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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957 . . . . 31 A Dr. Krone (CDU/CSU) 31 A Ollenhauer (SPD) . . . 41 A, 86 D, 88 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 55 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 66 D Höcherl (CDU/CSU) . . . . 77 C, 79 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 81 B, 90 A, 97 B, 97 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 84 B, 93 D, 94 D Dr. Deist (SPD) . . . 79 C, 90 D, 94 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 88 A Margulies (FDP) 95 A Erler (SPD) 96 A Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 97 D Glückwunsch zum 65. Geburtstag des Abg. Schröter (Berlin) 77 C Nächste Sitzung 98 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 99 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 31 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 10.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Bauer (Wasserburg) 6. 11. Bauknecht 6. 11. Birkelbach *) 9. 11. Birrenbach *) 9. 11. Bühler 6. 11. Conrad*) 9. 11. Dr. Deist*) 9. 11. Dr. Dollinger *) 9. 11. Ehren 6. 11. Freiherr von Feury 6. 11. Frehsee 5. 11. Frenzel 10. 11. Frau Friese-Korn 1. 12. Dr. Furler*) 9. 11. Gaßmann 10. 11. Haage 5. 11. Höfler 6. 11. *) für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Illerhaus 9. 11. Jahn (Frankfurt) 6. 11. Dr. Jordan 6. 11. Kalbitzer 5. 11. Dr. Kopf *) 9. 11. Dr. Kreyssig*) 9. 11. Lenz (Brühl) *) 9. 11. Dr. Leverkuehn 6. 11. Metzger *) 9. 11. Dr. Oesterle *) 9. 11. Pelster *) 9. 11. Dr. Philipp*) 9. 11. Rademacher 6. 11. Ramms 6. 11. Dr. Seume 16. 11. Walpert 5. 11. Frau Wolff (Berlin) 16. 11. Zoglmann 5. 11. b) Urlaubsanträge Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20. 12. Kühlthau 25. 11. Scheel 15. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Max Becker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine kleine Vorbemerkung:
    Und wenn sich der Schwarm verlaufen will Schon zur frühen Nachmittagsstunde,
    Dann gibt von diesem schlechten Brauch Dem Volk heut' das Fernsehen Kunde.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, der Ausgang des Wahlkampfes erfordert eine Schlußbilanz, und die Regierungserklärung soll eine Eröffnungsbilanz sein. Das deutsche Volk kann verlangen, daß beide Bilanzen unverschleiert sind. Deshalb in offener Sprache folgende Feststellungen.
    Zunächst zur Abschlußbilanz. Das Ziel der Freien Demokraten, die Alleinherrschaft einer Partei zu verhindern, ist nicht erreicht. Die FDP ist weder zur Bildung einer Regierungskoalition noch zur Bildung einer Sperrminderheit notwendig. Aber sie ist noch da, aus eigener Kraft und unabhängig nach allen Seiten.

    (Beifall bei der FDP.)

    Die SPD kann eine Verfassungsänderung verhindern, ihr Ziel, an die Macht zu kommen, hat sie aber nicht erreicht. Die CDU hingegen hat ihr Ziel, allein die Geschicke der Bundesrepublik zu bestimmen, erreicht und ist auf die Mithilfe keiner anderen Partei, auch nicht der Deutschen Partei, angewiesen. Ihr weiteres Ziel, ein Zweiparteiensystem herauszuarbeiten und auch die FDP zu vernichten, hat sie aber nicht erreicht. Wir sind noch da, aus eigener Kraft und unabhängig nach allen Seiten!
    Es bleibt uns aber in Erinnerung, daß im Anschluß an die Rückgewinnung der Saar vom Palais Schaumburg aus in drei verschiedenen Etappen versucht worden war, die FDP zu vernichten. Zuerst kam das Verlangen einer Unterwerfungserklärung, dann erschien das Grabensystem und zum Schluß die Förderung der Euler-Gruppe bei dem mißlungenen Versuch, die FDP zu spalten.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir sind uns darüber klar, daß diese freundlichen Absichten auch nach diesem Wahlkampf noch bestehen. Der Herr Bundeskanzler wäre deshalb sicherlich sehr überrascht, wenn wir seiner Regierung unser Vertrauen aussprächen.
    Wir wissen auch, daß ein prominentes Mitglied der CDU — ein sehr prominentes Mitglied — den Wunsch geäußert hat, am liebsten keinen FDP-Abgeordneten mehr im Bundestag wiederzutreffen, und es steht die Ankündigung des Herrn Fraktionsvorsitzenden der CDU vom Mai dieses Jahres noch im Raum, das jetzige Wahlrecht als das sogenannte stimmgerechte Wahlrecht durch ein staatsgerechtes Wahlrecht zu ersetzen. Unter dem staatsgerechten Wahlrecht versteht man ein Wahlrecht, nach dem der Kandidat A mit 30 000 Stimmen gewählt ist, auch wenn der Kandidat B 25 000, der Kandidat C 20 000 und der Kandidat D 15 000 Stimmen erlangt haben. Man nennt ein solches Wahlrecht Mehrheitswahlrecht, obwohl es meist nur einer kompakten Minderheit zum Siege verhilft. Man kann mit seiner Hilfe praktisch den gesamten Mittelstand, den selbständigen und den unselbständigen, weil er sich eben nicht in jedem Wahlkreis in großen kompakten Gruppen vorfindet, ausschalten, und man kann dafür denjenigen Gruppen, die entweder z. B. gewerkschaftlich organisiert, aber kompakt in



    Dr. Becker (Hersfeld)

    einer Minderheit vorhanden sind oder die als konfessionell gebundene schlagkräftige und disziplinierte Minderheit vorhanden sind, jeweils mit Hilfe dieser Minderheit zu einem Bundestagsmandat verhelfen.
    Der angebliche Vorteil des Zweiparteiensystems besteht in Wirklichkeit nicht. Wechseln nämlich die beiden Parteien in der Herrschaft miteinander ab, so kann es sich wie in England ereignen, daß unter der Herrschaft der Arbeiterpartei das Verkehrswesen und die Stahlindustrie in die Hand des Staates überführt werden, daß vier Jahre später dann die Konservativen diese Verstaatlichung rückgängig machen und daß nach einem erneuten Wahlsieg der Arbeiterpartei nach abermals vier oder fünf Jahren die gleiche Doktor-Eisenbart-Kur an dem Wirtschaftssystem Englands ausprobiert wird.
    Eine andere Abart des Zweiparteiensystems besteht darin, daß Rot und Schwarz nicht miteinander in der Regierung abwechseln, sondern gemeinsam regieren. Die Macht wird zwischen beiden geteilt, die Pöstchen ebenfalls — wo sie fehlen, werden sie zu diesem Zweck geschaffen —, alles mit dem Erfolg, daß jede innere politische Spannung und jedes politische Leben fehlen. Jeweils zehn Wochen vor den Wahlen beginnen beide Parteien sich zu bekämpfen, um sich dann zwei Wochen nach den Wahlen zum alten Sozietätsverhältnis wieder in die Arme zu fallen.
    Wir sind überzeugt, daß das deutsche Volk weder den Zickzackkurs der ersten Möglichkeit noch die politische Stagnation und das Beutesystem des zweiten Falles wünscht. Eine dritte Kraft muß vorhanden sein. Sie verhindert den Zickzackkurs, sie sichert einen beständigen gleichmäßigen Fortschritt. Andererseits bringt sie neue Gedanken, bringt politische Spannungen und damit politisches Leben.
    Man rühmt endlich am Zweiparteiensystem, daß es einheitliche Parteien schaffe, die zu klaren und schnellen Entschlüssen gelangen könnten. Wir bezweifeln, daß die deutsche Öffentlichkeit von der Bildung dieser Regierung den Eindruck bekommen hat, daß hier eine einheitliche Partei am Werke war und zu klaren und schnellen Entschlüssen gekommen ist. Diese Regierungsbildung war in keiner Weise imponierend. Wo ist z. B. die Fr au Bundesminister geblieben? Welcher Arithmetik ist sie zum Opfer gefallen? Bei der Konkurrenz der Ministrablen und der noch kommenden Staatssekretäre untereinander wurde man oft an Schillers Vers erinnert: Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, umschwärmten sie alle den Herrn der Bonner Welt.
    Besonders interessant war das Schäffer-Spiel. Einerseits wollte man Herrn Schäffer, obwohl man ihn bei den Wahlen noch überall als Hüter der Währung plakatiert hatte, als Finanzminister nicht mehr haben. Andererseits aber mußte verhindert werden, daß er, ohne Minister zu sein, als Sprecher der CSU hier im Parlament etwa seinen Nachfolger kritisieren könnte. Er mußte also irgendwie in die Zucht des Kabinetts genommen werden. Und
    schließlich mußte auch verhindert werden, daß er etwa, fern von Bonn, in einem politischen Münchener Sinfonieorchester die erste Geige spielte.

    (Heiterkeit.)

    Das alles war schon schwierig, und man muß immer wieder die Geschicklichkeit des Herrn Bundeskanzlers bewundern, mit der er, wenn auch unter Zeitaufwand, diese Schwierigkeiten gelöst, diesen Balanceakt durchgeführt hat. Es war offenbar der Herr Bundeskanzler gemeint, als unser verehrter Kollege Dr. Krone vorhin im Eingang seiner Ausführungen einmal von Jongleurakten gesprochen hat.

    (Heiterkeit. — Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Wir alle wünschen, daß die früheren Differenzen zwischen Wirtschaftsministerium und Finanzministerium wegfallen. Es scheint auch so.

    (Heiterkeit.)

    Vielleicht wirkt der Herr Bundesschatzminister ausgleichend.
    Zum Schluß mußte dann zur Lösung der letzten Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung noch die konfessionelle Arithmetik herhalten. War das wirklich alles eine Empfehlung des Zweiparteiensystems? In der Zeitschrift „Neues Abendland" 2. Quartal 2. Heft 1957 gibt Herr Roegele, Chefredakteur des „Rheinischen Merkur", auf Seite 100 folgendes Rezept für eine Regierungsführung. Er schreibt:
    Vier Jahre gesicherte Herrschaft geben einer tatkräftigen, entschlossenen und von Skrupeln nicht geplagten
    — ich wiederhole: von Skrupeln nicht geplagten —
    Parteiführung zahlreiche Möglichkeiten, auch die Voraussetzungen für den nächsten Wahlsieg zu schaffen.
    Der Herr Bundeskanzler hat zu dem genannten Heft dieser Zeitschrift eine empfehlende Vorrede geschrieben.

    (Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Bezeichnend!)

    Nach unserer Auffassung gilt ein anderes Gesetz, und ich glaube, Herr Kollege Krone hat dem vorhin schon Ausdruck gegeben. Er sprach davon, daß seine Partei die Hüterin der Freiheit und der Demokratie sein werde. Wir nehmen das Wort an und glauben, daß damit auch seine Ankündigung auf dem Hamburger Parteitag über die Ersetzung des stimmgerechten Wahlrechts durch ein staatsgerechtes nunmehr zurückgenommen ist. Denn, meine Damen und Herren, nach unserer Ansicht gilt in der Demokratie das Gesetz, daß sich im politischen Kampf die bisher siegreiche Partei der Kritik der Wähler und der Neuwahl nach vier Jahren unter den gleichen Bedingungen, d. h. dem gleichen Wahlrecht zu stellen hat, mit dem sie an die Macht gekommen ist. Nur das ist gerecht und loyal. Das Gegenteil könnte der Staatsstreich, könnte der Weg zur Diktatur sein. Aber wir nehmen das Wort des



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Herrn Krone an und werden uns in der Zukunft danach richten und ihn daran festhalten.
    Nun zur Regierungserklärung, also zur Eröffnungsbilanz! Die Freien Demokraten werden frei von jedem Ressentiment an die politische Arbeit herangehen. Wir sind eine Oppositionspartei, aber als solche ungebunden nach allen Seiten. Wir werden die Opposition nicht um der Opposition willen treiben, sondern nur da, wo es nötig ist, wie überhaupt der Leitstern für unsere politische Arbeit das Interesse des deutschen Volks, seine Zukunft und die freiheitliche Gestaltung seiner Institutionen und seines Lebens sein wird. Unser Grundsatz ist — ich begehe jetzt kein Plagiat an Herrn Krone —: Soviel Freiheit als möglich, sowenig Staat als möglich. Ich habe mich sehr gefreut, als auch Herr Krone diesen Satz zitierte. Er stammt nämlich aus dem Berliner Programm der Freien Demokratischen Partei.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir unsererseits setzen die Freiheit gegen die Staatsallmacht, und unter Demokratie verstehen wir die Demokratie, in der Gründe und Gegengründe vor der Öffentlichkeit ausgetauscht, miteinander diskutiert werden und in der an den Verstand appelliert wird. Allein an die materiellen Instinkte der Bevölkerung zu appellieren, sie in Angst und Bangen vor einer eingebildeten oder vergröberten Gefahr zu versetzen und dann als Rettung einen Mann oder eine Doktrin als unfehlbaren Führer, als unfehlbare Medizin anzupreisen, das ist gefährlich. Die Demokratie kann dann in Massenherrschaft umschlagen.
    Die Demokratie wird auch nicht dadurch gerettet — Herr Ollenhauer wird die Bemerkung verzeihen, die ich jetzt mache —, daß man dem Führer einer Oppositionspartei durch Zahlung eines Gehalts eine halbamtliche Stellung zu geben versucht. Eine solche Maßnahme würde in der Öffentlichkeit nur einen sehr peinlichen Eindruck machen.
    Wir wünschen eine echte Pressefreiheit, eine echte Unabhängigkeit der Presse, und wir glauben mit diesem dringenden Wunsch auch ohne nähere Erörterungen verstanden zu werden.
    Wir wünschen eint saubere und unbestechliche Verwaltung. Wir wünschen, daß da, wo irgendwie und irgendwann gefehlt ist, mit aller Schärfe und sofort eingeschritten wird. Peinliche Prozesse sollten schnell und ohne Rücksicht auf die beteiligten Personen entschieden werden. Den Gerichten muß die Möglichkeit gegeben werden, unabhängig und schnell zu entscheiden. Das Funktionieren der Gerichte darf nicht — hier unterstreiche ich, was Herr Ollenhauer gesagt hat — durch die Verweigerung von Aussagegenehmigungen behindert werden. Wir wünschen andererseits auch, daß der Staat sich schützend vor seine zu Unrecht angegriffenen Beamten stellt. Und noch eins: die Autorität des Staates und des Ministers wird nicht durch großes Gepolter begründet und gestärkt; echte Autorität wirkt durch sich selbst — auch gegenüber Uniformen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir wollen eine freiheitliche Demokratie, d. h. sowenig Gesetze, sowenig Fragebogen, sowenig Genehmigungen wie möglich, aber soviel Freiheit für den einzelnen wie möglich. Wenn Gesetze und Verordnungen, wenn Paragraphen und Fragebogen glücklich machen könnten, wäre das deutsche Volk das glücklichste auf der Welt. Ein Beispiel: Wenn jemand bauen will, braucht er, nur um den Bauplatz zu bekommen, erstens eine Genehmigung der Preisstelle wegen des immer noch bestehenden Preisstopps für unbebaute Grundstücke — helfen Sie uns mit, ihn zu beseitigen! —; die Genehmigungen werden dann erteilt, wenn der wirkliche, der echte Preis verheimlicht und im Vertrag ein falscher, nämlich zu niedriger Preis genannt wird. Die Preisstellen selbst, die Finanzämter, Notare, Grundbuchämter und Grundstücksmakler wissen, wie hier geschwindelt wird. Auf der Grundlage dieses Schwindels beweisen dann die Statistiken der Preisstellen nach oben bis in die Ministerien hinein, daß angeblich kein anderer Preis als der von 1936 je und je gezahlt wird. Selbstverständlich kostet die Genehmigung des falschen Preises auch noch eine Gebühr. Zweitens braucht der Baulustige eine sogenannte Wohnsiedlungsgenehmigung nach dem Gesetz vom 22. 9. 1933, einem Nazigesetz. Drittens braucht er, wenn das Grundstück aus landwirtschaftlichem Besitz stammt, die Genehmigung des Kreislandwirts- oder Bauerngerichts, mit Gebühr, dann die Genehmigung des Entschuldungsamtes, falls der verkaufende Landwirt vor 25 Jahren mal im Entschuldungsverfahren war, diesmal ohne Gebühr. Dann noch die Genehmigungen oder Bescheinigungen, welche die sogenannten Aufbaugesetze der einzelner. Länder vorgesehen haben, — teils mit, teils ohne Gebühr. Das bedeutet, daß ein Baulustiger, der ohne diesen Genehmigungsunfug, wenn er sein Grundstück im März gekauft hat, sofort mit dem Bau hätte beginnen könen, jetzt nicht im März, sondern frühestens im August mit dem Ausschachten beginnen kann.
    Werden Sie, sehr verehrter Herr Wohnungsbauminister, das ändern?

    (Zurufe.)

