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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957 . . . . 31 A Dr. Krone (CDU/CSU) 31 A Ollenhauer (SPD) . . . 41 A, 86 D, 88 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 55 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 66 D Höcherl (CDU/CSU) . . . . 77 C, 79 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 81 B, 90 A, 97 B, 97 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 84 B, 93 D, 94 D Dr. Deist (SPD) . . . 79 C, 90 D, 94 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 88 A Margulies (FDP) 95 A Erler (SPD) 96 A Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 97 D Glückwunsch zum 65. Geburtstag des Abg. Schröter (Berlin) 77 C Nächste Sitzung 98 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 99 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 31 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 10.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Bauer (Wasserburg) 6. 11. Bauknecht 6. 11. Birkelbach *) 9. 11. Birrenbach *) 9. 11. Bühler 6. 11. Conrad*) 9. 11. Dr. Deist*) 9. 11. Dr. Dollinger *) 9. 11. Ehren 6. 11. Freiherr von Feury 6. 11. Frehsee 5. 11. Frenzel 10. 11. Frau Friese-Korn 1. 12. Dr. Furler*) 9. 11. Gaßmann 10. 11. Haage 5. 11. Höfler 6. 11. *) für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Illerhaus 9. 11. Jahn (Frankfurt) 6. 11. Dr. Jordan 6. 11. Kalbitzer 5. 11. Dr. Kopf *) 9. 11. Dr. Kreyssig*) 9. 11. Lenz (Brühl) *) 9. 11. Dr. Leverkuehn 6. 11. Metzger *) 9. 11. Dr. Oesterle *) 9. 11. Pelster *) 9. 11. Dr. Philipp*) 9. 11. Rademacher 6. 11. Ramms 6. 11. Dr. Seume 16. 11. Walpert 5. 11. Frau Wolff (Berlin) 16. 11. Zoglmann 5. 11. b) Urlaubsanträge Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20. 12. Kühlthau 25. 11. Scheel 15. 12.
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    Rede von Dr. Heinrich Krone


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Erklärung der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Regierung und allen Fraktionen in diesem Hohen Hause hingewiesen, insbesondere der Zusammenarbeit — so hieß es in der Regierungserklärung — in den großen entscheidenden Fragen, von denen das Wohl und Wehe unseres Volkes abhängt. Dieses Hohe Haus ist nicht nur die Stätte, wo Gesetze beraten und beschlossen werden, es ist auch die Stätte der in einem demokratischen Staat so notwendigen politischen Begegnung und Aussprache zwischen Parlament und Regierung, zwischen Regierung und Parlament.
    Lassen Sie mich deshalb als den Sprecher der größten Fraktion dieses Hauses dieses Gespräch zwischen Parlament und Regierung mit der Feststellung beginnen, daß wir jene Erklärung der Bundesregierung zu allseitiger Zusammenarbeit auch mit der Opposition nicht nur begrüßen, sondern darüber hinaus noch ergänzt sehen möchten, ergänzt in dem Sinne, daß wir es begrüßen würden, wenn zu dieser Zusammenarbeit ebenfalls das persönliche Gespräch zwischen dem Chef der Regierung und dem Führer der Opposition gehörte.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zustimmung in der Mitte. — Abg. Dr. Menzel [zur Regierungsbank zeigend]: Dahin reden!)

    — Herr Kollege Menzel, vielleicht beide Seiten!

    (Zurufe von der SPD. — Abg. Welke: Da habt ihr euch im neunten Jahr ja was vorgenommen!)

    — Sind Sie dagegen?

    (Abg. Welke: Im neunten Jahr! Acht Jahre hatten Sie Zeit!)

    — Gut, ein Fortschritt!
    Dann ein Zweites, meine Damen und Herren! Im sozialdemokratischen Pressedienst — in der ersten Stellungnahme der Opposition zur Regierungserklärung — hieß es, der Opposition falle jetzt, und zwar jetzt noch mehr als bisher, die große Aufgabe zu, der Wächter der deutschen Demokratie zu sein.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Ich bin über dieses Urteil doch ein wenig überrascht, denn ich finde in der Regierungserklärung
    zu einem solchen Urteil weder Grund nodi Anlaß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sollte man aber wirklich glauben, es müsse jetzt zum Alarm für die Freiheit geblasen werden, dann will ich gleich zu Beginn meiner Ausführungen betonen, daß wir der Opposition keinen, aber auch gar keinen Anlaß geben werden, dieses Amt des Hüters und Wahrers der deutschen Freiheit anzutreten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Was Besseres kann man sich nicht wünschen!)

    — Als es zu sein?

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Nein, daß Sie sich so verhalten werden!)

    — Gut, ich bin Ihnen dankbar für diese Anerkennung.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Für die Hoffnung!)

    — Warum denn nicht? Hoffen Sie doch, Herr Kollege Schmid!

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Ich hoffe! — Davon leben wir schon lange!)

    Schon im Jahre 1953, als wir die Mehrheit der Abgeordneten in diesem Hohen Hause hatten, erhob man gegen uns den Vorwurf, wir würden unsere Macht zum Schaden der Demokratie mißbrauchen. Wir haben das nicht getan. Wir haben mit der Opposition nicht nur zusammen gearbeitet, sondern auch zusammen gestimmt. Wir haben mehrere Male das Grundgesetz geändert und dies, wie Sie wissen, in einer Angelegenheit, wo es sich um eine Frage der inneren Staatsordnung handelte. Zu einer Änderung des Grundgesetzes bedarf man immerhin einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen dieses Hauses.



    Dr. Krone
    Dieses Mal haben die Unionsparteien mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Wir haben eine Mehrheit von 277 Abgeordneten in diesem Hause, das 519 Mitglieder zählt. Die Vorwürfe sind damit nicht weniger geworden. Im Gegenteil, es sind die gleichen wie 1953. Allerdings stammen sie, und das ist erfreulich, so gut wie gar nicht aus dem Ausland. Im Ausland ist dieser Sieg des Kanzlers weithin als die Gewähr für die Fortführung einer eindeutigen und konstanten deutschen Außenpolitik begrüßt worden. Die Vorwürfe stammen aus dem Inlande. Ich will auf sie im einzelnen nicht eingehen. Sie steigern sich bis zu dem an die Wand gemalten Schreckgespenst einer neuen deutschen Ein-Partei-Herrschaft. Man geniert sich selbst nicht, das Jahr 1957 mit dem Jahr 1933 zu vergleichen.

    (Pfui-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Lassen Sie mich noch einmal folgendes feststellen. Wir haben acht Jahre lang in diesem Hause, in der Regierung, in den Ländern — und dort auch mit der Fraktion und der Partei, die hier im Hause in der Opposition steht — der Verfassung getreu gearbeitet. Wir wehren uns mit aller Entschiedenheit dagegen, daß man uns der Sabotage der Demokratie verdächtigt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sind mit der Opposition darin einig, daß, wer am demokratischen Aufbau unseres Volkes rüttelt, ein Totengräber des deutschen Volkes ist, daß er nicht nur das Fundament seiner eigenen Politik untergräbt, sondern auch das Fundament, von dem aus allein wir zur Wiederherstellung der deutschen Einheit kommen können. Wer sich an der Freiheit und der Demokratie vergreift, der zerschlägt dem deutschen Volk die Forderung und das Recht auf freie gesamtdeutsche Wahlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich spreche in diesem Zusammenhang noch eine Bitte aus. Man stelle doch die freie Entscheidung des deutschen Staatsbürgers nicht in Zweifel! Man greife nicht zu falschen Wahlanalysen! Wer die freie Wahl in Zweifel stellt, der betrügt sich selber.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Man sei sich des hohen politischen und sittlichen Wertes freier Wahlen bewußt! Freie Wahlen waren die Sehnsucht der Aufrechten in der Hitlerzeit. Über freie Wahlen führt der Weg zur Einheit in Freiheit. Freie Wahlen sind die große Hoffnung der 18 Millionen tapferer Deutscher in der Zone und in ganz Berlin. Man übersehe nicht, wer freie Wahlen nicht will, weil er die freien Wahlen fürchtet: niemand anders als Pankow und Moskau.
    So klar und entschieden wir das alles sagen, so unmißverständlich erklären wir aber auch, daß wir nichts tun und zulassen werden, was die innere Festigkeit unseres Staatswesens und damit seine Stärke auch nur schwächt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind noch immer froh darüber — obwohl bei dem Mehrheitsverhältnis in diesem Hause kein Anlaß, besorgt zu sein, vorliegt —, daß die einmal gebildete Regierung nach der Verfassung die Chance hat, vier Jahre im Amt zu sein, dank dem Beschluß, den die Väter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat auf breiter Front, die Opposition eingeschlossen, gefaßt haben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wir stellen mehr mit Erstaunen als mit Beunruhigung fest, daß es Demokraten gibt, die an einigen Positionen unseres Grundgesetzes rütteln möchten. Sie wollen unser parlamentarisches System noch parlamentarischer machen. Meine Damen und Herren, das wäre der Anfang eines gefährlichen Weges, den der nicht gehen kann, der die leidvolle Geschichte des Weimarer Staates nach 1918 kennt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir werden jenen negativen parlamentarischen Reformversuchen ebenso kein Gehör schenken, wie wir seinerzeit Versuche ablehnen mußten, die Stellung des Verteidigungsministers aus der in der Verfassung vorgesehenen Position der Bundesminister herauszunehmen und sie parlamentarischer zu machen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Was meinen Sie denn mit der „negativen Parlamentsreform"?)

    — Den Versuch, der im letzten Bundestag gemacht worden ist, für den Bundesverteidigungsminister in bezug auf das Mißtrauensvotum eine Ausnahme zu machen,

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ist das alles?) ein Versuch, der von Ihrer Seite ausging.


    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ist das alles?)

    — Jawohl; das meine ich damit.

    (Abg. Erler: Das ist aber sehr aktuell! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Sie drücken sich so geheimnisvoll aus, als wäre hier eine Verschwörung im Gange wie die des Fiesco zu Genua!)

    — Nein, nein; das ist d e r Punkt, Herr Kollege Schmid. Wenn Sie der Meinung sind, das künftig nicht mehr zu tun, bin ich damit sehr einverstanden.
    Ich weiß nicht, ob in dieser Debatte noch einmal der Unkenruf erhoben wird, die Freiheit im Innern sei in Gefahr. Ich hoffe es nicht. Im Wahlkampf konnte man das noch hören und lesen. Doch auch da schon blieben die Säle leer, wenn von einer angeblich bedrohten Freiheit allzu laut gesprochen wurde. Meine Damen und Herren, das kam beim Wähler damals nicht an und kommt beim Wähler auch heute nicht an. Das Kapitol der Freiheit braucht in Deutschland wirklich nicht gerettet zu werden,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    auch nicht von denen, die früher im Lager des
    Nationalismus standen und meinten, daß am Liberalismus die Völker zugrunde gehen, und die heute



    Dr. Krone
    im Lager des Liberalismus ihre Heimstätte gesucht und auch wohl gefunden haben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Meinen Sie Herrn Dr. Vogel? — Abg. Dr. Mende: Er meint Herrn Dr. Vogel!)

    — Herr Dr. Mende, ich meine, mehr Ihre Seite!
    Ich kann das Verhältnis von Opposition und Koalition nicht besser darlegen, als daß ich auf die Rede hinweise, die der an seinem Kriegsleiden und an den Folgen einer zehnjährigen Konzentrationslagerhaft so früh verstorbene Kurt Schumacher am 21. September 1949 gehalten hat.

    (Zuruf von der SPD: Ihr habt's nötig!) Die Opposition

    — so sagte Schumacher —
    ist ein Bestandteil des Staatslebens. Nicht überall ist die glatte Antithetik gegeben. Wir sind nicht die bloße Negationserscheinung dieser Regierung, wir sind etwas Selbständiges.
    Erich Ollenhauer hat am 28. Oktober 1953 die Anerkennung der Opposition als eines wesentlichen und unerläßlichen Bestandteils der parlamentarischen Demokratie hervorgehoben. Das gleiche hat der Herr Bundeskanzler getan, 1949 und auch 1953. Er sprach auch damals schon von der Opposition als einer Staatsnotwendigkeit und davon, daß durch das Einandergegenüberstehen von Koalition und Opposition echte Demokratie gegeben sei. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wir sind auch heute der gleichen Meinung und bereit, danach zu arbeiten.
    Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob man nicht wieder mit der Mahnung und Beschwörung kommt, wir sollten in unserer Fraktion keine parlamentarischen Beschlüsse vorwegnehmen. Nun, wir wollen das auch nicht, und wir sind bereit, in den Ausschüssen so wie bisher zu diskutieren und zu beraten.

    (Zuruf von der SPD: Nur in den Ausschüssen?)

    — Auch im Plenum! Doch möge man auch bedenken, daß die absolute Mehrheit im Parlament ein ganz legitimes Ziel einer jeden Partei ist,

    (Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU)

    und die haben wir diesmal erreicht. Und einmal muß eine Frage auch in den Ausschüssen entschieden werden. So sehr man also an uns appelliert, wir sollten die Macht nicht mißbrauchen, so sehr appellieren wir an die Opposition, hier im Parlament nicht in die glatte Gegensätzlichkeit zu gehen; denn im steten Neinsagen besteht auch nach den Worten Schumachers nicht das Wesen der Demokratie.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Noch ein letztes Wort zu dieser Frage! Es wäre der Zusammenarbeit in diesem Hohen Hause außerordentlich förderlich, wenn die Opposition den berechtigten Anspruch, den sie hier erhebt, auch dort respektierte, wo sie sich in der Mehrheit befindet.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte hier auf keine Einzelfälle eingehen; aber es ist leider eine Tatsache, daß die parlamentarischen Spielregeln in zahlreichen Gemeinden, in denen die Opposition dieses Hohen Hauses regiert, wiederholt auf das schwerste verletzt worden sind.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Sehen Sie sich einmal Ihre Freunde an! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Sie sitzen im Glashaus, Herr Krone! — Zuruf der SPD: Hamburg!)

    Wenn wir uns also zu den großen im Interesse der Demokratie liegenden Faktoren der Opposition und der Koalition bekennen, dann meinen wir auch, daß der Gedanke, zwischen Koalition und Opposition stehen zu wollen, stehen zu können, eine Fiktion ist, ein Stück politischer Jongleurkunst. Eine Zeitlang gelingt das Spiel; eines Tages aber wollen die Wähler und auch die Gewählten doch wissen, wohin die Reise geht. Doch diesen Kopf brauchen wir uns nicht zu zerbrechen, und wir werden ihn uns auch nicht zerbrechen, auch deshalb nicht, weil wir zwischen einer Opposition hundertprozentig, fünfzigprozentig oder weniger nicht zu unterscheiden vermögen. Koalition und Opposition, beide sind für Deutschland verantwortlich, für alle Deutschen, auch für die von uns getrennten. Opposition und Koalition tragen in der ihnen zukommenden Funktion Verantwortung für das Ganze. Von dieser Verantwortung kann uns beide nichts befreien. Das Schicksal unseres Volkes verpflichtet uns alle, Koalition und Opposition, Parlament und Regierung.
    Meine Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit, wo der einzelne immer mehr in den Sog des Massenhaften gerät. Auch die repräsentative Demokratie ist in den Massenstaaten unserer Zeit in Gefahr. Sie droht, zu einer parteienstaatlichen Demokratie zu werden, — ein Vorgang, der in der modernen Staatsrechtslehre nicht nur seine Vertreter, sondern leider auch seine begeisterten Verfechter hat. Wir sollten uns dieser Tendenz, wo immer auch nur möglich, entgegenstellen. Wer das tun will, der vermag das nicht besser, als daß er den Art. 38 des Grundgesetzes, diesen für das freiheitliche, aber auch verantwortungsbewußte Handeln des Abgeordneten grundlegenden Artikel, ganz ernst nimmt. Solches Handeln unterscheidet den Politiker vom Funktionär, vom Funktionär seiner Partei und seines Verbandes. Wo der Funktionär herrscht, bleiben die Fenster aus Furcht vor frischer Luft verschlossen. Der Funktionär wird echter Politik nicht gerecht.
    Friedrich Sieburg und Jürgen Tern haben in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — —

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Der alte Nazi!)

    — Meine Damen und Herren, ein paar Zwischenrufe mehr, aber nicht ein allgemeines Gemurmel dieser Art, darum würde ich bitten.

    (Lachen bei der SPD und Zuruf von der SPD: Sie sind doch vorbelastet! — Weitere Zurufe von der SPD.)




