Rede:
ID0300402900

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 3004

  • date_rangeDatum: 5. November 1957

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    6. Bundeswirtschaftsminister.: 1
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    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957 . . . . 31 A Dr. Krone (CDU/CSU) 31 A Ollenhauer (SPD) . . . 41 A, 86 D, 88 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 55 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 66 D Höcherl (CDU/CSU) . . . . 77 C, 79 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 81 B, 90 A, 97 B, 97 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 84 B, 93 D, 94 D Dr. Deist (SPD) . . . 79 C, 90 D, 94 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 88 A Margulies (FDP) 95 A Erler (SPD) 96 A Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 97 D Glückwunsch zum 65. Geburtstag des Abg. Schröter (Berlin) 77 C Nächste Sitzung 98 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 99 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 31 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 10.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Bauer (Wasserburg) 6. 11. Bauknecht 6. 11. Birkelbach *) 9. 11. Birrenbach *) 9. 11. Bühler 6. 11. Conrad*) 9. 11. Dr. Deist*) 9. 11. Dr. Dollinger *) 9. 11. Ehren 6. 11. Freiherr von Feury 6. 11. Frehsee 5. 11. Frenzel 10. 11. Frau Friese-Korn 1. 12. Dr. Furler*) 9. 11. Gaßmann 10. 11. Haage 5. 11. Höfler 6. 11. *) für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Illerhaus 9. 11. Jahn (Frankfurt) 6. 11. Dr. Jordan 6. 11. Kalbitzer 5. 11. Dr. Kopf *) 9. 11. Dr. Kreyssig*) 9. 11. Lenz (Brühl) *) 9. 11. Dr. Leverkuehn 6. 11. Metzger *) 9. 11. Dr. Oesterle *) 9. 11. Pelster *) 9. 11. Dr. Philipp*) 9. 11. Rademacher 6. 11. Ramms 6. 11. Dr. Seume 16. 11. Walpert 5. 11. Frau Wolff (Berlin) 16. 11. Zoglmann 5. 11. b) Urlaubsanträge Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20. 12. Kühlthau 25. 11. Scheel 15. 12.
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    Rede von Dr. Heinrich Deist


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure sehr, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister mit einem falschen Zitat begonnen hat. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt, daß Wettbewerb und freie Preisbildung sich bisher stets als bester Schutz für den Verbraucher erwiesen haben. Es war kein Wort über die Bedeutung von freiem Wettbewerb und freier Preisbildung für eine stabile Ordnung gesagt. Wir haben demgegenüber die Tatsache ins Gedächtnis zurückgerufen, daß bei diesem Wettbewerb und bei dieser freien Preisbildung die Preise in den letzten Jahren ständig gestiegen sind und daher zu einer Belastung des Verbrauchers geführt haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich glaube nicht, daß die Erörterungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers, die von einer falschen Grundlage ausgingen, in diesem Augenblick sehr zutreffend waren.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gemeint, wenn über Preiserhöhungen gesprochen werde, dürfe es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Gerade das ist es, was wir in den vergangenen zwei



