Rede:
ID0300400000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 25
    1. die: 2
    2. der: 2
    3. Die: 1
    4. Sitzung: 1
    5. ist: 1
    6. eröffnet.Wir: 1
    7. treten: 1
    8. in: 1
    9. Tagesordnung: 1
    10. ein.: 1
    11. Einziger: 1
    12. Punkt:Aussprache: 1
    13. über: 1
    14. Erklärung: 1
    15. Bundesregierung: 1
    16. vom: 1
    17. 29.: 1
    18. Oktober: 1
    19. 1957.Das: 1
    20. Wort: 1
    21. hat: 1
    22. Herr: 1
    23. Abgeordnete: 1
    24. Dr.: 1
    25. Krone.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957 . . . . 31 A Dr. Krone (CDU/CSU) 31 A Ollenhauer (SPD) . . . 41 A, 86 D, 88 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 55 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 66 D Höcherl (CDU/CSU) . . . . 77 C, 79 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 81 B, 90 A, 97 B, 97 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 84 B, 93 D, 94 D Dr. Deist (SPD) . . . 79 C, 90 D, 94 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 88 A Margulies (FDP) 95 A Erler (SPD) 96 A Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 97 D Glückwunsch zum 65. Geburtstag des Abg. Schröter (Berlin) 77 C Nächste Sitzung 98 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 99 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 31 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 10.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Bauer (Wasserburg) 6. 11. Bauknecht 6. 11. Birkelbach *) 9. 11. Birrenbach *) 9. 11. Bühler 6. 11. Conrad*) 9. 11. Dr. Deist*) 9. 11. Dr. Dollinger *) 9. 11. Ehren 6. 11. Freiherr von Feury 6. 11. Frehsee 5. 11. Frenzel 10. 11. Frau Friese-Korn 1. 12. Dr. Furler*) 9. 11. Gaßmann 10. 11. Haage 5. 11. Höfler 6. 11. *) für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Illerhaus 9. 11. Jahn (Frankfurt) 6. 11. Dr. Jordan 6. 11. Kalbitzer 5. 11. Dr. Kopf *) 9. 11. Dr. Kreyssig*) 9. 11. Lenz (Brühl) *) 9. 11. Dr. Leverkuehn 6. 11. Metzger *) 9. 11. Dr. Oesterle *) 9. 11. Pelster *) 9. 11. Dr. Philipp*) 9. 11. Rademacher 6. 11. Ramms 6. 11. Dr. Seume 16. 11. Walpert 5. 11. Frau Wolff (Berlin) 16. 11. Zoglmann 5. 11. b) Urlaubsanträge Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20. 12. Kühlthau 25. 11. Scheel 15. 12.
Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Einziger Punkt:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Krone.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Krone


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Erklärung der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Regierung und allen Fraktionen in diesem Hohen Hause hingewiesen, insbesondere der Zusammenarbeit — so hieß es in der Regierungserklärung — in den großen entscheidenden Fragen, von denen das Wohl und Wehe unseres Volkes abhängt. Dieses Hohe Haus ist nicht nur die Stätte, wo Gesetze beraten und beschlossen werden, es ist auch die Stätte der in einem demokratischen Staat so notwendigen politischen Begegnung und Aussprache zwischen Parlament und Regierung, zwischen Regierung und Parlament.
    Lassen Sie mich deshalb als den Sprecher der größten Fraktion dieses Hauses dieses Gespräch zwischen Parlament und Regierung mit der Feststellung beginnen, daß wir jene Erklärung der Bundesregierung zu allseitiger Zusammenarbeit auch mit der Opposition nicht nur begrüßen, sondern darüber hinaus noch ergänzt sehen möchten, ergänzt in dem Sinne, daß wir es begrüßen würden, wenn zu dieser Zusammenarbeit ebenfalls das persönliche Gespräch zwischen dem Chef der Regierung und dem Führer der Opposition gehörte.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zustimmung in der Mitte. — Abg. Dr. Menzel [zur Regierungsbank zeigend]: Dahin reden!)

    — Herr Kollege Menzel, vielleicht beide Seiten!

    (Zurufe von der SPD. — Abg. Welke: Da habt ihr euch im neunten Jahr ja was vorgenommen!)

    — Sind Sie dagegen?

    (Abg. Welke: Im neunten Jahr! Acht Jahre hatten Sie Zeit!)

    — Gut, ein Fortschritt!
    Dann ein Zweites, meine Damen und Herren! Im sozialdemokratischen Pressedienst — in der ersten Stellungnahme der Opposition zur Regierungserklärung — hieß es, der Opposition falle jetzt, und zwar jetzt noch mehr als bisher, die große Aufgabe zu, der Wächter der deutschen Demokratie zu sein.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Ich bin über dieses Urteil doch ein wenig überrascht, denn ich finde in der Regierungserklärung
    zu einem solchen Urteil weder Grund nodi Anlaß.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sollte man aber wirklich glauben, es müsse jetzt zum Alarm für die Freiheit geblasen werden, dann will ich gleich zu Beginn meiner Ausführungen betonen, daß wir der Opposition keinen, aber auch gar keinen Anlaß geben werden, dieses Amt des Hüters und Wahrers der deutschen Freiheit anzutreten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Was Besseres kann man sich nicht wünschen!)

    — Als es zu sein?

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Nein, daß Sie sich so verhalten werden!)

    — Gut, ich bin Ihnen dankbar für diese Anerkennung.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Für die Hoffnung!)

    — Warum denn nicht? Hoffen Sie doch, Herr Kollege Schmid!

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Ich hoffe! — Davon leben wir schon lange!)

    Schon im Jahre 1953, als wir die Mehrheit der Abgeordneten in diesem Hohen Hause hatten, erhob man gegen uns den Vorwurf, wir würden unsere Macht zum Schaden der Demokratie mißbrauchen. Wir haben das nicht getan. Wir haben mit der Opposition nicht nur zusammen gearbeitet, sondern auch zusammen gestimmt. Wir haben mehrere Male das Grundgesetz geändert und dies, wie Sie wissen, in einer Angelegenheit, wo es sich um eine Frage der inneren Staatsordnung handelte. Zu einer Änderung des Grundgesetzes bedarf man immerhin einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen dieses Hauses.



    Dr. Krone
    Dieses Mal haben die Unionsparteien mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Wir haben eine Mehrheit von 277 Abgeordneten in diesem Hause, das 519 Mitglieder zählt. Die Vorwürfe sind damit nicht weniger geworden. Im Gegenteil, es sind die gleichen wie 1953. Allerdings stammen sie, und das ist erfreulich, so gut wie gar nicht aus dem Ausland. Im Ausland ist dieser Sieg des Kanzlers weithin als die Gewähr für die Fortführung einer eindeutigen und konstanten deutschen Außenpolitik begrüßt worden. Die Vorwürfe stammen aus dem Inlande. Ich will auf sie im einzelnen nicht eingehen. Sie steigern sich bis zu dem an die Wand gemalten Schreckgespenst einer neuen deutschen Ein-Partei-Herrschaft. Man geniert sich selbst nicht, das Jahr 1957 mit dem Jahr 1933 zu vergleichen.

    (Pfui-Rufe bei der CDU/CSU.)

