Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Einziger Punkt:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Erklärung der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Regierung und allen Fraktionen in diesem Hohen Hause hingewiesen, insbesondere der Zusammenarbeit — so hieß es in der Regierungserklärung — in den großen entscheidenden Fragen, von denen das Wohl und Wehe unseres Volkes abhängt. Dieses Hohe Haus ist nicht nur die Stätte, wo Gesetze beraten und beschlossen werden, es ist auch die Stätte der in einem demokratischen Staat so notwendigen politischen Begegnung und Aussprache zwischen Parlament und Regierung, zwischen Regierung und Parlament.Lassen Sie mich deshalb als den Sprecher der größten Fraktion dieses Hauses dieses Gespräch zwischen Parlament und Regierung mit der Feststellung beginnen, daß wir jene Erklärung der Bundesregierung zu allseitiger Zusammenarbeit auch mit der Opposition nicht nur begrüßen, sondern darüber hinaus noch ergänzt sehen möchten, ergänzt in dem Sinne, daß wir es begrüßen würden, wenn zu dieser Zusammenarbeit ebenfalls das persönliche Gespräch zwischen dem Chef der Regierung und dem Führer der Opposition gehörte.
— Herr Kollege Menzel, vielleicht beide Seiten!
— Sind Sie dagegen?
— Gut, ein Fortschritt!Dann ein Zweites, meine Damen und Herren! Im sozialdemokratischen Pressedienst — in der ersten Stellungnahme der Opposition zur Regierungserklärung — hieß es, der Opposition falle jetzt, und zwar jetzt noch mehr als bisher, die große Aufgabe zu, der Wächter der deutschen Demokratie zu sein.
Ich bin über dieses Urteil doch ein wenig überrascht, denn ich finde in der Regierungserklärungzu einem solchen Urteil weder Grund nodi Anlaß.
Sollte man aber wirklich glauben, es müsse jetzt zum Alarm für die Freiheit geblasen werden, dann will ich gleich zu Beginn meiner Ausführungen betonen, daß wir der Opposition keinen, aber auch gar keinen Anlaß geben werden, dieses Amt des Hüters und Wahrers der deutschen Freiheit anzutreten.
— Als es zu sein?
— Gut, ich bin Ihnen dankbar für diese Anerkennung.
— Warum denn nicht? Hoffen Sie doch, Herr Kollege Schmid!
Schon im Jahre 1953, als wir die Mehrheit der Abgeordneten in diesem Hohen Hause hatten, erhob man gegen uns den Vorwurf, wir würden unsere Macht zum Schaden der Demokratie mißbrauchen. Wir haben das nicht getan. Wir haben mit der Opposition nicht nur zusammen gearbeitet, sondern auch zusammen gestimmt. Wir haben mehrere Male das Grundgesetz geändert und dies, wie Sie wissen, in einer Angelegenheit, wo es sich um eine Frage der inneren Staatsordnung handelte. Zu einer Änderung des Grundgesetzes bedarf man immerhin einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen dieses Hauses.
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32 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Dr. KroneDieses Mal haben die Unionsparteien mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Wir haben eine Mehrheit von 277 Abgeordneten in diesem Hause, das 519 Mitglieder zählt. Die Vorwürfe sind damit nicht weniger geworden. Im Gegenteil, es sind die gleichen wie 1953. Allerdings stammen sie, und das ist erfreulich, so gut wie gar nicht aus dem Ausland. Im Ausland ist dieser Sieg des Kanzlers weithin als die Gewähr für die Fortführung einer eindeutigen und konstanten deutschen Außenpolitik begrüßt worden. Die Vorwürfe stammen aus dem Inlande. Ich will auf sie im einzelnen nicht eingehen. Sie steigern sich bis zu dem an die Wand gemalten Schreckgespenst einer neuen deutschen Ein-Partei-Herrschaft. Man geniert sich selbst nicht, das Jahr 1957 mit dem Jahr 1933 zu vergleichen.
Lassen Sie mich noch einmal folgendes feststellen. Wir haben acht Jahre lang in diesem Hause, in der Regierung, in den Ländern — und dort auch mit der Fraktion und der Partei, die hier im Hause in der Opposition steht — der Verfassung getreu gearbeitet. Wir wehren uns mit aller Entschiedenheit dagegen, daß man uns der Sabotage der Demokratie verdächtigt.
Wir sind mit der Opposition darin einig, daß, wer am demokratischen Aufbau unseres Volkes rüttelt, ein Totengräber des deutschen Volkes ist, daß er nicht nur das Fundament seiner eigenen Politik untergräbt, sondern auch das Fundament, von dem aus allein wir zur Wiederherstellung der deutschen Einheit kommen können. Wer sich an der Freiheit und der Demokratie vergreift, der zerschlägt dem deutschen Volk die Forderung und das Recht auf freie gesamtdeutsche Wahlen.
Ich spreche in diesem Zusammenhang noch eine Bitte aus. Man stelle doch die freie Entscheidung des deutschen Staatsbürgers nicht in Zweifel! Man greife nicht zu falschen Wahlanalysen! Wer die freie Wahl in Zweifel stellt, der betrügt sich selber.
Man sei sich des hohen politischen und sittlichen Wertes freier Wahlen bewußt! Freie Wahlen waren die Sehnsucht der Aufrechten in der Hitlerzeit. Über freie Wahlen führt der Weg zur Einheit in Freiheit. Freie Wahlen sind die große Hoffnung der 18 Millionen tapferer Deutscher in der Zone und in ganz Berlin. Man übersehe nicht, wer freie Wahlen nicht will, weil er die freien Wahlen fürchtet: niemand anders als Pankow und Moskau.So klar und entschieden wir das alles sagen, so unmißverständlich erklären wir aber auch, daß wir nichts tun und zulassen werden, was die innere Festigkeit unseres Staatswesens und damit seine Stärke auch nur schwächt.
Wir sind noch immer froh darüber — obwohl bei dem Mehrheitsverhältnis in diesem Hause kein Anlaß, besorgt zu sein, vorliegt —, daß die einmal gebildete Regierung nach der Verfassung die Chance hat, vier Jahre im Amt zu sein, dank dem Beschluß, den die Väter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat auf breiter Front, die Opposition eingeschlossen, gefaßt haben.
Wir stellen mehr mit Erstaunen als mit Beunruhigung fest, daß es Demokraten gibt, die an einigen Positionen unseres Grundgesetzes rütteln möchten. Sie wollen unser parlamentarisches System noch parlamentarischer machen. Meine Damen und Herren, das wäre der Anfang eines gefährlichen Weges, den der nicht gehen kann, der die leidvolle Geschichte des Weimarer Staates nach 1918 kennt.
Wir werden jenen negativen parlamentarischen Reformversuchen ebenso kein Gehör schenken, wie wir seinerzeit Versuche ablehnen mußten, die Stellung des Verteidigungsministers aus der in der Verfassung vorgesehenen Position der Bundesminister herauszunehmen und sie parlamentarischer zu machen.
— Den Versuch, der im letzten Bundestag gemacht worden ist, für den Bundesverteidigungsminister in bezug auf das Mißtrauensvotum eine Ausnahme zu machen,
ein Versuch, der von Ihrer Seite ausging.
— Jawohl; das meine ich damit.
— Nein, nein; das ist d e r Punkt, Herr Kollege Schmid. Wenn Sie der Meinung sind, das künftig nicht mehr zu tun, bin ich damit sehr einverstanden.Ich weiß nicht, ob in dieser Debatte noch einmal der Unkenruf erhoben wird, die Freiheit im Innern sei in Gefahr. Ich hoffe es nicht. Im Wahlkampf konnte man das noch hören und lesen. Doch auch da schon blieben die Säle leer, wenn von einer angeblich bedrohten Freiheit allzu laut gesprochen wurde. Meine Damen und Herren, das kam beim Wähler damals nicht an und kommt beim Wähler auch heute nicht an. Das Kapitol der Freiheit braucht in Deutschland wirklich nicht gerettet zu werden,
auch nicht von denen, die früher im Lager desNationalismus standen und meinten, daß am Liberalismus die Völker zugrunde gehen, und die heute
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Dr. Kroneim Lager des Liberalismus ihre Heimstätte gesucht und auch wohl gefunden haben.
— Herr Dr. Mende, ich meine, mehr Ihre Seite!Ich kann das Verhältnis von Opposition und Koalition nicht besser darlegen, als daß ich auf die Rede hinweise, die der an seinem Kriegsleiden und an den Folgen einer zehnjährigen Konzentrationslagerhaft so früh verstorbene Kurt Schumacher am 21. September 1949 gehalten hat.
Die Opposition
— so sagte Schumacher —ist ein Bestandteil des Staatslebens. Nicht überall ist die glatte Antithetik gegeben. Wir sind nicht die bloße Negationserscheinung dieser Regierung, wir sind etwas Selbständiges.Erich Ollenhauer hat am 28. Oktober 1953 die Anerkennung der Opposition als eines wesentlichen und unerläßlichen Bestandteils der parlamentarischen Demokratie hervorgehoben. Das gleiche hat der Herr Bundeskanzler getan, 1949 und auch 1953. Er sprach auch damals schon von der Opposition als einer Staatsnotwendigkeit und davon, daß durch das Einandergegenüberstehen von Koalition und Opposition echte Demokratie gegeben sei. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wir sind auch heute der gleichen Meinung und bereit, danach zu arbeiten.Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob man nicht wieder mit der Mahnung und Beschwörung kommt, wir sollten in unserer Fraktion keine parlamentarischen Beschlüsse vorwegnehmen. Nun, wir wollen das auch nicht, und wir sind bereit, in den Ausschüssen so wie bisher zu diskutieren und zu beraten.
— Auch im Plenum! Doch möge man auch bedenken, daß die absolute Mehrheit im Parlament ein ganz legitimes Ziel einer jeden Partei ist,
und die haben wir diesmal erreicht. Und einmal muß eine Frage auch in den Ausschüssen entschieden werden. So sehr man also an uns appelliert, wir sollten die Macht nicht mißbrauchen, so sehr appellieren wir an die Opposition, hier im Parlament nicht in die glatte Gegensätzlichkeit zu gehen; denn im steten Neinsagen besteht auch nach den Worten Schumachers nicht das Wesen der Demokratie.
Noch ein letztes Wort zu dieser Frage! Es wäre der Zusammenarbeit in diesem Hohen Hause außerordentlich förderlich, wenn die Opposition den berechtigten Anspruch, den sie hier erhebt, auch dort respektierte, wo sie sich in der Mehrheit befindet.
Ich möchte hier auf keine Einzelfälle eingehen; aber es ist leider eine Tatsache, daß die parlamentarischen Spielregeln in zahlreichen Gemeinden, in denen die Opposition dieses Hohen Hauses regiert, wiederholt auf das schwerste verletzt worden sind.
Wenn wir uns also zu den großen im Interesse der Demokratie liegenden Faktoren der Opposition und der Koalition bekennen, dann meinen wir auch, daß der Gedanke, zwischen Koalition und Opposition stehen zu wollen, stehen zu können, eine Fiktion ist, ein Stück politischer Jongleurkunst. Eine Zeitlang gelingt das Spiel; eines Tages aber wollen die Wähler und auch die Gewählten doch wissen, wohin die Reise geht. Doch diesen Kopf brauchen wir uns nicht zu zerbrechen, und wir werden ihn uns auch nicht zerbrechen, auch deshalb nicht, weil wir zwischen einer Opposition hundertprozentig, fünfzigprozentig oder weniger nicht zu unterscheiden vermögen. Koalition und Opposition, beide sind für Deutschland verantwortlich, für alle Deutschen, auch für die von uns getrennten. Opposition und Koalition tragen in der ihnen zukommenden Funktion Verantwortung für das Ganze. Von dieser Verantwortung kann uns beide nichts befreien. Das Schicksal unseres Volkes verpflichtet uns alle, Koalition und Opposition, Parlament und Regierung.Meine Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit, wo der einzelne immer mehr in den Sog des Massenhaften gerät. Auch die repräsentative Demokratie ist in den Massenstaaten unserer Zeit in Gefahr. Sie droht, zu einer parteienstaatlichen Demokratie zu werden, — ein Vorgang, der in der modernen Staatsrechtslehre nicht nur seine Vertreter, sondern leider auch seine begeisterten Verfechter hat. Wir sollten uns dieser Tendenz, wo immer auch nur möglich, entgegenstellen. Wer das tun will, der vermag das nicht besser, als daß er den Art. 38 des Grundgesetzes, diesen für das freiheitliche, aber auch verantwortungsbewußte Handeln des Abgeordneten grundlegenden Artikel, ganz ernst nimmt. Solches Handeln unterscheidet den Politiker vom Funktionär, vom Funktionär seiner Partei und seines Verbandes. Wo der Funktionär herrscht, bleiben die Fenster aus Furcht vor frischer Luft verschlossen. Der Funktionär wird echter Politik nicht gerecht.Friedrich Sieburg und Jürgen Tern haben in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — —
— Meine Damen und Herren, ein paar Zwischenrufe mehr, aber nicht ein allgemeines Gemurmel dieser Art, darum würde ich bitten.
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Dr. KroneFriedrich Sieburg und Jürgen Tern haben in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben, der Deutsche habe dieses Mal konservativ gewählt, mit mehr als der Hälfte der Abstimmenden. Mir scheint Glas richtig gesehen. Auch in dieser Hinsicht ist die Wahl ein beachtenswertes Kennzeichen unserer Zeit, die aber damit nicht reaktionär sein will,
sondern weiß, daß das 19. Jahrhundert auch seine großen Werte hinterlassen hat. Vom Konservativen unterscheidet sich der Reaktionär dadurch, daß jener sich des Wandels der Zeit bewußt ist, dabei aber weiß, daß es im Menschen und in der Natur liegende Werte gibt, die auch die Politik nicht ungestraft übersehen darf, so auch das Recht und die Freiheit, daß der Mensch auf beides nicht verzichten kann. Das Suum cuique gehört auch hierhin. Es war schon vor Preußens Geburt ein wahres Wort und bleibt es auch nach Preußens Untergang, der sich schon 1918 vollzog und nicht erst, als nach 1945 die Siegermächte das Land Preußen mehr schematisch als organisch aufteilten.Zu diesen unvergänglichen Werten gehört auch das Eigentum, gehört die Familie, gehört das Kind in der Familie. Dazu gehört bestimmt nicht als letztes auch die Religion und ihre Freiheit, gegen die in diesen Tagen in der Sowjetzone erneut ein scharfer Kampf geführt wird. Das ist nicht nur ein Kampf gegen das Christentum, sondern auch gegen die Geistesfreiheit. Ich glaube, ich weiß mich mit dem ganzen Hohen Hause darin einig, wenn ich sage, daß die Opfer dieses Kampfes in der Zone unserer Teilnahme sicher sind.
Das Denken, zu dem wir uns hier bekennen, unterscheidet sich also nicht nur von allen Funktionärsformen; es unterscheidet sich auch von einem Handeln, das zu seiner Zeit eine nicht wegzuleugnende Bedeutung gehabt hat, das aber heute deshalb seine Stunde nicht mehr hat, weil sein geschichtlicher Wert Bestandteil des Denkens unserer Zeit geworden ist. Ich meine die Forderung, die der Liberalismus seinerzeit erhoben hat. Zur Anerkennung der Würde alles dessen, was Menschenantlitz trägt, braucht heute nicht mehr aufgerufen zu werden. Wer das nicht wußte, hat es unter Hitler bitter erfahren. Und weil der Mensch Mensch ist und er das selber weiß und die moderne Gesellschaft auch durchweg danach handelt, hat Karl Marx nur noch in. Moskau den ersten Lehrstuhl für Sozialökonomie inne. Was am 19. Jahrhundert richtig war, das hat die Welt längst übernommen; das andere, der Rest ist Geschichte.
In Deutschland ist die Freiheit wirklich nicht in Gefahr. Wir erleben statt dessen etwas ganz anderes. Statt des Klassenkampfes stellen die großen Organisationen der beiden Kampfparteien heute manchmal fest, daß es klüger und vorteilhafter ist, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, vorteilhafter für die beiden Sozialpartner, ohne jedochimmer vorteilhaft für den Dritten zu sein, nämlich den Verbraucher; denn er muß sehr oft die Zeche bezahlen. Hier tauchen neue Probleme und neue Aufgaben auch für unsere Politik auf.
Meine Damen und Herren, die Wähler haben sich in ihrer Mehrheit am 15. September zu der Politik bekannt, welche die Regierung Konrad Adenauer acht Jahre lang verfolgt hat. Der Wähler wünscht und erwartet — das ist das Ergebnis der Wahl —, daß diese Politik fortgesetzt wird.
Die Splitterparteien sind auf der Strecke geblieben. Versuche zu einem neuen Radikalismus sind von den Wählern schon im Keime erstickt worden. Die Konzentration auf die beiden großen politischen Parteien hat sich fortgesetzt. Es gibt keine Zünglein-an-der-Waage-Politik, keine Entscheidung erst am Tage danach mehr und damit keine Möglichkeit, seine Minderheit diktatorisch auszunutzen.Der Gesamtdeutsche Block ist im Bundestag nicht vertreten. Die sozialen und wirtschaftlichen Eingliederungsmaßnahmen haben bewirkt, daß die Heimatvertriebenen auch politisch Fuß gefaßt haben.
Die Heimatvertriebenen gehören zu uns, wie wir zu ihnen gehören.
Die Sorgen und Nöte dieser Menschen werden weiterhin von uns so ernst genommen werden wie bisher.Mancherlei Überlegungen sind darüber angestellt worden, wie es zu diesem Wahlergebnis gekommen ist. Man sagt, daß die Politik des Professors Erhard — der Kühlschrank — die Ursache gewesen sei. Herr Kollege Schmid hat dasselbe Thema noch etwas plastischer formuliert. Nun, meine Damen und Herren, wenn dem so wäre, meine ich, es wäre nicht verkehrt.
Verkehrt ist eine solche Politik nur dann, wenn sie nicht weiß, daß es in der Wirtschaft noch wichtigere Dinge gibt als den Kühlschrank, und wenn man sich nicht freihält von utopischen Wunschträumen. Das Paradies auf der Erde haben wir nicht versprochen und werden wir auch nicht versprechen. Der Glaube an dieses Paradies stirbt langsam aus.Es waren noch andere Gründe, die den Wähler veranlaßt haben, sich so positiv zu entscheiden. Das deutsche Volk wußte und weiß, was es heißt, nach diesem zweiten Weltkrieg und angesichts alles dessen, was geschehen ist, wieder Freunde in der Welt zu haben. Es will sich nicht zwischen die beiden Stühle setzen. Es ist auch davon überzeugt, daß unser Pakt mit den Mächten der freien Welt die einzige Sicherheit ist, die wir nach außen hin hatten und haben. Es mißt dieser Sicherheit auch weit mehr Bedeutung zu als Überlegungen, die doch bestimmt den einen großen Nachteil haben, daß
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Dr. Kroneman von ihnen bisher nicht weiß, ob sie, wenn sie einmal Wirklichkeit werden sollten, überhaupt funktionieren.
Auch das hat der Mann auf der Straße weit sicherer gespürt als viele kluge Leute, die da meinten, diese Gleichung mit einer Anzahl von Unbekannten müsse auf alle Fälle aufgehen und dann sei wenigstens Europa gerettet.
— Sie können sich so leicht über Kleinigkeiten freuen, Herr Kollege Schmid.
Es war wiederum Professor Carlo Schmid, der nach den Wahlen meinte, die Außenpolitik der SPD sei nach wie vor richtig,
aber sie sei unpopulär.
— Unpopulär, Herr Kollege Schmid. Ich glaube, das Hiroshima-Plakat haben nicht wir geklebt, und wir waren es auch nicht, die gesagt haben, wir wollten die Wehrpflicht abschaffen. Unpopulär, glaube ich, war eher unsere Forderung der Wehrpflicht und nicht Ihre.
— Warum so ungeduldig, Herr Kollege Schmid? Warten Sie doch etwas! Sie sind doch sonst ein so ruhiger Mann.
— Ich bin etwas erstaunt über Ihren Satz; denn im Wahlkampf selber konnte man schon einige Stimmen in Ihrem Lager hören, die sich dem näherten, was wir über unser Verhältnis zur Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft immer gesagt haben. Ich frage mich nun, ob dieser Weg, der immerhin eine wünschenswerte Annäherung auf dem Gebiete einer gemeinsamen Außenpolitik anbahnte, verschüttet worden ist. Ich würde es bedauern.Das, was sich in diesen Tagen in Moskau ereignete, nimmt auf alle Fälle der europäischen Sicherheitskonstruktion der Sozialdemokratie Gewicht und Aktualität und rechtfertigt eine illusionslose Beurteilung der Vorgänge, wie wir sie stets von uns aus gefordert haben.
Der Wähler, meine Damen und Herren, hat sich am Wahltag nicht nur für eine bestimmte, ihm zur Entscheidung vorgelegte Politik entschieden, sondern — das will und muß ich sagen — der Wähler hat sich auch zu dem Mann bekannt, mit dessen Namen die Politik dieser Jahre geschichtlich verknüpft ist.
Das ist das geschichtlich Einmalige in Deutschland: Mit mehr als der Hälfte der Stimmen bei einem jede Stimme zählenden Wahlrecht hat der deutsche Wähler, gerade auch in der Arbeiterschaft, Konrad Adenauer erneut das Vertrauen ausgesprochen.
Wir wären zu bescheiden gewesen, wenn wir die Entscheidung vom 15. September nicht mit Freude quittiert hätten.
Männer, die vorn stehen, sind immer umstritten.
Das ist ihr Schicksal. Dank und Anerkennung sind eine seltene Tugend. Wenn einer ein Stück Geschichte seines Volkes geprägt hat, und ich sage weiter: wenn der Bundeskanzler seit 1949 ein Stück deutscher Geschichte nach jenen Unglücksjahren des Hitler-Regimes in unserem Volke geprägt hat, das leider ohne unsere Schuld noch immer geteilt ist, wer hat dann ein Recht, den Leuten, die zu diesem Manne stehen, die diesen Weg deutscher Freiheitspolitik bejahen und die zwischen Dankbarkeit und Führerkult zu unterscheiden wissen, zu verwehren, dem Manne den Dank auszusprechen, der ihm gebührt!
Ich danke hier, meine Damen und Herren, auch den Ministern aus dem zweiten Kabinett Adenauer, die dieses Mal ausscheiden. Ich danke in Anerkennung und Verehrung den Herren Kollegen Blücher und Preusker und aus unseren Reihen dem Kollegen Anton Storch, mit dessen Namen der Wiederaufbau der deutschen Sozialpolitik verknüpft ist.
Ich danke dem Kollegen Jakob Kaiser — —
— Aber bei diesem Punkt sollten Sie etwas ruhiger sein, wenn ich einem Kollegen danke; das ist doch eine Pflicht der Höflichkeit.
Ich danke auch meinem Freunde Jakob Kaiser, dem unermüdlichen Kämpfer für die gesamtdeutsche Sache.
Ihm gelten unsere besten Wünsche für baldige Genesung.
Wenn ich vorhin von der Verantwortung gesprochen habe, die wir für das Schicksal unseres Volkes tragen, Opposition wie Koalition, und daß uns diese gemeinsam verpflichtet, so fassen Sie das
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Dr. Kronebitte nicht als einen mir nicht zustehenden Appell auf. Ich weiß, es gibt Fragen, Sorgen und Anliegen, in denen sich Regierungsparteien und Opposition einig sind. Das muß und soll auch heute von uns gesagt werden, damit unsere Arbeit nicht mit einem schlechten Start beginne. Ich möchte, daß wir uns auch auf dem Weg zum Ziele fänden; aber dafür müßten wir uns zunächst — wie ich bereits erwähnt habe — bei der Beurteilung der weltpolitischen Tatbestände einigen können. Deutschland hat im Kampf der Mächte Stellung bezogen. Ober seine Zugehörigkeit zur freien Welt, sein Bekenntnis zur Freiheit und Demokratie und seinen Willen zum Frieden gibt es in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheiten.Die Frage, die uns in der Vergangenheit beschäftigt hat und bei der wir uns trennen mußten, war, ob und in welcher Weise die Bundesrepublik um ihrer eigenen Sicherheit willen und für die Sicherheit der gesamten freien Welt einen Verteidigungsbeitrag zu leisten habe. Die sozialdemokratische Opposition hat einen solchen Beitrag prinzipiell nicht abgelehnt; sie war aber der Meinung, daß noch nicht jede Verhandlungsaussicht erschöpft sei. Demgegenüber sind wir der Oberzeugung gewesen, daß keine Möglichkeit mehr gegeben war, die deutsche Entscheidung zugunsten der eigenen Sicherheit im Rahmen einer Verstärkung der westlichen Verteidigung noch länger hinauszuzögern. Die Sowjets hatten sehr viel Zeit, die Verteidigung und Aufrüstung in der Welt durch eine Verständigungspolitik überflüssig zu machen. Es geschah aber nichts. Wir werden auch weiterhin mit allen unseren Möglichkeiten die Bemühungen unterstützen, den Frieden in der Welt durch allgemeine und kontrollierte Abrüstung zu gewährleisten. Wir befinden uns, wie ich feststellen darf, in voller Übereinstimmung mit der vom Herrn Bundeskanzler immer wieder vertretenen Politik, daß sich 'Deutschland ohne Zögern jedem allgemeinen Abrüstungsabkommen unterwerfen wird. Die Abrüstungsverhandlungen sind deutscherseits mit keinerlei Forderungen vorbelastet worden. Wir können zwar von unserer Überzeugung nicht abgehen, daß ein dauerhafter Friede eine gerechte Lösung der deutschen Frage zur Voraussetzung hat. Aber wir geben uns der Hoffnung hin, daß Fortschritte auf dem Gebiete ,der Abrüstung die Lösung der politischen Streitfragen erleichtern, ja uns zu ihr hinführen.Indessen — damit wende ich mich an das ganze Hohe Haus — dürfen wir den Blick nicht vor der Tatsache verschließen, daß sich die von Moskau heraufbeschworene krisenhafte Situation eher noch verschärft hat. Man meinte zu Beginn dieses Jahres — und in führenden deutschen Zeitungen kam das hoffnungsfreudig zum Ausdruck —, daß in der Welt Tauwetter einsetze. Die Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus. Gestern vor einem Jahr rückten sowjetische Panzer in Budapest ein, schlugen den heroischen Kampf der Ungarn um ihre Freiheit nieder und dokumentierten, was Moskau unter Selbstbestimmung und Koexistenz versteht. Ich glaube auch nicht, daß die innerenMachtkämpfe, die sich heute in der Sowjetunion abspielen, die Gefahr, in der wir leben, vermindern; eher ist das Gegenteil der Fall.Hinzu kommt, daß die unbestreitbaren technischen Erfolge, welche die Sowjets in Gestalt der weittragenden Rakete und mit der Entsendung künstlicher Erdsatelliten hatten und haben, das Selbstgefühl derer im Kreml noch gesteigert haben. Darin allerdings haben sich die Sowjets getäuscht. Die Reaktion der westlichen Welt ist ganz anders ausgefallen, als sie erwartet hatten. Es ist meins Erachtens ein vitales Anliegen für uns alle, daß die Sowjets nicht der Illusion verfallen, sie könnten sich, weil die freie Welt vorzeitig weich würde, die Zustimmung zu einer allgemeinen Abrüstung ersparen. Wir sind deshalb, ganz konkret gesprochen, bereit, wir müssen alles tun und wir werden die volle Erfüllung unserer in der atlantischen Gemeinschaft übernommenen Verpflichtungen sehr ernst nehmen. Gerade wenn die Massenvernichtungsmittel in Dimensionen hineingeraten, die ihren Einsatz immer unwahrscheinlicher machen, wird der militärische Beitrag der Bundesrepublik zum atlantischen Schild nur noch bedeutsamer.Das ist — und ich hoffe sehr, in diesem Punkte richtig verstanden zu werden — keine Absage an eine deutsche Politik, die auch mit den Völkern im Osten einen Ausgleich und gute nachbarliche Beziehungen anstrebt. Es hat uns alle zutiefst enttäuscht, daß die Sowjetunion bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu ihr bisher keinen Schritt getan hat, in der sowjetischen Deutschlandpolitik einen Wandel herbeizuführen. Wir beobachten besorgt das sowjetische Bemühen, die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit von den Gesprächen über die Abrüstung auszuschalten. Wir wehren uns auf das entschiedenste gegen die These der Sowjets, daß der Weg zur deutschen Einheit über Pankow führt.
Der Weg zur deutschen Einheit, meine Damen und Herren — und daran muß der deutsche Politiker festhalten —, führt über das Gespräch der Vier, damit auch natürlich über Moskau, aber nicht über Pankow.
Mit Genugtuung und Dankbarkeit muß hervorgehoben werden, daß unsere Verbündeten, erst jetzt wieder in der gemeinsamen Erklärung des Präsidenten Eisenhower und des englischen Premierministers, uns in der deutschen Frage nach wie vor ihre Unterstützung geben und daß die drei Westmächte im Gegensatz zur Sowjetunion zu der von allen vier Siegermächten zuletzt noch in Genf anerkannten Verantwortung für die Wiedervereinigung Deutschlands auch stehen. Unsere Verbündeten haben deshalb auch für den deutschen Schritt gegenüber der Belgrader Regierung volles Verständnis gezeigt.Nicht wir haben die Zuspitzung der deutschjugoslawischen Beziehungen gesucht, im Gegenteil, wir haben sie außerordentlich bedauert. Die Anerkennung Pankows durch Belgrad ließ aber
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Dr. Kronekeine andere Reaktion zu, und es beunruhigt mich doch, daß es darüber in diesem Hohen Hause anscheinend verschiedene Meinungen gibt.
Ich will hier niemandem unterstellen, daß er die Gemeinsamkeit verlassen wolle, mit der wir Verhandlungen mit Pankow über die deutsche Schicksalsfrage bisher immer abgelehnt haben. Aber es taucht leider hie und da die Behauptung auf, diese Haltung sei nicht mehr realistisch, die Macht des Faktischen werde sie eines Tages umstoßen. Was bedeutet das? Es bedeutet doch im letzten nichts anderes als den Verzicht auf eine Wiedervereinigung des deutschen Volkes in Freiheit. Wenn wir von der Wiedervereinigung sprechen, meinen wir doch alle nichts anderes als die Liquidation des derzeitigen Machtregimes in der Besatzungszone drüben hinter dem Eisernen Vorhang. Wer ist naiv genug, sich vorzustellen, daß dieses Regime sich jemals selbst aufgäbe, selbst aufgäbe dadurch, daß es eine Wiedervereinigung in Freiheit bejaht? Es kann nur dadurch zum Verschwinden gebracht werden, daß die Sowjetunion ihr Interesse an einer Lösung der deutschen Frage anerkennt, an einer Lösung, die dem Willen des deutschen Volkes entspricht und die auch gute deutsch-sowjetische Beziehungen ermöglicht. Solange die Sowjets Pankow vorschieben, ist das nichts anderes als ein hartes Nein zur Wiedervereinigung.Das Regime von Pankow ist demokratisch nicht legitimiert. Nur der hat das Recht, von Demokratie und Freiheit zu reden, der den Mut zu freien Wahlen hat. Nur der hat das Recht, von Demokratie und Freiheit zu reden, der gewillt ist, der Zone und ganz Berlin den Weg in die Freiheit nicht wie bisher zu versperren, und nur der kann von der hohen Herrschaft des Rechtes sprechen, der die Tore der Zuchthäuser für die wegen ihres Einstehens für die Freiheit Verurteilten endlich öffnet.Diese Haltung gegenüber Pankow hat nichts mit der Frage zu tun, ob die Bundesrepublik zu Staaten, die kommunistisch regiert werden, überhaupt gute Beziehungen haben kann. Pankow ist für uns kein Staat; Pankow ist ein Unrechtsregime auf deutschem Boden.
Was fremde Staaten betrifft, so haben wir kein Recht und auch gar nicht die Absicht, uns in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen. Das kommunistische Regime, das in Jugoslawien besteht, hat uns nicht davon abgehalten, für gute Beziehungen zu diesem Staat auch erhebliche Opfer zu bringen. Wir sollten zu einer solchen Haltung in jedem Fall bereit sein, solange man uns nicht, wie das die Belgrader Regierung getan hat, durch unerträgliche Einmischung in unsere eigenen inneren Angelegenheiten, eben durch die Verneinung des Selbstbestimmungsrechts vor den Kopf stößt. Wir dürfen auf gar keinen Fall davon absehen, daß wir nichts hinnehmen können, was die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit gefährden würde.
Meine Damen und Herren! Die Bemühungen um die europäische Integration sind in eine entscheidende Phase eingetreten. Wir haben diese Entwicklung trotz mancher ernster Rückschläge und vieler Widerstände unverdrossen und mit aller Energie gefördert; denn wir sind stets der Meinung gewesen, daß Europa sich einigen muß, wenn es überhaupt leben will. Wir begrüßen die Ausführungen der Regierung zu diesen Fragen und werden alles tun, was diesem großen Ziele dient. Wir werden alles unterstützen und auch initiativ fördern.Der europäische Zusammenschluß soll nicht zuletzt unsere Abwehrkraft gegen den Osten stärken. Ich meine das nicht im militärischen Sinn, sondern im Sinne wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit.Früher ist in diesem Hohen Hause die Auffassung vertreten worden, ein Schritt zu solcher europäischer Zusammenarbeit erschwere, ja verhindere die deutsche Wiedervereinigung. Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, daß das heute nicht mehr der Fall ist, daß sich auch die SPD für den Gemeinsamen Markt und für Euratom ausgesprochen hat.Die internationale Verflechtung unserer Existenz hat einen Grad erreicht — und das gilt nicht nur für uns —, daß wir — ob wir wollen oder nicht — in einer Art Weltinnenpolitik stehen. Nicht nur die Grenzen der Nationalstaaten, sogar die Grenzen der Kontinente sind in vielem fragwürdig geworden. Es gilt, dessen gerade dann eingedenk zu sein, wenn wir unser nationales Schicksal meistern wollen. Wir sind dessen gewiß, daß die europäischen Nationen, wenn sie über den Weg der wirtschaftlichen Integration schließlich zu einer politischen Gemeinschaft gelangen, in der neuen Epoche, in die wir eingetreten sind, die ihnen drohende Geschichtslosigkeit überwinden werden.Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung auch einen Aufriß dessen gegeben, was die Bundesregierung auf den Gebieten der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu tun beabsichtigt. Mein Freund Höcherl wird zu diesem Thema noch ein besonderes Wort sagen. Ich gehe deshalb nur kurz darauf ein und will betonen, daß uns gerade jene Fragen besonders beschäftigen werden, die in dem großen Prozeß der Aufsaugung alles Individuellen, den wir heute erleben, die Sicherung der menschlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Existenz betreffen. Hierher gehört eine tatkräftige und einheitlich geführte Mittelstandspolitik. Die Finanz- und Steuergesetze wie die des Arbeits- und Sozialrechts müssen geordnet sein. Das Sparen im eigenen Betrieb muß ermöglicht werden. Wir müssen und werden an die Sicherung und Förderung der freiberuflich Tätigen denken, an die Förderung der Wissenschaft, an die Förderung der Studierenden. Der Grüne Plan muß fortgesetzt und ausgebaut werden. Wir stehen nicht nur vor einer Reform des Unfallversicherungsrechts und der Reform der Krankenkassenversicherung, sondern auch vor der Aufgabe, durch eine große umfassende und vergleichende Leistungsübersicht auf den drei Gebieten des sozialen Leistungswesens, also der Sozialversicherung, der sozialen Fürsorge und des sozialen Ver-
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Dr. Kronesorgungswesens, diejenigen Unebenheiten und tatsächlichen Härten zu beseitigen, die das Bild des Erreichten heute verzerren.Doch es geht bei dieser Politik nicht nur darum, das Erreichte zu sichern und auszubauen und dabei überall jene Mängel zu beseitigen, die der schnelle Wiederaufbau mit sich gebracht hat; wir müssen und wollen noch einen Schritt weitergehen. Das erste, das zu tun ist, wenn von Sozialreform geredet wird, heißt unseres Erachtens das Eigentum, das vorhanden ist, erhalten und sichern.
Es muß deutlich gesagt werden: die Voraussetzung für jegliche Mehrung und Streuung des Eigentums ist die, daß das vorhandene Eigentum gesichert bleibt. Das bedeutet aber auch, daß die Kaufkraft der D-Mark stabil bleibt. Es ist uns gelungen, alle jene Bestrebungen, die im Endergebnis inflationistisch wirken mußten, so weit zurückzustauen, daß unsere Währung zu den härtesten Währungen überhaupt gehört, und das muß so bleiben.
Allerdings ist es nicht möglich, dem Parlament und der Regierung allein die Verantwortung für die Festigkeit der D-Mark zu überlassen. Die Autonomie der Sozialpartner und das Recht, dessen sich bei uns die großen Gebilde der Gesellschaft erfreuen, verlangen wesensnotwendig, daß sich diese Organisationen nicht nur ihren Worten nach, sondern in ihrem tatsächlichen Verhalten zur Mitverantwortung für das Ganze auch bekennen.
Die freiheitliche Ordnung muß gewahrt werden. Ihretwegen aber geht es dann nicht an, daß die organisierten Gruppen ihre eigenen Anliegen einfach so weit durchsetzen, wie es ihre gesellschaftliche Macht gerade erlaubt. Um der Freiheit der Ordnung willen kann das Parlament und kann die Regierung dem natürlichen Streben der Gruppen und ihren Interessen nicht schroff mit Gesetzen und Zwang entgegentreten. Um so mehr müssen Sozialpartner und Verbände die Verantwortung ernst nehmen, die ihnen die Freiheit und ihre Zuständigkeit auferlegen. Sonst träfe sie selber die Schuld, wenn sich die Regierung im Interesse der breiten Schichten der Bevölkerung zu einer Einschränkung der Befugnisse gezwungen sehen könnte.
Die Bildung von Eigentum in breiter Hand gehört nach unserer Meinung zu den vordringlichsten sozialen Aufgaben der kommenden Jahre. Manches ist hier schon geschehen. Wir haben einen guten Bestand an funktionsfähigem Eigentum. Ich denke da an die große Zahl der Eigenheime, die wir gebaut haben. Zahlreiche heimatvertriebene Bauern, Handwerker, Unternehmer haben eine neue Existenz gefunden. Die kriegszerstörten Geschäfte und Betriebe konnten wiederhergestellt werden. Ansehnliche Sparkonten und Versicherungsansprüche sind erspart worden. Trotz aller dieser Erfolge muß das Eigentum, das sich in den nächsten Jahren neu bildet, breiter gestreut werden. Es geht darum, den Arbeitnehmern nun auch einen größeren eigentumsmäßigen Anteil an der industriellen Ausstattung der Volkswirtschaft zuzuleiten.
Mit dem Programm der Volksaktie, mit dem Gesetz über Investment-Gesellschaften, mit der Begünstigung der Bausparverträge und anderen Maßnahmen sind wir bereits erste Schritte gegangen. Wir werden sie fortsetzen in einer systematischen Pflege des Sparwillens.Unter diesen Gesichtspunkten erhalten auch die Fragen des Mittelstandes und der Landwirtschaft eine erhöhte Bedeutung. Es wäre eine schlechte Politik, die Freiheit und die gesellschaftliche Selbständigkeit fördern zu wollen, wenn man die Stände, die heute noch von unabhängigen Existenzen gebildet werden, vernachlässigte.
Auch aus dieser Sicht ist die Förderung der Landwirtschaft und des Mittelstandes dringend geboten. um so unserem gesellschaftspolitischen Leitbild immer näher zu kommen.Das Bemühen, die Bürger des Volkes weitestgehend zu Eigentümern zu machen, ist ein wesentlicher Schritt zu der anstehenden Sozialreform. Es trägt dazu bei, die Klassengegensätze zu überwinden sowie Kapital und Industrie im wahrsten Sinne des Wortes zur Sache des Volkes zu machen. Wiederum muß auch hier gesagt werden, daß es dem Parlament und der Regierung allein nicht gelingen kann, die große Zahl der Bürger so zügig, wie es um der freiheitlichen Ordnung willen wünschenswert wäre, zu modernen Eigentümern zu machen. Hier sind deshalb gerade wieder die Sozialpartner selber aufgerufen. Wenn sich die Sozialpartner hier sperren, verlieren sie das Recht, ihrerseits von Sozialreform zu reden.
Man kann dem Parlament und der Regierung nicht dauernd vorrechnen, was alles hätte geschehen müssen, wenn man sich selber diesem entscheidenden sozialen Anliegen immer entzieht.
Wir werden von der Politik her alles tun, um in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern bewährte und auch neue Formen zur Lösung dieser Frage zu entwickeln und zu fördern. Allen gewagten sozialen und wirtschaftlichen Experimenten sind wir abhold. Dem Trend zum Versorgungsstaat müssen jedoch neue Ideen und wohldurchdachte neue Wege entgegengesetzt werden. Mit der Eigentumsbildung wird ein soziales Kernanliegen aufgegriffen, und an ihm beweisen wir das Recht und die Leistungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein abschließendes Wort zu diesem Kapitel sagen. Ich habe hier kein großes Programm aufgestellt.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 39
Dr. KroneMir scheint, daß die Zeit der Programme vorüber ist. Man ist heute nüchterner und pragmatischer geworden. Ich habe nur von einigen Aufgaben gesprochen, die uns dringlich zu sein scheinen und von denen ich allerdings glaube, daß wir uns ihrer mit besonderer Aufmerksamkeit widmen müssen und auch widmen werden.Unter welchen Gesichtspunkten wir das tun wollen, dazu noch einige Sätze; zunächst die Frage, ob wir mit den vielen Gesetzen, die wir beschließen, nicht doch des Guten zuviel tun.
Die Frage stellen, meine Damen und Herren, heißt sie bejahen. Wir sollten meines Erachtens die Überproduktion an Gesetzen stoppen,
nicht nur unseretwegen, sondern auch des Staates wegen, des Staatsbürgers wegen, der die Gesetze ausführen soll. Ich meine, es liegt im wohlverstandenen Interesse des Staates selber, wenn seine Repräsentanten nach dem Rezept verfahren: nicht mehr Staat als nötig und so viel Freiheit wie möglich.
Wir haben vor, nach diesem Rezept zu arbeiten.
— Wir nehmen gern Gutes von Ihnen an.
Der Neubau unseres Staates nach 1945 ist im großen und ganzen fertiggestellt. Einiges Wichtige muß gewiß noch geschehen. Doch wir sollten genau prüfen, was das ist und was das nicht ist. Die Gesetze, die wir beschließen, sollten übersichtlicher sein, nicht so perfektionistisch und nicht so detaillistisch. Auch der brave Steuerzahler muß solch ein Steuergesetz lesen und eine Steuererklärung auch einmal ohne fremde Hilfe abgeben können.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren: ich kenne eine Verordnung mit dem Titel „Höchstbeträge für Fenstervorhänge für Küchen in Kasernen". Ich bin der Meinung, wir sollten uns hüten, in der Politik so detailliert zu arbeiten, und ich habe dieselbe Bitte auch an die Regierung.Ein Zweites, was mit diesem zusammenhängt: ich meine den Staat und seine Aufgaben, aber auch seine Grenzen. Was ist an der Behauptung wahr —so muß gefragt werden —, wir seien auf dem Wege, ein Versorgungsstaat zu werden? Es gibt soziale Aufgaben, die so groß und so einmalig sind, daß sie nur der Staat bewältigen kann. Wer anders als der Staat kann sich an die Aufgaben heranmachen, die das Schicksal der Heimatvertriebenen und der Zonenflüchtlinge stellt, ebenso das der Kriegsopfer? Unsere Läger, in denen die Menschen sitzen, die aus der Zone flüchten, wären schon längst leer, wenn nicht Hunderte jeden Tag neu aus dem Ostennach hier kämen. Wir sind die letzten, die diese Verpflichtung des Staates zur sozialen Gerechtigkeit nicht bejahten.Wir müssen auch daran denken, daß die Scheidelinie zwischen bürgerlich und proletarisch, die auch dank unserer Wirtschaftspolitik langsam überwunden wird, sich nicht eines Tages für neue Berufe wiederauftut. Wir haben alles zu tun, um diesen Prozeß zu stoppen.Wenn wir somit die soziale Verpflichtung des Staates anerkennen, muß aber ebenso deutlich gesagt werden, daß es zwischen dem sozialen und freiheitlichen Rechtsstaat und dem aus reinem Versorgungsdenken geborenen Versorgungsstaat eine Grenzlinie gibt, die wir nicht überschreiten sollten.
Zu dieser Frage wäre mancherlei zu sagen. Es muß hier genügen, deutlich zu machen, wo diese Grenzlinie verläuft. Sie verläuft meines Erachtens dort, wo einer meint, er müsse von der Allgemeinheit alles das erhalten oder garantiert bekommen, was er benötigt, und damit das nun möglich sei, müsse ein jeder möglichst viel in den allgemeinen Staatstopf hineinzahlen. Meine Damen und Herren, dieses Denken ist falsch. Es widerspricht dem Menschen, wie er tatsächlich ist. Wir lehnen deshalb dieses Denken ab. Der Staat muß echte Hoheit und Autorität sein, Hüter des Rechts und der Freiheit, Hüter der Sicherheit im Innern und Schutz seiner Bürger nach außen. Ist er das, dann dient er auch am besten der Aufgabe, dem allgemeinen Wohle, d. h. dem Wohle aller seiner Bürger.Ich habe noch einen besonderen Grund, dieses hier zu sagen. Bei allen unseren Überlegungen und Maßnahmen müssen wir daran denken, daß 18 Millionen Deutsche jenseits des Eisernen Vorhangs auf uns schauen und uns fragen, welche Lösungen wir hier für diese Fragen haben. Hier geht es um Fragen, die der Osten in einer Weise löst, die wir ablehnen. Je energischer wir die Übernahme der sogenannten Errungenschaften der Sowjetzone ablehnen, um so mehr müssen wir uns aber auch für einen echten freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat, für das gesamte Deutschland verpflichtet fühlen.
Wir leben in einem geteilten Deutschland an der Grenze zweier Welten. Wir schützen unser Land nicht nur durch unsere aktive Mitgliedschaft in der westlichen Verteidigungsgemeinschaft, sondern ebensosehr dadurch, daß wir einen Staat des Rechts und der Freiheit aufbauen, einen Staat freier Bürger und wahlgeordneter sozialer Verhältnisse. Wenn wir uns mit Erfolg gegen jenes System der alles umfassenden Sozialisierung wehren wollen, dürfen wir nicht selber anfangen, den Menschen hier zu sozialisieren.
Es ist also — und das wäre das Dritte, das in diesem Zusammenhang von mir zu sagen ist —verkehrt im Denken unseres Volkes, wenn die Menschen meinen, daß für alle und jegliche Not
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40 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Dr. Kroneder Staat, die Gemeinde da sei. Unsere Eltern dachten da ganz anders und richtiger. Man lief nicht gleich aufs Rathaus. Man wußte noch von der Pflicht der Familie, für einander einzustehen, und ganz zuletzt ging man zur Gemeinde, um sich dort Hilfe zu holen. Ich sage es noch einmal: gewiß, die Zeiten haben sich geändert. Trotzdem und gerade deshalb dürfen wir nichts unterlassen, was den Willen zur Selbsthilfe stärkt.
Wir dürfen nicht durch eine falsche Gesetzgebung diesen Willen zur Selbsthilfe und zur Gruppenhilfe verbauen. Im Gegenteil, wir müssen alles unterstützen und fördern, was dem Willen, sich selber zu helfen, dient. Es muß sich für den Staatsbürger, für den Geschäftsmann, für den Arbeiter, für alle Bürger des Staates lohnen, für sich und die Seinen für heute und für später zu schaffen.
