu planen und zu erbauen?
Wie hoch sind die jeweiligen Kosten für Straße und Tunnel durch den Tüllinger Berg?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411915500
Herr Kollege Bühler, wie ich Ihnen bereits in der Fragestunde am 25. Oktober 1963 mitgeteilt hatte, haben die Bemühungen der Straßenbauverwaltung um den Neubau einer zollfreien Verbindungsstraße zwischen Lörrach und Weil zu einer grundsätzlichen Absprache mit den schweizerischen Dienststellen geführt. Inzwischen sind auch die Verhandlungen über einige noch offene Detailfragen so weit gediehen, daß die Planting für den Bau der „zollfreien Straße" wahrscheinlich recht bald abgeschlossen werden kann. Daher scheint mir- die von Ihnen gehegte Befürchtung, daß unter Umständen wegen der großen Schwierigkeiten auf die Verwirklichung des schon sehr alten Projektes auf Grund des Vertrages von 1853 verzichtet werden müßte, beim gegenwärtigen Sachstand nicht berechtigt zu sein.

Karl August Bühler (CDU):
Rede ID: ID0411915600
Herr Minister, darf ich fragen, bis wann etwa die Planung im Einvernehmen mit der Schweiz nun endlich fertiggestellt werden kann?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411915700
Ich kann Ihnen leider, Herr Kollege Bühler, keinen sicheren Termin angeben; aber nach den Fortschritten in den letzten Monaten hoffe ich, daß das noch im Laufe des Sommers möglich ist.




Karl August Bühler (CDU):
Rede ID: ID0411915800
Wie hoch werden sich die Kosten für dieses Straßenstück, das etwa 450 m über Schweizer Gebiet führen soll, belaufen?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411915900
Die Baukosten für eine über Schweizer Gebiet — das ist schon die Frage IX/19 — im Talboden des Wieseflusses geführte zollfreie Verbindungsstraße zwischen Lörrach und Weil wurden vorläufig, an Hand der noch nicht vollständig abgeschlossenen Planung, auf 7,5 Millionen DM veranschlagt.
Nun darf ich auf die Frage IX/18 zurückgreifen: Die im Talboden des Wieseflusses unter Benutzung von Schweizer Gebiet vorgesehene zollfreie Verbindungsstraße zwischen Lörrach und Weil soll so bald wie möglich verwirklicht werden. Die Bundesstraßenverwaltung beabsichtigt deshalb nicht, für die Verbindungsstraße zwischen Lörrach und Weil einen Straßentunnel durch den Tüllinger Berg zu bauen.
Und nun darf ich, auf die Frage IX/19 eingehend, folgendes sagen: Eine Tunnellinie ist bisher nicht näher untersucht worden. Daher ist es mir nicht möglich, nähere Zahlenangaben über die Baukosten zum Vergleich zu machen. Als Anhaltspunkt möchte ich Ihnen aber sagen, daß die Baukosten für einen Tunnel mit künstlicher Belüftung mit etwa 20 000 bis 25 000 DM je laufenden Meter angesetzt werden müssen. Es steht mit Sicherheit fest, daß die Aufwendungen für eine Tunnellösung ein Vielfaches der Kosten von 7,5 Millionen DM für die von der Straßenbauverwaltung über schweizerisches Gebiet geplante zollfreie Verbindungsstraße erfordern würden. Ich schätze, wenn Sie mich nicht darauf festnageln wollen, daß es mindestens das Vier- bis Fünffache sein würde.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411916000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Faller.

Walter Faller (SPD):
Rede ID: ID0411916100
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß über diese mutmaßlichen Kosten der zollfreien Straße in jüngster Zeit recht unterschiedliche Angaben gemacht worden sind, daß beispielsweise im Wirtschaftsausschuß des baden-württembergischen Landtags von 51/2 Millionen DM die Rede war, während der südbadische Regierungspräsident Dichtel 12,5 Millionen DM genannt hat? Welche dieser drei Zahlen ist nun richtig?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411916200
Herr Kollege Faller, ich liege mit 71/2 Millionen DM genau in der Mitte.

(Heiterkeit.)


Walter Faller (SPD):
Rede ID: ID0411916300
Dann darf man hoffen, daß Ihre Zahl richtig ist?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411916400
Ich hoffe, daß wir vernünftig geschätzt haben. Vorläufig, solange die endgültige Planung nicht vorliegt, kann man sich natürlich nur auf eine Schätzung verlassen. Aber ich glaube, daß diese Schätzung wohl einigermaßen real ist.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411916500
Ich komme zu den Fragen IX/20 und IX/21 — des Abgeordneten Härzschel —:
Warum ist der beabsichtigte Ausbau der Umgehungsstraße 13 316 bei Binzen (Kreis Lörrach) nur 2spurig geplant, obwohl die gegenwartige und zu erwartende Verkehrsfrequenz sowie der Blick auf den geplanten Anschluß der Hochrheinschnellstraße eine Erweiterung auf 4 Fahrbahnen als dringend notwendig erscheinen läßt?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Generalverkehrsplan der Stadt Lörrach — erstellt von einem bedeutenden Verkehrsexperten — einen 4spurigen Ausbau der B 316 bis Lörrach sowie der B 317 von Lörrach bis Schopfheim für notwendig erachtet?
Bitte sehr, Herr Bundesminister!

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411916600
Herr Kollege, der Neubau der Ortsumgehung Binzen im Zuge der Bundesstraße 316 soll nach .der zur Zeit in Bearbeitung befindlichen Planung einen zweispurigen Querschnitt erhalten. Die neue Straße wird jedoch vollkommen kreuzungs- und anbaufrei verlaufen und daher sehr leistungsfähig sein. Dem Verkehr wird gleichzeitig auch nach dem Bau der Ortsumgehung die jetzige Bundesstraße, ,die erst vor kurzem auf dem Abschnitt zwischen Lörrach und Binzen ausgebaut worden ist, zur Verfügung stehen. Der Durchgangsverkehr und der örtliche Verkehr können dann also auf vier Fahrspuren abgewickelt werden, auf zwei Straßen.
Nach der Verkehrsprognose, die dem Bedarfsplan für den Ausbau der Bundesfernstraßen zugrunde liegt, wird dieses Angebot von vier Verkehrsspuren voll ausreichend sein, um den Verkehrsanforderungen bis zum Ende der siebziger Jahre gerecht zu werden. Sofern später der Neubau einer Schnellstraße im Hochrheintal notwendig werden sollte, muß hierfür — unabhängig von dem jetzt beabsichtigten Ausbau der Bundesstraße 316 — eine werkehrlich einwandfreie Lösung für den Anschluß an die Bundesautobahn Karlsruhe—Basel gefunden werden.
Zur Frage 21, die hiermit eng zusammenhängt, darf ich folgendes sagen. Es ist anzunehmen, Herr Kollege, daß der Generalverkehrsplan der Stadt Lörrach von dem bearbeitenden Ingenieurbüro Professor Schächterle auf den Bedarfsplan zum Ausbau der Bundesfernstraßen abgestimmt worden ist. Dabei ist unter Zugrundelegung der bis 1980 zu erwartenden Verkehrszunahme des Vorhandensein von insgesamt vier Verkehrsspuren zwischen Lörrach und Schopfheim und auch zwischen Lörrach und der Autobahn für ausreichend erachtet worden. Da nun die Bundesstraßenverwaltung beabsichtigt, sowohl die bestehende Bundesstraße 317 zwischen Lörrach und Schopfheim als auch die Bundesstraße 316 zwischen Lörrach und der Autobahn durch den Neubau von zwei jeweils zweispurigen, infolge ihrer Anbau-und Kreuzungsfreiheit sehr leistungsfähigen Straßen zu entlasten, und die alten Straßenzüge natürlich bestehenbleiben, werden dem Verkehr auf den genannten Streckenabschnitten entsprechend dem Planziel insgesamt vier Fahrspuren zur Verfügung stehen. Damit wird auch dem Generalverkehrsplan der Stadt Lörrach in wirtschaftlicher Weise Rechnung getragen.




Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411916700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Faller!

Walter Faller (SPD):
Rede ID: ID0411916800
Herr Minister, ist Ihnen nicht geläufig, daß Ihre Antwort nur bedingt richtig ist, weil nämlich die alte Straße und die neuen Straßen sich zeitweilig decken, also nicht zwei verschiedene Straßen vorhanden sind?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411916900
Herr Kollege Faller, da die B 317 von Schopfheim um Lörrach herum durch die zollfreie Straße nach Weil zur Autobahn führt und die B 316 in dem ausgebauten Teil mit der Umgehung von Binzen zur Autobahn bei Märkt führt, ist für die Gesamtstrecke doch tatsächlich auf mehreren Straßen ein vierspuriger Verkehr gegeben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411917000
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Faller!

Walter Faller (SPD):
Rede ID: ID0411917100
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß man das nicht auf die B 317, sondern nur auf die B 316 beziehen kann, und ist Ihnen bekannt, daß ein vierspuriger Ausbau auf der Strecke der B 317 auf der jetzt geplanten Trasse nur möglich wäre, wenn man eine Wohnsiedlung mit Eigenheimen teilweise abrisse?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411917200
Eigentlich waren das drei Zusatzfragen, Herr Kollege Faller.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411917300
Das ist mir völlig bekannt, Herr Kollege Faller. Wir sind ja ,selbst gemeinsam an Ort und Stelle gewesen und haben uns die Situation angesehen. Aber Sie müssen doch zugeben, daß Sie, wenn die alte B 317, die durch Lörrach führt, bestehenbleibt und die neue B 317 durch die Umgehungsstraße um Lörrach in Verbindung mit der kreuzungsfreien, zollfreien Straße zur Autobahnauffahrt Weil führt und wenn gleichzeitig nördlich von Lörrach die B 316 zur Autobahnauffahrt Märkt führt, Straßenzüge zur Verfügung haben, die einem Verkehr bis 1980 wahrscheinlich gerecht werden können. Wir können bei unseren beschränkten ,Straßenbaumitteln heute ja nicht noch weitere Verkehrsziele ins Auge fassen; dann würden wir in den Ballungsgebieten überhaupt nicht mehr fertig wenden.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411917400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel!

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0411917500
Herr Minister, wären Sie nicht bereit, erneut mit den dort zuständigen Stellen zu verhandeln, um diese Frage nochmals abzuklären? Sie wissen, daß auch der Landrat des Kreises Lörrach der Meinung ist, daß ein vierspuriger Ausbau unbedingt notwendig wäre.

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411917600
Herr 'Kollege, es ist selbstverständlich, daß die örtlichen Stellen so viel wie möglich auf einmal haben wollen. Wir haben diese Frage bei dem letzten Be-
such in Lörrach, der drei Monate zurückliegt, sehr eingehend erörtert und sind mit den Straßenbauverwaltungen des Landes zu der Überzeugung gekommen, daß wir zunächst einmal die anderen Projekte durchsetzen sollten. Denn wenn wir anfangen wollten, jede Straße, die gebaut werden soll, jetzt schon vierspurig auszubauen, weil im Jahre 1985 ein vierspuriger Ausbau notwendig wird, dann könnten wir im Straßenbau sofort unseren Bankrott anmelden. Wir müssen erst einmal dafür sorgen, die Verhältnisse für 'die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre zu lösen. Darüber hinauszugehen, würde ich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit des Straßenbaues und .der zweckmäßigen Bewirtschaftung der Straßenbaumittel ,gar nicht vertreten können.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411917700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel!

Kurt Härzschel (CDU):
Rede ID: ID0411917800
Sind Sie nicht der Meinung, daß zumindest die Planung dahin gehen sollte, diesen Ausbau durchzuführen, weil er in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr möglich sein wind, da die Bautätigkeit so stark ist, daß später kein Land mehr vorhanden sein würde?

Dr. Hans-Christoph Seebohm (CDU):
Rede ID: ID0411917900
Herr Kollege, ich habe vorhin in meiner Antwort — wie Sie bemerkt haben werden — darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn für später eine Schnellstraße entlang des Hochrheins erforderlich sein sollte, diese einen besonderen Anschluß an die Autobahn brauchte. Damit würde für das Wiesental und für die ganze Gegend dort ein weiterer Anschluß gegeben sein. Dieser Anschluß kann aber nicht im 'Zusammenhang mit idem jetzigen Straßenbestand geschaffen werden und kann auch nicht schon heute vorbereitet werden. Dazu müßte man im Hinblick auf die Grunderwerbskosten und einen Eingriff in die Substanz jetzt schon alle jene Konsequenzen ziehen, die den Straßenbau so verteuern würden, daß ich das Hohe Haus bitten müßte, bei der Mineralölsteuer nicht 46%, sondern 60% zu beschließen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411918000
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich rufe 'auf Punkt 11 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dritten Wohnungsbaugesetzes (Bundeswohnungsgesetz) (Drucksache IV/1850).
Wer begründet den Antrag? — Herr Abgeordneter Jacobi.

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0411918100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Entwurf eines Dritten Wohnungsbaugesetzes, den ich namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion begründen darf und der Ihnen als Drucksache IV/1850 vorliegt, kommt eine besondere Bedeutung zu. Er soll nicht nur Antwort auf die Frage geben, in welcher Weise der



Jacobi (Köln)

öffentlich geförderte Wohnungsbau nach einem Auslaufen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes fortzuführen ist; aus seiner zusätzlichen Überschrift „Bundeswohnungsgesetz" ergibt sich, daß die Verfasser des Entwurfs an mehr als an eine gleichwie geartete Fortsetzung der bisherigen Wohnungsbauförderung gedacht haben. Ihnen liegt an einer umfassenden, materiell und zeitlich weit gespannten gesetzlichen Regelung, die über den Wohnungsneubau hinausreicht und das gesamte Wohnungswesen erfaßt.
Gestatten Sie mir, zur Erläuterung Ihr Augenmerk auf die Gliederung des Gesetzentwurfs zu lenken, die das ausweist, was ich soeben ausgeführt habe. Aus dem Inhaltsverzeichnis ist ersichtlich, daß der Entwurf in vier Teile zerfällt, die folgende Titel führen: Erster Teil — Die öffentliche Verantwortung für die Wohnungsversorgung, Zweiter Teil — Wohnungsstandard, Dritter Teil — Finanzierung der Wohnungsversorgung, Vierter Teil — Schlußvorschriften. Der umfassende, über den bisherigen Gesetzesrahmen für den Wohnungsbau hinausreichende Charakter des Entwurfs wird auch ohne eine nähere Befassung mit den Einzelheiten durch Zwischenüberschriften wie diese deutlich: „Mindestanforderungen für den Wohnungsneubau", „Periodische Festsetzungen des Wohnungsstandards", „Anpassung bestehender Wohnungen an den Wohnungsstandard", „Wohnungsaufsicht", „Modernisierung, Instandsetzung und Sanierung". So unmöglich es ist, den Gesetzentwurf heute in seinen Einzelheiten darzustellen, so unerläßlich ist es, wenigstens einige
seiner tragenden Ideen anzudeuten. Ich werde das in der denkbar knappsten Form tun, um Möglichkeiten zu einer eingehenden Aussprache offenzulassen.
Der Entwurf geht von dem Gedanken aus, daß die Wohnungsversorgung auch in einer marktwirtschaftlichen Ordnung eine öffentliche Aufgabe bleibt. Sie soll dem Ziel dienen, jedem Staatsbürger eine Wohnung zugänglich zu machen — ich darf wörtlich zitieren —, „die der Würde des Menschen gerecht wird, die freie Entfaltung der Persönlichkeit fördert und die Pflege des Familienlebens ermöglicht". Bund, Länder und Gemeinden wird zur Pflicht gemacht, diesem Ziel gerecht zu werden, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und Befugnisse durch langfristige Programme, unter anderem auch durch die Bereitstellung von Bauland zu tragbaren Bedingungen. Damit werden also Prinzipien wiederholt und erneut statuiert, die. wir im Grunde genommen schon bisher in unserer Wohnungsbaugesetzgebung verankert haben. Andererseits wird in unserem Gesetzentwurf dem Staatsbürger zur Pflicht gemacht, zu seiner Wohnungsversorgung nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten beizutragen.
Wie ist die Ausgangslage? Vom 1. Januar 1967 an wird das Gesetz zum Abbau der Wohnungszwangswirtschaft in vollem Umfang wirksam. Zu diesem Zeitpunkt werden ohne Rücksicht auf das rechnerische Defizit alle Wohnungen aus der Wohnraumbewirtschaftung und aus der Mietpreiskontrolle entlassen, mit Ausnahme der öffentlich geförderten Wohnungen nach dem Ersten und Zweiten Wohnungsbaugesetz. Im Jahre 1967 endet zugleich die
gesetzliche Verpflichtung für den Bund, den sozialen Wohnungsbau finanziell zu fördern. Zu diesem Zeitpunkt wird jedoch immer noch ein Zustand der Unterversorgung bestehen, dem nur durch eine gesetzlich klar festgelegte Fortsetzung öffentlicher Hilfen begegnet werden kann. Die Einstellung der Förderung des sozialen Wohnungsbaues durch Bund, Länder und Gemeinden, die durch das Auslaufen des Gesetzesbefehls im Zweiten Wohnungsbaugesetz am 1. Januar 1967 möglich ist, wenn nicht eine Änderung erfolgt, halten wir für unvertretbar.
Die Bundesregierung geht bekanntlich davon aus, daß ein statistisch errechnetes Wohnungsdefizit von 3% eine ausreichende Rechtfertigung für die Liberalisierung der Wohnungswirtschaft ist. Die volkswirtschaftlich demgegenüber anzuführende These besagt, daß ein marktwirtschaftlicher Zustand in der Wohnungsversorgung erst gegeben ist, wenn eine Leerraumreserve von 2% an kleineren und mittleren Wohnungen besteht. Ein Defizit von 3%, soweit es sich auf alle Wohnungen erstreckt, entspricht nahezu einer Jahresproduktion an neuen Wohnungen. Die 2%ige Leerraumreserve, von der ich sprach, kann ungefähr mit einer halben Jahresproduktion angenommen werden. Mit anderen Worten: die Bundesregierung hält es für vertretbar, bei einem Fehlbestand von etwa 700 000 bis 750 000 Wohnungen im Bundesgebiet die Wohnraumversorgung über den Markt sich vollziehen zu lassen.
Am 31. Dezember 1966 werden aber außerdem noch 300 000 bis 350 000 Wohnungen aus dem Nachholbedarf fehlen. Zu diesem Defizit von 1 bis 1,1 Millionen Wohnungen kommt der Jahresneubedarf an Wohnungen ab 1967 von wenigstens 50 % der Eheschließungen. Das allein entspricht für die nächsten 15 bis 20 Jahre einem jährlichen Wohnungsbedarf von etwa 200 000 bis 220 000 Wohnungen.
Eine weitere Zahl, die kaum bestritten werden kann: Gering gerechnet 30 000 bis 40 000 Wohnungen werden aus Alters-, Verkehrs- und sonstigen Gründen abgerissen oder für Nichtwohnzwecke verwendet; sie stehen nicht mehr zur Verfügung.
Schätzungsweise eine Million Wohnungen sind nach den bisherigen Untersuchungen wohnunwürdig; sie müssen abgerissen werden. Das ist eine Zahl, die das Bundeswohnungsbauministerium selbst auf Grund von Feststellungen, die das Ministerium hat treffen lassen, wiederholt genannt hat.
Etwa 3,5 Millionen Wohnungen bedürfen der Modernisierung. Es mag nur am Rande bemerkt werden, daß hierbei der Aufwand je Wohnung nach den heutigen Preisen bei über 10 000 DM liegt. Wirtschaftliche Erwägungen, aber auch städtebauliche Überlegungen lassen es geraten erscheinen, aus dieser Gruppe eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Wohnungen ebenfalls abzureißen.
Schließlich müssen wiederum rund 3,5 Millionen Wohnungen mit einem Kostenaufwand je Wohnung renoviert werden, der im Durchschnitt bei 5000 DM je Wohnung liegen dürfte.
Eine weitere Aufgabe bedarf allmählicher Lösung — sie kann nicht sofort gelöst werden —: Unsere Wohngebiete müssen mehr denn je vom Verkehrs-



Jacobi (Köln)

lärm und von den Belästigungen durch den Lärm und die pestilenzartigen Dünste gewerblicher Betriebe befreit werden. Auch fehlen in vielen alten Wohngebieten unserer Stadtkerne Gemeinschaftseinrichtungen wie Spielplätze, Kindertagesstätten, Jugendräume und allgemeine Einrichtungen.
Meine Damen und Herren, bei dieser Gesamtsituation, die wenigstens kurz angedeutet werden mußte, um das Aufgabengebiet klarzumachen, um das es geht, ist es nicht vorstellbar, daß eine rein marktwirtschaftliche Wohnversorgung für alle Bevölkerungsgruppen gleichmäßig funktionieren kann.
Die Wohnungsversorgung der minderbemittelten Bevölkerungskreise durch die Bereitstellung der nach dem Ersten und Zweiten Wohnungsbaugesetz gebauten Sozialwohnungen und die Gewährung von Wohnbeihilfen sind zwar wichtige Hilfsmittel; sie reichen jedoch in keiner Weise aus, um das Notwendige zu tun.
Sämtliche Tatbestände zusammen haben meine politischen Freunde und mich zu der Erkenntnis geführt, daß durch eine Anschlußgesetzgebung, die ab 1. Januar 1967 wirksam werden sollte, die Wohnungsversorgung auch weiterhin, und zwar über den Wohnungsneubau hinaus, durch eine aktive Wohnungsbaupolitik von Bund, Ländern und Gemeinden vollzogen und garantiert werden muß. Dem trägt unser Gesetzentwurf Rechnung.
Der jährliche Neubedarf und die Modernisierung und Sanierung machen eine gesetzliche Regelung über einen langen Zeitraum erforderlich. Es genügen keine mehr oder weniger geringfügigen Korrekturen etwa an der derzeitigen Gesetzgebung.
Das ist eine unserer Grundthesen, zu denen eindeutig Stellung 'genommen werden muß.
Gewiß läßt sich über Einzelheiten der von uns vorgeschlagenen Lösungen reden. Doch bedarf es zunächst einer Klärung, ob und inwieweit die öffentliche Verantwortung für die Wohnungsversorgung auch zukünftig gesetzlich eindeutig geregelt werden soll.
Nach einer Verlautbarung im Bundesbaublatt, die ganz jungen Datums ist und im Februar-Heft steht, — ich darf wörtlich zitieren —:
geht das Abbaugesetz davon aus, daß der Staat an einem freien Wohnungsmarkt seiner sozialen Verpflichtung in ausreichendem Maße .genügt, wenn er durch die Wohnbeihilfen einen sozialen Ausgleich schafft und es dadurch jedem Wohnungsbewerber ermöglicht, die von ihm begehrte Wohnung auch bezahlen zu können.
In demselben Heft wird die vom Herrn Bundeswohnungsbauminister in der Öffentlichkeit angekündigte Novelle zum Zweiten Wohnungsbaugesetz als im Gegensatz zu der Initiativvorlage der SPD stehend bezeichnet. Nun, meine Damen und Herren, ohne die Kenntnis exakter Einzelheiten, das heißt, ohne daß wir eine entsprechende Gesetzesvorlage Wort für Wort und Punkt für Punkt überprüfen können, läßt sich nur schwer erkennen, ob und inwieweit sich der vorliegende Gesetzentwurf der SPD
mit der erst angekündigten Vorlage der Bundesregierung verträgt.
Eine Stunde bevor ich diesen Saal betrat, habe ich Kenntnis davon erhalten, daß inzwischen die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag eingebracht hat, der sich auf eine Änderung und Ergänzung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes bezieht. Ich weiß nicht, ob und inwieweit er heute hier behandelt wird; das werden wir ja hören. Wenn Sie etwa diesen Antrag als Entschließungsantrag bei diesem Tagesordnungspunkt vortragen und begründen sollten, dann werden wir uns über Einzelheiten unterhalten; das ist nicht meine Aufgabe. Ich möchte Ihnen aber sagen: ich habe den Eindruck, daß die Methode, die Sie hier wählen, doch ein wenig merkwürdig 'ist. Wochenlang hat der Herr Bundeswohnungsbauminister von der Absicht gesprochen, in einer Novelle zum Zweiten Wohnungsbaugesetz gewisse Tatbestände zu regeln; es ist sogar schon wie eine vollzogene Tatsache verkündet worden. Warum Sie nun gerade kurz vor der Begründung des SPD-Gesetzentwurfs diesen Antrag von sich aus einbringen, ist nicht schwer zu erraten. Sie wollen offenbar Schlagzeilen in den Zeitungen erreichen und solche für die SPD verhindern. Nun, ob das ein besonders schöner Stil ist, weiß ich nicht.

(Abg. Stiller: Und Sie wollten Schlagzeilen bekommen!)

— Herr Kollege Stiller, wir hätten auch ein Recht darauf, Schlagzeilen zu bekommen, denn wir haben ja eine geschlossene Konzeption vorgelegt. Wir beschränken uns eben nicht darauf, ein wenig Flickarbeit vorzuschlagen. Wir bieten Ihnen ein Paar neue Maßstiefel an.

(Beifall bei der SPD.)

Wie gesagt, wir werden uns zu den Einzelheiten noch erklären können und werden das tun.
Schon auf den ersten Blick läßt sich da einiges Kritisches sagen. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Nur das eine muß ich Ihnen sagen: Diese bestellte oder miteinander vereinbarte Arbeit ist keine Maßarbeit geworden. Es läßt sich auf den ersten Blick eine Menge erkennen.

(Abg. Stiller: Das ist auch keine Maßarbeit!)

— Herr Kollege Stiller, Sie halten den Gesetzentwurf der SPD hoch und erklären, das sei auch keine Maßarbeit. Nun, es kommt darauf an, wer sich das anzuziehen bereit ist, was wir vorschlagen. Im übrigen stelle ich zu meiner Freude fest, daß Sie offenbar wenigstens hineingeschaut haben.
Eines wollen Sie bei der Betrachtung dieses Gesetzentwurfs aber bitte nicht außer acht lassen. Uns stand und steht kein Ministerium zur Seite, wenn wir Anträge oder gar Gesetzentwürfe einbringen. Wir müssen diese Arbeit überwiegend allein tun und haben ab und zu das Glück, einige sachverständige Kollegen unter uns zu wissen oder heranholen zu können. Das ist eine schwere Arbeit. Ich muß zu unserer Genugtuung feststellen, daß in einem Teil der Presse, als wir vor einigen Wochen diesen Gesetzentwurf bekannt gaben, sachlich dargestellt wurde, daß es sich zumindest um eine Fleißarbeit



Jacobi (Köln)

handelt und daß wir uns große Mühe gegeben haben, mehr als Vorschläge für den Alltag vorzutragen und in den Gesetzentwurf einzubauen.
Meine Damen und Herren, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht. Mit Genugtuung habe ich zur Kenntnis genommen, daß der Herr Bundeswohnungsbauminister offenbar auch erkannt hat, daß diese Vorlage einen Anspruch darauf erhebt, sachlich beurteilt zu werden und nicht mit einer einfachen Handbewegung abgetan zu werden, wie das oft bei Anträgen und Vorschlägen der Opposition in diesem Hause der Fall gewesen ist. Wenn wir in dieser oder jener Frage Kritik übten, sind wir immer wieder gefragt worden: Wo bleibt denn eure konstruktive Kritik? Meine Damen und Herren, wenn Sie sich mit dieser Vorlage ernsthaft beschäftigen, können Sie nicht leugnen, daß es sich hier um einen solchen Beitrag konstruktiver Kritik und um Vorschläge handelt, mit denen man sich sachlich beschäftigen muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe soeben aus dem Bundesbaublatt eine Feststellung zitiert, die das Abbaugesetz betraf. In diesem Zitat findet sich die Bemerkung vom freien Wohnungsmarkt. Ein freier Wohnungsmarkt bedeutet leider nicht bereits ohne weiteres einen Markt mit freier Konsumwahl. Nach wie vor bestehen Widersprüche zwischen dem rechnerischen und dem tatsächlichen Wohnungsdefizit. Sie alle wissen dies, wenn Sie sich mit den Räten und den Verwaltungen in Ihren Kreisen unterhalten oder wenn Sie mit den Menschen sprechen, die an Sie Fragen richten, wie denn in Zukunft die Wohnungsversorgung aussehen soll, welche Chancen sie haben, eine bessere oder überhaupt eine Wohnung oder eine andere Wohnung zu bekommen für den Fall, daß ihnen die Kündigung droht. Unser Bundestagskollege Heinrich Müller hat sich in seiner Eigenschaft als Landrat des Landkreises Wesermarsch vor einiger Zeit in einem offenen Brief an den Herrn Bundeswohnungsbauminister gewandt und aus der Sicht seines Kreises auf den Widerspruch zwischen Statistik und Wirklichkeit hingewiesen. Ähnliche Feststellungen wurden und werden auch andernorts getroffen. Ich darf in diesem Zusammenhang auf eine besonders gründliche Untersuchung hinweisen, die die Stadt Lübeck über den tatsächlichen Wohnungsbedarf in ihrem Verwaltungsbereich durchgeführt hat, eine eingehende Untersuchung, die auf meinem Tisch liegt, die Ihnen jederzeit zur Verfügung steht,

(Abg. Dr. Hesberg: Die kennen wir auch!)

die sicherlich dem Bundeswohnungsbauministerium und einigen Kollegen bekannt ist.
In dieser und in anderen Untersuchungen wird in einer methodisch absolut einwandfreien Weise nachgewiesen, daß der Wohnungsbedarf, und zwar der subjektive wie auch der objektive, weit höher liegt, als die statistischen Berechnungen es zu erkennen geben. Der Vergleich zwischen Haushaltungen und Wohnungsbeständen kann — das haben wir von dieser Stelle aus und in der Öffentlichkeit immer wieder herausgestellt — nie ein richtiges Bild geben, weil nach dieser Methode die wohnungsbedürftigen Haushaltsteile, etwa die im Haushalt lebenden Einzelpersonen oder Ehepaare, die einen eigenen Haushalt bilden möchten und eine Wohnung suchen, nicht erfaßt werden. Ebensowenig gibt die Statistik einen Einblick in die aus Wohnungsgründen verhinderten Eheschließungen, ein Kapitel, für das sich eigentlich der Herr Bundesfamilienminister einmal interessieren sollte.
Dies sind nur einige kritische Hinweise, die, wie ich bereits angedeutet habe, keineswegs neu sind, jedoch bisher immer wieder überhört wurden. Wir haben allerdings mit Aufmerksamkeit vermerkt, daß sich nach einer Presseverlautbarung seines Hauses vom 27. Februar 1964 Herr Minister Lücke gegenüber den Länderwohnungsbauministern geäußert hat, es werde auch in den weißen Kreisen weitergebaut, „weil nicht nur das rechnerische Wohnungsdefizit beseitigt, sondern auch der Wohnungsbedarf befriedigt werden müsse". Das ist eine Feststellung, die wir begrüßen. Sie sagt genau das, was Wir immer erklärt haben, daß nämlich die Wohnungsdefizitberechnung nicht ausreicht, um Schlüsse hinsichtlich des Wohnungsbedarfs zu ziehen. Alle Feststellungen haben immer wieder ergeben, daß im Zweifel die statistische Berechnung des Wohnungsdefizits nicht die Wirklichkeit wiedergibt, sondern die tatsächliche Mangellage nur unzulänglich erkennen läßt. Optimistische Schätzungen gehen bekanntlich dahin, daß das rechnerische Wohnungsdefizit, von einer Reihe von Brennpunkten des Wohnungsbedarfs abgesehen, in den nächsten zwei Jahren im wesentlichen beseitigt werden könne. Selbst wenn wir dies einmal unterstellen, so ist nach dem Ausgeführten der wirkliche Wohnungsbedarf damit keineswegs abgedeckt.
In diesem Zusammenhang sei noch einmal an die Wohnungen erinnert, die infolge von Überalterung oder wegen der Erfordernisse einer umfassenden Sanierung ersetzt werden müssen.
Der sozialdemokratische Gesetzentwurf versucht, allen diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Er begnügt sich jedoch nicht nur mit der Aufzeigung der damit verbundenen Probleme und mit programmatischen Erklärungen, er legt auch die Verpflichtung des Bundes zu materieller Hilfe fest. In § 45 wird die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Wohnungsversorgung dahin festgelegt, daß in jedem Rechnungsjahr ein Betrag von mindestens 1 Milliarde DM und alle Rückflußmittel aus Wohnungsdarlehen für die Zwecke dieses Gesetzes bereitgestellt werden. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Länder zu entsprechenden Leistungen bereit sind. Wie bei den bisherigen Wohnungsbaugesetzen muß auf eine bundesgesetzliche Festlegung entsprechender Leistungen der Länder und der Gemeinden verzichtet werden. Das hat verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Ursachen, die Ihnen allen bekannt sind. Die Initianten des Gesetzentwurfs gehen jedoch davon aus, daß sich sowohl die Länder als auch die Gemeinden zu der alten und immer wieder auftretenden Gemeinschaftsaufgabe bekennen und sich auch in der Zukunft materiell entsprechend beteiligen werden.
Der Gesetzentwurf setzt an die Stelle der zwangswirtschaftlichen Wohnungsversorgung minderbemit-



Jacobi (Köln)

telter Bevölkerungsschichten die öffentliche Verantwortung für die Wohnungsversorgung aller Bevölkerungsgruppen. Er erklärt die Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik damit erstmalig zu einer umfassenden öffentlichen Aufgabe. Bei der Bedeutung der Wohnung für die Freiheit des Menschen, die Menschenwürde und die sozialen Maximen, die mit der Wohnung verbunden sind, ist eine solche Grundeinstellung vollauf gerechtfertigt.
Der Gesetzentwurf bekennt sich im Grundsatz zu einer marktwirtschaftlichen Wohnungsversorgung. Diese bedarf jedoch dort der Modifizierung, wo zu besorgen ist, daß die gesellschafts- und sozialpolitischen Grundsätze, die mit der Wohnung verbunden sind, in Gefahr geraten können. Das bedeutet keineswegs einen Rückschritt in die Zwangswirtschaft oder die Ausschaltung des Marktes als Regulators. Die bereits eingangs erwähnten, Bund, Länder und Gemeinden zur Pflicht gemachten langfristigen Programme haben keinen anderen Sinn als den einer den Bedürfnissen Rechnung tragenden Marktbelebung. In diesem Zusammenhang und um deutlich zu machen, daß volkswirtschaftlich vernünftig vorgegangen werden soll, [sei auf den Konjunkturbeirat hingewiesen, der in § 50 des Gesetzentwurfs vorgeschlagen wird. Im übrigen soll die Bedarfsdeckung nicht durch eine eigenunternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand erfolgen, sondern in die Hand von privaten Bauherren und dafür geeigneten Unternehmen gelegt werden. Es ist an eine bedarfsorientierte Marktbeobachtung und auf ihr basierende Anregungen, Anreize und j Hilfen für die vielfältigen in der Wohnungswirtschaft tätigen Kräfte gedacht.
Der Gesetzentwurf enthält unter anderem, wie bereits erwähnt, Bestimmungen über die Sanierung. Erst nachdem seine Verfasser die diesbezüglichen Bestimmungen, die sich in den §§ 15 ff. finden, formuliert hatten, sind Einzelheiten über die Absichten des Wohnungsbauministers bekanntgeworden, entsprechende Maßnahmen durch ein Städtebauförderungsgesetz regeln zu lassen. Ein Vergleich der Entwürfe zeigt, daß sich hier weitgehende Übereinstimmungen in der Auffassung und im Grundsätzlichen anbieten. Allerdings muß verwundern, daß der Entwurf des Bundeswohnungsbauministeriums jede finanzielle Verpflichtung des Bundes ausklammert. Das kann sicherlich nicht das letzte Wort in dieser Sache sein. Hier ist der sozialdemokratische Gesetzentwurf konsequenter.
Verzeihen Sie, Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn sie den Herren Kollegen meine Bitte unterbreiteten, die Gespräche etwas leiser zu führen. Der Schall dringt zu mir und stört.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411918200
Herr Abgeordneter Jacobi, ich gehe sogar einen Schritt weiter und bitte die Damen und Herren, die Privatgespräche zu führen wünschen, das außerhalb des Saales zu tun, damit der Redner den Gesetzentwurf in Ruhe begründen kann.