    Dr. Krone
    Friedrich Sieburg und Jürgen Tern haben in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben, der Deutsche habe dieses Mal konservativ gewählt, mit mehr als der Hälfte der Abstimmenden. Mir scheint Glas richtig gesehen. Auch in dieser Hinsicht ist die Wahl ein beachtenswertes Kennzeichen unserer Zeit, die aber damit nicht reaktionär sein will,

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Des Menschen Wille ist so schwach . . .)

    sondern weiß, daß das 19. Jahrhundert auch seine großen Werte hinterlassen hat. Vom Konservativen unterscheidet sich der Reaktionär dadurch, daß jener sich des Wandels der Zeit bewußt ist, dabei aber weiß, daß es im Menschen und in der Natur liegende Werte gibt, die auch die Politik nicht ungestraft übersehen darf, so auch das Recht und die Freiheit, daß der Mensch auf beides nicht verzichten kann. Das Suum cuique gehört auch hierhin. Es war schon vor Preußens Geburt ein wahres Wort und bleibt es auch nach Preußens Untergang, der sich schon 1918 vollzog und nicht erst, als nach 1945 die Siegermächte das Land Preußen mehr schematisch als organisch aufteilten.
    Zu diesen unvergänglichen Werten gehört auch das Eigentum, gehört die Familie, gehört das Kind in der Familie. Dazu gehört bestimmt nicht als letztes auch die Religion und ihre Freiheit, gegen die in diesen Tagen in der Sowjetzone erneut ein scharfer Kampf geführt wird. Das ist nicht nur ein Kampf gegen das Christentum, sondern auch gegen die Geistesfreiheit. Ich glaube, ich weiß mich mit dem ganzen Hohen Hause darin einig, wenn ich sage, daß die Opfer dieses Kampfes in der Zone unserer Teilnahme sicher sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Denken, zu dem wir uns hier bekennen, unterscheidet sich also nicht nur von allen Funktionärsformen; es unterscheidet sich auch von einem Handeln, das zu seiner Zeit eine nicht wegzuleugnende Bedeutung gehabt hat, das aber heute deshalb seine Stunde nicht mehr hat, weil sein geschichtlicher Wert Bestandteil des Denkens unserer Zeit geworden ist. Ich meine die Forderung, die der Liberalismus seinerzeit erhoben hat. Zur Anerkennung der Würde alles dessen, was Menschenantlitz trägt, braucht heute nicht mehr aufgerufen zu werden. Wer das nicht wußte, hat es unter Hitler bitter erfahren. Und weil der Mensch Mensch ist und er das selber weiß und die moderne Gesellschaft auch durchweg danach handelt, hat Karl Marx nur noch in. Moskau den ersten Lehrstuhl für Sozialökonomie inne. Was am 19. Jahrhundert richtig war, das hat die Welt längst übernommen; das andere, der Rest ist Geschichte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In Deutschland ist die Freiheit wirklich nicht in Gefahr. Wir erleben statt dessen etwas ganz anderes. Statt des Klassenkampfes stellen die großen Organisationen der beiden Kampfparteien heute manchmal fest, daß es klüger und vorteilhafter ist, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, vorteilhafter für die beiden Sozialpartner, ohne jedoch
    immer vorteilhaft für den Dritten zu sein, nämlich den Verbraucher; denn er muß sehr oft die Zeche bezahlen. Hier tauchen neue Probleme und neue Aufgaben auch für unsere Politik auf.

    (Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Wähler haben sich in ihrer Mehrheit am 15. September zu der Politik bekannt, welche die Regierung Konrad Adenauer acht Jahre lang verfolgt hat. Der Wähler wünscht und erwartet — das ist das Ergebnis der Wahl —, daß diese Politik fortgesetzt wird.

    (Abg. Baur [Augsburg]: Seien Sie vorsichtig!)

    Die Splitterparteien sind auf der Strecke geblieben. Versuche zu einem neuen Radikalismus sind von den Wählern schon im Keime erstickt worden. Die Konzentration auf die beiden großen politischen Parteien hat sich fortgesetzt. Es gibt keine Zünglein-an-der-Waage-Politik, keine Entscheidung erst am Tage danach mehr und damit keine Möglichkeit, seine Minderheit diktatorisch auszunutzen.
    Der Gesamtdeutsche Block ist im Bundestag nicht vertreten. Die sozialen und wirtschaftlichen Eingliederungsmaßnahmen haben bewirkt, daß die Heimatvertriebenen auch politisch Fuß gefaßt haben.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Die Heimatvertriebenen gehören zu uns, wie wir zu ihnen gehören.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Sorgen und Nöte dieser Menschen werden weiterhin von uns so ernst genommen werden wie bisher.
    Mancherlei Überlegungen sind darüber angestellt worden, wie es zu diesem Wahlergebnis gekommen ist. Man sagt, daß die Politik des Professors Erhard — der Kühlschrank — die Ursache gewesen sei. Herr Kollege Schmid hat dasselbe Thema noch etwas plastischer formuliert. Nun, meine Damen und Herren, wenn dem so wäre, meine ich, es wäre nicht verkehrt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Verkehrt ist eine solche Politik nur dann, wenn sie nicht weiß, daß es in der Wirtschaft noch wichtigere Dinge gibt als den Kühlschrank, und wenn man sich nicht freihält von utopischen Wunschträumen. Das Paradies auf der Erde haben wir nicht versprochen und werden wir auch nicht versprechen. Der Glaube an dieses Paradies stirbt langsam aus.
    Es waren noch andere Gründe, die den Wähler veranlaßt haben, sich so positiv zu entscheiden. Das deutsche Volk wußte und weiß, was es heißt, nach diesem zweiten Weltkrieg und angesichts alles dessen, was geschehen ist, wieder Freunde in der Welt zu haben. Es will sich nicht zwischen die beiden Stühle setzen. Es ist auch davon überzeugt, daß unser Pakt mit den Mächten der freien Welt die einzige Sicherheit ist, die wir nach außen hin hatten und haben. Es mißt dieser Sicherheit auch weit mehr Bedeutung zu als Überlegungen, die doch bestimmt den einen großen Nachteil haben, daß



    Dr. Krone
    man von ihnen bisher nicht weiß, ob sie, wenn sie einmal Wirklichkeit werden sollten, überhaupt funktionieren.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Auch das hat der Mann auf der Straße weit sicherer gespürt als viele kluge Leute, die da meinten, diese Gleichung mit einer Anzahl von Unbekannten müsse auf alle Fälle aufgehen und dann sei wenigstens Europa gerettet.

    (Lautsprecherstörung. — Lachen und Zurufe von der SPD: Sputnik! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Die Elemente hadern!)

    — Sie können sich so leicht über Kleinigkeiten freuen, Herr Kollege Schmid.

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Es war wiederum Professor Carlo Schmid, der nach den Wahlen meinte, die Außenpolitik der SPD sei nach wie vor richtig,

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Aber sicher!) aber sie sei unpopulär.


    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ja!)

    — Unpopulär, Herr Kollege Schmid. Ich glaube, das Hiroshima-Plakat haben nicht wir geklebt, und wir waren es auch nicht, die gesagt haben, wir wollten die Wehrpflicht abschaffen. Unpopulär, glaube ich, war eher unsere Forderung der Wehrpflicht und nicht Ihre.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Herr Krone, ist die Wehrpflicht Ihre ganze Außenpolitik?)

    — Warum so ungeduldig, Herr Kollege Schmid? Warten Sie doch etwas! Sie sind doch sonst ein so ruhiger Mann.

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Sie machen es mir so schwer!)

    — Ich bin etwas erstaunt über Ihren Satz; denn im Wahlkampf selber konnte man schon einige Stimmen in Ihrem Lager hören, die sich dem näherten, was wir über unser Verhältnis zur Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft immer gesagt haben. Ich frage mich nun, ob dieser Weg, der immerhin eine wünschenswerte Annäherung auf dem Gebiete einer gemeinsamen Außenpolitik anbahnte, verschüttet worden ist. Ich würde es bedauern.
    Das, was sich in diesen Tagen in Moskau ereignete, nimmt auf alle Fälle der europäischen Sicherheitskonstruktion der Sozialdemokratie Gewicht und Aktualität und rechtfertigt eine illusionslose Beurteilung der Vorgänge, wie wir sie stets von uns aus gefordert haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Dann gehen Sie mal näher darauf ein! — Abg. Baur [Augsburg] : Begründen Sie das doch! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Der Wähler, meine Damen und Herren, hat sich am Wahltag nicht nur für eine bestimmte, ihm zur Entscheidung vorgelegte Politik entschieden, sondern — das will und muß ich sagen — der Wähler hat sich auch zu dem Mann bekannt, mit dessen Namen die Politik dieser Jahre geschichtlich verknüpft ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist das geschichtlich Einmalige in Deutschland: Mit mehr als der Hälfte der Stimmen bei einem jede Stimme zählenden Wahlrecht hat der deutsche Wähler, gerade auch in der Arbeiterschaft, Konrad Adenauer erneut das Vertrauen ausgesprochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wären zu bescheiden gewesen, wenn wir die Entscheidung vom 15. September nicht mit Freude quittiert hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Männer, die vorn stehen, sind immer umstritten.

    (Lachen bei der SPD.)

    Das ist ihr Schicksal. Dank und Anerkennung sind eine seltene Tugend. Wenn einer ein Stück Geschichte seines Volkes geprägt hat, und ich sage weiter: wenn der Bundeskanzler seit 1949 ein Stück deutscher Geschichte nach jenen Unglücksjahren des Hitler-Regimes in unserem Volke geprägt hat, das leider ohne unsere Schuld noch immer geteilt ist, wer hat dann ein Recht, den Leuten, die zu diesem Manne stehen, die diesen Weg deutscher Freiheitspolitik bejahen und die zwischen Dankbarkeit und Führerkult zu unterscheiden wissen, zu verwehren, dem Manne den Dank auszusprechen, der ihm gebührt!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich danke hier, meine Damen und Herren, auch den Ministern aus dem zweiten Kabinett Adenauer, die dieses Mal ausscheiden. Ich danke in Anerkennung und Verehrung den Herren Kollegen Blücher und Preusker und aus unseren Reihen dem Kollegen Anton Storch, mit dessen Namen der Wiederaufbau der deutschen Sozialpolitik verknüpft ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich danke dem Kollegen Jakob Kaiser — —

    (Zurufe von der SPD.)

    — Aber bei diesem Punkt sollten Sie etwas ruhiger sein, wenn ich einem Kollegen danke; das ist doch eine Pflicht der Höflichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Greve: Aber nicht der Verehrung, Herr Krone! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Ich danke auch meinem Freunde Jakob Kaiser, dem unermüdlichen Kämpfer für die gesamtdeutsche Sache.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ihm gelten unsere besten Wünsche für baldige Genesung.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wenn ich vorhin von der Verantwortung gesprochen habe, die wir für das Schicksal unseres Volkes tragen, Opposition wie Koalition, und daß uns diese gemeinsam verpflichtet, so fassen Sie das



    Dr. Krone
    bitte nicht als einen mir nicht zustehenden Appell auf. Ich weiß, es gibt Fragen, Sorgen und Anliegen, in denen sich Regierungsparteien und Opposition einig sind. Das muß und soll auch heute von uns gesagt werden, damit unsere Arbeit nicht mit einem schlechten Start beginne. Ich möchte, daß wir uns auch auf dem Weg zum Ziele fänden; aber dafür müßten wir uns zunächst — wie ich bereits erwähnt habe — bei der Beurteilung der weltpolitischen Tatbestände einigen können. Deutschland hat im Kampf der Mächte Stellung bezogen. Ober seine Zugehörigkeit zur freien Welt, sein Bekenntnis zur Freiheit und Demokratie und seinen Willen zum Frieden gibt es in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheiten.
    Die Frage, die uns in der Vergangenheit beschäftigt hat und bei der wir uns trennen mußten, war, ob und in welcher Weise die Bundesrepublik um ihrer eigenen Sicherheit willen und für die Sicherheit der gesamten freien Welt einen Verteidigungsbeitrag zu leisten habe. Die sozialdemokratische Opposition hat einen solchen Beitrag prinzipiell nicht abgelehnt; sie war aber der Meinung, daß noch nicht jede Verhandlungsaussicht erschöpft sei. Demgegenüber sind wir der Oberzeugung gewesen, daß keine Möglichkeit mehr gegeben war, die deutsche Entscheidung zugunsten der eigenen Sicherheit im Rahmen einer Verstärkung der westlichen Verteidigung noch länger hinauszuzögern. Die Sowjets hatten sehr viel Zeit, die Verteidigung und Aufrüstung in der Welt durch eine Verständigungspolitik überflüssig zu machen. Es geschah aber nichts. Wir werden auch weiterhin mit allen unseren Möglichkeiten die Bemühungen unterstützen, den Frieden in der Welt durch allgemeine und kontrollierte Abrüstung zu gewährleisten. Wir befinden uns, wie ich feststellen darf, in voller Übereinstimmung mit der vom Herrn Bundeskanzler immer wieder vertretenen Politik, daß sich 'Deutschland ohne Zögern jedem allgemeinen Abrüstungsabkommen unterwerfen wird. Die Abrüstungsverhandlungen sind deutscherseits mit keinerlei Forderungen vorbelastet worden. Wir können zwar von unserer Überzeugung nicht abgehen, daß ein dauerhafter Friede eine gerechte Lösung der deutschen Frage zur Voraussetzung hat. Aber wir geben uns der Hoffnung hin, daß Fortschritte auf dem Gebiete ,der Abrüstung die Lösung der politischen Streitfragen erleichtern, ja uns zu ihr hinführen.
    Indessen — damit wende ich mich an das ganze Hohe Haus — dürfen wir den Blick nicht vor der Tatsache verschließen, daß sich die von Moskau heraufbeschworene krisenhafte Situation eher noch verschärft hat. Man meinte zu Beginn dieses Jahres — und in führenden deutschen Zeitungen kam das hoffnungsfreudig zum Ausdruck —, daß in der Welt Tauwetter einsetze. Die Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus. Gestern vor einem Jahr rückten sowjetische Panzer in Budapest ein, schlugen den heroischen Kampf der Ungarn um ihre Freiheit nieder und dokumentierten, was Moskau unter Selbstbestimmung und Koexistenz versteht. Ich glaube auch nicht, daß die inneren
    Machtkämpfe, die sich heute in der Sowjetunion abspielen, die Gefahr, in der wir leben, vermindern; eher ist das Gegenteil der Fall.
    Hinzu kommt, daß die unbestreitbaren technischen Erfolge, welche die Sowjets in Gestalt der weittragenden Rakete und mit der Entsendung künstlicher Erdsatelliten hatten und haben, das Selbstgefühl derer im Kreml noch gesteigert haben. Darin allerdings haben sich die Sowjets getäuscht. Die Reaktion der westlichen Welt ist ganz anders ausgefallen, als sie erwartet hatten. Es ist meins Erachtens ein vitales Anliegen für uns alle, daß die Sowjets nicht der Illusion verfallen, sie könnten sich, weil die freie Welt vorzeitig weich würde, die Zustimmung zu einer allgemeinen Abrüstung ersparen. Wir sind deshalb, ganz konkret gesprochen, bereit, wir müssen alles tun und wir werden die volle Erfüllung unserer in der atlantischen Gemeinschaft übernommenen Verpflichtungen sehr ernst nehmen. Gerade wenn die Massenvernichtungsmittel in Dimensionen hineingeraten, die ihren Einsatz immer unwahrscheinlicher machen, wird der militärische Beitrag der Bundesrepublik zum atlantischen Schild nur noch bedeutsamer.
    Das ist — und ich hoffe sehr, in diesem Punkte richtig verstanden zu werden — keine Absage an eine deutsche Politik, die auch mit den Völkern im Osten einen Ausgleich und gute nachbarliche Beziehungen anstrebt. Es hat uns alle zutiefst enttäuscht, daß die Sowjetunion bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu ihr bisher keinen Schritt getan hat, in der sowjetischen Deutschlandpolitik einen Wandel herbeizuführen. Wir beobachten besorgt das sowjetische Bemühen, die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit von den Gesprächen über die Abrüstung auszuschalten. Wir wehren uns auf das entschiedenste gegen die These der Sowjets, daß der Weg zur deutschen Einheit über Pankow führt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Weg zur deutschen Einheit, meine Damen und Herren — und daran muß der deutsche Politiker festhalten —, führt über das Gespräch der Vier, damit auch natürlich über Moskau, aber nicht über Pankow.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mit Genugtuung und Dankbarkeit muß hervorgehoben werden, daß unsere Verbündeten, erst jetzt wieder in der gemeinsamen Erklärung des Präsidenten Eisenhower und des englischen Premierministers, uns in der deutschen Frage nach wie vor ihre Unterstützung geben und daß die drei Westmächte im Gegensatz zur Sowjetunion zu der von allen vier Siegermächten zuletzt noch in Genf anerkannten Verantwortung für die Wiedervereinigung Deutschlands auch stehen. Unsere Verbündeten haben deshalb auch für den deutschen Schritt gegenüber der Belgrader Regierung volles Verständnis gezeigt.
    Nicht wir haben die Zuspitzung der deutschjugoslawischen Beziehungen gesucht, im Gegenteil, wir haben sie außerordentlich bedauert. Die Anerkennung Pankows durch Belgrad ließ aber



    Dr. Krone
    keine andere Reaktion zu, und es beunruhigt mich doch, daß es darüber in diesem Hohen Hause anscheinend verschiedene Meinungen gibt.

    (Unruhe bei der SPD.)