    — Die Herren sind schon wieder weg. — Und dann noch ein Frage an die Herren Landesfinanzminister, die vorhin wohl noch hier waren: Werden diese Herren dem Herrn Wohnungsbauminister helfen, diesen Genehmigungsunfug, insbesondere den Preisstopp, zu beseitigen, damit Käufer und Verkäufer wieder ehrlich und die Preisangaben wieder wahr werden, dann gleichzeitig aber ihrerseits damit einverstanden sein, die Grunderwerbsteuer von 7 % auf 3 oder 4 % herabzusetzen? Die Länder und die Gemeinden erhalten dann im Ergebnis nämlich mehr Grunderwerbsteuer als bei dem heutigen Schwindelsystem.
    Weil ich gerade vom Bauen spreche: Kann der Herr Wohnungsbauminister dafür sorgen, daß die Landesbaudarlehen schneller ausgezahlt werden und die Bauherren und die Handwerker schneller zu ihrem Geld kommen? Noch etwas möchten wir wissen: Wieviel Steuergelder sind eigentlich im Laufe der vergangenen Jahre aus der Hand der Steuerzahler als Baugeld in die öffentliche Hand



    Dr. Becker (Hersfeld)

    gekommen? Wieviel ist davon noch da? Wer verwaltet es? Wer ist der Eigentümer dieser ausgeliehenen Hypotheken? Wieviel Zinsen bringen diese Kapitalien? In welchen Haushalten erscheinen die angesammelten Summen? Wann kommen sie wieder in die private Hand zurück? Und ferner: Wieviel Prozent dieser Summen sind schon verloren?
    Wenn wir hier Gesetze machen — es ist mit Recht gesagt worden, daß wir viel zu viele Gesetze hätten; aber dann wollen wir einmal praktische Beispiele bringen; ich habe eines —, sollten an die Spitze eines jeden Gesetzgebungswerks auch bei den Verhandlungen hier im Hause folgende Fragen gestellt werden: erstens eine Feststellung, welche neuen Behörden durch dieses neu zu schaffende Gesetz notwendig werden, zweitens, was die Durchführung dieses Gesetzes insbesondere zu Lasten der Gemeinden, die immer damit belastet werden, eigentlich kosten wird, und schließlich, welche weiteren Ausgaben das Gesetz den davon betroffenen Bürgern im Einzelfall auferlegt. Erst wenn das feststeht und dann trotzdem noch die Notwendigkeit des Gesetzes zu bejahen ist, sollte man an die Ausarbeitung eines solchen Gesetzes gehen.
    Auch der Bundestag hat das Recht der Gesetzgebungsinitiative. Er kann von sich aus Gesetzentwürfe einbringen. Es ist nun ein beliebter Sport in diesem Hause geworden, statt ausgearbeiteter Gesetzentwürfe einen schnell hingeschriebenen Antrag einzubringen, die Regierung möge ein Gesetz über diesen oder jenen Punkt einbringen. Zur Entschuldigung muß gesagt werden, daß der Bundestag und jeder einzelne Bundestagsabgeordnete nicht entfernt die Hilfsmittel zur Verfügung haben, die der Regierung, den Ministerien für solche Fälle zur Verfügung stehen. Wiederholt haben wir wegen einer Abänderung verhandelt. Solche Anträge sind insofern nützlich, als sie die Regierung zwingen, sich dahin zu äußern, ob ein Gesetz dieses Inhalts geplant ist oder nicht. Dabei sollte man es aber belassen, d. h. man sollte solche Anträge in diesem Hause nur als Kleine Anfragen behandeln. Dann spart dieses Haus sehr viel Zeit. Wichtigere Dinge könnten sofort in Form eines ausgearbeiteten Gesetzentwurfs eingebracht werden. Denn wie der Minister in der Hauptsache Ideen haben, aber nicht Paragraphen schustern soll, so sollte auch der Bundestag nicht in der Hauptsache Paragraphen fabrizieren,_ sondern seinerseits Anregungen bringen, politische Linien untereinander und mit der Regierung ausarbeiten und seine Kontrollaufgabe mehr als bisher wahrnehmen.
    Der Herr Bundeskanzler hat seine Ausführungen in der Regierungserklärung mit der Bitte an das Hohe Haus um Hilfe geschlossen. Wir sind durchaus bereit, helfend mitzuarbeiten, wollen aber, um Mißverständnisse zu vermeiden, hervorheben, daß Träger der Souveranität der Bundesrepublik das Volk und als sein Repräsentant dieses Hohe Haus ist. Der Wille des Volkes ist und bleibt entscheidend.
    Ich sprach davon, daß man unverschleierte Bilanzen sehen möchte. Die Eröffnungsbilanz, d. h. die Regierungserklärung, läßt nicht erkennen, wie wir
    mit den Finanzen stehen. Wir fragen: Wie hoch wird die Haushaltssumme des neuen Haushaltsjahres? Wie hoch wird auch das Defizit sein? Wird es überhaupt eins geben? Sind noch Reserven im Juliusturm? Sind noch Reserven in noch nicht angeforderten Steuern vorhanden? Und durch welche Sparmaßnahmen gedenkt die Regierung ein Defizit zu vermeiden?
    Diese Generalfrage vorausgeschickt, meine Damen und Herren, möchte ich nun zu den einzelnen Positionen der Regierungseröffnungsbilanz Stellung nehmen. Ich spreche zunächst zur Außenpolitik. Im Wahlkampf und schon vorher haben wir Freien Demokraten das Verlangen geäußert, es möchten in allseitigem Zusammenwirken von Regierung und Opposition die Grundlagen einer gemeinsamen Außenpolitik erarbeitet werden. Die Regierungserklärung nimmt diesen Wunsch auf. Wir sind bereit, an allen Fragen der Außenpolitik mitzuarbeiten. Das ist nicht so zu verstehen, daß wir all dem, was der Herr Bundeskanzler als seine Außenpolitik in der Regierungserklärung schon voraus vorgetragen hat, unbesehen zustimmten. Die gemeinsame Arbeit muß darin bestehen, daß die Regierung das, was sie weiß, z. B. ihre Kenntnisse aus den Berichten der Botschafter, aus den verschiedenen Vorschlägen, die aus den USA über die zu verfolgenden Strategien hierhergekommen sind, über die Auswirkung der epochalen technischen Fortschritte der Sowjetunion, einem vertraulichen Zirkel, aus allen Parteien dieses Hauses bestehend, zur Kenntnis bringt. Dort sollte dann ein Austausch der Ideen und Meinungen stattfinden. Die bisher im Auswärtigen Ausschuß praktizierte Methode war meiner Ansicht nach sehr unzulänglich. Das was uns dort von der Regierung als vertraulich mitgeteilt wurde, hatten wir vorher in der Inlandspresse, bestimmt in der Auslandspresse schon gelesen gehabt, und ein echter Meinungsaustausch wurde durch ein dürftiges Frage- und Antwortspiel ersetzt. Das kann nicht befriedigen, und das kann auch nicht so bleiben.
    In diesem internen Zirkel wird es uns interessieren, zu erfahren, welche Konzeption die Regierung für die Durchführung der Wiedervereinigung eigentlich hat, ob sie eine hat und ob sie in der Lage ist oder schon gewesen ist, den Mächten des Westens einen Plan zur Wiedervereinigung vorzutragen. Denn irgend etwas muß sie sich nach dieser Richtung schon einfallen lassen.
    In der Erwartung, daß sich eine solche Zusammenarbeit ermöglichen läßt, in der Erwartung, daß diese Zusammenarbeit eine gemeinsame Grundlage für die Führung unserer Außenpolitik bringt, möchten wir uns für diesen Augenblick nur auf die Feststellung weniger Punkte, die für die Außenpolitik bedeutsam sind, beschränken.
    Zunächst: Nach unserer Auffassung sollte unsere Außenpolitik geschmeidiger, wendiger und geräuschloser sein. Es ist nicht nötig, daß wir unsererseits sofort zu jedem Ereignis irgendwo in der Welt ungefragt Stellung nehmen. Es ist nicht richtig, sich selbst feste Dogmen zu geben und diese auch noch öffentlich zu plakatieren. Man legt sich



    Dr. Becker (Hersfeld)

    nicht selbst Fesseln an, und man sagt in der Politik niemals: niemals.
    Eine größere Zurückhaltung in Äußerungen über andere Mächte ist — dies sei übrigens auch an die Adresse anderer Minister gesagt — sehr anzuraten. Unbedachte, donnernde Worte im Wahlkampf können sich zwar am Wahltag durch höhere Stimmenzahl scheinbar bezahlt machen; die wirkliche Zeche bezahlt aber nach den Wahlen das ganze Volk.
    Nachdem die FDP ihre Auffassung zur Frage des Abbruchs der Beziehungen zu Belgrad schon im Auswärtigen Ausschuß geäußert hat, hoffen wir, daß die endgültige Erledigung dieser Frage bald in dem vorgeschlagenen Aussprachegremium zur Debatte gestellt wird. Es kommt uns nun darauf an, nicht in der Vergangenheit zu wühlen, sondern für die Zukunft die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Auf gut deutsch — ich bitte, einmal einen trivialen Ausdruck zu entschuldigen —: Wir wollen mithelfen, die Kuh vom Eis zu bringen.
    Und weiter: Wir wollen immer beachtet sehen, daß die Bundesrepublik nur ein Teil Deutschlands, insoweit also nur ein Provisorium ist, daß ein wirklicher deutscher Staat erst dann entsteht, wenn das deutsche Volk in ihm wiedervereinigt und Berlin seine Hauptstadt ist. Alle unsere Arbeit sollte auf dieses Endziel abgestellt sein.
    Vorhin war von einem Nationalismus die Rede, der sich in den Liberalismus geflüchtet habe. Ach, meine Damen und Herren. wenn man diese Politik der Wiedervereinigung etwa diffamierend ,,nationalistisch" nennen will — bitte schön, meine Herren, was ist denn dann national? Ich sage Ihnen eins: wenn es je eine nationale Frage gegeben hat, dann war es die Wiedervereinigung für Deutschland, die im Westen und die im Osten!

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Ferner: Unsere vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Westen sind loyal einzuhalten. Mit dem Rücken angelehnt an unsere Verbündeten im Westen schauen wir Deutsche nach Osten mit gespannten Sinnen, aber auch mit ruhiger Gelassenheit.
    Weiterhin sage ich für die, die das Berliner Programm der Freien Demokraten vielleicht nicht vollständig gelesen haben, noch folgendes. In Ziffer 8 des Berliner Programms unserer Partei heißt es:
    Wer die Freiheit für sich und sein Volk will, erkennt sie auch für die anderen Völker an. Wir sind bereit, unsere Freiheit mit allen Kräften zu verteidigen. Die FDP bejaht daher eine Wehrpolitik, die der politischen und geographischen Lage der Bundesrepublik, den militärischen Gegebenheiten und der Entwicklung der Rüstungstechnik entspricht.
    Das werden wir befolgen. Wir warnen aber vor Panik. Künstliche Monde zwingen ja wohl jeden zur Hochachtung vor denen, die sie erfunden und hergestellt haben; sie werfen aber meiner persönlichen Ansicht nach das atomare Gleichgewicht hier auf unserer Erde mindestens im Augenblick noch nicht um. Hitler glaubte einst, dd er mit dem
    Besitz der modernsten Panzerdivisionen und StukaFlieger den Sieg in der Hand halte. Er schlug deshalb 1939 los, brachte uns aber nur ins Verderben. Wir haben die Hoffnung, daß die Herren im Kreml, auch wenn sie sich rüstungstechnisch etwa in der Vorhand glauben sollten, klüger sind, als es Hitler war. Wir glauben das gleiche ohne weiteres vom Pentagon und glauben ebenso, daß die SuezErfahrungen des vergangenen Herbstes auch andere Staaten beeindruckt haben.
    Und endlich: Meine Altersgenossen haben noch die Jahre vor dem ersten Weltkrieg wachen Auges miterlebt. Auch damals Steigerung der Rüstungen auf beiden Seiten. Jeder Rüstungsfortschritt auf der einen Seite mußte von der anderen Seite ausgeglichen werden. Auch damals Reden, aufgeregte Reden, die als Drohungen aufgefaßt wurden, obwohl sie nicht immer so gemeint waren. Auch damals das Gefühl, durch eine übermächtige Konstellation eingekreist zu sein. Auch damals die Bildung zweier Blöcke, des Dreibundes und der Triple-Entente, und dann kam das Attentat von Serajewo und kam der 1. August 1914. Die Zeitumstände von heute erinnern manchmal in beängstigender Weise an die Zeiten von damals.
    Es bleibt die Hoffnung, daß die führenden Männer in allen Staaten Ruhe und Vernunft bewahren. Wenn aber diese Hoffnung auf Bewahrung von Ruhe und Vernunft begründet ist, dann doch nun die folgende Frage: Wie lange soll dieser Zustand der drohenden Reden, der gegenseitigen Rüstungssteigerung, der Sammlung in zwei feindlichen Blöcken, wie lange soll dieser Kalte Krieg eigentlich noch dauern? Zwei Jahre, fünf Jahre, zehn Jahre, zwanzig Jahre? Und dann? — Was dann? Worauf wartet man? Etwa auf ein Wunder? Sollte die derzeitige Politik, die auf jeden Sputnik einen anderthalben setzen möchte, wirklich das Ende aller Weisheit sein? Diese Frage richtet sich an alle, die es angeht, auch und insbesondere an den Osten.
    Daran knüpft sich die weitere Frage: Gibt es neben Politikern auch noch Staatsmänner auf dieser Erde, Staatsmänner, die diesen Namen verdienen, Staatsmänner, die den Weitblick und die Autorität haben, um es unternehmen zu können, den unheildrohenden Circulus vitiosus, diesen scheinbar ausweglosen Zauberkreis zu durchbrechen und aus ihm herauszuführen?
    Mit der Regierung begrüßen wir deshalb die Abrüstungsverhandlungen, die in Gang gekommen sind und in Gang gehalten werden müssen.
    Schwierig wird die Frage der Kontrolle einer Abrüstung sein. Die Kontrolle wird aber weniger nötig und ihre vertragliche Festlegung und ihre Durchführung wird weniger schwierig sein, wenn es gelingt, im Anschluß an die mehr militärtechnische Frage der Abrüstung das allseitige Mißtrauen zu beseitigen. Dies ist unserer Auffassung nach nur möglich, wenn die Differenzen, die sich über den ganzen Erdteil erstrecken — Korea, Vietnam, Suez, Mittelost, das geteilte Deutschland und gespaltene Europa —, im Anschluß an eine solche Abrüstungsvereinbarung gelöst werden,



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Wir hoffen, in den auch von uns begrüßten und mitangestrebten laufenden Aussprachen zwischen Parlament und Regierung zu erfahren, ob sie eine Ostpolitik in diesem Sinne mittreiben will und welcher Art sie sein soll. Die Regierungserklärungen der letzten Wochen hierzu waren widerspruchsvoll. Zwischenzeitlich empfehlen wir aber der Regierung das Studium jener Politik, die vor etwa 30 Jahren Gustav Stresemann so erfolgreich durchgeführt hat.
    Nun zur Wirtschaftspolitik. Im Frankfurter Wirtschaftsrat 1948 waren die Freien Demokraten die Kerntruppe, die zusammen mit dem Herrn Bundesminister Erhard die Zwangs- und Planwirtschaft beseitigt, eine freie Wirtschaft eingeführt hat. Wir haben sie durchgeführt und durchgehalten, auch wenn Perioden der Anfechtung, des Zweifels an ihr, der Versuchung, die berühmten in den Plakaten so abgeleugneten Experimente zu machen, insbesondere aus Kreisen der CDU, kamen, wie z. B. 1950/51. Wir werden diese Politik weiterführen, auch wenn etwa durch eine im Hintergrund immer vorhandene Koalition zwischen Rot und Schwarz Experimente gegen diese Politik versucht werden sollten.

    (Abg. Wehner: Ihre Opposition mit Rabatt!)

    Wir lehnen unsererseits alle marxistischen und sozialistischen Experimente ab. Wir haben deshalb auch dem Gesetz vom 24. Dezember 1956 — es ist noch gar nicht lange her — nicht zugestimmt, welches der Bundesregierung — auch einer SPD-Regierung — mit den Stimmen der CDU die Macht gegeben hätte, im Wege der einfachen Rechtsverordnung Zwangs- und Planwirtschaft auf dem gewerblichen Sektor wieder einzuführen. Wir lehnen auch jede mittelbare Kollektivierung, mit anderen Worten, wir lehnen jeden Staatskapitalismus ab, weil er im Endergebnis zu den gleichen schädlichen Folgen führt wie eine unmittelbare Verstaatlichung.
    In den vergangenen Jahren war es immer hochinteressant, hier die Debatten über die Grundsätze der Wirtschaftspolitik, über die Frage der Verstaatlichung, der Sozialisierung und was alles damit zusammenhängt, zu verfolgen. Wir haben heute eigentlich fast nichts davon gehört, und ich frage mich nur immer wieder, ob das Schweigen zu diesem Punkte vieldeutig oder eindeutig war.
    Für die Urproduktion, nämlich den Bergbau und die Landwirtschaft, wird in einigen Punkten eine von der freien Marktwirtschaft abweichende Regelung Platz greifen müssen, weil eben die Gegebenheiten dort verschieden sind. Wir fragen die Bundesregierung — um vom Bergbau zu sprechen —, ob es richtig ist, daß der Bergbau schon vor den Wahlen eine Preiserhöhung angekündigt hat und welche Rechtsgrundlagen die Regierung hat, um sich in Verhandlungen hierüber einschalten zu können, ferner ob die Begründung der Preiserhöhung richtig und gerechtfertigt ist oder nicht, und wir fragen weiter, wie weit es mit der Durchführung des Kartellgesetzes steht.
    Was die Landwirtschaft betrifft, so sind die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers für die Landwirte — nach Ansicht meiner Freunde in unserer
    Fraktion — sehr enttäuschend. Seit seinen Rhöndorfer Versprechungen hat der Herr Bundeskanzler sich wiederholt zu der Lage der Landwirtschaft geäußert. Das, was er jetzt gesagt hat, ist unverbindlich und bringt keine neuen Gesichtspunkte, enthält insbesondere — trotz Anwesenheit und Mitgliedschaft fast aller Bauernverbandspräsidenten in der Fraktion der CDU — keine Stellungnahme zu den von den Bauernverbänden sehr oft geäußerten Wünschen. Was bedeutet z. B. der Hinweis in der Regierungserklärung darauf, daß die im Landwirtschaftsgesetz festgelegten Grundlinien sich bewährt haben, wenn insbesondere der § 1 dieses Gesetzes über die Beseitigung der Disparität mit Mitteln der Handels- und Kreditpolitik nicht ausreichend zur Anwendung gelangt? Die Handelspolitik, die Einfuhrpolitik war — Herr Staatssekretär Sonnemann selbst ist dafür Zeuge — für die Landwirtschaft schädlich; Einsparungen oder Verbilligungen der Produktionsmittel zugunsten der Landwirtschaft konnten im Haushalt der Landwirtschaft diesen Schaden nicht wieder ausgleichen. Die Landwirtschaft war im Gegensatz zur industriellen Wirtschaft nicht in der Lage, die notwendigen und erwünschten Investitionen über den Preis zu finanzieren. Die Folge für die Landwirtschaft war steigende Verschuldung. Wir fragen, ob nicht geplant ist, der Landwirtschaft Investitionshilfe zu gewähren; wann und wie? Es ist bekannt, daß die Erzeugerpreise in der Landwirtschaft auf entscheidenden Gebieten nach wie vor niedriger liegen als noch 1950/51 und daß die Landwirtschaft an den trotzdem sehr erheblich gestiegenen Verbraucherpreisen nicht teilhat. Die Landwirtschaft hat deshalb von sich aus und durch ihre Verbände den kostendeckenden Preis gefordert. Wenn die Regierungserklärung in Verbindung mit der Tatsache, daß der bisherige Herr Minister für Ernährung und Landwirtschaft nicht ausgewechselt ist, einen Sinn haben soll, dann doch den, daß der von der Landwirtschaft geforderte kostendeckende Preis nicht herbeigeführt werden soll, daß vielmehr das bisherige Programm des Herrn Ministers Dr. Lübke weitergeführt werden soll. Die Krise in der Landwirtschaft ist im wesentlichen keine Folge einer falschen Agrarstruktur — im wesentlichen —, sondern die Folge einer falschen Agrarpolitik. Die Beseitigung struktureller Mängel in der deutschen Landwirtschaft würde selbstverständlich auch von uns begrüßt werden. Solange aber auch heute strukturell gesunde und gut bewirtschaftete Betriebe noch hinter der allgemeinwirtschaftlichen Entwicklung zurückbleiben, ja noch obendrein verschulden, ist eine solche Agrarpolitik unserer Auffassung nach nicht in Ordnung. Es nützt auch nichts, meine Damen und Herren, alle vier Jahre die durch nichts mehr zu rechtfertigende Überlastung der Bäuerin mit bewegten Worten zu schildern, von der Unzulänglichkeit der Landarbeiterlöhne und der daraus resultierenden Landflucht zu sprechen, wenn deren Ursachen nicht beseitigt werden.
    Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß er für gute Ratschläge dankbar sei. Wir verweisen unsererseits auf die zahlreichen Vorschläge und Ausarbeitungen gerade der Bauernverbände und wir