Wir müssen recht bald prüfen, was diesem Ziel an Hindernissen in der Gesetzgebung im Wege steht. Es ist besser und richtiger, daß der Staatsbürger sich für sein Alter einen Spargroschen selber zurücklegt und daß wir ihm das auch steuerlich ermöglichen, als daß in der Zeit des Alters und der Not die gewiß notwendige Rente sein ein und alles ist.In diesem Zusammenhang muß auch die Liebestätigkeit der Kirchen, ihrer Organisationen und aller freier Verbände gesehen und genannt werden. Wir müssen dieser freien karitativen Tätigkeit den Raum geben oder wieder zurückgeben, den sie haben muß, um segensreich wirken zu können. Es gibt Not, deren sich der Staat, die Gemeinde annehmen muß; es gibt aber auch Not, wo der einzelne, die Kirche, der freie Verband gerufen sind, ja, wo diese allein auch berufen sind.Meine Damen und Herren, fast scheint es so, als ob unser Volk nur aus Lohnempfängern, aus Arbeitgebern, aus Arbeitnehmern, aus Rentenempfängern oder aus Angehörigen anderer Gruppen dieser Art bestehe. Daß es eine Familie und einen Berufsstand gibt, das weiß man bald nicht mehr. Und doch sind es diese natürlichen Glieder, auf die sich in einem Volke eine gesunde und tragende Ordnung aufbaut. Der Mensch ist nicht das, was der Liberalismus des 19. Jahrhunderts aus ihm gemacht hat: ein Einzelgänger, der da auf freiem Feld steht und kämpft. Er ist vielmehr ein in menschliche Ordnungen Gebundener. Wo diese Ordnungen verkümmern, geht es mit einem Volke abwärts.Hier liegt die Berechtigung und Verpflichtung für eine diese Ordnungen schützende und stärkende Politik. Hier liegt die Begründung unserer Familienpolitik, auch unserer Wohnungsbaupolitik, in deren Mittelpunkt immer mehr ,das Heim für die Familie stehen muß. Wir müssen die Familie als das Fundament unseres Volkes und seines Bestandes sichern und gegen jegliche Gefahr der Auflösung schirmen.
Auch der Sonntag muß Sonntag bleiben.
Macht man aus ihm einen Werktag, so wird eine Ordnung zerstört, die man auch der Wirtschaft wegen nicht verletzten darf. Unser Mühen und Sorgen um die Familie ist vergebens, wenn der Sonntag seine zentrale Bedeutung verliert.Zu jenen menschlichen Ordnungen gehört auch die Heimat. Darum liegt auch hier das Recht begründet, das unsere Heimatvertriebenen auf ihre Heimat haben, ein Recht, an dem wir mit ihnen unentwegt festhalten.
Meine Damen und Herren! Wie wir, die Fraktion der Unionsparteien, hier im Parlament arbeiten wollen, habe ich in Umrissen dargelegt. Wer wir sind, darüber hat es im Wahlkampf heftigen, nicht immer erfreulichen Streit gegeben. Es war das Wort „christlich" in unserem Namen, das den Widerspruch hervorrief. Ich will darauf aber nicht weiter eingehen. Lassen Sie mich schlicht und einfach noch einmal sagen, daß für uns dieses Wort in unserem Namen nichts Selbstgefälliges und kein Monopolanspruch ist. Es ist eine Verpflichtung und nichts anderes.
Es ist die christliche Berufung des Menschen, seine Würde als gottgeschaffenes und gottbestimmtes Wesen, dieses Menschen in den Lebensbereichen der Familie, des Staates, der Wirtschaft und auch der modernen Gesellschaft. Diesem Menschenbilde widersprechen nach unserer Meinung aller Kollektivismus und alle Gleichschaltung. Das Kollektiv ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Ich glaube, es stimmt, wenn gesagt wird, daß die Zeit der großen Ideologien des 19. Jahrhunderts vorbei ist. Sie haben dem Menschen die Erlösung nicht gebracht, die er von ihnen erwartete. Sie vermochten vor der harten, blutigen Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts nicht standzuhalten. Nur im Osten wird der prometheische Versuch noch fortgesetzt, die Welt und den Menschen aus sich selber heraus zu erlösen. Hier hält der Sozialismus in seiner konsequenten Form allein mit dem Mittel der Macht noch eine Ideologie aufrecht und ist unablässig bemüht, nur wechselnd in den Wegen, sie der Welt aufzuzwingen.Ich meine, auch der Politiker kann sich der Erkenntnis nicht versagen, die sich — ich gebrauche ein Wort unseres Kollegen Pascual Jordan — aus dem gescheiterten großen Aufstand des 19. Jahrhunderts gegen Gott ergibt, daß wir es besser könnten als er. Gegen das infernalisch Drohende der Stunde, das, um es in seiner Abgründigkeit zu erkennen, noch einmal einen Analytiker wie Dostojewski finden müßte, sei auch hier noch einmal jenes Wort gesetzt, das unser Präsident in Berlin gebraucht hat: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch", in der Interpretation, daß es die Einsicht in das Geheimnis der Welt ist, die in Gottes Hand ruht.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 41
Dr. KroneMan wolle es mir zugestehen, wenn in diesem Hause, wo sonst von anderen Dingen geredet wird, auch von dem Letzten gesprochen wurde, das die Welt trägt und bewegt. Das Wissen um diese Wahrheit verpflichtet und macht, so hoffen wir, zuversichtlich für den Sieg des Rechts und den Frieden in der Welt, zuversichtlich auch für unser ganzes deutsches Volk.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden verstehen, wenn ich in dieser ersten Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion zur Regierungserklärung nicht im einzelnen auf das eingehe, was soeben der Kollege Krone als Standpunkt der Fraktion der CDU entwickelt hat. Ich glaube, die Unterschiede in der Beurteilung der Situation und der Aufgaben kommen in diesem Augenblick am besten zum Ausdruck, wenn ich darzustellen versuche, wie wir Sozialdemokraten die Situation nach der Wahl vom 15. September und in der 3. Wahlperiode dieses Bundestages sehen.Herr Kollege Krone hat schon davon gesprochen, daß der Ausgang der Wahl viele der Probleme in diesem Hause vereinfacht habe. In gewissem Sinne scheint es so. Tatsächlich ist die Zahl der im Bundestag vertretenen Parteien auf vier oder, besser gesagt, auf dreieinhalb heruntergegangen,
und das Kräfteverhältnis zwischen den beiden größten Parteien, der CDU/CSU und der SPD, ist eindeutig klar zugunsten der CDU/CSU. Dennoch, meine Damen und Herren, ist die dritte Regierung Adenauer, deren Regierungserklärung wir heute diskutieren, nur nach großen Schwierigkeiten zustande gekommen.
Die Ursache liegt darin, daß sich die Auseinandersetzungen der verschiedenen Interessentengruppen in die Mehrheitspartei selbst verlagert haben. Diese Interessentengruppen haben ihre Wünsche und Forderungen mit großem Nachdruck vertreten und zum größten Teil mit Erfolg durchgesetzt. Die personellen Veränderungen in der neuen Regierung sind im wesentlichen auf diese Einwirkungen zurückzuführen. Der Herr Bundeskanzler selbst hat die Härte der Auseinandersetzungen bestätigt; sie hat ihn dazu veranlaßt, sich über den Druck durch die Interessentengruppen und -verbände öffentlich zu beschweren.Der Herr Bundeskanzler kann allerdings über diese massive Intervention am wenigsten erstaunt gewesen sein; denn es mußte ihm doch klar sein, daß diese Interessentengruppen nach der Wahl die Rechnung für die großen finanziellen Zuwendungen
an die CDU während des Wahlkampfes präsentieren würden.
— Nein, das war gar nicht billig, es waren sehr erhebliche Beträge.
Ich sage, daß das nicht nur eine Angelegenheit der CDU ist,
sondern es ist eine Angelegenheit der Demokratie. Denn die Gefahren — und hier, Herr Kollege Krone, bei den Gefahren möchte ich auf einige Ihrer Bemerkungen zurückkommen —, die sich für die Entwicklung der Demokratie aus dieser Art von Wahlkampffinanzierung ergeben, sind so offenkundig geworden, daß der 3. Bundestag unausweichlich vor der Aufgabe steht, durch die Schaffung des seit langem fälligen Parteigesetzes die Finanzierung der politischen Parteien unter eine effektive Kontrolle zu stellen.
Wir haben nicht die Absicht, hier irgendwelche Schreckgespenste an die Wand zu malen. Aber kaum ist der Wahltag vorbei, gibt es hier und da schon wieder Gerüchte - Gerüchte, Sie haben nicht davon gesprochen, Herr Kollege Krone —, daß die Mehrheit dieses Hauses wieder über ein neues Wahlgesetz nachdenke.
Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Krone, und Ihnen, meine Damen und Herren der CDU, sagen, daß wir vor jeder neuen Manipulation mit dem Wahlrecht warnen.
Wenn es hier eine Aufgabe zu lösen gibt, wäre es vielleicht das beste, daß wir endlich durch eine Vereinbarung mit allen demokratischen Parteien ein Wahlsystem im Grundgesetz festlegen, das für alle akzeptabel ist und endlich diese Frage aus den parteitaktischen Überlegungen in der Bundesrepublik herausbringt.
Bevor ich zu der Regierungserklärung selbst etwas sage, möchte ich eine im Verhältnis zu dem in der Bundesrepublik üblich gewordenen politischen Stil vielleicht etwas ungewöhnliche Bemerkung machen. Ich möchte mich nämlich auch als Sprecher der Opposition mit einem Wort des Dankes den Bemerkungen anschließen, die der Herr Kollege Krone über frühere Minister dieser Regierung gemacht hat, um so mehr, als der Herr Bundeskanzler es leider versäumt hat, ein solches Wort gegenüber seinen früheren Kollegen zu sprechen. Denn, meine Damen und Herren, die aus dem bisherigen Kabinett ausgeschiedenen Minister Kaiser, Storch, Blücher, Preusker und Schäffer — letzterer in seiner Eigenschaft als Finanzminister — haben wir Sozialdemokraten wegen ihrer Politik bekämpft, wir haben ihnen aber die persönliche Achtung nicht
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42 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Ollenhauerversagt. Sie haben versucht, an ihrer Stelle unserem Volke zu dienen, und wir möchten ihnen dafür danken.
Ich denke nämlich, wir sollten in dem Kampf um Ämter und Funktionen den Menschen nicht vergessen.
Nun ein Wort über die personelle Zusammensetzung des Kabinetts, ich finde, ein sehr interessantes Kapitel, obwohl der Herr Kollege Krone überhaupt nichts dazu gesagt hat. Der Herr Bundeskanzler hat diese neue personelle Zusammensetzung mit der notwendigen Neuverteilung der Aufgaben der verschiedenen Ministerien begründet. Ich hatte den Eindruck, daß manche der von ihm hier vorgebrachten Argumente sogar für die betroffenen Mitglieder seiner Regierung neu und überraschend waren.Da haben wir zunächst einmal den Wechsel im Bundesfinanzministerium. Herr Schäffer mußte gehen, und sicher nicht nur weil Herr Dr. Adenauer es so wollte, sondern weil bestimmte Kreise in der deutschen Wirtschaft seit langem eine personelle Änderung gefordert haben. Herr Schäffer ist sicher zu seiner eigenen Überraschung als Justizminister auf der Rosenburg gelandet.
Im Volksmund kommentiert man diese bemerkenswerte Lösung mit der Feststellung: Wir haben zwar im dritten Kabinett Adenauer keine Minister ohne besondere Aufgaben mehr, aber dafür haben wir die Rosenburg als eine Art von Altersheim für das Kabinett eingerichtet.
Ich finde, das ist ein bitteres Urteil für Herrn Schäffer. Aber es zeigt auch die Entwertung eines so wichtigen Ministeriums wie des Justizministeriums im Bewußtsein unseres Volkes.
Das ist um so bedauerlicher, als der Bundeskanzler selbst dem neuen Justizminister eine so weitgehende und entscheidende Aufgabe wie die Durchführung einer neuen Strafrechtsreform zugedacht hat. Wäre es da nicht um der Sache willen besser gewesen, eine entsprechende personelle Lösung auch für dieses in einer Demokratie entscheidende Ministerium zu finden?An die Stelle von Herrn Schäffer als Finanzminister ist nun Herr Etzel getreten, der bisher Vizepräsident der Hohen Behörde der Montanunion gewesen ist. Wir werden die Tätigkeit des neuen Finanzministers sehr kritisch beobachten und verfolgen. Was ich in diesem Augenblick sagen möchte, ist aber etwas ganz anderes. Wo bleibt eigentlich der europäische Geist der CDU/CSU und ihrer Regierung?
Da haben wir bei der Gründung der Montanuniongehört, daß die Ernennung von Herrn Etzel zumVizepräsidenten der Hohen Behörde der Montanunion ein großer Erfolg und der Beginn einer effektiven europäischen Zusammenarbeit auf den wichtigsten Gebieten unserer Wirtschaft sei. Nun, inzwischen hat der Präsident der Hohen Behörde zweimal gewechselt. Herr Jean Monnet wurde durch Herrn Rene Mayer ersetzt, und vor einigen Wochen hat Herr Rene Mayer seinen Rücktritt erklärt, tim sich in die Privatindustrie zurückzuziehen. Zweifellos bestand in diesem Augenblick in Luxemburg die Möglichkeit, ohne große Schwierigkeiten Herrn Etzel zum Präsidenten der Hohen Behörde wählen zu lassen. Statt dessen bemühte sich Herr Etzel um ein Bundestagsmandat und gehörte nach dem 15. September mit zu den Ausdauerndsten in der langen Liste der Ministerkandidaten.Ich glaube, Sie müssen mir zugeben: es ist sehr schwer vorstellbar, daß es nun in der Hohen Behörde möglich sein wird, einen Deutschen zum Präsidenten wählen zu lassen. Das ist doch auch eine sehr ernste Angelegenheit. Denn wir haben hier ein klassisches Beispiel dafür, wie schnell der europäische Geist der Mehrheit in diesem Hause kapituliert, wenn es um wirtschaftliche oder persönliche Interessen geht, und wie leichtfertig deutsche Interessen bei der Vertretung in einer so wichtigen übernationalen Körperschaft preisgegeben werden.
Unseren schärfsten Widerspruch fordert die Übertragung der Jugendförderung auf das Familienministerium heraus. Wir lehnen sie sowohl aus sachlichen wie aus personellen Gründen ab. Die Behauptung des Herrn Bundeskanzlers, die Förderung der Jugend gehöre organisch zu den Aufgaben des Familienministeriums, ist in der Sache falsch. Die Entscheidung über die Neuverteilung dieser Aufgabe ist ja auch aus ganz anderen Gründen gefallen. Man will doch jetzt der „moralischen Aufrüstung" der Familie durch diesen Minister auch noch die „moralische Aufrüstung" der Jugend im Geiste dieses Ministers hinzufügen.
Mit der Angliederung der Förderung der Jugendarbeit an das Familienministerium — das möchte ich zur Sache sagen — geht man in die Zeit der Jugendpflege zurück, nämlich in die Zeit des kaiserlichen Deutschlands, als man 1912, vor 45 Jahren, im großen Umfang eine solche nationale, staatliche Jugendpflege im Zeichen von Schwarz-Weiß-Rot startete.
Damals hat die deutsche Jugendbewegung diesem Versuch sehr schnell ein Ende gesetzt, und die Entwicklung der deutschen Jugendarbeit von der Jugendpflege zur deutschen Jugendbewegung in allen weltanschaulichen und politischen Lagern unserer Jugend in den zwei Jahrzehnten zwischen 1913 und 1933 gehört zu den fruchtbarsten und erfreulichsten Perioden in der Geschichte deutscher Jugendarbeit überhaupt.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 43
OllenhauerWenn wir heute die Jugendarbeit unter der Verantwortung von Herrn Wuermeling sehen, dann scheint es uns, als habe es die deutsche Jugendbewegung überhaupt nicht gegeben,
als seien wir wieder nach 1912 zurückgekehrt. Es geht in der Frage der Jugendarbeit nicht um die ressortmäßig beste Lösung im Sinne des katholischen Flügels der CDU.
— Ich glaube, das ist eine berechtigte sachliche Feststellung.
— Die Zukunft wird ja erweisen, ob Ihr Widerspruch berechtigt ist oder nicht. - Es geht um die jungen Menschen, die ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten wollen und die einen Anspruch darauf haben, daß der Staat und die Allgemeinheit ihr dabei im Geiste der Toleranz und der Aufgeschlossenheit helfen.
Warum hat der Herr Bundeskanzler die Vertreter der Jugend, die in den vergangenen Jahren außerordentlich erfolgreich im Bundesjugendring zusammengearbeitet haben, vor dieser Entscheidung nicht gehört? Es wird immer soviel von der Notwendigkeit eines positiven Verhältnisses unserer jungen Generation zum demokratischen Staat gesprochen; die Art und Weise, wie hier die Jugend als Objekt behandelt worden ist, kann dieses positive Verhältnis nur erschweren.
Lassen Sie mich ein anderes Wort hinzufügen! In der Zusammenarbeit zwischen Jugend und Staat spielt mehr als auf anderen Gebieten die Art der Persönlichkeit eine Rolle. die den Staat gegenüber der Jugend repräsentiert. Ich trete Herrn Minister Wuermeling sicher nicht zu nahe, wenn ich sage, daß seine Art des kämpferischen und dogmatischen und damit notwendigerweise auch intoleranten Streiters alle die Eigenschaften vermissen läßt, die der Jugendminister der Bundesrepublik im Verhältnis zur Jugend unserer Zeit braucht,
nämlich Toleranz, Großzügigkeit und Respekt vor den eigenen Lebenswerten und Lebensvorstellungen der jungen Menschen von heute.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung selber gesagt, daß Sie nicht sicher seien, ob Sie in allen Fällen schon die richtige Entscheidung getroffen hätten. Hier handelt es sichnach unserer Überzeugung um eine Fehlentscheidung, und Sie können und sollten sie so schnell wie möglich korrigieren.
Der betrübliche Hintergrund solcher Fehlentscheidungen ist allerdings die Aushandlung von Ministersitzen nach der Konfession ihrer Kandidaten. Es gibt ja einige Kollegen in der Mehrheit dieses Hauses, die darüber eine sehr lange und betrübliche Geschichte erzählen könnten. Zur Sache möchte ich sagen: nach unserer Auffassung wäre es sehr viel wichtiger gewesen, daß die neue Regierung Dr. Adenauers ihre Arbeitsmöglichkeiten durch die Schaffung von parlamentarischen Staatssekretären zumindest bei so wichtigen und belasteten Ministerien wie dem Außenministerium und dem Verteidigungsministerium verstärkt hätte. Wir halten jedenfalls eine solche Veränderung in der Struktur, eine solche bessere Verteilung der Arbeit für vordringlicher und fruchtbarer als die jetzt vorgenommene Neuverteilung.Nun, ich will hier nicht noch einmal auf Einzelheiten des Wahlkampfes zurückkommen. Aber der Herr Bundeskanzler und heute der Herr Kollege Dr. Krone haben davon gesprochen, daß es wünschenswert sei — und daß die CDU/CSU-Fraktion in dieser Richtung arbeiten wolle —, daß wir in Zukunft wenigstens in den entscheidenden nationalen Fragen zu einem besseren Verhältnis zwischen Regierung und Koalition auf der einen und Opposition auf der anderen Seite kämen. Wir müssen leider feststellen, daß wir in den acht Jahren, die wir in diesem Hause sind, derartige Erklärungen immer in feierlicher Form bei Beginn einer neuen Legislaturperiode gehört haben. Wir sind auch diesmal skeptisch, weil wir vor allem geringes Vertrauen zu der Fähigkeit des Chefs dieser Regierung haben,
im Geiste einer Zusammenarbeit und mit gegenseitigem gutem Willen zu handeln.
Das Zweite: Es genügt doch nicht, meine Damen und Herren, daß man solche Erklärungen nach der gewonnenen Schlacht abgibt. Man muß die staatserhaltende Rolle der parlamentarischen Opposition auch während des Wahlkampfes respektieren.
Der Herr Bundeskanzler hat den Wahlkampf jedoch uns gegenüber mit derartigen Unterstellungen und politischen Verleumdungen geführt,
daß er damit praktisch die Sozialdemokratie als eine außerhalb der Demokratie stehende und im Grunde staatsfeindliche Partei hinzustellen versuchte.
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44 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Ollenhauer— Da erheben Sie lieber den Finger dahin [zur Regierungsbank], Herr Krone!
Das Wort von Bamberg und von Nürnberg stammt von Herrn Adenauer und nicht von den Sozialdemokraten.
Politische Gegensätze und politische Auseinandersetzungen gehören zum Wesen der Demokratie. Aber für die Lebenskraft unserer Demokratie ist ein Mindestmaß von Achtung vor dem politischen Gegner und ein Mindestmaß von Vertrauen in die Loyalität des politischen Gegners gegenüber den verfassungsmäßigen Grundlagen unserer staatlichen Ordnung unerläßlich.
und daran, meine Damen und Herren, hat es gefehlt.
Ich möchte hier noch einmal feststellen, daß die Sozialdemokratische Partei stets bereit war und auch heute noch bereit ist, in den lebenswichtigen Fragen unseres Volkes zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Aber das wird nur möglich sein, wenn die Regierung sich endlich dazu bereit findet, die Opposition laufend so zu informieren, daß sie sich in ihrer eigenen Urteilsbildung auch auf die der Regierung zur Verfügung stehenden Kenntnisse stützen kann.Unerläßlich ist ferner, daß die Opposition vor grundlegenden Entscheidungen über die Absichten der Regierung informiert wird, damit sie sich auf der Grundlage dieser Informationen darüber schlüssig werden kann, ob und in welchem Umfange sie die Regierung unterstützen kann oder die von ihr in Aussicht genommene Politik ablehnen muß. Völlig indiskutabel ist die bisher geübte Praxis, zunächst die Entscheidung der Regierung zu fällen und dann die Opposition zu fragen, ob sie bereit ist, sich dieser Politik anzuschließen.
Die Sozialdemokratie ist jedenfalls auch in Zukunft nicht gewillt, sich in eine solche Satellitenrolle zu begeben.
Der Beginn der Tätigkeit des Bundestages bedeutet auf jeden Fall einen gewissen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik, und er gibt uns die Möglichkeit, hier unsere Positionen noch einmal klarzumachen und neu zu bestimmen.Wir sind in der Opposition; aber die Sozialdemokratische Partei vertritt in diesem Bundestag 91/2 Millionen Wählerinnen und Wähler. Sie haben sich für die Sozialdemokratie entschieden, und wir betrachten es als unsere Pflicht, uns in diesem Hause so zu verhalten, daß wir das Vertrauen dieser Frauen und Männer erhalten und stärken.
— Kümmern Sie sich um Ihre Wähler! Wir tun es um unsere.
Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, hier lediglich als die Negation der Regierung und ihrer Politik zu wirken, sondern wir wollen, wie wir es früher schon gesagt haben, die Politik der Regierung an unseren eigenen Maßstäben prüfen und auch den Versuch machen, so viel als möglich von unseren eigenen Vorstellungen in die parlamentarische Arbeit hineinzubringen und, wenn möglich, hier auch durchzusetzen. So sehe ich auch das, was ich jetzt über unsere Vorstellungen über die politischen Aufgaben im Innern und nach außen als eine Art von Übersicht über die Arbeit sagen möchte, die wir in der nächsten Periode vor uns sehen.Mein erstes Wort in diesem Zusammenhang gilt der Unterstreichung unserer alten Überzeugung, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit die vordringlichste Aufgabe der Politik jeder Bundesregierung sein und bleiben muß.
Die Bundesrepublik Deutschland ist und bleibt im Hinblick auf diese große nationale und europäische Aufgabe ein Provisorium.
Die Dauer der Spaltung unseres Landes und die Hindernisse, die sich der Überwindung dieser Spaltung entgegenstellen, dürfen nicht zu einer Gewöhhung an diesen unglücklichen Zustand führen. Darum müssen wir unsere Maßnahmen und Entscheidungen immer wieder an ihren Auswirkungen auf das Gesamtschicksal unseres Volkes diesseits und jenseits der Zonengrenze orientieren. Wir dürfen nie vergessen, daß eine saubere demokratische Ordnung in diesem Teil Deutschlands auch die größte positive politische Kraft auf unserer Seite in der Auseinandersetzung 'mit den totalitären Kräften jenseits der Zonengrenze und im Osten Europas überhaupt ist.Die Lösung dieser Aufgabe beginnt mit der Gestaltung der Innenpolitik im eigentlichen Sinn des Wortes. Die parlamentarische Demokratie darf nicht eingeschränkt werden, und wir sind — ich sage das ganz offen — hier seit langem nicht ohne Sorge. Wir haben den Eindruck, daß gewisse autoritäre Züge in der Regierungspolitik der letzten Jahre in der kommenden Zeit noch verstärkt werden. Nach dem, was Herr Kollege Dr. Krone heute angekündigt hat, hoffe ich, daß die Möglichkeit besteht, derartigen Bestrebungen gemeinsam entgegenzutreten.Unsere Befürchtungen gründen sich auch auf Erfahrungen im letzten Wahlkampf. In diesem Wahlkampf ist eine Verquickung von Partei und Staatsapparat und eine derart einseitige parteipolitische Benutzung öffentlicher Mittel und Einrichtungen zugunsten einer Partei erfolgt, die mit
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Ollenhauerden Grundsätzen einer sauberen demokratischen Verwaltung und der notwendigen Trennung von Staat und Partei nicht mehr zu vereinbaren ist.
Wir haben bereits früher bei den Haushaltsberatungen immer wieder die Forderung erhoben, die vor allem dem Bundeskanzler zur Verfügung stehenden Geheimfonds einer parlamentarischen Kontrolle zu unterstellen. Wir haben immer wieder dagegen Einspruch erhoben, daß man durch Hilfsorganisationen der verschiedensten Art eine einseitige, zugunsten einer politischen Partei betriebene Propaganda aus öffentlichen Mitteln fördert. Diese Methoden der Beeinflussung der öffentlichen Meinung sind unerträglich. Wir werden daher bei den kommenden Haushaltsberatungen erneut das Parlament selbst vor die Entscheidung stellen, hier eine Änderung herbeizuführen und eine Kontrolle dieser Ausgaben zu sichern.Eine nicht weniger bedrohliche Erscheinung sind jene Ereignisse, die mit den Bestechungen beim Bundesbeschaffungsamt in Koblenz bekanntgeworden sind. Auch die Frage der Verquickung des Mandats eines Abgeordneten mit privaten Geschäftsinteressen gehört in dieses Gebiet. Wir wollen in die schwebenden Verfahren nicht eingreifen, aber wir erwarten, daß die Bundesregierung alles tut, was von ihrer Seite getan werden kann, um die Zusammenhänge ohne Rücksicht auf Personen und Interessen aufzudecken, damit die Verfahren so schnell wie möglich zum Abschluß kommen.Wir haben leider in der Vergangenheit in anderen Fällen erlebt, daß die Bundesregierung die Durchführung schwebender Gerichtsverfahren und Untersuchungen behindert hat, z. B. durch die Verweigerung der Aussagegenehmigung. Dadurch war es nicht möglich, schwerer wiegende Vorwürfe gegen hohe Beamte der Bundesregierung gerichtlich klarstellen zu lassen. Diese Methode ist nicht zu verantworten; denn sie muß das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit schwächen und erschüttern. Es gehört zu den vornehmsten Pflichten einer jeden Bundesregierung und des Bundestages, jeden Ansatz zur Korruption durch rücksichtslose Aufklärung im Keim zu ersticken. Insoweit kann es kein Staatsgeheimnis geben, sondern muß jeweils für volle Öffentlichkeit gesorgt werden. Der Idee der Rechtsstaatlichkeit ist mit einem formalen Legalismus nicht gedient. Die Rechtsstaatlichkeit bewährt sich durch eine politische Gesinnung, für die unbedingte Sauberkeit im Staate ein oberstes Gebot ist. Wir wissen, daß die große Mehrheit unserer Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ihre Pflichten in einer sauberen und verantwortungsbewußten Weise erfüllen. Ich möchte das bei dieser Gelegenheit ausdrücklich feststellen und anerkennen.
Für die Gestaltung unserer Innenpolitik wird auch in Zukunft das Verhältnis zwischen Bund und Ländern von großer Bedeutung sein. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu dem Grundsatz des Föderalismus, der im Grundgesetz niedergelegt worden ist.
— Die Herren unter Ihnen, die das spaßig finden, bitte ich, einmal die Verhandlungen des Parlamentarischen Rats nachzulesen. Da werden Sie nämlich feststellen, daß damals schon die Sozialdemokraten diesen Grundsatz vertreten und mit Ihrer Fraktion gemeinsam im Grundgesetz verankert haben.
Wir bekennen uns zu diesem Grundsatz, weil wir überzeugt sind, daß die Länder ihr Recht auf Eigenleben haben, und wir haben ihnen auch in unserem gesamtstaatlichen Leben besondere Aufgaben zugewiesen. Wir wünschen, daß an diesem Grundsatz nicht gerüttelt wird.
— Ja, ich möchte diese Feststellung unterstreichen, vor allem im Hinblick auf die Versuche nach den Bundestagswahlen, die Länderregierungen nach den hiesigen Koalitionsverhältnissen gleichzuschalten.
Wir sind der Meinung, daß die Regierungen der Länder in ihrer Zusammensetzung nach den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der Länder bestimmt werden und nach nichts anderem. Unsere Aufgabe als Bund ist es, den Ländern zu helfen, damit sie die auf sie zukommenden Aufgaben besser als in der Vergangenheit erfüllen können. Es geht nicht an, meine Damen und Herren, daß wir auf dem Wege der Bundesgesetzgebung den Ländern immer neue Aufgaben mit neuen finanziellen Belastungen zuweisen, ohne daß wir uns über die Erfüllung dieser finanziellen Verpflichtungen durch die Länder Gedanken machen. Ich werde später noch einiges über die Notwendigkeit der Verstärkung der Arbeit zur Förderung der Wissenschaften usw. sagen. Hier handelt es sich zweifellos in erster Linie nach dem Grundgesetz um Aufgaben der Länder. Aber es muß ein Weg gefunden werden, der es den Ländern auch finanziell ermöglicht, diese neuen Aufgaben im Interesse des Ganzen zu erfüllen. Eine Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern zugunsten der Länder ist unerläßlich.
Die sozialdemokratische Fraktion erwartet ferner, daß die Bundesregierung ihren Verpflichtungen nach dem Grundgesetz in bezug auf die Neugliederung der Länder innerhalb der gesetzlichen Fristen nachkommt.Ebenso wie die Länder bedürfen die Kommunen einer stärkeren Förderung durch den Bund. Der zweite Bundestag hat in Anerkennung des Anspruchs der Kommunen, neben Bund und Ländern als dritter Faktor beteiligt und berücksichtigt zu werden, einen Schritt vorwärts getan. Der Bundeskanzler hat die Förderung der kommunalen Selbstverwaltung zugesagt. Aber es darf hier nicht bei
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Ollenhauerden Worten bleiben. Abgesehen von den besonderen Lasten, die den Kommunen aus den Kriegsfolgen erwachsen sind, haben sie neue große soziale und kulturelle Aufgaben übernehmen müssen. Bis heute fehlt in vielen Fällen der finanzielle Ausgleich für diese Mehrbelastungen. Auch hier muß im Interesse der Gesunderhaltung der Selbstverwaltung auf der Ebene der Kommune vom Bund her Entscheidendes in bezug auf die finanzielle Situation der Gemeinden getan werden.
Meine Damen und Herren, ein besonderes Wort verdient die Förderung von Wissenschaft und Forschung in der Bundesrepublik. Es geht hier um eine der entscheidenden politischen Fragen unserer Zeit. Der Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß heute das Tempo der technischen Entwicklung die Handlungen und Entscheidungen der Politiker bestimmt. Er hat leider diese richtige Bemerkung nur im Zusammenhang mit der Wehr- und Rüstungspolitik gemacht. In Wirklichkeit bereitet die moderne Entwicklung in Wissenschaft und Technik eine tiefgreifende Veränderung unseres gesamten gesellschaftlichen Lebens vor. Es ist die Aufgabe der heutigen Generation, die kommende auf die Welt vorzubereiten, in der sie morgen leben muß. Es gilt, Wissenschaft und Technik so zu fördern, daß unsere Wissenschaftler und Techniker in die Lage versetzt werden, ihre Forschung und ihre technischen Leistungen so zu entwickeln, daß sie dem Wohl der Menschen und nicht zu ihrer Versklavung ) oder gar ihrer Vernichtung dienen.
Wir müssen unserem studentischen Nachwuchs eine ausreichende finanzielle Grundlage geben. Wir müssen auch das allgemeine Schulwesen so ausbauen, daß wir allen unseren Kindern das Beste an Wissen und Erkenntnissen, an charakterlicher und staatsbürgerlicher Erziehung bieten. Die Bundesrepublik zählt in dieser Beziehung leider weitgehend zu den unterentwickelten Ländern.
Der krasse Unterschied zwischen dem vielgepriesenen materiellen Wohlstand des Wirtschaftswunders und dem Notstand des Geistes und der Wissenschaft ist eine der schwersten Anklagen gegen die bisherige Politik der Bundesregierung und ihrer Koalition.
Will die freie Welt sich behaupten und will sie andere Völker für ihre Vorstellungen gewinnen, dann kommt es nicht auf den Atomsoldaten, sondern auf den Wissenschaftler, den Techniker und den Erzieher an.
Die Bemühungen auf diesem Gebiet haben bis jetzt nur dürftige Resultate erzielt. Wir verlangen, daß die Bundesregierung hier schneller und großzügiger vorangeht. Die Bildung des Wissenschaftsrates ist ein Schritt in der richtigen Richtung. Notwendig ist aber, daß er die genügende Autorität und die ausreichenden Mittel erhält, um wirksam handeln zu können.Der Bundeskanzler hat erklärt, daß Berlin sich auf die Bundesrepublik auch in Zukunft verlassen könne. Wir hoffen, daß dieses Versprechen auch dann gehalten wird, wenn es um die Lösung der finanziellen Probleme der Stadt Berlin geht.
Nach unserer Auffassung gehören die Aufgaben, die im Zusammenhang mit Berlin gelöst werden müssen, ebenso zu den innenpolitischen Aufgaben wie die Ordnung der Beziehungen zwischen der Bevölkerung in der Zone und in der Bundesrepublik.Unser Ziel muß sein, Berlin wirtschaftlich auf den gleichen Stand zu bringen wie das übrige Bundesgebiet und gleichzeitig ihm zu ermöglichen, sich auf die Aufgabe als Hauptstadt vorzubereiten.
Die zur Erreichung dieser Ziele erforderliche finanzielle Hilfe durch den Bund muß gegeben werden, und die Bundesregierung darf sich nicht darauf beschränken, Berlin auf den Anleihemarkt zu verweisen.Darüber hinaus ist es nötig, in stärkerem Maße als bisher den Charakter Berlins als Hauptstadt zu unterstreichen. Wir hoffen, daß der 3. Deutsche Bundestag sich nicht darauf beschränkt, repräsentative Sitzungen in Berlin abzuhalten, sondern daß er auch in regelmäßigem Turnus Arbeitssitzungen in Berlin durchführen wird.
Eine solche Regelung könnte vielleicht auch das Bundeskabinett veranlassen, endlich einmal in Berlin eine Sitzung abzuhalten.
Der 3. Deutsche Bundestag würde seiner Arbeit für Berlin einen guten Start geben, wenn er endlich der unhaltbaren Stellung unserer Berliner Kollegen in diesem Hause ein Ende machen und das volle Stimmrecht der Berliner Abgeordneten beschließen würde.
Die Sozialdemokratische Partei hält es für eine dringende Aufgabe der Bundesregierung, alles zu tun, was geeignet ist, die trennende Wirkung der Zonengrenze auf das Zusammenleben der Deutschen zu mildern. Wir haben dazu wiederholt konkrete Vorschläge gemacht, zuletzt in der Debatte vom 30. Mai 1956. Die Bundesregierung muß immer wieder von sich aus dazu beitragen, daß durch gesetzgeberische und Verwaltungsmaßnahmen auf beiden Seiten der Zonengrenze die Schranken vermindert und abgebaut werden, durch die die menschlichen Beziehungen zwischen den Deutschen gehindert werden. Die Schwere dieser Aufgabe entbindet niemand von der Verpflichtung, es immer wieder mit ersten Schritten in dieser Richtung zu versuchen.
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OllenhauerSoweit die Zuständigkeiten der Bundesregierung reichen, darf nichts unterlassen werden, was geeignet sein könnte, jungen Mitbürgern aus der sowjetisch besetzten Zone ungehindert die Fortsetzung ihrer Ausbildung oder ihrer Studien in der Bundesrepublik zu ermöglichen.
Hierbei ist besonders wichtig die Zusammenarbeit mit dem Lande Berlin und eine tatkräftige Unterstützung der Bemühungen Berlins, dieser Aufgabe gerecht zu werden, die dort besonders stark in Erscheinung tritt. Es ist dabei nicht nur an jugendliche Flüchtlinge zu denken, sondern an alle jungen Deutschen, also auch an solche, die nur vorübergehend in der Bundesrepublik ihre Ausbildung oder ihre Studien weiterführen möchten.Meine Damen und Herren! Wir unterstützen nachdrücklich den Appell des Herrn Bundeskanzlers, endlich die noch in Haft befindlichen politischen Gefangenen freizulassen. Wir hoffen, daß die Bundesregierung in Zukunft im Sinne dieses Appells handelt. Das Verhalten der Bundesregierung in der Vergangenheit, z. B. in der Frage der Amnestie, veranlaßt uns zu diesem dringenden Hinweis.
Zu den wesentlichen Problemen der Innenpolitik gehören jetzt auch die Fragen, die sich aus der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO und aus der Existenz der Bundeswehr ergeben. Die Entwicklung der Fernlenkwaffen hat die Westmächte zu einer Überprüfung ihrer eigenen Sicherheitsvorstellungen und ihrer Rolle in den bestehenden Bündnissystemen gezwungen. Nur in sorgfältiger Beobachtung der Entwicklung bei den Weltmächten können die europäischen Staaten ihre eigenen Sicherheitsvorstellungen der neuen Lage anpassen. Eine realistische Beurteilung der sich abzeichnenden Entwicklung führt dazu, auch die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in der Bundesrepublik neu zu durchdenken. Die Bundesregierung ist in dieser Lage unserer Bevölkerung eine Auskunft darüber schuldig, wie sie sich für den Fall eines Konflikts den Schutz von Leben und Gesundheit der Zivilbevölkerung denkt. Es ist bitter zu beklagen, daß dieselbe Regierung, die gestattet, daß auf dem Gebiet der Bundesrepublik Atommunition gelagert wird, bisher keinerlei Auskunft darüber gegeben hat, welche Konsequenzen ein Einsatz von Atomwaffen für die Bevölkerung hätte und was unter diesen Umständen für die Bevölkerung getan werden kann und muß. Die modernen Waffen erzwingen zur Vorbereitung eines jeden ernsthaften Programms für den Schutz der Bevölkerung eine sorgfältige Untersuchung. Nur eine von politischen und finanziellen Wünschen der Regierung unabhängige Sachverständigenkommission wäre imstande, die erforderlichen Untersuchungen anzustellen. Sie sollte unverzüglich berufen werden, damit Parlament und Regierung aus ihrer Arbeit die erforderlichen Schlüsse ziehen können.Die Bundesregierung kann ihre Verpflichtungen nach den geltenden Verträgen durch Freiwilligenstreitkräfte, also ohne die allgemeine Wehrpflicht, erfüllen. Nach wie vor ist die Sozialdemokratie überzeugt, daß die allgemeine Wehrpflicht die Spaltung unseres Landes vertieft, politisch schädlich und militärisch überholt ist. Eine Reihe von Aufgaben der Landesverteidigung gehört jedoch nicht zum Auftrag der einem verbündeten Kommando unterstehenden Streitkräfte aus Freiwiligen, und wir fragen die Bundesregierung, wie sie sich die Erfüllung dieser anderen Aufgaben denkt, die in den Verträgen ausdrücklich als Aufgaben der Territorialverteidigung in nationale Zuständigkeit gegeben sind. Eine zweckmäßige Organisation einer solchen Landesverteidigung ist nur möglich, wenn die Gesamtplanung an einer Stelle erfolgt. Wir sind nicht der Meinung, daß etwa eine Art von Nebengeneralstab im Hinterhaus des Herrn Bundeskanzlers der richtige Ort dafür wäre,
sondern wir meinen, daß die Vorbereitung und Planung im umfassenden Sinne beim Verteidigungsministerium stattfinden muß, das wir unter sorgfältiger parlamentarischer Kontrolle halten können. Wir werden diesen Standpunkt später bei den Beratungen des Organisationsgesetzes noch näher zur Sprache bringen, und wir hoffen, daß die Regierungsvorlage bald eingebracht wird.Im übrigen ist es die Aufgabe des Ministers, die Bundeswehr aus parteipolitischen Auseinandersetzungen herauszuhalten.
Wir bedauern, daß Organisationen wie die sogenannte Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise und einige vom Presse- und Informationsamt subventionierte militärpolitische Zeitschriften, statt dem inneren Frieden zu dienen, die Angehörigen der Bundeswehr gegeneinander aufhetzen und versuchen, sie als Ganzes in Gegensatz zu bringen zu den großen Kräften der demokratischen Opposition. Die Bundeswehr dient als Einrichtung des gemeinsamen Staates dem ganzen Volk und nicht einer Partei.
Sie kann ihre Funktion nur wahrnehmen, wenn sie vom ganzen Volk getragen wird.
Der Verteidigungsaufwand von bisher 9 Milliarden DM wird nach den jetzt schon vorliegenden Anforderungen weiter erheblich wachsen. Es ist heute schon klar, daß die im Bundestag vom Finanzminister immer wieder abgegebene Erklärung, der Verteidigungsaufwand würde 9 Milliarden DM nicht übersteigen, der Wahrheit nicht entspricht. Ebenso ist schon heute deutlich, daß die Rüstungslieferungsverträge und die neuen militärischen Haushaltsansätze im nächsten Jahr die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik überfordern werden. Dadurch wird der Stand der sozialen Leistungen gefährdet, es drohen neue Steuerlasten, und die Kaufkraft unseres Gel-
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Ollenhauerdes wird weiter sinken. Mit einem Wort: das Ausmaß der militärischen Ausgaben gefährdet die Stabilität der Währung.
Wenn man den Schutz der westdeutschen Bevölkerung organisieren will, ohne die finanzielle Leistungskraft zu überfordern, wird es nötig sein, eine genaue Rangordnung festzustellen. Die Bundesregierung sollte im Atlantikrat aussprechen, daß wir, die wir unmittelbar an der Grenze zum sowjetischen Machtbereich liegen, von der Verteidigungsorganisation erwarten, daß sie dem Schutz der Zivilbevölkerung erhöhte Aufmerksamkeit widmet. Die Regierung muß sich daher denjenigen ausländischen Forderungen widersetzen, die die forcierte Aufstellung der Bundeswehr offenbar in erster Linie als Ersatz für die Ablösung der eigenen Streitkräfte beinhalten. Die militärischen Maßnahmen dürfen nicht unser soziales Fundament erschüttern und damit zugleich unsere noch so wenig gefestigte Demokratie gefährden. Das wird nur möglich sein, wenn Bevölkerungsschutz und Heimatverteidigung zweckmäßig organisiert werden und der militärische Beitrag für die der NATO unterstellten operativen Verbände auf das Maß des unbedingt Nötigen begrenzt wird.Der Herr Bundeskanzler hat sich in seiner Regierungserklärung ausführlich mit Fragen der Wirtschaftspolitik befaßt. Dem entscheidenden Problem der Wirtschaftspolitik, der Stabilisierung des Preisniveaus, hat er aber nur ganze vier Sätze gewidmet. Der Bundeskanzler hat zunächst die Feststellung getroffen, daß das Preisniveau für die Stabilität der Währung, für den Export und für die Aufrechterhaltung der hohen Beschäftigungszahlen von entscheidender Bedeutung sei. Diese Feststellung ist nicht neu. Er hat dann aber eine falsche Behauptung aufgestellt, nämlich Wettbewerb und Preisbildung hätten sich bisher stets als bester Schutz für den Verbraucher erwiesen.
Tatsache ist, daß der unkontrollierte Wettbewerb und der Mißbrauch der Preisfreiheit laufend zu Preissteigerungen und damit zur Schädigung der Verbraucher geführt haben und noch immer führen.
Wir halten das Preisproblem für das entscheidende wirtschaftspolitische Problem.
Eine gesunde wirtschaftliche Weiterentwicklung und ein gesundes soziales Klima sind davon abhängig, daß es gelingt, das Preisniveau stabil zu halten. Die ständigen Preiserhöhungen, die wir nunmehr seit einigen Jahren erleben, führen dazu, daß die Lohnkämpfe nicht nur um einen angemessenen Anteil am Sozialprodukt, sondern darüber hinaus um einen zusätzlichen Ausgleich für den Kaufkraftschwund des Geldes geführt werden müssen.Das Versagen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Preisstabilisierung wiegt um so schwerer, als von der Seite der Gütererzeugung wie auch der Güternachfrage keine ernsthaften Gründe für eine Steigerung des Preisniveaus gegeben sind. Wenn dennoch das Preisniveau ständig steigt und ein Ende dieser Entwicklung nicht abzusehen ist, so liegt das allein daran, daß sich die Bundesregierung auf den entscheidenden Gebieten der Wirtschaftspolitik nicht zum Handeln aufraffen konnte. Es handelt sich doch hier vor allem um drei Ursachen.Erstens. In Zeiten hoher Beschäftigung und damit hoher Masseneinkommen ist die Neigung der Unternehmungen, die Marktsituation auszunutzen, besonders stark. Gerade in den letzten Monaten haben die Markenartikelhersteller und der Kohlenbergbau hierfür schlagende Beweise geliefert. Eine Politik, die sich eine stetige hohe Beschäftigung und zugleich die Erhaltung eines stabilen Preisniveaus zur Aufgabe stellt, kann daher ohne eine aktive und wirksame Kartellpolitik nicht verwirklicht werden.
Zweitens. Die entscheidende Ursache für die stetige Steigerung des Preisniveaus ist der chronische Außenhandelsüberschuß oder, besser gesagt, das chronische Einfuhrdefizit im deutschen Außenhandel. Ich möchte hier kein Mißverständnis aufkommen lassen. Die große Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit der übrigen Welt, insbesondere die hohe Ausfuhr von Qualitätserzeugnissen, ist ein strukturbestimmendes Element der deutschen Wirtschaft; auf ihr beruhen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und der Lebensstandard des deutschen Volkes.
Niemand sollte daher auch nur mit dem Gedanken spielen, die Lösung in einer Drosselung des Exports zu sehen. Es kommt entscheidend darauf an, eine Angleichung der Einfuhren an die Ausfuhren herbeizuführen. Ausfuhren ohne entsprechende Einfuhren sind güterwirtschaftliche Verluste.
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Die von der Bundesregierung akzeptierten Maßnahmen zur Zollsenkung und Einfuhrliberalisierung haben sich als völlig ungenügend erwiesen. Der Devisenturm, der sich auf diese Weise bei der Bundesnotenbank angesammelt hat, ist ein äußeres Zeichen dafür, in welchem Umfang der deutschen Wirtschaft große Teile des erarbeiteten Sozialprodukts im Werte von vielen Milliarden güterwirtschaftlich verlorengehen. Zum anderen führt der Devisenzufluß zu einer ständigen Verflüssigung des Geld- und Kapitalmarktes, die die Stabilität der deutschen Wirtschaft gefährdet. Solange die Bundesregierung nicht wirksame Maßnahmen zur Steigerung der Einfuhren ergreift, fehlt eine wichtige Voraussetzung für die Stabilisierung des Preisniveaus.Die dritte Ursache für Preissteigerungen ist die inflatorische Finanzpolitik der Bundesregierung, die darin besteht, im Zeichen hoher Konjunktur lau-
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Ollenhauerfende Ausgaben aus dem Juliusturm zu decken. Die Deutsche Bundesbank hat erst wieder in ihrem September-Bericht auf die währungspolitischen Gefahren eines Rückgriffs auf die Kassenmittel des Bundes hingewiesen. Wer Preisstabilität will, muß diese inflatorische Finanzpolitik beenden.Zu keinem dieser drei Gebiete enthält die Regierungserklärung irgendwelche konkreten Stellungnahmen. Nicht einmal über die Kohlenpreiserhöhung, zu der die Bundesregierung in den letzten Wochen so kräftige Worte gesagt hat, wird ein einziges Wort verloren, obwohl die Regierung ja schon Wochen vor der Wahl über die bevorstehende Erhöhung der Kohlenpreise unterrichtet war. Wir haben zu diesem Fragenkreis eine Große Anfrage eingebracht. Wir werden bei der Debatte über diese Große Anfrage ausführlicher auf dieses Kapitel eingehen.Aber es kennzeichnet den politischen Kurs des Bundeskanzlers und seiner Regierung, wenn die Regierungserklärung, nachdem sie geflissentlich über den Mißbrauch der Preisfreiheit durch die Unternehmerschaft hinweggesehen hat, eine scharfe Frontstellung gegenüber der Arbeitnehmerschaft bezieht. In diesem Zusammenhang müssen doch die Ausführungen gesehen werden, daß die Sozialpartner sich nicht bedenkenlos auf Kosten der Konsumenten verständigen dürfen. Ich frage, wer hat in der Vergangenheit bedenkenlos gehandelt? Die Sozialpartner in ihren Tarifauseinandersetzungen oder jene Unternehmer, die ihre Machtstellung am Markt zu einseitigen Preisdiktaten ausnutzten?