    Ich will hier niemandem unterstellen, daß er die Gemeinsamkeit verlassen wolle, mit der wir Verhandlungen mit Pankow über die deutsche Schicksalsfrage bisher immer abgelehnt haben. Aber es taucht leider hie und da die Behauptung auf, diese Haltung sei nicht mehr realistisch, die Macht des Faktischen werde sie eines Tages umstoßen. Was bedeutet das? Es bedeutet doch im letzten nichts anderes als den Verzicht auf eine Wiedervereinigung des deutschen Volkes in Freiheit. Wenn wir von der Wiedervereinigung sprechen, meinen wir doch alle nichts anderes als die Liquidation des derzeitigen Machtregimes in der Besatzungszone drüben hinter dem Eisernen Vorhang. Wer ist naiv genug, sich vorzustellen, daß dieses Regime sich jemals selbst aufgäbe, selbst aufgäbe dadurch, daß es eine Wiedervereinigung in Freiheit bejaht? Es kann nur dadurch zum Verschwinden gebracht werden, daß die Sowjetunion ihr Interesse an einer Lösung der deutschen Frage anerkennt, an einer Lösung, die dem Willen des deutschen Volkes entspricht und die auch gute deutsch-sowjetische Beziehungen ermöglicht. Solange die Sowjets Pankow vorschieben, ist das nichts anderes als ein hartes Nein zur Wiedervereinigung.
    Das Regime von Pankow ist demokratisch nicht legitimiert. Nur der hat das Recht, von Demokratie und Freiheit zu reden, der den Mut zu freien Wahlen hat. Nur der hat das Recht, von Demokratie und Freiheit zu reden, der gewillt ist, der Zone und ganz Berlin den Weg in die Freiheit nicht wie bisher zu versperren, und nur der kann von der hohen Herrschaft des Rechtes sprechen, der die Tore der Zuchthäuser für die wegen ihres Einstehens für die Freiheit Verurteilten endlich öffnet.
    Diese Haltung gegenüber Pankow hat nichts mit der Frage zu tun, ob die Bundesrepublik zu Staaten, die kommunistisch regiert werden, überhaupt gute Beziehungen haben kann. Pankow ist für uns kein Staat; Pankow ist ein Unrechtsregime auf deutschem Boden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Was fremde Staaten betrifft, so haben wir kein Recht und auch gar nicht die Absicht, uns in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen. Das kommunistische Regime, das in Jugoslawien besteht, hat uns nicht davon abgehalten, für gute Beziehungen zu diesem Staat auch erhebliche Opfer zu bringen. Wir sollten zu einer solchen Haltung in jedem Fall bereit sein, solange man uns nicht, wie das die Belgrader Regierung getan hat, durch unerträgliche Einmischung in unsere eigenen inneren Angelegenheiten, eben durch die Verneinung des Selbstbestimmungsrechts vor den Kopf stößt. Wir dürfen auf gar keinen Fall davon absehen, daß wir nichts hinnehmen können, was die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit gefährden würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Die Bemühungen um die europäische Integration sind in eine entscheidende Phase eingetreten. Wir haben diese Entwicklung trotz mancher ernster Rückschläge und vieler Widerstände unverdrossen und mit aller Energie gefördert; denn wir sind stets der Meinung gewesen, daß Europa sich einigen muß, wenn es überhaupt leben will. Wir begrüßen die Ausführungen der Regierung zu diesen Fragen und werden alles tun, was diesem großen Ziele dient. Wir werden alles unterstützen und auch initiativ fördern.
    Der europäische Zusammenschluß soll nicht zuletzt unsere Abwehrkraft gegen den Osten stärken. Ich meine das nicht im militärischen Sinn, sondern im Sinne wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit.
    Früher ist in diesem Hohen Hause die Auffassung vertreten worden, ein Schritt zu solcher europäischer Zusammenarbeit erschwere, ja verhindere die deutsche Wiedervereinigung. Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, daß das heute nicht mehr der Fall ist, daß sich auch die SPD für den Gemeinsamen Markt und für Euratom ausgesprochen hat.
    Die internationale Verflechtung unserer Existenz hat einen Grad erreicht — und das gilt nicht nur für uns —, daß wir — ob wir wollen oder nicht — in einer Art Weltinnenpolitik stehen. Nicht nur die Grenzen der Nationalstaaten, sogar die Grenzen der Kontinente sind in vielem fragwürdig geworden. Es gilt, dessen gerade dann eingedenk zu sein, wenn wir unser nationales Schicksal meistern wollen. Wir sind dessen gewiß, daß die europäischen Nationen, wenn sie über den Weg der wirtschaftlichen Integration schließlich zu einer politischen Gemeinschaft gelangen, in der neuen Epoche, in die wir eingetreten sind, die ihnen drohende Geschichtslosigkeit überwinden werden.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung auch einen Aufriß dessen gegeben, was die Bundesregierung auf den Gebieten der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu tun beabsichtigt. Mein Freund Höcherl wird zu diesem Thema noch ein besonderes Wort sagen. Ich gehe deshalb nur kurz darauf ein und will betonen, daß uns gerade jene Fragen besonders beschäftigen werden, die in dem großen Prozeß der Aufsaugung alles Individuellen, den wir heute erleben, die Sicherung der menschlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Existenz betreffen. Hierher gehört eine tatkräftige und einheitlich geführte Mittelstandspolitik. Die Finanz- und Steuergesetze wie die des Arbeits- und Sozialrechts müssen geordnet sein. Das Sparen im eigenen Betrieb muß ermöglicht werden. Wir müssen und werden an die Sicherung und Förderung der freiberuflich Tätigen denken, an die Förderung der Wissenschaft, an die Förderung der Studierenden. Der Grüne Plan muß fortgesetzt und ausgebaut werden. Wir stehen nicht nur vor einer Reform des Unfallversicherungsrechts und der Reform der Krankenkassenversicherung, sondern auch vor der Aufgabe, durch eine große umfassende und vergleichende Leistungsübersicht auf den drei Gebieten des sozialen Leistungswesens, also der Sozialversicherung, der sozialen Fürsorge und des sozialen Ver-



    Dr. Krone
    sorgungswesens, diejenigen Unebenheiten und tatsächlichen Härten zu beseitigen, die das Bild des Erreichten heute verzerren.
    Doch es geht bei dieser Politik nicht nur darum, das Erreichte zu sichern und auszubauen und dabei überall jene Mängel zu beseitigen, die der schnelle Wiederaufbau mit sich gebracht hat; wir müssen und wollen noch einen Schritt weitergehen. Das erste, das zu tun ist, wenn von Sozialreform geredet wird, heißt unseres Erachtens das Eigentum, das vorhanden ist, erhalten und sichern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es muß deutlich gesagt werden: die Voraussetzung für jegliche Mehrung und Streuung des Eigentums ist die, daß das vorhandene Eigentum gesichert bleibt. Das bedeutet aber auch, daß die Kaufkraft der D-Mark stabil bleibt. Es ist uns gelungen, alle jene Bestrebungen, die im Endergebnis inflationistisch wirken mußten, so weit zurückzustauen, daß unsere Währung zu den härtesten Währungen überhaupt gehört, und das muß so bleiben.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Allerdings ist es nicht möglich, dem Parlament und der Regierung allein die Verantwortung für die Festigkeit der D-Mark zu überlassen. Die Autonomie der Sozialpartner und das Recht, dessen sich bei uns die großen Gebilde der Gesellschaft erfreuen, verlangen wesensnotwendig, daß sich diese Organisationen nicht nur ihren Worten nach, sondern in ihrem tatsächlichen Verhalten zur Mitverantwortung für das Ganze auch bekennen.

    (Wiederholter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die freiheitliche Ordnung muß gewahrt werden. Ihretwegen aber geht es dann nicht an, daß die organisierten Gruppen ihre eigenen Anliegen einfach so weit durchsetzen, wie es ihre gesellschaftliche Macht gerade erlaubt. Um der Freiheit der Ordnung willen kann das Parlament und kann die Regierung dem natürlichen Streben der Gruppen und ihren Interessen nicht schroff mit Gesetzen und Zwang entgegentreten. Um so mehr müssen Sozialpartner und Verbände die Verantwortung ernst nehmen, die ihnen die Freiheit und ihre Zuständigkeit auferlegen. Sonst träfe sie selber die Schuld, wenn sich die Regierung im Interesse der breiten Schichten der Bevölkerung zu einer Einschränkung der Befugnisse gezwungen sehen könnte.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Die Bildung von Eigentum in breiter Hand gehört nach unserer Meinung zu den vordringlichsten sozialen Aufgaben der kommenden Jahre. Manches ist hier schon geschehen. Wir haben einen guten Bestand an funktionsfähigem Eigentum. Ich denke da an die große Zahl der Eigenheime, die wir gebaut haben. Zahlreiche heimatvertriebene Bauern, Handwerker, Unternehmer haben eine neue Existenz gefunden. Die kriegszerstörten Geschäfte und Betriebe konnten wiederhergestellt werden. Ansehnliche Sparkonten und Versicherungsansprüche sind erspart worden. Trotz aller dieser Erfolge muß das Eigentum, das sich in den nächsten Jahren neu bildet, breiter gestreut werden. Es geht darum, den Arbeitnehmern nun auch einen größeren eigentumsmäßigen Anteil an der industriellen Ausstattung der Volkswirtschaft zuzuleiten.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Mit dem Programm der Volksaktie, mit dem Gesetz über Investment-Gesellschaften, mit der Begünstigung der Bausparverträge und anderen Maßnahmen sind wir bereits erste Schritte gegangen. Wir werden sie fortsetzen in einer systematischen Pflege des Sparwillens.
    Unter diesen Gesichtspunkten erhalten auch die Fragen des Mittelstandes und der Landwirtschaft eine erhöhte Bedeutung. Es wäre eine schlechte Politik, die Freiheit und die gesellschaftliche Selbständigkeit fördern zu wollen, wenn man die Stände, die heute noch von unabhängigen Existenzen gebildet werden, vernachlässigte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auch aus dieser Sicht ist die Förderung der Landwirtschaft und des Mittelstandes dringend geboten. um so unserem gesellschaftspolitischen Leitbild immer näher zu kommen.
    Das Bemühen, die Bürger des Volkes weitestgehend zu Eigentümern zu machen, ist ein wesentlicher Schritt zu der anstehenden Sozialreform. Es trägt dazu bei, die Klassengegensätze zu überwinden sowie Kapital und Industrie im wahrsten Sinne des Wortes zur Sache des Volkes zu machen. Wiederum muß auch hier gesagt werden, daß es dem Parlament und der Regierung allein nicht gelingen kann, die große Zahl der Bürger so zügig, wie es um der freiheitlichen Ordnung willen wünschenswert wäre, zu modernen Eigentümern zu machen. Hier sind deshalb gerade wieder die Sozialpartner selber aufgerufen. Wenn sich die Sozialpartner hier sperren, verlieren sie das Recht, ihrerseits von Sozialreform zu reden.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Man kann dem Parlament und der Regierung nicht dauernd vorrechnen, was alles hätte geschehen müssen, wenn man sich selber diesem entscheidenden sozialen Anliegen immer entzieht.

    (Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wir werden von der Politik her alles tun, um in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern bewährte und auch neue Formen zur Lösung dieser Frage zu entwickeln und zu fördern. Allen gewagten sozialen und wirtschaftlichen Experimenten sind wir abhold. Dem Trend zum Versorgungsstaat müssen jedoch neue Ideen und wohldurchdachte neue Wege entgegengesetzt werden. Mit der Eigentumsbildung wird ein soziales Kernanliegen aufgegriffen, und an ihm beweisen wir das Recht und die Leistungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein abschließendes Wort zu diesem Kapitel sagen. Ich habe hier kein großes Programm aufgestellt.



    Dr. Krone
    Mir scheint, daß die Zeit der Programme vorüber ist. Man ist heute nüchterner und pragmatischer geworden. Ich habe nur von einigen Aufgaben gesprochen, die uns dringlich zu sein scheinen und von denen ich allerdings glaube, daß wir uns ihrer mit besonderer Aufmerksamkeit widmen müssen und auch widmen werden.
    Unter welchen Gesichtspunkten wir das tun wollen, dazu noch einige Sätze; zunächst die Frage, ob wir mit den vielen Gesetzen, die wir beschließen, nicht doch des Guten zuviel tun.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Frage stellen, meine Damen und Herren, heißt sie bejahen. Wir sollten meines Erachtens die Überproduktion an Gesetzen stoppen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    nicht nur unseretwegen, sondern auch des Staates wegen, des Staatsbürgers wegen, der die Gesetze ausführen soll. Ich meine, es liegt im wohlverstandenen Interesse des Staates selber, wenn seine Repräsentanten nach dem Rezept verfahren: nicht mehr Staat als nötig und so viel Freiheit wie möglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben vor, nach diesem Rezept zu arbeiten.

    (Zuruf von der SPD: Das Rezept haben Sie von uns!)

    — Wir nehmen gern Gutes von Ihnen an.

    (Zuruf von der SPD: Das sollte öfter geschehen!)

    Der Neubau unseres Staates nach 1945 ist im großen und ganzen fertiggestellt. Einiges Wichtige muß gewiß noch geschehen. Doch wir sollten genau prüfen, was das ist und was das nicht ist. Die Gesetze, die wir beschließen, sollten übersichtlicher sein, nicht so perfektionistisch und nicht so detaillistisch. Auch der brave Steuerzahler muß solch ein Steuergesetz lesen und eine Steuererklärung auch einmal ohne fremde Hilfe abgeben können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren: ich kenne eine Verordnung mit dem Titel „Höchstbeträge für Fenstervorhänge für Küchen in Kasernen". Ich bin der Meinung, wir sollten uns hüten, in der Politik so detailliert zu arbeiten, und ich habe dieselbe Bitte auch an die Regierung.
    Ein Zweites, was mit diesem zusammenhängt: ich meine den Staat und seine Aufgaben, aber auch seine Grenzen. Was ist an der Behauptung wahr —so muß gefragt werden —, wir seien auf dem Wege, ein Versorgungsstaat zu werden? Es gibt soziale Aufgaben, die so groß und so einmalig sind, daß sie nur der Staat bewältigen kann. Wer anders als der Staat kann sich an die Aufgaben heranmachen, die das Schicksal der Heimatvertriebenen und der Zonenflüchtlinge stellt, ebenso das der Kriegsopfer? Unsere Läger, in denen die Menschen sitzen, die aus der Zone flüchten, wären schon längst leer, wenn nicht Hunderte jeden Tag neu aus dem Osten
    nach hier kämen. Wir sind die letzten, die diese Verpflichtung des Staates zur sozialen Gerechtigkeit nicht bejahten.
    Wir müssen auch daran denken, daß die Scheidelinie zwischen bürgerlich und proletarisch, die auch dank unserer Wirtschaftspolitik langsam überwunden wird, sich nicht eines Tages für neue Berufe wiederauftut. Wir haben alles zu tun, um diesen Prozeß zu stoppen.
    Wenn wir somit die soziale Verpflichtung des Staates anerkennen, muß aber ebenso deutlich gesagt werden, daß es zwischen dem sozialen und freiheitlichen Rechtsstaat und dem aus reinem Versorgungsdenken geborenen Versorgungsstaat eine Grenzlinie gibt, die wir nicht überschreiten sollten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Zu dieser Frage wäre mancherlei zu sagen. Es muß hier genügen, deutlich zu machen, wo diese Grenzlinie verläuft. Sie verläuft meines Erachtens dort, wo einer meint, er müsse von der Allgemeinheit alles das erhalten oder garantiert bekommen, was er benötigt, und damit das nun möglich sei, müsse ein jeder möglichst viel in den allgemeinen Staatstopf hineinzahlen. Meine Damen und Herren, dieses Denken ist falsch. Es widerspricht dem Menschen, wie er tatsächlich ist. Wir lehnen deshalb dieses Denken ab. Der Staat muß echte Hoheit und Autorität sein, Hüter des Rechts und der Freiheit, Hüter der Sicherheit im Innern und Schutz seiner Bürger nach außen. Ist er das, dann dient er auch am besten der Aufgabe, dem allgemeinen Wohle, d. h. dem Wohle aller seiner Bürger.
    Ich habe noch einen besonderen Grund, dieses hier zu sagen. Bei allen unseren Überlegungen und Maßnahmen müssen wir daran denken, daß 18 Millionen Deutsche jenseits des Eisernen Vorhangs auf uns schauen und uns fragen, welche Lösungen wir hier für diese Fragen haben. Hier geht es um Fragen, die der Osten in einer Weise löst, die wir ablehnen. Je energischer wir die Übernahme der sogenannten Errungenschaften der Sowjetzone ablehnen, um so mehr müssen wir uns aber auch für einen echten freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat, für das gesamte Deutschland verpflichtet fühlen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir leben in einem geteilten Deutschland an der Grenze zweier Welten. Wir schützen unser Land nicht nur durch unsere aktive Mitgliedschaft in der westlichen Verteidigungsgemeinschaft, sondern ebensosehr dadurch, daß wir einen Staat des Rechts und der Freiheit aufbauen, einen Staat freier Bürger und wahlgeordneter sozialer Verhältnisse. Wenn wir uns mit Erfolg gegen jenes System der alles umfassenden Sozialisierung wehren wollen, dürfen wir nicht selber anfangen, den Menschen hier zu sozialisieren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist also — und das wäre das Dritte, das in diesem Zusammenhang von mir zu sagen ist —verkehrt im Denken unseres Volkes, wenn die Menschen meinen, daß für alle und jegliche Not