    Lassen Sie mich noch einmal folgendes feststellen. Wir haben acht Jahre lang in diesem Hause, in der Regierung, in den Ländern — und dort auch mit der Fraktion und der Partei, die hier im Hause in der Opposition steht — der Verfassung getreu gearbeitet. Wir wehren uns mit aller Entschiedenheit dagegen, daß man uns der Sabotage der Demokratie verdächtigt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sind mit der Opposition darin einig, daß, wer am demokratischen Aufbau unseres Volkes rüttelt, ein Totengräber des deutschen Volkes ist, daß er nicht nur das Fundament seiner eigenen Politik untergräbt, sondern auch das Fundament, von dem aus allein wir zur Wiederherstellung der deutschen Einheit kommen können. Wer sich an der Freiheit und der Demokratie vergreift, der zerschlägt dem deutschen Volk die Forderung und das Recht auf freie gesamtdeutsche Wahlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich spreche in diesem Zusammenhang noch eine Bitte aus. Man stelle doch die freie Entscheidung des deutschen Staatsbürgers nicht in Zweifel! Man greife nicht zu falschen Wahlanalysen! Wer die freie Wahl in Zweifel stellt, der betrügt sich selber.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Man sei sich des hohen politischen und sittlichen Wertes freier Wahlen bewußt! Freie Wahlen waren die Sehnsucht der Aufrechten in der Hitlerzeit. Über freie Wahlen führt der Weg zur Einheit in Freiheit. Freie Wahlen sind die große Hoffnung der 18 Millionen tapferer Deutscher in der Zone und in ganz Berlin. Man übersehe nicht, wer freie Wahlen nicht will, weil er die freien Wahlen fürchtet: niemand anders als Pankow und Moskau.
    So klar und entschieden wir das alles sagen, so unmißverständlich erklären wir aber auch, daß wir nichts tun und zulassen werden, was die innere Festigkeit unseres Staatswesens und damit seine Stärke auch nur schwächt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind noch immer froh darüber — obwohl bei dem Mehrheitsverhältnis in diesem Hause kein Anlaß, besorgt zu sein, vorliegt —, daß die einmal gebildete Regierung nach der Verfassung die Chance hat, vier Jahre im Amt zu sein, dank dem Beschluß, den die Väter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat auf breiter Front, die Opposition eingeschlossen, gefaßt haben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wir stellen mehr mit Erstaunen als mit Beunruhigung fest, daß es Demokraten gibt, die an einigen Positionen unseres Grundgesetzes rütteln möchten. Sie wollen unser parlamentarisches System noch parlamentarischer machen. Meine Damen und Herren, das wäre der Anfang eines gefährlichen Weges, den der nicht gehen kann, der die leidvolle Geschichte des Weimarer Staates nach 1918 kennt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir werden jenen negativen parlamentarischen Reformversuchen ebenso kein Gehör schenken, wie wir seinerzeit Versuche ablehnen mußten, die Stellung des Verteidigungsministers aus der in der Verfassung vorgesehenen Position der Bundesminister herauszunehmen und sie parlamentarischer zu machen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Was meinen Sie denn mit der „negativen Parlamentsreform"?)

    — Den Versuch, der im letzten Bundestag gemacht worden ist, für den Bundesverteidigungsminister in bezug auf das Mißtrauensvotum eine Ausnahme zu machen,

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ist das alles?) ein Versuch, der von Ihrer Seite ausging.


    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ist das alles?)

    — Jawohl; das meine ich damit.

    (Abg. Erler: Das ist aber sehr aktuell! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Sie drücken sich so geheimnisvoll aus, als wäre hier eine Verschwörung im Gange wie die des Fiesco zu Genua!)

    — Nein, nein; das ist d e r Punkt, Herr Kollege Schmid. Wenn Sie der Meinung sind, das künftig nicht mehr zu tun, bin ich damit sehr einverstanden.
    Ich weiß nicht, ob in dieser Debatte noch einmal der Unkenruf erhoben wird, die Freiheit im Innern sei in Gefahr. Ich hoffe es nicht. Im Wahlkampf konnte man das noch hören und lesen. Doch auch da schon blieben die Säle leer, wenn von einer angeblich bedrohten Freiheit allzu laut gesprochen wurde. Meine Damen und Herren, das kam beim Wähler damals nicht an und kommt beim Wähler auch heute nicht an. Das Kapitol der Freiheit braucht in Deutschland wirklich nicht gerettet zu werden,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    auch nicht von denen, die früher im Lager des
    Nationalismus standen und meinten, daß am Liberalismus die Völker zugrunde gehen, und die heute



    Dr. Krone
    im Lager des Liberalismus ihre Heimstätte gesucht und auch wohl gefunden haben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Meinen Sie Herrn Dr. Vogel? — Abg. Dr. Mende: Er meint Herrn Dr. Vogel!)

    — Herr Dr. Mende, ich meine, mehr Ihre Seite!
    Ich kann das Verhältnis von Opposition und Koalition nicht besser darlegen, als daß ich auf die Rede hinweise, die der an seinem Kriegsleiden und an den Folgen einer zehnjährigen Konzentrationslagerhaft so früh verstorbene Kurt Schumacher am 21. September 1949 gehalten hat.

    (Zuruf von der SPD: Ihr habt's nötig!) Die Opposition

    — so sagte Schumacher —
    ist ein Bestandteil des Staatslebens. Nicht überall ist die glatte Antithetik gegeben. Wir sind nicht die bloße Negationserscheinung dieser Regierung, wir sind etwas Selbständiges.
    Erich Ollenhauer hat am 28. Oktober 1953 die Anerkennung der Opposition als eines wesentlichen und unerläßlichen Bestandteils der parlamentarischen Demokratie hervorgehoben. Das gleiche hat der Herr Bundeskanzler getan, 1949 und auch 1953. Er sprach auch damals schon von der Opposition als einer Staatsnotwendigkeit und davon, daß durch das Einandergegenüberstehen von Koalition und Opposition echte Demokratie gegeben sei. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wir sind auch heute der gleichen Meinung und bereit, danach zu arbeiten.
    Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob man nicht wieder mit der Mahnung und Beschwörung kommt, wir sollten in unserer Fraktion keine parlamentarischen Beschlüsse vorwegnehmen. Nun, wir wollen das auch nicht, und wir sind bereit, in den Ausschüssen so wie bisher zu diskutieren und zu beraten.

    (Zuruf von der SPD: Nur in den Ausschüssen?)

    — Auch im Plenum! Doch möge man auch bedenken, daß die absolute Mehrheit im Parlament ein ganz legitimes Ziel einer jeden Partei ist,

    (Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU)

    und die haben wir diesmal erreicht. Und einmal muß eine Frage auch in den Ausschüssen entschieden werden. So sehr man also an uns appelliert, wir sollten die Macht nicht mißbrauchen, so sehr appellieren wir an die Opposition, hier im Parlament nicht in die glatte Gegensätzlichkeit zu gehen; denn im steten Neinsagen besteht auch nach den Worten Schumachers nicht das Wesen der Demokratie.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Noch ein letztes Wort zu dieser Frage! Es wäre der Zusammenarbeit in diesem Hohen Hause außerordentlich förderlich, wenn die Opposition den berechtigten Anspruch, den sie hier erhebt, auch dort respektierte, wo sie sich in der Mehrheit befindet.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte hier auf keine Einzelfälle eingehen; aber es ist leider eine Tatsache, daß die parlamentarischen Spielregeln in zahlreichen Gemeinden, in denen die Opposition dieses Hohen Hauses regiert, wiederholt auf das schwerste verletzt worden sind.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Sehen Sie sich einmal Ihre Freunde an! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Sie sitzen im Glashaus, Herr Krone! — Zuruf der SPD: Hamburg!)

