Rede:
ID0300400400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. Becker.\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 29. Oktober 1957 . . . . 31 A Dr. Krone (CDU/CSU) 31 A Ollenhauer (SPD) . . . 41 A, 86 D, 88 B Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . . 55 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . . . 66 D Höcherl (CDU/CSU) . . . . 77 C, 79 C Dr. Adenauer, Bundeskanzler . 81 B, 90 A, 97 B, 97 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 84 B, 93 D, 94 D Dr. Deist (SPD) . . . 79 C, 90 D, 94 D Dr. Hellwig (CDU/CSU) 88 A Margulies (FDP) 95 A Erler (SPD) 96 A Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . . 97 D Glückwunsch zum 65. Geburtstag des Abg. Schröter (Berlin) 77 C Nächste Sitzung 98 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 99 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. November 1957 31 4. Sitzung Bonn, den 5. November 1957 Stenographischer Bericht Beginn: 10.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Bauer (Wasserburg) 6. 11. Bauknecht 6. 11. Birkelbach *) 9. 11. Birrenbach *) 9. 11. Bühler 6. 11. Conrad*) 9. 11. Dr. Deist*) 9. 11. Dr. Dollinger *) 9. 11. Ehren 6. 11. Freiherr von Feury 6. 11. Frehsee 5. 11. Frenzel 10. 11. Frau Friese-Korn 1. 12. Dr. Furler*) 9. 11. Gaßmann 10. 11. Haage 5. 11. Höfler 6. 11. *) für die Teilnahme an der Tagung der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Illerhaus 9. 11. Jahn (Frankfurt) 6. 11. Dr. Jordan 6. 11. Kalbitzer 5. 11. Dr. Kopf *) 9. 11. Dr. Kreyssig*) 9. 11. Lenz (Brühl) *) 9. 11. Dr. Leverkuehn 6. 11. Metzger *) 9. 11. Dr. Oesterle *) 9. 11. Pelster *) 9. 11. Dr. Philipp*) 9. 11. Rademacher 6. 11. Ramms 6. 11. Dr. Seume 16. 11. Walpert 5. 11. Frau Wolff (Berlin) 16. 11. Zoglmann 5. 11. b) Urlaubsanträge Frau Albrecht 2. 12. Fürst von Bismarck 20. 12. Kühlthau 25. 11. Scheel 15. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden verstehen, wenn ich in dieser ersten Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion zur Regierungserklärung nicht im einzelnen auf das eingehe, was soeben der Kollege Krone als Standpunkt der Fraktion der CDU entwickelt hat. Ich glaube, die Unterschiede in der Beurteilung der Situation und der Aufgaben kommen in diesem Augenblick am besten zum Ausdruck, wenn ich darzustellen versuche, wie wir Sozialdemokraten die Situation nach der Wahl vom 15. September und in der 3. Wahlperiode dieses Bundestages sehen.
    Herr Kollege Krone hat schon davon gesprochen, daß der Ausgang der Wahl viele der Probleme in diesem Hause vereinfacht habe. In gewissem Sinne scheint es so. Tatsächlich ist die Zahl der im Bundestag vertretenen Parteien auf vier oder, besser gesagt, auf dreieinhalb heruntergegangen,

    (Zuruf von der DP)

    und das Kräfteverhältnis zwischen den beiden größten Parteien, der CDU/CSU und der SPD, ist eindeutig klar zugunsten der CDU/CSU. Dennoch, meine Damen und Herren, ist die dritte Regierung Adenauer, deren Regierungserklärung wir heute diskutieren, nur nach großen Schwierigkeiten zustande gekommen.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

    Die Ursache liegt darin, daß sich die Auseinandersetzungen der verschiedenen Interessentengruppen in die Mehrheitspartei selbst verlagert haben. Diese Interessentengruppen haben ihre Wünsche und Forderungen mit großem Nachdruck vertreten und zum größten Teil mit Erfolg durchgesetzt. Die personellen Veränderungen in der neuen Regierung sind im wesentlichen auf diese Einwirkungen zurückzuführen. Der Herr Bundeskanzler selbst hat die Härte der Auseinandersetzungen bestätigt; sie hat ihn dazu veranlaßt, sich über den Druck durch die Interessentengruppen und -verbände öffentlich zu beschweren.
    Der Herr Bundeskanzler kann allerdings über diese massive Intervention am wenigsten erstaunt gewesen sein; denn es mußte ihm doch klar sein, daß diese Interessentengruppen nach der Wahl die Rechnung für die großen finanziellen Zuwendungen

    (lebhafte Zustimmung bei der SPD)

    an die CDU während des Wahlkampfes präsentieren würden.

    (Abg. Arndgen: Das war aber billig!)

    — Nein, das war gar nicht billig, es waren sehr erhebliche Beträge.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Ich sage, daß das nicht nur eine Angelegenheit der CDU ist,

    (Zustimmung bei der SPD)

    sondern es ist eine Angelegenheit der Demokratie. Denn die Gefahren — und hier, Herr Kollege Krone, bei den Gefahren möchte ich auf einige Ihrer Bemerkungen zurückkommen —, die sich für die Entwicklung der Demokratie aus dieser Art von Wahlkampffinanzierung ergeben, sind so offenkundig geworden, daß der 3. Bundestag unausweichlich vor der Aufgabe steht, durch die Schaffung des seit langem fälligen Parteigesetzes die Finanzierung der politischen Parteien unter eine effektive Kontrolle zu stellen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Wir haben nicht die Absicht, hier irgendwelche Schreckgespenste an die Wand zu malen. Aber kaum ist der Wahltag vorbei, gibt es hier und da schon wieder Gerüchte - Gerüchte, Sie haben nicht davon gesprochen, Herr Kollege Krone —, daß die Mehrheit dieses Hauses wieder über ein neues Wahlgesetz nachdenke.

    (Abg. Dr. Krone: Das wollen wir mit Ihnen machen, Herr Kollege Ollenhauer!)

    Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Krone, und Ihnen, meine Damen und Herren der CDU, sagen, daß wir vor jeder neuen Manipulation mit dem Wahlrecht warnen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn es hier eine Aufgabe zu lösen gibt, wäre es vielleicht das beste, daß wir endlich durch eine Vereinbarung mit allen demokratischen Parteien ein Wahlsystem im Grundgesetz festlegen, das für alle akzeptabel ist und endlich diese Frage aus den parteitaktischen Überlegungen in der Bundesrepublik herausbringt.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Bevor ich zu der Regierungserklärung selbst etwas sage, möchte ich eine im Verhältnis zu dem in der Bundesrepublik üblich gewordenen politischen Stil vielleicht etwas ungewöhnliche Bemerkung machen. Ich möchte mich nämlich auch als Sprecher der Opposition mit einem Wort des Dankes den Bemerkungen anschließen, die der Herr Kollege Krone über frühere Minister dieser Regierung gemacht hat, um so mehr, als der Herr Bundeskanzler es leider versäumt hat, ein solches Wort gegenüber seinen früheren Kollegen zu sprechen. Denn, meine Damen und Herren, die aus dem bisherigen Kabinett ausgeschiedenen Minister Kaiser, Storch, Blücher, Preusker und Schäffer — letzterer in seiner Eigenschaft als Finanzminister — haben wir Sozialdemokraten wegen ihrer Politik bekämpft, wir haben ihnen aber die persönliche Achtung nicht



    Ollenhauer
    versagt. Sie haben versucht, an ihrer Stelle unserem Volke zu dienen, und wir möchten ihnen dafür danken.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich denke nämlich, wir sollten in dem Kampf um Ämter und Funktionen den Menschen nicht vergessen.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Nun ein Wort über die personelle Zusammensetzung des Kabinetts, ich finde, ein sehr interessantes Kapitel, obwohl der Herr Kollege Krone überhaupt nichts dazu gesagt hat. Der Herr Bundeskanzler hat diese neue personelle Zusammensetzung mit der notwendigen Neuverteilung der Aufgaben der verschiedenen Ministerien begründet. Ich hatte den Eindruck, daß manche der von ihm hier vorgebrachten Argumente sogar für die betroffenen Mitglieder seiner Regierung neu und überraschend waren.
    Da haben wir zunächst einmal den Wechsel im Bundesfinanzministerium. Herr Schäffer mußte gehen, und sicher nicht nur weil Herr Dr. Adenauer es so wollte, sondern weil bestimmte Kreise in der deutschen Wirtschaft seit langem eine personelle Änderung gefordert haben. Herr Schäffer ist sicher zu seiner eigenen Überraschung als Justizminister auf der Rosenburg gelandet.

    (Heiterkeit.)

    Im Volksmund kommentiert man diese bemerkenswerte Lösung mit der Feststellung: Wir haben zwar im dritten Kabinett Adenauer keine Minister ohne besondere Aufgaben mehr, aber dafür haben wir die Rosenburg als eine Art von Altersheim für das Kabinett eingerichtet.

    (Heiterkeit.)

    Ich finde, das ist ein bitteres Urteil für Herrn Schäffer. Aber es zeigt auch die Entwertung eines so wichtigen Ministeriums wie des Justizministeriums im Bewußtsein unseres Volkes.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das ist um so bedauerlicher, als der Bundeskanzler selbst dem neuen Justizminister eine so weitgehende und entscheidende Aufgabe wie die Durchführung einer neuen Strafrechtsreform zugedacht hat. Wäre es da nicht um der Sache willen besser gewesen, eine entsprechende personelle Lösung auch für dieses in einer Demokratie entscheidende Ministerium zu finden?
    An die Stelle von Herrn Schäffer als Finanzminister ist nun Herr Etzel getreten, der bisher Vizepräsident der Hohen Behörde der Montanunion gewesen ist. Wir werden die Tätigkeit des neuen Finanzministers sehr kritisch beobachten und verfolgen. Was ich in diesem Augenblick sagen möchte, ist aber etwas ganz anderes. Wo bleibt eigentlich der europäische Geist der CDU/CSU und ihrer Regierung?

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Da haben wir bei der Gründung der Montanunion
    gehört, daß die Ernennung von Herrn Etzel zum
    Vizepräsidenten der Hohen Behörde der Montanunion ein großer Erfolg und der Beginn einer effektiven europäischen Zusammenarbeit auf den wichtigsten Gebieten unserer Wirtschaft sei. Nun, inzwischen hat der Präsident der Hohen Behörde zweimal gewechselt. Herr Jean Monnet wurde durch Herrn Rene Mayer ersetzt, und vor einigen Wochen hat Herr Rene Mayer seinen Rücktritt erklärt, tim sich in die Privatindustrie zurückzuziehen. Zweifellos bestand in diesem Augenblick in Luxemburg die Möglichkeit, ohne große Schwierigkeiten Herrn Etzel zum Präsidenten der Hohen Behörde wählen zu lassen. Statt dessen bemühte sich Herr Etzel um ein Bundestagsmandat und gehörte nach dem 15. September mit zu den Ausdauerndsten in der langen Liste der Ministerkandidaten.
    Ich glaube, Sie müssen mir zugeben: es ist sehr schwer vorstellbar, daß es nun in der Hohen Behörde möglich sein wird, einen Deutschen zum Präsidenten wählen zu lassen. Das ist doch auch eine sehr ernste Angelegenheit. Denn wir haben hier ein klassisches Beispiel dafür, wie schnell der europäische Geist der Mehrheit in diesem Hause kapituliert, wenn es um wirtschaftliche oder persönliche Interessen geht, und wie leichtfertig deutsche Interessen bei der Vertretung in einer so wichtigen übernationalen Körperschaft preisgegeben werden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Unseren schärfsten Widerspruch fordert die Übertragung der Jugendförderung auf das Familienministerium heraus. Wir lehnen sie sowohl aus sachlichen wie aus personellen Gründen ab. Die Behauptung des Herrn Bundeskanzlers, die Förderung der Jugend gehöre organisch zu den Aufgaben des Familienministeriums, ist in der Sache falsch. Die Entscheidung über die Neuverteilung dieser Aufgabe ist ja auch aus ganz anderen Gründen gefallen. Man will doch jetzt der „moralischen Aufrüstung" der Familie durch diesen Minister auch noch die „moralische Aufrüstung" der Jugend im Geiste dieses Ministers hinzufügen.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Leider wahr!)

    Mit der Angliederung der Förderung der Jugendarbeit an das Familienministerium — das möchte ich zur Sache sagen — geht man in die Zeit der Jugendpflege zurück, nämlich in die Zeit des kaiserlichen Deutschlands, als man 1912, vor 45 Jahren, im großen Umfang eine solche nationale, staatliche Jugendpflege im Zeichen von Schwarz-Weiß-Rot startete.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen]: Das stimmt nicht!)

    Damals hat die deutsche Jugendbewegung diesem Versuch sehr schnell ein Ende gesetzt, und die Entwicklung der deutschen Jugendarbeit von der Jugendpflege zur deutschen Jugendbewegung in allen weltanschaulichen und politischen Lagern unserer Jugend in den zwei Jahrzehnten zwischen 1913 und 1933 gehört zu den fruchtbarsten und erfreulichsten Perioden in der Geschichte deutscher Jugendarbeit überhaupt.

    (Beifall bei der SPD.)




    Ollenhauer
    Wenn wir heute die Jugendarbeit unter der Verantwortung von Herrn Wuermeling sehen, dann scheint es uns, als habe es die deutsche Jugendbewegung überhaupt nicht gegeben,

    (Beifall bei der SPD)

    als seien wir wieder nach 1912 zurückgekehrt. Es geht in der Frage der Jugendarbeit nicht um die ressortmäßig beste Lösung im Sinne des katholischen Flügels der CDU.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Buh! — Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Herr Ollenhauer, das ist unerhört! — Gegenrufe von der SPD.)

    — Ich glaube, das ist eine berechtigte sachliche Feststellung.

    (Beifall bei der SPD. Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    — Die Zukunft wird ja erweisen, ob Ihr Widerspruch berechtigt ist oder nicht. - Es geht um die jungen Menschen, die ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten wollen und die einen Anspruch darauf haben, daß der Staat und die Allgemeinheit ihr dabei im Geiste der Toleranz und der Aufgeschlossenheit helfen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Warum hat der Herr Bundeskanzler die Vertreter der Jugend, die in den vergangenen Jahren außerordentlich erfolgreich im Bundesjugendring zusammengearbeitet haben, vor dieser Entscheidung nicht gehört? Es wird immer soviel von der Notwendigkeit eines positiven Verhältnisses unserer jungen Generation zum demokratischen Staat gesprochen; die Art und Weise, wie hier die Jugend als Objekt behandelt worden ist, kann dieses positive Verhältnis nur erschweren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Lassen Sie mich ein anderes Wort hinzufügen! In der Zusammenarbeit zwischen Jugend und Staat spielt mehr als auf anderen Gebieten die Art der Persönlichkeit eine Rolle. die den Staat gegenüber der Jugend repräsentiert. Ich trete Herrn Minister Wuermeling sicher nicht zu nahe, wenn ich sage, daß seine Art des kämpferischen und dogmatischen und damit notwendigerweise auch intoleranten Streiters alle die Eigenschaften vermissen läßt, die der Jugendminister der Bundesrepublik im Verhältnis zur Jugend unserer Zeit braucht,

    (stürmischer Beifall bei der SPD — Beifall bei der FDP)

    nämlich Toleranz, Großzügigkeit und Respekt vor den eigenen Lebenswerten und Lebensvorstellungen der jungen Menschen von heute.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung selber gesagt, daß Sie nicht sicher seien, ob Sie in allen Fällen schon die richtige Entscheidung getroffen hätten. Hier handelt es sich
    nach unserer Überzeugung um eine Fehlentscheidung, und Sie können und sollten sie so schnell wie möglich korrigieren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der betrübliche Hintergrund solcher Fehlentscheidungen ist allerdings die Aushandlung von Ministersitzen nach der Konfession ihrer Kandidaten. Es gibt ja einige Kollegen in der Mehrheit dieses Hauses, die darüber eine sehr lange und betrübliche Geschichte erzählen könnten. Zur Sache möchte ich sagen: nach unserer Auffassung wäre es sehr viel wichtiger gewesen, daß die neue Regierung Dr. Adenauers ihre Arbeitsmöglichkeiten durch die Schaffung von parlamentarischen Staatssekretären zumindest bei so wichtigen und belasteten Ministerien wie dem Außenministerium und dem Verteidigungsministerium verstärkt hätte. Wir halten jedenfalls eine solche Veränderung in der Struktur, eine solche bessere Verteilung der Arbeit für vordringlicher und fruchtbarer als die jetzt vorgenommene Neuverteilung.
    Nun, ich will hier nicht noch einmal auf Einzelheiten des Wahlkampfes zurückkommen. Aber der Herr Bundeskanzler und heute der Herr Kollege Dr. Krone haben davon gesprochen, daß es wünschenswert sei — und daß die CDU/CSU-Fraktion in dieser Richtung arbeiten wolle —, daß wir in Zukunft wenigstens in den entscheidenden nationalen Fragen zu einem besseren Verhältnis zwischen Regierung und Koalition auf der einen und Opposition auf der anderen Seite kämen. Wir müssen leider feststellen, daß wir in den acht Jahren, die wir in diesem Hause sind, derartige Erklärungen immer in feierlicher Form bei Beginn einer neuen Legislaturperiode gehört haben. Wir sind auch diesmal skeptisch, weil wir vor allem geringes Vertrauen zu der Fähigkeit des Chefs dieser Regierung haben,

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    im Geiste einer Zusammenarbeit und mit gegenseitigem gutem Willen zu handeln.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Zweite: Es genügt doch nicht, meine Damen und Herren, daß man solche Erklärungen nach der gewonnenen Schlacht abgibt. Man muß die staatserhaltende Rolle der parlamentarischen Opposition auch während des Wahlkampfes respektieren.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Unertl: Auf beiden Seiten!)

    Der Herr Bundeskanzler hat den Wahlkampf jedoch uns gegenüber mit derartigen Unterstellungen und politischen Verleumdungen geführt,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    daß er damit praktisch die Sozialdemokratie als eine außerhalb der Demokratie stehende und im Grunde staatsfeindliche Partei hinzustellen versuchte.

    (Zustimmung bei der SPD. — Widerspruch in der Mitte.)




    Ollenhauer
    — Da erheben Sie lieber den Finger dahin [zur Regierungsbank], Herr Krone!

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Wort von Bamberg und von Nürnberg stammt von Herrn Adenauer und nicht von den Sozialdemokraten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Politische Gegensätze und politische Auseinandersetzungen gehören zum Wesen der Demokratie. Aber für die Lebenskraft unserer Demokratie ist ein Mindestmaß von Achtung vor dem politischen Gegner und ein Mindestmaß von Vertrauen in die Loyalität des politischen Gegners gegenüber den verfassungsmäßigen Grundlagen unserer staatlichen Ordnung unerläßlich.