    Dr. Deist
    bis drei Jahren in den Diskussionen ständig betont haben. Wir haben im Jahre 1955, im Frühjahr 1956 und laufend Regierungserklärungen mit Konjunkturprogrammen gehört, in denen eine Stabilisierung der Preise verkündet wird, — reine Lippenbekenntnisse, denen keine Taten gefolgt sind.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat gemeint, wir hätten zu den entscheidenden Fragen nicht Stellung genommen. Nun, es ist in der weiten deutschen Öffentlichkeit mittlerweile Allgemeingut geworden, daß mit der Kartellpolitik, mit der Finanzpolitik und der Außenhandelspolitik der Bundesregierung die entscheidenden Grundlagen unserer heutigen Preissituation gelegt wurden. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat nur das Kapitel Außenhandel behandelt. Ich entnehme daraus, daß er gegenüber unseren Vorwürfen bezüglich einer unzureichenden Kartellpolitik und einer unzulänglichen Finanzpolitik keine ernsthaften Einwendungen zu machen hat.
    Aber zum Außenhandel! Ich wundere mich eigentlich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister den Mut hat, so zu tun, als wenn auf diesem Gebiet alles Entscheidende getan wäre und nichts mehr zu tun übrigbliebe. Ja, er meinte, wir Sozialdemokraten hätten im Grunde genommen nur seine Anträge auf Zollsenkung und auf Einfuhrfreiheit unterstützt und sie noch etwas übertrieben. Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, einmal darüber nachzudenken, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister — ich will da auf das Erstgeburtsrecht gar nicht so sehr eingehen — in der Forderung nach stärkeren Zollsenkungen mit uns übereingestimmt hat und daß das Bundeskabinett und der Bundestag diese seine Forderung abgelehnt haben bzw. hinter diesen Forderungen zurückgeblieben sind. Die Darstellung des Herrn Bundeswirtschaftsministers entspricht einfach nicht den Tatsachen.
    Im übrigen meine ich, wir sollten die Frage des Außenhandelsüberschusses oder — ich möchte die Formulierung meines Freundes Erich Ollenhauer aufnehmen, weil sie richtiger ist — des Einfuhrdefizits nicht zu leicht nehmen. Denn es ist nicht etwa so, daß man sich in den internationalen Gremien besonders stark über unser niedriges Preisniveau unterhielte; vielmehr macht man sich große Sorge über dieses Einfuhrdefizit und die Deroutierung des Welthandels, die dadurch herbeigeführt wird. Es ist doch wirklich ein sehr, sehr ernstes Problem, wie wir der strukturellen Veränderung der deutschen Wirtschaft, die auf starke Außenhandelsverflechtung und große Ausfuhren angewiesen ist, unsere Exportpolitik anpassen. Da nutzt es uns gar nichts, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister sagt, wir hätten auf diesem Gebiet Erhebliches getan. Zunächst einmal haben wir uns auf den gewerblichen Sektor beschränkt. Zweitens wäre festzustellen, daß es zahlreiche Länder gibt, z. B. die Low-tariff-Länder, die im gesamten Zollniveau niedriger liegen als wir in Deutschland.

    (Abg. Dr. Hellwig: Nicht mehr!)