    Dr. Krone
    der Staat, die Gemeinde da sei. Unsere Eltern dachten da ganz anders und richtiger. Man lief nicht gleich aufs Rathaus. Man wußte noch von der Pflicht der Familie, für einander einzustehen, und ganz zuletzt ging man zur Gemeinde, um sich dort Hilfe zu holen. Ich sage es noch einmal: gewiß, die Zeiten haben sich geändert. Trotzdem und gerade deshalb dürfen wir nichts unterlassen, was den Willen zur Selbsthilfe stärkt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir dürfen nicht durch eine falsche Gesetzgebung diesen Willen zur Selbsthilfe und zur Gruppenhilfe verbauen. Im Gegenteil, wir müssen alles unterstützen und fördern, was dem Willen, sich selber zu helfen, dient. Es muß sich für den Staatsbürger, für den Geschäftsmann, für den Arbeiter, für alle Bürger des Staates lohnen, für sich und die Seinen für heute und für später zu schaffen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir müssen recht bald prüfen, was diesem Ziel an Hindernissen in der Gesetzgebung im Wege steht. Es ist besser und richtiger, daß der Staatsbürger sich für sein Alter einen Spargroschen selber zurücklegt und daß wir ihm das auch steuerlich ermöglichen, als daß in der Zeit des Alters und der Not die gewiß notwendige Rente sein ein und alles ist.
    In diesem Zusammenhang muß auch die Liebestätigkeit der Kirchen, ihrer Organisationen und aller freier Verbände gesehen und genannt werden. Wir müssen dieser freien karitativen Tätigkeit den Raum geben oder wieder zurückgeben, den sie haben muß, um segensreich wirken zu können. Es gibt Not, deren sich der Staat, die Gemeinde annehmen muß; es gibt aber auch Not, wo der einzelne, die Kirche, der freie Verband gerufen sind, ja, wo diese allein auch berufen sind.
    Meine Damen und Herren, fast scheint es so, als ob unser Volk nur aus Lohnempfängern, aus Arbeitgebern, aus Arbeitnehmern, aus Rentenempfängern oder aus Angehörigen anderer Gruppen dieser Art bestehe. Daß es eine Familie und einen Berufsstand gibt, das weiß man bald nicht mehr. Und doch sind es diese natürlichen Glieder, auf die sich in einem Volke eine gesunde und tragende Ordnung aufbaut. Der Mensch ist nicht das, was der Liberalismus des 19. Jahrhunderts aus ihm gemacht hat: ein Einzelgänger, der da auf freiem Feld steht und kämpft. Er ist vielmehr ein in menschliche Ordnungen Gebundener. Wo diese Ordnungen verkümmern, geht es mit einem Volke abwärts.
    Hier liegt die Berechtigung und Verpflichtung für eine diese Ordnungen schützende und stärkende Politik. Hier liegt die Begründung unserer Familienpolitik, auch unserer Wohnungsbaupolitik, in deren Mittelpunkt immer mehr ,das Heim für die Familie stehen muß. Wir müssen die Familie als das Fundament unseres Volkes und seines Bestandes sichern und gegen jegliche Gefahr der Auflösung schirmen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auch der Sonntag muß Sonntag bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Macht man aus ihm einen Werktag, so wird eine Ordnung zerstört, die man auch der Wirtschaft wegen nicht verletzten darf. Unser Mühen und Sorgen um die Familie ist vergebens, wenn der Sonntag seine zentrale Bedeutung verliert.
    Zu jenen menschlichen Ordnungen gehört auch die Heimat. Darum liegt auch hier das Recht begründet, das unsere Heimatvertriebenen auf ihre Heimat haben, ein Recht, an dem wir mit ihnen unentwegt festhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Wie wir, die Fraktion der Unionsparteien, hier im Parlament arbeiten wollen, habe ich in Umrissen dargelegt. Wer wir sind, darüber hat es im Wahlkampf heftigen, nicht immer erfreulichen Streit gegeben. Es war das Wort „christlich" in unserem Namen, das den Widerspruch hervorrief. Ich will darauf aber nicht weiter eingehen. Lassen Sie mich schlicht und einfach noch einmal sagen, daß für uns dieses Wort in unserem Namen nichts Selbstgefälliges und kein Monopolanspruch ist. Es ist eine Verpflichtung und nichts anderes.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist die christliche Berufung des Menschen, seine Würde als gottgeschaffenes und gottbestimmtes Wesen, dieses Menschen in den Lebensbereichen der Familie, des Staates, der Wirtschaft und auch der modernen Gesellschaft. Diesem Menschenbilde widersprechen nach unserer Meinung aller Kollektivismus und alle Gleichschaltung. Das Kollektiv ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Ich glaube, es stimmt, wenn gesagt wird, daß die Zeit der großen Ideologien des 19. Jahrhunderts vorbei ist. Sie haben dem Menschen die Erlösung nicht gebracht, die er von ihnen erwartete. Sie vermochten vor der harten, blutigen Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts nicht standzuhalten. Nur im Osten wird der prometheische Versuch noch fortgesetzt, die Welt und den Menschen aus sich selber heraus zu erlösen. Hier hält der Sozialismus in seiner konsequenten Form allein mit dem Mittel der Macht noch eine Ideologie aufrecht und ist unablässig bemüht, nur wechselnd in den Wegen, sie der Welt aufzuzwingen.
    Ich meine, auch der Politiker kann sich der Erkenntnis nicht versagen, die sich — ich gebrauche ein Wort unseres Kollegen Pascual Jordan — aus dem gescheiterten großen Aufstand des 19. Jahrhunderts gegen Gott ergibt, daß wir es besser könnten als er. Gegen das infernalisch Drohende der Stunde, das, um es in seiner Abgründigkeit zu erkennen, noch einmal einen Analytiker wie Dostojewski finden müßte, sei auch hier noch einmal jenes Wort gesetzt, das unser Präsident in Berlin gebraucht hat: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch", in der Interpretation, daß es die Einsicht in das Geheimnis der Welt ist, die in Gottes Hand ruht.



    Dr. Krone
    Man wolle es mir zugestehen, wenn in diesem Hause, wo sonst von anderen Dingen geredet wird, auch von dem Letzten gesprochen wurde, das die Welt trägt und bewegt. Das Wissen um diese Wahrheit verpflichtet und macht, so hoffen wir, zuversichtlich für den Sieg des Rechts und den Frieden in der Welt, zuversichtlich auch für unser ganzes deutsches Volk.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden verstehen, wenn ich in dieser ersten Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion zur Regierungserklärung nicht im einzelnen auf das eingehe, was soeben der Kollege Krone als Standpunkt der Fraktion der CDU entwickelt hat. Ich glaube, die Unterschiede in der Beurteilung der Situation und der Aufgaben kommen in diesem Augenblick am besten zum Ausdruck, wenn ich darzustellen versuche, wie wir Sozialdemokraten die Situation nach der Wahl vom 15. September und in der 3. Wahlperiode dieses Bundestages sehen.
    Herr Kollege Krone hat schon davon gesprochen, daß der Ausgang der Wahl viele der Probleme in diesem Hause vereinfacht habe. In gewissem Sinne scheint es so. Tatsächlich ist die Zahl der im Bundestag vertretenen Parteien auf vier oder, besser gesagt, auf dreieinhalb heruntergegangen,

    (Zuruf von der DP)

    und das Kräfteverhältnis zwischen den beiden größten Parteien, der CDU/CSU und der SPD, ist eindeutig klar zugunsten der CDU/CSU. Dennoch, meine Damen und Herren, ist die dritte Regierung Adenauer, deren Regierungserklärung wir heute diskutieren, nur nach großen Schwierigkeiten zustande gekommen.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Die Ursache liegt darin, daß sich die Auseinandersetzungen der verschiedenen Interessentengruppen in die Mehrheitspartei selbst verlagert haben. Diese Interessentengruppen haben ihre Wünsche und Forderungen mit großem Nachdruck vertreten und zum größten Teil mit Erfolg durchgesetzt. Die personellen Veränderungen in der neuen Regierung sind im wesentlichen auf diese Einwirkungen zurückzuführen. Der Herr Bundeskanzler selbst hat die Härte der Auseinandersetzungen bestätigt; sie hat ihn dazu veranlaßt, sich über den Druck durch die Interessentengruppen und -verbände öffentlich zu beschweren.
    Der Herr Bundeskanzler kann allerdings über diese massive Intervention am wenigsten erstaunt gewesen sein; denn es mußte ihm doch klar sein, daß diese Interessentengruppen nach der Wahl die Rechnung für die großen finanziellen Zuwendungen

    (lebhafte Zustimmung bei der SPD)

    an die CDU während des Wahlkampfes präsentieren würden.

    (Abg. Arndgen: Das war aber billig!)

    — Nein, das war gar nicht billig, es waren sehr erhebliche Beträge.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Ich sage, daß das nicht nur eine Angelegenheit der CDU ist,

    (Zustimmung bei der SPD)

    sondern es ist eine Angelegenheit der Demokratie. Denn die Gefahren — und hier, Herr Kollege Krone, bei den Gefahren möchte ich auf einige Ihrer Bemerkungen zurückkommen —, die sich für die Entwicklung der Demokratie aus dieser Art von Wahlkampffinanzierung ergeben, sind so offenkundig geworden, daß der 3. Bundestag unausweichlich vor der Aufgabe steht, durch die Schaffung des seit langem fälligen Parteigesetzes die Finanzierung der politischen Parteien unter eine effektive Kontrolle zu stellen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Wir haben nicht die Absicht, hier irgendwelche Schreckgespenste an die Wand zu malen. Aber kaum ist der Wahltag vorbei, gibt es hier und da schon wieder Gerüchte - Gerüchte, Sie haben nicht davon gesprochen, Herr Kollege Krone —, daß die Mehrheit dieses Hauses wieder über ein neues Wahlgesetz nachdenke.

    (Abg. Dr. Krone: Das wollen wir mit Ihnen machen, Herr Kollege Ollenhauer!)

    Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Krone, und Ihnen, meine Damen und Herren der CDU, sagen, daß wir vor jeder neuen Manipulation mit dem Wahlrecht warnen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn es hier eine Aufgabe zu lösen gibt, wäre es vielleicht das beste, daß wir endlich durch eine Vereinbarung mit allen demokratischen Parteien ein Wahlsystem im Grundgesetz festlegen, das für alle akzeptabel ist und endlich diese Frage aus den parteitaktischen Überlegungen in der Bundesrepublik herausbringt.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Bevor ich zu der Regierungserklärung selbst etwas sage, möchte ich eine im Verhältnis zu dem in der Bundesrepublik üblich gewordenen politischen Stil vielleicht etwas ungewöhnliche Bemerkung machen. Ich möchte mich nämlich auch als Sprecher der Opposition mit einem Wort des Dankes den Bemerkungen anschließen, die der Herr Kollege Krone über frühere Minister dieser Regierung gemacht hat, um so mehr, als der Herr Bundeskanzler es leider versäumt hat, ein solches Wort gegenüber seinen früheren Kollegen zu sprechen. Denn, meine Damen und Herren, die aus dem bisherigen Kabinett ausgeschiedenen Minister Kaiser, Storch, Blücher, Preusker und Schäffer — letzterer in seiner Eigenschaft als Finanzminister — haben wir Sozialdemokraten wegen ihrer Politik bekämpft, wir haben ihnen aber die persönliche Achtung nicht



    Ollenhauer
    versagt. Sie haben versucht, an ihrer Stelle unserem Volke zu dienen, und wir möchten ihnen dafür danken.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich denke nämlich, wir sollten in dem Kampf um Ämter und Funktionen den Menschen nicht vergessen.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Nun ein Wort über die personelle Zusammensetzung des Kabinetts, ich finde, ein sehr interessantes Kapitel, obwohl der Herr Kollege Krone überhaupt nichts dazu gesagt hat. Der Herr Bundeskanzler hat diese neue personelle Zusammensetzung mit der notwendigen Neuverteilung der Aufgaben der verschiedenen Ministerien begründet. Ich hatte den Eindruck, daß manche der von ihm hier vorgebrachten Argumente sogar für die betroffenen Mitglieder seiner Regierung neu und überraschend waren.
    Da haben wir zunächst einmal den Wechsel im Bundesfinanzministerium. Herr Schäffer mußte gehen, und sicher nicht nur weil Herr Dr. Adenauer es so wollte, sondern weil bestimmte Kreise in der deutschen Wirtschaft seit langem eine personelle Änderung gefordert haben. Herr Schäffer ist sicher zu seiner eigenen Überraschung als Justizminister auf der Rosenburg gelandet.

    (Heiterkeit.)

    Im Volksmund kommentiert man diese bemerkenswerte Lösung mit der Feststellung: Wir haben zwar im dritten Kabinett Adenauer keine Minister ohne besondere Aufgaben mehr, aber dafür haben wir die Rosenburg als eine Art von Altersheim für das Kabinett eingerichtet.

    (Heiterkeit.)

    Ich finde, das ist ein bitteres Urteil für Herrn Schäffer. Aber es zeigt auch die Entwertung eines so wichtigen Ministeriums wie des Justizministeriums im Bewußtsein unseres Volkes.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das ist um so bedauerlicher, als der Bundeskanzler selbst dem neuen Justizminister eine so weitgehende und entscheidende Aufgabe wie die Durchführung einer neuen Strafrechtsreform zugedacht hat. Wäre es da nicht um der Sache willen besser gewesen, eine entsprechende personelle Lösung auch für dieses in einer Demokratie entscheidende Ministerium zu finden?
    An die Stelle von Herrn Schäffer als Finanzminister ist nun Herr Etzel getreten, der bisher Vizepräsident der Hohen Behörde der Montanunion gewesen ist. Wir werden die Tätigkeit des neuen Finanzministers sehr kritisch beobachten und verfolgen. Was ich in diesem Augenblick sagen möchte, ist aber etwas ganz anderes. Wo bleibt eigentlich der europäische Geist der CDU/CSU und ihrer Regierung?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Da haben wir bei der Gründung der Montanunion
    gehört, daß die Ernennung von Herrn Etzel zum
    Vizepräsidenten der Hohen Behörde der Montanunion ein großer Erfolg und der Beginn einer effektiven europäischen Zusammenarbeit auf den wichtigsten Gebieten unserer Wirtschaft sei. Nun, inzwischen hat der Präsident der Hohen Behörde zweimal gewechselt. Herr Jean Monnet wurde durch Herrn Rene Mayer ersetzt, und vor einigen Wochen hat Herr Rene Mayer seinen Rücktritt erklärt, tim sich in die Privatindustrie zurückzuziehen. Zweifellos bestand in diesem Augenblick in Luxemburg die Möglichkeit, ohne große Schwierigkeiten Herrn Etzel zum Präsidenten der Hohen Behörde wählen zu lassen. Statt dessen bemühte sich Herr Etzel um ein Bundestagsmandat und gehörte nach dem 15. September mit zu den Ausdauerndsten in der langen Liste der Ministerkandidaten.
    Ich glaube, Sie müssen mir zugeben: es ist sehr schwer vorstellbar, daß es nun in der Hohen Behörde möglich sein wird, einen Deutschen zum Präsidenten wählen zu lassen. Das ist doch auch eine sehr ernste Angelegenheit. Denn wir haben hier ein klassisches Beispiel dafür, wie schnell der europäische Geist der Mehrheit in diesem Hause kapituliert, wenn es um wirtschaftliche oder persönliche Interessen geht, und wie leichtfertig deutsche Interessen bei der Vertretung in einer so wichtigen übernationalen Körperschaft preisgegeben werden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Unseren schärfsten Widerspruch fordert die Übertragung der Jugendförderung auf das Familienministerium heraus. Wir lehnen sie sowohl aus sachlichen wie aus personellen Gründen ab. Die Behauptung des Herrn Bundeskanzlers, die Förderung der Jugend gehöre organisch zu den Aufgaben des Familienministeriums, ist in der Sache falsch. Die Entscheidung über die Neuverteilung dieser Aufgabe ist ja auch aus ganz anderen Gründen gefallen. Man will doch jetzt der „moralischen Aufrüstung" der Familie durch diesen Minister auch noch die „moralische Aufrüstung" der Jugend im Geiste dieses Ministers hinzufügen.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Leider wahr!)

    Mit der Angliederung der Förderung der Jugendarbeit an das Familienministerium — das möchte ich zur Sache sagen — geht man in die Zeit der Jugendpflege zurück, nämlich in die Zeit des kaiserlichen Deutschlands, als man 1912, vor 45 Jahren, im großen Umfang eine solche nationale, staatliche Jugendpflege im Zeichen von Schwarz-Weiß-Rot startete.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen]: Das stimmt nicht!)

    Damals hat die deutsche Jugendbewegung diesem Versuch sehr schnell ein Ende gesetzt, und die Entwicklung der deutschen Jugendarbeit von der Jugendpflege zur deutschen Jugendbewegung in allen weltanschaulichen und politischen Lagern unserer Jugend in den zwei Jahrzehnten zwischen 1913 und 1933 gehört zu den fruchtbarsten und erfreulichsten Perioden in der Geschichte deutscher Jugendarbeit überhaupt.

    (Beifall bei der SPD.)




    Ollenhauer
    Wenn wir heute die Jugendarbeit unter der Verantwortung von Herrn Wuermeling sehen, dann scheint es uns, als habe es die deutsche Jugendbewegung überhaupt nicht gegeben,

    (Beifall bei der SPD)

    als seien wir wieder nach 1912 zurückgekehrt. Es geht in der Frage der Jugendarbeit nicht um die ressortmäßig beste Lösung im Sinne des katholischen Flügels der CDU.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Buh! — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Herr Ollenhauer, das ist unerhört! — Gegenrufe von der SPD.)

    — Ich glaube, das ist eine berechtigte sachliche Feststellung.