    (Sehr richtig bei der CDU/CSU)

    und daran, meine Damen und Herren, hat es gefehlt.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Unertl: Bei der SPD!)

    Ich möchte hier noch einmal feststellen, daß die Sozialdemokratische Partei stets bereit war und auch heute noch bereit ist, in den lebenswichtigen Fragen unseres Volkes zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Aber das wird nur möglich sein, wenn die Regierung sich endlich dazu bereit findet, die Opposition laufend so zu informieren, daß sie sich in ihrer eigenen Urteilsbildung auch auf die der Regierung zur Verfügung stehenden Kenntnisse stützen kann.
    Unerläßlich ist ferner, daß die Opposition vor grundlegenden Entscheidungen über die Absichten der Regierung informiert wird, damit sie sich auf der Grundlage dieser Informationen darüber schlüssig werden kann, ob und in welchem Umfange sie die Regierung unterstützen kann oder die von ihr in Aussicht genommene Politik ablehnen muß. Völlig indiskutabel ist die bisher geübte Praxis, zunächst die Entscheidung der Regierung zu fällen und dann die Opposition zu fragen, ob sie bereit ist, sich dieser Politik anzuschließen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratie ist jedenfalls auch in Zukunft nicht gewillt, sich in eine solche Satellitenrolle zu begeben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Beginn der Tätigkeit des Bundestages bedeutet auf jeden Fall einen gewissen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik, und er gibt uns die Möglichkeit, hier unsere Positionen noch einmal klarzumachen und neu zu bestimmen.
    Wir sind in der Opposition; aber die Sozialdemokratische Partei vertritt in diesem Bundestag 91/2 Millionen Wählerinnen und Wähler. Sie haben sich für die Sozialdemokratie entschieden, und wir betrachten es als unsere Pflicht, uns in diesem Hause so zu verhalten, daß wir das Vertrauen dieser Frauen und Männer erhalten und stärken.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Höcherl: Hoffentlich!)

    — Kümmern Sie sich um Ihre Wähler! Wir tun es um unsere.

    (Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

    Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, hier lediglich als die Negation der Regierung und ihrer Politik zu wirken, sondern wir wollen, wie wir es früher schon gesagt haben, die Politik der Regierung an unseren eigenen Maßstäben prüfen und auch den Versuch machen, so viel als möglich von unseren eigenen Vorstellungen in die parlamentarische Arbeit hineinzubringen und, wenn möglich, hier auch durchzusetzen. So sehe ich auch das, was ich jetzt über unsere Vorstellungen über die politischen Aufgaben im Innern und nach außen als eine Art von Übersicht über die Arbeit sagen möchte, die wir in der nächsten Periode vor uns sehen.
    Mein erstes Wort in diesem Zusammenhang gilt der Unterstreichung unserer alten Überzeugung, daß die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit die vordringlichste Aufgabe der Politik jeder Bundesregierung sein und bleiben muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Bundesrepublik Deutschland ist und bleibt im Hinblick auf diese große nationale und europäische Aufgabe ein Provisorium.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Die Dauer der Spaltung unseres Landes und die Hindernisse, die sich der Überwindung dieser Spaltung entgegenstellen, dürfen nicht zu einer Gewöhhung an diesen unglücklichen Zustand führen. Darum müssen wir unsere Maßnahmen und Entscheidungen immer wieder an ihren Auswirkungen auf das Gesamtschicksal unseres Volkes diesseits und jenseits der Zonengrenze orientieren. Wir dürfen nie vergessen, daß eine saubere demokratische Ordnung in diesem Teil Deutschlands auch die größte positive politische Kraft auf unserer Seite in der Auseinandersetzung 'mit den totalitären Kräften jenseits der Zonengrenze und im Osten Europas überhaupt ist.
    Die Lösung dieser Aufgabe beginnt mit der Gestaltung der Innenpolitik im eigentlichen Sinn des Wortes. Die parlamentarische Demokratie darf nicht eingeschränkt werden, und wir sind — ich sage das ganz offen — hier seit langem nicht ohne Sorge. Wir haben den Eindruck, daß gewisse autoritäre Züge in der Regierungspolitik der letzten Jahre in der kommenden Zeit noch verstärkt werden. Nach dem, was Herr Kollege Dr. Krone heute angekündigt hat, hoffe ich, daß die Möglichkeit besteht, derartigen Bestrebungen gemeinsam entgegenzutreten.
    Unsere Befürchtungen gründen sich auch auf Erfahrungen im letzten Wahlkampf. In diesem Wahlkampf ist eine Verquickung von Partei und Staatsapparat und eine derart einseitige parteipolitische Benutzung öffentlicher Mittel und Einrichtungen zugunsten einer Partei erfolgt, die mit



    Ollenhauer
    den Grundsätzen einer sauberen demokratischen Verwaltung und der notwendigen Trennung von Staat und Partei nicht mehr zu vereinbaren ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben bereits früher bei den Haushaltsberatungen immer wieder die Forderung erhoben, die vor allem dem Bundeskanzler zur Verfügung stehenden Geheimfonds einer parlamentarischen Kontrolle zu unterstellen. Wir haben immer wieder dagegen Einspruch erhoben, daß man durch Hilfsorganisationen der verschiedensten Art eine einseitige, zugunsten einer politischen Partei betriebene Propaganda aus öffentlichen Mitteln fördert. Diese Methoden der Beeinflussung der öffentlichen Meinung sind unerträglich. Wir werden daher bei den kommenden Haushaltsberatungen erneut das Parlament selbst vor die Entscheidung stellen, hier eine Änderung herbeizuführen und eine Kontrolle dieser Ausgaben zu sichern.
    Eine nicht weniger bedrohliche Erscheinung sind jene Ereignisse, die mit den Bestechungen beim Bundesbeschaffungsamt in Koblenz bekanntgeworden sind. Auch die Frage der Verquickung des Mandats eines Abgeordneten mit privaten Geschäftsinteressen gehört in dieses Gebiet. Wir wollen in die schwebenden Verfahren nicht eingreifen, aber wir erwarten, daß die Bundesregierung alles tut, was von ihrer Seite getan werden kann, um die Zusammenhänge ohne Rücksicht auf Personen und Interessen aufzudecken, damit die Verfahren so schnell wie möglich zum Abschluß kommen.
    Wir haben leider in der Vergangenheit in anderen Fällen erlebt, daß die Bundesregierung die Durchführung schwebender Gerichtsverfahren und Untersuchungen behindert hat, z. B. durch die Verweigerung der Aussagegenehmigung. Dadurch war es nicht möglich, schwerer wiegende Vorwürfe gegen hohe Beamte der Bundesregierung gerichtlich klarstellen zu lassen. Diese Methode ist nicht zu verantworten; denn sie muß das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit schwächen und erschüttern. Es gehört zu den vornehmsten Pflichten einer jeden Bundesregierung und des Bundestages, jeden Ansatz zur Korruption durch rücksichtslose Aufklärung im Keim zu ersticken. Insoweit kann es kein Staatsgeheimnis geben, sondern muß jeweils für volle Öffentlichkeit gesorgt werden. Der Idee der Rechtsstaatlichkeit ist mit einem formalen Legalismus nicht gedient. Die Rechtsstaatlichkeit bewährt sich durch eine politische Gesinnung, für die unbedingte Sauberkeit im Staate ein oberstes Gebot ist. Wir wissen, daß die große Mehrheit unserer Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ihre Pflichten in einer sauberen und verantwortungsbewußten Weise erfüllen. Ich möchte das bei dieser Gelegenheit ausdrücklich feststellen und anerkennen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Für die Gestaltung unserer Innenpolitik wird auch in Zukunft das Verhältnis zwischen Bund und Ländern von großer Bedeutung sein. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu dem Grundsatz des Föderalismus, der im Grundgesetz niedergelegt worden ist.

    (Unruhe in der Mitte.)

    — Die Herren unter Ihnen, die das spaßig finden, bitte ich, einmal die Verhandlungen des Parlamentarischen Rats nachzulesen. Da werden Sie nämlich feststellen, daß damals schon die Sozialdemokraten diesen Grundsatz vertreten und mit Ihrer Fraktion gemeinsam im Grundgesetz verankert haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir bekennen uns zu diesem Grundsatz, weil wir überzeugt sind, daß die Länder ihr Recht auf Eigenleben haben, und wir haben ihnen auch in unserem gesamtstaatlichen Leben besondere Aufgaben zugewiesen. Wir wünschen, daß an diesem Grundsatz nicht gerüttelt wird.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Sehr gut!)

    — Ja, ich möchte diese Feststellung unterstreichen, vor allem im Hinblick auf die Versuche nach den Bundestagswahlen, die Länderregierungen nach den hiesigen Koalitionsverhältnissen gleichzuschalten.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wir sind der Meinung, daß die Regierungen der Länder in ihrer Zusammensetzung nach den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der Länder bestimmt werden und nach nichts anderem. Unsere Aufgabe als Bund ist es, den Ländern zu helfen, damit sie die auf sie zukommenden Aufgaben besser als in der Vergangenheit erfüllen können. Es geht nicht an, meine Damen und Herren, daß wir auf dem Wege der Bundesgesetzgebung den Ländern immer neue Aufgaben mit neuen finanziellen Belastungen zuweisen, ohne daß wir uns über die Erfüllung dieser finanziellen Verpflichtungen durch die Länder Gedanken machen. Ich werde später noch einiges über die Notwendigkeit der Verstärkung der Arbeit zur Förderung der Wissenschaften usw. sagen. Hier handelt es sich zweifellos in erster Linie nach dem Grundgesetz um Aufgaben der Länder. Aber es muß ein Weg gefunden werden, der es den Ländern auch finanziell ermöglicht, diese neuen Aufgaben im Interesse des Ganzen zu erfüllen. Eine Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern zugunsten der Länder ist unerläßlich.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die sozialdemokratische Fraktion erwartet ferner, daß die Bundesregierung ihren Verpflichtungen nach dem Grundgesetz in bezug auf die Neugliederung der Länder innerhalb der gesetzlichen Fristen nachkommt.
    Ebenso wie die Länder bedürfen die Kommunen einer stärkeren Förderung durch den Bund. Der zweite Bundestag hat in Anerkennung des Anspruchs der Kommunen, neben Bund und Ländern als dritter Faktor beteiligt und berücksichtigt zu werden, einen Schritt vorwärts getan. Der Bundeskanzler hat die Förderung der kommunalen Selbstverwaltung zugesagt. Aber es darf hier nicht bei



    Ollenhauer
    den Worten bleiben. Abgesehen von den besonderen Lasten, die den Kommunen aus den Kriegsfolgen erwachsen sind, haben sie neue große soziale und kulturelle Aufgaben übernehmen müssen. Bis heute fehlt in vielen Fällen der finanzielle Ausgleich für diese Mehrbelastungen. Auch hier muß im Interesse der Gesunderhaltung der Selbstverwaltung auf der Ebene der Kommune vom Bund her Entscheidendes in bezug auf die finanzielle Situation der Gemeinden getan werden.

    (Abg. Wittrock: Über so etwas hat der Kanzler geschwiegen!)

    Meine Damen und Herren, ein besonderes Wort verdient die Förderung von Wissenschaft und Forschung in der Bundesrepublik. Es geht hier um eine der entscheidenden politischen Fragen unserer Zeit. Der Bundeskanzler hat davon gesprochen, daß heute das Tempo der technischen Entwicklung die Handlungen und Entscheidungen der Politiker bestimmt. Er hat leider diese richtige Bemerkung nur im Zusammenhang mit der Wehr- und Rüstungspolitik gemacht. In Wirklichkeit bereitet die moderne Entwicklung in Wissenschaft und Technik eine tiefgreifende Veränderung unseres gesamten gesellschaftlichen Lebens vor. Es ist die Aufgabe der heutigen Generation, die kommende auf die Welt vorzubereiten, in der sie morgen leben muß. Es gilt, Wissenschaft und Technik so zu fördern, daß unsere Wissenschaftler und Techniker in die Lage versetzt werden, ihre Forschung und ihre technischen Leistungen so zu entwickeln, daß sie dem Wohl der Menschen und nicht zu ihrer Versklavung ) oder gar ihrer Vernichtung dienen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir müssen unserem studentischen Nachwuchs eine ausreichende finanzielle Grundlage geben. Wir müssen auch das allgemeine Schulwesen so ausbauen, daß wir allen unseren Kindern das Beste an Wissen und Erkenntnissen, an charakterlicher und staatsbürgerlicher Erziehung bieten. Die Bundesrepublik zählt in dieser Beziehung leider weitgehend zu den unterentwickelten Ländern.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der krasse Unterschied zwischen dem vielgepriesenen materiellen Wohlstand des Wirtschaftswunders und dem Notstand des Geistes und der Wissenschaft ist eine der schwersten Anklagen gegen die bisherige Politik der Bundesregierung und ihrer Koalition.

    (Beifall bei der SPD.)

    Will die freie Welt sich behaupten und will sie andere Völker für ihre Vorstellungen gewinnen, dann kommt es nicht auf den Atomsoldaten, sondern auf den Wissenschaftler, den Techniker und den Erzieher an.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Die Bemühungen auf diesem Gebiet haben bis jetzt nur dürftige Resultate erzielt. Wir verlangen, daß die Bundesregierung hier schneller und großzügiger vorangeht. Die Bildung des Wissenschaftsrates ist ein Schritt in der richtigen Richtung. Notwendig ist aber, daß er die genügende Autorität und die ausreichenden Mittel erhält, um wirksam handeln zu können.
    Der Bundeskanzler hat erklärt, daß Berlin sich auf die Bundesrepublik auch in Zukunft verlassen könne. Wir hoffen, daß dieses Versprechen auch dann gehalten wird, wenn es um die Lösung der finanziellen Probleme der Stadt Berlin geht.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Nach unserer Auffassung gehören die Aufgaben, die im Zusammenhang mit Berlin gelöst werden müssen, ebenso zu den innenpolitischen Aufgaben wie die Ordnung der Beziehungen zwischen der Bevölkerung in der Zone und in der Bundesrepublik.
    Unser Ziel muß sein, Berlin wirtschaftlich auf den gleichen Stand zu bringen wie das übrige Bundesgebiet und gleichzeitig ihm zu ermöglichen, sich auf die Aufgabe als Hauptstadt vorzubereiten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die zur Erreichung dieser Ziele erforderliche finanzielle Hilfe durch den Bund muß gegeben werden, und die Bundesregierung darf sich nicht darauf beschränken, Berlin auf den Anleihemarkt zu verweisen.
    Darüber hinaus ist es nötig, in stärkerem Maße als bisher den Charakter Berlins als Hauptstadt zu unterstreichen. Wir hoffen, daß der 3. Deutsche Bundestag sich nicht darauf beschränkt, repräsentative Sitzungen in Berlin abzuhalten, sondern daß er auch in regelmäßigem Turnus Arbeitssitzungen in Berlin durchführen wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine solche Regelung könnte vielleicht auch das Bundeskabinett veranlassen, endlich einmal in Berlin eine Sitzung abzuhalten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der 3. Deutsche Bundestag würde seiner Arbeit für Berlin einen guten Start geben, wenn er endlich der unhaltbaren Stellung unserer Berliner Kollegen in diesem Hause ein Ende machen und das volle Stimmrecht der Berliner Abgeordneten beschließen würde.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratische Partei hält es für eine dringende Aufgabe der Bundesregierung, alles zu tun, was geeignet ist, die trennende Wirkung der Zonengrenze auf das Zusammenleben der Deutschen zu mildern. Wir haben dazu wiederholt konkrete Vorschläge gemacht, zuletzt in der Debatte vom 30. Mai 1956. Die Bundesregierung muß immer wieder von sich aus dazu beitragen, daß durch gesetzgeberische und Verwaltungsmaßnahmen auf beiden Seiten der Zonengrenze die Schranken vermindert und abgebaut werden, durch die die menschlichen Beziehungen zwischen den Deutschen gehindert werden. Die Schwere dieser Aufgabe entbindet niemand von der Verpflichtung, es immer wieder mit ersten Schritten in dieser Richtung zu versuchen.

    (Beifall bei der SPD.)