An anderer Stelle spricht der Herr Bundeskanzler davon, Arbeitszeitverkürzung und gleichzeitige Lohnerhöhung könnten eine untragbare Verminderung des Sozialprodukts bedeuten. Meine Damen und Herren, auch hier handelt es sich um den Versuch, die Arbeitnehmer in den Augen der Öffentlichkeit zu diskreditieren.
Denn bis heute haben sich Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung in einem durchaus vertretbaren und tragbaren Ausmaß gehalten.
Aber wenn der Herr Bundeskanzler schon davon spricht, daß in einem gutgehenden Wirtschaftsstaat keine Tarifvereinbarungen getroffen werden dürfen, die schwächeren Bereichen Schwierigkeiten bringen, so ist doch die Frage berechtigt: Müssen eigentlich die Unterschiede in der Ertragslage der Unternehmungen so groß sein, wie das in der Bundesrepublik der Fall ist?
Sind die hohen Gewinne nicht vielfach das Ergebnis der Preispolitik von Unternehmungen, die ihre Machtstellung im Markt zur Erzielung unangemessen hoher Preise ausnutzen?
Hier muß der Grundsatz gelten, daß höhere Produktivität nicht zu höheren Preisen führen darf, sondern allen Verbrauchern durch Preissenkungen zugute kommen muß.
Solange "die Bundesregierung auf eine solche Preispolitik verzichtet, kann sie sich nicht wundern, wenn die Arbeitnehmer solche überhöhten Gewinne nicht einseitig den Unternehmern überlassen wollen, sondern einen angemessenen Anteil durch Lohnerhöhung beanspruchen.
Gesunde Preispolitik ist die Voraussetzung für eine gesunde Lohnpolitik.
Wir warnen jedenfalls davor, die deutschen Arbeitnehmer, die sich mit rund 7 Millionen Menschen zur deutschen Gewerkschaftsbewegung bekennen, in dieser Weise zu diffamieren, mit dem einzigen Ziel, über die Unfähigkeit der Bundesregierung zur Sicherung eines stabilen Preisniveaus hinwegzutäuschen.
Diese Methode hat schon den ganzen Wahlkampf gekennzeichnet, und sie führt dazu, daß willkürlich soziale Gräben aufgerissen werden.
Regierungen, die in dieser Weise Wind säen, müssen damit rechnen, daß sie eines Tages Sturm ernten.Nun, meine Damen und Herren, die dürftigen Bemerkungen der Regierungserklärung zur Lage in den Zonenrandgebieten zeigen auch hier, daß man nicht den Versuch macht, wirtschaftliche Probleme wirklich zu lösen. Die Gebiete am Eisernen Vorhang sind immer noch die Fenster nach dem Osten. Hier sollte für alle, die sich nicht mit der Spaltung Deutschlands abfinden wollen, eine wichtige politische Aufgabe liegen, diese Gebiete wirtschaftlich so zu stützen und zu fördern, daß ihr allgemeines Lebensniveau dem in den übrigen Teilen der Bundesrepublik tatsächlich angeglichen wird. Das Problem ist bis heute trotz aller Versuche und Erklärungen nicht gelöst. Wir wünschen und erwarten, daß die Regierung in ihrer neuen Amtsperiode gerade auch hier einen ernsthaften Schritt zu einer konkreten Lösung dieses wichtigen wirtschaftlichen, sozialen und nationalen politischen Problems unternimmt.Es hat uns erstaunt, daß der Herr Bundeskanzler nur mit einem Satz in seinen allgemeinen politischen Ausführungen auf das Saargebiet eingegangen ist, daß er mit keinem Wort die sehr ernsten wirtschaftlichen Probleme des Saarlandes berührt hat. Fast ein Drittel der Übergangszeit bis zur wirtschaftlichen Eingliederung des Saargebiets in die Bundesrepublik ist bereits verstrichen. Inzwischen hat die Franken-Abwertung die Saarbevölkerung ebenso wie die Grenzgänger schwer getroffen. Die Sozialdemokratie hat deshalb eine Verkürzung der
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OllenhauerÜbergangszeit verlangt. Mitglieder der Bundesregierung haben sich im ähnlichen Sinne geäußert. Aber nichts ist geschehen, um den Erzeugnissen der Saarindustrie Eingang auf den Markt der übrigen Bundesrepublik zu schaffen und die Saarindustrie durch Modernisierung zu befähigen, dem starken Wettbewerbsdruck im Bundesgebiet standzuhalten und ihren Rückstand in der Ausrüstung nachzuholen. Wir fordern, daß die Bundesregierung alle notwendigen Maßnahmen trifft, damit eine schnelle wirtschaftliche Eingliederung des Saarlandes erfolgen kann.Ein besonderes Kapitel hat der Bundeskanzler der Schaffung von Kapital, der Streuung des Besitzes und der Förderung der Spartätigkeit gewidmet. Die Sozialdemokratie hat bereits in ihrem Dortmunder Aktionsprogramm im Jahre 1952 ausdrücklich eine aktive Eigentumspolitik zugunsten der wirtschaftlich Unselbständigen gefordert. Sie befürwortet und wünscht die Bildung von Eigentum in der Hand der Arbeitnehmer. Ich hoffe, wir sind uns darin einig, daß Anhänger einer freien Wirtschaftsordnung jedes Zwangssparen ebenso wie Einschränkungen der Freiheit der 'Arbeitnehmer in der Wahl ihres Arbeitsplatzes und in der Verfügung über ihr Einkommen ablehnen müssen.
Dann aber ist es die erste Aufgabe des Staates, durch eine Steuerpolitik zugunsten der wirtschaftlich Schwachen, durch eine Preispolitik mit dem Ziel von Preissenkungen und durch Förderung einer Politik angemessener Lohn- und Gehaltserhöhungen in breitesten 'Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit zum Sparen in größerem Umfang zu schaffen.Mit der Volksaktie wird nur eine neue Sparform geschaffen. Sie ist kein Mittel zusätzlicher Kapitalbildung. Wir Sozialdemokraten sind keine Gegner neuer Sparformen; das haben wir durch unsere Mitarbeit am Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften in diesem Hause bewiesen. Wir stehen der Förderung der Volksaktie positiv gegenüber,
und wir haben registriert, daß der Herr Bundeskanzler dabei auch an die Schaffung von Volksaktien bei Privatunternehmungen gedacht hat.
Wir sind sehr begierig, darüber konkretere Angaben zu erhalten. Den Mißbrauch der Volksaktie als Mittel zum Ausverkauf des Bundesvermögens lehnen wir allerdings mit aller Entschiedenheit ab.
Ein Wort über die besondere Situation und die Interessen der Selbständigen des Handwerks, des Handels und des übrigen Gewerbes. Wir haben hier über die Vorstellungen der Regierung für die nächste Arbeitsperiode nichts Konkretes gehört. Schließlich hätte man doch erwarten können, daß eine Regierungserklärung wenigstens zu folgenden konkreten Fragen Stellung nimmt.1. Im Handwerk, in Handel und Gewerbe vollziehen sich strukturelle Veränderungen von einerTragweite, deren Bewältigung die Kraft der betroffenen Betriebe und Unternehmungen überschreitet. Wann wird die Bundesregierung endlich ein großes unabhängiges und leistungsfähiges Institut schaffen, das nicht nur der wissenschaftlichen Erforschung dieser Veränderungen, sondern in erster Linie der Entwicklung praktischer Verfahren und Einrichtungen dient?2. Den mittleren und kleinen Unternehmern fehlt es an langfristigem Investitionskapital zu erträglichen Zinssätzen. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dieser Kapitalnot wirksam zu begegnen?3. Wann wird die Bundesregierung endlich den dringend notwendigen Umbau der Umsatzsteuer in die Wege leiten, um die unerträgliche Benachteiligung der kleinen und mittleren Unternehmen zu beseitigen?4. Wann wird die Bundesregierung die von den Selbständigen immer wieder geforderte Altersversicherung verwirklichen?Das sind Fragen, die abseits vom Programmatischen sich aus der tatsächlichen Lage ergeben. Wir hätten erwarten können, daß die Regierungserklärung wenigstens in einigen dieser Punkte sehr viel mehr sagt, als sie es getan hat.Schließlich ist einiges über die Bedeutung der öffentlichen Unternehmen zu sagen. Auch hier haben wir in der Kanzlererklärung kaum etwas gehört außer die Mitteilung, daß es ein neues Ministerium für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes gibt. Wir haben die Befürchtung, die Politik der Regierung führt dazu, daß dieses Ministerium ein Ministerium für die Verwirtschaftung des Bundesbesitzes wird.
— Ich hoffe, Sie haben recht, daß wir keine Angst zu haben brauchen. — Wir haben den Eindruck, daß dieses Ministerium geschaffen wurde, um für gewisse Reprivatisierungsabsichten freiere Hand zu bekommen, als man es bisher gehabt hat.
Meine Fraktion wird sich jedenfalls mit aller Entschiedenheit dagegen wehren, daß dem Bund die Möglichkeit genommen wird, durch Bundesunternehmungen unerwünschte wirtschaftliche Entwicklungen, insbesondere bedenkliche Preiserhöhungen, zu verhindern, während ihm die Übernahme der Verlustposten der freien Wirtschaft immer wieder ohne Bedenken zugemutet wird. Hier sehen wir mit großer Sorge der Tätigkeit des Triumvirats ErhardEtzel-Lindrath entgegen. Wir hoffen, daß wir hier nicht zu einer Politik kommen, die praktisch den Ausverkauf der wertvollsten Teile des Bundesvermögens in die Wege leitet.Ein Wort zu einer der wichtigsten Zukunftsaufgaben, nämlich der Entwicklung einer einheitlichen Energiewirtschaftspolitik. Die Kanzlererklärung, daß Atomenergie und Wasserwirtschaft nunmehr in einem Ministerium zusammengefaßt werden, kann
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Ollenhauervon uns nicht als ein ausreichender Beitrag angesehen werden; denn sie enthält nichts darüber, wie die drohende Energielücke geschlossen werden soll. Nichts darüber, daß ein langfristiges Programm aufgestellt werden muß, um die Steigerung der Kohleförderung, die Entwicklung der Atomenergie sowie die Einfuhr von Kohle und 01 auf lange Sicht aufeinander abzustimmen. Nichts über ein Investitionsprogramm, um die geplanten Aufbau- und Ausbauprogramme sicherzustellen, obwohl wir hier vor einem der brennendsten Probleme unserer wirtschaftlichen Entwicklung von heute und morgen stehen.Im Bereich der Finanzwirtschaft hat der Herr Bundeskanzler sich darauf beschränkt, eine, wie er sagte, echte Steuer- und Finanzreform zu versprechen. Das war alles. Der Bundesfinanzminister hat noch vor kurzem durch sein Ministerium festgestellt, daß in der Bundesrepublik die niedrigen und mittleren Einkommen wesentlich höher besteuert werden als in den Vereinigten Staaten und in allen westeuropäischen Ländern mit Ausnahme der Schweiz. Dafür werden die hohen Einkommen bei uns geringer belastet. Die Entlastung der schwächeren Steuerzahler muß daher im Vordergrund einer Steuerreform stenen, um diesen unsozialen Charakter unseres Steuersystems endlich zu beseitigen.
Außerdem beruht unser jetziges Steuersystem überwiegend auf indirekten Steuern, die bekanntlich in der Regel als feste Kosten in die Preise eingehen und die Verbraucher in höchst unsozialer Weise belasten. Wir fordern, daß hier ebenfalls eine wirkliche Reform eintritt durch die Beseitigung der unsozialen Kaffee-, Tee- und Zuckersteuer, der Zölle auf lebenswichtige Güter und der Umsatzsteuer auf Lebensmittel.Meine Fraktion wird alle Maßnahmen, die eine Eigentumsbildung breitester Bevölkerungsschichten fördern, unterstützen. Sie wird sich aber gegen alle Versuche wehren, unter der Flagge „Förderung des Kapitalmarkts" einseitige Steuersenkungen zugunsten großer Unternehmungen und der derzeitigen Aktienbesitzer vorzunehmen und auf die dringend notwendige Entlastung der Bezieher kleiner Einkommen und Reformen auf dem Gebiet der indirekten Steuern zu verzichten.Meine Damen und Herren, ich möchte den Katalog unserer Vorstellungen auf anderen wichtigen Gebieten unserer Innenpolitik hier nicht noch mehr erweitern und im einzelnen behandeln, um nicht Ihre Geduld und Ihre Zeit über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Sozialdemokratie auf den verschiedenen Gebieten unserer Verkehrspolitik, auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Ernährung, auf dem weiten Gebiet der notwendigen Weiterführung der Sozialreform sehr bestimmte und konkrete Vorstellungen hat, Vorstellungen, die wir im 2. Bundestag vor allem in der Auseinandersetzung um die Rentenreform hier eingehend dargelegt haben. Ich möchte hier wiederholen, was wir seinerzeit in diesem Bundestag am Ende der großen Auseinandersetzung über die Rentenreform schon ausgeführt haben: mit dieser Rentenreform ist die Sozialreform nicht durchgeführt.
Sie bleibt eine Aufgabe, und wir erwarten und wir wünschen, daß diese Aufgabe durch den 3. Deutschen Bundestag in einer Weise gelöst wird, die tatsächlich den sozial Schwachen, Alten und Arbeitsunfähigen eine echte, ausreichende soziale Sicherheit zu geben vermag.
Ich kann meine Ausführungen nicht abschließen, ohne doch noch auf eine Frage einzugehen, die ohne Zweifel, so wie die Dinge liegen, die entscheidende Frage für die Gestaltung unseres inneren Lebens in der Bundesrepublik und für die Ordnung der Beziehungen der Bundesrepublik zu anderen Völkern ist. Es liegt mir daran, noch einiges über die außenpolitischen Vorstellungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu sagen.Zunächst möchte ich erklären, daß wohl unbestrittenes gemeinsames Ziel der deutschen Politik die Bewahrung des Friedens, die Erhaltung der Freiheit und die Wiedererlangung der Einheit Deutschlands in Freiheit sein sollte. Die Regierungspolitik muß danach beurteilt werden, ob sie zur Erreichung dieser Ziele beiträgt oder im Gegenteil diese Ziele nicht sogar gefährdet. Nach unserer Auffassung und vor allem nach der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers ist leider das letztere der Fall. Der Herr Bundeskanzler hat seine Darlegungen über die außenpolitischen Absichten seiner Regierung mit einer allgemeinen Betrachtung über die internationale Situation begonnen. Die Antwort auf diese Betrachtung der Lage war von derselben Einfachheit wie die Schilderung der Lage selbst.
Der Herr Bundeskanzler fordert die Verstärkung der militärischen und der politischen Einheit des Westens, und er bekennt sich ausdrücklich erneut zu einer Politik der Stärke mit der Bemerkung, daß er hoffe, die Verpönung dieses Wortes werde nun endlich verstummen. Als Konsequenz für die Bundesrepublik fordert der Herr Bundeskanzler faktisch die totale Aufrüstung der Bundesrepublik einschließlich der atomaren Aufrüstung.
Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß eine derartige schematische und einseitige Darstellung der realen Situation in der Welt nicht gerecht wird und daß eine Außenpolitik der Bundesrepublik, die auf diesen Grundlagen beruht, zu den ernstesten Gefahren für den Frieden und die Sicherheit des deutschen Volkes und zu einer Fortdauer der Spaltung Deutschlands auf unabsehbare Zeit führen muß.
Zweifellos ist die positive Regelung der Abrüstungsfrage das vordringlichste Problem. Die Entwicklung der modernen Kriegstechnik hat eine
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Ollenhauerhöchst gefährliche Lage geschaffen. Sie ist noch bedrohlicher dadurch geworden, daß es bei den Londoner Abrüstungsbesprechungen bis jetzt nicht gelungen ist, zu einer Vereinbarung zwischen den heutigen Atommächten über eine Begrenzung und Kontrolle der Rüstung mindestens auf dem Gebiete der modernen Massenvernichtungswaffen zu kommen. Die Gefahr ist groß, daß bei einem weiteren negativen Verlauf der Abrüstungsbesprechungen in absehbarer Zeit auch andere Mächte neben den jetzigen sogenannten Atommächten über diese modernen Kriegsmittel verfügen werden und daß dann eine Lage entsteht, in der eine wirksame Kontrolle überhaupt nicht mehr zu erreichen und durchzuführen ist.
Jeder vermag sich vorzustellen, daß die Menschheit dann jeden Tag in eine unabsehbare Katastrophe geraten kann.Die Vorstellungen, die der Herr Bundeskanzler in dieser Beziehung entwickelt hat, sind nach unserer Meinung nicht geeignet, diese Gefahren abzuwenden. Der Herr Bundeskanzler hat die für Dezember in Aussicht genommene Konferenz der Regierungschefs der NATO-Mächte sehr nachdrücklich begrüßt. Auch wir meinen, daß es nützlich wäre, wenn die in der NATO vertretenen Mächte in größerem Umfang als bisher ihre technischen und wissenschaftlichen Erfahrungen untereinander austauschten. Aber wir möchten deutlich machen, daß wir es für sehr bedenklich halten würden, wenn diese enge Zusammenarbeit praktisch zu einer Vereinbarung über die allgemeine Produktion und Verwendung der modernen Massenvernichtungswaffen durch alle NATO-Mitglieder führen sollte. Eine solche Entscheidung würde die Sicherheit für die westlichen Völker nicht erhöhen, sondern die internationalen Spannungen in gefährlicher Weise vergrößern.Mit der größten Besorgnis verfolgen wir auch die internationale Diskussion über die Aufhebung des Verbots der Produktion von Raketenwaffen auf dem Gebiete der Bundesrepublik. Die bisherigen Erklärungen der Bundesregierung in dieser Frage befriedigen uns nicht. Der Herr Bundeskanzler hat wiederholt gesagt, daß die Bundesrepublik mit dem Verzicht auf die Produktion moderner Massenvernichtungswaffen freiwillig einen Beitrag zur Abrüstung geleistet habe. Jetzt kommt die Probe aufs Exempel!
Es gibt nur eine Antwort auf die Frage der Einbeziehung der Bundesrepublik in diesen Wettlauf des Schreckens: nein und nochmals nein!
Wir wissen zur Zeit immer noch nicht, ob und welche internationale Bedeutung der neue personelle Wechsel in der Führung der Sowjetunion hat. Aber wir müssen auch hier mit der Möglichkeit rechnen, daß er als eine Warnung der Sowjetunion an den Westen gedacht ist und daß die Antwort der Sowjetunion auf die Weiterentwicklung der atomaren Rüstung im Westen auch die Verdoppelungder Anstrengung der Sowjetunion in der gleichen Richtung sein wird. Wir, wissen aus den bitteren Erfahrungen der Geschichte unseres eigenen Volkes, daß eine solche Politik des Wettlaufs der Rüstungen beinahe unausweichlich zu einer Katastrophe führt.
In dieser Lage möchten wir an die Bundesregierung mit allem Ernst appellieren, jede mögliche Anstrengung zu unternehmen, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Wir bedauern die Ablehnung der Vorschläge für die Schaffung einer atomfreien Zone in Europa, ohne auch nur in eine nähere Prüfung dieser Vorschläge einzutreten.Ein anderer unmittelbarer konkreter Beitrag zu einer Politik der Entspannung und der Verminderung der Gefahren wäre der ausdrückliche Verzicht der Bundesrepublik auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen. Diese Ausrüstung kann die Sicherheit der Menschen in der Bundesrepublik nicht erhöhen, aber sie hat nur eine Wirkung in der Richtung einer Verschärfung der internationalen Situation. Wir bedauern, daß die Bundesregierung schon früher auf diesem Gebiet mögliche und nützliche Initiativen praktisch unterlassen hat. Ich denke hier an die unbefriedigende Art und Weise, in der die Bundesregierung den einstimmigen Beschluß des Bundestages durchgeführt hat, durch den wir die beteiligten Mächte aufforderten, die Versuchsexplosionen von Atom- und Wasserstoffbomben einzustellen. Wir sind auch heute noch der Meinung, daß ein solcher Schritt im Interesse der Gesundheit der Menschen und im Interesse der Herabminderung der Gefahren des Wettrüstens notwendig und nützlich ist. Wir wissen, daß das Problem einer Kontrolle und Beschränkung der Rüstungen eine sehr komplizierte Angelegenheit ist, und wir bedauern, daß die Londoner Abrüstungsvorschläge nicht zu einer Verständigung geführt haben. Aber wir sind der Meinung, daß man sich im Hinblick auf den Ernst der Lage mit diesem Sachverhalt nicht zufrieden geben darf, vor allem nicht unter den heute gegebenen Umständen.Unser konkreter Vorschlag an die Bundesregierung ist, daß sie die uns befreundeten Regierungen anregt, sobald als möglich und jedenfalls vor endgültigen Beschlüssen über die weitere militärische Strategie des Westens mit der Sowjetunion eine Konferenz der Atommächte unter Beteiligung der Chefs der Regierungen dieser Länder durchzuführen, um noch einmal in einem solchen direkten Gespräch auf höchster Ebene den ernsthaften Versuch zu machen, zu einer Vereinbarung zu kommen. Sicher kann niemand einen Erfolg einer solchen Konferenz garantieren, aber wir meinen, angesichts der jetzt gegebenen Situation darf ein solcher Versuch nicht unterbleiben.
Das deutsche Volk in beiden Teilen Deutschlands befindet sich in einer derart gefährlichen Position, daß die Bundesregierung nach unserer Auffassung nicht nur das moralische Recht, sondern sogar die Pflicht hat, eine solche Initiative zu ergreifen. Sie
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 53
Ollenhauerkönnte dabei der Unterstützung des ganzen deutschen Volkes sicher sein. Es besteht kein Zweifel, daß auch Regierungen anderer Länder sie bei einer solchen Initiative unterstützen werden.Wir sind der Meinung, daß nur eine solche Politik geeignet ist, die Freiheit unseres Landes gegen Gefahren von außen zu sichern. Die Erhöhung der in der Spaltung Deutschlands liegenden Gefahren durch die Auffüllung der deutschen Zeitbombe mit atomarem Sprengstoff ist gleichzeitig auch eine Gefährdung unserer Freiheit. Die Sozialdemokratie bekennt sich zur Verteidigung der Freiheit des eigenen Volkes nach innen und außen. Aber diese Verteidigung der Freiheit muß in einer Form organisiert werden, die die anderen politischen Ziele, nämlich die Bewahrung des Friedens und die Wiedervereinigung Deutschlands, nicht gefährdet.
Die vom Herrn Bundeskanzler vertretene These der Politik der Stärke als des einzigen Mittels der Auseinandersetzung mit dem Osten beschränkt naturnotwendigerweise die Außenpolitik der Bundesrepublik weitgehend auf die Kooperation mit den mit uns verbündeten Völkern des Westens und schließt weitgehend eine aktive Außenpolitik gegenüber anderen Völkern aus. Wenn man die These des Herrn Bundeskanzlers von dem einheitlichen Block des Ostens akzeptiert, dann erhebt sich doch die Frage, wie die Bundesregierung den ebenfalls vom Bundeskanzler vertretenen Grundsatz verwirklichen will, daß wir trotzdem auch mit den Völkern Osteuropas und mit der Sowjetunion in einem gutnachbarlichen Verhältnis leben wollen und die zwischen diesen Völkern bestehenden Differenzen in einer für alle Beteiligten akzeptablen Weise friedlich geregelt sehen wollen.Wir bedauern es, daß der Bundeskanzler z. B. die Frage unserer zukünftigen Beziehungen zu Polen überhaupt nicht behandelt hat. Wir sind der Meinung, daß es im Interesse des deutschen Volkes und im Interesse der Entspannung in Europa liegt, wenn wir endlich normale Beziehungen zu Polen und auch zu anderen osteuropäischen Völkern aufnehmen. Wir haben schon vor mehr als Jahresfrist diese Forderung erhoben. Wäre die Bundesregierung damals unseren Vorschlägen gefolgt, hätte sich vielleicht manche unerfreuliche Entwicklung der letzten Zeit in Europa in bezug auf das Verhältnis zur Bundesrepublik vermeiden lassen.
Wir haben es bedauert, daß die jugoslawische Regierung die Regierung in Pankow anerkannt hat. Wir hätten erwarten können, daß die jugoslawische Regierung rechtzeitig vorher in Gespräche mit der Bundesregierung über die von ihr beabsichtigte Entscheidung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen eingetreten wäre. Ein solches Verhalten hätte jedenfalls eine andere Atmosphäre schaffen können, als sie jetzt entstanden ist. Aber auf der anderen Seite bedauern wir die Reaktion der Bundesregierung, die auf den jugoslawischen Schritt mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen geantwortet hat. Sicher wirft die Anerkennung derDDR durch Jugoslawien für die Politik der Bundesregierung sehr ernste Probleme auf.
Aber die Gefahr ist sehr groß, daß die Konsequenz der Entscheidung der Bundesregierung im Falle Belgrad gerade eine Isolierung der Bundesrepublik auch in andern Teilen der Welt sein wird. Eine solche Entwicklung kann unmöglich im deutschen Interesse liegen.Nachdem die Bundesregierung trotz aller unserer Warnungen ihre Entscheidung gefällt hat, richten wir an sie den dringenden Appell, den Abbruch der Beziehungen zu Jugoslawien nicht noch außerdem auf die wirtschaftlichen Beziehungen auszudehnen und vor allem die mit Jugoslawien abgeschlossenen Verträge zu respektieren. Es liegt nach meiner Auffassung im Interesse des deutschen Volkes, daß die Bundesregierung zu guten Beziehungen mit den osteuropäischen Völkern kommt. Das ist auch der einzige Weg, um die Mauern des Mißtrauens und des Hasses abzutragen, die die Schandtaten des Hitler-Regimes aufgerichtet haben.
Die Sozialdemokratische Partei hat mit tiefer Sympathie den Freiheitskampf des ungarischen Volkes gegen fremde Unterdrückung verfolgt. Unsere Sympathie gehört allen Völkern, die sich heute aus den Fesseln der Kolonialherrschaft und der imperialistischen Bevormundung alten und neuen Stils zu befreien suchen.
Wir beobachten mit Sorge, welche Spannungen in diesem Prozeß der wachsenden nationalen Unabhängigkeit neu entstehender Nationalstaaten auftreten, Spannungen, die sehr leicht zur Kriegsgefahr führen können, wenn die Großmächte nicht einen mäßigenden Einfluß ausüben. Wir haben gesehen, daß es einen solchen Gefahrenpunkt im Nahen und Mittleren Osten gibt. Die Bundesrepublik ist zwar dort in keiner Weise beteiligt. Aber es geht um den Frieden der Welt. Deshalb sollte die Bundesregierung an die Großmächte appellieren, alles zu unterlassen, was dort zu einer Verschärfung der Gegensätze führen kann. Zum Beispiel eine Vereinbarung, daß kein Kriegsmaterial in jenes Gebiet gesandt wird, wäre ein wichtiger Fortschritt. Ein wesentlicher Krisenherd im Nahen und Mittleren Osten könnte außerdem bereinigt werden, wenn sich alle Mächte bemühten, einen Friedensschluß zwischen den arabischen Staaten und Israel zu erleichtern und herbeizuführen.Noch ein Wort in diesem Zusammenhang. Nach den nützlichen Erfahrungen, die mit der Entsendung einer Polizeitruppe der Vereinten Nationen in das Suezkanalgebiet gemacht worden sind, bleibt zu prüfen, wieweit dieses Beispiel in gefährlichen Situationen auch an anderer Stelle angewandt werden kann. Ist nicht der Augenblick gekommen, eine internationale Polizeitruppe unter der Verantwortung der Vereinten Nationen zu schaffen? Die Einrichtung einer solchen Truppe würde die Autorität54 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, tienstag, den 5. November 1957Ollenhauerund die Aktionsmöglichkeiten der Vereinten Nationen in kritischen Situationen wesentlich verstärken.
Der Herr Bundeskanzler hat auch von der Notwendigkeit des Ausbaues unserer Beziehungen zu den Völkern in Asien und Afrika gesprochen und erklärt, daß wir bereit sein müssen, hier größere Opfer zu bringen als bisher. Einverstanden! Wir haben seit langem auf eine Politik in dieser Richtung gedrängt. Das deutsche Volk hat in Asien und Afrika eine gute Position, es ist dort nicht mit Erinnerungen an Kolonialherrschaft belastet. Gerade eine aus unserem Land kommende ökonomische, technische und damit auch politische Hilfe zur Verbesserung des Lebensstandards und zur Erreichung gesicherter wirtschaftlicher und politischer Unabhängigkeit wird in jenen Ländern dankbar empfunden werden. Sie wird die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Deutschland und den anderen Völkern der westlichen Kulturgemeinschaft stärken. Wir würden es deshalb begrüßen, wenn die Bundesregierung ihre angekündigte Absicht verwirklichte. Wir wünschen aber, daß in solche Absichten und Pläne auch Länder wie China einbezogen werden. Wir begrüßen die von der deutschen Wirtschaft unternommenen Bemühungen, zur chinesischen Wirtschaft und zum chinesischen Staat und Volk in ein Verhältnis ersprießlicher Zusammenarbeit zu kommen.In jedem Falle ist es wichtig, daß diese Zusammenarbeit aufgebaut wird auf der Basis der Anerkennung der Gleichwertigkeit und der Eigenart unserer Partner. Hunderte von Millionen von Menschen sind in den letzten Jahren durch die Erringung ihrer nationalen Unabhängigkeit als selbständige Faktoren in die Weltpolitik eingetreten, und ihr Einfluß und ihre Bedeutung werden wachsen. Wenn wir sie als Freunde und Partner in der freien Welt gewinnen helfen, wird in dem Ringen um Sicherheit und Frieden in der Welt ein entscheidender Erfolg erzielt.
Sicher kann die hier vorliegende Aufgabe an wirtschaftlicher und technischer Hilfe nicht von einem einzelnen Land allein bewältigt werden. Es gehört eine große Anstrengung dazu. Aber wäre es nicht eine große und lohnende Aufgabe für alle Völker des Westens und alle, die sich beteiligen wollen, wenn sie sich entschlössen, ihre Hilfsmöglichkeiten in einem internationalen Rahmen zusammenzufassen, sozusagen in einem Marshallplan auf internationaler Basis? Die Initiative der Vereinten Nationen in Form des Sunfed-Plans weist auf dieselbe Ebene. Heute denken wir bei dem Ringen um die Selbständigkeit der Völker fast immer nur in militärischen Begriffen. Schaffen wir einen internationalen Aufbauplan des Friedens zur Stärkung der Entwicklungsländer! Denken wir daran, daß der Marshallplan in Europa, vor allem auch in der Bundesrepublik, mehr zur Stabilisierung der Freiheit und der Demokratie getan hat als alle militärischen Anstrengungen in dieser Zeit!
Eine solche Zusammenarbeit mit den jungen Völkern würde auch unsere Bemühungen zum europäischen Zusammenschluß in einen größeren Zusammenhang stellen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat den Verträgen über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom zugestimmt. Die Sozialdemokratie erwartet, daß die Bundesregierung alle Möglichkeiten der Verträge ausnutzt, damit die in den Verträgen vorgesehene Hilfe für die mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verbundenen überseeischen Gebiete jene Völker und Länder in den Stand setzt, in freier Selbstbestimmung über ihr Schicksal zu entscheiden, und nicht etwa zu einer finanziellen Fessel an die koloniale Vormacht einzelner Staaten wird. Die letzte Konferenz von GATT hat deutlich gezeigt, welches Mißtrauen in der Welt gegenüber der Schaffung des Gemeinsamen Marktes der Sechs noch besteht. Wir müssen es überwinden. Die Schaffung einer europäischen Freihandelszone liegt auf dem Wege dazu. Ohne diese Zone würden erhebliche Teile der europäischen Wirtschaft aus dein europäischen .Wirtschaftszusammenhang herausgedrängt werden. Europa muß aber zusammenwachsen, es darf nicht durch innere europäische Zollmauern erneut zerrissen werden.Alle diese Bemühungen um eine auf Entspannung und Frieden gerichtete Außenpolitik der Bundesrepublik müssen selbstverständlich immer unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, den ich an die Spitze meiner Ausführungen gestellt habe: die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist die vordringlichste Aufgabe der deutschen Politik. Die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers über die Absichten seiner Regierung in bezug auf die Wiedervereinigung sind absolut unbefriedigend. Man muß allerdings gerechterweise hinzufügen, sie können nicht anders sein; denn die vom Herrn Bundeskanzler vertretene „Politik der Stärke" auf dem Hintergrund seines Weltbildes schließt eine erfolgreiche Wiedervereinigungspolitik durch Verständigung aus,
Es ist eine geradezu tragische Situation: die dritte Regierung Adenauer tritt ihr Amt zu einer Zeit des Höhepunktes der parteipolitischen Erfolge der CDU und des Tiefstandes der Deutschlandpolitik an.
Heute kann niemand mehr leugnen, daß die Hindernisse gegen die Wiedervereinigung in den vergangenen Jahren zahlreicher und die Schwierigkeiten größer geworden sind. Die Etappen, die zu diesem gefährlichen toten Punkt geführt haben, sind nicht zuletzt durch die Politik der bisherigen Bundesregierung in den letzten acht Jahren bestimmt worden.
— Ich habe gesagt: nicht zuletzt. Das ist eine traurige Bilanz; aber sie endet mit dem Resultat, daß sich die Fortsetzung der allein auf den Atlantikpakt abgestellten Politik der Bundesregierung, wie sie hier noch einmal so nachdrücklich unterstrichen wurde, und die Wiedervereinigung Deutschlands
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Ollenhauerauf friedliche Weise und durch Verständigung ausschließen.Deutschland wird nur dann wiedervereinigt werden können, wenn die beiden jetzt bestehenden Realitäten: die deutsche Mitgliedschaft in der NATO und die Existenz der sogenannten DDR im Warschauer Pakt, überwunden werden durch Lösungen, wie wir sie in Form des europäischen Sicherheitssystems wiederholt vorgeschlagen haben. Wir bedauern, daß die Bundesregierung auch in ihrer jetzigen Regierungserklärung keinen Ausweg gezeigt hat und daß sie nicht einmal die Bereitschaft hat erkennen lassen, Vorschläge in dieser oder anderer Richtung zu prüfen.Meine Damen und Herren, die Gegenüberstellung der Auffassungen der Regierung Dr. Adenauers sowie ihrer Koalition und der Sozialdemokratie ergibt kein ermutigendes Bild im Hinblick auf die Möglichkeiten einer gemeinsamen Politik in den wichtigsten nationalen Fragen unseres Volkes. Wir stehen vor der Tatsache, daß die Regierung und ihre Mehrheit offensichtlich entschlossen sind, im Inneren die Politik der Restaurierung, des Sicheinrichtens in diesem Teil Deutschlands nach dem Grundsatz: so gut wie möglich, fortzuführen und das Schicksal der Einheit unseres Volkes einer Politik anzuvertrauen, die Sicherheit, Einheit und Freiheit unseres Volkes allein auf die in der NATO verkörperte Politik der Stärke gründet.Meine Damen und Herren, Sie mögen sich dabei beruhigt und bestärkt fühlen durch den Wahlausgang am 15. September. Wir beneiden Sie um diese Ruhe nicht.
Wir sind in Unruhe und Sorge. Wir haben es uns nicht leicht gemacht in den Auseinandersetzungen mit den Vorschlägen und Plänen der Regierung. Wir haben nicht nur kritisiert und abgelehnt; wir haben eigene Vorschläge gemacht. Unser Verhalten zu Ihnen und zu Ihrer Regierung wird durch die Art und Weise bestimmt werden, wie Sie sich mit diesen Vorschlägen auseinandersetzen. Heute jedenfalls sind wir nicht in der Lage, dieser dritten Regierung Adenauer unser Vertrauen auszusprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine kleine Vorbemerkung:Und wenn sich der Schwarm verlaufen will Schon zur frühen Nachmittagsstunde,Dann gibt von diesem schlechten Brauch Dem Volk heut' das Fernsehen Kunde.
Meine Damen und Herren, der Ausgang des Wahlkampfes erfordert eine Schlußbilanz, und die Regierungserklärung soll eine Eröffnungsbilanz sein. Das deutsche Volk kann verlangen, daß beide Bilanzen unverschleiert sind. Deshalb in offener Sprache folgende Feststellungen.Zunächst zur Abschlußbilanz. Das Ziel der Freien Demokraten, die Alleinherrschaft einer Partei zu verhindern, ist nicht erreicht. Die FDP ist weder zur Bildung einer Regierungskoalition noch zur Bildung einer Sperrminderheit notwendig. Aber sie ist noch da, aus eigener Kraft und unabhängig nach allen Seiten.
Die SPD kann eine Verfassungsänderung verhindern, ihr Ziel, an die Macht zu kommen, hat sie aber nicht erreicht. Die CDU hingegen hat ihr Ziel, allein die Geschicke der Bundesrepublik zu bestimmen, erreicht und ist auf die Mithilfe keiner anderen Partei, auch nicht der Deutschen Partei, angewiesen. Ihr weiteres Ziel, ein Zweiparteiensystem herauszuarbeiten und auch die FDP zu vernichten, hat sie aber nicht erreicht. Wir sind noch da, aus eigener Kraft und unabhängig nach allen Seiten!Es bleibt uns aber in Erinnerung, daß im Anschluß an die Rückgewinnung der Saar vom Palais Schaumburg aus in drei verschiedenen Etappen versucht worden war, die FDP zu vernichten. Zuerst kam das Verlangen einer Unterwerfungserklärung, dann erschien das Grabensystem und zum Schluß die Förderung der Euler-Gruppe bei dem mißlungenen Versuch, die FDP zu spalten.
Wir sind uns darüber klar, daß diese freundlichen Absichten auch nach diesem Wahlkampf noch bestehen. Der Herr Bundeskanzler wäre deshalb sicherlich sehr überrascht, wenn wir seiner Regierung unser Vertrauen aussprächen.Wir wissen auch, daß ein prominentes Mitglied der CDU — ein sehr prominentes Mitglied — den Wunsch geäußert hat, am liebsten keinen FDP-Abgeordneten mehr im Bundestag wiederzutreffen, und es steht die Ankündigung des Herrn Fraktionsvorsitzenden der CDU vom Mai dieses Jahres noch im Raum, das jetzige Wahlrecht als das sogenannte stimmgerechte Wahlrecht durch ein staatsgerechtes Wahlrecht zu ersetzen. Unter dem staatsgerechten Wahlrecht versteht man ein Wahlrecht, nach dem der Kandidat A mit 30 000 Stimmen gewählt ist, auch wenn der Kandidat B 25 000, der Kandidat C 20 000 und der Kandidat D 15 000 Stimmen erlangt haben. Man nennt ein solches Wahlrecht Mehrheitswahlrecht, obwohl es meist nur einer kompakten Minderheit zum Siege verhilft. Man kann mit seiner Hilfe praktisch den gesamten Mittelstand, den selbständigen und den unselbständigen, weil er sich eben nicht in jedem Wahlkreis in großen kompakten Gruppen vorfindet, ausschalten, und man kann dafür denjenigen Gruppen, die entweder z. B. gewerkschaftlich organisiert, aber kompakt in
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einer Minderheit vorhanden sind oder die als konfessionell gebundene schlagkräftige und disziplinierte Minderheit vorhanden sind, jeweils mit Hilfe dieser Minderheit zu einem Bundestagsmandat verhelfen.Der angebliche Vorteil des Zweiparteiensystems besteht in Wirklichkeit nicht. Wechseln nämlich die beiden Parteien in der Herrschaft miteinander ab, so kann es sich wie in England ereignen, daß unter der Herrschaft der Arbeiterpartei das Verkehrswesen und die Stahlindustrie in die Hand des Staates überführt werden, daß vier Jahre später dann die Konservativen diese Verstaatlichung rückgängig machen und daß nach einem erneuten Wahlsieg der Arbeiterpartei nach abermals vier oder fünf Jahren die gleiche Doktor-Eisenbart-Kur an dem Wirtschaftssystem Englands ausprobiert wird.Eine andere Abart des Zweiparteiensystems besteht darin, daß Rot und Schwarz nicht miteinander in der Regierung abwechseln, sondern gemeinsam regieren. Die Macht wird zwischen beiden geteilt, die Pöstchen ebenfalls — wo sie fehlen, werden sie zu diesem Zweck geschaffen —, alles mit dem Erfolg, daß jede innere politische Spannung und jedes politische Leben fehlen. Jeweils zehn Wochen vor den Wahlen beginnen beide Parteien sich zu bekämpfen, um sich dann zwei Wochen nach den Wahlen zum alten Sozietätsverhältnis wieder in die Arme zu fallen.Wir sind überzeugt, daß das deutsche Volk weder den Zickzackkurs der ersten Möglichkeit noch die politische Stagnation und das Beutesystem des zweiten Falles wünscht. Eine dritte Kraft muß vorhanden sein. Sie verhindert den Zickzackkurs, sie sichert einen beständigen gleichmäßigen Fortschritt. Andererseits bringt sie neue Gedanken, bringt politische Spannungen und damit politisches Leben.Man rühmt endlich am Zweiparteiensystem, daß es einheitliche Parteien schaffe, die zu klaren und schnellen Entschlüssen gelangen könnten. Wir bezweifeln, daß die deutsche Öffentlichkeit von der Bildung dieser Regierung den Eindruck bekommen hat, daß hier eine einheitliche Partei am Werke war und zu klaren und schnellen Entschlüssen gekommen ist. Diese Regierungsbildung war in keiner Weise imponierend. Wo ist z. B. die Fr au Bundesminister geblieben? Welcher Arithmetik ist sie zum Opfer gefallen? Bei der Konkurrenz der Ministrablen und der noch kommenden Staatssekretäre untereinander wurde man oft an Schillers Vers erinnert: Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, umschwärmten sie alle den Herrn der Bonner Welt.Besonders interessant war das Schäffer-Spiel. Einerseits wollte man Herrn Schäffer, obwohl man ihn bei den Wahlen noch überall als Hüter der Währung plakatiert hatte, als Finanzminister nicht mehr haben. Andererseits aber mußte verhindert werden, daß er, ohne Minister zu sein, als Sprecher der CSU hier im Parlament etwa seinen Nachfolger kritisieren könnte. Er mußte also irgendwie in die Zucht des Kabinetts genommen werden. Undschließlich mußte auch verhindert werden, daß er etwa, fern von Bonn, in einem politischen Münchener Sinfonieorchester die erste Geige spielte.
Das alles war schon schwierig, und man muß immer wieder die Geschicklichkeit des Herrn Bundeskanzlers bewundern, mit der er, wenn auch unter Zeitaufwand, diese Schwierigkeiten gelöst, diesen Balanceakt durchgeführt hat. Es war offenbar der Herr Bundeskanzler gemeint, als unser verehrter Kollege Dr. Krone vorhin im Eingang seiner Ausführungen einmal von Jongleurakten gesprochen hat.
Wir alle wünschen, daß die früheren Differenzen zwischen Wirtschaftsministerium und Finanzministerium wegfallen. Es scheint auch so.
Vielleicht wirkt der Herr Bundesschatzminister ausgleichend.Zum Schluß mußte dann zur Lösung der letzten Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung noch die konfessionelle Arithmetik herhalten. War das wirklich alles eine Empfehlung des Zweiparteiensystems? In der Zeitschrift „Neues Abendland" 2. Quartal 2. Heft 1957 gibt Herr Roegele, Chefredakteur des „Rheinischen Merkur", auf Seite 100 folgendes Rezept für eine Regierungsführung. Er schreibt:Vier Jahre gesicherte Herrschaft geben einer tatkräftigen, entschlossenen und von Skrupeln nicht geplagten— ich wiederhole: von Skrupeln nicht geplagten —Parteiführung zahlreiche Möglichkeiten, auch die Voraussetzungen für den nächsten Wahlsieg zu schaffen.Der Herr Bundeskanzler hat zu dem genannten Heft dieser Zeitschrift eine empfehlende Vorrede geschrieben.
Nach unserer Auffassung gilt ein anderes Gesetz, und ich glaube, Herr Kollege Krone hat dem vorhin schon Ausdruck gegeben. Er sprach davon, daß seine Partei die Hüterin der Freiheit und der Demokratie sein werde. Wir nehmen das Wort an und glauben, daß damit auch seine Ankündigung auf dem Hamburger Parteitag über die Ersetzung des stimmgerechten Wahlrechts durch ein staatsgerechtes nunmehr zurückgenommen ist. Denn, meine Damen und Herren, nach unserer Ansicht gilt in der Demokratie das Gesetz, daß sich im politischen Kampf die bisher siegreiche Partei der Kritik der Wähler und der Neuwahl nach vier Jahren unter den gleichen Bedingungen, d. h. dem gleichen Wahlrecht zu stellen hat, mit dem sie an die Macht gekommen ist. Nur das ist gerecht und loyal. Das Gegenteil könnte der Staatsstreich, könnte der Weg zur Diktatur sein. Aber wir nehmen das Wort des
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Dr. Becker
Herrn Krone an und werden uns in der Zukunft danach richten und ihn daran festhalten.Nun zur Regierungserklärung, also zur Eröffnungsbilanz! Die Freien Demokraten werden frei von jedem Ressentiment an die politische Arbeit herangehen. Wir sind eine Oppositionspartei, aber als solche ungebunden nach allen Seiten. Wir werden die Opposition nicht um der Opposition willen treiben, sondern nur da, wo es nötig ist, wie überhaupt der Leitstern für unsere politische Arbeit das Interesse des deutschen Volks, seine Zukunft und die freiheitliche Gestaltung seiner Institutionen und seines Lebens sein wird. Unser Grundsatz ist — ich begehe jetzt kein Plagiat an Herrn Krone —: Soviel Freiheit als möglich, sowenig Staat als möglich. Ich habe mich sehr gefreut, als auch Herr Krone diesen Satz zitierte. Er stammt nämlich aus dem Berliner Programm der Freien Demokratischen Partei.
Wir unsererseits setzen die Freiheit gegen die Staatsallmacht, und unter Demokratie verstehen wir die Demokratie, in der Gründe und Gegengründe vor der Öffentlichkeit ausgetauscht, miteinander diskutiert werden und in der an den Verstand appelliert wird. Allein an die materiellen Instinkte der Bevölkerung zu appellieren, sie in Angst und Bangen vor einer eingebildeten oder vergröberten Gefahr zu versetzen und dann als Rettung einen Mann oder eine Doktrin als unfehlbaren Führer, als unfehlbare Medizin anzupreisen, das ist gefährlich. Die Demokratie kann dann in Massenherrschaft umschlagen.Die Demokratie wird auch nicht dadurch gerettet — Herr Ollenhauer wird die Bemerkung verzeihen, die ich jetzt mache —, daß man dem Führer einer Oppositionspartei durch Zahlung eines Gehalts eine halbamtliche Stellung zu geben versucht. Eine solche Maßnahme würde in der Öffentlichkeit nur einen sehr peinlichen Eindruck machen.Wir wünschen eine echte Pressefreiheit, eine echte Unabhängigkeit der Presse, und wir glauben mit diesem dringenden Wunsch auch ohne nähere Erörterungen verstanden zu werden.Wir wünschen eint saubere und unbestechliche Verwaltung. Wir wünschen, daß da, wo irgendwie und irgendwann gefehlt ist, mit aller Schärfe und sofort eingeschritten wird. Peinliche Prozesse sollten schnell und ohne Rücksicht auf die beteiligten Personen entschieden werden. Den Gerichten muß die Möglichkeit gegeben werden, unabhängig und schnell zu entscheiden. Das Funktionieren der Gerichte darf nicht — hier unterstreiche ich, was Herr Ollenhauer gesagt hat — durch die Verweigerung von Aussagegenehmigungen behindert werden. Wir wünschen andererseits auch, daß der Staat sich schützend vor seine zu Unrecht angegriffenen Beamten stellt. Und noch eins: die Autorität des Staates und des Ministers wird nicht durch großes Gepolter begründet und gestärkt; echte Autorität wirkt durch sich selbst — auch gegenüber Uniformen.
