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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957 . . . . 31 A Dr. Krone (CDU/CSU) 31 A Ollenhauer (SPD) . . . 41 A, 86 D, 88 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 55 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 66 D Höcherl (CDU/CSU) . . . . 77 C, 79 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 81 B, 90 A, 97 B, 97 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 84 B, 93 D, 94 D Dr. Deist (SPD) . . . 79 C, 90 D, 94 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 88 A Margulies (FDP) 95 A Erler (SPD) 96 A Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 97 D Glückwunsch zum 65. Geburtstag des Abg. Schröter (Berlin) 77 C Nächste Sitzung 98 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 99 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 31 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 10.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Bauer (Wasserburg) 6. 11. Bauknecht 6. 11. Birkelbach *) 9. 11. Birrenbach *) 9. 11. Bühler 6. 11. Conrad*) 9. 11. Dr. Deist*) 9. 11. Dr. Dollinger *) 9. 11. Ehren 6. 11. Freiherr von Feury 6. 11. Frehsee 5. 11. Frenzel 10. 11. Frau Friese-Korn 1. 12. Dr. Furler*) 9. 11. Gaßmann 10. 11. Haage 5. 11. Höfler 6. 11. *) für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Illerhaus 9. 11. Jahn (Frankfurt) 6. 11. Dr. Jordan 6. 11. Kalbitzer 5. 11. Dr. Kopf *) 9. 11. Dr. Kreyssig*) 9. 11. Lenz (Brühl) *) 9. 11. Dr. Leverkuehn 6. 11. Metzger *) 9. 11. Dr. Oesterle *) 9. 11. Pelster *) 9. 11. Dr. Philipp*) 9. 11. Rademacher 6. 11. Ramms 6. 11. Dr. Seume 16. 11. Walpert 5. 11. Frau Wolff (Berlin) 16. 11. Zoglmann 5. 11. b) Urlaubsanträge Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20. 12. Kühlthau 25. 11. Scheel 15. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte eine Bemerkung vorausschicken. Der Herr Kollege Ollenhauer hat seine Ausführungen damit eröffnet, daß er feststellte, in diesem Hause säßen nach der Wahl vom 15. September nur noch vier Fraktionen. Er hat sich dann dahin korrigiert, daß es, genau genommen, nur dreieinhalb Fraktionen seien. Wir nehmen diese Bemerkung mit Gelassenheit zur Kenntnis. Aber ich nehme mir die Freiheit, hier festzustellen, daß es die vornehmste Aufgabe in der Demokratie ist, die Rechte der Minderheit zu achten. Wenn man sie so wenig respektiert, wie Herr Ollenhauer das mit seiner, ich möchte sagen: ungezogenen Bemerkung getan hat, dann hat man kein Recht, sich als Gralshüter der Demokratie aufzuspielen, wie es die Sozialdemokraten immer so gerne tun.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der Herr Oppositionsführer hat dann von dieser Stelle aus im Verlauf seiner weiteren Rede gesagt, daß für die Sozialdemokratische Partei ein Mindestmaß von Anstand und Achtung vor dem politischen



    Schneider (Bremerhaven)

    Gegner selbstverständlich sei. Meine Damen und Herren, dies kann ich dann nur als ein Lippenbekenntnis werten, allerdings als das Lippenbekenntnis eines geschlagenen Parteiführers.

    (Beifall bei der DP. — Lachen bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, in der Erklärung, die die Grundlage des Wirkens der dritten Bundesregierung bilden soll, hat der Herr Bundeskanzler die Hoffnung ausgedrückt, daß die gröbste Arbeit bei der Wiederaufrichtung eines freien deutschen Staatswesens nunmehr hinter uns liege. An diese Feststellung möchte ich einige einleitende Überlegungen knüpfen. Die Fülle der Aufgaben in den vergangenen Jahren und die Last der Arbeit, die von allen Schichten unserer Bevölkerung bewältigt werden mußte, haben uns oftmals nicht die Zeit gelassen, in Ruhe über die Fragen nachzudenken, die über unseren Alltag hinausreichen. Das trifft auch auf die Mehrzahl jener Menschen zu, die in den vergangenen Jahren die politische Verantwortung in Bund, Ländern und Gemeinden getragen haben. Wem ist es in der Fülle drängender Entscheidungen und vielfältiger Sorgen wirklich zum Bewußtsein gekommen, daß seit dem Zusammenbruch im Jahre 1945 bereits zwölf Jahre vergangen sind, die Währungsreform bereits über neun Jahre hinter uns liegt und die Bundesrepublik bereits in das neunte Jahr ihres Bestehens geht? Wir kommen nicht darum herum, diese Zeiträume an den vierzehn Jahren zu messen, die die Weimarer Republik existiert, und an den zwölf Jahren, in denen das nationalsozialistische Regime unserem Schicksal seinen Stempel aufgedrückt hat.
    Wenn wir solche Parallelen ziehen, dann müssen wir uns gerade in dieser Stunde auch der Frage stellen, die eine der angesehensten Zeitungen der freiheitlichen Welt des Westens aufgeworfen hat. Ich meine die Feststellungen der Londoner „Times", derzufolge die Bundesrepublik heute eine Wirtschaft sei, die sich auf der Suche nach der Nation befinde. Am 15. September hat die Bevölkerung der Bundesrepublik mit klarer Mehrheit die Politik der zweiten Bundesregierung und der sie tragenden Parteien gebilligt. Die Deutsche Partei ist stolz darauf, dem Werk der vergangenen acht Jahre ihre Arbeit und jhre Kraft gewidmet zu haben. Sie ist der Verantwortung auch dann nicht ausgewichen, wenn die Rücksichtnahme auf parteipolitische Zielsetzungen vielleicht der einfachere Weg gewesen wäre. Das aber berechtigt uns nicht nur heute, sondern verpflichtet uns auch, im Sinne eines weitergesteckten politischen Auftrags nach den Gründen zu forschen, die die Mehrheit unserer Bevölkerung bei ihrer Entscheidung am 15. September geleitet haben.
    Als der Herr Bundeskanzler am 29. Oktober die Regierungserklärung abgab, kam von der linken Seite dieses Hauses der Zwischenruf: „Keine Experimente!" Ich meine, daß mit diesem Wort tatsächlich am besten jene Stimmung umschrieben worden ist, die die Mehrheit unserer Bevölkerung bei ihrer Stimmabgabe am 15. September bewegt hat. Ich glaube darüber hinaus, daß wir keinerlei Grund haben, dieses Verlang... unserer Bevölkerung nach
    Sicherheit und ungestörter Fortentwicklung zu schmähen. Was anderes soll ein Volk wie das unsere ersehnen, das in einem Zeitraum von rund 30 Jahren zwei furchtbare militärische Niederlagen und drei Versuche staatlicher Neuordnung erlebt hat und dessen wirtschaftliche Grundlagen durch zwei Inflationen völlig zerrüttet worden sind; ein Volk, dessen nationale Einheit zum Objekt der großen Auseinandersetzung zwischen Ost und West geworden ist, ein Volk, in dem jeder vierte im Laufe der letzten zwölf Jahre seine Heimat verloren hat? Ist dieses Verlangen nach Sicherheit vor allem materieller Art, das breite Schichten unserer Bevölkerung zu unerhörten Leistungen angespornt hat, ein Grund, zu behaupten, daß in Westdeutschland „eine Wirtschaft auf der Suche nach der Nation" sei?
    Niemand von uns übersieht die Auswüchse des sogenannten Wirtschaftswunders. Niemand drückt die Augen zu vor dem Neomaterialismus, der unserem Leben an manchen Stellen einen alles andere als schönen Stempel aufdrückt. Steckt aber hinter diesen Erscheinungen nicht auch etwas ganz anderes als die oftmals hektisch anmutende Sucht nach gedankenlosem Lebensgenuß?
    Geben wir uns doch keiner Täuschung hin, meine Damen und Herren! Wenn manche unter uns leben, als ob der heutige Tag der letzte sei, dann steckt doch auch dahinter in den meisten Fällen das Bewußtsein der Gefährdung unserer Lage, das Bewußtsein der Gefahren, die die ganze Welt und uns in ganz besonderem Maße bedrohen.
    Diese Erscheinungen dürfen aber andererseits unseren Blick für die überwältigenden Beweise von Vertrauen in die Zukunft, die unser Volk in den vergangenen Jahren abgelegt hat, nicht trüben. Millionen haben auch nach dem schrecklichsten Zusammenbruch unserer Geschichte keinen Augenblick gezögert, Hand mit anzulegen beim Wiederaufbau unserer staatlichen und materiellen Existenz, und haben Leistungen vollbracht, die in der ganzen Welt geachtet und beachtet werden.
    Sie haben darüber hinaus durch ihre politische Entscheidung eine Regierung bestätigt, unter deren Zielen die Sicherung von Freiheit und Unabhängigkeit den ersten Platz seit eh und je eingenommen hat,

    (Beifall rechts)

    auch wenn der Oppositionsführer hier das Gegenteil behauptet.
    Ich meine, daß es sich in Westdeutschland nicht um eine „Wirtschaft auf der Suche nach der Nation" handelt, sondern um eine Nation, die dabei ist, den Weg zu sich selbst zurückzufinden. In der Mitwirkung bei der Lösung dieser Aufgabe erblickt die Deutsche Partei die besondere Verpflichtung in den kommenden Jahren.
    Der Herr Bundeskanzler hat von den schwierigen, Situationen gesprochen, die die nächste Zeit sowohl auf außenpolitischem als auch auf wirtschaftspolitischem Gebiet mit sich bringen kann. Wir begrüßen diese offenen Worte, weil meine Partei davon
    68 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode - 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957
    Schneider (Bremerhaven)

    überzeugt ist, daß ein tragfähiges Staatsbewußtsein nur aus klarer Einsicht in die Lage, nicht aber aus Schönfärberei und Optimismus um jeden Preis erwächst.
    Dieses Staatsbewußtsein zu stärken und weiter zu entwickeln ist eine Aufgabe aller demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik. Wer den Aufgaben gerecht werden will, die uns in den kommenden Jahren gestellt werden, muß den Mut haben, nicht nur im kleinen Kreise die alte Wahrheit zu bejahen, daß Wohlstand kein Ersatz für Staatsbewußtsein ist und sein kann.

    (Beifall rechts.)