    Ollenhauer
    Soweit die Zuständigkeiten der Bundesregierung reichen, darf nichts unterlassen werden, was geeignet sein könnte, jungen Mitbürgern aus der sowjetisch besetzten Zone ungehindert die Fortsetzung ihrer Ausbildung oder ihrer Studien in der Bundesrepublik zu ermöglichen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Hierbei ist besonders wichtig die Zusammenarbeit mit dem Lande Berlin und eine tatkräftige Unterstützung der Bemühungen Berlins, dieser Aufgabe gerecht zu werden, die dort besonders stark in Erscheinung tritt. Es ist dabei nicht nur an jugendliche Flüchtlinge zu denken, sondern an alle jungen Deutschen, also auch an solche, die nur vorübergehend in der Bundesrepublik ihre Ausbildung oder ihre Studien weiterführen möchten.
    Meine Damen und Herren! Wir unterstützen nachdrücklich den Appell des Herrn Bundeskanzlers, endlich die noch in Haft befindlichen politischen Gefangenen freizulassen. Wir hoffen, daß die Bundesregierung in Zukunft im Sinne dieses Appells handelt. Das Verhalten der Bundesregierung in der Vergangenheit, z. B. in der Frage der Amnestie, veranlaßt uns zu diesem dringenden Hinweis.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Zu den wesentlichen Problemen der Innenpolitik gehören jetzt auch die Fragen, die sich aus der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO und aus der Existenz der Bundeswehr ergeben. Die Entwicklung der Fernlenkwaffen hat die Westmächte zu einer Überprüfung ihrer eigenen Sicherheitsvorstellungen und ihrer Rolle in den bestehenden Bündnissystemen gezwungen. Nur in sorgfältiger Beobachtung der Entwicklung bei den Weltmächten können die europäischen Staaten ihre eigenen Sicherheitsvorstellungen der neuen Lage anpassen. Eine realistische Beurteilung der sich abzeichnenden Entwicklung führt dazu, auch die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in der Bundesrepublik neu zu durchdenken. Die Bundesregierung ist in dieser Lage unserer Bevölkerung eine Auskunft darüber schuldig, wie sie sich für den Fall eines Konflikts den Schutz von Leben und Gesundheit der Zivilbevölkerung denkt. Es ist bitter zu beklagen, daß dieselbe Regierung, die gestattet, daß auf dem Gebiet der Bundesrepublik Atommunition gelagert wird, bisher keinerlei Auskunft darüber gegeben hat, welche Konsequenzen ein Einsatz von Atomwaffen für die Bevölkerung hätte und was unter diesen Umständen für die Bevölkerung getan werden kann und muß. Die modernen Waffen erzwingen zur Vorbereitung eines jeden ernsthaften Programms für den Schutz der Bevölkerung eine sorgfältige Untersuchung. Nur eine von politischen und finanziellen Wünschen der Regierung unabhängige Sachverständigenkommission wäre imstande, die erforderlichen Untersuchungen anzustellen. Sie sollte unverzüglich berufen werden, damit Parlament und Regierung aus ihrer Arbeit die erforderlichen Schlüsse ziehen können.
    Die Bundesregierung kann ihre Verpflichtungen nach den geltenden Verträgen durch Freiwilligenstreitkräfte, also ohne die allgemeine Wehrpflicht, erfüllen. Nach wie vor ist die Sozialdemokratie überzeugt, daß die allgemeine Wehrpflicht die Spaltung unseres Landes vertieft, politisch schädlich und militärisch überholt ist. Eine Reihe von Aufgaben der Landesverteidigung gehört jedoch nicht zum Auftrag der einem verbündeten Kommando unterstehenden Streitkräfte aus Freiwiligen, und wir fragen die Bundesregierung, wie sie sich die Erfüllung dieser anderen Aufgaben denkt, die in den Verträgen ausdrücklich als Aufgaben der Territorialverteidigung in nationale Zuständigkeit gegeben sind. Eine zweckmäßige Organisation einer solchen Landesverteidigung ist nur möglich, wenn die Gesamtplanung an einer Stelle erfolgt. Wir sind nicht der Meinung, daß etwa eine Art von Nebengeneralstab im Hinterhaus des Herrn Bundeskanzlers der richtige Ort dafür wäre,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    sondern wir meinen, daß die Vorbereitung und Planung im umfassenden Sinne beim Verteidigungsministerium stattfinden muß, das wir unter sorgfältiger parlamentarischer Kontrolle halten können. Wir werden diesen Standpunkt später bei den Beratungen des Organisationsgesetzes noch näher zur Sprache bringen, und wir hoffen, daß die Regierungsvorlage bald eingebracht wird.
    Im übrigen ist es die Aufgabe des Ministers, die Bundeswehr aus parteipolitischen Auseinandersetzungen herauszuhalten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir bedauern, daß Organisationen wie die sogenannte Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise und einige vom Presse- und Informationsamt subventionierte militärpolitische Zeitschriften, statt dem inneren Frieden zu dienen, die Angehörigen der Bundeswehr gegeneinander aufhetzen und versuchen, sie als Ganzes in Gegensatz zu bringen zu den großen Kräften der demokratischen Opposition. Die Bundeswehr dient als Einrichtung des gemeinsamen Staates dem ganzen Volk und nicht einer Partei.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie kann ihre Funktion nur wahrnehmen, wenn sie vom ganzen Volk getragen wird.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Der Verteidigungsaufwand von bisher 9 Milliarden DM wird nach den jetzt schon vorliegenden Anforderungen weiter erheblich wachsen. Es ist heute schon klar, daß die im Bundestag vom Finanzminister immer wieder abgegebene Erklärung, der Verteidigungsaufwand würde 9 Milliarden DM nicht übersteigen, der Wahrheit nicht entspricht. Ebenso ist schon heute deutlich, daß die Rüstungslieferungsverträge und die neuen militärischen Haushaltsansätze im nächsten Jahr die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik überfordern werden. Dadurch wird der Stand der sozialen Leistungen gefährdet, es drohen neue Steuerlasten, und die Kaufkraft unseres Gel-



    Ollenhauer
    des wird weiter sinken. Mit einem Wort: das Ausmaß der militärischen Ausgaben gefährdet die Stabilität der Währung.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wenn man den Schutz der westdeutschen Bevölkerung organisieren will, ohne die finanzielle Leistungskraft zu überfordern, wird es nötig sein, eine genaue Rangordnung festzustellen. Die Bundesregierung sollte im Atlantikrat aussprechen, daß wir, die wir unmittelbar an der Grenze zum sowjetischen Machtbereich liegen, von der Verteidigungsorganisation erwarten, daß sie dem Schutz der Zivilbevölkerung erhöhte Aufmerksamkeit widmet. Die Regierung muß sich daher denjenigen ausländischen Forderungen widersetzen, die die forcierte Aufstellung der Bundeswehr offenbar in erster Linie als Ersatz für die Ablösung der eigenen Streitkräfte beinhalten. Die militärischen Maßnahmen dürfen nicht unser soziales Fundament erschüttern und damit zugleich unsere noch so wenig gefestigte Demokratie gefährden. Das wird nur möglich sein, wenn Bevölkerungsschutz und Heimatverteidigung zweckmäßig organisiert werden und der militärische Beitrag für die der NATO unterstellten operativen Verbände auf das Maß des unbedingt Nötigen begrenzt wird.
    Der Herr Bundeskanzler hat sich in seiner Regierungserklärung ausführlich mit Fragen der Wirtschaftspolitik befaßt. Dem entscheidenden Problem der Wirtschaftspolitik, der Stabilisierung des Preisniveaus, hat er aber nur ganze vier Sätze gewidmet. Der Bundeskanzler hat zunächst die Feststellung getroffen, daß das Preisniveau für die Stabilität der Währung, für den Export und für die Aufrechterhaltung der hohen Beschäftigungszahlen von entscheidender Bedeutung sei. Diese Feststellung ist nicht neu. Er hat dann aber eine falsche Behauptung aufgestellt, nämlich Wettbewerb und Preisbildung hätten sich bisher stets als bester Schutz für den Verbraucher erwiesen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja auch!)

    Tatsache ist, daß der unkontrollierte Wettbewerb und der Mißbrauch der Preisfreiheit laufend zu Preissteigerungen und damit zur Schädigung der Verbraucher geführt haben und noch immer führen.

    (Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Wir halten das Preisproblem für das entscheidende wirtschaftspolitische Problem.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)

    Eine gesunde wirtschaftliche Weiterentwicklung und ein gesundes soziales Klima sind davon abhängig, daß es gelingt, das Preisniveau stabil zu halten. Die ständigen Preiserhöhungen, die wir nunmehr seit einigen Jahren erleben, führen dazu, daß die Lohnkämpfe nicht nur um einen angemessenen Anteil am Sozialprodukt, sondern darüber hinaus um einen zusätzlichen Ausgleich für den Kaufkraftschwund des Geldes geführt werden müssen.
    Das Versagen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Preisstabilisierung wiegt um so schwerer, als von der Seite der Gütererzeugung wie auch der Güternachfrage keine ernsthaften Gründe für eine Steigerung des Preisniveaus gegeben sind. Wenn dennoch das Preisniveau ständig steigt und ein Ende dieser Entwicklung nicht abzusehen ist, so liegt das allein daran, daß sich die Bundesregierung auf den entscheidenden Gebieten der Wirtschaftspolitik nicht zum Handeln aufraffen konnte. Es handelt sich doch hier vor allem um drei Ursachen.
    Erstens. In Zeiten hoher Beschäftigung und damit hoher Masseneinkommen ist die Neigung der Unternehmungen, die Marktsituation auszunutzen, besonders stark. Gerade in den letzten Monaten haben die Markenartikelhersteller und der Kohlenbergbau hierfür schlagende Beweise geliefert. Eine Politik, die sich eine stetige hohe Beschäftigung und zugleich die Erhaltung eines stabilen Preisniveaus zur Aufgabe stellt, kann daher ohne eine aktive und wirksame Kartellpolitik nicht verwirklicht werden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Zweitens. Die entscheidende Ursache für die stetige Steigerung des Preisniveaus ist der chronische Außenhandelsüberschuß oder, besser gesagt, das chronische Einfuhrdefizit im deutschen Außenhandel. Ich möchte hier kein Mißverständnis aufkommen lassen. Die große Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit der übrigen Welt, insbesondere die hohe Ausfuhr von Qualitätserzeugnissen, ist ein strukturbestimmendes Element der deutschen Wirtschaft; auf ihr beruhen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und der Lebensstandard des deutschen Volkes.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na also!)

    Niemand sollte daher auch nur mit dem Gedanken spielen, die Lösung in einer Drosselung des Exports zu sehen. Es kommt entscheidend darauf an, eine Angleichung der Einfuhren an die Ausfuhren herbeizuführen. Ausfuhren ohne entsprechende Einfuhren sind güterwirtschaftliche Verluste.

    (Sehr wahr! bei der SPD.).

    Die von der Bundesregierung akzeptierten Maßnahmen zur Zollsenkung und Einfuhrliberalisierung haben sich als völlig ungenügend erwiesen. Der Devisenturm, der sich auf diese Weise bei der Bundesnotenbank angesammelt hat, ist ein äußeres Zeichen dafür, in welchem Umfang der deutschen Wirtschaft große Teile des erarbeiteten Sozialprodukts im Werte von vielen Milliarden güterwirtschaftlich verlorengehen. Zum anderen führt der Devisenzufluß zu einer ständigen Verflüssigung des Geld- und Kapitalmarktes, die die Stabilität der deutschen Wirtschaft gefährdet. Solange die Bundesregierung nicht wirksame Maßnahmen zur Steigerung der Einfuhren ergreift, fehlt eine wichtige Voraussetzung für die Stabilisierung des Preisniveaus.
    Die dritte Ursache für Preissteigerungen ist die inflatorische Finanzpolitik der Bundesregierung, die darin besteht, im Zeichen hoher Konjunktur lau-



    Ollenhauer
    fende Ausgaben aus dem Juliusturm zu decken. Die Deutsche Bundesbank hat erst wieder in ihrem September-Bericht auf die währungspolitischen Gefahren eines Rückgriffs auf die Kassenmittel des Bundes hingewiesen. Wer Preisstabilität will, muß diese inflatorische Finanzpolitik beenden.
    Zu keinem dieser drei Gebiete enthält die Regierungserklärung irgendwelche konkreten Stellungnahmen. Nicht einmal über die Kohlenpreiserhöhung, zu der die Bundesregierung in den letzten Wochen so kräftige Worte gesagt hat, wird ein einziges Wort verloren, obwohl die Regierung ja schon Wochen vor der Wahl über die bevorstehende Erhöhung der Kohlenpreise unterrichtet war. Wir haben zu diesem Fragenkreis eine Große Anfrage eingebracht. Wir werden bei der Debatte über diese Große Anfrage ausführlicher auf dieses Kapitel eingehen.
    Aber es kennzeichnet den politischen Kurs des Bundeskanzlers und seiner Regierung, wenn die Regierungserklärung, nachdem sie geflissentlich über den Mißbrauch der Preisfreiheit durch die Unternehmerschaft hinweggesehen hat, eine scharfe Frontstellung gegenüber der Arbeitnehmerschaft bezieht. In diesem Zusammenhang müssen doch die Ausführungen gesehen werden, daß die Sozialpartner sich nicht bedenkenlos auf Kosten der Konsumenten verständigen dürfen. Ich frage, wer hat in der Vergangenheit bedenkenlos gehandelt? Die Sozialpartner in ihren Tarifauseinandersetzungen oder jene Unternehmer, die ihre Machtstellung am Markt zu einseitigen Preisdiktaten ausnutzten?

    (Beifall bei der SPD.)

    An anderer Stelle spricht der Herr Bundeskanzler davon, Arbeitszeitverkürzung und gleichzeitige Lohnerhöhung könnten eine untragbare Verminderung des Sozialprodukts bedeuten. Meine Damen und Herren, auch hier handelt es sich um den Versuch, die Arbeitnehmer in den Augen der Öffentlichkeit zu diskreditieren.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Denn bis heute haben sich Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung in einem durchaus vertretbaren und tragbaren Ausmaß gehalten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber wenn der Herr Bundeskanzler schon davon spricht, daß in einem gutgehenden Wirtschaftsstaat keine Tarifvereinbarungen getroffen werden dürfen, die schwächeren Bereichen Schwierigkeiten bringen, so ist doch die Frage berechtigt: Müssen eigentlich die Unterschiede in der Ertragslage der Unternehmungen so groß sein, wie das in der Bundesrepublik der Fall ist?

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Sind die hohen Gewinne nicht vielfach das Ergebnis der Preispolitik von Unternehmungen, die ihre Machtstellung im Markt zur Erzielung unangemessen hoher Preise ausnutzen?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Hier muß der Grundsatz gelten, daß höhere Produktivität nicht zu höheren Preisen führen darf, sondern allen Verbrauchern durch Preissenkungen zugute kommen muß.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Solange "die Bundesregierung auf eine solche Preispolitik verzichtet, kann sie sich nicht wundern, wenn die Arbeitnehmer solche überhöhten Gewinne nicht einseitig den Unternehmern überlassen wollen, sondern einen angemessenen Anteil durch Lohnerhöhung beanspruchen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Gesunde Preispolitik ist die Voraussetzung für eine gesunde Lohnpolitik.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir warnen jedenfalls davor, die deutschen Arbeitnehmer, die sich mit rund 7 Millionen Menschen zur deutschen Gewerkschaftsbewegung bekennen, in dieser Weise zu diffamieren, mit dem einzigen Ziel, über die Unfähigkeit der Bundesregierung zur Sicherung eines stabilen Preisniveaus hinwegzutäuschen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Methode hat schon den ganzen Wahlkampf gekennzeichnet, und sie führt dazu, daß willkürlich soziale Gräben aufgerissen werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, die haben wir zugeschüttet!)

    Regierungen, die in dieser Weise Wind säen, müssen damit rechnen, daß sie eines Tages Sturm ernten.
    Nun, meine Damen und Herren, die dürftigen Bemerkungen der Regierungserklärung zur Lage in den Zonenrandgebieten zeigen auch hier, daß man nicht den Versuch macht, wirtschaftliche Probleme wirklich zu lösen. Die Gebiete am Eisernen Vorhang sind immer noch die Fenster nach dem Osten. Hier sollte für alle, die sich nicht mit der Spaltung Deutschlands abfinden wollen, eine wichtige politische Aufgabe liegen, diese Gebiete wirtschaftlich so zu stützen und zu fördern, daß ihr allgemeines Lebensniveau dem in den übrigen Teilen der Bundesrepublik tatsächlich angeglichen wird. Das Problem ist bis heute trotz aller Versuche und Erklärungen nicht gelöst. Wir wünschen und erwarten, daß die Regierung in ihrer neuen Amtsperiode gerade auch hier einen ernsthaften Schritt zu einer konkreten Lösung dieses wichtigen wirtschaftlichen, sozialen und nationalen politischen Problems unternimmt.
    Es hat uns erstaunt, daß der Herr Bundeskanzler nur mit einem Satz in seinen allgemeinen politischen Ausführungen auf das Saargebiet eingegangen ist, daß er mit keinem Wort die sehr ernsten wirtschaftlichen Probleme des Saarlandes berührt hat. Fast ein Drittel der Übergangszeit bis zur wirtschaftlichen Eingliederung des Saargebiets in die Bundesrepublik ist bereits verstrichen. Inzwischen hat die Franken-Abwertung die Saarbevölkerung ebenso wie die Grenzgänger schwer getroffen. Die Sozialdemokratie hat deshalb eine Verkürzung der



    Ollenhauer
    Übergangszeit verlangt. Mitglieder der Bundesregierung haben sich im ähnlichen Sinne geäußert. Aber nichts ist geschehen, um den Erzeugnissen der Saarindustrie Eingang auf den Markt der übrigen Bundesrepublik zu schaffen und die Saarindustrie durch Modernisierung zu befähigen, dem starken Wettbewerbsdruck im Bundesgebiet standzuhalten und ihren Rückstand in der Ausrüstung nachzuholen. Wir fordern, daß die Bundesregierung alle notwendigen Maßnahmen trifft, damit eine schnelle wirtschaftliche Eingliederung des Saarlandes erfolgen kann.
    Ein besonderes Kapitel hat der Bundeskanzler der Schaffung von Kapital, der Streuung des Besitzes und der Förderung der Spartätigkeit gewidmet. Die Sozialdemokratie hat bereits in ihrem Dortmunder Aktionsprogramm im Jahre 1952 ausdrücklich eine aktive Eigentumspolitik zugunsten der wirtschaftlich Unselbständigen gefordert. Sie befürwortet und wünscht die Bildung von Eigentum in der Hand der Arbeitnehmer. Ich hoffe, wir sind uns darin einig, daß Anhänger einer freien Wirtschaftsordnung jedes Zwangssparen ebenso wie Einschränkungen der Freiheit der 'Arbeitnehmer in der Wahl ihres Arbeitsplatzes und in der Verfügung über ihr Einkommen ablehnen müssen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dann aber ist es die erste Aufgabe des Staates, durch eine Steuerpolitik zugunsten der wirtschaftlich Schwachen, durch eine Preispolitik mit dem Ziel von Preissenkungen und durch Förderung einer Politik angemessener Lohn- und Gehaltserhöhungen in breitesten 'Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit zum Sparen in größerem Umfang zu schaffen.
    Mit der Volksaktie wird nur eine neue Sparform geschaffen. Sie ist kein Mittel zusätzlicher Kapitalbildung. Wir Sozialdemokraten sind keine Gegner neuer Sparformen; das haben wir durch unsere Mitarbeit am Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften in diesem Hause bewiesen. Wir stehen der Förderung der Volksaktie positiv gegenüber,

    (Zurufe: Oho! und Beifall bei der CDU/CSU)

    und wir haben registriert, daß der Herr Bundeskanzler dabei auch an die Schaffung von Volksaktien bei Privatunternehmungen gedacht hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir sind sehr begierig, darüber konkretere Angaben zu erhalten. Den Mißbrauch der Volksaktie als Mittel zum Ausverkauf des Bundesvermögens lehnen wir allerdings mit aller Entschiedenheit ab.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Ein Wort über die besondere Situation und die Interessen der Selbständigen des Handwerks, des Handels und des übrigen Gewerbes. Wir haben hier über die Vorstellungen der Regierung für die nächste Arbeitsperiode nichts Konkretes gehört. Schließlich hätte man doch erwarten können, daß eine Regierungserklärung wenigstens zu folgenden konkreten Fragen Stellung nimmt.
    1. Im Handwerk, in Handel und Gewerbe vollziehen sich strukturelle Veränderungen von einer
    Tragweite, deren Bewältigung die Kraft der betroffenen Betriebe und Unternehmungen überschreitet. Wann wird die Bundesregierung endlich ein großes unabhängiges und leistungsfähiges Institut schaffen, das nicht nur der wissenschaftlichen Erforschung dieser Veränderungen, sondern in erster Linie der Entwicklung praktischer Verfahren und Einrichtungen dient?
    2. Den mittleren und kleinen Unternehmern fehlt es an langfristigem Investitionskapital zu erträglichen Zinssätzen. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dieser Kapitalnot wirksam zu begegnen?
    3. Wann wird die Bundesregierung endlich den dringend notwendigen Umbau der Umsatzsteuer in die Wege leiten, um die unerträgliche Benachteiligung der kleinen und mittleren Unternehmen zu beseitigen?
    4. Wann wird die Bundesregierung die von den Selbständigen immer wieder geforderte Altersversicherung verwirklichen?
    Das sind Fragen, die abseits vom Programmatischen sich aus der tatsächlichen Lage ergeben. Wir hätten erwarten können, daß die Regierungserklärung wenigstens in einigen dieser Punkte sehr viel mehr sagt, als sie es getan hat.
    Schließlich ist einiges über die Bedeutung der öffentlichen Unternehmen zu sagen. Auch hier haben wir in der Kanzlererklärung kaum etwas gehört außer die Mitteilung, daß es ein neues Ministerium für den wirtschaftlichen Besitz des Bundes gibt. Wir haben die Befürchtung, die Politik der Regierung führt dazu, daß dieses Ministerium ein Ministerium für die Verwirtschaftung des Bundesbesitzes wird.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Frau Kalinke: Keine Angst!)