    (Beifall bei der SPD. Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    — Die Zukunft wird ja erweisen, ob Ihr Widerspruch berechtigt ist oder nicht. - Es geht um die jungen Menschen, die ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten wollen und die einen Anspruch darauf haben, daß der Staat und die Allgemeinheit ihr dabei im Geiste der Toleranz und der Aufgeschlossenheit helfen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Warum hat der Herr Bundeskanzler die Vertreter der Jugend, die in den vergangenen Jahren außerordentlich erfolgreich im Bundesjugendring zusammengearbeitet haben, vor dieser Entscheidung nicht gehört? Es wird immer soviel von der Notwendigkeit eines positiven Verhältnisses unserer jungen Generation zum demokratischen Staat gesprochen; die Art und Weise, wie hier die Jugend als Objekt behandelt worden ist, kann dieses positive Verhältnis nur erschweren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Lassen Sie mich ein anderes Wort hinzufügen! In der Zusammenarbeit zwischen Jugend und Staat spielt mehr als auf anderen Gebieten die Art der Persönlichkeit eine Rolle. die den Staat gegenüber der Jugend repräsentiert. Ich trete Herrn Minister Wuermeling sicher nicht zu nahe, wenn ich sage, daß seine Art des kämpferischen und dogmatischen und damit notwendigerweise auch intoleranten Streiters alle die Eigenschaften vermissen läßt, die der Jugendminister der Bundesrepublik im Verhältnis zur Jugend unserer Zeit braucht,

    (stürmischer Beifall bei der SPD — Beifall bei der FDP)

    nämlich Toleranz, Großzügigkeit und Respekt vor den eigenen Lebenswerten und Lebensvorstellungen der jungen Menschen von heute.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung selber gesagt, daß Sie nicht sicher seien, ob Sie in allen Fällen schon die richtige Entscheidung getroffen hätten. Hier handelt es sich
    nach unserer Überzeugung um eine Fehlentscheidung, und Sie können und sollten sie so schnell wie möglich korrigieren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der betrübliche Hintergrund solcher Fehlentscheidungen ist allerdings die Aushandlung von Ministersitzen nach der Konfession ihrer Kandidaten. Es gibt ja einige Kollegen in der Mehrheit dieses Hauses, die darüber eine sehr lange und betrübliche Geschichte erzählen könnten. Zur Sache möchte ich sagen: nach unserer Auffassung wäre es sehr viel wichtiger gewesen, daß die neue Regierung Dr. Adenauers ihre Arbeitsmöglichkeiten durch die Schaffung von parlamentarischen Staatssekretären zumindest bei so wichtigen und belasteten Ministerien wie dem Außenministerium und dem Verteidigungsministerium verstärkt hätte. Wir halten jedenfalls eine solche Veränderung in der Struktur, eine solche bessere Verteilung der Arbeit für vordringlicher und fruchtbarer als die jetzt vorgenommene Neuverteilung.
    Nun, ich will hier nicht noch einmal auf Einzelheiten des Wahlkampfes zurückkommen. Aber der Herr Bundeskanzler und heute der Herr Kollege Dr. Krone haben davon gesprochen, daß es wünschenswert sei — und daß die CDU/CSU-Fraktion in dieser Richtung arbeiten wolle —, daß wir in Zukunft wenigstens in den entscheidenden nationalen Fragen zu einem besseren Verhältnis zwischen Regierung und Koalition auf der einen und Opposition auf der anderen Seite kämen. Wir müssen leider feststellen, daß wir in den acht Jahren, die wir in diesem Hause sind, derartige Erklärungen immer in feierlicher Form bei Beginn einer neuen Legislaturperiode gehört haben. Wir sind auch diesmal skeptisch, weil wir vor allem geringes Vertrauen zu der Fähigkeit des Chefs dieser Regierung haben,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    im Geiste einer Zusammenarbeit und mit gegenseitigem gutem Willen zu handeln.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Zweite: Es genügt doch nicht, meine Damen und Herren, daß man solche Erklärungen nach der gewonnenen Schlacht abgibt. Man muß die staatserhaltende Rolle der parlamentarischen Opposition auch während des Wahlkampfes respektieren.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Unertl: Auf beiden Seiten!)

    Der Herr Bundeskanzler hat den Wahlkampf jedoch uns gegenüber mit derartigen Unterstellungen und politischen Verleumdungen geführt,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    daß er damit praktisch die Sozialdemokratie als eine außerhalb der Demokratie stehende und im Grunde staatsfeindliche Partei hinzustellen versuchte.

    (Zustimmung bei der SPD. — Widerspruch in der Mitte.)




    Ollenhauer
    — Da erheben Sie lieber den Finger dahin [zur Regierungsbank], Herr Krone!

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Wort von Bamberg und von Nürnberg stammt von Herrn Adenauer und nicht von den Sozialdemokraten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Politische Gegensätze und politische Auseinandersetzungen gehören zum Wesen der Demokratie. Aber für die Lebenskraft unserer Demokratie ist ein Mindestmaß von Achtung vor dem politischen Gegner und ein Mindestmaß von Vertrauen in die Loyalität des politischen Gegners gegenüber den verfassungsmäßigen Grundlagen unserer staatlichen Ordnung unerläßlich.

    (Sehr richtig bei der CDU/CSU)

    und daran, meine Damen und Herren, hat es gefehlt.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Unertl: Bei der SPD!)

    Ich möchte hier noch einmal feststellen, daß die Sozialdemokratische Partei stets bereit war und auch heute noch bereit ist, in den lebenswichtigen Fragen unseres Volkes zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Aber das wird nur möglich sein, wenn die Regierung sich endlich dazu bereit findet, die Opposition laufend so zu informieren, daß sie sich in ihrer eigenen Urteilsbildung auch auf die der Regierung zur Verfügung stehenden Kenntnisse stützen kann.
    Unerläßlich ist ferner, daß die Opposition vor grundlegenden Entscheidungen über die Absichten der Regierung informiert wird, damit sie sich auf der Grundlage dieser Informationen darüber schlüssig werden kann, ob und in welchem Umfange sie die Regierung unterstützen kann oder die von ihr in Aussicht genommene Politik ablehnen muß. Völlig indiskutabel ist die bisher geübte Praxis, zunächst die Entscheidung der Regierung zu fällen und dann die Opposition zu fragen, ob sie bereit ist, sich dieser Politik anzuschließen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratie ist jedenfalls auch in Zukunft nicht gewillt, sich in eine solche Satellitenrolle zu begeben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Beginn der Tätigkeit des Bundestages bedeutet auf jeden Fall einen gewissen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik, und er gibt uns die Möglichkeit, hier unsere Positionen noch einmal klarzumachen und neu zu bestimmen.
    Wir sind in der Opposition; aber die Sozialdemokratische Partei vertritt in diesem Bundestag 91/2 Millionen Wählerinnen und Wähler. Sie haben sich für die Sozialdemokratie entschieden, und wir betrachten es als unsere Pflicht, uns in diesem Hause so zu verhalten, daß wir das Vertrauen dieser Frauen und Männer erhalten und stärken.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Höcherl: Hoffentlich!)

    — Kümmern Sie sich um Ihre Wähler! Wir tun es um unsere.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, hier lediglich als die Negation der Regierung und ihrer Politik zu wirken, sondern wir wollen, wie wir es früher schon gesagt haben, die Politik der Regierung an unseren eigenen Maßstäben prüfen und auch den Versuch machen, so viel als möglich von unseren eigenen Vorstellungen in die parlamentarische Arbeit hineinzubringen und, wenn möglich, hier auch durchzusetzen. So sehe ich auch das, was ich jetzt über unsere Vorstellungen über die politischen Aufgaben im Innern und nach außen als eine Art von Übersicht über die Arbeit sagen möchte, die wir in der nächsten Periode vor uns sehen.
    Mein erstes Wort in diesem Zusammenhang gilt der Unterstreichung unserer alten Überzeugung, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit die vordringlichste Aufgabe der Politik jeder Bundesregierung sein und bleiben muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Bundesrepublik Deutschland ist und bleibt im Hinblick auf diese große nationale und europäische Aufgabe ein Provisorium.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Die Dauer der Spaltung unseres Landes und die Hindernisse, die sich der Überwindung dieser Spaltung entgegenstellen, dürfen nicht zu einer Gewöhhung an diesen unglücklichen Zustand führen. Darum müssen wir unsere Maßnahmen und Entscheidungen immer wieder an ihren Auswirkungen auf das Gesamtschicksal unseres Volkes diesseits und jenseits der Zonengrenze orientieren. Wir dürfen nie vergessen, daß eine saubere demokratische Ordnung in diesem Teil Deutschlands auch die größte positive politische Kraft auf unserer Seite in der Auseinandersetzung 'mit den totalitären Kräften jenseits der Zonengrenze und im Osten Europas überhaupt ist.
    Die Lösung dieser Aufgabe beginnt mit der Gestaltung der Innenpolitik im eigentlichen Sinn des Wortes. Die parlamentarische Demokratie darf nicht eingeschränkt werden, und wir sind — ich sage das ganz offen — hier seit langem nicht ohne Sorge. Wir haben den Eindruck, daß gewisse autoritäre Züge in der Regierungspolitik der letzten Jahre in der kommenden Zeit noch verstärkt werden. Nach dem, was Herr Kollege Dr. Krone heute angekündigt hat, hoffe ich, daß die Möglichkeit besteht, derartigen Bestrebungen gemeinsam entgegenzutreten.
    Unsere Befürchtungen gründen sich auch auf Erfahrungen im letzten Wahlkampf. In diesem Wahlkampf ist eine Verquickung von Partei und Staatsapparat und eine derart einseitige parteipolitische Benutzung öffentlicher Mittel und Einrichtungen zugunsten einer Partei erfolgt, die mit



    Ollenhauer
    den Grundsätzen einer sauberen demokratischen Verwaltung und der notwendigen Trennung von Staat und Partei nicht mehr zu vereinbaren ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben bereits früher bei den Haushaltsberatungen immer wieder die Forderung erhoben, die vor allem dem Bundeskanzler zur Verfügung stehenden Geheimfonds einer parlamentarischen Kontrolle zu unterstellen. Wir haben immer wieder dagegen Einspruch erhoben, daß man durch Hilfsorganisationen der verschiedensten Art eine einseitige, zugunsten einer politischen Partei betriebene Propaganda aus öffentlichen Mitteln fördert. Diese Methoden der Beeinflussung der öffentlichen Meinung sind unerträglich. Wir werden daher bei den kommenden Haushaltsberatungen erneut das Parlament selbst vor die Entscheidung stellen, hier eine Änderung herbeizuführen und eine Kontrolle dieser Ausgaben zu sichern.
    Eine nicht weniger bedrohliche Erscheinung sind jene Ereignisse, die mit den Bestechungen beim Bundesbeschaffungsamt in Koblenz bekanntgeworden sind. Auch die Frage der Verquickung des Mandats eines Abgeordneten mit privaten Geschäftsinteressen gehört in dieses Gebiet. Wir wollen in die schwebenden Verfahren nicht eingreifen, aber wir erwarten, daß die Bundesregierung alles tut, was von ihrer Seite getan werden kann, um die Zusammenhänge ohne Rücksicht auf Personen und Interessen aufzudecken, damit die Verfahren so schnell wie möglich zum Abschluß kommen.
    Wir haben leider in der Vergangenheit in anderen Fällen erlebt, daß die Bundesregierung die Durchführung schwebender Gerichtsverfahren und Untersuchungen behindert hat, z. B. durch die Verweigerung der Aussagegenehmigung. Dadurch war es nicht möglich, schwerer wiegende Vorwürfe gegen hohe Beamte der Bundesregierung gerichtlich klarstellen zu lassen. Diese Methode ist nicht zu verantworten; denn sie muß das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit schwächen und erschüttern. Es gehört zu den vornehmsten Pflichten einer jeden Bundesregierung und des Bundestages, jeden Ansatz zur Korruption durch rücksichtslose Aufklärung im Keim zu ersticken. Insoweit kann es kein Staatsgeheimnis geben, sondern muß jeweils für volle Öffentlichkeit gesorgt werden. Der Idee der Rechtsstaatlichkeit ist mit einem formalen Legalismus nicht gedient. Die Rechtsstaatlichkeit bewährt sich durch eine politische Gesinnung, für die unbedingte Sauberkeit im Staate ein oberstes Gebot ist. Wir wissen, daß die große Mehrheit unserer Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ihre Pflichten in einer sauberen und verantwortungsbewußten Weise erfüllen. Ich möchte das bei dieser Gelegenheit ausdrücklich feststellen und anerkennen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Für die Gestaltung unserer Innenpolitik wird auch in Zukunft das Verhältnis zwischen Bund und Ländern von großer Bedeutung sein. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu dem Grundsatz des Föderalismus, der im Grundgesetz niedergelegt worden ist.

    (Unruhe in der Mitte.)

    — Die Herren unter Ihnen, die das spaßig finden, bitte ich, einmal die Verhandlungen des Parlamentarischen Rats nachzulesen. Da werden Sie nämlich feststellen, daß damals schon die Sozialdemokraten diesen Grundsatz vertreten und mit Ihrer Fraktion gemeinsam im Grundgesetz verankert haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir bekennen uns zu diesem Grundsatz, weil wir überzeugt sind, daß die Länder ihr Recht auf Eigenleben haben, und wir haben ihnen auch in unserem gesamtstaatlichen Leben besondere Aufgaben zugewiesen. Wir wünschen, daß an diesem Grundsatz nicht gerüttelt wird.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Sehr gut!)

    — Ja, ich möchte diese Feststellung unterstreichen, vor allem im Hinblick auf die Versuche nach den Bundestagswahlen, die Länderregierungen nach den hiesigen Koalitionsverhältnissen gleichzuschalten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wir sind der Meinung, daß die Regierungen der Länder in ihrer Zusammensetzung nach den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der Länder bestimmt werden und nach nichts anderem. Unsere Aufgabe als Bund ist es, den Ländern zu helfen, damit sie die auf sie zukommenden Aufgaben besser als in der Vergangenheit erfüllen können. Es geht nicht an, meine Damen und Herren, daß wir auf dem Wege der Bundesgesetzgebung den Ländern immer neue Aufgaben mit neuen finanziellen Belastungen zuweisen, ohne daß wir uns über die Erfüllung dieser finanziellen Verpflichtungen durch die Länder Gedanken machen. Ich werde später noch einiges über die Notwendigkeit der Verstärkung der Arbeit zur Förderung der Wissenschaften usw. sagen. Hier handelt es sich zweifellos in erster Linie nach dem Grundgesetz um Aufgaben der Länder. Aber es muß ein Weg gefunden werden, der es den Ländern auch finanziell ermöglicht, diese neuen Aufgaben im Interesse des Ganzen zu erfüllen. Eine Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern zugunsten der Länder ist unerläßlich.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die sozialdemokratische Fraktion erwartet ferner, daß die Bundesregierung ihren Verpflichtungen nach dem Grundgesetz in bezug auf die Neugliederung der Länder innerhalb der gesetzlichen Fristen nachkommt.
    Ebenso wie die Länder bedürfen die Kommunen einer stärkeren Förderung durch den Bund. Der zweite Bundestag hat in Anerkennung des Anspruchs der Kommunen, neben Bund und Ländern als dritter Faktor beteiligt und berücksichtigt zu werden, einen Schritt vorwärts getan. Der Bundeskanzler hat die Förderung der kommunalen Selbstverwaltung zugesagt. Aber es darf hier nicht bei



    Ollenhauer
    den Worten bleiben. Abgesehen von den besonderen Lasten, die den Kommunen aus den Kriegsfolgen erwachsen sind, haben sie neue große soziale und kulturelle Aufgaben übernehmen müssen. Bis heute fehlt in vielen Fällen der finanzielle Ausgleich für diese Mehrbelastungen. Auch hier muß im Interesse der Gesunderhaltung der Selbstverwaltung auf der Ebene der Kommune vom Bund her Entscheidendes in bezug auf die finanzielle Situation der Gemeinden getan werden.

    (Abg. Wittrock: Über so etwas hat der Kanzler geschwiegen!)

    Meine Damen und Herren, ein besonderes Wort verdient die Förderung von Wissenschaft und Forschung in der Bundesrepublik. Es geht hier um eine der entscheidenden politischen Fragen unserer Zeit. Der Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß heute das Tempo der technischen Entwicklung die Handlungen und Entscheidungen der Politiker bestimmt. Er hat leider diese richtige Bemerkung nur im Zusammenhang mit der Wehr- und Rüstungspolitik gemacht. In Wirklichkeit bereitet die moderne Entwicklung in Wissenschaft und Technik eine tiefgreifende Veränderung unseres gesamten gesellschaftlichen Lebens vor. Es ist die Aufgabe der heutigen Generation, die kommende auf die Welt vorzubereiten, in der sie morgen leben muß. Es gilt, Wissenschaft und Technik so zu fördern, daß unsere Wissenschaftler und Techniker in die Lage versetzt werden, ihre Forschung und ihre technischen Leistungen so zu entwickeln, daß sie dem Wohl der Menschen und nicht zu ihrer Versklavung ) oder gar ihrer Vernichtung dienen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir müssen unserem studentischen Nachwuchs eine ausreichende finanzielle Grundlage geben. Wir müssen auch das allgemeine Schulwesen so ausbauen, daß wir allen unseren Kindern das Beste an Wissen und Erkenntnissen, an charakterlicher und staatsbürgerlicher Erziehung bieten. Die Bundesrepublik zählt in dieser Beziehung leider weitgehend zu den unterentwickelten Ländern.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der krasse Unterschied zwischen dem vielgepriesenen materiellen Wohlstand des Wirtschaftswunders und dem Notstand des Geistes und der Wissenschaft ist eine der schwersten Anklagen gegen die bisherige Politik der Bundesregierung und ihrer Koalition.

    (Beifall bei der SPD.)