    Dieser Mut zu klaren Einsichten und der Mut, sie dann auch offen zu vertreten, wird, so glauben wir von der Deutschen Partei, in den kommenden Jahren mehr als einmal notwendig sein. Unser neuer demokratischer Staat, die Keimzelle eines im Frieden und Freiheit wiedervereinigten Deutschlands, ist bis jetzt noch auf keine ernsthafte Probe gestellt worden. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Wir haben aber als verantwortungsbewußte Politiker die Pflicht, nicht nur uns selbst, sondern auch unser Volk auf diese ernsten Prüfungen vorzubereiten. Zu dieser Vorbereitung gehört vor allem der Wille, bei allen Entscheidungen das Ganze zu sehen und jede Maßnahme ohne Rücksicht auf die Forderungen von Gruppen und Interessentenverbindungen in die Verantwortung für das Ganze einzuordnen. Dazu gehört weiter der Mut, unserer Bevölkerung auch in Wahljahren immer wieder klarzumachen, daß es auf dieser Erde nichts geschenkt gibt, weder materiellen Fortschritt noch militärische Sicherheit oder gar die Freiheit.

    (Beifall bei der DP.)

    Das ist eine klare Absage an jede Art von Gefälligkeitsdemokratie, aber der einzige Weg, einen Staat aufzurichten, der diesen Namen verdient.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung an mehreren Stellen davon gesprochen, daß die Fortführung der Politik der westlichen Einheit in den kommenden Jahren unter Umständen große Opfer materieller Art auch vom deutschen Volke erfordern kann. Die Deutsche Partei unterstreicht auch diese Mahnung im vollen Bewußtsein der Bedeutung dieser Ausführungen. Sie glaubt aber, Grund zu der Frage zu haben, ob in den vergangenen Jahren alle politischen Kräfte in der Bundesrepublik sich in demselben Maße wie wir selbst darum bemüht haben, Verständnis für solche Forderungen zu erwecken. Wir sind uns dabei völlig darüber klar, daß mit dieser Fragestellung eines der schwierigsten Probleme für die ganze westliche Welt überhaupt aufgeworfen ist. Auf der einen Seite ist es in der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Ost und West eine unabdingbare Notwendigkeit, immer wieder die Überlegenheit unseres Wirtschaftssystems gegenüber dem ausbeuterischen Staatskapitalismus zu beweisen, unter dem Hunderte von Millionen im bolschewistischen Block zur Fronarbeit gezwungen werden. Auf der anderen Seite aber erfordert der Zwang zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts
    des Schreckens materielle Opfer von der westlichen Welt, die erkennbar bereits heute die Leistungsfähigkeit einer ganzen Reihe von Völkern auf schwerste Proben stellen. In diesem Dilemma den richtigen Weg zu finden, kann nur gelingen, wenn in allen Schichten das Bewußtsein der Verantwortung vor dem Ganzen als gültiges Gesetz anerkannt wird.
    Wir alle wissen, daß auch in den kommenden Jahren große Aufgaben durch die gemeinsame Arbeit von Bundestag und Bundesregierung gelöst werden müssen. Es wird dabei wesentlich darauf ankommen, mit dieser Arbeit so bald wie möglich zu beginnen und nicht wieder, wie es leider in der 2. Legislaturperiode des Bundestages der Fall war, kostbare Zeit verstreichen zu lassen, um nachher in Überstürzung und Überhastung Gesetze zu verabschieden, deren Reformbedürftigkeit uns bereits bei der letzten Lesung deutlich vor Augen steht.

    (Beifall bei der DP.)

    Ich möchte mich nun der Frage zuwenden, in welchem Umfang die Lösung der vielfältigen Aufgaben durch die organisatorischen Veränderungen innerhalb der Bundesregierung gefördert wird, wie sie der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vom 29. Oktober mitgeteilt hat. Ich darf einige grundsätzliche ,Gedanken voranstellen. Der Herr Bundeskanzler hat diesen Abschnitt seiner Erklärung mit einigen Betrachtungen über Stellung und Aufgaben eines Bundesministers eingeleitet. Wir haben nicht den Eindruck, daß damit die parlamentarische Stellung der Minister verstärkt worden ist. Nach dem Grundgesetz sollen die Minister keine Oberstaatssekretäre und keine Generalreferenten ihrer Ministerien sein, sondern in erster Linie politisch eigenverantwortliche Organe des ganzen Staates und Träger eigener Verantwortung gegenüber dem Parlament. Sie werden im politischen Sinne unmittelbar verantwortlich gemacht, wenn auch ihre Entlassung nur gegenüber dem Bundeskanzler erzwungen werden kann. Wir jedenfalls wünschen keine Schwächung der politischen Stellung der Minister, weil sonst das parlamentarische Regierungssystem und das Zusammenspiel der politischen Kräfte Schaden leiden müßte.
    Auch bei der Bildung des Regierungswillens darf kein Konformismus herrschen. Das würde der Suche nach dem objektiv Richtigen und dem Ringen um den besten Weg schaden. Die unübersehbare Fülle der Staatsgeschäfte stellt immer wieder die Aufgabe, das Ganze zu sehen, Zuständigkeiten zu ordnen und Doppelarbeit und Reibungen zu vermeiden. Wir wünschen daher eine Verstärkung der Stellung des Ministers gegenüber seiner Bürokratie und eine Verbesserung der Maßnahmen, die innerhalb der Regierung auf bestimmten Gebieten ein Zusammenwirken der Ressorts nach übergeordneten Gesichtspunkten ermöglichen. Vor allem aber eines, meine sehr verehrten Damen und Herren von links bis rechts: oberstes Organ in der Demokratie ist das Parlament, eine Tatsache, die in der Vergangenheit nicht immer gerade gebührende Beachtung gefunden hat.

    (Zustimmung rechts.)




    Schneider (Bremerhaven)

    Es ist nicht nur uns aufgefallen, daß die Regierungserklärung kein besonderes Wort über die schon so lange geforderte und so viel erörterte Verwaltungsreform enthalten hat, — wenngleich ich zuzugeben bereit bin, daß selbstverständlich in einer solchen Erklärung nicht sämtliche uns und den Staat berührenden Probleme angesprochen werden können. Wir möchten aber mit allem Nachdruck in Erinnerung bringen, daß dieses Problem auch weiterhin der vollen Beachtung des Parlaments und der Bundesregierung wert ist und keinesfalls nur mit kleinen Kunstgriffen gelöst werden kann.

    (Beifall bei der DP.)

    Die Grundgedanken des Freiherrn vom und zum Stein haben im Prinzip und heute noch ihre Gültigkeit nicht verloren. Seine Reform wurde von dem Ziel bestimmt, eine Zusammenfassung der Staatsorgane auf der Regierungsebene zu ermöglichen und durch die Wiederbelebung der Selbstverwaltung auf der unmittelbar mit den Menschen in Berührung stehenden Ebene der Gemeinden eine dem Ganzen dienliche Dezentralisation zu erreichen. Wir sollten den Schwerpunkt der Verwaltungsreform in einer Kräftigung der Stellung der Gemeinden erblicken,

    (Beifall bei der DP)

    die selbstverständlich auch entsprechende finanzielle Maßnahmen bedingt. Immer aber wird der Gedanke der Selbstverwaltung und der Abgabe von Aufgaben nach unten entscheidend sein.
    Nun darf ich mich noch einigen anderen Einzelheiten zuwenden. Die Deutsche Partei erwartet insbesondere von der Neubesetzung des Finanzministeriums eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschaftsminister, die in den vergangenen Jahren oftmals erkennbar zu wünschen übriggelassen hat. Ich bitte es mir nicht zu verübeln, wenn ich das hier mit aller Offenheit ausspreche; es ist ja auch kein Geheimnis. Diese Zusammenarbeit scheint uns von wesentlicher Bedeutung zu sein für das Gelingen der Steuer- und Kapitalmarktreform, über deren dringende Notwendigkeit es heute kaum noch unterschiedliche Meinungen auch in diesem Hause geben dürfte. Von dem Funktionieren dieser Zusammenarbeit hängt aber auch gleichermaßen die Erfüllung aller jener Hoffnungen ab, die dem Mittelstand — oder besser gesagt: den breiten Mittelschichten unseres Volkes — in der Erklärung vom 29. Oktober aufgezeigt worden sind. Dabei bedarf es keiner Frage, daß die Förderung der Mittelschichten nicht nur eine Angelegenheit materieller Maßnahmen ist, sondern darüber hinaus einen wichtigen Teil des Gesamtproblems der sozialen Neuordnung unseres Volkes darstellt.
    Besondere Beachtung verdient auch die Errichtung des neuen Bundesministeriums für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes. Meine politischen Freunde hoffen, daß gerade dieses Ministerium sich in den kommenden Jahren bemühen wird, die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers Lügen zu strafen, wonach jedes Ministerium angeblich wie ein vielarmiger Polyp ständig nach neuen Aufgaben greift. Nach den Vorstellungen der Deutschen Partei muß es das Hauptbestreben des neuen Bundesschatzministers sein, sich mit aller Energie der Aufgabe der Privatisierung großer Teile des Bundesbesitzes zuzuwenden, auch auf die Gefahr hin, daß der Aufgabenbereich seines Ministeriums auf diese Weise von Jahr zu Jahr kleiner wird.

    (Beifall bei der DP.)

    Wir sind hier also genau entgegengesetzter Auffassung wie die Opposition. Hier muß sich insbesondere erweisen, ob die programmatischen Erklärungen gegen eine Weiterentwicklung in staatskapitalistischer Richtung mehr sind als nur beifällig aufgenommene Verzierungen des Regierungsprogramms. Es scheint der Deutschen Partei gerade in diesem Zusammenhang von wesentlicher Bedeutung, dem neugebildeten Bundesschatzministerium einen Bundestagsausschuß für das Bundesvermögen und die Bundesbeteiligungen gegenüberzustellen, um dem Parlament ausreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf alle diese Fragen zu geben.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Ich weiß, daß für dieses Vorhaben meiner politischen Freunde im Augenblick schlecht Gehör zu finden ist. Ich möchte es aber nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, und wenn es nur zu dem Zweck ist, uns selbst ein Alibi zu verschaffen, wenn etwa eines Tages festgestellt werden sollte, daß es besser gewesen wäre, wenn man einen solchen Ausschuß geschaffen hätte.
    Die Übertragung der Jugendfragen vom Innenministerium auf das Familienministerium ist in der Öffentlichkeit, offen gesagt, nicht mit ungeteiltem Beifall aufgenommen worden. Ich möchte dazu erklären, daß uns die ressortmäßige Verlegung weniger entscheidend erscheint als die Frage, welche Voraussetzungen noch mehr als bisher geschaffen werden können, damit die junge Generation ungehindert in Staat und Gesellschaft hineinwachsen kann. Wir verknüpfen auf jeden Fall die Hoffnung damit, daß diese Jugendpolitik des Bundes sich nicht lediglich auf eine, sagen wir einmal, Fondsverwaltung womöglich noch unter solchen Gesichtspunkten beschränkt, die im politischen Leben keine Rolle spielen sollten.
    Ich möchte bei dieser Gelegenheit hier eine ausdrückliche Warnung an alle jene verbinden, die unter Ausnutzung formaler, oftmals sehr anfechtbarer Satzungsbestimmungen sich selbst gegenseitig ihre demokratische Zuverlässigkeit bescheinigen, um damit an dem Aufkommen der Steuerzahler teilhaben zu können, jedoch mit oftmals nicht gerade fairen Methoden versuchen, einen Teil der übrigen Jugendverbände von der Förderung durch Steuermittel auszuschließen.
    Hierher gehört auch die Prüfung der Frage, wie weit wir für die Erhaltung der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und der Freude unserer Jugend mehr Möglichkeiten als bisher erschließen können, um ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Man wird



