Rede:
ID0300401400

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 3004

  • date_rangeDatum: 5. November 1957

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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957 . . . . 31 A Dr. Krone (CDU/CSU) 31 A Ollenhauer (SPD) . . . 41 A, 86 D, 88 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 55 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 66 D Höcherl (CDU/CSU) . . . . 77 C, 79 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 81 B, 90 A, 97 B, 97 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 84 B, 93 D, 94 D Dr. Deist (SPD) . . . 79 C, 90 D, 94 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 88 A Margulies (FDP) 95 A Erler (SPD) 96 A Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 97 D Glückwunsch zum 65. Geburtstag des Abg. Schröter (Berlin) 77 C Nächste Sitzung 98 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 99 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 31 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 10.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Bauer (Wasserburg) 6. 11. Bauknecht 6. 11. Birkelbach *) 9. 11. Birrenbach *) 9. 11. Bühler 6. 11. Conrad*) 9. 11. Dr. Deist*) 9. 11. Dr. Dollinger *) 9. 11. Ehren 6. 11. Freiherr von Feury 6. 11. Frehsee 5. 11. Frenzel 10. 11. Frau Friese-Korn 1. 12. Dr. Furler*) 9. 11. Gaßmann 10. 11. Haage 5. 11. Höfler 6. 11. *) für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Illerhaus 9. 11. Jahn (Frankfurt) 6. 11. Dr. Jordan 6. 11. Kalbitzer 5. 11. Dr. Kopf *) 9. 11. Dr. Kreyssig*) 9. 11. Lenz (Brühl) *) 9. 11. Dr. Leverkuehn 6. 11. Metzger *) 9. 11. Dr. Oesterle *) 9. 11. Pelster *) 9. 11. Dr. Philipp*) 9. 11. Rademacher 6. 11. Ramms 6. 11. Dr. Seume 16. 11. Walpert 5. 11. Frau Wolff (Berlin) 16. 11. Zoglmann 5. 11. b) Urlaubsanträge Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20. 12. Kühlthau 25. 11. Scheel 15. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Von verschiedenen Seiten ist zum Ausdruck gebracht worden, daß die Regierungserklärung Lücken enthalten habe.
    Das gebe ich ohne weiteres zu. Für meinen Geschmack war die Regierungserklärung — sie hat 90 Minuten gedauert — noch viel zu lang. Wenn ich all den Stoff darin verarbeitet hätte, der mir von den Ministerien zugegangen ist, hätte die Regierungserklärung vier Stunden gedauert. Das wollte ich weder Ihnen noch mir zumuten. Daher blieb nichts anderes übrig, als zu komprimieren und auf Schwerpunkte hinzuweisen. Mehr kann eine Regierungserklärung nicht.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Sie kann nicht zu allem, was in vier Jahren anfallen wird und was wir zum Teil gar nicht kennen, prophetisch Stellung nehmen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich möchte hier jedoch einen Irrtum des Herrn Schneider (Bremerhaven) berichtigen. Es heißt nicht „Ministerium für Arbeit und soziale Neuordnung", sondern es heißt „Ministerium für Arbeit und Sozialordnung".

    (Abg. Schneider [Bremerhaven]: Ich habe mich versprochen!)