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0411918300
Ich danke, Herr Präsident.
Ich sagte, daß ,der sozialdemokratische Gesetzentwurf hinsichtlich der Finanzierungsregelung konsequenter sei. Er geht davon aus, daß es nicht genügt, Grundsätze für die Sanierung zu statuieren, sondern daß in einem der Sanierung dienenden Bundesgesetz auch eindeutige Bestimmungen über die Mitbeteiligung des Bundes an der Finanzierung enthalten sein müssen.
Ein besonders wichtiges Kapitel des sozialdemokratischen Gesetzentwurfs stellen die den Wohnungsstandard betreffenden Bestimmungen dar. Sie gehen davon aus, daß unsere Wohnungen grundsätzlich den neuzeitlichen Anforderungen entsprechen sollen, und zwar in städtebaulicher, bautechnischer, hygienischer und kulturell-zivilisatorischer Hinsicht. Beim Blick in den die Einzelheiten regelnden § 5, der die Zwischenüberschrift „Mindestanforderungen für den Wohnungsneubau" trägt, wird dieser den mit der bisherigen Gesetzgebung hierzu nicht völlig Vertrauten als ein Novum vorkommen, eben soweit es sich um die Einzelheiten handelt. In Wirklichkeit enthält bereits [das Zweite Wohnungsbaugesetz — worauf aufmerksam gemacht werden muß — in seinem § 40 ziemlich detaillierte Bestimmungen über die Mindestausstattungen der Wohnungen. Sie sind seinerzeit vom Bundestag — auf einen SPD-Entwurf zurückgehend — in die Regierungsvorlage eingebaut worden. Ihr Zweck ist, wie es damals wörtlich im Ausschußbericht hieß, „zu verhindern, daß mit öffentlichen Mitteln unzureichend ausgestattete Wohnungen gebaut werden".
Der sozialdemokratische Gesetzentwurf paßt die Bestimmunegn über die Mindestausstattung den fortschrittlichen Erkenntnissen an, die wir für die Gegenwart und für die Zukunft in gesundheitlicher und wohnkultureller Hinsicht haben sammeln können. Die Gemeinden sollen im Wege der Wohnungsaufsicht für .die Einhaltung des Wohnungsstandards beim Neubau und für die allmähliche Anpassung bestehender Wohnungen im Rahmen .des Möglichen an den Wohnungsstandard Sorge tragen.
Es darf darauf hingewiesen werden, daß auch das Institut der Wohnungsaufsicht keineswegs neu ist. Wir kennen es nicht nur im Ausland — so in Holland, England und in den skandinavischen Staaten—, wir haben selbst in unserem Land, und zwar in unseren Bundesländern, nach wie vor geltende dahin gehende gesetzliche Bestimmungen. Die diesbezüglichen Vorschriften, die die amtliche Aufsicht über den Zustand der Wohnungen und die Wohnungspflege aus Gründen der Erhaltung des Volksvermögens, aus sozialen und politischen Erwägungen regeln, sind lediglich in der Notzeit gleichsam in Vergessenheit geraten. Man hat es nicht für möglich gehalten, sie anzuwenden, aber sie bestehen noch. Das Institut könnte also neu belebt werden. Ich glaube, man kann gar nicht mehr darauf verzichten, wenn man an die gemeinsamen Vorstellungen denkt, die in diesem Hause hinsichtlich der Erneuerung der Städte und Dörfer herrschen.
Im Handwörterbuch des Städtebaus, Wohnungs-und Siedlungswesens — einer der Herausgeber sitzt auf der Regierungsbank: Herr Staatssekretär Professor Dr. Ernst — wird die Wohnungsaufsicht defi-



Jacobi (Köln)

niert als die behördliche Aufsicht über die Gestaltung und Unterhaltung sowie Benutzung von Wohnungen. Es wird davon gesprochen, daß eine entsprechende Einflußnahme auf die Abstellung etwaiger Mißstände eine der Aufgaben dieser behördlichen Wohnungsaufsicht ist. Es findet sich zugleid in diesem Handbuch der Hinweis darauf, daß die Wiederaufnahme einer entsprechenden Aufsicht in unserer Zeit dringlich erscheint. Ich darf das feststellen, weil man gelegentlich in diesen Wochen gehört hat, die Wohnungsaufsicht sei eine quasi marxistische Erfindung, und die Sozialdemokraten ließen in diesem Punkt ihr Godesberger Programm in Stich und versuchten, etwas Schreckliches wieder einzuführen oder neu einzuführen. Das ist ein völliger Irrtum. Er kann nur bei denen auftauchen, die das Material nicht genügend studiert haben.
Ich darf ein weiteres Zitat aus dem Handbuch anführen:
Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege sind ihrem Wesen nach Wohlfahrtsmaßnahmen und sollen nach Möglichkeit Zwang vermeiden und mit Rat und Empfehlung Mißstände abzustellen versuchen. Wo notwendig, soll aber auch mit Zwang Ordnung geschaffen werden. Eine geordnete Wohnungsaufsicht verlangt periodische Überprüfungen aller Wohnungen, wie sie in den Großstädten vor 1933 die Regel waren.

(Abg. Frau Berger-Heise: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, just von solchen Erwägungen geht auch der sozialdemokratische Gesetzentwurf aus. Seine Verfasser befinden sich nach dem Ausgeführten also in recht guter und vom Standpunkt der Mehrheit dieses Hauses her sozusagen sogar in politisch einwandfreier Gesellschaft.
Was für die Modernisierung gilt, muß ganz besonders für die Sanierung gelten. Auch hier wird die Freiwilligkeit erstes Gebot sein und die Durchführung eventuellen Zwanges mit den allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien, die es auch hier zu beachten gilt, erst am Ende stehen. Überhaupt besteht der Kern des sozialdemokratischen Gesetzentwurfes nach dem, was seinen Verfassern vorschwebt und was sie bei der Beratung auch noch ausdrücklich und im einzelnen zusätzlich klarzustellen bereit sind, in dem Versuch der Sicherstellung einer dem einzelnen und zugleich der Gemeinschaft dienenden menschenwürdigen Versorgung mit Wohnungen durch Hilfen mannigfacher Art und nicht in Zwangsmaßnahmen.
Andererseits ist es undenkbar, die Entwicklung einfach dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen und etwa die These aufzustellen, daß Mietfreigaben plus Wohnbeihilfen ein genügender Regulator seien und den Markt in ordentlicher Weise in Funktion brächten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht die Aufgabe der ersten Lesung, alle Einzelheiten eines Entwurfs auszubreiten. Es ist die Aufgabe, die wesentlichen Gesichtspunkte darzustellen. Nach unserer Auffassung können die mit der Weiterführung des sozialen Wohnungsbaus verbundenen Aufgaben nicht auf so einfache Weise gelöst werden wie nach der soeben von mir als ein Anhaltspunkt für das Denken vieler aufgestellten These, Mietfreigabe plus Wohnbeihilfen reichten aus. Das aber gilt in noch stärkerem Umfange über den Wohnungsneubau hinaus für die Aufgaben, die es daneben zu lösen gibt. Selbst wenn man die Förderung städtebaulicher Maßnahmen in Stadt und Land und die Herbeiführung eines Standards bei allen Wohnungen entsprechend dem kulturellen, zivilisatorischen und sozialen Fortschritt — und den bejahen wir ja wohl alle — über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren verteilt, geht es ohne öffentliche Hilfen nicht.
Ich darf zusammenfassen, was uns mit unserem Gesetzentwurf vorschwebt, was unsere Vorstellungen, was unsere Ziele sind. Wir meinen:
Erstens. Jeder Staatsbürger hat das Recht auf eine Wohnung, die einem modernen kulturellen und zivilisatorischen Standard entspricht. Er hat allerdings zugleich die Pflicht, zu seiner Wohnungsversorgung im Rahmen seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten beizutragen.
Zweitens. Auch in einer marktwirtschaftlichen Ordnung bedarf es auf dem Gebiete des Wohnungswesens öffentlicher Förderung. Sie haben über die Behebung sozialer Notstände hinaus die Aufgabe, für einen jederzeit ausgeglichenen Wohnungsmarkt zu sorgen.

(Abg. Dr. Czaja: Für alle!)

— Selbstverständlich für alle! Das habe ich ja auch gesagt: Über die Behebung sozialer Notstände hinaus besteht die Aufgabe, für einen jederzeit ausgeglichenen Wohnungsmarkt zu sorgen. Ein ausgeglichener Wohnungsmarkt, Herr Kollege, ist ein Wohnungsmarkt, auf dem jeder seinen Wohnraumbedarf befriedigen kann.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411918400
Herr Abgeordneter Jacobi, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Czaja?

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0411918500
Bitte!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0411918600
Herr Kollege Jacobi, meinen Sie, daß der Staat diesen ausgeglichenen Wohnungsmarkt für alle zu schaffen hat oder nur für diejenigen, die sich aus eigenen Mitteln nicht ausreichend versorgen können, weil sie die Marktmiete nicht tragen können?

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0411918700
Herr Kollege Czaja, ich weiß, daß Sie ein Fachmann auf dem Gebiet des Wohnungsbaues sind, daß Sie die Gesetze kennen und daß Ihnen die Probleme bekannt sind. Sollten Sie nicht gut zugehört haben? Ist aus meinen Ausführungen denn nicht deutlich geworden, daß ich mit Rücksicht nicht nur auf noch bestehende Notstände, sondern auch mit Rücksicht auf die Notwendigkeiten der Stadterneuerung, der Dorferneuerung und der Modernisierung die Auffassung vertrete, der Staat muß nach wie vor helfen, auch mit Finanzmitteln?! Es geht nicht nur darum, sich für Minder-



Jacobi (Köln)

bemittelte einzusetzen, sondern es kommt darauf an, Marktverhältnisse zu schaffen, die es auf die Dauer jedem gestatten, sich zu versorgen. Dabei darf nicht etwa — darin sehen wir die Gefahr einer bloßen Fortsetzung der Wohnungsbauförderung für einen kleinen Bevölkerungsteil — der Konsumverzicht an die Stelle einer Versorgung treten, die nach unseren Vorstellungen auch in sozialer und kultureller Hinsicht ausreichend sein muß.
Ich darf drittens festhalten: Wir sind der Meinung, daß den genannten Zwecken langfristige Programme zu dienen haben, die außer auf den Neubau von Wohnungen auf die Erhaltung und Modernisierung des bestehenden Wohnungsbestandes sowie auf erforderliche Sanierungsmaßnahmen gerichtet sind.
Dementsprechend ist für uns die öffentliche Verantwortung für das Wohnungswesen eine Daueraufgabe. Wir sind der Meinung, daß sie auch in einer marktwirtschaftlichen Ordnung unverzichtbar ist.
Das sind in gedrängter Form die Prinzipien, von denen wir ausgehen. Von diesen Prinzipien her sind unsere Vorstellungen in einem Gesetzentwurf entwickelt, von dem ich hoffe, daß er uns in sachlicher Beratung alle weiterführt.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411918800
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411918900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die Begründung des verehrten Kollegen Jacobi zum Wohnungsbaugesetz der sozialdemokratischen Fraktion gehört. Nach eingehender und sorgfältiger Prüfung dieses Entwurfs komme ich zu dem Schluß, hier handelt es sich nicht um ein neues Wohnungsbaugesetz im Sinne der Fortentwicklung der bisherigen Gesetzgebung. Bei dieser Vorlage geht es nicht um eine Anpassung an die eingeleitete Neuorientierung der Wohnungswirtschaft. Dieser Gesetzentwurf beinhaltet eine neue wohnungspolitische Grundkonzeption. Insofern trügt der Titel „Drittes Wohnungsbaugesetz".
In dieser Vorlage wird die Wohnungsversorgung primär zur Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden erklärt:

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ihnen, Bund, Ländern und Gemeinden, wird die Verpflichtung auferlegt, durch Bereitstellung eines entsprechenden Angebots an Wohnraum die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum sicherzustellen. Das heißt, daß die Grundsätze der seit vierzehn Jahren so erfolgreichen Wohnungsbaupolitik verlassen werden. Vor vierzehn Jahren, am 28. März 1950, wurde das Erste Wohnungsbaugesetz vom Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedet und wenige Tage später ebenso einstimmig vom Bundesrat. Damals war es noch leichter, Gesetze zu verabschieden. Diese Grundsätze lauteten nach den alten Wohnungsbaugesetzen, dem Ersten und Zweiten Wohnungsbaugesetz, daß Bund, Länder und Gemeinden den Wohnungsbau als vordringliche Aufgabe zu fördern haben. Im Wohnungsbau- und Familienheimgesetz heißt es weiter, gleichzeitig sollen der Sparwille und die Tatkraft aller Schichten des Volkes, also die Selbsthilfe, die Eigenverantwortlichkeit, angeregt werden. Unsere Wohnungsbaupolitik geht von der Vorstellung aus, daß nur in dem Umfang, in dem der Staatsbürger aus eigener Kraft seine Wohnungsversorgung nicht schaffen kann, die öffentliche Hilfe einsetzt. Daß die hier zur Diskussion stehende Vorlage den Grundsatz verläßt, daß die Förderung des Wohnungsbaues zum Ziel haben muß, neben der Beseitigung der Wohnungsnot zugleich weite Kreise des Volkes durch Bildung von Einzeleigentum, besonders in der Form von Familienheimen, mit dem Grund und Boden zu verbinden, scheint mir nicht zufällig zu sein. Dies ergibt sich bei genauer Prüfung der Vorlage aus der politischen Grundkonzeption dieser Vorlage.
Dieser Gesetzentwurf geht von Vorstellungen versorgungsstaatlichen Denkens aus. Die Wohnungsversorgung ist nicht mehr primär Aufgabe des einzelnen Bürgers, der einzelnen Familie, im Rahmen der Möglichkeiten sich zunächst selbst zu helfen, sondern sie wird hier — das ist der bemerkenswerte Unterschied — primär dem Staat und seinen Einrichtungen zugewiesen. Über eine solche Konzeption kann man streiten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411919000
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Berger-Heise.

Margarete Heise (SPD):
Rede ID: ID0411919100
Herr Minister, ist Ihnen entgangen, daß unter § 3 unseres Gesetzes steht: „Jeder Staatsbürger hat die Pflicht, zu seiner Wohnungsversorgung nach seinen wirtschaftlichen Kräften beizutragen" und daß dieser § 3 weit über alle bisherigen Gesetze hinausgeht?

(Zuruf von der Mitte: Reichlich spät bei Ihnen!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411919200
Gnädige Frau, vielleicht wird das die Aussprache noch klären. Ich habe die Konzeption zu ergründen versucht. Der Paragraph ist für mich so etwas wie ein Ornament, das aus dem Grundsatzparagraphen 1 in einen anderen Paragraphen hineingerutscht ist. Ich vermute, daß dadurch die Konzeption eher unklar geworden ist. Aber vielleicht kann die Aussprache das klären.
Ich .sagte, daß man über eine solche Konzeption sprechen könne. Nur möchte ich hier für die Bundesregierung feststellen, daß sie mit unseren gesellschaftspolitischen Vorstellungen vom Staat und von der .staatlichen Ordnung, wie wir sie begreifen, nicht in Einklang gebracht werden kann. So ist es auch zu erklären, daß Ihre gesamte Vorlage konsequent bis in die einzelnen Bestimmungen hinein von einer versorgungsstaatlichen Vorstellungswelt



Bundesminister Lücke
ausgeht. So läßt der Entwurf für die Selbstverantwortung des einzelnen wie auch für den privatwirtschaftlichen Hausbesitz und ebenso für die sich am Markt betätigenden Unternehmen der Wohnungswirtschaft kaum noch einen freien Raum.

(Oho-Rufe von der SPD.)

Während unsere Wohnungsbaupolitik sich seit 14 Jahren bemüht, die Selbstverantwortlichkeit des Staatsbürgers und seiner Familie zu stärken, damit der einzelne Bürger in seinem eigenen und persönlichen Bereich weitgehend Freiheit des Handelns und Selbstverantwortlichkeit besitzt, streben Sie in Ihrer Vorlage eine totale Wohnungsversorgung als Aufgabe des Staates an.

(Zuruf von der SPD: Glauben Sie das wirklich selber?)

Wenn Sie in Ihrer Vorlage die Erneuerung der Städte und Dörfer — in dieser Frage sind wir weitgehend einig —, die Aktivierung einer wirksamen Raumordnung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden bezeichnen, dann kommt darin zum Ausdruck, daß im Interesse des Gemeinwohls diese Aufgabe — also Städtebau, Dorferneuerung, Raumordnung — durch die öffentliche Hand wahrgenommen werden muß, da der einzelne Bürger dazu nicht imstande ist.
Also in dieser Frage sind wir uns völlig einig. Wir unterscheiden uns prinzipiell in den Vorlagen — ich will versuchen, die Gegensätze zu klären — darin, daß Sie auch für die Wohnungsversorgung des einzelnen, und zwar generell, zunächst primär dem Staat, d. h. der öffentlichen Hand, die Verantwortung geben.
Ich habe versucht, meine Damen und Herren, festzustellen, wie die Initiatoren dieser Gesetzesvorlage die Absichten des Gesetzes mit dem neuen Parteiprogramm der Sozialdemokratischen Partei in Einklang bringen wollen. Dabei bin ich auf grundsätzliche Widersprüche gestoßen.

(Zurufe von der SPD.)

— Meine Damen und Herren, Sie respektieren doch,
daß ich mich mit Ihrem Programm auseinandersetze.

(Zuruf von der SPD: Eine schöne Aufgabe!)

Dabei bin ich auf grundsätzliche Widersprüche gestoßen. Die deutsche Sozialdemokratie hat den grundlegenden Wandel ihrer politischen Auffassung im Godesberger Programm von 1959 niedergelegt. Es heißt dort:
Totalitäre Zwangswirtschaft zerstört die Freiheit. Deshalb bejaht die Sozialdemokratische Partei den freien Markt, wo immer wirklich Wettbewerb herrscht.
In vielen Äußerungen der SPD wurde dieser Beschluß in der Folgezeit immer wieder verkündet. Wir kennen die programmatischen Erklärungen der Sozialdemokratischen Partei in fast allen Bereichen. Für die Wohnungswirtschaft formulierte sie 1960 der leider so früh verstorbene Kollege Herr Dr. Brecht bei der zweiten und dritten Lesung des Abbaugesetzes von dieser Stelle aus so:
Die SPD ist gegen die Zwangswirtschaft in der Wohnungsversorgung und tritt gemäß ihrem Godesberger Programm für freie Konsumwahl ein. Sie muß so schnell wie möglich hergestellt werden.
Auch Herr Kollege Jacobi folgte diesem Gedanken, wenn auch in der ihm eigenen etwas vorsichtigeren Art. Vor genau einem Jahr formulierte Kollege Jacobi so:
Auch wir Sozialdemokraten sind nicht gegen eine Einordnung der Wohnungswirtschaft in das System der sozialen Marktwirtschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die jetzt erarbeitete Gesetzesvorlage steht nach meiner Meinung im Widerspruch zu diesen programmatischen wirtschaftspolitischen Aussagen. Herr Kollege Jacobi, dieser Widerspruch ist für mich auch nach Ihrer Begründung noch offengeblieben. Ich frage mich deshalb, ob das Godesberger Programm auch für das Gebiet des Wohnungswesens gilt. Oder — das scheint mir wahrscheinlich zu sein — hat die Koordinierung der Programmgruppe nicht ganz geklappt? Denn wie könnte sonst der als Kanzlerkandidat nominierte, zum Parteivorsitzenden neugewählte Regierende Bürgermeister von Berlin Willy Brandt auf dem Außerordentlichen Parteitag der SPD im Februar 1964 von einem „wegweisenden Dritten Wohnungsbaugesetz" sprechen, während er wenige Minuten später in derselben Rede erklärt:
Jeder sollte mittlerweile wissen, daß wir Sozialdemokraten gegen die Zwangswirtschaft sind, auch gegen bürokratisches Hineinregieren in die Betriebe.
Das sind doch erhebliche Widersprüche, die — und darum bitte ich in dieser Debatte — aufgeklärt werden sollten.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411919300
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411919400
Vielleicht darf ich meine Ausführungen zunächst zu Ende führen. Wir haben später in der Debatte Gelegenheit, darüber zu sprechen.

(Zurufe von der SPD.)

— Es ist leichter, gut zu diskutieren, wenn wir Punkt für Punkt durchsprechen. Das verdient diese bedeutende Vorlage.
Hier ist die Frage zu stellen, ob eine neue Wohnungsbaupolitik notwendig ist. Diese Frage stellen die Sozialdemokraten mit dieser Vorlage. Ziehen wir also zunächst Bilanz aus den 15 Jahren Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung und der Mehrheit des Hauses, die über lange Jahre hinweg die Unterstützung auch der Sozialdemokratischen Partei gefunden hat. Leider scheiterte diese Einstimmigkeit — ich habe das immer bedauert —, als es um die bevorzugte Förderung des Familienheims für breite Volksschichten ging. Seit jener Zeit haben wir uns etwas schwerer getan, Einstimmigkeit auf diesem wichtigen Gebiet zu erzielen.



Bundesminister Lücke
Vor wenigen Tagen habe ich nun mit den für den Wohnungsbau zuständigen Ministern und Senatoren der Länder das Wohnungsbauprogramm für 1964 besprochen. Am gleichen Tage wurde das endgültige Fertigstellungsergebnis des Baujahres 1963 bekannt: über 570 000 Wohnungen, eine außerordentliche Leistung,

(Beifall bei der CDU/CSU)

wenn man den strengen Winter 1962/63 berücksichtigt. Ich darf von dieser Stelle auch namens der Minister und Senatoren der Länder allen am Wohnungsbau Beteiligten, vor allem den Bauarbeitern, unsern Dank aussprechen.

(Abg. Matthöfer: Schönen Gruß an Herrn Erhard! — Heiterkeit links.)

— Ich werde Herrn Bundeskanzler Erhard sagen, daß Sie ihn grüßen lassen und damit zum Ausdruck bringen, wie Sie ihm danken, daß es möglich wurde, im letzten Jahr 570 000 Wohnungen fertigzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nicht zuletzt ist es ja ein Erfolg der sozialen Marktwirtschaft, daß das erreicht worden ist.
Damit ist die Wohnungsbauleistung — über dieses Thema hat Herr Kollege Jacobi mit Recht gesprochen — seit 1949 auf 7,3 Millionen Wohnungen angewachsen; davon sind 3,8 Millionen Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues und 2 Millionen Familienheime. Der Wohnungsbestand in der Bundesrepublik beträgt zur Zeit 17 Millionen. Diese Zahlen, meine Damen und Herren, dürften auch bei dem letzten Skeptiker den letzten Zweifel an dem Erfolg des Ersten und des Zweiten Wohnungsbaugesetzes beseitigt haben. Im Baujahr 1964 — das ist, glaube ich, für die weitere Behandlung der Vorlage wichtig — werden wieder über eine halbe Million Wohnungen fertiggestellt. Die gleiche Voraussage kann ich für 1965 machen. Bis Ende 1965 werden wir eine weitere Million Wohnungen — voraussichtlich werden es noch mehr werden — gebaut haben. Auch dann wird weitergebaut, und ich möchte hier die Versicherung wiederholen, daß diese Wohnungen dort gebaut werden, wo sie gebraucht werden. Mit anderen Worten, es wird auch in den sogenannten weißen Kreisen weitergebaut werden. Auch in den folgenden Jahren, 1967, 1968, 1970 usw., wird weitergebaut werden.
Dann gilt es — Herr Kollege Jacobi, es wäre gut, wenn wir in dieser Debatte diesen Begriff verbindlich klärten —, den Wohnungsbedarf, der sich aus den Wohnwünschen unserer Familien ergibt, zu befriedigen. Ich unterscheide Wohnungsbedarf und Wohnungsdefizit. Die Befriedigung des Wohnungsbedarfs ist jene Aufgabe, die bleibt und die von den jeweiligen Wünschen der einzelnen Bürger und Familien abhängt. Befriedigung der Eigenheimwünsche, Sanierung, Modernisierung der Städte und Dörfer, das erfassen wir mit dem Begriff Wohnungsbedarf. Da liegt die große zukünftige Bauaufgabe, bei der es sich auf lange Sicht um eine Größenordnung zwischen 300 000 und 400 000 Wohnungen jährlich handelt. Ich bin überzeugt, bei normaler, guter wirtschaftlicher Entwicklung wird diese Zahl eher höher als niedriger werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wohnungswirtschaft befindet sich in einer Phase der Neuorientierung und Neuordnung. Der entscheidende Anstoß war die Verabschiedung des Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und die Einführung eines sozialen Miet- und Wohnrechts. Der hiermit eingeschlagene Weg ist inzwischen weiter ausgebaut worden. Das Gesetz befindet sich seit nunmehr etwas über vier Monaten in der praktischen Bewährung. Mein Vertrauen in die marktwirtschaftliche Ordnung ist bisher nicht enttäuscht worden. Auch die Minister und Senatoren der Länder haben mir in der vergangenen Woche bestätigt, daß man weder von einer Kündigungswelle noch — bis auf vereinzelte bedauerliche Ausnahmen, in denen die Betreffenden zur Rechenschaft gezogen werden — von wucherischen Mietforderungen sprechen könne.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Ich bin der Auffassung, daß es im gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu früh ist, ein abschließendes Urteil über die Auswirkungen aller gesetzlichen Maßnahmen auf diesem Gebiet abzugeben. Aus gutem Grund ist der Übergang von der über 40 Jahre währenden Wohnungszwangswirtschaft zur sozialen Wohnungswirtschaft auf mehrere Jahre verteilt worden. Alle beteiligten Mieter und Vermieter brauchen Zeit und Ruhe, um sich auf die neuen Bedingungen der Partnerschaft einer marktwirtschaftlich orientierten Wohnungsversorgung einstellen zu können.
Die Frage, die durch die Vorlage aufgeworfen wird, ob wir eine neue Wohnungsbaupolitik brauchen, kann ich also mit Nein beantworten. Die Wohnungsbaupolitik, wie wir sie betreiben, sichert ein Höchstmaß an Freiheit und sozialer Sicherheit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Wohnungsbaupolitik verlangt von dem Bürger ein gesundes Maß an Selbstverantwortung und Eigeninitiative, an Sparkraft und Selbsthilfe. Diese Wohnungsbaupolitik war erfolgreich und muß deshalb fortgesetzt werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun erlauben Sie mir hier einen Blick auf die zukünftigen Aufgaben. Die Zielsetzungen unserer Wohnungsbaupolitik sind weithin bekannt. Sie sind durch die Bezeichnung meines Hauses deutlich umrissen. Die Basis für die Neuordnung des Wohnungswesens ist das Abbaugesetz. Die anderen wohnungswirtschaftlichen und mietrechtlichen Bestimmungen bauen logisch darauf auf. Eigentumsmaßnahmen im Wohnungsbau behalten nach wie vor Vorrang. Sie sind integrierender Bestandteil der Eigentumspolitik der Bundesregierung. Neben dem im Ausschuß anstehenden Raumordnungsgesetz ist ein besonderes Städtebauförderungsgesetz, ein Gesetz ,zur Erneuerung der Städte und Dörfer, in Vorbereitung. Ich bin dem Herrn Kollegen Jacobi außerordentlich dankbar, daß er bei dieser wichtigen Frage weitgehende Übereinstimmung zu erkennen gab. In diesem Gesetz, mit dem die Elendswohnungen in den Dörfern und Städten beseitigt werden sollen, werden die rechtlichen Vorausset-



Bundesminister Lücke
zungen und die Förderung — Herr Kollege Jacobi, Sie haben mit Recht gesagt, daß in der Vorlage noch ein Leertitel ist — der von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam zu leistenden Aufgabe der Sanierung unserer Dörfer und Städte geregelt. Hiermit wird der Weg von der Wohnungspolitik bisheriger Prägung zu einer umfassenden Politik des Städtebaus und der Dorferneuerung im Rahmen einer modernen Raumordnungbeschritten.
Unter der Verpflichtung der beiden großen Wohnungsbaugesetze, die Wohnungsnot zu beseitigen, sind in den vergangenen Jahren rund 47 Milliarden DM öffentliche Mittel unmittelbar in den Wohnungsbau geflossen. Man sollte nunmehr — das ist kein Widerspruch — von den allgemeinen Förderungsmaßnahmen mehr zu gezielten Maßnahmen übergehen, um die Probleme der strukturell bedingten Wohnungsnot 2u lösen. Ich meine das Problem der alten Leute, das morgen das Hohe Haus beschäftigen wird, das Problem der jungen Familien und nicht zuletzt die Frage der kinderreichen Familien.
In diesem Sinne, Herr Abgeordneter Jacobi, beantworte ich Ihre Frage nach der Fortführung der öffentlichen Förderung so, daß auch noch nach 1966 öffentlich gefördert werden muß. Es ist jedoch ein Unding, auch dann, wenn ,die Vollversorgung mit Wohnungen erreicht ist — und das wird bald sein —, in großem Umfange mit öffentlichen Geldern ständig neue Sozialwohnungen zu bauen und zugleich einen zunehmenden Anteil der bereits vorhandenen in verkehrten Händen zu belassen. Nach unseren Überlegungen soll den Gemeinden die rechtliche Möglichkeit gegeben werden, fehlbelegte Wohnungen im Rahmen durchaus großzügiger Bestimmungen — das gilt in den Gebieten, wo die Zwangswirtschaft abgebaut ist und der Markt seine Funktion voll erfüllen kann — für echte Wohnungsnotfälle frei zu machen.

(Abg. Strohmayr: Mit Zwang, Herr Minister!)

— Es ist Ihrer und unserer aller Mühe überlassen, die Wege zu finden, auf denen eine gerechte Belegung der Sozialwohnungen möglich ist. Ich bin der Meinung, verehrter Herr Kollege Strohmayr, daß derjenige, der sich zu Lasten der Allgemeinheit eine solche Wohnung leistet und ein hohes Einkommen hat, keine Schonung auf Kosten des Gemeinwohls verdient. Nur so wird es gelingen, die kinderreichen Familien — da liegt eine immer schwerer werdende Aufgabe —, die jungen Familien und die Rentner mit bescheidenem Einkommen auch in der Zukunft, und ich spreche hier ja von den zukünftigen Aufgaben, in einer preisgünstigen Sozialwohnung unterzubringen.
Meine Damen und 'Herren! Die mit einem Einsatz von 47 Milliarden DM öffentlicher Mittel geförderten Sozialwohnungen gehören in die Hand derer, für die sie gebaut worden sind.

('Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nur dann kann diese enorme Investition an Steuergeldern verantwortet werden.
Ich fasse zusammen. Der Abau der Wohnungszwangswirtschaft wird konsequent fortgeführt. Die öffentliche Wohnungsbauförderung wird als gezielte Maßnahme vor allem für kinderreiche Familien, junge Familien und alte Leute beibehalten. Die öffentliche Wohnungsbauförderung bleibt integrierender Bestandteil der Eigentumspolitik. Ein besonderes Städtebauförderungsgesetz regelt den schwierigen Komplex der durchgreifenden Sanierung unserer Dörfer und Städte. Durch einen Umbau der gesetzlichen Vorschriften sollen die Zweckbestimmungen der Sozialwohnungen befriedigend geregelt werden.
Meine Damen und Herren! In den nächsten Wochen wird sich der Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung mit einer Reihe wichtigster Vorlagen zu befassen haben. Bei den Beratungen wird sich Gelegenheit finden, die zahlreichen und schwierigen Themen eingehend zu erörtern. Das wird um so erfolgreicher sein, als gerade der Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung bisher verstanden hat, die schwierigsten Probleme — und es sind schwierige Probleme — sachlich zu Ende zu beraten. Das soll — das ist mein Wunsch — auch bei dieser von der Opposition eingereichten Vorlage geschehen.
Das Ziel all dieser Bemühungen — und so bewerte ich auch die Initiative der Opposition — sollte auch in der Zukunft sein, alles zu tun, damit bald die letzte Familie, die letzte alleinstehende Person eine gute Wohnung hat. Trotz aller sachlichen Gegensätze — die Gegensätze sind groß, und wir sollten sie deutlich machen und darüber sprechen, um zu einer vernünftigen Basis zu kommen — findet sich die Bundesregierung mit Bundesrat und Bundestag in dem Bemühen einig, ,alles zu tun, um auf diesem wichtigen Gebiete Ordnung zu schaffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien).


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411919500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hesberg.

Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411919600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU darf ich unsere Auffassungen zu der Vorlage des von der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dritten Wohnungsbaugesetzes darlegen und im besonderen auch klarmachen, welche Tendenzen von uns für die weitere Entwicklung dieses Gesetzgebungskomplexes verfolgt werden.
Herr Jacobi hat bereits darauf hingewiesen, daß der Untertitel des Entwurfs „Bundeswohnungsgesetz" besagt, daß der hier vorliegende Gesetzentwurf weitergreifende Zielsetzungen beinhaltet als das derzeitige Wohnungsbaugesetz. Dieser Untertitel erinnert bekanntlich an das Wohnungsgesetz vom 28. März 1918, das jetzt also bald 50 Jahre zurückliegt und, seinerzeit verabschiedet von der vorletzten Königlich-Preußischen Staatsregierung, noch Ausdruck polizeistaatlichen Denkens war. Es war — dieser Vergleich mit der Gegenwart ist ganz interessant — ein Bukett von neun Artikeln, das Vorschriften aller Art enthielt, Vorschriften baurechtlicher Art brachte, vor allem zur Bauplanung; zur



Dr. Hesberg
Raumordnung und Stadterweiterung auf den Weg der Eingemeindung verwies; Vorschriften zur Benutzung der Gebäude im Rahmen von Wohnungsordnungen festlegte; letzten Endes auch, wie Herr Kollege Jacobi schon andeutete, die Wohnungsaufsicht begründete und damit zugleich bei den Gemeinden die Wohnungsämter einsetzte, die später eine ganz andere Aufgabe bekamen, weshalb sie wohl in den weitesten Bevölkerungskreisen nicht gerade in bester Erinnerung sind.
Auch die Förderung der Wohnungsbautätigkeit wurde schon in jenem Gesetz in Angriff genommen, und zwar durch die Bereitstellung von 20 Millionen Mark für die Beteiligung des preußischen Staates an gemeinnützigen Bauvereinigungen.
Insgesamt zielte das Gesetz auf eine Verbesserung der Wohnungsverhältnisse ab, es wollte der Überbelegung steuern. Da diese aber mehr eine Folge der wirtschaftlichen und Einkommensverhältnisse war, konnten solche Normen kaum den entsprechenden Erfolg haben.
In der Anlage erinnert der Initiativgesetzentwurf, der uns jetzt in Drucksache IV/1850 vorliegt, durchaus an die Konzeption des Gesetzes vom Jahre 1918. Dem Inhalt nach ist er jedoch grundlegend anders geartet. Damals beschränkte man sich auf Novellierungsvorschriften. Demgegenüber bringt der vorliegende Gesetzesantrag der SPD grundlegende, neue Vorschriften, die sich auf einen weit über den bisher geförderten Personenkreis hinausgehenden Kreis beziehen.
Neben dem Wohnungsbau ist auch die Modernisierung angesprochen. Das wird angesichts der Versäumnisse, die letzten Endes die Zwangswirtschaft verursacht hat, jeder begrüßen. Vor allen Dingen aber wird die auch von Herrn Minister Lücke gewürdigte, über die allgemeine Wohnungsbautätigkeit hinausgreifende Sanierung angesprochen.
Aus der bisherigen Diskussion im Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung ist allen Experten des Ausschusses bekannt, daß eine Novellierung des Wohnungsbaugesetzes und auch die Einbringung eines Gesetzentwurfes zur Stadt-und Dorferneuerung beabsichtigt ist.
Der vorliegende Entwurf der SPD sieht die Zusammenfassung dieser verschiedenen Materien in einem Gesetz vor. Es ergibt sich die Frage, ob diese Zusammenfassung zweckmäßig ist. Nach den gründlichen Überlegungen, die wir angestellt haben, sind meine Freunde' und ich zu der Auffassung gekommen, daß diese Zusammenfassung nicht zweckmäßig ist. Ich will Ihnen auch die Gründe dafür darlegen.
Wenn man sich beispielsweise die Bestimmungen Ihres Gesetzentwurfs über die Stadtsanierung ansieht, stellt man fest, daß sich Ihr Vorschlag auf die sogenannte Flächensanierung beschränkt.
Meine Damen und Herren, ein anerkannter Fachmann des Städtebaues und der Raumordnung stellte kürzlich lapidar fest: „Wir leben heute in einer Desorganisation des Raumes." Er wollte damit sagen, daß die unerträgliche Verdichtung innerhalb
unserer Ballungsgebiete nicht dadurch beseitigt werden kann, daß man eine untragbare flächenmäßige Ausnutzung zwar durch eine geringere Flächenbebauung ersetzt, dafür aber in die Höhe geht, daß heißt, zum Hochhaus und — um es einmal überspitzt zu sagen — zum Wolkenkratzer. In eine umfassende städtebauliche Konzeption müssen daher neben der Sanierung im engeren Sinne auch sonstige Erneuerungsmaßnahmen wie der Bau neuer Ortsteile, der Bau neuer Städte und die Weiterentwicklung vorhandener Wohnorte einbezogen werden. Hierzu ist es meines Erachtens erforderlich, ein besonderes Gesetz mit eigenen Vorschriften über die Finanzierung zu schaffen.
Herr Kollege Jacobi, Sie führten dazu aus, daß der Entwurf des Bundeswohnungsbauministeriums darüber keine Vorschriften enthalte. Sie dürften wohl auch wissen, daß sich der Herr Bundeswohnungsbauminister darum bemüht hat und daß praktisch ein Referentenentwurf veröffentlicht worden ist, der noch nicht mit den zuständigen Ministerien abgeglichen war.
Wir sind der Überzeugung, daß die Bundesregierung alsbald eine Vorlage einbringen wird, die auch diese finanzielle Seite regelt. Wir .möchten aber heute bereits die Bundesregierung auffordern — in dem Antrag Drucksache IV/2010 haben wir es auch getan —, die Vorlage dieses Gesetzes zu beschleunigen; denn wir sind der Meinung, daß die Voraussetzungen für den Beginn der Sanierung in den weißen Kreisen bereits gegeben sind und man darauf jetzt zusteuern sollte.
Meine Damen und Herren, als Mangel des SPD-Entwurfs ist vor allem das Fehlen von Regelungen für Sanierungsträger anzumerken. Dafür besteht ein ganz außerordentlich großes praktisches Bedürfnis. Weiter fehlen Bestimmungen zur Sicherung des privaten Eigentums, u. a. also Normen zur Reprivatisierung bei Durchführung der Sanierung durch Wohnungsunternehmen, seien sie nun gemeinnütziger oder privater Art. Wir möchten, daß privates Eigentum, das unter die Sanierung fällt, auch künftig wieder privates Eigentum wird, vielleicht in einer anderen Form, aber jedenfalls grundsätzlich.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Kombination von Wohnungsbaugesetz und Sanierungsgesetz empfiehlt sich aber auch deswegen nicht, weil normale Förderungsbestimmungen des Wohnungsbaus nicht genügen. Es kommt nicht nur darauf an, die Gebäulichkeiten abzureißen und neue Gebäude zu errichten und zu finanzieren. Wir wissen als Baufachleute alle, welch hoher unrentierlicher Finanzierungsbedarf hier gegeben ist und daß auch dafür in einem Sanierungsgesetz entsprechend Vorsorge getroffen werden muß. Das kann nicht allein in einem Wohnungsbaugesetz geregelt werden.
Auch für die Fortsetzung der Wohnungsbauförderung nach Überführung des Wohnungsaltbestandes in die soziale Marktwirtschaft halten wir ein neues Wohnungsbaugesetz keineswegs für erforderlich. Die Leistungen, die auf der Grundlage des gelten-



Dr. Hesberg
den Gesetzes seit 1956 — ich meine, seit Erlaß des Zweiten Wohnungsbaugesetzes — erzielt worden sind, beweisen, daß es sich bewährt hat. Es erübrigt sich hier, auf die Anzahl der erstellten Wohnungen seit 1949, auf die Anzahl der öffentlich geförderten Wohnungen, auf das Ausmaß der Eigentumsbildung und den Umfang der öffentlichen Mittel nochmals einzugehen. Ich beziehe mich hier auf die globalen Darstellungen des Herrn Bundeswohnungsbauministers. Aber daß sich der Bund der Förderung auch nach Beseitigung der Wohnungsnot annehmen wird, beweist allein schon die Fortsetzung des Wohnungsbaus in den weißen Kreisen in den, letzten Jahren. Ich glaube, es besteht kein Anlaß zur Sorge, daß mit dem Ende des Jahres 1965 die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus eingestellt werde.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411919700
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?

Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411919800
Bitte sehr! Vizepräsident Schoettle: Bitte, Herr Jacobi.

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0411919900
Herr Kollege Hesberg, können Sie noch einmal deutlich machen, inwieweit die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung ein Beweis dafür ist, daß es weiterer gesetzlicher Regelungen nicht bedarf. Wollen Sie deutlich machen, wieso es eine besondere Belobigung verdient, daß Bund, Länder und Gemeinden entsprechend dem, was das Bundeswohnungsbaugesetz ihnen auferlegt hat, gehandelt haben? Das habe ich nicht verstanden.

Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411920000
Von den Ländern habe ich ja gar nicht gesprochen, Herr Kollege. Ich wollte Ihnen deutlich machen, daß Sie sich in einem großen Irrtum befinden, wenn. Sie meinen, daß das Wohnungsbaugesetz mit dem Jahre 1965 ausläuft. Das Gesetz ist nicht befristet, sondern es läuft weiter.

(Abg. Jacobi wenn das nicht neu geregelt wird!)

— Nein, das läuft nicht weg, Herr Kollege Jacobi; Sie werden gleich hören, wo die Mittel stecken.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, die Wohnungsbautätigkeit wird nach Maßgabe des Wohnungsbaugesetzes weiter gefördert werden; Herr Minister Lücke hat bereits ausgeführt, es werde darüber zu diskutieren sein, in welchem Rahmen. Aber das eine sei auch an dieser Stelle vorweg festgestellt: selbst wenn wir 300 000 bis 400 000 Wohnungen im Jahr errichten, wird es nicht zweckmäßig sein, Wohnungsbau im sozialen Wohnungsbau nur um der Sache selbst willen zu betreiben sondern man sollte auch — wie es Herr Minister Lücke hier schon dargestellt hat — darauf Bedacht nehmen, daß gerade der vorhandene Wohnungsbau, der vorhandene soziale Wohnungsbau der Zweckbestimmung zugeführt wird, für die wir diese Bauten finanziert und errichtet haben. Die zweckmäßige Verteilung wird gerade für die Kreise, die auch in der Zukunft der Fürsorge des Staates bedürfen, zu gewährleisten sein. Dies ist eine vordringliche Aufgabe, die wir auch in unserem Antrag auf Drucksache IV/2010 entsprechend herausgestellt haben.
Auf diese Weise wollen wir besonders die Bereitstellung ausreichenden Wohnraums für kinderreiche und junge Familien, vor allen Dingen aber auch für alte Leute, sichern. Wir befinden uns hier durchaus in Übereinstimmung mit dem Wohnungsbauministerium und der Bundesregierung. Wir werden hierauf den sozialen Wohnungsbau mehr als bisher zu konzentrieren haben und vor allen Dingen auch besondere Förderungsmaßnahmen durch erweiterte Bürgschaften und die Ausweisung besonderer Fonds zum kombinierten Einsatz von Objektfinanzierung, Aufwendungs- und Wohnbeihilfen. Namentlich für Alterswohnungen und die Versorgung Kinderreicher werden solche gezielten Maßnahmen zu ergreifen sein. Die Förderungsmaßnahmen für die kinderreiche Familie scheinen uns besonders wichtig zu sein, und zwar in dem Sinne, wie die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen das Problem in vorbildlicher Weise bei den Familienzusatzdarlehen gelöst hat. Wir sollten gerade hier die Eigentumsbildung der kinderreichen Familien durch entsprechende Gestaltung der Vorschriften über Familienzusatzdarlehen fördern.
Schließlich erscheint es mir dringlich, daß sich nach der Liberalisierung die Konzentration der Wohnungsbauförderung beim Bund auf die Förderung des Baues von Wohnungen bei der Durchführung raumordnerischer Maßnahmen richtet. Hier werden sich Wohnungsbauaufgaben ergeben, wenn das Raumordnungsgesetz eines Tages zur Durchführung gelangen wird, die nicht allein von Bund und Ländern gelöst werden können, sondern auch der Mithilfe des Bundes bedürfen werden. Bei dem Einsatz der Bundesmittel halten wir an der nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz entwickelten Methode der Kombination von Kapitalsubventionen, Mischsubventionen und Bundesbürgschaften — und zwar Bundesbürgschaften, deren Bedingungen noch wirksamer gestaltet werden könnten, als das zur Zeit der Fall ist — fest.
Auf steuerliche Vergünstigungen sollten wir nicht verzichten, wie Sie, Herr Kollege Jacobi, es in Ihrem Gesetzentwurf getan haben. Wenn der Wohnungsbau in der Zukunft in einem bescheideneren Rahmen durchgeführt wird, dürfte es auch den Gemeinden zumutbar sein, in diesem Rahmen durch Grundsteuervergünstigungen dazu beizutragen, obwohl natürlich zu überlegen ist, ob man hinsichtlich aller Einkommensschichten so weit gehen sollte, wie das im Augenblick bei der Grundsteuervergünstigung der Fall ist. Aber was mir besonders dringlich erscheint, ist die weitere steuerliche Förderung der Eigentumsbildung. Hier ist künftig der Einsatz privaten Kapitals unentbehrlich. Das setzt eine entsprechende steuerliche Sparförderung und eine weitere Gewährung der Wohnungsbauprämien zur Ansammlung dieser Mittel voraus. Ich denke, daß mein Kollege Czaja nachher noch auf den Antrag



Dr. Hesberg
Drucksache 2010, auf den ich schon kurz eingegangen bin, im einzelnen eingehen wird.
Für die Wohnungsbauförderung ab 1966 bedarf es also, wenn wir nach dieser Richtung novellieren, keines Dritten Wohnungsbaugesetzes. Eines neuen Gesetzes bedarf es auch nicht, wenn das Gesetz selber keine bestimmten Angaben über den Einsatz öffentlicher Mittel — und zwar von Bundesmitteln — enthält.
Der Irrtum, der hinsichtlich des Auslaufens des Zweiten Wohnungsbaugesetzes besteht, beruht hauptsächlich darauf, daß im Wohnungsbaugesetz ein Fonds von 700 Millionen DM enthalten ist, der im Jahre 1956 in das Gesetz eingefügt worden ist, nachdem man vorher immer Lösungen von Zeit zu Zeit getroffen hatte. Dieser 700-Millionen-Fonds sah eine Degression von jährlich 10 % vor. Er beträgt in diesem Jahr 210 Millionen DM im Haushalt des Wohnungsbauministers, also im Einzelplan 25. Aber — und das ist das Entscheidende, und hier bitte ich Sie, meine Kollegen von der Opposition, einmal aufzumerken — der in Rede stehende Fonds von 700 Millionen DM hat immer nur einen kleinen Anteil an den Gesamtmitteln, die dem Wohnungsbau alljährlich aus Bundesmitteln erschlossen worden sind, ausgemacht. Das gilt auch für dieses Jahr und sicherlich auch für das nächste und das übernächste Jahr. 1963 machten diese Mittel des degressiv ausgestatteten Fonds ein Zehntel von insgesamt 2,58 Milliarden DM aus, und 1964 werden sie etwa ein Elftel von 2,55 Milliarden DM an Bundesmitteln sein, die im Haushalt des Wohnungsbauministers ausgewiesen sind.
Aber auch auf die übrigen Etats des gesamten Bundeshaushalts verteilen sich noch sehr beträchtliche Ansätze für den Wohnungsbau, und zwar sind es bekanntlich Mittel, die aus dem Bundestopf fließen. Ich erinnere an die erheblichen Ansätze für Wehrmachtswohnungen und für den Wohnungsbau im Bereich des ländlichen Siedlungswesens, der sich ebenso wie auch ,der Wehrmachtswohnungsbau z. T. nach den Vorschriften des Wohnungsbaugesetzes vollzieht.
Neben der Fürsorge für die Bundesbediensteten und Bundeswehrangehörigen ist aber auch die Wohnungsfürsorge der Bundesunternehmen zu erwähnen, vor allem der Bundesbahn und der Bundespost. Damit, nämlich durch diese Fürsorge des Staates und seiner Unternehmen, erfährt praktisch der Etat eine erhebliche Entlastung hinsichtlich des gesamten Wohnungsbedarfs.
Von erheblicher Tragweite ist, daß 1963 und 1964 durch Zinsverbilligungszuschüsse Finanzierungsmittel des Kapitalmarktes in Höhe von 800 Millionen DM im vergangenen Jahr und voraussichtlich 750 Millionen DM in diesem Jahre mobilisiert werden. Dadurch werden der Kapitalsubvention ähnliche Bedingungen geschaffen, wenn diese Bedingungen auch nur vorübergehend geboten werden. Aber ihre Ablösung durch Wohnbeihilfen ist durch das Wohnbeihilfengesetz für die Fälle gegeben, in denen die sozialen Voraussetzungen das erfordern.
Hervorzuheben ist nicht zuletzt die bemerkenswerte Tatsache, daß der Degression des 700-Millionen-Fonds auf der anderen Seite als ein beständiger Ertrag des Einzelplans 25 die Progression der Zins-und Tilgungsrückflüsse der vom Bund eingesetzten Kapitalien gegenübersteht, und zwar auf Grund einer Bestimmung, die wir 1956 im Wohnungsbaugesetz eingefügt haben. Das waren im vergangenen Jahre 150 Millionen DM, im kommenden Jahre sind es 160 Millionen DM, im Jahre 1966 werden es 200 Millionen DM sein und 1968 wahrscheinlich schon 1/4 Milliarde DM. Sie sind für die Wohnungsbauförderung gebunden. Es wäre zu wünschen, daß die Länder in ähnlicher Weise Bestimmungen erließen, die ihre Kapitaleinsätze auch für die Zukunft der Förderung des sozialen Wohnungsbaus und anderer Wohnungsbauaufgaben nutzbar machten.
Bei der Degression dieses Fonds des Wohnungsbaugesetzes war es die Vorstellung des Gesetzgebers, daß die öffentlichen Mittel von damals 700 Millionen DM allmählich durch den Einsatz privater Mittel ersetzt werden sollten. So sollte der Übergang zur sozialen Marktwirtschaft erfolgen, und im Rahmen der Förderung sollte diese Kapitalsubvention durch die individuelle Subvention ersetzt werden. Damals — daran werden sich alle erinnern, die in diesem Hause daran mitgearbeitet haben — wurden auf diese Mittel des 700-Millionen-Fonds diejenigen Mittel angerechnet, die der Staat für die Wohnungsbauprämien ausgeben mußte. Hier fand eine Verrechnung statt, die in diesem Hause lange umkämpft war, bis wir es erreicht hatten, daß die Wohnungsbauprämien erst teilweise und dann ganz auf den Bund übernommen worden sind und nicht hier gedeckt werden.
Das Ergebnis ist also, daß der Degression des 700Millionen-Fonds eine sehr erhebliche Progression der für den Wohnungsbau auf Grund der Sparförderung verfügbaren Mittel gegenübersteht. 1961 hatten wir nämlich 206 Millionen DM Prämien, 1962 271 Millionen DM, 1963 375 Millionen DM Wohnungsbauprämien. Ein Vielfaches davon ist der angesparte Kapitalbetrag, der in Form nachstelliger Hypotheken der Bausparkassen oder in Form von Eigenkapital der Bausparer oder Wohnbausparer im Wohnungsbau, im besonderen im sozialen Wohnungsbau, angelegt worden ist. Das Fazit ist, daß den Abgängen bei der Kapitalsubvention mehr als genügend Ausgleichsmittel gegenüberstehen.
Insgesamt kann man also positive Ergebnisse des ganzen Instrumentariums des Zweiten Wohnungsbaugesetzes hinsichtlich des Volumens der für den Wohnungsbau erschlossenen Mittel feststellen. Die Wohnungsbauergebnisse bestätigen dies ebenso eindeutig wie der Gesamtbetrag der seit 1949 eingesetzten Bundesmittel. Eine positive Beurteilung ist vor allem angesichts der Entwicklung der Wohnungsqualität gegeben. Die Ausweitung der Wohnungsfläche, nämlich die Zunahme der Fläche der Wohnungen um ein Drittel gegenüber 1956, ist ein eklatanter Erfolg des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und beweist, daß die Menschen trotz der Steigerung der Baukosten bereit sind, auch einen ent-



Dr. Hesberg
sprechend höheren Beitrag für die Wohnungsversorgung aufzubringen.
Es ist weiter entscheidend, daß sich trotz der Verteuerung des Wohnungsbaus gerade durch den Einsatz der öffentlichen Mittel und durch die Spartätigkeit auch die Ausstattung ganz erheblich verbessert hat. Zentral beheizte Wohnungen, deren Anteil 1956 noch verschwindend gering war, sind heute bei vier Zehnteln aller Neubauwohnungen der letzten Jahre üblich.
Es liegt uns fern, diese Ergebnisse allein auf das Konto der Bundesregierung und des Bundestages zu setzen. Wir sind uns sehr wohl der Mithilfe der Länder und der Gemeinden bewußt. Ich stehe nicht an, das auch von uns aus heute anzuerkennen und mit Nachdruck festzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Bilanz ist folgende: Auch in den nächsten Jahren kann aus dem Bundeshaushalt und durch das Wohnungsbaugesetz noch ein erheblicher Betrag zur Förderung des Wohnungsbaus beigesteuert werden. Ich will damit nicht sagen, daß er ausreichend ist. Im Vergleich zum derzeitigen Stand des Fonds des Wohnungsbauministeriums und auch des ganzen Bundeshaushaltes erscheint mir das, was Sie vorhin mit einer Milliarde angegeben haben, reichlich bescheiden. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber, ob und welche Mittel ab 1966 notwendig sein werden, wird man sich erst zu gegebener Zeit unterhalten können. Ob sie ausreichen
oder ob wir zu einer Sanierung noch weiterer erheblicher Mittel bedürfen, darauf werden wir auch von uns aus ebenso achten wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition. Es erscheint uns aber verfrüht, schon die Dispositionen für das Jahr 1966 zu treffen. Eine Milliarde DM erscheint dem nicht eingeweihten Publikum viel, wenn auch heute meist nur noch höhere Kapitalsummen Eindruck machen. Was bedeutet aber eine Milliarde DM bei der vorgeschlagenen Ausweitung des Personenkreises, die nach Ihrem Gesetz, Herr Kollege Jacobi, festzustellen ist? Von der Einkommenseite her verdoppeln Sie ja praktisch den derzeitigen Kreis derer, die nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz auf Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus einen Anspruch haben. Damit erfassen Sie 80 bis 90% der gesamten Bevölkerung.

(Abg. Dr. Willeke: Hört! Hört!)

Ich hörte dieser Tage, daß diese Ausweitung der Einkommensgrenze dazu dienen könnte, praktisch das Problem der Fehlbelegung der Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus nach dem Ersten Wohnungsbaugesetz zu lösen. Dann wären diese nicht mehr fehlbelegt. Eine solche Absicht unterstelle ich Ihnen natürlich nicht, aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Freunde und ich möchten auf keinen Fall eine generelle Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten. Wir sind wohl bereit, für bestimmte Personenkreise die Förderung zu verbessern. Aber wie hier schon gesagt worden ist: der SPD-Antrag läuft auf eine totale staatliche Wohnungsversorgung hinaus, und zwar als eine Daueraufgabe. Die Wohnungsversorgung ist nach
dem Wortlaut der SPD-Vorlage nicht primäre Aufgabe des einzelnen, sondern primäre Aufgabe des Staates. Der Bürger soll nur noch nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten dazu beitragen. Das heißt, die Hauptsache soll zunächst einmal der Staat tragen, und nachher zahlt der einzelne Staatsbürger noch ein paar Groschen hinzu.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411920100
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?

Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411920200
Bitte!

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411920300
Bitte, Frau Abgeordnete Meermann!

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0411920400
Darf ich fragen, Herr Dr. Hesberg, nach welchen Möglichkeiten der Bürger dann zur Wohnungsversorgung beitragen soll, wenn nicht nach seinen wirtschaftlichen?

Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411920500
Das gehört an den Anfang, Frau Kollegin. Nach Ihrem Gesetz ist es jedenfalls nicht anders zu verstehen: Der Staat hat Wohnungen zu bauen noch und noch, und wenn der einzelne sie nicht bezahlen kann, muß der Staat draufgeben,

(Zurufe von der SPD: Das ist ja primitiv! — Das unterstellen Sie!)

und zwar bis zur doppelten Höhe des Betrages, der heute nach dem Wohnungsbaugesetz maßgebend ist. Vielleicht hätten Sie sich bei einer etwas geschickteren Formulierung diese Auslegung nicht zugezogen; aber nach der von Ihnen gebrauchten ist sie zwingend.
Wir bleiben bei den Prinzipien des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, der Eigenverantwortlichkeit aller Schichten. Der Staat hat nur subsidiär Hilfe zu leisten und der Beseitigung der Wohnungsnot und der Förderung der Eigentumsbildung zu dienen. Das Sparen der Bürger für die Wohnung und ihre Bereitschaft, Lasten nicht unerheblicher Art auf sich zu nehmen, haben in den letzten Jahren erwiesen, daß die Bevölkerung in ihren weiten Schichten mit dieser grundsätzlichen Auffassung der CDU/CSU in vollem Umfang solidarisch geht.

(Beifall in der Mitte.)

Vor allen Dingen angesichts der Bewährung unserer Grundsätze, die in den Ergebnissen sichtbar wird, lehnen wir eine radikale Umkehr in der einmal eingeschlagenen Richtung entschieden ab. Der vorliegende Antrag läuft im Ergebnis auf einen Perfektionismus der allgemeinen Wohnungsversorgung und der Planung in der Wohnungswirtschaft hinaus, der mit enormer Aufblähung des Verwaltungsapparats verbunden wäre und einen zusätzlichen personellen Einsatz notwendig machen würde. Die Gemeinden werden Ihnen für die personellen Konsequenzen, die Ihr perfektionistisches Gesetz nach sich zieht, nicht dankbar sein.
Natürlich, aus Gründen einer fortschreitenden besseren Versorgung und der Erhaltung des Privat-



Dr. Hesberg
eigentums sind auch wir für die Hebung des Wohnungsstandards — um damit zu Ihrem Modernisierungs- und Instandssetzungskapitel zu kommen —; aber wir nehmen für uns in Anspruch, daß wir für die Instandsetzung und Sanierung zuerst die Initiative ergriffen haben. Es waren Herr Minister Lücke, meine Kollegen in der Arbeitsgruppe Wohnungsbau und meine Wenigkeit, die 1953, als Herr Minister Lücke noch Vorsitzender im Ausschuß war, im Bundestag einen entsprechenden Initiativantrag eingebracht haben. Daraus ist ein Titel im Haushalt des Wohnungsbauministeriums entstanden, der bis auf den heutigen Tag noch darin enthalten ist. Der heutige Ansatz dieses Titels könnte reichlicher sein; das war auch schon in den vergangenen Jahren unser Wunsch. Den Vorrang der Beseitigung der Wohnungsnot konnten wir nicht unberücksichtigt lassen. Es wird jetzt aus volkswirtschaftlichen und wohnungspolitischen Gründen wichtig sein, diese Aufgabe der Instandsetzung und Modernisierung besser zu berücksichtigen, aber nicht mit einem Katalog für den Wohnungsstandard, wie es in Ihrem Gesetzentwurf geschieht. In den Richtlinien, die in Anlehnung an § 40 des Wohnungsbaugesetzes herausgegeben sind, haben wir nach meinem Dafürhalten hinreichende Gesichtspunkte für den Einsatz öffentlicher Mittel.
Wir haben also ganz andere Vorstellungen als Sie. Die Entwicklung des sozialen Wohnungsbaues beweist schlagend, daß sich Verbesserungen des Wohnungsstandards unweigerlich durchsetzen. Das haben wir gesehen in der besseren Ausstattung, in der Ausweitung der Wohnungsflächen und dergleichen mehr. Und wir haben gesehen, daß es trotz Preissteigerung geschehen ist.
Im Wohnungsbestand wird sich die Instandsetzung und Modernisierung bei der Auflockerung des Wohnungsmarktes zwangsläufig durchsetzen. Kein Hausbesitzer wird sich dieser Notwendigkeit entziehen können, wenn er sein Vermögen erhalten will. Die Verbraucherwünsche werden ihm dies aufzwingen. Die Verbraucherwünsche sind aber differenziert, meine Damen und Herren, und es wäre schädlich, ein Schema und einen sturen Plan aufzustellen, wie er hier vorgelegt wird.
Angesichts der Entwicklung der Wohnungstechnik und der Bereitschaft, sich das Wohnen und eine echte Familienheimstatt etwas kosten zu lassen, wird sich der Wohnungsstandard fortgesetzt verbessern. Sie werden also fortgesetzt Ihr Gesetz ändern müssen. Die Methodik, meine Herren von der Opposition, ist nicht lebensnahe, ja, ,sie ist geradezu lebensfremd.

(Zustimmung in der Mitte.)

Der Gesetzgeber und die Verwaltung werden hier überfordert. Eine solche Regelung ist ein Anachronismus im Zeitpunkt des Abbaus der Wohnungszwangswirtschaft. Solche Planifikation steht im klaren Widerspruch zu den Erklärungen der SPD zur sozialen Marktwirtschaft, wie es von Herrn Minister Lücke meines Erachtens treffend dargelegt worden ist. Glauben Sie denn, meine verehrten Kollegen von der Opposition, daß der Mieter X im Wohnviertel Y einer Großstadt warten will, bis sein
Wohnviertel mit der Modernisierung dran ist, bis also in seinem Viertel die öffentlichen Mittel zum Einsatz kommen? Und glauben Sie, daß selbst bei der angebotenen öffentlichen Förderung nicht oft eine Anhebung der Mieten erforderlich ist, für die sich manche Mieter bedanken werden? Zweifellos muß man manchmal die Menschen Ezu ihrem Glück zwingen; aber man darf die Anforderungen auch nicht überspannen. Es wäre reizvoll, .den Perfektionismus Ihres Gesetzentwurfes zu glossieren. Ich verzichte darauf, den Darlegungen Nr. 48 der „Frankfurter Allgemeinen" unter dem Titel „Doppelspülbecken-Gesetz" noch etwas hinzuzufügen. Wir möchten nicht, meine Damen und Herren, daß der Gesetzgeber, wie die „Frankfurter Allgemeine" befürchtet, dadurch an Reputation einbüßt, daß er sich in Nebensächlichkeiten verliert. Wir wollen nicht regeln, wie viele Steckdosen in einem Wohnraum vorhanden sein müssen, wie viele Abstellflächen jede Wohnung haben muß und dergleichen mehr. Wir halten es für ,der Sache dienlicher, wenn wir durch die Förderungsmaßnahmen die private Initiative wecken. Und ,daß das allerorten ohne behördliche Reglements geschieht, das wissen wir. Wer die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt hat, wird bestätigen, daß einzelne Modernisierungen im Innern und im Äußeren von Altbauten wie eine Initialzündung gewirkt und die Nachbarn zur Nachahmung bewogen haben. Wenn das schon unter den bisherigen Bindungen des Altwohnungsbestandes zu beobachten war, wieviel mehr wird das nach eingetretener Liberalisierung ;der Fall sein.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411920600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411920700
Bitte.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411920800
Eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Meermann.

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0411920900
Herr Dr. Hesberg, haben Sie auch schon mal Ihre Frau gefragt, ob ,sie die Anforderungen, die wir an den Mindeststandard stellen, als zu perfektionistisch betrachtet?

Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411921000
Ich bin der Überzeugung, daß wenn ich meiner Frau dieses Gesetz vorlegen werde, sie mir zustimmen wird, daß man in einem Gesetz nicht so weit gehen kann. Das mögen Sie doch in einer Verwaltungsanordnung regeln; aber ein Gesetz ist mir zu schade dafür, eine derartige Perfektion zu betreiben.

(Zustimmung in der Mitte.)

Abschließend, meine Damen und Herren — — Bitte, Frau Meermann!

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0411921100
Bitte, Herr Dr. Hesberg, würden Sie aber nicht trotzdem wünschen, daß Ihre Frau und alle anderen Frauen solche Wohnungen hätten, wie wir sie mit unserem Gesetz schaffen möchten?




Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411921200
Wünschenswert mag das sein. Aber, Frau Meermann, wenn Sie heute in einer Altwohnung all diese Maßnahmen durchführen, ist das ja teurer als in einem Neubau. Das wissen Sie doch sicherlich auch.

(Zuruf von der SPD: Also bleibt alles beim alten!)

— Nein, es bleibt nicht beim alten, sondern das geht langsam vor sich, evolutionär, aber nicht mit dem Perfektionismus, mit dem man heute das Gebäude, morgen jenes Gebäude nach Schema F ausstattet. Seien Sie doch lebensnah und gehen Sie nicht immer mit einer Theorie an diese ganzen Sachen heran.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Abschließend darf ich feststellen, meine Damen und Herren, daß die Vorlage der SPD für die CDU/ CSU aus grundsätzlichen und sachlichen Erwägungen keine Grundlage für die künftige Wohnungspolitik abgibt und wir für eine Novellierung des geltenden Wohnungsbaugesetzes und eine gesonderte Gesetzesregelung der Stadterneuerung eintreten, wenn wir auch durchaus bereit sind, diese oder jene Bestimmung Ihres Gesetzentwurfs in diesen künftigen Gesetzesvorlagen mit zu berücksichtigen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411921300
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Berger-Heise.

Margarete Heise (SPD):
Rede ID: ID0411921400
Meine Herren und Damen! Zu unserem Erstaunen haben wir vorhin von Herrn Dr. Hesberg erfahren, daß der Herr Kollege Czaja heute und hier über die Drucksache IV/ 2010 zu sprechen gedenkt. Meines Wissens hat diese Drucksache gerade erst vor ein paar Stunden im Fach der Kollegen gelegen. Sie hat weder den Ältestenrat erreicht noch steht sie auf der Tagesordnung. Es ist also anzunehmen, daß Sie unserem Entwurf eines Dritten Wohnungsbaugesetzes nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben, wenn Sie heute mit dieser doch etwas plötzlichen Vorlage kommen.

(Abg. Jacobi [Köln] : Das ist ein Verlegenheitshusten!)

Unser Konzept ist hier im Grundsatz zunächst nicht angegriffen worden; später haben Sie sich da etwas revidiert. Es enthält aber auch einen Grundsatz, den Sie selbst bestätigen müssen. Denn wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie sagen: darin steht, daß der Staat nicht für alle Bürger bauen und zahlen soll, sondern daß er für einen ausreichenden Wohnungsmarkt zu sorgen hat. An diesem Grundsatz halten wir auch fest.
Herr Dr. Hesberg, wenn Sie sagen, eine Milliarde sei zu bescheiden, — wir sind gern bereit, aufzustocken; aber wir wollten jetzt nicht über den augenblicklichen Etat des Wohnungsbauministeriums hinausgehen. Ich bin davon überzeugt, daß Sie in der Öffentlichkeit noch mit dieser einen Milliarde jonglieren werden. Wir möchten aber darauf hinweisen, daß diese Milliarde weit unter dem liegt,
was in den vorhergehenden Jahren für die Förderung des Wohnungsbaus getan worden ist.

(Abg. Dr. Hesberg: Das stimmt doch nicht, Frau Kollegin!)

— Na, wir können uns darüber dann bei der Etatberatung 1964 unterhalten.
Was Sie hier mit Ihrer Vorlage tun — und jetzt muß ich mich ja auch damit beschäftigen —, kommt nicht über das hinaus, was Sie seit ungefähr zwei Jahren ankündigen.
Die Beschäftigung mit unserem Gesetz ist leider bis jetzt etwas zu kurz gekommen. Ich hoffe, daß die nächstfolgenden Redner sich mehr mit ihm befassen werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Zerpflücken!) — Zerpflücken werden Sie es? Bitte, gern!


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie werden sich freuen!)

So, und den Rest erledigen wir dann wohl im Ausschuß! Ich würde aber doch gern noch ein Wort zu Ihnen sagen, Herr Dr. Hesberg, vor allem, weil Sie sich so in die Mindestausstattung verbissen haben. Darf ich Sie noch einmal daran erinnern, daß das Erste Wohnungsbaugesetz 1950 hier verabschiedet wurde? Das Zweite Wohnungsbaugesetz kam dann 1956, und damals hielt man die Festlegung einer Mindestausstattung für erforderlich. Das Dritte Wohnungsbaugesetz, das wir vorschlagen, soll nun 1967 in Kraft treten. Das sind 11 Jahre Weiterentwicklung. Herr Dr. Hesberg, das gleiche Modell in einer so langen Zeit kann sich höchstens noch das Volkswagenwerk leisten.

(Abg. Dr. Czaja: Warum erst 1967?)

Aber im Wohnungsbau muß man mindestens mit dem Fortschritt gehen.
So weit haben wir uns aber von dem Vorgänger gar nicht einmal entfernt. Ich darf Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, was alles im Zweiten Wohnungsbaugesetz steht. Ich tue das deswegen, weil sich ja viele Kollegen auf ganz anderen Gebieten betätigen und das gar nicht wissen können. Da steht:
Mit öffentlichen Mitteln soll nur der Bau von
Wohnungen gefördert werden, für die folgende
Mindestausstattung vorgesehen ist:
a) Wohnungsabschluß mit Vorraum in der Wohnung;
b) Kochraum mit ausreichenden Entlüftungsmöglichkeiten, Wasserzapfstelle und Spülbecken, Anschlußmöglichkeit für Kohleherd und Gas- oder Elektroherd sowie entlüftbarer Speisekammer oder entlüftbarem Speiseschrank;
c) neuzeitliche sanitäre Anlagen innerhalb der Wohnung;
d) eingerichtetes Bad oder eingerichtete Dusche
sowie Waschbecken;
e) ausreichender Abstellraum auch innerhalb der Wohnung;



Frau Berger-Heise
Anschlußmöglichkeit für Ofen oder gleichwertiges Heizgerät für mindestens je einen Wohn- und Schlafraum außer der Küche;
— jetzt kommt die von Ihnen beanstandete Steckdose —
g) elektrischer Brennstellenanschluß in allen Räumen, in Küche, Wohn- und Schlafräumen außerdem mindestens je eine Steckdose;
— also bitte! — (Zuruf von der Mitte: Sie wollen zwei!)

h) ausreichender Keller oder entsprechender Ersatzraum;
i) zur Mitbenutzung Wasch- und Trockenraum sowie Abstellraum für Kinderwagen und Fahrräder.
Meine Herren und Damen, es hat sich in der Vergangenheit als sehr segensreich erwiesen, daß diese Mindestausstattung vorgeschrieben war. In Zukunft wird es genauso sein. Wenn die Benutzung einer Wohnung vom Geldbeutel her bestimmt wird
— und das ist in Zukunft der Fall —, dann sind die Erbauer von Wohnungen sehr leicht geneigt, auf dies und jenes zu verzichten, um den Mietpreis niedrig zu halten. Die Zustände, die wir 1914 hatten, als das freie Spiel der Kräfte ganz und gar Geltung hatte, wünschen wir uns ja wohl alle nicht zurück. — Bitte, Herr Dr. Hesberg!

Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411921500
Frau Kollegin Heise, sind Sie nicht der Auffassung, daß nach Ihrem Entwurf die Vorschriften über die Mindestausstattung gleichermaßen für die neu zu bauenden Wohnungen wie auch für die zu modernisierenden Wohnungen Geltung haben und daß Sie, wenn Sie diesen Maßstab anlegen, hinsichtlich der Modernisierung einen Kostenaufwand verursachen, der sich natürlich entsprechend in den Mieten niederschlagen muß? Darauf wollte ich Sie hingewiesen haben.

Margarete Heise (SPD):
Rede ID: ID0411921600
Herr Dr. Hesberg, erstens wird es Stufenpläne geben, und zweitens wissen wir alle, daß in den Durchführungsbestimmungen für die Gemeinden immer Ausnahmen vorgesehen sind. Das steht übrigens im Zweiten Wohnungsbaugesetz auf der folgenden Seite.

(Abg. Dr. Hesberg: Für den Neubau!)

— Für den Neubau. Drittens darf ich Sie, Herr Dr. Hesberg, daran erinnern, daß Sie mit mir im Wedding die Elendswohnungen gesehen und festgestellt haben, wieviel da zu tun ist. Daß diese Wohnungen nicht sämtlich mit diesen modernen Einrichtungen ausgestattet werden können, ist klar; es lohnt nur noch, sie abzureißen. Diese Wohnungen haben wir nicht gemeint. Wir haben Wohnungen gemeint, bei denen es noch lohnt, sie zu modernisieren. Eigentlich sollten Sie in Ihrer zweiten Funktion — nicht in der ersten, in der Sie hier sitzen
— froh sein, wenn die Sozialdemokraten dafür sind, Mittel dafür bereitzustellen und den Hauswirten zu helfen, die aus eigener Kraft ihre alten Wohnungen nicht modernisieren können. Daß aber bei der Gewährung öffentlicher Mittel gewisse Auflagen gemacht werden, ist bisher immer geschehen, und das ist, glaube ich, auch richtig.
Herr Minister, entschuldigen Sie, aber Sie haben zu unserem Entwurf so wenig gesagt, daß mir kaum etwas zu antworten bleibt. Außerdem wird Ihnen Herr Jacobi sicher darauf antworten. Eines möchte ich jedoch sagen. Als Sie hier davon sprachen, daß die SPD Zwangsmaßnahmen einführen wolle, war ich versucht, zu glauben, die SPD habe gestern von der Zwangsräumung für Sozialmieter gesprochen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Ich habe noch einmal nachgesehen. Es stimmt nicht; Sie waren es.

(Erneute Heiterkeit bei der SPD.)