    Will die freie Welt sich behaupten und will sie andere Völker für ihre Vorstellungen gewinnen, dann kommt es nicht auf den Atomsoldaten, sondern auf den Wissenschaftler, den Techniker und den Erzieher an.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Die Bemühungen auf diesem Gebiet haben bis jetzt nur dürftige Resultate erzielt. Wir verlangen, daß die Bundesregierung hier schneller und großzügiger vorangeht. Die Bildung des Wissenschaftsrates ist ein Schritt in der richtigen Richtung. Notwendig ist aber, daß er die genügende Autorität und die ausreichenden Mittel erhält, um wirksam handeln zu können.
    Der Bundeskanzler hat erklärt, daß Berlin sich auf die Bundesrepublik auch in Zukunft verlassen könne. Wir hoffen, daß dieses Versprechen auch dann gehalten wird, wenn es um die Lösung der finanziellen Probleme der Stadt Berlin geht.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Nach unserer Auffassung gehören die Aufgaben, die im Zusammenhang mit Berlin gelöst werden müssen, ebenso zu den innenpolitischen Aufgaben wie die Ordnung der Beziehungen zwischen der Bevölkerung in der Zone und in der Bundesrepublik.
    Unser Ziel muß sein, Berlin wirtschaftlich auf den gleichen Stand zu bringen wie das übrige Bundesgebiet und gleichzeitig ihm zu ermöglichen, sich auf die Aufgabe als Hauptstadt vorzubereiten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die zur Erreichung dieser Ziele erforderliche finanzielle Hilfe durch den Bund muß gegeben werden, und die Bundesregierung darf sich nicht darauf beschränken, Berlin auf den Anleihemarkt zu verweisen.
    Darüber hinaus ist es nötig, in stärkerem Maße als bisher den Charakter Berlins als Hauptstadt zu unterstreichen. Wir hoffen, daß der 3. Deutsche Bundestag sich nicht darauf beschränkt, repräsentative Sitzungen in Berlin abzuhalten, sondern daß er auch in regelmäßigem Turnus Arbeitssitzungen in Berlin durchführen wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine solche Regelung könnte vielleicht auch das Bundeskabinett veranlassen, endlich einmal in Berlin eine Sitzung abzuhalten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der 3. Deutsche Bundestag würde seiner Arbeit für Berlin einen guten Start geben, wenn er endlich der unhaltbaren Stellung unserer Berliner Kollegen in diesem Hause ein Ende machen und das volle Stimmrecht der Berliner Abgeordneten beschließen würde.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratische Partei hält es für eine dringende Aufgabe der Bundesregierung, alles zu tun, was geeignet ist, die trennende Wirkung der Zonengrenze auf das Zusammenleben der Deutschen zu mildern. Wir haben dazu wiederholt konkrete Vorschläge gemacht, zuletzt in der Debatte vom 30. Mai 1956. Die Bundesregierung muß immer wieder von sich aus dazu beitragen, daß durch gesetzgeberische und Verwaltungsmaßnahmen auf beiden Seiten der Zonengrenze die Schranken vermindert und abgebaut werden, durch die die menschlichen Beziehungen zwischen den Deutschen gehindert werden. Die Schwere dieser Aufgabe entbindet niemand von der Verpflichtung, es immer wieder mit ersten Schritten in dieser Richtung zu versuchen.

    (Beifall bei der SPD.)




    Ollenhauer
    Soweit die Zuständigkeiten der Bundesregierung reichen, darf nichts unterlassen werden, was geeignet sein könnte, jungen Mitbürgern aus der sowjetisch besetzten Zone ungehindert die Fortsetzung ihrer Ausbildung oder ihrer Studien in der Bundesrepublik zu ermöglichen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hierbei ist besonders wichtig die Zusammenarbeit mit dem Lande Berlin und eine tatkräftige Unterstützung der Bemühungen Berlins, dieser Aufgabe gerecht zu werden, die dort besonders stark in Erscheinung tritt. Es ist dabei nicht nur an jugendliche Flüchtlinge zu denken, sondern an alle jungen Deutschen, also auch an solche, die nur vorübergehend in der Bundesrepublik ihre Ausbildung oder ihre Studien weiterführen möchten.
    Meine Damen und Herren! Wir unterstützen nachdrücklich den Appell des Herrn Bundeskanzlers, endlich die noch in Haft befindlichen politischen Gefangenen freizulassen. Wir hoffen, daß die Bundesregierung in Zukunft im Sinne dieses Appells handelt. Das Verhalten der Bundesregierung in der Vergangenheit, z. B. in der Frage der Amnestie, veranlaßt uns zu diesem dringenden Hinweis.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Zu den wesentlichen Problemen der Innenpolitik gehören jetzt auch die Fragen, die sich aus der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO und aus der Existenz der Bundeswehr ergeben. Die Entwicklung der Fernlenkwaffen hat die Westmächte zu einer Überprüfung ihrer eigenen Sicherheitsvorstellungen und ihrer Rolle in den bestehenden Bündnissystemen gezwungen. Nur in sorgfältiger Beobachtung der Entwicklung bei den Weltmächten können die europäischen Staaten ihre eigenen Sicherheitsvorstellungen der neuen Lage anpassen. Eine realistische Beurteilung der sich abzeichnenden Entwicklung führt dazu, auch die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in der Bundesrepublik neu zu durchdenken. Die Bundesregierung ist in dieser Lage unserer Bevölkerung eine Auskunft darüber schuldig, wie sie sich für den Fall eines Konflikts den Schutz von Leben und Gesundheit der Zivilbevölkerung denkt. Es ist bitter zu beklagen, daß dieselbe Regierung, die gestattet, daß auf dem Gebiet der Bundesrepublik Atommunition gelagert wird, bisher keinerlei Auskunft darüber gegeben hat, welche Konsequenzen ein Einsatz von Atomwaffen für die Bevölkerung hätte und was unter diesen Umständen für die Bevölkerung getan werden kann und muß. Die modernen Waffen erzwingen zur Vorbereitung eines jeden ernsthaften Programms für den Schutz der Bevölkerung eine sorgfältige Untersuchung. Nur eine von politischen und finanziellen Wünschen der Regierung unabhängige Sachverständigenkommission wäre imstande, die erforderlichen Untersuchungen anzustellen. Sie sollte unverzüglich berufen werden, damit Parlament und Regierung aus ihrer Arbeit die erforderlichen Schlüsse ziehen können.
    Die Bundesregierung kann ihre Verpflichtungen nach den geltenden Verträgen durch Freiwilligenstreitkräfte, also ohne die allgemeine Wehrpflicht, erfüllen. Nach wie vor ist die Sozialdemokratie überzeugt, daß die allgemeine Wehrpflicht die Spaltung unseres Landes vertieft, politisch schädlich und militärisch überholt ist. Eine Reihe von Aufgaben der Landesverteidigung gehört jedoch nicht zum Auftrag der einem verbündeten Kommando unterstehenden Streitkräfte aus Freiwiligen, und wir fragen die Bundesregierung, wie sie sich die Erfüllung dieser anderen Aufgaben denkt, die in den Verträgen ausdrücklich als Aufgaben der Territorialverteidigung in nationale Zuständigkeit gegeben sind. Eine zweckmäßige Organisation einer solchen Landesverteidigung ist nur möglich, wenn die Gesamtplanung an einer Stelle erfolgt. Wir sind nicht der Meinung, daß etwa eine Art von Nebengeneralstab im Hinterhaus des Herrn Bundeskanzlers der richtige Ort dafür wäre,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    sondern wir meinen, daß die Vorbereitung und Planung im umfassenden Sinne beim Verteidigungsministerium stattfinden muß, das wir unter sorgfältiger parlamentarischer Kontrolle halten können. Wir werden diesen Standpunkt später bei den Beratungen des Organisationsgesetzes noch näher zur Sprache bringen, und wir hoffen, daß die Regierungsvorlage bald eingebracht wird.
    Im übrigen ist es die Aufgabe des Ministers, die Bundeswehr aus parteipolitischen Auseinandersetzungen herauszuhalten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir bedauern, daß Organisationen wie die sogenannte Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise und einige vom Presse- und Informationsamt subventionierte militärpolitische Zeitschriften, statt dem inneren Frieden zu dienen, die Angehörigen der Bundeswehr gegeneinander aufhetzen und versuchen, sie als Ganzes in Gegensatz zu bringen zu den großen Kräften der demokratischen Opposition. Die Bundeswehr dient als Einrichtung des gemeinsamen Staates dem ganzen Volk und nicht einer Partei.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie kann ihre Funktion nur wahrnehmen, wenn sie vom ganzen Volk getragen wird.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Der Verteidigungsaufwand von bisher 9 Milliarden DM wird nach den jetzt schon vorliegenden Anforderungen weiter erheblich wachsen. Es ist heute schon klar, daß die im Bundestag vom Finanzminister immer wieder abgegebene Erklärung, der Verteidigungsaufwand würde 9 Milliarden DM nicht übersteigen, der Wahrheit nicht entspricht. Ebenso ist schon heute deutlich, daß die Rüstungslieferungsverträge und die neuen militärischen Haushaltsansätze im nächsten Jahr die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik überfordern werden. Dadurch wird der Stand der sozialen Leistungen gefährdet, es drohen neue Steuerlasten, und die Kaufkraft unseres Gel-



    Ollenhauer
    des wird weiter sinken. Mit einem Wort: das Ausmaß der militärischen Ausgaben gefährdet die Stabilität der Währung.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wenn man den Schutz der westdeutschen Bevölkerung organisieren will, ohne die finanzielle Leistungskraft zu überfordern, wird es nötig sein, eine genaue Rangordnung festzustellen. Die Bundesregierung sollte im Atlantikrat aussprechen, daß wir, die wir unmittelbar an der Grenze zum sowjetischen Machtbereich liegen, von der Verteidigungsorganisation erwarten, daß sie dem Schutz der Zivilbevölkerung erhöhte Aufmerksamkeit widmet. Die Regierung muß sich daher denjenigen ausländischen Forderungen widersetzen, die die forcierte Aufstellung der Bundeswehr offenbar in erster Linie als Ersatz für die Ablösung der eigenen Streitkräfte beinhalten. Die militärischen Maßnahmen dürfen nicht unser soziales Fundament erschüttern und damit zugleich unsere noch so wenig gefestigte Demokratie gefährden. Das wird nur möglich sein, wenn Bevölkerungsschutz und Heimatverteidigung zweckmäßig organisiert werden und der militärische Beitrag für die der NATO unterstellten operativen Verbände auf das Maß des unbedingt Nötigen begrenzt wird.
    Der Herr Bundeskanzler hat sich in seiner Regierungserklärung ausführlich mit Fragen der Wirtschaftspolitik befaßt. Dem entscheidenden Problem der Wirtschaftspolitik, der Stabilisierung des Preisniveaus, hat er aber nur ganze vier Sätze gewidmet. Der Bundeskanzler hat zunächst die Feststellung getroffen, daß das Preisniveau für die Stabilität der Währung, für den Export und für die Aufrechterhaltung der hohen Beschäftigungszahlen von entscheidender Bedeutung sei. Diese Feststellung ist nicht neu. Er hat dann aber eine falsche Behauptung aufgestellt, nämlich Wettbewerb und Preisbildung hätten sich bisher stets als bester Schutz für den Verbraucher erwiesen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja auch!)

    Tatsache ist, daß der unkontrollierte Wettbewerb und der Mißbrauch der Preisfreiheit laufend zu Preissteigerungen und damit zur Schädigung der Verbraucher geführt haben und noch immer führen.

    (Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Wir halten das Preisproblem für das entscheidende wirtschaftspolitische Problem.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

    Eine gesunde wirtschaftliche Weiterentwicklung und ein gesundes soziales Klima sind davon abhängig, daß es gelingt, das Preisniveau stabil zu halten. Die ständigen Preiserhöhungen, die wir nunmehr seit einigen Jahren erleben, führen dazu, daß die Lohnkämpfe nicht nur um einen angemessenen Anteil am Sozialprodukt, sondern darüber hinaus um einen zusätzlichen Ausgleich für den Kaufkraftschwund des Geldes geführt werden müssen.
    Das Versagen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Preisstabilisierung wiegt um so schwerer, als von der Seite der Gütererzeugung wie auch der Güternachfrage keine ernsthaften Gründe für eine Steigerung des Preisniveaus gegeben sind. Wenn dennoch das Preisniveau ständig steigt und ein Ende dieser Entwicklung nicht abzusehen ist, so liegt das allein daran, daß sich die Bundesregierung auf den entscheidenden Gebieten der Wirtschaftspolitik nicht zum Handeln aufraffen konnte. Es handelt sich doch hier vor allem um drei Ursachen.
    Erstens. In Zeiten hoher Beschäftigung und damit hoher Masseneinkommen ist die Neigung der Unternehmungen, die Marktsituation auszunutzen, besonders stark. Gerade in den letzten Monaten haben die Markenartikelhersteller und der Kohlenbergbau hierfür schlagende Beweise geliefert. Eine Politik, die sich eine stetige hohe Beschäftigung und zugleich die Erhaltung eines stabilen Preisniveaus zur Aufgabe stellt, kann daher ohne eine aktive und wirksame Kartellpolitik nicht verwirklicht werden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Zweitens. Die entscheidende Ursache für die stetige Steigerung des Preisniveaus ist der chronische Außenhandelsüberschuß oder, besser gesagt, das chronische Einfuhrdefizit im deutschen Außenhandel. Ich möchte hier kein Mißverständnis aufkommen lassen. Die große Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit der übrigen Welt, insbesondere die hohe Ausfuhr von Qualitätserzeugnissen, ist ein strukturbestimmendes Element der deutschen Wirtschaft; auf ihr beruhen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und der Lebensstandard des deutschen Volkes.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na also!)

    Niemand sollte daher auch nur mit dem Gedanken spielen, die Lösung in einer Drosselung des Exports zu sehen. Es kommt entscheidend darauf an, eine Angleichung der Einfuhren an die Ausfuhren herbeizuführen. Ausfuhren ohne entsprechende Einfuhren sind güterwirtschaftliche Verluste.

    (Sehr wahr! bei der SPD.).

    Die von der Bundesregierung akzeptierten Maßnahmen zur Zollsenkung und Einfuhrliberalisierung haben sich als völlig ungenügend erwiesen. Der Devisenturm, der sich auf diese Weise bei der Bundesnotenbank angesammelt hat, ist ein äußeres Zeichen dafür, in welchem Umfang der deutschen Wirtschaft große Teile des erarbeiteten Sozialprodukts im Werte von vielen Milliarden güterwirtschaftlich verlorengehen. Zum anderen führt der Devisenzufluß zu einer ständigen Verflüssigung des Geld- und Kapitalmarktes, die die Stabilität der deutschen Wirtschaft gefährdet. Solange die Bundesregierung nicht wirksame Maßnahmen zur Steigerung der Einfuhren ergreift, fehlt eine wichtige Voraussetzung für die Stabilisierung des Preisniveaus.
    Die dritte Ursache für Preissteigerungen ist die inflatorische Finanzpolitik der Bundesregierung, die darin besteht, im Zeichen hoher Konjunktur lau-



    Ollenhauer
    fende Ausgaben aus dem Juliusturm zu decken. Die Deutsche Bundesbank hat erst wieder in ihrem September-Bericht auf die währungspolitischen Gefahren eines Rückgriffs auf die Kassenmittel des Bundes hingewiesen. Wer Preisstabilität will, muß diese inflatorische Finanzpolitik beenden.
    Zu keinem dieser drei Gebiete enthält die Regierungserklärung irgendwelche konkreten Stellungnahmen. Nicht einmal über die Kohlenpreiserhöhung, zu der die Bundesregierung in den letzten Wochen so kräftige Worte gesagt hat, wird ein einziges Wort verloren, obwohl die Regierung ja schon Wochen vor der Wahl über die bevorstehende Erhöhung der Kohlenpreise unterrichtet war. Wir haben zu diesem Fragenkreis eine Große Anfrage eingebracht. Wir werden bei der Debatte über diese Große Anfrage ausführlicher auf dieses Kapitel eingehen.
    Aber es kennzeichnet den politischen Kurs des Bundeskanzlers und seiner Regierung, wenn die Regierungserklärung, nachdem sie geflissentlich über den Mißbrauch der Preisfreiheit durch die Unternehmerschaft hinweggesehen hat, eine scharfe Frontstellung gegenüber der Arbeitnehmerschaft bezieht. In diesem Zusammenhang müssen doch die Ausführungen gesehen werden, daß die Sozialpartner sich nicht bedenkenlos auf Kosten der Konsumenten verständigen dürfen. Ich frage, wer hat in der Vergangenheit bedenkenlos gehandelt? Die Sozialpartner in ihren Tarifauseinandersetzungen oder jene Unternehmer, die ihre Machtstellung am Markt zu einseitigen Preisdiktaten ausnutzten?

    (Beifall bei der SPD.)

    An anderer Stelle spricht der Herr Bundeskanzler davon, Arbeitszeitverkürzung und gleichzeitige Lohnerhöhung könnten eine untragbare Verminderung des Sozialprodukts bedeuten. Meine Damen und Herren, auch hier handelt es sich um den Versuch, die Arbeitnehmer in den Augen der Öffentlichkeit zu diskreditieren.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Denn bis heute haben sich Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung in einem durchaus vertretbaren und tragbaren Ausmaß gehalten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber wenn der Herr Bundeskanzler schon davon spricht, daß in einem gutgehenden Wirtschaftsstaat keine Tarifvereinbarungen getroffen werden dürfen, die schwächeren Bereichen Schwierigkeiten bringen, so ist doch die Frage berechtigt: Müssen eigentlich die Unterschiede in der Ertragslage der Unternehmungen so groß sein, wie das in der Bundesrepublik der Fall ist?