    Wenn wir uns also zu den großen im Interesse der Demokratie liegenden Faktoren der Opposition und der Koalition bekennen, dann meinen wir auch, daß der Gedanke, zwischen Koalition und Opposition stehen zu wollen, stehen zu können, eine Fiktion ist, ein Stück politischer Jongleurkunst. Eine Zeitlang gelingt das Spiel; eines Tages aber wollen die Wähler und auch die Gewählten doch wissen, wohin die Reise geht. Doch diesen Kopf brauchen wir uns nicht zu zerbrechen, und wir werden ihn uns auch nicht zerbrechen, auch deshalb nicht, weil wir zwischen einer Opposition hundertprozentig, fünfzigprozentig oder weniger nicht zu unterscheiden vermögen. Koalition und Opposition, beide sind für Deutschland verantwortlich, für alle Deutschen, auch für die von uns getrennten. Opposition und Koalition tragen in der ihnen zukommenden Funktion Verantwortung für das Ganze. Von dieser Verantwortung kann uns beide nichts befreien. Das Schicksal unseres Volkes verpflichtet uns alle, Koalition und Opposition, Parlament und Regierung.
    Meine Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit, wo der einzelne immer mehr in den Sog des Massenhaften gerät. Auch die repräsentative Demokratie ist in den Massenstaaten unserer Zeit in Gefahr. Sie droht, zu einer parteienstaatlichen Demokratie zu werden, — ein Vorgang, der in der modernen Staatsrechtslehre nicht nur seine Vertreter, sondern leider auch seine begeisterten Verfechter hat. Wir sollten uns dieser Tendenz, wo immer auch nur möglich, entgegenstellen. Wer das tun will, der vermag das nicht besser, als daß er den Art. 38 des Grundgesetzes, diesen für das freiheitliche, aber auch verantwortungsbewußte Handeln des Abgeordneten grundlegenden Artikel, ganz ernst nimmt. Solches Handeln unterscheidet den Politiker vom Funktionär, vom Funktionär seiner Partei und seines Verbandes. Wo der Funktionär herrscht, bleiben die Fenster aus Furcht vor frischer Luft verschlossen. Der Funktionär wird echter Politik nicht gerecht.
    Friedrich Sieburg und Jürgen Tern haben in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — —

    (Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Der alte Nazi!)

    — Meine Damen und Herren, ein paar Zwischenrufe mehr, aber nicht ein allgemeines Gemurmel dieser Art, darum würde ich bitten.

    (Lachen bei der SPD und Zuruf von der SPD: Sie sind doch vorbelastet! — Weitere Zurufe von der SPD.)




    Dr. Krone
    Friedrich Sieburg und Jürgen Tern haben in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben, der Deutsche habe dieses Mal konservativ gewählt, mit mehr als der Hälfte der Abstimmenden. Mir scheint Glas richtig gesehen. Auch in dieser Hinsicht ist die Wahl ein beachtenswertes Kennzeichen unserer Zeit, die aber damit nicht reaktionär sein will,

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Des Menschen Wille ist so schwach . . .)

    sondern weiß, daß das 19. Jahrhundert auch seine großen Werte hinterlassen hat. Vom Konservativen unterscheidet sich der Reaktionär dadurch, daß jener sich des Wandels der Zeit bewußt ist, dabei aber weiß, daß es im Menschen und in der Natur liegende Werte gibt, die auch die Politik nicht ungestraft übersehen darf, so auch das Recht und die Freiheit, daß der Mensch auf beides nicht verzichten kann. Das Suum cuique gehört auch hierhin. Es war schon vor Preußens Geburt ein wahres Wort und bleibt es auch nach Preußens Untergang, der sich schon 1918 vollzog und nicht erst, als nach 1945 die Siegermächte das Land Preußen mehr schematisch als organisch aufteilten.
    Zu diesen unvergänglichen Werten gehört auch das Eigentum, gehört die Familie, gehört das Kind in der Familie. Dazu gehört bestimmt nicht als letztes auch die Religion und ihre Freiheit, gegen die in diesen Tagen in der Sowjetzone erneut ein scharfer Kampf geführt wird. Das ist nicht nur ein Kampf gegen das Christentum, sondern auch gegen die Geistesfreiheit. Ich glaube, ich weiß mich mit dem ganzen Hohen Hause darin einig, wenn ich sage, daß die Opfer dieses Kampfes in der Zone unserer Teilnahme sicher sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Denken, zu dem wir uns hier bekennen, unterscheidet sich also nicht nur von allen Funktionärsformen; es unterscheidet sich auch von einem Handeln, das zu seiner Zeit eine nicht wegzuleugnende Bedeutung gehabt hat, das aber heute deshalb seine Stunde nicht mehr hat, weil sein geschichtlicher Wert Bestandteil des Denkens unserer Zeit geworden ist. Ich meine die Forderung, die der Liberalismus seinerzeit erhoben hat. Zur Anerkennung der Würde alles dessen, was Menschenantlitz trägt, braucht heute nicht mehr aufgerufen zu werden. Wer das nicht wußte, hat es unter Hitler bitter erfahren. Und weil der Mensch Mensch ist und er das selber weiß und die moderne Gesellschaft auch durchweg danach handelt, hat Karl Marx nur noch in. Moskau den ersten Lehrstuhl für Sozialökonomie inne. Was am 19. Jahrhundert richtig war, das hat die Welt längst übernommen; das andere, der Rest ist Geschichte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In Deutschland ist die Freiheit wirklich nicht in Gefahr. Wir erleben statt dessen etwas ganz anderes. Statt des Klassenkampfes stellen die großen Organisationen der beiden Kampfparteien heute manchmal fest, daß es klüger und vorteilhafter ist, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, vorteilhafter für die beiden Sozialpartner, ohne jedoch
    immer vorteilhaft für den Dritten zu sein, nämlich den Verbraucher; denn er muß sehr oft die Zeche bezahlen. Hier tauchen neue Probleme und neue Aufgaben auch für unsere Politik auf.

    (Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Wähler haben sich in ihrer Mehrheit am 15. September zu der Politik bekannt, welche die Regierung Konrad Adenauer acht Jahre lang verfolgt hat. Der Wähler wünscht und erwartet — das ist das Ergebnis der Wahl —, daß diese Politik fortgesetzt wird.

    (Abg. Baur [Augsburg]: Seien Sie vorsichtig!)