    Schneider (Bremerhaven)

    mir entgegenhalten, dies sei Sache der Gemeinden und der Länder. Wir sollten aber in dieser Frage nicht allzu formal denken. Wir werden zumindest in der Koalition einen Weg finden können, wie wir in diesem Sinne gegebenenfalls verfahren können. Jedenfalls sollte der Bund auch den Ländern und Gemeinden eine Hilfestellung geben, wenn es sich um solche Institutionen handelt, die der Gesunderhaltung und der Ertüchtigung unserer Jugend dienen, d. h. Hallenbäder, Sportplätze, Tagesstätten usw. Ich wäre dankbar, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir hierüber einmal ein ausführliches Gespräch haben könnten.
    Der Herr Bundeskanzler hat bei seinen Ausführungen über die Neuorganisation der Bundesregierung nicht für sich in Anspruch genommen, auf allen Gebieten schon das Richtige getroffen zu haben, und sich vorbehalten, notfalls weitere Änderungen vorzunehmen. Ich möchte diesen Vorbehalt aufgreifen und hier die Frage aufwerfen, ob es nicht an der Zeit gewesen wäre, im Zuge der Neuorganisation der Bundesregierung dem Gedanken der Schaffung eines selbständigen Gesundheitsministeriums näherzutreten. Einmal ist das Innenministerium trotz der Abgabe der Jugendfragen auch in den kommenden Jahren mit einer Fülle von Aufgaben bedacht, die ihm eine ungewöhnliche Arbeitslast auferlegen. Zum anderen gewinnen die Fragen der Gesundheitspolitik immer größere Bedeutung. Es erscheint uns notwendig, auch diesen ganzen Komplex noch einmal einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.
    Das gleiche gilt für das große Gebiet von Wissenschaft und Forschung, das auch weiterhin zum Aufgabenkreis des Bundesinnenministeriums gehören wird, soweit der Bund hier überhaupt eine Initiative entfalten kann oder will. Selbstverständlich ist es unmöglich, in einer Regierungserklärung alle Lebensgebiete ihrer Bedeutung nach zu behandeln. Trotzdem darf nicht verschwiegen werden, daß es in der Öffentlichkeit ebenfalls aufgefallen ist, daß der Herr Bundeskanzler kein Wort über die uns seit langem bewegenden Probleme der Förderung von Wissenschaft und Forschung gesagt hat. Ich möchte es deswegen für die Koalition nachholen.
    Die Deutsche Partei, und mit ihr sicherlich die CDU/CSU, glaubt nicht, daß mit der vor einiger Zeit beschlossenen Errichtung des sogenannten Wissenschaftsrates auf diesem Gebiet bereits das letzte Wort gesprochen ist. Die vielfältigen Warnrufe der dafür zuständigen Kreise, die mit Recht darauf hinweisen, daß bislang keineswegs die erforderlichen Voraussetzungen für die Heranbildung eines technischen und wissenschaftlichen Nachwuchses gegeben sind, wie sie bei der rasant fortschreitenden Entwicklung in der ganzen Welt gefordert werden müssen, dürfen nicht länger überhört werden.

    (Beifall bei der DP.)

    Zwar wird dies erhebliche materielle Anstrengungen kosten; sie sind aber nicht zu umgehen, wenn das deutsche Volk auch in Zukunft den immer stärker werdenden Konkurrenzkampf in der Welt bestehen will.
    Dazu gehört auch der Neubau von Schulen in der Bundesrepublik. Wenden Sie bitte nicht ein, daß dies Länderangelegenheit sei. Wenngleich formal der Neubau von Schulen auch Ländersache ist
    — was ich bedaure! —, so läßt sich doch nicht bestreiten, daß es sich vielfach noch um einen kriegsbedingten Nachholbedarf handelt, für den die Zuständigkeit, oder sagen wir wenigstens: Mitverantwortlichkeit des Bundes nicht von der Hand gewiesen werden kann.

    (Abg. Schoettle: Das haben wir vor einem Dreivierteljahr auch schon gesagt!)

    — Eben; und jetzt wollen wir etwas tun, verehrter Herr Kollege Schoettle.

    (Abg. Schoettle: Jetzt fällt es Ihnen auch ein!)

    Man ist manchmal versucht, diese Tatsache als trostlos genug zu empfinden. Wenn auf diesem Gebiete — das ist die feste Überzeugung meiner politischen Freunde — nichts Entscheidendes geschieht, und zwar in allernächster Zeit geschieht, werden Leistungsabfall der Schüler und physische und psychische Überbeanspruchung unserer Schulkinder ein Ausmaß annehmen, das wir nach inzwischen gewonnenen eindeutigen medizinischen Erkenntnissen vor uns und unseren Kindern nicht verantworten können.

    (Beifall bei der DP.)

    Ich sage dies mit allem Ernst und bin überzeugt, daß keiner von Ihnen mir in dieser Frage widersprechen kann.
    Ganz besonders kritisch wird die Neuabgrenzung der Geschäftsbereiche im Arbeitsministerium von uns beobachtet. Die Aufgabenerweiterung des Bundesministeriums für Arbeit auf die sogenannte soziale Neuordnung wird besonders - und das wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, meine sehr verehrten Damen und Herren — von den freien Berufen beanstandet. Ich bin überzeugt, daß die Kritik, die aus den Kreisen beispielsweise der Rechtsanwälte und Ärzte kommt, auch von den Angehörigen der Presse, der Künstlerschaft, den Professoren, Architekten und anderen freien Berufen, die nicht Angestellte oder Beamte sind, geteilt wird. Die vermutliche Absicht, die freien Berufe in Formen der sozialen Sicherung zu pressen, die ihren individuellen Bedürfnissen nicht entsprechen, wird von uns mit Sorge betrachtet. Die Veröffentlichung in einem Bonner Nachrichtendienst von gestern findet unsere volle Unterstützung. Es heißt darin mit Recht:
    Sehr verblüfft war man in diesen Kreisen über die Ankündigung, das frühere Sonderministerium Schäfer, das später zu einer Dienststelle für den unselbständigen Mittelstand und die freien Berufe umgestaltet wurde, ins Bundesarbeitsministerium einzubauen. Die freien Berufe haben in der Vergangenheit diese Lösung immer abgelehnt, weil nach ihrer Auffassung das Arbeitsministerium zu stark auf die Arbeitnehmerinteressen ausgerichtet ist. Der Bundesverband der freien Berufe hat fast gleichzeitig



    Schneider (Bremerhaven)

    mit der Regierungserklärung in einer Entschließung die Beibehaltung der Dienststelle mit unmittelbarem Vortragsrecht im Kabinett und ihre Leitung durch eine aktive politische Persönlichkeit aus den freien Berufen gefordert.
    Bisher hat weder die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers noch irgendeine Stellungnahme des neuen Arbeitsministers deutlich gemacht, wie die Ausweitung seines Ministeriums und wie die Zielsetzung der Vertretung der Interessen der freien Berufe gedacht ist. Wir wollen jedenfalls ganz konkret dazu sagen, daß die Frage der Alterssicherung der Angehörigen der freien Berufe ernsthaft geprüft und neu durchdacht werden muß und daß ihre Einbeziehung in irgendein System der Zwangsversicherung oder Zwangsversorgung uns nicht geeignet erscheint, die Probleme derjenigen zu lösen, die sich noch zur Selbstverantwortung und Selbstvorsorge bekennen wollen, auf die die Regierungserklärung im übrigen ja so positiv hingewiesen hat.

    (Beifall bei der DP.)

    Meine Damen und Herren! Wir erwarten, daß die Steuerreform neben den Impulsen, die sie zum Sparen und zur Kapitalbildung geben soll, besonders den Belangen der freien Berufe, individuelle Selbstvorsorge zu treffen, Rechnung tragen möge.
    Wir billigen die Entscheidung, daß die Fragen der wirtschaftlichen Einordnung in den europäischen Markt dem in erster Linie für das Geschick der deutschen Wirtschaft verantwortlichen Minister übertragen worden sind. Wir sind uns jedoch darüber im klaren, daß die wirtschaftliche Integration nur einen Teilbereich umfaßt und daß das gleiche Problem bei allen Ressorts auftritt, weil uns die Schaffung einer europäischen Gemeinschaft im politischen Sinne besonders am Herzen liegt. Zugleich aber sollte nicht übersehen werden, daß auch das Verhältnis von Bund und Ländern sorgfältiger Pflege bedarf, um einen Zerfall in Sonderinteressen zu verhindern und nicht an die Stelle eines freiheitlichen Bundesstaates einen auseinanderstrebenden Bürokratenföderalismus zu setzen. Wir begrüßen die Erweiterung der Aufgaben des Bundesratsministeriums, dürfen aber auch erwarten, daß dem Minister, dem die schwierige Aufgabe des Kontaktes und der Vermittlung zwischen Bund und Ländern anvertraut ist, von den übrigen Ressorts und auch von diesem Hause mit Verständnis und gutem Willen begegnet wird.
    Unter den Ländern muß Berlin seinen besonderen Platz haben. Es genügt uns nicht, in Berlin nur von Zeit zu Zeit repräsentative Sitzungen abzuhalten. Auch wir wünschen trotz und gerade wegen all der Schwierigkeiten, die wir selbst soeben erfahren haben, echte Arbeitssitzungen in Berlin. Berlin muß im übrigen in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht in die Bundesrepublik eingegliedert werden. Das Wahlrecht der Berliner zum Deutschen Bundestag — zeitweilig ein heißes Eisen, meine Damen und Herren — werden wir mit vielen von Ihnen in diesem Hause fordern und hoffentlich auch in nicht allzu ferner Zeit verwirklichen.
    Ich möchte diese Ausführungen zu den organisatorischen Veränderungen der Bundesregierung nicht abschließen ohne einen Ausdruck des Bedauerns darüber, daß der Herr Bundeskanzler dem Bundestag in seiner dritten Regierung keine Frau — oder meinetwegen auch mehrere Frauen — als Bundesminister vorgestellt hat. Die Proteste der maßgeblichen Frauenorganisationen der Bundesrepublik sind meinen Freunden durchaus verständlich. Ich meine, daß die Frauen vor allem in den hinter uns liegenden schweren Jahren und auch in den Zeiten der schwierigsten Aufbauarbeit in Bund, Ländern und Gemeinden in überreichem Maße bewiesen haben, daß auch sie sehr wohl zur Lösung wichtigster Aufgaben befähigt und imstande sind, vielleicht an mancher Stelle viel besser als manch ein Minister männlichen Geschlechts. Deshalb sollte auch diese Frage Regierung und Koalition erneut beschäftigen, wenn etwa weitere Umbildungen des Kabinetts sich als notwendig herausstellen sollten. Meine Damen und Herren, messen Sie dieser Frage keine zu geringe Bedeutung bei! Die Frauen haben nicht nur als Wählerinnen ihre Pflicht getan; sie haben als Staatsbürgerinnen im letzten Jahrzehnt unsagbare Opfer gebracht, aber auch größte Leistungen vollbracht, nicht nur beim Aufbau des Staates, sondern als Mütter, als Frauen, als mitarbeitende Ehefrauen und als berufstätige Frauen. Ohne ihre Leistung gäbe es keine gesunde Familie und auch keine wirtschaftliche Vollbeschäftigung.
    Ich komme zum Gebiet der Wirtschaftspolitik. Den Zielen, die die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik herausgestellt hat, können meine politischen Freunde von der Deutschen Partei um so mehr zustimmen, als hier erstmalig und in ganz besonderem Maße entscheidende Forderungen des Programms der Deutschen Partei aufgenommen worden sind, die wir bei früheren Gelegenheiten unseren Freunden von der CDU/CSU, manchmal leider vergeblich, nahezubringen versucht haben.
    So begrüßen wir in erster Linie die Ankündigung einer echten Steuer- und Finanzreform, die wir bereits seit Jahr und Tag als dringendste Aufgabe bezeichnet haben. Zur Finanzreform möchten wir dabei schon jetzt betonen, daß sie nicht nur die längst überfällige systematische Vereinfachung und die Beseitigung überholter Bagatellsteuern bringen muß, sondern daß vor allem zugleich eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung und auf der anderen Seite neben Bund und Ländern auch eine unmittelbare Beteiligung der Gemeinden, Kreise und Städte am Aufkommen der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftsteuer verwirklicht werden sollte.