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Sind die hohen Gewinne nicht vielfach das Ergebnis der Preispolitik von Unternehmungen, die ihre Machtstellung im Markt zur Erzielung unangemessen hoher Preise ausnutzen?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Hier muß der Grundsatz gelten, daß höhere Produktivität nicht zu höheren Preisen führen darf, sondern allen Verbrauchern durch Preissenkungen zugute kommen muß.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Solange "die Bundesregierung auf eine solche Preispolitik verzichtet, kann sie sich nicht wundern, wenn die Arbeitnehmer solche überhöhten Gewinne nicht einseitig den Unternehmern überlassen wollen, sondern einen angemessenen Anteil durch Lohnerhöhung beanspruchen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Gesunde Preispolitik ist die Voraussetzung für eine gesunde Lohnpolitik.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir warnen jedenfalls davor, die deutschen Arbeitnehmer, die sich mit rund 7 Millionen Menschen zur deutschen Gewerkschaftsbewegung bekennen, in dieser Weise zu diffamieren, mit dem einzigen Ziel, über die Unfähigkeit der Bundesregierung zur Sicherung eines stabilen Preisniveaus hinwegzutäuschen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Methode hat schon den ganzen Wahlkampf gekennzeichnet, und sie führt dazu, daß willkürlich soziale Gräben aufgerissen werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, die haben wir zugeschüttet!)

    Regierungen, die in dieser Weise Wind säen, müssen damit rechnen, daß sie eines Tages Sturm ernten.
    Nun, meine Damen und Herren, die dürftigen Bemerkungen der Regierungserklärung zur Lage in den Zonenrandgebieten zeigen auch hier, daß man nicht den Versuch macht, wirtschaftliche Probleme wirklich zu lösen. Die Gebiete am Eisernen Vorhang sind immer noch die Fenster nach dem Osten. Hier sollte für alle, die sich nicht mit der Spaltung Deutschlands abfinden wollen, eine wichtige politische Aufgabe liegen, diese Gebiete wirtschaftlich so zu stützen und zu fördern, daß ihr allgemeines Lebensniveau dem in den übrigen Teilen der Bundesrepublik tatsächlich angeglichen wird. Das Problem ist bis heute trotz aller Versuche und Erklärungen nicht gelöst. Wir wünschen und erwarten, daß die Regierung in ihrer neuen Amtsperiode gerade auch hier einen ernsthaften Schritt zu einer konkreten Lösung dieses wichtigen wirtschaftlichen, sozialen und nationalen politischen Problems unternimmt.
    Es hat uns erstaunt, daß der Herr Bundeskanzler nur mit einem Satz in seinen allgemeinen politischen Ausführungen auf das Saargebiet eingegangen ist, daß er mit keinem Wort die sehr ernsten wirtschaftlichen Probleme des Saarlandes berührt hat. Fast ein Drittel der Übergangszeit bis zur wirtschaftlichen Eingliederung des Saargebiets in die Bundesrepublik ist bereits verstrichen. Inzwischen hat die Franken-Abwertung die Saarbevölkerung ebenso wie die Grenzgänger schwer getroffen. Die Sozialdemokratie hat deshalb eine Verkürzung der



    Ollenhauer
    Übergangszeit verlangt. Mitglieder der Bundesregierung haben sich im ähnlichen Sinne geäußert. Aber nichts ist geschehen, um den Erzeugnissen der Saarindustrie Eingang auf den Markt der übrigen Bundesrepublik zu schaffen und die Saarindustrie durch Modernisierung zu befähigen, dem starken Wettbewerbsdruck im Bundesgebiet standzuhalten und ihren Rückstand in der Ausrüstung nachzuholen. Wir fordern, daß die Bundesregierung alle notwendigen Maßnahmen trifft, damit eine schnelle wirtschaftliche Eingliederung des Saarlandes erfolgen kann.
    Ein besonderes Kapitel hat der Bundeskanzler der Schaffung von Kapital, der Streuung des Besitzes und der Förderung der Spartätigkeit gewidmet. Die Sozialdemokratie hat bereits in ihrem Dortmunder Aktionsprogramm im Jahre 1952 ausdrücklich eine aktive Eigentumspolitik zugunsten der wirtschaftlich Unselbständigen gefordert. Sie befürwortet und wünscht die Bildung von Eigentum in der Hand der Arbeitnehmer. Ich hoffe, wir sind uns darin einig, daß Anhänger einer freien Wirtschaftsordnung jedes Zwangssparen ebenso wie Einschränkungen der Freiheit der 'Arbeitnehmer in der Wahl ihres Arbeitsplatzes und in der Verfügung über ihr Einkommen ablehnen müssen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dann aber ist es die erste Aufgabe des Staates, durch eine Steuerpolitik zugunsten der wirtschaftlich Schwachen, durch eine Preispolitik mit dem Ziel von Preissenkungen und durch Förderung einer Politik angemessener Lohn- und Gehaltserhöhungen in breitesten 'Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit zum Sparen in größerem Umfang zu schaffen.
    Mit der Volksaktie wird nur eine neue Sparform geschaffen. Sie ist kein Mittel zusätzlicher Kapitalbildung. Wir Sozialdemokraten sind keine Gegner neuer Sparformen; das haben wir durch unsere Mitarbeit am Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften in diesem Hause bewiesen. Wir stehen der Förderung der Volksaktie positiv gegenüber,

    (Zurufe: Oho! und Beifall bei der CDU/CSU)

    und wir haben registriert, daß der Herr Bundeskanzler dabei auch an die Schaffung von Volksaktien bei Privatunternehmungen gedacht hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind sehr begierig, darüber konkretere Angaben zu erhalten. Den Mißbrauch der Volksaktie als Mittel zum Ausverkauf des Bundesvermögens lehnen wir allerdings mit aller Entschiedenheit ab.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Ein Wort über die besondere Situation und die Interessen der Selbständigen des Handwerks, des Handels und des übrigen Gewerbes. Wir haben hier über die Vorstellungen der Regierung für die nächste Arbeitsperiode nichts Konkretes gehört. Schließlich hätte man doch erwarten können, daß eine Regierungserklärung wenigstens zu folgenden konkreten Fragen Stellung nimmt.
    1. Im Handwerk, in Handel und Gewerbe vollziehen sich strukturelle Veränderungen von einer
    Tragweite, deren Bewältigung die Kraft der betroffenen Betriebe und Unternehmungen überschreitet. Wann wird die Bundesregierung endlich ein großes unabhängiges und leistungsfähiges Institut schaffen, das nicht nur der wissenschaftlichen Erforschung dieser Veränderungen, sondern in erster Linie der Entwicklung praktischer Verfahren und Einrichtungen dient?
    2. Den mittleren und kleinen Unternehmern fehlt es an langfristigem Investitionskapital zu erträglichen Zinssätzen. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dieser Kapitalnot wirksam zu begegnen?
    3. Wann wird die Bundesregierung endlich den dringend notwendigen Umbau der Umsatzsteuer in die Wege leiten, um die unerträgliche Benachteiligung der kleinen und mittleren Unternehmen zu beseitigen?
    4. Wann wird die Bundesregierung die von den Selbständigen immer wieder geforderte Altersversicherung verwirklichen?
    Das sind Fragen, die abseits vom Programmatischen sich aus der tatsächlichen Lage ergeben. Wir hätten erwarten können, daß die Regierungserklärung wenigstens in einigen dieser Punkte sehr viel mehr sagt, als sie es getan hat.
    Schließlich ist einiges über die Bedeutung der öffentlichen Unternehmen zu sagen. Auch hier haben wir in der Kanzlererklärung kaum etwas gehört außer die Mitteilung, daß es ein neues Ministerium für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes gibt. Wir haben die Befürchtung, die Politik der Regierung führt dazu, daß dieses Ministerium ein Ministerium für die Verwirtschaftung des Bundesbesitzes wird.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Frau Kalinke: Keine Angst!)

    — Ich hoffe, Sie haben recht, daß wir keine Angst zu haben brauchen. — Wir haben den Eindruck, daß dieses Ministerium geschaffen wurde, um für gewisse Reprivatisierungsabsichten freiere Hand zu bekommen, als man es bisher gehabt hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Fraktion wird sich jedenfalls mit aller Entschiedenheit dagegen wehren, daß dem Bund die Möglichkeit genommen wird, durch Bundesunternehmungen unerwünschte wirtschaftliche Entwicklungen, insbesondere bedenkliche Preiserhöhungen, zu verhindern, während ihm die Übernahme der Verlustposten der freien Wirtschaft immer wieder ohne Bedenken zugemutet wird. Hier sehen wir mit großer Sorge der Tätigkeit des Triumvirats ErhardEtzel-Lindrath entgegen. Wir hoffen, daß wir hier nicht zu einer Politik kommen, die praktisch den Ausverkauf der wertvollsten Teile des Bundesvermögens in die Wege leitet.
    Ein Wort zu einer der wichtigsten Zukunftsaufgaben, nämlich der Entwicklung einer einheitlichen Energiewirtschaftspolitik. Die Kanzlererklärung, daß Atomenergie und Wasserwirtschaft nunmehr in einem Ministerium zusammengefaßt werden, kann



    Ollenhauer
    von uns nicht als ein ausreichender Beitrag angesehen werden; denn sie enthält nichts darüber, wie die drohende Energielücke geschlossen werden soll. Nichts darüber, daß ein langfristiges Programm aufgestellt werden muß, um die Steigerung der Kohleförderung, die Entwicklung der Atomenergie sowie die Einfuhr von Kohle und 01 auf lange Sicht aufeinander abzustimmen. Nichts über ein Investitionsprogramm, um die geplanten Aufbau- und Ausbauprogramme sicherzustellen, obwohl wir hier vor einem der brennendsten Probleme unserer wirtschaftlichen Entwicklung von heute und morgen stehen.
    Im Bereich der Finanzwirtschaft hat der Herr Bundeskanzler sich darauf beschränkt, eine, wie er sagte, echte Steuer- und Finanzreform zu versprechen. Das war alles. Der Bundesfinanzminister hat noch vor kurzem durch sein Ministerium festgestellt, daß in der Bundesrepublik die niedrigen und mittleren Einkommen wesentlich höher besteuert werden als in den Vereinigten Staaten und in allen westeuropäischen Ländern mit Ausnahme der Schweiz. Dafür werden die hohen Einkommen bei uns geringer belastet. Die Entlastung der schwächeren Steuerzahler muß daher im Vordergrund einer Steuerreform stenen, um diesen unsozialen Charakter unseres Steuersystems endlich zu beseitigen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Außerdem beruht unser jetziges Steuersystem überwiegend auf indirekten Steuern, die bekanntlich in der Regel als feste Kosten in die Preise eingehen und die Verbraucher in höchst unsozialer Weise belasten. Wir fordern, daß hier ebenfalls eine wirkliche Reform eintritt durch die Beseitigung der unsozialen Kaffee-, Tee- und Zuckersteuer, der Zölle auf lebenswichtige Güter und der Umsatzsteuer auf Lebensmittel.
    Meine Fraktion wird alle Maßnahmen, die eine Eigentumsbildung breitester Bevölkerungsschichten fördern, unterstützen. Sie wird sich aber gegen alle Versuche wehren, unter der Flagge „Förderung des Kapitalmarkts" einseitige Steuersenkungen zugunsten großer Unternehmungen und der derzeitigen Aktienbesitzer vorzunehmen und auf die dringend notwendige Entlastung der Bezieher kleiner Einkommen und Reformen auf dem Gebiet der indirekten Steuern zu verzichten.
    Meine Damen und Herren, ich möchte den Katalog unserer Vorstellungen auf anderen wichtigen Gebieten unserer Innenpolitik hier nicht noch mehr erweitern und im einzelnen behandeln, um nicht Ihre Geduld und Ihre Zeit über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Sozialdemokratie auf den verschiedenen Gebieten unserer Verkehrspolitik, auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Ernährung, auf dem weiten Gebiet der notwendigen Weiterführung der Sozialreform sehr bestimmte und konkrete Vorstellungen hat, Vorstellungen, die wir im 2. Bundestag vor allem in der Auseinandersetzung um die Rentenreform hier eingehend dargelegt haben. Ich möchte hier wiederholen, was wir seinerzeit in diesem Bundestag am Ende der großen Auseinandersetzung über die Rentenreform schon ausgeführt haben: mit dieser Rentenreform ist die Sozialreform nicht durchgeführt.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Das wissen wir!)

    Sie bleibt eine Aufgabe, und wir erwarten und wir wünschen, daß diese Aufgabe durch den 3. Deutschen Bundestag in einer Weise gelöst wird, die tatsächlich den sozial Schwachen, Alten und Arbeitsunfähigen eine echte, ausreichende soziale Sicherheit zu geben vermag.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich kann meine Ausführungen nicht abschließen, ohne doch noch auf eine Frage einzugehen, die ohne Zweifel, so wie die Dinge liegen, die entscheidende Frage für die Gestaltung unseres inneren Lebens in der Bundesrepublik und für die Ordnung der Beziehungen der Bundesrepublik zu anderen Völkern ist. Es liegt mir daran, noch einiges über die außenpolitischen Vorstellungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu sagen.
    Zunächst möchte ich erklären, daß wohl unbestrittenes gemeinsames Ziel der deutschen Politik die Bewahrung des Friedens, die Erhaltung der Freiheit und die Wiedererlangung der Einheit Deutschlands in Freiheit sein sollte. Die Regierungspolitik muß danach beurteilt werden, ob sie zur Erreichung dieser Ziele beiträgt oder im Gegenteil diese Ziele nicht sogar gefährdet. Nach unserer Auffassung und vor allem nach der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers ist leider das letztere der Fall. Der Herr Bundeskanzler hat seine Darlegungen über die außenpolitischen Absichten seiner Regierung mit einer allgemeinen Betrachtung über die internationale Situation begonnen. Die Antwort auf diese Betrachtung der Lage war von derselben Einfachheit wie die Schilderung der Lage selbst.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler fordert die Verstärkung der militärischen und der politischen Einheit des Westens, und er bekennt sich ausdrücklich erneut zu einer Politik der Stärke mit der Bemerkung, daß er hoffe, die Verpönung dieses Wortes werde nun endlich verstummen. Als Konsequenz für die Bundesrepublik fordert der Herr Bundeskanzler faktisch die totale Aufrüstung der Bundesrepublik einschließlich der atomaren Aufrüstung.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß eine derartige schematische und einseitige Darstellung der realen Situation in der Welt nicht gerecht wird und daß eine Außenpolitik der Bundesrepublik, die auf diesen Grundlagen beruht, zu den ernstesten Gefahren für den Frieden und die Sicherheit des deutschen Volkes und zu einer Fortdauer der Spaltung Deutschlands auf unabsehbare Zeit führen muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zweifellos ist die positive Regelung der Abrüstungsfrage das vordringlichste Problem. Die Entwicklung der modernen Kriegstechnik hat eine



    Ollenhauer
    höchst gefährliche Lage geschaffen. Sie ist noch bedrohlicher dadurch geworden, daß es bei den Londoner Abrüstungsbesprechungen bis jetzt nicht gelungen ist, zu einer Vereinbarung zwischen den heutigen Atommächten über eine Begrenzung und Kontrolle der Rüstung mindestens auf dem Gebiete der modernen Massenvernichtungswaffen zu kommen. Die Gefahr ist groß, daß bei einem weiteren negativen Verlauf der Abrüstungsbesprechungen in absehbarer Zeit auch andere Mächte neben den jetzigen sogenannten Atommächten über diese modernen Kriegsmittel verfügen werden und daß dann eine Lage entsteht, in der eine wirksame Kontrolle überhaupt nicht mehr zu erreichen und durchzuführen ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Jeder vermag sich vorzustellen, daß die Menschheit dann jeden Tag in eine unabsehbare Katastrophe geraten kann.
    Die Vorstellungen, die der Herr Bundeskanzler in dieser Beziehung entwickelt hat, sind nach unserer Meinung nicht geeignet, diese Gefahren abzuwenden. Der Herr Bundeskanzler hat die für Dezember in Aussicht genommene Konferenz der Regierungschefs der NATO-Mächte sehr nachdrücklich begrüßt. Auch wir meinen, daß es nützlich wäre, wenn die in der NATO vertretenen Mächte in größerem Umfang als bisher ihre technischen und wissenschaftlichen Erfahrungen untereinander austauschten. Aber wir möchten deutlich machen, daß wir es für sehr bedenklich halten würden, wenn diese enge Zusammenarbeit praktisch zu einer Vereinbarung über die allgemeine Produktion und Verwendung der modernen Massenvernichtungswaffen durch alle NATO-Mitglieder führen sollte. Eine solche Entscheidung würde die Sicherheit für die westlichen Völker nicht erhöhen, sondern die internationalen Spannungen in gefährlicher Weise vergrößern.
    Mit der größten Besorgnis verfolgen wir auch die internationale Diskussion über die Aufhebung des Verbots der Produktion von Raketenwaffen auf dem Gebiete der Bundesrepublik. Die bisherigen Erklärungen der Bundesregierung in dieser Frage befriedigen uns nicht. Der Herr Bundeskanzler hat wiederholt gesagt, daß die Bundesrepublik mit dem Verzicht auf die Produktion moderner Massenvernichtungswaffen freiwillig einen Beitrag zur Abrüstung geleistet habe. Jetzt kommt die Probe aufs Exempel!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es gibt nur eine Antwort auf die Frage der Einbeziehung der Bundesrepublik in diesen Wettlauf des Schreckens: nein und nochmals nein!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir wissen zur Zeit immer noch nicht, ob und welche internationale Bedeutung der neue personelle Wechsel in der Führung der Sowjetunion hat. Aber wir müssen auch hier mit der Möglichkeit rechnen, daß er als eine Warnung der Sowjetunion an den Westen gedacht ist und daß die Antwort der Sowjetunion auf die Weiterentwicklung der atomaren Rüstung im Westen auch die Verdoppelung
    der Anstrengung der Sowjetunion in der gleichen Richtung sein wird. Wir, wissen aus den bitteren Erfahrungen der Geschichte unseres eigenen Volkes, daß eine solche Politik des Wettlaufs der Rüstungen beinahe unausweichlich zu einer Katastrophe führt.