    Die Splitterparteien sind auf der Strecke geblieben. Versuche zu einem neuen Radikalismus sind von den Wählern schon im Keime erstickt worden. Die Konzentration auf die beiden großen politischen Parteien hat sich fortgesetzt. Es gibt keine Zünglein-an-der-Waage-Politik, keine Entscheidung erst am Tage danach mehr und damit keine Möglichkeit, seine Minderheit diktatorisch auszunutzen.
    Der Gesamtdeutsche Block ist im Bundestag nicht vertreten. Die sozialen und wirtschaftlichen Eingliederungsmaßnahmen haben bewirkt, daß die Heimatvertriebenen auch politisch Fuß gefaßt haben.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Die Heimatvertriebenen gehören zu uns, wie wir zu ihnen gehören.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Sorgen und Nöte dieser Menschen werden weiterhin von uns so ernst genommen werden wie bisher.
    Mancherlei Überlegungen sind darüber angestellt worden, wie es zu diesem Wahlergebnis gekommen ist. Man sagt, daß die Politik des Professors Erhard — der Kühlschrank — die Ursache gewesen sei. Herr Kollege Schmid hat dasselbe Thema noch etwas plastischer formuliert. Nun, meine Damen und Herren, wenn dem so wäre, meine ich, es wäre nicht verkehrt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Verkehrt ist eine solche Politik nur dann, wenn sie nicht weiß, daß es in der Wirtschaft noch wichtigere Dinge gibt als den Kühlschrank, und wenn man sich nicht freihält von utopischen Wunschträumen. Das Paradies auf der Erde haben wir nicht versprochen und werden wir auch nicht versprechen. Der Glaube an dieses Paradies stirbt langsam aus.
    Es waren noch andere Gründe, die den Wähler veranlaßt haben, sich so positiv zu entscheiden. Das deutsche Volk wußte und weiß, was es heißt, nach diesem zweiten Weltkrieg und angesichts alles dessen, was geschehen ist, wieder Freunde in der Welt zu haben. Es will sich nicht zwischen die beiden Stühle setzen. Es ist auch davon überzeugt, daß unser Pakt mit den Mächten der freien Welt die einzige Sicherheit ist, die wir nach außen hin hatten und haben. Es mißt dieser Sicherheit auch weit mehr Bedeutung zu als Überlegungen, die doch bestimmt den einen großen Nachteil haben, daß



    Dr. Krone
    man von ihnen bisher nicht weiß, ob sie, wenn sie einmal Wirklichkeit werden sollten, überhaupt funktionieren.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Auch das hat der Mann auf der Straße weit sicherer gespürt als viele kluge Leute, die da meinten, diese Gleichung mit einer Anzahl von Unbekannten müsse auf alle Fälle aufgehen und dann sei wenigstens Europa gerettet.

    (Lautsprecherstörung. — Lachen und Zurufe von der SPD: Sputnik! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Die Elemente hadern!)

    — Sie können sich so leicht über Kleinigkeiten freuen, Herr Kollege Schmid.

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Es war wiederum Professor Carlo Schmid, der nach den Wahlen meinte, die Außenpolitik der SPD sei nach wie vor richtig,

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Aber sicher!) aber sie sei unpopulär.


    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ja!)

    — Unpopulär, Herr Kollege Schmid. Ich glaube, das Hiroshima-Plakat haben nicht wir geklebt, und wir waren es auch nicht, die gesagt haben, wir wollten die Wehrpflicht abschaffen. Unpopulär, glaube ich, war eher unsere Forderung der Wehrpflicht und nicht Ihre.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Herr Krone, ist die Wehrpflicht Ihre ganze Außenpolitik?)

    — Warum so ungeduldig, Herr Kollege Schmid? Warten Sie doch etwas! Sie sind doch sonst ein so ruhiger Mann.

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Sie machen es mir so schwer!)

    — Ich bin etwas erstaunt über Ihren Satz; denn im Wahlkampf selber konnte man schon einige Stimmen in Ihrem Lager hören, die sich dem näherten, was wir über unser Verhältnis zur Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft immer gesagt haben. Ich frage mich nun, ob dieser Weg, der immerhin eine wünschenswerte Annäherung auf dem Gebiete einer gemeinsamen Außenpolitik anbahnte, verschüttet worden ist. Ich würde es bedauern.
    Das, was sich in diesen Tagen in Moskau ereignete, nimmt auf alle Fälle der europäischen Sicherheitskonstruktion der Sozialdemokratie Gewicht und Aktualität und rechtfertigt eine illusionslose Beurteilung der Vorgänge, wie wir sie stets von uns aus gefordert haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Dann gehen Sie mal näher darauf ein! — Abg. Baur [Augsburg] : Begründen Sie das doch! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Der Wähler, meine Damen und Herren, hat sich am Wahltag nicht nur für eine bestimmte, ihm zur Entscheidung vorgelegte Politik entschieden, sondern — das will und muß ich sagen — der Wähler hat sich auch zu dem Mann bekannt, mit dessen Namen die Politik dieser Jahre geschichtlich verknüpft ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist das geschichtlich Einmalige in Deutschland: Mit mehr als der Hälfte der Stimmen bei einem jede Stimme zählenden Wahlrecht hat der deutsche Wähler, gerade auch in der Arbeiterschaft, Konrad Adenauer erneut das Vertrauen ausgesprochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wären zu bescheiden gewesen, wenn wir die Entscheidung vom 15. September nicht mit Freude quittiert hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Männer, die vorn stehen, sind immer umstritten.

    (Lachen bei der SPD.)

    Das ist ihr Schicksal. Dank und Anerkennung sind eine seltene Tugend. Wenn einer ein Stück Geschichte seines Volkes geprägt hat, und ich sage weiter: wenn der Bundeskanzler seit 1949 ein Stück deutscher Geschichte nach jenen Unglücksjahren des Hitler-Regimes in unserem Volke geprägt hat, das leider ohne unsere Schuld noch immer geteilt ist, wer hat dann ein Recht, den Leuten, die zu diesem Manne stehen, die diesen Weg deutscher Freiheitspolitik bejahen und die zwischen Dankbarkeit und Führerkult zu unterscheiden wissen, zu verwehren, dem Manne den Dank auszusprechen, der ihm gebührt!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich danke hier, meine Damen und Herren, auch den Ministern aus dem zweiten Kabinett Adenauer, die dieses Mal ausscheiden. Ich danke in Anerkennung und Verehrung den Herren Kollegen Blücher und Preusker und aus unseren Reihen dem Kollegen Anton Storch, mit dessen Namen der Wiederaufbau der deutschen Sozialpolitik verknüpft ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich danke dem Kollegen Jakob Kaiser — —

    (Zurufe von der SPD.)

    — Aber bei diesem Punkt sollten Sie etwas ruhiger sein, wenn ich einem Kollegen danke; das ist doch eine Pflicht der Höflichkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Greve: Aber nicht der Verehrung, Herr Krone! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Ich danke auch meinem Freunde Jakob Kaiser, dem unermüdlichen Kämpfer für die gesamtdeutsche Sache.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ihm gelten unsere besten Wünsche für baldige Genesung.

    (Zurufe von der SPD.)

    Wenn ich vorhin von der Verantwortung gesprochen habe, die wir für das Schicksal unseres Volkes tragen, Opposition wie Koalition, und daß uns diese gemeinsam verpflichtet, so fassen Sie das