Ihre Vorlage — Drucksache IV/2010 — fordert gesetzliche Ermächtigungen, durch die den Gemeinden und Vermietern sozusagen aufgegeben wird, zum Büttel gegenüber den Mietern zu werden. Das ist eine schwierige Sache, und ich bin gespannt, wie sich sowohl ,die Vermieter wie die Gemeinden wie auch die Mieter dazu stellen werden.
Ich habe hier verfassungsrechtliche Bedenken. Sie werden sich entsinnen, daß die SPD schon vor Jahren im Ausschuß den Vorschlag gemacht hat, neu abzuschließende Verträge bei Mietern von Sozialwohnungen mit einer Klausel zu versehen, die Mietsteigerungen bei Einkommenserhöhungen ermöglicht. Die Bundesregierung hat damals unseren Vorschlag nicht aufgegriffen. Sie entsinnen sich sicher auch, daß das Justizministerium diesen Eingriff in bestehende Verträge nach geltendem Recht nicht für möglich hielt. Daran scheiterte der Vorschlag, die Zinssätze für die öffentlichen Mittel zu erhöhen und die Mieten für diejenigen zu steigern, die das bezahlen konnten. Jetzt sollen sogar Eingriffe in das Vertragsverhältnis zwischen Mietern und Vermietern möglich sein. Wir sind also auf die konkrete Vorlage und die Stellungnahme des Justizministeriums dazu sehr gespannt. Wir bitten, nicht zu vergessen, daß dabei auch der Gleichheitsgrundsatz zwischen Mietern und Eigenheimern beachtet werden muß, die beide mit öffentlichen Mitteln ein Heim erhalten haben und deren Einkommen über die Grenze hinausgewachsen ist. Das warten wir aber ab; Sie werden dazu ja etwas sagen müssen.
Bezüglich der Zahl der fehlbelegten Sozialwohnungen — Sie haben sie in der Presse genannt —, stehen uns nur Ihre Mutmaßungen zur Verfügung. Bei gegenwärtig 3,7 Millionen Sozialwohnungen pendelten Ihre Schätzungen zwischen 3- bis 700 000 fehlbelegten Wohnungen. Sie haben auch nicht die Quellen genannt, aus denen Sie diese Zahlen beziehen. Vielleicht können wir etwas darüber erfahren.
Ich kann hier — nach erster Durchsicht — nur sagen: Wir haben erhebliche Bedenken und glauben, daß das sehr kompakte zwangswirtschaftliche Maßnahmen sind, die die Koalitionsparteien hier vorschlagen, und daß sie auch sozialpolitisch nicht unbedenklich sind. Ich denke z. B. an eine gewisse Ghettobildung der einkommensschwachen Mieter, die sich nun in den betreffenden Objekten zusam-



Frau Berger-Heise
menfinden müssen. Ich denke auch an die jetzt begünstigten jungen Familien, die eventuell sehr schnell aus dieser Begünstigung herausgewachsen sind; wenn ihr Einkommen steigt, müssen sie wieder umziehen. Das Transportgewerbe wird Ihnen dafür sicher dankbar sein, die Mieter weniger. Nun, wir werden abwarten. Das kann erst die konkrete Gesetzesvorlage ausweisen.
Auch wir sind der Meinung, daß die Fehlbelegung schlecht ist, und haben darum schon damals Vorschläge gemacht. Wir glauben aber — immer nach erster Durchsicht — nicht, daß die Maßnahmen, die Sie hier ankündigen, gut sind. Das ergibt sich schon aus dem Grundsatz, daß eine freie Konsumwahl besser ist als eine Zwangseinweisung oder Zwangsausweisung.
Nun darf ich noch ein Wort zu Ihrem fünften Punkt sagen, der finanziellen Beteiligung des Bundes an der Wohnungsbauförderung zugunsten von Personen, deren angemessene Wohnungsversorgung erfahrungsgemäß besondere Schwierigkeiten bereitet; insbesondere denken Sie hier an kinderreiche Familien, ältere Personen und junge Ehepaare. Unsere Anträge zum Haushalt 1963 sind zum Teil abgelehnt, zum Teil auf Eis gelegt worden. Den Antrag, 20 Millionen für die Versorgung älterer Personen mit Wohnungen bereitzustellen, haben Sie leider abgelehnt. Für junge Ehepaare haben wir es mit Hängen und Würgen geschafft.

(Abg. Dr. Czaja: Nicht übertreiben!)

Nun wäre also die Frage, ob Sie die finanzielle Beteiligung des Bundes nur noch für diese Gruppen gewähren wollen; so sieht es nämlich aus. Da muß ich fragen, wer dann draußen bleibt. Da bleiben die vierzigjährigen Ehepaare mit zwei Kindern übrig. Vorher sind sie ein junges Ehepaar und sollen Mittel bekommen. Nachher sind sie ein älteres Ehepaar und sollen auch Mittel bekommen. Mit drei Kindern haben wir dann die kinderreichen Ehepaare, die Mittel bekommen sollen. Zwei Gruppen bleiben übrig: Ehepaare mittleren Alters mit zwei Kindern und die Alleinstehenden. Mit Mühe und Not haben wir in das Zweite Wohnungsbaugesetz eine ziemlich formale Erklärung — eigentlich ist es nur eine Deklaration — gebracht, daß auch die Alleinstehenden mit Wohnungen versorgt werden sollen. Jetzt gilt nicht einmal das mehr, und die Alleinstehenden werden in Zukunft überhaupt nicht mehr berücksichtigt.
Wir glauben, daß wir das alles prüfen müssen und daß wir nun auch endlich einmal von Ihnen eine Vorlage bekommen müßten, die nicht nur die Presse verwerten kann, sondern mit der man auch arbeiten kann.
Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen: Wenn Sie wieder mit Ihren Vorlagen zum Schluß der Legislaturperiode ankommen und dann in hektischer Arbeitsweise unvollkommene Gesetze schaffen wollen, dann protestieren wir heute schon. Sie kennen ja den Werdegang Ihrer Gesetze: In den ersten beiden Jahren einer Legislaturperiode geschieht regelmäßig nichts, und im dritten, vornehmlich aber im vierten Jahr überfallen Sie uns dann
mit allem, was noch schnell vor Schluß der Legislaturperiode durchgebracht werden muß.

(Zuruf von der CDU/CSU: Frau Kollegin, wann ist denn das Abbaugesetz gemacht worden? In den ersten zwei Jahren!)

— Herr Kollege, das Abbaugesetz ist heute noch nicht fertig; denn wir sitzen noch bei den mietrechtlichen Vorschriften, und zwar bei der dritten Etappe.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist nur ein sehr geringer Teil! — Nicht durch unser Verschulden!)

Sie haben das Bewertungsgesetz, das ja steuerneutral sein soll, bis heute noch nicht auf den Tisch gebracht.

(Abg. Dr. Hesberg: Doch!)

— Nun ja, es ist als Drucksache da, aber wir sind noch zu keiner Beratung gekommen. — Sie haben das Raumordnungsgesetz, an dem Sie nun schon drei oder vier Jahre herumlaborieren, noch nicht gebracht.

(Rufe von der CDU/CSU: Oho!)

— Ich meine, in die Beratung gebracht; Sie haben es als Vorlage gebracht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wissen Sie, Frau Kollegin, daß Rom nicht an einem Tage gebaut worden ist?)

— Ja, aber trotzdem muß sich der Bundestag mit seiner Arbeit dranhalten. — Dann das Städtebauförderungsgesetz! Es wurde ewig versprochen, und was ist bis heute geschehen? Sie haben eine Vor, Lage an Interessenten gehen lassen, in der kein Pfennig für die Finanzierung vorgesehen ist, eine Vorlage, die eigentlich Papier ist, weil niemand sagen kann, zu welchen Bedingungen das durchgeführt werden soll, was darin enthalten ist.
Ich bitte Sie also, wenn Sie uns wieder eine solche Vorlage in die Fächer legen wollen wie heute diese Vorlage IV/2010, dann sorgen Sie lieber dafür, daß konkrete Gesetze da sind, damit man sich wirklich darüber unterhalten und dann in den Ausschüssen gemeinsam darüber beraten kann.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411921700
Ich mache das Haus darauf aufmerksam, daß die Vorlage, von der hier ständig die Rede ist, nicht auf der Tagesordnung steht, daß sie also auch nicht zur Debatte stehen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Hammersen.

Walter Hammersen (FDP):
Rede ID: ID0411921800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn unser Bundestagsprotokoll ebenso wie die Vorlage, die hier heute zur ersten Beratung ansteht, die — eine Lektüre erleichternde — Form der Zwischenüberschriften kennte, dann würde möglicherweise im Bundestagsprotokoll diese Beratung heute als „die große Stunde des Herrn Jacobi" bezeichnet werden. Denn ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß das, was uns heute vorliegt, in allen entscheidenden



Hammersen
Passagen seine unverwechselbare Handschrift trägt und daß er im übrigen sicherlich auch schon Jahr und Tag darauf gewartet hat, hier die Konzeption der sozialdemokratischen Fraktion für eine neue Wohnungsbaupolitik vorzutragen.
Wenn ich kürzlich bei der ersten Lesung der verschiedenen Entwürfe des Bundesraumordnungsgesetzes Ihnen gegenüber, Herr Kollege Jacobi, die scherzhafte Bemerkung von den „erschöpfenden" Ausführungen gemacht habe, so darf ich Ihnen versichern, daß ich heute sehr aufmerksam und wach zugehört habe, und auch meine Fraktion, die freie demokratische Fraktion,

(Zurufe von der SPD: Wo ist sie denn? — Heiterkeit bei der SPD.)

hat sehr sorgfältig Ihren Gesetzentwurf geprüft.

(Erneute Zurufe von der SPD.)

— Sie wissen selbst, daß sie sich in einer Fraktionssitzung befindet und daß wir davon abgesehen haben, deswegen um eine Unterbrechung der Sitzung zu bitten. Daß Sie mich dafür strafen, nehme ich gern entgegen. Aber ich darf Ihnen versichern, daß auch meine Fraktion diesen Entwurf sehr sorgfältig geprüft und insbesondere auch die weitgespannten Ziele, ich muß schon sagen: mit großer Besorgnis festgestellt hat. Ich teile die Auffassung, die Herr Bundesminister Lücke bezüglich der politischen Zielsetzung Ihres Gesetzentwurfs hier bereits dargelegt hat, und ich glaube, schon heute im Namen meiner politischen Freunde sagen zu können, daß der Gesetzentwurf bestimmt nicht in der heute vorgelegten Form wieder aus den Ausschußberatungen herauskommen wird. Denn wir Freien Demokraten, die wir stets auch in diesem Hause für eine möglichst baldige und vollständige Liberalisierung der Wohnungswirtschaft im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft eingetreten sind, können doch keinesfalls die Hand dazu reichen, daß quasi durch die Hintertür wieder zwangswirtschaftliche Vorstellungen

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

in das Verhältnis zwischen den Mietparteien eingeführt werden. Ich brauche in diesem Zusammenhang nur auf die außerordentlich weitgehenden, perfektionierten Bestimmungen über den Wohnungsstandard — praktisch, da er ja ständig überprüft werden muß: den „dynamischen Wohnungsstandard" — zu verweisen.
Darüber hinaus wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf auch die verantwortliche Aufgabenverteilung zwischen dem Staat und seinen Bürgern zugunsten der öffentlichen Hand in einer Weise verschoben, die von meinen politischen Freunden keineswegs gutgeheißen werden kann.
Aber dieser Gesetzentwurf enthält ja, wie hier schon verschiedentlich dargelegt worden ist, nicht nur eine umfangreiche Ordnung des Wohnungswesens, also eine Art „Wohnungsfibel für jedermann", sondern darüber hinaus umfangreiche, bis in alle Einzelheiten gehende Bestimmungen über die Sanierung, oder wie wir heute euphemistischer zu sagen pflegen: die Stadt- und Dorferneuerung, also
Vorschriften, die nach Auffassung meiner politischen Freunde sehr sorgfältig geprüft, aber nicht im Rahmen der hier anstehenden Gesetzesmaterie geregelt werden sollten. Wir werden die Bundesregierung unterstützen, wenn sie uns im Rahmen der umfassenden Ordnung des Zusammenlebens in einer modernen Massengesellschaft auch — hoffentlich in Kürze — den Entwurf eines Städte- und Dorferneuerungsgesetzes hier vorlegen wird.

(Zuruf von der SPD.)

— Auch die Fragen der Finanzierung. Ich bin überzeugt, daß das nicht unterlassen und in diesem Gesetz eine jedenfalls grundsätzliche Regelung finden wird. Sie dürfen überzeugt sein, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, daß wir bei der Ausschußberatung dann auch Ihre Vorschläge bezüglich Sanierung sehr sorgfältig und eingehend prüfen werden. Das ist für uns selbstverständlich.
An sich, meine Damen und Herren, könnten Sie erwarten, daß nun auch die Freien Demokraten im Rahmen dieser Aussprache ihre eigenen wohnungspolitischen Vorstellungen darlegen. Ich möchte aber im Augenblick darauf verzichten, und zwar deshalb, weil wir Ihnen in Kürze einen Antrag mit einigen Änderungen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes vorlegen werden. Ich nehme an, daß meine erkrankte Kollegin Frau Dr. Kiep-Altenloh dann gern Gelegenheit nehmen wird, unsere wohnungspolitischen Vorstellungen dem Hohen Hause vorzutragen. Ich möchte mich daher heute auf diese kurzen Ausführungen beschränken.
Jedenfalls werden meine Freunde der Überweisung Ihres Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung und den Haushaltsausschuß zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Hoffentlich sind Ihre Freunde nachher hier!)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411921900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0411922000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Berger-Heise hat den verständlichen Wunsch geäußert, daß eingehender auf den SPD-Entwurf eines Dritten Wohnungsbaugesetzes eingegangen werde. Ich will das im Verlauf der Debatte noch tun. Lassen Sie mich aber einige grundsätzliche Bemerkungen vorausschicken.
Die angemessene Wohnung gehört sicherlich mit zu dem Lebensnotwendigsten für den Menschen und die Familie. Aber für das Lebensnotwendige sorgt vorerst der Mensch selbst. Nur dort, wo er es ohne Verschulden nicht allein zuwege bringt, soll die organisierte Gemeinschaft helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Daraufhin will ich Ihren Entwurf überprüfen. Tausende — und das ist vielleicht die propagandistische Zielsetzung und auch die propagandistische Möglichkeit —, die es bisher nicht genügend oder ungenügend können, blicken voll Hoffnung und voll Angst auf das, was ihnen die organisierte Gemein-



Dr. Czaja
schaft zu bieten hat. Aber auch andere Tausende, die die Selbstversorgung in einem beachtlichen Ausmaß leisten könnten, haben sich an den Fehler gewöhnt, alles Heil von der öffentlichen Versorgung zu erwarten. Das Ergebnis dieser Konkurrenz aber ist oft, daß die Leistung der öffentlichen Hand dann nicht ausreicht und daß die der Selbstvorsorge Fähigen sie nicht selten den wirklich Bedürftigen wegschnappen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Aufgabe verantwortlicher Staatspolitik ist es aber, Notwendiges zu leisten, und nicht, große Versprechungen an alle zu machen, vor allem nicht an diejenigen, die es wünschen, aber nicht notwendig haben. Diesen Versprechungen soll man widerstehen, weil sie ohnehin leere Versprechungen sind und nicht eingehalten werden können. Ich komme auf die Einzelheiten zurück.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411922100
Wollen Sie eine Frage beantworten?

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0411922200
Gerne, vielleicht nach ein, zwei Sätzen.
Auch die Opposition hat sich gestern in der Bildungsdebatte zu einer Rangfolge des Notwendigen bekannt. Die Scheidung zwischen dem Notwendigen und den leeren Versprechungen im Wohnungswesen als einem Bereich, wo gewaltige Investitionen vorgenommen werden und wo es um ein Lebenselement der Familie geht, ist besonders schwierig. Das ist eine Aufgabe staatspolitischer Verantwortung.
Nun war ich sehr gespannt, wie die Opposition sich in diesem Bereich nach dem Godesberger Programm praktisch entscheiden würde, nachdem uns der Entwurf eines das gesamte Wohnungswesen umfassenden Gesetzes vorgelegt wurde. Ich zitiere wörtlich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Nur durch eine neue und bessere Ordnung der Gesellschaft öffnet der Mensch den Weg in seine Freiheit. Diese neue und bessere Ordnung erstrebt der demokratische Sozialismus.
So in einem hymnischen Versuch das Vorwort zum Godesberger Programm.
Ich war nun gespannt, was es im Wohnungswesen zu bieten hat. Ich war gespannt darauf, wie in einem Gesetz zwischen den eklatanten Widersprüchen — die ich wenigstens so empfinde — im Godesberger Programm nun der praktische Weg gesucht wird. Ich war sehr gespannt, ob sich der Sinn des Satzes im Godesberger Programm durchsetzen würde: Jede Macht und jedes Ding müssen sich öffentlicher Kontrolle fügen, ob dieser Satz sich zu einem traumhaft perfektionierten Staatsdirigismus im Wohnungswesen durchsetzen oder ob man mehr den Sätzen folgen würde, daß die Würde des Menschen auf seiner Selbstverantwortung fußt, was auch im Godesberger Programm steht, und, was auch noch darin steht, daß im Zeitalter der Technik und der Organisation die dadurch herbeigeführten Abhängigkeiten es erfordern, als Gegengewicht die
schöpferischen Kräfte des einzelnen anzuregen, oder, wie es sogar sehr waghalsig darin heißt, daß die freie Konsumwahl ein wichtiges Element sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik — so heißt es im Godesberger Programm: sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik — sei.

(Abg. Wehner: Das brauchen Sie uns nicht zu interpretieren!)

Ich war gespannt, wie Sie es mit dem breitgestreuten Eigentum haben, nachdem Sie schreiben:
Jede Zusammenballung wirtschaftlicher Macht, auch in Staatshand,
— wörtlich so! —
birgt Gefahren in sich,
und man solle dafür sorgen, daß ein angemessener Teil des Zuwachses als Eigentum breit gestreut werde. Ich war gespannt, wie sich das im Wohnungswesen nun verwirklichen soll.
Um es kurz zu machen: Sie haben sich für ein Gebäude der Planifikation und des öffentlichen Dirigismus entschieden — ich will das nachher begründen —, das in vielen Einzelheiten grotesk ist, in anderen wie jede sich perfektionistisch gebende Planung voll von Widersprüchen. Vor allem ist dieses Gebäude von Worten und Versprechungen und widersprüchlichen Theorien nicht zu verwirklichen, weder in einer stabilen Volkswirtschaft noch gar mit den unzureichenden Summen, die Sie für die angebliche Realisierung dieses Perfektionismus selbst ansetzen. Das Ergebnis wäre, daß Ihr Geld für diesen Perfektionismus vorn und hinten nicht reicht, höchstens für einige Demonstrativprogramme, und daß den Bedürftigen nicht geholfen wird. Wenn man das belegen kann — und ich glaube einiges dazu sagen zu können —, dann allerdings soll man den Bundesbürger vor diesen Gesellschaftsformen warnen, die ihm perfektionistische Planungsversuche, aber zu wenig Wohnungen darbieten.
Das liebe Geld reicht nicht, habe ich gesagt. Sie sehen ungefähr für alle Aufgaben, die Sie darin niederlegen, 1,2 bis 1,3 Milliarden DM jährlich vor. Das steigert sich ein geringes um die Rückflüsse. Bisher standen im Bundeshaushalt immer weit mehr als 1 Milliarde DM für Wohnungsbauaufgaben zur Verfügung. Heuer ist es eine knappe Milliarde, nicht gerechnet die Positionen in vielen anderen Kapiteln, so z. B. die Bundesbediensteten-, Bundeswehrwohnungen und vieles andere, was der Herr Kollege Hesberg hier angeführt hat. Ich habe diese sogar ausgeklammert, Frau Kollegin. Aber was soll praktisch alles mit dieser ,Summe, die nur um 200 Millionen DM höher ist als die jetzige, nach Ihrem Gesetz geleistet werden! Ich zähle es nach Ihrem Gesetzentwurf auf: eine bisher nicht gezahlte Modernisierungsprämie — Herr ,Stiller, horchen Sie nur auf — in Höhe von 10 % der Modernisierungskosten, Zinszuschüsse zur Modernisierung auf 12 ganze Jahre mit 21/2%, Ersatzwohnungen für zu modernisierende Wohnungen, Entschädigung — sehr wichtig, aber teuer! — bei der Beseitigung störender Gewerbebetriebe aus Wohngegenden —



Dr. Czaja
wichtig, wichtig, aber sehr teuer! —, rund alles das mit 1,2 Milliarden DM.
Es geht gleich weiter: Für den Wohnungsneubau Zinsbeihilfen — bitte, hören Sie ' gut hin! — für erste und nachrangige Hypotheken von 31/2'°/o bis zu 90 % der Baukosten, bei Mietwohnungen sogar bis zu 95% der Baukosten. Wir sind heute froh, 10 bis 20% der Baukosten durch Zuschüsse zu finanzieren und daneben noch Objektdarlehen zu geben. Dazu treten auch bei Ihnen öffentliche Darlehen, übrigens mit einem meiner Meinung nach außerordentlich lobenswerter Vorschlag, nämlich der progressiven Verzinsung. Das ist meine persönliche Meinung; ich halte das für eine sehr gute Idee, die absolut zu begrüßen ist, wenn wir sie auch mit Rücksicht auf die Frage der Instandhaltung und der Belastung durch die Instandhaltung noch überprüfen möchten. Aber ansonsten halte ich diese Idee für sehr gut.
Dann Wohngeld! Jetzt kommt aber ein Pferdefuß, denn dieses ist viel höher als jetzt, weil Sie in einer eleganten Entlastungsmanier am Schluß a 11 e zukünftigen Bauten, also auch die für Einkommensschwache — Herr Dr. Hesberg hat das schon angedeutet — aus der Grundsteuervergünstigung ausschließen. Dazu kommt ferner die Finanzierung der Kosten für Garagen, Kinderspielplätze und Jugendzentren, die Unterstützung der Gemeinden zur Erschließung; alles .das für die in § 45 genannte Summe. Ich glaube, das reicht nie. Das reicht nie für die weit auskragenden gedanklichen Verzierungen. Sie können daraus für sich keine Umhüllung, keinen Rock schneidern, schon gar nicht die nötigen Gebäude bauen.
Ich will dabei das Gute an Ihrem Entwurf nicht verschweigen. Sie versuchen, dem Wohnungsbau und der Sanierung auf lange Jahre feste, gesetzlich verankerte Summe zuzuführen und feste Jahresprogramme tauf Jahre hinaus zu sichern. Der Vorschlag der progressiven Zinsen läßt sich hören.
Soviel zum Geld, das die übrigen Luftigen Thesen aber meiner Meinung nach desavouiert. Und wo liegt nun der Grundfehler der gesamten Konzeption? Ich habe mit Interesse wahrgenommen, daß Sie, nachdem wir hier in der Diskussion versucht hatten, marktwirtschaftliche 'Grundsätze vor Sie hinzustellen, in den Darlegungen ein Stück zurückgewichen sind. Sie haben mit Recht auf § 3 verwiesen und haben plötzlich den § 3 nach vorn gestellt. Aber ich muß Ihnen sagen, daß leider das Gesetz mit einem § 1 und einem ersten Satz beginnt, wo es heißt: „Bund, Länder und Gemeinden haben nach Maßgabe dieses Gesetzes dafür zu sorgen, daß jeder Staatsbürger" — „jeder" steht hier wörtlich drin — „eine Wohnung erhält", derjenige also, der für sich selbst sorgen könnte, und derjenige, der es nicht allein zu schaffen vermag.

(Zuruf von der SPD: Das ist eine Unterstellung!)

— Entschuldigen Sie, hier steht — das ist keine Unterstellung, dies hier ist ein gedruckter Gesetzentwurf —: „jeder Staatsbürger".

(Zuruf von der SPD: Das ist Demagogie!)

— Entschuldigen Sie, Sie können doch nicht wegleugnen, daß dieser erste Satz hier steht. Es ist keine Demagogie, wenn ich den ersten Satz hier vorlese. Dagegen möchte ich mich ganz energisch verwahren.
Es heißt dann weiter, daß die Bürger dazu „beizutragen" haben. Aber zuerst ist der Staat dafür da.

(Zurufe von der SPD.)

— Gut, wenn Sie davon abweichen und sagen: Wir wollten es nicht so, dann wollen wir Ihnen unser klares Bekenntnis vorweg sagen. Wir bekennen uns zu einem anderen Prinzip. Der Herr Minister hat es hier vertreten, unsere Fraktion vertritt es. Das Prinzip lautet: Zuerst kommt die Selbstvorsorge, erst dort, wo sie ohne Verschulden — ohne Verschulden! — nicht ausreicht oder unzumutbar wird, ist es Pflicht der organisierten Gemeinschaft zu helfen.

(Abg. Frau Berger-Heise: Das steht bei uns in § 3!)

Sie versuchen einen totalen Wohnungsversorgungsstaat.
Ich habe vor einiger Zeit einmal einen lange Zeit sozialistisch regierten Staat, in dem man 95% der Wohnungen öffentlich fördert, gesehen. Ich war über die Rationalisierung und vieles andere dort ganz begeistert. Aber ich habe mir auch das wohnwirtschaftliche Ergebnis angesehen und mir darüber berichten lassen, und auch die Beamten, die dort waren, haben das bestätigt. Das Ergebnis ist, daß Brautpaare im Durchschnitt sieben Jahre für eine Wohnung anstehen, daß ein unerträgliches Maß von Kleinstwohnungen gebaut wurde, daß man sich dauernd am Rande der Inflation bewegt und daß man, obwohl man nicht in einen Krieg verwickelt war, in großer Wohnungsnot lebt. Die Folgen einer solchen totalen Staatsvorsorge sind eine perfektionistische Verplanung, undurchführbar und in Einzelheiten grotesk, voll von Widersprüchen, nicht bezahlbar und uns auch nicht weiterbringend.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Einige Beispiele zur grotesken Verplanung des Lebens im Wohnungswesen. Erstens einmal — das bedaure ich — trauen Sie den Architekten nicht sehr. Sie haben mit Recht darauf verwiesen, daß im Ersten und, ausgedehnter, im Zweiten Wohnungsbaugesetz Vorschriften über die Mindestausstattung sind. Ich habe mir diese Vorschriften im Vergleich mit Ihrem Entwurf sehr genau angesehen. In dem Zweiten Wohnungsbaugesetz sind ungefähr neun Mindestanforderungen — wenn Sie den Abs. 2 hinzunehmen, zehn Mindestanforderungen — enthalten. In Ihrem Entwurf sind allein 25 numerierte Punkte mit mehreren Unterabteilungen. Das sind ungefähr 50 bis 100 Einzelanforderungen, die Sie erst einmal verbindlich vorschreiben. Sie sprechen von „Maßstiefeln". Das sind nicht nur Maßstiefel, das sind Panzer öffentlicher Kontrolle, die dem Architekten angelegt werden.
Ich will einmal ein paar Einzelheiten nennen.
Sicher ist das mit den Steckdosen richtig. Aber warum schreiben Sie jetzt vor, daß in dem einen Raum



Dr. Czaja
zwei Steckdosen, in dem anderen nur eine angebracht werden? Wenn der Architekt nicht tüchtig ist, dann kann er mit zwei Steckdosen weniger schaffen als mit gar keiner, wenn er sie nämlich falsch anbringt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das können Sie nicht durch Gesetze schaffen.

(Zurufe von der SPD.)

Ich gehe weiter. Der Abstellraum innerhalb der Wohnung muß — nicht soll, sondern muß — 4% der Nutzfläche der Wohnung ausmachen. 40/0; wenn es 3,9 % sind, müßte die Finanzierung verweigert werden. Der Keller muß 6 qm betragen, der Kellerabstellraum außer diesem Keller noch einmal 6 qm. Die Gemeinschaftsantenne ist nicht zu vergessen. Nicht nur — und da wird es jetzt ernster und schwieriger für die Architekten — ein elektrischer oder ein Gasherd muß hinein, was ich durchaus bejahe, sondern auch der Anschluß für einen Kohleherd ist verbindlich, auch für ferngeheizte Siedlungen. Wenn Architekten anwesend sind, werden sie Ihnen sagen, was das bedeutet. Das bedeutet für ferngeheizte Siedlungen, daß alle Haustypen wegen des leidigen Kamins geändert werden müssen. Aber das bedeutet nicht nur, daß die Haustypen geändert werden müssen, sondern der ganze Bebauungsplan muß ebenfalls anders aufgestellt werden, weil dieser Kaminwald andere Abstände erfordert. Zwei Personen dürfen nach diesen verbindlichen Vorschriften nicht in 48 qm wohnen, sie müssen in 50 qm wohnen.
Jetzt die Erschließung. Da ist überhaupt die Frage, an welchen Adressat sich das richtet und wie das baupolizeilich und baurechtlich überhaupt durchzusetzen ist. Da heißt es weiter: Gebaut werden darf nur an einer hergestellten Straße — dazu kann man noch ja sagen — mit gefahrlosem Zugang zum Haus. Bisher glaubte ich, daß die Voraussetzung für das Bauen die Genehmigung eines Baugesuchs auf Grund des Bebauungsplans ist. Soll die Prüfung der Gefahrlosigkeit der Straße noch als zusätzliche Voraussetzung zur Bauprüfung hinzutreten? Eine Masse von Vorschriften für die Erschließung, über die Lage und über Gemeinschaftsanlagen ist drin. Nicht nur an die „schadlose" Beseitigung der Abwässer — was richtig ist — ist gedacht. Es muß an die öffentlichen Versorgungsanlagen angeschlossen werden, auch bei Wasser. Versuchen Sie, in Bayern oder in einer Landsiedlungsgegend dieses Muß durchzusetzen! Es muß sogar ein guter Verbindungsweg zur Kirche da sein. Drei Wohnungen müssen einen Sandkasten haben — das ist zu bejahen —, je 50 Wohnungen ein Klettergerüst, je 1000 Wohnungen ein Jugendzentrum.

(Abg. Frau Berger-Heise meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Einen Moment!

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411922300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0411922400
Ja, nach dem nächsten Satz.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411922500
Hoffentlich finden Sie den Punkt.

(Heiterkeit.)


Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0411922600
Wer ist eigentlich der Adressat dieser letzten Muß-Vorschriften? In erster Linie die Gemeinden, aber indirekt auch der Bauherr. Denn wenn es nach dem SPD-Entwurf ginge, dürfte er, wenn die Gemeinde das nicht alles erfüllen will oder erfüllen kann, nicht bauen, weil ihm verbindliche Voraussetzungen der Mindestausstattung fehlen. Wie man das mit dem Baurecht überhaupt zusammenspannen will, ist mir nicht klar.

Margarete Heise (SPD):
Rede ID: ID0411922700
Herr Dr. Czaja, darf ich Sie bitten, dann auch den Abs. 3 zu interpretieren, in dem es heißt:
Von den Mindestanforderungen des Absatzes 2 können Abweichungen zugelassen werden, wenn besondere örtliche Verhältnisse oder besondere allgemeine betriebliche oder persönliche Bedürfnisse ihrer Verwirklichung entgegenstehen.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0411922800
Aber gern will ich ihn interpretieren. Der hat mir nämlich doppelt Sorge gemacht. Dann erst schreiben Sie es als Muß-Vorschrift vor, und dann stellen Sie es in den Ermessensbereich der einzelnen Behörde, ob sie zusätzlich zu den baupolizeilichen Vorschriften, die fest verankert sind und eine gesetzliche und verwaltungsmäßige Grundlage haben, noch in einem außerordentlich erweiterten Bereich nach freiem Ermessen so oder so entscheiden will. Das ist eine doppelte Gefahr, den einen zu begünstigen und den anderen schlechter zu stellen. Ganz abgesehen davon, daß das unmögliche Verwaltungsakte und Zusatzverfahren hervorruft. — Ich danke Ihnen, daß Sie mich auf dieses Moment hingewiesen haben.

(Zuruf von der SPD: Es gibt kein Gesetz ohne Ausnahmeregelung bei Ihnen!)

Das Entscheidende, worum es geht, ist, daß Sie zuviel Muß-Vorschriften gemacht haben, von denen Sie dann wieder tausend Ausnahmen machen müssen. Sie haben zuviel Muß-Vorschriften aus einer perfektionistischen Planungsordnung und Planungsillusion, die meint, die Welt damit paradiesisch gestalten zu könnnen. Darin liegt der Grundfehler.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Den Wohnwegen als moderner Erschließungsform scheinen Sie überhaupt abhold zu sein, denn Sie schreiben vor, daß zu jedem Haus die Zufahrt schwerer Lieferwagen verbindlich sein muß. Mit moderner Stadtplanung hat diese Muß-Vorschrift allerdings weiter nichts zu tun.
Aber nun kommt das Schrecklichste: die Pläne und die Bestandsaufnahme. Davon wimmelt es nur. Sie haben schon ein paarmal die sogenannten Zeitstufenpläne angesprochen. Die Gemeinden haben



Dr. Czaja
Bestandsaufnahme zu machen, in welchem Umfang Erschließungsanlagen und Gemeinschaftsanlagen nicht diesem Mindestmaß entsprechen, und dann der Landesregierung die Reihenfolge des Abstellens vorzuschlagen. Dann sind Zeitstufenpläne aller Art zu machen.
Die Hausbesitzer werden ganz besonders hergenommen. Die Wohnungen sollen überwacht werden. Die Modernisierung kann angeordnet werden. Auf die königlich-preußische Verordnung hat schon Herr Dr. Hesberg verwiesen. Ich persönlich möchte sagen: das, was gesundheitspolizeilich und feuerpolizeilich als nicht bewohnbar zu bezeichnen ist, soll meiner Meinung nach ganz strikt zu bewohnen verboten werden. Aber auf Grund anderen als des Baupolizei- und des geltenden Feuerpolizeirechts Modernisierung anzuordnen nach Zeitstufenplänen, wo die Gemeinden anordnen, in welchen Abständen zu modernisieren ist, das geht doch etwas zu weit mit der öffentlichen Kontrolle im Wohnungswesen und mit der öffentlichen Kontrolle des Besitzes eines Dritten.
Die Gemeinden haben überall die örtliche Nachfrage, und zwar so, wie sie besteht, und wie sie m o m e n t an besteht und wie sie nicht befriedigt ist, zu erfassen. Das bezieht sich nicht auf den geschätzten Dauerbedarf. Daran denkt der Entwurf nicht. Das Festnageln an die augenblickliche Bedarfslage kann sehr wohl auch zu Fehlinvestitionen führen. Jedenfalls glaube ich, bei diesen Zeitstufenplänen wird es einen Wettlauf des Bedarfs und der Forderungen geben. Ich wünschte einem der Urheber dieser Formulierungen, daß er einige Jahre gegenüber diesen Zeitstufenplänen und Förderungsplänen, die die Gemeinden anmelden, als Verteiler auftreten müßte. Er hätte seine liebe Not mit der Sache. Der Bedarfsmeldungen wird er nie Herr werden. Hier steckt schon die Undurchführbarkeit der Versprechungen darin.
Die Gemeinden machen Programme. Sie bestimmen also auch die Rechtsform der Wohnung. Von freier Konsumwahl, die ich ursprünglich aus dem Godesberger Programm zitiert habe, ist in diesem Punkt nichts übriggeblieben. Der Gemeindebeamte soll die Bedürfnisse, sogar die wirtschaftlichen Möglichkeiten des einzelnen beurteilen. Er soll also beurteilen, ob sich jemand ein Eigenheim leisten kann oder nicht. Dann sollen ihn die so erstellten Programme zu seinem Wohnungsglück führen. Wie sehr die Eigentumsbildung zu leiden droht, ist den Kennern der Dinge draußen offensichtlich.
In dem Entwurf sind für Mietwohnungen höhere Bürgschaften vorgesehen als für vergleichbare Familienheime und wird für Mietwohnungen wesentlich weniger Eigenkapital gefordert als von Bauherren von Familienheimen. Von betonter Eigentumsfreude verspürt man also wenig. Die Familie mit Kindern — auch das ist nicht uninteressant — kommt schlecht weg. Die Einkommensgrenze — davon war hier schon die Rede — des begünstigten Personenkreises ist für Kinderlose, für Zweipersonenhaushalte, außerordentlich erhöht. Was mich aber außerordentlich überrascht hat, ist,
daß sie für Familien mit Kindern gesenkt worden ist

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und daß die Regelung über den Vorrang der Kinderreichen beim Familienheim, die in dem derzeitigen Gesetz vorgesehen ist, gestrichen worden ist.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Ebenso habe ich völlig vergeblich in dem ganzen Gesetz die sogenannten Familienzusatzdarlehen gesucht, die sich bisher so segensreich ausgewirkt haben.
Daß wir diesen Weg nicht gehen, ist klar. Wir haben versucht, unseren Weg in Drucksache 2010 in Umrissen niederzulegen. Wir legen Ihnen kein fertiges Programm vor. Wir verlangen von der Regierung bald den Entwurf einer Novelle zu dem bewährten Zweiten Wohnungsbaugesetz und nennen einige Punkte, die wir darin verwirklicht sehen möchten: Mehr für Eigentum! Mehr für Kinderreiche! Mehr für Familienzusatzdarlehen! Mehr für Alte! Aber auch ein stärkerer Angebotsdruck bei zukünftig zu bauenden Sozialwohnungen! Keine Zweckentfremdung bestehender Sozialwohnungen und Erfassung dieser Wohnungen insofern, als sie nicht dem begünstigten Personenkreis vorenthalten werden sollen! Baldige Zuleitung eines getrennten Städtebauförderungsgesetzes an dieses Haus! Also schlichte Worte, kein großes Programm! Unser Programm stützt sich auf praktische Taten, und die Ergebnisse des Wohnungsbaus haben dieses Programm bestätigt.
Sie können natürlich verfahrensmäßig vorgehen, wie Sie wollen. Sie können diesen Antrag nach § 99 Abs. 2 der Geschäftsordnung entweder dem Ausschuß überweisen oder ihn zur Abstimmung stellen. Sie haben es natürlich auch in der Hand, ihm mit fünf Leuten zu widersprechen. Dann kommt er demnächst auf die Tagseordnung. Sie wünschten, daß wir Ihnen schnell unsere Meinung sagen. Das haben wir getan. Ob Sie heute darüber entscheiden wollen oder in der nächsten Sitzung, ist in Ihrer Hand. Das wissen wir. Sie können nach § 99 Abs. 2 der Geschäftsordnung mit fünf Stimmen widersprechen.
Als ich den Entwurf des Dritten Wohnungsbaugesetzes las, mußte ich auch an ausländische Vorbilder denken, an denen ich die rationelle Bauweise sehr bewundert habe. Sie hat mir sehr imponiert, aber nicht die Wohnformen und nicht die im Staatssozialismus verwendete Finanzierung des Wohnungsbaus. Ich mußte an das denken, was uns ein sehr einfacher, biederer Kraftfahrer, der sehr gut deutsch sprach, in einer späten Abendstunde, als er uns, Vertreter der Opposition und der Koalition, gemeinsam dort heimfuhr, in sehr schlichter Sprache über den Import dieser Dinge gesagt hat und uns davor gewarnt hat. Ich möchte seine Worte nicht wiederholen. Es war eine etwas kräftige Ausdrucksweise. Aber ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Mensch bei uns vor übertriebenen Ergebnissen, übertriebener Perfektion und dabei makaber werdender Planung geschützt wird. Gewaltige perfektionistische Plangebäude, die ein lei-



Dr. Czaja
der, leider irreal perfektionistisches Gedankengebäude errichten und den notwendigsten Bedarf nicht befriedigen, helfen uns nicht weiter. Wir wollen eine organische Entwicklung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes für die, die sich nicht selber helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411922900
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0411923000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu .der nunmehr auftretenden geschäftsordnungsmäßigen Frage, was mit der Drucksache, die gar nicht auf der Tagesordnung — —

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411923100
Herr Abgeordneter, die geschäftsordnungsmäßige Frage tritt nicht auf. Der Antrag ist im. Sinne der heutigen Tagesordnung nicht existent. Er muß auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen gesetzt werden.

Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0411923200
Herr Präsident, ich danke Ihnen für den Hinweis. Ich wollte dasselbe zum Ausdruck bringen. Ich wollte sagen: dazu werden wir nicht Stellung nehmen, das ist Aufgabe des. Präsidiums. Sie haben die Entscheidung getroffen.
Der Antrag diente ja, wie wir vorhin schon bemerkt haben, auch nur einer Debatte, die sich zwar, was die Ausführungen des Herrn Kollegen Czaja gezeigt haben, am Rande auch mit dem SPD-Antrag beschäftigte, mit der man aber im Grunde genommen ablenken wollte, ablenken in einer Weise, die wir für absolut unzulänglich halten. Wir haben überhaupt den Eindruck, daß unser Gesetzentwurf teilweise — ich verweise hier u. a. auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Czaja — nicht mit der gebührenden Sachlichkeit behandelt wird. Ich will hier nicht auf Einzelheiten eingehen, die dargestellt worden sind. Wir werden ja demnächst Gelegenheit haben, das zu tun. Aber ein paar Bemerkungen seien doch gestattet.
Es ist nach unserer Auffassung doch ein gravierender Unterschied der Meinungen festzustellen. Herr Kollege Dr. Czaja hat erklärt, Eingriffe, Einflußnahmen bei der Modernisierung ließe man sich gefallen, wenn feuer- und gesundheitspolizeiliche Erwägungen dazu zwängen. Wir, Herr Kollege Czaja, halten es gerade unter dem Gesichtspunkt der Wohnungsreform, der Wohnkultur, des zivilisatorischen Fortschritts für wünschenswert, mit darauf zu achten, daß die Menschen auch zu höheren Ansprüchen auf dem Gebiete des Wohnens hingeführt werden. Wir sind der Auffassung, daß insoweit auch die Auslegung, die der Herr Kollege Hesberg dem preußischen Gesetz hat zuteil werden lassen, schief ist. Es geht dort ja nicht nur um polizeiliche Maßnahmen, es geht in diesem preußischen Gesetz — und in den Gesetzen anderer Länder — um Fragen der Wohnkultur und Erwägungen des Fortschritts.
Herr Kollege Czaja hat massive Kritik an Einzelheiten des Gesetzes geübt und ebenso wie der Kollege Dr. Hesberg an den einen oder anderen kritischen, ja ironischen Zeitungskommentar angeknüpft. Mit den Steckdosen und anderen mehr oder weniger kleinen Dingen, die wir in unserem Gesetzentwurf mit geregelt haben, ist ja nicht das Wesentliche dargetan. Wenn Sie den langen Katalog des § 5 ansehen, dann finden Sie dort Anhaltspunkte für die Gestaltung durch den Gesetzgeber, die Sie, wenn Sie sie nicht in Verbindung mit die s e m Gesetz vornehmen wollen, an anderer Stelle vornehmen müssen. Wie wollen Sie denn Raumordnung, Städtebau, Dorferneuerung, Sanierung betreiben, wenn Sie nicht irgendwann und irgendwie gesetzlich regeln: Voraussetzungen für die verkehrsmäßige Erschließung, Bestimmungen über die Wohnlage, über die Ausschließung von Störungen, die sich aus der Umwelt ergeben, Bestimmungen über Gemeinschaftsanlagen und vieles andere mehr, was nicht überwiegend Aufgabe des einzelnen Hausbesitzers, der ein Gebäude errichtet, sein kann?! Wo also Gemeinschaftsinteressen berührt werden und wo gemeinschaftliche Pflichten bestehen, da muß irgendwo eine gesetzliche Regelung Platz greifen.
Sie sollten sich zumindest während der Ausschußberatungen ein wenig ernsthafter mit unseren Einzelvorschlägen und mit dem gesellschaftspolitischen Anliegen, das damit verbunden ist, beschäftigten. Es ist doch weiß Gott nicht damit getan, immer und ewig nur von Eigentumsbildung zu sprechen, wie Sie es tun. Wir bejahen sie aus ehrlichem Herzen. Aber darin allein kann doch nicht die künftige Wohnungsbaupolitik bestehen. Man kann nicht immer davon ausgehen, nur wer vordringlich Eigentumsmaßnahmen fördere, verdiene ein Lob, der verstehe etwas von den Notwendigkeiten unserer Gesellschaft, Das ist doch eine völlig einseitige Betrachtung.
Ich werde aber gleich noch mit ein paar Bemerkungen darauf zurückkommen, indem ich Ihnen darzutun versuche, daß Sie ja nicht konsequent genug sind, wenn wir Sie ernst nehmen wollen mit Ihrer Darstellung der Dinge, wenn wir unterstellen wollen, daß Ihnen wirklich am Herzen liegt, daß die Wohnungsversorgung für alle in befriedigender Weise erfolgen soll.
Sie kommen uns mit ,dem „Baculum". Sie kommen präzeptoral und lehrhaft und wollen unser Parteiprogramm, wollen das Godesberger Grundsatzprogramm für uns kommentieren und sind besorgt, wir könnten unser Programm verlassen. Sie versuchen dies darzutun, indem Sie die eine oder andere Sentenz zitieren,

(Zurufe)

aber nicht das, was Sie in diesem Zusammenhang mit beachten sollten.
Ich will Ihnen ein bißchen helfen, Herr Kollege Mick, Sie dürfen gleich fragen. Oder fragen Sie jetzt, ich antworte darauf.

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0411923300
Herr Kollege Jacobi, die SPD zitiert von uns heute noch das Ahlener Programm. Und dann wollen Sie uns nicht gestatten, daß wir das Godesberger Programm zitieren und auch interpretieren?




Werner Jacobi (SPD):
Rede ID: ID0411923400
Herr Mick, da gibt es einen gravierenden Unterschied neben anderen: das Ahlener Programm kann man schon lange nicht mehr ernst nehmen, weil Sie nicht dazu stehen.

(Zurufe: Und das Godesberger Programm?)

—Das Godesberger Programm aber ist die Grundlage für unser praktisches Handeln.

(Zuruf des Abg. Rasner und weitere Zurufe von der Mitte.)

— Herr Rasner, .Sie sind gerade kein Kronzeuge für das Ahlener Programm. Wenn wir in der Vergangenheit an das Ahlener Programm erinnerten, dann wurde Ihnen immer übel zumute; das ist der Unterschied.

(Zuruf von der Mitte: Und Ihnen beim Godesberger!)

— Wir stehen zum Godesberger Programm, und ich werde Ihnen den Nachweis führen, daß wir mit diesem Gesetzentwurf nicht den Geist und die programmatischen Regelungen des Godesberger Programms verlassen. Hören Sie bitte einmal freundlichst zu.
Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis für einige Zitate aus dem Godesberger Programm:
Das Leben des Menschen, seine Würde und sein Gewissen sind dem Staate vorgegeben.

(Abg. Frau Kalinke: Haben wir schon mal woanders gelesen!)

— Ach, Frau Kalinke, Sie sind sicherlich die schiechteste Interpretin des Geistes, den wir in unserem Godesberger Programm niedergelegt haben; wir bedanken uns dafür.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

— Ja, das ist leider nicht zum Lachen; das ist nur zu bedauern.
Der Staat soll Vorbedingungen dafür schaffen, daß der einzelne sich in freier Selbstverantwortung und gesellschaftlicher Verpflichtung entfalten kann.

(Abg. Rasner: Ihr lernt dazu!) Und ein weiteres:

Als Sozialstaat hat er für seine Bürger Daseinsvorsorge zu treffen, um jedem die eigenverantwortliche Selbstbestimmung zu ermöglichen und die Entwicklung einer freiheitlichen Gesellschaft zu fördern.
Nichts anderes wollen wir mit unserem Gesetzentwurf. Nichts anderes schwebt uns vor, als die objektiven Voraussetzungen für die freiheitliche Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen.

(Abg. Mick: Dann müssen Sie es auch so hineinschreiben, Herr Jacobi!)

Ich darf Ihnen aber noch einiges andere aus dem Godesberger Programm vorhalten. Nebenbei bemerkt, Sie haben bis auf das längst nicht mehr als real anzusprechende Ahlener Programm eigentlich nie den Versuch unternommen, deutlich zu machen,
was überhaupt programmatischer Inhalt Ihrer Politik ist. Sie versuchen das ad hoc.

(Zurufe von der Mitte. — Abg. Rasner: Wir haben praktische Politik gemacht, daß ist besser als Programme!)

— Ja, ich werde Ihnen, Herr Rasner, jetzt etwas zu Ihrer praktischen Politik im Zusammenhang mit dem Thema .sagen, über das wir heute sprechen. Sie haben nämlich wohlweislich übersehen, aus dem Godesberger Programm das zu zitieren und dementsprechend bei Ihrer Stellungnahme zu beachten, was in diesem Godesberger Programm konkret zu Fragen der Wohnungs-, Bau- und Bodenpolitik zum Ausdruck gebracht wird.

(Abg. Rasner: Na, lesen Sie mal vor!)

Da heißt es — Herr Rasner, Sie kennen das bestimmt nicht —:
Jeder hat ein Recht auf eine menschenwürdige Wohnung. Sie ist die Heimstätte der Familie. Sie muß deshalb auch weiterhin sozialen Schutz genießen und darf nicht nur privatem Gewinnstreben überlassen werden.
Und weiter heißt es dort — Herr Kollege Dr. Czaja, seien Sie vorsichtig! —:

(Abg. Dr. Czaja: Ja, ich bin auch vorsichtig!)

Die Wohnungs-, Bau- und Bodenpolitik muß den Mangel an Wohnraum beschleunigt beheben. Der soziale Wohnungsbau ist zu fördern. Der Mietzins ist nach sozialen Gesichtspunkten zu beeinflussen.

(Abg. Dr. Czaja: Wohnbeihilfen!)

Und jetzt kommt etwas außerordentlich Wichtiges!
— Die Wohnbeihilfen, verehrter Herr Kollege Dr. Czaja, sind leider in der Form, wie Sie sie in Ihrem Gesetz haben, nicht ausreichend, um hier zu helfen, und Sie kennen die Kritik, die 'an diesem Wohnbeihilfengesetz von uns aus sachlichen Erwägungen

(Abg. Dr. Czaja: Das können Sie aber nicht beweisen!)

geübt worden ist. Das trifft den Kern nicht. Aber die Problematik Ihrer praktischen Politik, die Fragwürdigkeit Ihrer in die Zukunft hinein gerichteten Erwägungen, die Sie soeben kritisch gegenüber dem sozialdemokratischen Gesetzentwurf vorgetragen haben, ergibt sich 'aus dem nachfolgenden Satz des Godesbergre Programms.

(Abg. Rasner: Noch 'n Gedicht!)

— Was sagten Sie? „Noch 'n Gedicht"? Herr Rasner, Sie sollten sich wirklich überlegen, ob gegenüber dem ernsthaften Versuch einer Partei, der Bevölkerung darzutun, was ihr Programm ist, eine solch humorige Bemerkung, wie Sie sie soeben angebracht haben, vertretbar ist. Ich glaube, hier bewegen wir uns nicht auf einer Ebene des Kabaretts, sondern hier haben wir es mit ernsten 'allgemeinpolitischen Problemen zu tun, und einen entsprechenden Ernst darf ich auch von Ihnen erbitten.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Wehner.)




Jacobi (Köln)

Ich werde jetzt wohl dazu kommen, den Satz zu verlesen, der mir so wichtig erscheint. Er lautet:
Die Bodenspekulation ist zu unterbinden, ungerechtfertigte Gewinne aus Bodenverkäufen sind abzuschöpfen.

(Abg. Dr. Czaja: Haben Sie das in Hamburg gemacht?)

— Meine sehr verehrten Damen und Herren, da liegt doch das Problem. Da ergibt sich doch die Problematik dessen, was Sie uns auch für die Zukunft an politischen Vorstellungen dartun.

(Abg. Dr. Czaja meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Nein, Herr Kollege Czaja, jetzt antworte ich Ihnen nicht, nachher gern.

(Abg. Dr. Czaja: Weil Hamburg noch keine Wertzuwachsabgabe gemacht hat!)

Sie können bei mir ja nicht unterstellen, daß ich nicht gewillt bin, auf Zwischenrufe zu antworten. Aber Sie haben heute in einer so demagogischen Form zu unserem Gesetzentwurf Stellung genommen,

(Beifall bei der SPD)

daß ich es einfach ablehne, in diesem Augenblick kollegial mit Ihnen zu verhandeln.

(Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich weiß, was das bedeutet. Die Überprüfung des Stenogramms wird ergeben, warum ich mir das Recht herausnehme, eine derartige kritische Bemerkung zu machen. Sie haben uns gegenüber einen Jargon angewandt, der in einer Form an vergangene Verhältnisse und an Ihre frühere Art, mit uns zu richten und zu rechten, erinnerte, daß wir darüber wirklich außerordentlich betreten sind

(Abg. Dr. Czaja: Sie müssen Kritik vertragen können!)

und ein Recht haben, dagegen Verwahrung einzulegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können auch bei der Eigentumsbildung keine Fortschritte erzielen, wir können auch bei all dem, was wir wohnungspolitisch anstreben, nicht das erreichen, was auch Ihnen vorschwebt, wenn der einzelne
— wie Sie es auszudrücken belieben — nur einen Anspruch erheben kann, falls er „unverschuldet in Not" ist. Wir haben Ihnen heute wiederholt deutlich zu machen versucht, daß auch wir keineswegs die Absicht haben, Ihnen ein Gesetz vorzulegen, das zur totalen staatlichen Bewirtschaftung führt, das den Staat zum Bauherrn macht, das den Staat überhaupt anders denn als Hilfsorgan in Erscheinung treten läßt. Was wir aber vom Staat verlangen und was der Staat schaffen muß, ist eine Ordnung, die gerecht ist und die zu sozial gerechten Verhältnissen führt.
Sie haben auf dem Gebiete der Bodenpolitik hier im Plenum zwar immer wieder Anträgen zugestimmt
— wir haben eine ganze Reihe von einstimmigen Beschlüssen —, in denen die Bundesregierung aufgefordert wird, wirksame Maßnahmen gegen die Bodenspekulation und gegen den Bodenwucher zu
ergreifen. Nichts ist geschehen. Da haben Sie keinen Eifer erkennen lassen, und dort, in dem Problem um die Grundrente, in dem Problem um die Bodenspekulation, liegt doch der Schlüssel zu einer Entwicklung, die in die Zukunft weist und die uns allein genügen darf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist zwar so, daß Sie in einzelnen Bestimmungen mit uns übereinzustimmen scheinen. Ich habe hinsichtlich der Sanierung vorhin schon ausgeführt, daß wir die Bestimmungen darüber in unseren Gesetzentwurf aufgenommen haben, als vom Städtebauförderungsgesetz noch keine Rede war. Es ist eine Frage der organisatorisch-technischen Regelung, wo die Dinge geregelt werden, wenn man sich nur einig werden kann, daß sie geregelt werden, und das scheint mir nicht gerade das zu sein, worüber am meisten Streit besteht. Wir sehen — um ein Wort von Herrn Dr. Czaja zu zitieren — keineswegs alles Heil in der öffentlichen Versorgung. Wir möchten auch die Behauptung zurückweisen, daß unser Gesetzentwurf leere Versprechungen enthalte. Welche Logik ist es übrigens, wenn Sie auf der einen Seite sagen, wir hätten einen aufwendigen Entwurf vorgelegt, und auf der anderen Seite erklären, das, was wir an finanzieller Beteiligung des Bundes in Aussicht nehmen, sei völlig unzureichend! Das ist ein Widerspruch, den ich nicht ohne weiteres klären kann. Aber wenn Sie in Ihrem Städtebauförderungsgesetz nach wie vor nicht regeln, in welcher Weise der Bund hier finanziell mithilft, dann haben wir das Recht, anzuzweifeln, ob Ihre Vorstellungen überhaupt realisierbar, ob sie ernst gemeint sind. Freie Konsumwahl, — jawohl, wir unterstreichen das dreimal. Aber freie Konsumwahl setzt einen geordneten Markt voraus, und da klafft der Widerspruch der Auffassungen. Sie scheinen nach wie vor der Meinung zu sein, daß durch kleine Korrekturen des gegenwärtig geltenden Wohnungsbaugesetzes der Markt sich regulieren ließe, daß damit also ein gesättigter Markt entstünde. Wir haben Ihnen wiederholt dargetan, daß wir die Ausgangsposition nicht ganz so optimistisch beurteilen .können.
Entscheidend ist, daß Sie sich letztlich mit unserer Grundauffassung auseinanderzusetzen haben, daß es uns nicht ausreichend zu sein scheint, daß alle eine Wohnung erhalten, sondern daß es darauf ankommt, daß die Wohnung in ihrer Ausstattung modernen Auffassungen und Ansprüchen genügt und menschenwürdig ist. Herr Kollege Dr. Czaja, Sie haben selbst einmal formuliert: Jedem eine Wohnung, danach seine Wohnung.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Nun habe ich ausnahmsweise angenommen, daß Herrn Kollegen Dr. Czaja etwas besonders Lobenswertes eingefallen ist, und dabei ist es der Kollege Mick gewesen, der das so formuliert hat. Jedenfalls geht es darum, das sicherzustellen, und da haben w i r konkrete Vorstellungen entwickelt. Ich habe vorhin schon betont, daß wir das eine oder andere durchaus zum Gegenstand der Überprüfung machen können, soweit es um Einzelheiten geht; aber in der Grundtendenz muß eine klare Entweder-oder-Ent-



Jacobi (Köln)

scheidung getroffen werden. In der Grundtendenz müssen wir feststellen, wer recht hat: wir, die wir der Meinung sind, daß es nicht zuletzt aus gesellschaftspolitischen Gründen einer Neuregelung bedarf, oder Sie, die Sie sagen, es bedürfe nur noch für eine Zeitlang zur Fortführung des bisherigen Wohnungsbaurechts einer Novelle zum Wohnungsbaugesetz. — Herr Kollege Dr. Hesberg, wollen Sie etwas fragen?

(Abg. Dr. Hesberg: Ich wollte mich zum Wort melden!)

— Herr Kollege, ich kann Sie nicht daran hindern. Ich möchte Sie nur bitten, bei Ihren Ausführungen uns zu unterstellen, daß wir nicht die Absicht haben, leere Versprechungen zu machen und Wünsche zu wecken, die nicht erfüllt werden können, sondern die Absicht haben, an einer gesetzlichen Regelung mitzuwirken, die realisierbar ist. Wir möchten, daß der Staat Anreize gibt, daß er Hilfen und Pläne entwickelt, ohne selbst Unternehmer zu sein. Dennoch bedeutet das nicht, daß man den einzelnen, der tut, was in seinen Kräften steht, allein lassen kann. Wir glauben, daß Staat und Gemeinden sich stärker als bisher gerade um die Neuordnung all der Aufgaben bekümmern müssen, die wir als Gemeinschaftsaufgaben bezeichnen. Unser Gesetzentwurf ist ein Mittel dazu. Von ihm glauben wir, daß es wert ist, von Ihnen wirklich ernst genommen zu werden.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411923500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hesberg.

Dr. Carl Hesberg (CDU):
Rede ID: ID0411923600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jacobi, ich darf an das anknüpfen, was Sie zuletzt ausgeführt haben. Ich habe keineswegs behauptet, wir brauchten das Wohnungsbaugesetz nur noch für wenige Jahre zu novellieren. Wir halten es für eine Dauerlösung, wenn es novelliert ist, die auf viele Jahre der von uns anerkannten Aufgabe, im sozialen Wohnungsbau zu wirken, zu dienen hat.
Wir erkennen dankbar Ihre Bereitschaft an, im Ausschuß sachlich mitzuwirken. Wir haben uns ja oft genug redlich bemüht. Ich möchte hoffen, daß Sie dann nicht so sehr an dem Perfektionismus festhalten, sondern sich auch die Reaktion der Presse auf den Perfektionismus Ihres Gesetzes als Anregung dienen lassen.

(Abg. Jacobi [Köln] : Zum Teil sind es Stellungnahmen von Laien!)

— Nein, das sind keine Stellungnahmen von Laien.

(Abg. Jacobi [Köln] : Zum Teil!)

Herr Kollege Jacobi, ich habe vorhin schon einmal gesagt: wir dürfen das Gesetz nicht zu einer Verwaltungsanordnung herabwürdigen. Wir haben es hier nur mit einer allgemeinen Regelung zu tun. Je mehr wir uns im Ausschuß in Einzelheiten verlieren — z. B. hinsichtlich des Wohnungsstandards —, desto länger werden wir uns mit diesem Gesetz aufhalten. Das sind Verhältnisse, die wandelbar sind, deren Regelung also nicht ins Gesetz, sondern in Verwaltungsanordnungen gehört.
Wenn Ihre in der Formulierung mißverständlichen Ausführungen im ersten Teil Anlaß zu der Debatte, wie sie hier geführt worden ist, gegeben haben und wenn wegen des Mangels der Formulierungen vielleicht auch einmal ironische Bemerkungen gefallen sind, dann darf das aber nicht dazu führen, unserem Kollegen Czaja hier Demagogie vorzuwerfen. Ich muß das für meine Kollegen auf das entschiedenste zurückweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411923700
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Überweisung der Vorlage an die Ausschüsse. Es ist vorgeschlagen, die Vorlage an den Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung — federführend — und zur Mitberatung — gemäß § 96 der Geschäftsordnung — an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Das Haus ist mit dieser Überweisung einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Wertgrenzen in der Zivilgerichtsbarkeit (Drucksache IV/1924).
Soll die Vorlage begründet werden? — Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Dr. 'Bucher, Bundesminister der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Ihnen vorliegenden Entwurf soll eine seit langem fällige Anpassung an die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte vollzogen werden. Wegen der historischen Entwicklung der Wertgrenzen in den letzten Jahrzehnten darf ich Sie auf die Ihnen vorliegende Begründung des Entwurfs verweisen; das gleiche gilt bezüglich der Zahlen über die derzeitige Belastung der Gerichte. Ich darf der schriftlichen Begründung nur noch weniges hinzufügen.
Die Zuständigkeitsgrenzen für das Amtsgericht sowie die Wertgrenzen für die Berufung und die Revision entsprechen nicht mehr den heutigen Verhältnissen. Sie sind unangemessen niedrig und haben dadurch zu einer Überlastung der Kollegialgerichte geführt; dies hat sich zum Schaden der Rechtsuchenden ausgewirkt und ist dem Ansehen der Gerichte abträglich.
Die Maßnahmen, die der Entwurf vorschlägt, berühren alle Stufen der Zivilgerichtsbarkeit. Durch die Erhöhung der Zuständigkeitsgrenze der Amtsgerichte werden in erster Linie die Landgerichte entlastet. Prozesse, die heute von den Landgerichten in erster Instanz entschieden werden müssen, aber bei den jetzigen Verhältnissen als Streitigkeiten über kleinere Objekte anzusehen sind, werden damit vor die ortsnahe Instanz, das Amtsgericht, kommen. Die Erhöhung der Berufungssumme wirkt sich beim Landgericht und Oberlandesgericht entlastend



Bundesminister Dr. Bucher
aus. Die Erhöhung der Revisionssumme entlastet — und das ist das notwendigste — den Bundesgerichtshof. Insgesamt werden die Maßnahmen zu einer fühlbaren Beschleunigung der Zivilprozesse in allen Instanzen beitragen.
Besonders bedrohlich und bedauerlich ist die Lage beim Bundesgerichtshof. Hier sind, wie sich aus der Begründung ergibt, die Rückstände von Jahr zu Jahr gestiegen. Die bisher mitgeteilten Zahlen sind bereits überholt; ich darf sie ergänzen und sagen, daß sich bis zum Ende des Jahres 1963 die Zahl der anhängig gebliebenen Revisionen weiter auf 2482 erhöht hat.
Die übermäßige Dauer der Prozesse, die mit diesen Rückständen verbunden ist, führt zu erheblichen Härten für die Parteien. In manchen Fällen, namentlich bei betagten Parteien, wirkt sich dies fast wie eine Verweigerung des Rechtsschutzes aus. Diese Entwicklung muß uns mit tiefer Sorge erfüllen.
Die Überlastung des Bundesgerichtshofs geht darauf zurück, daß zu viele Sachen an ihn gelangen, darunter auch solche, die nicht unbedingt vor das höchste Zivilgericht des Bundes kommen müssen. Es ist deshalb erörtert worden, den Zugang zum Revisionsgericht grundsätzlich anders zu gestalten als bisher. Mit diesen Fragen haben sich insbesondere die Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit, der 44. Deutsche Juristentag und der 32. Deutsche Anwaltstag befaßt. Für eine gesetzgeberische Lösung — das ergibt sich auch zusammengefaßt aus den soeben genannten drei StelJungnahmen — ist diese Frage aber noch nicht reif. Dies gilt im übrigen auch für die sonstigen Fragen, die der Entwurf anspricht; auch hier werden daher nur Zwischenlösungen vorgeschlagen.
Im Bundesjustizministerium sind Kommissionen gebildet worden, welche die Fragen der Reform des Gerichtsverfassungsrechts, des Zivilprozeßrechts und des Rechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit den interessierten Stellen erörtern und entsprechende Gesetzentwürfe ausarbeiten sollen. Erst diese Entwürfe werden die endgültigen Lösungen vorsehen können. Die Kommissionen werden für ihre Arbeit längere Zeit benötigen. So lange aber kann die dringend erforderliche Entlastung der Zivilgerichte nicht aufgeschoben werden. Besonders dem Bundesgerichtshof kann eine Entlastung der Zivilsenate nicht so lange versagt werden. Deshalb muß die Bundesregierung auch davon absehen, im gegenwärtigen Zeitpunkt eine grundsätzliche Änderung unseres Revisionsrechts vorzuschlagen. Vor allem beim Bundesgerichtshof kommt es darauf an, daß eine Entlastung sofort eintritt, und wir können die eintretende Entlastung ziemlich präzise auf 37 % berechnen.
Der Geschäftsanfall beim Bundesgerichtshof wird in Zivilsachen ganz überwiegend von den wegen der Höhe des Streitwertes zulässigen Revisionen bestimmt. Daher schlägt der Entwurf eine Erhöhung der Revisionssumme vor, die zu einem spürbaren Rückgang der Revisionen — ich nannte die Zahl 37 % — führen soll. Dadurch soll der Bundesgerichtshof in den Stand gesetzt werden, die vorhandenen Rückstände in absehbarer Zeit aufzuarbeiten und die neu eingehenden Revisionen zügig zu erledigen.
Das Wirken des Bundesgerichtshofs steht in der öffentlichen Meinung weitgehend stellvertretend für die gesamte Justiz. Deshalb erachte ich es als eine staatspolitische Aufgabe, dafür zu sorgen, daß bei dem Bundesgerichtshof alsbald die Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die es dem Gericht erlauben, durch rasche Erledigung der Revisionen seine Aufgabe im Interesse des Rechtsfriedens zu erfüllen und damit das Vertrauen in die Rechtspflege zu erhalten und zu vergrößern.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, dazu beizutragen, daß dieser Gesetzentwurf möglichst rasch verabschiedet wird, und dadurch dazu beizutragen, daß die dringend erforderlichen Entlastungsmaßnahmen alsbald wirksam werden können.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411923800
Die Vorlage ist durch die Bundesregierung begründet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0411923900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf stellt den Vorschlag einer sehr bedeutungsvollen Änderung wichtiger Grundvorschriften unserer Rechtsordnung dar. Die Voraussetzungen, unter denen der einzelne Bürger in zivilrechtlichen Streitigkeiten Rechtsschutz erhalten soll, sollen entscheidend verändert werden.
Diese Frage ist nicht leicht zu regeln. Stehen sich hier doch zwei sehr gegensätzliche Interessen entgegen: auf der einen Seite das Bedürfnis des einzelnen Bürgers, in einem möglichst weitgehenden Umfange ausreichenden Rechtsschutz zu bekommen, auf der anderen Seite das Bedürfnis der Justiz, mit einem Übermaß an Prozessen, wie es sich häufig findet, fertigzuwerden.
An diese schwierige Frage geht der Entwurf in seiner Begründung mit einer sehr dürftigen Feststellung heran, wenn er sagt, die gesetzlichen Wertgrenzen in der Zivilgerichtsbarkeit entsprächen nicht mehr den Zeitverhältnissen. Das ist recht vordergründig und geht an der Schwierigkeit der Probleme im Grunde vorbei. Ganz abgesehen davon, daß hier sozusagen amtlich von seiten der Justiz eine Feststellung über die Entwertung unseres Geldes getroffen wird, ist die vorgeschlagene Lösung sehr einseitig, ganz ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Justiz, dazu aber auch völlig schematisch und allein schon deshalb unbefriedigend. Es ist kein guter Weg, meine Damen und Herren, Art, Umfang und Ausmaß des Rechtsschutzes des einzelnen Bürgers am ziffernmäßigen Geldwert messen zu wollen. Denn für den einen ist eine Streitsache mit einem Wert von 1000 DM vielleicht schon eine seine Existenz berührende Frage, für den anderen eine Nebensächlichkeit, deren Ausgang für ihn keineswegs entscheidend wichtig ist.
Wir müssen deshalb genau prüfen, ob die vorgeschlagenen Änderungen mit den zum Teil radikalen Erhöhungen überhaupt _gerechtfertigt werden



Jahn
können. Wir müssen aber auch prüfen, ob mit den vorgeschlagenen und so radikalen Erhöhungen tatsächlich wirksame Maßnahmen getroffen werden würden. Das ist nach unserem Dafürhalten allein schon in dem Bereich zweifelhaft, wo es um die Änderung der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Landgericht und Amtsgericht hinsichtlich des Streitwertes geht. Wenn die Streitwertgrenze für die Amtsgerichte von 1000 DM auf 2000 DM erhöht wird, nun, dann mögen dadurch zwar die Landgerichte in einem gewissen Umfange entlastet werden; es tritt aber zweifellos eine ganz erhebliche und spürbare Mehrbelastung bei den Amtsgerichten ein, gerade bei dem Gerichtszweig, der heute schon allgemein und ohne Unterschied in besonderem Maße als überlastet anzusehen ist. Das wird Konsequenzen haben; man wird mehr Richter an die Amtsgerichte berufen müssen. Man würde also im Grunde das Problem nicht lösen, sondern nur eine Verschiebung vornehmen; und ob eine solche Verschiebung wirklich eine sinnvolle Entlastung sein kann, erscheint uns zumindest zweifelhaft. Immerhin, in diesem Bereich mag es möglich sein, .die Vorschläge der Bundesregierung als eine geeignete und zweckmäßige Diskussionsgrundlage anzusehen. Das gilt nicht nur für diese Zuständigkeitsneuregelung, sondern das gilt auch für die Vorschläge hinsichtlich der Veränderung der Streitwertgrenze für das Einlegen der Berufung.
Die Auffassung, daß es sich um eine geeignete Diskussionsgrundlage handelt, können wir aber nicht teilen hinsichtlich der Kernfrage des Entwurfs, mit der sich in erster Linie der Bundesjustizminister soeben beschäftigt hat, nämlich ,der Erhöhung der Wertgrenzen für die Einlegung der Revision von jetzt 6000 auf zukünftig 20 000 DM. Meine Damen und Herren, die Grundidee der Revision war — so können Sie es jedenfalls in der amtlichen Begründung der seinerzeitigen Vorlage vor dem Deutschen Reichstag nachlesen — die Wahrung der Rechtseinheit durch eine höchstrichterliche Instanz. Die Entwicklung der letzten neun Jahrzehnte hat dem im Grunde ja unbestrittenermaßen die Anerkennung hinzugefügt, daß die Entscheidung einer dritten, nämlich der Revisionsinstanz, auch dann zur Verfügung stehen soll, wenn sie von Bedeutung und Gewicht für den einzelnen Fall, d. h. also für die Wahrung der Rechte des einzelnen Bürgers, ist. Der erste Grundgedanke war eigentlich nie umstritten.
Schwierigkeiten hat es von Anfang an bei dem zweiten Grundgedanken gegeben, nämlich bei der Frage: Wie kann man hier eine rechte Grenze finden und auf der einen Seite zwar die Möglichkeit schaffen, daß der einzelne Bürger dann, wenn es notwendig und wichtig ist, dieses Rechtsmittel in Anspruch nimmt, auf der anderen Seite das in Frage kommende Revisionsgericht aber davor schützen, im Übermaße belastet zu werden. Darüber diskutieren Juristen und Parlamentarier nun schon seit Jahrzehnten, ohne bisher zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Die Debatte, die wir heute hier führen, hatte ihre Vorläufer schon im Deutschen Reichstag im Jahre 1898. Die Auswege, die man damals gefunden hat, waren so wenig befriedigend wie das, was uns heute angeboten wird; denn im
Kern war es nichts anderes, was sich darin zeigte, daß .die nächste Debatte schon im Jahre 1905, also ganze sieben Jahren später, geführt werden mußte, und eine folgende Debatte schon im Jahre 1910. In den 20er Jahren wurde die Debatte im Reichstag ebenso fortgesetzt. Alle diese Debatten — und das scheint mir wesentlich zu sein — wurden geführt mit der Begründung — genau wie sie bei der jetzigen Vorlage gegeben wird —, es müsse etwas gegen die Überlastung des Reichsgerichts getan werden, so wie wir heute von der Überlastung des Bundesgerichtshofs sprechen.
In der Tat, die Situation der Bundesgerichtshofs ist in hohem Maße unbefriedigend, und auch wir bekennen uns in aller Deutlichkeit zu der Notwendigkeit, daß hier dringend abgeholfen wird, daß Mittel und Wege gefunden werden müssen, den Bundesgerichtshof wirksam zu entlasten. Es geht auf die Dauer nicht — ich kann nur dem beipflichten, was der Herr Bundesjustizminister hierzu an Beispielen gesagt hat —, daß diejenigen, die den Bundesgerichtshof anrufen, oft Monate, manchmal sogar über ein Jahr und länger auf eine Entscheidung warten müssen. Das grenzt in der Tat häufig an eine Rechtsverweigerung.
Aber das, was die Bundesregierung jetzt vorschlägt, die Erhöhung der Revisionssumme auf 20 000 DM, ist doch nichts anderes als eine abgewandelte Form der Rechtsverweigerung für den einzelnen Bürger, und das gerade für die Lebensbereiche, in denen es nicht um große Kapitalbeträge geht. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß ein so wichtiges Gebiet wie das des zivilrechtlichen Ehrenschutzes in der Zukunft möglicherweise ganz aus dem Bereich des oberen Bundesgerichts, des Bundesgerichtshofes, herausfallen würde, wenn wir diese hohe Revisionsgrenze annähmen.
Es kommt hinzu — als Einwand gegen die Regierungsvorlage —, daß im Grunde unter den Sachkundigen ein ernsthafter Streit darüber, daß auch dieser Vorschlag nur ein Kompromiß und im Kern unzureichend ist, nicht besteht. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat im vergangenen Jahr vor dem Deutschen Anwaltstag in Goslar gesagt, wenn eine wirksame und auf die Dauer spürbare Entlastung für den Bundesgerichtshof gefunden werden solle, müsse man eigentlich die Revisionsgrenze auf 50-bis 60 000 DM erhöhen.
Es wundert mich nicht, daß der Herr Bundesjustizminister nicht den Mut hat — er kann ihn gar nicht haben —, einen solchen Vorschlag diesem Hause zu unterbreiten. Aber wie schwierig die Dinge sind, sehen wir schon daran, daß jetzt in die Diskussion über die Regierungsvorlage alle möglichen Vorschläge hineingebracht werden, die auch wiederum weit unter 20 000 DM bleiben, weil man sieht und einsehen muß, daß diese Streitwertgrenze in höchstem Maße problematisch ist.