    Dr. Becker (Hersfeld)

    verweisen auch auf die Anträge, die von der FDP-Fraktion schon in der vergangenen Session gestellt wurden. Sie enthalten das Material, nach dem der Herr Bundeskanzler gefragt hat. Eine Agrarpolitik, die sich darin erschöpft, einen großen und für die Nation lebensnotwendigen Berufsstand dauernd von Subventionen abhängig zu machen, ist in ihrem Kern falsch.
    Während des Wahlkampfes hat die CDU ein neues Agrarprogramm veröffentlicht; wenigstens stand es in der Presse. Dessen Kern war der kostendeckende Preis. Die Regierungsvorlage kündigt eine davon abweichende Stellungnahme an: Wir fragen, was nun in der Zukunft eigentlich für die Landwirtschaft gelten soll: die Versprechungen in der Wahlzeit oder die Fortsetzung des Programms des Herrn Lübke? Wir fragen auch, welche Politik die Herren Vertreter der Bauernverbände, die Mitglieder der CDU-Fraktion sind, nun ihrerseits billigen werden.
    Wir sind andererseits mit der Regierung der Auffassung, daß Eigentum in weitem Maße, nicht nur auf dem Gebiet der Landwirtschaft, neugebildet werden soll. Die Neubildung von Eigentum hat aber zur Voraussetzung, daß zunächst das bestehende Eigentum erhalten bleibt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ein Stiefkind der Wirtschaftspolitik ist der gewerbliche und kaufmännische, auch der freiberufliche Mittelstand. Wir lenken die Aufmerksamkeit der Bundesregierung wiederholt auf diese Tatsache, auch auf die Unruhe und Unzufriedenheit, die sich dieserhalb aller mittelständischen Kreise, auch der des unselbständigen Mittelstandes bemächtigt hat. Wir glauben, daß insbesondere auf steuerlichem Gebiet hier der Hebel anzusetzen ist. Ich werde deshalb bei der Erörterung der Finanz- und Steuerpolitik noch darauf zu sprechen kommen.
    Nun noch ein Wort zur Saar. Die Übergangszeit an der Saar schafft schwierige Verhältnisse. Die Frankenabwertung vermehrt die Schwierigkeit dieser Verhältnisse. Wir bitten die Regierung dringend, sich mit großer Aufgeschlossenheit auch dieser Dinge anzunehmen, und zwar im Einvernehmen mit der Regierung des Saarlandes.

    (Sehr wahr! bei der FDP.)

    Nun zur Steuer- und Finanzpolitik. Von unserem freiheitlichen Standpunkt aus muß der Grundsatz einer jeden Steuer- und Finanzpolitik der sein, den Staat, überhaupt jede öffentliche Körperschaft, sobald deren Existenzminimum gesichert ist, knappzuhalten und dafür die Bürger des Staates zu Wohlstand gelangen zu lassen und nicht umgekehrt. Wenn die öffentliche Hand zu viel Geld hat — siehe Juliusturm —, wird es nur ausgegeben, und erst recht dann, wenn Wahlen in Sicht sind. Jeder öffentliche Haushalt muß am Rande des Defizits wandeln; dann wird es richtig.
    Wir wiederholen unsere Forderung nach Einführung der Bundesfinanzverwaltung. Eine Einsparung einerseits und, bei grundsätzlicher Niedrighaltung der Steuersätze, ein Mehraufkommen andererseits sind dadurch gewährleistet.
    Es muß festgestellt werden, ob nicht Ausgaben, die außerordentlicher Art sind, z. B. Umgestaltung und Ausbau der Autobahnen und der Bundesstraßen, auch der Bau von Kasernen, auf dem Anleihewege statt durch Steuern finanziert werden können. Nach dem ersten Weltkrieg bzw. nach der ersten Inflation ist der Straßenausbau in den einschlägigen Provinzen Preußens, z. B. in meiner Heimat, mit Erfolg über den Anleiheweg durchgeführt worden. Wird dieser Weg gewählt, dann hat die Generation, die durch Krieg und Kriegsfolgen finanziell schon besonders stark mitgenommen wurde, für solche Ausgaben jeweils nur Zinsen und Abträge aufzubringen. Der Einwand, es sei kein Kapitalmarkt vorhanden, kann demgegenüber nicht durchschlagen. Wenn die Steuerschraube nicht so übermäßig angedreht würde und wenn nicht die Abgaben aller anderen Art, z. B. auch die hohen Sozialabgaben, am Einkommen zehrten, würde sich allmählich auch ein Kapitalmarkt bilden können.
    Außerdem besitzt der Bund recht beträchtliche Vermögenswerte. Der Bund möge sie auf dem Wege der Reprivatisierung zu Geld machen. Mir fällt ein: In Richard Wagners Oper „Siegfried" ruft der in einen Lindwurm verwandelte Fafner, der auf seinem Nibelungenhort hütend sitzt, dem anstürmenden Siegfried entgegen: „Hier liege ich und besitze, laß mich schlafen!"
    Herr Kollege Ollenhauer hat davon gesprochen, daß er gegen eine Verwirtschaftung des Bundesvermögens sei. Meine politischen Freunde, die mit dem neuen Herrn Bundesminister Lindrath in den letzten vier Jahren zusammengearbeitet haben, sind der Hoffnung, daß dieser aus der Praxis kommende Herr Mittel und Wege finden wird, diese Schätze des Bundes zu mobilisieren, Bundeseigentum soweit als möglich zu reprivatisieren und dann mit dem Erlös den zuvor angedeuteten Straßen- und Autobahnausbau und Kasernenbau auf dem Wege des außerordentlichen Etats zu finanzieren.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir brauchen dann sogar noch nicht einmal Zinsen und Abträge aufzubringen. Vielleicht wird der Herr Bundesschatzminister — beinahe hätte ich „Bundesschatzmeister" gesagt, ich bitte um Entschuldigung — Gelegenheit nehmen, auch seinerseits den zuvor von mir an den Herrn Wohnungsbauminister gerichteten Fragen nachzugehen, nämlich nach Höhe und Verbleib der Gelder, die aus der privaten Hand über den Steuerfiskus in die tote Hand im Wege von Landesbaudarlehen für Hypotheken usw. gelangt sind.
    Zur Einkommen- und Körperschaftsteuer noch folgende Einzelwünsche. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mit konkreten Dingen komme; ich möchte das, was in der Regierungserklärung alles fehlt, hier ein bißchen nachholen.
    Erstens: Wann wird das von uns schon immer geforderte und durch die bekannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig gewordene gerechte Ehegattenbesteuerungsgesetz kommen? Bei dessen Fassung ist zu beachten, daß nach dem Gleichberechtigungsgesetz zivilrechtlich ein Aus-



    Dr. Becker (Hersfeld)

    gleich des Ehegewinns als Grundsatz angenommen ist, daß also zivilrechtlich gesehen das Einkommen eines jeden Ehegatten zu einem gewissen Bruchteil als Einkommen des anderen gewertet wird. Es ist also nicht so, daß nur dann, wenn beide Ehegatten berufstätig sind, sondern es ist so, daß für alle Ehen eine derartige Aufspaltung des Einkommens vorgenommen werden muß und daß dann selbstverständlich auch der jedem Steuerpflichtigen zustehende allgemeine Freibetrag jedem Ehegatten zustehen muß.
    Ferner: Kann man nicht wieder die Besteuerung nach dem dreijährigen Durchschnitt einführen, d. h. nach dem Durchschnitt der jeweils drei letzten Jahre, so wie es in dem Steuersystem Miquel vorbildlich vorgesehen war und funktioniert hat? Der Vorteil liegt auf beiden Seiten, sowohl für den Staat wie für den Steuerpflichtigen und hier insbesondere für die Mittelstandskreise.
    Weiter: Wir haben in der Vergangenheit eine lineare Herabsetzung der Einkommen- und Lohnsteuer gefordert, jedoch ohne Erfolg. Zu unserer Überraschung lasen wir während des Wahlkampfes, daß das Bundesfinanzministerium nunmehr eine „große" Steuerreform ausarbeite und als deren Kernstück eine Herabsetzung der Einkommen- und Lohnsteuer um 10 % plane. Sind diese Berichte richtig? Waren sie richtig? Sind sie etwa überholt? Besteht die Absicht, dann die Frage: Warum konnte sie dann nicht schon im vergangenen Bundestag, wo die Mehrheitsverhältnisse ähnlich waren, durchgeführt werden? Soll die nunmehr in eine sogenannte „echte" Steuerreform umgetaufte Steueränderung auch diese lineare Herabsetzung bringen oder nicht? Der Mittelstand hat sie besonders nötig, um Eigenkapital bilden und teure Kredite vermindern zu können.
    Eine Kleinigkeit noch. Warum hat z. B. der Versicherungsnehmer in der privaten Kranken-, in der privaten Unfall-, in der privaten Lebensversicherung eine Versicherungsteuer zu zahlen, die bei der Sozialversicherung — mit Recht — nicht erhoben wird?
    Eine lineare Steuerermäßigung in einem besonderen Ausmaß ist möglich, wenn die vielen jeweils nur einzelne Gruppen betreffenden Steuervergünstigungen nach unseren wiederholt gemachten Anregungen beseitigt werden, dafür aber eine allgemeine Herabsetzung des Tarifs erfolgt. Jedem Steuerzahler und der Finanzverwaltung wird damit unendlich viel Arbeit erspart und dem Grundsatz der Gleichheit und Gerechtigkeit besser Genüge getan als vorher. Es ist nicht nötig, daß jemand, wenn er Geld zurücklegen, wenn er sparen will, es steuerfrei nur für ganz bestimmte Zwecke und nicht für jeden ihm selber richtig erscheinenden Zweck zurücklegen kann.
    In der Steuergesetzgebung ist der Mittelstand vor allem in folgendem zu kurz gekommen. Er kann nicht die gleichen Vorteile erhalten, welche Großunternehmen dadurch haben. daß bei ihnen ein Teil der Einnahmen als Abschreibungen steuerfrei bleiben. Hier kann dem Mittelstand jeder Art, der eben keine materiellen Dinge hat, auf die er abschreiben kann, nur durch eine fiktive Abschreibungsmöglichkeit, nämlich durch eine Abschreibung auf das, was der Mittelständler durch Lehre, Ausbildung und Studium, durch seine Erfahrung, durch sein Können und Wissen, durch seine Handfertigkeit als Kapital in seinem Betrieb investiert hat und mitarbeiten läßt, geholfen werden. Denn wenn der Staat an den Erträgnissen, die mit Hilfe dieses in Wissen und Können bestehenden Betriebskapitals verdient werden, seinen Steueranteil haben will, dann muß er auch zur Erhaltung dieses Kapitals dadurch beitragen, daß er eine fiktive Abschreibung hierauf in anständigem Ausmaß gestattet. Aber in Deutschland wird ja ein Maschinen- und Warenvorrat höher bewertet als geistiges Eigentum, als Erfahrung und Können.
    Schließlich noch eine besondere Anregung. Die Gemeinden leiden finanziell not, auch deshalb, weil ihnen durch die Gesetzgebung des Bundes und der Länder immer neue Aufgaben mit neuen Ausgaben, aber keine neuen Einnahmen überwiesen werden. Die Selbstverantwortung der Gemeinden besteht heute praktisch nur noch in der souveränen Feststellung der Ausgaben, aber nicht mehr der der Einnahmen. Grundvermögen- und Gewerbesteuer sind die Einnahmen, über welche die Gemeindekörperschaften allein bestimmen können. Das heißt, 100 Prozent der Bevölkerung beschließen eine Steuer, welche nur von etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung zu bezahlen ist. Wir fragen, ob die Bundesregierung gewillt ist, in Zusammenarbeit mit den Ländern diese Benachteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände zu beseitigen und diesen Steuerquellen zu überweisen, die sie als echte eigene Steuerquellen in eigener Verantwortung für die Gemeindefinanzen nutzbar machen können. Die gesamte Belastung der Bevölkerung darf damit nicht höher werden. Es soll aber eine Herabsetzung der Gewerbesteuer und der Grundvermögensteuer in den Gemeinden erreicht werden.
    Alles in allem: Wir wünschen dem neuen Bundesfinanzminister, dessen Persönlichkeit und Tatkraft wir zu schätzen wissen, den Mut, neue Wege zu beschreiten. Sollten von der Rosenburg dann etwa Unkenrufe ertönen, so mag er sich dadurch nicht erschrecken lassen. Die Währung wird nicht dadurch gesichert, daß Geld in den Staatskassen gehortet wird.
    Nun zur Lohn-und-Preis-Spirale! Wir hätten außer der allgemeinen Ankündigung in der Regierungserklärung, daß das Preisniveau zu erhalten ist, in dieser Regierungserklärung gern etwas Näheres über das „Wie" gehört. Wir fragen deshalb: Wie stellt sich die Regierung zu der aus dem Ausland kommenden Forderung der Aufwertung des Kurses der D-Mark? Wie stellt sich die Regierung zu dem Gedanken, die Parität der Währungen, wie sie so erfolgreich im ganzen 19. Jahrhundert bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges bestanden hat, d. h. über den Goldpreis, im Wege einer internationalen Vereinbarung wieder herbeizuführen? Wir wissen, daß eine solche Regelung natürlich nicht von uns allein herbeigeführt werden könnte; aber wir möch-



    Dr. Becker (Hersfeld)