    Dr. Krone
    bitte nicht als einen mir nicht zustehenden Appell auf. Ich weiß, es gibt Fragen, Sorgen und Anliegen, in denen sich Regierungsparteien und Opposition einig sind. Das muß und soll auch heute von uns gesagt werden, damit unsere Arbeit nicht mit einem schlechten Start beginne. Ich möchte, daß wir uns auch auf dem Weg zum Ziele fänden; aber dafür müßten wir uns zunächst — wie ich bereits erwähnt habe — bei der Beurteilung der weltpolitischen Tatbestände einigen können. Deutschland hat im Kampf der Mächte Stellung bezogen. Ober seine Zugehörigkeit zur freien Welt, sein Bekenntnis zur Freiheit und Demokratie und seinen Willen zum Frieden gibt es in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheiten.
    Die Frage, die uns in der Vergangenheit beschäftigt hat und bei der wir uns trennen mußten, war, ob und in welcher Weise die Bundesrepublik um ihrer eigenen Sicherheit willen und für die Sicherheit der gesamten freien Welt einen Verteidigungsbeitrag zu leisten habe. Die sozialdemokratische Opposition hat einen solchen Beitrag prinzipiell nicht abgelehnt; sie war aber der Meinung, daß noch nicht jede Verhandlungsaussicht erschöpft sei. Demgegenüber sind wir der Oberzeugung gewesen, daß keine Möglichkeit mehr gegeben war, die deutsche Entscheidung zugunsten der eigenen Sicherheit im Rahmen einer Verstärkung der westlichen Verteidigung noch länger hinauszuzögern. Die Sowjets hatten sehr viel Zeit, die Verteidigung und Aufrüstung in der Welt durch eine Verständigungspolitik überflüssig zu machen. Es geschah aber nichts. Wir werden auch weiterhin mit allen unseren Möglichkeiten die Bemühungen unterstützen, den Frieden in der Welt durch allgemeine und kontrollierte Abrüstung zu gewährleisten. Wir befinden uns, wie ich feststellen darf, in voller Übereinstimmung mit der vom Herrn Bundeskanzler immer wieder vertretenen Politik, daß sich 'Deutschland ohne Zögern jedem allgemeinen Abrüstungsabkommen unterwerfen wird. Die Abrüstungsverhandlungen sind deutscherseits mit keinerlei Forderungen vorbelastet worden. Wir können zwar von unserer Überzeugung nicht abgehen, daß ein dauerhafter Friede eine gerechte Lösung der deutschen Frage zur Voraussetzung hat. Aber wir geben uns der Hoffnung hin, daß Fortschritte auf dem Gebiete ,der Abrüstung die Lösung der politischen Streitfragen erleichtern, ja uns zu ihr hinführen.
    Indessen — damit wende ich mich an das ganze Hohe Haus — dürfen wir den Blick nicht vor der Tatsache verschließen, daß sich die von Moskau heraufbeschworene krisenhafte Situation eher noch verschärft hat. Man meinte zu Beginn dieses Jahres — und in führenden deutschen Zeitungen kam das hoffnungsfreudig zum Ausdruck —, daß in der Welt Tauwetter einsetze. Die Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus. Gestern vor einem Jahr rückten sowjetische Panzer in Budapest ein, schlugen den heroischen Kampf der Ungarn um ihre Freiheit nieder und dokumentierten, was Moskau unter Selbstbestimmung und Koexistenz versteht. Ich glaube auch nicht, daß die inneren
    Machtkämpfe, die sich heute in der Sowjetunion abspielen, die Gefahr, in der wir leben, vermindern; eher ist das Gegenteil der Fall.
    Hinzu kommt, daß die unbestreitbaren technischen Erfolge, welche die Sowjets in Gestalt der weittragenden Rakete und mit der Entsendung künstlicher Erdsatelliten hatten und haben, das Selbstgefühl derer im Kreml noch gesteigert haben. Darin allerdings haben sich die Sowjets getäuscht. Die Reaktion der westlichen Welt ist ganz anders ausgefallen, als sie erwartet hatten. Es ist meins Erachtens ein vitales Anliegen für uns alle, daß die Sowjets nicht der Illusion verfallen, sie könnten sich, weil die freie Welt vorzeitig weich würde, die Zustimmung zu einer allgemeinen Abrüstung ersparen. Wir sind deshalb, ganz konkret gesprochen, bereit, wir müssen alles tun und wir werden die volle Erfüllung unserer in der atlantischen Gemeinschaft übernommenen Verpflichtungen sehr ernst nehmen. Gerade wenn die Massenvernichtungsmittel in Dimensionen hineingeraten, die ihren Einsatz immer unwahrscheinlicher machen, wird der militärische Beitrag der Bundesrepublik zum atlantischen Schild nur noch bedeutsamer.
    Das ist — und ich hoffe sehr, in diesem Punkte richtig verstanden zu werden — keine Absage an eine deutsche Politik, die auch mit den Völkern im Osten einen Ausgleich und gute nachbarliche Beziehungen anstrebt. Es hat uns alle zutiefst enttäuscht, daß die Sowjetunion bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu ihr bisher keinen Schritt getan hat, in der sowjetischen Deutschlandpolitik einen Wandel herbeizuführen. Wir beobachten besorgt das sowjetische Bemühen, die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit von den Gesprächen über die Abrüstung auszuschalten. Wir wehren uns auf das entschiedenste gegen die These der Sowjets, daß der Weg zur deutschen Einheit über Pankow führt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der Weg zur deutschen Einheit, meine Damen und Herren — und daran muß der deutsche Politiker festhalten —, führt über das Gespräch der Vier, damit auch natürlich über Moskau, aber nicht über Pankow.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Mit Genugtuung und Dankbarkeit muß hervorgehoben werden, daß unsere Verbündeten, erst jetzt wieder in der gemeinsamen Erklärung des Präsidenten Eisenhower und des englischen Premierministers, uns in der deutschen Frage nach wie vor ihre Unterstützung geben und daß die drei Westmächte im Gegensatz zur Sowjetunion zu der von allen vier Siegermächten zuletzt noch in Genf anerkannten Verantwortung für die Wiedervereinigung Deutschlands auch stehen. Unsere Verbündeten haben deshalb auch für den deutschen Schritt gegenüber der Belgrader Regierung volles Verständnis gezeigt.
    Nicht wir haben die Zuspitzung der deutschjugoslawischen Beziehungen gesucht, im Gegenteil, wir haben sie außerordentlich bedauert. Die Anerkennung Pankows durch Belgrad ließ aber



    Dr. Krone
    keine andere Reaktion zu, und es beunruhigt mich doch, daß es darüber in diesem Hohen Hause anscheinend verschiedene Meinungen gibt.

    (Unruhe bei der SPD.)

    Ich will hier niemandem unterstellen, daß er die Gemeinsamkeit verlassen wolle, mit der wir Verhandlungen mit Pankow über die deutsche Schicksalsfrage bisher immer abgelehnt haben. Aber es taucht leider hie und da die Behauptung auf, diese Haltung sei nicht mehr realistisch, die Macht des Faktischen werde sie eines Tages umstoßen. Was bedeutet das? Es bedeutet doch im letzten nichts anderes als den Verzicht auf eine Wiedervereinigung des deutschen Volkes in Freiheit. Wenn wir von der Wiedervereinigung sprechen, meinen wir doch alle nichts anderes als die Liquidation des derzeitigen Machtregimes in der Besatzungszone drüben hinter dem Eisernen Vorhang. Wer ist naiv genug, sich vorzustellen, daß dieses Regime sich jemals selbst aufgäbe, selbst aufgäbe dadurch, daß es eine Wiedervereinigung in Freiheit bejaht? Es kann nur dadurch zum Verschwinden gebracht werden, daß die Sowjetunion ihr Interesse an einer Lösung der deutschen Frage anerkennt, an einer Lösung, die dem Willen des deutschen Volkes entspricht und die auch gute deutsch-sowjetische Beziehungen ermöglicht. Solange die Sowjets Pankow vorschieben, ist das nichts anderes als ein hartes Nein zur Wiedervereinigung.
    Das Regime von Pankow ist demokratisch nicht legitimiert. Nur der hat das Recht, von Demokratie und Freiheit zu reden, der den Mut zu freien Wahlen hat. Nur der hat das Recht, von Demokratie und Freiheit zu reden, der gewillt ist, der Zone und ganz Berlin den Weg in die Freiheit nicht wie bisher zu versperren, und nur der kann von der hohen Herrschaft des Rechtes sprechen, der die Tore der Zuchthäuser für die wegen ihres Einstehens für die Freiheit Verurteilten endlich öffnet.
    Diese Haltung gegenüber Pankow hat nichts mit der Frage zu tun, ob die Bundesrepublik zu Staaten, die kommunistisch regiert werden, überhaupt gute Beziehungen haben kann. Pankow ist für uns kein Staat; Pankow ist ein Unrechtsregime auf deutschem Boden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