    — Ich hoffe, Sie haben recht, daß wir keine Angst zu haben brauchen. — Wir haben den Eindruck, daß dieses Ministerium geschaffen wurde, um für gewisse Reprivatisierungsabsichten freiere Hand zu bekommen, als man es bisher gehabt hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Fraktion wird sich jedenfalls mit aller Entschiedenheit dagegen wehren, daß dem Bund die Möglichkeit genommen wird, durch Bundesunternehmungen unerwünschte wirtschaftliche Entwicklungen, insbesondere bedenkliche Preiserhöhungen, zu verhindern, während ihm die Übernahme der Verlustposten der freien Wirtschaft immer wieder ohne Bedenken zugemutet wird. Hier sehen wir mit großer Sorge der Tätigkeit des Triumvirats ErhardEtzel-Lindrath entgegen. Wir hoffen, daß wir hier nicht zu einer Politik kommen, die praktisch den Ausverkauf der wertvollsten Teile des Bundesvermögens in die Wege leitet.
    Ein Wort zu einer der wichtigsten Zukunftsaufgaben, nämlich der Entwicklung einer einheitlichen Energiewirtschaftspolitik. Die Kanzlererklärung, daß Atomenergie und Wasserwirtschaft nunmehr in einem Ministerium zusammengefaßt werden, kann



    Ollenhauer
    von uns nicht als ein ausreichender Beitrag angesehen werden; denn sie enthält nichts darüber, wie die drohende Energielücke geschlossen werden soll. Nichts darüber, daß ein langfristiges Programm aufgestellt werden muß, um die Steigerung der Kohleförderung, die Entwicklung der Atomenergie sowie die Einfuhr von Kohle und 01 auf lange Sicht aufeinander abzustimmen. Nichts über ein Investitionsprogramm, um die geplanten Aufbau- und Ausbauprogramme sicherzustellen, obwohl wir hier vor einem der brennendsten Probleme unserer wirtschaftlichen Entwicklung von heute und morgen stehen.
    Im Bereich der Finanzwirtschaft hat der Herr Bundeskanzler sich darauf beschränkt, eine, wie er sagte, echte Steuer- und Finanzreform zu versprechen. Das war alles. Der Bundesfinanzminister hat noch vor kurzem durch sein Ministerium festgestellt, daß in der Bundesrepublik die niedrigen und mittleren Einkommen wesentlich höher besteuert werden als in den Vereinigten Staaten und in allen westeuropäischen Ländern mit Ausnahme der Schweiz. Dafür werden die hohen Einkommen bei uns geringer belastet. Die Entlastung der schwächeren Steuerzahler muß daher im Vordergrund einer Steuerreform stenen, um diesen unsozialen Charakter unseres Steuersystems endlich zu beseitigen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Außerdem beruht unser jetziges Steuersystem überwiegend auf indirekten Steuern, die bekanntlich in der Regel als feste Kosten in die Preise eingehen und die Verbraucher in höchst unsozialer Weise belasten. Wir fordern, daß hier ebenfalls eine wirkliche Reform eintritt durch die Beseitigung der unsozialen Kaffee-, Tee- und Zuckersteuer, der Zölle auf lebenswichtige Güter und der Umsatzsteuer auf Lebensmittel.
    Meine Fraktion wird alle Maßnahmen, die eine Eigentumsbildung breitester Bevölkerungsschichten fördern, unterstützen. Sie wird sich aber gegen alle Versuche wehren, unter der Flagge „Förderung des Kapitalmarkts" einseitige Steuersenkungen zugunsten großer Unternehmungen und der derzeitigen Aktienbesitzer vorzunehmen und auf die dringend notwendige Entlastung der Bezieher kleiner Einkommen und Reformen auf dem Gebiet der indirekten Steuern zu verzichten.
    Meine Damen und Herren, ich möchte den Katalog unserer Vorstellungen auf anderen wichtigen Gebieten unserer Innenpolitik hier nicht noch mehr erweitern und im einzelnen behandeln, um nicht Ihre Geduld und Ihre Zeit über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Sozialdemokratie auf den verschiedenen Gebieten unserer Verkehrspolitik, auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Ernährung, auf dem weiten Gebiet der notwendigen Weiterführung der Sozialreform sehr bestimmte und konkrete Vorstellungen hat, Vorstellungen, die wir im 2. Bundestag vor allem in der Auseinandersetzung um die Rentenreform hier eingehend dargelegt haben. Ich möchte hier wiederholen, was wir seinerzeit in diesem Bundestag am Ende der großen Auseinandersetzung über die Rentenreform schon ausgeführt haben: mit dieser Rentenreform ist die Sozialreform nicht durchgeführt.

    (Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Essen] : Das wissen wir!)

    Sie bleibt eine Aufgabe, und wir erwarten und wir wünschen, daß diese Aufgabe durch den 3. Deutschen Bundestag in einer Weise gelöst wird, die tatsächlich den sozial Schwachen, Alten und Arbeitsunfähigen eine echte, ausreichende soziale Sicherheit zu geben vermag.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich kann meine Ausführungen nicht abschließen, ohne doch noch auf eine Frage einzugehen, die ohne Zweifel, so wie die Dinge liegen, die entscheidende Frage für die Gestaltung unseres inneren Lebens in der Bundesrepublik und für die Ordnung der Beziehungen der Bundesrepublik zu anderen Völkern ist. Es liegt mir daran, noch einiges über die außenpolitischen Vorstellungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu sagen.
    Zunächst möchte ich erklären, daß wohl unbestrittenes gemeinsames Ziel der deutschen Politik die Bewahrung des Friedens, die Erhaltung der Freiheit und die Wiedererlangung der Einheit Deutschlands in Freiheit sein sollte. Die Regierungspolitik muß danach beurteilt werden, ob sie zur Erreichung dieser Ziele beiträgt oder im Gegenteil diese Ziele nicht sogar gefährdet. Nach unserer Auffassung und vor allem nach der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers ist leider das letztere der Fall. Der Herr Bundeskanzler hat seine Darlegungen über die außenpolitischen Absichten seiner Regierung mit einer allgemeinen Betrachtung über die internationale Situation begonnen. Die Antwort auf diese Betrachtung der Lage war von derselben Einfachheit wie die Schilderung der Lage selbst.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler fordert die Verstärkung der militärischen und der politischen Einheit des Westens, und er bekennt sich ausdrücklich erneut zu einer Politik der Stärke mit der Bemerkung, daß er hoffe, die Verpönung dieses Wortes werde nun endlich verstummen. Als Konsequenz für die Bundesrepublik fordert der Herr Bundeskanzler faktisch die totale Aufrüstung der Bundesrepublik einschließlich der atomaren Aufrüstung.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß eine derartige schematische und einseitige Darstellung der realen Situation in der Welt nicht gerecht wird und daß eine Außenpolitik der Bundesrepublik, die auf diesen Grundlagen beruht, zu den ernstesten Gefahren für den Frieden und die Sicherheit des deutschen Volkes und zu einer Fortdauer der Spaltung Deutschlands auf unabsehbare Zeit führen muß.

    (Beifall bei der SPD.)

    Zweifellos ist die positive Regelung der Abrüstungsfrage das vordringlichste Problem. Die Entwicklung der modernen Kriegstechnik hat eine



    Ollenhauer
    höchst gefährliche Lage geschaffen. Sie ist noch bedrohlicher dadurch geworden, daß es bei den Londoner Abrüstungsbesprechungen bis jetzt nicht gelungen ist, zu einer Vereinbarung zwischen den heutigen Atommächten über eine Begrenzung und Kontrolle der Rüstung mindestens auf dem Gebiete der modernen Massenvernichtungswaffen zu kommen. Die Gefahr ist groß, daß bei einem weiteren negativen Verlauf der Abrüstungsbesprechungen in absehbarer Zeit auch andere Mächte neben den jetzigen sogenannten Atommächten über diese modernen Kriegsmittel verfügen werden und daß dann eine Lage entsteht, in der eine wirksame Kontrolle überhaupt nicht mehr zu erreichen und durchzuführen ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Jeder vermag sich vorzustellen, daß die Menschheit dann jeden Tag in eine unabsehbare Katastrophe geraten kann.
    Die Vorstellungen, die der Herr Bundeskanzler in dieser Beziehung entwickelt hat, sind nach unserer Meinung nicht geeignet, diese Gefahren abzuwenden. Der Herr Bundeskanzler hat die für Dezember in Aussicht genommene Konferenz der Regierungschefs der NATO-Mächte sehr nachdrücklich begrüßt. Auch wir meinen, daß es nützlich wäre, wenn die in der NATO vertretenen Mächte in größerem Umfang als bisher ihre technischen und wissenschaftlichen Erfahrungen untereinander austauschten. Aber wir möchten deutlich machen, daß wir es für sehr bedenklich halten würden, wenn diese enge Zusammenarbeit praktisch zu einer Vereinbarung über die allgemeine Produktion und Verwendung der modernen Massenvernichtungswaffen durch alle NATO-Mitglieder führen sollte. Eine solche Entscheidung würde die Sicherheit für die westlichen Völker nicht erhöhen, sondern die internationalen Spannungen in gefährlicher Weise vergrößern.
    Mit der größten Besorgnis verfolgen wir auch die internationale Diskussion über die Aufhebung des Verbots der Produktion von Raketenwaffen auf dem Gebiete der Bundesrepublik. Die bisherigen Erklärungen der Bundesregierung in dieser Frage befriedigen uns nicht. Der Herr Bundeskanzler hat wiederholt gesagt, daß die Bundesrepublik mit dem Verzicht auf die Produktion moderner Massenvernichtungswaffen freiwillig einen Beitrag zur Abrüstung geleistet habe. Jetzt kommt die Probe aufs Exempel!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es gibt nur eine Antwort auf die Frage der Einbeziehung der Bundesrepublik in diesen Wettlauf des Schreckens: nein und nochmals nein!

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir wissen zur Zeit immer noch nicht, ob und welche internationale Bedeutung der neue personelle Wechsel in der Führung der Sowjetunion hat. Aber wir müssen auch hier mit der Möglichkeit rechnen, daß er als eine Warnung der Sowjetunion an den Westen gedacht ist und daß die Antwort der Sowjetunion auf die Weiterentwicklung der atomaren Rüstung im Westen auch die Verdoppelung
    der Anstrengung der Sowjetunion in der gleichen Richtung sein wird. Wir, wissen aus den bitteren Erfahrungen der Geschichte unseres eigenen Volkes, daß eine solche Politik des Wettlaufs der Rüstungen beinahe unausweichlich zu einer Katastrophe führt.

    (Beifall bei der SPD.)

    In dieser Lage möchten wir an die Bundesregierung mit allem Ernst appellieren, jede mögliche Anstrengung zu unternehmen, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Wir bedauern die Ablehnung der Vorschläge für die Schaffung einer atomfreien Zone in Europa, ohne auch nur in eine nähere Prüfung dieser Vorschläge einzutreten.
    Ein anderer unmittelbarer konkreter Beitrag zu einer Politik der Entspannung und der Verminderung der Gefahren wäre der ausdrückliche Verzicht der Bundesrepublik auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen. Diese Ausrüstung kann die Sicherheit der Menschen in der Bundesrepublik nicht erhöhen, aber sie hat nur eine Wirkung in der Richtung einer Verschärfung der internationalen Situation. Wir bedauern, daß die Bundesregierung schon früher auf diesem Gebiet mögliche und nützliche Initiativen praktisch unterlassen hat. Ich denke hier an die unbefriedigende Art und Weise, in der die Bundesregierung den einstimmigen Beschluß des Bundestages durchgeführt hat, durch den wir die beteiligten Mächte aufforderten, die Versuchsexplosionen von Atom- und Wasserstoffbomben einzustellen. Wir sind auch heute noch der Meinung, daß ein solcher Schritt im Interesse der Gesundheit der Menschen und im Interesse der Herabminderung der Gefahren des Wettrüstens notwendig und nützlich ist. Wir wissen, daß das Problem einer Kontrolle und Beschränkung der Rüstungen eine sehr komplizierte Angelegenheit ist, und wir bedauern, daß die Londoner Abrüstungsvorschläge nicht zu einer Verständigung geführt haben. Aber wir sind der Meinung, daß man sich im Hinblick auf den Ernst der Lage mit diesem Sachverhalt nicht zufrieden geben darf, vor allem nicht unter den heute gegebenen Umständen.
    Unser konkreter Vorschlag an die Bundesregierung ist, daß sie die uns befreundeten Regierungen anregt, sobald als möglich und jedenfalls vor endgültigen Beschlüssen über die weitere militärische Strategie des Westens mit der Sowjetunion eine Konferenz der Atommächte unter Beteiligung der Chefs der Regierungen dieser Länder durchzuführen, um noch einmal in einem solchen direkten Gespräch auf höchster Ebene den ernsthaften Versuch zu machen, zu einer Vereinbarung zu kommen. Sicher kann niemand einen Erfolg einer solchen Konferenz garantieren, aber wir meinen, angesichts der jetzt gegebenen Situation darf ein solcher Versuch nicht unterbleiben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das deutsche Volk in beiden Teilen Deutschlands befindet sich in einer derart gefährlichen Position, daß die Bundesregierung nach unserer Auffassung nicht nur das moralische Recht, sondern sogar die Pflicht hat, eine solche Initiative zu ergreifen. Sie



    Ollenhauer
    könnte dabei der Unterstützung des ganzen deutschen Volkes sicher sein. Es besteht kein Zweifel, daß auch Regierungen anderer Länder sie bei einer solchen Initiative unterstützen werden.
    Wir sind der Meinung, daß nur eine solche Politik geeignet ist, die Freiheit unseres Landes gegen Gefahren von außen zu sichern. Die Erhöhung der in der Spaltung Deutschlands liegenden Gefahren durch die Auffüllung der deutschen Zeitbombe mit atomarem Sprengstoff ist gleichzeitig auch eine Gefährdung unserer Freiheit. Die Sozialdemokratie bekennt sich zur Verteidigung der Freiheit des eigenen Volkes nach innen und außen. Aber diese Verteidigung der Freiheit muß in einer Form organisiert werden, die die anderen politischen Ziele, nämlich die Bewahrung des Friedens und die Wiedervereinigung Deutschlands, nicht gefährdet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die vom Herrn Bundeskanzler vertretene These der Politik der Stärke als des einzigen Mittels der Auseinandersetzung mit dem Osten beschränkt naturnotwendigerweise die Außenpolitik der Bundesrepublik weitgehend auf die Kooperation mit den mit uns verbündeten Völkern des Westens und schließt weitgehend eine aktive Außenpolitik gegenüber anderen Völkern aus. Wenn man die These des Herrn Bundeskanzlers von dem einheitlichen Block des Ostens akzeptiert, dann erhebt sich doch die Frage, wie die Bundesregierung den ebenfalls vom Bundeskanzler vertretenen Grundsatz verwirklichen will, daß wir trotzdem auch mit den Völkern Osteuropas und mit der Sowjetunion in einem gutnachbarlichen Verhältnis leben wollen und die zwischen diesen Völkern bestehenden Differenzen in einer für alle Beteiligten akzeptablen Weise friedlich geregelt sehen wollen.
    Wir bedauern es, daß der Bundeskanzler z. B. die Frage unserer zukünftigen Beziehungen zu Polen überhaupt nicht behandelt hat. Wir sind der Meinung, daß es im Interesse des deutschen Volkes und im Interesse der Entspannung in Europa liegt, wenn wir endlich normale Beziehungen zu Polen und auch zu anderen osteuropäischen Völkern aufnehmen. Wir haben schon vor mehr als Jahresfrist diese Forderung erhoben. Wäre die Bundesregierung damals unseren Vorschlägen gefolgt, hätte sich vielleicht manche unerfreuliche Entwicklung der letzten Zeit in Europa in bezug auf das Verhältnis zur Bundesrepublik vermeiden lassen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir haben es bedauert, daß die jugoslawische Regierung die Regierung in Pankow anerkannt hat. Wir hätten erwarten können, daß die jugoslawische Regierung rechtzeitig vorher in Gespräche mit der Bundesregierung über die von ihr beabsichtigte Entscheidung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen eingetreten wäre. Ein solches Verhalten hätte jedenfalls eine andere Atmosphäre schaffen können, als sie jetzt entstanden ist. Aber auf der anderen Seite bedauern wir die Reaktion der Bundesregierung, die auf den jugoslawischen Schritt mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen geantwortet hat. Sicher wirft die Anerkennung der
    DDR durch Jugoslawien für die Politik der Bundesregierung sehr ernste Probleme auf.

    (Abg. Dr. Krone: Ausschlaggebende!)