    ten wissen, ob die Regierung bereit und in der Lage ist, Schritte in der Richtung auf dieses Ziel zu unternehmen. Es handelt sich darum, die Währungen in Ausgleich zu bringen und damit praktisch auf dem ganzen Weltmarkt die Preise wieder annähernd in diejenige stabile Lage zu bringen, in der sie vor dem ersten Weltkrieg waren.
    Und weiter: Ist die Regierung bereit, einem Gesetzentwurf zur Durchführung zu verhelfen, der in Anlehnung an das schweizerische Muster zum Ziel hat, eine Umschichtung eines Teiles des Devisenschatzes in Lagervorräte an lebenswichtigen Rohstoffen zu erzielen und damit die kontinuierliche Versorgung und die kontinuierliche Produktion auch für solche Fälle zu sichern, in denen die Zufuhren durch krisenhafte Umstände, durch Verkehrsunterbrechungen und ähnliches bedroht werden können?
    Schließlich: Lohnstreitigkeiten — wir sprechen ja von der Lohn-und-Preis-Spirale — und Tarifabschlüsse können, wenn es sich um wesentliche Gebiete des Wirtschaftslebens handelt, wirtschaftliche Folgen haben, die weit über den Kreis der zunächst direkt betroffenen Unternehmungen und Arbeitnehmer hinausgehen. Solche Tarifabschlüsse und Lohnstreitigkeiten können weit über den Rahmen des Wirtschaftszweiges hinaus auf die Kaufkraft der Deutschen Mark einwirken. Die FDP-Fraktion hat in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf eingebracht und hat ihn jetzt erneuert, der diesen Gefahren Rechnung tragen soll. Wir wollen damit nicht einen Zwangsschiedsspruch. Wir wünschen aber, daß die Begehren der einen oder anderen Seite, wie sie in Schiedsverhandlungen — die wir auch durchgeführt wissen möchten — zum Ausdruck kommen, öffentlich bekanntwerden, ehe solche Streitigkeiten ausbrechen und ehe neue Tarifverträge abgeschlossen werden. Wir wünschen darüber hinaus, daß das jeweils zur Rede stehende Begehren hinsichtlich seiner Auswirkung auf die Volkswirtschaft und auf die Kaufkraft der Deutschen Mark geprüft wird. Eine unparteiische Kommission, an deren Spitze der Präsident der Bundesbank stehen müßte, sollte dazu gutachtlich gehört und dieses Gutachten sollte ebenfalls der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden. Auf diese Weise soll die öffentliche Meinung mobil gemacht und in die Lage versetzt werden, zu diesen Meinungen der Vertragspartner und diesen eben genannten Gutachten öffentlich Stellung zu nehmen. Eine Frist sollte zwischen der Veröffentlichung dieser Unterlagen und dem Abschluß neuer Tarifverträge eingeschaltet werden.
    Wir richten an die Bundesregierung und an dieses Hohe Haus die Bitte, alle diese angedeuteten Probleme zu durchdenken und zu einer baldigen Lösung mit beizutragen. Die Aufrechterhaltung der Kaufkraft unserer Mark ist eine wesentliche Forderung unserer Partei.
    Nun zur Sozialpolitik. Es ist unsere selbstverständliche Pflicht und wird unsere selbstverständliche Pflicht bleiben, uns aller derer, die staatlicher Hilfe bedürfen, mit Sorgfalt anzunehmen. Die Kriegsopfer und ihre Hinterbliebenen, die Heimkehrer, die Evakuierten und Kriegsgeschädigten aller Art und ihre Sorgen und Nöte sollten stets von uns beachtet werden. Nach bester Möglichkeit muß ihnen Gerechtigkeit widerfahren. Der Grundsatz, Gerechtigkeit erhöhet ein Volk, muß insbesondere auf diesem Gebiet seine Geltung finden. Die Heimatvertriebenen — und wir stimmen auch hier der Regierungserklärung zu — sollen auch in diesem Bundestag zu ihrem Recht kommen. Das Ziel muß sein, sie so weit wie möglich in das Wirtschaftsleben einzugliedern. Wir fragen deshalb, ob nicht die Hauptentschädigung, auf die noch sehr viele warten, schneller ausgezahlt werden kann, so schnell, daß auch die Alten in ihrem Leben noch etwas davon haben.
    Das Recht auf die Heimat muß anerkannt und geachtet werden. Es sollte ein Teil des international geltenden Rechts werden. Unabhängig von bestehenden oder kommenden Staatsgrenzen muß für jeden Menschen im Lande seiner Geburt oder seines langjährigen Wohnsitzes das Recht zum Aufenthalt, das Recht zur Rückkehr dahin, das Recht zur Niederlassung daselbst und alles das in Gleichberechtigung mit den anderen Bewohnern dieses Landes zugebilligt und gesichert werden. Diese Rechtssätze zu schaffen und zur Geltung zu bringen, wird unsere Aufgabe sein müssen.
    Auch über die genannten Kreise hinaus wird die Regierung allen Anforderungen sozialer Art aufgeschlossen und mit dem Gefühl für soziale Gerechtigkeit gegenüberstehen müssen. Wir werden davon auszugehen haben, daß folgende Punkte das beste Stück einer guten Sozialpolitik im weiteren Sinne sein müssen: die Fortführung der bisherigen Wirtschaftspolitik, die möglichst vielen zu Arbeitsplätzen und Brot, also zu einer festen und sicheren Stellung im Wirtschaftsleben verhilft, und sodann eine Steuerpolitik, die es durch Herabsetzung der Steuern ermöglicht, Ersparnisse zu machen, Eigenkapital zu bilden, damit Krisenzeiten zu überstehen und Vorsorge für Krankheit und Alter auch unter eigener Verantwortung und aus eigener Kraft zu treffen. Als letzter Teil einer guten Sozialpolitik von diesen dreien: eine gute Währungspolitik, die Erhaltung der Kaufkraft aller Gehälter und Löhne, aller Pensionen und Renten und aller Ersparnisse muß Hauptaufgabe sein.
    Die Angst vor der Inflation führt dahin, daß ein Kühlschrank z. B. als eine inflationssicherere Anlage gilt als ein Sparbuch. Die Politik der Bundesregierung muß dahin gehen, daß das Sparbuch mindestens als eine so wertbeständige Anlage angesehen werden kann wie ein allmählich doch veraltender Kühlschrank. Ein gutes Sparbuch wird dann die Möglichkeit geben, auch den Kühlschrank zu kaufen, und nicht nur auf Stottern, sondern unter Ausnutzung eines Barzahlungsrabatts ihn sogar billiger zu erwerben.
    Eine nominelle Erhöhung der Einkommen jeder Art, deren Kaufkraft dann aber immer wieder durch andere Maßnahmen schwindet, ist ein fragwürdiger Vorteil. Zerrüttete Finanzen, schleichende Inflation sind alles andere, nur keine Sozialpolitik.



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Da aber, wo unser Ziel, dem Menschen durch Wirtschafts- und Steuerpolitik Sicherheit zu geben, nicht zu erreichen ist, wird die Sozialpolitik eingreifen müssen. Wir sind dabei der Meinung, daß von den Grundlagen unserer staatlichen Sozialversicherung, wie sie jahrzehntelang mit Erfolg geführt worden ist, nicht abgewichen werden sollte, daß aber auch hier keinerlei Experimente gemacht werden dürfen. Wir sind — und in der Regierungserklärung kam das wohl auch zum Ausdruck — der Auffassung, daß das Gefühl der Eigenverantwortung für die eigene Zukunft und die der Familie sehr viel mehr gestärkt werden müßte. Unser Freund Willi Weyer hat einmal auf ein amerikanisches Sprichwort verwiesen, das da lautet: „Suchst du eine helfende Hand, dann schaue zunächst auf die Hand an deinem eigenen Arm!" Wir Abgeordneten müssen uns auch immer darüber klar sein, daß jede Mark, die wir irgend jemandem geben, zuvor einem anderen genommen werden muß. Unser Freund Reinhold Maier hat einmal mit Recht gesagt: „Wer vielen geben will, muß vielen zuvor nehmen, und wer vielen viel geben will, muß vielen viel nehmen."
    Wir werden darauf achten müssen, daß nicht allzu große Anforderungen das Preisniveau in die Höhe treiben. Wir dürfen auch die Arbeitnehmer nicht in einer Weise belasten, daß sie sich fragen, ob nicht die Summe dessen, was von ihnen im Laufe der Jahre einzuzahlen ist, die Summe dessen übersteigt, was sie je wieder herausbekommen können. Auch die Arbeitnehmer, Angestellte und Arbeiter, haben immer mehr den Wunsch, sich mindestens zu einem Teil in Zukunft selbst zu helfen und hierbei frei und unabhängig zu werden und zu bleiben.
    Die Regierungserklärung war bei der Ankündigung dessen, was das Justizministerium uns bringen wird, ausnahmweise einmal etwas konkreter. Wir vermissen aber mindestens zweierlei. Erstens sollte die Zusammenfassung aller Gerichtsbarkeiten in der Hand eines Ministers, nämlich in der Hand des Justizministers herbeigeführt werden. Wir sind der Meinung, daß die Unabhängigkeit der Spezialgerichte, also z. B. der Verwaltungsgerichte, der Sozialgerichte, der Finanzgerichte, besser gewahrt ist, wenn die Aufsicht über diese Gerichte und damit auch die Ernennung der Richter in die Hand nicht des Finanzministers, nicht des Sozialministers, nicht des Ministers des Innern, sondern in die Hand des Justizministers gelegt wird.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir fragen, oh die Regierung bereit ist, eine derartige Maßnahme einzuführen, nachdem in einigen Ländern, z. B. in Schleswig-Holstein unter Führung unseres Parteifreundes Leverenz und in der Hansestadt Hamburg, ein Anfang gemacht ist und im Lande Niedersachsen das gleiche Bestreben schon vorangetragen wird.
    Ferner haben wir schon mehrfach den Wunsch geäußert, es möge eine einheitliche Prozeßordnung für alle Verfahrensarten geschaffen werden, etwa so, daß alle diejenigen Dinge, die bei allen Verfahrensarten irgendwie zu regeln sind, also die Einheitlichkeit der Fristen für alle Verfahren, dann alles, was mit dem Instanzenzug, mit der Einlegung von Rechtsmitteln an Formalitäten zusammenhängt, Ablehnung der Richter, Mitwirkung der Laien und vieles andere, einheitlich für alle Gerichte und Verfahrensarten zu regeln wäre, so daß dann nur die sich jeweils aus der Natur der verschiedenen Gerichtszüge und Gerichtsbarkeiten ergebenden Unterschiede getrennt in einer solchen gesamten Prozeßordnung spezialisiert zu werden brauchen.
    Noch einiges zum Verkehrswesen. Die Bundesbahn ist bis jetzt immer ein Zuschußunternehmen gewesen. Man spricht von Tariferhöhungen. Sie sollen 750 Millionen DM jährlich ausmachen, Wir fragen, ob das stimmt. Wie hoch wird dann aber immer noch der Zuschußbedarf bleiben? Man spricht in Fachkreisen von einem weiteren Defizit oder Zuschußbedarf von einer Milliarde D-Mark jährlich. Wir fragen den Herrn Minister, ob das stimmt.
    Über die Finanzierung des Straßenbaues, etwa durch Anleihen oder durch Mittel, die aus der Reprivatisierung von Bundesvermögen gewonnen werden können, habe ich bereits gesprochen. Ich bitte auch den Herrn Verkehrsminister, sich dieser Frage anzunehmen. Die Straßenbenutzer verweisen darauf, daß von dem von ihnen für die Zwecke der Straßen aufgebrachten Steuern insgesamt rund 7 Milliarden DM zweckentfremdet verausgabt worden sind. Auch wenn wir nicht das Dogma aufstellen wollen, daß jeder Pfennig aus diesen Steuern für Zwecke des Straßenbaues aufgewendet werden müsse, so ist doch die Summe dessen, was nicht dafür verwendet worden Ist, ungeheuerlich hoch.
    Das Spannungsverhältnis zwischen Schiene und Straße besteht nach wie vor. Die Straßen sind dringend ausbaubedürftig. Wir erinnern z. B. an die Strecke Frankfurt—Mannheim. Die Verkehrsunfälle haben durch Verringerung der Durchfahrtgeschwindigkeit etwas, aber nicht entscheidend abgenommen.
    Der Wiederaufbau der Passagierschiffahrt braucht auch Unterstützung.
    Kurzum, die Freien Demokraten müssen feststellen, daß acht Jahre Verkehrspolitik unter dem gleichen Verkehrsminister die Probleme nicht zu lösen vermocht haben. Alle Maßnahmen sind immer nur Flickwerk geblieben. Es fehlt eine grundlegende Konzeption über die Lösung des Verkehrsproblems im ganzen.
    Wir haben weiter folgende Einzelfragen hierzu. Will man etwa zwecks Europäisierung des Verkehrs die in § 72 Abs. 5 der Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrszulassungsordnung und der Straßenverkehrsordnung, nämlich über Abmessungen und Gewichte, vorgesehenen Fristen noch verlängern oder nicht? Will man die Bestimmungen über Maße und Gewichte wenigstens an die Genfer Konvention von 1949 anpassen, um einmal wirklich praktisch zu europäisieren?
    Ist die Regierung bereit, durch ein Wiederauflebenlassen des Gesetzes über Darlehen zum Bau



    Dr. Becker (Hersfeld)

    und Erwerb von Handelsschiffen vom 27. September 1950 die deutsche Passagierschiffahrt instand zu setzen, den Anschluß an die internationale Entwicklung zu finden?

    (Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt den Vorsitz.)

    Nun zum Familienministerium. Wir halten es nach wie vor für überflüssig.

    (Beifall bei der FDP.)

    Nicht deshalb, weil wir etwa die Werte der deutschen Familie nicht schätzten, sondern weil wir glauben, daß die Maßnahmen, die vom Standpunkt der Gesetzgebung aus die Familie berühren, also z. B. die Frage der Fürsorge, die Frage des Kindergeldes, der steuerlichen Begünstigung der Familie, von anderen Ministerien im Zusammenhang mit den eigentlichen Materien, die ich angesprochen habe, einheitlich getroffen werden sollten. Das Familienministerium wird stets zu Kompetenzstreitigkeiten mit anderen Ministerien führen. Die Überweisung der Zuständigkeit für Jugendfragen in ein solches Ministerium ändert an den soeben angedeuteten Bedenken nichts, sondern verstärkt sie nur. Wie soll z. B. die Betreuung des Sports geregelt werden? Soll diese, soweit sie den Jugend-, also den Schulsport betrifft, an das Familienministerium überwiesen werden und die Betreuung des
    Sportwesens im übrigen im Ministerium des Innern bleiben? Wir bitten um Antwort. Wir werden das Wirken dieses Ministeriums und seines Ministers im Hinblick auf die ihm überwiesene Zuständigkeit für Jugendfragen mit ganz besonderer Aufmerksamkeit verfolgen.
    Der Forschung und Heranbildung eines tüchtigen Nachwuchses, insbesondere auf dem Gebiet der Technik und der Chemie, sollte auch die Sorge der Regierung im Einvernehmen mit den Landesregierungen gelten. Wir hoffen und wünschen, daß bei der Gestaltung des Haushalts dieser Punkt sehr berücksichtigt wird. Wir bitten insbesondere, auch einmal zu beachten, wie groß die Zahl des technischen Nachwuchses in Deutschland jährlich und wie groß die Zahl des entsprechenden Nachwuchses in anderen Ländern, insbesondere z. B. in der Sowjetunion, ist. Meine Freunde glauben, daß wir hier allerhand nachzuholen haben, insbesondere wenn wir daran denken, daß wir mit so von uns ausgebildeten jungen Leuten vielleicht in unseren wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland, besonders auch zu den weniger entwickelten Ländern, durch Zurverfügungstellung solcher Kräfte vieles zu tun und vieles nachzuholen hätten.
    Ferner, was gedenkt die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Ländern zu tun, um dem großen Mangel an Schulräumen und Lehrkräften abzuhelfen? Der Schichtunterricht mit seiner Strapazierung der Kinder und der Lehrer, die mit ihm verbundenen Belastungen der Familie, vor allem der Hausfrau, sind unerträglich.

    (Abg. Kunze: Das ist Länderangelegenheit!)

    — Ich sagte ja: was der Bund im Einvernehmen mit
    den Ländern zu tun gedenkt. Sie ,werden sich entsinnen, sehr verehrter Herr Kollege, daß hier schon Anträge vorgelegen haben, eine finanzielle Unterstützung des Bundes und der Länder auf diesem Gebiet zu gewähren.
    Wir fragen weiter: Sollen in Verbindung mit der Reform des Krankenversicherungswesens auch neue Wege der Gesundheitspolitik beschritten werden? Wie steht es mit der immer schlimmer werdenden Lärmplage, mit der Verunreinigung der Luft und der Flüsse? Wie steht es, wenn die Länder hier auch etwas zu sagen hätten, mit der Erhaltung des Landschaftsbildes? Muß wirklich auf jeden Berg eine Sesselbahn gebaut werden? Kann man nicht die Einsamkeit der Berge und die Stille der Wälder, die Lieblichkeit unserer Täler und Höhen als beste Quelle der Erholung, so wie sie der Herrgott geschaffen hat, erhalten?
    Zum Abschluß noch etwas ganz anderes! Da wir nicht nur zu einer Regierungserklärung Stellung nehmen, sondern am Beginn einer neuen Bundestagssession auch grundsätzlich Stellung zu beziehen haben, bitte ich mir zu gestatten, noch folgende Gedanken zum Ausdruck zu bringen.
    Im Leben eines Volkes spielen wohl die Fragen der Wirtschaft, der Steuern, der Wohlfahrt, der Verteidigung, kurz, alle materiellen Dinge eine große Rolle. Aber es gibt noch andere ideelle Fragen, die auch ihre Bedeutung haben. Wir brauchen hier bei unserer Arbeit im Bundestag und brauchen draußen im privaten und öffentlichen Leben mehr Verständigungsbereitschaft untereinander, mehr Bereitschaft, auch die Meinung der anderen verstehen zu wollen. Aus dieser Verständigungsbereitschaft erwächst dann die Bereitwilligkeit der anderen Seite, die gleiche Bereitschaft zu üben. Der Weg zur Verständigung geht über die Verständigungsbereitschaft und er geht weiter über die Forderung — ich glaube, Herr Kollege Ollenhauer hat es angedeutet —, daß die persönliche Achtung vor uns allen, gegenseitig und auch draußen im Volk, bestehenbleiben sollte. Denn auch das lindert und mildert vieles. Wenn jeder bereit ist, auch die Sorgen des anderen zu verstehen, wird der Unzufriedenheit und dem übertriebenen Egoismus schon allein dadurch gewehrt.
    Auch für das Leben der Konfessionen und Kirchen untereinander und miteinander sollte das gleiche gelten. Wir sollten im Glauben des anderen das ehren und achten, was jedem am höchsten steht und ihn in seinem Innern zutiefst berührt. Weil diese religiösen Dinge als ein Arcanum, als heilig zu betrachten sind und zu gelten haben, konnten viele deutsche Menschen nicht verstehen, warum bei der Regierungsbildung die Konfession eine solche Rolle hat spielen müssen. Wir verstehen wohl — auch in Richtung auf die Verständigungsbereitschaft —, daß eine gewisse äußere Parität hat gewahrt werden sollen. Aber wir haben eine andere Meinung. Wir meinen nämlich, daß eine äußere Parität nicht immer der Ausdruck einer wirklichen inneren Toleranz und Heilighaltung ist.
    Daß der Mißbrauch der Religion zu politischen Zwecken von uns Freien Demokraten — und ich



    Dr. Becker (Hersfeld)

    glaube, auch von anderen — von jeher abgelehnt wird, sei nur am Rande erwähnt. Aber diese Ablehnung ist keine Stellungnahme gegen die Religion, sondern gerade ein Kampf für jedes religiöse Gefühl und für religiöse Duldung. Zum Schutz unseres Beamtentums und aller Behördenangestellten muß aber der Satz gelten, daß es für Einstellung und Beförderung nur auf Wissen, Können und Charakter, nicht aber auf das Parteibuch und die Konfession ankommen sollte.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Auch die Demokratie braucht ihre Ordnung, braucht Autorität und Würde, aber keinen protzenhaften Luxus. Bismarck empfing die Parlamentarier zu Bierabenden. Es ging und geht auch so. Wir sollten immer an die Zeiten denken, die noch nicht lange hinter uns liegen und die uns zu Bescheidenheit und Zurückhaltung Anlaß geben sollten. Wir sollten daran denken, daß die Zeiten noch nicht lange zurückliegen, in denen wir dankbar waren für die Hilfe, die von Schweden und aus der Schweiz und insbesondere durch den Marshall-Plan aus den Vereinigten Staaten zu uns kam. Wenn wir daran denken, dann wird für uns erst der Satz von Schiller richtig durchschlagend sein: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben; bewahret sie durch Einfachheit."
    Im 19. Jahrhundert sprach man vom Männerstolz vor Königsthronen. Die Königsthrone sind verschwunden. Und der Männerstolz?

    (Zurufe von der SPD: Auch!)