    Es ist schon der Erörterung wert, ob nicht eine
    weitere Zollsenkung, eine weitere Einfuhrliberalisierung zu einer Umstrukturierung im Import führen kann, die unserer heutigen Stellung in der Weltwirtschaft mehr gerecht wird als die augenblickliche Situation. Denn, meine Damen und Herren, wenn Sie meinen, daß auf diesem Gebiet nichts Entscheidendes mehr geschehen könne, wie wollen Sie dann dem steigenden Preistrend entgegentreten, der wesentlich durch diese Ausfuhrüberschüsse mitbedingt ist? Das zu diesem Problem.
    Aber nun muß ich doch auf die Äußerungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers zum Lohn-PreisProblem eingehen. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich glaube, wir stimmen Ihnen alle zu, daß das ein Problem ist, dem man sich in objektiver Betrachtung nähern und das man objektiv behandeln müßte. Wir haben uns auch nie gewehrt, diese Frage zu behandeln. Wir haben uns nur gegen die Form gewehrt, in der sie erörtert wird. Ich will jetzt gar nicht vom Wahlkampf und den dort gemachten Äußerungen sprechen. Der Herr Bundeskanzler hat in den Mittelpunkt seiner Erklärung nicht das Preisproblem gestellt, sondern die Worte von der bedenkenlosen Verständigung auf Kosten der Konsumenten. Er hat die Arbeitszeitverkürzung im Zusammenhang mit der untragbaren Verminderung des Sozialprodukts in den Mittelpunkt gestellt Meine Damen und Herren, der Ton macht die Musik! Es war der Herr Bundeswirtschaftsminister, der im Zusammenhang mit dem schleswig-holsteinischen Streik — einem Streik, in dem es um die Gleichbehandlung der Arbeiter mit den Angestellten in bezug auf die Lohnfortzahlung ging, um eine Forderung, deren Berechtigung der Bundestag wenigstens im Prinzip durch seine eigene Gesetzgebung wenigstens nachträglich anerkannt hat -, also im Zusammenhang mit diesen Tarifverhandlungen gesagt hat, hier wolle sich eine Berufsgruppe auf Kosten der anderen bereichern. Auf der Frankfurter Frühjahrsmesse im März 1957 sprach er davon — auch wieder mit dem Blick auf die Arbeitnehmer —, es dürfe nicht dahin kommen, daß sie über die realen Möglichkeiten dem Konsum frönen und zu schnell reich werden wollten. In anderen Presseerörterungen sind diese Dinge volkstümlicher wiedergegeben — im Gegensatz zu dem korrigierten, gedruckten Text. Danach hat er davon gesprochen, man wolle nur verfressen, was produziert werde, ohne an das Morgen zu denken.
    Dann ein Letztes. Am 1. November dieses Jahres hat der Bundeskanzler sich im Wahlkampf in Hamburg wieder mit diesen Dingen befaßt, und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" konnte darüber berichten, er habe besonders eindringlich vor dem Machtmißbrauch der Arbeitnehmerschaft gewarnt. Dann kommen Formulierungen über den Zusammenhang zwischen leichter Inflation und Lohnpolitik und einer verbrecherischen Politik, die, ungeachtet der Tatsache, daß man formal-objektiv den Zeigefinger nach beiden Seiten erhebt, ganz deutlich draußen als eine Diffamierung der Arbeiterbewegung verstanden werden müssen und auch so verstanden werden.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Schröter [Berlin]: Und auch so gemeint waren!)




    Dr. Deist
    Nun aber zu der objektiven Betrachtung des Problems! Ich meine, man müßte schon zur Klarstellung über die sachlichen Zusammenhänge einiges Objektive sagen. In Deutschland geht wieder einmal das Gerede um, es komme eine Lohnwelle auf uns zu. Meine Damen und Herren, auch das ist ein Teilbestandteil in dem Diffamierungsfeldzug, der ständig geführt wird. Wir haben insgesamt 14 Millionen Menschen unter Tarifvertrag. Die Tarifverträge laufen zwischen ein und anderthalb Jahren. Es ist also normal, daß jedes Vierteljahr für 2 bis 3 Millionen Menschen Tarife gekündigt werden. Sonst würden die Arbeitnehmer nämlich keinen Anteil an dem wirtschaftlichen Fortschritt haben.
    Es ist auch durchaus verständlich, daß entsprechend der Saisonbewegung, die größten Tarifkündigungen in das Frühjahr und in den Herbst fallen. Niemand, der die Dinge objektiv betrachtet, kann behaupten, daß hier von unnatürlichen Lohnbewegungen und von einer unnatürlichen Lohnwelle geredet werden kann. Im Gegenteil! Wer versucht, die Dinge nüchtern zu betrachten, muß feststellen, daß die Lohnbewegung im Lauf des letzten Dreivierteljahres einen beinahe unnatürlich ruhigen Verlauf genommen hat.
    Meine Damen und Herren, dann aber ein paar Fakten zur Lohnbewegung! Das Statistische Bundesamt hat festgestellt, daß das Nettosozialprodukt, also die gesamte wirtschaftliche Leistung, in den Jahren von 1950 bis 1956 je Einwohner um 85 % gestiegen ist. Die Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer sind in der gleichen Zeit nur um 55 % gestiegen,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    sind also wesentlich hinter dieser wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben.
    Wir haben gerade in diesen Tagen von dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sehr fundierte Berechnungen über die Entwicklung im ersten Halbjahr 1957 bekommen. — Ich darf hier einschalten: Es ist ein Jammer, daß wir keine genügenden Unterlagen für eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung haben, an der wir dieses Zahlenmaterial objektiv nachprüfen könnten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Auf Grund dieser Berechnungen ist folgendes festzustellen: Im ersten Halbjahr 1957 ist das reale Nettosozialprodukt, die reale wirtschaftliche Leistung, um 3,8 % gestiegen. Die Nettolöhne und -gehälter sind real nur um 4,2 % gestiegen. Dabei wurden 2 % der Lohn- und Gehaltssummen zusätzlich gespart, so daß der tatsächliche Verbrauch im ersten Halbjahr 1957 hinter der Produktionssteigerung zurückgeblieben ist.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat in Dokumenten, die der sachlichen Unterrichtung dienen, diesen Tatbestand unterstrichen. Er hat nämlich in dem letzten Bericht über die wirtschaftliche Lage im Bundesgebiet ausgeführt, daß vom privaten Verbrauch keine weiteren konjunkturellen Beschleunigungswirkungen mehr ausgehen. Was hat das anderes zu bedeuten, als daß tatsächlich von der
    Lohnbewegung und von der Verbrauchsbewegung keine konjunkturbeschleunigenden Elemente und damit keine Ansatzpunkte für Preiserhöhungen mehr gegeben sind?