    (Beifall bei der SPD.)

    In dieser Lage möchten wir an die Bundesregierung mit allem Ernst appellieren, jede mögliche Anstrengung zu unternehmen, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Wir bedauern die Ablehnung der Vorschläge für die Schaffung einer atomfreien Zone in Europa, ohne auch nur in eine nähere Prüfung dieser Vorschläge einzutreten.
    Ein anderer unmittelbarer konkreter Beitrag zu einer Politik der Entspannung und der Verminderung der Gefahren wäre der ausdrückliche Verzicht der Bundesrepublik auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen. Diese Ausrüstung kann die Sicherheit der Menschen in der Bundesrepublik nicht erhöhen, aber sie hat nur eine Wirkung in der Richtung einer Verschärfung der internationalen Situation. Wir bedauern, daß die Bundesregierung schon früher auf diesem Gebiet mögliche und nützliche Initiativen praktisch unterlassen hat. Ich denke hier an die unbefriedigende Art und Weise, in der die Bundesregierung den einstimmigen Beschluß des Bundestages durchgeführt hat, durch den wir die beteiligten Mächte aufforderten, die Versuchsexplosionen von Atom- und Wasserstoffbomben einzustellen. Wir sind auch heute noch der Meinung, daß ein solcher Schritt im Interesse der Gesundheit der Menschen und im Interesse der Herabminderung der Gefahren des Wettrüstens notwendig und nützlich ist. Wir wissen, daß das Problem einer Kontrolle und Beschränkung der Rüstungen eine sehr komplizierte Angelegenheit ist, und wir bedauern, daß die Londoner Abrüstungsvorschläge nicht zu einer Verständigung geführt haben. Aber wir sind der Meinung, daß man sich im Hinblick auf den Ernst der Lage mit diesem Sachverhalt nicht zufrieden geben darf, vor allem nicht unter den heute gegebenen Umständen.
    Unser konkreter Vorschlag an die Bundesregierung ist, daß sie die uns befreundeten Regierungen anregt, sobald als möglich und jedenfalls vor endgültigen Beschlüssen über die weitere militärische Strategie des Westens mit der Sowjetunion eine Konferenz der Atommächte unter Beteiligung der Chefs der Regierungen dieser Länder durchzuführen, um noch einmal in einem solchen direkten Gespräch auf höchster Ebene den ernsthaften Versuch zu machen, zu einer Vereinbarung zu kommen. Sicher kann niemand einen Erfolg einer solchen Konferenz garantieren, aber wir meinen, angesichts der jetzt gegebenen Situation darf ein solcher Versuch nicht unterbleiben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das deutsche Volk in beiden Teilen Deutschlands befindet sich in einer derart gefährlichen Position, daß die Bundesregierung nach unserer Auffassung nicht nur das moralische Recht, sondern sogar die Pflicht hat, eine solche Initiative zu ergreifen. Sie



    Ollenhauer
    könnte dabei der Unterstützung des ganzen deutschen Volkes sicher sein. Es besteht kein Zweifel, daß auch Regierungen anderer Länder sie bei einer solchen Initiative unterstützen werden.
    Wir sind der Meinung, daß nur eine solche Politik geeignet ist, die Freiheit unseres Landes gegen Gefahren von außen zu sichern. Die Erhöhung der in der Spaltung Deutschlands liegenden Gefahren durch die Auffüllung der deutschen Zeitbombe mit atomarem Sprengstoff ist gleichzeitig auch eine Gefährdung unserer Freiheit. Die Sozialdemokratie bekennt sich zur Verteidigung der Freiheit des eigenen Volkes nach innen und außen. Aber diese Verteidigung der Freiheit muß in einer Form organisiert werden, die die anderen politischen Ziele, nämlich die Bewahrung des Friedens und die Wiedervereinigung Deutschlands, nicht gefährdet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die vom Herrn Bundeskanzler vertretene These der Politik der Stärke als des einzigen Mittels der Auseinandersetzung mit dem Osten beschränkt naturnotwendigerweise die Außenpolitik der Bundesrepublik weitgehend auf die Kooperation mit den mit uns verbündeten Völkern des Westens und schließt weitgehend eine aktive Außenpolitik gegenüber anderen Völkern aus. Wenn man die These des Herrn Bundeskanzlers von dem einheitlichen Block des Ostens akzeptiert, dann erhebt sich doch die Frage, wie die Bundesregierung den ebenfalls vom Bundeskanzler vertretenen Grundsatz verwirklichen will, daß wir trotzdem auch mit den Völkern Osteuropas und mit der Sowjetunion in einem gutnachbarlichen Verhältnis leben wollen und die zwischen diesen Völkern bestehenden Differenzen in einer für alle Beteiligten akzeptablen Weise friedlich geregelt sehen wollen.
    Wir bedauern es, daß der Bundeskanzler z. B. die Frage unserer zukünftigen Beziehungen zu Polen überhaupt nicht behandelt hat. Wir sind der Meinung, daß es im Interesse des deutschen Volkes und im Interesse der Entspannung in Europa liegt, wenn wir endlich normale Beziehungen zu Polen und auch zu anderen osteuropäischen Völkern aufnehmen. Wir haben schon vor mehr als Jahresfrist diese Forderung erhoben. Wäre die Bundesregierung damals unseren Vorschlägen gefolgt, hätte sich vielleicht manche unerfreuliche Entwicklung der letzten Zeit in Europa in bezug auf das Verhältnis zur Bundesrepublik vermeiden lassen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir haben es bedauert, daß die jugoslawische Regierung die Regierung in Pankow anerkannt hat. Wir hätten erwarten können, daß die jugoslawische Regierung rechtzeitig vorher in Gespräche mit der Bundesregierung über die von ihr beabsichtigte Entscheidung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen eingetreten wäre. Ein solches Verhalten hätte jedenfalls eine andere Atmosphäre schaffen können, als sie jetzt entstanden ist. Aber auf der anderen Seite bedauern wir die Reaktion der Bundesregierung, die auf den jugoslawischen Schritt mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen geantwortet hat. Sicher wirft die Anerkennung der
    DDR durch Jugoslawien für die Politik der Bundesregierung sehr ernste Probleme auf.

    (Abg. Dr. Krone: Ausschlaggebende!)

    Aber die Gefahr ist sehr groß, daß die Konsequenz der Entscheidung der Bundesregierung im Falle Belgrad gerade eine Isolierung der Bundesrepublik auch in andern Teilen der Welt sein wird. Eine solche Entwicklung kann unmöglich im deutschen Interesse liegen.
    Nachdem die Bundesregierung trotz aller unserer Warnungen ihre Entscheidung gefällt hat, richten wir an sie den dringenden Appell, den Abbruch der Beziehungen zu Jugoslawien nicht noch außerdem auf die wirtschaftlichen Beziehungen auszudehnen und vor allem die mit Jugoslawien abgeschlossenen Verträge zu respektieren. Es liegt nach meiner Auffassung im Interesse des deutschen Volkes, daß die Bundesregierung zu guten Beziehungen mit den osteuropäischen Völkern kommt. Das ist auch der einzige Weg, um die Mauern des Mißtrauens und des Hasses abzutragen, die die Schandtaten des Hitler-Regimes aufgerichtet haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratische Partei hat mit tiefer Sympathie den Freiheitskampf des ungarischen Volkes gegen fremde Unterdrückung verfolgt. Unsere Sympathie gehört allen Völkern, die sich heute aus den Fesseln der Kolonialherrschaft und der imperialistischen Bevormundung alten und neuen Stils zu befreien suchen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir beobachten mit Sorge, welche Spannungen in diesem Prozeß der wachsenden nationalen Unabhängigkeit neu entstehender Nationalstaaten auftreten, Spannungen, die sehr leicht zur Kriegsgefahr führen können, wenn die Großmächte nicht einen mäßigenden Einfluß ausüben. Wir haben gesehen, daß es einen solchen Gefahrenpunkt im Nahen und Mittleren Osten gibt. Die Bundesrepublik ist zwar dort in keiner Weise beteiligt. Aber es geht um den Frieden der Welt. Deshalb sollte die Bundesregierung an die Großmächte appellieren, alles zu unterlassen, was dort zu einer Verschärfung der Gegensätze führen kann. Zum Beispiel eine Vereinbarung, daß kein Kriegsmaterial in jenes Gebiet gesandt wird, wäre ein wichtiger Fortschritt. Ein wesentlicher Krisenherd im Nahen und Mittleren Osten könnte außerdem bereinigt werden, wenn sich alle Mächte bemühten, einen Friedensschluß zwischen den arabischen Staaten und Israel zu erleichtern und herbeizuführen.
    Noch ein Wort in diesem Zusammenhang. Nach den nützlichen Erfahrungen, die mit der Entsendung einer Polizeitruppe der Vereinten Nationen in das Suezkanalgebiet gemacht worden sind, bleibt zu prüfen, wieweit dieses Beispiel in gefährlichen Situationen auch an anderer Stelle angewandt werden kann. Ist nicht der Augenblick gekommen, eine internationale Polizeitruppe unter der Verantwortung der Vereinten Nationen zu schaffen? Die Einrichtung einer solchen Truppe würde die Autorität
    54 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, tienstag, den 5. November 1957
    Ollenhauer
    und die Aktionsmöglichkeiten der Vereinten Nationen in kritischen Situationen wesentlich verstärken.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat auch von der Notwendigkeit des Ausbaues unserer Beziehungen zu den Völkern in Asien und Afrika gesprochen und erklärt, daß wir bereit sein müssen, hier größere Opfer zu bringen als bisher. Einverstanden! Wir haben seit langem auf eine Politik in dieser Richtung gedrängt. Das deutsche Volk hat in Asien und Afrika eine gute Position, es ist dort nicht mit Erinnerungen an Kolonialherrschaft belastet. Gerade eine aus unserem Land kommende ökonomische, technische und damit auch politische Hilfe zur Verbesserung des Lebensstandards und zur Erreichung gesicherter wirtschaftlicher und politischer Unabhängigkeit wird in jenen Ländern dankbar empfunden werden. Sie wird die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Deutschland und den anderen Völkern der westlichen Kulturgemeinschaft stärken. Wir würden es deshalb begrüßen, wenn die Bundesregierung ihre angekündigte Absicht verwirklichte. Wir wünschen aber, daß in solche Absichten und Pläne auch Länder wie China einbezogen werden. Wir begrüßen die von der deutschen Wirtschaft unternommenen Bemühungen, zur chinesischen Wirtschaft und zum chinesischen Staat und Volk in ein Verhältnis ersprießlicher Zusammenarbeit zu kommen.
    In jedem Falle ist es wichtig, daß diese Zusammenarbeit aufgebaut wird auf der Basis der Anerkennung der Gleichwertigkeit und der Eigenart unserer Partner. Hunderte von Millionen von Menschen sind in den letzten Jahren durch die Erringung ihrer nationalen Unabhängigkeit als selbständige Faktoren in die Weltpolitik eingetreten, und ihr Einfluß und ihre Bedeutung werden wachsen. Wenn wir sie als Freunde und Partner in der freien Welt gewinnen helfen, wird in dem Ringen um Sicherheit und Frieden in der Welt ein entscheidender Erfolg erzielt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sicher kann die hier vorliegende Aufgabe an wirtschaftlicher und technischer Hilfe nicht von einem einzelnen Land allein bewältigt werden. Es gehört eine große Anstrengung dazu. Aber wäre es nicht eine große und lohnende Aufgabe für alle Völker des Westens und alle, die sich beteiligen wollen, wenn sie sich entschlössen, ihre Hilfsmöglichkeiten in einem internationalen Rahmen zusammenzufassen, sozusagen in einem Marshallplan auf internationaler Basis? Die Initiative der Vereinten Nationen in Form des Sunfed-Plans weist auf dieselbe Ebene. Heute denken wir bei dem Ringen um die Selbständigkeit der Völker fast immer nur in militärischen Begriffen. Schaffen wir einen internationalen Aufbauplan des Friedens zur Stärkung der Entwicklungsländer! Denken wir daran, daß der Marshallplan in Europa, vor allem auch in der Bundesrepublik, mehr zur Stabilisierung der Freiheit und der Demokratie getan hat als alle militärischen Anstrengungen in dieser Zeit!

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine solche Zusammenarbeit mit den jungen Völkern würde auch unsere Bemühungen zum europäischen Zusammenschluß in einen größeren Zusammenhang stellen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat den Verträgen über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom zugestimmt. Die Sozialdemokratie erwartet, daß die Bundesregierung alle Möglichkeiten der Verträge ausnutzt, damit die in den Verträgen vorgesehene Hilfe für die mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verbundenen überseeischen Gebiete jene Völker und Länder in den Stand setzt, in freier Selbstbestimmung über ihr Schicksal zu entscheiden, und nicht etwa zu einer finanziellen Fessel an die koloniale Vormacht einzelner Staaten wird. Die letzte Konferenz von GATT hat deutlich gezeigt, welches Mißtrauen in der Welt gegenüber der Schaffung des Gemeinsamen Marktes der Sechs noch besteht. Wir müssen es überwinden. Die Schaffung einer europäischen Freihandelszone liegt auf dem Wege dazu. Ohne diese Zone würden erhebliche Teile der europäischen Wirtschaft aus dein europäischen .Wirtschaftszusammenhang herausgedrängt werden. Europa muß aber zusammenwachsen, es darf nicht durch innere europäische Zollmauern erneut zerrissen werden.
    Alle diese Bemühungen um eine auf Entspannung und Frieden gerichtete Außenpolitik der Bundesrepublik müssen selbstverständlich immer unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, den ich an die Spitze meiner Ausführungen gestellt habe: die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist die vordringlichste Aufgabe der deutschen Politik. Die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers über die Absichten seiner Regierung in bezug auf die Wiedervereinigung sind absolut unbefriedigend. Man muß allerdings gerechterweise hinzufügen, sie können nicht anders sein; denn die vom Herrn Bundeskanzler vertretene „Politik der Stärke" auf dem Hintergrund seines Weltbildes schließt eine erfolgreiche Wiedervereinigungspolitik durch Verständigung aus,

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist eine geradezu tragische Situation: die dritte Regierung Adenauer tritt ihr Amt zu einer Zeit des Höhepunktes der parteipolitischen Erfolge der CDU und des Tiefstandes der Deutschlandpolitik an.

    (Beifall bei der SPD.)

    Heute kann niemand mehr leugnen, daß die Hindernisse gegen die Wiedervereinigung in den vergangenen Jahren zahlreicher und die Schwierigkeiten größer geworden sind. Die Etappen, die zu diesem gefährlichen toten Punkt geführt haben, sind nicht zuletzt durch die Politik der bisherigen Bundesregierung in den letzten acht Jahren bestimmt worden.

    (Abg. Dr. Krone: Die Russen!)

    — Ich habe gesagt: nicht zuletzt. Das ist eine traurige Bilanz; aber sie endet mit dem Resultat, daß sich die Fortsetzung der allein auf den Atlantikpakt abgestellten Politik der Bundesregierung, wie sie hier noch einmal so nachdrücklich unterstrichen wurde, und die Wiedervereinigung Deutschlands



    Ollenhauer
    auf friedliche Weise und durch Verständigung ausschließen.
    Deutschland wird nur dann wiedervereinigt werden können, wenn die beiden jetzt bestehenden Realitäten: die deutsche Mitgliedschaft in der NATO und die Existenz der sogenannten DDR im Warschauer Pakt, überwunden werden durch Lösungen, wie wir sie in Form des europäischen Sicherheitssystems wiederholt vorgeschlagen haben. Wir bedauern, daß die Bundesregierung auch in ihrer jetzigen Regierungserklärung keinen Ausweg gezeigt hat und daß sie nicht einmal die Bereitschaft hat erkennen lassen, Vorschläge in dieser oder anderer Richtung zu prüfen.
    Meine Damen und Herren, die Gegenüberstellung der Auffassungen der Regierung Dr. Adenauers sowie ihrer Koalition und der Sozialdemokratie ergibt kein ermutigendes Bild im Hinblick auf die Möglichkeiten einer gemeinsamen Politik in den wichtigsten nationalen Fragen unseres Volkes. Wir stehen vor der Tatsache, daß die Regierung und ihre Mehrheit offensichtlich entschlossen sind, im Inneren die Politik der Restaurierung, des Sicheinrichtens in diesem Teil Deutschlands nach dem Grundsatz: so gut wie möglich, fortzuführen und das Schicksal der Einheit unseres Volkes einer Politik anzuvertrauen, die Sicherheit, Einheit und Freiheit unseres Volkes allein auf die in der NATO verkörperte Politik der Stärke gründet.
    Meine Damen und Herren, Sie mögen sich dabei beruhigt und bestärkt fühlen durch den Wahlausgang am 15. September. Wir beneiden Sie um diese Ruhe nicht.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Wir sind in Unruhe und Sorge. Wir haben es uns nicht leicht gemacht in den Auseinandersetzungen mit den Vorschlägen und Plänen der Regierung. Wir haben nicht nur kritisiert und abgelehnt; wir haben eigene Vorschläge gemacht. Unser Verhalten zu Ihnen und zu Ihrer Regierung wird durch die Art und Weise bestimmt werden, wie Sie sich mit diesen Vorschlägen auseinandersetzen. Heute jedenfalls sind wir nicht in der Lage, dieser dritten Regierung Adenauer unser Vertrauen auszusprechen.

    (Lebhafter anhaltender Beifall bei der SPD.)