    Das ist nämlich ein großer Unterschied. Unter Sozialordnung versteht man in der modernen Sozialwissenschaft die soziale Struktur. Niemand kann doch wohl bestreiten, daß eine andere Struktur unserer ganzen Gesellschaft eingetreten ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Dieses Ministerium, das vor langen Jahren gegründet worden ist, um sich hauptsächlich oder fast ausschließlich der Interessen der industriellen Arbeitnehmer anzunehmen, soll jetzt bei dieser Änderung der sozialen Struktur der Gesellschaft auch für die Schichten tätig werden, die ebenfalls betreut werden müssen. Darunter fallen auch die freien Berufe. Ich finde nicht, daß es eine Herabsetzung der freien Berufe bedeuten kann, wenn sie in das Ministerium für Arbeit eingegliedert werden; denn schließlich glaube ich, daß wir doch alle Arbeit leisten.
    Was die Wissenschaft angeht, so stimme ich durchaus mit den Ausführungen überein, die darüber gemacht worden sind. Wir haben jetzt den Wissenschaftsrat begründet. Er wird schon in wenigen Wochen ins Leben treten. Bekanntlich besteht auf diesem Gebiete nach dem Grundgesetz eine Konkurrenz zwischen den Ländern und dem Bund. Wir hoffen, auf dem eingeschlagenen Wege zu einer größeren gemeinsamen Förderung der Wissenschaft zu kommen.
    Ganz unverständlich, meine verehrten Damen und Herren (zur SPD), ist, daß Sie immer lachen müssen, wenn vom Ministerium für Familienfragen gesprochen wird. Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Herren von der linken Seite des Hauses: ich halte das für eine wesentlichste Forderung gerade auch der sozialdemokratischen Seite.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Das ist eine soziale Frage allerersten Ranges.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Das Ministerium?)




    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    Wenn mir persönlich etwas am Herzen liegt, dann sind es die Familie und die Jugend. Auch die Jugend gehört zu diesem Ministerium.

    (Zuruf von der SPD: Dann müssen Sie einen anderen Minister hinsetzen!)

    Von Herrn Kollegen Ollenhauer ist die Vermutung ausgesprochen worden, daß die Jugendförderung aus irgenwelchen katholisch-konfessionellen Gesichtspunkten in dieses Ministerium hineingenommen worden sei. Herr Kollege Ollenhauer, ich kann Ihnen verraten, daß gerade die evangelischen Jugendorganisationen zu diesem Ministerium gewollt haben.

    (Zuruf von der SPD: Aber nicht zu Herrn Wuermeling!)

    — Gott, er hat nun mal den Namen Wuermeling, den können Sie ihm doch nicht mehr nehmen.

    (Große Heiterkeit. — Abg. Schröter [Berlin]: Da ist eben der Wurm drin! — Abg. Erler: Wenn's nur der Name wäre!)

    — Meine Damen und Herren, lassen Sie uns bitte ernste Dinge einmal ernst nehmen. Glauben Sie mir, gerade dieses Ministerium für Familien- und Jugendfragen ist eines der sozialsten Ministerien, das ich mir überhaupt vorstellen kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich würde es sehr begrüßen, wenn sowohl Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, wie Sie von der FDP an den Aufgaben dieses Ministeriums willig mitarbeiteten. Dann, glaube ich, kommt etwas Gutes dabei heraus, das unser deutsches Volk braucht.
    Herr Kollege Ollenhauer hat weiter ausgeführt, die Auseinandersetzung der Interessentengruppen sei bei der Regierungsbildung intern zutage getreten, und ich hätte gar keine Veranlassung gehabt, darüber zu klagen; es sei die Rechnung für die Wahlgelder gewesen, die mir präsentiert worden sei. Da muß ich Herrn Kollegen Ollenhauer ja nun in etwa enttäuschen. Wenn ich mich über Interessentengruppen beschwert habe, konnte ich es nicht deshalb tun, weil man sich in die Schaffung des Kabinetts eingemischt habe. Das haben nur, wie Sie wissen, einige Herren von der Landwirtschaft getan. Aber Sie wissen auch, daß ich mich nicht daran gestört habe.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie können also nicht behaupten, daß die Interessentengruppen die Bildung des Kabinetts irgendwie beeinflußt hätten. Es ist auch sonst — wie ich das neulich schon gesagt habe — niemand an mich herangetreten. Ich gebe aber zu: ich habe jetzt noch einen heißen Kampf mit den Frauen zu bestehen. Er steht mir noch bevor.

    (Heiterkeit.)