    (Abg. Dr. Hellwig: Aber von der Kostenseite!)

    Vielleicht darf man dazu noch folgendes hinzufügen: Wir haben uns im Jahre 1955 bei der Debatte über die Konjunkturentwicklung darüber unterhalten, daß wir eine Übersteigerung in der Investitionsgüterindustrie hatten. Das heißt: eine Normalisierung muß zu einer Absenkung der Investitionsrate und zu einer Steigerung der Masseneinkommen und damit des Massenverbrauchs führen; denn sonst hätten wir ja nicht von einer Übersteigerung in den Investitionen sprechen können.
    Daraus ergibt sich doch: Es ist im Rahmen einer gesunden Lohn- und Gehaltsentwicklung ganz normal und natürlich, daß die Masseneinkommen steigen und auch der Verbrauch eine steigende Tendenz aufweist.
    Leider, leider ist das nicht der Effekt all dieser Bemühungen gewesen. Es ist nämlich sehr merkwürdig, daß der Anteil der Löhne und Gehälter an der gesamten volkswirtschaftlichen Leistung in den Jahren seit 1950 ständig auf dem selben Satz von rund 40 % stehen geblieben ist, obwohl die Zahl der Arbeitnehmer ständig zugenommen und die Zahl der Selbständigen ständig abgenommen hat.
    Noch viel interessanter ist die Entwicklung des privaten Verbrauchs, und ich meine, Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn man sich über diese Zusammenhänge unterhält, sollte man diesen Gesichtspunkt nicht vergessen. Der private Verbrauch, der noch im Jahre 1950 63 % betrug, ist seit 1951 auf 60 % abgesunken und im ersten Halbjahr 1957 auf 57 % abgefallen.
    Sehen Sie, meine Damen und Herren, hier liegt die wirkliche konjunkturpolitische Gefahr, wenn wir von einer solchen sprechen wollen. Es kommt entscheidend darauf an, ob die zukünftige Konjunkturentwicklung — da sie sich nicht mehr auf die Investitionsgüterindustrie stützen kann — nunmehr durch einen steigenden Verbrauch getragen wird. Die Gefahr liegt eher darin, daß wir einen zu niedrigen Verbrauch, zu niedrige Masseneinkommen haben, als daß wir einen zu hohen Verbrauch haben.
    Die Diskussionen, die hier geführt werden, beruhen auf Tatbeständen, die mindestens seit einem halben Jahr überholt sind. Es ist vielleicht kein unwichtiges Anzeichen, daß der Produktionsindex, der Zuwachs der industriellen Produktion, der noch im ersten und zweiten Vierteljahr 1956 rund 12 % betragen hat, im ersten Quartal dieses Jahres auf 7, im zweiten Quartal auf 4 und im dritten Quartal — in-1 August und September — auf 3 % zurückgegangen ist. Das ist wirklich ein radikaler Rückgang der Industrieproduktion, der zu denken gibt. Darum bitte, meine Damen und Herren: Wer diese Dinge sieht, der muß sich darüber klar sein, daß, da wir keine weitere Investitionsübersteigerung hab en