Wir wollen eine freiheitliche Demokratie, d. h. sowenig Gesetze, sowenig Fragebogen, sowenig Genehmigungen wie möglich, aber soviel Freiheit für den einzelnen wie möglich. Wenn Gesetze und Verordnungen, wenn Paragraphen und Fragebogen glücklich machen könnten, wäre das deutsche Volk das glücklichste auf der Welt. Ein Beispiel: Wenn jemand bauen will, braucht er, nur um den Bauplatz zu bekommen, erstens eine Genehmigung der Preisstelle wegen des immer noch bestehenden Preisstopps für unbebaute Grundstücke — helfen Sie uns mit, ihn zu beseitigen! —; die Genehmigungen werden dann erteilt, wenn der wirkliche, der echte Preis verheimlicht und im Vertrag ein falscher, nämlich zu niedriger Preis genannt wird. Die Preisstellen selbst, die Finanzämter, Notare, Grundbuchämter und Grundstücksmakler wissen, wie hier geschwindelt wird. Auf der Grundlage dieses Schwindels beweisen dann die Statistiken der Preisstellen nach oben bis in die Ministerien hinein, daß angeblich kein anderer Preis als der von 1936 je und je gezahlt wird. Selbstverständlich kostet die Genehmigung des falschen Preises auch noch eine Gebühr. Zweitens braucht der Baulustige eine sogenannte Wohnsiedlungsgenehmigung nach dem Gesetz vom 22. 9. 1933, einem Nazigesetz. Drittens braucht er, wenn das Grundstück aus landwirtschaftlichem Besitz stammt, die Genehmigung des Kreislandwirts- oder Bauerngerichts, mit Gebühr, dann die Genehmigung des Entschuldungsamtes, falls der verkaufende Landwirt vor 25 Jahren mal im Entschuldungsverfahren war, diesmal ohne Gebühr. Dann noch die Genehmigungen oder Bescheinigungen, welche die sogenannten Aufbaugesetze der einzelner. Länder vorgesehen haben, — teils mit, teils ohne Gebühr. Das bedeutet, daß ein Baulustiger, der ohne diesen Genehmigungsunfug, wenn er sein Grundstück im März gekauft hat, sofort mit dem Bau hätte beginnen könen, jetzt nicht im März, sondern frühestens im August mit dem Ausschachten beginnen kann.Werden Sie, sehr verehrter Herr Wohnungsbauminister, das ändern?
— Die Herren sind schon wieder weg. — Und dann noch ein Frage an die Herren Landesfinanzminister, die vorhin wohl noch hier waren: Werden diese Herren dem Herrn Wohnungsbauminister helfen, diesen Genehmigungsunfug, insbesondere den Preisstopp, zu beseitigen, damit Käufer und Verkäufer wieder ehrlich und die Preisangaben wieder wahr werden, dann gleichzeitig aber ihrerseits damit einverstanden sein, die Grunderwerbsteuer von 7 % auf 3 oder 4 % herabzusetzen? Die Länder und die Gemeinden erhalten dann im Ergebnis nämlich mehr Grunderwerbsteuer als bei dem heutigen Schwindelsystem.Weil ich gerade vom Bauen spreche: Kann der Herr Wohnungsbauminister dafür sorgen, daß die Landesbaudarlehen schneller ausgezahlt werden und die Bauherren und die Handwerker schneller zu ihrem Geld kommen? Noch etwas möchten wir wissen: Wieviel Steuergelder sind eigentlich im Laufe der vergangenen Jahre aus der Hand der Steuerzahler als Baugeld in die öffentliche Hand
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gekommen? Wieviel ist davon noch da? Wer verwaltet es? Wer ist der Eigentümer dieser ausgeliehenen Hypotheken? Wieviel Zinsen bringen diese Kapitalien? In welchen Haushalten erscheinen die angesammelten Summen? Wann kommen sie wieder in die private Hand zurück? Und ferner: Wieviel Prozent dieser Summen sind schon verloren?Wenn wir hier Gesetze machen — es ist mit Recht gesagt worden, daß wir viel zu viele Gesetze hätten; aber dann wollen wir einmal praktische Beispiele bringen; ich habe eines —, sollten an die Spitze eines jeden Gesetzgebungswerks auch bei den Verhandlungen hier im Hause folgende Fragen gestellt werden: erstens eine Feststellung, welche neuen Behörden durch dieses neu zu schaffende Gesetz notwendig werden, zweitens, was die Durchführung dieses Gesetzes insbesondere zu Lasten der Gemeinden, die immer damit belastet werden, eigentlich kosten wird, und schließlich, welche weiteren Ausgaben das Gesetz den davon betroffenen Bürgern im Einzelfall auferlegt. Erst wenn das feststeht und dann trotzdem noch die Notwendigkeit des Gesetzes zu bejahen ist, sollte man an die Ausarbeitung eines solchen Gesetzes gehen.Auch der Bundestag hat das Recht der Gesetzgebungsinitiative. Er kann von sich aus Gesetzentwürfe einbringen. Es ist nun ein beliebter Sport in diesem Hause geworden, statt ausgearbeiteter Gesetzentwürfe einen schnell hingeschriebenen Antrag einzubringen, die Regierung möge ein Gesetz über diesen oder jenen Punkt einbringen. Zur Entschuldigung muß gesagt werden, daß der Bundestag und jeder einzelne Bundestagsabgeordnete nicht entfernt die Hilfsmittel zur Verfügung haben, die der Regierung, den Ministerien für solche Fälle zur Verfügung stehen. Wiederholt haben wir wegen einer Abänderung verhandelt. Solche Anträge sind insofern nützlich, als sie die Regierung zwingen, sich dahin zu äußern, ob ein Gesetz dieses Inhalts geplant ist oder nicht. Dabei sollte man es aber belassen, d. h. man sollte solche Anträge in diesem Hause nur als Kleine Anfragen behandeln. Dann spart dieses Haus sehr viel Zeit. Wichtigere Dinge könnten sofort in Form eines ausgearbeiteten Gesetzentwurfs eingebracht werden. Denn wie der Minister in der Hauptsache Ideen haben, aber nicht Paragraphen schustern soll, so sollte auch der Bundestag nicht in der Hauptsache Paragraphen fabrizieren,_ sondern seinerseits Anregungen bringen, politische Linien untereinander und mit der Regierung ausarbeiten und seine Kontrollaufgabe mehr als bisher wahrnehmen.Der Herr Bundeskanzler hat seine Ausführungen in der Regierungserklärung mit der Bitte an das Hohe Haus um Hilfe geschlossen. Wir sind durchaus bereit, helfend mitzuarbeiten, wollen aber, um Mißverständnisse zu vermeiden, hervorheben, daß Träger der Souveranität der Bundesrepublik das Volk und als sein Repräsentant dieses Hohe Haus ist. Der Wille des Volkes ist und bleibt entscheidend.Ich sprach davon, daß man unverschleierte Bilanzen sehen möchte. Die Eröffnungsbilanz, d. h. die Regierungserklärung, läßt nicht erkennen, wie wirmit den Finanzen stehen. Wir fragen: Wie hoch wird die Haushaltssumme des neuen Haushaltsjahres? Wie hoch wird auch das Defizit sein? Wird es überhaupt eins geben? Sind noch Reserven im Juliusturm? Sind noch Reserven in noch nicht angeforderten Steuern vorhanden? Und durch welche Sparmaßnahmen gedenkt die Regierung ein Defizit zu vermeiden?Diese Generalfrage vorausgeschickt, meine Damen und Herren, möchte ich nun zu den einzelnen Positionen der Regierungseröffnungsbilanz Stellung nehmen. Ich spreche zunächst zur Außenpolitik. Im Wahlkampf und schon vorher haben wir Freien Demokraten das Verlangen geäußert, es möchten in allseitigem Zusammenwirken von Regierung und Opposition die Grundlagen einer gemeinsamen Außenpolitik erarbeitet werden. Die Regierungserklärung nimmt diesen Wunsch auf. Wir sind bereit, an allen Fragen der Außenpolitik mitzuarbeiten. Das ist nicht so zu verstehen, daß wir all dem, was der Herr Bundeskanzler als seine Außenpolitik in der Regierungserklärung schon voraus vorgetragen hat, unbesehen zustimmten. Die gemeinsame Arbeit muß darin bestehen, daß die Regierung das, was sie weiß, z. B. ihre Kenntnisse aus den Berichten der Botschafter, aus den verschiedenen Vorschlägen, die aus den USA über die zu verfolgenden Strategien hierhergekommen sind, über die Auswirkung der epochalen technischen Fortschritte der Sowjetunion, einem vertraulichen Zirkel, aus allen Parteien dieses Hauses bestehend, zur Kenntnis bringt. Dort sollte dann ein Austausch der Ideen und Meinungen stattfinden. Die bisher im Auswärtigen Ausschuß praktizierte Methode war meiner Ansicht nach sehr unzulänglich. Das was uns dort von der Regierung als vertraulich mitgeteilt wurde, hatten wir vorher in der Inlandspresse, bestimmt in der Auslandspresse schon gelesen gehabt, und ein echter Meinungsaustausch wurde durch ein dürftiges Frage- und Antwortspiel ersetzt. Das kann nicht befriedigen, und das kann auch nicht so bleiben.In diesem internen Zirkel wird es uns interessieren, zu erfahren, welche Konzeption die Regierung für die Durchführung der Wiedervereinigung eigentlich hat, ob sie eine hat und ob sie in der Lage ist oder schon gewesen ist, den Mächten des Westens einen Plan zur Wiedervereinigung vorzutragen. Denn irgend etwas muß sie sich nach dieser Richtung schon einfallen lassen.In der Erwartung, daß sich eine solche Zusammenarbeit ermöglichen läßt, in der Erwartung, daß diese Zusammenarbeit eine gemeinsame Grundlage für die Führung unserer Außenpolitik bringt, möchten wir uns für diesen Augenblick nur auf die Feststellung weniger Punkte, die für die Außenpolitik bedeutsam sind, beschränken.Zunächst: Nach unserer Auffassung sollte unsere Außenpolitik geschmeidiger, wendiger und geräuschloser sein. Es ist nicht nötig, daß wir unsererseits sofort zu jedem Ereignis irgendwo in der Welt ungefragt Stellung nehmen. Es ist nicht richtig, sich selbst feste Dogmen zu geben und diese auch noch öffentlich zu plakatieren. Man legt sich
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nicht selbst Fesseln an, und man sagt in der Politik niemals: niemals.Eine größere Zurückhaltung in Äußerungen über andere Mächte ist — dies sei übrigens auch an die Adresse anderer Minister gesagt — sehr anzuraten. Unbedachte, donnernde Worte im Wahlkampf können sich zwar am Wahltag durch höhere Stimmenzahl scheinbar bezahlt machen; die wirkliche Zeche bezahlt aber nach den Wahlen das ganze Volk.Nachdem die FDP ihre Auffassung zur Frage des Abbruchs der Beziehungen zu Belgrad schon im Auswärtigen Ausschuß geäußert hat, hoffen wir, daß die endgültige Erledigung dieser Frage bald in dem vorgeschlagenen Aussprachegremium zur Debatte gestellt wird. Es kommt uns nun darauf an, nicht in der Vergangenheit zu wühlen, sondern für die Zukunft die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Auf gut deutsch — ich bitte, einmal einen trivialen Ausdruck zu entschuldigen —: Wir wollen mithelfen, die Kuh vom Eis zu bringen.Und weiter: Wir wollen immer beachtet sehen, daß die Bundesrepublik nur ein Teil Deutschlands, insoweit also nur ein Provisorium ist, daß ein wirklicher deutscher Staat erst dann entsteht, wenn das deutsche Volk in ihm wiedervereinigt und Berlin seine Hauptstadt ist. Alle unsere Arbeit sollte auf dieses Endziel abgestellt sein.Vorhin war von einem Nationalismus die Rede, der sich in den Liberalismus geflüchtet habe. Ach, meine Damen und Herren. wenn man diese Politik der Wiedervereinigung etwa diffamierend ,,nationalistisch" nennen will — bitte schön, meine Herren, was ist denn dann national? Ich sage Ihnen eins: wenn es je eine nationale Frage gegeben hat, dann war es die Wiedervereinigung für Deutschland, die im Westen und die im Osten!
Ferner: Unsere vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Westen sind loyal einzuhalten. Mit dem Rücken angelehnt an unsere Verbündeten im Westen schauen wir Deutsche nach Osten mit gespannten Sinnen, aber auch mit ruhiger Gelassenheit.Weiterhin sage ich für die, die das Berliner Programm der Freien Demokraten vielleicht nicht vollständig gelesen haben, noch folgendes. In Ziffer 8 des Berliner Programms unserer Partei heißt es:Wer die Freiheit für sich und sein Volk will, erkennt sie auch für die anderen Völker an. Wir sind bereit, unsere Freiheit mit allen Kräften zu verteidigen. Die FDP bejaht daher eine Wehrpolitik, die der politischen und geographischen Lage der Bundesrepublik, den militärischen Gegebenheiten und der Entwicklung der Rüstungstechnik entspricht.Das werden wir befolgen. Wir warnen aber vor Panik. Künstliche Monde zwingen ja wohl jeden zur Hochachtung vor denen, die sie erfunden und hergestellt haben; sie werfen aber meiner persönlichen Ansicht nach das atomare Gleichgewicht hier auf unserer Erde mindestens im Augenblick noch nicht um. Hitler glaubte einst, dd er mit demBesitz der modernsten Panzerdivisionen und StukaFlieger den Sieg in der Hand halte. Er schlug deshalb 1939 los, brachte uns aber nur ins Verderben. Wir haben die Hoffnung, daß die Herren im Kreml, auch wenn sie sich rüstungstechnisch etwa in der Vorhand glauben sollten, klüger sind, als es Hitler war. Wir glauben das gleiche ohne weiteres vom Pentagon und glauben ebenso, daß die SuezErfahrungen des vergangenen Herbstes auch andere Staaten beeindruckt haben.Und endlich: Meine Altersgenossen haben noch die Jahre vor dem ersten Weltkrieg wachen Auges miterlebt. Auch damals Steigerung der Rüstungen auf beiden Seiten. Jeder Rüstungsfortschritt auf der einen Seite mußte von der anderen Seite ausgeglichen werden. Auch damals Reden, aufgeregte Reden, die als Drohungen aufgefaßt wurden, obwohl sie nicht immer so gemeint waren. Auch damals das Gefühl, durch eine übermächtige Konstellation eingekreist zu sein. Auch damals die Bildung zweier Blöcke, des Dreibundes und der Triple-Entente, und dann kam das Attentat von Serajewo und kam der 1. August 1914. Die Zeitumstände von heute erinnern manchmal in beängstigender Weise an die Zeiten von damals.Es bleibt die Hoffnung, daß die führenden Männer in allen Staaten Ruhe und Vernunft bewahren. Wenn aber diese Hoffnung auf Bewahrung von Ruhe und Vernunft begründet ist, dann doch nun die folgende Frage: Wie lange soll dieser Zustand der drohenden Reden, der gegenseitigen Rüstungssteigerung, der Sammlung in zwei feindlichen Blöcken, wie lange soll dieser Kalte Krieg eigentlich noch dauern? Zwei Jahre, fünf Jahre, zehn Jahre, zwanzig Jahre? Und dann? — Was dann? Worauf wartet man? Etwa auf ein Wunder? Sollte die derzeitige Politik, die auf jeden Sputnik einen anderthalben setzen möchte, wirklich das Ende aller Weisheit sein? Diese Frage richtet sich an alle, die es angeht, auch und insbesondere an den Osten.Daran knüpft sich die weitere Frage: Gibt es neben Politikern auch noch Staatsmänner auf dieser Erde, Staatsmänner, die diesen Namen verdienen, Staatsmänner, die den Weitblick und die Autorität haben, um es unternehmen zu können, den unheildrohenden Circulus vitiosus, diesen scheinbar ausweglosen Zauberkreis zu durchbrechen und aus ihm herauszuführen?Mit der Regierung begrüßen wir deshalb die Abrüstungsverhandlungen, die in Gang gekommen sind und in Gang gehalten werden müssen.Schwierig wird die Frage der Kontrolle einer Abrüstung sein. Die Kontrolle wird aber weniger nötig und ihre vertragliche Festlegung und ihre Durchführung wird weniger schwierig sein, wenn es gelingt, im Anschluß an die mehr militärtechnische Frage der Abrüstung das allseitige Mißtrauen zu beseitigen. Dies ist unserer Auffassung nach nur möglich, wenn die Differenzen, die sich über den ganzen Erdteil erstrecken — Korea, Vietnam, Suez, Mittelost, das geteilte Deutschland und gespaltene Europa —, im Anschluß an eine solche Abrüstungsvereinbarung gelöst werden,
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Wir hoffen, in den auch von uns begrüßten und mitangestrebten laufenden Aussprachen zwischen Parlament und Regierung zu erfahren, ob sie eine Ostpolitik in diesem Sinne mittreiben will und welcher Art sie sein soll. Die Regierungserklärungen der letzten Wochen hierzu waren widerspruchsvoll. Zwischenzeitlich empfehlen wir aber der Regierung das Studium jener Politik, die vor etwa 30 Jahren Gustav Stresemann so erfolgreich durchgeführt hat.Nun zur Wirtschaftspolitik. Im Frankfurter Wirtschaftsrat 1948 waren die Freien Demokraten die Kerntruppe, die zusammen mit dem Herrn Bundesminister Erhard die Zwangs- und Planwirtschaft beseitigt, eine freie Wirtschaft eingeführt hat. Wir haben sie durchgeführt und durchgehalten, auch wenn Perioden der Anfechtung, des Zweifels an ihr, der Versuchung, die berühmten in den Plakaten so abgeleugneten Experimente zu machen, insbesondere aus Kreisen der CDU, kamen, wie z. B. 1950/51. Wir werden diese Politik weiterführen, auch wenn etwa durch eine im Hintergrund immer vorhandene Koalition zwischen Rot und Schwarz Experimente gegen diese Politik versucht werden sollten.
Wir lehnen unsererseits alle marxistischen und sozialistischen Experimente ab. Wir haben deshalb auch dem Gesetz vom 24. Dezember 1956 — es ist noch gar nicht lange her — nicht zugestimmt, welches der Bundesregierung — auch einer SPD-Regierung — mit den Stimmen der CDU die Macht gegeben hätte, im Wege der einfachen Rechtsverordnung Zwangs- und Planwirtschaft auf dem gewerblichen Sektor wieder einzuführen. Wir lehnen auch jede mittelbare Kollektivierung, mit anderen Worten, wir lehnen jeden Staatskapitalismus ab, weil er im Endergebnis zu den gleichen schädlichen Folgen führt wie eine unmittelbare Verstaatlichung.In den vergangenen Jahren war es immer hochinteressant, hier die Debatten über die Grundsätze der Wirtschaftspolitik, über die Frage der Verstaatlichung, der Sozialisierung und was alles damit zusammenhängt, zu verfolgen. Wir haben heute eigentlich fast nichts davon gehört, und ich frage mich nur immer wieder, ob das Schweigen zu diesem Punkte vieldeutig oder eindeutig war.Für die Urproduktion, nämlich den Bergbau und die Landwirtschaft, wird in einigen Punkten eine von der freien Marktwirtschaft abweichende Regelung Platz greifen müssen, weil eben die Gegebenheiten dort verschieden sind. Wir fragen die Bundesregierung — um vom Bergbau zu sprechen —, ob es richtig ist, daß der Bergbau schon vor den Wahlen eine Preiserhöhung angekündigt hat und welche Rechtsgrundlagen die Regierung hat, um sich in Verhandlungen hierüber einschalten zu können, ferner ob die Begründung der Preiserhöhung richtig und gerechtfertigt ist oder nicht, und wir fragen weiter, wie weit es mit der Durchführung des Kartellgesetzes steht.Was die Landwirtschaft betrifft, so sind die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers für die Landwirte — nach Ansicht meiner Freunde in unsererFraktion — sehr enttäuschend. Seit seinen Rhöndorfer Versprechungen hat der Herr Bundeskanzler sich wiederholt zu der Lage der Landwirtschaft geäußert. Das, was er jetzt gesagt hat, ist unverbindlich und bringt keine neuen Gesichtspunkte, enthält insbesondere — trotz Anwesenheit und Mitgliedschaft fast aller Bauernverbandspräsidenten in der Fraktion der CDU — keine Stellungnahme zu den von den Bauernverbänden sehr oft geäußerten Wünschen. Was bedeutet z. B. der Hinweis in der Regierungserklärung darauf, daß die im Landwirtschaftsgesetz festgelegten Grundlinien sich bewährt haben, wenn insbesondere der § 1 dieses Gesetzes über die Beseitigung der Disparität mit Mitteln der Handels- und Kreditpolitik nicht ausreichend zur Anwendung gelangt? Die Handelspolitik, die Einfuhrpolitik war — Herr Staatssekretär Sonnemann selbst ist dafür Zeuge — für die Landwirtschaft schädlich; Einsparungen oder Verbilligungen der Produktionsmittel zugunsten der Landwirtschaft konnten im Haushalt der Landwirtschaft diesen Schaden nicht wieder ausgleichen. Die Landwirtschaft war im Gegensatz zur industriellen Wirtschaft nicht in der Lage, die notwendigen und erwünschten Investitionen über den Preis zu finanzieren. Die Folge für die Landwirtschaft war steigende Verschuldung. Wir fragen, ob nicht geplant ist, der Landwirtschaft Investitionshilfe zu gewähren; wann und wie? Es ist bekannt, daß die Erzeugerpreise in der Landwirtschaft auf entscheidenden Gebieten nach wie vor niedriger liegen als noch 1950/51 und daß die Landwirtschaft an den trotzdem sehr erheblich gestiegenen Verbraucherpreisen nicht teilhat. Die Landwirtschaft hat deshalb von sich aus und durch ihre Verbände den kostendeckenden Preis gefordert. Wenn die Regierungserklärung in Verbindung mit der Tatsache, daß der bisherige Herr Minister für Ernährung und Landwirtschaft nicht ausgewechselt ist, einen Sinn haben soll, dann doch den, daß der von der Landwirtschaft geforderte kostendeckende Preis nicht herbeigeführt werden soll, daß vielmehr das bisherige Programm des Herrn Ministers Dr. Lübke weitergeführt werden soll. Die Krise in der Landwirtschaft ist im wesentlichen keine Folge einer falschen Agrarstruktur — im wesentlichen —, sondern die Folge einer falschen Agrarpolitik. Die Beseitigung struktureller Mängel in der deutschen Landwirtschaft würde selbstverständlich auch von uns begrüßt werden. Solange aber auch heute strukturell gesunde und gut bewirtschaftete Betriebe noch hinter der allgemeinwirtschaftlichen Entwicklung zurückbleiben, ja noch obendrein verschulden, ist eine solche Agrarpolitik unserer Auffassung nach nicht in Ordnung. Es nützt auch nichts, meine Damen und Herren, alle vier Jahre die durch nichts mehr zu rechtfertigende Überlastung der Bäuerin mit bewegten Worten zu schildern, von der Unzulänglichkeit der Landarbeiterlöhne und der daraus resultierenden Landflucht zu sprechen, wenn deren Ursachen nicht beseitigt werden.Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß er für gute Ratschläge dankbar sei. Wir verweisen unsererseits auf die zahlreichen Vorschläge und Ausarbeitungen gerade der Bauernverbände und wir
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verweisen auch auf die Anträge, die von der FDP-Fraktion schon in der vergangenen Session gestellt wurden. Sie enthalten das Material, nach dem der Herr Bundeskanzler gefragt hat. Eine Agrarpolitik, die sich darin erschöpft, einen großen und für die Nation lebensnotwendigen Berufsstand dauernd von Subventionen abhängig zu machen, ist in ihrem Kern falsch.Während des Wahlkampfes hat die CDU ein neues Agrarprogramm veröffentlicht; wenigstens stand es in der Presse. Dessen Kern war der kostendeckende Preis. Die Regierungsvorlage kündigt eine davon abweichende Stellungnahme an: Wir fragen, was nun in der Zukunft eigentlich für die Landwirtschaft gelten soll: die Versprechungen in der Wahlzeit oder die Fortsetzung des Programms des Herrn Lübke? Wir fragen auch, welche Politik die Herren Vertreter der Bauernverbände, die Mitglieder der CDU-Fraktion sind, nun ihrerseits billigen werden.Wir sind andererseits mit der Regierung der Auffassung, daß Eigentum in weitem Maße, nicht nur auf dem Gebiet der Landwirtschaft, neugebildet werden soll. Die Neubildung von Eigentum hat aber zur Voraussetzung, daß zunächst das bestehende Eigentum erhalten bleibt.
Ein Stiefkind der Wirtschaftspolitik ist der gewerbliche und kaufmännische, auch der freiberufliche Mittelstand. Wir lenken die Aufmerksamkeit der Bundesregierung wiederholt auf diese Tatsache, auch auf die Unruhe und Unzufriedenheit, die sich dieserhalb aller mittelständischen Kreise, auch der des unselbständigen Mittelstandes bemächtigt hat. Wir glauben, daß insbesondere auf steuerlichem Gebiet hier der Hebel anzusetzen ist. Ich werde deshalb bei der Erörterung der Finanz- und Steuerpolitik noch darauf zu sprechen kommen.Nun noch ein Wort zur Saar. Die Übergangszeit an der Saar schafft schwierige Verhältnisse. Die Frankenabwertung vermehrt die Schwierigkeit dieser Verhältnisse. Wir bitten die Regierung dringend, sich mit großer Aufgeschlossenheit auch dieser Dinge anzunehmen, und zwar im Einvernehmen mit der Regierung des Saarlandes.
Nun zur Steuer- und Finanzpolitik. Von unserem freiheitlichen Standpunkt aus muß der Grundsatz einer jeden Steuer- und Finanzpolitik der sein, den Staat, überhaupt jede öffentliche Körperschaft, sobald deren Existenzminimum gesichert ist, knappzuhalten und dafür die Bürger des Staates zu Wohlstand gelangen zu lassen und nicht umgekehrt. Wenn die öffentliche Hand zu viel Geld hat — siehe Juliusturm —, wird es nur ausgegeben, und erst recht dann, wenn Wahlen in Sicht sind. Jeder öffentliche Haushalt muß am Rande des Defizits wandeln; dann wird es richtig.Wir wiederholen unsere Forderung nach Einführung der Bundesfinanzverwaltung. Eine Einsparung einerseits und, bei grundsätzlicher Niedrighaltung der Steuersätze, ein Mehraufkommen andererseits sind dadurch gewährleistet.Es muß festgestellt werden, ob nicht Ausgaben, die außerordentlicher Art sind, z. B. Umgestaltung und Ausbau der Autobahnen und der Bundesstraßen, auch der Bau von Kasernen, auf dem Anleihewege statt durch Steuern finanziert werden können. Nach dem ersten Weltkrieg bzw. nach der ersten Inflation ist der Straßenausbau in den einschlägigen Provinzen Preußens, z. B. in meiner Heimat, mit Erfolg über den Anleiheweg durchgeführt worden. Wird dieser Weg gewählt, dann hat die Generation, die durch Krieg und Kriegsfolgen finanziell schon besonders stark mitgenommen wurde, für solche Ausgaben jeweils nur Zinsen und Abträge aufzubringen. Der Einwand, es sei kein Kapitalmarkt vorhanden, kann demgegenüber nicht durchschlagen. Wenn die Steuerschraube nicht so übermäßig angedreht würde und wenn nicht die Abgaben aller anderen Art, z. B. auch die hohen Sozialabgaben, am Einkommen zehrten, würde sich allmählich auch ein Kapitalmarkt bilden können.Außerdem besitzt der Bund recht beträchtliche Vermögenswerte. Der Bund möge sie auf dem Wege der Reprivatisierung zu Geld machen. Mir fällt ein: In Richard Wagners Oper „Siegfried" ruft der in einen Lindwurm verwandelte Fafner, der auf seinem Nibelungenhort hütend sitzt, dem anstürmenden Siegfried entgegen: „Hier liege ich und besitze, laß mich schlafen!"Herr Kollege Ollenhauer hat davon gesprochen, daß er gegen eine Verwirtschaftung des Bundesvermögens sei. Meine politischen Freunde, die mit dem neuen Herrn Bundesminister Lindrath in den letzten vier Jahren zusammengearbeitet haben, sind der Hoffnung, daß dieser aus der Praxis kommende Herr Mittel und Wege finden wird, diese Schätze des Bundes zu mobilisieren, Bundeseigentum soweit als möglich zu reprivatisieren und dann mit dem Erlös den zuvor angedeuteten Straßen- und Autobahnausbau und Kasernenbau auf dem Wege des außerordentlichen Etats zu finanzieren.
Wir brauchen dann sogar noch nicht einmal Zinsen und Abträge aufzubringen. Vielleicht wird der Herr Bundesschatzminister — beinahe hätte ich „Bundesschatzmeister" gesagt, ich bitte um Entschuldigung — Gelegenheit nehmen, auch seinerseits den zuvor von mir an den Herrn Wohnungsbauminister gerichteten Fragen nachzugehen, nämlich nach Höhe und Verbleib der Gelder, die aus der privaten Hand über den Steuerfiskus in die tote Hand im Wege von Landesbaudarlehen für Hypotheken usw. gelangt sind.Zur Einkommen- und Körperschaftsteuer noch folgende Einzelwünsche. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mit konkreten Dingen komme; ich möchte das, was in der Regierungserklärung alles fehlt, hier ein bißchen nachholen.Erstens: Wann wird das von uns schon immer geforderte und durch die bekannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig gewordene gerechte Ehegattenbesteuerungsgesetz kommen? Bei dessen Fassung ist zu beachten, daß nach dem Gleichberechtigungsgesetz zivilrechtlich ein Aus-
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gleich des Ehegewinns als Grundsatz angenommen ist, daß also zivilrechtlich gesehen das Einkommen eines jeden Ehegatten zu einem gewissen Bruchteil als Einkommen des anderen gewertet wird. Es ist also nicht so, daß nur dann, wenn beide Ehegatten berufstätig sind, sondern es ist so, daß für alle Ehen eine derartige Aufspaltung des Einkommens vorgenommen werden muß und daß dann selbstverständlich auch der jedem Steuerpflichtigen zustehende allgemeine Freibetrag jedem Ehegatten zustehen muß.Ferner: Kann man nicht wieder die Besteuerung nach dem dreijährigen Durchschnitt einführen, d. h. nach dem Durchschnitt der jeweils drei letzten Jahre, so wie es in dem Steuersystem Miquel vorbildlich vorgesehen war und funktioniert hat? Der Vorteil liegt auf beiden Seiten, sowohl für den Staat wie für den Steuerpflichtigen und hier insbesondere für die Mittelstandskreise.Weiter: Wir haben in der Vergangenheit eine lineare Herabsetzung der Einkommen- und Lohnsteuer gefordert, jedoch ohne Erfolg. Zu unserer Überraschung lasen wir während des Wahlkampfes, daß das Bundesfinanzministerium nunmehr eine „große" Steuerreform ausarbeite und als deren Kernstück eine Herabsetzung der Einkommen- und Lohnsteuer um 10 % plane. Sind diese Berichte richtig? Waren sie richtig? Sind sie etwa überholt? Besteht die Absicht, dann die Frage: Warum konnte sie dann nicht schon im vergangenen Bundestag, wo die Mehrheitsverhältnisse ähnlich waren, durchgeführt werden? Soll die nunmehr in eine sogenannte „echte" Steuerreform umgetaufte Steueränderung auch diese lineare Herabsetzung bringen oder nicht? Der Mittelstand hat sie besonders nötig, um Eigenkapital bilden und teure Kredite vermindern zu können.Eine Kleinigkeit noch. Warum hat z. B. der Versicherungsnehmer in der privaten Kranken-, in der privaten Unfall-, in der privaten Lebensversicherung eine Versicherungsteuer zu zahlen, die bei der Sozialversicherung — mit Recht — nicht erhoben wird?Eine lineare Steuerermäßigung in einem besonderen Ausmaß ist möglich, wenn die vielen jeweils nur einzelne Gruppen betreffenden Steuervergünstigungen nach unseren wiederholt gemachten Anregungen beseitigt werden, dafür aber eine allgemeine Herabsetzung des Tarifs erfolgt. Jedem Steuerzahler und der Finanzverwaltung wird damit unendlich viel Arbeit erspart und dem Grundsatz der Gleichheit und Gerechtigkeit besser Genüge getan als vorher. Es ist nicht nötig, daß jemand, wenn er Geld zurücklegen, wenn er sparen will, es steuerfrei nur für ganz bestimmte Zwecke und nicht für jeden ihm selber richtig erscheinenden Zweck zurücklegen kann.In der Steuergesetzgebung ist der Mittelstand vor allem in folgendem zu kurz gekommen. Er kann nicht die gleichen Vorteile erhalten, welche Großunternehmen dadurch haben. daß bei ihnen ein Teil der Einnahmen als Abschreibungen steuerfrei bleiben. Hier kann dem Mittelstand jeder Art, der eben keine materiellen Dinge hat, auf die er abschreiben kann, nur durch eine fiktive Abschreibungsmöglichkeit, nämlich durch eine Abschreibung auf das, was der Mittelständler durch Lehre, Ausbildung und Studium, durch seine Erfahrung, durch sein Können und Wissen, durch seine Handfertigkeit als Kapital in seinem Betrieb investiert hat und mitarbeiten läßt, geholfen werden. Denn wenn der Staat an den Erträgnissen, die mit Hilfe dieses in Wissen und Können bestehenden Betriebskapitals verdient werden, seinen Steueranteil haben will, dann muß er auch zur Erhaltung dieses Kapitals dadurch beitragen, daß er eine fiktive Abschreibung hierauf in anständigem Ausmaß gestattet. Aber in Deutschland wird ja ein Maschinen- und Warenvorrat höher bewertet als geistiges Eigentum, als Erfahrung und Können.Schließlich noch eine besondere Anregung. Die Gemeinden leiden finanziell not, auch deshalb, weil ihnen durch die Gesetzgebung des Bundes und der Länder immer neue Aufgaben mit neuen Ausgaben, aber keine neuen Einnahmen überwiesen werden. Die Selbstverantwortung der Gemeinden besteht heute praktisch nur noch in der souveränen Feststellung der Ausgaben, aber nicht mehr der der Einnahmen. Grundvermögen- und Gewerbesteuer sind die Einnahmen, über welche die Gemeindekörperschaften allein bestimmen können. Das heißt, 100 Prozent der Bevölkerung beschließen eine Steuer, welche nur von etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung zu bezahlen ist. Wir fragen, ob die Bundesregierung gewillt ist, in Zusammenarbeit mit den Ländern diese Benachteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände zu beseitigen und diesen Steuerquellen zu überweisen, die sie als echte eigene Steuerquellen in eigener Verantwortung für die Gemeindefinanzen nutzbar machen können. Die gesamte Belastung der Bevölkerung darf damit nicht höher werden. Es soll aber eine Herabsetzung der Gewerbesteuer und der Grundvermögensteuer in den Gemeinden erreicht werden.Alles in allem: Wir wünschen dem neuen Bundesfinanzminister, dessen Persönlichkeit und Tatkraft wir zu schätzen wissen, den Mut, neue Wege zu beschreiten. Sollten von der Rosenburg dann etwa Unkenrufe ertönen, so mag er sich dadurch nicht erschrecken lassen. Die Währung wird nicht dadurch gesichert, daß Geld in den Staatskassen gehortet wird.Nun zur Lohn-und-Preis-Spirale! Wir hätten außer der allgemeinen Ankündigung in der Regierungserklärung, daß das Preisniveau zu erhalten ist, in dieser Regierungserklärung gern etwas Näheres über das „Wie" gehört. Wir fragen deshalb: Wie stellt sich die Regierung zu der aus dem Ausland kommenden Forderung der Aufwertung des Kurses der D-Mark? Wie stellt sich die Regierung zu dem Gedanken, die Parität der Währungen, wie sie so erfolgreich im ganzen 19. Jahrhundert bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges bestanden hat, d. h. über den Goldpreis, im Wege einer internationalen Vereinbarung wieder herbeizuführen? Wir wissen, daß eine solche Regelung natürlich nicht von uns allein herbeigeführt werden könnte; aber wir möch-
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ten wissen, ob die Regierung bereit und in der Lage ist, Schritte in der Richtung auf dieses Ziel zu unternehmen. Es handelt sich darum, die Währungen in Ausgleich zu bringen und damit praktisch auf dem ganzen Weltmarkt die Preise wieder annähernd in diejenige stabile Lage zu bringen, in der sie vor dem ersten Weltkrieg waren.Und weiter: Ist die Regierung bereit, einem Gesetzentwurf zur Durchführung zu verhelfen, der in Anlehnung an das schweizerische Muster zum Ziel hat, eine Umschichtung eines Teiles des Devisenschatzes in Lagervorräte an lebenswichtigen Rohstoffen zu erzielen und damit die kontinuierliche Versorgung und die kontinuierliche Produktion auch für solche Fälle zu sichern, in denen die Zufuhren durch krisenhafte Umstände, durch Verkehrsunterbrechungen und ähnliches bedroht werden können?Schließlich: Lohnstreitigkeiten — wir sprechen ja von der Lohn-und-Preis-Spirale — und Tarifabschlüsse können, wenn es sich um wesentliche Gebiete des Wirtschaftslebens handelt, wirtschaftliche Folgen haben, die weit über den Kreis der zunächst direkt betroffenen Unternehmungen und Arbeitnehmer hinausgehen. Solche Tarifabschlüsse und Lohnstreitigkeiten können weit über den Rahmen des Wirtschaftszweiges hinaus auf die Kaufkraft der Deutschen Mark einwirken. Die FDP-Fraktion hat in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf eingebracht und hat ihn jetzt erneuert, der diesen Gefahren Rechnung tragen soll. Wir wollen damit nicht einen Zwangsschiedsspruch. Wir wünschen aber, daß die Begehren der einen oder anderen Seite, wie sie in Schiedsverhandlungen — die wir auch durchgeführt wissen möchten — zum Ausdruck kommen, öffentlich bekanntwerden, ehe solche Streitigkeiten ausbrechen und ehe neue Tarifverträge abgeschlossen werden. Wir wünschen darüber hinaus, daß das jeweils zur Rede stehende Begehren hinsichtlich seiner Auswirkung auf die Volkswirtschaft und auf die Kaufkraft der Deutschen Mark geprüft wird. Eine unparteiische Kommission, an deren Spitze der Präsident der Bundesbank stehen müßte, sollte dazu gutachtlich gehört und dieses Gutachten sollte ebenfalls der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden. Auf diese Weise soll die öffentliche Meinung mobil gemacht und in die Lage versetzt werden, zu diesen Meinungen der Vertragspartner und diesen eben genannten Gutachten öffentlich Stellung zu nehmen. Eine Frist sollte zwischen der Veröffentlichung dieser Unterlagen und dem Abschluß neuer Tarifverträge eingeschaltet werden.Wir richten an die Bundesregierung und an dieses Hohe Haus die Bitte, alle diese angedeuteten Probleme zu durchdenken und zu einer baldigen Lösung mit beizutragen. Die Aufrechterhaltung der Kaufkraft unserer Mark ist eine wesentliche Forderung unserer Partei.Nun zur Sozialpolitik. Es ist unsere selbstverständliche Pflicht und wird unsere selbstverständliche Pflicht bleiben, uns aller derer, die staatlicher Hilfe bedürfen, mit Sorgfalt anzunehmen. Die Kriegsopfer und ihre Hinterbliebenen, die Heimkehrer, die Evakuierten und Kriegsgeschädigten aller Art und ihre Sorgen und Nöte sollten stets von uns beachtet werden. Nach bester Möglichkeit muß ihnen Gerechtigkeit widerfahren. Der Grundsatz, Gerechtigkeit erhöhet ein Volk, muß insbesondere auf diesem Gebiet seine Geltung finden. Die Heimatvertriebenen — und wir stimmen auch hier der Regierungserklärung zu — sollen auch in diesem Bundestag zu ihrem Recht kommen. Das Ziel muß sein, sie so weit wie möglich in das Wirtschaftsleben einzugliedern. Wir fragen deshalb, ob nicht die Hauptentschädigung, auf die noch sehr viele warten, schneller ausgezahlt werden kann, so schnell, daß auch die Alten in ihrem Leben noch etwas davon haben.Das Recht auf die Heimat muß anerkannt und geachtet werden. Es sollte ein Teil des international geltenden Rechts werden. Unabhängig von bestehenden oder kommenden Staatsgrenzen muß für jeden Menschen im Lande seiner Geburt oder seines langjährigen Wohnsitzes das Recht zum Aufenthalt, das Recht zur Rückkehr dahin, das Recht zur Niederlassung daselbst und alles das in Gleichberechtigung mit den anderen Bewohnern dieses Landes zugebilligt und gesichert werden. Diese Rechtssätze zu schaffen und zur Geltung zu bringen, wird unsere Aufgabe sein müssen.Auch über die genannten Kreise hinaus wird die Regierung allen Anforderungen sozialer Art aufgeschlossen und mit dem Gefühl für soziale Gerechtigkeit gegenüberstehen müssen. Wir werden davon auszugehen haben, daß folgende Punkte das beste Stück einer guten Sozialpolitik im weiteren Sinne sein müssen: die Fortführung der bisherigen Wirtschaftspolitik, die möglichst vielen zu Arbeitsplätzen und Brot, also zu einer festen und sicheren Stellung im Wirtschaftsleben verhilft, und sodann eine Steuerpolitik, die es durch Herabsetzung der Steuern ermöglicht, Ersparnisse zu machen, Eigenkapital zu bilden, damit Krisenzeiten zu überstehen und Vorsorge für Krankheit und Alter auch unter eigener Verantwortung und aus eigener Kraft zu treffen. Als letzter Teil einer guten Sozialpolitik von diesen dreien: eine gute Währungspolitik, die Erhaltung der Kaufkraft aller Gehälter und Löhne, aller Pensionen und Renten und aller Ersparnisse muß Hauptaufgabe sein.Die Angst vor der Inflation führt dahin, daß ein Kühlschrank z. B. als eine inflationssicherere Anlage gilt als ein Sparbuch. Die Politik der Bundesregierung muß dahin gehen, daß das Sparbuch mindestens als eine so wertbeständige Anlage angesehen werden kann wie ein allmählich doch veraltender Kühlschrank. Ein gutes Sparbuch wird dann die Möglichkeit geben, auch den Kühlschrank zu kaufen, und nicht nur auf Stottern, sondern unter Ausnutzung eines Barzahlungsrabatts ihn sogar billiger zu erwerben.Eine nominelle Erhöhung der Einkommen jeder Art, deren Kaufkraft dann aber immer wieder durch andere Maßnahmen schwindet, ist ein fragwürdiger Vorteil. Zerrüttete Finanzen, schleichende Inflation sind alles andere, nur keine Sozialpolitik.
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Da aber, wo unser Ziel, dem Menschen durch Wirtschafts- und Steuerpolitik Sicherheit zu geben, nicht zu erreichen ist, wird die Sozialpolitik eingreifen müssen. Wir sind dabei der Meinung, daß von den Grundlagen unserer staatlichen Sozialversicherung, wie sie jahrzehntelang mit Erfolg geführt worden ist, nicht abgewichen werden sollte, daß aber auch hier keinerlei Experimente gemacht werden dürfen. Wir sind — und in der Regierungserklärung kam das wohl auch zum Ausdruck — der Auffassung, daß das Gefühl der Eigenverantwortung für die eigene Zukunft und die der Familie sehr viel mehr gestärkt werden müßte. Unser Freund Willi Weyer hat einmal auf ein amerikanisches Sprichwort verwiesen, das da lautet: „Suchst du eine helfende Hand, dann schaue zunächst auf die Hand an deinem eigenen Arm!" Wir Abgeordneten müssen uns auch immer darüber klar sein, daß jede Mark, die wir irgend jemandem geben, zuvor einem anderen genommen werden muß. Unser Freund Reinhold Maier hat einmal mit Recht gesagt: „Wer vielen geben will, muß vielen zuvor nehmen, und wer vielen viel geben will, muß vielen viel nehmen."Wir werden darauf achten müssen, daß nicht allzu große Anforderungen das Preisniveau in die Höhe treiben. Wir dürfen auch die Arbeitnehmer nicht in einer Weise belasten, daß sie sich fragen, ob nicht die Summe dessen, was von ihnen im Laufe der Jahre einzuzahlen ist, die Summe dessen übersteigt, was sie je wieder herausbekommen können. Auch die Arbeitnehmer, Angestellte und Arbeiter, haben immer mehr den Wunsch, sich mindestens zu einem Teil in Zukunft selbst zu helfen und hierbei frei und unabhängig zu werden und zu bleiben.Die Regierungserklärung war bei der Ankündigung dessen, was das Justizministerium uns bringen wird, ausnahmweise einmal etwas konkreter. Wir vermissen aber mindestens zweierlei. Erstens sollte die Zusammenfassung aller Gerichtsbarkeiten in der Hand eines Ministers, nämlich in der Hand des Justizministers herbeigeführt werden. Wir sind der Meinung, daß die Unabhängigkeit der Spezialgerichte, also z. B. der Verwaltungsgerichte, der Sozialgerichte, der Finanzgerichte, besser gewahrt ist, wenn die Aufsicht über diese Gerichte und damit auch die Ernennung der Richter in die Hand nicht des Finanzministers, nicht des Sozialministers, nicht des Ministers des Innern, sondern in die Hand des Justizministers gelegt wird.
Wir fragen, oh die Regierung bereit ist, eine derartige Maßnahme einzuführen, nachdem in einigen Ländern, z. B. in Schleswig-Holstein unter Führung unseres Parteifreundes Leverenz und in der Hansestadt Hamburg, ein Anfang gemacht ist und im Lande Niedersachsen das gleiche Bestreben schon vorangetragen wird.Ferner haben wir schon mehrfach den Wunsch geäußert, es möge eine einheitliche Prozeßordnung für alle Verfahrensarten geschaffen werden, etwa so, daß alle diejenigen Dinge, die bei allen Verfahrensarten irgendwie zu regeln sind, also die Einheitlichkeit der Fristen für alle Verfahren, dann alles, was mit dem Instanzenzug, mit der Einlegung von Rechtsmitteln an Formalitäten zusammenhängt, Ablehnung der Richter, Mitwirkung der Laien und vieles andere, einheitlich für alle Gerichte und Verfahrensarten zu regeln wäre, so daß dann nur die sich jeweils aus der Natur der verschiedenen Gerichtszüge und Gerichtsbarkeiten ergebenden Unterschiede getrennt in einer solchen gesamten Prozeßordnung spezialisiert zu werden brauchen.Noch einiges zum Verkehrswesen. Die Bundesbahn ist bis jetzt immer ein Zuschußunternehmen gewesen. Man spricht von Tariferhöhungen. Sie sollen 750 Millionen DM jährlich ausmachen, Wir fragen, ob das stimmt. Wie hoch wird dann aber immer noch der Zuschußbedarf bleiben? Man spricht in Fachkreisen von einem weiteren Defizit oder Zuschußbedarf von einer Milliarde D-Mark jährlich. Wir fragen den Herrn Minister, ob das stimmt.Über die Finanzierung des Straßenbaues, etwa durch Anleihen oder durch Mittel, die aus der Reprivatisierung von Bundesvermögen gewonnen werden können, habe ich bereits gesprochen. Ich bitte auch den Herrn Verkehrsminister, sich dieser Frage anzunehmen. Die Straßenbenutzer verweisen darauf, daß von dem von ihnen für die Zwecke der Straßen aufgebrachten Steuern insgesamt rund 7 Milliarden DM zweckentfremdet verausgabt worden sind. Auch wenn wir nicht das Dogma aufstellen wollen, daß jeder Pfennig aus diesen Steuern für Zwecke des Straßenbaues aufgewendet werden müsse, so ist doch die Summe dessen, was nicht dafür verwendet worden Ist, ungeheuerlich hoch.Das Spannungsverhältnis zwischen Schiene und Straße besteht nach wie vor. Die Straßen sind dringend ausbaubedürftig. Wir erinnern z. B. an die Strecke Frankfurt—Mannheim. Die Verkehrsunfälle haben durch Verringerung der Durchfahrtgeschwindigkeit etwas, aber nicht entscheidend abgenommen.Der Wiederaufbau der Passagierschiffahrt braucht auch Unterstützung.Kurzum, die Freien Demokraten müssen feststellen, daß acht Jahre Verkehrspolitik unter dem gleichen Verkehrsminister die Probleme nicht zu lösen vermocht haben. Alle Maßnahmen sind immer nur Flickwerk geblieben. Es fehlt eine grundlegende Konzeption über die Lösung des Verkehrsproblems im ganzen.Wir haben weiter folgende Einzelfragen hierzu. Will man etwa zwecks Europäisierung des Verkehrs die in § 72 Abs. 5 der Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrszulassungsordnung und der Straßenverkehrsordnung, nämlich über Abmessungen und Gewichte, vorgesehenen Fristen noch verlängern oder nicht? Will man die Bestimmungen über Maße und Gewichte wenigstens an die Genfer Konvention von 1949 anpassen, um einmal wirklich praktisch zu europäisieren?Ist die Regierung bereit, durch ein Wiederauflebenlassen des Gesetzes über Darlehen zum Bau
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und Erwerb von Handelsschiffen vom 27. September 1950 die deutsche Passagierschiffahrt instand zu setzen, den Anschluß an die internationale Entwicklung zu finden?