    Als ich von den Interessenten und den Interessentengruppen gesprochen und gebeten habe, doch Zurückhaltung zu üben, bezog sich das auf die kommenden vier Jahre. Ich möchte das unterstreichen und den Satz nochmals wiederholen: wenn eine Gruppe versucht, gerade ihr Interesse vor allen anderen zu wahren, dann wird darunter das allgemeine Wohl leiden. Meine Herren, fassen Sie den Begriff „Interessenten" möglichst weit; so habe ich ihn nämlich auch gedacht.
    Nun, meine Damen und Herren, habe ich auf Grund der Debatte noch einiges auf dem Herzen. Es ist nicht viel, wir werden hoffentlich zur rechten Zeit fertig. Ich fühle mich eigentlich etwas dadurch gekränkt, daß der Herr Kollege Ollenhauer immer sagt, ich oder meine Politik oder die Politik, die die Mehrheit dieses Hauses trägt, verhindere die Wiedervereinigung. Er hat auch heute wieder gesagt — ich zitiere hier den Wortlaut seiner Rede —:
    Die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers über die Absichten seiner Regierung in bezug auf die Wiedervereinigung sind absolut unbefriedigend. Man muß allerdings gerechterweise hinzufügen: sie können nicht anders sein; denn die vom Bundeskanzler vertretene Politik der Stärke auf dem Hintergrund seines Weltbildes schließt eine erfolgreiche Wiedervereinigungspolitik aus.
    Herr Kollege Ollenhauer — ich glaube, er war es — hat dann im Verlauf seiner weiteren Ausführungen von der Politik der Stärke der NATO gesprochen. Insofern hat er allerdings meine Anschauungen richtig wiedergegeben. Ich bin der Auffassung, daß nur eine Politik der Stärke der NATO den Frieden der Welt und unsere Freiheit bewahren kann und schließlich auch zur Wiedervereinigung führt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Kollege Ollenhauer hat im Verlauf seiner Ausführungen gesagt, er vermisse, daß in der Regierungserklärung konkrete Wege aufgezeigt seien. Ja, meine Damen und Herren, in der heutigen Zeit konkrete Wege aufzeigen, dazu gehört mehr Phantasie, als ich sie habe. Das muß ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Herr Kollege Ollenhauer, ich darf Ihnen vorlesen, was Sie selber nach Ihrer Zusammenkunft mit Nehru in New-Delhi gesagt haben — ich zitiere eine dpa-Meldung in der „Welt" —:
    Die beiden Politiker stimmten darin überein, so sagte Ollenhauer, daß eine Lösung der deutschen Probleme in Verbindung mit den neuen internationalen Entwicklungen gefunden werden müsse.
    Da haben Sie vollkommen recht; die Lösung kann tatsächlich nur in Zusammenhang mit den Entwicklungen und, wie ich hinzufügen möchte, Verwicklungen gefunden werden. Aber dann fahren Sie fort:
    Niemand könne jedoch sagen, welcher Weg im einzelnen eingeschlagen und in welcher Zeit die deutsche Frage gelöst werden kann.
    Sehen Sie, Herr Kollege Ollenhauer, das ist ganz richtig, und ich folge vollkommen ihren Worten. Ich bin überzeugt, auch Sie können heute nichts anderes sagen, als was Sie im Jahre 1956 in New-Delhi gesagt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    Etwas unangenehm oder traurig bin ich dadurch berührt, daß Herr Kollege Ollenhauer meinen Appell an seine Fraktion, in wichtigen nationalen Fragen zusammenzuarbeiten, mit der Erklärung beantwortet hat, er habe kein Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Regierungschefs, der den Wahlkampf mit politischen Verleumdungen geführt habe. Nun sind wir hier ja nicht im Wahlkampf.

    (Abg. Schoettle: Das ist noch nicht vergessen, Herr Bundeskanzler!)

    — Ach, wir werden nächstes Jahr noch manchen Wahlkampf gegeneinander führen;

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    dann können wir uns Luft machen, soviel wir wollen.

    (Abg. Wehner: Die Luft verpesten!)

    — Bei mir nicht!

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Hier sind wir ja schließlich in einer Besprechung der Regierungserklärung. — Aber ich muß doch sagen, Herr Kollege Ollenhauer: wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.

    (Abg. Bauer [Augsburg] : Sie haben doch den Anfang gemacht!)