    Dr. Deist
    möchten und dürfen, eine Verbrauchsentwicklung, die eine gesunde Konjunkturentwicklung sichert, und damit wesentliche Erhöhung des Verbrauchs, unbedingt erforderlich ist. Ich meine, der Herr Bundeswirtschaftsminister übersieht diese Dinge doch wohl, wenn er meint, in diesem Augenblick in dieser Weise praktisch gegen jede Lohnbewegung auftreten zu dürfen.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat als Beweis für die Überforderung von seiten der Gewerkschaften angegeben, daß es bei einigen Gewerkschaften — ich kenne den Satz von 20 % nicht; ich kenne nur Sätze von 12 und 17 %, ich glaube, Textil ist dabei — gewisse Unterschiede gibt. Ich darf zunächst einmal auf folgendes aufmerksam machen. Die Bruttostundenverdienste in der Wirtschaft zeigen große Unterschiede. Wir haben im Jahre 1956 in der Industrie einen Durchschnittsstundenverdienst von 2 DM gehabt, bei Eisen- und Steinkohle 2,60 DM, bei Bekleidung und Weiterverarbeitung 1,40 DM. Meine Damen und Herren, das sind Unterschiede, die auf die Dauer ungesund sind. Und es ist nur natürlich und nur richtig, wenn versucht wird, eine Angleichung der tiefliegenden Lohngruppen an das Durchschnittsniveau zu erreichen, weil wir sonst zu sozialen Spannungen kommen, die für die Gesamtheit nicht erträglich erscheinen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Hellwig: Das sagen Sie aber einmal den Ausreißern!)

    — Das sagen wir ihnen. Aber wenn man davon spricht, daß es solche hohen Lohnforderungen gibt, dann sollte man diesen Tatbestand nicht unterschlagen. Ein anderes Beispiel liegt Ihnen vielleicht näher: die Krankenschwestern. Wir wissen, wie die Lage der Krankenschwestern ist. Meinen Sie wirklich, daß man den Krankenschwestern bloß deshalb eine angemessene Anpassung ihres Einkommens versagen dürfte, weil der Beruf der Krankenschwester nicht übermäßig produktiv in dem Sinne ist, wie wir das normalerweise verstehen.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen in der Mitte.)