    Aber die Gefahr ist sehr groß, daß die Konsequenz der Entscheidung der Bundesregierung im Falle Belgrad gerade eine Isolierung der Bundesrepublik auch in andern Teilen der Welt sein wird. Eine solche Entwicklung kann unmöglich im deutschen Interesse liegen.
    Nachdem die Bundesregierung trotz aller unserer Warnungen ihre Entscheidung gefällt hat, richten wir an sie den dringenden Appell, den Abbruch der Beziehungen zu Jugoslawien nicht noch außerdem auf die wirtschaftlichen Beziehungen auszudehnen und vor allem die mit Jugoslawien abgeschlossenen Verträge zu respektieren. Es liegt nach meiner Auffassung im Interesse des deutschen Volkes, daß die Bundesregierung zu guten Beziehungen mit den osteuropäischen Völkern kommt. Das ist auch der einzige Weg, um die Mauern des Mißtrauens und des Hasses abzutragen, die die Schandtaten des Hitler-Regimes aufgerichtet haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratische Partei hat mit tiefer Sympathie den Freiheitskampf des ungarischen Volkes gegen fremde Unterdrückung verfolgt. Unsere Sympathie gehört allen Völkern, die sich heute aus den Fesseln der Kolonialherrschaft und der imperialistischen Bevormundung alten und neuen Stils zu befreien suchen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir beobachten mit Sorge, welche Spannungen in diesem Prozeß der wachsenden nationalen Unabhängigkeit neu entstehender Nationalstaaten auftreten, Spannungen, die sehr leicht zur Kriegsgefahr führen können, wenn die Großmächte nicht einen mäßigenden Einfluß ausüben. Wir haben gesehen, daß es einen solchen Gefahrenpunkt im Nahen und Mittleren Osten gibt. Die Bundesrepublik ist zwar dort in keiner Weise beteiligt. Aber es geht um den Frieden der Welt. Deshalb sollte die Bundesregierung an die Großmächte appellieren, alles zu unterlassen, was dort zu einer Verschärfung der Gegensätze führen kann. Zum Beispiel eine Vereinbarung, daß kein Kriegsmaterial in jenes Gebiet gesandt wird, wäre ein wichtiger Fortschritt. Ein wesentlicher Krisenherd im Nahen und Mittleren Osten könnte außerdem bereinigt werden, wenn sich alle Mächte bemühten, einen Friedensschluß zwischen den arabischen Staaten und Israel zu erleichtern und herbeizuführen.
    Noch ein Wort in diesem Zusammenhang. Nach den nützlichen Erfahrungen, die mit der Entsendung einer Polizeitruppe der Vereinten Nationen in das Suezkanalgebiet gemacht worden sind, bleibt zu prüfen, wieweit dieses Beispiel in gefährlichen Situationen auch an anderer Stelle angewandt werden kann. Ist nicht der Augenblick gekommen, eine internationale Polizeitruppe unter der Verantwortung der Vereinten Nationen zu schaffen? Die Einrichtung einer solchen Truppe würde die Autorität
    54 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, tienstag, den 5. November 1957
    Ollenhauer
    und die Aktionsmöglichkeiten der Vereinten Nationen in kritischen Situationen wesentlich verstärken.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat auch von der Notwendigkeit des Ausbaues unserer Beziehungen zu den Völkern in Asien und Afrika gesprochen und erklärt, daß wir bereit sein müssen, hier größere Opfer zu bringen als bisher. Einverstanden! Wir haben seit langem auf eine Politik in dieser Richtung gedrängt. Das deutsche Volk hat in Asien und Afrika eine gute Position, es ist dort nicht mit Erinnerungen an Kolonialherrschaft belastet. Gerade eine aus unserem Land kommende ökonomische, technische und damit auch politische Hilfe zur Verbesserung des Lebensstandards und zur Erreichung gesicherter wirtschaftlicher und politischer Unabhängigkeit wird in jenen Ländern dankbar empfunden werden. Sie wird die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Deutschland und den anderen Völkern der westlichen Kulturgemeinschaft stärken. Wir würden es deshalb begrüßen, wenn die Bundesregierung ihre angekündigte Absicht verwirklichte. Wir wünschen aber, daß in solche Absichten und Pläne auch Länder wie China einbezogen werden. Wir begrüßen die von der deutschen Wirtschaft unternommenen Bemühungen, zur chinesischen Wirtschaft und zum chinesischen Staat und Volk in ein Verhältnis ersprießlicher Zusammenarbeit zu kommen.
    In jedem Falle ist es wichtig, daß diese Zusammenarbeit aufgebaut wird auf der Basis der Anerkennung der Gleichwertigkeit und der Eigenart unserer Partner. Hunderte von Millionen von Menschen sind in den letzten Jahren durch die Erringung ihrer nationalen Unabhängigkeit als selbständige Faktoren in die Weltpolitik eingetreten, und ihr Einfluß und ihre Bedeutung werden wachsen. Wenn wir sie als Freunde und Partner in der freien Welt gewinnen helfen, wird in dem Ringen um Sicherheit und Frieden in der Welt ein entscheidender Erfolg erzielt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sicher kann die hier vorliegende Aufgabe an wirtschaftlicher und technischer Hilfe nicht von einem einzelnen Land allein bewältigt werden. Es gehört eine große Anstrengung dazu. Aber wäre es nicht eine große und lohnende Aufgabe für alle Völker des Westens und alle, die sich beteiligen wollen, wenn sie sich entschlössen, ihre Hilfsmöglichkeiten in einem internationalen Rahmen zusammenzufassen, sozusagen in einem Marshallplan auf internationaler Basis? Die Initiative der Vereinten Nationen in Form des Sunfed-Plans weist auf dieselbe Ebene. Heute denken wir bei dem Ringen um die Selbständigkeit der Völker fast immer nur in militärischen Begriffen. Schaffen wir einen internationalen Aufbauplan des Friedens zur Stärkung der Entwicklungsländer! Denken wir daran, daß der Marshallplan in Europa, vor allem auch in der Bundesrepublik, mehr zur Stabilisierung der Freiheit und der Demokratie getan hat als alle militärischen Anstrengungen in dieser Zeit!

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine solche Zusammenarbeit mit den jungen Völkern würde auch unsere Bemühungen zum europäischen Zusammenschluß in einen größeren Zusammenhang stellen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat den Verträgen über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom zugestimmt. Die Sozialdemokratie erwartet, daß die Bundesregierung alle Möglichkeiten der Verträge ausnutzt, damit die in den Verträgen vorgesehene Hilfe für die mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verbundenen überseeischen Gebiete jene Völker und Länder in den Stand setzt, in freier Selbstbestimmung über ihr Schicksal zu entscheiden, und nicht etwa zu einer finanziellen Fessel an die koloniale Vormacht einzelner Staaten wird. Die letzte Konferenz von GATT hat deutlich gezeigt, welches Mißtrauen in der Welt gegenüber der Schaffung des Gemeinsamen Marktes der Sechs noch besteht. Wir müssen es überwinden. Die Schaffung einer europäischen Freihandelszone liegt auf dem Wege dazu. Ohne diese Zone würden erhebliche Teile der europäischen Wirtschaft aus dein europäischen .Wirtschaftszusammenhang herausgedrängt werden. Europa muß aber zusammenwachsen, es darf nicht durch innere europäische Zollmauern erneut zerrissen werden.
    Alle diese Bemühungen um eine auf Entspannung und Frieden gerichtete Außenpolitik der Bundesrepublik müssen selbstverständlich immer unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, den ich an die Spitze meiner Ausführungen gestellt habe: die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist die vordringlichste Aufgabe der deutschen Politik. Die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers über die Absichten seiner Regierung in bezug auf die Wiedervereinigung sind absolut unbefriedigend. Man muß allerdings gerechterweise hinzufügen, sie können nicht anders sein; denn die vom Herrn Bundeskanzler vertretene „Politik der Stärke" auf dem Hintergrund seines Weltbildes schließt eine erfolgreiche Wiedervereinigungspolitik durch Verständigung aus,

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist eine geradezu tragische Situation: die dritte Regierung Adenauer tritt ihr Amt zu einer Zeit des Höhepunktes der parteipolitischen Erfolge der CDU und des Tiefstandes der Deutschlandpolitik an.

    (Beifall bei der SPD.)

    Heute kann niemand mehr leugnen, daß die Hindernisse gegen die Wiedervereinigung in den vergangenen Jahren zahlreicher und die Schwierigkeiten größer geworden sind. Die Etappen, die zu diesem gefährlichen toten Punkt geführt haben, sind nicht zuletzt durch die Politik der bisherigen Bundesregierung in den letzten acht Jahren bestimmt worden.

    (Abg. Dr. Krone: Die Russen!)

    — Ich habe gesagt: nicht zuletzt. Das ist eine traurige Bilanz; aber sie endet mit dem Resultat, daß sich die Fortsetzung der allein auf den Atlantikpakt abgestellten Politik der Bundesregierung, wie sie hier noch einmal so nachdrücklich unterstrichen wurde, und die Wiedervereinigung Deutschlands



    Ollenhauer
    auf friedliche Weise und durch Verständigung ausschließen.
    Deutschland wird nur dann wiedervereinigt werden können, wenn die beiden jetzt bestehenden Realitäten: die deutsche Mitgliedschaft in der NATO und die Existenz der sogenannten DDR im Warschauer Pakt, überwunden werden durch Lösungen, wie wir sie in Form des europäischen Sicherheitssystems wiederholt vorgeschlagen haben. Wir bedauern, daß die Bundesregierung auch in ihrer jetzigen Regierungserklärung keinen Ausweg gezeigt hat und daß sie nicht einmal die Bereitschaft hat erkennen lassen, Vorschläge in dieser oder anderer Richtung zu prüfen.
    Meine Damen und Herren, die Gegenüberstellung der Auffassungen der Regierung Dr. Adenauers sowie ihrer Koalition und der Sozialdemokratie ergibt kein ermutigendes Bild im Hinblick auf die Möglichkeiten einer gemeinsamen Politik in den wichtigsten nationalen Fragen unseres Volkes. Wir stehen vor der Tatsache, daß die Regierung und ihre Mehrheit offensichtlich entschlossen sind, im Inneren die Politik der Restaurierung, des Sicheinrichtens in diesem Teil Deutschlands nach dem Grundsatz: so gut wie möglich, fortzuführen und das Schicksal der Einheit unseres Volkes einer Politik anzuvertrauen, die Sicherheit, Einheit und Freiheit unseres Volkes allein auf die in der NATO verkörperte Politik der Stärke gründet.
    Meine Damen und Herren, Sie mögen sich dabei beruhigt und bestärkt fühlen durch den Wahlausgang am 15. September. Wir beneiden Sie um diese Ruhe nicht.

    (Lachen bei der CDU/CSU.)

    Wir sind in Unruhe und Sorge. Wir haben es uns nicht leicht gemacht in den Auseinandersetzungen mit den Vorschlägen und Plänen der Regierung. Wir haben nicht nur kritisiert und abgelehnt; wir haben eigene Vorschläge gemacht. Unser Verhalten zu Ihnen und zu Ihrer Regierung wird durch die Art und Weise bestimmt werden, wie Sie sich mit diesen Vorschlägen auseinandersetzen. Heute jedenfalls sind wir nicht in der Lage, dieser dritten Regierung Adenauer unser Vertrauen auszusprechen.

    (Lebhafter anhaltender Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.

(Nach der Rede des Oppositionsführers schickt sich eine Anzahl Abgeordneter an, den Saal zu verlassen.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Max Becker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine kleine Vorbemerkung:
    Und wenn sich der Schwarm verlaufen will Schon zur frühen Nachmittagsstunde,
    Dann gibt von diesem schlechten Brauch Dem Volk heut' das Fernsehen Kunde.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, der Ausgang des Wahlkampfes erfordert eine Schlußbilanz, und die Regierungserklärung soll eine Eröffnungsbilanz sein. Das deutsche Volk kann verlangen, daß beide Bilanzen unverschleiert sind. Deshalb in offener Sprache folgende Feststellungen.
    Zunächst zur Abschlußbilanz. Das Ziel der Freien Demokraten, die Alleinherrschaft einer Partei zu verhindern, ist nicht erreicht. Die FDP ist weder zur Bildung einer Regierungskoalition noch zur Bildung einer Sperrminderheit notwendig. Aber sie ist noch da, aus eigener Kraft und unabhängig nach allen Seiten.

    (Beifall bei der FDP.)

    Die SPD kann eine Verfassungsänderung verhindern, ihr Ziel, an die Macht zu kommen, hat sie aber nicht erreicht. Die CDU hingegen hat ihr Ziel, allein die Geschicke der Bundesrepublik zu bestimmen, erreicht und ist auf die Mithilfe keiner anderen Partei, auch nicht der Deutschen Partei, angewiesen. Ihr weiteres Ziel, ein Zweiparteiensystem herauszuarbeiten und auch die FDP zu vernichten, hat sie aber nicht erreicht. Wir sind noch da, aus eigener Kraft und unabhängig nach allen Seiten!
    Es bleibt uns aber in Erinnerung, daß im Anschluß an die Rückgewinnung der Saar vom Palais Schaumburg aus in drei verschiedenen Etappen versucht worden war, die FDP zu vernichten. Zuerst kam das Verlangen einer Unterwerfungserklärung, dann erschien das Grabensystem und zum Schluß die Förderung der Euler-Gruppe bei dem mißlungenen Versuch, die FDP zu spalten.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir sind uns darüber klar, daß diese freundlichen Absichten auch nach diesem Wahlkampf noch bestehen. Der Herr Bundeskanzler wäre deshalb sicherlich sehr überrascht, wenn wir seiner Regierung unser Vertrauen aussprächen.
    Wir wissen auch, daß ein prominentes Mitglied der CDU — ein sehr prominentes Mitglied — den Wunsch geäußert hat, am liebsten keinen FDP-Abgeordneten mehr im Bundestag wiederzutreffen, und es steht die Ankündigung des Herrn Fraktionsvorsitzenden der CDU vom Mai dieses Jahres noch im Raum, das jetzige Wahlrecht als das sogenannte stimmgerechte Wahlrecht durch ein staatsgerechtes Wahlrecht zu ersetzen. Unter dem staatsgerechten Wahlrecht versteht man ein Wahlrecht, nach dem der Kandidat A mit 30 000 Stimmen gewählt ist, auch wenn der Kandidat B 25 000, der Kandidat C 20 000 und der Kandidat D 15 000 Stimmen erlangt haben. Man nennt ein solches Wahlrecht Mehrheitswahlrecht, obwohl es meist nur einer kompakten Minderheit zum Siege verhilft. Man kann mit seiner Hilfe praktisch den gesamten Mittelstand, den selbständigen und den unselbständigen, weil er sich eben nicht in jedem Wahlkreis in großen kompakten Gruppen vorfindet, ausschalten, und man kann dafür denjenigen Gruppen, die entweder z. B. gewerkschaftlich organisiert, aber kompakt in



    Dr. Becker (Hersfeld)

    einer Minderheit vorhanden sind oder die als konfessionell gebundene schlagkräftige und disziplinierte Minderheit vorhanden sind, jeweils mit Hilfe dieser Minderheit zu einem Bundestagsmandat verhelfen.
    Der angebliche Vorteil des Zweiparteiensystems besteht in Wirklichkeit nicht. Wechseln nämlich die beiden Parteien in der Herrschaft miteinander ab, so kann es sich wie in England ereignen, daß unter der Herrschaft der Arbeiterpartei das Verkehrswesen und die Stahlindustrie in die Hand des Staates überführt werden, daß vier Jahre später dann die Konservativen diese Verstaatlichung rückgängig machen und daß nach einem erneuten Wahlsieg der Arbeiterpartei nach abermals vier oder fünf Jahren die gleiche Doktor-Eisenbart-Kur an dem Wirtschaftssystem Englands ausprobiert wird.
    Eine andere Abart des Zweiparteiensystems besteht darin, daß Rot und Schwarz nicht miteinander in der Regierung abwechseln, sondern gemeinsam regieren. Die Macht wird zwischen beiden geteilt, die Pöstchen ebenfalls — wo sie fehlen, werden sie zu diesem Zweck geschaffen —, alles mit dem Erfolg, daß jede innere politische Spannung und jedes politische Leben fehlen. Jeweils zehn Wochen vor den Wahlen beginnen beide Parteien sich zu bekämpfen, um sich dann zwei Wochen nach den Wahlen zum alten Sozietätsverhältnis wieder in die Arme zu fallen.
    Wir sind überzeugt, daß das deutsche Volk weder den Zickzackkurs der ersten Möglichkeit noch die politische Stagnation und das Beutesystem des zweiten Falles wünscht. Eine dritte Kraft muß vorhanden sein. Sie verhindert den Zickzackkurs, sie sichert einen beständigen gleichmäßigen Fortschritt. Andererseits bringt sie neue Gedanken, bringt politische Spannungen und damit politisches Leben.
    Man rühmt endlich am Zweiparteiensystem, daß es einheitliche Parteien schaffe, die zu klaren und schnellen Entschlüssen gelangen könnten. Wir bezweifeln, daß die deutsche Öffentlichkeit von der Bildung dieser Regierung den Eindruck bekommen hat, daß hier eine einheitliche Partei am Werke war und zu klaren und schnellen Entschlüssen gekommen ist. Diese Regierungsbildung war in keiner Weise imponierend. Wo ist z. B. die Fr au Bundesminister geblieben? Welcher Arithmetik ist sie zum Opfer gefallen? Bei der Konkurrenz der Ministrablen und der noch kommenden Staatssekretäre untereinander wurde man oft an Schillers Vers erinnert: Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, umschwärmten sie alle den Herrn der Bonner Welt.
    Besonders interessant war das Schäffer-Spiel. Einerseits wollte man Herrn Schäffer, obwohl man ihn bei den Wahlen noch überall als Hüter der Währung plakatiert hatte, als Finanzminister nicht mehr haben. Andererseits aber mußte verhindert werden, daß er, ohne Minister zu sein, als Sprecher der CSU hier im Parlament etwa seinen Nachfolger kritisieren könnte. Er mußte also irgendwie in die Zucht des Kabinetts genommen werden. Und
    schließlich mußte auch verhindert werden, daß er etwa, fern von Bonn, in einem politischen Münchener Sinfonieorchester die erste Geige spielte.

    (Heiterkeit.)

    Das alles war schon schwierig, und man muß immer wieder die Geschicklichkeit des Herrn Bundeskanzlers bewundern, mit der er, wenn auch unter Zeitaufwand, diese Schwierigkeiten gelöst, diesen Balanceakt durchgeführt hat. Es war offenbar der Herr Bundeskanzler gemeint, als unser verehrter Kollege Dr. Krone vorhin im Eingang seiner Ausführungen einmal von Jongleurakten gesprochen hat.

    (Heiterkeit. — Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Wir alle wünschen, daß die früheren Differenzen zwischen Wirtschaftsministerium und Finanzministerium wegfallen. Es scheint auch so.

    (Heiterkeit.)