    Was fremde Staaten betrifft, so haben wir kein Recht und auch gar nicht die Absicht, uns in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen. Das kommunistische Regime, das in Jugoslawien besteht, hat uns nicht davon abgehalten, für gute Beziehungen zu diesem Staat auch erhebliche Opfer zu bringen. Wir sollten zu einer solchen Haltung in jedem Fall bereit sein, solange man uns nicht, wie das die Belgrader Regierung getan hat, durch unerträgliche Einmischung in unsere eigenen inneren Angelegenheiten, eben durch die Verneinung des Selbstbestimmungsrechts vor den Kopf stößt. Wir dürfen auf gar keinen Fall davon absehen, daß wir nichts hinnehmen können, was die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit gefährden würde.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Die Bemühungen um die europäische Integration sind in eine entscheidende Phase eingetreten. Wir haben diese Entwicklung trotz mancher ernster Rückschläge und vieler Widerstände unverdrossen und mit aller Energie gefördert; denn wir sind stets der Meinung gewesen, daß Europa sich einigen muß, wenn es überhaupt leben will. Wir begrüßen die Ausführungen der Regierung zu diesen Fragen und werden alles tun, was diesem großen Ziele dient. Wir werden alles unterstützen und auch initiativ fördern.
    Der europäische Zusammenschluß soll nicht zuletzt unsere Abwehrkraft gegen den Osten stärken. Ich meine das nicht im militärischen Sinn, sondern im Sinne wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit.
    Früher ist in diesem Hohen Hause die Auffassung vertreten worden, ein Schritt zu solcher europäischer Zusammenarbeit erschwere, ja verhindere die deutsche Wiedervereinigung. Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, daß das heute nicht mehr der Fall ist, daß sich auch die SPD für den Gemeinsamen Markt und für Euratom ausgesprochen hat.
    Die internationale Verflechtung unserer Existenz hat einen Grad erreicht — und das gilt nicht nur für uns —, daß wir — ob wir wollen oder nicht — in einer Art Weltinnenpolitik stehen. Nicht nur die Grenzen der Nationalstaaten, sogar die Grenzen der Kontinente sind in vielem fragwürdig geworden. Es gilt, dessen gerade dann eingedenk zu sein, wenn wir unser nationales Schicksal meistern wollen. Wir sind dessen gewiß, daß die europäischen Nationen, wenn sie über den Weg der wirtschaftlichen Integration schließlich zu einer politischen Gemeinschaft gelangen, in der neuen Epoche, in die wir eingetreten sind, die ihnen drohende Geschichtslosigkeit überwinden werden.
    Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung auch einen Aufriß dessen gegeben, was die Bundesregierung auf den Gebieten der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu tun beabsichtigt. Mein Freund Höcherl wird zu diesem Thema noch ein besonderes Wort sagen. Ich gehe deshalb nur kurz darauf ein und will betonen, daß uns gerade jene Fragen besonders beschäftigen werden, die in dem großen Prozeß der Aufsaugung alles Individuellen, den wir heute erleben, die Sicherung der menschlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Existenz betreffen. Hierher gehört eine tatkräftige und einheitlich geführte Mittelstandspolitik. Die Finanz- und Steuergesetze wie die des Arbeits- und Sozialrechts müssen geordnet sein. Das Sparen im eigenen Betrieb muß ermöglicht werden. Wir müssen und werden an die Sicherung und Förderung der freiberuflich Tätigen denken, an die Förderung der Wissenschaft, an die Förderung der Studierenden. Der Grüne Plan muß fortgesetzt und ausgebaut werden. Wir stehen nicht nur vor einer Reform des Unfallversicherungsrechts und der Reform der Krankenkassenversicherung, sondern auch vor der Aufgabe, durch eine große umfassende und vergleichende Leistungsübersicht auf den drei Gebieten des sozialen Leistungswesens, also der Sozialversicherung, der sozialen Fürsorge und des sozialen Ver-



    Dr. Krone
    sorgungswesens, diejenigen Unebenheiten und tatsächlichen Härten zu beseitigen, die das Bild des Erreichten heute verzerren.
    Doch es geht bei dieser Politik nicht nur darum, das Erreichte zu sichern und auszubauen und dabei überall jene Mängel zu beseitigen, die der schnelle Wiederaufbau mit sich gebracht hat; wir müssen und wollen noch einen Schritt weitergehen. Das erste, das zu tun ist, wenn von Sozialreform geredet wird, heißt unseres Erachtens das Eigentum, das vorhanden ist, erhalten und sichern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es muß deutlich gesagt werden: die Voraussetzung für jegliche Mehrung und Streuung des Eigentums ist die, daß das vorhandene Eigentum gesichert bleibt. Das bedeutet aber auch, daß die Kaufkraft der D-Mark stabil bleibt. Es ist uns gelungen, alle jene Bestrebungen, die im Endergebnis inflationistisch wirken mußten, so weit zurückzustauen, daß unsere Währung zu den härtesten Währungen überhaupt gehört, und das muß so bleiben.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Allerdings ist es nicht möglich, dem Parlament und der Regierung allein die Verantwortung für die Festigkeit der D-Mark zu überlassen. Die Autonomie der Sozialpartner und das Recht, dessen sich bei uns die großen Gebilde der Gesellschaft erfreuen, verlangen wesensnotwendig, daß sich diese Organisationen nicht nur ihren Worten nach, sondern in ihrem tatsächlichen Verhalten zur Mitverantwortung für das Ganze auch bekennen.