    — Meine Damen und Herren, der Vergleich zieht durchaus; denn die Krankenschwestern liegen mit an der untersten Stufe. Sie sollten diese Dinge nicht zu gering einschätzen.
    Mein Kollege Ollenhauer hat in seiner Erklärung sehr nachdrücklich dargelegt, daß wir diese Diskrepanzen nicht für richtig halten, und er hat, glaube ich, ebenfalls sehr deutlich aufgezeigt, wo ein volkswirtschaftlich vernünftiger Ausweg aus dieser Entwicklung zu sehen ist. Der vernünftige Ausweg liegt darin, daß in den Wirtschaftsbereichen, in denen eine hohe Produktivitätssteigerung möglich ist, in denen infolgedessen starke Gewinnsteigerungen über den Preis stattfinden können, durch eine entsprechende Kartellpolitik und die übrige Wirtschaftspolitik darauf hingewirkt wird, daß dieser Produktivitätszuwachs in erster Linie durch Preissenkungen allen Verbrauchern zugute kommt, Dann muß man aber eine Wirtschaftspolitik betreiben, die Preissenkungen zur Folge hat und nicht das Gegenteil.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sich doch wohl einer Simplifizierung schuldig gemacht, als er meinte, wir hätten so getan, als sollte man die Ertragslage der Unternehmungen auf einen Nenner bringen. Er sagte, das bedeute Erstarren auf einer Höhe, das Wesen der freien Wirtschaft bestehe aber in den Unterschieden. Nun wohl, wir wissen, daß es weder eine Erstarrung der Preise noch eine Erstarrung der Ertragslage noch eine Erstarrung des Einkommensniveaus und der Lohnbewegung geben darf. Aber der Herr Bundeswirtschaftsminister war es, der in seinem Gutachten über die Lage des Kapitalmarkts — ich glaube, im März dieses Jahres — darauf hingewiesen hat, daß der ungeheure wirtschaftliche Vermögenszuwachs der Jahre seit 1950, der in die hohen Milliardenbeträge geht, einseitig einigen wenigen bereits heute hochrentierlichen Unternehmungen zufließt. Sehen Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, diese Unternehmungen meinen wir. Diese Unternehmungen sind in der Lage, durch Preissenkungen den Effekt der Produktivitätssteigerung allen Verbrauchern zugute zu führen. Dann vermeiden Sie auch Diskrepanzen im Lohngefüge, die nicht notwendig sind, wenn man durch eine vernünftige Preispolitik eine reale Steigerung der Kaufkraft der breiten Massen herbeiführt.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, hier eine Preisdebatte zu eröffnen; ich darf vielmehr daran erinnern, daß wir hier in einer Aussprache über die Regierungserklärung stehen. Da aber möchte ich wissen, mit welchem Wort, mit welchem Satz der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung sich etwa in einem Sinne geäußert hätte, der als Diffamierung der Arbeiterschaft hätte verstanden werden können. Da ist nichts, aber auch nichts darin, was nur andeutungsweise eine solche Auslegung zuläßt.
    Wenn ich vorhin das Thema der Gewerkschaften angesprochen habe dann nur deshalb, weil Sie, Herr Kollege Ollenhauer, das Problem so dargestellt haben, als ob zwar auf der einen Seite so etwas wie Preiswucher geübt werden würde und das allein die Schuld an den steigenden Preisen trüge. Sie haben nur die Unternehmer angesprochen und nicht den Mut gehabt, auch die andere Seite, eben den anderen Sozialpartner zu mahnen. Der aber gehört gerechterweise und objektiverweise mit angesprochen. Sonst ist das nämlich von Ihrer Seite eine Diffamierung, während niemand von uns nur von einem Sozialpartner gesprochen hat, sondern immer nur von den zwei Sozialpartnern die Rede war. Das muß man einmal mit aller Deutlichkeit sagen.



    Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
    Ich freue mich auf die von Ihnen angekündigte Aussprache, und ich freue mich auf alles Material, das Sie dazu beibringen, insbesondere z. B. auch über Lebenshaltungskosten und über die Steigerungen auf diesem Gebiete. Ich glaube, die Steigerung der Lebenshaltungskosten in Deutschland kann sich vor allen Dingen dann, wenn man bedenkt, woher wir gekommen sind, durchaus sehen lassen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie selber haben wiederholt und in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, wir sollten doch nicht vergessen, was hinter uns liege, d. h. das ganze Unheil des Dritten Reichs. Hier bei solchen Debatten aber vergessen Sie es ganz geflissentlich. Da tun Sie so, als ob wir aus dem Hanf gekommen wären.
    Zu Ihrem Vergleich mit der Montanunion darf ich Ihnen sagen, wie der Vergleich mit dem Warenkorb zustande kommt. Erstens sind die bestehenden Wechselkurse zum Maßstab gewählt. Daß die aber nicht allenthalben realistisch sind, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. So ist man zu dem Warenkorb gekommen, in dem alle wesentlichen Ernährungsgüter und Verbrauchsgüter enthalten sind. Sie wissen aber z. B., daß in Frankreich ein Indexlohn besteht und daß die französische Regierung geflissentlich darauf bedacht war, die Waren, die in dem Warenkorb sind, mindestens statistisch niedrig im Preis zu halten, um nicht fortlaufend zu Lohnerhöhungen gezwungen zu sein. So also kommt ein solcher Vergleich zustande.
    Dagegen bin ich durchaus bereit, mich an Hand objektiver Statistiken auch auf das Gespräch über die Steigerungen der Lebenshaltungskosten in Deutschland einzulassen. Wenn man sich allenthalben über Deutschland unterhalten, bzw. an Deutschland Forderungen gestellt hat — was wir alles zu tun haben und tun sollten, um im Sinne einer guten Gläubigerpolitik unsere Überschüsse abzubauen und unseren Handelspartnern zu helfen —, dann hat man das nicht zuletzt deshalb getan, weil man an den Kernpunkt des Problems, nämlich die intervalutare Ordnung innerhalb der freien Welt, noch nicht herangekommen ist oder nicht herankommen wollte. Aber das würde zu weit führen, Herr Kollege Deist.
    Wir haben uns beim Kartellgesetz über den Begriff des Mißbrauchs der wirtschaftlichen Macht unterhalten und wir waren uns darüber durchaus einig, daß es bei Kartellen, bei Monopolen etwas Derartiges gibt. Sind Sie nicht der Meinung, daß es einen Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht auch bei den Gewerkschaften gibt, wenn sie in starker Position ihre Macht zum Einsatz bringen? Wenn man den Begriff des Mißbrauchs der wirtschaftlichen Macht gelten läßt — ich bin bereit, das zu tun —, gilt er für jegliche Art von Monopolstellungen und Ausnutzung wirtschaftlicher oder auch politischer Macht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zu den Zahlen darf ich noch sagen, daß der Anteil des Einkommens aus abhängiger Arbeit in
    Deutschland in den letzten sechs Jahren von 57 Komma soundsoviel Prozent auf 61 Komma soundsoviel Prozent gestiegen ist. Ich kann Ihnen die genauen Zahlen vorlegen. Dabei hat sich diese Steigerung bei einem rasant anwachsenden Sozialprodukt vollzogen.
    Sie haben dann aber etwas gesagt, was wirklich des Nachdenkens wert ist, das nämlich, daß der Zuwachs unseres Sozialprodukts eine abnehmende Tendenz zeigt. Das ist einmal deshalb verständlich, weil das Arbeitskräftereservoir sich erschöpft und aus diesem Grunde von der menschlichen Seite her Grenzen gesetzt sind. Ich glaube nur, wir ziehen daraus eine falsche Nutzanwendung. Wenn wir die Gefahr erkennen, sollten wir eigentlich nicht Rekorde in Arbeitszeitverkürzung brechen wollen, sondern sollten uns dessen eingedenk sein, daß wir, wenn wir den Zuwachs unseres Sozialprodukts erhalten wollen, mit dem Rückgang der Arbeit und Arbeitszeit lieber noch etwas zuwarten sollten. Wenn wir aber trotz des Rückgangs der Arbeitszeit gleich gut leben wollen, vielleicht sogar noch besser leben wollen, müssen wir daraus jedenfalls die Konsequenz ziehen, in unserem unmittelbaren persönlichen Verbrauch etwas einzuhalten. Wenn durch entsprechende Spartätigkeit und Anreicherung des Kapitalmarkts die Voraussetzungen zu verstärkter Rationalisierung und höherer Leistungsergiebigkeit unserer Volkswirtschaft geschaffen sind, können wir uns das vielleicht einmal leisten; aber man kann nicht alles zu gleicher Zeit tun.