    — Da bin ich endlich einmal früher aufgestanden als Sie!

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Ich will doch einmal einige Sätze vorlesen, die Herr Kollege Ollenhauer am 12. August in Hannover ausgesprochen hat und die von der „Freien Presse" Bielefeld, aus der ich das Folgende entnehme, zitiert worden sind:
    Wer Adenauer wählt, wählt die Fortdauer der Spaltung Deutschlands.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! — Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ein sehr hartes Wort, und wenn Sie jetzt rufen „Sehr richtig!", dann muß ich Ihnen sagen: ich beneide Sie nicht darum, daß Sie den Deutschen in der Ostzone das Vertrauen zu mir nehmen wollen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Bedenken Sie denn niemals, daß Sie durch diese ständige Kritik an der Wiedervereinigungspolitik der Bundesregierung und der Mehrheit dieses Hauses das Vertrauen der Deutschen in der Ostzone zu uns immer mehr schmälern? Denn schließlich sind doch wir die Mehrheit des deutschen Volkes und nicht Sie.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Ich darf mit dem Zitat fortfahren:

    Adenauer vergiftet das ganze politische Leben
    Deutschlands. Er hat das Recht verwirkt, weiter
    an der Spitze der Bundesrepublik zu stehen.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Das Ausmaß der Intoleranz, Arroganz und Infamie Adenauers ist nicht mehr zu ertragen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Er ist eine Gefahr für die Freiheit und Demokratie in der Bundesrepublik.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Alle meine Reden sind von meiner Partei stenographisch aufgenommen, und jedem von Ihnen stehen diese Reden zur Verfügung. Weisen Sie mir irgendwo eine Stelle nach, die aber auch nur im entferntesten einen derartigen Klang hat und derartige Worte gegen Sie enthält, wie Sie sie gegen mich gebraucht haben!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich halte meinen Vorschlag aufrecht und wiederhole ihn an die beiden Parteien, die sich in der Opposition befinden: daß wir in Angelegenheiten, die das Interesse und das nationale Wohl des gesamten deutschen Volkes betreffen, versuchen sollten, eine gemeinsame Politik zu machen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Zeiten und die Entwicklung, die wir gerade in den letzten vierzehn Tagen wieder erlebt haben, sind doch so ungewöhnlich ernst für das ganze deutsche Volk, für ganz Europa und die ganze Welt, daß wir, die wir in der äußersten Gefahrenzone für die Freiheit leben, es uns eigentlich gar nicht gestatten können, in den entscheidenden Fragen auseinanderzugehen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten doch einmal aus dem Artikel eines Professors der Geschichte an der Universität Oxford namens Taylor vorlesen, was der über die Wiedervereinigung gesagt hat, und zwar am 27. Oktober. Er schreibt:
    Die Teilung Deutschlands ist nicht von Großbritannien geplant worden, aber sie ist nun einmal passiert. Warum nehmen wir sie nicht hin als einen Glücksfall und belassen es dabei? Ich kann wohl verstehen,
    — fährt er fort —
    daß die Deutschen sie nicht mögen. Aber für uns ist sie großartig. Wir haben zwei große Kriege gegen Deutschland im Verlauf dieses Jahrhunderts ausgefochten. Verschiedene Ereignisse haben sie ausgelöst. Aber die Hauptursache beider Kriege war die gleiche: Es gibt zu viele Deutsche, und Deutschland ist zu stark. Vereinigt alle Deutschen, und sie überschatten Europa. Jetzt ist uns eine Lösung auf einer Platte serviert. Wir sollten dankbar sein.
    Meine Damen und Herren, das hat ein Professor, ein Historiker der Universität Oxford geschrieben. Ich glaube, gerade aus solchen Artikeln spricht die Gefahr, die uns Deutschen droht, nicht nur vom Osten her. Sie ist so ungemein groß, daß wir uns zusammenfinden müssen.

    (Zurufe von der SPD.)