    Vielleicht wirkt der Herr Bundesschatzminister ausgleichend.
    Zum Schluß mußte dann zur Lösung der letzten Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung noch die konfessionelle Arithmetik herhalten. War das wirklich alles eine Empfehlung des Zweiparteiensystems? In der Zeitschrift „Neues Abendland" 2. Quartal 2. Heft 1957 gibt Herr Roegele, Chefredakteur des „Rheinischen Merkur", auf Seite 100 folgendes Rezept für eine Regierungsführung. Er schreibt:
    Vier Jahre gesicherte Herrschaft geben einer tatkräftigen, entschlossenen und von Skrupeln nicht geplagten
    — ich wiederhole: von Skrupeln nicht geplagten —
    Parteiführung zahlreiche Möglichkeiten, auch die Voraussetzungen für den nächsten Wahlsieg zu schaffen.
    Der Herr Bundeskanzler hat zu dem genannten Heft dieser Zeitschrift eine empfehlende Vorrede geschrieben.

    (Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Bezeichnend!)

    Nach unserer Auffassung gilt ein anderes Gesetz, und ich glaube, Herr Kollege Krone hat dem vorhin schon Ausdruck gegeben. Er sprach davon, daß seine Partei die Hüterin der Freiheit und der Demokratie sein werde. Wir nehmen das Wort an und glauben, daß damit auch seine Ankündigung auf dem Hamburger Parteitag über die Ersetzung des stimmgerechten Wahlrechts durch ein staatsgerechtes nunmehr zurückgenommen ist. Denn, meine Damen und Herren, nach unserer Ansicht gilt in der Demokratie das Gesetz, daß sich im politischen Kampf die bisher siegreiche Partei der Kritik der Wähler und der Neuwahl nach vier Jahren unter den gleichen Bedingungen, d. h. dem gleichen Wahlrecht zu stellen hat, mit dem sie an die Macht gekommen ist. Nur das ist gerecht und loyal. Das Gegenteil könnte der Staatsstreich, könnte der Weg zur Diktatur sein. Aber wir nehmen das Wort des



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Herrn Krone an und werden uns in der Zukunft danach richten und ihn daran festhalten.
    Nun zur Regierungserklärung, also zur Eröffnungsbilanz! Die Freien Demokraten werden frei von jedem Ressentiment an die politische Arbeit herangehen. Wir sind eine Oppositionspartei, aber als solche ungebunden nach allen Seiten. Wir werden die Opposition nicht um der Opposition willen treiben, sondern nur da, wo es nötig ist, wie überhaupt der Leitstern für unsere politische Arbeit das Interesse des deutschen Volks, seine Zukunft und die freiheitliche Gestaltung seiner Institutionen und seines Lebens sein wird. Unser Grundsatz ist — ich begehe jetzt kein Plagiat an Herrn Krone —: Soviel Freiheit als möglich, sowenig Staat als möglich. Ich habe mich sehr gefreut, als auch Herr Krone diesen Satz zitierte. Er stammt nämlich aus dem Berliner Programm der Freien Demokratischen Partei.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir unsererseits setzen die Freiheit gegen die Staatsallmacht, und unter Demokratie verstehen wir die Demokratie, in der Gründe und Gegengründe vor der Öffentlichkeit ausgetauscht, miteinander diskutiert werden und in der an den Verstand appelliert wird. Allein an die materiellen Instinkte der Bevölkerung zu appellieren, sie in Angst und Bangen vor einer eingebildeten oder vergröberten Gefahr zu versetzen und dann als Rettung einen Mann oder eine Doktrin als unfehlbaren Führer, als unfehlbare Medizin anzupreisen, das ist gefährlich. Die Demokratie kann dann in Massenherrschaft umschlagen.
    Die Demokratie wird auch nicht dadurch gerettet — Herr Ollenhauer wird die Bemerkung verzeihen, die ich jetzt mache —, daß man dem Führer einer Oppositionspartei durch Zahlung eines Gehalts eine halbamtliche Stellung zu geben versucht. Eine solche Maßnahme würde in der Öffentlichkeit nur einen sehr peinlichen Eindruck machen.
    Wir wünschen eine echte Pressefreiheit, eine echte Unabhängigkeit der Presse, und wir glauben mit diesem dringenden Wunsch auch ohne nähere Erörterungen verstanden zu werden.
    Wir wünschen eint saubere und unbestechliche Verwaltung. Wir wünschen, daß da, wo irgendwie und irgendwann gefehlt ist, mit aller Schärfe und sofort eingeschritten wird. Peinliche Prozesse sollten schnell und ohne Rücksicht auf die beteiligten Personen entschieden werden. Den Gerichten muß die Möglichkeit gegeben werden, unabhängig und schnell zu entscheiden. Das Funktionieren der Gerichte darf nicht — hier unterstreiche ich, was Herr Ollenhauer gesagt hat — durch die Verweigerung von Aussagegenehmigungen behindert werden. Wir wünschen andererseits auch, daß der Staat sich schützend vor seine zu Unrecht angegriffenen Beamten stellt. Und noch eins: die Autorität des Staates und des Ministers wird nicht durch großes Gepolter begründet und gestärkt; echte Autorität wirkt durch sich selbst — auch gegenüber Uniformen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir wollen eine freiheitliche Demokratie, d. h. sowenig Gesetze, sowenig Fragebogen, sowenig Genehmigungen wie möglich, aber soviel Freiheit für den einzelnen wie möglich. Wenn Gesetze und Verordnungen, wenn Paragraphen und Fragebogen glücklich machen könnten, wäre das deutsche Volk das glücklichste auf der Welt. Ein Beispiel: Wenn jemand bauen will, braucht er, nur um den Bauplatz zu bekommen, erstens eine Genehmigung der Preisstelle wegen des immer noch bestehenden Preisstopps für unbebaute Grundstücke — helfen Sie uns mit, ihn zu beseitigen! —; die Genehmigungen werden dann erteilt, wenn der wirkliche, der echte Preis verheimlicht und im Vertrag ein falscher, nämlich zu niedriger Preis genannt wird. Die Preisstellen selbst, die Finanzämter, Notare, Grundbuchämter und Grundstücksmakler wissen, wie hier geschwindelt wird. Auf der Grundlage dieses Schwindels beweisen dann die Statistiken der Preisstellen nach oben bis in die Ministerien hinein, daß angeblich kein anderer Preis als der von 1936 je und je gezahlt wird. Selbstverständlich kostet die Genehmigung des falschen Preises auch noch eine Gebühr. Zweitens braucht der Baulustige eine sogenannte Wohnsiedlungsgenehmigung nach dem Gesetz vom 22. 9. 1933, einem Nazigesetz. Drittens braucht er, wenn das Grundstück aus landwirtschaftlichem Besitz stammt, die Genehmigung des Kreislandwirts- oder Bauerngerichts, mit Gebühr, dann die Genehmigung des Entschuldungsamtes, falls der verkaufende Landwirt vor 25 Jahren mal im Entschuldungsverfahren war, diesmal ohne Gebühr. Dann noch die Genehmigungen oder Bescheinigungen, welche die sogenannten Aufbaugesetze der einzelner. Länder vorgesehen haben, — teils mit, teils ohne Gebühr. Das bedeutet, daß ein Baulustiger, der ohne diesen Genehmigungsunfug, wenn er sein Grundstück im März gekauft hat, sofort mit dem Bau hätte beginnen könen, jetzt nicht im März, sondern frühestens im August mit dem Ausschachten beginnen kann.
    Werden Sie, sehr verehrter Herr Wohnungsbauminister, das ändern?

    (Zurufe.)

    — Die Herren sind schon wieder weg. — Und dann noch ein Frage an die Herren Landesfinanzminister, die vorhin wohl noch hier waren: Werden diese Herren dem Herrn Wohnungsbauminister helfen, diesen Genehmigungsunfug, insbesondere den Preisstopp, zu beseitigen, damit Käufer und Verkäufer wieder ehrlich und die Preisangaben wieder wahr werden, dann gleichzeitig aber ihrerseits damit einverstanden sein, die Grunderwerbsteuer von 7 % auf 3 oder 4 % herabzusetzen? Die Länder und die Gemeinden erhalten dann im Ergebnis nämlich mehr Grunderwerbsteuer als bei dem heutigen Schwindelsystem.
    Weil ich gerade vom Bauen spreche: Kann der Herr Wohnungsbauminister dafür sorgen, daß die Landesbaudarlehen schneller ausgezahlt werden und die Bauherren und die Handwerker schneller zu ihrem Geld kommen? Noch etwas möchten wir wissen: Wieviel Steuergelder sind eigentlich im Laufe der vergangenen Jahre aus der Hand der Steuerzahler als Baugeld in die öffentliche Hand



    Dr. Becker (Hersfeld)

    gekommen? Wieviel ist davon noch da? Wer verwaltet es? Wer ist der Eigentümer dieser ausgeliehenen Hypotheken? Wieviel Zinsen bringen diese Kapitalien? In welchen Haushalten erscheinen die angesammelten Summen? Wann kommen sie wieder in die private Hand zurück? Und ferner: Wieviel Prozent dieser Summen sind schon verloren?
    Wenn wir hier Gesetze machen — es ist mit Recht gesagt worden, daß wir viel zu viele Gesetze hätten; aber dann wollen wir einmal praktische Beispiele bringen; ich habe eines —, sollten an die Spitze eines jeden Gesetzgebungswerks auch bei den Verhandlungen hier im Hause folgende Fragen gestellt werden: erstens eine Feststellung, welche neuen Behörden durch dieses neu zu schaffende Gesetz notwendig werden, zweitens, was die Durchführung dieses Gesetzes insbesondere zu Lasten der Gemeinden, die immer damit belastet werden, eigentlich kosten wird, und schließlich, welche weiteren Ausgaben das Gesetz den davon betroffenen Bürgern im Einzelfall auferlegt. Erst wenn das feststeht und dann trotzdem noch die Notwendigkeit des Gesetzes zu bejahen ist, sollte man an die Ausarbeitung eines solchen Gesetzes gehen.
    Auch der Bundestag hat das Recht der Gesetzgebungsinitiative. Er kann von sich aus Gesetzentwürfe einbringen. Es ist nun ein beliebter Sport in diesem Hause geworden, statt ausgearbeiteter Gesetzentwürfe einen schnell hingeschriebenen Antrag einzubringen, die Regierung möge ein Gesetz über diesen oder jenen Punkt einbringen. Zur Entschuldigung muß gesagt werden, daß der Bundestag und jeder einzelne Bundestagsabgeordnete nicht entfernt die Hilfsmittel zur Verfügung haben, die der Regierung, den Ministerien für solche Fälle zur Verfügung stehen. Wiederholt haben wir wegen einer Abänderung verhandelt. Solche Anträge sind insofern nützlich, als sie die Regierung zwingen, sich dahin zu äußern, ob ein Gesetz dieses Inhalts geplant ist oder nicht. Dabei sollte man es aber belassen, d. h. man sollte solche Anträge in diesem Hause nur als Kleine Anfragen behandeln. Dann spart dieses Haus sehr viel Zeit. Wichtigere Dinge könnten sofort in Form eines ausgearbeiteten Gesetzentwurfs eingebracht werden. Denn wie der Minister in der Hauptsache Ideen haben, aber nicht Paragraphen schustern soll, so sollte auch der Bundestag nicht in der Hauptsache Paragraphen fabrizieren,_ sondern seinerseits Anregungen bringen, politische Linien untereinander und mit der Regierung ausarbeiten und seine Kontrollaufgabe mehr als bisher wahrnehmen.
    Der Herr Bundeskanzler hat seine Ausführungen in der Regierungserklärung mit der Bitte an das Hohe Haus um Hilfe geschlossen. Wir sind durchaus bereit, helfend mitzuarbeiten, wollen aber, um Mißverständnisse zu vermeiden, hervorheben, daß Träger der Souveranität der Bundesrepublik das Volk und als sein Repräsentant dieses Hohe Haus ist. Der Wille des Volkes ist und bleibt entscheidend.
    Ich sprach davon, daß man unverschleierte Bilanzen sehen möchte. Die Eröffnungsbilanz, d. h. die Regierungserklärung, läßt nicht erkennen, wie wir
    mit den Finanzen stehen. Wir fragen: Wie hoch wird die Haushaltssumme des neuen Haushaltsjahres? Wie hoch wird auch das Defizit sein? Wird es überhaupt eins geben? Sind noch Reserven im Juliusturm? Sind noch Reserven in noch nicht angeforderten Steuern vorhanden? Und durch welche Sparmaßnahmen gedenkt die Regierung ein Defizit zu vermeiden?
    Diese Generalfrage vorausgeschickt, meine Damen und Herren, möchte ich nun zu den einzelnen Positionen der Regierungseröffnungsbilanz Stellung nehmen. Ich spreche zunächst zur Außenpolitik. Im Wahlkampf und schon vorher haben wir Freien Demokraten das Verlangen geäußert, es möchten in allseitigem Zusammenwirken von Regierung und Opposition die Grundlagen einer gemeinsamen Außenpolitik erarbeitet werden. Die Regierungserklärung nimmt diesen Wunsch auf. Wir sind bereit, an allen Fragen der Außenpolitik mitzuarbeiten. Das ist nicht so zu verstehen, daß wir all dem, was der Herr Bundeskanzler als seine Außenpolitik in der Regierungserklärung schon voraus vorgetragen hat, unbesehen zustimmten. Die gemeinsame Arbeit muß darin bestehen, daß die Regierung das, was sie weiß, z. B. ihre Kenntnisse aus den Berichten der Botschafter, aus den verschiedenen Vorschlägen, die aus den USA über die zu verfolgenden Strategien hierhergekommen sind, über die Auswirkung der epochalen technischen Fortschritte der Sowjetunion, einem vertraulichen Zirkel, aus allen Parteien dieses Hauses bestehend, zur Kenntnis bringt. Dort sollte dann ein Austausch der Ideen und Meinungen stattfinden. Die bisher im Auswärtigen Ausschuß praktizierte Methode war meiner Ansicht nach sehr unzulänglich. Das was uns dort von der Regierung als vertraulich mitgeteilt wurde, hatten wir vorher in der Inlandspresse, bestimmt in der Auslandspresse schon gelesen gehabt, und ein echter Meinungsaustausch wurde durch ein dürftiges Frage- und Antwortspiel ersetzt. Das kann nicht befriedigen, und das kann auch nicht so bleiben.
    In diesem internen Zirkel wird es uns interessieren, zu erfahren, welche Konzeption die Regierung für die Durchführung der Wiedervereinigung eigentlich hat, ob sie eine hat und ob sie in der Lage ist oder schon gewesen ist, den Mächten des Westens einen Plan zur Wiedervereinigung vorzutragen. Denn irgend etwas muß sie sich nach dieser Richtung schon einfallen lassen.
    In der Erwartung, daß sich eine solche Zusammenarbeit ermöglichen läßt, in der Erwartung, daß diese Zusammenarbeit eine gemeinsame Grundlage für die Führung unserer Außenpolitik bringt, möchten wir uns für diesen Augenblick nur auf die Feststellung weniger Punkte, die für die Außenpolitik bedeutsam sind, beschränken.
    Zunächst: Nach unserer Auffassung sollte unsere Außenpolitik geschmeidiger, wendiger und geräuschloser sein. Es ist nicht nötig, daß wir unsererseits sofort zu jedem Ereignis irgendwo in der Welt ungefragt Stellung nehmen. Es ist nicht richtig, sich selbst feste Dogmen zu geben und diese auch noch öffentlich zu plakatieren. Man legt sich



    Dr. Becker (Hersfeld)

    nicht selbst Fesseln an, und man sagt in der Politik niemals: niemals.
    Eine größere Zurückhaltung in Äußerungen über andere Mächte ist — dies sei übrigens auch an die Adresse anderer Minister gesagt — sehr anzuraten. Unbedachte, donnernde Worte im Wahlkampf können sich zwar am Wahltag durch höhere Stimmenzahl scheinbar bezahlt machen; die wirkliche Zeche bezahlt aber nach den Wahlen das ganze Volk.
    Nachdem die FDP ihre Auffassung zur Frage des Abbruchs der Beziehungen zu Belgrad schon im Auswärtigen Ausschuß geäußert hat, hoffen wir, daß die endgültige Erledigung dieser Frage bald in dem vorgeschlagenen Aussprachegremium zur Debatte gestellt wird. Es kommt uns nun darauf an, nicht in der Vergangenheit zu wühlen, sondern für die Zukunft die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Auf gut deutsch — ich bitte, einmal einen trivialen Ausdruck zu entschuldigen —: Wir wollen mithelfen, die Kuh vom Eis zu bringen.
    Und weiter: Wir wollen immer beachtet sehen, daß die Bundesrepublik nur ein Teil Deutschlands, insoweit also nur ein Provisorium ist, daß ein wirklicher deutscher Staat erst dann entsteht, wenn das deutsche Volk in ihm wiedervereinigt und Berlin seine Hauptstadt ist. Alle unsere Arbeit sollte auf dieses Endziel abgestellt sein.
    Vorhin war von einem Nationalismus die Rede, der sich in den Liberalismus geflüchtet habe. Ach, meine Damen und Herren. wenn man diese Politik der Wiedervereinigung etwa diffamierend ,,nationalistisch" nennen will — bitte schön, meine Herren, was ist denn dann national? Ich sage Ihnen eins: wenn es je eine nationale Frage gegeben hat, dann war es die Wiedervereinigung für Deutschland, die im Westen und die im Osten!