    Eine Demokratie kann ohne echte Demokraten nicht bestehen. Eine Demokratie muß sich dessen bewußt sein, daß man im Staat nicht nur Rechte geltend zu machen, nicht nur Forderungen an den Staat zu stellen hat, sondern daß es auch Pflichten gibt, Pflichten gegenüber der Familie, Pflichten gegenüber Staat und Allgemeinheit. Der Gedanke ist heute morgen schon einmal aufgeklungen; ich darf ihn noch ergänzen. Diese Maxime, daß man nicht nur Forderungen an den Staat stellen soll, sondern auch Pflichten gegenüber dem Staat hat, gilt nicht nur nach den Wahlen, sondern auch bei Bewilligungen vor den Wahlen. Echte Demokraten sollten auch Zivilcourage besitzen, den Mut zur eigenen wohlbegründeten Meinung. Wir sollten diese unsere eigene Meinung auch vor Massenversammlungen und auch vor den Mächtigen der Verbände haben, alles in Ruhe und Sachlichkeit. Wir verlangen auch Mut vor Ministersesseln — und auf Ministersesseln.

    (Beifall bei der FDP.)

    So wünschen wir dem deutschen Volke zu der nun beginnenden gemeinsamen Arbeit in diesem Hause guten Erfolg.
    Ein letztes möchte ich doch noch allen in unserem Vaterlande ans Herz legen, und das ist die Ehrfurcht, die Ehrfurcht vor der guten alten Sitte, die Ehrfurcht vor dem, was in deutscher Geschichte groß und gut war — das hat es auch gegeben —, die Ehrfurcht vor dem, was deutsche Menschen uns und der Menschheit gegeben haben, die Ehrfurcht vor Frauen und Müttern und die Ehrfurcht vor dem,
    der höher ist als alle Vernunft. Aus dem Altertum wird uns ein Wort des Sophokles übermittelt, das heißt: „Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch." Und doch kannte man im Altertum von den Himmelskräften, die der Mensch sich im Laufe der Jahrhunderte untertan gemacht hat, nur das Feuer, jenes Feuer, das der vorausdenkende Mensch — er wurde heute schon einmal in anderem Zusammenhang zitiert —, Prometheus, einst vom Olymp geholt hatte. Die Menschen damals hatten die Gefahren und die Nützlichkeit des Feuers erkannt. Sie hatten aber auch verstanden, sich diese Kraft untertan zu machen. Inzwischen hat die Menschheit andere Kräfte, mehr Kräfte und zuletzt mit der Atomkraft ein weiteres Quentchen jener unendlichen Schöpferkraft sich zu eigen machen gelernt. Der Mensch, der solche Gewalten zu entdecken und zu verwenden gelernt hat, muß zeigen, daß sein vom Sittlichen her gebändigter und von der Ehrfurcht geleiteter Wille gewaltig, noch gewaltiger als diese Himmelskraft ist. Wir sollten uns in Ehrfurcht beugen vor dieser Macht und vor dem, von dem sie stammt. Dann gilt das Wort: „Daß nur Menschen wir sind, der Gedanke beuge das Haupt dir." Aber zu dieser Erkenntnis kommt aus der gleichen Ewigkeit der Anruf, das Gebot, der Befehl, als freier, sich selbst zügelnder Mensch diese Naturkraft nicht zum Schlechten, sondern zum Guten, nicht zum Zerstören, sondern zum Frieden zu verwenden. Und dann heißt der Spruch in seiner Vollständigkeit so:
    Daß nur Menschen wir sind, der Gedanke beuge das Haupt dir.
    Doch daß Menschen wir sind, hebe dich freudig empor!

    (Beifall bei der FDP.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider (Bremerhaven).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte eine Bemerkung vorausschicken. Der Herr Kollege Ollenhauer hat seine Ausführungen damit eröffnet, daß er feststellte, in diesem Hause säßen nach der Wahl vom 15. September nur noch vier Fraktionen. Er hat sich dann dahin korrigiert, daß es, genau genommen, nur dreieinhalb Fraktionen seien. Wir nehmen diese Bemerkung mit Gelassenheit zur Kenntnis. Aber ich nehme mir die Freiheit, hier festzustellen, daß es die vornehmste Aufgabe in der Demokratie ist, die Rechte der Minderheit zu achten. Wenn man sie so wenig respektiert, wie Herr Ollenhauer das mit seiner, ich möchte sagen: ungezogenen Bemerkung getan hat, dann hat man kein Recht, sich als Gralshüter der Demokratie aufzuspielen, wie es die Sozialdemokraten immer so gerne tun.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Herr Oppositionsführer hat dann von dieser Stelle aus im Verlauf seiner weiteren Rede gesagt, daß für die Sozialdemokratische Partei ein Mindestmaß von Anstand und Achtung vor dem politischen



    Schneider (Bremerhaven)

    Gegner selbstverständlich sei. Meine Damen und Herren, dies kann ich dann nur als ein Lippenbekenntnis werten, allerdings als das Lippenbekenntnis eines geschlagenen Parteiführers.

    (Beifall bei der DP. — Lachen bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, in der Erklärung, die die Grundlage des Wirkens der dritten Bundesregierung bilden soll, hat der Herr Bundeskanzler die Hoffnung ausgedrückt, daß die gröbste Arbeit bei der Wiederaufrichtung eines freien deutschen Staatswesens nunmehr hinter uns liege. An diese Feststellung möchte ich einige einleitende Überlegungen knüpfen. Die Fülle der Aufgaben in den vergangenen Jahren und die Last der Arbeit, die von allen Schichten unserer Bevölkerung bewältigt werden mußte, haben uns oftmals nicht die Zeit gelassen, in Ruhe über die Fragen nachzudenken, die über unseren Alltag hinausreichen. Das trifft auch auf die Mehrzahl jener Menschen zu, die in den vergangenen Jahren die politische Verantwortung in Bund, Ländern und Gemeinden getragen haben. Wem ist es in der Fülle drängender Entscheidungen und vielfältiger Sorgen wirklich zum Bewußtsein gekommen, daß seit dem Zusammenbruch im Jahre 1945 bereits zwölf Jahre vergangen sind, die Währungsreform bereits über neun Jahre hinter uns liegt und die Bundesrepublik bereits in das neunte Jahr ihres Bestehens geht? Wir kommen nicht darum herum, diese Zeiträume an den vierzehn Jahren zu messen, die die Weimarer Republik existiert, und an den zwölf Jahren, in denen das nationalsozialistische Regime unserem Schicksal seinen Stempel aufgedrückt hat.
    Wenn wir solche Parallelen ziehen, dann müssen wir uns gerade in dieser Stunde auch der Frage stellen, die eine der angesehensten Zeitungen der freiheitlichen Welt des Westens aufgeworfen hat. Ich meine die Feststellungen der Londoner „Times", derzufolge die Bundesrepublik heute eine Wirtschaft sei, die sich auf der Suche nach der Nation befinde. Am 15. September hat die Bevölkerung der Bundesrepublik mit klarer Mehrheit die Politik der zweiten Bundesregierung und der sie tragenden Parteien gebilligt. Die Deutsche Partei ist stolz darauf, dem Werk der vergangenen acht Jahre ihre Arbeit und jhre Kraft gewidmet zu haben. Sie ist der Verantwortung auch dann nicht ausgewichen, wenn die Rücksichtnahme auf parteipolitische Zielsetzungen vielleicht der einfachere Weg gewesen wäre. Das aber berechtigt uns nicht nur heute, sondern verpflichtet uns auch, im Sinne eines weitergesteckten politischen Auftrags nach den Gründen zu forschen, die die Mehrheit unserer Bevölkerung bei ihrer Entscheidung am 15. September geleitet haben.
    Als der Herr Bundeskanzler am 29. Oktober die Regierungserklärung abgab, kam von der linken Seite dieses Hauses der Zwischenruf: „Keine Experimente!" Ich meine, daß mit diesem Wort tatsächlich am besten jene Stimmung umschrieben worden ist, die die Mehrheit unserer Bevölkerung bei ihrer Stimmabgabe am 15. September bewegt hat. Ich glaube darüber hinaus, daß wir keinerlei Grund haben, dieses Verlang... unserer Bevölkerung nach
    Sicherheit und ungestörter Fortentwicklung zu schmähen. Was anderes soll ein Volk wie das unsere ersehnen, das in einem Zeitraum von rund 30 Jahren zwei furchtbare militärische Niederlagen und drei Versuche staatlicher Neuordnung erlebt hat und dessen wirtschaftliche Grundlagen durch zwei Inflationen völlig zerrüttet worden sind; ein Volk, dessen nationale Einheit zum Objekt der großen Auseinandersetzung zwischen Ost und West geworden ist, ein Volk, in dem jeder vierte im Laufe der letzten zwölf Jahre seine Heimat verloren hat? Ist dieses Verlangen nach Sicherheit vor allem materieller Art, das breite Schichten unserer Bevölkerung zu unerhörten Leistungen angespornt hat, ein Grund, zu behaupten, daß in Westdeutschland „eine Wirtschaft auf der Suche nach der Nation" sei?
    Niemand von uns übersieht die Auswüchse des sogenannten Wirtschaftswunders. Niemand drückt die Augen zu vor dem Neomaterialismus, der unserem Leben an manchen Stellen einen alles andere als schönen Stempel aufdrückt. Steckt aber hinter diesen Erscheinungen nicht auch etwas ganz anderes als die oftmals hektisch anmutende Sucht nach gedankenlosem Lebensgenuß?
    Geben wir uns doch keiner Täuschung hin, meine Damen und Herren! Wenn manche unter uns leben, als ob der heutige Tag der letzte sei, dann steckt doch auch dahinter in den meisten Fällen das Bewußtsein der Gefährdung unserer Lage, das Bewußtsein der Gefahren, die die ganze Welt und uns in ganz besonderem Maße bedrohen.
    Diese Erscheinungen dürfen aber andererseits unseren Blick für die überwältigenden Beweise von Vertrauen in die Zukunft, die unser Volk in den vergangenen Jahren abgelegt hat, nicht trüben. Millionen haben auch nach dem schrecklichsten Zusammenbruch unserer Geschichte keinen Augenblick gezögert, Hand mit anzulegen beim Wiederaufbau unserer staatlichen und materiellen Existenz, und haben Leistungen vollbracht, die in der ganzen Welt geachtet und beachtet werden.
    Sie haben darüber hinaus durch ihre politische Entscheidung eine Regierung bestätigt, unter deren Zielen die Sicherung von Freiheit und Unabhängigkeit den ersten Platz seit eh und je eingenommen hat,

    (Beifall rechts)

    auch wenn der Oppositionsführer hier das Gegenteil behauptet.
    Ich meine, daß es sich in Westdeutschland nicht um eine „Wirtschaft auf der Suche nach der Nation" handelt, sondern um eine Nation, die dabei ist, den Weg zu sich selbst zurückzufinden. In der Mitwirkung bei der Lösung dieser Aufgabe erblickt die Deutsche Partei die besondere Verpflichtung in den kommenden Jahren.
    Der Herr Bundeskanzler hat von den schwierigen, Situationen gesprochen, die die nächste Zeit sowohl auf außenpolitischem als auch auf wirtschaftspolitischem Gebiet mit sich bringen kann. Wir begrüßen diese offenen Worte, weil meine Partei davon
    68 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode - 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
    Schneider (Bremerhaven)

    überzeugt ist, daß ein tragfähiges Staatsbewußtsein nur aus klarer Einsicht in die Lage, nicht aber aus Schönfärberei und Optimismus um jeden Preis erwächst.
    Dieses Staatsbewußtsein zu stärken und weiter zu entwickeln ist eine Aufgabe aller demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik. Wer den Aufgaben gerecht werden will, die uns in den kommenden Jahren gestellt werden, muß den Mut haben, nicht nur im kleinen Kreise die alte Wahrheit zu bejahen, daß Wohlstand kein Ersatz für Staatsbewußtsein ist und sein kann.

    (Beifall rechts.)

    Dieser Mut zu klaren Einsichten und der Mut, sie dann auch offen zu vertreten, wird, so glauben wir von der Deutschen Partei, in den kommenden Jahren mehr als einmal notwendig sein. Unser neuer demokratischer Staat, die Keimzelle eines im Frieden und Freiheit wiedervereinigten Deutschlands, ist bis jetzt noch auf keine ernsthafte Probe gestellt worden. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Wir haben aber als verantwortungsbewußte Politiker die Pflicht, nicht nur uns selbst, sondern auch unser Volk auf diese ernsten Prüfungen vorzubereiten. Zu dieser Vorbereitung gehört vor allem der Wille, bei allen Entscheidungen das Ganze zu sehen und jede Maßnahme ohne Rücksicht auf die Forderungen von Gruppen und Interessentenverbindungen in die Verantwortung für das Ganze einzuordnen. Dazu gehört weiter der Mut, unserer Bevölkerung auch in Wahljahren immer wieder klarzumachen, daß es auf dieser Erde nichts geschenkt gibt, weder materiellen Fortschritt noch militärische Sicherheit oder gar die Freiheit.

    (Beifall bei der DP.)

    Das ist eine klare Absage an jede Art von Gefälligkeitsdemokratie, aber der einzige Weg, einen Staat aufzurichten, der diesen Namen verdient.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung an mehreren Stellen davon gesprochen, daß die Fortführung der Politik der westlichen Einheit in den kommenden Jahren unter Umständen große Opfer materieller Art auch vom deutschen Volke erfordern kann. Die Deutsche Partei unterstreicht auch diese Mahnung im vollen Bewußtsein der Bedeutung dieser Ausführungen. Sie glaubt aber, Grund zu der Frage zu haben, ob in den vergangenen Jahren alle politischen Kräfte in der Bundesrepublik sich in demselben Maße wie wir selbst darum bemüht haben, Verständnis für solche Forderungen zu erwecken. Wir sind uns dabei völlig darüber klar, daß mit dieser Fragestellung eines der schwierigsten Probleme für die ganze westliche Welt überhaupt aufgeworfen ist. Auf der einen Seite ist es in der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Ost und West eine unabdingbare Notwendigkeit, immer wieder die Überlegenheit unseres Wirtschaftssystems gegenüber dem ausbeuterischen Staatskapitalismus zu beweisen, unter dem Hunderte von Millionen im bolschewistischen Block zur Fronarbeit gezwungen werden. Auf der anderen Seite aber erfordert der Zwang zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts
    des Schreckens materielle Opfer von der westlichen Welt, die erkennbar bereits heute die Leistungsfähigkeit einer ganzen Reihe von Völkern auf schwerste Proben stellen. In diesem Dilemma den richtigen Weg zu finden, kann nur gelingen, wenn in allen Schichten das Bewußtsein der Verantwortung vor dem Ganzen als gültiges Gesetz anerkannt wird.
    Wir alle wissen, daß auch in den kommenden Jahren große Aufgaben durch die gemeinsame Arbeit von Bundestag und Bundesregierung gelöst werden müssen. Es wird dabei wesentlich darauf ankommen, mit dieser Arbeit so bald wie möglich zu beginnen und nicht wieder, wie es leider in der 2. Legislaturperiode des Bundestages der Fall war, kostbare Zeit verstreichen zu lassen, um nachher in Überstürzung und Überhastung Gesetze zu verabschieden, deren Reformbedürftigkeit uns bereits bei der letzten Lesung deutlich vor Augen steht.

    (Beifall bei der DP.)

    Ich möchte mich nun der Frage zuwenden, in welchem Umfang die Lösung der vielfältigen Aufgaben durch die organisatorischen Veränderungen innerhalb der Bundesregierung gefördert wird, wie sie der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vom 29. Oktober mitgeteilt hat. Ich darf einige grundsätzliche ,Gedanken voranstellen. Der Herr Bundeskanzler hat diesen Abschnitt seiner Erklärung mit einigen Betrachtungen über Stellung und Aufgaben eines Bundesministers eingeleitet. Wir haben nicht den Eindruck, daß damit die parlamentarische Stellung der Minister verstärkt worden ist. Nach dem Grundgesetz sollen die Minister keine Oberstaatssekretäre und keine Generalreferenten ihrer Ministerien sein, sondern in erster Linie politisch eigenverantwortliche Organe des ganzen Staates und Träger eigener Verantwortung gegenüber dem Parlament. Sie werden im politischen Sinne unmittelbar verantwortlich gemacht, wenn auch ihre Entlassung nur gegenüber dem Bundeskanzler erzwungen werden kann. Wir jedenfalls wünschen keine Schwächung der politischen Stellung der Minister, weil sonst das parlamentarische Regierungssystem und das Zusammenspiel der politischen Kräfte Schaden leiden müßte.
    Auch bei der Bildung des Regierungswillens darf kein Konformismus herrschen. Das würde der Suche nach dem objektiv Richtigen und dem Ringen um den besten Weg schaden. Die unübersehbare Fülle der Staatsgeschäfte stellt immer wieder die Aufgabe, das Ganze zu sehen, Zuständigkeiten zu ordnen und Doppelarbeit und Reibungen zu vermeiden. Wir wünschen daher eine Verstärkung der Stellung des Ministers gegenüber seiner Bürokratie und eine Verbesserung der Maßnahmen, die innerhalb der Regierung auf bestimmten Gebieten ein Zusammenwirken der Ressorts nach übergeordneten Gesichtspunkten ermöglichen. Vor allem aber eines, meine sehr verehrten Damen und Herren von links bis rechts: oberstes Organ in der Demokratie ist das Parlament, eine Tatsache, die in der Vergangenheit nicht immer gerade gebührende Beachtung gefunden hat.

    (Zustimmung rechts.)




    Schneider (Bremerhaven)

    Es ist nicht nur uns aufgefallen, daß die Regierungserklärung kein besonderes Wort über die schon so lange geforderte und so viel erörterte Verwaltungsreform enthalten hat, — wenngleich ich zuzugeben bereit bin, daß selbstverständlich in einer solchen Erklärung nicht sämtliche uns und den Staat berührenden Probleme angesprochen werden können. Wir möchten aber mit allem Nachdruck in Erinnerung bringen, daß dieses Problem auch weiterhin der vollen Beachtung des Parlaments und der Bundesregierung wert ist und keinesfalls nur mit kleinen Kunstgriffen gelöst werden kann.

    (Beifall bei der DP.)