    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    Um so dankbarer müssen wir der englischen wie auch der französischen und der amerikanischen Regierung sein, daß sie bei allen großen Gelegenheiten immer wieder betonen, daß die Wiedervereinigung Deutschlands ein fundamentales Ziel ihrer Politik sei.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich kann nur nochmals sagen: Die Zeit ist ungewöhnlich ernst. Sie ist nicht deshalb so ernst geworden, weil wir in NATO eingetreten sind, wie behauptet wird. Hat denn unser Eintritt in NATO verursacht, daß Sowjetrußland in der Entwicklung der Fernraketen den anderen Staaten vorausgekommen ist? Ich glaube das nicht.

    (Lachen bei der SPD.)

    — Meine Damen und Herren, wenn Sie darauf nur lachen können, dann bedaure ich das wirklich.

    (Zurufe von der SPD.)

    Es handelt sich um sehr ernste Angelegenheiten, um Fragen, deren Ernst das ganze deutsche Volk durchaus versteht.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn Sie darüber lachen, dann sage ich Ihnen: Das deutsche Volk wird auch zum vierten Male ein vernichtendes Urteil über Ihre Politik abgeben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ollenhauer hat in seiner Erklärung auch wieder einmal die Wirtschaftspolitik angegriffen und dabei ein großes Wort gelassen ausgesprochen. Er behauptete nämlich, daß der freie Wettbewerb und die freie Preisbildung nicht eine stabile Ordnung zu gewährleisten vermögen.
    Ich habe mir ja schon immer gedacht, daß es bei dem marktwirtschaftlichen Bekenntnis der SPD einen Pferdefuß geben muß,

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien)

    und der ist bei dieser Gelegenheit deutlich zum Ausdruck gekommen. Denn wenn ich den Wettbewerb und die freie Preisbildung nicht mehr als die tragenden Säulen und bewegenden Kräfte einer freien Marktwirtschaft und einer freien gesellschaftlichen Ordnung überhaupt anerkenne, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu den „bewährten", sattsam bekannten Prinzipien der Planwirtschaft überzugehen, nämlich der staatlichen Reglementierung der Produktion und des Verbrauchs und der Preisbindung dazu. Dann haben Sie allerdings das, was den Gegensatz zum freien Wettbewerb und freier Preisbildung darstellt.
    Daß uns allen die Stabilität der Währung, die Stabilität der wirtschaftlichen Verhältnisse und die Stabilität der Preise besonders am Herzen liegen muß, dürfte unbestreitbar sein. Aber es ist nicht damit getan, daß jede Partei und jede einzelne Gruppe reihenweise ein Lippenbekenntnis ablegt, wie sehr gerade ihr die Erhaltung der Stabilität am Herzen liege, dann aber in dem eigenen Verhalten nichts mehr von dieser Gesinnung oder von dieser Proklamation bekundet. Darunter leiden wir in diesem Augenblick.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin weit davon entfernt, etwa nur eine Gruppe anzusprechen. Ich habe das niemals getan. Aber wenn wir von den Sozialpartnern sprechen, warum sind dann ausgerechnet die Gewerkschaften so außerordentlich empfindlich? Warum darf man über Löhne, Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen nicht im Zusammenhang mit der Preisstabilität sprechen?

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Das ist keine Diffamierung, sondern das sind nüchterne Feststellungen, und jedenfalls sind sie der Untersuchung und der Prüfung wert.

    (Zustimmung rechts.)