    (Beifall bei der DP.)

    Wenn ich dies sage, befinde ich mich in der angenehmen Gesellschaft der Herren Fraktionsvorsitzenden der CDU-Landtagsfraktionen, die gerade in diesen Tagen ähnliche Forderungen aufgestellt haben. Ich wünsche den Verhandlungen der Herren mit dem Herrn Bundesfinanzminister guten Erfolg. An der Bereitschaft zur Erfüllung gerade der beiden letztgenannten Forderungen unserer Fraktion wird sich erweisen, ob und inwieweit die Bundesregie-

    Schneider (Bremerhaven)

    rung wirklich ein Bundesstaat und ob und inwieweit Dezentralisation und demokratische Selbstverwaltung der Gemeinden bloß Lippenbekenntnis oder echtes Anliegen sind.
    Zur Steuerreform muß vorweg bemerkt werden, daß sie von der von uns ebenfalls seit langem als besonders dringlich bezeichneten Kapitalmarktreform überhaupt nicht getrennt werden kann. Solange im Gegensatz zu unserer Auffassung werbende Anlagen oder bleibende Vermögenswerte der öffentlichen Hand, wie z. B. Darlehen zur Förderung der Wirtschaft, der Landwirtschaft oder des Wohnungsbaues, des Außenhandels oder unterentwickelter Gebiete, Bauten aller Art, Beteiligungen usw., aus überhöhten laufenden Steuereinnahmen statt über Anleihen am Kapitalmarkt finanziert werden sollen, werden der produzierenden Wirtschaft zwangsläufig die Mittel entzogen, mit denen sie ihre notwendigen Investitionen finanzieren könnte; sie wird und muß dann auf die Preise ausweichen. Mit den überhöhten Steuerforderungen und den zusätzlich aus der gleichen Ursache heraus überhöhten Preisforderungen aber wird allen übrigen Einkommensbeziehern die Voraussetzung zum Sparen und damit zur Befruchtung eines für Wirtschaft und öffentliche Hand ausreichenden ergiebigen Kapitalmarktes in entscheidender Weise entzogen. Hier zeichnen sich deutlich die Zusammenhänge zwischen Steuer- und Kapitalmarktreform einerseits und Preisstabilität und Sparbereitschaft andererseits ab. Es gehört nach unserer Auffassung nur scheinbar Mut dazu, einen als falsch erkannten Weg der Steuerpolitik zu verlassen. Wer gerade nach den Erfahrungen der letzten acht Jahre mit vollem Recht auf die These „Nicht Monopoleigentum für einen mächtigen Staat, sondern Einzeleigentum und freie Leistungsentfaltung für alle Staatsbürger" baut, kann gar nicht zu einem anderen Ergebnis kommen als zu dem, daß derjenige Staat, der mit Gewißheit ein Mehr an Steuern und ein Mehr an Anleihen haben möchte, zunächst einmal weniger Steuern verlangen muß. Über die Einzelheiten wird in den kommenden Monaten sicherlich noch eingehend beraten werden. Ich möchte aber jetzt schon für meine politischen Freunde anmelden, daß dabei nicht nur die Einkommen- und die Körperschaftsteuer, sondern vor allem auch die Umsatzsteuer in die Reform einzubeziehen sein werden.
    Ich habe soeben schon darauf hingewiesen, wie sehr eine tiefgreifende Steuer- und Kapitalmarktreform die Voraussetzung für eine Stabilhaltung des Preisniveaus ist, die dann allen Angehörigen unseres Volkes, insbesondere aber den Arbeitnehmern und Rentenempfängern wie auch den Gruppen, die hoffentlich einmal wieder im Alter von eigenen Ersparnissen leben können, gewährleistet, daß jede nominelle Verbesserung ihres Einkommens zugleich eine entsprechende reale Erhöhung bedeutet. Wir haben den Mut, es offen auszusprechen: Nur wenn der Staat zuvor — und deshalb darf hier keine Zeit verlorengehen, die Lösung dieser Aufgabe muß bis spätestens Mitte nächsten Jahres feststehen — die Steuer- und Kapitalmarktreform erfolgreich durchgeführt hat, kann er von den Sozialpartnern auf die Dauer die gerade von uns immer wieder angestrebte eigenverantwortliche Beobachtung der Grenzen des volkswirtschaftlichen Produktivitätszuwachses verlangen. Es geht wirklich nicht an, von Staats wegen allen möglichen Gruppen und Institutionen, sei es dem Kohlenbergbau, der Landwirtschaft, dem Althausbesitz oder der Bundesbahn, ins Gewissen zu reden und selbst nicht bereit zu sein, die Konsequenzen in der Steuer- und Kapitalmarktpolitik zu ziehen, die erst die Basis eines Vertrauens, nämlich eine echte Stabilität für die Zukunft, schaffen. können.
    Diese Forderungen bedeuten allerdings nicht — das möchte ich mit aller Entschiedenheit betonen —, daß dem Appell zum Maßhalten vorderhand noch kein Gewicht beizulegen wäre. Dieser Appell darf nicht nur eine bei Tagungen und Feierstunden beifällig aufgenommene Redensart sein; er muß im Gegenteil überall dort befolgt werden, wo die realen Interessen hart aufeinanderstoßen. Das Gesamtwohl des deutschen Volkes muß stets das oberste Gesetz auch für Unternehmer und Arbeitnehmer sein. Das scheint auf den ersten Blick selbstverständlich und ist es doch offenbar in den vergangenen Jahren bei zahlreichen Gelegenheiten nicht gewesen, wobei keineswegs etwa die Schuld nur auf einer Seite zu suchen ist. Wenn die wirtschaftliche Konjunktur erhalten und gleichzeitig weitere soziale Fortschritte gemacht werden sollen, ohne daß die Kaufkraft der Einkommen, der Löhne und Gehälter gemindert wird, dann müssen wir vor allem zu einer Objektivierung der Auseinandersetzungen zwischen den sogenannten Sozialpartnern kommen.

    (Zustimmung bei der DP.)

    Davon sind wir leider heute noch meilenweit entfernt, wie es scheint. Es ist unbestreitbar richtig, daß der Beschluß des Ruhrbergbaues, die Kohlenpreise zu erhöhen, die Problematik der wirtschaftspolitischen Lage der Bundesrepublik, wie ein maßgebender Unternehmer kürzlich schrieb, blitzartig hat sichtbar werden lassen.
    Fehler der Vergangenheit verlangen gebieterisch eine Korrektur. Zu diesen Fehlern zählt die Deutsche Partei in erster Linie das Übersehen oder Verschweigen unabweisbarer wirtschaftlicher Zusammenhänge. Der 2. Bundestag — es sei mir verstattet, das zu sagen — hat gerade in den letzten Monaten seiner Tätigkeit auf diesem Gebiete oftmals Erhebliches geleistet.
    Es ist klar, daß soziale Fortschritte, die über den Produktivitätszuwachs hinausgehen, ihren Niederschlag in Preiserhöhungen finden müssen. Diese werden um so fühlbarer und unangenehmer sein, je länger man sie durch politische Maßnahmen hinausschiebt. Es ist aber ebenso klar, daß auch manche Preiserhöhungen in der vergangenen Zeit nur in einer Ausnützung der guten Konjunktur begründet waren. Dabei haben die Sozialpartner mehr als einmal zum Schaden des Gesamtwohls einträchtig Hand in Hand gearbeitet. Sie geben sich aber einer Täuschung hin, wenn sie glauben, auf die Dauer den Folgen einer derartigen wirtschaftlichen



    Schneider (Bremerhaven)

    Unvernunft entgehen zu können. Nicht umsonst wird heute schon wieder bei zahlreichen Gelegenheiten in der Öffentlichkeit der Gedanke einer Zwangsschiedsgerichtsbarkeit erörtert, vorläufig noch unter negativen Vorzeichen, aber immerhin, das Thema ist aufgeworfen.

    (Sehr wahr! bei der DP.)

    Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen werden dann sinnlos und wirken dann sogar unsozial, wenn sie über Preiserhöhungen von der gesamten Verbraucherschaft bezahlt werden müssen. Preiserhöhungen andererseits verlieren sehr schnell ihren Reiz, wenn ihnen neue Lohnforderungen folgen und am Ende eine nachhaltige Schwächung der Kaufkraft unserer gesamten Währung steht.
    Diese Zusammenhänge sollten allen Einsichtigen seit Jahren klar sein. Trotzdem stößt die Forderung nach einer Versachlichung der Auseinandersetzungen zwischen den Sozialpartnern gerade beim Deutschen Gewerkschaftsbund immer wieder auf erbitterten Widerstand. Die Deutsche Partei kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich hinter diesem Widerstand noch immer die Absicht verbirgt, mit Hilfe der Tarifpolitik gesellschaftspolitische Veränderungen herbeizuführen.