Nun zum Familienministerium. Wir halten es nach wie vor für überflüssig.
Nicht deshalb, weil wir etwa die Werte der deutschen Familie nicht schätzten, sondern weil wir glauben, daß die Maßnahmen, die vom Standpunkt der Gesetzgebung aus die Familie berühren, also z. B. die Frage der Fürsorge, die Frage des Kindergeldes, der steuerlichen Begünstigung der Familie, von anderen Ministerien im Zusammenhang mit den eigentlichen Materien, die ich angesprochen habe, einheitlich getroffen werden sollten. Das Familienministerium wird stets zu Kompetenzstreitigkeiten mit anderen Ministerien führen. Die Überweisung der Zuständigkeit für Jugendfragen in ein solches Ministerium ändert an den soeben angedeuteten Bedenken nichts, sondern verstärkt sie nur. Wie soll z. B. die Betreuung des Sports geregelt werden? Soll diese, soweit sie den Jugend-, also den Schulsport betrifft, an das Familienministerium überwiesen werden und die Betreuung desSportwesens im übrigen im Ministerium des Innern bleiben? Wir bitten um Antwort. Wir werden das Wirken dieses Ministeriums und seines Ministers im Hinblick auf die ihm überwiesene Zuständigkeit für Jugendfragen mit ganz besonderer Aufmerksamkeit verfolgen.Der Forschung und Heranbildung eines tüchtigen Nachwuchses, insbesondere auf dem Gebiet der Technik und der Chemie, sollte auch die Sorge der Regierung im Einvernehmen mit den Landesregierungen gelten. Wir hoffen und wünschen, daß bei der Gestaltung des Haushalts dieser Punkt sehr berücksichtigt wird. Wir bitten insbesondere, auch einmal zu beachten, wie groß die Zahl des technischen Nachwuchses in Deutschland jährlich und wie groß die Zahl des entsprechenden Nachwuchses in anderen Ländern, insbesondere z. B. in der Sowjetunion, ist. Meine Freunde glauben, daß wir hier allerhand nachzuholen haben, insbesondere wenn wir daran denken, daß wir mit so von uns ausgebildeten jungen Leuten vielleicht in unseren wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland, besonders auch zu den weniger entwickelten Ländern, durch Zurverfügungstellung solcher Kräfte vieles zu tun und vieles nachzuholen hätten.Ferner, was gedenkt die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Ländern zu tun, um dem großen Mangel an Schulräumen und Lehrkräften abzuhelfen? Der Schichtunterricht mit seiner Strapazierung der Kinder und der Lehrer, die mit ihm verbundenen Belastungen der Familie, vor allem der Hausfrau, sind unerträglich.
— Ich sagte ja: was der Bund im Einvernehmen mitden Ländern zu tun gedenkt. Sie ,werden sich entsinnen, sehr verehrter Herr Kollege, daß hier schon Anträge vorgelegen haben, eine finanzielle Unterstützung des Bundes und der Länder auf diesem Gebiet zu gewähren.Wir fragen weiter: Sollen in Verbindung mit der Reform des Krankenversicherungswesens auch neue Wege der Gesundheitspolitik beschritten werden? Wie steht es mit der immer schlimmer werdenden Lärmplage, mit der Verunreinigung der Luft und der Flüsse? Wie steht es, wenn die Länder hier auch etwas zu sagen hätten, mit der Erhaltung des Landschaftsbildes? Muß wirklich auf jeden Berg eine Sesselbahn gebaut werden? Kann man nicht die Einsamkeit der Berge und die Stille der Wälder, die Lieblichkeit unserer Täler und Höhen als beste Quelle der Erholung, so wie sie der Herrgott geschaffen hat, erhalten?Zum Abschluß noch etwas ganz anderes! Da wir nicht nur zu einer Regierungserklärung Stellung nehmen, sondern am Beginn einer neuen Bundestagssession auch grundsätzlich Stellung zu beziehen haben, bitte ich mir zu gestatten, noch folgende Gedanken zum Ausdruck zu bringen.Im Leben eines Volkes spielen wohl die Fragen der Wirtschaft, der Steuern, der Wohlfahrt, der Verteidigung, kurz, alle materiellen Dinge eine große Rolle. Aber es gibt noch andere ideelle Fragen, die auch ihre Bedeutung haben. Wir brauchen hier bei unserer Arbeit im Bundestag und brauchen draußen im privaten und öffentlichen Leben mehr Verständigungsbereitschaft untereinander, mehr Bereitschaft, auch die Meinung der anderen verstehen zu wollen. Aus dieser Verständigungsbereitschaft erwächst dann die Bereitwilligkeit der anderen Seite, die gleiche Bereitschaft zu üben. Der Weg zur Verständigung geht über die Verständigungsbereitschaft und er geht weiter über die Forderung — ich glaube, Herr Kollege Ollenhauer hat es angedeutet —, daß die persönliche Achtung vor uns allen, gegenseitig und auch draußen im Volk, bestehenbleiben sollte. Denn auch das lindert und mildert vieles. Wenn jeder bereit ist, auch die Sorgen des anderen zu verstehen, wird der Unzufriedenheit und dem übertriebenen Egoismus schon allein dadurch gewehrt.Auch für das Leben der Konfessionen und Kirchen untereinander und miteinander sollte das gleiche gelten. Wir sollten im Glauben des anderen das ehren und achten, was jedem am höchsten steht und ihn in seinem Innern zutiefst berührt. Weil diese religiösen Dinge als ein Arcanum, als heilig zu betrachten sind und zu gelten haben, konnten viele deutsche Menschen nicht verstehen, warum bei der Regierungsbildung die Konfession eine solche Rolle hat spielen müssen. Wir verstehen wohl — auch in Richtung auf die Verständigungsbereitschaft —, daß eine gewisse äußere Parität hat gewahrt werden sollen. Aber wir haben eine andere Meinung. Wir meinen nämlich, daß eine äußere Parität nicht immer der Ausdruck einer wirklichen inneren Toleranz und Heilighaltung ist.Daß der Mißbrauch der Religion zu politischen Zwecken von uns Freien Demokraten — und ich
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glaube, auch von anderen — von jeher abgelehnt wird, sei nur am Rande erwähnt. Aber diese Ablehnung ist keine Stellungnahme gegen die Religion, sondern gerade ein Kampf für jedes religiöse Gefühl und für religiöse Duldung. Zum Schutz unseres Beamtentums und aller Behördenangestellten muß aber der Satz gelten, daß es für Einstellung und Beförderung nur auf Wissen, Können und Charakter, nicht aber auf das Parteibuch und die Konfession ankommen sollte.
Auch die Demokratie braucht ihre Ordnung, braucht Autorität und Würde, aber keinen protzenhaften Luxus. Bismarck empfing die Parlamentarier zu Bierabenden. Es ging und geht auch so. Wir sollten immer an die Zeiten denken, die noch nicht lange hinter uns liegen und die uns zu Bescheidenheit und Zurückhaltung Anlaß geben sollten. Wir sollten daran denken, daß die Zeiten noch nicht lange zurückliegen, in denen wir dankbar waren für die Hilfe, die von Schweden und aus der Schweiz und insbesondere durch den Marshall-Plan aus den Vereinigten Staaten zu uns kam. Wenn wir daran denken, dann wird für uns erst der Satz von Schiller richtig durchschlagend sein: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben; bewahret sie durch Einfachheit."Im 19. Jahrhundert sprach man vom Männerstolz vor Königsthronen. Die Königsthrone sind verschwunden. Und der Männerstolz?
Eine Demokratie kann ohne echte Demokraten nicht bestehen. Eine Demokratie muß sich dessen bewußt sein, daß man im Staat nicht nur Rechte geltend zu machen, nicht nur Forderungen an den Staat zu stellen hat, sondern daß es auch Pflichten gibt, Pflichten gegenüber der Familie, Pflichten gegenüber Staat und Allgemeinheit. Der Gedanke ist heute morgen schon einmal aufgeklungen; ich darf ihn noch ergänzen. Diese Maxime, daß man nicht nur Forderungen an den Staat stellen soll, sondern auch Pflichten gegenüber dem Staat hat, gilt nicht nur nach den Wahlen, sondern auch bei Bewilligungen vor den Wahlen. Echte Demokraten sollten auch Zivilcourage besitzen, den Mut zur eigenen wohlbegründeten Meinung. Wir sollten diese unsere eigene Meinung auch vor Massenversammlungen und auch vor den Mächtigen der Verbände haben, alles in Ruhe und Sachlichkeit. Wir verlangen auch Mut vor Ministersesseln — und auf Ministersesseln.
So wünschen wir dem deutschen Volke zu der nun beginnenden gemeinsamen Arbeit in diesem Hause guten Erfolg.Ein letztes möchte ich doch noch allen in unserem Vaterlande ans Herz legen, und das ist die Ehrfurcht, die Ehrfurcht vor der guten alten Sitte, die Ehrfurcht vor dem, was in deutscher Geschichte groß und gut war — das hat es auch gegeben —, die Ehrfurcht vor dem, was deutsche Menschen uns und der Menschheit gegeben haben, die Ehrfurcht vor Frauen und Müttern und die Ehrfurcht vor dem,der höher ist als alle Vernunft. Aus dem Altertum wird uns ein Wort des Sophokles übermittelt, das heißt: „Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch." Und doch kannte man im Altertum von den Himmelskräften, die der Mensch sich im Laufe der Jahrhunderte untertan gemacht hat, nur das Feuer, jenes Feuer, das der vorausdenkende Mensch — er wurde heute schon einmal in anderem Zusammenhang zitiert —, Prometheus, einst vom Olymp geholt hatte. Die Menschen damals hatten die Gefahren und die Nützlichkeit des Feuers erkannt. Sie hatten aber auch verstanden, sich diese Kraft untertan zu machen. Inzwischen hat die Menschheit andere Kräfte, mehr Kräfte und zuletzt mit der Atomkraft ein weiteres Quentchen jener unendlichen Schöpferkraft sich zu eigen machen gelernt. Der Mensch, der solche Gewalten zu entdecken und zu verwenden gelernt hat, muß zeigen, daß sein vom Sittlichen her gebändigter und von der Ehrfurcht geleiteter Wille gewaltig, noch gewaltiger als diese Himmelskraft ist. Wir sollten uns in Ehrfurcht beugen vor dieser Macht und vor dem, von dem sie stammt. Dann gilt das Wort: „Daß nur Menschen wir sind, der Gedanke beuge das Haupt dir." Aber zu dieser Erkenntnis kommt aus der gleichen Ewigkeit der Anruf, das Gebot, der Befehl, als freier, sich selbst zügelnder Mensch diese Naturkraft nicht zum Schlechten, sondern zum Guten, nicht zum Zerstören, sondern zum Frieden zu verwenden. Und dann heißt der Spruch in seiner Vollständigkeit so:Daß nur Menschen wir sind, der Gedanke beuge das Haupt dir.Doch daß Menschen wir sind, hebe dich freudig empor!
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte eine Bemerkung vorausschicken. Der Herr Kollege Ollenhauer hat seine Ausführungen damit eröffnet, daß er feststellte, in diesem Hause säßen nach der Wahl vom 15. September nur noch vier Fraktionen. Er hat sich dann dahin korrigiert, daß es, genau genommen, nur dreieinhalb Fraktionen seien. Wir nehmen diese Bemerkung mit Gelassenheit zur Kenntnis. Aber ich nehme mir die Freiheit, hier festzustellen, daß es die vornehmste Aufgabe in der Demokratie ist, die Rechte der Minderheit zu achten. Wenn man sie so wenig respektiert, wie Herr Ollenhauer das mit seiner, ich möchte sagen: ungezogenen Bemerkung getan hat, dann hat man kein Recht, sich als Gralshüter der Demokratie aufzuspielen, wie es die Sozialdemokraten immer so gerne tun.
Der Herr Oppositionsführer hat dann von dieser Stelle aus im Verlauf seiner weiteren Rede gesagt, daß für die Sozialdemokratische Partei ein Mindestmaß von Anstand und Achtung vor dem politischen
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Gegner selbstverständlich sei. Meine Damen und Herren, dies kann ich dann nur als ein Lippenbekenntnis werten, allerdings als das Lippenbekenntnis eines geschlagenen Parteiführers.
Meine Damen und Herren, in der Erklärung, die die Grundlage des Wirkens der dritten Bundesregierung bilden soll, hat der Herr Bundeskanzler die Hoffnung ausgedrückt, daß die gröbste Arbeit bei der Wiederaufrichtung eines freien deutschen Staatswesens nunmehr hinter uns liege. An diese Feststellung möchte ich einige einleitende Überlegungen knüpfen. Die Fülle der Aufgaben in den vergangenen Jahren und die Last der Arbeit, die von allen Schichten unserer Bevölkerung bewältigt werden mußte, haben uns oftmals nicht die Zeit gelassen, in Ruhe über die Fragen nachzudenken, die über unseren Alltag hinausreichen. Das trifft auch auf die Mehrzahl jener Menschen zu, die in den vergangenen Jahren die politische Verantwortung in Bund, Ländern und Gemeinden getragen haben. Wem ist es in der Fülle drängender Entscheidungen und vielfältiger Sorgen wirklich zum Bewußtsein gekommen, daß seit dem Zusammenbruch im Jahre 1945 bereits zwölf Jahre vergangen sind, die Währungsreform bereits über neun Jahre hinter uns liegt und die Bundesrepublik bereits in das neunte Jahr ihres Bestehens geht? Wir kommen nicht darum herum, diese Zeiträume an den vierzehn Jahren zu messen, die die Weimarer Republik existiert, und an den zwölf Jahren, in denen das nationalsozialistische Regime unserem Schicksal seinen Stempel aufgedrückt hat.Wenn wir solche Parallelen ziehen, dann müssen wir uns gerade in dieser Stunde auch der Frage stellen, die eine der angesehensten Zeitungen der freiheitlichen Welt des Westens aufgeworfen hat. Ich meine die Feststellungen der Londoner „Times", derzufolge die Bundesrepublik heute eine Wirtschaft sei, die sich auf der Suche nach der Nation befinde. Am 15. September hat die Bevölkerung der Bundesrepublik mit klarer Mehrheit die Politik der zweiten Bundesregierung und der sie tragenden Parteien gebilligt. Die Deutsche Partei ist stolz darauf, dem Werk der vergangenen acht Jahre ihre Arbeit und jhre Kraft gewidmet zu haben. Sie ist der Verantwortung auch dann nicht ausgewichen, wenn die Rücksichtnahme auf parteipolitische Zielsetzungen vielleicht der einfachere Weg gewesen wäre. Das aber berechtigt uns nicht nur heute, sondern verpflichtet uns auch, im Sinne eines weitergesteckten politischen Auftrags nach den Gründen zu forschen, die die Mehrheit unserer Bevölkerung bei ihrer Entscheidung am 15. September geleitet haben.Als der Herr Bundeskanzler am 29. Oktober die Regierungserklärung abgab, kam von der linken Seite dieses Hauses der Zwischenruf: „Keine Experimente!" Ich meine, daß mit diesem Wort tatsächlich am besten jene Stimmung umschrieben worden ist, die die Mehrheit unserer Bevölkerung bei ihrer Stimmabgabe am 15. September bewegt hat. Ich glaube darüber hinaus, daß wir keinerlei Grund haben, dieses Verlang... unserer Bevölkerung nachSicherheit und ungestörter Fortentwicklung zu schmähen. Was anderes soll ein Volk wie das unsere ersehnen, das in einem Zeitraum von rund 30 Jahren zwei furchtbare militärische Niederlagen und drei Versuche staatlicher Neuordnung erlebt hat und dessen wirtschaftliche Grundlagen durch zwei Inflationen völlig zerrüttet worden sind; ein Volk, dessen nationale Einheit zum Objekt der großen Auseinandersetzung zwischen Ost und West geworden ist, ein Volk, in dem jeder vierte im Laufe der letzten zwölf Jahre seine Heimat verloren hat? Ist dieses Verlangen nach Sicherheit vor allem materieller Art, das breite Schichten unserer Bevölkerung zu unerhörten Leistungen angespornt hat, ein Grund, zu behaupten, daß in Westdeutschland „eine Wirtschaft auf der Suche nach der Nation" sei?Niemand von uns übersieht die Auswüchse des sogenannten Wirtschaftswunders. Niemand drückt die Augen zu vor dem Neomaterialismus, der unserem Leben an manchen Stellen einen alles andere als schönen Stempel aufdrückt. Steckt aber hinter diesen Erscheinungen nicht auch etwas ganz anderes als die oftmals hektisch anmutende Sucht nach gedankenlosem Lebensgenuß?Geben wir uns doch keiner Täuschung hin, meine Damen und Herren! Wenn manche unter uns leben, als ob der heutige Tag der letzte sei, dann steckt doch auch dahinter in den meisten Fällen das Bewußtsein der Gefährdung unserer Lage, das Bewußtsein der Gefahren, die die ganze Welt und uns in ganz besonderem Maße bedrohen.Diese Erscheinungen dürfen aber andererseits unseren Blick für die überwältigenden Beweise von Vertrauen in die Zukunft, die unser Volk in den vergangenen Jahren abgelegt hat, nicht trüben. Millionen haben auch nach dem schrecklichsten Zusammenbruch unserer Geschichte keinen Augenblick gezögert, Hand mit anzulegen beim Wiederaufbau unserer staatlichen und materiellen Existenz, und haben Leistungen vollbracht, die in der ganzen Welt geachtet und beachtet werden.Sie haben darüber hinaus durch ihre politische Entscheidung eine Regierung bestätigt, unter deren Zielen die Sicherung von Freiheit und Unabhängigkeit den ersten Platz seit eh und je eingenommen hat,
auch wenn der Oppositionsführer hier das Gegenteil behauptet.Ich meine, daß es sich in Westdeutschland nicht um eine „Wirtschaft auf der Suche nach der Nation" handelt, sondern um eine Nation, die dabei ist, den Weg zu sich selbst zurückzufinden. In der Mitwirkung bei der Lösung dieser Aufgabe erblickt die Deutsche Partei die besondere Verpflichtung in den kommenden Jahren.Der Herr Bundeskanzler hat von den schwierigen, Situationen gesprochen, die die nächste Zeit sowohl auf außenpolitischem als auch auf wirtschaftspolitischem Gebiet mit sich bringen kann. Wir begrüßen diese offenen Worte, weil meine Partei davon68 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode - 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957Schneider
überzeugt ist, daß ein tragfähiges Staatsbewußtsein nur aus klarer Einsicht in die Lage, nicht aber aus Schönfärberei und Optimismus um jeden Preis erwächst.Dieses Staatsbewußtsein zu stärken und weiter zu entwickeln ist eine Aufgabe aller demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik. Wer den Aufgaben gerecht werden will, die uns in den kommenden Jahren gestellt werden, muß den Mut haben, nicht nur im kleinen Kreise die alte Wahrheit zu bejahen, daß Wohlstand kein Ersatz für Staatsbewußtsein ist und sein kann.
Dieser Mut zu klaren Einsichten und der Mut, sie dann auch offen zu vertreten, wird, so glauben wir von der Deutschen Partei, in den kommenden Jahren mehr als einmal notwendig sein. Unser neuer demokratischer Staat, die Keimzelle eines im Frieden und Freiheit wiedervereinigten Deutschlands, ist bis jetzt noch auf keine ernsthafte Probe gestellt worden. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Wir haben aber als verantwortungsbewußte Politiker die Pflicht, nicht nur uns selbst, sondern auch unser Volk auf diese ernsten Prüfungen vorzubereiten. Zu dieser Vorbereitung gehört vor allem der Wille, bei allen Entscheidungen das Ganze zu sehen und jede Maßnahme ohne Rücksicht auf die Forderungen von Gruppen und Interessentenverbindungen in die Verantwortung für das Ganze einzuordnen. Dazu gehört weiter der Mut, unserer Bevölkerung auch in Wahljahren immer wieder klarzumachen, daß es auf dieser Erde nichts geschenkt gibt, weder materiellen Fortschritt noch militärische Sicherheit oder gar die Freiheit.
Das ist eine klare Absage an jede Art von Gefälligkeitsdemokratie, aber der einzige Weg, einen Staat aufzurichten, der diesen Namen verdient.Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung an mehreren Stellen davon gesprochen, daß die Fortführung der Politik der westlichen Einheit in den kommenden Jahren unter Umständen große Opfer materieller Art auch vom deutschen Volke erfordern kann. Die Deutsche Partei unterstreicht auch diese Mahnung im vollen Bewußtsein der Bedeutung dieser Ausführungen. Sie glaubt aber, Grund zu der Frage zu haben, ob in den vergangenen Jahren alle politischen Kräfte in der Bundesrepublik sich in demselben Maße wie wir selbst darum bemüht haben, Verständnis für solche Forderungen zu erwecken. Wir sind uns dabei völlig darüber klar, daß mit dieser Fragestellung eines der schwierigsten Probleme für die ganze westliche Welt überhaupt aufgeworfen ist. Auf der einen Seite ist es in der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Ost und West eine unabdingbare Notwendigkeit, immer wieder die Überlegenheit unseres Wirtschaftssystems gegenüber dem ausbeuterischen Staatskapitalismus zu beweisen, unter dem Hunderte von Millionen im bolschewistischen Block zur Fronarbeit gezwungen werden. Auf der anderen Seite aber erfordert der Zwang zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtsdes Schreckens materielle Opfer von der westlichen Welt, die erkennbar bereits heute die Leistungsfähigkeit einer ganzen Reihe von Völkern auf schwerste Proben stellen. In diesem Dilemma den richtigen Weg zu finden, kann nur gelingen, wenn in allen Schichten das Bewußtsein der Verantwortung vor dem Ganzen als gültiges Gesetz anerkannt wird.Wir alle wissen, daß auch in den kommenden Jahren große Aufgaben durch die gemeinsame Arbeit von Bundestag und Bundesregierung gelöst werden müssen. Es wird dabei wesentlich darauf ankommen, mit dieser Arbeit so bald wie möglich zu beginnen und nicht wieder, wie es leider in der 2. Legislaturperiode des Bundestages der Fall war, kostbare Zeit verstreichen zu lassen, um nachher in Überstürzung und Überhastung Gesetze zu verabschieden, deren Reformbedürftigkeit uns bereits bei der letzten Lesung deutlich vor Augen steht.
Ich möchte mich nun der Frage zuwenden, in welchem Umfang die Lösung der vielfältigen Aufgaben durch die organisatorischen Veränderungen innerhalb der Bundesregierung gefördert wird, wie sie der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vom 29. Oktober mitgeteilt hat. Ich darf einige grundsätzliche ,Gedanken voranstellen. Der Herr Bundeskanzler hat diesen Abschnitt seiner Erklärung mit einigen Betrachtungen über Stellung und Aufgaben eines Bundesministers eingeleitet. Wir haben nicht den Eindruck, daß damit die parlamentarische Stellung der Minister verstärkt worden ist. Nach dem Grundgesetz sollen die Minister keine Oberstaatssekretäre und keine Generalreferenten ihrer Ministerien sein, sondern in erster Linie politisch eigenverantwortliche Organe des ganzen Staates und Träger eigener Verantwortung gegenüber dem Parlament. Sie werden im politischen Sinne unmittelbar verantwortlich gemacht, wenn auch ihre Entlassung nur gegenüber dem Bundeskanzler erzwungen werden kann. Wir jedenfalls wünschen keine Schwächung der politischen Stellung der Minister, weil sonst das parlamentarische Regierungssystem und das Zusammenspiel der politischen Kräfte Schaden leiden müßte.Auch bei der Bildung des Regierungswillens darf kein Konformismus herrschen. Das würde der Suche nach dem objektiv Richtigen und dem Ringen um den besten Weg schaden. Die unübersehbare Fülle der Staatsgeschäfte stellt immer wieder die Aufgabe, das Ganze zu sehen, Zuständigkeiten zu ordnen und Doppelarbeit und Reibungen zu vermeiden. Wir wünschen daher eine Verstärkung der Stellung des Ministers gegenüber seiner Bürokratie und eine Verbesserung der Maßnahmen, die innerhalb der Regierung auf bestimmten Gebieten ein Zusammenwirken der Ressorts nach übergeordneten Gesichtspunkten ermöglichen. Vor allem aber eines, meine sehr verehrten Damen und Herren von links bis rechts: oberstes Organ in der Demokratie ist das Parlament, eine Tatsache, die in der Vergangenheit nicht immer gerade gebührende Beachtung gefunden hat.
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Es ist nicht nur uns aufgefallen, daß die Regierungserklärung kein besonderes Wort über die schon so lange geforderte und so viel erörterte Verwaltungsreform enthalten hat, — wenngleich ich zuzugeben bereit bin, daß selbstverständlich in einer solchen Erklärung nicht sämtliche uns und den Staat berührenden Probleme angesprochen werden können. Wir möchten aber mit allem Nachdruck in Erinnerung bringen, daß dieses Problem auch weiterhin der vollen Beachtung des Parlaments und der Bundesregierung wert ist und keinesfalls nur mit kleinen Kunstgriffen gelöst werden kann.
Die Grundgedanken des Freiherrn vom und zum Stein haben im Prinzip und heute noch ihre Gültigkeit nicht verloren. Seine Reform wurde von dem Ziel bestimmt, eine Zusammenfassung der Staatsorgane auf der Regierungsebene zu ermöglichen und durch die Wiederbelebung der Selbstverwaltung auf der unmittelbar mit den Menschen in Berührung stehenden Ebene der Gemeinden eine dem Ganzen dienliche Dezentralisation zu erreichen. Wir sollten den Schwerpunkt der Verwaltungsreform in einer Kräftigung der Stellung der Gemeinden erblicken,
die selbstverständlich auch entsprechende finanzielle Maßnahmen bedingt. Immer aber wird der Gedanke der Selbstverwaltung und der Abgabe von Aufgaben nach unten entscheidend sein.Nun darf ich mich noch einigen anderen Einzelheiten zuwenden. Die Deutsche Partei erwartet insbesondere von der Neubesetzung des Finanzministeriums eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschaftsminister, die in den vergangenen Jahren oftmals erkennbar zu wünschen übriggelassen hat. Ich bitte es mir nicht zu verübeln, wenn ich das hier mit aller Offenheit ausspreche; es ist ja auch kein Geheimnis. Diese Zusammenarbeit scheint uns von wesentlicher Bedeutung zu sein für das Gelingen der Steuer- und Kapitalmarktreform, über deren dringende Notwendigkeit es heute kaum noch unterschiedliche Meinungen auch in diesem Hause geben dürfte. Von dem Funktionieren dieser Zusammenarbeit hängt aber auch gleichermaßen die Erfüllung aller jener Hoffnungen ab, die dem Mittelstand — oder besser gesagt: den breiten Mittelschichten unseres Volkes — in der Erklärung vom 29. Oktober aufgezeigt worden sind. Dabei bedarf es keiner Frage, daß die Förderung der Mittelschichten nicht nur eine Angelegenheit materieller Maßnahmen ist, sondern darüber hinaus einen wichtigen Teil des Gesamtproblems der sozialen Neuordnung unseres Volkes darstellt.Besondere Beachtung verdient auch die Errichtung des neuen Bundesministeriums für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes. Meine politischen Freunde hoffen, daß gerade dieses Ministerium sich in den kommenden Jahren bemühen wird, die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers Lügen zu strafen, wonach jedes Ministerium angeblich wie ein vielarmiger Polyp ständig nach neuen Aufgaben greift. Nach den Vorstellungen der Deutschen Partei muß es das Hauptbestreben des neuen Bundesschatzministers sein, sich mit aller Energie der Aufgabe der Privatisierung großer Teile des Bundesbesitzes zuzuwenden, auch auf die Gefahr hin, daß der Aufgabenbereich seines Ministeriums auf diese Weise von Jahr zu Jahr kleiner wird.
Wir sind hier also genau entgegengesetzter Auffassung wie die Opposition. Hier muß sich insbesondere erweisen, ob die programmatischen Erklärungen gegen eine Weiterentwicklung in staatskapitalistischer Richtung mehr sind als nur beifällig aufgenommene Verzierungen des Regierungsprogramms. Es scheint der Deutschen Partei gerade in diesem Zusammenhang von wesentlicher Bedeutung, dem neugebildeten Bundesschatzministerium einen Bundestagsausschuß für das Bundesvermögen und die Bundesbeteiligungen gegenüberzustellen, um dem Parlament ausreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf alle diese Fragen zu geben.
Ich weiß, daß für dieses Vorhaben meiner politischen Freunde im Augenblick schlecht Gehör zu finden ist. Ich möchte es aber nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, und wenn es nur zu dem Zweck ist, uns selbst ein Alibi zu verschaffen, wenn etwa eines Tages festgestellt werden sollte, daß es besser gewesen wäre, wenn man einen solchen Ausschuß geschaffen hätte.Die Übertragung der Jugendfragen vom Innenministerium auf das Familienministerium ist in der Öffentlichkeit, offen gesagt, nicht mit ungeteiltem Beifall aufgenommen worden. Ich möchte dazu erklären, daß uns die ressortmäßige Verlegung weniger entscheidend erscheint als die Frage, welche Voraussetzungen noch mehr als bisher geschaffen werden können, damit die junge Generation ungehindert in Staat und Gesellschaft hineinwachsen kann. Wir verknüpfen auf jeden Fall die Hoffnung damit, daß diese Jugendpolitik des Bundes sich nicht lediglich auf eine, sagen wir einmal, Fondsverwaltung womöglich noch unter solchen Gesichtspunkten beschränkt, die im politischen Leben keine Rolle spielen sollten.Ich möchte bei dieser Gelegenheit hier eine ausdrückliche Warnung an alle jene verbinden, die unter Ausnutzung formaler, oftmals sehr anfechtbarer Satzungsbestimmungen sich selbst gegenseitig ihre demokratische Zuverlässigkeit bescheinigen, um damit an dem Aufkommen der Steuerzahler teilhaben zu können, jedoch mit oftmals nicht gerade fairen Methoden versuchen, einen Teil der übrigen Jugendverbände von der Förderung durch Steuermittel auszuschließen.Hierher gehört auch die Prüfung der Frage, wie weit wir für die Erhaltung der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und der Freude unserer Jugend mehr Möglichkeiten als bisher erschließen können, um ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Man wird
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mir entgegenhalten, dies sei Sache der Gemeinden und der Länder. Wir sollten aber in dieser Frage nicht allzu formal denken. Wir werden zumindest in der Koalition einen Weg finden können, wie wir in diesem Sinne gegebenenfalls verfahren können. Jedenfalls sollte der Bund auch den Ländern und Gemeinden eine Hilfestellung geben, wenn es sich um solche Institutionen handelt, die der Gesunderhaltung und der Ertüchtigung unserer Jugend dienen, d. h. Hallenbäder, Sportplätze, Tagesstätten usw. Ich wäre dankbar, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir hierüber einmal ein ausführliches Gespräch haben könnten.Der Herr Bundeskanzler hat bei seinen Ausführungen über die Neuorganisation der Bundesregierung nicht für sich in Anspruch genommen, auf allen Gebieten schon das Richtige getroffen zu haben, und sich vorbehalten, notfalls weitere Änderungen vorzunehmen. Ich möchte diesen Vorbehalt aufgreifen und hier die Frage aufwerfen, ob es nicht an der Zeit gewesen wäre, im Zuge der Neuorganisation der Bundesregierung dem Gedanken der Schaffung eines selbständigen Gesundheitsministeriums näherzutreten. Einmal ist das Innenministerium trotz der Abgabe der Jugendfragen auch in den kommenden Jahren mit einer Fülle von Aufgaben bedacht, die ihm eine ungewöhnliche Arbeitslast auferlegen. Zum anderen gewinnen die Fragen der Gesundheitspolitik immer größere Bedeutung. Es erscheint uns notwendig, auch diesen ganzen Komplex noch einmal einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.Das gleiche gilt für das große Gebiet von Wissenschaft und Forschung, das auch weiterhin zum Aufgabenkreis des Bundesinnenministeriums gehören wird, soweit der Bund hier überhaupt eine Initiative entfalten kann oder will. Selbstverständlich ist es unmöglich, in einer Regierungserklärung alle Lebensgebiete ihrer Bedeutung nach zu behandeln. Trotzdem darf nicht verschwiegen werden, daß es in der Öffentlichkeit ebenfalls aufgefallen ist, daß der Herr Bundeskanzler kein Wort über die uns seit langem bewegenden Probleme der Förderung von Wissenschaft und Forschung gesagt hat. Ich möchte es deswegen für die Koalition nachholen.Die Deutsche Partei, und mit ihr sicherlich die CDU/CSU, glaubt nicht, daß mit der vor einiger Zeit beschlossenen Errichtung des sogenannten Wissenschaftsrates auf diesem Gebiet bereits das letzte Wort gesprochen ist. Die vielfältigen Warnrufe der dafür zuständigen Kreise, die mit Recht darauf hinweisen, daß bislang keineswegs die erforderlichen Voraussetzungen für die Heranbildung eines technischen und wissenschaftlichen Nachwuchses gegeben sind, wie sie bei der rasant fortschreitenden Entwicklung in der ganzen Welt gefordert werden müssen, dürfen nicht länger überhört werden.
Zwar wird dies erhebliche materielle Anstrengungen kosten; sie sind aber nicht zu umgehen, wenn das deutsche Volk auch in Zukunft den immer stärker werdenden Konkurrenzkampf in der Welt bestehen will.Dazu gehört auch der Neubau von Schulen in der Bundesrepublik. Wenden Sie bitte nicht ein, daß dies Länderangelegenheit sei. Wenngleich formal der Neubau von Schulen auch Ländersache ist— was ich bedaure! —, so läßt sich doch nicht bestreiten, daß es sich vielfach noch um einen kriegsbedingten Nachholbedarf handelt, für den die Zuständigkeit, oder sagen wir wenigstens: Mitverantwortlichkeit des Bundes nicht von der Hand gewiesen werden kann.
— Eben; und jetzt wollen wir etwas tun, verehrter Herr Kollege Schoettle.
Man ist manchmal versucht, diese Tatsache als trostlos genug zu empfinden. Wenn auf diesem Gebiete — das ist die feste Überzeugung meiner politischen Freunde — nichts Entscheidendes geschieht, und zwar in allernächster Zeit geschieht, werden Leistungsabfall der Schüler und physische und psychische Überbeanspruchung unserer Schulkinder ein Ausmaß annehmen, das wir nach inzwischen gewonnenen eindeutigen medizinischen Erkenntnissen vor uns und unseren Kindern nicht verantworten können.
Ich sage dies mit allem Ernst und bin überzeugt, daß keiner von Ihnen mir in dieser Frage widersprechen kann.Ganz besonders kritisch wird die Neuabgrenzung der Geschäftsbereiche im Arbeitsministerium von uns beobachtet. Die Aufgabenerweiterung des Bundesministeriums für Arbeit auf die sogenannte soziale Neuordnung wird besonders - und das wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, meine sehr verehrten Damen und Herren — von den freien Berufen beanstandet. Ich bin überzeugt, daß die Kritik, die aus den Kreisen beispielsweise der Rechtsanwälte und Ärzte kommt, auch von den Angehörigen der Presse, der Künstlerschaft, den Professoren, Architekten und anderen freien Berufen, die nicht Angestellte oder Beamte sind, geteilt wird. Die vermutliche Absicht, die freien Berufe in Formen der sozialen Sicherung zu pressen, die ihren individuellen Bedürfnissen nicht entsprechen, wird von uns mit Sorge betrachtet. Die Veröffentlichung in einem Bonner Nachrichtendienst von gestern findet unsere volle Unterstützung. Es heißt darin mit Recht:Sehr verblüfft war man in diesen Kreisen über die Ankündigung, das frühere Sonderministerium Schäfer, das später zu einer Dienststelle für den unselbständigen Mittelstand und die freien Berufe umgestaltet wurde, ins Bundesarbeitsministerium einzubauen. Die freien Berufe haben in der Vergangenheit diese Lösung immer abgelehnt, weil nach ihrer Auffassung das Arbeitsministerium zu stark auf die Arbeitnehmerinteressen ausgerichtet ist. Der Bundesverband der freien Berufe hat fast gleichzeitig
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mit der Regierungserklärung in einer Entschließung die Beibehaltung der Dienststelle mit unmittelbarem Vortragsrecht im Kabinett und ihre Leitung durch eine aktive politische Persönlichkeit aus den freien Berufen gefordert.Bisher hat weder die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers noch irgendeine Stellungnahme des neuen Arbeitsministers deutlich gemacht, wie die Ausweitung seines Ministeriums und wie die Zielsetzung der Vertretung der Interessen der freien Berufe gedacht ist. Wir wollen jedenfalls ganz konkret dazu sagen, daß die Frage der Alterssicherung der Angehörigen der freien Berufe ernsthaft geprüft und neu durchdacht werden muß und daß ihre Einbeziehung in irgendein System der Zwangsversicherung oder Zwangsversorgung uns nicht geeignet erscheint, die Probleme derjenigen zu lösen, die sich noch zur Selbstverantwortung und Selbstvorsorge bekennen wollen, auf die die Regierungserklärung im übrigen ja so positiv hingewiesen hat.
Meine Damen und Herren! Wir erwarten, daß die Steuerreform neben den Impulsen, die sie zum Sparen und zur Kapitalbildung geben soll, besonders den Belangen der freien Berufe, individuelle Selbstvorsorge zu treffen, Rechnung tragen möge.Wir billigen die Entscheidung, daß die Fragen der wirtschaftlichen Einordnung in den europäischen Markt dem in erster Linie für das Geschick der deutschen Wirtschaft verantwortlichen Minister übertragen worden sind. Wir sind uns jedoch darüber im klaren, daß die wirtschaftliche Integration nur einen Teilbereich umfaßt und daß das gleiche Problem bei allen Ressorts auftritt, weil uns die Schaffung einer europäischen Gemeinschaft im politischen Sinne besonders am Herzen liegt. Zugleich aber sollte nicht übersehen werden, daß auch das Verhältnis von Bund und Ländern sorgfältiger Pflege bedarf, um einen Zerfall in Sonderinteressen zu verhindern und nicht an die Stelle eines freiheitlichen Bundesstaates einen auseinanderstrebenden Bürokratenföderalismus zu setzen. Wir begrüßen die Erweiterung der Aufgaben des Bundesratsministeriums, dürfen aber auch erwarten, daß dem Minister, dem die schwierige Aufgabe des Kontaktes und der Vermittlung zwischen Bund und Ländern anvertraut ist, von den übrigen Ressorts und auch von diesem Hause mit Verständnis und gutem Willen begegnet wird.Unter den Ländern muß Berlin seinen besonderen Platz haben. Es genügt uns nicht, in Berlin nur von Zeit zu Zeit repräsentative Sitzungen abzuhalten. Auch wir wünschen trotz und gerade wegen all der Schwierigkeiten, die wir selbst soeben erfahren haben, echte Arbeitssitzungen in Berlin. Berlin muß im übrigen in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht in die Bundesrepublik eingegliedert werden. Das Wahlrecht der Berliner zum Deutschen Bundestag — zeitweilig ein heißes Eisen, meine Damen und Herren — werden wir mit vielen von Ihnen in diesem Hause fordern und hoffentlich auch in nicht allzu ferner Zeit verwirklichen.Ich möchte diese Ausführungen zu den organisatorischen Veränderungen der Bundesregierung nicht abschließen ohne einen Ausdruck des Bedauerns darüber, daß der Herr Bundeskanzler dem Bundestag in seiner dritten Regierung keine Frau — oder meinetwegen auch mehrere Frauen — als Bundesminister vorgestellt hat. Die Proteste der maßgeblichen Frauenorganisationen der Bundesrepublik sind meinen Freunden durchaus verständlich. Ich meine, daß die Frauen vor allem in den hinter uns liegenden schweren Jahren und auch in den Zeiten der schwierigsten Aufbauarbeit in Bund, Ländern und Gemeinden in überreichem Maße bewiesen haben, daß auch sie sehr wohl zur Lösung wichtigster Aufgaben befähigt und imstande sind, vielleicht an mancher Stelle viel besser als manch ein Minister männlichen Geschlechts. Deshalb sollte auch diese Frage Regierung und Koalition erneut beschäftigen, wenn etwa weitere Umbildungen des Kabinetts sich als notwendig herausstellen sollten. Meine Damen und Herren, messen Sie dieser Frage keine zu geringe Bedeutung bei! Die Frauen haben nicht nur als Wählerinnen ihre Pflicht getan; sie haben als Staatsbürgerinnen im letzten Jahrzehnt unsagbare Opfer gebracht, aber auch größte Leistungen vollbracht, nicht nur beim Aufbau des Staates, sondern als Mütter, als Frauen, als mitarbeitende Ehefrauen und als berufstätige Frauen. Ohne ihre Leistung gäbe es keine gesunde Familie und auch keine wirtschaftliche Vollbeschäftigung.Ich komme zum Gebiet der Wirtschaftspolitik. Den Zielen, die die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik herausgestellt hat, können meine politischen Freunde von der Deutschen Partei um so mehr zustimmen, als hier erstmalig und in ganz besonderem Maße entscheidende Forderungen des Programms der Deutschen Partei aufgenommen worden sind, die wir bei früheren Gelegenheiten unseren Freunden von der CDU/CSU, manchmal leider vergeblich, nahezubringen versucht haben.So begrüßen wir in erster Linie die Ankündigung einer echten Steuer- und Finanzreform, die wir bereits seit Jahr und Tag als dringendste Aufgabe bezeichnet haben. Zur Finanzreform möchten wir dabei schon jetzt betonen, daß sie nicht nur die längst überfällige systematische Vereinfachung und die Beseitigung überholter Bagatellsteuern bringen muß, sondern daß vor allem zugleich eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung und auf der anderen Seite neben Bund und Ländern auch eine unmittelbare Beteiligung der Gemeinden, Kreise und Städte am Aufkommen der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftsteuer verwirklicht werden sollte.
Wenn ich dies sage, befinde ich mich in der angenehmen Gesellschaft der Herren Fraktionsvorsitzenden der CDU-Landtagsfraktionen, die gerade in diesen Tagen ähnliche Forderungen aufgestellt haben. Ich wünsche den Verhandlungen der Herren mit dem Herrn Bundesfinanzminister guten Erfolg. An der Bereitschaft zur Erfüllung gerade der beiden letztgenannten Forderungen unserer Fraktion wird sich erweisen, ob und inwieweit die Bundesregie-Schneider
rung wirklich ein Bundesstaat und ob und inwieweit Dezentralisation und demokratische Selbstverwaltung der Gemeinden bloß Lippenbekenntnis oder echtes Anliegen sind.Zur Steuerreform muß vorweg bemerkt werden, daß sie von der von uns ebenfalls seit langem als besonders dringlich bezeichneten Kapitalmarktreform überhaupt nicht getrennt werden kann. Solange im Gegensatz zu unserer Auffassung werbende Anlagen oder bleibende Vermögenswerte der öffentlichen Hand, wie z. B. Darlehen zur Förderung der Wirtschaft, der Landwirtschaft oder des Wohnungsbaues, des Außenhandels oder unterentwickelter Gebiete, Bauten aller Art, Beteiligungen usw., aus überhöhten laufenden Steuereinnahmen statt über Anleihen am Kapitalmarkt finanziert werden sollen, werden der produzierenden Wirtschaft zwangsläufig die Mittel entzogen, mit denen sie ihre notwendigen Investitionen finanzieren könnte; sie wird und muß dann auf die Preise ausweichen. Mit den überhöhten Steuerforderungen und den zusätzlich aus der gleichen Ursache heraus überhöhten Preisforderungen aber wird allen übrigen Einkommensbeziehern die Voraussetzung zum Sparen und damit zur Befruchtung eines für Wirtschaft und öffentliche Hand ausreichenden ergiebigen Kapitalmarktes in entscheidender Weise entzogen. Hier zeichnen sich deutlich die Zusammenhänge zwischen Steuer- und Kapitalmarktreform einerseits und Preisstabilität und Sparbereitschaft andererseits ab. Es gehört nach unserer Auffassung nur scheinbar Mut dazu, einen als falsch erkannten Weg der Steuerpolitik zu verlassen. Wer gerade nach den Erfahrungen der letzten acht Jahre mit vollem Recht auf die These „Nicht Monopoleigentum für einen mächtigen Staat, sondern Einzeleigentum und freie Leistungsentfaltung für alle Staatsbürger" baut, kann gar nicht zu einem anderen Ergebnis kommen als zu dem, daß derjenige Staat, der mit Gewißheit ein Mehr an Steuern und ein Mehr an Anleihen haben möchte, zunächst einmal weniger Steuern verlangen muß. Über die Einzelheiten wird in den kommenden Monaten sicherlich noch eingehend beraten werden. Ich möchte aber jetzt schon für meine politischen Freunde anmelden, daß dabei nicht nur die Einkommen- und die Körperschaftsteuer, sondern vor allem auch die Umsatzsteuer in die Reform einzubeziehen sein werden.Ich habe soeben schon darauf hingewiesen, wie sehr eine tiefgreifende Steuer- und Kapitalmarktreform die Voraussetzung für eine Stabilhaltung des Preisniveaus ist, die dann allen Angehörigen unseres Volkes, insbesondere aber den Arbeitnehmern und Rentenempfängern wie auch den Gruppen, die hoffentlich einmal wieder im Alter von eigenen Ersparnissen leben können, gewährleistet, daß jede nominelle Verbesserung ihres Einkommens zugleich eine entsprechende reale Erhöhung bedeutet. Wir haben den Mut, es offen auszusprechen: Nur wenn der Staat zuvor — und deshalb darf hier keine Zeit verlorengehen, die Lösung dieser Aufgabe muß bis spätestens Mitte nächsten Jahres feststehen — die Steuer- und Kapitalmarktreform erfolgreich durchgeführt hat, kann er von den Sozialpartnern auf die Dauer die gerade von uns immer wieder angestrebte eigenverantwortliche Beobachtung der Grenzen des volkswirtschaftlichen Produktivitätszuwachses verlangen. Es geht wirklich nicht an, von Staats wegen allen möglichen Gruppen und Institutionen, sei es dem Kohlenbergbau, der Landwirtschaft, dem Althausbesitz oder der Bundesbahn, ins Gewissen zu reden und selbst nicht bereit zu sein, die Konsequenzen in der Steuer- und Kapitalmarktpolitik zu ziehen, die erst die Basis eines Vertrauens, nämlich eine echte Stabilität für die Zukunft, schaffen. können.Diese Forderungen bedeuten allerdings nicht — das möchte ich mit aller Entschiedenheit betonen —, daß dem Appell zum Maßhalten vorderhand noch kein Gewicht beizulegen wäre. Dieser Appell darf nicht nur eine bei Tagungen und Feierstunden beifällig aufgenommene Redensart sein; er muß im Gegenteil überall dort befolgt werden, wo die realen Interessen hart aufeinanderstoßen. Das Gesamtwohl des deutschen Volkes muß stets das oberste Gesetz auch für Unternehmer und Arbeitnehmer sein. Das scheint auf den ersten Blick selbstverständlich und ist es doch offenbar in den vergangenen Jahren bei zahlreichen Gelegenheiten nicht gewesen, wobei keineswegs etwa die Schuld nur auf einer Seite zu suchen ist. Wenn die wirtschaftliche Konjunktur erhalten und gleichzeitig weitere soziale Fortschritte gemacht werden sollen, ohne daß die Kaufkraft der Einkommen, der Löhne und Gehälter gemindert wird, dann müssen wir vor allem zu einer Objektivierung der Auseinandersetzungen zwischen den sogenannten Sozialpartnern kommen.