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Ferner: Unsere vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Westen sind loyal einzuhalten. Mit dem Rücken angelehnt an unsere Verbündeten im Westen schauen wir Deutsche nach Osten mit gespannten Sinnen, aber auch mit ruhiger Gelassenheit.
    Weiterhin sage ich für die, die das Berliner Programm der Freien Demokraten vielleicht nicht vollständig gelesen haben, noch folgendes. In Ziffer 8 des Berliner Programms unserer Partei heißt es:
    Wer die Freiheit für sich und sein Volk will, erkennt sie auch für die anderen Völker an. Wir sind bereit, unsere Freiheit mit allen Kräften zu verteidigen. Die FDP bejaht daher eine Wehrpolitik, die der politischen und geographischen Lage der Bundesrepublik, den militärischen Gegebenheiten und der Entwicklung der Rüstungstechnik entspricht.
    Das werden wir befolgen. Wir warnen aber vor Panik. Künstliche Monde zwingen ja wohl jeden zur Hochachtung vor denen, die sie erfunden und hergestellt haben; sie werfen aber meiner persönlichen Ansicht nach das atomare Gleichgewicht hier auf unserer Erde mindestens im Augenblick noch nicht um. Hitler glaubte einst, dd er mit dem
    Besitz der modernsten Panzerdivisionen und StukaFlieger den Sieg in der Hand halte. Er schlug deshalb 1939 los, brachte uns aber nur ins Verderben. Wir haben die Hoffnung, daß die Herren im Kreml, auch wenn sie sich rüstungstechnisch etwa in der Vorhand glauben sollten, klüger sind, als es Hitler war. Wir glauben das gleiche ohne weiteres vom Pentagon und glauben ebenso, daß die SuezErfahrungen des vergangenen Herbstes auch andere Staaten beeindruckt haben.
    Und endlich: Meine Altersgenossen haben noch die Jahre vor dem ersten Weltkrieg wachen Auges miterlebt. Auch damals Steigerung der Rüstungen auf beiden Seiten. Jeder Rüstungsfortschritt auf der einen Seite mußte von der anderen Seite ausgeglichen werden. Auch damals Reden, aufgeregte Reden, die als Drohungen aufgefaßt wurden, obwohl sie nicht immer so gemeint waren. Auch damals das Gefühl, durch eine übermächtige Konstellation eingekreist zu sein. Auch damals die Bildung zweier Blöcke, des Dreibundes und der Triple-Entente, und dann kam das Attentat von Serajewo und kam der 1. August 1914. Die Zeitumstände von heute erinnern manchmal in beängstigender Weise an die Zeiten von damals.
    Es bleibt die Hoffnung, daß die führenden Männer in allen Staaten Ruhe und Vernunft bewahren. Wenn aber diese Hoffnung auf Bewahrung von Ruhe und Vernunft begründet ist, dann doch nun die folgende Frage: Wie lange soll dieser Zustand der drohenden Reden, der gegenseitigen Rüstungssteigerung, der Sammlung in zwei feindlichen Blöcken, wie lange soll dieser Kalte Krieg eigentlich noch dauern? Zwei Jahre, fünf Jahre, zehn Jahre, zwanzig Jahre? Und dann? — Was dann? Worauf wartet man? Etwa auf ein Wunder? Sollte die derzeitige Politik, die auf jeden Sputnik einen anderthalben setzen möchte, wirklich das Ende aller Weisheit sein? Diese Frage richtet sich an alle, die es angeht, auch und insbesondere an den Osten.
    Daran knüpft sich die weitere Frage: Gibt es neben Politikern auch noch Staatsmänner auf dieser Erde, Staatsmänner, die diesen Namen verdienen, Staatsmänner, die den Weitblick und die Autorität haben, um es unternehmen zu können, den unheildrohenden Circulus vitiosus, diesen scheinbar ausweglosen Zauberkreis zu durchbrechen und aus ihm herauszuführen?
    Mit der Regierung begrüßen wir deshalb die Abrüstungsverhandlungen, die in Gang gekommen sind und in Gang gehalten werden müssen.
    Schwierig wird die Frage der Kontrolle einer Abrüstung sein. Die Kontrolle wird aber weniger nötig und ihre vertragliche Festlegung und ihre Durchführung wird weniger schwierig sein, wenn es gelingt, im Anschluß an die mehr militärtechnische Frage der Abrüstung das allseitige Mißtrauen zu beseitigen. Dies ist unserer Auffassung nach nur möglich, wenn die Differenzen, die sich über den ganzen Erdteil erstrecken — Korea, Vietnam, Suez, Mittelost, das geteilte Deutschland und gespaltene Europa —, im Anschluß an eine solche Abrüstungsvereinbarung gelöst werden,



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Wir hoffen, in den auch von uns begrüßten und mitangestrebten laufenden Aussprachen zwischen Parlament und Regierung zu erfahren, ob sie eine Ostpolitik in diesem Sinne mittreiben will und welcher Art sie sein soll. Die Regierungserklärungen der letzten Wochen hierzu waren widerspruchsvoll. Zwischenzeitlich empfehlen wir aber der Regierung das Studium jener Politik, die vor etwa 30 Jahren Gustav Stresemann so erfolgreich durchgeführt hat.
    Nun zur Wirtschaftspolitik. Im Frankfurter Wirtschaftsrat 1948 waren die Freien Demokraten die Kerntruppe, die zusammen mit dem Herrn Bundesminister Erhard die Zwangs- und Planwirtschaft beseitigt, eine freie Wirtschaft eingeführt hat. Wir haben sie durchgeführt und durchgehalten, auch wenn Perioden der Anfechtung, des Zweifels an ihr, der Versuchung, die berühmten in den Plakaten so abgeleugneten Experimente zu machen, insbesondere aus Kreisen der CDU, kamen, wie z. B. 1950/51. Wir werden diese Politik weiterführen, auch wenn etwa durch eine im Hintergrund immer vorhandene Koalition zwischen Rot und Schwarz Experimente gegen diese Politik versucht werden sollten.

    (Abg. Wehner: Ihre Opposition mit Rabatt!)

    Wir lehnen unsererseits alle marxistischen und sozialistischen Experimente ab. Wir haben deshalb auch dem Gesetz vom 24. Dezember 1956 — es ist noch gar nicht lange her — nicht zugestimmt, welches der Bundesregierung — auch einer SPD-Regierung — mit den Stimmen der CDU die Macht gegeben hätte, im Wege der einfachen Rechtsverordnung Zwangs- und Planwirtschaft auf dem gewerblichen Sektor wieder einzuführen. Wir lehnen auch jede mittelbare Kollektivierung, mit anderen Worten, wir lehnen jeden Staatskapitalismus ab, weil er im Endergebnis zu den gleichen schädlichen Folgen führt wie eine unmittelbare Verstaatlichung.
    In den vergangenen Jahren war es immer hochinteressant, hier die Debatten über die Grundsätze der Wirtschaftspolitik, über die Frage der Verstaatlichung, der Sozialisierung und was alles damit zusammenhängt, zu verfolgen. Wir haben heute eigentlich fast nichts davon gehört, und ich frage mich nur immer wieder, ob das Schweigen zu diesem Punkte vieldeutig oder eindeutig war.
    Für die Urproduktion, nämlich den Bergbau und die Landwirtschaft, wird in einigen Punkten eine von der freien Marktwirtschaft abweichende Regelung Platz greifen müssen, weil eben die Gegebenheiten dort verschieden sind. Wir fragen die Bundesregierung — um vom Bergbau zu sprechen —, ob es richtig ist, daß der Bergbau schon vor den Wahlen eine Preiserhöhung angekündigt hat und welche Rechtsgrundlagen die Regierung hat, um sich in Verhandlungen hierüber einschalten zu können, ferner ob die Begründung der Preiserhöhung richtig und gerechtfertigt ist oder nicht, und wir fragen weiter, wie weit es mit der Durchführung des Kartellgesetzes steht.
    Was die Landwirtschaft betrifft, so sind die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers für die Landwirte — nach Ansicht meiner Freunde in unserer
    Fraktion — sehr enttäuschend. Seit seinen Rhöndorfer Versprechungen hat der Herr Bundeskanzler sich wiederholt zu der Lage der Landwirtschaft geäußert. Das, was er jetzt gesagt hat, ist unverbindlich und bringt keine neuen Gesichtspunkte, enthält insbesondere — trotz Anwesenheit und Mitgliedschaft fast aller Bauernverbandspräsidenten in der Fraktion der CDU — keine Stellungnahme zu den von den Bauernverbänden sehr oft geäußerten Wünschen. Was bedeutet z. B. der Hinweis in der Regierungserklärung darauf, daß die im Landwirtschaftsgesetz festgelegten Grundlinien sich bewährt haben, wenn insbesondere der § 1 dieses Gesetzes über die Beseitigung der Disparität mit Mitteln der Handels- und Kreditpolitik nicht ausreichend zur Anwendung gelangt? Die Handelspolitik, die Einfuhrpolitik war — Herr Staatssekretär Sonnemann selbst ist dafür Zeuge — für die Landwirtschaft schädlich; Einsparungen oder Verbilligungen der Produktionsmittel zugunsten der Landwirtschaft konnten im Haushalt der Landwirtschaft diesen Schaden nicht wieder ausgleichen. Die Landwirtschaft war im Gegensatz zur industriellen Wirtschaft nicht in der Lage, die notwendigen und erwünschten Investitionen über den Preis zu finanzieren. Die Folge für die Landwirtschaft war steigende Verschuldung. Wir fragen, ob nicht geplant ist, der Landwirtschaft Investitionshilfe zu gewähren; wann und wie? Es ist bekannt, daß die Erzeugerpreise in der Landwirtschaft auf entscheidenden Gebieten nach wie vor niedriger liegen als noch 1950/51 und daß die Landwirtschaft an den trotzdem sehr erheblich gestiegenen Verbraucherpreisen nicht teilhat. Die Landwirtschaft hat deshalb von sich aus und durch ihre Verbände den kostendeckenden Preis gefordert. Wenn die Regierungserklärung in Verbindung mit der Tatsache, daß der bisherige Herr Minister für Ernährung und Landwirtschaft nicht ausgewechselt ist, einen Sinn haben soll, dann doch den, daß der von der Landwirtschaft geforderte kostendeckende Preis nicht herbeigeführt werden soll, daß vielmehr das bisherige Programm des Herrn Ministers Dr. Lübke weitergeführt werden soll. Die Krise in der Landwirtschaft ist im wesentlichen keine Folge einer falschen Agrarstruktur — im wesentlichen —, sondern die Folge einer falschen Agrarpolitik. Die Beseitigung struktureller Mängel in der deutschen Landwirtschaft würde selbstverständlich auch von uns begrüßt werden. Solange aber auch heute strukturell gesunde und gut bewirtschaftete Betriebe noch hinter der allgemeinwirtschaftlichen Entwicklung zurückbleiben, ja noch obendrein verschulden, ist eine solche Agrarpolitik unserer Auffassung nach nicht in Ordnung. Es nützt auch nichts, meine Damen und Herren, alle vier Jahre die durch nichts mehr zu rechtfertigende Überlastung der Bäuerin mit bewegten Worten zu schildern, von der Unzulänglichkeit der Landarbeiterlöhne und der daraus resultierenden Landflucht zu sprechen, wenn deren Ursachen nicht beseitigt werden.
    Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß er für gute Ratschläge dankbar sei. Wir verweisen unsererseits auf die zahlreichen Vorschläge und Ausarbeitungen gerade der Bauernverbände und wir



    Dr. Becker (Hersfeld)

    verweisen auch auf die Anträge, die von der FDP-Fraktion schon in der vergangenen Session gestellt wurden. Sie enthalten das Material, nach dem der Herr Bundeskanzler gefragt hat. Eine Agrarpolitik, die sich darin erschöpft, einen großen und für die Nation lebensnotwendigen Berufsstand dauernd von Subventionen abhängig zu machen, ist in ihrem Kern falsch.
    Während des Wahlkampfes hat die CDU ein neues Agrarprogramm veröffentlicht; wenigstens stand es in der Presse. Dessen Kern war der kostendeckende Preis. Die Regierungsvorlage kündigt eine davon abweichende Stellungnahme an: Wir fragen, was nun in der Zukunft eigentlich für die Landwirtschaft gelten soll: die Versprechungen in der Wahlzeit oder die Fortsetzung des Programms des Herrn Lübke? Wir fragen auch, welche Politik die Herren Vertreter der Bauernverbände, die Mitglieder der CDU-Fraktion sind, nun ihrerseits billigen werden.
    Wir sind andererseits mit der Regierung der Auffassung, daß Eigentum in weitem Maße, nicht nur auf dem Gebiet der Landwirtschaft, neugebildet werden soll. Die Neubildung von Eigentum hat aber zur Voraussetzung, daß zunächst das bestehende Eigentum erhalten bleibt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ein Stiefkind der Wirtschaftspolitik ist der gewerbliche und kaufmännische, auch der freiberufliche Mittelstand. Wir lenken die Aufmerksamkeit der Bundesregierung wiederholt auf diese Tatsache, auch auf die Unruhe und Unzufriedenheit, die sich dieserhalb aller mittelständischen Kreise, auch der des unselbständigen Mittelstandes bemächtigt hat. Wir glauben, daß insbesondere auf steuerlichem Gebiet hier der Hebel anzusetzen ist. Ich werde deshalb bei der Erörterung der Finanz- und Steuerpolitik noch darauf zu sprechen kommen.
    Nun noch ein Wort zur Saar. Die Übergangszeit an der Saar schafft schwierige Verhältnisse. Die Frankenabwertung vermehrt die Schwierigkeit dieser Verhältnisse. Wir bitten die Regierung dringend, sich mit großer Aufgeschlossenheit auch dieser Dinge anzunehmen, und zwar im Einvernehmen mit der Regierung des Saarlandes.

    (Sehr wahr! bei der FDP.)

    Nun zur Steuer- und Finanzpolitik. Von unserem freiheitlichen Standpunkt aus muß der Grundsatz einer jeden Steuer- und Finanzpolitik der sein, den Staat, überhaupt jede öffentliche Körperschaft, sobald deren Existenzminimum gesichert ist, knappzuhalten und dafür die Bürger des Staates zu Wohlstand gelangen zu lassen und nicht umgekehrt. Wenn die öffentliche Hand zu viel Geld hat — siehe Juliusturm —, wird es nur ausgegeben, und erst recht dann, wenn Wahlen in Sicht sind. Jeder öffentliche Haushalt muß am Rande des Defizits wandeln; dann wird es richtig.
    Wir wiederholen unsere Forderung nach Einführung der Bundesfinanzverwaltung. Eine Einsparung einerseits und, bei grundsätzlicher Niedrighaltung der Steuersätze, ein Mehraufkommen andererseits sind dadurch gewährleistet.
    Es muß festgestellt werden, ob nicht Ausgaben, die außerordentlicher Art sind, z. B. Umgestaltung und Ausbau der Autobahnen und der Bundesstraßen, auch der Bau von Kasernen, auf dem Anleihewege statt durch Steuern finanziert werden können. Nach dem ersten Weltkrieg bzw. nach der ersten Inflation ist der Straßenausbau in den einschlägigen Provinzen Preußens, z. B. in meiner Heimat, mit Erfolg über den Anleiheweg durchgeführt worden. Wird dieser Weg gewählt, dann hat die Generation, die durch Krieg und Kriegsfolgen finanziell schon besonders stark mitgenommen wurde, für solche Ausgaben jeweils nur Zinsen und Abträge aufzubringen. Der Einwand, es sei kein Kapitalmarkt vorhanden, kann demgegenüber nicht durchschlagen. Wenn die Steuerschraube nicht so übermäßig angedreht würde und wenn nicht die Abgaben aller anderen Art, z. B. auch die hohen Sozialabgaben, am Einkommen zehrten, würde sich allmählich auch ein Kapitalmarkt bilden können.
    Außerdem besitzt der Bund recht beträchtliche Vermögenswerte. Der Bund möge sie auf dem Wege der Reprivatisierung zu Geld machen. Mir fällt ein: In Richard Wagners Oper „Siegfried" ruft der in einen Lindwurm verwandelte Fafner, der auf seinem Nibelungenhort hütend sitzt, dem anstürmenden Siegfried entgegen: „Hier liege ich und besitze, laß mich schlafen!"
    Herr Kollege Ollenhauer hat davon gesprochen, daß er gegen eine Verwirtschaftung des Bundesvermögens sei. Meine politischen Freunde, die mit dem neuen Herrn Bundesminister Lindrath in den letzten vier Jahren zusammengearbeitet haben, sind der Hoffnung, daß dieser aus der Praxis kommende Herr Mittel und Wege finden wird, diese Schätze des Bundes zu mobilisieren, Bundeseigentum soweit als möglich zu reprivatisieren und dann mit dem Erlös den zuvor angedeuteten Straßen- und Autobahnausbau und Kasernenbau auf dem Wege des außerordentlichen Etats zu finanzieren.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir brauchen dann sogar noch nicht einmal Zinsen und Abträge aufzubringen. Vielleicht wird der Herr Bundesschatzminister — beinahe hätte ich „Bundesschatzmeister" gesagt, ich bitte um Entschuldigung — Gelegenheit nehmen, auch seinerseits den zuvor von mir an den Herrn Wohnungsbauminister gerichteten Fragen nachzugehen, nämlich nach Höhe und Verbleib der Gelder, die aus der privaten Hand über den Steuerfiskus in die tote Hand im Wege von Landesbaudarlehen für Hypotheken usw. gelangt sind.
    Zur Einkommen- und Körperschaftsteuer noch folgende Einzelwünsche. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mit konkreten Dingen komme; ich möchte das, was in der Regierungserklärung alles fehlt, hier ein bißchen nachholen.
    Erstens: Wann wird das von uns schon immer geforderte und durch die bekannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig gewordene gerechte Ehegattenbesteuerungsgesetz kommen? Bei dessen Fassung ist zu beachten, daß nach dem Gleichberechtigungsgesetz zivilrechtlich ein Aus-