    (Beifall bei der DP.)

    Auf der anderen Seite muß bei dieser Gelegenheit gleichfalls ausgesprochen werden, daß die Art der Verhandlungsführung des Ruhrbergbaus mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister in den vergangenen Wochen natürlich auch nicht dazu angetan war, das Vertrauen in die Versprechungen der Arbeitgeberseite zu einer Versachlichung der wirtschaftlichen Auseinandersetzungen zu verstärken. Auch dies darf wohl offen ausgesprochen werden. Beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sollten die Mahnung nicht überhören, daß die Freiheit der Sozialpartner ihre Begrenzung durch das Allgemeinwohl finden muß. Wer grundsätzlich diese Freiheit für sich erhalten will, soll das Unbehagen der Allgemeinheit gegenüber mancher Entwicklung der letzten Jahre nicht mißachten.
    Ich betone ausdrücklich, daß diese Worte keinesfalls einseitig gemeint sind. Um selbst diesem Vorwurf der Einseitigkeit zu entgehen, möchte ich außerdem hinzufügen, daß das Bild der wirtschaftspolitischen Entwicklung nicht richtig gezeichnet wird, wenn in diesem Zusammenhang immer nur von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, also der eigentlich produzierenden Wirtschaft, die Rede ist, nicht aber vom Handel in seinen vielfältigen Formen. Manches Manipulieren mit den Handelsspannen hat der wirtschaftlichen Entwicklung vielleicht noch mehr geschadet als der unbedachte Egoismus dei Sozialpartner in der erzeugenden Wirtschaft. Hiermit erhebe ich keinen generellen Vorwurf gegen den Handelsstand schlechthin. Denn gerade der überwiegende Teil der Anständigen des handeltreibenden Gewerbes wendet sich seit eh und je gegen jene, die die Konjunktur in unanständiger und unangebrachter Weise auszunutzen versuchen.
    Meine Damen und Herren! Die große Mehrheit der Wähler, die am 15. September die Politik der zweiten Bundesregierung bestätigt hat, hat das getan in der Hoffnung auf eine stetige wirtschaftliche Weiterentwicklung. Diese Hoffnungen nicht zu enttäuschen, ist eine Verpflichtung für die neue Regierung, der sie sich jederzeit erinnern sollte, wenn es darum geht, das Wohl der Gesamtheit vor den Ansprüchen einzelner Gruppen, ganz gleich welcher Art, zu sichern.
    Ich scheue mich auch nicht, mich im Anschluß gerade an diese Ausführungen den Problemen der deutschen Landwirtschaft kurz zuzuwenden. Denn mit allem Recht hat der Herr Bundeskanzler — und ich möchte das namens der DP ausdrücklich unterstreichen — die Landwirtschaft in einen allgemeinen staatspolitischen Zusammenhang gestellt. Nur so kann man nach unserer Auffassung diesen Fragen heute und auch in Zukunft gerecht werden. Guter Rat zur Agrarpolitik, so meint der Herr Bundeskanzler, sei willkommen. Wir glauben als Koalitionspartner solchen Rat am besten anbringen zu können. Wenn von den wirtschaftlichen Sorgen der Landwirtschaft gesprochen wird, muß nach Auffassung meiner politischen Freunde zugleich eindeutig klargestellt werden, daß die Landwirtschaft vor allem dadurch in die Lage gekommen ist, Staatshilfen in Anspruch nehmen zu müssen, weil ihr seit Jahren politisch und sozial kalkulierte Preise zugemutet wurden — ich glaube, das ist eine Erkenntnis, die sich auch anderweitig durchgesetzt hat —, während sich auf der anderen Seite ihre Unkosten, und hier in besonderem Maße die Lohn- und Soziallasten, nach der dynamischen Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft richteten. Ganz abgesehen von ihrer naturbedingten Sonderstellung ist die Rentabilität auch bei der Masse gut geleiteter Betriebe, die zwar zum größten Teil noch Nachholbedürfnisse haben, aber keine Strukturmängel aufweisen, zwangsläufig verlorengegangen und die Entlohnung der Arbeitskräfte gegenüber vergleichbaren Wirtschaftsbereichen in ein krasses Mißverhältnis geraten.
    Die Deutsche Partei ist der Auffassung, daß das Ziel des Landwirtschaftsgesetzes, der sogenannten Grünen Pläne, und ich möchte hinzufügen: auch der Marktordnungsgesetze konsequenter verfolgt werden muß als bisher. Die Maßnahmen der bisherigen Grünen Pläne wie auch die jeweilige Handhabung der Marktordnungsgesetze waren in der Vergangenheit nicht immer wirksam genug, so daß sich der Abstand der Landwirtschaft zum Gewerbe trotz Landwirtschaftsgesetz weiter vergrößerte und die Rentabilität bis heute nicht hergestellt werden konnte. Wenn also das Ziel erreicht werden soll, daß das Dorf und seine dort geborenen, in der Landwirtschaft tätigen Menschen aus staats- und volkspolitischen Gründen erhalten bleiben sollen, bedarf es zusätzlicher und wesentlich verstärkter Maßnahmen. Die DP möchte daher unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß sie heute wie in der Vergangenheit der Auffassung ist, daß die von der Landwirtschaft selbst nicht verschuldete Zwangslage, in die sie durch Vorenthaltung kostengerechter Preiskalkulationen geraten ist, keinesfalls mit unzureichenden Subventionen behoben werden



    Schneider (Bremerhaven)

    kann, sondern nur dadurch, daß ihre Preise und Löhne der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden und bleiben.

    (Beifall bei der DP.)

    Dies dürfte um so leichter sein, je mehr es gelingt, die bisherige Dynamik der Preis- und Lohnentwicklung in den konjunkturbegünstigten Bereichen zu dämpfen. Wird dieser Weg nicht energisch beschritten, so ist es sicher, daß die Gefahr, daß die Dörfer zunehmend menschenleer werden und die Zusammenballung der Bevölkerung in den Städten weiter anhält, nicht gebannt werden kann. Im übrigen brauche ich mich über die mannigfachen Gefahren einer solchen Landflucht hier nicht näher auszulassen. Sie rütteln jedenfalls an den Fundamenten unseres Staates.
    Im Zusammenhang mit den Problemen, die, wie gesagt, weit über den Bereich der sogenannten Ernährungspolitik hinausreichen, möchte ich mir gestatten, noch einige Worte wenigstens zu dem großen Gebiet eines andern Zweiges der Volkswirtschaft zu sagen: der Fischwirtschaft, der bislang wenigstens organisatorisch mit der Landwirtschaft zusammenhing. Dieser große Wirtschaftszweig ist soeben Gegenstand einer sehr sorgfältigen Untersuchung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gewesen. Die zum Teil besorgniserregenden Untersuchungsergebnisse werden in Kürze das Hohe Haus und den Haushaltsausschuß beschäftigen. Ich will diesen Beratungen nicht vorgreifen. Aber meine Freunde und ich möchten betonen, daß wir der Regierung und besonders dem zuständigen Ressortminister dringend nahelegen, schon jetzt in den Haushaltsentwurf für 1958 jene Mittel für die Förderung des Strukturprogramms der Hochseefischerei einzusetzen, die schon am Ende der vergangenen Legislaturperiode Gegenstand unserer Beratungen war. Die Umstellung der deutschen Fischereiflotte — das möchte ich besonders nachdrücklich den Kollegen sagen, die mit diesen Problemen nicht so verbunden sind — auf Fang mit Fabrikschiffen, die Rationalisierung und Beschleunigung des Umschlags der Fänge, die Modernisierung der Verteilung der Fänge und ihre Verarbeitung erfordern Mittel, die weit über die Kraft dieses Wirtschaftszweiges hinausgehen. Eine ausreichende Hilfestellung des Bundes erscheint im Interesse der Volkswirtschaft und der Volksernährung nicht nur gerechtfertigt, sondern unerläßlich. Diese Maßnahmen müssen schnell und ausreichend sein, wenn die deutsche Fischwirtschaft im Gemeinsamen Markt und in der Freihandelszone ihre Existenz behaupten soll. Ich möchte nicht versäumen, in diesem Zusammenhang auf die hervorragende Unterstützung hinzuweisen, die andere europäische Nationen ihren Hochseefischereien gewähren, einmal in der Erkenntnis der Wichtigkeit dieses Zweiges der Ernährungswirtschaft, zum andern zur Herstellung der Konkurrenzfähigkeit dieses schweren, von Wind und Wetter abhängigen Gewerbes.
    Meine politischen Freunde und ich wünschen auch die Neukonstituierung des Unterausschusses Fischwirtschaft im Rahmen des Ernährungsausschusses, der in der ersten Legislaturperiode des Bundestages
    so ausgezeichnet gearbeitet hatte. Ich trete der Landwirtschaft nicht zu nahe, wenn ich gleichzeitig hinzufüge, daß es notwendig ist, bei den vielfältigen und anders gelagerten Problemen der Hochseefischerei aus dem Schatten der Landwirtschaft herauszukommen.
    Nun einige Ausführungen zu den Fragen, die der Herr Bundeskanzler in bezug auf den Verkehr gemacht hat. Wir freuen uns, daß die Verkehrsfragen in der Regierungserklärung einen breiteren Raum gefunden haben. Die darin entwickelten Leitsätze zur Verkehrspolitik werden von uns bejaht. Das gilt nicht nur für die Fortsetzung der Bemühungen um die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger, sondern auch für die Bestrebungen, zu einer zweckmäßigeren Arbeitsteilung und Zusammenarbeit unter ihnen zu kommen. Die Absicht der Bundesregierung, die Deutsche Bundesbahn von Subventionen unabhängiger zu machen, findet unsere volle Zustimmung und, ich hoffe, auch die unseres Kollegen Vogel. Jede Verzögerung dieser Maßnahmen läuft auf eine Ausweitung unseres Haushaltsvolumens hinaus und behindert dringend notwendige Investitionen auf anderen Gebieten des Verkehrssektors. Ich denke hier nicht nur an die vordringliche Aufstockung der Straßenbaumittel des Bundes, die unbedingt schon zu Beginn dieser Legislaturperiode erfolgen muß. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung in ihrer Erklärung den schon in der letzten Legislaturperiode vorgelegten Ausbauplan für die Bundesfernstraßen zum Bestandteil der Regierungspolitik gemacht hat, und wir wollen daraus den optimistischen Schluß ziehen, sehr verehrter Herr Finanzminister, daß Sie gewillt sind, die erforderlichen Straßenbaumittel zu beschaffen und rechtzeitig bereitzustellen. Denn auch an letzterem hat es in den vergangenen Jahren oftmals gehapert. Eine teilweise Umlenkung der bisher für die Bundesbahn erforderlichen Subventionen in den Straßenbau sollte nach der Anhebung der Bundesbahnentgelte ohne Schwierigkeiten möglich sein. Das Hohe Haus und der Bundesfinanzminister sollten aber auch bestrebt sein, die Straßenbaufinanzierung nicht nur für das nächste Haushaltsjahr sicherzustellen, sondern schon bei den kommenden Haushaltsberatungen verbindliche Beschlüsse auch über die Straßenbaufinanzierung für den ganzen Vierjahresabschnitt dieser Legislaturperiode zu fassen.
    Die Regierungserklärung hat die Sorgen und Probleme der Seehäfen, der Seeschiffahrt, der Binnenschiffahrt und der zivilen Luftfahrt nur gestreift, aber dabei betont, daß der Bund ihre Anpassung an die Entwicklung des modernen Verkehrs unterstützen werde. Es handelt sich um Verkehrsbereiche, die auch schon in den vergangenen Jahren durch den Bundesverkehrsminister Seebohm eine wirksame und sichtbare Unterstützung erfahren haben. Aber mit der Bildung des Gemeinsamen Marktes und den Veränderungen in der internationalen Verkehrswirtschaft entstehen hier wieder neue große Probleme, die vom Bau deutscher Spezialhäfen für bestimmte Massenguttransporte über den Ausbau der Seewasserstraßen und den Ausbau des Rheins