Davon sind wir leider heute noch meilenweit entfernt, wie es scheint. Es ist unbestreitbar richtig, daß der Beschluß des Ruhrbergbaues, die Kohlenpreise zu erhöhen, die Problematik der wirtschaftspolitischen Lage der Bundesrepublik, wie ein maßgebender Unternehmer kürzlich schrieb, blitzartig hat sichtbar werden lassen.Fehler der Vergangenheit verlangen gebieterisch eine Korrektur. Zu diesen Fehlern zählt die Deutsche Partei in erster Linie das Übersehen oder Verschweigen unabweisbarer wirtschaftlicher Zusammenhänge. Der 2. Bundestag — es sei mir verstattet, das zu sagen — hat gerade in den letzten Monaten seiner Tätigkeit auf diesem Gebiete oftmals Erhebliches geleistet.Es ist klar, daß soziale Fortschritte, die über den Produktivitätszuwachs hinausgehen, ihren Niederschlag in Preiserhöhungen finden müssen. Diese werden um so fühlbarer und unangenehmer sein, je länger man sie durch politische Maßnahmen hinausschiebt. Es ist aber ebenso klar, daß auch manche Preiserhöhungen in der vergangenen Zeit nur in einer Ausnützung der guten Konjunktur begründet waren. Dabei haben die Sozialpartner mehr als einmal zum Schaden des Gesamtwohls einträchtig Hand in Hand gearbeitet. Sie geben sich aber einer Täuschung hin, wenn sie glauben, auf die Dauer den Folgen einer derartigen wirtschaftlichen
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Unvernunft entgehen zu können. Nicht umsonst wird heute schon wieder bei zahlreichen Gelegenheiten in der Öffentlichkeit der Gedanke einer Zwangsschiedsgerichtsbarkeit erörtert, vorläufig noch unter negativen Vorzeichen, aber immerhin, das Thema ist aufgeworfen.
Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen werden dann sinnlos und wirken dann sogar unsozial, wenn sie über Preiserhöhungen von der gesamten Verbraucherschaft bezahlt werden müssen. Preiserhöhungen andererseits verlieren sehr schnell ihren Reiz, wenn ihnen neue Lohnforderungen folgen und am Ende eine nachhaltige Schwächung der Kaufkraft unserer gesamten Währung steht.Diese Zusammenhänge sollten allen Einsichtigen seit Jahren klar sein. Trotzdem stößt die Forderung nach einer Versachlichung der Auseinandersetzungen zwischen den Sozialpartnern gerade beim Deutschen Gewerkschaftsbund immer wieder auf erbitterten Widerstand. Die Deutsche Partei kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich hinter diesem Widerstand noch immer die Absicht verbirgt, mit Hilfe der Tarifpolitik gesellschaftspolitische Veränderungen herbeizuführen.
Auf der anderen Seite muß bei dieser Gelegenheit gleichfalls ausgesprochen werden, daß die Art der Verhandlungsführung des Ruhrbergbaus mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister in den vergangenen Wochen natürlich auch nicht dazu angetan war, das Vertrauen in die Versprechungen der Arbeitgeberseite zu einer Versachlichung der wirtschaftlichen Auseinandersetzungen zu verstärken. Auch dies darf wohl offen ausgesprochen werden. Beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sollten die Mahnung nicht überhören, daß die Freiheit der Sozialpartner ihre Begrenzung durch das Allgemeinwohl finden muß. Wer grundsätzlich diese Freiheit für sich erhalten will, soll das Unbehagen der Allgemeinheit gegenüber mancher Entwicklung der letzten Jahre nicht mißachten.Ich betone ausdrücklich, daß diese Worte keinesfalls einseitig gemeint sind. Um selbst diesem Vorwurf der Einseitigkeit zu entgehen, möchte ich außerdem hinzufügen, daß das Bild der wirtschaftspolitischen Entwicklung nicht richtig gezeichnet wird, wenn in diesem Zusammenhang immer nur von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, also der eigentlich produzierenden Wirtschaft, die Rede ist, nicht aber vom Handel in seinen vielfältigen Formen. Manches Manipulieren mit den Handelsspannen hat der wirtschaftlichen Entwicklung vielleicht noch mehr geschadet als der unbedachte Egoismus dei Sozialpartner in der erzeugenden Wirtschaft. Hiermit erhebe ich keinen generellen Vorwurf gegen den Handelsstand schlechthin. Denn gerade der überwiegende Teil der Anständigen des handeltreibenden Gewerbes wendet sich seit eh und je gegen jene, die die Konjunktur in unanständiger und unangebrachter Weise auszunutzen versuchen.Meine Damen und Herren! Die große Mehrheit der Wähler, die am 15. September die Politik der zweiten Bundesregierung bestätigt hat, hat das getan in der Hoffnung auf eine stetige wirtschaftliche Weiterentwicklung. Diese Hoffnungen nicht zu enttäuschen, ist eine Verpflichtung für die neue Regierung, der sie sich jederzeit erinnern sollte, wenn es darum geht, das Wohl der Gesamtheit vor den Ansprüchen einzelner Gruppen, ganz gleich welcher Art, zu sichern.Ich scheue mich auch nicht, mich im Anschluß gerade an diese Ausführungen den Problemen der deutschen Landwirtschaft kurz zuzuwenden. Denn mit allem Recht hat der Herr Bundeskanzler — und ich möchte das namens der DP ausdrücklich unterstreichen — die Landwirtschaft in einen allgemeinen staatspolitischen Zusammenhang gestellt. Nur so kann man nach unserer Auffassung diesen Fragen heute und auch in Zukunft gerecht werden. Guter Rat zur Agrarpolitik, so meint der Herr Bundeskanzler, sei willkommen. Wir glauben als Koalitionspartner solchen Rat am besten anbringen zu können. Wenn von den wirtschaftlichen Sorgen der Landwirtschaft gesprochen wird, muß nach Auffassung meiner politischen Freunde zugleich eindeutig klargestellt werden, daß die Landwirtschaft vor allem dadurch in die Lage gekommen ist, Staatshilfen in Anspruch nehmen zu müssen, weil ihr seit Jahren politisch und sozial kalkulierte Preise zugemutet wurden — ich glaube, das ist eine Erkenntnis, die sich auch anderweitig durchgesetzt hat —, während sich auf der anderen Seite ihre Unkosten, und hier in besonderem Maße die Lohn- und Soziallasten, nach der dynamischen Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft richteten. Ganz abgesehen von ihrer naturbedingten Sonderstellung ist die Rentabilität auch bei der Masse gut geleiteter Betriebe, die zwar zum größten Teil noch Nachholbedürfnisse haben, aber keine Strukturmängel aufweisen, zwangsläufig verlorengegangen und die Entlohnung der Arbeitskräfte gegenüber vergleichbaren Wirtschaftsbereichen in ein krasses Mißverhältnis geraten.Die Deutsche Partei ist der Auffassung, daß das Ziel des Landwirtschaftsgesetzes, der sogenannten Grünen Pläne, und ich möchte hinzufügen: auch der Marktordnungsgesetze konsequenter verfolgt werden muß als bisher. Die Maßnahmen der bisherigen Grünen Pläne wie auch die jeweilige Handhabung der Marktordnungsgesetze waren in der Vergangenheit nicht immer wirksam genug, so daß sich der Abstand der Landwirtschaft zum Gewerbe trotz Landwirtschaftsgesetz weiter vergrößerte und die Rentabilität bis heute nicht hergestellt werden konnte. Wenn also das Ziel erreicht werden soll, daß das Dorf und seine dort geborenen, in der Landwirtschaft tätigen Menschen aus staats- und volkspolitischen Gründen erhalten bleiben sollen, bedarf es zusätzlicher und wesentlich verstärkter Maßnahmen. Die DP möchte daher unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß sie heute wie in der Vergangenheit der Auffassung ist, daß die von der Landwirtschaft selbst nicht verschuldete Zwangslage, in die sie durch Vorenthaltung kostengerechter Preiskalkulationen geraten ist, keinesfalls mit unzureichenden Subventionen behoben werden
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kann, sondern nur dadurch, daß ihre Preise und Löhne der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden und bleiben.
Dies dürfte um so leichter sein, je mehr es gelingt, die bisherige Dynamik der Preis- und Lohnentwicklung in den konjunkturbegünstigten Bereichen zu dämpfen. Wird dieser Weg nicht energisch beschritten, so ist es sicher, daß die Gefahr, daß die Dörfer zunehmend menschenleer werden und die Zusammenballung der Bevölkerung in den Städten weiter anhält, nicht gebannt werden kann. Im übrigen brauche ich mich über die mannigfachen Gefahren einer solchen Landflucht hier nicht näher auszulassen. Sie rütteln jedenfalls an den Fundamenten unseres Staates.Im Zusammenhang mit den Problemen, die, wie gesagt, weit über den Bereich der sogenannten Ernährungspolitik hinausreichen, möchte ich mir gestatten, noch einige Worte wenigstens zu dem großen Gebiet eines andern Zweiges der Volkswirtschaft zu sagen: der Fischwirtschaft, der bislang wenigstens organisatorisch mit der Landwirtschaft zusammenhing. Dieser große Wirtschaftszweig ist soeben Gegenstand einer sehr sorgfältigen Untersuchung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gewesen. Die zum Teil besorgniserregenden Untersuchungsergebnisse werden in Kürze das Hohe Haus und den Haushaltsausschuß beschäftigen. Ich will diesen Beratungen nicht vorgreifen. Aber meine Freunde und ich möchten betonen, daß wir der Regierung und besonders dem zuständigen Ressortminister dringend nahelegen, schon jetzt in den Haushaltsentwurf für 1958 jene Mittel für die Förderung des Strukturprogramms der Hochseefischerei einzusetzen, die schon am Ende der vergangenen Legislaturperiode Gegenstand unserer Beratungen war. Die Umstellung der deutschen Fischereiflotte — das möchte ich besonders nachdrücklich den Kollegen sagen, die mit diesen Problemen nicht so verbunden sind — auf Fang mit Fabrikschiffen, die Rationalisierung und Beschleunigung des Umschlags der Fänge, die Modernisierung der Verteilung der Fänge und ihre Verarbeitung erfordern Mittel, die weit über die Kraft dieses Wirtschaftszweiges hinausgehen. Eine ausreichende Hilfestellung des Bundes erscheint im Interesse der Volkswirtschaft und der Volksernährung nicht nur gerechtfertigt, sondern unerläßlich. Diese Maßnahmen müssen schnell und ausreichend sein, wenn die deutsche Fischwirtschaft im Gemeinsamen Markt und in der Freihandelszone ihre Existenz behaupten soll. Ich möchte nicht versäumen, in diesem Zusammenhang auf die hervorragende Unterstützung hinzuweisen, die andere europäische Nationen ihren Hochseefischereien gewähren, einmal in der Erkenntnis der Wichtigkeit dieses Zweiges der Ernährungswirtschaft, zum andern zur Herstellung der Konkurrenzfähigkeit dieses schweren, von Wind und Wetter abhängigen Gewerbes.Meine politischen Freunde und ich wünschen auch die Neukonstituierung des Unterausschusses Fischwirtschaft im Rahmen des Ernährungsausschusses, der in der ersten Legislaturperiode des Bundestagesso ausgezeichnet gearbeitet hatte. Ich trete der Landwirtschaft nicht zu nahe, wenn ich gleichzeitig hinzufüge, daß es notwendig ist, bei den vielfältigen und anders gelagerten Problemen der Hochseefischerei aus dem Schatten der Landwirtschaft herauszukommen.Nun einige Ausführungen zu den Fragen, die der Herr Bundeskanzler in bezug auf den Verkehr gemacht hat. Wir freuen uns, daß die Verkehrsfragen in der Regierungserklärung einen breiteren Raum gefunden haben. Die darin entwickelten Leitsätze zur Verkehrspolitik werden von uns bejaht. Das gilt nicht nur für die Fortsetzung der Bemühungen um die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger, sondern auch für die Bestrebungen, zu einer zweckmäßigeren Arbeitsteilung und Zusammenarbeit unter ihnen zu kommen. Die Absicht der Bundesregierung, die Deutsche Bundesbahn von Subventionen unabhängiger zu machen, findet unsere volle Zustimmung und, ich hoffe, auch die unseres Kollegen Vogel. Jede Verzögerung dieser Maßnahmen läuft auf eine Ausweitung unseres Haushaltsvolumens hinaus und behindert dringend notwendige Investitionen auf anderen Gebieten des Verkehrssektors. Ich denke hier nicht nur an die vordringliche Aufstockung der Straßenbaumittel des Bundes, die unbedingt schon zu Beginn dieser Legislaturperiode erfolgen muß. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung in ihrer Erklärung den schon in der letzten Legislaturperiode vorgelegten Ausbauplan für die Bundesfernstraßen zum Bestandteil der Regierungspolitik gemacht hat, und wir wollen daraus den optimistischen Schluß ziehen, sehr verehrter Herr Finanzminister, daß Sie gewillt sind, die erforderlichen Straßenbaumittel zu beschaffen und rechtzeitig bereitzustellen. Denn auch an letzterem hat es in den vergangenen Jahren oftmals gehapert. Eine teilweise Umlenkung der bisher für die Bundesbahn erforderlichen Subventionen in den Straßenbau sollte nach der Anhebung der Bundesbahnentgelte ohne Schwierigkeiten möglich sein. Das Hohe Haus und der Bundesfinanzminister sollten aber auch bestrebt sein, die Straßenbaufinanzierung nicht nur für das nächste Haushaltsjahr sicherzustellen, sondern schon bei den kommenden Haushaltsberatungen verbindliche Beschlüsse auch über die Straßenbaufinanzierung für den ganzen Vierjahresabschnitt dieser Legislaturperiode zu fassen.Die Regierungserklärung hat die Sorgen und Probleme der Seehäfen, der Seeschiffahrt, der Binnenschiffahrt und der zivilen Luftfahrt nur gestreift, aber dabei betont, daß der Bund ihre Anpassung an die Entwicklung des modernen Verkehrs unterstützen werde. Es handelt sich um Verkehrsbereiche, die auch schon in den vergangenen Jahren durch den Bundesverkehrsminister Seebohm eine wirksame und sichtbare Unterstützung erfahren haben. Aber mit der Bildung des Gemeinsamen Marktes und den Veränderungen in der internationalen Verkehrswirtschaft entstehen hier wieder neue große Probleme, die vom Bau deutscher Spezialhäfen für bestimmte Massenguttransporte über den Ausbau der Seewasserstraßen und den Ausbau des Rheins
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bis zur Mitfinanzierung des Fahrgastschiffbaus und den Problemen des zivilen Luftverkehrs reichen.Das Hohe Haus und die Regierung werden in dieser Legislaturperiode dem Verkehr bzw. der Verkehrspolitik noch mehr Beachtung schenken müssen, als es bisher der Fall war. Das gilt besonders auch für den Herrn Bundesminister der Finanzen und den Herrn Vorsitzenden des Wirtschaftskabinetts, in deren Hand es weitgehend gegeben ist, ob diese Aufgaben und Probleme ohne Verzögerung und mit der erforderlichen, auf die Zuwachsrate des Verkehrs abgestellten Großzügigkeit gelöst werden können.Der Regierungschef hat darüber hinaus in seiner Erklärung die Fortsetzung der Sozialreform angekündigt. Es ist das besondere Anliegen der Deutschen Partei, daß die Neuordnung in allen Bereichen des sozialen Lebens — das gilt also nicht nur für die Versicherungen, für die Versorgungseinrichtungen und für die öffentliche Fürsorge, sondern auch für den Wohnungsbau und die Eigentumsbildung — so erfolgt, daß die Grundsätze der Wirtschafts-, der Sozial- und der Finanzpolitik mehr als bisher aufeinander abgestimmt werden. Wir sollten in der Sozialgesetzgebung weniger, aber bessere Gesetze machen und vor allem solche Mängel, wie sie das mit Recht umstrittene Kindergeldgesetz, das Gesetz über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und wie sie auch die Rentenreform enthält, mutig reparieren, ehe wir an die weitere Neuordnung herangehen.Meine Damen und Herren, die erfreuliche Mehrung des Wohlstandes in unserem Volk darf nicht dazu führen, daß bei immer mehr Wohlstand der Kreis der Hilfs- und Schutzbedürftigen größer wird, sondern muß dazu führen, daß die Zahl derjenigen, die zu Selbsthilfe und Selbstverantwortung bereit und in der Lage sind, sich dauernd mehrt.
Ein sozial verpflichteter Staat, zu dem wir uns bekennen, darf nicht die Funktion eines sozialistischen Verteilungsstaats übernehmen. Gegenüber allen Forderungen auch seitens der Gewerkschaften muß immer wieder auf die Mitverantwortung der modernen Gewerkschaften als Glieder und Stütze der Demokratie hingewiesen werden, wenn die soziale Autonomie erhalten bleiben soll. In einer wahren Demokratie ist der Zwang das schlechteste Mittel zum Ausgleich der sozialen Beziehungen.Der 3. Bundestag steht nun vor der ernsten Frage, ob die vom 2. Bundestag beschlossenen Belastungen für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Verbraucher noch Erweiterungen vertragen, ohne das Preisniveau ernstlich zu gefährden. Viele Forderungen, die im Wahlkampf erhoben worden sind, erwecken im Volke die Vorstellung, als gäbe es eine unbegrenzte Möglichkeit für die Fortsetzung der sozialen Leistungen. Wir warnen davor, daß scheinbar soziale Wohltaten denen, für die sie bestimmt sind, dadurch fortgenommen werden, daß sie durch gleichzeitige Preiserhöhungen unsoziale Wirkungen haben müssen. Wir werden unsere ganze Kraft daransetzen, daß bei der Fortsetzung der sozialen Reformen vor allem an diejenigen gedacht wird — und hier hoffen wir uns mit Ihnen in einem Boot —, die auch heute noch der Hilfe des Staates und der Gemeinschaft bedürfen und denen der Staat nicht mit einer Hand nehmen darf, was er ihnen mit der anderen gibt. Wir werden aber vor allem diejenigen nicht vergessen, die die Steuern aufbringen müssen und deren Einkommen heute schon durch hohe Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in ihrem realen Werte gemindert sind. Vereinfacht heißt das, daß wir die Hilfe des Staates mehr als bisher auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren möchten.Meine Damen und Herren, die Zukunft kann nicht gestaltet werden ohne die Mitarbeit, ohne das Vertrauen der Jugend und der Frauen. Ihre Anliegen auch bei den sozialen Reformen dürfen von uns allen, gleichviel wo wir in diesem Hause sitzen, nie vergessen werden. Bei allen Gesetzen wollen wir aber auch — das sei mir gestattet zu sagen — unsere Brüder und Schwestern in der sowjetisch besetzten Zone nicht vergessen.Nun lassen Sie mich zum Schluß kommen. Zu den uns bewegenden Fragen der Außenpolitik möchte ich namens der Deutschen Partei wie folgt Stellung nehmen. Ich möchte voranstellen, daß die wichtigste Frage unserer nationalen Existenz die Wiederherstellung eines Staates für das ganze deutsche Volk ist. Wichtig ist auch eine Neuordnung in Europa, die die Gefahren einer nationalstaatlichen Zersplitterung durch die Bildung einer umfassenden politischen Einheit ganz Europas beseitigt. Wir denken nicht daran, uns durch die vielfältigen Rückschläge in den letzten Jahren entmutigen zu lassen; denn insgesamt gesehen kann nicht bestritten werden, daß diese Einheit Europas bereits viel mehr verwirklicht ist, als manche Politiker des In- und Auslands es wahrhaben wollen. Diese Neuordnung Europas ist eingebettet in das Problem der Entspannung zwischen Ost und West, um einen dauerhaften und wirklichen Frieden in der Welt wiederherzustellen, der auf der Grundlage der Zusammenarbeit aller Völker und der Freiheit ihrer Selbstbestimmung beruhen muß. Hierbei nehme ich die osteuropäischen Staaten nicht aus. Die Fraktion der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß die Voraussetzung für das Erreichen dieser Ziele des Friedens und der Freiheit in der politischen, wirtschaftlichen, aber auch militärischen Verstärkung der Wirksamkeit des westlichen Bündnissystems liegt.Entscheidend ist, daß das atlantische Bündnis und als dessen wesentlicher Teil die Union Westeuropas zu einem nicht nur militärisch und wirtschaftlich unangreifbaren Machtblock ausgestaltet wird, sondern daß hier eine politische Einheit entsteht, die ein gemeinsames Wirken nach außen ermöglicht und in dem aggressiven Ostblock, d. h. praktisch in der Sowjetunion, das Bedürfnis erweckt, eines Tages doch ein tatsächliches Interesse an der Verständigung zu gewinnen, ein Interesse, das sich nicht nur von dem Wunsche leiten läßt, den Westen uneins zu machen und zu schwächen, um den unrechtmäßigen Besitzstand in Europa zu behalten oder zu vermehren.
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Die Fraktion der Deutschen Partei ist aber auch der Auffassung, daß die Bemühungen um die Völker und Staaten, die nicht dem westlichen oder östlichen Block angehören, nun auch seitens der deutschen Außenpolitik verstärkt werden müssen. Wir müssen die moralischen Kräfte in der Welt mobilisieren, um bei der Wiederherstellung der Einheit unseres Staates in Freiheit und Frieden weitere Unterstützung zu finden.
Im übrigen hat die Wiederherstellung der Einheit unseres Staates in Freiheit einen internationalen und einen nationalen Aspekt. International gesehen hängt die Einheit davon ab, daß West und Ost ihr zustimmen und daß das Verfahren der Wiedervereinigung Deutschlands unter freiheitlichen Formen und Garantien erfolgen kann. Es geht, wie ich schon sagte, um die Rückgewinnung der Selbstbestimmung unseres Volkes, eines Rechtes, das in der Charta der Vereinten Nationen ausdrücklich statuiert und von allen beteiligten Nationen anerkannt ist. Wer wollte bestreiten, daß der Westen uns dieses Recht auf Selbstbestimmung zugestanden hat? Leider verweigert es uns die Sowjetunion nach wie vor. Das bisherige Verhalten Moskaus läßt zur Zeit auch kein Einlenken erkennen. Das darf uns aber nicht entmutigen. Was kann die Sowjetunion veranlassen, uns das Recht auf Selbstbestimmung wiederzugeben? Das ist die Grundfrage der Ostpolitik der Bundesrepublik.Wir wünschen die Aktivierung dieser Ostpolitik, weil wir darin einen besonders wichtigen deutschen Beitrag zur gemeinsamen Politik des Westens sehen. Aber was haben wir zu tun, wenn dieser Begriff der Aktivierung kein Schlagwort bleiben soll? Jedenfalls heißt Aktivierung der Ostpolitik in unserer Sicht nicht die Übernahme der sogenannten sozialen Errungenschaften der Zone und nicht die Anerkennung der Marionettenregierung von Pankow, deren Rechtmäßigkeit wir verneinen, und nicht die Zustimmung zu einer deutschen Konföderation, solange die Zone als souveräner Staat betrachtet wird und solange dort kommunistische Machthaber gegen den Willen des Volkes am Ruder sind.Aktivierung der Ostpolitik heißt in unserer Sicht Wachsamkeit gegenüber jeder Drohung oder Verlockung, vor allem aber auch Verständigungsbereitschaft, wenn unsere Grundbedingung erfüllt wird, dem deutschen Volk das Recht auf Selbstbestimmung zurückzugeben, das Recht, es seine Wirtschaft, seine Gesellschaft, seine Kultur und seine Politik nach eigenem, freiem demokratischem Willen ordnen zu lassen. Unter Verständigungsbereitschaft verstehen wir Verhandlungen über ein Sicherheitssystem in Europa, das wirklich Sicherheit bietet und das so gestaltet ist, daß es mit den Sicherheitsvorstellungen der anderen Mächte übereinstimmt.Die bisherigen ostpolitischen Spekulationen aller politischen Parteien beruhten auf der Annahme, daß gewisse Auflockerungstendenzen in Osteuropa gegeben seien. Moskau scheint es aber gelungen zu sein, Osteuropa wieder fest an den Ostblock zu ketten. Damit fiele zwar eine wichtige Voraussetzung für eine aktive, entspannende und die Einheit Deutschlands in Freiheit fördernde Ostpolitik; wir dürfen uns aber dennoch nicht entmutigen lassen, sondern müssen durch Vermittlung der nicht in den Blöcken gebundenen dritten Staaten unseren Willen, ein besseres Verhältnis guter Nachbarschaft gegenüber Moskau und Osteuropa herzustellen, eine neue Chance erschließen.Ich glaube überhaupt, daß der Schlüssel zu einer aktiveren Ostpolitik in der Herstellung normalerer Beziehungen zu Moskau selbst liegt. Wir sollten nicht von vornherein mit den Achseln zucken und stets nur mißtrauisch sein. Meine Freunde und ich sind unverdächtig, aufgeweicht zu sein. Aber reden muß man mit den Leuten drüben! Meine Fraktion wird nicht nachlassen, die Regierung in dieser Frage zu drängen. Deswegen brauchen wir nicht bereit zu sein, reale Sicherheiten zugunsten blasser Illusionen zu opfern, und auch nicht bereit zu sein, unser Recht auf freiheitliche Selbstbestimmung Kompromissen zu opfern, die uns für immer der Freiheit berauben würden. Wenn wir aber wirklich der Überzeugung sind, die bessere Sache zu vertreten — und ich glaube, wir sind es alle, meine Damen und Herren —, dann sollten wir auch den Mut aufbringen, jene Gespräche zu führen, die eventuell das Klima verbessern und uns auch von dem Vorwurf befreien könnten, nichts für ein besseres Verhältnis mit den Staaten des Ostens getan zu haben.Außerdem muß man, um eine gute Außenpolitik betreiben zu können, auch über entsprechende Informationsmöglichkeiten verfügen. Wie sollen wir zu diesen gelangen, wenn nicht durch entsprechende Kontakte zu den Staaten, deren Meinungen und Auffassungen wir ergründen wollen? Ich habe mich für meine Fraktion auch zum Sprecher dieser Forderung gemacht, weil wir nichts zu fürchten, sondern im Gegenteil wahrscheinlich etwas zu gewinnen haben.Wenn allerdings, wie im Falle Jugoslawien, unsere Bereitschaft zu freundlichen Beziehungen mit ausgesprochenen Unfreundlichkeiten honoriert wird, dann sollten wir auch nicht zögern, ohne Überheblichkeit, aber mit Bestimmtheit die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Die Reaktion in Belgrad hat im übrigen die Richtigkeit des Schrittes unserer Regierung bestätigt. Ich muß von dieser Stelle aus dem bremischen Bürgermeister Kaisen nachdrücklich widersprechen, der seine Kritik am Vorgehen der Bundesregierung im Falle Jugoslawien unter anderem damit unterstreicht, daß er sagt, die Bundesregierung müsse sich stets bewußt sein, daß sie als Treuhänder auch der Deutschen in der Sowjetzone zu handeln habe. Gerade aus diesem Grunde und aus diesem Bewußtsein haben auch meine politischen Freunde dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen ihre Zustimmung gegeben, weil wir es nicht zulassen können, daß in der Welt und erst recht nicht bei den Deutschen in der Sowjetzone der Eindruck entsteht, als hätte man sie abgeschrieben und als stünde der Anerkennung eines zweiten deutschen Staates fürderhin nichts mehr im Wege.
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Es wird sich noch zeigen, ob die deutsche Ostpolitik durch dieses Experiment, dessen Nachwirkungen unabsehbar sind, auf eine schiefe Ebene geraten ist, wie Kaisen es vor dem Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates behauptet hat. Die Reaktion Jugoslawiens auf den deutschen Schritt läßt jedenfalls bisher genau das Gegenteil erkennen, obwohl die Frage nach dem weiteren Schicksal der wirtschaftlichen Beziehungen zu Jugoslawien durch die Bundesregierung noch nicht einmal endgültig entschieden ist.Die wichtigste Grundlage der Einheit unseres Vaterlandes in Freiheit ist das unzerstörte Bewußtsein der Zusammengehörigkeit unseres Volkes als geschichtliche Nation. Dieses Bewußtsein dürfen wir nicht auslöschen lassen. Gesamtdeutsche Innenpolitik ist daher Pflege dieses Bewußtseins durch individuelle Kontakte. Doch sollten wir auch die übrigen sogenannten technischen oder organisierten Kontakte nicht ohne weiteres und von vornherein ablehnen. Zwar werden die kommunistischen Machthaber in der Zone diese Kontakte für ihre Spitzeldienste, menschliche Korrumpierung, polizeilichen Druck und auch zum Schein falscher Legitimität ihrer Herrschaft mißbrauchen. Aber da wir die bessere Sache zu vertreten haben, werden wir sicherlich sehr bald feststellen, daß wir den Funktionären drüben mit unserem Wunsch nach Kontakten mit unseren deutschen Menschen jenseits der Elbe lästig werden, wie es im übrigen verschiedene Ereignisse der letzten Zeit, insonderheit der Evangelische Kirchentag, gezeigt haben. Wir müssen auch in diesen Fragen aus der Defensive herauskommen und eine Aktivität entfalten.Noch eines! Für uns wird das Ziel der Einheit in Freiheit nicht durch die Oder oder die Görlitzer Neiße begrenzt. Wir denken nicht an Verzicht, denn das Recht auf die angestammte Heimat ist unantastbar. Dies alles bedeutet nicht eine Politik der Stärke, sondern eine Politik der Selbstbehauptung. Mit Festigkeit im Grundsätzlichen und mehr Geschmeidigkeit und Anpassungsfähigkeit im Handeln, als wir es in der Vergangenheit manchmal bewiesen haben, werden wir unser gestecktes Ziel schließlich doch erreichen. Wir gehen jedenfalls mit Mut und Selbstvertrauen an die vor uns liegenden Aufgaben heran und wissen, daß wir sie so meistern werden, wie wir sie gemeinsam mit Ihnen in den letzten acht Jahren auch gemeistert haben. Wir gehen an diese Aufgaben heran angesichts des Gewissens unseres Volkes und in der Verantwortung vor einem Höheren, der schützend seine Hand auch über uns hält. Wir hoffen, daß es der neuen Bundesregierung gelingt, in dieser unruhigen und durch Spannungen gefährdeten Welt das Gewicht des deutschen Volkes als einen Faktor der politischen Stabilität in die Waagschale des Geschehens zu legen. Dazu ist Ruhe und Gelassenheit notwendig. Überbürdete Geschäftigkeit und der Hang zum Perfektionismus gehen an der wesentlichen Aufgabe vorbei, ein Vertrauen zu begründen, das allein die Fähigkeit gibt, auch Krisen zu überdauern und Stürme zu überstehen. Unserer Bevölkerung in der Bundesrepublik aber möchte ich namens meinerpolitischen Freunde zurufen, sich zum Maßstab ihrer eigenen Zufriedenheit und Unzufriedenheit stets die Verhältnisse zu nehmen, unter denen 18 Millionen Deutsche in der sowjetisch besetzten Zone zu leben gezwungen sind.
Meine Damen und Herren, ich habe einen Glückwunsch nachzuholen, meinen und des Hauses Glückwunsch zum heutigen 65. Geburtstag des Abgeordneten Schröter .
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe es viel schwieriger als meine Herren Vorredner, und zwar deswegen, weil die beiden in etwa getrennt marschierenden Oppositionsvertreter eine Fülle von Argumenten hier vorgetragen haben, — durchaus nicht neu und längst gehört; ich kann mich gut erinnern, daß sie in den letzten vier Jahren wiederholt aufgetaucht sind. Ich muß mich mit diesen Argumenten befassen, kann aber nicht ein Konzept vortragen, wie es bisher geschehen ist, sondern ich muß mich geschäftsordnungsmäßig verhalten, d. h. aus dem Stegreif sprechen.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat erklärt, daß ihm die Regierungsbildung zu lange gedauert habe. Ich möchte wissen, was er gesagt hätte, wenn die Regierung von heute auf morgen, wie aus der Pistole geschossen, gekommen wäre! Dann hätte es geheißen: einsame Beschlüsse, autoritäres Führungssystem usw. Nun ist wochenlang verhandelt worden. Auch wir waren an den Verhandlungen beteiligt. Ich weiß nicht, Herr Ollenhauer, ob Sie die CSU, die vielleicht den größten zeitlichen Anteil an diesen Besprechungen hatte, auch als Interessentenverband ansprechen, der einen Wechsel vorweist. Wir haben unsere politischen Ansichten vertreten. Das Ergebnis kennen wir; wir sind nicht ganz damit zufrieden, aber immerhin,
wir achten die Verfassung, die dem Bundeskanzler das Recht gibt, seine Männer selber auszuwählen, so sehr, daß wir das respektieren; die Entscheidung ist gefallen.In diesem Zusammenhang vielleicht noch etwas! Der Herr Kollege Ollenhauer hat die Verdienste, die Leistungen und die Persönlichkeit des Herrn Ministers Schäffer herausgehoben und wenig später, bei der Frage der Besetzung des Justizministeriums erklärt, das sei ein Altersheim für weiß Gott ausgediente Minister. Vorher: sehr tüchtig, fähig, eine Persönlichkeit — kurz darauf das Wort vom Altersheim; das paßt nicht ganz zusammen.
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78 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
HöcherlMeine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist unser aller Pflicht — und Herr Kollege Ollenhauer hat es in vorbildlicher Weise getan —, die Leistung des Finanzministers Schäffer als eine historische Leistung in der deutschen Finanzpolitik anzuerkennen.
Er hat die Fundamente gelegt, und deswegen waren wir von der CSU der Meinung, er solle diese Position erneut besetzen. Die verfassungsmäßigen Rechte des Bundeskanzlers sind bekannt. Seine Entscheidung ist anders ausgefallen. Aber es gibt gar keinen Zweifel, daß ein Mann, der ein solches historisches Verdienst aufzuweisen hat, ein Mann, der ausbildungsmäßig aus der Justiz kommt, der 40 Jahre lang dem öffentlichen Wohl gedient hat und sich als ein hervorragender Kopf bewährt hat, bei den schwierigen Aufgaben, die im Justizsektor gerade jetzt anfallen, Leistungen hervorbringen und zeigen wird, wie sie von dem Namen Schäffer einfach nicht wegzudenken sind.
Dann kamen die geheimnisvollen Andeutungen von „Wechsel einlösen", „Wechsel vorweisen" und „Druck der Interessentenvertretungen". Das gehört alles, so möchte ich sagen, zum Journalistendeutsch in diesen Dingen. Solche Dinge darf man nicht behaupten, wenn man hier nicht mit Nennung von Namen und Umständen sagen kann: So und so ist es gewesen. Dazu sind diese Vorwürfe zu ernst.Wahlkampffinanzierung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben alle zusammen den Wahlkampf bestanden, und wir sind mit dem Ergebnis recht zufrieden.
Wenn ich mich nun an den eigenen Wahlkampf erinnere, dann muß ich sagen: Erstens hat die Opposition früher begonnen. Zweitens, wo wir ein Plakat hatten, hatte die Opposition zwei, wo wir einen Zweifarbendruck hatten, hatte die Opposition einen Vierfarbendruck. Die Führung, der Generalstab hat sich bei uns auf der Schiene bewegt, bei der Opposition ist er in den Lüften geschwebt!Im übrigen weiß ich ungefähr, was Plakate und was alle diese Dinge kosten. Bei uns sind sie bestimmt nicht teurer als bei der SPD. Irgendwoher muß also auch bei der SPD der Wahlkampf finanziert worden sein. Da der Umfang der Wahlpropaganda bei der SPD ungefähr genauso groß war wie bei uns, wäre ich sehr dankbar, wenn ich die Quelle erfahren könnte.Hier war von dem Wahlgesetz die Rede, das auch dem Herrn Becker sehr wenig gefallen hat. Wir haben kein Wort von einem Wahlgesetz gesprochen. Ich meine, ein Wahlgesetz kann gar nicht so schlecht sein, daß wir mit einer guten Politik, wie wir sie betrieben haben, nicht Erfolg hätten.
Herr Kollege Ollenhauer, Sie dürfen sich darauf verlassen, daß von uns aus dieser Gedanke nicht aufgegriffen werden wird.Im übrigen haben wir in Bayern ganz besonders gut abgeschnitten. Wir haben 57 % aller Stimmen errungen und einige Hochburgen eingenommen, die zum klassischen Bestand der SPD gehörten, wie Fürth, Hof, Nürnberg usw., um nur einige zu nennen. Daß das schmerzt, verstehe ich.Herr Kollege Ollenhauer, als heute die ersten Sätze von Ihnen kamen, waren diese so sanft, daß ich der Überzeugung war, der Umdenkungsprozeß, den ich etwa mit dem Namen Wönner ansprechen darf, würde vielleicht auch hier Platz greifen. Ich will aber nicht mehr darüber sagen, damit nicht irgendein zartes Pflänzchen der Erkenntnis, das emporkommen könnte, dadurch abgeschreckt oder mit Reif befallen wird.Es konnte gar nicht ausbleiben, daß der nächste Angriffspunkt Herr Minister Wuermeling sein mußte. Er war es ja auch schon bisher. Was dieser Mann mit seiner Energie in der Familienpolitik geleistet hat — —
— Herr Wehner, fragen Sie die vielen Familien, die davon den Nutzen haben. Der Mann hat etwas geleistet. Ich bin so frei und stelle mich auch vor den Minister Wuermeling hin, weil ich mich vor jede echte Leistung hinstelle, ganz gleich, wie sonst die Dinge liegen. Hier liegt eine echte Leistung vor.Daß die Jugend organisch und sachlich in das Familienministerium gehört, kann niemand bestreiten. Im übrigen wäre es sehr gut, wenn man diesem Mann in seinem erweiterten Ressort m st einmal eine Chance gäbe; das wäre fair. Man wird dann sehen, ob er etwas leistet oder nicht.
— Er war der Anreger aller Maßnahmen auf steuerlichem Gebiet und beim Kindergeldgesetz, und erhat nicht nachgelassen, bis sie durchgeführt waren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine weitere Geschichte: der Wahlkampf in Bamberg und Nürnberg. Ich will Ihnen etwas sagen. Der Wahlkampf ist kein Kinderspiel, sondern eine ernste Auseinandersetzung. Was in Nürnberg und Bamberg fortgesetzt angesprochen worden ist, war erstens einmal ein Werturteil über eine politische Einstellung. Was sich aber auf der anderen Seite abgespielt hat — daß man einen Mann, der das Vertrauen des ganzen Volkes seit acht Jahren genießt, persönlich verunglimpft und angreift —, das läßt sich wohl nicht mit dem vergleichen, was Sie so stark angeprangert haben. So ist die Situation, das möchte ich einmal ganz klar gesagt haben.Dann die berühmten „autoritären Züge". Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Parlamentarischen Rat bei der Beratung der Verfassung haben Sie ja daran mitgewirkt — zwar in der Erwartung, Herr Schumacher würde Kanzler —, daß die Stellung des Bundeskanzlers aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit, aus den Erfahrungen unserer westlichen Umgebung besonders stark ausgebaut wurde. Da-Deutscher Bundestag — :3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 79Höcherlmals haben Sie es beschlossen; und heute will es Ihnen, obwohl es Rechtens ist, auf einmal nicht passen.Ich darf den Herrn Kollegen Ollenhauer als neuen Verbündeten für den Föderalismus begrüßen.
Seit dem Inkrafttreten der Verfassung ist auf diesem Gebiet von seiner Seite praktisch nicht viel geschehen. Aber ich bin gern bereit, jeden Verbündeten in dieser grundsätzlichen Frage zu akzeptieren. Ich hoffe nur, daß wir den Weg gemeinsam zu Ende gehen und daß er nicht unterwegs sich irgendwie abhängt. Wenn also die Frage der Schaffung einer Bundesfinanzverwaltung, eines Bundeskultusministeriums und ähnliche Forderungen aufstehen, wird er eine ausgezeichnete Gelegenheit haben, den Föderalismus nicht nur durch Worte, sondern durch Taten zu bejahen.
Wehrpflicht — das alte Thema. Es stand schon beim Wahlkampf zur Debatte. Es war interessant: auf der einen Seite war ein schönes Bild, der Herr Kollege Ollenhauer mit Herrn Eisenhower; und auf der anderen Seite stand: „Weg mit der Wehrpflicht!" Wie sich beides, Bild und Text, vereinbaren lassen, weiß ich nicht. Das Volk hat gemeint, nicht.Nun sagen Sie, Herr Kollege Ollenhauer, die Wehrpflicht sei überholt, überflüssig, politisch schädlich und teurer. Nein, teurer ist das andere, das, was Sie meinen. Und ich bin immer der Meinung, daß in Fragen, die das ganze Volk angehen, alles zusammen helfen soll, klein und groß, und daß keiner von diesen Dingen ausgenommen werden soll. Und unserem Bundesverteidigungsminister Str au 13 , der mit das schwierigste Ministerium übernommen hat, ist es doch in ganz kurzer Zeit gelungen, all das zu widerlegen, was so kühn in die Welt gesetzt worden ist. Was war mit dem Wehrdienst? Was war mit den Freiwilligenmeldungen? Alle diese Dinge haben sich beruhigt, weil die Beteiligten und die Bevölkerung viel gesünder, viel nüchterner über diese Dinge urteilen, als einige Leute sich das ausgedacht haben. Das war kein Wahlköder, sondern der Schuß ist nach hinten losgegangen.
Nun kommen die wirtschaftlichen Probleme, die von Herrn Ollenhauer angesprochen worden sind. Ich pflichte ihm bei: Die Vollbeschäftigung auf der einen, die Preisstabilität auf der anderen Seite sind so schwierige wirtschaftliche Fragen, daß es eine Patentlösung dafür überhaupt noch nicht gibt. Auch die Außenhandelsüberschüsse, obwohl sie noch nicht ganz so zu sehen sind, wie es Herr Ollenhauer vorgetragen hat, haben in diesem Zusammenhang ihre Bedeutung, genauso wie die Fragen der Finanzpolitik.Aber eine Frage haben Sie vergessen. Das ist die Lohnfrage. Und da will ich Ihnen folgendes sagen. Unser Standpunkt ist folgender: Gut, wo die gewachsene Produktivität eine Lohnerhöhung ermöglicht und volkswirtschaftlich rechtfertigt, da hat sie stattzufinden, weil der Anteil gerechtfertigt ist. Lohnerhöhungen: da ergibt sich im übrigen auch ein interessantes föderalistisches Problem: Im Ballungsgebiet wurde die Lohnerhöhung beschlossen, und zum Schluß muß sie auch der Bayerische Wald mitbezahlen, ob er das kann oder nicht. Doch das nur nebenbei. Aber es ist richtig, was schon von mehreren Rednern gefordert wurde: daß wir unter allen Umständen, ohne das Koalitionsrecht und die Unabhängigkeit und Selbständigkeit und die Zuständigkeit der Sozialpartner zu beeinträchtigen, eine Stelle haben müssen, die die deutsche Offentlichkeit einwandfrei darüber aufklärt, ob etwas gerechtfertigt ist oder nicht und wo die Tendenz zu steigenden Preisen herkommt, von der einen Seite oder von der anderen Seite oder von beiden Seiten. Ich bin gar nicht so, daß ich sage, sie komme bloß von einer Seite; das ist nicht richtig; aber ich sage: eine solche Stelle muß geschaffen werden.
— Ich sage es doch gerade: von beiden Seiten! Sie haben nicht aufgepaßt.
Die deutsche Öffentlichkeit muß genau wissen, wie die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge sind, damit endlich auch die Konsequenzen daraus gezogen werden können. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat kürzlich in Hamburg erklärt, er werde nicht mehr rasten und ruhen und werde diese Frage, wenn es notwendig sei, täglich vor die Öffentlichkeit bringen. Wir brauchen aber zusätzlich eine Institution, die mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und, ich möchte sagen, mit richterlicher Unabhängigkeit in der Lage ist, diese Fragen dem Volke auseinanderzusetzen, damit endlich dieser unselige Streit — der eine schiebt die Schuld auf den andern — aus der Öffentlichkeit genommen wird. Vielleicht sind dann die beteiligten Sozialpartner bereit, das Maß einzuhalten, das wir brauchen.
— Ja, Herr Dr. Deist.
Herr Höcherl, ist Ihnen bekannt, daß die Sozialdemokratie im vergangenen Bundestag den Antrag eingebracht hat, einen Konjunkturrat zu errichten, der eine volkwirtschaftliche Gesamtrechnung aufstellt und damit dafür sorgt, daß die gesamten volkswirtschaftlichen Tatbestände der Öffentlichkeit und damit auch allen beteiligten Gruppen bekanntwerden?
Ja, ich kenne diesen Antrag; aber der entspricht nicht ganz der Vorstellung, die ich von dieser Sache habe.
Ich will ein kleineres Gremium in etwas anderer Zusammensetzung haben. Grundsätzlich sollten wir uns aber in dieser schwierigen Frage treffen.
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80 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
HöcherlNun hat man auch die Einfuhr erwähnt. Es gibt kein Land, das in der Zollpolitik so großzügig gewesen wäre wie gerade wir. Die Gründe dafür, daß das Gefälle zwischen In- und Ausland nach wie vor besteht, liegen ganz anderswo.Daß Sie die Volksaktie anerkennen, Herr Kollege Ollenhauer, — zu diesem Entschluß darf ich Ihnen herzlich gratulieren.
Was Sie zum Mittelstand gesagt haben: Das Mittelstandsinstitut ist eine alte Forderung, für die Nordrhein-Westfalen sehr viel tun könnte, nachdem es ja bereits beschlossen worden ist. Ich glaube aber, da sind noch einige Bremsen eingebaut. Vielleicht haben Sie, Herr Kollege Ollenhauer, die Möglichkeit, dort etwas stärker zu wirken,
— ja, ohne den Föderalismus zu verletzen, sondern auf freundschaftliche Art.Was die Kreditversorgung des Mittelstandes anlangt, ist es zweifellos so, daß wir mit den bisherigen Mitteln nicht zurechtkommen. Und bis der berühmte Kapitalmarkt entstanden ist, - nun, die erste Voraussetzung für den Aufbau des Kapitalmarktes ist ja das Vertrauen in die allgemeine Politik, ohne dieses Vertrauen in eine gute Politik kann es überhaupt niemals einen Kapitalmarkt geben. Was wir an materiellen Anreizen steuerlicher Art usw. geben können, muß geschehen. Aber es wird ein sehr langwieriger und sehr schwieriger Prozeß werden. Auch in der Zwischenzeit muß jedoch etwas geschehen. Da bin ich der Meinung, daß man bei dem neugebildeten Schatzministerium, wie ich es einmal nennen möchte, einhaken sollte, wo der Herr Kollege Lindrath eine Aufgabe gestellt bekommen hat, die nicht nur das Vermögen selbst betrifft. Ich bin vielmehr der Meinung, aus einer gesunden, vernünftig betriebenen Veräußerung Zug um Zug, angepaßt an unsere Kapitalmarktverhältnisse — anders geht es nicht —, müßte ein Fonds gebildet werden, aus dem Mittelstand, Landwirtschaft usw. in der Zwischenzeit kreditmäßig zu tragbaren Bedingungen, ähnlich wie beim ERP-Sondervermögen, bedient werden können. Ich sehe eine andere Lösung als diese nicht, obwohl sie, äußerlich gesehen, einen Charakter hat, der meinen wirtschaftspolitischen Auffassungen nicht ganz entspricht. Wir kommen aber aus der Zwangslage, daß wir auf der einen Seite bisher die öffentliche Hand und die Selbstfinanzierung und dann Kapitalsammelstellen als die Kapitalträger gehabt haben, nicht von heute auf morgen heraus. Deshalb bin ich der Meinung, wir müssen auf diesem Wege eine Lösung suchen.