    (Wiederholter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die freiheitliche Ordnung muß gewahrt werden. Ihretwegen aber geht es dann nicht an, daß die organisierten Gruppen ihre eigenen Anliegen einfach so weit durchsetzen, wie es ihre gesellschaftliche Macht gerade erlaubt. Um der Freiheit der Ordnung willen kann das Parlament und kann die Regierung dem natürlichen Streben der Gruppen und ihren Interessen nicht schroff mit Gesetzen und Zwang entgegentreten. Um so mehr müssen Sozialpartner und Verbände die Verantwortung ernst nehmen, die ihnen die Freiheit und ihre Zuständigkeit auferlegen. Sonst träfe sie selber die Schuld, wenn sich die Regierung im Interesse der breiten Schichten der Bevölkerung zu einer Einschränkung der Befugnisse gezwungen sehen könnte.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Die Bildung von Eigentum in breiter Hand gehört nach unserer Meinung zu den vordringlichsten sozialen Aufgaben der kommenden Jahre. Manches ist hier schon geschehen. Wir haben einen guten Bestand an funktionsfähigem Eigentum. Ich denke da an die große Zahl der Eigenheime, die wir gebaut haben. Zahlreiche heimatvertriebene Bauern, Handwerker, Unternehmer haben eine neue Existenz gefunden. Die kriegszerstörten Geschäfte und Betriebe konnten wiederhergestellt werden. Ansehnliche Sparkonten und Versicherungsansprüche sind erspart worden. Trotz aller dieser Erfolge muß das Eigentum, das sich in den nächsten Jahren neu bildet, breiter gestreut werden. Es geht darum, den Arbeitnehmern nun auch einen größeren eigentumsmäßigen Anteil an der industriellen Ausstattung der Volkswirtschaft zuzuleiten.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Mit dem Programm der Volksaktie, mit dem Gesetz über Investment-Gesellschaften, mit der Begünstigung der Bausparverträge und anderen Maßnahmen sind wir bereits erste Schritte gegangen. Wir werden sie fortsetzen in einer systematischen Pflege des Sparwillens.
    Unter diesen Gesichtspunkten erhalten auch die Fragen des Mittelstandes und der Landwirtschaft eine erhöhte Bedeutung. Es wäre eine schlechte Politik, die Freiheit und die gesellschaftliche Selbständigkeit fördern zu wollen, wenn man die Stände, die heute noch von unabhängigen Existenzen gebildet werden, vernachlässigte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auch aus dieser Sicht ist die Förderung der Landwirtschaft und des Mittelstandes dringend geboten. um so unserem gesellschaftspolitischen Leitbild immer näher zu kommen.
    Das Bemühen, die Bürger des Volkes weitestgehend zu Eigentümern zu machen, ist ein wesentlicher Schritt zu der anstehenden Sozialreform. Es trägt dazu bei, die Klassengegensätze zu überwinden sowie Kapital und Industrie im wahrsten Sinne des Wortes zur Sache des Volkes zu machen. Wiederum muß auch hier gesagt werden, daß es dem Parlament und der Regierung allein nicht gelingen kann, die große Zahl der Bürger so zügig, wie es um der freiheitlichen Ordnung willen wünschenswert wäre, zu modernen Eigentümern zu machen. Hier sind deshalb gerade wieder die Sozialpartner selber aufgerufen. Wenn sich die Sozialpartner hier sperren, verlieren sie das Recht, ihrerseits von Sozialreform zu reden.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Man kann dem Parlament und der Regierung nicht dauernd vorrechnen, was alles hätte geschehen müssen, wenn man sich selber diesem entscheidenden sozialen Anliegen immer entzieht.

    (Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wir werden von der Politik her alles tun, um in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern bewährte und auch neue Formen zur Lösung dieser Frage zu entwickeln und zu fördern. Allen gewagten sozialen und wirtschaftlichen Experimenten sind wir abhold. Dem Trend zum Versorgungsstaat müssen jedoch neue Ideen und wohldurchdachte neue Wege entgegengesetzt werden. Mit der Eigentumsbildung wird ein soziales Kernanliegen aufgegriffen, und an ihm beweisen wir das Recht und die Leistungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein abschließendes Wort zu diesem Kapitel sagen. Ich habe hier kein großes Programm aufgestellt.



    Dr. Krone
    Mir scheint, daß die Zeit der Programme vorüber ist. Man ist heute nüchterner und pragmatischer geworden. Ich habe nur von einigen Aufgaben gesprochen, die uns dringlich zu sein scheinen und von denen ich allerdings glaube, daß wir uns ihrer mit besonderer Aufmerksamkeit widmen müssen und auch widmen werden.
    Unter welchen Gesichtspunkten wir das tun wollen, dazu noch einige Sätze; zunächst die Frage, ob wir mit den vielen Gesetzen, die wir beschließen, nicht doch des Guten zuviel tun.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Frage stellen, meine Damen und Herren, heißt sie bejahen. Wir sollten meines Erachtens die Überproduktion an Gesetzen stoppen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    nicht nur unseretwegen, sondern auch des Staates wegen, des Staatsbürgers wegen, der die Gesetze ausführen soll. Ich meine, es liegt im wohlverstandenen Interesse des Staates selber, wenn seine Repräsentanten nach dem Rezept verfahren: nicht mehr Staat als nötig und so viel Freiheit wie möglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir haben vor, nach diesem Rezept zu arbeiten.

    (Zuruf von der SPD: Das Rezept haben Sie von uns!)

    — Wir nehmen gern Gutes von Ihnen an.

    (Zuruf von der SPD: Das sollte öfter geschehen!)

    Der Neubau unseres Staates nach 1945 ist im großen und ganzen fertiggestellt. Einiges Wichtige muß gewiß noch geschehen. Doch wir sollten genau prüfen, was das ist und was das nicht ist. Die Gesetze, die wir beschließen, sollten übersichtlicher sein, nicht so perfektionistisch und nicht so detaillistisch. Auch der brave Steuerzahler muß solch ein Steuergesetz lesen und eine Steuererklärung auch einmal ohne fremde Hilfe abgeben können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren: ich kenne eine Verordnung mit dem Titel „Höchstbeträge für Fenstervorhänge für Küchen in Kasernen". Ich bin der Meinung, wir sollten uns hüten, in der Politik so detailliert zu arbeiten, und ich habe dieselbe Bitte auch an die Regierung.
    Ein Zweites, was mit diesem zusammenhängt: ich meine den Staat und seine Aufgaben, aber auch seine Grenzen. Was ist an der Behauptung wahr —so muß gefragt werden —, wir seien auf dem Wege, ein Versorgungsstaat zu werden? Es gibt soziale Aufgaben, die so groß und so einmalig sind, daß sie nur der Staat bewältigen kann. Wer anders als der Staat kann sich an die Aufgaben heranmachen, die das Schicksal der Heimatvertriebenen und der Zonenflüchtlinge stellt, ebenso das der Kriegsopfer? Unsere Läger, in denen die Menschen sitzen, die aus der Zone flüchten, wären schon längst leer, wenn nicht Hunderte jeden Tag neu aus dem Osten
    nach hier kämen. Wir sind die letzten, die diese Verpflichtung des Staates zur sozialen Gerechtigkeit nicht bejahten.
    Wir müssen auch daran denken, daß die Scheidelinie zwischen bürgerlich und proletarisch, die auch dank unserer Wirtschaftspolitik langsam überwunden wird, sich nicht eines Tages für neue Berufe wiederauftut. Wir haben alles zu tun, um diesen Prozeß zu stoppen.
    Wenn wir somit die soziale Verpflichtung des Staates anerkennen, muß aber ebenso deutlich gesagt werden, daß es zwischen dem sozialen und freiheitlichen Rechtsstaat und dem aus reinem Versorgungsdenken geborenen Versorgungsstaat eine Grenzlinie gibt, die wir nicht überschreiten sollten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Zu dieser Frage wäre mancherlei zu sagen. Es muß hier genügen, deutlich zu machen, wo diese Grenzlinie verläuft. Sie verläuft meines Erachtens dort, wo einer meint, er müsse von der Allgemeinheit alles das erhalten oder garantiert bekommen, was er benötigt, und damit das nun möglich sei, müsse ein jeder möglichst viel in den allgemeinen Staatstopf hineinzahlen. Meine Damen und Herren, dieses Denken ist falsch. Es widerspricht dem Menschen, wie er tatsächlich ist. Wir lehnen deshalb dieses Denken ab. Der Staat muß echte Hoheit und Autorität sein, Hüter des Rechts und der Freiheit, Hüter der Sicherheit im Innern und Schutz seiner Bürger nach außen. Ist er das, dann dient er auch am besten der Aufgabe, dem allgemeinen Wohle, d. h. dem Wohle aller seiner Bürger.
    Ich habe noch einen besonderen Grund, dieses hier zu sagen. Bei allen unseren Überlegungen und Maßnahmen müssen wir daran denken, daß 18 Millionen Deutsche jenseits des Eisernen Vorhangs auf uns schauen und uns fragen, welche Lösungen wir hier für diese Fragen haben. Hier geht es um Fragen, die der Osten in einer Weise löst, die wir ablehnen. Je energischer wir die Übernahme der sogenannten Errungenschaften der Sowjetzone ablehnen, um so mehr müssen wir uns aber auch für einen echten freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat, für das gesamte Deutschland verpflichtet fühlen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir leben in einem geteilten Deutschland an der Grenze zweier Welten. Wir schützen unser Land nicht nur durch unsere aktive Mitgliedschaft in der westlichen Verteidigungsgemeinschaft, sondern ebensosehr dadurch, daß wir einen Staat des Rechts und der Freiheit aufbauen, einen Staat freier Bürger und wahlgeordneter sozialer Verhältnisse. Wenn wir uns mit Erfolg gegen jenes System der alles umfassenden Sozialisierung wehren wollen, dürfen wir nicht selber anfangen, den Menschen hier zu sozialisieren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist also — und das wäre das Dritte, das in diesem Zusammenhang von mir zu sagen ist —verkehrt im Denken unseres Volkes, wenn die Menschen meinen, daß für alle und jegliche Not