    Schneider (Bremerhaven)

    bis zur Mitfinanzierung des Fahrgastschiffbaus und den Problemen des zivilen Luftverkehrs reichen.
    Das Hohe Haus und die Regierung werden in dieser Legislaturperiode dem Verkehr bzw. der Verkehrspolitik noch mehr Beachtung schenken müssen, als es bisher der Fall war. Das gilt besonders auch für den Herrn Bundesminister der Finanzen und den Herrn Vorsitzenden des Wirtschaftskabinetts, in deren Hand es weitgehend gegeben ist, ob diese Aufgaben und Probleme ohne Verzögerung und mit der erforderlichen, auf die Zuwachsrate des Verkehrs abgestellten Großzügigkeit gelöst werden können.
    Der Regierungschef hat darüber hinaus in seiner Erklärung die Fortsetzung der Sozialreform angekündigt. Es ist das besondere Anliegen der Deutschen Partei, daß die Neuordnung in allen Bereichen des sozialen Lebens — das gilt also nicht nur für die Versicherungen, für die Versorgungseinrichtungen und für die öffentliche Fürsorge, sondern auch für den Wohnungsbau und die Eigentumsbildung — so erfolgt, daß die Grundsätze der Wirtschafts-, der Sozial- und der Finanzpolitik mehr als bisher aufeinander abgestimmt werden. Wir sollten in der Sozialgesetzgebung weniger, aber bessere Gesetze machen und vor allem solche Mängel, wie sie das mit Recht umstrittene Kindergeldgesetz, das Gesetz über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und wie sie auch die Rentenreform enthält, mutig reparieren, ehe wir an die weitere Neuordnung herangehen.
    Meine Damen und Herren, die erfreuliche Mehrung des Wohlstandes in unserem Volk darf nicht dazu führen, daß bei immer mehr Wohlstand der Kreis der Hilfs- und Schutzbedürftigen größer wird, sondern muß dazu führen, daß die Zahl derjenigen, die zu Selbsthilfe und Selbstverantwortung bereit und in der Lage sind, sich dauernd mehrt.

    (Beifall bei der DP.)

    Ein sozial verpflichteter Staat, zu dem wir uns bekennen, darf nicht die Funktion eines sozialistischen Verteilungsstaats übernehmen. Gegenüber allen Forderungen auch seitens der Gewerkschaften muß immer wieder auf die Mitverantwortung der modernen Gewerkschaften als Glieder und Stütze der Demokratie hingewiesen werden, wenn die soziale Autonomie erhalten bleiben soll. In einer wahren Demokratie ist der Zwang das schlechteste Mittel zum Ausgleich der sozialen Beziehungen.
    Der 3. Bundestag steht nun vor der ernsten Frage, ob die vom 2. Bundestag beschlossenen Belastungen für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Verbraucher noch Erweiterungen vertragen, ohne das Preisniveau ernstlich zu gefährden. Viele Forderungen, die im Wahlkampf erhoben worden sind, erwecken im Volke die Vorstellung, als gäbe es eine unbegrenzte Möglichkeit für die Fortsetzung der sozialen Leistungen. Wir warnen davor, daß scheinbar soziale Wohltaten denen, für die sie bestimmt sind, dadurch fortgenommen werden, daß sie durch gleichzeitige Preiserhöhungen unsoziale Wirkungen haben müssen. Wir werden unsere ganze Kraft daransetzen, daß bei der Fortsetzung der sozialen Reformen vor allem an diejenigen gedacht wird — und hier hoffen wir uns mit Ihnen in einem Boot —, die auch heute noch der Hilfe des Staates und der Gemeinschaft bedürfen und denen der Staat nicht mit einer Hand nehmen darf, was er ihnen mit der anderen gibt. Wir werden aber vor allem diejenigen nicht vergessen, die die Steuern aufbringen müssen und deren Einkommen heute schon durch hohe Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in ihrem realen Werte gemindert sind. Vereinfacht heißt das, daß wir die Hilfe des Staates mehr als bisher auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren möchten.
    Meine Damen und Herren, die Zukunft kann nicht gestaltet werden ohne die Mitarbeit, ohne das Vertrauen der Jugend und der Frauen. Ihre Anliegen auch bei den sozialen Reformen dürfen von uns allen, gleichviel wo wir in diesem Hause sitzen, nie vergessen werden. Bei allen Gesetzen wollen wir aber auch — das sei mir gestattet zu sagen — unsere Brüder und Schwestern in der sowjetisch besetzten Zone nicht vergessen.
    Nun lassen Sie mich zum Schluß kommen. Zu den uns bewegenden Fragen der Außenpolitik möchte ich namens der Deutschen Partei wie folgt Stellung nehmen. Ich möchte voranstellen, daß die wichtigste Frage unserer nationalen Existenz die Wiederherstellung eines Staates für das ganze deutsche Volk ist. Wichtig ist auch eine Neuordnung in Europa, die die Gefahren einer nationalstaatlichen Zersplitterung durch die Bildung einer umfassenden politischen Einheit ganz Europas beseitigt. Wir denken nicht daran, uns durch die vielfältigen Rückschläge in den letzten Jahren entmutigen zu lassen; denn insgesamt gesehen kann nicht bestritten werden, daß diese Einheit Europas bereits viel mehr verwirklicht ist, als manche Politiker des In- und Auslands es wahrhaben wollen. Diese Neuordnung Europas ist eingebettet in das Problem der Entspannung zwischen Ost und West, um einen dauerhaften und wirklichen Frieden in der Welt wiederherzustellen, der auf der Grundlage der Zusammenarbeit aller Völker und der Freiheit ihrer Selbstbestimmung beruhen muß. Hierbei nehme ich die osteuropäischen Staaten nicht aus. Die Fraktion der Deutschen Partei ist der Auffassung, daß die Voraussetzung für das Erreichen dieser Ziele des Friedens und der Freiheit in der politischen, wirtschaftlichen, aber auch militärischen Verstärkung der Wirksamkeit des westlichen Bündnissystems liegt.
    Entscheidend ist, daß das atlantische Bündnis und als dessen wesentlicher Teil die Union Westeuropas zu einem nicht nur militärisch und wirtschaftlich unangreifbaren Machtblock ausgestaltet wird, sondern daß hier eine politische Einheit entsteht, die ein gemeinsames Wirken nach außen ermöglicht und in dem aggressiven Ostblock, d. h. praktisch in der Sowjetunion, das Bedürfnis erweckt, eines Tages doch ein tatsächliches Interesse an der Verständigung zu gewinnen, ein Interesse, das sich nicht nur von dem Wunsche leiten läßt, den Westen uneins zu machen und zu schwächen, um den unrechtmäßigen Besitzstand in Europa zu behalten oder zu vermehren.



    Schneider (Bremerhaven)

    Die Fraktion der Deutschen Partei ist aber auch der Auffassung, daß die Bemühungen um die Völker und Staaten, die nicht dem westlichen oder östlichen Block angehören, nun auch seitens der deutschen Außenpolitik verstärkt werden müssen. Wir müssen die moralischen Kräfte in der Welt mobilisieren, um bei der Wiederherstellung der Einheit unseres Staates in Freiheit und Frieden weitere Unterstützung zu finden.

    (Beifall rechts.)