— Wir sind stark genug, das so zu regeln, daß die „Haifische" es nicht bekommen. Wenn Sie uns, dem Parlament, so wenig zutrauen, daß wir diese Dinge in Ordnung bringen, müßten wir überhaupt die Arbeit einstellen.Was die Umsatzsteuer betrifft, Herr Kollege Ollenhauer, bin ich ganz Ihrer Meinung. Es ist eine alte, wahrscheinlich im ganzen Hause vertretene Forderung, daß die Umsatzsteuer wettbewerbsneutral gemacht werden muß. Wie das im einzelnen zu geschehen hat — es bieten sich drei oder vier Lösungen an —, wird der Sachverständige vorschlagen können. Ich will Ihnen aber eins sagen, Herr Kollege Ollenhauer: Sie fordern auf der einen Seite diese Maßnahme, und auf der anderen Seite sagen Sie, wir müssen die Verbrauchsteuer beseitigen, unter Umständen im Betrage von mehreren hundert Millionen bis zu Milliarden, und wir müssen auf dem Sozialsektor noch das und das tun. Wenn ich das eine will, kann ich das andere nicht in demselben Maße wollen, und die Ehrlichkeit besteht für mich darin, daß ich sage, was ich will. Dann darf ich aber auf der anderen Seite nicht Vorschläge machen, die alle Grenzen übersteigen.Zum Schatzministerium möchte ich folgendes sagen: Es ist ja ein sehr gesetzter Herr in älteren Jahren mit diesem Amt betraut worden, dem man zumuten kann — es ist sehr freundschaftlich gemeint, wir sind alte Freunde —, daß er an dem Ast, auf dem er sitzt, etwas sägt und sein Ressort wenigstens zu Teilen überflüssig macht. Das ist unsere Vorstellung davon. Er wird auch wichtige Aufgaben bei der Volkstümlichmachung der Volksaktie haben, für die wir jetzt neue Verbündete bekommen haben.Auf dem Sozialsektor müssen die Krankenkassenreform und die Unfallversicherungsgesetzgebung, die schon in Angriff genommen sind, weitergeführt werden. Da muß unter allen Umständen etwas geschehen, vor allem eine Bereinigung rechtlicher Art, ein Ausgleich von Härten, Unebenheiten usw. Eine große Rechtsvereinheitlichung auf all diesen Gebieten muß kommen. Das gehört auch zur Mittelstandspolitik.Es gibt Bereiche und Bezirke in unserem Wirtschaftsleben, die bei den sozialen Belastungen, wie sie jetzt bestehen, kaum mehr mitkommen. Auch da ist ein Ansatzpunkt für die Mittelstandspolitik. So sind lohnintensive Betribe außerordentlich benachteiligt im Verhältnis zu Betrieben, die anders operieren können. Da müssen wir sehr vorsichtig sein, sonst können sie schließlich die Anforderungen nicht mehr erfüllen.Die größte Kunst in der Sozialpolitik war bisher nicht das Stellen von Anträgen und die Herbeiführung von Gesetzesbeschlüssen, sondern das, was Minister Erhard zusammen mit dem Kabinett und der Regierung geleistet hat: die wirtschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, um hernach die Mittel geben zu können. Herr Kollege Becker hat so schön formuliert: Wer dem einen geben will, muß dem anderen nehmen, und wer viel geben will, muß anderen viel nehmen. Im sozialen Bereich liegt neben der Rechtsbereinigung, dem Ausgleich von Härten und neben Dingen, die sich vom Tage her anbieten, Größeres zur Zeit nicht in unserem Vermögen und im Rahmen unserer Kräfte.Nun einige außenpolitische Bemerkungen. In der Außenpolitik hat die CSU vom ersten Tag an bis
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 81
Höcherlzur Gegenwart immer eine Haltung vertreten, die zu einem Ergebnis geführt hat, das sich sehen lassen kann, das die Zustimmung des Volkes, das doch der oberste Richter ist, gefunden hat. In der Demokratie entscheidet das Volk am Wahltag, ob es mit der Politik einverstanden ist, und wenn das in Bayern 57 % der abgegebenen Stimmen waren, sind wir der Meinung, daß das eine Anerkennung unserer Arbeit und eine Anerkennung der Bundespolitik ist. Einen größeren und bedeutenderen Schiedsrichter als das Volk gibt es nicht. Ich glaube, daß das auch noch in Ihrem Bereich Folgen haben wird.Man glaubt uns Politik der Stärke vorwerfen zu können, die wir nach dem Krieg so klein geworden sind. Nein, die Politik der Stärke ist ganz woanders zu Hause, ist drüben hinter dem Eisernen Vorhang zu Hause, wo man bis zum Ausbluten das Volk aussaugt und heute mit unerhörtem Aufwand massenpsychologische Experimente schwierigster Art in die Welt setzt, nicht bloß aus wissenschaftlichem Drang, sondern aus ganz anderen Gründen. Das war der Ausgangspunkt. Wir sind praktisch nur die Reaktion darauf.
Was können wir denn machen? In unserer Schwäche können wir nichts anderes tun. Wir sind ja vom Range einer Großmacht zu einer kleinen, bescheidenen Macht heruntergekommen. Wir können uns nicht selber helfen, wenn wir nicht einem Verband angehören und dort durch ehrliche Vertragserfüllung das leisten, was in jedem anständigen Verband zu leisten ist. Das war unsere Politik. Nicht die Politik der Stärke, sondern die Politik der Überzeugung, auf Grund der Gemeinschaftshilfe; durch Überzeugung die anderen soweit zu bringen, daß sie sich vielleicht zu der für die ganze Welt notwendigen Übereinkunft, zur Abrüstung und zu all diesen Dingen finden. Das war unser außenpolitischer Weg, und so soll er auch bleiben; so ist er vom Volke bestätigt worden.
Ich habe schon gesagt: In der Regierungserklärung steht ein wunderbarer Satz, der zuwenig beachtet worden ist: Wir sollen den Perfektionismus aus diesem Hause verbannen. Ich will mich nicht mehr an diesem Perfektionismus beteiligen. Nicht die Worte sind entscheidend. Wir sollten jetzt mit unserem Koalitionspartner, der DP, an die Arbeit gehen und Hand in Hand mit unserer großen Schwesterpartei das Regierungsprogramm verwirklichen. Das verlangt das Volk.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Von verschiedenen Seiten ist zum Ausdruck gebracht worden, daß die Regierungserklärung Lücken enthalten habe.Das gebe ich ohne weiteres zu. Für meinen Geschmack war die Regierungserklärung — sie hat 90 Minuten gedauert — noch viel zu lang. Wenn ich all den Stoff darin verarbeitet hätte, der mir von den Ministerien zugegangen ist, hätte die Regierungserklärung vier Stunden gedauert. Das wollte ich weder Ihnen noch mir zumuten. Daher blieb nichts anderes übrig, als zu komprimieren und auf Schwerpunkte hinzuweisen. Mehr kann eine Regierungserklärung nicht.
Sie kann nicht zu allem, was in vier Jahren anfallen wird und was wir zum Teil gar nicht kennen, prophetisch Stellung nehmen.
Ich möchte hier jedoch einen Irrtum des Herrn Schneider berichtigen. Es heißt nicht „Ministerium für Arbeit und soziale Neuordnung", sondern es heißt „Ministerium für Arbeit und Sozialordnung".
Das ist nämlich ein großer Unterschied. Unter Sozialordnung versteht man in der modernen Sozialwissenschaft die soziale Struktur. Niemand kann doch wohl bestreiten, daß eine andere Struktur unserer ganzen Gesellschaft eingetreten ist.
Dieses Ministerium, das vor langen Jahren gegründet worden ist, um sich hauptsächlich oder fast ausschließlich der Interessen der industriellen Arbeitnehmer anzunehmen, soll jetzt bei dieser Änderung der sozialen Struktur der Gesellschaft auch für die Schichten tätig werden, die ebenfalls betreut werden müssen. Darunter fallen auch die freien Berufe. Ich finde nicht, daß es eine Herabsetzung der freien Berufe bedeuten kann, wenn sie in das Ministerium für Arbeit eingegliedert werden; denn schließlich glaube ich, daß wir doch alle Arbeit leisten.Was die Wissenschaft angeht, so stimme ich durchaus mit den Ausführungen überein, die darüber gemacht worden sind. Wir haben jetzt den Wissenschaftsrat begründet. Er wird schon in wenigen Wochen ins Leben treten. Bekanntlich besteht auf diesem Gebiete nach dem Grundgesetz eine Konkurrenz zwischen den Ländern und dem Bund. Wir hoffen, auf dem eingeschlagenen Wege zu einer größeren gemeinsamen Förderung der Wissenschaft zu kommen.Ganz unverständlich, meine verehrten Damen und Herren , ist, daß Sie immer lachen müssen, wenn vom Ministerium für Familienfragen gesprochen wird. Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Herren von der linken Seite des Hauses: ich halte das für eine wesentlichste Forderung gerade auch der sozialdemokratischen Seite.
Das ist eine soziale Frage allerersten Ranges.
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82 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Bundeskanzler Dr. AdenauerWenn mir persönlich etwas am Herzen liegt, dann sind es die Familie und die Jugend. Auch die Jugend gehört zu diesem Ministerium.
Von Herrn Kollegen Ollenhauer ist die Vermutung ausgesprochen worden, daß die Jugendförderung aus irgenwelchen katholisch-konfessionellen Gesichtspunkten in dieses Ministerium hineingenommen worden sei. Herr Kollege Ollenhauer, ich kann Ihnen verraten, daß gerade die evangelischen Jugendorganisationen zu diesem Ministerium gewollt haben.
— Gott, er hat nun mal den Namen Wuermeling, den können Sie ihm doch nicht mehr nehmen.
— Meine Damen und Herren, lassen Sie uns bitte ernste Dinge einmal ernst nehmen. Glauben Sie mir, gerade dieses Ministerium für Familien- und Jugendfragen ist eines der sozialsten Ministerien, das ich mir überhaupt vorstellen kann.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn sowohl Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, wie Sie von der FDP an den Aufgaben dieses Ministeriums willig mitarbeiteten. Dann, glaube ich, kommt etwas Gutes dabei heraus, das unser deutsches Volk braucht.Herr Kollege Ollenhauer hat weiter ausgeführt, die Auseinandersetzung der Interessentengruppen sei bei der Regierungsbildung intern zutage getreten, und ich hätte gar keine Veranlassung gehabt, darüber zu klagen; es sei die Rechnung für die Wahlgelder gewesen, die mir präsentiert worden sei. Da muß ich Herrn Kollegen Ollenhauer ja nun in etwa enttäuschen. Wenn ich mich über Interessentengruppen beschwert habe, konnte ich es nicht deshalb tun, weil man sich in die Schaffung des Kabinetts eingemischt habe. Das haben nur, wie Sie wissen, einige Herren von der Landwirtschaft getan. Aber Sie wissen auch, daß ich mich nicht daran gestört habe.
Sie können also nicht behaupten, daß die Interessentengruppen die Bildung des Kabinetts irgendwie beeinflußt hätten. Es ist auch sonst — wie ich das neulich schon gesagt habe — niemand an mich herangetreten. Ich gebe aber zu: ich habe jetzt noch einen heißen Kampf mit den Frauen zu bestehen. Er steht mir noch bevor.
Als ich von den Interessenten und den Interessentengruppen gesprochen und gebeten habe, doch Zurückhaltung zu üben, bezog sich das auf die kommenden vier Jahre. Ich möchte das unterstreichen und den Satz nochmals wiederholen: wenn eine Gruppe versucht, gerade ihr Interesse vor allen anderen zu wahren, dann wird darunter das allgemeine Wohl leiden. Meine Herren, fassen Sie den Begriff „Interessenten" möglichst weit; so habe ich ihn nämlich auch gedacht.Nun, meine Damen und Herren, habe ich auf Grund der Debatte noch einiges auf dem Herzen. Es ist nicht viel, wir werden hoffentlich zur rechten Zeit fertig. Ich fühle mich eigentlich etwas dadurch gekränkt, daß der Herr Kollege Ollenhauer immer sagt, ich oder meine Politik oder die Politik, die die Mehrheit dieses Hauses trägt, verhindere die Wiedervereinigung. Er hat auch heute wieder gesagt — ich zitiere hier den Wortlaut seiner Rede —:Die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers über die Absichten seiner Regierung in bezug auf die Wiedervereinigung sind absolut unbefriedigend. Man muß allerdings gerechterweise hinzufügen: sie können nicht anders sein; denn die vom Bundeskanzler vertretene Politik der Stärke auf dem Hintergrund seines Weltbildes schließt eine erfolgreiche Wiedervereinigungspolitik aus.Herr Kollege Ollenhauer — ich glaube, er war es — hat dann im Verlauf seiner weiteren Ausführungen von der Politik der Stärke der NATO gesprochen. Insofern hat er allerdings meine Anschauungen richtig wiedergegeben. Ich bin der Auffassung, daß nur eine Politik der Stärke der NATO den Frieden der Welt und unsere Freiheit bewahren kann und schließlich auch zur Wiedervereinigung führt.
Herr Kollege Ollenhauer hat im Verlauf seiner Ausführungen gesagt, er vermisse, daß in der Regierungserklärung konkrete Wege aufgezeigt seien. Ja, meine Damen und Herren, in der heutigen Zeit konkrete Wege aufzeigen, dazu gehört mehr Phantasie, als ich sie habe. Das muß ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Herr Kollege Ollenhauer, ich darf Ihnen vorlesen, was Sie selber nach Ihrer Zusammenkunft mit Nehru in New-Delhi gesagt haben — ich zitiere eine dpa-Meldung in der „Welt" —:Die beiden Politiker stimmten darin überein, so sagte Ollenhauer, daß eine Lösung der deutschen Probleme in Verbindung mit den neuen internationalen Entwicklungen gefunden werden müsse.Da haben Sie vollkommen recht; die Lösung kann tatsächlich nur in Zusammenhang mit den Entwicklungen und, wie ich hinzufügen möchte, Verwicklungen gefunden werden. Aber dann fahren Sie fort:Niemand könne jedoch sagen, welcher Weg im einzelnen eingeschlagen und in welcher Zeit die deutsche Frage gelöst werden kann.Sehen Sie, Herr Kollege Ollenhauer, das ist ganz richtig, und ich folge vollkommen ihren Worten. Ich bin überzeugt, auch Sie können heute nichts anderes sagen, als was Sie im Jahre 1956 in New-Delhi gesagt haben.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 83
Bundeskanzler Dr. AdenauerEtwas unangenehm oder traurig bin ich dadurch berührt, daß Herr Kollege Ollenhauer meinen Appell an seine Fraktion, in wichtigen nationalen Fragen zusammenzuarbeiten, mit der Erklärung beantwortet hat, er habe kein Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Regierungschefs, der den Wahlkampf mit politischen Verleumdungen geführt habe. Nun sind wir hier ja nicht im Wahlkampf.
— Ach, wir werden nächstes Jahr noch manchen Wahlkampf gegeneinander führen;
dann können wir uns Luft machen, soviel wir wollen.
— Bei mir nicht!
Hier sind wir ja schließlich in einer Besprechung der Regierungserklärung. — Aber ich muß doch sagen, Herr Kollege Ollenhauer: wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.
— Da bin ich endlich einmal früher aufgestanden als Sie!
Ich will doch einmal einige Sätze vorlesen, die Herr Kollege Ollenhauer am 12. August in Hannover ausgesprochen hat und die von der „Freien Presse" Bielefeld, aus der ich das Folgende entnehme, zitiert worden sind:Wer Adenauer wählt, wählt die Fortdauer der Spaltung Deutschlands.
Ein sehr hartes Wort, und wenn Sie jetzt rufen „Sehr richtig!", dann muß ich Ihnen sagen: ich beneide Sie nicht darum, daß Sie den Deutschen in der Ostzone das Vertrauen zu mir nehmen wollen.
Bedenken Sie denn niemals, daß Sie durch diese ständige Kritik an der Wiedervereinigungspolitik der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses das Vertrauen der Deutschen in der Ostzone zu uns immer mehr schmälern? Denn schließlich sind doch wir die Mehrheit des deutschen Volkes und nicht Sie.
Ich darf mit dem Zitat fortfahren:
Adenauer vergiftet das ganze politische LebenDeutschlands. Er hat das Recht verwirkt, weiteran der Spitze der Bundesrepublik zu stehen.
Das Ausmaß der Intoleranz, Arroganz und Infamie Adenauers ist nicht mehr zu ertragen.
Er ist eine Gefahr für die Freiheit und Demokratie in der Bundesrepublik.
Alle meine Reden sind von meiner Partei stenographisch aufgenommen, und jedem von Ihnen stehen diese Reden zur Verfügung. Weisen Sie mir irgendwo eine Stelle nach, die aber auch nur im entferntesten einen derartigen Klang hat und derartige Worte gegen Sie enthält, wie Sie sie gegen mich gebraucht haben!
Ich halte meinen Vorschlag aufrecht und wiederhole ihn an die beiden Parteien, die sich in der Opposition befinden: daß wir in Angelegenheiten, die das Interesse und das nationale Wohl des gesamten deutschen Volkes betreffen, versuchen sollten, eine gemeinsame Politik zu machen.
Die Zeiten und die Entwicklung, die wir gerade in den letzten vierzehn Tagen wieder erlebt haben, sind doch so ungewöhnlich ernst für das ganze deutsche Volk, für ganz Europa und die ganze Welt, daß wir, die wir in der äußersten Gefahrenzone für die Freiheit leben, es uns eigentlich gar nicht gestatten können, in den entscheidenden Fragen auseinanderzugehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten doch einmal aus dem Artikel eines Professors der Geschichte an der Universität Oxford namens Taylor vorlesen, was der über die Wiedervereinigung gesagt hat, und zwar am 27. Oktober. Er schreibt:Die Teilung Deutschlands ist nicht von Großbritannien geplant worden, aber sie ist nun einmal passiert. Warum nehmen wir sie nicht hin als einen Glücksfall und belassen es dabei? Ich kann wohl verstehen,— fährt er fort —daß die Deutschen sie nicht mögen. Aber für uns ist sie großartig. Wir haben zwei große Kriege gegen Deutschland im Verlauf dieses Jahrhunderts ausgefochten. Verschiedene Ereignisse haben sie ausgelöst. Aber die Hauptursache beider Kriege war die gleiche: Es gibt zu viele Deutsche, und Deutschland ist zu stark. Vereinigt alle Deutschen, und sie überschatten Europa. Jetzt ist uns eine Lösung auf einer Platte serviert. Wir sollten dankbar sein.Meine Damen und Herren, das hat ein Professor, ein Historiker der Universität Oxford geschrieben. Ich glaube, gerade aus solchen Artikeln spricht die Gefahr, die uns Deutschen droht, nicht nur vom Osten her. Sie ist so ungemein groß, daß wir uns zusammenfinden müssen.
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84 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Bundeskanzler Dr. AdenauerUm so dankbarer müssen wir der englischen wie auch der französischen und der amerikanischen Regierung sein, daß sie bei allen großen Gelegenheiten immer wieder betonen, daß die Wiedervereinigung Deutschlands ein fundamentales Ziel ihrer Politik sei.
Ich kann nur nochmals sagen: Die Zeit ist ungewöhnlich ernst. Sie ist nicht deshalb so ernst geworden, weil wir in NATO eingetreten sind, wie behauptet wird. Hat denn unser Eintritt in NATO verursacht, daß Sowjetrußland in der Entwicklung der Fernraketen den anderen Staaten vorausgekommen ist? Ich glaube das nicht.
— Meine Damen und Herren, wenn Sie darauf nur lachen können, dann bedaure ich das wirklich.
Es handelt sich um sehr ernste Angelegenheiten, um Fragen, deren Ernst das ganze deutsche Volk durchaus versteht.
Wenn Sie darüber lachen, dann sage ich Ihnen: Das deutsche Volk wird auch zum vierten Male ein vernichtendes Urteil über Ihre Politik abgeben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ollenhauer hat in seiner Erklärung auch wieder einmal die Wirtschaftspolitik angegriffen und dabei ein großes Wort gelassen ausgesprochen. Er behauptete nämlich, daß der freie Wettbewerb und die freie Preisbildung nicht eine stabile Ordnung zu gewährleisten vermögen.Ich habe mir ja schon immer gedacht, daß es bei dem marktwirtschaftlichen Bekenntnis der SPD einen Pferdefuß geben muß,
und der ist bei dieser Gelegenheit deutlich zum Ausdruck gekommen. Denn wenn ich den Wettbewerb und die freie Preisbildung nicht mehr als die tragenden Säulen und bewegenden Kräfte einer freien Marktwirtschaft und einer freien gesellschaftlichen Ordnung überhaupt anerkenne, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu den „bewährten", sattsam bekannten Prinzipien der Planwirtschaft überzugehen, nämlich der staatlichen Reglementierung der Produktion und des Verbrauchs und der Preisbindung dazu. Dann haben Sie allerdings das, was den Gegensatz zum freien Wettbewerb und freier Preisbildung darstellt.Daß uns allen die Stabilität der Währung, die Stabilität der wirtschaftlichen Verhältnisse und die Stabilität der Preise besonders am Herzen liegen muß, dürfte unbestreitbar sein. Aber es ist nicht damit getan, daß jede Partei und jede einzelne Gruppe reihenweise ein Lippenbekenntnis ablegt, wie sehr gerade ihr die Erhaltung der Stabilität am Herzen liege, dann aber in dem eigenen Verhalten nichts mehr von dieser Gesinnung oder von dieser Proklamation bekundet. Darunter leiden wir in diesem Augenblick.
Ich bin weit davon entfernt, etwa nur eine Gruppe anzusprechen. Ich habe das niemals getan. Aber wenn wir von den Sozialpartnern sprechen, warum sind dann ausgerechnet die Gewerkschaften so außerordentlich empfindlich? Warum darf man über Löhne, Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen nicht im Zusammenhang mit der Preisstabilität sprechen?
Das ist keine Diffamierung, sondern das sind nüchterne Feststellungen, und jedenfalls sind sie der Untersuchung und der Prüfung wert.
In aller Welt unterhält man sich über diesen Gegenstand. Ich habe den Begriff „Gewerkschaftswährung" nicht erfunden; aber er ist heute schon als ein Terminus technicus in die wissenschaftliche Literatur eingegangen, und man hat sich doch darunter etwas vorgestellt!Einer Ihrer besten Sachverständigen auf wirtschaftlichem Gebiet hat selbst in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften" wortwörtlich folgendes geschrieben:Es muß nüchtern festgestell werden, daß idas Preisniveau in einer Volkswirtschaft durch das Verhältnis zwischen monetärer, d. h. in Geld ausgedrückter Nachfrage und dem Angebot von Gütern und Diensten aus der laufenden Produktion bestimmt wird. Wenn die monetäre Nachfrage — sei es durch Lohnsteigerung, sei es durch Kreditexpansion — über das hinaus gesteigert wird, was der gleichzeitigen Steigerung des Sozialprodukts, d. h. des Angebots von Gütern und Diensten entspricht, dann müssen zwangsläufig die Preise steigen. Jeder Versuch, diesen gesetzmäßigen Zusammenhang nicht anzuerkennen, wäre ein Kampf gegen das Einmaleins.Das unterschreibe ich wortwörtlich. Dann muß man aber in einer so spannungsvollen Zeit, wie sie sich uns gerade im Augenblick darbietet, auch den Mut haben, dieses Thema objektiv anzusprechen. Es ist einfach nicht wahr, daß man nicht feststellen kann, wo die optimalen Grenzen einer Lohnsteigerung oder Arbeitszeitverkürzung ohne Gefährdung der Stabilität liegen. Meine feste Überzeugung ist, daß wir unter allen Umständen zu einer Versachlichung, zu einer Objektivierung der Feststellung des Tatbestandes und der Wirkungen gelangen müssen. Ich behaupte: die Wahrheit ist gar nicht so schwer zu finden; schwer ist nur, aus der Wahrheit für das eigene Verhalten die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 85
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. ErhardMir kann jedenfalls niemand vorwerfen, daß ich bei den Auseinandersetzungen der Sozialpartner, bei Lohnsteigerungen oder bei Preissteigerungen mich nicht bemüht habe, objektiv zu sein und diejenigen anzusprechen, die es angeht, während Sie noch nie den Mut gefunden haben, die Gewerkschaften auch nur einmal anzusprechen.
Das tut man heute in aller Welt, Herr Ollenhauer. Beobachten Sie, was sich in England tut. Sie haben auch das Beispiel in Dänemark erlebt, wo ein sozialdemokratischer Ministerpräsident den Kampf gegen die sozialdemokratischen Gewerkschaften, d. h. innerhalb der eigenen Reihen, ausgetragen hat. Und wir? Wenn wir uns über Löhne und Preise unterhalten, dann sprechen Sie von Diffamierung. Da ist nichts zu diffamieren, sondern das Problem muß jetzt endlich einmal auf den Tisch gelegt werden.
Die ganze deutsche Öffentlichkeit muß bei diesenAuseinandersetzungen wissen und soll es erfahren,wo jeweils die Ursachen und die Wirkungen liegen.Um es einmal ganz konkret zu sagen: Wenn z. B. die IG Metall ihre Forderungen in der angekündigten Form durchsetzen wollte, dann möchte ich die Antwort von der IG Bergbau haben, ob sie etwa die Arbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie und eine Lohnerhöhung dieses Ausmaßes hinzunehmen gewillt wäre, ohne dann nicht auch für ihre Gruppe ein Gleiches zu fordern. Dann sollen ihre Experten auf dem Kohlengebiet die Frage beantworten, ob das wohl ohne eine weitere Kohlenpreissteigerung möglich wäre. Wenn z. B. jetzt bei Textil und Bekleidung Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzungen und noch andere tarifliche Verbesserungen erfolgten, die über 20 % hinausgehen, dann möchte ich objektiv festgestellt haben, welche Auswirkungen auf die Preise für Textilien und Bekleidung sich daraus ergeben. Sie können versichert sein, daß ich die besten Experten aus allen Lagern und aus allen Parteien zusammenrufen werde. Die Dinge kommen an die Öffentlichkeit. Was dort geschieht, geschieht nicht hinter verschlossenen Türen der Sozialpartner, sondern das hat die Öffentlichkeit zu bewegen. Es ist auch das Wohl aller deutschen Menschen damit angesprochen.
Sie beschweren sich darüber, daß das, was in gut rentierlichen Unternehmungen an Löhnen gezahlt oder Arbeitszeitverkürzungen durchgeführt werden kann, in schlecht rentierlichen Unternehmungen oder ungünstiger gelagerten Wirtschaftszweigen nicht angewandt werden soll, und Sie fragen: Muß das denn wirklich so sein, d. h. müssen die Unterschiede in der Ertragslage so groß sein? Herr Ollenhauer, Sie sind wahrscheinlich kein wirtschaftlicher Sachverständiger, sonst würden Sie einzusehen bereit sein, daß in einer freien ökonomischen Ordnung, in einer freien Gesellschaftsordnung, in der jeder Mensch in seiner Verbraucherhaltung völlig frei ist, seinen Verbrauch wechseln kann, wo immer und wann immer er will, die Vorstellung einer gleichen Ertragslage unmöglich ist. Sie ist überhaupt nicht denkbar. Diese Art von Stabilität, die Starrheit bedeuten würde, gibt es nicht.Das aber hat allerdings Konsequenzen. Wir haben den kollektiven Tarifvertrag; das heißt aber, daß die Vertragsbedingungen, die da ausgehandelt werden, nicht an dem besten Betrieb ausgerichtet sein dürfen. Ich gebe zu: In jedem Industriezweig wird es einen Betrieb geben, der die gewerkschaftlichen Forderungen, auch wenn sie für die Gesamtheit überhöht sind, für sich individuell auch ohne Preissteigerung tragen könnte. Aber daß etwa durch betriebsindividuelle Begünstigungen eine Differenzierung innerhalb der Arbeitnehmerschaft Platz greift, das wollen Sie ja auch nicht.Die daraus zu ziehende Konsequenz ist aber dann die, daß man im Mittel operieren muß, daß man bei einem Gewerbezweig, für den ein Kollektivvertrag ausgehandelt wird, nicht den hochrentierlichen durchrationalisierten oder automatisierten Spitzenbetrieb zum Maßstab nehmen kann, sondern das gute Mittel zu nehmen hat. Darüber hinaus ist es gefährlich, wenn man alle Wirtschaftszweige über einen Kamm scheren zu können glaubt. Was Sie wollen und was jetzt auch praktisch durchzusetzen versucht wird, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß gerade die kleinere Industrie, das, was wir den Mittelstand nennen, im gewerblichen Sektor, im Handwerk, in der Industrie, im Handel, in der Landwirtschaft —, daß alle diese Zweige, die in bezug auf Rationalisierung oder gar Automatisierung vor Grenzen stehen, aber andererseits infolge ihrer höheren Veredelung mit stärkeren Arbeitskosten belastet sind, diese Kostenerhöhungen dann nicht tragen können, ohne in den Preis auszuweichen. Wenn sie aber in den Preis ausweichen, dann kommen sie in eine Wettbewerbsverschiebung ungünstiger Art zu den Großunternehmungen. Da wir eine Mittelstandspolitik treiben wollen, können wir diese Politik der Gewerkschaften unmöglich als berechtigt und als volkswirtschaftlich sinnvoll anerkennen.
Sie sprachen von einer gesunden Preispolitik. Es wäre mir wirklich interessant, zu wissen, was Sie sich bei dieser Sachlage unter einer gesunden Preispolitik vorstellen. Wenn Sie von der Unfähigkeit der Bundesregierung, die Stabilität gewährleisten zu können, sprechen, dann würde ich Ihnen nicht empfehlen, das in irgendeinem anderen Land Europas laut zu sagen. Denn dort stehen wir fast unter der Anklage, daß wir unser Preisniveau stabiler gehalten haben, als es fast allen anderen Ländern möglich gewesen ist. Ich habe hier eine amtliche Verlautbarung aus dem Statistischen Bundesamt. In ihr werden von .20 Ländern auf Grund der Einzelhandelspreise die Lebenshaltungskosten nachgewiesen. Von diesen 20 Ländern steht die Bundesrepublik zusammen mit der Schweiz am Ende dieser Liste, nämlich mit einer Steigerung in den letzten
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86 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhardsieben Jahren von 15,5 %. Aber jetzt möchte ich Ihnen vorlesen, wie in den ausschließlich sozialistisch regierten Ländern die Preisbewegungen vor sich gegangen sind:
In Norwegen 46,4 %,
in Schweden 43,6 %,
in Finnland 40,2 % und in Dänemark 35,6 %.
Ich muß schon fragen: wo bleibt da die vielgerühmte sozialistische Solidarität, wenn Sie dasRezept haben und es Ihren Brüdern nicht verraten?
Im übrigen: von einer Verschleuderung von Bundesvermögen kann bei den Plänen, die hier erwogen werden, überhaupt nicht die Rede sein. Aber anzunehmen, daß der Bund über eigene Wirtschaftsunternehmungen verfügen müsse, um eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu treiben — diese These allerdings lehne ich mit Entschiedenheit ab.
Dann kommen Sie auf die Zahlungsbilanz zu ) zu sprechen und sagen sehr zu Recht: Aus der Zahlungsbilanz, d. h. aus den starken deutschen Überschüssen entsteht eine Verflüssigung unseres Geldmarktes und tendenziell hat das inflationistische Wirkung. Nun haben wir uns wirklich ehrlich bemüht, nicht etwa den Export abzudrosseln — da rennen Sie offene Türen ein, kein Mensch will das bei uns —, sondern ,den Import anzuheben und auch durch andere Mittel unseren starken Überschuß abzubauen. Es ist uns ja auch in etwa, wie die letzten Ausweise zeigen, doch schon ein Erfolg beschieden gewesen.Aber auch hierzu darf ich noch einmal sagen: die Zollsenkung als Mittel der Wirtschafts- und Handelspolitik und vor allen Dingen als ein Mittel zu benutzen, den Import anzureizen und einen besseren Zahlungsbilanzausgleich zu erzielen, das ist ja unser Vorschlag gewesen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie ihn immer unterstützt haben, aber es war dabei doch etwas billig, unsere Forderung noch immer mehr zu übersteigern. Aber wo hätte es jemals in der modernen Wirtschaftsgeschichte ein Land gegeben, das autonom und ohne die Gegenleistung seiner Handelspartner seine Zölle durch dreimalige Maßnahmen im gewerblichen industriellen Sektor um insgesamt 45 % gesenkt hat?
Das wird von der ganzen Welt als eine hohe Leistung Deutschlands anerkannt. Daß Sie es nicht anerkennen, ist nicht weiter verwunderlich bei Ihrer allgemeinen Haltung.Aber die andere Frage ist viel interessanter. Sie sprechen von der Unfähigkeit der Bundesregierung, das Preisniveau stabil zu halten. Woher rührt denn eigentlich der Überschuß in unserer Zahlungsbilanz? Er rührt doch ausschließlich daher, daß Deutschland bei starren Wechselkursen sehr viel billiger geblieben ist als das Ausland, so daß es für jeden attraktiv ist, in Deutschland zu kaufen. Umgekehrt sind die ausländischen Preise, vor allen Dingen auch die in den sozialistischen Ländern, so stark gestiegen, daß bei uns ein echter Einfuhrsog nicht mehr wirksam ist. Ich habe es wiederholt ausgesprochen: Sie könnten die deutschen Zölle heute auf Null senken, und es würde immer noch nicht das geschehen, was notwendig wäre, um einen Zahlungsbilanzausgleich herbeizuführen, abgesehen davon, daß eine solche Vorstellung heute leider noch Theorie oder nur ein rechnerisches Spiel ist.Ich kann also im ganzen sagen: Wenn Ihnen zur Wirtschaftspolitik keine besseren Argumente einfallen als die hier vorgetragenen, und wenn wir uns über diesen Gegenstand vier Jahre unterhalten sollen, dann möchte ich mit dem Herrn Bundeskanzler sagen: ich möchte wissen, was Ihnen bei den nächsten Wahlen passiert! Ich bin jedenfalls bereit, mit dieser meiner Wirtschaftspolitik jeden Wahlkampf mit Ihnen zu führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundeswirtschaftsministers doch noch einige Bemerkungen machen.Um mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister anzufangen: ich möchte mich hier auf eine volkswirtschaftliche Auseinandersetzung mit ihm nicht einlassen.
Mein Freund Heinrich Deist wird dazu sprechen. Ich glaube, es liegt im Interesse der Sache, daß sich mit den Problemen, die hier wieder aufgekommen sind, die Mitglieder unseres Hauses auseinandersetzen, die eben am besten in dieser Sache sprechen können.Sie haben anscheinend noch starke Nachwehen vom Wahlkampf.
— Ja, die Art und Weise, wie Herr Erhard hier gesprochen hat, läßt darauf schließen, daß er noch einige alte Manuskriptseiten von vor dem 15. September mitgebracht hat.Ich will mich hier gar nicht auf eine Diskussion einlassen. Für mich als Laien, Herr Bundeswirtschaftsminister, war Ihre Rede sehr interessant.
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OllenhauerDas, was Sie gesagt haben, war eine sehr kritische Beurteilung der Haltung der Gewerkschaften. Sie haben auch jetzt, Herr Bundeswirtschaftsminister, genauso wenig wie der Herr Bundeskanzler dem Hohen Hause auch nur ein Wort darüber gesagt, wie Sie eigentlich zu den Preissteigerungen stehen, die ohne irgendeine Verbindung mit Lohnerhöhungen der Arbeiter z. B. in der Kohle hier durchgeführt worden sind.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister wird mir zugeben müssen, daß die letzte Kohlepreiserhöhung nicht auf die Erhöhung der Löhne der Bergarbeiter zurückgeführt werden kann.
— Nicht ganz! Das ist immerhin schon ein gewisses Entgegenkommen; damit sind wir in dieser Aussprache schon ein Stückchen weiter.Was ist denn da passiert? Wo hat denn in dieser Situation das Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Interesse der gesamten Volkswirtschaft gefehlt? Bei den Gewerkschaften? Oder bei den Leuten, die die Kohlepreise bestimmen?
Ich denke, das ist klar.Meine Damen und Herren, was hat Ihre Regierung getan, abgesehen von den starken Worten, die Herr Professor Erhard im Laufe dieser Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit gebraucht hat? Nichts! Herr Professor Erhard war in einer so schwierigen Lage, daß er genau das getan hat, was ich heute im Rahmen unserer wirtschaftspolitischen Auffassung hier vorgetragen habe; er hat nämlich mindestens einen Augenblick, als ihn sein marktwirtschaftliches Bewußtsein anscheinend verlassen hatte, überlegt, ob man nicht die bundeseigenen Bergwerkverwaltungen dazu bringen sollte, diese Preiserhöhung nicht mitzumachen. Was ist denn das anderes gewesen als der Versuch, bundeseigene wirtschaftliche Unternehmungen zur Preisgestaltung heranzuziehen im Sinne einer Dämpfung der Preiserhöhung?
Genau das haben Sie gesagt.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich will die Sache hier nicht vertiefen. Wie gesagt, ich bin ein Laie. Wollen Sie uns bitte einmal sagen: Wie wollen Sie denn in Zukunft überhaupt die Fragen der Energiewirtschaft in Deutschland lösen ohne eine maßgebende Einwirkung von der Seite der Öffentlichkeit? Es ist unmöglich; Sie wissen es genauso gut wie jeder andere, der sich mit den Dingen beschäftigt hat.Und was geschieht? In dieser Lage — und das ist der Punkt, den wir hier vorgebracht haben, der wichtig ist — haben, obwohl das allgemeine Interesse für stabile Preise und für stabile Löhne spricht,einzelne starke Wirtschaftsgruppen mit einer Monopolstellung auf dem Markt aus egoistischen Gründen Preissteigerungen durchgesetzt
und setzen sie weiter durch. Die Kohle ist ja nur der Anfang. Wir wissen doch, daß eine ganze Reihe von Markenartikelgruppen mit diesen Preissteigerungen kommen werden, die man der Regierung vor dem 15. September angekündigt hat und die man auf Wunsch der Regierung zurückgestellt hat, bis die Wahl vorüber war.
Herr Bundeswirtschaftsminister, einverstanden: wir können und wir sollen über das nicht einfache Problem der Relation zwischen Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen und Preisen reden. Aber unter einer Voraussetzung: Lassen Sie dann bitte solche nicht sachlich fundierten Bemerkungen, wie Sie sie hier gemacht haben, weg.
— Entschuldigen Sie, ich werde doch dem Herrn Minister nicht etwas vorwerfen, wenn ich es nicht beweisen kann. Man kann irgendwo draußen sagen: „Guckt euch mal an, diese sozialistischen Regierungen in Europa, wie die die Sache sozusagen verbuttern!" Hier hat der Herr Bundeswirtschaftsminister vier Länder aufgezählt mit „sozialistischen Regierungen" : Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland. Was ist die Wahrheit? Es gibt nur eine einzige rein sozialdemokratische Regierung — oder gab sie —, nämlich in Norwegen. Wir haben in Schweden bis vor kurzem — Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie wissen es — eine Koalition zwischen Arbeitern und Bauern gehabt; und Sie wissen, aus welchen Gründen es gerade hier zu bestimmten Entwicklungen gekommen ist. Ich habe ja gar nicht die Absicht, hier irgend etwas zu verteidigen und zu beschönigen; ich will nur sagen: die Behauptung: „Seht euch die sozialdemokratischen Parteien an, so machen sie's!" ist nicht richtig. In Dänemark, in Schweden bis vor kurzem, in Finnland war der andere entscheidende Partner immer die Bauernpartei, die ja gerade in bezug auf Wirtschaftspolitik ihre besondere Problematik entwickelt; das wissen wir doch aus den Erfahrungen in unserem eigenen Lande.Und zweitens: Ist denn das eine objektive und tatsachengerechte Darstellung, wenn man die Steigerung der Lebenshaltungskosten nur so aufzählt, aber nicht hinzufügt, wie denn die Reihenfolge in der Höhe des Lebensstandards der Menschen in diesen Ländern ist?
Herr Minister Erhard, Sie kennen ja auch die sehr interessante und nützliche Erhebung der MontanUnion über die Lebenshaltung der wichtigsten Gruppen der Montanindustrie — Bergarbeiter, Stahlarbeiter usw. — in den sechs Ländern der
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OllenhauerMontanunion, und Sie wissen, daß in dieser Liste die Bundesrepublik an vierter, also vorletzter Stelle steht.
Das ist die Lage. Wir haben in diesem Zeitpunkt eine solche Auseinandersetzung nicht aufbringen wollen, weil man ja in der ersten Einführung unserer Politik oder Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik nicht alle solche lebenswichtigen Probleme behandeln kann. Aber es ist nicht so, daß wir hier etwa nur eine Reihe von allgemeinen Gesichtspunkten aufgestellt hätten, ohne zu wissen, was wir uns darunter vorstellen. Wir werden auf die Sache sehr konkret zurückkommen, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn wir über die Große Anfrage über die Kohlenpreise sprechen. Ich hoffe, daß Sie dann in dem Punkt etwas gesprächiger sein werden, als Sie es waren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Ollenhauer, gestatten Sie eine Frage?
Sie haben soeben darauf Bezug genommen, daß in dem Montanbereich die Bundesrepublik zurückstehe und daß sie hier aufholen müsse.
Sind Sie der Meinung. daß dieses Aufholen ohne Rückwirkungen auf den Kohlenpreis möglich ist?
Ich habe Ihnen ja vorher gesagt, es sind Untersuchungen notwendig. Ich habe hier nur festgestellt, daß, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister die These vertritt und den Eindruck zu erwecken versucht, als sei in den sozialdemokratisch geführten Ländern die Lage der Menschen am schlechtesten, das objektiv nicht richtig ist,
und diese Feststellung können Sie mit Ihrer Frage doch nicht entkräften.Nun will ich aber den Rest meinem Freunde und Kollegen Dr. Deist überlassen, damit er auch noch seinen Spaß hat. Ich möchte noch einige Worte zu dem sagen, was der Herr Bundeskanzler ausgeführt hat.Herr Bundeskanzler, wir sind uns einig in der Beurteilung der Bedeutung der Familie und ihrer Förderung. Ich habe heute vormittag — es tut mir leid — mit Rücksicht auf das Hohe Haus einige Partien meiner Rede hier nicht verlesen. Ein Kapitel darin bezieht sich auf die Familie, und Sie können aus dem Text, den die Presse in vollem Umfange bekommen hat, ersehen, daß ich gerade auch gesagt habe, daß die Familie die Lebensgrundlage des Staates ist. Darum geht es. Unsere Kritik am Familienministerium und an der Familienpolitik des Familienministers richtet sich in erster Linie darauf, daß wir in den vier Jahren in bezug auf die Schaffung von konkreten Voraussetzungen für die Heranbildung einer gesunden Familie so wenig oder nichts erfahren haben.
In der Regierungserklärung von Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer ist dazu auch nur ein Satz gesagt. Wenn dieses Ministerium seine Aufgabe richtig erkannt und die Bedeutung dieses Bereichs unseres gesellschaftlichen Lebens gesehen hätte, dann hätte es die Pflicht und die Möglichkeit gehabt, bei Beginn dieser dritten Arbeitsperiode des Bundestags ein konkretes Familienförderungsprogramm vorzulegen. Das haben wir vermißt, und dieses Bedürfnis ist auch durch die allgemeine Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers über die Bedeutung der Familie in keiner Weise befriedigt worden.Zweiter Punkt. Der Herr Bundeskanzler hat es etwas beklagt, daß wir ihm nachsagen, daß seine Politik die Wiedervereinigung Deutschlands verhindert oder erschwert, und er hat hinzugefügt, er gebe zu, und jeder andere, der es gewissenhaft untersuche, müsse auch zugeben, es sei außerordentlich schwer, heute konkrete Vorstellungen über die Realisierung dieses zentralen deutschen Problems zu entwickeln.Der Herr Bundeskanzler hat dann einige Bemerkungen aus der „Welt" zitiert über einige Äußerungen, die ich seinerzeit in New-Delhi gemacht habe. Ich habe nicht recht gesehen, was mit diesem Zitat bewiesen werden sollte. Denn, meine Damen und Herren, die Sozialdemokratie hat in der Frage der Wiedervereinigung niemals die Behauptung aufgestellt, wir hätten das Wunderrezept, und die Regierung wende es nur nicht an.Die Differenz liegt ganz woanders: sie liegt in zwei Punkten, und da muß ich sagen, daß diese Differenz auch nach den heutigen Bemerkungen vom Bundeskanzler ja offensichtlich geworden ist. Der erste liegt darin — ich habe versucht, das heute morgen noch einmal klarzumachen —: so wie sich die internationale Situation entwickelt hat, bedeutet das Bestehen der Bundesrepublik auf der Mitgliedschaft in der NATO die Verhinderung von erfolgreichen Verhandlungen mit der vierten Macht über die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Das ist die Realität, und das zeigt ja auch die Entwicklung der letzten Jahre, seitdem die Bundesrepublik solche Bindungen eingegangen ist, die der Herr Bundeskanzler auf keinen Fall aufgeben will.Der zweite Punkt, in dem wir leider durch die Unterhaltung nicht nähergekommen sind, ist der: Der Herr Bundeskanzler ist auch nicht bereit, andere Möglichkeiten und Wege mit der Opposition in diesem Hause auch nur zu diskutieren. Eine solche Unterhaltung hat bisher nie ernsthaft stattgefunden, und ich sehe nicht, wie die Politik der Bundesregierung über den toten Punkt in der Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands hinwegkommen will, wenn die Bundesregierung unter Führung des Herrn Bundeskanzlers auf der hier noch einmal unterstrichenen eindeutigen und einseitigen Betonung ihrer außenpolitischen Linie bleibt. Es ist das Recht der Bundesregierung, eine solche Po-
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Ollenhauersition zu beziehen. Aber es ist das Recht auch der Opposition, immer wieder ihre Bedenken und Zweifel und Besorgnisse über die Konsequenzen dieser Politik für den Frieden und für die Einheit Deutschlands zum Ausdruck zu bringen, und darum geht es.Der Herr Bundeskanzler hat sich schließlich beklagt, daß ich seine Bemerkungen über mögliche gemeinsame Überlegungen und Vorstellungen in den wichtigsten nationalen Fragen so skeptisch beurteilt habe. Mehr habe ich nicht getan. Allerdings, ich habe einige Bemerkungen über die Art und Weise gemacht, in der der Herr Bundeskanzler von seiner Seite zuerst den Wahlkampf gegen die Sozialdemokratie geführt hat, und ich habe davon nichts zurückgenommen. Der Herr Bundeskanzler hat hier eine Rede vom 12. August zitiert, die ich in Hannover gehalten habe. Nun, ich habe sie gehalten, und ich habe sie gehalten — ich möchte sagen — in der bitteren Erkenntnis, daß der Chef der Regierung, der Herr Bundeskanzler, durch seine Nürnberger Rede acht Millionen deutsche Männer und Frauen außerhalb der nationalen Gemeinschaft gestellt oder zu stellen versucht hat.
— Meine Damen und Herren, ich weiß, es ist Ihnen peinlich. Wir haben diesen Nachklang zum Wahlkampf heute nicht provoziert, aber ich sage Ihnen, wenn Sie es haben wollen — —
Ich habe es für ein großes Unglück für das Volk gehalten, daß der Herr Bundeskanzler in einem so frühen Stadium des Wahlkampfes seine Position gegen die Sozialdemokratie mit der Behauptung bezogen hat, ein Sieg der Sozialdemokratie wäre der Untergang Deutschlands.
Meine Damen und Herren, es gibt keine Äußerung von meiner Seite — der Herr Bundeskanzler kann sich in seinem hervorragenden Archiv über solche Äußerungen davon überzeugen —, in der ich vor dieser Diffamierung der sozialdemokratischen Schichten in diesem Volke irgendeine persönliche oder in der Sache auch nur annähernd so scharfe Bemerkung gemacht habe wie in Hannover.
Wenn Sie dachten, das gehe so vorbei, dann haben Sie sich geirrt. Die Sozialdemokratie hat sich weder gestern noch wird sie sich heute oder morgen auf diese Weise an die Wand manövrieren lassen.
Ich füge folgendes hinzu. Ich hätte gewünscht, daß der Herr Bundeskanzler seine Bemerkungen über die Notwendigkeit oder die Wünschenswertigkeit einer gemeinsamen Überlegung in dieser schwierigen Lage mit einem Wort der Erklärungund der Entschuldigung begonnen hätte. Manches wäre dann leichter gewesen.
Der Herr Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang ein sehr merkwürdiges und bemerkenswertes Wort gesagt. Er hat gemeint, es sei doch unmöglich, daß wir immer wieder in dieser Weise die Wiedervereinigungspolitik seiner Partei und der Mehrheit angreifen und damit das Vertrauen der Bevölkerung in der Zone zur Bundesregierung erschüttern. — Meine Damen und Herren, was ist denn das für eine Demokratie?