    In aller Welt unterhält man sich über diesen Gegenstand. Ich habe den Begriff „Gewerkschaftswährung" nicht erfunden; aber er ist heute schon als ein Terminus technicus in die wissenschaftliche Literatur eingegangen, und man hat sich doch darunter etwas vorgestellt!
    Einer Ihrer besten Sachverständigen auf wirtschaftlichem Gebiet hat selbst in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften" wortwörtlich folgendes geschrieben:
    Es muß nüchtern festgestell werden, daß idas Preisniveau in einer Volkswirtschaft durch das Verhältnis zwischen monetärer, d. h. in Geld ausgedrückter Nachfrage und dem Angebot von Gütern und Diensten aus der laufenden Produktion bestimmt wird. Wenn die monetäre Nachfrage — sei es durch Lohnsteigerung, sei es durch Kreditexpansion — über das hinaus gesteigert wird, was der gleichzeitigen Steigerung des Sozialprodukts, d. h. des Angebots von Gütern und Diensten entspricht, dann müssen zwangsläufig die Preise steigen. Jeder Versuch, diesen gesetzmäßigen Zusammenhang nicht anzuerkennen, wäre ein Kampf gegen das Einmaleins.
    Das unterschreibe ich wortwörtlich. Dann muß man aber in einer so spannungsvollen Zeit, wie sie sich uns gerade im Augenblick darbietet, auch den Mut haben, dieses Thema objektiv anzusprechen. Es ist einfach nicht wahr, daß man nicht feststellen kann, wo die optimalen Grenzen einer Lohnsteigerung oder Arbeitszeitverkürzung ohne Gefährdung der Stabilität liegen. Meine feste Überzeugung ist, daß wir unter allen Umständen zu einer Versachlichung, zu einer Objektivierung der Feststellung des Tatbestandes und der Wirkungen gelangen müssen. Ich behaupte: die Wahrheit ist gar nicht so schwer zu finden; schwer ist nur, aus der Wahrheit für das eigene Verhalten die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
    Mir kann jedenfalls niemand vorwerfen, daß ich bei den Auseinandersetzungen der Sozialpartner, bei Lohnsteigerungen oder bei Preissteigerungen mich nicht bemüht habe, objektiv zu sein und diejenigen anzusprechen, die es angeht, während Sie noch nie den Mut gefunden haben, die Gewerkschaften auch nur einmal anzusprechen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Das tut man heute in aller Welt, Herr Ollenhauer. Beobachten Sie, was sich in England tut. Sie haben auch das Beispiel in Dänemark erlebt, wo ein sozialdemokratischer Ministerpräsident den Kampf gegen die sozialdemokratischen Gewerkschaften, d. h. innerhalb der eigenen Reihen, ausgetragen hat. Und wir? Wenn wir uns über Löhne und Preise unterhalten, dann sprechen Sie von Diffamierung. Da ist nichts zu diffamieren, sondern das Problem muß jetzt endlich einmal auf den Tisch gelegt werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die ganze deutsche Öffentlichkeit muß bei diesen
    Auseinandersetzungen wissen und soll es erfahren,
    wo jeweils die Ursachen und die Wirkungen liegen.
    Um es einmal ganz konkret zu sagen: Wenn z. B. die IG Metall ihre Forderungen in der angekündigten Form durchsetzen wollte, dann möchte ich die Antwort von der IG Bergbau haben, ob sie etwa die Arbeitszeitverkürzung in der Metallindustrie und eine Lohnerhöhung dieses Ausmaßes hinzunehmen gewillt wäre, ohne dann nicht auch für ihre Gruppe ein Gleiches zu fordern. Dann sollen ihre Experten auf dem Kohlengebiet die Frage beantworten, ob das wohl ohne eine weitere Kohlenpreissteigerung möglich wäre. Wenn z. B. jetzt bei Textil und Bekleidung Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzungen und noch andere tarifliche Verbesserungen erfolgten, die über 20 % hinausgehen, dann möchte ich objektiv festgestellt haben, welche Auswirkungen auf die Preise für Textilien und Bekleidung sich daraus ergeben. Sie können versichert sein, daß ich die besten Experten aus allen Lagern und aus allen Parteien zusammenrufen werde. Die Dinge kommen an die Öffentlichkeit. Was dort geschieht, geschieht nicht hinter verschlossenen Türen der Sozialpartner, sondern das hat die Öffentlichkeit zu bewegen. Es ist auch das Wohl aller deutschen Menschen damit angesprochen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie beschweren sich darüber, daß das, was in gut rentierlichen Unternehmungen an Löhnen gezahlt oder Arbeitszeitverkürzungen durchgeführt werden kann, in schlecht rentierlichen Unternehmungen oder ungünstiger gelagerten Wirtschaftszweigen nicht angewandt werden soll, und Sie fragen: Muß das denn wirklich so sein, d. h. müssen die Unterschiede in der Ertragslage so groß sein? Herr Ollenhauer, Sie sind wahrscheinlich kein wirtschaftlicher Sachverständiger, sonst würden Sie einzusehen bereit sein, daß in einer freien ökonomischen Ordnung, in einer freien Gesellschaftsordnung, in der jeder Mensch in seiner Verbraucherhaltung völlig frei ist, seinen Verbrauch wechseln kann, wo immer und wann immer er will, die Vorstellung einer gleichen Ertragslage unmöglich ist. Sie ist überhaupt nicht denkbar. Diese Art von Stabilität, die Starrheit bedeuten würde, gibt es nicht.
    Das aber hat allerdings Konsequenzen. Wir haben den kollektiven Tarifvertrag; das heißt aber, daß die Vertragsbedingungen, die da ausgehandelt werden, nicht an dem besten Betrieb ausgerichtet sein dürfen. Ich gebe zu: In jedem Industriezweig wird es einen Betrieb geben, der die gewerkschaftlichen Forderungen, auch wenn sie für die Gesamtheit überhöht sind, für sich individuell auch ohne Preissteigerung tragen könnte. Aber daß etwa durch betriebsindividuelle Begünstigungen eine Differenzierung innerhalb der Arbeitnehmerschaft Platz greift, das wollen Sie ja auch nicht.
    Die daraus zu ziehende Konsequenz ist aber dann die, daß man im Mittel operieren muß, daß man bei einem Gewerbezweig, für den ein Kollektivvertrag ausgehandelt wird, nicht den hochrentierlichen durchrationalisierten oder automatisierten Spitzenbetrieb zum Maßstab nehmen kann, sondern das gute Mittel zu nehmen hat. Darüber hinaus ist es gefährlich, wenn man alle Wirtschaftszweige über einen Kamm scheren zu können glaubt. Was Sie wollen und was jetzt auch praktisch durchzusetzen versucht wird, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß gerade die kleinere Industrie, das, was wir den Mittelstand nennen, im gewerblichen Sektor, im Handwerk, in der Industrie, im Handel, in der Landwirtschaft —, daß alle diese Zweige, die in bezug auf Rationalisierung oder gar Automatisierung vor Grenzen stehen, aber andererseits infolge ihrer höheren Veredelung mit stärkeren Arbeitskosten belastet sind, diese Kostenerhöhungen dann nicht tragen können, ohne in den Preis auszuweichen. Wenn sie aber in den Preis ausweichen, dann kommen sie in eine Wettbewerbsverschiebung ungünstiger Art zu den Großunternehmungen. Da wir eine Mittelstandspolitik treiben wollen, können wir diese Politik der Gewerkschaften unmöglich als berechtigt und als volkswirtschaftlich sinnvoll anerkennen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der FDP.)