    Im übrigen hat die Wiederherstellung der Einheit unseres Staates in Freiheit einen internationalen und einen nationalen Aspekt. International gesehen hängt die Einheit davon ab, daß West und Ost ihr zustimmen und daß das Verfahren der Wiedervereinigung Deutschlands unter freiheitlichen Formen und Garantien erfolgen kann. Es geht, wie ich schon sagte, um die Rückgewinnung der Selbstbestimmung unseres Volkes, eines Rechtes, das in der Charta der Vereinten Nationen ausdrücklich statuiert und von allen beteiligten Nationen anerkannt ist. Wer wollte bestreiten, daß der Westen uns dieses Recht auf Selbstbestimmung zugestanden hat? Leider verweigert es uns die Sowjetunion nach wie vor. Das bisherige Verhalten Moskaus läßt zur Zeit auch kein Einlenken erkennen. Das darf uns aber nicht entmutigen. Was kann die Sowjetunion veranlassen, uns das Recht auf Selbstbestimmung wiederzugeben? Das ist die Grundfrage der Ostpolitik der Bundesrepublik.
    Wir wünschen die Aktivierung dieser Ostpolitik, weil wir darin einen besonders wichtigen deutschen Beitrag zur gemeinsamen Politik des Westens sehen. Aber was haben wir zu tun, wenn dieser Begriff der Aktivierung kein Schlagwort bleiben soll? Jedenfalls heißt Aktivierung der Ostpolitik in unserer Sicht nicht die Übernahme der sogenannten sozialen Errungenschaften der Zone und nicht die Anerkennung der Marionettenregierung von Pankow, deren Rechtmäßigkeit wir verneinen, und nicht die Zustimmung zu einer deutschen Konföderation, solange die Zone als souveräner Staat betrachtet wird und solange dort kommunistische Machthaber gegen den Willen des Volkes am Ruder sind.
    Aktivierung der Ostpolitik heißt in unserer Sicht Wachsamkeit gegenüber jeder Drohung oder Verlockung, vor allem aber auch Verständigungsbereitschaft, wenn unsere Grundbedingung erfüllt wird, dem deutschen Volk das Recht auf Selbstbestimmung zurückzugeben, das Recht, es seine Wirtschaft, seine Gesellschaft, seine Kultur und seine Politik nach eigenem, freiem demokratischem Willen ordnen zu lassen. Unter Verständigungsbereitschaft verstehen wir Verhandlungen über ein Sicherheitssystem in Europa, das wirklich Sicherheit bietet und das so gestaltet ist, daß es mit den Sicherheitsvorstellungen der anderen Mächte übereinstimmt.
    Die bisherigen ostpolitischen Spekulationen aller politischen Parteien beruhten auf der Annahme, daß gewisse Auflockerungstendenzen in Osteuropa gegeben seien. Moskau scheint es aber gelungen zu sein, Osteuropa wieder fest an den Ostblock zu ketten. Damit fiele zwar eine wichtige Voraussetzung für eine aktive, entspannende und die Einheit Deutschlands in Freiheit fördernde Ostpolitik; wir dürfen uns aber dennoch nicht entmutigen lassen, sondern müssen durch Vermittlung der nicht in den Blöcken gebundenen dritten Staaten unseren Willen, ein besseres Verhältnis guter Nachbarschaft gegenüber Moskau und Osteuropa herzustellen, eine neue Chance erschließen.
    Ich glaube überhaupt, daß der Schlüssel zu einer aktiveren Ostpolitik in der Herstellung normalerer Beziehungen zu Moskau selbst liegt. Wir sollten nicht von vornherein mit den Achseln zucken und stets nur mißtrauisch sein. Meine Freunde und ich sind unverdächtig, aufgeweicht zu sein. Aber reden muß man mit den Leuten drüben! Meine Fraktion wird nicht nachlassen, die Regierung in dieser Frage zu drängen. Deswegen brauchen wir nicht bereit zu sein, reale Sicherheiten zugunsten blasser Illusionen zu opfern, und auch nicht bereit zu sein, unser Recht auf freiheitliche Selbstbestimmung Kompromissen zu opfern, die uns für immer der Freiheit berauben würden. Wenn wir aber wirklich der Überzeugung sind, die bessere Sache zu vertreten — und ich glaube, wir sind es alle, meine Damen und Herren —, dann sollten wir auch den Mut aufbringen, jene Gespräche zu führen, die eventuell das Klima verbessern und uns auch von dem Vorwurf befreien könnten, nichts für ein besseres Verhältnis mit den Staaten des Ostens getan zu haben.
    Außerdem muß man, um eine gute Außenpolitik betreiben zu können, auch über entsprechende Informationsmöglichkeiten verfügen. Wie sollen wir zu diesen gelangen, wenn nicht durch entsprechende Kontakte zu den Staaten, deren Meinungen und Auffassungen wir ergründen wollen? Ich habe mich für meine Fraktion auch zum Sprecher dieser Forderung gemacht, weil wir nichts zu fürchten, sondern im Gegenteil wahrscheinlich etwas zu gewinnen haben.
    Wenn allerdings, wie im Falle Jugoslawien, unsere Bereitschaft zu freundlichen Beziehungen mit ausgesprochenen Unfreundlichkeiten honoriert wird, dann sollten wir auch nicht zögern, ohne Überheblichkeit, aber mit Bestimmtheit die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Die Reaktion in Belgrad hat im übrigen die Richtigkeit des Schrittes unserer Regierung bestätigt. Ich muß von dieser Stelle aus dem bremischen Bürgermeister Kaisen nachdrücklich widersprechen, der seine Kritik am Vorgehen der Bundesregierung im Falle Jugoslawien unter anderem damit unterstreicht, daß er sagt, die Bundesregierung müsse sich stets bewußt sein, daß sie als Treuhänder auch der Deutschen in der Sowjetzone zu handeln habe. Gerade aus diesem Grunde und aus diesem Bewußtsein haben auch meine politischen Freunde dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen ihre Zustimmung gegeben, weil wir es nicht zulassen können, daß in der Welt und erst recht nicht bei den Deutschen in der Sowjetzone der Eindruck entsteht, als hätte man sie abgeschrieben und als stünde der Anerkennung eines zweiten deutschen Staates fürderhin nichts mehr im Wege.

    (Beifall rechts.)




    Schneider (Bremerhaven)

    Es wird sich noch zeigen, ob die deutsche Ostpolitik durch dieses Experiment, dessen Nachwirkungen unabsehbar sind, auf eine schiefe Ebene geraten ist, wie Kaisen es vor dem Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates behauptet hat. Die Reaktion Jugoslawiens auf den deutschen Schritt läßt jedenfalls bisher genau das Gegenteil erkennen, obwohl die Frage nach dem weiteren Schicksal der wirtschaftlichen Beziehungen zu Jugoslawien durch die Bundesregierung noch nicht einmal endgültig entschieden ist.
    Die wichtigste Grundlage der Einheit unseres Vaterlandes in Freiheit ist das unzerstörte Bewußtsein der Zusammengehörigkeit unseres Volkes als geschichtliche Nation. Dieses Bewußtsein dürfen wir nicht auslöschen lassen. Gesamtdeutsche Innenpolitik ist daher Pflege dieses Bewußtseins durch individuelle Kontakte. Doch sollten wir auch die übrigen sogenannten technischen oder organisierten Kontakte nicht ohne weiteres und von vornherein ablehnen. Zwar werden die kommunistischen Machthaber in der Zone diese Kontakte für ihre Spitzeldienste, menschliche Korrumpierung, polizeilichen Druck und auch zum Schein falscher Legitimität ihrer Herrschaft mißbrauchen. Aber da wir die bessere Sache zu vertreten haben, werden wir sicherlich sehr bald feststellen, daß wir den Funktionären drüben mit unserem Wunsch nach Kontakten mit unseren deutschen Menschen jenseits der Elbe lästig werden, wie es im übrigen verschiedene Ereignisse der letzten Zeit, insonderheit der Evangelische Kirchentag, gezeigt haben. Wir müssen auch in diesen Fragen aus der Defensive herauskommen und eine Aktivität entfalten.
    Noch eines! Für uns wird das Ziel der Einheit in Freiheit nicht durch die Oder oder die Görlitzer Neiße begrenzt. Wir denken nicht an Verzicht, denn das Recht auf die angestammte Heimat ist unantastbar. Dies alles bedeutet nicht eine Politik der Stärke, sondern eine Politik der Selbstbehauptung. Mit Festigkeit im Grundsätzlichen und mehr Geschmeidigkeit und Anpassungsfähigkeit im Handeln, als wir es in der Vergangenheit manchmal bewiesen haben, werden wir unser gestecktes Ziel schließlich doch erreichen. Wir gehen jedenfalls mit Mut und Selbstvertrauen an die vor uns liegenden Aufgaben heran und wissen, daß wir sie so meistern werden, wie wir sie gemeinsam mit Ihnen in den letzten acht Jahren auch gemeistert haben. Wir gehen an diese Aufgaben heran angesichts des Gewissens unseres Volkes und in der Verantwortung vor einem Höheren, der schützend seine Hand auch über uns hält. Wir hoffen, daß es der neuen Bundesregierung gelingt, in dieser unruhigen und durch Spannungen gefährdeten Welt das Gewicht des deutschen Volkes als einen Faktor der politischen Stabilität in die Waagschale des Geschehens zu legen. Dazu ist Ruhe und Gelassenheit notwendig. Überbürdete Geschäftigkeit und der Hang zum Perfektionismus gehen an der wesentlichen Aufgabe vorbei, ein Vertrauen zu begründen, das allein die Fähigkeit gibt, auch Krisen zu überdauern und Stürme zu überstehen. Unserer Bevölkerung in der Bundesrepublik aber möchte ich namens meiner
    politischen Freunde zurufen, sich zum Maßstab ihrer eigenen Zufriedenheit und Unzufriedenheit stets die Verhältnisse zu nehmen, unter denen 18 Millionen Deutsche in der sowjetisch besetzten Zone zu leben gezwungen sind.

    (Beifall bei der DP und bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren, ich habe einen Glückwunsch nachzuholen, meinen und des Hauses Glückwunsch zum heutigen 65. Geburtstag des Abgeordneten Schröter (Berlin).

(Beifall.)

Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hermann Höcherl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe es viel schwieriger als meine Herren Vorredner, und zwar deswegen, weil die beiden in etwa getrennt marschierenden Oppositionsvertreter eine Fülle von Argumenten hier vorgetragen haben, — durchaus nicht neu und längst gehört; ich kann mich gut erinnern, daß sie in den letzten vier Jahren wiederholt aufgetaucht sind. Ich muß mich mit diesen Argumenten befassen, kann aber nicht ein Konzept vortragen, wie es bisher geschehen ist, sondern ich muß mich geschäftsordnungsmäßig verhalten, d. h. aus dem Stegreif sprechen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Heiterkeit. — Abg. Erler: „Unvorbereitet wie ich mich habe"!)

    Der Herr Kollege Ollenhauer hat erklärt, daß ihm die Regierungsbildung zu lange gedauert habe. Ich möchte wissen, was er gesagt hätte, wenn die Regierung von heute auf morgen, wie aus der Pistole geschossen, gekommen wäre! Dann hätte es geheißen: einsame Beschlüsse, autoritäres Führungssystem usw. Nun ist wochenlang verhandelt worden. Auch wir waren an den Verhandlungen beteiligt. Ich weiß nicht, Herr Ollenhauer, ob Sie die CSU, die vielleicht den größten zeitlichen Anteil an diesen Besprechungen hatte, auch als Interessentenverband ansprechen, der einen Wechsel vorweist. Wir haben unsere politischen Ansichten vertreten. Das Ergebnis kennen wir; wir sind nicht ganz damit zufrieden, aber immerhin,

    (Heiterkeit)

    wir achten die Verfassung, die dem Bundeskanzler das Recht gibt, seine Männer selber auszuwählen, so sehr, daß wir das respektieren; die Entscheidung ist gefallen.
    In diesem Zusammenhang vielleicht noch etwas! Der Herr Kollege Ollenhauer hat die Verdienste, die Leistungen und die Persönlichkeit des Herrn Ministers Schäffer herausgehoben und wenig später, bei der Frage der Besetzung des Justizministeriums erklärt, das sei ein Altersheim für weiß Gott ausgediente Minister. Vorher: sehr tüchtig, fähig, eine Persönlichkeit — kurz darauf das Wort vom Altersheim; das paßt nicht ganz zusammen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)