    Dr. Krone
    der Staat, die Gemeinde da sei. Unsere Eltern dachten da ganz anders und richtiger. Man lief nicht gleich aufs Rathaus. Man wußte noch von der Pflicht der Familie, für einander einzustehen, und ganz zuletzt ging man zur Gemeinde, um sich dort Hilfe zu holen. Ich sage es noch einmal: gewiß, die Zeiten haben sich geändert. Trotzdem und gerade deshalb dürfen wir nichts unterlassen, was den Willen zur Selbsthilfe stärkt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir dürfen nicht durch eine falsche Gesetzgebung diesen Willen zur Selbsthilfe und zur Gruppenhilfe verbauen. Im Gegenteil, wir müssen alles unterstützen und fördern, was dem Willen, sich selber zu helfen, dient. Es muß sich für den Staatsbürger, für den Geschäftsmann, für den Arbeiter, für alle Bürger des Staates lohnen, für sich und die Seinen für heute und für später zu schaffen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir müssen recht bald prüfen, was diesem Ziel an Hindernissen in der Gesetzgebung im Wege steht. Es ist besser und richtiger, daß der Staatsbürger sich für sein Alter einen Spargroschen selber zurücklegt und daß wir ihm das auch steuerlich ermöglichen, als daß in der Zeit des Alters und der Not die gewiß notwendige Rente sein ein und alles ist.
    In diesem Zusammenhang muß auch die Liebestätigkeit der Kirchen, ihrer Organisationen und aller freier Verbände gesehen und genannt werden. Wir müssen dieser freien karitativen Tätigkeit den Raum geben oder wieder zurückgeben, den sie haben muß, um segensreich wirken zu können. Es gibt Not, deren sich der Staat, die Gemeinde annehmen muß; es gibt aber auch Not, wo der einzelne, die Kirche, der freie Verband gerufen sind, ja, wo diese allein auch berufen sind.
    Meine Damen und Herren, fast scheint es so, als ob unser Volk nur aus Lohnempfängern, aus Arbeitgebern, aus Arbeitnehmern, aus Rentenempfängern oder aus Angehörigen anderer Gruppen dieser Art bestehe. Daß es eine Familie und einen Berufsstand gibt, das weiß man bald nicht mehr. Und doch sind es diese natürlichen Glieder, auf die sich in einem Volke eine gesunde und tragende Ordnung aufbaut. Der Mensch ist nicht das, was der Liberalismus des 19. Jahrhunderts aus ihm gemacht hat: ein Einzelgänger, der da auf freiem Feld steht und kämpft. Er ist vielmehr ein in menschliche Ordnungen Gebundener. Wo diese Ordnungen verkümmern, geht es mit einem Volke abwärts.
    Hier liegt die Berechtigung und Verpflichtung für eine diese Ordnungen schützende und stärkende Politik. Hier liegt die Begründung unserer Familienpolitik, auch unserer Wohnungsbaupolitik, in deren Mittelpunkt immer mehr ,das Heim für die Familie stehen muß. Wir müssen die Familie als das Fundament unseres Volkes und seines Bestandes sichern und gegen jegliche Gefahr der Auflösung schirmen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auch der Sonntag muß Sonntag bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Macht man aus ihm einen Werktag, so wird eine Ordnung zerstört, die man auch der Wirtschaft wegen nicht verletzten darf. Unser Mühen und Sorgen um die Familie ist vergebens, wenn der Sonntag seine zentrale Bedeutung verliert.
    Zu jenen menschlichen Ordnungen gehört auch die Heimat. Darum liegt auch hier das Recht begründet, das unsere Heimatvertriebenen auf ihre Heimat haben, ein Recht, an dem wir mit ihnen unentwegt festhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Wie wir, die Fraktion der Unionsparteien, hier im Parlament arbeiten wollen, habe ich in Umrissen dargelegt. Wer wir sind, darüber hat es im Wahlkampf heftigen, nicht immer erfreulichen Streit gegeben. Es war das Wort „christlich" in unserem Namen, das den Widerspruch hervorrief. Ich will darauf aber nicht weiter eingehen. Lassen Sie mich schlicht und einfach noch einmal sagen, daß für uns dieses Wort in unserem Namen nichts Selbstgefälliges und kein Monopolanspruch ist. Es ist eine Verpflichtung und nichts anderes.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es ist die christliche Berufung des Menschen, seine Würde als gottgeschaffenes und gottbestimmtes Wesen, dieses Menschen in den Lebensbereichen der Familie, des Staates, der Wirtschaft und auch der modernen Gesellschaft. Diesem Menschenbilde widersprechen nach unserer Meinung aller Kollektivismus und alle Gleichschaltung. Das Kollektiv ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Ich glaube, es stimmt, wenn gesagt wird, daß die Zeit der großen Ideologien des 19. Jahrhunderts vorbei ist. Sie haben dem Menschen die Erlösung nicht gebracht, die er von ihnen erwartete. Sie vermochten vor der harten, blutigen Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts nicht standzuhalten. Nur im Osten wird der prometheische Versuch noch fortgesetzt, die Welt und den Menschen aus sich selber heraus zu erlösen. Hier hält der Sozialismus in seiner konsequenten Form allein mit dem Mittel der Macht noch eine Ideologie aufrecht und ist unablässig bemüht, nur wechselnd in den Wegen, sie der Welt aufzuzwingen.
    Ich meine, auch der Politiker kann sich der Erkenntnis nicht versagen, die sich — ich gebrauche ein Wort unseres Kollegen Pascual Jordan — aus dem gescheiterten großen Aufstand des 19. Jahrhunderts gegen Gott ergibt, daß wir es besser könnten als er. Gegen das infernalisch Drohende der Stunde, das, um es in seiner Abgründigkeit zu erkennen, noch einmal einen Analytiker wie Dostojewski finden müßte, sei auch hier noch einmal jenes Wort gesetzt, das unser Präsident in Berlin gebraucht hat: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch", in der Interpretation, daß es die Einsicht in das Geheimnis der Welt ist, die in Gottes Hand ruht.



    Dr. Krone
    Man wolle es mir zugestehen, wenn in diesem Hause, wo sonst von anderen Dingen geredet wird, auch von dem Letzten gesprochen wurde, das die Welt trägt und bewegt. Das Wissen um diese Wahrheit verpflichtet und macht, so hoffen wir, zuversichtlich für den Sieg des Rechts und den Frieden in der Welt, zuversichtlich auch für unser ganzes deutsches Volk.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)