    Sie sprachen von einer gesunden Preispolitik. Es wäre mir wirklich interessant, zu wissen, was Sie sich bei dieser Sachlage unter einer gesunden Preispolitik vorstellen. Wenn Sie von der Unfähigkeit der Bundesregierung, die Stabilität gewährleisten zu können, sprechen, dann würde ich Ihnen nicht empfehlen, das in irgendeinem anderen Land Europas laut zu sagen. Denn dort stehen wir fast unter der Anklage, daß wir unser Preisniveau stabiler gehalten haben, als es fast allen anderen Ländern möglich gewesen ist. Ich habe hier eine amtliche Verlautbarung aus dem Statistischen Bundesamt. In ihr werden von .20 Ländern auf Grund der Einzelhandelspreise die Lebenshaltungskosten nachgewiesen. Von diesen 20 Ländern steht die Bundesrepublik zusammen mit der Schweiz am Ende dieser Liste, nämlich mit einer Steigerung in den letzten



    Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
    sieben Jahren von 15,5 %. Aber jetzt möchte ich Ihnen vorlesen, wie in den ausschließlich sozialistisch regierten Ländern die Preisbewegungen vor sich gegangen sind:

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.) In Norwegen 46,4 %,


    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien) in Schweden 43,6 %,


    (erneutes Hört! Hört! bei den Regierungsparteien)

    in Finnland 40,2 % und in Dänemark 35,6 %. (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)

    Ich muß schon fragen: wo bleibt da die vielgerühmte sozialistische Solidarität, wenn Sie das
    Rezept haben und es Ihren Brüdern nicht verraten?