    Die Grundgedanken des Freiherrn vom und zum Stein haben im Prinzip und heute noch ihre Gültigkeit nicht verloren. Seine Reform wurde von dem Ziel bestimmt, eine Zusammenfassung der Staatsorgane auf der Regierungsebene zu ermöglichen und durch die Wiederbelebung der Selbstverwaltung auf der unmittelbar mit den Menschen in Berührung stehenden Ebene der Gemeinden eine dem Ganzen dienliche Dezentralisation zu erreichen. Wir sollten den Schwerpunkt der Verwaltungsreform in einer Kräftigung der Stellung der Gemeinden erblicken,

    (Beifall bei der DP)

    die selbstverständlich auch entsprechende finanzielle Maßnahmen bedingt. Immer aber wird der Gedanke der Selbstverwaltung und der Abgabe von Aufgaben nach unten entscheidend sein.
    Nun darf ich mich noch einigen anderen Einzelheiten zuwenden. Die Deutsche Partei erwartet insbesondere von der Neubesetzung des Finanzministeriums eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschaftsminister, die in den vergangenen Jahren oftmals erkennbar zu wünschen übriggelassen hat. Ich bitte es mir nicht zu verübeln, wenn ich das hier mit aller Offenheit ausspreche; es ist ja auch kein Geheimnis. Diese Zusammenarbeit scheint uns von wesentlicher Bedeutung zu sein für das Gelingen der Steuer- und Kapitalmarktreform, über deren dringende Notwendigkeit es heute kaum noch unterschiedliche Meinungen auch in diesem Hause geben dürfte. Von dem Funktionieren dieser Zusammenarbeit hängt aber auch gleichermaßen die Erfüllung aller jener Hoffnungen ab, die dem Mittelstand — oder besser gesagt: den breiten Mittelschichten unseres Volkes — in der Erklärung vom 29. Oktober aufgezeigt worden sind. Dabei bedarf es keiner Frage, daß die Förderung der Mittelschichten nicht nur eine Angelegenheit materieller Maßnahmen ist, sondern darüber hinaus einen wichtigen Teil des Gesamtproblems der sozialen Neuordnung unseres Volkes darstellt.
    Besondere Beachtung verdient auch die Errichtung des neuen Bundesministeriums für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes. Meine politischen Freunde hoffen, daß gerade dieses Ministerium sich in den kommenden Jahren bemühen wird, die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers Lügen zu strafen, wonach jedes Ministerium angeblich wie ein vielarmiger Polyp ständig nach neuen Aufgaben greift. Nach den Vorstellungen der Deutschen Partei muß es das Hauptbestreben des neuen Bundesschatzministers sein, sich mit aller Energie der Aufgabe der Privatisierung großer Teile des Bundesbesitzes zuzuwenden, auch auf die Gefahr hin, daß der Aufgabenbereich seines Ministeriums auf diese Weise von Jahr zu Jahr kleiner wird.

    (Beifall bei der DP.)

    Wir sind hier also genau entgegengesetzter Auffassung wie die Opposition. Hier muß sich insbesondere erweisen, ob die programmatischen Erklärungen gegen eine Weiterentwicklung in staatskapitalistischer Richtung mehr sind als nur beifällig aufgenommene Verzierungen des Regierungsprogramms. Es scheint der Deutschen Partei gerade in diesem Zusammenhang von wesentlicher Bedeutung, dem neugebildeten Bundesschatzministerium einen Bundestagsausschuß für das Bundesvermögen und die Bundesbeteiligungen gegenüberzustellen, um dem Parlament ausreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf alle diese Fragen zu geben.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Ich weiß, daß für dieses Vorhaben meiner politischen Freunde im Augenblick schlecht Gehör zu finden ist. Ich möchte es aber nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, und wenn es nur zu dem Zweck ist, uns selbst ein Alibi zu verschaffen, wenn etwa eines Tages festgestellt werden sollte, daß es besser gewesen wäre, wenn man einen solchen Ausschuß geschaffen hätte.
    Die Übertragung der Jugendfragen vom Innenministerium auf das Familienministerium ist in der Öffentlichkeit, offen gesagt, nicht mit ungeteiltem Beifall aufgenommen worden. Ich möchte dazu erklären, daß uns die ressortmäßige Verlegung weniger entscheidend erscheint als die Frage, welche Voraussetzungen noch mehr als bisher geschaffen werden können, damit die junge Generation ungehindert in Staat und Gesellschaft hineinwachsen kann. Wir verknüpfen auf jeden Fall die Hoffnung damit, daß diese Jugendpolitik des Bundes sich nicht lediglich auf eine, sagen wir einmal, Fondsverwaltung womöglich noch unter solchen Gesichtspunkten beschränkt, die im politischen Leben keine Rolle spielen sollten.
    Ich möchte bei dieser Gelegenheit hier eine ausdrückliche Warnung an alle jene verbinden, die unter Ausnutzung formaler, oftmals sehr anfechtbarer Satzungsbestimmungen sich selbst gegenseitig ihre demokratische Zuverlässigkeit bescheinigen, um damit an dem Aufkommen der Steuerzahler teilhaben zu können, jedoch mit oftmals nicht gerade fairen Methoden versuchen, einen Teil der übrigen Jugendverbände von der Förderung durch Steuermittel auszuschließen.
    Hierher gehört auch die Prüfung der Frage, wie weit wir für die Erhaltung der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und der Freude unserer Jugend mehr Möglichkeiten als bisher erschließen können, um ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Man wird



    Schneider (Bremerhaven)

    mir entgegenhalten, dies sei Sache der Gemeinden und der Länder. Wir sollten aber in dieser Frage nicht allzu formal denken. Wir werden zumindest in der Koalition einen Weg finden können, wie wir in diesem Sinne gegebenenfalls verfahren können. Jedenfalls sollte der Bund auch den Ländern und Gemeinden eine Hilfestellung geben, wenn es sich um solche Institutionen handelt, die der Gesunderhaltung und der Ertüchtigung unserer Jugend dienen, d. h. Hallenbäder, Sportplätze, Tagesstätten usw. Ich wäre dankbar, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir hierüber einmal ein ausführliches Gespräch haben könnten.
    Der Herr Bundeskanzler hat bei seinen Ausführungen über die Neuorganisation der Bundesregierung nicht für sich in Anspruch genommen, auf allen Gebieten schon das Richtige getroffen zu haben, und sich vorbehalten, notfalls weitere Änderungen vorzunehmen. Ich möchte diesen Vorbehalt aufgreifen und hier die Frage aufwerfen, ob es nicht an der Zeit gewesen wäre, im Zuge der Neuorganisation der Bundesregierung dem Gedanken der Schaffung eines selbständigen Gesundheitsministeriums näherzutreten. Einmal ist das Innenministerium trotz der Abgabe der Jugendfragen auch in den kommenden Jahren mit einer Fülle von Aufgaben bedacht, die ihm eine ungewöhnliche Arbeitslast auferlegen. Zum anderen gewinnen die Fragen der Gesundheitspolitik immer größere Bedeutung. Es erscheint uns notwendig, auch diesen ganzen Komplex noch einmal einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.
    Das gleiche gilt für das große Gebiet von Wissenschaft und Forschung, das auch weiterhin zum Aufgabenkreis des Bundesinnenministeriums gehören wird, soweit der Bund hier überhaupt eine Initiative entfalten kann oder will. Selbstverständlich ist es unmöglich, in einer Regierungserklärung alle Lebensgebiete ihrer Bedeutung nach zu behandeln. Trotzdem darf nicht verschwiegen werden, daß es in der Öffentlichkeit ebenfalls aufgefallen ist, daß der Herr Bundeskanzler kein Wort über die uns seit langem bewegenden Probleme der Förderung von Wissenschaft und Forschung gesagt hat. Ich möchte es deswegen für die Koalition nachholen.
    Die Deutsche Partei, und mit ihr sicherlich die CDU/CSU, glaubt nicht, daß mit der vor einiger Zeit beschlossenen Errichtung des sogenannten Wissenschaftsrates auf diesem Gebiet bereits das letzte Wort gesprochen ist. Die vielfältigen Warnrufe der dafür zuständigen Kreise, die mit Recht darauf hinweisen, daß bislang keineswegs die erforderlichen Voraussetzungen für die Heranbildung eines technischen und wissenschaftlichen Nachwuchses gegeben sind, wie sie bei der rasant fortschreitenden Entwicklung in der ganzen Welt gefordert werden müssen, dürfen nicht länger überhört werden.

    (Beifall bei der DP.)

    Zwar wird dies erhebliche materielle Anstrengungen kosten; sie sind aber nicht zu umgehen, wenn das deutsche Volk auch in Zukunft den immer stärker werdenden Konkurrenzkampf in der Welt bestehen will.
    Dazu gehört auch der Neubau von Schulen in der Bundesrepublik. Wenden Sie bitte nicht ein, daß dies Länderangelegenheit sei. Wenngleich formal der Neubau von Schulen auch Ländersache ist
    — was ich bedaure! —, so läßt sich doch nicht bestreiten, daß es sich vielfach noch um einen kriegsbedingten Nachholbedarf handelt, für den die Zuständigkeit, oder sagen wir wenigstens: Mitverantwortlichkeit des Bundes nicht von der Hand gewiesen werden kann.

    (Abg. Schoettle: Das haben wir vor einem Dreivierteljahr auch schon gesagt!)

    — Eben; und jetzt wollen wir etwas tun, verehrter Herr Kollege Schoettle.

    (Abg. Schoettle: Jetzt fällt es Ihnen auch ein!)

    Man ist manchmal versucht, diese Tatsache als trostlos genug zu empfinden. Wenn auf diesem Gebiete — das ist die feste Überzeugung meiner politischen Freunde — nichts Entscheidendes geschieht, und zwar in allernächster Zeit geschieht, werden Leistungsabfall der Schüler und physische und psychische Überbeanspruchung unserer Schulkinder ein Ausmaß annehmen, das wir nach inzwischen gewonnenen eindeutigen medizinischen Erkenntnissen vor uns und unseren Kindern nicht verantworten können.

    (Beifall bei der DP.)

    Ich sage dies mit allem Ernst und bin überzeugt, daß keiner von Ihnen mir in dieser Frage widersprechen kann.
    Ganz besonders kritisch wird die Neuabgrenzung der Geschäftsbereiche im Arbeitsministerium von uns beobachtet. Die Aufgabenerweiterung des Bundesministeriums für Arbeit auf die sogenannte soziale Neuordnung wird besonders - und das wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, meine sehr verehrten Damen und Herren — von den freien Berufen beanstandet. Ich bin überzeugt, daß die Kritik, die aus den Kreisen beispielsweise der Rechtsanwälte und Ärzte kommt, auch von den Angehörigen der Presse, der Künstlerschaft, den Professoren, Architekten und anderen freien Berufen, die nicht Angestellte oder Beamte sind, geteilt wird. Die vermutliche Absicht, die freien Berufe in Formen der sozialen Sicherung zu pressen, die ihren individuellen Bedürfnissen nicht entsprechen, wird von uns mit Sorge betrachtet. Die Veröffentlichung in einem Bonner Nachrichtendienst von gestern findet unsere volle Unterstützung. Es heißt darin mit Recht:
    Sehr verblüfft war man in diesen Kreisen über die Ankündigung, das frühere Sonderministerium Schäfer, das später zu einer Dienststelle für den unselbständigen Mittelstand und die freien Berufe umgestaltet wurde, ins Bundesarbeitsministerium einzubauen. Die freien Berufe haben in der Vergangenheit diese Lösung immer abgelehnt, weil nach ihrer Auffassung das Arbeitsministerium zu stark auf die Arbeitnehmerinteressen ausgerichtet ist. Der Bundesverband der freien Berufe hat fast gleichzeitig



    Schneider (Bremerhaven)

    mit der Regierungserklärung in einer Entschließung die Beibehaltung der Dienststelle mit unmittelbarem Vortragsrecht im Kabinett und ihre Leitung durch eine aktive politische Persönlichkeit aus den freien Berufen gefordert.
    Bisher hat weder die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers noch irgendeine Stellungnahme des neuen Arbeitsministers deutlich gemacht, wie die Ausweitung seines Ministeriums und wie die Zielsetzung der Vertretung der Interessen der freien Berufe gedacht ist. Wir wollen jedenfalls ganz konkret dazu sagen, daß die Frage der Alterssicherung der Angehörigen der freien Berufe ernsthaft geprüft und neu durchdacht werden muß und daß ihre Einbeziehung in irgendein System der Zwangsversicherung oder Zwangsversorgung uns nicht geeignet erscheint, die Probleme derjenigen zu lösen, die sich noch zur Selbstverantwortung und Selbstvorsorge bekennen wollen, auf die die Regierungserklärung im übrigen ja so positiv hingewiesen hat.

    (Beifall bei der DP.)

    Meine Damen und Herren! Wir erwarten, daß die Steuerreform neben den Impulsen, die sie zum Sparen und zur Kapitalbildung geben soll, besonders den Belangen der freien Berufe, individuelle Selbstvorsorge zu treffen, Rechnung tragen möge.
    Wir billigen die Entscheidung, daß die Fragen der wirtschaftlichen Einordnung in den europäischen Markt dem in erster Linie für das Geschick der deutschen Wirtschaft verantwortlichen Minister übertragen worden sind. Wir sind uns jedoch darüber im klaren, daß die wirtschaftliche Integration nur einen Teilbereich umfaßt und daß das gleiche Problem bei allen Ressorts auftritt, weil uns die Schaffung einer europäischen Gemeinschaft im politischen Sinne besonders am Herzen liegt. Zugleich aber sollte nicht übersehen werden, daß auch das Verhältnis von Bund und Ländern sorgfältiger Pflege bedarf, um einen Zerfall in Sonderinteressen zu verhindern und nicht an die Stelle eines freiheitlichen Bundesstaates einen auseinanderstrebenden Bürokratenföderalismus zu setzen. Wir begrüßen die Erweiterung der Aufgaben des Bundesratsministeriums, dürfen aber auch erwarten, daß dem Minister, dem die schwierige Aufgabe des Kontaktes und der Vermittlung zwischen Bund und Ländern anvertraut ist, von den übrigen Ressorts und auch von diesem Hause mit Verständnis und gutem Willen begegnet wird.
    Unter den Ländern muß Berlin seinen besonderen Platz haben. Es genügt uns nicht, in Berlin nur von Zeit zu Zeit repräsentative Sitzungen abzuhalten. Auch wir wünschen trotz und gerade wegen all der Schwierigkeiten, die wir selbst soeben erfahren haben, echte Arbeitssitzungen in Berlin. Berlin muß im übrigen in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht in die Bundesrepublik eingegliedert werden. Das Wahlrecht der Berliner zum Deutschen Bundestag — zeitweilig ein heißes Eisen, meine Damen und Herren — werden wir mit vielen von Ihnen in diesem Hause fordern und hoffentlich auch in nicht allzu ferner Zeit verwirklichen.
    Ich möchte diese Ausführungen zu den organisatorischen Veränderungen der Bundesregierung nicht abschließen ohne einen Ausdruck des Bedauerns darüber, daß der Herr Bundeskanzler dem Bundestag in seiner dritten Regierung keine Frau — oder meinetwegen auch mehrere Frauen — als Bundesminister vorgestellt hat. Die Proteste der maßgeblichen Frauenorganisationen der Bundesrepublik sind meinen Freunden durchaus verständlich. Ich meine, daß die Frauen vor allem in den hinter uns liegenden schweren Jahren und auch in den Zeiten der schwierigsten Aufbauarbeit in Bund, Ländern und Gemeinden in überreichem Maße bewiesen haben, daß auch sie sehr wohl zur Lösung wichtigster Aufgaben befähigt und imstande sind, vielleicht an mancher Stelle viel besser als manch ein Minister männlichen Geschlechts. Deshalb sollte auch diese Frage Regierung und Koalition erneut beschäftigen, wenn etwa weitere Umbildungen des Kabinetts sich als notwendig herausstellen sollten. Meine Damen und Herren, messen Sie dieser Frage keine zu geringe Bedeutung bei! Die Frauen haben nicht nur als Wählerinnen ihre Pflicht getan; sie haben als Staatsbürgerinnen im letzten Jahrzehnt unsagbare Opfer gebracht, aber auch größte Leistungen vollbracht, nicht nur beim Aufbau des Staates, sondern als Mütter, als Frauen, als mitarbeitende Ehefrauen und als berufstätige Frauen. Ohne ihre Leistung gäbe es keine gesunde Familie und auch keine wirtschaftliche Vollbeschäftigung.
    Ich komme zum Gebiet der Wirtschaftspolitik. Den Zielen, die die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik herausgestellt hat, können meine politischen Freunde von der Deutschen Partei um so mehr zustimmen, als hier erstmalig und in ganz besonderem Maße entscheidende Forderungen des Programms der Deutschen Partei aufgenommen worden sind, die wir bei früheren Gelegenheiten unseren Freunden von der CDU/CSU, manchmal leider vergeblich, nahezubringen versucht haben.
    So begrüßen wir in erster Linie die Ankündigung einer echten Steuer- und Finanzreform, die wir bereits seit Jahr und Tag als dringendste Aufgabe bezeichnet haben. Zur Finanzreform möchten wir dabei schon jetzt betonen, daß sie nicht nur die längst überfällige systematische Vereinfachung und die Beseitigung überholter Bagatellsteuern bringen muß, sondern daß vor allem zugleich eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung und auf der anderen Seite neben Bund und Ländern auch eine unmittelbare Beteiligung der Gemeinden, Kreise und Städte am Aufkommen der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftsteuer verwirklicht werden sollte.

    (Beifall bei der DP.)