    Höcherl
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist unser aller Pflicht — und Herr Kollege Ollenhauer hat es in vorbildlicher Weise getan —, die Leistung des Finanzministers Schäffer als eine historische Leistung in der deutschen Finanzpolitik anzuerkennen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Er hat die Fundamente gelegt, und deswegen waren wir von der CSU der Meinung, er solle diese Position erneut besetzen. Die verfassungsmäßigen Rechte des Bundeskanzlers sind bekannt. Seine Entscheidung ist anders ausgefallen. Aber es gibt gar keinen Zweifel, daß ein Mann, der ein solches historisches Verdienst aufzuweisen hat, ein Mann, der ausbildungsmäßig aus der Justiz kommt, der 40 Jahre lang dem öffentlichen Wohl gedient hat und sich als ein hervorragender Kopf bewährt hat, bei den schwierigen Aufgaben, die im Justizsektor gerade jetzt anfallen, Leistungen hervorbringen und zeigen wird, wie sie von dem Namen Schäffer einfach nicht wegzudenken sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dann kamen die geheimnisvollen Andeutungen von „Wechsel einlösen", „Wechsel vorweisen" und „Druck der Interessentenvertretungen". Das gehört alles, so möchte ich sagen, zum Journalistendeutsch in diesen Dingen. Solche Dinge darf man nicht behaupten, wenn man hier nicht mit Nennung von Namen und Umständen sagen kann: So und so ist es gewesen. Dazu sind diese Vorwürfe zu ernst.
    Wahlkampffinanzierung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben alle zusammen den Wahlkampf bestanden, und wir sind mit dem Ergebnis recht zufrieden.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Wenn ich mich nun an den eigenen Wahlkampf erinnere, dann muß ich sagen: Erstens hat die Opposition früher begonnen. Zweitens, wo wir ein Plakat hatten, hatte die Opposition zwei, wo wir einen Zweifarbendruck hatten, hatte die Opposition einen Vierfarbendruck. Die Führung, der Generalstab hat sich bei uns auf der Schiene bewegt, bei der Opposition ist er in den Lüften geschwebt!
    Im übrigen weiß ich ungefähr, was Plakate und was alle diese Dinge kosten. Bei uns sind sie bestimmt nicht teurer als bei der SPD. Irgendwoher muß also auch bei der SPD der Wahlkampf finanziert worden sein. Da der Umfang der Wahlpropaganda bei der SPD ungefähr genauso groß war wie bei uns, wäre ich sehr dankbar, wenn ich die Quelle erfahren könnte.
    Hier war von dem Wahlgesetz die Rede, das auch dem Herrn Becker sehr wenig gefallen hat. Wir haben kein Wort von einem Wahlgesetz gesprochen. Ich meine, ein Wahlgesetz kann gar nicht so schlecht sein, daß wir mit einer guten Politik, wie wir sie betrieben haben, nicht Erfolg hätten.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Ollenhauer, Sie dürfen sich darauf verlassen, daß von uns aus dieser Gedanke nicht aufgegriffen werden wird.
    Im übrigen haben wir in Bayern ganz besonders gut abgeschnitten. Wir haben 57 % aller Stimmen errungen und einige Hochburgen eingenommen, die zum klassischen Bestand der SPD gehörten, wie Fürth, Hof, Nürnberg usw., um nur einige zu nennen. Daß das schmerzt, verstehe ich.
    Herr Kollege Ollenhauer, als heute die ersten Sätze von Ihnen kamen, waren diese so sanft, daß ich der Überzeugung war, der Umdenkungsprozeß, den ich etwa mit dem Namen Wönner ansprechen darf, würde vielleicht auch hier Platz greifen. Ich will aber nicht mehr darüber sagen, damit nicht irgendein zartes Pflänzchen der Erkenntnis, das emporkommen könnte, dadurch abgeschreckt oder mit Reif befallen wird.
    Es konnte gar nicht ausbleiben, daß der nächste Angriffspunkt Herr Minister Wuermeling sein mußte. Er war es ja auch schon bisher. Was dieser Mann mit seiner Energie in der Familienpolitik geleistet hat — —

    (Lachen bei der SPD. — Beifall bei der CDU/CSU. — Lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Herr Wehner, fragen Sie die vielen Familien, die davon den Nutzen haben. Der Mann hat etwas geleistet. Ich bin so frei und stelle mich auch vor den Minister Wuermeling hin, weil ich mich vor jede echte Leistung hinstelle, ganz gleich, wie sonst die Dinge liegen. Hier liegt eine echte Leistung vor.
    Daß die Jugend organisch und sachlich in das Familienministerium gehört, kann niemand bestreiten. Im übrigen wäre es sehr gut, wenn man diesem Mann in seinem erweiterten Ressort m st einmal eine Chance gäbe; das wäre fair. Man wird dann sehen, ob er etwas leistet oder nicht.

    (Abg. Kurlbaum: Was hat er denn geleistet?)

    — Er war der Anreger aller Maßnahmen auf steuerlichem Gebiet und beim Kindergeldgesetz, und er
    hat nicht nachgelassen, bis sie durchgeführt waren.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine weitere Geschichte: der Wahlkampf in Bamberg und Nürnberg. Ich will Ihnen etwas sagen. Der Wahlkampf ist kein Kinderspiel, sondern eine ernste Auseinandersetzung. Was in Nürnberg und Bamberg fortgesetzt angesprochen worden ist, war erstens einmal ein Werturteil über eine politische Einstellung. Was sich aber auf der anderen Seite abgespielt hat — daß man einen Mann, der das Vertrauen des ganzen Volkes seit acht Jahren genießt, persönlich verunglimpft und angreift —, das läßt sich wohl nicht mit dem vergleichen, was Sie so stark angeprangert haben. So ist die Situation, das möchte ich einmal ganz klar gesagt haben.
    Dann die berühmten „autoritären Züge". Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Parlamentarischen Rat bei der Beratung der Verfassung haben Sie ja daran mitgewirkt — zwar in der Erwartung, Herr Schumacher würde Kanzler —, daß die Stellung des Bundeskanzlers aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit, aus den Erfahrungen unserer westlichen Umgebung besonders stark ausgebaut wurde. Da-
    Deutscher Bundestag — :3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 79
    Höcherl
    mals haben Sie es beschlossen; und heute will es Ihnen, obwohl es Rechtens ist, auf einmal nicht passen.
    Ich darf den Herrn Kollegen Ollenhauer als neuen Verbündeten für den Föderalismus begrüßen.

    (Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Seit dem Inkrafttreten der Verfassung ist auf diesem Gebiet von seiner Seite praktisch nicht viel geschehen. Aber ich bin gern bereit, jeden Verbündeten in dieser grundsätzlichen Frage zu akzeptieren. Ich hoffe nur, daß wir den Weg gemeinsam zu Ende gehen und daß er nicht unterwegs sich irgendwie abhängt. Wenn also die Frage der Schaffung einer Bundesfinanzverwaltung, eines Bundeskultusministeriums und ähnliche Forderungen aufstehen, wird er eine ausgezeichnete Gelegenheit haben, den Föderalismus nicht nur durch Worte, sondern durch Taten zu bejahen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wehrpflicht — das alte Thema. Es stand schon beim Wahlkampf zur Debatte. Es war interessant: auf der einen Seite war ein schönes Bild, der Herr Kollege Ollenhauer mit Herrn Eisenhower; und auf der anderen Seite stand: „Weg mit der Wehrpflicht!" Wie sich beides, Bild und Text, vereinbaren lassen, weiß ich nicht. Das Volk hat gemeint, nicht.
    Nun sagen Sie, Herr Kollege Ollenhauer, die Wehrpflicht sei überholt, überflüssig, politisch schädlich und teurer. Nein, teurer ist das andere, das, was Sie meinen. Und ich bin immer der Meinung, daß in Fragen, die das ganze Volk angehen, alles zusammen helfen soll, klein und groß, und daß keiner von diesen Dingen ausgenommen werden soll. Und unserem Bundesverteidigungsminister Str au 13 , der mit das schwierigste Ministerium übernommen hat, ist es doch in ganz kurzer Zeit gelungen, all das zu widerlegen, was so kühn in die Welt gesetzt worden ist. Was war mit dem Wehrdienst? Was war mit den Freiwilligenmeldungen? Alle diese Dinge haben sich beruhigt, weil die Beteiligten und die Bevölkerung viel gesünder, viel nüchterner über diese Dinge urteilen, als einige Leute sich das ausgedacht haben. Das war kein Wahlköder, sondern der Schuß ist nach hinten losgegangen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Nun kommen die wirtschaftlichen Probleme, die von Herrn Ollenhauer angesprochen worden sind. Ich pflichte ihm bei: Die Vollbeschäftigung auf der einen, die Preisstabilität auf der anderen Seite sind so schwierige wirtschaftliche Fragen, daß es eine Patentlösung dafür überhaupt noch nicht gibt. Auch die Außenhandelsüberschüsse, obwohl sie noch nicht ganz so zu sehen sind, wie es Herr Ollenhauer vorgetragen hat, haben in diesem Zusammenhang ihre Bedeutung, genauso wie die Fragen der Finanzpolitik.
    Aber eine Frage haben Sie vergessen. Das ist die Lohnfrage. Und da will ich Ihnen folgendes sagen. Unser Standpunkt ist folgender: Gut, wo die gewachsene Produktivität eine Lohnerhöhung ermöglicht und volkswirtschaftlich rechtfertigt, da hat sie stattzufinden, weil der Anteil gerechtfertigt ist. Lohnerhöhungen: da ergibt sich im übrigen auch ein interessantes föderalistisches Problem: Im Ballungsgebiet wurde die Lohnerhöhung beschlossen, und zum Schluß muß sie auch der Bayerische Wald mitbezahlen, ob er das kann oder nicht. Doch das nur nebenbei. Aber es ist richtig, was schon von mehreren Rednern gefordert wurde: daß wir unter allen Umständen, ohne das Koalitionsrecht und die Unabhängigkeit und Selbständigkeit und die Zuständigkeit der Sozialpartner zu beeinträchtigen, eine Stelle haben müssen, die die deutsche Offentlichkeit einwandfrei darüber aufklärt, ob etwas gerechtfertigt ist oder nicht und wo die Tendenz zu steigenden Preisen herkommt, von der einen Seite oder von der anderen Seite oder von beiden Seiten. Ich bin gar nicht so, daß ich sage, sie komme bloß von einer Seite; das ist nicht richtig; aber ich sage: eine solche Stelle muß geschaffen werden.

    (Zuruf von der SPD.)

    — Ich sage es doch gerade: von beiden Seiten! Sie haben nicht aufgepaßt.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    Die deutsche Öffentlichkeit muß genau wissen, wie die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge sind, damit endlich auch die Konsequenzen daraus gezogen werden können. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat kürzlich in Hamburg erklärt, er werde nicht mehr rasten und ruhen und werde diese Frage, wenn es notwendig sei, täglich vor die Öffentlichkeit bringen. Wir brauchen aber zusätzlich eine Institution, die mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und, ich möchte sagen, mit richterlicher Unabhängigkeit in der Lage ist, diese Fragen dem Volke auseinanderzusetzen, damit endlich dieser unselige Streit — der eine schiebt die Schuld auf den andern — aus der Öffentlichkeit genommen wird. Vielleicht sind dann die beteiligten Sozialpartner bereit, das Maß einzuhalten, das wir brauchen.

    (Abg. Dr. Deist: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?)

    — Ja, Herr Dr. Deist.