(Vorsitz : Präsident D. Dr. Gerstenmaier.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle einmal — um deutlich zu machen, wie sehr wir uns im Grunde im Kreise bewegen — etwas aus dem Buche des ehemaligen Mitglieds des Her-



Jahn
renhauses und früheren Oberbürgermeisters von Frankfurt am Main, Dr. Adickes, zitieren: „Grundlinien durchgreifender Justizreform", erschienen in Berlin im Jahre 1906. Er schreibt über die Reichstagsverhandlungen vom Mai 1905:
Diese Reichstagsverhandlungen bieten ein wenig erfreuliches Bild. Fast nur von Juristen geführt, in einem schlecht besetzten Hause, in dem auch fast nur noch Juristen anwesend sind, schleppen die Debatten sich lang und in endlosen Wiederholungen hin. Dieselben Gründe, welche schon 1897/98 für und gegen angeführt wurden, kehren auch jetzt wieder, und wenn diesmal sich eine Mehrheit für die Erhöhung der Revisionssumme findet, so wird bei dem größten Teil der Zustimmenden dies Votum nicht aus innerer Überzeugung von der Güte der Maßregel, sondern nur mit Rücksicht auf den nur auf diesem Wege zu behebenden Notstand abgegeben. Eine wirklich eindringende Untersuchung der letzten Gründe der Überlastung, verbunden mit einer energischen Herausarbeitung der zu ihrer Beseitigung dienlichen und notwendigen Maßregeln wird vergeblich gesucht. Von der Hoffnung erfüllt, daß die Inanspruchnahme des Reichsgerichtes nach einer Reihe von Jahren, wenn erst das Bürgerliche Gesetzbuch eingelebt sei, von selbst wieder nachlassen würde, beschränkt man sich im wesentlichen von neuem auf Erörterungen über die Beseitigung der gegenwärtigen Not und kann sich nicht entschließen, den immer wiederholten Versuch einer Vereinigung unvereinbarer Dinge aufzugeben. Denn darauf kommt es doch zuletzt hinaus, wenn man auf der einen Seite das Reichsgericht nach dem Muster anderer höchster Gerichte wirksam entlasten und andererseits Rechtsmittel in einem bei den anderen höchsten Gerichten unbekannten Umfange zulassen möchte. So kommt man aus den Halbheiten nicht heraus, Entschlußunfähigkeit lähmt die Arbeit, und zu wirklichem und dauerhaftem Erfolg vermag man nicht zu kommen.
Ich habe diesen Bemerkungen von A bis Z nichts hinzuzufügen. In der Bewertung der Situation, in der wir uns heute befinden, wird doch in diesen Ausführungen ein zweifaches Unbehagen deutlich: das Wissen darum, daß die vorgeschlagenen Mittel — wie heute — zur wirksamen Entlastung auf die Dauer nicht beitragen können, und zum anderen die Erkenntnis, daß man sich von dem Bedürfnis, auch dem Einzelfall hinreichend Genüge zu tun, mit der einfachen Heraufsetzung der an sich schon unbefriedigenden Kapitalbegrenzung für die Revisionsgrenze immer weiter entfernt. Es sei mir deshalb in allem Freimut die Bemerkung gestattet, daß auf diesem Hintergrund einer jahrzehntelangen Diskussion das, was in dieser Regierungsvorlage angeboten wird, wahrhaft enttäuschend ist, und zwar enttäuschend deshalb, weil darin nichts zu spüren ist von dem notwendigen und — ich füge hinzu — auch möglichen Mut zu einer grundsätzlichen Reform. Diese grundsätzliche Reform bietet sich an in dem Bemühen um Einführung der Grundsatzrevision. Ich gebrauche das Wort, obwohl es gelegentlich mißverständlich gebraucht wird und gebraucht werden kann. „Grundsatz" im Sinne der Grundsatzrevision kann nicht heißen, daß das Revisionsgericht in Zukunft neben dem Gesetzgeber eigene Rechtsgrundsätze aufstellen soll. „Grundsatz" in diesem Sinne kann nur heißen, daß Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder von grundsätzlicher Bedeutung im Einzelfall zu entscheiden sind. Die Sache muß für das rechtliche Leben bedeutsam sein. Das kann sie aus verschiedenen Gründen sein, sei es, weil es um Rechtsfragen von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung geht, sei es — auch das ist denkbar —, weil der hohe im Streit befindliche Geldwert die Existenz eines der Beteiligten berührt, sei es, weil es unterschiedliche Entscheidungen hoher und höchster Gerichte in vergleichbaren Fällen gibt, oder sei es schließlich, weil neue und beachtliche Einwände gegen eine herrschende Rechtsauffassung vorgetragen werden. Mit diesen Hinweisen soll keineswegs erschöpfend dargestellt werden, aus welchen Erwägungen eine Grundsatzrevision notwendig ist und zu rechtfertigen ist. Aber in dieser Richtung und mit diesen Grundüberlegungen bewegen sich unsere Bemühungen um eine Antwort auf diese schwierige Frage.
Natürlich — das gehört in diese Überlegungen zwingend hinein — kann eine derart gestaltete Revision nur wirksam sein, wenn gegen ihre Versagung durch das Berufungsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde gegeben ist. Kommen Sie bitte nicht mit dem Einwand, dann gäbe es keine spürbare Entlastung. Abgesehen davon daß in diesem Zusammenhang an die notwendige Feststellung zu erinnern ist, daß auch die Regierungsvorlage auf die Dauer keine wirksame Entlastung bringen kann. Es kommt aber hinzu, daß die Revision, wenn sie so gestaltet ist, eben nicht mehr ein allgemein zugängliches Rechtsmittel ist, sondern auf einen sehr viel engeren als den heute gültigen und möglichen Rahmen beschränkt wird. Hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde selbst kommt hinzu, daß sie ein wesentlich vereinfachtes und sehr viel leichter zu handhabendes, einfacher zu bewältigendes Mittel ist als eine regelrechte Revision, die zumindest nach dem geltenden Recht auf jeden Fall zunächst einmal zulässig ist, falls der Streitwert über 6000 DM liegt.
Der Herr Bundesjustizminister hat hier einen Einwand gebracht, der auch in der Regierungsvorlage enthalten ist, der aber auch durch den wiederholten Vortrag hier nicht überzeugender wird: die Zeit sei für eine solche grundsätzliche Entscheidung nicht reif. Nun, der Bericht der von der Bundesregierung selber eingesetzten Kommission zur Vorbereitung einer Reform des Zivilprozeßrechts — der Herr Bundesjustizminister hat ihn selber erwähnt —, die im Jahre 1961 ihre umfangreichen Vorarbeiten abgeschlossen hat, hat sich mit guten Gründen — wir billigen nicht alles, was in dieser Richtung gesagt worden ist, aber dort ist Entscheidendes an Vorarbeiten geleiset worden — für die Grundsatzrevision ausgesprochen. Der Deutsche Juristentag hat im Jahre 1962 ausführlich mit umfangreichen Gut-



Jahn
achten zu dieser Frage Stellung genommen und sich für die Grundsatzrevision ausgesprochen. Der Deutsche Anwaltstag hat im vergangenen Jahr eine sehr umfangreiche und teilweise sehr temperamentvolle Diskussion über diese Frage geführt; er hat sich gegen die Grundsatzrevision ausgesprochen. Wir haben schließlich — um ein viertes Argument für die Breite und den Umfang der Diskussion anzuführen — in den letzten Jahren auch praktische Erfahrungen mit der im Prinzip vergleichbaren, bereits vorhandenen Grundsatzrevision in der Sozialgerichtsbarkeit und in der Verwaltungsgerichtsbarkeit sammeln können. Wir haben also alles das, was der Gesetzgeber zur Vorbereitung seiner Entscheidung braucht, seit mehreren Jahren, nämlich eine breite, eine ausführliche, eine von höchster Sachkunde getragene Diskussion in der juristischen Öffentlichkeit und darüber hinaus.
Natürlich werden bei einer so schwierigen Frage im Laufe der Diskussion immer wieder neue und weitere Gesichtspunkte auftauchen, die man in die Diskussion nach Möglichkeit einbeziehen sollte. Aber wollte man warten, bis diese Diskussion endgültig abgeschlossen ist, dann kämen wir niemals zu einer Entscheidung in diesem Hause und auch sonst auf anderen Gebieten nicht. Denn bei diesem schwierigen Gegenstand ist es wohl angemessen, daß wir uns endlich einmal aufraffen und eine Entscheidung treffen. Dieses Flickwerk, diese unzureichende Lösung ist dem Gegenstand, um den es geht, einfach nicht angemessen. Wir haben in diesem Hause in den vergangenen Jahren so viele große und schwierige Reformwerke ohne diesen Vorbehalt in Angriff genommen, so daß nicht einzusehen ist, was uns hindern sollte, auch diese notwendige grundsätzliche Reform endlich in Angriff zu nehmen.
Wir sind bereit dazu, und wir hoffen, daß das ganze Haus bereit ist, den Mut zu dieser Auseinandersetzung und zu dieser Reform aufzubringen. Wir werden uns dafür jedenfalls bei den Beratungen im Rechtsausschuß mit Nachdruck einsetzen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411924000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0411924100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jahn, Sie haben eine sehr scharfe Kritik an der Regierungsvorlage geübt. Ich konnte mir nicht alles notieren, was Sie in dieser Hinsicht gesagt haben, um sie als unzulänglich zu charakterisieren. Ich möchte aber doch eines voraus richtigstellen. Das Justizministerium beabsichtigt mit dieser Vorlage sicherlich keine große Reform unseres zivilrechtlichen Verfahrens. Vielmehr geht ,es jetzt darum, daß zunächst die ganz dringend notwendigen Reformen getroffen werden, um zu der auch von Ihnen gewünschten Entlastung der Gerichte zu kommen. Es ist durchaus richtig, daß schon die Kommission sich eingehend mit den Fragen befaßt hat. Aber, Herr
Kollege Jahn, ich bin der Auffassung, daß die Zeit keineswegs ausreicht, um jetzt die Probleme in vollem Umfang noch lösen zu können, die Sie hier angeschnitten haben, vor allen Dingen in der Zeit, die uns hier und dem Rechtsausschuß in dieser Legislaturperiode noch zur Verfügung steht.
Sie haben darauf hingewiesen, wir hätten so große Reformen schon in Angriff genommen und hätten sie durchgeführt. Das ist richtig. Im letzten Bundestag haben wir die Verwaltungsgerichtsordnung verabschiedet. Nach sehr eingehenden Diskussionen haben wir uns in dem Verwaltungsverfahren zu der Grundsatzrevision, verbunden mit der Nichtzulassungsbeschwerde, entschlossen. Aber bedenken Sie folgende Tatsache. Die Verwaltungsgerichtsordnung ist erst so wenige Jahre in Kraft, daß wir angesichts der schwierigen rechtlichen Probleme noch keine so gefestigte Rechtsprechung haben, daß man jetzt schon endgültig sagen könnte, dieses Institut habe sich so, wie wir es glaubten, als eine gute und richtige Lösung der Probleme in den Verwaltungsgerichtsverfahren bewährt und sei geeignet, in den doch sehr andersartigen zivilprozessualen Verfahren ebenfalls zum Erfolg zu führen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Jahn, wir, die wir als Juristen mit dem Recht und den Gerichten, sei es in der Politik, sei es in unserem Anwaltsberuf, zu tun haben, wissen doch, daß es sehr wichtig ist, nicht nur ein gutes materielles Recht zu haben, sondern ein Verfahrensrecht, das dem Bürger wirklich das gibt, was er haben will, wenn er zu einem Gericht geht. Dann will doch der Bürger eine möglichst schnelle und eine nach seiner Auffassung gerechte Entscheidung über den Streitgegenstand haben.
Die uns von der Regierung vorgelegten Zahlen zeigen doch ganz deutlich, daß eine Verschiebung in der Belastung der Gerichte eingetreten ist, sowohl bezüglich des Anfalls bei den Amtsgerichten, die nur mit einem Richter besetzt sind, als auch bei den Landgerichten, die Kammern mit drei Richtern haben, und erst recht beim Bundesgerichtshof. Für das Justizministerium ging es doch darum, eine Vorlage zu bringen, die eine Entlastung der Gerichte ermöglicht und die auch in der Zeit, die uns im Bundestag und im Rechtsausschuß noch zur Verfügung steht, noch verabschiedet werden kann. Wir Freien Demokraten begrüßen die Regierungsvorlage und sind auch der Auffassung, daß sie eine gute Grundlage für unsere Beratungen im Rechtsausschuß sein wird.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eines hinweisen. Die beste Regierungsvorlage, die besten Bemühungen, ein gutes und schnelles Verfahren zu schaffen, werden uns nichts nutzen, wenn nicht der Deutsche — in dieser Beziehung muß ich Kritik üben — etwas weniger rechthaberisch wird. Welche Mühe haben wir doch oft als Anwälte, jemanden von einem Prozeß abzubringen oder zu einem vernünftigen Vergleich zu führen oder ihn von der Einlegung von Rechtsmitteln abzuhalten. In dieser Beziehung ist die englische Mentalität völlig anders, während bei uns Deutschen, ob im Straßenverkehr



Frau Dr. Diemer-Nicolaus
oder sonst, das Rechthaberische oft doch sehr stark ist.

(Abg. Hilbert: Davon leben doch die Juristen eigentlich! — Abg. Dr. Pflaumbaum: Prozesse müssen sein!)

— Herr Kollege Hilbert, ich werde über die Stellung des Anwalts im Zusammenhang mit dem Verfahren noch ein paar Worte sagen müssen.
Herr Kollege Jahn hat gesagt, man könne das Recht nicht an Zahlen, nicht an Streitwerten messen. Aber ich habe seine Ausführungen nachher doch nicht so verstanden, als wollte er bei der Schaffung der Instanzen überhaupt von jeglichem Streitwert absehen. Seine Ausführungen haben sich nachher nur gegen eine Begrenzung der Revision an einem Streitwert gerichtet. Wenn Sie aber mit Ihren grundsätzlichen Ausführungen zu der Frage Recht und Streitwert konsequent sein wollten, dann dürften Sie auch keine Streitwerte für amtsgerichtliche und landgerichtliche Verfahren schaffen. Das wäre die entsprechende Konsequenz. Diese haben Sie aber wohlweislich nicht gezogen, weil Sie aus der Praxis genau wissen, daß auch hier Grenzen gesetzt werden müssen, welche Gerichte und welcher Rechtsweg in Anspruch genommen werden können.
Ich bekenne mich für alle Instanzen dazu, daß die Höhe des Streitwertes eine .angemessene Richtlinie ist. Allerdings müssen wir uns im Rechtsausschuß wohl doch noch sehr eingehend über die Höhe der in der Regierungsvorlage vorgesehenen Streitwerte unterhalten, und zwar darüber, ob es wirklich notwendig ist, sofort die Zuständigkeit beim Amtsgericht bis auf 2000 DM zu erhöhen. Das wird damit begründet, daß man so eine Entlastung der Landgerichte erreichen wolle. Die Belastung, die dann auf die Amtsgerichte zukommt, ist vielleicht so stark, daß nachher wieder der umgekehrte Weg gesucht werden muß. Dabei ist nämlich folgendes zu berücksichtigen.
Bei den Landgerichten besteht im Gegensatz zu den Amtsgerichten Anwaltszwang. Man hat den Anwaltszwang nicht geschaffen, um den Anwälten genügend Beschäftigung zu geben. Der Grund ist vielmehr der, daß der Anwalt eine erhebliche Vorarbeit leistet, wenn er bei den Unterredungen mit seinem Mandanten den Tatbestand herauskristallisiert und sich dann bemüht, nur das vorzubringen, was rechtlich wirklich von Bedeutung ist. Auf diese Weise wird dem Gericht sehr viel Arbeit abgenommen. Diese Arbeit kommt dort, wo kein Anwaltszwang besteht, also beim Amtsgericht, zusätzlich auf die Gerichte zu. Deswegen ist zu prüfen, ob man bei der Erhöhung der Streitwertgrenze gleich bis auf 2000 DM gehen kann oder ob man nicht einen Mittelweg gehen und die Grenze etwa bei 1500 DM festsetzen sollte.
Das gilt auch für die Höhe des Streitwerts bei der Revision. Der Sprung von 6000 auf 20 000 DM ist außerordentlich groß.
Herr Kollege Jahn, Sie haben aus den Verhandlungen des Reichstags zitiert. Was Sie aus den Reden angeführt haben, trifft aber auf das Verfahren, wie es bei uns geregelt ist, nicht in vollem
Umfang zu. Denn zu der Zeit, als diese Reden gehalten wurden, gab es überhaupt noch keine Zulassung der Revision bei grundsätzlichen Fragen. In der Zwischenzeit gibt es in der Revision zwei Verfahren, einmal die Streitwertrevision und zum andern die Zulassung der Revision bei grundsätzlichen Fragen. Deswegen paßt das, was Sie, Herr Kollege Jahn, zitiert haben, nicht für die heutige Situation.
Mich hat auch noch etwas anderes gewundert. Sie haben auf den Anwaltstag 1963 hingewiesen. Damals hat sich auch unser Kollege Dr. Arndt, der sich bei der Beratung der Verwaltungsgerichtsordnung sehr eingehend mit der Frage der Grundsatzrevision befaßt hat, darauf hingewiesen, daß mit der Frage der Grundsatzrevision so tiefgreifende Probleme aufgeworfen werden, daß diese doch noch einmal gründlich überprüft werden sollte. — Bitte, Herr Kollege Jahn!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411924200
Zu einer Zwischenfrage Abgeordneter Jahn!

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0411924300
Abgesehen davon, daß Dr. Arndt auf dem Deutschen Anwaltstag keine Meinung der SPD-Fraktion zu vertreten hatte, — ist Ihnen völlig entgangen, Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, daß sich der Kollege Arndt auf dem Anwaltstag in Goslar in erster Linie gegen Grundsatzurteile einer bestimmten Art der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und weniger gegen die Grundsatzrevision gewandt hat?

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0411924400
Herr Kollege Jahn, ich habe, weil ich den Kollegen Arndt aus den Beratungen unseres Rechtsausschusses so gut kenne, seine Ausführungen auf dem Anwaltstag in Goslar sehr sorgfältig gelesen, nachdem ich leider selbst nicht zugegen sein konnte. Was er da hinsichtlich der Frage Streitwertrevision oder Grundsatzrevision gesagt hat, betrifft doch das folgende Problem: Wenn man eine reine Grundsatzrevision schafft, so besteht die Gefahr, daß zusätzlich zu dem Recht, das in unseren Gesetzen niedergelegt ist, ein Richterrecht entsteht. Erst heute morgen noch stießen wir im Rechtsausschuß in der Beratung der Höfeordnung auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die uns als außerordentlich weite Auslegung eines Gesetzes durch den Richter erschienen. — Bitte!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411924500
Abgeordneter Jahn zu einer Zwischenfrage!

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0411924600
Ist Ihnen entgangen, Frau Kollegin, daß ich bei meinen Ausführungen auf diese Schwierigkeiten hingewiesen und ausdrücklich gesagt habe, daß die Grundsatzrevision dann auch entsprechend ausgestaltet werden muß?

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0411924700
Das ist mir keineswegs entgangen, Herr Kollege Jahn; aber Sie werden es mir nicht übelnehmen, daß ich auf diese Schwierigkeiten hinweise. Unser deutsches Rechts-



Frau Dr. Diemer-Nicolaus
system ist nun einmal ein anderes als das anglikanische, wo echtes Richterrecht gilt und insofern frühere Entscheidungen präjudiziell wirken. Der Herr Justizminister und die Bundesregierung stehen auf dem Standpunkt, es bei der knappen Zeit, die wir in dieser Legislaturperiode noch haben, und bei der Schwierigkeit des Problems sich zunächst einmal mit einer Herabsetzung des Streitwerts zu begnügen und damit die Gerichte zu entlasten und die Entscheidung dieser schwierigen Frage bis zur Gesamtreform dahingestellt sein zu lassen. Dafür haben wir Freien Demokraten volles Verständnis, und wir werden den Herrn Bundesjustizminister in dieser Hinsicht unterstützen.
Herr Kollege Jahn, es wird auf Grund Ihrer Ausführungen noch sehr eingehende Diskussionen im Rechtsausschuß geben. Ich möchte deshalb dieses Problem Streitwertrevision oder Grundsatzrevision in der ersten Lesung nicht vertiefen, sondern jetzt auf verschiedene Probleme in der Regierungsvorlage hinweisen, die noch nicht weiter besprochen worden sind.
Ich begrüße es, daß sich die Bundesregierung dem Vorschlag des Bundesrates angeschlossen hat und es bei den Arbeitsgerichtssachen für die Revision bei dem Streitwert von 6000 DM belassen will. Ich teile die Auffassung, daß im Zivilkammer- und im Arbeitsgerichtsverfahren die Streitwerte wegen des materiellen Rechts eine andere Bedeutung haben. Ich bin der Ansicht, daß es im arbeitsgerichtlichen Verfahren bei einem Streitwert von 6000 DM bleiben sollte.
Ich begrüße es weiterhin, daß bei dieser kleinen Reform eine Reihe von Privilegierungen in Wegfall kommen, so daß wir insofern einheitlichere Vorschriften erhalten.
Einige Bedenken habe ich aber gegen den Vorschlag in der Regierungsvorlage, daß Berufungen im Falle des § 511 a eingeschränkt werden. Ich weiß nicht, ob das wirklich eine Entlastung der Gerichte bringen würde. Es steht einem solchen Gedanken das Interesse des Bürgers an einer möglichst gerechten Entscheidung entgegen. Der Bundesrat hat den Vorschlag gemacht, Entscheidungen nicht zuzulassen, wenn nicht vorher eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Der Anwaltverein lehnt die hier vorgeschlagene Regelung überhaupt ab. Er sagt: wenn man so weit geht, müssen Erleichterungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgen. Es wäre aber für die Kolleginnen und Kollegen, die nicht Juristen sind, qualvoll, wenn ich diese juristischen Fragen weiter erörtern wollte.
Nur auf ein Problem möchte ich noch hinweisen. Es ist ein spezielles baden-württembergisches Problem und betrifft die Gemeindegerichtsbarkeit. Der Bundestag hat seinerzeit — ich gehörte ihm damals noch nicht an — der württembergischen Tradition, die die Gemeindegerichte kennt, Zugeständnisse gemacht. Es wurden die Friedensgerichte geschaffen. Diese waren aber nicht nur verfassungswidrig, sondern — das sage ich auch auf die Gefahr hin, daß ich mich damit bei meinen württembergischen Landsleuten unbeliebt machen sollte — sie
haben sich auch in gar keiner Weise bewährt. Nach der entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind diese Gemeindegerichte übriggeblieben. Man sollte sich einmal ernsthaft überlegen, ob es berechtigt ist, sie überhaupt noch aufrechtzuerhalten. Wir sollten prüfen, ob das wirklich noch unserer Auffassung entspricht, da wir doch sonst in allen Ländern des Bundesgebietes einheitliche Gerichtsverfahren haben. In Baden-Württemberg haben wir dadurch ausgerechnet bei Bagatellsachen, wo wir doch sonst für Rechtsmitteleinschränkungen sind, mehr Rechtsmittel und längere Rechtswege. Gemeindegerichte bringen auch keine Beschleunigung, im Gegenteil eine Verzögerung. Unter keinen Umständen kann ich mich deshalb für den Vorschlag des Bundesrates erwärmen, die Grenze für die Zuständigkeit auch noch auf 300 DM zu erhöhen.

(Abg. Dr. Dittrich: Ist das der Standpunkt der FDP?)

Meine Damen und Herren, ich würde mich sehr freuen, wenn wir trotz der Belastung des Rechtsausschusses mit den anstehenden großen Reformen
Aktienrechtsreform, Urheberrechtsreform, ganz abgesehen davon, daß auch die Strafprozeßreform noch zu Ende gebracht werden muß, ganz abgesehen auch von der Strafrechtsreform — möglichst bald auch die Beratungen über dieses Gesetz abschließen könnten. Der Bundestag sollte recht bald in zweiter und dritter Lesung die Entscheidungen treffen, die notwendig sind, um dem Bürger das zu gewährleisten, worauf er einen Anspruch hat: ein möglichst schnelles, ein möglichst überschaubares, ein möglichst gerechtes Verfahren.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411924800
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.

Dr. Ernst Benda (CDU):
Rede ID: ID0411924900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Geschäftsordnung dieses Hauses sagt ja, daß man in der ersten Lesung die Grundsätze einer Vorlage erörtern soll. Ich verstehe das nicht so, daß man hier unter allen Umständen grundsätzlich reden muß, sondern es ist wohl eher negativ gemeint: daß man nicht allzu sehr in die Einzelheiten gehen soll.

(Sehr richtig! in der Mitte.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411925000
Einen Augenblick, Herr juristischer Kollege! Ich bedanke mich für diesen treffsicheren Hinweis. Es ist für den Präsidenten jedoch außerordentlich schwierig, wenn er nicht in der Materie zu Hause ist, zu sagen: Das gehört zu den Grundsätzen der Vorlage und das nicht! Und sich darüber in Händel einzulassen, meine verehrten sachverständigen Kollegen, das steht dem Präsidenten dieses Hauses auch nicht zu Gesicht. Um so mehr bedanke ich mich für Ihre Schützenhilfe.

Dr. Ernst Benda (CDU):
Rede ID: ID0411925100
Ja, Herr Präsident, ich muß Sie doch etwas enttäuschen.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411925200
Was?

(Heiterkeit.)

Also möglichst keine Details! Sonst sind ja meine Vorschußlorbeeren für die Katz!

Dr. Ernst Benda (CDU):
Rede ID: ID0411925300
Herr Präsident, ich wollte gerade sagen, daß ich nach den Ausführungen meiner verehrten Frau Vorrednerin und meines Kollegen Jahn vor dem gleichen Problem — ich bin versucht, zu sagen: vor dem gleichen grundsätzlichen Problem — stehe wie sie. Wenn man dem Wortlaut und der Begründung der Regierungsvorlage folgt, könnte man sagen: Zu grundsätzlichen Ausführungen ist vielleicht gar kein Anlaß, und wir hätten deshalb diese Diskussion sehr kurz machen können. Aber Herr Kollege Jahn hat völlig recht, wenn er hier — ich muß das Wort wieder gebrauchen — sehr grundsätzliche Fragen anschneidet und sie mit dieser Vorlage verbindet. Denn eines, Herr Bundesjustizminister, darf auch ich sagen: ich teile nicht ganz die der Regierungsvorlage zugrunde liegende Auffassung, die auch Sie vorhin in Ihrer Begründung wiederholt haben, daß es sich um eine Zwischenlösung handle, die die große Reform, die irgendwann in der Zukunft liegt, doch mehr oder weniger nicht präjudiziere. Das ist an sich richtig. Aber ich habe keinen Zweifel daran, daß je nachdem, wie die Fragen, die Herr Kollege Jahn angeschnitten hat, hier entschieden werden, doch eine weittragende Entscheidung getroffen wird, die auch für die Behandlung der zukünftigen Fragen, die angeschnitten worden sind, von Bedeutung sein wird. Insofern ist die Betrachtung dieser Punkte schon in diesem Stadium richtig.
Ich will weitergehen, um das auch gleich deutlich zu sagen. Herr Kollege Jahn hat sich ja in einer noch vorsichtigen, aber doch ziemlich deutlichen Form für die Vorschläge etwa des Juristentages und anderer Gremien, auch der Zivilprozeßkommission, also für die sogenannte Grundsatzrevision ausgesprochen. Ich möchte sagen, daß wir mit unserer Zustimmung zu dem, ich muß immer wieder sagen: grundsätzlichen Inhalt dieser Vorlage eine sehr zurückhaltende Einstellung gegenüber weitergehenden Vorschlägen verbinden, etwa gegenüber den Vorschlägen der Zivilprozeßkommission oder des Juristentages und jetzt des Kollegen Jahn hinsichtlich der Frage einer Grundsatzrevision verbunden mit einer besonderen Revisionszulassung. Ich glaube, daß das gesagt werden muß, damit auch die Bundesregierung nicht im unklaren über unseren Standpunkt ist. Ich meine, daß diese Vorentscheidung sicher nicht heute in der ersten Lesung, aber im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auf Grund dieser Vorlage mit getroffen wird, und deshalb ist es einfach notwendig, sich damit zu beschäftigen.
Herr Kollege Jahn hat natürlich recht, und auch Herr Adickes hatte recht. Diese Fragen tauchen immer wieder auf. Herr Jahn, da darf ich gleich mit einem Zitat erwidern. Sie haben sich auf die amtliche Begründung der alten Zivilprozeßordnung aus dem Jahre 1877, wenn ich mich nicht irre, berufen. Ich darf mir erlauben, zu diesem Thema aus den Verhandlungen des Anwaltstages in Goslar im vorigen Jahre zu zitieren, was unser Anwaltskollege Schlüter dort gesagt hat. Er hat ausgeführt, daß so gern daran angeknüpft werde, daß schon die „Amtliche Begründung zur Reichstagsvorlage der ZPO" vor 90 Jahren gesagt habe, die Revision diene der Einheit des Rechts und der Rechtsprechung. Herr Schlüter fährt dann fort:
Wieso darf dieses Argument überhaupt angeführt werden? Das ist auf dem Gebiet des Rechts einer der geschichtlichen Irrtümer, die sich wie eine ewige Krankheit fortsetzen. Der Reichstag hat doch jedenfalls diese Begründung gar nicht übernommen, sondern entgegen dieser Begründung und dem ihr entsprechenden Gesetzentwurf die Wertrevision eingeführt.
Später ist dann — Frau Kollegin Diemer-Nicolaus hat darauf hingewiesen — die Zulassungsrevision, die Grundsatzrevision hinzugekommen, und noch eine dritte, die systematisch hier gar nicht einzuordnen ist, nämlich die Revision wegen Verfahrensmängel, wobei diese beiden nicht einmal die Bedeutung eines Rechtsstreites für den Betroffenen haben; gemessen am etwas problematischen Streitwert ist für diesen nicht die sogenannte grundsätzliche Bedeutung, sondern der Verfahrensfehler wichtig. Das nur nebenbei gesagt.

(Abg. Jahn: Die grundsätzliche Bedeutung für die Rechtmäßigkeit des Verfahrens dürfen Sie dabei nicht übersehen!)

Darüber, Herr Kollege Jahn, kann man sehr streiten, ob ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht oder ein Verstoß gegen das materielle Recht, der ja auch Gegenstand des Revisionsverfahrens sein kann und in der Regel sein wird, nicht auch die gleiche grundsätzliche Bedeutung hat. Ich komme auf diese Frage sofort noch zu sprechen.
Ich möchte jetzt aus Zeitgründen nur die Frage untersuchen, ob und aus welchen Gründen eine Reform des Revisionsrechts überhaupt erforderlich ist. Auf Fragen, die mit der Änderung des Berufungsrechts, mit der Rechtsbeschwerde und allen anderen Dingen bis zu den Friedensgerichten zusammenhängen, darf ich überhaupt nicht eingehen; ich halte sie für die erste Lesung nicht für so wichtig.

(Abg. Jahn: Sehr wahr!)

Also die Frage, wie weit eine Änderung des Revisionsrechts überhaupt erforderlich ist! Möhring, Rechtsanwalt am Bundesgerichtshof, .hat noch im Jahre 1962 bestritten, daß eine Notwendigkeit aus praktischen Gründen, nämlich wegen Überlastung des Bundesgerichtshofes überhaupt bestehe. Ich gebe zu, daß die Zahlen, die die Bundesregierung uns vorgelegt hat, wohl doch zeigen, daß sich in dieser Beziehung der Optimismus von Herrn Rechtsanwalt Möhring — leider, muß ich hinzufügen — nicht bestätigt hat, während z. B. beim Bundesarbeitsgericht, bei dem ja ,auch Anlaß zu einiger Sorge war, die Entwicklung sich inzwischen so normalisiert hat, daß dort aus dem Gesichtspunkt der Entlastung die Notwendigkeit einer Änderung nicht besteht. Dem Bundesratsvorschlag entsprechend hat auch die Bundesregierung sich damit ein-



Benda
verstanden erklärt, daß dort alles beim alten bleibt, allerdings, darf ich sagen, Herr Bundesjustizminister, mit der unerfreulichen Folge, daß wir dann in einem Punkt, jedenfalls wenn die Vorlage Gesetz würde, statt einer Vereinheitlichung des Revisionsrechts durchzuführen, die uns allen am Herzen liegt, eigentlich eine weitere Unterschiedlichkeit einführen. Hierüber müssen wir im Ausschuß sprechen.
Im 'Grunde geht es um die Fragen, die Herr Kollege Jahn hier angesprochen hat. Er hat sich für die sogenannte Grundsatz- oder Zulassungsrevision ausgesprochen, und zwar in Übereinstimmung mit der Denkschrift der Präsidenten der oberen Bundesgerichte von 1959, die gesagt haben — auch das darf ich zitieren —:
Bei einer Reform des Rechts ist die Aufgabe der oberen Bundesgerichte auf die einheitliche Auslegung und Fortbildung des Rechts zu beschränken, demgegenüber die materielle Richtigkeit der Entscheidung des Einzelfalles zurückzutreten hat.
Hier ist nun wirklich der entscheidende Punkt unserer ganzen Auseinandersetzung. In einer sehr deutlichen Kontraststellung zu dieser Auffassung hat der Anwaltstag 1963, haben maßgebliche Vertreter der Wirtschaft, haben hohe und höchste Richter der Bundesrepublik die Zweckmäßigkeit der Einführung einer Grundsatzrevision bestritten. Ich habe einigen Anlaß, zu bezweifeln, ob es gegenwärtig bei den Richtern des Bundesgerichtshofes — wobei ich nur von den Richtern der Zivilsenate spreche — noch eine Mehrheit gibt, die für die Verwirklichung der Vorschläge hinsichtlich der Grundsatzrevision ist.
Herr Kollege Jahn, Sie haben etwas protestiert, als Frau Kollegin Diemer-Nicolaus unseren Kollegen Dr. Arndt zitiert hat. Sie haben recht: Herr Dr. Arndt hat natürlich völlig das Recht, auf dem Anwaltstag oder bei anderer Gelegenheitseine Auffassung zu vertreten, und es ist eine ganz andere Frage, welche Auffassung Ihre Fraktion hier einnimmt. Nur kann 'ich Ihre Interpretation, daß Herr Arndt im Grunde etwas anderes gemeint habe als Frau Diemer-Nicolaus, nicht ganz teilen.

(Abg. Jahn: Seine eigene!)