    Wenn ich dies sage, befinde ich mich in der angenehmen Gesellschaft der Herren Fraktionsvorsitzenden der CDU-Landtagsfraktionen, die gerade in diesen Tagen ähnliche Forderungen aufgestellt haben. Ich wünsche den Verhandlungen der Herren mit dem Herrn Bundesfinanzminister guten Erfolg. An der Bereitschaft zur Erfüllung gerade der beiden letztgenannten Forderungen unserer Fraktion wird sich erweisen, ob und inwieweit die Bundesregie-

    Schneider (Bremerhaven)

    rung wirklich ein Bundesstaat und ob und inwieweit Dezentralisation und demokratische Selbstverwaltung der Gemeinden bloß Lippenbekenntnis oder echtes Anliegen sind.
    Zur Steuerreform muß vorweg bemerkt werden, daß sie von der von uns ebenfalls seit langem als besonders dringlich bezeichneten Kapitalmarktreform überhaupt nicht getrennt werden kann. Solange im Gegensatz zu unserer Auffassung werbende Anlagen oder bleibende Vermögenswerte der öffentlichen Hand, wie z. B. Darlehen zur Förderung der Wirtschaft, der Landwirtschaft oder des Wohnungsbaues, des Außenhandels oder unterentwickelter Gebiete, Bauten aller Art, Beteiligungen usw., aus überhöhten laufenden Steuereinnahmen statt über Anleihen am Kapitalmarkt finanziert werden sollen, werden der produzierenden Wirtschaft zwangsläufig die Mittel entzogen, mit denen sie ihre notwendigen Investitionen finanzieren könnte; sie wird und muß dann auf die Preise ausweichen. Mit den überhöhten Steuerforderungen und den zusätzlich aus der gleichen Ursache heraus überhöhten Preisforderungen aber wird allen übrigen Einkommensbeziehern die Voraussetzung zum Sparen und damit zur Befruchtung eines für Wirtschaft und öffentliche Hand ausreichenden ergiebigen Kapitalmarktes in entscheidender Weise entzogen. Hier zeichnen sich deutlich die Zusammenhänge zwischen Steuer- und Kapitalmarktreform einerseits und Preisstabilität und Sparbereitschaft andererseits ab. Es gehört nach unserer Auffassung nur scheinbar Mut dazu, einen als falsch erkannten Weg der Steuerpolitik zu verlassen. Wer gerade nach den Erfahrungen der letzten acht Jahre mit vollem Recht auf die These „Nicht Monopoleigentum für einen mächtigen Staat, sondern Einzeleigentum und freie Leistungsentfaltung für alle Staatsbürger" baut, kann gar nicht zu einem anderen Ergebnis kommen als zu dem, daß derjenige Staat, der mit Gewißheit ein Mehr an Steuern und ein Mehr an Anleihen haben möchte, zunächst einmal weniger Steuern verlangen muß. Über die Einzelheiten wird in den kommenden Monaten sicherlich noch eingehend beraten werden. Ich möchte aber jetzt schon für meine politischen Freunde anmelden, daß dabei nicht nur die Einkommen- und die Körperschaftsteuer, sondern vor allem auch die Umsatzsteuer in die Reform einzubeziehen sein werden.
    Ich habe soeben schon darauf hingewiesen, wie sehr eine tiefgreifende Steuer- und Kapitalmarktreform die Voraussetzung für eine Stabilhaltung des Preisniveaus ist, die dann allen Angehörigen unseres Volkes, insbesondere aber den Arbeitnehmern und Rentenempfängern wie auch den Gruppen, die hoffentlich einmal wieder im Alter von eigenen Ersparnissen leben können, gewährleistet, daß jede nominelle Verbesserung ihres Einkommens zugleich eine entsprechende reale Erhöhung bedeutet. Wir haben den Mut, es offen auszusprechen: Nur wenn der Staat zuvor — und deshalb darf hier keine Zeit verlorengehen, die Lösung dieser Aufgabe muß bis spätestens Mitte nächsten Jahres feststehen — die Steuer- und Kapitalmarktreform erfolgreich durchgeführt hat, kann er von den Sozialpartnern auf die Dauer die gerade von uns immer wieder angestrebte eigenverantwortliche Beobachtung der Grenzen des volkswirtschaftlichen Produktivitätszuwachses verlangen. Es geht wirklich nicht an, von Staats wegen allen möglichen Gruppen und Institutionen, sei es dem Kohlenbergbau, der Landwirtschaft, dem Althausbesitz oder der Bundesbahn, ins Gewissen zu reden und selbst nicht bereit zu sein, die Konsequenzen in der Steuer- und Kapitalmarktpolitik zu ziehen, die erst die Basis eines Vertrauens, nämlich eine echte Stabilität für die Zukunft, schaffen. können.
    Diese Forderungen bedeuten allerdings nicht — das möchte ich mit aller Entschiedenheit betonen —, daß dem Appell zum Maßhalten vorderhand noch kein Gewicht beizulegen wäre. Dieser Appell darf nicht nur eine bei Tagungen und Feierstunden beifällig aufgenommene Redensart sein; er muß im Gegenteil überall dort befolgt werden, wo die realen Interessen hart aufeinanderstoßen. Das Gesamtwohl des deutschen Volkes muß stets das oberste Gesetz auch für Unternehmer und Arbeitnehmer sein. Das scheint auf den ersten Blick selbstverständlich und ist es doch offenbar in den vergangenen Jahren bei zahlreichen Gelegenheiten nicht gewesen, wobei keineswegs etwa die Schuld nur auf einer Seite zu suchen ist. Wenn die wirtschaftliche Konjunktur erhalten und gleichzeitig weitere soziale Fortschritte gemacht werden sollen, ohne daß die Kaufkraft der Einkommen, der Löhne und Gehälter gemindert wird, dann müssen wir vor allem zu einer Objektivierung der Auseinandersetzungen zwischen den sogenannten Sozialpartnern kommen.

    (Zustimmung bei der DP.)

    Davon sind wir leider heute noch meilenweit entfernt, wie es scheint. Es ist unbestreitbar richtig, daß der Beschluß des Ruhrbergbaues, die Kohlenpreise zu erhöhen, die Problematik der wirtschaftspolitischen Lage der Bundesrepublik, wie ein maßgebender Unternehmer kürzlich schrieb, blitzartig hat sichtbar werden lassen.
    Fehler der Vergangenheit verlangen gebieterisch eine Korrektur. Zu diesen Fehlern zählt die Deutsche Partei in erster Linie das Übersehen oder Verschweigen unabweisbarer wirtschaftlicher Zusammenhänge. Der 2. Bundestag — es sei mir verstattet, das zu sagen — hat gerade in den letzten Monaten seiner Tätigkeit auf diesem Gebiete oftmals Erhebliches geleistet.
    Es ist klar, daß soziale Fortschritte, die über den Produktivitätszuwachs hinausgehen, ihren Niederschlag in Preiserhöhungen finden müssen. Diese werden um so fühlbarer und unangenehmer sein, je länger man sie durch politische Maßnahmen hinausschiebt. Es ist aber ebenso klar, daß auch manche Preiserhöhungen in der vergangenen Zeit nur in einer Ausnützung der guten Konjunktur begründet waren. Dabei haben die Sozialpartner mehr als einmal zum Schaden des Gesamtwohls einträchtig Hand in Hand gearbeitet. Sie geben sich aber einer Täuschung hin, wenn sie glauben, auf die Dauer den Folgen einer derartigen wirtschaftlichen



    Schneider (Bremerhaven)

    Unvernunft entgehen zu können. Nicht umsonst wird heute schon wieder bei zahlreichen Gelegenheiten in der Öffentlichkeit der Gedanke einer Zwangsschiedsgerichtsbarkeit erörtert, vorläufig noch unter negativen Vorzeichen, aber immerhin, das Thema ist aufgeworfen.

    (Sehr wahr! bei der DP.)

    Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen werden dann sinnlos und wirken dann sogar unsozial, wenn sie über Preiserhöhungen von der gesamten Verbraucherschaft bezahlt werden müssen. Preiserhöhungen andererseits verlieren sehr schnell ihren Reiz, wenn ihnen neue Lohnforderungen folgen und am Ende eine nachhaltige Schwächung der Kaufkraft unserer gesamten Währung steht.
    Diese Zusammenhänge sollten allen Einsichtigen seit Jahren klar sein. Trotzdem stößt die Forderung nach einer Versachlichung der Auseinandersetzungen zwischen den Sozialpartnern gerade beim Deutschen Gewerkschaftsbund immer wieder auf erbitterten Widerstand. Die Deutsche Partei kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich hinter diesem Widerstand noch immer die Absicht verbirgt, mit Hilfe der Tarifpolitik gesellschaftspolitische Veränderungen herbeizuführen.

    (Beifall bei der DP.)

    Auf der anderen Seite muß bei dieser Gelegenheit gleichfalls ausgesprochen werden, daß die Art der Verhandlungsführung des Ruhrbergbaus mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister in den vergangenen Wochen natürlich auch nicht dazu angetan war, das Vertrauen in die Versprechungen der Arbeitgeberseite zu einer Versachlichung der wirtschaftlichen Auseinandersetzungen zu verstärken. Auch dies darf wohl offen ausgesprochen werden. Beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sollten die Mahnung nicht überhören, daß die Freiheit der Sozialpartner ihre Begrenzung durch das Allgemeinwohl finden muß. Wer grundsätzlich diese Freiheit für sich erhalten will, soll das Unbehagen der Allgemeinheit gegenüber mancher Entwicklung der letzten Jahre nicht mißachten.
    Ich betone ausdrücklich, daß diese Worte keinesfalls einseitig gemeint sind. Um selbst diesem Vorwurf der Einseitigkeit zu entgehen, möchte ich außerdem hinzufügen, daß das Bild der wirtschaftspolitischen Entwicklung nicht richtig gezeichnet wird, wenn in diesem Zusammenhang immer nur von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, also der eigentlich produzierenden Wirtschaft, die Rede ist, nicht aber vom Handel in seinen vielfältigen Formen. Manches Manipulieren mit den Handelsspannen hat der wirtschaftlichen Entwicklung vielleicht noch mehr geschadet als der unbedachte Egoismus dei Sozialpartner in der erzeugenden Wirtschaft. Hiermit erhebe ich keinen generellen Vorwurf gegen den Handelsstand schlechthin. Denn gerade der überwiegende Teil der Anständigen des handeltreibenden Gewerbes wendet sich seit eh und je gegen jene, die die Konjunktur in unanständiger und unangebrachter Weise auszunutzen versuchen.
    Meine Damen und Herren! Die große Mehrheit der Wähler, die am 15. September die Politik der zweiten Bundesregierung bestätigt hat, hat das getan in der Hoffnung auf eine stetige wirtschaftliche Weiterentwicklung. Diese Hoffnungen nicht zu enttäuschen, ist eine Verpflichtung für die neue Regierung, der sie sich jederzeit erinnern sollte, wenn es darum geht, das Wohl der Gesamtheit vor den Ansprüchen einzelner Gruppen, ganz gleich welcher Art, zu sichern.
    Ich scheue mich auch nicht, mich im Anschluß gerade an diese Ausführungen den Problemen der deutschen Landwirtschaft kurz zuzuwenden. Denn mit allem Recht hat der Herr Bundeskanzler — und ich möchte das namens der DP ausdrücklich unterstreichen — die Landwirtschaft in einen allgemeinen staatspolitischen Zusammenhang gestellt. Nur so kann man nach unserer Auffassung diesen Fragen heute und auch in Zukunft gerecht werden. Guter Rat zur Agrarpolitik, so meint der Herr Bundeskanzler, sei willkommen. Wir glauben als Koalitionspartner solchen Rat am besten anbringen zu können. Wenn von den wirtschaftlichen Sorgen der Landwirtschaft gesprochen wird, muß nach Auffassung meiner politischen Freunde zugleich eindeutig klargestellt werden, daß die Landwirtschaft vor allem dadurch in die Lage gekommen ist, Staatshilfen in Anspruch nehmen zu müssen, weil ihr seit Jahren politisch und sozial kalkulierte Preise zugemutet wurden — ich glaube, das ist eine Erkenntnis, die sich auch anderweitig durchgesetzt hat —, während sich auf der anderen Seite ihre Unkosten, und hier in besonderem Maße die Lohn- und Soziallasten, nach der dynamischen Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft richteten. Ganz abgesehen von ihrer naturbedingten Sonderstellung ist die Rentabilität auch bei der Masse gut geleiteter Betriebe, die zwar zum größten Teil noch Nachholbedürfnisse haben, aber keine Strukturmängel aufweisen, zwangsläufig verlorengegangen und die Entlohnung der Arbeitskräfte gegenüber vergleichbaren Wirtschaftsbereichen in ein krasses Mißverhältnis geraten.
    Die Deutsche Partei ist der Auffassung, daß das Ziel des Landwirtschaftsgesetzes, der sogenannten Grünen Pläne, und ich möchte hinzufügen: auch der Marktordnungsgesetze konsequenter verfolgt werden muß als bisher. Die Maßnahmen der bisherigen Grünen Pläne wie auch die jeweilige Handhabung der Marktordnungsgesetze waren in der Vergangenheit nicht immer wirksam genug, so daß sich der Abstand der Landwirtschaft zum Gewerbe trotz Landwirtschaftsgesetz weiter vergrößerte und die Rentabilität bis heute nicht hergestellt werden konnte. Wenn also das Ziel erreicht werden soll, daß das Dorf und seine dort geborenen, in der Landwirtschaft tätigen Menschen aus staats- und volkspolitischen Gründen erhalten bleiben sollen, bedarf es zusätzlicher und wesentlich verstärkter Maßnahmen. Die DP möchte daher unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß sie heute wie in der Vergangenheit der Auffassung ist, daß die von der Landwirtschaft selbst nicht verschuldete Zwangslage, in die sie durch Vorenthaltung kostengerechter Preiskalkulationen geraten ist, keinesfalls mit unzureichenden Subventionen behoben werden



    Schneider (Bremerhaven)

    kann, sondern nur dadurch, daß ihre Preise und Löhne der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden und bleiben.

    (Beifall bei der DP.)

    Dies dürfte um so leichter sein, je mehr es gelingt, die bisherige Dynamik der Preis- und Lohnentwicklung in den konjunkturbegünstigten Bereichen zu dämpfen. Wird dieser Weg nicht energisch beschritten, so ist es sicher, daß die Gefahr, daß die Dörfer zunehmend menschenleer werden und die Zusammenballung der Bevölkerung in den Städten weiter anhält, nicht gebannt werden kann. Im übrigen brauche ich mich über die mannigfachen Gefahren einer solchen Landflucht hier nicht näher auszulassen. Sie rütteln jedenfalls an den Fundamenten unseres Staates.
    Im Zusammenhang mit den Problemen, die, wie gesagt, weit über den Bereich der sogenannten Ernährungspolitik hinausreichen, möchte ich mir gestatten, noch einige Worte wenigstens zu dem großen Gebiet eines andern Zweiges der Volkswirtschaft zu sagen: der Fischwirtschaft, der bislang wenigstens organisatorisch mit der Landwirtschaft zusammenhing. Dieser große Wirtschaftszweig ist soeben Gegenstand einer sehr sorgfältigen Untersuchung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gewesen. Die zum Teil besorgniserregenden Untersuchungsergebnisse werden in Kürze das Hohe Haus und den Haushaltsausschuß beschäftigen. Ich will diesen Beratungen nicht vorgreifen. Aber meine Freunde und ich möchten betonen, daß wir der Regierung und besonders dem zuständigen Ressortminister dringend nahelegen, schon jetzt in den Haushaltsentwurf für 1958 jene Mittel für die Förderung des Strukturprogramms der Hochseefischerei einzusetzen, die schon am Ende der vergangenen Legislaturperiode Gegenstand unserer Beratungen war. Die Umstellung der deutschen Fischereiflotte — das möchte ich besonders nachdrücklich den Kollegen sagen, die mit diesen Problemen nicht so verbunden sind — auf Fang mit Fabrikschiffen, die Rationalisierung und Beschleunigung des Umschlags der Fänge, die Modernisierung der Verteilung der Fänge und ihre Verarbeitung erfordern Mittel, die weit über die Kraft dieses Wirtschaftszweiges hinausgehen. Eine ausreichende Hilfestellung des Bundes erscheint im Interesse der Volkswirtschaft und der Volksernährung nicht nur gerechtfertigt, sondern unerläßlich. Diese Maßnahmen müssen schnell und ausreichend sein, wenn die deutsche Fischwirtschaft im Gemeinsamen Markt und in der Freihandelszone ihre Existenz behaupten soll. Ich möchte nicht versäumen, in diesem Zusammenhang auf die hervorragende Unterstützung hinzuweisen, die andere europäische Nationen ihren Hochseefischereien gewähren, einmal in der Erkenntnis der Wichtigkeit dieses Zweiges der Ernährungswirtschaft, zum andern zur Herstellung der Konkurrenzfähigkeit dieses schweren, von Wind und Wetter abhängigen Gewerbes.
    Meine politischen Freunde und ich wünschen auch die Neukonstituierung des Unterausschusses Fischwirtschaft im Rahmen des Ernährungsausschusses, der in der ersten Legislaturperiode des Bundestages
    so ausgezeichnet gearbeitet hatte. Ich trete der Landwirtschaft nicht zu nahe, wenn ich gleichzeitig hinzufüge, daß es notwendig ist, bei den vielfältigen und anders gelagerten Problemen der Hochseefischerei aus dem Schatten der Landwirtschaft herauszukommen.
    Nun einige Ausführungen zu den Fragen, die der Herr Bundeskanzler in bezug auf den Verkehr gemacht hat. Wir freuen uns, daß die Verkehrsfragen in der Regierungserklärung einen breiteren Raum gefunden haben. Die darin entwickelten Leitsätze zur Verkehrspolitik werden von uns bejaht. Das gilt nicht nur für die Fortsetzung der Bemühungen um die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger, sondern auch für die Bestrebungen, zu einer zweckmäßigeren Arbeitsteilung und Zusammenarbeit unter ihnen zu kommen. Die Absicht der Bundesregierung, die Deutsche Bundesbahn von Subventionen unabhängiger zu machen, findet unsere volle Zustimmung und, ich hoffe, auch die unseres Kollegen Vogel. Jede Verzögerung dieser Maßnahmen läuft auf eine Ausweitung unseres Haushaltsvolumens hinaus und behindert dringend notwendige Investitionen auf anderen Gebieten des Verkehrssektors. Ich denke hier nicht nur an die vordringliche Aufstockung der Straßenbaumittel des Bundes, die unbedingt schon zu Beginn dieser Legislaturperiode erfolgen muß. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung in ihrer Erklärung den schon in der letzten Legislaturperiode vorgelegten Ausbauplan für die Bundesfernstraßen zum Bestandteil der Regierungspolitik gemacht hat, und wir wollen daraus den optimistischen Schluß ziehen, sehr verehrter Herr Finanzminister, daß Sie gewillt sind, die erforderlichen Straßenbaumittel zu beschaffen und rechtzeitig bereitzustellen. Denn auch an letzterem hat es in den vergangenen Jahren oftmals gehapert. Eine teilweise Umlenkung der bisher für die Bundesbahn erforderlichen Subventionen in den Straßenbau sollte nach der Anhebung der Bundesbahnentgelte ohne Schwierigkeiten möglich sein. Das Hohe Haus und der Bundesfinanzminister sollten aber auch bestrebt sein, die Straßenbaufinanzierung nicht nur für das nächste Haushaltsjahr sicherzustellen, sondern schon bei den kommenden Haushaltsberatungen verbindliche Beschlüsse auch über die Straßenbaufinanzierung für den ganzen Vierjahresabschnitt dieser Legislaturperiode zu fassen.
    Die Regierungserklärung hat die Sorgen und Probleme der Seehäfen, der Seeschiffahrt, der Binnenschiffahrt und der zivilen Luftfahrt nur gestreift, aber dabei betont, daß der Bund ihre Anpassung an die Entwicklung des modernen Verkehrs unterstützen werde. Es handelt sich um Verkehrsbereiche, die auch schon in den vergangenen Jahren durch den Bundesverkehrsminister Seebohm eine wirksame und sichtbare Unterstützung erfahren haben. Aber mit der Bildung des Gemeinsamen Marktes und den Veränderungen in der internationalen Verkehrswirtschaft entstehen hier wieder neue große Probleme, die vom Bau deutscher Spezialhäfen für bestimmte Massenguttransporte über den Ausbau der Seewasserstraßen und den Ausbau des Rheins