Natürlich, es ist unser Recht und unsere Pflicht, die Politik der Regierung und der Mehrheit anzugreifen, wenn wir sie aus nationalen Gründen für falsch und bedenklich halten.
Wir werden uns unter keinen Umständen daran hindern lassen. Und bitte, Herr Bundeskanzler, bringen Sie die 17 Millionen Deutschen nicht in das Spiel einer solchen Diskussion!
Das verdienen sie nun wirklich nicht. Wir können uns hier darüber streiten, welches der beste Weg ist. Aber wenn wir an die Menschen da drüben denken, dann sollten wir uns immer überlegen, wie schnell und wie wirkungsvoll wir ihnen die Freiheit in der Einheit mit dem übrigen Volke wiedergeben können.
Was die letzte Bemerkung über den Ernst der Lage angeht, so habe ich heute vormittag sehr nachdrücklich auf die Sorgen aufmerksam gemacht, die wir als Sozialdemokraten in bezug auf die außenpolitische Situation und vor allen Dingen auch auf die Fortsetzung des Wettrüstens haben. Wir haben es wirklich so gemeint, Herr Bundeskanzler, und es wäre mir lieber gewesen, wenn Sie sich hier nicht mit einem solchen Appell, den Ernst der Lage zu begreifen, an uns gewendet hätten — das war nicht nötig —, sondern wenn Sie einen oder zwei Sätze darüber gesagt hätten, wie Sie zu den konkreten Vorschlägen stehen, die die sozialdemokratische Fraktion heute gerade in bezug auf neue Versuche, in der Abrüstungsfrage zu einem Fortschritt zu kommen, gemacht hat, und ob Sie eine Möglichkeit sehen, eine solche Initiative zu ergreifen. Das ist die Tragik, daß wir hier solche Bekenntnisse und solche Appelle hören, aber nicht, daß diese Regierung bereit ist, konkrete Vorschläge der Opposition, die aus demselben Ernst und aus derselben Sorge geboren sind, auch nur mit einem Wort auf ihre Brauchbarkeit oder auf die Annahmemöglichkeit für die Regierung hin zu erwähnen. Da liegt es! Wenn das besser werden soll, wenn wir in der kommenden Zeit zu einem Gespräch kommen wollen, das wirklich Hand und Fuß hat, dann fängt es damit an, daß man hier nicht so mit einigen solcher billigen und zufälligen Bemerkungen polemisiert — ich meine das nicht im ab-
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Ollenhauerschätzigen Sinne, sondern so, wie es hier auch vorgetragen wurde —, sondern daß man sich bemüht, auch die Vorstellungen der Opposition ernst zu nehmen und ihre Durchführbarkeit mit allem Ernst und allem Gewicht, das die Regierung hat, zu prüfen oder zu verwirklichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Es liegt mir fern, die Debatte zu verschärfen. Aber ich glaube, eine ehrliche Aussprache ist die beste Möglichkeit, zur Klarheit auch über die gesamte außenpolitische Situation zu kommen.
Ich möchte Herrn Kollegen Ollenhauer, der gesagt hat, daß er erst durch meine Erklärung in Nürnberg dazu gekommen sei, diese Schärfe in den Wahlkampf zu bringen, folgendes ins Gedächtnis zurückrufen. Er hat in Wiesbaden, und zwar am 14. April, gesagt: Ein Mann mit einem solchen Maß von Arroganz und Überheblichkeit darf nicht an der Spitze des Volkes bleiben.
Nun, mich hat dieses Zitat nicht sehr gestört.
Ich darf den Satz noch einmal wiederholen: Ein Mann mit einem solchen Maß von Arroganz und Überheblichkeit darf nicht an der Spitze des Volkes bleiben.
— Das ist ja sein Geheimnis!
—Ich weiß nicht, ob das im Zusammenhang damit gesagt worden ist.
Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich mit den Atomforschern in voller Übereinstimmung auseinandergegangen bin.
— Ja, meine Damen und Herren, es ist billig zu lachen, es ist das Allerbilligste.
Aber ich möchte Ihnen weiter sagen, was ich in Nürnberg ausgeführt habe. In Nürnberg habe ich gesagt: Die sozialdemokratische Außenpolitik führt zum Austritt aus der NATO und damit zum Untergang Deutschlands. Das habe ich gesagt, und das ist nach wie vor meine Meinung, meine Damen und Herren.
Man stelle sich doch vor, bei der heutigen Weltlage würden wir den Geanken, aus der NATO auszutreten, nur in Erwägung ziehen; dann würden wir Chruschtschow noch einen weiteren Sieg verschaffen, einen Propagandasieg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bundeskanzler?
Nein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich zu beruhigen.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Ollenhauer hat weiter bemängelt, daß ich heute nichts über die Abrüstung gesagt habe. Meinem Erinnern nach habe ich in der Regierungserklärung sehr deutlich und sehr klar gesagt, daß die Bundesregierung alles, was in ihren Kräften steht, tun wird, um zu einer allgemeinen kontrollierten Abrüstung zu kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister mit einem falschen Zitat begonnen hat. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt, daß Wettbewerb und freie Preisbildung sich bisher stets als bester Schutz für den Verbraucher erwiesen haben. Es war kein Wort über die Bedeutung von freiem Wettbewerb und freier Preisbildung für eine stabile Ordnung gesagt. Wir haben demgegenüber die Tatsache ins Gedächtnis zurückgerufen, daß bei diesem Wettbewerb und bei dieser freien Preisbildung die Preise in den letzten Jahren ständig gestiegen sind und daher zu einer Belastung des Verbrauchers geführt haben.
Ich glaube nicht, daß die Erörterungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers, die von einer falschen Grundlage ausgingen, in diesem Augenblick sehr zutreffend waren.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gemeint, wenn über Preiserhöhungen gesprochen werde, dürfe es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Gerade das ist es, was wir in den vergangenen zwei
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Dr. Deistbis drei Jahren in den Diskussionen ständig betont haben. Wir haben im Jahre 1955, im Frühjahr 1956 und laufend Regierungserklärungen mit Konjunkturprogrammen gehört, in denen eine Stabilisierung der Preise verkündet wird, — reine Lippenbekenntnisse, denen keine Taten gefolgt sind.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gemeint, wir hätten zu den entscheidenden Fragen nicht Stellung genommen. Nun, es ist in der weiten deutschen Öffentlichkeit mittlerweile Allgemeingut geworden, daß mit der Kartellpolitik, mit der Finanzpolitik und der Außenhandelspolitik der Bundesregierung die entscheidenden Grundlagen unserer heutigen Preissituation gelegt wurden. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat nur das Kapitel Außenhandel behandelt. Ich entnehme daraus, daß er gegenüber unseren Vorwürfen bezüglich einer unzureichenden Kartellpolitik und einer unzulänglichen Finanzpolitik keine ernsthaften Einwendungen zu machen hat.Aber zum Außenhandel! Ich wundere mich eigentlich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister den Mut hat, so zu tun, als wenn auf diesem Gebiet alles Entscheidende getan wäre und nichts mehr zu tun übrigbliebe. Ja, er meinte, wir Sozialdemokraten hätten im Grunde genommen nur seine Anträge auf Zollsenkung und auf Einfuhrfreiheit unterstützt und sie noch etwas übertrieben. Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, einmal darüber nachzudenken, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister — ich will da auf das Erstgeburtsrecht gar nicht so sehr eingehen — in der Forderung nach stärkeren Zollsenkungen mit uns übereingestimmt hat und daß das Bundeskabinett und der Bundestag diese seine Forderung abgelehnt haben bzw. hinter diesen Forderungen zurückgeblieben sind. Die Darstellung des Herrn Bundeswirtschaftsministers entspricht einfach nicht den Tatsachen.Im übrigen meine ich, wir sollten die Frage des Außenhandelsüberschusses oder — ich möchte die Formulierung meines Freundes Erich Ollenhauer aufnehmen, weil sie richtiger ist — des Einfuhrdefizits nicht zu leicht nehmen. Denn es ist nicht etwa so, daß man sich in den internationalen Gremien besonders stark über unser niedriges Preisniveau unterhielte; vielmehr macht man sich große Sorge über dieses Einfuhrdefizit und die Deroutierung des Welthandels, die dadurch herbeigeführt wird. Es ist doch wirklich ein sehr, sehr ernstes Problem, wie wir der strukturellen Veränderung der deutschen Wirtschaft, die auf starke Außenhandelsverflechtung und große Ausfuhren angewiesen ist, unsere Exportpolitik anpassen. Da nutzt es uns gar nichts, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister sagt, wir hätten auf diesem Gebiet Erhebliches getan. Zunächst einmal haben wir uns auf den gewerblichen Sektor beschränkt. Zweitens wäre festzustellen, daß es zahlreiche Länder gibt, z. B. die Low-tariff-Länder, die im gesamten Zollniveau niedriger liegen als wir in Deutschland.
Es ist schon der Erörterung wert, ob nicht eineweitere Zollsenkung, eine weitere Einfuhrliberalisierung zu einer Umstrukturierung im Import führen kann, die unserer heutigen Stellung in der Weltwirtschaft mehr gerecht wird als die augenblickliche Situation. Denn, meine Damen und Herren, wenn Sie meinen, daß auf diesem Gebiet nichts Entscheidendes mehr geschehen könne, wie wollen Sie dann dem steigenden Preistrend entgegentreten, der wesentlich durch diese Ausfuhrüberschüsse mitbedingt ist? Das zu diesem Problem.Aber nun muß ich doch auf die Äußerungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers zum Lohn-PreisProblem eingehen. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich glaube, wir stimmen Ihnen alle zu, daß das ein Problem ist, dem man sich in objektiver Betrachtung nähern und das man objektiv behandeln müßte. Wir haben uns auch nie gewehrt, diese Frage zu behandeln. Wir haben uns nur gegen die Form gewehrt, in der sie erörtert wird. Ich will jetzt gar nicht vom Wahlkampf und den dort gemachten Äußerungen sprechen. Der Herr Bundeskanzler hat in den Mittelpunkt seiner Erklärung nicht das Preisproblem gestellt, sondern die Worte von der bedenkenlosen Verständigung auf Kosten der Konsumenten. Er hat die Arbeitszeitverkürzung im Zusammenhang mit der untragbaren Verminderung des Sozialprodukts in den Mittelpunkt gestellt Meine Damen und Herren, der Ton macht die Musik! Es war der Herr Bundeswirtschaftsminister, der im Zusammenhang mit dem schleswig-holsteinischen Streik — einem Streik, in dem es um die Gleichbehandlung der Arbeiter mit den Angestellten in bezug auf die Lohnfortzahlung ging, um eine Forderung, deren Berechtigung der Bundestag wenigstens im Prinzip durch seine eigene Gesetzgebung wenigstens nachträglich anerkannt hat -, also im Zusammenhang mit diesen Tarifverhandlungen gesagt hat, hier wolle sich eine Berufsgruppe auf Kosten der anderen bereichern. Auf der Frankfurter Frühjahrsmesse im März 1957 sprach er davon — auch wieder mit dem Blick auf die Arbeitnehmer —, es dürfe nicht dahin kommen, daß sie über die realen Möglichkeiten dem Konsum frönen und zu schnell reich werden wollten. In anderen Presseerörterungen sind diese Dinge volkstümlicher wiedergegeben — im Gegensatz zu dem korrigierten, gedruckten Text. Danach hat er davon gesprochen, man wolle nur verfressen, was produziert werde, ohne an das Morgen zu denken.Dann ein Letztes. Am 1. November dieses Jahres hat der Bundeskanzler sich im Wahlkampf in Hamburg wieder mit diesen Dingen befaßt, und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" konnte darüber berichten, er habe besonders eindringlich vor dem Machtmißbrauch der Arbeitnehmerschaft gewarnt. Dann kommen Formulierungen über den Zusammenhang zwischen leichter Inflation und Lohnpolitik und einer verbrecherischen Politik, die, ungeachtet der Tatsache, daß man formal-objektiv den Zeigefinger nach beiden Seiten erhebt, ganz deutlich draußen als eine Diffamierung der Arbeiterbewegung verstanden werden müssen und auch so verstanden werden.
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92 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Dr. DeistNun aber zu der objektiven Betrachtung des Problems! Ich meine, man müßte schon zur Klarstellung über die sachlichen Zusammenhänge einiges Objektive sagen. In Deutschland geht wieder einmal das Gerede um, es komme eine Lohnwelle auf uns zu. Meine Damen und Herren, auch das ist ein Teilbestandteil in dem Diffamierungsfeldzug, der ständig geführt wird. Wir haben insgesamt 14 Millionen Menschen unter Tarifvertrag. Die Tarifverträge laufen zwischen ein und anderthalb Jahren. Es ist also normal, daß jedes Vierteljahr für 2 bis 3 Millionen Menschen Tarife gekündigt werden. Sonst würden die Arbeitnehmer nämlich keinen Anteil an dem wirtschaftlichen Fortschritt haben.Es ist auch durchaus verständlich, daß entsprechend der Saisonbewegung, die größten Tarifkündigungen in das Frühjahr und in den Herbst fallen. Niemand, der die Dinge objektiv betrachtet, kann behaupten, daß hier von unnatürlichen Lohnbewegungen und von einer unnatürlichen Lohnwelle geredet werden kann. Im Gegenteil! Wer versucht, die Dinge nüchtern zu betrachten, muß feststellen, daß die Lohnbewegung im Lauf des letzten Dreivierteljahres einen beinahe unnatürlich ruhigen Verlauf genommen hat.Meine Damen und Herren, dann aber ein paar Fakten zur Lohnbewegung! Das Statistische Bundesamt hat festgestellt, daß das Nettosozialprodukt, also die gesamte wirtschaftliche Leistung, in den Jahren von 1950 bis 1956 je Einwohner um 85 % gestiegen ist. Die Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer sind in der gleichen Zeit nur um 55 % gestiegen,
sind also wesentlich hinter dieser wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben.Wir haben gerade in diesen Tagen von dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sehr fundierte Berechnungen über die Entwicklung im ersten Halbjahr 1957 bekommen. — Ich darf hier einschalten: Es ist ein Jammer, daß wir keine genügenden Unterlagen für eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung haben, an der wir dieses Zahlenmaterial objektiv nachprüfen könnten.
Auf Grund dieser Berechnungen ist folgendes festzustellen: Im ersten Halbjahr 1957 ist das reale Nettosozialprodukt, die reale wirtschaftliche Leistung, um 3,8 % gestiegen. Die Nettolöhne und -gehälter sind real nur um 4,2 % gestiegen. Dabei wurden 2 % der Lohn- und Gehaltssummen zusätzlich gespart, so daß der tatsächliche Verbrauch im ersten Halbjahr 1957 hinter der Produktionssteigerung zurückgeblieben ist.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in Dokumenten, die der sachlichen Unterrichtung dienen, diesen Tatbestand unterstrichen. Er hat nämlich in dem letzten Bericht über die wirtschaftliche Lage im Bundesgebiet ausgeführt, daß vom privaten Verbrauch keine weiteren konjunkturellen Beschleunigungswirkungen mehr ausgehen. Was hat das anderes zu bedeuten, als daß tatsächlich von derLohnbewegung und von der Verbrauchsbewegung keine konjunkturbeschleunigenden Elemente und damit keine Ansatzpunkte für Preiserhöhungen mehr gegeben sind?
Vielleicht darf man dazu noch folgendes hinzufügen: Wir haben uns im Jahre 1955 bei der Debatte über die Konjunkturentwicklung darüber unterhalten, daß wir eine Übersteigerung in der Investitionsgüterindustrie hatten. Das heißt: eine Normalisierung muß zu einer Absenkung der Investitionsrate und zu einer Steigerung der Masseneinkommen und damit des Massenverbrauchs führen; denn sonst hätten wir ja nicht von einer Übersteigerung in den Investitionen sprechen können.Daraus ergibt sich doch: Es ist im Rahmen einer gesunden Lohn- und Gehaltsentwicklung ganz normal und natürlich, daß die Masseneinkommen steigen und auch der Verbrauch eine steigende Tendenz aufweist.Leider, leider ist das nicht der Effekt all dieser Bemühungen gewesen. Es ist nämlich sehr merkwürdig, daß der Anteil der Löhne und Gehälter an der gesamten volkswirtschaftlichen Leistung in den Jahren seit 1950 ständig auf dem selben Satz von rund 40 % stehen geblieben ist, obwohl die Zahl der Arbeitnehmer ständig zugenommen und die Zahl der Selbständigen ständig abgenommen hat.Noch viel interessanter ist die Entwicklung des privaten Verbrauchs, und ich meine, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn man sich über diese Zusammenhänge unterhält, sollte man diesen Gesichtspunkt nicht vergessen. Der private Verbrauch, der noch im Jahre 1950 63 % betrug, ist seit 1951 auf 60 % abgesunken und im ersten Halbjahr 1957 auf 57 % abgefallen.Sehen Sie, meine Damen und Herren, hier liegt die wirkliche konjunkturpolitische Gefahr, wenn wir von einer solchen sprechen wollen. Es kommt entscheidend darauf an, ob die zukünftige Konjunkturentwicklung — da sie sich nicht mehr auf die Investitionsgüterindustrie stützen kann — nunmehr durch einen steigenden Verbrauch getragen wird. Die Gefahr liegt eher darin, daß wir einen zu niedrigen Verbrauch, zu niedrige Masseneinkommen haben, als daß wir einen zu hohen Verbrauch haben.Die Diskussionen, die hier geführt werden, beruhen auf Tatbeständen, die mindestens seit einem halben Jahr überholt sind. Es ist vielleicht kein unwichtiges Anzeichen, daß der Produktionsindex, der Zuwachs der industriellen Produktion, der noch im ersten und zweiten Vierteljahr 1956 rund 12 % betragen hat, im ersten Quartal dieses Jahres auf 7, im zweiten Quartal auf 4 und im dritten Quartal — in-1 August und September — auf 3 % zurückgegangen ist. Das ist wirklich ein radikaler Rückgang der Industrieproduktion, der zu denken gibt. Darum bitte, meine Damen und Herren: Wer diese Dinge sieht, der muß sich darüber klar sein, daß, da wir keine weitere Investitionsübersteigerung hab en
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 93
Dr. Deistmöchten und dürfen, eine Verbrauchsentwicklung, die eine gesunde Konjunkturentwicklung sichert, und damit wesentliche Erhöhung des Verbrauchs, unbedingt erforderlich ist. Ich meine, der Herr Bundeswirtschaftsminister übersieht diese Dinge doch wohl, wenn er meint, in diesem Augenblick in dieser Weise praktisch gegen jede Lohnbewegung auftreten zu dürfen.Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat als Beweis für die Überforderung von seiten der Gewerkschaften angegeben, daß es bei einigen Gewerkschaften — ich kenne den Satz von 20 % nicht; ich kenne nur Sätze von 12 und 17 %, ich glaube, Textil ist dabei — gewisse Unterschiede gibt. Ich darf zunächst einmal auf folgendes aufmerksam machen. Die Bruttostundenverdienste in der Wirtschaft zeigen große Unterschiede. Wir haben im Jahre 1956 in der Industrie einen Durchschnittsstundenverdienst von 2 DM gehabt, bei Eisen- und Steinkohle 2,60 DM, bei Bekleidung und Weiterverarbeitung 1,40 DM. Meine Damen und Herren, das sind Unterschiede, die auf die Dauer ungesund sind. Und es ist nur natürlich und nur richtig, wenn versucht wird, eine Angleichung der tiefliegenden Lohngruppen an das Durchschnittsniveau zu erreichen, weil wir sonst zu sozialen Spannungen kommen, die für die Gesamtheit nicht erträglich erscheinen.
— Das sagen wir ihnen. Aber wenn man davon spricht, daß es solche hohen Lohnforderungen gibt, dann sollte man diesen Tatbestand nicht unterschlagen. Ein anderes Beispiel liegt Ihnen vielleicht näher: die Krankenschwestern. Wir wissen, wie die Lage der Krankenschwestern ist. Meinen Sie wirklich, daß man den Krankenschwestern bloß deshalb eine angemessene Anpassung ihres Einkommens versagen dürfte, weil der Beruf der Krankenschwester nicht übermäßig produktiv in dem Sinne ist, wie wir das normalerweise verstehen.
— Meine Damen und Herren, der Vergleich zieht durchaus; denn die Krankenschwestern liegen mit an der untersten Stufe. Sie sollten diese Dinge nicht zu gering einschätzen.Mein Kollege Ollenhauer hat in seiner Erklärung sehr nachdrücklich dargelegt, daß wir diese Diskrepanzen nicht für richtig halten, und er hat, glaube ich, ebenfalls sehr deutlich aufgezeigt, wo ein volkswirtschaftlich vernünftiger Ausweg aus dieser Entwicklung zu sehen ist. Der vernünftige Ausweg liegt darin, daß in den Wirtschaftsbereichen, in denen eine hohe Produktivitätssteigerung möglich ist, in denen infolgedessen starke Gewinnsteigerungen über den Preis stattfinden können, durch eine entsprechende Kartellpolitik und die übrige Wirtschaftspolitik darauf hingewirkt wird, daß dieser Produktivitätszuwachs in erster Linie durch Preissenkungen allen Verbrauchern zugute kommt, Dann muß man aber eine Wirtschaftspolitik betreiben, die Preissenkungen zur Folge hat und nicht das Gegenteil.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich doch wohl einer Simplifizierung schuldig gemacht, als er meinte, wir hätten so getan, als sollte man die Ertragslage der Unternehmungen auf einen Nenner bringen. Er sagte, das bedeute Erstarren auf einer Höhe, das Wesen der freien Wirtschaft bestehe aber in den Unterschieden. Nun wohl, wir wissen, daß es weder eine Erstarrung der Preise noch eine Erstarrung der Ertragslage noch eine Erstarrung des Einkommensniveaus und der Lohnbewegung geben darf. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister war es, der in seinem Gutachten über die Lage des Kapitalmarkts — ich glaube, im März dieses Jahres — darauf hingewiesen hat, daß der ungeheure wirtschaftliche Vermögenszuwachs der Jahre seit 1950, der in die hohen Milliardenbeträge geht, einseitig einigen wenigen bereits heute hochrentierlichen Unternehmungen zufließt. Sehen Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, diese Unternehmungen meinen wir. Diese Unternehmungen sind in der Lage, durch Preissenkungen den Effekt der Produktivitätssteigerung allen Verbrauchern zugute zu führen. Dann vermeiden Sie auch Diskrepanzen im Lohngefüge, die nicht notwendig sind, wenn man durch eine vernünftige Preispolitik eine reale Steigerung der Kaufkraft der breiten Massen herbeiführt.
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Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, hier eine Preisdebatte zu eröffnen; ich darf vielmehr daran erinnern, daß wir hier in einer Aussprache über die Regierungserklärung stehen. Da aber möchte ich wissen, mit welchem Wort, mit welchem Satz der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung sich etwa in einem Sinne geäußert hätte, der als Diffamierung der Arbeiterschaft hätte verstanden werden können. Da ist nichts, aber auch nichts darin, was nur andeutungsweise eine solche Auslegung zuläßt.Wenn ich vorhin das Thema der Gewerkschaften angesprochen habe dann nur deshalb, weil Sie, Herr Kollege Ollenhauer, das Problem so dargestellt haben, als ob zwar auf der einen Seite so etwas wie Preiswucher geübt werden würde und das allein die Schuld an den steigenden Preisen trüge. Sie haben nur die Unternehmer angesprochen und nicht den Mut gehabt, auch die andere Seite, eben den anderen Sozialpartner zu mahnen. Der aber gehört gerechterweise und objektiverweise mit angesprochen. Sonst ist das nämlich von Ihrer Seite eine Diffamierung, während niemand von uns nur von einem Sozialpartner gesprochen hat, sondern immer nur von den zwei Sozialpartnern die Rede war. Das muß man einmal mit aller Deutlichkeit sagen.
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94 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. ErhardIch freue mich auf die von Ihnen angekündigte Aussprache, und ich freue mich auf alles Material, das Sie dazu beibringen, insbesondere z. B. auch über Lebenshaltungskosten und über die Steigerungen auf diesem Gebiete. Ich glaube, die Steigerung der Lebenshaltungskosten in Deutschland kann sich vor allen Dingen dann, wenn man bedenkt, woher wir gekommen sind, durchaus sehen lassen.
Sie selber haben wiederholt und in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, wir sollten doch nicht vergessen, was hinter uns liege, d. h. das ganze Unheil des Dritten Reichs. Hier bei solchen Debatten aber vergessen Sie es ganz geflissentlich. Da tun Sie so, als ob wir aus dem Hanf gekommen wären.Zu Ihrem Vergleich mit der Montanunion darf ich Ihnen sagen, wie der Vergleich mit dem Warenkorb zustande kommt. Erstens sind die bestehenden Wechselkurse zum Maßstab gewählt. Daß die aber nicht allenthalben realistisch sind, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. So ist man zu dem Warenkorb gekommen, in dem alle wesentlichen Ernährungsgüter und Verbrauchsgüter enthalten sind. Sie wissen aber z. B., daß in Frankreich ein Indexlohn besteht und daß die französische Regierung geflissentlich darauf bedacht war, die Waren, die in dem Warenkorb sind, mindestens statistisch niedrig im Preis zu halten, um nicht fortlaufend zu Lohnerhöhungen gezwungen zu sein. So also kommt ein solcher Vergleich zustande.Dagegen bin ich durchaus bereit, mich an Hand objektiver Statistiken auch auf das Gespräch über die Steigerungen der Lebenshaltungskosten in Deutschland einzulassen. Wenn man sich allenthalben über Deutschland unterhalten, bzw. an Deutschland Forderungen gestellt hat — was wir alles zu tun haben und tun sollten, um im Sinne einer guten Gläubigerpolitik unsere Überschüsse abzubauen und unseren Handelspartnern zu helfen —, dann hat man das nicht zuletzt deshalb getan, weil man an den Kernpunkt des Problems, nämlich die intervalutare Ordnung innerhalb der freien Welt, noch nicht herangekommen ist oder nicht herankommen wollte. Aber das würde zu weit führen, Herr Kollege Deist.Wir haben uns beim Kartellgesetz über den Begriff des Mißbrauchs der wirtschaftlichen Macht unterhalten und wir waren uns darüber durchaus einig, daß es bei Kartellen, bei Monopolen etwas Derartiges gibt. Sind Sie nicht der Meinung, daß es einen Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht auch bei den Gewerkschaften gibt, wenn sie in starker Position ihre Macht zum Einsatz bringen? Wenn man den Begriff des Mißbrauchs der wirtschaftlichen Macht gelten läßt — ich bin bereit, das zu tun —, gilt er für jegliche Art von Monopolstellungen und Ausnutzung wirtschaftlicher oder auch politischer Macht.
Zu den Zahlen darf ich noch sagen, daß der Anteil des Einkommens aus abhängiger Arbeit inDeutschland in den letzten sechs Jahren von 57 Komma soundsoviel Prozent auf 61 Komma soundsoviel Prozent gestiegen ist. Ich kann Ihnen die genauen Zahlen vorlegen. Dabei hat sich diese Steigerung bei einem rasant anwachsenden Sozialprodukt vollzogen.Sie haben dann aber etwas gesagt, was wirklich des Nachdenkens wert ist, das nämlich, daß der Zuwachs unseres Sozialprodukts eine abnehmende Tendenz zeigt. Das ist einmal deshalb verständlich, weil das Arbeitskräftereservoir sich erschöpft und aus diesem Grunde von der menschlichen Seite her Grenzen gesetzt sind. Ich glaube nur, wir ziehen daraus eine falsche Nutzanwendung. Wenn wir die Gefahr erkennen, sollten wir eigentlich nicht Rekorde in Arbeitszeitverkürzung brechen wollen, sondern sollten uns dessen eingedenk sein, daß wir, wenn wir den Zuwachs unseres Sozialprodukts erhalten wollen, mit dem Rückgang der Arbeit und Arbeitszeit lieber noch etwas zuwarten sollten. Wenn wir aber trotz des Rückgangs der Arbeitszeit gleich gut leben wollen, vielleicht sogar noch besser leben wollen, müssen wir daraus jedenfalls die Konsequenz ziehen, in unserem unmittelbaren persönlichen Verbrauch etwas einzuhalten. Wenn durch entsprechende Spartätigkeit und Anreicherung des Kapitalmarkts die Voraussetzungen zu verstärkter Rationalisierung und höherer Leistungsergiebigkeit unserer Volkswirtschaft geschaffen sind, können wir uns das vielleicht einmal leisten; aber man kann nicht alles zu gleicher Zeit tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Bundeswirtschaftsminister, sind Sie nicht auch selber erstaunt über die große Elastizität, die der Arbeitsmarkt im Laufe des vergangenen Jahres gezeigt hat? Sämtliche Berichte, wenn ich nicht irre, auch Ihr Lagebericht aus dem Monat September, stellen ausdrücklich fest, daß von ernsten Spannungen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr die Rede sein kann. Wenn das richtig ist, entfällt dann nicht ein Teil der Konsequenzen, die Sie soeben gezogen haben?
Wie ich weiß, lautete auch von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung in Nürnberg die letzte Meldung dahin, daß 250 000 angeforderte Stellen nicht mehr besetzt werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Debatte hat sich in zwei wesentliche Teile aufgespalten, in einen wirtschaftspolitischen Teil und in einen außenpolitischen Teil. Sind Sie damit einverstanden, daß wir zunächst den einen Teil zu Ende bringen?
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 95
Vizepräsident Dr. BeckerEs hat sich zum Wort gemeldet Herr Kollege Erler; ich nehme an, daß er zur Außenpolitik sprechen will. Ferner hat sich Herr Kollege Margulies zum Wort gemeldet, von dem ich annehme, daß er zur Wirtschaftspolitik sprechen will. Ich bitte Sie, damit einverstanden zu sein, daß ich jetzt erst Herrn Kollegen Margulies sprechen lasse. Ich bitte ferner diejenigen, die zum wirtschaftspolitischen Teil etwas beizutragen haben, sich inzwischen zu melden, damit wir diesen Teil in einer geschlossenen Debatte zu Ende bringen und anschließend den außenpolitischen Teil behandeln. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die jetzt abrupt ausgebrochene wirtschaftspolitische Diskussion leidet darunter, daß sie sich an einigen wenigen Punkten entzündet hat, ohne daß das Ganze dabei berücksichtigt wird. Nun ist, glaube ich, gerade die Außenhandelspolitik eine der Fragen, in denen in diesem Hause recht wenig Meinungsverschiedenheiten bestehen. Es gilt heute wohl als gesichertes Wissen, daß die Zahlungsbilanzüberschüsse, von denen soviel die Rede ist, im wesentlichen darauf zurückgehen, daß die Währungsrelationen nicht dem wahren Wert entsprechen. Dem kommen wir auch mit noch so großen Zollsenkungen nicht bei, obwohl diese, binnenwirtschaftlich gesehen, eine recht nützliche Folge haben und eine noch nützlichere Folge gehabt hätten, wenn man nicht wie die Katze um den heißen Brei immer um die Finanzzölle herumgeschlichen wäre. Aber die derzeitige Situation zwingt die Bundesregierung zum Handeln, und ich glaube, wir sollten uns sehr sorgsam, aber auch gemeinsam überlegen, mit welchen Methoden man die Folgen der falschen Währungsrelationen abmildern kann, nachdem es uns nicht gelingt, die Ursachen zu beseitigen.
Zur allgemeinen Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren, sollten wir uns doch darüber im klaren sein, daß die Situation durch die Gesetzgebung der vergangenen 3/4 Jahre sehr stark vorbelastet ist. Wir werden die Konsequenzen in den nächsten Monaten erleben, und es wird der Bundesregierung nicht leicht fallen, die Folgen aufzufangen.
Die wirtschaftspolitischen Thesen, die unser Freund Dr. Becker heute morgen in seiner Antwort auf die Regierungserklärung dargetan hat, bedürfen an sich keiner Ergänzung. Wir vertreten diese Thesen seit Jahr und Tag, und wir haben sie wiederholt dem Hause vorgetragen. Wir freuen uns aufrichtig, daß die CDU in ihrer ersten Fraktionssitzung nach den Wahlen und jetzt auch die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung im wesentlichen diese Forderungen übernommen haben, und wir sind gern bereit, dabei mitzuhelfen, diese unsere Anliegen, insbesondere was die Mittelstandspolitik, was die soziale Schichtung anbelangt, so gut es in unseren Kräften steht, zu unterstützen, vorausgesetzt daß die Bundesregierung ihr Wort hält, nämlich diese Fragen nunmehr vordringlich zu behandeln. Wir fragen uns allerdings, warum nicht die zweite Regierung Adenauer das schon getan hat, was jetzt die dritte Regierung verspricht. Aber es ist ja im Himmel immer mehr Freude über einen reuigen Sünder als über zehn Gerechte.
Wir hoffen und wünschen also, daß es in gemeinsamer Anstrengung gelingen möge, das Preisniveau auf dem gegenwärtigen Stand zu halten. Wir haben da unsere Bedenken. Die etwas überraschende Preiserhöhung für Kohle kann nicht ohne Wirkungen bleiben. Es kommt auf uns zu — wie Sie alle wissen — eine Erhöhung der Verkehrstarife; und wir müssen ja auch mit einer Reihe von Kündigungen von Tarifverträgen rechnen. Es wird also weiß Gott aller Anstrengungen bedürfen, um diese Erhöhungen noch in einer gesteigerten Produktivität aufzufangen. Und darüber war ja wohl jedenfalls in einer Diskussion, die früher hier im Hause zwischen den beiden Wirtschaftskundigen Herrn Professor Erhard und Herrn Dr. Deist stattgefunden hat, Übereinstimmung erzielt, daß man immer nur die Steigerung des Sozialprodukts verteilen könne und in diesem Punkte jedenfalls nicht über die 100 °/o hinausgehen könne, wenn man nicht in eine Entwertung der Mark hineinschlittern wolle. Ich hoffe, daß es bei dieser damaligen Feststellung geblieben ist und dieser Punkt von beiden Seiten verantwortungsvoll ganz präzise eingehalten werden wird.
Das scheint uns die entscheidende Frage: daß auf gar keinen Fall die Kaufkraft der Währung beeinträchtigt werden darf, wir also dafür Sorge trage müssen, daß das Preisniveau sich hält, nicht erhöht wird, die Produktivität aber so weiter gesteigert wird, daß die Kostenerhöhungen, mit denen wir heute schon fest rechnen müssen, in der steigenden Produktivität aufgefangen werden können. Ich glaube, das ist ein gemeinsames Interesse, und an dieser Aufgabe sollten wir alle mitarbeiten, ungeachtet dessen, daß wir sonst von verschiedenen Ausgangspunkten an die Dinge herangehen. Etwas Sorge macht uns natürlich, daß im Augenblick wahrscheinlich noch niemand ausrechnen kann, was die Sozialgesetze eigentlich kosten werden, die wir im Frühjahr dieses Jahres hier im Hause verabschiedet haben, und wie wir mit den daraus herrührenden Kosten- und Preiserhöhungen fertig werden sollen. Vielleicht sind da noch einige Korrekturen notwendig, und wenn diesbezügliche Vorschläge von dem nunmehrigen Vorsitzenden des Wirtschaftskabinetts kommen werden, dann werden wir sie ernsthaft prüfen und uns gegebenenfalls der Mitwirkung nicht versagen.
Ich glaube aber, daß die augenblickliche Situation dazu angetan ist, besonders in den Fragen der Handelspolitik sehr stark zusammenzuarbeiten und nicht an irgendeiner Haaresbreite die Einigung scheitern zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach der Rednerliste zu urteilen, liegen Wortmeldungen für diesen wirtschaftspolitischen Teil nicht mehr vor. Ich frage
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96 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Vizepräsident Dr. Beckervorsorglich, ob sich noch jemand meldet. — Das ist nicht der Fall. Dann darf ich diesen Teil der Debatte als geschlossen betrachten.Wir kommen jetzt zum außenpolitischen Teil. Auf der Rednerliste steht der Abgeordnete Erler. Ei hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers führt mich trotz der vorgerückten Stunde ans Rednerpult, um in aller Kürze zu einem bestimmten Punkt noch eine sachliche Aufklärung zu geben. Der Herr Bundeskanzler hat zitiert, was er in seiner Rede in Nürnberg gesagt hat. Er hat es hier in zwei markigen Sätzen zusammengefaßt. Es handelt sich um unser Verhältnis, das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland, das Verhältnis der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und vielleicht das Verhältnis eines wiedervereinigten Deutschlands zum Atlantikpakt.Wie liegen die Dinge? Wir haben das sehr oft hier miteinander diskutiert, und eigentlich sollte jeder wissen, wie wir dazu stehen. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß, welche Gründe auch immer für die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland im Atlantikpakt angeführt worden sein mögen, ein Grund jedenfalls — das ist unsere Überzeugung — nicht sticht, nämlich daß man mit Hilfe dieser Politik die Sowjetunion zur Wiedervereinigung Deutschlands bringen oder zwingen könne.
Das ist der eine Punkt. Auch bei Ihnen regen sich ja leise Zweifel, und man fragt sich, ob nicht, um die Wiedervereinigung zu erreichen, über diese Frage hinaus ganz andere Gedanken erörtert werden müssen, um auch die Sowjetunion zu der erforderlichen Zustimmung für die deutsche Einheit zu bekommen. Denn ohne die Sowjetunion ist sie nicht zu haben.Nun kommt der zweite Punkt. Kein Sozialdemokrat hat einen Zweifel daran gelassen, daß selbstverständlich für die Bundesrepublik Deutschland die von der rechtmäßigen Regierung unterzeichneten und von einem rechtmäßig gewählten Parlament ratifizierten Verträge auch dann gelten, wenn wir selber dagegen gekämpft haben.
Das ist unbestritten, und darauf braucht man doch nicht immer wieder zurückzukommen.Nun kommt der dritte Punkt, und das ist für uns der wesentliche: wir — und auch in Ihren Reihen gibt es da ja allmählich Stimmen, die dem Herrn Bundeskanzler nicht verborgen geblieben sind — sind der Meinung, daß abgesehen von allen anderen Schwierigkeiten, die es sowieso noch in der Deutschlandfrage gibt, die Wiedervereinigung Deutschlands sicher nicht erreicht werden kann, wenn man sie mit der Bedingung koppelt, daß das wiedervereinigte Deutschland das Recht haben müsse, Mitglied des Atlantikpaktes zu sein. Es handelt sich also darum, ob das wiedervereinigte Deutschland dem Atlantikpakt angehören könne oder nicht. Und da sagen wir allerdings, es wird anders gemacht werden müssen, weil wir sonst die deutsche Einheit nie werden erleben können.Genau über diesen Punkt werden auch in Ihrem Lager Erwägungen angestellt. Sie reichen von einem etwas sanften Wort des Herrn Kollegen Kiesinger, daß die NATO kein Dogma sei, bis zu Überlegungen des Herrn Verteidigungsministers in der Zeitschrift „Außenpolitik" und anderwärts, daß er sich auch aus dem harten Zwang der Notwendigkeiten heraus anderen Lösungen nicht verschließen würde, wenn sie sich als nötig erwiesen, um überhaupt die Wiedervereinigung zustande zu bringen, und sie gehen bis zu ähnlichen Gedankengängen, die auch Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier im Wahlkampf ausgeführt hat. Wir müssen also, glaube ich, diesen Tatbestand ins Auge fassen und uns darüber verständigen, um einen Baustein nur zu dem sehr schwierigen und notwendigen Gebäude einer Deutschlandpolitik zu schaffen, die unser Land wieder zusammenfügen kann. Aber — und das möchte ich mit allem Nachdruck sagen, und unser Vorsitzender Ollenhauer hat es im Wahlkampf ausgesprochen — es denkt doch niemand daran, nur deshalb, weil für das wiedervereinigte Deutschland eine andere Lösung gefunden werden muß, jetzt die Bundesrepublik Deutschland, nur um den Sowjets einen Gefallen zu tun, zu veranlassen, unter Bruch der Verträge aus dem Atlantikpakt auszutreten. Davon ist doch gar nicht die Rede.
— Nicht die Sozialdemokratische Partei; das istdoch schließlich das, worum es sich hier handelt.Nun hat der Herr Bundeskanzler in Nürnberg gesagt: Ein Sieg der Sozialdemokratie führt zum Austritt aus der NATO und infolgedessen zum Untergang Deutschlands. Entschuldigen Sie, nach dem, was ich Ihnen soeben gesagt habe, sollte es jedermann klar sein, daß der erste Teil der Behauptung des Bundeskanzlers schlicht falsch ist,
infolgedessen auch die Konsequenzen, die er daraus zieht.
— Bitte, also mehr als Beschlüsse, mehr als Reden und Ausführungen unseres Parteivorsitzenden können Sie doch wohl nicht an verbindlichen Erklärungen für die Sozialdemokratische Partei noch fordern. Das ist doch wohl das Entscheidende. Wenn wir Ihnen vorrechneten, was alles der 97. Wahlredner der CDU in jedem Dorf draußen gesagt hat, dann kämen wir zu einer sehr bunten Vorstellung von der CDU-Politik, meine Damen und Herren.
Schließlich hat sich der Herr Bundeskanzler in Nürnberg nicht mit irgendwelchen Nebenäußerungen befaßt, sondern mit der erklärten Politik der Sozialdemokratischen Partei, und die hat er dort falsch wiedergegeben.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 97
ErlerNun frage ich mich: Warum hat er das getan? Wenn es die außenpolitische Sorge gewesen wäre, hätte er das harte Wort vom Untergang Deutschlands genauso gegen Kiesinger oder Strauß oder Gerstenmaier richten müssen und nicht nur gegen die Sozialdemokratie. Die Außenpolitik war ein Vorwand, ein Vorwand, um die Sozialdemokratische Partei im ganzen zu treffen, als unfähig, als ungeeignet erscheinen zu lassen, jemals diesen Staat zu regieren. Und da scheiden sich die Wege. Der Herr Bundeskanzler kann sich die Sozialdemokratische Partei nur im Rahmen eines Staates vorstellen, der für immer von Kräften seinesgleichen regiert wird, wobei man einer Opposition ein gewisses Maß an Diskussionsfreiheit gönnt und mehr nicht.Das wirkliche Verhältnis zwischen Regierungsparteien und Opposition in einer Demokratie besteht darin, daß beide Seiten davon überzeugt sind, daß, auch wenn die andere Seite an die Regierungsverantwortung kommt, damit vielleicht eine andere Politik getrieben wird als die, die einem gefällt, aber daß darunter der Staat und das Volk im ganzen nicht zerbrechen. Darüber müssen wir uns auch noch verständigen. Wir haben deswegen diesen Anwurf des Herrn Bundeskanzlers so bitter empfunden, weil der Bundeskanzler entweder die 'Äußerungen über die sozialdemokratische Außenpolitik in Kenntnis unserer Gedanken gemacht hat— dann war es wider besseres Wissen, und das ist selbst im Wahlkampf schlecht —, oder er hat sie gar nicht gekannt; dann ist der Bundeskanzler so schlecht informiert, daß man Zweifel haben muß, ob er für die Führung der Geschäfte der geeignete Mann ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich werde versuchen, im Laufe der kommenden Jahre den Herrn Kollegen Erler doch noch davon zu überzeugen, daß ich der geeignete Mann bin.
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang folgendes betonen. Herr Erler hat während des Wahlkampfs eine von den Ausführungen anderer Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei abweichende Stellung eingenommen.
Das konzediere ich ihm sehr gern. Seine Einstellung war die ruhigste und vernünftigste.
— Ja, warum lachen Sie denn? Ich muß doch der Wahrheit die Ehre geben.
— Nein, nein! Also, verehrter Herr Erler, glauben Sie mir, ich habe während des Wahlkampfs wirklich nicht geschlafen und habe mich sehr gut über all das unterrichtet, was gesagt worden ist. Ich kann Ihnen hier wirklich die Erklärung abgeben: Sie waren unter allen sozialdemokratischen Herren derjenige, der, sagen wir einmal, die korrekteste Erklärung abgegeben hat. Aber andere waren nicht so wie Sie, andere sprachen ganz anders, und das
— da müssen Sie mich doch bitte auch einmal verstehen — hat mich mit so tiefer Sorge erfüllt.
— Also, da sitzt so ein Klub zusammen, der muß nur lachen. Meinetwegen! — Aber das hat mich wegen des Eindrucks auf das Ausland mit tiefer Sorge erfüllt.
— Nein, Herr Kollege Ollenhauer, die Sozialdemokratische Partei ist eine Partei von Bedeutung. Das habe ich immer gesagt, das ist Ihnen doch nichts Neues. Ich kann Ihnen erklären, daß manche Leute draußen voll Sorge waren, Sie möchten die Wahl gewinnen, weil damit die ganze Politik zu Ende sei. Das war doch der Eindruck, den Reden und Interviews von Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei ganz allgemein im Ausland hinterlassen haben.
— Nein, nein, leider nicht! Das war er schon vorher.
Ich wurde eben darauf aufmerksam gemacht, daß Herr Kollege Schmid im Frühjahr dieses Jahres dem „Combat" ein Interview gegeben hat. Ich habe es selbst nicht gelesen.
Schade, daß Sie es nicht gelesen haben, Herr Bundeskanzler! Nun zu Ihrer Behauptung: Ich habe kein Interview für Combat gegeben, sondern mich mit einem Journalisten, der für diese Zeitung arbeitet, lediglich unterhalten. Daß er, was ich ihm gesagt habe, so berichtet hat, wie es im Combat steht, dafür kann ich nichts. Er hat falsch berichtet. Ich habe ihm genau das gesagt, was Herr Erler Ihnen eben gesagt hat, genau das, nichts anderes. Wer mich kennt, wer mich in diesem Hause und draußen gehört hat, weiß, daß ich nie etwas anderes über diese Dinge gesagt habe, als Fritz Erler heute hier.
Nun, meine Damen und Herren, je mehr von Ihrer Seite sich zur Anschauung des Herrn Erler bekennen, desto lieber ist es mir. Damit würde ich durchaus zufrieden sein.
Aber ich möchte Herrn Kollegen Erler sagen, in der Nürnberger Rede habe ich über die Stellung des wiedervereinigten Deutschlands meiner Erinnerung
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98 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
Bundeskanzler Dr. Adenauernach überhaupt nicht gesprochen. Denn für mich steht fest, daß nach den Pariser Verträgen das wiedervereinigte Deutschland frei ist, seine Politik selbst zu bestimmen.
Dabei handelt es sich auch um einen Vertrag, den wir geschlossen haben und den nach meiner Meinung auch eine Regierung, die anders zusammengesetzt ist als die heutige, halten müßte,
wenn sie sich nicht jedes internationalen Vertrauens begeben wollte.Das ist also eine Frage, über die wir gar nicht zu sprechen brauchen. Das hat die zukünftige Regierung des wiedervereinigten Deutschlands zu bestimmen. Wir alle miteinander haben in den vergangenen Jahren bei manchen Gelegenheiten betont, daß dieser Teil Deutschlands nicht das Recht hat, für die Zukunft schon das wiedervereinigte Deutschland in dieser oder jener Hinsicht festzulegen. Das war immer unser Standpunkt, also muß er auch hier gelten.Im übrigen möchte ich auch noch einmal betonen: ich stimme mit manchen Herren von Ihnen, auch mit dem, was Herr Ollenhauer gelegentlich gesagt hat, darin überein, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands engstens mit der Frage derSatellitenstaaten zusammenhängt. Stellen Sie sich doch bitte einmal — die Landkarte von der russischen Seite aus betrachtet — vor, welches Echo es in Ungarn, in Polen und in anderen Satellitenstaaten geben wird, wenn Rußland die Sowjetzone freigibt und die Wiedervereinigung stattfindet. Deswegen muß unsere Arbeit um die Wiedervereinigung und Freiheit darin bestehen, daß wir versuchen, uns nach besten Kräften dafür einzusetzen, daß die Entspannung in der Welt einmal eintritt. Nur wenn die Entspannung eintritt — und sie muß mit der Abrüstung, der kontrollierten Abrüstung, eintreten —, kommen wir zu dem Ergebnis, das wir haben wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957 ist geschlossen. Wir sind am Ende der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste, die 5. Sitzung des Deutschen Bundestages auf den 27. November, 14 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.