— Ich kann nur nach dem Wortlaut des mir vorliegenden Stenogramms des Anwalttages und nicht nach dem gehen, wie es Herr Arndt möglicherweise interpretiert. Herr Kollege Arndt hat in seinem Schlußwort zu der Diskussion gesagt, daß der Begriff der Grundsätzlichkeit, der in jenen anderen Gerichtsbarkeiten einen praktischen Sinn habe, für die Zivilsachen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht definierbar sei. — Herr Präsident, nebenbei gesagt: Es gilt also nach der Auffassung des Kollegen Dr. Arndt für die Zivilgerichtsbarkeit offenbar das gleiche, was für die Geschäftsordnung dieses Hauses gilt. Herr Kollege Dr. Arndt hat dann weiter ausgeführt:
Da liegen die erheblichsten Bedenken, so daß ich mich den Rednern anschließen muß, die ihre Sorgen und ihre Ablehnung gegenüber der „Grundsatzrevision" in den Zivilsachen der
Ordentlichen Gerichtsbarkeit zum Ausdruck gebracht haben.
Herr Kollege Jahn, Sie werden mir zugeben, daß das wohl unmißverständlich ist. Wenn Herr Dr. Arndt seine Meinung inzwischen geändert hat, ist das eine andere Sache.
Ich will diese Frage hier gar nicht weiter erörtern. Sie ist außerordentlich schwierig, und sie wird uns sehr eingehend zu beschäftigen haben. Ich möchte mich insoweit auf ein letztes Zitat beziehen; es stammt von dem Senatspräsidenten beim Bundesgerichtshof, Herrn Dr. Jagusch, der in der Neuen Juristischen Wochenschrift zu der uns interessierenden Frage eine Stellungnahme abgegeben hat. Er hat dabei die Frage aufgeworfen, ob öffentliches Interesse an der Rechtseinheit und individuelle Gerechtigkeit wirklich Gegensätze der Art seien, daß das eine das andere ausschlösse. Darauf hat er geantwortet:
Keineswegs, denn solange die Einzelfälle, womöglich in größerem Umfange, unrichtig entschieden werden, solange Rechtseinheit also nur als abstraktes Wunschbild und Programmsatz herrscht, die dem einzelnen Bürger in seinem Streitfalle nichts nützen, besteht keine wahre Rechtseinheit. Im Gegenteil: der Weg zur Rechtseinheit, der einzig ratsame und befriedigende Weg zu ihr, führt ausschließlich über die richtige Fallentscheidung ... Dem vermeintlichen Gegensatz liegt außerdem latent wohl noch eine andere Vorstellung zugrunde, in der noch viel Obrigkeitsstaatliches spukt; wenn I höhere Interessen der „Allgemeinheit", des Staates und angebliche Postulate es fordern, so mag der Bürger zurückstecken. Dabei ist er doch stets ein wesentlicher Teil der Allgemeinheit. Ihm vor allem wollen und sollen die Rechtsgrundsätze dienen.
Und das Ergebnis dieser Gedankengänge von Herrn Senatspräsident Jagusch:
Sein Prozeß ist es doch, sein Anspruch und seine Existenz, in welchem und um die er kämpft. Er prozessiert doch nicht, mit hohem Kostenrisiko und Kraftaufwand, in mehreren Instanzen lediglich um allgemeine Rechtseinheit, damit das Recht von nun an klarer und durchsichtiger sei. Dies mag, so darf sich der Prozeßbürger mit Recht sagen, dabei mit abfallen.
In gleicher Weise hat eine Entschließung des Anwaltstages sich der Auffassung angeschlossen, die Herr Rechtsanwalt Schlüter dort geäußert hat: daß die Abschaffung der Wertrevision, die Herr Kollege Jahn hier befürwortet hat, den Bruch mit einer im Volk verwurzelten Rechtstradition bedeute, daß sie in mehrfacher Beziehung gänzlich unpraktikabel, dirigistisch und der Rechtsprechung abträglich sowie in rechtsstaatlicher Sicht und verfassungsrechtlich bedenklich sei. Nach unseren Vorstellungen werden wir auch in der Zukunft nicht darauf verzichten können, dem Revisionsrecht eine Doppelfunktion zu geben: nämlich die Vereinheitlichung des Rechts und die Rechtsfortbildung; es hat aber



Benda
auch für den Einzelfall die rechtsstaatliche Garantie zu geben, daß dem einzelnen Bürger das Recht geschieht. Beides ist nach unserer Auffassung kein Gegensatz, sondern eine notwendige Ergänzung. Insoweit hat der Regierungsentwurf den Vorzug einer einfachen und schnell zu verwirklichenden Lösung, die sofort eine wirksame Entlastung bringt.
Dabei ist allerdings, Herr Bundesjustizminister, — das darf ich zum Abschluß sagen — die Frage, an welche Stufe man anknüpfen soll, problematisch. Draußen ist in einer Zeitschrift die Auffassung geäußert worden, daß möglicherweise absichtlich die Summe von der Bundesregierung zunächst einmal in dieser Höhe fixiert worden sei, in der — wie es dort heißt — sicheren und wahrscheinlich auch zutreffenden Erwartung, daß der Bundestag diesen Betrag von sich aus doch wieder herabsetzen werde. Nun, das werden wir sehen. Wir werden uns sehr eingehend mit der Frage beschäftigen müssen, wie weit bei einer Stufe von 20 000 DM und wie weit bei einer geringeren Stufe — 10 000 DM, 12 000 DM oder irgendwo dazwischen — eine Entlastung zu erreichen ist. Darüber gibt es Schätzungen, die natürlich auch problematisch sind. Aber wir werden uns im Ausschuß darüber zu unterhalten haben.
Ich meine im Ergebnis, wir sollten uns mit der Grundlinie des Regierungsentwurfs einverstanden erklären. Wir sollten die Vorschläge, die Herr Kollege Jahn hier für die sozialdemokratische Fraktion gemacht hat, ablehnen. Auch dazu wird im Ausschuß Gelegenheit sein, noch sehr eingehend zu sprechen. Ich meine, daß diese Grundsatzentscheidung in der Zustimmung zu dem Regierungsentwurf, die wir im Prinzip hiermit ankündigen dürfen, mit enthalten sein sollte, und nach unserer Meinung sollte die Entscheidung so ausgelegt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411925400
Keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Punkt. Die Aussprache ist geschlossen.
Vorgeschlagen ist Überweisung an den Rechtsausschuß. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß wir den Punkt 33 vorziehen, weil mir gesagt wird, daß der Berichterstatter, der dazu das Wort nehmen muß, der Verhandlung nicht mehr sehr lange folgen kann. — Ich rufe also Punkt 33 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuß) — Immunitätsangelegenheiten — betreffend Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Heiland gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 10. Januar 1964 (Drucksache IV/1697).
Das Wort hat als Berichterstatter Herr Abgeordneter Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0411925500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Schreiben vom 10. Januar 1964 hat der Herr Bundesminister der Justiz das Ersuchen auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Heiland an den Bundestag geleitet. Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat sich in seiner Sitzung vom 6. Februar 1964 mit dem Antrag befaßt und einstimmig beschlossen, dem Bundestag zu empfehlen, die Genehmigung nicht zu erteilen.
Gegenstand der Beschuldigung ist die mögliche Mitwirkung des Abgeordneten Heiland an einer Entschließung des Unterbezirks Recklinghausen der SPD vom 18. September 1960, in der dem Landtagspräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Johnen, und dem damaligen Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Dufhues, ein Verfassungsbruch vorgeworfen wurde, weil sie nicht dem Antrag der SPD-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen entsprechend den Landtag einberufen hätten. In der Entschließung heißt es wörtlich:
Der Landesausschuß möge kein Mittel scheuen, der Bevölkerung in unserem Lande dieses verfassungswidrige und demokratiegefährdende Verhalten bekanntzumachen.
In dem Strafantrag der beiden CDU-Politiker wurde darauf hingewiesen, daß entgegen den Behauptungen in dieser Entschließung die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die Geschäftsordnung des Landtages nicht verletzt worden seien, sich die SPD vielmehr, wie aus ,dem Protokoll der Sondersitzung des Ältestenrates vom 26. August 1960 ersichtlich sei, dem Mehrheitsbeschluß der CDU und FDP gebeugt und erklärt habe, ,,daß ihr nichts anderes übrigbleibe, als sich mit der Auffassung der Mehrheit abzufinden".
Eine Bereinigung der Angelegenheit durch eine Ehrenerklärung seitens des früheren SPD-Landtagsabgeordneten Heckmann konnte nicht erzielt werden.
Herrn Abgeordneten Heiland ist Gelegenheit gegeben worden, zu der Beschuldigung Stellung zu nehmen. Er hat von dieser ihm eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
Der Ausschuß ist einmütig der Auffassung, daß den betroffenen CDU-Politikern kein verfassungswidriges Verhalten vorgeworfen werden kann und deswegen die beanstandeten Behauptungen in der Entschließung des SPD-Unterbezirks Recklinghausen unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten sind. Da die Behauptungen jedoch kurz vor den Kommunalwahlen im Lande Nordrhein-Westfalen erfolgt sind, sieht der Ausschuß in ihnen eine politische Auseinandersetzung. Er wertet deshalb die beanstandeten Behauptungen als Beleidigung politischen Charakters, bei der er entsprechend seiner bisherigen Praxis die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens nicht erteilt.
Der Ausschuß empfiehlt daher dem Bundestag, den in Drucksache IV/1967 enthaltenen Antrag des Ausschusses anzunehmen.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411925600
Meine Damen und Herren, wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist bei einigen Enthaltungen entsprechend dem Antrag des Ausschusses beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hamm (Kaiserslautern), Dr. Jungmann, Frau Dr. Hubert, Dr. Dittrich, Dr. Tamblé und Genossen und Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betr. Anrufung des Vermittlungsausschusses (Drucksache IV/1958).
Wird zur Begründung des Antrages das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Dr. Hamm.

Dr. Ludwig Hamm (FDP):
Rede ID: ID0411925700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 7. Februar 1964 die erforderliche Zustimmung zum Jugendzahnpflegegesetz, das auf die Initiative aller Fraktionen dieses Hauses zurückgeht und am 11. Dezember vorigen Jahres einstimmig beschlossen worden ist, versagt. Deshalb haben die Gesundheitspolitiker und alle Fraktionen dieses Hauses den Antrag gestellt, den Vermittlungsausschuß anzurufen.
Ich darf kurz den Inhalt des Jugendzahnpflegegesetzes in Erinnerung rufen. Es ist vorgesehen, daß die Gesundheitsämter sicherstellen, daß einmal im Jahr eine kostenlose Untersuchung von Kindern und Jugendlichen zwischen drei und achtzehn Jahren erfolgt, daß gegebenenfalls eine Nachuntersuchung und eine nachgehende Gesundheitshilfe stattfindet, daß schließlich eine laufende Belehrung der Jugendlichen in allen Fragen der Zahngesundheit und eine laufende Beratung der Eltern und sonstigen Erziehungsberechtigten zu erfolgen hat. Die Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis achtzehn Jahren haben einen Rechtsanspruch auf die Leistungen nach diesem Gesetz.
Der Bundesrat hat das sachliche Anliegen der Jugendzahnpflege voll bejaht. Er hat lediglich aus verfassungsrechtlichen Gründen — Fragen der Kompetenz — die Zustimmung zu dem Gesetz versagt. Der Bundesrat ist der Auffassung, daß eine Zuständigkeit des Bundes zum Erlaß eines Jugendzahnpflegegesetzes nicht aus der hier allein in Frage kommenden Bestimmung des Art. 74 Ziffer 7 — konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge — hergeleitet werden kann. Der Bundesrat meint, daß die gesundheitlichen Aufgaben des Bundes bei der konkurrierenden Gesetzgebung abschließend in ganz bestimmten Ziffern des Art. 74 geregelt worden sind und daß daraus geschlossen werden müsse, daß eine weitere Kompetenz, etwa gestützt auf den Begriff der öffentlichen Fürsorge nicht gegeben sei. Er ist des weiteren der Auffassung, daß öffentliche Fürsorge eine Notlage voraussetze; eine solche Notlage sei bei der Jugendzahnpflege, wie sie im Gesetz vorgesehen ist, nicht gegeben.
Interessant ist, meine Damen und Herren, daß nicht nur der Rechtsausschuß des Bundesrates, der speziell zur Prüfung der Frage der Verfassungsmäßigkeit angesetzt worden ist, die Zustimmung empfohlen hat, sondern daß auch der Kulturausschuß sie nahegelegt hat, ja daß sogar der Gesundheitsausschuß, ein Unterausschuß des Innenausschusses, sie gewollt hat. Nur der Innenausschuß und nachher das Plenum des Bundesrates haben die Zustimmung mit Mehrheit abgelehnt.
Die Auffassung des Bundesrates ist nach unserer Meinung unzutreffend.
Zunächst ein Hinweis auf die bisherige Praxis. Eine Anzahl vom Bundestag verabschiedeter Gesetze haben die Zustimmung des Bundesrates gefunden, obwohl in ihnen spezielle Gesundheitshilfefragen geregelt worden sind, wie beispielsweise in § 5 des Jugendwohlfahrtsgesetzes.
Zum anderen wird man, wenn man dem Begriff „Gesundheit" gerecht werden will, nicht etwa davon ausgehen können, daß die Kompetenz des Bundes nur für die speziellen Gesundheitsaufgaben gegeben seien, die im Katalog des Art. 74 ausdrücklich als solche aufgeführt sind. Einer unserer Kollegen hat vor kurzem gesagt: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts." Das trifft auch für die Gesetzgebung zu. Ich erinnere, beispielsweise an die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiete des Straßenverkehrs. Auch da handelt es sich um gesundheitliche Aufgaben, etwa hinsichtlich der Einschränkung der Kraftfahrzeugabgase.
Im übrigen dürfte es auch nicht zutreffend sein, daß der Begriff der öffentlichen Fürsorge in jedem Falle eine Notlage voraussetzt. Der verfassungsrechtliche Begriff der öffentlichen Fürsorge, wie er in Art. 74 Nr. 7 des Grundgesetzes angeführt ist, hat mehr zum Inhalt als nur die Armenfürsorge im verwaltungsrechtlichen Sinne. Der Begriff der Fürsorge im Grundgesetz ist als Vorsorge für alle besonders sorgebedürftigen Bürger zu verstehen. So wollten es die Schöpfer des Grundgesetzes, so ist es aus den Protokollen des Parlamentarischen Rats zu entnehmen.
Hier ist auch ein ganz spezielles Gebiet der öffentlichen Fürsorge angesprochen. Ich möchte besonders herausstellen, daß es sich nicht um eine materielle Unterstützung handelt wie etwa bei der Sozialhilfe, sondern daß es sich hier um eine echte gesundheitliche Maßnahme handelt. Selbst bei scharfer Betrachtung, selbst bei genauer, liberaler Betrachtung ist das Jugendzahnpflegegesetz eine Notwendigkeit.
Im Jugenzahnpflegegesetz, in der Vorlage, die hier verabschiedet worden ist, ist nicht nur kein Behandlungszwang enthalten, es ist kein Untersuchungszwang vorgesehen. Es ist nicht einmal Zwang enthalten, mit dem sogenannte Restanten, die sich auf Grund der ersten Untersuchung nicht zum Zahnarzt begeben, angehalten werden könnten. Die Behandlung bleibt allein Aufgabe des freipraktizierenden Zahnarztes.
Im übrigen sind die Zahnerkrankungen auch in der Bundesrepublik, insbesondere bei Jugendlichen,



Dr. Hamm
in ständigem Zunehmen. Die häufigste Zahnkrankheit, die Karies, hat eine Eigenart: Der Zahn, der befallen ist, wird nie mehr gesund, er heilt nicht aus. Es bleibt immer ein Defekt, der nur repariert werden kann.
Es kommt ein weiteres hinzu, ein psychologisches Moment: Auch heute noch besteht gerade bei Jugendlichen eine typische Angst vor dem Zahnarzt. Oft besteht auch eine gewisse Nachlässigkeit der Eltern. Man geht eben erst zum Zahnarzt oder schickt sein Kind zum Zahnarzt, wenn es weh tut. Dann ist es aber meistens zu spät.
Ich glaube, alle diese Gesichtspunkte zusammengenommen legen es besonders nahe, daß gerade auf diesem Gebiet — ich sagte ausdrücklich, es ist keine materielle Hilfe, sondern eine rein gesundheitliche Hilfe — der Staat die Eigenverantwortung des Bürgers in dem Ausmaß unterstützt, wie wir es nach unserem Dafürhalten in weiser Beschränkung im Jugendzahnpflegegesetz vorgesehen haben.
Ich möchte meinen, wenn der Bundesrat oder wenn der Vermittlungsausschuß diese spezielle Natur des Jugendzahnpflegegesetzes ins Auge faßt und wenn er bedenkt, daß zwar nicht eine Notlage im Sinne einer öffentlichen Fürsorge vorliegt, aber doch eine speziell schwierige gesundheitliche Situation der Jugendlichen zwischen drei und 18 Jahren, kann die Zustimmung sinnvollerweise nicht versagt werden. Ich glaube, die Öffentlichkeit begreift es bei der Notwendigkeit eines Jugendzahnpflegegesetzes einfach nicht, daß allein aus verfassungsrechtlichen Gründen bei allgemeiner Bejahung der Notwendigkeit einer Jugendzahnpflege das Gesetz scheitern soll.
Sicherlich haben die Länder eine recht gut ausgebaute Jugendzahnpflege. Es besteht aber zwischen den einzelnen Ländern ein erhebliches Gefälle. Es gibt Länder, die mehr tun, als im Jugendzahnpflegegesetz vorgesehen ist. Es gibt aber auch Länder, die weniger tun. Ich glaube, gerade auf diesem Gebiet ist es notwendig, daß überall ein gleiches Minimum zur Pflege zur Vorbeugung vor Zahnkrankheiten und damit auch zur Vorbeugung vor einer Schädigung des gesamten Organismus verlangt wird.
Aus all diesen Gründen glauben wir, daß- ein Bedürfnis für eine bundeseinheitliche Regelung besteht. Ich bitte deshalb, den Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses anzunehmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411925800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Tamblé.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411925900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der einstimmigen Verabschiedung des Gesetzes über die Jugendzahnpflege am 11. Dezember vorigen Jahres wurde der Schlußpunkt hinter langdauernde, sorgfältige Vorarbeiten gesetzt, die von den verschiedenen im Bereich der Gesundheitspflege tätigen Organisationen und in den Ausschüssen geleistet worden ist.
Schon im Jahre 1957 hatte der Bundesgesundheitsrat folgendes Votum erstattet: „Die gesetzliche
Regelung der Jugendzahnpflege wird für notwendig gehalten." Wenn wir noch weiter zurückblicken, so können wir feststellen, daß sich bereits um die Jahrhundertwende die Erkenntnis durchsetzte, daß man die erforderlichen Maßnahmen nicht dem Einzelnen, speziell dem einzelnen Kinde, überlassen kann, sondern daß Maßnahmen genereller Art erforderlich sind. Aus diesen Überlegungen entstand die Schulzahnpflege als ein Bestandteil der allgemeinen Schulgesundheitspflege. Die hierfür heute noch gültige gesetzliche Grundlage ist das Vereinheitlichungsgesetz vom 3. Juli 1934 und seine Dritte Durchführungsverordnung vom 30. März 1935. Dort heißt es:
Der Amtsarzt hat darüber zu wachen, daß der schulärztliche Dienst einschließlich der Schulzahnpflege einwandfrei durchgeführt werden.
Diese Regelung ist aber unzureichend. Ein Blick in die Länder und Kreise zeigt, daß die Schulzahnpflege eine freiwillige Leistung geblieben ist. Es ist also bis heute der freien Entscheidung staatlicher Stellen und der kommunalen Selbstverwaltung überlassen, ob überhaupt und in welchem Umfang Mittel für Zwecke der Schulzahnpflege bereitgestellt werden, ebenso, welches System der Schulzahnpflege im Einzelfall gewählt wird.
Des weiteren zeigt dieser Blick nach draußen in die Gemeinden, daß der gegenwärtige Stand der Schulzahnpflege noch ungenügend ist. Nach den Feststellungen des Deutschen Ausschusses für Jugendzahnpflege werden zur Zeit etwa 60 % der Schulkinder durch Reihenuntersuchungen erfaßt. Für einen beträchtlichen Prozentsatz ist also überhaupt noch keine Jugendzahnpflege vorhanden. Der ständig zunehmende Kariesbefall der Bevölkerung und seine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit des gesamten Körper, auf die ich bei der Einbringung des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion ausführlich hingewiesen habe, verlangen gebieterisch vorbeugende und vorsorgende Maßnahmen auf dem Gebiete der Gebißgesundheit.
Wir glauben, daß dieser Zustand nur durch eine systematische Jugendzahnpflege nach einheitlichen Grundsätzen gebessert werden kann. Diesem Ziel dient der am 11. Dezember vergangenen Jahres verabschiedete Gesetzentwurf, der als Rahmengesetz das bisherige Gefälle in der Bundesrepublik beseitigen soll und der den Personenkreis, der betreut werden soll, über den der bisherigen Schulzahnpflege hinaus erweitert, nämlich auf alle Kleinkinder, Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 18 Jahren. Es ist nach wie vor in die freie Entscheidung eines jeden Landes gelegt, die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, die sich im wesentlichen durch die Zahnarztdichte, die geographischen, soziologischen und andere Bedingungen ergeben.
Die von mir geschilderten Gründe und Erwägungen dürften dazu geführt haben, daß sich der Rechtsausschuß — ich wiederhole: der Rechtsausschuß — des Bundesrates ebenso wie der Unterausschuß Gesundheitswesen des Ausschusses für innere Angelegenheiten für die Zustimmung zum Jugendzahnpflegegesetz ausgesprochen hat. Die Ablehnung er-



Dr. Tamblé
folgte auf Empfehlung des Ausschusses für innere Angelegenheiten.
Aus der Begründung des Bundesrates zur Ablehnung ist zu entnehmen, daß der Bundesrat weder aus Art. 74 Nr. 19 noch aus Art. 74 Nr. 7 des Grundgesetzes eine Befugnis des Bundes zum Erlaß dieses Gesetzes erblickte. Demgegenüber glaube ich feststellen zu müssen, daß sich die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gerade aus Art. 74 Nr. 7 des Grundgesetzes ergibt. Hierbei geht es um den Begriff „öffentliche Fürsorge", der nach meiner Meinung verfassungsrechtlich anders ausgelegt werden muß als in dem Sinne, in dem er im Verwaltungsrecht gemeinhin angewendet worden ist. Das Verwaltungsrecht begriff unter öffentlicher Fürsorge wohl nur die Hilfe für Einzelpersonen, die aus der Not erforderlich wurde. Das moderne Verfassungsrecht aber, wie es unser Grundgesetz konstituierte, schuf das übergeordnete Recht zur Erfüllung sozialer Gerechtigkeit. Aus ihm ist abzulesen, daß öffentliche Fürsorge alle staatliche Für- und Vorsorge sein soll, die der Abwehr sittlicher, geistiger oder körperlicher Gefährdungen sowohl einzelner Personen wie ganzer Personengruppen dient. Öffentliche Fürsorge ist eine Grundpflicht des modernen Staates für das ganze Volk. In diesem Sinne soll dieses Gesetz Ziele zeigen und Wege weisen, um sie zu erreichen.
Es ist — das ist hier schon betont worden — ein Rahmengesetz, mit dem der Bund seine Grundpflicht zu erfüllen bemüht ist. Er will und wird den Ländern nichts nehmen. Aber er will und wird ihnen helfen im Sinne und Geiste unserer Verfassung, die wir uns gegeben haben und für deren Verwirklichung wir mit diesem Gesetz ein Stück praktischer Leistung vollbracht haben. Die Länder sollten das Gesetz so sehen: als Ausdruck der Hilfe im Sinne und Geiste des Grundgesetzes und nicht gegen seinen Art. 74 Nr. 7, sondern in seiner realpolitischen Auslegung. Hier geht es um eine sozialpolitische Aufgabe in der öffentlichen Fürsorge, der Jugend ein gesundes Leben zu ermöglichen. Vielleicht kann aber auch die Tatsache, daß wir schon ein Bundesgesetz — nämlich das von mir zitierte Vereinheitlichungsgesetz — haben, das sich mit der Schulzahnpflege befaßt und das nur in seiner Durchführung verbessert und, was den Personenkreis angeht, erweitert werden soll, die Länder zu einer Prüfung ihrer ablehnenden Haltung bewegen. Nur dann können wir zu einer koordinierten echten Gesundheitspolitik kommen, um eindeutig als notwendig anerkannte Maßnahmen auch durchführen zu können.
Aus diesem Grunde bitte ich Sie, dem Antrag Drucksache IV/1958 Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411926000
Keine weiteren Wortmeldungen; wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache IV/1958, dessen Begründung Sie gehört haben. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Bundestag ist
einstimmig dafür, daß der Vermittlungsausschuß angerufen wird.
Punkt 19:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Weber (Koblenz), Dr. Wahl, Dr. Dehler und Genossen betreffend Einsetzung eines Sonderausschusses „Reparationsschäden" (Drucksache IV/1954).
Meine Damen und Herren, hier mache ich von einer Vorschrift der Geschäftsordnung Gebrauch und beschränke die Aussprachedauer auf jeweils 5 Minuten. Ich frage, ob einer der Herren Antragsteller das Wort zur Begründung wünscht. — Bitte sehr; 5 Minuten, Geschäftsordnungsdebatte!

Dr. Alexander Elbrächter (CDU):
Rede ID: ID0411926100
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mir ohnehin vorgenommen, nicht länger als drei, vier Minuten zu sprechen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411926200
Drei Minuten ist noch besser als fünf Minuten. Danke vielmals.

Dr. Alexander Elbrächter (CDU):
Rede ID: ID0411926300
Ich habe selbstverständlich nicht die Absicht, hier noch einmal eine Sachdebatte herbeizuführen. Das Hohe Haus hat diese Sachdebatte vor kurzem geführt. Es handelte sich um zwei Gesetzentwürfe. Nach dem Regierungsentwurf glaubt man die Ansprüche, die hier zur Debatte stehen — Reparationsschäden —, nach dem Lastenausgleichsprinzip regeln zu können. Der von den Abgeordneten Weber und Genossen vorgelegte Entwurf geht davon aus, daß Rechtsansprüche entstanden sind. Meine Freunde und ich, die wir den Antrag Drucksache IV/1954 eingebracht haben, glauben, daß zuvor entschieden werden muß, ob ein Rechtsanspruch besteht oder nicht. Wir dürfen uns auf namhafte Rechtslehrer berufen, z. B. auf Professor Kaufmann, der immerhin einmal Rechtsberater der Bundesregierung war. Wir glauben daher, daß es notwendig ist, die Vorentscheidung, ob ein Rechtsanspruch da ist, so sachlich und unbeeinflußt wie möglich zu treffen.
Nun werden Sie mir zugeben, daß ein Mensch — ich nehme mich nicht aus —, der jahrelang gewohnt ist, bestimmte Ansprüche nach dem Lastenausgleichsprinzip zu regeln, sich schwerer tut — ich drücke mich sehr vorsichtig aus —, eine neue Konzeption anzuerkennen, eben die vom Rechtsanspruch, als jemand, der diesen Verfahrensweg noch nicht so lange gegangen ist.
Wir bitten daher dieses Haus, den seinerzeitigen Beschluß zu revidieren, also die beiden Gesetzentwürfe nicht beim Lastenausgleichsausschuß zu belassen, sondern einen Sonderausschuß zu berufen. Ich weise noch einmal darauf hin, daß, wie Herr Kollege Professor Wahl schon einmal gesagt hat, seinerzeit bei der Regelung der Besatzungsfolgen ein Sonderausschuß auf das beste gearbeitet hat.
Lassen Sie mich mit einem Satz des verehrten Kollegen Dresbach schließen, der sagte: Ich bin zwar in der Sache dagegen, aber ich bin für den Sonderausschuß, damit sachlich entschieden werden kann.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411926400
Herr Abgeordneter Hirsch!

Martin Hirsch (SPD):
Rede ID: ID0411926500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion bitte ich, diesen Antrag auf Einrichtung eines Sonderausschusses abzulehnen. Der Bundestag hat aus wohlerwogenen Gründen in seiner Geschäftsordnung vorgesehen, daß nicht jeweils ad hoc Ausschüsse für die Beratung bestimmter Gesetze gebildet werden, sondern daß bestimmte Materien von dazu im allgemeinen bestimmten Ausschüssen beraten werden. Das hat einen guten Grund. Nur bei dieser Regelung können Gesetzentwürfe, die ein bestimmtes Fachgebiet betreffen, auch miteinander abgestimmt werden, nur so wird verhindert, daß durch Sonderausschüsse Beschlüsse gefaßt werden, die mit den Beschlüssen anderer Sonderausschüsse für ein bestimmtes Gesetz nicht in Einklang zu bringen wären.
Ausnahmen kann man machen. Man kann sie machen für Gesetze, die eine bestimmte grundsätzliche Bedeutung haben, wie meinetwegen die Strafrechtsreform. Wir hatten auch gegen den Strafrechtsausschuß gewisse Bedenken. Aber immerhin, die Strafrechtsreform ist eine in die Zukunft weisende große Aufgabe dieses Bundestags. Für ein Gesetz aber, bei dem es im Endergebnis nur darum geht, einer bestimmten, sehr politisch gesteuerten Richtung eine Möglichkeit zu verschaffen, über einen Sonderausschuß zu Ergebnissen zu kommen, die mit dem, was auf dem übrigen Gebiet, das einschlägig wäre, nämlich auf dem Gebiet der Bereinigung der Kriegsfolgen, Gültigkeit hat, unter Umständen nicht mehr in Einklang stehen würden, haben wir für einen Sonderausschuß kein Verständnis.
Dieses Anliegen auf Schaffung des Sonderausschusses bedingt im Endergebnis, um es ganz klar und deutlich zu sagen, daß man auf diesem Wege Kriegsgewinnlern zum drittenmal den Kriegsgewinn bestätigen will.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Das ist nicht die Aufgabe eines Sonderausschusses, und das kann nicht die Aufgabe dieses Hauses sein. Diese Materie gehört in den Latenausgleichsausschuß. Die Rechtsfragen werden durch den Rechtsausschuß geprüft, der ja bereits zum mitberatenden Ausschuß bestimmt worden ist. Daher bitten wir um Ablehnung dieses Antrags auf Einsetzung eines Sonderausschusses.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Dittrich: Reine Polemik ist das und sonst gar nichts!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411926600
Herr Abgeordneter Windelen!

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID0411926700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen Rund Herren! Im Namen der Fraktion der CDU/CSU bitte ich Sie gleichfalls —

(Zuruf von der CDU/CSU: Dazu sind Sie nicht berechtigt!)

— Im Namen der Fraktion der CDU/CSU, die sich mit Mehrheit dafür ausgesprochen hat, daß diese Materie dem Lastenausgleichsausschuß überwiesen wird, bitte ich Sie, diesen Antrag abzulehnen. Das Plenum ist in der ersten Beratung dem Antrag auf Überweisung an den Lastenausgleichsausschuß, die auch vom Ältestenrat vorgeschlagen worden ist, mit großer Mehrheit gefolgt. Wir bitten Sie, bei diesem Beschluß zu bleiben. Ich bitte noch einmal um Ablehnung des Initiativantrages.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411926800
Schluß der Debatte!

(Unruhe bei der CDU/CSU.)

— Meine Damen und Herren, einen Augenblick! Lassen Sie mich auch einmal etwas sagen. Herr Kollege Windelen, Sie brauchen sich nicht zu verteidigen und nicht zu entschuldigen. Niemand braucht sich hier zu entschuldigen. Aber bevor ich abstimmen lasse, stelle ich fest, daß wir soeben ein Beispiel dafür geliefert haben, daß es in diesem Hause einen Fraktionszwang nicht gibt.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich mache die Öffentlichkeit darauf aufmerksam.

(Beifall.)

Jetzt wird abgestimmt. Wer dem Antrag auf Einsetzung eines Sonderausschusses Reparationsschäden zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen! — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.

(Heiterkeit und Zurufe von der SPD.) Ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:

Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Gesundheitsgefährdung durch Schädlingsbekämpfungsmittel (Drucksache IV/1952).

(Unruhe.)

— Meine Damen und Herren, das ist doch ein ganz wichtiger Gegenstand. Tun Sie auch einmal etwas für den Naturschutz! Hier steht die Gesundheitsgefährdung durch Schädlingsbekämpfungsmittel zur Debatte.
Wünschen die Antragsteller den Antrag zu begründen?
Herr Abgeordneter Bechert!

Dr. Karl Bechert (SPD):
Rede ID: ID0411926900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion — Bundestagsdrucksache IV/1952
— zielt darauf, den gesundheitsgefährdenden Mißbrauch von Schädlingsbekämpfungsmitteln einzudämmen und möglichst zu verhindern. Eine Gruppe von Abgeordneten des Hohen Hauses — Dr. Schmidt (Wuppertal), Bading, Margulies und Genossen, wobei ich auch zu den Genossen zähle — hatte im September vorigen Jahres eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zur Frage der Gesundheitsgefährdung durch Pestizide, also Schädlingsbekämp-



Dr. Bechert
fungsmittel, in der Drucksache IV/ 1470 gerichtet. Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage — Drucksache IV/1551 — enthält in wichtigen Punkten unrichtige Aussagen und Behauptungen.
Die Bundesregierung nennt in ihrer Antwort auf diese Kleine Anfrage die Maßnahmen, die sie veranlaßt hat. Aber diese Maßnahmen, wenn sie überhaupt schon wirksam geworden sind, haben nicht verhindern können, daß all das an Mißständen aufgetreten ist, was in dem Antrag der SPD-Fraktion, den zu begründen ich die Ehre habe, unter I a genannt ist. Diese Mißstände und die tatsächlich bestehende Gesundheitsgefährdung sind der Anlaß zum Antrag der sozialdemokratischen Fraktion; denn die Lage ist leider anders, als die Bundesregierung sie dem Hohen Hause schönfärbend geschildert hat.
Unser Antrag fordert Maßnahmen, um zu verhindern, daß arsenhaltige Mittel als Pflanzenschutzmittel angeboten werden. Die Bundesregierung behauptet, arsenhaltige Mittel — ich zitiere — „genießen nicht mehr die für den Verkehr mit Pflanzenschutzmitteln zugestandenen Erleichterungen", sie behauptet weiter, daß arsenhaltige Präparate bei uns praktisch nicht mehr verwendet werden. In Wirklichkeit wurde das arsenhaltige Bayer-Präparat Tuzet, das seit 1960 amtlich nicht mehr empfohlen wird, im Obstbau trotzdem angewendet, z. B. im Apfelanbaugebiet „Altes Land" bei Hamburg und noch 1963 im Raum von Bonn. Die Firma Otto Hinsberg, Nackenheim am Rhein, die sich als erste und älteste Pflanzenschutzmittelfabrik bezeichnet, also lange Erfahrung hat, führt in ihrer Preisliste 1963 zur Bekämpfung von Apfelschädlingen das Blei-Arsen-Präparat Zabulon auf, das nach amtlicher Auskunft im rheinhessischen Obstbau auch 1963 noch zur Bekämpfung von Obstmaden verwendet wurde, obwohl es nicht im Pflanzenschutzmittelverzeichnis der Biologischen Bundesanstalt empfohlen wird, also nicht verwendet werden sollte.

(Abg. Dr. Dittrich: Er liest doch alles ab!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411927000
Einen Augenblick! Meine Damen und Herren, jetzt sind wir bei einem anderen Tagesordnungspunkt, und ich kann die Redezeit leider nicht auf fünf Minuten begrenzen.

(Abg. Dr. Dittrich: Aber es ist doch in freier Rede zu sprechen!)

— Ach, „freie Rede". Das steht doch in der Geschäftsordnung.

Dr. Karl Bechert (SPD):
Rede ID: ID0411927100
Es handelt sich um lauter Tatsachen, so daß ich leider ablesen muß. Ich hätte es sonst auswendig lernen müssen.

(Zuruf rechts: Grundsätze!)