    Schneider (Bremerhaven)

    bis zur Mitfinanzierung des Fahrgastschiffbaus und den Problemen des zivilen Luftverkehrs reichen.
    Das Hohe Haus und die Regierung werden in dieser Legislaturperiode dem Verkehr bzw. der Verkehrspolitik noch mehr Beachtung schenken müssen, als es bisher der Fall war. Das gilt besonders auch für den Herrn Bundesminister der Finanzen und den Herrn Vorsitzenden des Wirtschaftskabinetts, in deren Hand es weitgehend gegeben ist, ob diese Aufgaben und Probleme ohne Verzögerung und mit der erforderlichen, auf die Zuwachsrate des Verkehrs abgestellten Großzügigkeit gelöst werden können.
    Der Regierungschef hat darüber hinaus in seiner Erklärung die Fortsetzung der Sozialreform angekündigt. Es ist das besondere Anliegen der Deutschen Partei, daß die Neuordnung in allen Bereichen des sozialen Lebens — das gilt also nicht nur für die Versicherungen, für die Versorgungseinrichtungen und für die öffentliche Fürsorge, sondern auch für den Wohnungsbau und die Eigentumsbildung — so erfolgt, daß die Grundsätze der Wirtschafts-, der Sozial- und der Finanzpolitik mehr als bisher aufeinander abgestimmt werden. Wir sollten in der Sozialgesetzgebung weniger, aber bessere Gesetze machen und vor allem solche Mängel, wie sie das mit Recht umstrittene Kindergeldgesetz, das Gesetz über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und wie sie auch die Rentenreform enthält, mutig reparieren, ehe wir an die weitere Neuordnung herangehen.
    Meine Damen und Herren, die erfreuliche Mehrung des Wohlstandes in unserem Volk darf nicht dazu führen, daß bei immer mehr Wohlstand der Kreis der Hilfs- und Schutzbedürftigen größer wird, sondern muß dazu führen, daß die Zahl derjenigen, die zu Selbsthilfe und Selbstverantwortung bereit und in der Lage sind, sich dauernd mehrt.

    (Beifall bei der DP.)

    Ein sozial verpflichteter Staat, zu dem wir uns bekennen, darf nicht die Funktion eines sozialistischen Verteilungsstaats übernehmen. Gegenüber allen Forderungen auch seitens der Gewerkschaften muß immer wieder auf die Mitverantwortung der modernen Gewerkschaften als Glieder und Stütze der Demokratie hingewiesen werden, wenn die soziale Autonomie erhalten bleiben soll. In einer wahren Demokratie ist der Zwang das schlechteste Mittel zum Ausgleich der sozialen Beziehungen.
    Der 3. Bundestag steht nun vor der ernsten Frage, ob die vom 2. Bundestag beschlossenen Belastungen für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Verbraucher noch Erweiterungen vertragen, ohne das Preisniveau ernstlich zu gefährden. Viele Forderungen, die im Wahlkampf erhoben worden sind, erwecken im Volke die Vorstellung, als gäbe es eine unbegrenzte Möglichkeit für die Fortsetzung der sozialen Leistungen. Wir warnen davor, daß scheinbar soziale Wohltaten denen, für die sie bestimmt sind, dadurch fortgenommen werden, daß sie durch gleichzeitige Preiserhöhungen unsoziale Wirkungen haben müssen. Wir werden unsere ganze Kraft daransetzen, daß bei der Fortsetzung der sozialen Reformen vor allem an diejenigen gedacht wird — und hier hoffen wir uns mit Ihnen in einem Boot —, die auch heute noch der Hilfe des Staates und der Gemeinschaft bedürfen und denen der Staat nicht mit einer Hand nehmen darf, was er ihnen mit der anderen gibt. Wir werden aber vor allem diejenigen nicht vergessen, die die Steuern aufbringen müssen und deren Einkommen heute schon durch hohe Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in ihrem realen Werte gemindert sind. Vereinfacht heißt das, daß wir die Hilfe des Staates mehr als bisher auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren möchten.
    Meine Damen und Herren, die Zukunft kann nicht gestaltet werden ohne die Mitarbeit, ohne das Vertrauen der Jugend und der Frauen. Ihre Anliegen auch bei den sozialen Reformen dürfen von uns allen, gleichviel wo wir in diesem Hause sitzen, nie vergessen werden. Bei allen Gesetzen wollen wir aber auch — das sei mir gestattet zu sagen — unsere Brüder und Schwestern in der sowjetisch besetzten Zone nicht vergessen.
    Nun lassen Sie mich zum Schluß kommen. Zu den uns bewegenden Fragen der Außenpolitik möchte ich namens der Deutschen Partei wie folgt Stellung nehmen. Ich möchte voranstellen, daß die wichtigste Frage unserer nationalen Existenz die Wiederherstellung eines Staates für das ganze deutsche Volk ist. Wichtig ist auch eine Neuordnung in Europa, die die Gefahren einer nationalstaatlichen Zersplitterung durch die Bildung einer umfassenden politischen Einheit ganz Europas beseitigt. Wir denken nicht daran, uns durch die vielfältigen Rückschläge in den letzten Jahren entmutigen zu lassen; denn insgesamt gesehen kann nicht bestritten werden, daß diese Einheit Europas bereits viel mehr verwirklicht ist, als manche Politiker des In- und Auslands es wahrhaben wollen. Diese Neuordnung Europas ist eingebettet in das Problem der Entspannung zwischen Ost und West, um einen dauerhaften und wirklichen Frieden in der Welt wiederherzustellen, der auf der Grundlage der Zusammenarbeit aller Völker und der Freiheit ihrer Selbstbestimmung beruhen muß. Hierbei nehme ich die osteuropäischen Staaten nicht aus. Die Fraktion der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß die Voraussetzung für das Erreichen dieser Ziele des Friedens und der Freiheit in der politischen, wirtschaftlichen, aber auch militärischen Verstärkung der Wirksamkeit des westlichen Bündnissystems liegt.
    Entscheidend ist, daß das atlantische Bündnis und als dessen wesentlicher Teil die Union Westeuropas zu einem nicht nur militärisch und wirtschaftlich unangreifbaren Machtblock ausgestaltet wird, sondern daß hier eine politische Einheit entsteht, die ein gemeinsames Wirken nach außen ermöglicht und in dem aggressiven Ostblock, d. h. praktisch in der Sowjetunion, das Bedürfnis erweckt, eines Tages doch ein tatsächliches Interesse an der Verständigung zu gewinnen, ein Interesse, das sich nicht nur von dem Wunsche leiten läßt, den Westen uneins zu machen und zu schwächen, um den unrechtmäßigen Besitzstand in Europa zu behalten oder zu vermehren.



    Schneider (Bremerhaven)

    Die Fraktion der Deutschen Partei ist aber auch der Auffassung, daß die Bemühungen um die Völker und Staaten, die nicht dem westlichen oder östlichen Block angehören, nun auch seitens der deutschen Außenpolitik verstärkt werden müssen. Wir müssen die moralischen Kräfte in der Welt mobilisieren, um bei der Wiederherstellung der Einheit unseres Staates in Freiheit und Frieden weitere Unterstützung zu finden.

    (Beifall rechts.)

    Im übrigen hat die Wiederherstellung der Einheit unseres Staates in Freiheit einen internationalen und einen nationalen Aspekt. International gesehen hängt die Einheit davon ab, daß West und Ost ihr zustimmen und daß das Verfahren der Wiedervereinigung Deutschlands unter freiheitlichen Formen und Garantien erfolgen kann. Es geht, wie ich schon sagte, um die Rückgewinnung der Selbstbestimmung unseres Volkes, eines Rechtes, das in der Charta der Vereinten Nationen ausdrücklich statuiert und von allen beteiligten Nationen anerkannt ist. Wer wollte bestreiten, daß der Westen uns dieses Recht auf Selbstbestimmung zugestanden hat? Leider verweigert es uns die Sowjetunion nach wie vor. Das bisherige Verhalten Moskaus läßt zur Zeit auch kein Einlenken erkennen. Das darf uns aber nicht entmutigen. Was kann die Sowjetunion veranlassen, uns das Recht auf Selbstbestimmung wiederzugeben? Das ist die Grundfrage der Ostpolitik der Bundesrepublik.
    Wir wünschen die Aktivierung dieser Ostpolitik, weil wir darin einen besonders wichtigen deutschen Beitrag zur gemeinsamen Politik des Westens sehen. Aber was haben wir zu tun, wenn dieser Begriff der Aktivierung kein Schlagwort bleiben soll? Jedenfalls heißt Aktivierung der Ostpolitik in unserer Sicht nicht die Übernahme der sogenannten sozialen Errungenschaften der Zone und nicht die Anerkennung der Marionettenregierung von Pankow, deren Rechtmäßigkeit wir verneinen, und nicht die Zustimmung zu einer deutschen Konföderation, solange die Zone als souveräner Staat betrachtet wird und solange dort kommunistische Machthaber gegen den Willen des Volkes am Ruder sind.
    Aktivierung der Ostpolitik heißt in unserer Sicht Wachsamkeit gegenüber jeder Drohung oder Verlockung, vor allem aber auch Verständigungsbereitschaft, wenn unsere Grundbedingung erfüllt wird, dem deutschen Volk das Recht auf Selbstbestimmung zurückzugeben, das Recht, es seine Wirtschaft, seine Gesellschaft, seine Kultur und seine Politik nach eigenem, freiem demokratischem Willen ordnen zu lassen. Unter Verständigungsbereitschaft verstehen wir Verhandlungen über ein Sicherheitssystem in Europa, das wirklich Sicherheit bietet und das so gestaltet ist, daß es mit den Sicherheitsvorstellungen der anderen Mächte übereinstimmt.
    Die bisherigen ostpolitischen Spekulationen aller politischen Parteien beruhten auf der Annahme, daß gewisse Auflockerungstendenzen in Osteuropa gegeben seien. Moskau scheint es aber gelungen zu sein, Osteuropa wieder fest an den Ostblock zu ketten. Damit fiele zwar eine wichtige Voraussetzung für eine aktive, entspannende und die Einheit Deutschlands in Freiheit fördernde Ostpolitik; wir dürfen uns aber dennoch nicht entmutigen lassen, sondern müssen durch Vermittlung der nicht in den Blöcken gebundenen dritten Staaten unseren Willen, ein besseres Verhältnis guter Nachbarschaft gegenüber Moskau und Osteuropa herzustellen, eine neue Chance erschließen.
    Ich glaube überhaupt, daß der Schlüssel zu einer aktiveren Ostpolitik in der Herstellung normalerer Beziehungen zu Moskau selbst liegt. Wir sollten nicht von vornherein mit den Achseln zucken und stets nur mißtrauisch sein. Meine Freunde und ich sind unverdächtig, aufgeweicht zu sein. Aber reden muß man mit den Leuten drüben! Meine Fraktion wird nicht nachlassen, die Regierung in dieser Frage zu drängen. Deswegen brauchen wir nicht bereit zu sein, reale Sicherheiten zugunsten blasser Illusionen zu opfern, und auch nicht bereit zu sein, unser Recht auf freiheitliche Selbstbestimmung Kompromissen zu opfern, die uns für immer der Freiheit berauben würden. Wenn wir aber wirklich der Überzeugung sind, die bessere Sache zu vertreten — und ich glaube, wir sind es alle, meine Damen und Herren —, dann sollten wir auch den Mut aufbringen, jene Gespräche zu führen, die eventuell das Klima verbessern und uns auch von dem Vorwurf befreien könnten, nichts für ein besseres Verhältnis mit den Staaten des Ostens getan zu haben.
    Außerdem muß man, um eine gute Außenpolitik betreiben zu können, auch über entsprechende Informationsmöglichkeiten verfügen. Wie sollen wir zu diesen gelangen, wenn nicht durch entsprechende Kontakte zu den Staaten, deren Meinungen und Auffassungen wir ergründen wollen? Ich habe mich für meine Fraktion auch zum Sprecher dieser Forderung gemacht, weil wir nichts zu fürchten, sondern im Gegenteil wahrscheinlich etwas zu gewinnen haben.
    Wenn allerdings, wie im Falle Jugoslawien, unsere Bereitschaft zu freundlichen Beziehungen mit ausgesprochenen Unfreundlichkeiten honoriert wird, dann sollten wir auch nicht zögern, ohne Überheblichkeit, aber mit Bestimmtheit die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Die Reaktion in Belgrad hat im übrigen die Richtigkeit des Schrittes unserer Regierung bestätigt. Ich muß von dieser Stelle aus dem bremischen Bürgermeister Kaisen nachdrücklich widersprechen, der seine Kritik am Vorgehen der Bundesregierung im Falle Jugoslawien unter anderem damit unterstreicht, daß er sagt, die Bundesregierung müsse sich stets bewußt sein, daß sie als Treuhänder auch der Deutschen in der Sowjetzone zu handeln habe. Gerade aus diesem Grunde und aus diesem Bewußtsein haben auch meine politischen Freunde dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen ihre Zustimmung gegeben, weil wir es nicht zulassen können, daß in der Welt und erst recht nicht bei den Deutschen in der Sowjetzone der Eindruck entsteht, als hätte man sie abgeschrieben und als stünde der Anerkennung eines zweiten deutschen Staates fürderhin nichts mehr im Wege.

    (Beifall rechts.)




    Schneider (Bremerhaven)

    Es wird sich noch zeigen, ob die deutsche Ostpolitik durch dieses Experiment, dessen Nachwirkungen unabsehbar sind, auf eine schiefe Ebene geraten ist, wie Kaisen es vor dem Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates behauptet hat. Die Reaktion Jugoslawiens auf den deutschen Schritt läßt jedenfalls bisher genau das Gegenteil erkennen, obwohl die Frage nach dem weiteren Schicksal der wirtschaftlichen Beziehungen zu Jugoslawien durch die Bundesregierung noch nicht einmal endgültig entschieden ist.
    Die wichtigste Grundlage der Einheit unseres Vaterlandes in Freiheit ist das unzerstörte Bewußtsein der Zusammengehörigkeit unseres Volkes als geschichtliche Nation. Dieses Bewußtsein dürfen wir nicht auslöschen lassen. Gesamtdeutsche Innenpolitik ist daher Pflege dieses Bewußtseins durch individuelle Kontakte. Doch sollten wir auch die übrigen sogenannten technischen oder organisierten Kontakte nicht ohne weiteres und von vornherein ablehnen. Zwar werden die kommunistischen Machthaber in der Zone diese Kontakte für ihre Spitzeldienste, menschliche Korrumpierung, polizeilichen Druck und auch zum Schein falscher Legitimität ihrer Herrschaft mißbrauchen. Aber da wir die bessere Sache zu vertreten haben, werden wir sicherlich sehr bald feststellen, daß wir den Funktionären drüben mit unserem Wunsch nach Kontakten mit unseren deutschen Menschen jenseits der Elbe lästig werden, wie es im übrigen verschiedene Ereignisse der letzten Zeit, insonderheit der Evangelische Kirchentag, gezeigt haben. Wir müssen auch in diesen Fragen aus der Defensive herauskommen und eine Aktivität entfalten.
    Noch eines! Für uns wird das Ziel der Einheit in Freiheit nicht durch die Oder oder die Görlitzer Neiße begrenzt. Wir denken nicht an Verzicht, denn das Recht auf die angestammte Heimat ist unantastbar. Dies alles bedeutet nicht eine Politik der Stärke, sondern eine Politik der Selbstbehauptung. Mit Festigkeit im Grundsätzlichen und mehr Geschmeidigkeit und Anpassungsfähigkeit im Handeln, als wir es in der Vergangenheit manchmal bewiesen haben, werden wir unser gestecktes Ziel schließlich doch erreichen. Wir gehen jedenfalls mit Mut und Selbstvertrauen an die vor uns liegenden Aufgaben heran und wissen, daß wir sie so meistern werden, wie wir sie gemeinsam mit Ihnen in den letzten acht Jahren auch gemeistert haben. Wir gehen an diese Aufgaben heran angesichts des Gewissens unseres Volkes und in der Verantwortung vor einem Höheren, der schützend seine Hand auch über uns hält. Wir hoffen, daß es der neuen Bundesregierung gelingt, in dieser unruhigen und durch Spannungen gefährdeten Welt das Gewicht des deutschen Volkes als einen Faktor der politischen Stabilität in die Waagschale des Geschehens zu legen. Dazu ist Ruhe und Gelassenheit notwendig. Überbürdete Geschäftigkeit und der Hang zum Perfektionismus gehen an der wesentlichen Aufgabe vorbei, ein Vertrauen zu begründen, das allein die Fähigkeit gibt, auch Krisen zu überdauern und Stürme zu überstehen. Unserer Bevölkerung in der Bundesrepublik aber möchte ich namens meiner
    politischen Freunde zurufen, sich zum Maßstab ihrer eigenen Zufriedenheit und Unzufriedenheit stets die Verhältnisse zu nehmen, unter denen 18 Millionen Deutsche in der sowjetisch besetzten Zone zu leben gezwungen sind.

    (Beifall bei der DP und bei der CDU/CSU.)