    (Lebhafter Beifall und große Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen: von einer Verschleuderung von Bundesvermögen kann bei den Plänen, die hier erwogen werden, überhaupt nicht die Rede sein. Aber anzunehmen, daß der Bund über eigene Wirtschaftsunternehmungen verfügen müsse, um eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu treiben — diese These allerdings lehne ich mit Entschiedenheit ab.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dann kommen Sie auf die Zahlungsbilanz zu ) zu sprechen und sagen sehr zu Recht: Aus der Zahlungsbilanz, d. h. aus den starken deutschen Überschüssen entsteht eine Verflüssigung unseres Geldmarktes und tendenziell hat das inflationistische Wirkung. Nun haben wir uns wirklich ehrlich bemüht, nicht etwa den Export abzudrosseln — da rennen Sie offene Türen ein, kein Mensch will das bei uns —, sondern ,den Import anzuheben und auch durch andere Mittel unseren starken Überschuß abzubauen. Es ist uns ja auch in etwa, wie die letzten Ausweise zeigen, doch schon ein Erfolg beschieden gewesen.
    Aber auch hierzu darf ich noch einmal sagen: die Zollsenkung als Mittel der Wirtschafts- und Handelspolitik und vor allen Dingen als ein Mittel zu benutzen, den Import anzureizen und einen besseren Zahlungsbilanzausgleich zu erzielen, das ist ja unser Vorschlag gewesen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie ihn immer unterstützt haben, aber es war dabei doch etwas billig, unsere Forderung noch immer mehr zu übersteigern. Aber wo hätte es jemals in der modernen Wirtschaftsgeschichte ein Land gegeben, das autonom und ohne die Gegenleistung seiner Handelspartner seine Zölle durch dreimalige Maßnahmen im gewerblichen industriellen Sektor um insgesamt 45 % gesenkt hat?

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Das wird von der ganzen Welt als eine hohe Leistung Deutschlands anerkannt. Daß Sie es nicht anerkennen, ist nicht weiter verwunderlich bei Ihrer allgemeinen Haltung.
    Aber die andere Frage ist viel interessanter. Sie sprechen von der Unfähigkeit der Bundesregierung, das Preisniveau stabil zu halten. Woher rührt denn eigentlich der Überschuß in unserer Zahlungsbilanz? Er rührt doch ausschließlich daher, daß Deutschland bei starren Wechselkursen sehr viel billiger geblieben ist als das Ausland, so daß es für jeden attraktiv ist, in Deutschland zu kaufen. Umgekehrt sind die ausländischen Preise, vor allen Dingen auch die in den sozialistischen Ländern, so stark gestiegen, daß bei uns ein echter Einfuhrsog nicht mehr wirksam ist. Ich habe es wiederholt ausgesprochen: Sie könnten die deutschen Zölle heute auf Null senken, und es würde immer noch nicht das geschehen, was notwendig wäre, um einen Zahlungsbilanzausgleich herbeizuführen, abgesehen davon, daß eine solche Vorstellung heute leider noch Theorie oder nur ein rechnerisches Spiel ist.
    Ich kann also im ganzen sagen: Wenn Ihnen zur Wirtschaftspolitik keine besseren Argumente einfallen als die hier vorgetragenen, und wenn wir uns über diesen Gegenstand vier Jahre unterhalten sollen, dann möchte ich mit dem Herrn Bundeskanzler sagen: ich möchte wissen, was Ihnen bei den nächsten Wahlen passiert! Ich bin jedenfalls bereit, mit dieser meiner Wirtschaftspolitik jeden Wahlkampf mit Ihnen zu führen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)