— Es geht ja darum, daß es anders ist, als die Bundesregierung dem Hohen Hause dargestellt hat. Sie hat die Situation so geschildert, als wäre praktisch lanes in Ordnung. Das ist nicht der Fall, und das
ist der Anlaß zu unserem Antrag. Deshalb muß ich dazu sprechen.
Wir fordern, daß Schädlingsbekämpfungsmittel in Zukunft nicht mehr auf nahezu ausgereifte Früchte aufgebracht werden dürfen. Die Bundesregierung sagt:
Schädlingsbekämpfungsmittel werden nicht auf ausgereifte Früchte aufgebracht, sondern kurz vor und nach der Blütezeit verwendet.
Das trifft nicht zu. Ich könnte eine Reihe von Anweisungen der Pflanzenschutzämter verschiedener Bundesländer nennen, die in krassem Widerspruch zu ,der Behauptung der Bundesregierung stehen. Ich will nur ein Beispiel nennen:
Die Landesanstalt für Pflanzenschutz in Stuttgart empfiehlt in ihrer Anleitung für Obstbauspritzungen 1963 für Äpfel und Birnen eine dritte Spritzung Mitte August, also nicht kurz nach der Blütezeit, für Wintersorten eine Lagerschorfspritzung für Anfang September und für Schorfgebiete — z. B. am Bodensee — eine Wiederholung Ende September bis Anfang Oktober. Dasselbe empfehlen Pflanzenschutzämter anderer Länder. Ich will nicht zu sehr in Einzelheiten gehen.
Die Bundesregierung behauptet außerdem:
Absolut genommen sind die Mengen solcher Rückstände auf der ausgereiften Frucht sehr gering.
Das trifft nicht zu. Wenn die Kirschen sich gelbrot färben, so wird mit E 605 oder ähnlichen Giftmitteln gegen die Kirschfliege gespritzt bis spätestens 14 Tage vor der Ernte, also nicht kurz nach der Blüte, wie die Bundesregierung behauptet. Ähnlich steht es mit Erdbeeren, bei denen noch bis kurz vor der Reife gespritzt wird.
Der Raiffeisen-Verband empfiehlt für den gleichen Zeitpunkt der Verfärbung der Kirschen DDT-Mittel, die sich bekanntlich im Fettgewebe des menschlichen Körpers anreichern und Nervenschädigungen hervorrufen können. Die Spritzung soll nach dieser Anweisung nach 14 Tagen wiederholt werden. In Schweden ist vor kurzem Alarm geschlagen worden, weil DDT in erheblichen Mengen im Körperfett von Menschen festgestellt wurde. Der gleiche Befund ist aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten bekannt. Vermutlich steht es bei uns nicht anders. Aber darüber ist nichts Sicheres bekannt. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, darüber Untersuchungen anstellen zu lassen.
Leider sind noch schlimmere Unrichtigkeiten im Bericht der Bundesregierung. Da wird behauptet, daß in der Bundesrepublik bereits vor Kenntnis des amerikanischen Berichts über Pestizide der, wie die Bundesregierung selbst sagt, besonders bedenkliche Wirkstoff Endrin auf Veranlassung der Bundesregierung von der Industrie für Zwecke des Acker- und Pflanzenbaues zurückgezogen worden sei. Das trifft nicht zu. Die Biologische Bundesanstalt in Braunschweig, die dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten untersteht und die jährlich eine Liste amtlich anerkannter, amtlich geprüfter Pflanzenschutzmittel heraus-



Dr. Bechert
gibt, führt in dem Pflanzenschutzmittelverzeichnis für 1963 4 Firmenerzeugnisse auf, die für die Verwendung im Ackerbau empfohlen werden und Endrin enthalten. In dem gleichen Verzeichnis werden außerdem 5 weitere Erzeugnisse, die Endrin enthalten, zur Bekämpfung der Rübenfliege und 25 weitere zur Flächenbehandlung gegen Mäuse empfohlen. Da haben wir also den Fall, daß ein von der Bundesregierung mit Recht für besonders bedenklich gehaltenes Pflanzenschutzmittel von der Biologischen Bundesanstalt empfohlen wird, welche der Bundesregierung untersteht und Pflanzenschutzmittel zu überprüfen hat. Das ist wirklich ein sehr merkwürdiger Sachverhalt. Wie paßt das zu der Behauptung der Bundesregierung, die Industrie habe das Endrin für Zwecke des Acker- und Pflanzenbaues zurückgezogen?
Wir fordern von der Bundesregierung, daß sie Maßnahmen trifft, die verhindern, daß solche besonders bedenklichen Wirkstoffe angeboten und verkauft werden und daß die Biologische Bundesanstalt sie gar noch unter den amtlich anerkannten Pflanzenschutzmitteln in ihren Listen führt.
Wie paßt zu der Behauptung der Bundesregierung, daß die Prüfung der Pflanzenschutzmittel nicht hauptsächlich in Richtung auf den beabsichtigten Zweck des Pflanzenschutzes, sondern wesentlich in Rücksicht auf die Gesundheit des Menschen bei der Anwendung erfolge, die Tatsache, daß die sehr giftigen Mittel Endrin, Aldrin, Dieldrin zur Behandlung von Ackerbauflächen empfohlen werden, obwohl doch bekannt ist, daß sich diese Stoffe lange im Boden halten und nicht bloß auf die Ernte im nächsten Jahr, sondern mehrere Jahre lang auf die auf diesem Boden geernteten Pflanzen einwirken? Wie paßt es dazu, daß ein Fliegenmittel von einer der angesehensten Firmen angepriesen wird — ich könnte den Namen nennen — und daß es in Lebensmittelgeschäften verwendet wird, das sich lange hält, wie in den Prospekten steht, also auch lange auf den Lebensmitteln verbleibt und das amtlich als gesundheitlich bedenklich bezeichnet wird?
Die Bundesregierung spricht in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage von Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Ich stelle fest, daß es in der Bundesrepublik kein amtliches Zulassungsverfahren gibt. Es gibt bis jetzt vielmehr nur ein amtliches Prüfungsverfahren, durch das Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel anerkannt werden. Nicht anerkannte Mittel sollen nicht verwendet und nicht verkauft werden; das ist die Hoffnung der amtlichen Stellen. In Wirklichkeit ist es so, daß jede Firma Gifte z. B. zur Bekämpfung von Mäusen herstellen kann und das Mittel nicht zur Prüfung anzumelden braucht. Das jetzige Prüfungsverfahren ist für die Firmen völlig freiwillig; sie können ihre Erzeugnisse prüfen lassen oder auch nicht. Jeder, der im Ort nicht gerade als Dorftrottel bekannt ist, kann diese Erzeugnisse — z. B. das giftige E 605 — kaufen und verwenden, wofür er will.
Bei Arzneimitteln ist das anders; da gibt es zwei hochschulmäßig ausgebildete Instanzen, die einen Mißbrauch weitgehend verhindern: den Arzt, der das Mittel verschreibt, und den Apotheker, der es
herausgibt. Bei den Schädlingsbekämpfungsmitteln gibt es solche eingebauten Schleusen nicht. Jeder Kramladen im Dorf kann amtlich nicht geprüfte und nicht anerkannte Schädlingsbekämpfungsmittel verkaufen, welche die Industrie herstellt und anbietet.
Wir fordern, daß die Hersteller von Schädlingsbekämpfungsmitteln voll dafür verantwortlich gemacht werden, daß amtlich nicht empfohlene Mittel auch nicht hergestellt und nicht von ihnen verkauft werden.
Bei dieser Gelegenheit darf ich eine Korrektur zur Drucksache IV/1952 anbringen. Es muß in I b 1 Zeile 2 heißen: „voll verantwortlich die unter I a genannten ..." Gemeint ist, daß die Hersteller voll verantwortlich dafür gemacht werden sollen, daß sie keine Schädlingsbekämpfungsmittel entwickeln, herstellen, anbieten und verkaufen, die den unter I a unseres Antrages geforderten Maßnahmen entgegenwirken würden.
Nun ein Letztes! Die Bundesregierung sagt:
Die Prüfung von Lebensmitteln auf Restmengen von Pestiziden
— also von Schädlingsbekämpfungsmitteln —
obliegt der amtlichen Lebensmittelüberwachung, die darüber zu wachen hat, daß keine Lebensmittel entgegen dem Verbot in § 3 Nr. 1 Buchstabe a des Lebensmittelgesetzes in den Verkehr gelangen.
Das klingt so, als ob die Lebensmittelüberwachung imstande wäre, dieser Aufgabe zu genügen, nämlich — das ist der Inhalt der Bestimmung, die ich eben zitiert habe — darüber zu wachen, daß keine Lebensmittel in den Verkehr kommen, deren Genuß die menschliche Gesundheit zu schädigen geeignet ist. In Wirklichkeit ist es so: Es gab 1963 1400 verschiedene amtlich empfohlene Wirkstoffe und Pflanzenschutzmittel. Für jeden, der auch nur eine Ahnung von Chemie hat, ist selbstverständlich, daß da eine für den Verbraucher wirksame Lebensmittelüberwachung nicht möglich ist. Zum Schutz der Verbraucher ist aber eine solche Überwachung der Lebensmittel auf Rückstände von Schädlingsbekämpfungsmitteln notwendig. Das wird niemand bestreiten wollen. Unsere Forderung an die Regierung entspricht dem.
Ich denke, ich habe die Lage deutlich genug geschildert. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, bis zum 1. Juni 1964 zu berichten erstens, was sie auf diesem Gebiet bis zu diesem Zeitpunkt getan und veranlaßt hat — wobei wir wirksame Maßnahmen meinen —, zweitens, was sie weiterhin zu tun vorhat und veranlassen will und bis wann die zugehörigen Anordnungen voraussichtlich in Kraft treten werden, drittens, wie die Kontrolle darüber ausgeübt wird und werden soll, daß die auf diesem Gebiet erlassenen Gesetze, Verordnungen und sonstigen Regelungen auch wirklich befolgt werden.
Bei der Lebensmittelgesetzgebung war das Hohe Haus in erfreulichem Maße einig. Es geht auch bei diesem Antrag darum, eine Gefahr zu mindern und möglichst zu bannen, die uns alle bedroht. Schon die



Dr. Bechert
Anfrage von Dr. Schmidt (Wuppertal), Bading, Margulies und Genossen stammte aus der Mitte aller Fraktionen dieses Hauses und war der gleichen Sorge entsprungen, die auch für den vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion bestimmend war, der Sorge, daß die jetzige allerorten ausgiebige Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln in Garten und Ackerbau eine bedeutende und zunehmende Gefährdung der Volksgesundheit darstellt. Wir bitten das Hohe Haus, den Antrag zu überweisen an den Ausschuß für Gesundheitswesen — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend —.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411927200
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0411927300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Bechert könnten den Eindruck hinterlassen, als ob die Bundesregierung dem Hause einmal unrichtige Angaben vermittelt und zum andern diese ganze Angelegenheit nicht mit jener Energie angepackt hätte, die diesem sehr heiklen Thema wirklich angemessen ist.
Ich darf bezüglich der ersten Frage — der unrichtigen Angaben — erwidern, daß wir die Angaben hier selbstverständlich so gemacht haben, wie sie den Tatsachen zur Zeit der Antwort entsprochen haben. Ich darf aber darauf hinweisen, daß sich hier sehr leicht Überschneidungen ergeben. Der Herr Kollege Dr. Bechert hat z. B. das Endrin erwähnt. Dazu darf ich sagen, daß die Anfrage im September gestellt wurde, daß die Antwort im Oktober erfolgte und daß wir dieses Endrin im Juli zurückgezogen haben, daß aber während dieser ganzen Zeit noch die Verzeichnisse der zugelassenen Pflanzenschutzmittel existent waren. Diese lassen sich einfach nicht in einem so kurzen Zeitraum beseitigen. Daher gibt es hier gewisse Übergangsschwierigkeiten. Das bedeutet aber nicht, daß unsere Angaben unrichtig waren. Hier liegen vielmehr einfach Verschiebungen vor, die leider Gottes in Kauf genommen werden müssen. Die hier gestellten Fragen werden zu gegebener Zeit ausführlich beantwortet werden. Ich darf mir aber erlauben, dem Hohen Hause heute schon ganz kurz folgendes mitzuteilen, um dem vorzubeugen, daß möglicherweise der Eindruck entstehen könnte, es werde nicht forsch gearbeitet.
Zu 1. Die Neufassung des Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen vom Jahre 1949 sieht eine obligatorische Prüfung und Zulassung aller Schädlingsbekämpfungsmittel vor. Voraussetzung für eine derartige Anerkennung ist eine toxikologische Unbedenklichkeitserklärung durch das Bundesgesundheitsamt. Der Gesetzentwurf wird zur Zeit rechtsförmlich vom Bundesjustizministerium geprüft. Abgesehen hiervon ist eine Höchstmengenverordnung nach dem Lebensmittelgesetz durch das Bundesgesundheitsministerium in Zusammenarbeit mit dem
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Vorbereitung, die nach toxikologischen Gesichtspunkten Toleranzen für Schädlingsbekämpfungsmittel vorschreibt. Die hierfür notwendigen toxikologischen Daten werden von der Weltgesundheitsorganisation in Zusammenarbeit mit der FAO vorgeschlagen. Es handelt sich also wegen des internationalen Handelsverkehrs um einheitliche Regelungen.
Zu 2. Arsenhaltige Pflanzenschutzmittel wurden bereits 1961 aus der Liste der Pflanzenschutzmittel gestrichen. Dasselbe gilt für Polizeiverordnungen der Länder über den Verkehr mit giftigen Pflanzenschutzmitteln. Die Abgabe unterliegt nunmehr den Rechtsverordnungen der Länder über den Handel mit Giften. Eine Abgabe ist nur ,an Apotheken und mit besonderer Genehmigung möglich.
Zu 3. Für jedes Pflanzenschutzmittel ist eine Wartezeit, d. h. eine Zeit des Verbots der Anwendung vor der Ernte, vorgeschrieben.
Zu 4. Hierzu darf ich auf Punkt 1, nämlich die obligatorische Zulassung, hinweisen.
Meine Damen und Herren, ich möchte mit diesen kurzen Ausführungen nur gezeigt haben, daß die Bundesregierung alles tut, um diesen wirklich dringenden Notwendigkeiten zu entsprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411927400
Herr Abgeordneter Dr. Frey, wünschen Sie noch das Wort?

(Zuruf des ,Abg. Dr. Frey [Bonn].)

— Sie hatten sich zuerst gemeldet. Aber wenn Sie Frau Geisendörfer den Vortritt lassen wollen, — bitte sehr.

(Zurufe.)

— Sie verzichten sogar? — Danke sehr.

Ingeborg Geisendörfer (CSU):
Rede ID: ID0411927500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Ausführungen des Kollegen Bechert nur eine ganz kurze Feststellung treffen. Die Bedeutung der Fragen, die in dem Antrag Drucksache 1952 angeschnitten sind, . ist uns allen klar. Sie ist nicht zu unterschätzen. Ich muß aber feststellen, daß sie uns nicht erst heute klargeworden ist, sondern daß schon vor Jahren Abgeordnete aller Fraktionen, und zwar nicht nur des Bundestages, sondern auch der Länderparlamente, deren Zuständigkeit ja berührt wird, sie erkannt haben. In der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, der ja auch Herr Kollege Bechert angehört, wurde das ganze Material zusammengetragen, um dann in der Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, sehr sorgfältige Vor- und Kleinarbeit für eine entsprechende Anfrage zu leisten. So wurde z. B. in diesem Zusammenhang die Übersetzung des Berichts des „Wissenschaftlichen Beirats" des Präsidenten Kennedy von der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, der ja Abgeordnete aller Fraktionen angehören, veranlaßt. Sie ist an sämtliche Kollegen verteilt worden. Ich habe das vorausgeschickt, um Sie, Herr Kollege, von folgendem überzeugen zu können: Die Kollegen in allen Reihen



Frau Geisendörfer
dieses Hauses, die die Kleine Anfrage auf Drucksache IV/1470 — die Sie, wie Sie vorhin festgestellt haben, ja auch unterschrieben haben — ausarbeiteten, haben sich damals schon gründlich mit den Problemen befaßt. Ich glaube, sonst wären die Fragen nicht so präzise formuliert worden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411927600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ingeborg Geisendörfer (CSU):
Rede ID: ID0411927700
Bitte sehr!

Dr. Elinor Hubert (SPD):
Rede ID: ID0411927800
Frau Kollegin, es ist ja auch von Herrn Kollegen Bechert hervorgehoben worden, daß eine Anfrage schon dagewesen ist, daß aber die Antwort der Regierung leider so unvollkommen und teilweise so unrichtig war, daß man jetzt nur noch mit einem Antrag des Hohen Hauses glaubte vorankommen zu können.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411927900
Fragezeichen muß ich hören! Selbst bei Damen!

(Heiterkeit.)


Ingeborg Geisendörfer (CSU):
Rede ID: ID0411928000
Genau dazu komme ich jetzt. Was ich bis jetzt gesagt habe, war nur eine Prämisse für das, was ich jetzt weiter ausführen wollte. Die logische Folge davon war, daß die gleichen Kollegen aus allen Fraktionen — und das ist vorhin nicht zum Ausdruck gekommen —, nachdem die Antwort der Bundesregierung erteilt war, festgestellt haben, daß verschiedene Punkte dringend einer Aufklärung bedürfen. Das ist genau das, was Sie soeben festgestellt haben. Deswegen war das, was heute gesagt worden ist, für uns nichts Neues. Nach Absprache mit den Kollegen Schmidt (Wuppertal), Bading und Margulies wurden schon Anfang Dezember alle offenen Punkte in einem sehr klaren Brief an die Bundesregierung aufgezeigt. Das ist die Antwort auf die Frage, Frau Dr. Hubert, die Sie gestellt haben.
Diese Zusatzfragen haben nun eine ganze Reihe von Klärungen notwendig gemacht. Ich gebe zu, daß wir auch nach dieser Anfrage noch nicht mit allem zufrieden sind. Die Mitglieder der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft hätten davon eigentlich wissen müssen; das möchte ich hier feststellen. Einige Punkte waren schnell zu klären, z. B. die Frage nach dem Endrin. Sie haben recht, daß dieses auf der Liste von 1963 noch steht. Das hat schon der Herr Minister gesagt, und er hat die Gründe dafür angegeben. Wir hoffen, daß es 1964 auf der Liste nicht mehr stehen wird. Ich wollte also nur feststellen, daß wir dieselbe Sache durchaus gesehen haben, und nicht erst heute abend darauf aufmerksam gemacht werden mußten.
Ich will nun heute abend nicht mehr auf weitere chemische und technische Einzelheiten eingehen. Wir meinen, Herr Kollege Bechert, daß wir im Grunde in dieser Sache, in dem Anliegen, das in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt, alle einig sind. Wir sind der Auffassung, daß wir durch stille, ständige und gründliche Arbeit mehr erreichen und daß
wir diese Fragen im Ausschuß in Detail beraten können. Es dient wohl nicht der Sache, wenn wir zu dieser fortgeschrittenen Stunde im Plenum eine Sachdebatte führen wollten, zu der wir überhaupt nicht imstande wären. Das Hohe Haus sollte mit der Angelegenheit erst befaßt werden, wenn die fachlichen Fragen, die in diesem Schreiben angeschnitten sind und um deren Klärung gebeten worden ist, beantwortet sind. Dann wird die politische Entscheidung zu treffen sein, ob ein Gesetz vorbereitet werden soll oder wie man sonst den Anregungen Folge leisten kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411928100
Keine weiteren Wortmeldungen. Der Präsident darf nicht sprechen; sonst hätte er etwas dazu zu sagen.
Es ist die Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend — vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 32 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Inneres (6. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Studienkommission zur Ausarbeitung von Vorschlägen für das Beamtenrecht (Drucksachen IV/ 1351, IV/1966).
Herr Abgeordneter Wagner, wünschen Sie als Berichterstatter das Wort? — Der Berichterstatter verzichtet. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Gscheidle.

Kurt Gscheidle (SPD):
Rede ID: ID0411928200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Damen und Herren der Regierungsparteien haben im Ausschuß für Inneres unseren Antrag auf Einsetzung dieser Studienkommission abgelehnt. Wem es aus der Sachkunde des gegenwärtigen Rechts darum geht, das Beamtenrecht praktikabler zu machen, wem es darum geht, es entsprechend der gestiegenen Anforderungen der jetzigen Zeit und der kommenden Jahre zu verbessern, den muß das verwundern.
Die Argumente der Mehrheit des Ausschusses waren — wir finden sie im Bericht wieder — vor allem zwei. Einmal sagte man: Warum sollen wir eine Studienkommission für eine Aufgabe einsetzen, die auch wir sehen, die auch vom Innenminister in der Beratung der ersten Lesung mit den Worten umschrieben wurde, man wisse, das seien ständige Aufgaben von bleibendem Wert? Es wurde weiter gesagt, das könnten doch die dafür zuständigen Ministerien von sich aus tun. Nun, wir haben keinen Zweifel, daß die Herren in den Ministerien sachkundig genug wären, sich dieser Arbeit zu unterziehen. Wir haben aber auch eine jahrelange Erfahrung darüber, daß die augenblickliche Arbeitsbelastung und die Kompetenzregelung in diesen Ministerien es nicht zulassen, über einen derartig umfassenden Auftrag, wie man das in den Griff



Gscheidle
bekommen kann, losgelöst von der Routinearbeit in Muße nachzudenken. 'Deshalb unser Vorschlag. Wir hatten dabei etwas die Hoffnung auf Grund der vielen Erklärungen, daß man die Wissenschaft mehr beiziehen wolle als in :der Vergangenheit, daß unser Anliegen offene Ohren und eine Bereitschaft im ganzen Hause finden könnte.
Nun hat schon der Herr Innenminister die Dinge etwas gedämpft, indem er bei der ersten Lesung sagte, nach Auffassung der SPD solle das offenbar mit dem kostspieligsten, teuersten 01 gesalbt werden, das es gebe, nämlich mit den Kosten, die Wissenschaftler verursachen, wenn sie eine solche Ausarbeitung machen. Wir hatten aber die Hoffnung, daß sich im Ausschuß aus der ständigen Auseinandersetzung mit dem Notwendigen eine breite Mehrheit dafür finden würde, diese Vorschläge, die vielfach vorliegen, diese Anregungen, die von allen Seiten gekommen sind, 'einmal zu überarbeiten, kurz, alte Zöpfe, die das Beamtenrecht heute noch hat, abzuschneiden und nicht nur hier und da einmal wieder etwas zu flicken, sondern generell die Dinge in Angriff zu nehmen, aus einer langfristigen Überlegung heraus einen Vorschlag zu machen und solche Anbauten und Zubauten, die dann komisch aussehen, die wir ja auch im Städtebau finden, wenn an einem Haus da einmal ein Erker und dort einmal ein Erker angebaut wird, zu verhindern. Uns ging es darum, daß ganze Haus neu zu überdenken. Es gab zum mindesten von den Kollegen, die sich seit Jahren hier im Hause und außerhalb des Hauses mit Beamtenrechtsfragen beschäftigen, keinen Ein
wand von der Sache her gegen die Aufgabe.
Der zweite Einwand ging dahin — und das steht auch im Bericht —, daß diese Studienkommission in der Öffentlichkeit als sozusagen 'in eigener Sache tätig und als befangen abgelehnt werden könnte. Unsere Formulierung, eine unabhängige Kommission einzusetzen, war ja gerade der Versuch, diesen auch uns bekannten möglichen Einwand zu entkräften. Ich kann mir nicht vorstellen, daß unabhängige Fachleute bei der Überarbeitung als befangen abgelehnt werden könnten.
Man kann nicht sagen, daß die Mehrheit dieses Hauses in der Ablehnung dieses Vorschlages nicht eine gewisse Linie gehabt hätte. Denn — wenn Sie mir die etwas polemische Bemerkung gestatten — bei allen Anregungen auf langfristige Überprüfungen, auf Erarbeitung eines Grundkonzepts, die hier von meiner Fraktion vertreten werden, stoßen wir leider immer wieder auf Ablehnung.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Aber die Zeit bringt es nachher!)

— Ja, die Dinge sind aber so virulent, daß wir feststellen können, daß dann nach einigen Jahren die Regierung von sich aus versucht, durch die Einsetzung irgendeiner anderen Kommission die Dinge in den Griff zu bekommen. Wir können also auch hier — in der Annahme, daß es uns nicht gelingt, heute hier noch jemand zu überzeugen — davon ausgehen, daß wir die Angelegenheit auch dann nicht wegzulegen brauchen, wenn wir uns nicht durchsetzen. Wir legen also auch diese Sache auf Wiedervorlage und werden es bei geigneter Gelegenheit wieder vortragen.
Der Ausschuß für Inneres hat mehrheitlich in seinem Bericht zwei Anträge gestellt. Ich würde bitten, daß über die beiden Anträge getrennt abgestimmt wird, weil wir als Fraktion aus den vorgetragenen Gründen dem Antrag unter 1 widersprechen müssen, während wir dem Antrag unter 2 zustimmen werden. Aber auch dazu ist ein klärender Satz notwendig. Niemand sollte davon ausgehen, daß mit diesem Beschluß der Überweisung auf einen Sachverständigenrat das aktuelle Besoldungsproblem der notwendigen Anpassung der Besoldungsbezüge im Jahre 1964 erledigt wäre. Diese Bemerkung ist um so mehr gerechtfertigt, als die heutige Fragestunde mit dem Herrn Innenminister, 'die sich um diesen Punkt gedreht hat, ja selbst bei wohlwollendster Beurteilung seiner Ausführungen keine Klärung gebracht hat. Der Herr Minister hat sich auf sechs Zusatzfragen, was denn nun für 1964 beabsichtigt sei, jeweils mit den von ihm in solchen Situationen gewählten Formulierungen um eine klare Antwort gedrückt.
Wir möchten feststellen: Mit der Überweisung dieser Aufgabe aus der Beamten-Enquete an den Sachverständigenrat ist die aktuelle Besoldungssituation 1964 nicht in den Griff zu bekommen. Es sollte auch nicht versucht werden, in der Öffentlichkeit so zu argumentieren, als ob nun mit mehrheitlicher Meinung dieses Hauses die Besoldungsfrage ja bei einem Sachverständigenrat liege und man nun abwarten sollte, was dieser Rat der Weisen von sich geben werde. Er kann, das wissen wir alle, frühestens für das Jahr 1965 eine Empfehlung in der Besoldungsfrage geben. Aber für das Jahr 1964 sind Entscheidungen auch hier zu treffen.
Ich möchte als namens meiner Fraktion bitten, sofern sich einer der Herren auf dieser Seite des Hauses von den Argumenten hat beeindrucken lassen, den Antrag unter 1) nicht zuzustimmen, dem Antrag unter 2) mit der gegebenen Einschränkung zuzustimmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411928300
Also geteilte Fragestellung in der Abstimmung! Wird gemacht!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hammersen.
— Als Berichterstatter?

(Abg. Hammersen: Nein!)

— Nicht als Berichterstatter.

Walter Hammersen (FDP):
Rede ID: ID0411928400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits bei der Beratung des Antrages Drucksache IV/1351 in der 94. Sitzung am 6. November 1963 ist von dem Sprecher meiner Fraktion darauf hingewiesen worden, daß wir Freien Demokraten gern bereit seien, jeden Vorschlag ernsthaft zu prüfen, der zu einer Versachlichung der Diskussion über Fragen des Beamtenrechts führen könnte. Wir haben dabei an unsere früheren Anträge auf Einsetzung eines Besoldungsbeirats erinnert und auch um Prüfung gebeten, ob dem bereits gebildeten Sachverständigenbeirat die



Hammersen
Grundlagenuntersuchung über die Besoldung der Beamten übertragen werden sollte.
Leider haben sich auch in den Beratungen des Innenausschusses für die Vorstellungen der antragstellenden Fraktion keine neuen Gesichtspunkte ergeben. Vor allem haben sich unsere Bedenken gegen die Schaffung einer neuen Kommission mit so weitreichenden Aufgaben, wie sie hier vorgeschlagen worden sind, neben den bereits bestehenden Institutionen und den Bundesministerien selbst verstärkt. Denn die Gefahr, daß eine solche Kommission in der Öffentlichkeit den Eindruck eines Gremiums für die Beamten, sozusagen in eigener Sache, erwecken könnte, ist meines Erachtens nicht von der Hand zu weisen.
Die Fraktion der Freien Demokraten kann daher der Bildung einer besonderen Studienkommission zur Ausarbeitung von Vorschlägen für das Beamtenrecht nicht zustimmen.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Leiten Sie das daher her, daß Professoren gelegentlich Beamte sind?)

— Nein, durchaus nicht!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411928500
Das Wort hat der .Abgeordnete Wagner.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411928600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Gscheidle veranlassen mich doch noch zu einigen Bemerkungen.
Ich möchte voraus die Feststellung wiederholen, daß die Fraktion der CDU/CSU selbstverständlich immer bereit ist, Bemühungen zu unterstützen, unser Beamtenrecht auf der Grundlage der bewährten Grundsätze weiter zu entwickeln. Wir haben deshalb auch sehr sorgfältig geprüft, ob der Antrag der SPD hierzu eine Hilfe sein kann. Das Ergebnis unserer Überlegungen lautet: Nein.
Wir begründen dieses Nein wie folgt. Der Antrag der SPD enthält keine konkreten, klar umrissenen Aufträge für die zu bildende Studienkommission. Wir müssen uns deshalb an die sehr allgemeinen Formulierungen des Antrages halten, wie z. B. die, daß die Studienkommission das Beamtenrecht auf Möglichkeiten einer Vereinfachung und einer Anpassung an die veränderten Verhältnisse in Industrie und Gesellschaft zu überprüfen hätte. Meine Damen und Herren, eine Untersuchung des deutschen Beamtenrechts im Hinblick auf die veränderten europäischen Verhältnisse in Industrie und Gesellschaft, wie die SPD es fordert, könnte das Gespräch auf eine sehr unerwünschte Ebene ziehen. Der Status des deutschen Beamten ist nun einmal anders als der der Beamten in anderen europäischen Ländern, und ich meine — Sie können das aus den Vergleichen ohne Schwierigkeiten ersehen —, auf keinen Fall schlechter als in den übrigen europäischen Ländern. Wir wollen nicht den Staatsangestellten haben, zu dem der Beamte in vielen anderen Ländern in der Zwischenzeit geworden ist. Wir halten vielmehr an den bewährten Grundsätzen fest
und sind der Meinung, wir sollten sie eher noch
verstärken, um die Unabhängigkeit des Beamtentums in der modernen Gesellschaft zu garantieren.
Die Forderung, eine besondere Studienkommission einzusetzen, ist nach unserer Auffassung nur dann gerechtfertigt, wenn entweder der Sachverhalt völlig unübersichtlich geworden ist, wenn die Grundlagen sich entscheidend geändert haben oder wenn über den einzuschlagenden Weg in der Gesetzgebung keine Vorstellungen bestehen. Ich persönlich meine, daß keine dieser Voraussetzungen gegeben ist. Die wesentlichen Gesetze, wie z. B. das Beamtenrechtsrahmengesetz oder das Bundesbeamtengesetz, wurden erst 1961 neu gefaßt. Ich glaube, daß der Gesetzgeber damals die Zeitströmungen und die neu gestellten Aufgaben berücksichtigt hat. Seit 1961 haben sich nach meiner Auffassung keine so einschneidenden Änderungen vollzogen, daß wir nun zu einer grundsätzlichen Überprüfung kommen müßten.
Diese Feststellung schließt nicht aus, daß wir die Entwicklung sorgfältig beobachten und daß wir in einzelnen Fragen auch besondere Untersuchungen anstellen. Genau das geschieht beispielsweise durch die vergleichenden Darstellungen, wie sie vom Deutschen Beamtenbund im Hinblick auf die Beamtenrechtsverhältnisse in den übrigen europäischen Staaten derzeit erarbeitet werden. Genau das geschieht auch in bestehenden Arbeitsgruppen des Bundesministeriums des Innern. Eine dieser Arbeitsgruppen beschäftigt sich z. B. mit der einheitlichen Dienstpostenbewertung, eine andere mit Fragen der Vereinfachung des Beamtenrechts. Mir schiene es zweckmäßiger zu sein, diese Arbeitsgruppen zu verstärken und sie dadurch vielleicht in die Lage zu versetzen, früher zu Ergebnissen zu kommen. Ich halte diesen Weg für zweckdienlicher, als nun eine neue Studienkommission einzusetzen.
Aus diesen Überlegungen können wir dem Antrag der SPD-Fraktion unsere Zustimmung nicht geben.
Noch eine Bemerkung zum Sachverständigenrat. Herr Kollege Gscheidle, Sie meinten vorher, daß mit dem Auftrag an den Sachverständigenrat nun auch ein Gutachten über die Entwicklung der Besoldungsverhältnisse im öffentlichen Dienst zu erstellen, der Situation des Jahres 1964 nicht Rechnung getragen werde. Ich darf Sie daran erinnern, daß im Gesetz über die Bildung des Sachverständigenrats wohl die Bestimmung enthalten ist, daß jedes Jahr im Herbst ein Gutachten über die gesamte wirtschaftliche Entwicklung zu erstellen ist; dies schließt aber nicht aus, daß die Bundesregierung zu jedem Zeitpunkt einen gesonderten Auftrag erteilen kann.

(Zuruf von der SPD: Haben Sie da Hoffnung?)

Wenn wir den vom Innenausschuß vorgelegten Antrag annehmen, dann kann und soll die Bundesregierung überprüfen, ob es nicht nützlich wäre, den nun auch personell besetzten Sachverständigenrat bereits im jetzigen Zeitpunkt mit der Erstellung eines solchen Gutachtens zu beauftragen. So wären auch für das Jahr 1964 absolut noch brauchbare Ergebnisse zu erzielen.



Wagner
Wir sind der Meinung, daß die Beschlußfassung, wie sie die Mehrheit des Innenausschusses vorgeschlagen hat, der Situation gerecht wird und daß damit auch den berechtigten Forderungen und Anliegen der Beamtenschaft Rechnung getragen wird. Wir möchten Sie deshalb bitten, sich diesem Vorschlag anzuschließen, den Antrag der SPD auf Einsetzung einer eigenen Studienkommission abzulehnen und dem Antrag des Innenausschusses auf Beauftragung des Sachverständigenrates mit der Überprüfung der Besoldungsverhältnisse Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411928700
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411928800
Der Herr Kollege Wagner hat gemeint, unser Antrag könne die Sache auf eine unerwünschte Ebene bringen. Wir kennen die „unerwünschte Ebene"; das sind der soziale Fortschritt und die soziale Entwicklung auch im Beamtenrecht.

(Widerspruch in der Mitte.)

Immer dann, wenn es darauf ankommt — wie z. B. beim Weihnachstgeld —, kommen sie mit derartigen Argumenten. Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes ist kein Sperriegel gegen den sozialen Fortschritt. Wir werden jedenfalls in dieser Richtung weiterkämpfen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411928900
Meine Damen und Herren, ich muß zwei geschäftsordnungsmäßige Bemerkungen machen. Hier ist geteilte Fragestellung beantragt; dem werde ich stattgeben. Es wird also zunächst über Ziffer 1 des Antrages des Ausschusses abgestimmt. Vorausgesetzt daß diese Ziffer 1 abgelehnt würde, stände nach meinem Sachverständnis der Antrag der Fraktion der SPD positiv zur Entscheidung. Soweit ich der Diskussion folgen konnte, komme ich zu dem Schluß, daß dieser Antrag der Fraktion der SPD weitergehend ist als der Vorschlag, den der Ausschuß unter Ziffer 2 gemacht hat.
Ich frage den Berichterstatter, ob es richtig ist, daß der Antrag der Fraktion der SPD im Vergleich zu dem Antrag des Ausschusses als der sachlich weitergehende angesehen werden kann.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411929000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD ist sicherlich der sachlich weitergehende Antrag. Aber mit einer eventuellen Annahme des SPD-Antrags würde sich Ziffer 2 des Ausschußantrages nicht erledigen; denn sie betrifft ein gesondertes Problem.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411929100
Damit wird die Sache noch schwieriger. Ich komme dann zu folgender Abstimmung. Wenn Ziffer 1 des Ausschußantrages abgelehnt wird, muß ich über den weitergehenden Antrag, nämlich den SPD-Antrag, abstimmen lassen. Wird der SPD-Antrag angenommen, bleibt immer noch Ziffer 2, über die ich dann auch noch in dritter Fragestellung abstimmen lassen muß. Ist das Haus mit dieser Handhabung der Geschäftsordnung einverstanden?

(Abg. Brück: Darf ich noch etwas sagen, Herr Präsident, bevor wir abstimmen?)

— Bitte sehr, das dürfen Sie.

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0411929200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin etwas erstaunt, daß plötzlich hier diese Schwierigkeiten auftreten. Wir haben uns im Ausschuß für Inneres eingehend darüber unterhalten. Der unter Ziffer 2 nunmehr formulierte Antrag ist eigentlich auf Wunsch der SPD in dieser Weise aufgenommen worden. Sie haben erklärt: „Wenn wir dann zu einer Einheit kommen, dann sehen wir ein . . ." usw. Deshalb bin ich erstaunt, daß das jetzt plötzlich hier wieder umgekehrt in Erscheinung tritt.
Ich möchte das bei der Abstimmung ,zu bedenken geben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411929300
Einen Augenblick! Meine zweite Bemerkung ist eine Bitte an die Antragsteller. Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, Sie schreiben in Ihrem Antrag auf Drucksache IV/1351: „Die Bundesregierung wird beauftragt . . ." Ich habe gegen diese Formulierung gewisse Bedenken, weil das Haus die Regierung eigentlich nur durch Gesetz beauftragen kann. Ich schlage vor, daß Sie hier lesen: „Die Bundesregierung wird ersucht", wie es üblich ist. Dann bekommen wir keine Schwierigkeiten verfassungsmäßiger Art. Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung, und zwar lasse ich zunächst über 'die Ziffer 1 des Antrages des Ausschusses abstimmen, nämlich den Antrag der Fraktion der SPD abzulehnen. Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit.
Damit kommen wir zur Abstimmung über Ziffer 2. Wer Ziffer 2 des Ausschußantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ziffer 2 ist einmütig angenommen.
Damit ist dieser Punkt erledigt, und damit sind wir auch am Ende unserer heutigen Plenarsitzung.
Ich habe Ihnen, meine Damen und Herren, heute einen Brief geschrieben — Sie werden ihn inzwischen bekommen haben —, daß am 19. März nachmittags um 15.00 Uhr hier getagt werden muß, und zwar über so wichtige Fragen wie den Getreidepreis. Die Einlassungsfrist der Bundesregierung steht, wie jetzt bestätigt wird, in Brüssel auf 15. April. Wir haben keine andere Möglichkeit mehr, als in dieser dritten Woche eine Plenarsitzung abzuhalten. Wir stünden sonst vor der Notwendigkeit, morgen früh die Tagesordnung zu ändern und darüber zu verhandeln, was einer Reihe von Kollegen nicht die Möglichkeit geben würde, sich entsprechend vorzu-



Präsident D. Dr. Gerstenmaier
bereiten. Deshalb: nächste Plenarsitzung am 19. März, 15.00 Uhr.

(Zurufe: Morgen!)

— Entschuldigung! Erstens bleibt die Präsenzpflicht;
das ist das allerwichtigste,

(Heiterkeit)

selbst wenn der Bundestagspräsident einen Fehler macht. Zweitens geht es dennoch morgen früh um 9.00 Uhr weiter.
Die Sitzung ist geschlossen.