    Dr. Becker (Hersfeld)

    gleich des Ehegewinns als Grundsatz angenommen ist, daß also zivilrechtlich gesehen das Einkommen eines jeden Ehegatten zu einem gewissen Bruchteil als Einkommen des anderen gewertet wird. Es ist also nicht so, daß nur dann, wenn beide Ehegatten berufstätig sind, sondern es ist so, daß für alle Ehen eine derartige Aufspaltung des Einkommens vorgenommen werden muß und daß dann selbstverständlich auch der jedem Steuerpflichtigen zustehende allgemeine Freibetrag jedem Ehegatten zustehen muß.
    Ferner: Kann man nicht wieder die Besteuerung nach dem dreijährigen Durchschnitt einführen, d. h. nach dem Durchschnitt der jeweils drei letzten Jahre, so wie es in dem Steuersystem Miquel vorbildlich vorgesehen war und funktioniert hat? Der Vorteil liegt auf beiden Seiten, sowohl für den Staat wie für den Steuerpflichtigen und hier insbesondere für die Mittelstandskreise.
    Weiter: Wir haben in der Vergangenheit eine lineare Herabsetzung der Einkommen- und Lohnsteuer gefordert, jedoch ohne Erfolg. Zu unserer Überraschung lasen wir während des Wahlkampfes, daß das Bundesfinanzministerium nunmehr eine „große" Steuerreform ausarbeite und als deren Kernstück eine Herabsetzung der Einkommen- und Lohnsteuer um 10 % plane. Sind diese Berichte richtig? Waren sie richtig? Sind sie etwa überholt? Besteht die Absicht, dann die Frage: Warum konnte sie dann nicht schon im vergangenen Bundestag, wo die Mehrheitsverhältnisse ähnlich waren, durchgeführt werden? Soll die nunmehr in eine sogenannte „echte" Steuerreform umgetaufte Steueränderung auch diese lineare Herabsetzung bringen oder nicht? Der Mittelstand hat sie besonders nötig, um Eigenkapital bilden und teure Kredite vermindern zu können.
    Eine Kleinigkeit noch. Warum hat z. B. der Versicherungsnehmer in der privaten Kranken-, in der privaten Unfall-, in der privaten Lebensversicherung eine Versicherungsteuer zu zahlen, die bei der Sozialversicherung — mit Recht — nicht erhoben wird?
    Eine lineare Steuerermäßigung in einem besonderen Ausmaß ist möglich, wenn die vielen jeweils nur einzelne Gruppen betreffenden Steuervergünstigungen nach unseren wiederholt gemachten Anregungen beseitigt werden, dafür aber eine allgemeine Herabsetzung des Tarifs erfolgt. Jedem Steuerzahler und der Finanzverwaltung wird damit unendlich viel Arbeit erspart und dem Grundsatz der Gleichheit und Gerechtigkeit besser Genüge getan als vorher. Es ist nicht nötig, daß jemand, wenn er Geld zurücklegen, wenn er sparen will, es steuerfrei nur für ganz bestimmte Zwecke und nicht für jeden ihm selber richtig erscheinenden Zweck zurücklegen kann.
    In der Steuergesetzgebung ist der Mittelstand vor allem in folgendem zu kurz gekommen. Er kann nicht die gleichen Vorteile erhalten, welche Großunternehmen dadurch haben. daß bei ihnen ein Teil der Einnahmen als Abschreibungen steuerfrei bleiben. Hier kann dem Mittelstand jeder Art, der eben keine materiellen Dinge hat, auf die er abschreiben kann, nur durch eine fiktive Abschreibungsmöglichkeit, nämlich durch eine Abschreibung auf das, was der Mittelständler durch Lehre, Ausbildung und Studium, durch seine Erfahrung, durch sein Können und Wissen, durch seine Handfertigkeit als Kapital in seinem Betrieb investiert hat und mitarbeiten läßt, geholfen werden. Denn wenn der Staat an den Erträgnissen, die mit Hilfe dieses in Wissen und Können bestehenden Betriebskapitals verdient werden, seinen Steueranteil haben will, dann muß er auch zur Erhaltung dieses Kapitals dadurch beitragen, daß er eine fiktive Abschreibung hierauf in anständigem Ausmaß gestattet. Aber in Deutschland wird ja ein Maschinen- und Warenvorrat höher bewertet als geistiges Eigentum, als Erfahrung und Können.
    Schließlich noch eine besondere Anregung. Die Gemeinden leiden finanziell not, auch deshalb, weil ihnen durch die Gesetzgebung des Bundes und der Länder immer neue Aufgaben mit neuen Ausgaben, aber keine neuen Einnahmen überwiesen werden. Die Selbstverantwortung der Gemeinden besteht heute praktisch nur noch in der souveränen Feststellung der Ausgaben, aber nicht mehr der der Einnahmen. Grundvermögen- und Gewerbesteuer sind die Einnahmen, über welche die Gemeindekörperschaften allein bestimmen können. Das heißt, 100 Prozent der Bevölkerung beschließen eine Steuer, welche nur von etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung zu bezahlen ist. Wir fragen, ob die Bundesregierung gewillt ist, in Zusammenarbeit mit den Ländern diese Benachteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände zu beseitigen und diesen Steuerquellen zu überweisen, die sie als echte eigene Steuerquellen in eigener Verantwortung für die Gemeindefinanzen nutzbar machen können. Die gesamte Belastung der Bevölkerung darf damit nicht höher werden. Es soll aber eine Herabsetzung der Gewerbesteuer und der Grundvermögensteuer in den Gemeinden erreicht werden.
    Alles in allem: Wir wünschen dem neuen Bundesfinanzminister, dessen Persönlichkeit und Tatkraft wir zu schätzen wissen, den Mut, neue Wege zu beschreiten. Sollten von der Rosenburg dann etwa Unkenrufe ertönen, so mag er sich dadurch nicht erschrecken lassen. Die Währung wird nicht dadurch gesichert, daß Geld in den Staatskassen gehortet wird.
    Nun zur Lohn-und-Preis-Spirale! Wir hätten außer der allgemeinen Ankündigung in der Regierungserklärung, daß das Preisniveau zu erhalten ist, in dieser Regierungserklärung gern etwas Näheres über das „Wie" gehört. Wir fragen deshalb: Wie stellt sich die Regierung zu der aus dem Ausland kommenden Forderung der Aufwertung des Kurses der D-Mark? Wie stellt sich die Regierung zu dem Gedanken, die Parität der Währungen, wie sie so erfolgreich im ganzen 19. Jahrhundert bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges bestanden hat, d. h. über den Goldpreis, im Wege einer internationalen Vereinbarung wieder herbeizuführen? Wir wissen, daß eine solche Regelung natürlich nicht von uns allein herbeigeführt werden könnte; aber wir möch-



    Dr. Becker (Hersfeld)

    ten wissen, ob die Regierung bereit und in der Lage ist, Schritte in der Richtung auf dieses Ziel zu unternehmen. Es handelt sich darum, die Währungen in Ausgleich zu bringen und damit praktisch auf dem ganzen Weltmarkt die Preise wieder annähernd in diejenige stabile Lage zu bringen, in der sie vor dem ersten Weltkrieg waren.
    Und weiter: Ist die Regierung bereit, einem Gesetzentwurf zur Durchführung zu verhelfen, der in Anlehnung an das schweizerische Muster zum Ziel hat, eine Umschichtung eines Teiles des Devisenschatzes in Lagervorräte an lebenswichtigen Rohstoffen zu erzielen und damit die kontinuierliche Versorgung und die kontinuierliche Produktion auch für solche Fälle zu sichern, in denen die Zufuhren durch krisenhafte Umstände, durch Verkehrsunterbrechungen und ähnliches bedroht werden können?
    Schließlich: Lohnstreitigkeiten — wir sprechen ja von der Lohn-und-Preis-Spirale — und Tarifabschlüsse können, wenn es sich um wesentliche Gebiete des Wirtschaftslebens handelt, wirtschaftliche Folgen haben, die weit über den Kreis der zunächst direkt betroffenen Unternehmungen und Arbeitnehmer hinausgehen. Solche Tarifabschlüsse und Lohnstreitigkeiten können weit über den Rahmen des Wirtschaftszweiges hinaus auf die Kaufkraft der Deutschen Mark einwirken. Die FDP-Fraktion hat in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf eingebracht und hat ihn jetzt erneuert, der diesen Gefahren Rechnung tragen soll. Wir wollen damit nicht einen Zwangsschiedsspruch. Wir wünschen aber, daß die Begehren der einen oder anderen Seite, wie sie in Schiedsverhandlungen — die wir auch durchgeführt wissen möchten — zum Ausdruck kommen, öffentlich bekanntwerden, ehe solche Streitigkeiten ausbrechen und ehe neue Tarifverträge abgeschlossen werden. Wir wünschen darüber hinaus, daß das jeweils zur Rede stehende Begehren hinsichtlich seiner Auswirkung auf die Volkswirtschaft und auf die Kaufkraft der Deutschen Mark geprüft wird. Eine unparteiische Kommission, an deren Spitze der Präsident der Bundesbank stehen müßte, sollte dazu gutachtlich gehört und dieses Gutachten sollte ebenfalls der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden. Auf diese Weise soll die öffentliche Meinung mobil gemacht und in die Lage versetzt werden, zu diesen Meinungen der Vertragspartner und diesen eben genannten Gutachten öffentlich Stellung zu nehmen. Eine Frist sollte zwischen der Veröffentlichung dieser Unterlagen und dem Abschluß neuer Tarifverträge eingeschaltet werden.
    Wir richten an die Bundesregierung und an dieses Hohe Haus die Bitte, alle diese angedeuteten Probleme zu durchdenken und zu einer baldigen Lösung mit beizutragen. Die Aufrechterhaltung der Kaufkraft unserer Mark ist eine wesentliche Forderung unserer Partei.
    Nun zur Sozialpolitik. Es ist unsere selbstverständliche Pflicht und wird unsere selbstverständliche Pflicht bleiben, uns aller derer, die staatlicher Hilfe bedürfen, mit Sorgfalt anzunehmen. Die Kriegsopfer und ihre Hinterbliebenen, die Heimkehrer, die Evakuierten und Kriegsgeschädigten aller Art und ihre Sorgen und Nöte sollten stets von uns beachtet werden. Nach bester Möglichkeit muß ihnen Gerechtigkeit widerfahren. Der Grundsatz, Gerechtigkeit erhöhet ein Volk, muß insbesondere auf diesem Gebiet seine Geltung finden. Die Heimatvertriebenen — und wir stimmen auch hier der Regierungserklärung zu — sollen auch in diesem Bundestag zu ihrem Recht kommen. Das Ziel muß sein, sie so weit wie möglich in das Wirtschaftsleben einzugliedern. Wir fragen deshalb, ob nicht die Hauptentschädigung, auf die noch sehr viele warten, schneller ausgezahlt werden kann, so schnell, daß auch die Alten in ihrem Leben noch etwas davon haben.
    Das Recht auf die Heimat muß anerkannt und geachtet werden. Es sollte ein Teil des international geltenden Rechts werden. Unabhängig von bestehenden oder kommenden Staatsgrenzen muß für jeden Menschen im Lande seiner Geburt oder seines langjährigen Wohnsitzes das Recht zum Aufenthalt, das Recht zur Rückkehr dahin, das Recht zur Niederlassung daselbst und alles das in Gleichberechtigung mit den anderen Bewohnern dieses Landes zugebilligt und gesichert werden. Diese Rechtssätze zu schaffen und zur Geltung zu bringen, wird unsere Aufgabe sein müssen.
    Auch über die genannten Kreise hinaus wird die Regierung allen Anforderungen sozialer Art aufgeschlossen und mit dem Gefühl für soziale Gerechtigkeit gegenüberstehen müssen. Wir werden davon auszugehen haben, daß folgende Punkte das beste Stück einer guten Sozialpolitik im weiteren Sinne sein müssen: die Fortführung der bisherigen Wirtschaftspolitik, die möglichst vielen zu Arbeitsplätzen und Brot, also zu einer festen und sicheren Stellung im Wirtschaftsleben verhilft, und sodann eine Steuerpolitik, die es durch Herabsetzung der Steuern ermöglicht, Ersparnisse zu machen, Eigenkapital zu bilden, damit Krisenzeiten zu überstehen und Vorsorge für Krankheit und Alter auch unter eigener Verantwortung und aus eigener Kraft zu treffen. Als letzter Teil einer guten Sozialpolitik von diesen dreien: eine gute Währungspolitik, die Erhaltung der Kaufkraft aller Gehälter und Löhne, aller Pensionen und Renten und aller Ersparnisse muß Hauptaufgabe sein.
    Die Angst vor der Inflation führt dahin, daß ein Kühlschrank z. B. als eine inflationssicherere Anlage gilt als ein Sparbuch. Die Politik der Bundesregierung muß dahin gehen, daß das Sparbuch mindestens als eine so wertbeständige Anlage angesehen werden kann wie ein allmählich doch veraltender Kühlschrank. Ein gutes Sparbuch wird dann die Möglichkeit geben, auch den Kühlschrank zu kaufen, und nicht nur auf Stottern, sondern unter Ausnutzung eines Barzahlungsrabatts ihn sogar billiger zu erwerben.
    Eine nominelle Erhöhung der Einkommen jeder Art, deren Kaufkraft dann aber immer wieder durch andere Maßnahmen schwindet, ist ein fragwürdiger Vorteil. Zerrüttete Finanzen, schleichende Inflation sind alles andere, nur keine Sozialpolitik.



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Da aber, wo unser Ziel, dem Menschen durch Wirtschafts- und Steuerpolitik Sicherheit zu geben, nicht zu erreichen ist, wird die Sozialpolitik eingreifen müssen. Wir sind dabei der Meinung, daß von den Grundlagen unserer staatlichen Sozialversicherung, wie sie jahrzehntelang mit Erfolg geführt worden ist, nicht abgewichen werden sollte, daß aber auch hier keinerlei Experimente gemacht werden dürfen. Wir sind — und in der Regierungserklärung kam das wohl auch zum Ausdruck — der Auffassung, daß das Gefühl der Eigenverantwortung für die eigene Zukunft und die der Familie sehr viel mehr gestärkt werden müßte. Unser Freund Willi Weyer hat einmal auf ein amerikanisches Sprichwort verwiesen, das da lautet: „Suchst du eine helfende Hand, dann schaue zunächst auf die Hand an deinem eigenen Arm!" Wir Abgeordneten müssen uns auch immer darüber klar sein, daß jede Mark, die wir irgend jemandem geben, zuvor einem anderen genommen werden muß. Unser Freund Reinhold Maier hat einmal mit Recht gesagt: „Wer vielen geben will, muß vielen zuvor nehmen, und wer vielen viel geben will, muß vielen viel nehmen."
    Wir werden darauf achten müssen, daß nicht allzu große Anforderungen das Preisniveau in die Höhe treiben. Wir dürfen auch die Arbeitnehmer nicht in einer Weise belasten, daß sie sich fragen, ob nicht die Summe dessen, was von ihnen im Laufe der Jahre einzuzahlen ist, die Summe dessen übersteigt, was sie je wieder herausbekommen können. Auch die Arbeitnehmer, Angestellte und Arbeiter, haben immer mehr den Wunsch, sich mindestens zu einem Teil in Zukunft selbst zu helfen und hierbei frei und unabhängig zu werden und zu bleiben.
    Die Regierungserklärung war bei der Ankündigung dessen, was das Justizministerium uns bringen wird, ausnahmweise einmal etwas konkreter. Wir vermissen aber mindestens zweierlei. Erstens sollte die Zusammenfassung aller Gerichtsbarkeiten in der Hand eines Ministers, nämlich in der Hand des Justizministers herbeigeführt werden. Wir sind der Meinung, daß die Unabhängigkeit der Spezialgerichte, also z. B. der Verwaltungsgerichte, der Sozialgerichte, der Finanzgerichte, besser gewahrt ist, wenn die Aufsicht über diese Gerichte und damit auch die Ernennung der Richter in die Hand nicht des Finanzministers, nicht des Sozialministers, nicht des Ministers des Innern, sondern in die Hand des Justizministers gelegt wird.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wir fragen, oh die Regierung bereit ist, eine derartige Maßnahme einzuführen, nachdem in einigen Ländern, z. B. in Schleswig-Holstein unter Führung unseres Parteifreundes Leverenz und in der Hansestadt Hamburg, ein Anfang gemacht ist und im Lande Niedersachsen das gleiche Bestreben schon vorangetragen wird.
    Ferner haben wir schon mehrfach den Wunsch geäußert, es möge eine einheitliche Prozeßordnung für alle Verfahrensarten geschaffen werden, etwa so, daß alle diejenigen Dinge, die bei allen Verfahrensarten irgendwie zu regeln sind, also die Einheitlichkeit der Fristen für alle Verfahren, dann alles, was mit dem Instanzenzug, mit der Einlegung von Rechtsmitteln an Formalitäten zusammenhängt, Ablehnung der Richter, Mitwirkung der Laien und vieles andere, einheitlich für alle Gerichte und Verfahrensarten zu regeln wäre, so daß dann nur die sich jeweils aus der Natur der verschiedenen Gerichtszüge und Gerichtsbarkeiten ergebenden Unterschiede getrennt in einer solchen gesamten Prozeßordnung spezialisiert zu werden brauchen.
    Noch einiges zum Verkehrswesen. Die Bundesbahn ist bis jetzt immer ein Zuschußunternehmen gewesen. Man spricht von Tariferhöhungen. Sie sollen 750 Millionen DM jährlich ausmachen, Wir fragen, ob das stimmt. Wie hoch wird dann aber immer noch der Zuschußbedarf bleiben? Man spricht in Fachkreisen von einem weiteren Defizit oder Zuschußbedarf von einer Milliarde D-Mark jährlich. Wir fragen den Herrn Minister, ob das stimmt.
    Über die Finanzierung des Straßenbaues, etwa durch Anleihen oder durch Mittel, die aus der Reprivatisierung von Bundesvermögen gewonnen werden können, habe ich bereits gesprochen. Ich bitte auch den Herrn Verkehrsminister, sich dieser Frage anzunehmen. Die Straßenbenutzer verweisen darauf, daß von dem von ihnen für die Zwecke der Straßen aufgebrachten Steuern insgesamt rund 7 Milliarden DM zweckentfremdet verausgabt worden sind. Auch wenn wir nicht das Dogma aufstellen wollen, daß jeder Pfennig aus diesen Steuern für Zwecke des Straßenbaues aufgewendet werden müsse, so ist doch die Summe dessen, was nicht dafür verwendet worden Ist, ungeheuerlich hoch.
    Das Spannungsverhältnis zwischen Schiene und Straße besteht nach wie vor. Die Straßen sind dringend ausbaubedürftig. Wir erinnern z. B. an die Strecke Frankfurt—Mannheim. Die Verkehrsunfälle haben durch Verringerung der Durchfahrtgeschwindigkeit etwas, aber nicht entscheidend abgenommen.
    Der Wiederaufbau der Passagierschiffahrt braucht auch Unterstützung.
    Kurzum, die Freien Demokraten müssen feststellen, daß acht Jahre Verkehrspolitik unter dem gleichen Verkehrsminister die Probleme nicht zu lösen vermocht haben. Alle Maßnahmen sind immer nur Flickwerk geblieben. Es fehlt eine grundlegende Konzeption über die Lösung des Verkehrsproblems im ganzen.
    Wir haben weiter folgende Einzelfragen hierzu. Will man etwa zwecks Europäisierung des Verkehrs die in § 72 Abs. 5 der Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrszulassungsordnung und der Straßenverkehrsordnung, nämlich über Abmessungen und Gewichte, vorgesehenen Fristen noch verlängern oder nicht? Will man die Bestimmungen über Maße und Gewichte wenigstens an die Genfer Konvention von 1949 anpassen, um einmal wirklich praktisch zu europäisieren?
    Ist die Regierung bereit, durch ein Wiederauflebenlassen des Gesetzes über Darlehen zum Bau



    Dr. Becker (Hersfeld)

    und Erwerb von Handelsschiffen vom 27. September 1950 die deutsche Passagierschiffahrt instand zu setzen, den Anschluß an die internationale Entwicklung zu finden?

    (Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt den Vorsitz.)

    Nun zum Familienministerium. Wir halten es nach wie vor für überflüssig.

    (Beifall bei der FDP.)

    Nicht deshalb, weil wir etwa die Werte der deutschen Familie nicht schätzten, sondern weil wir glauben, daß die Maßnahmen, die vom Standpunkt der Gesetzgebung aus die Familie berühren, also z. B. die Frage der Fürsorge, die Frage des Kindergeldes, der steuerlichen Begünstigung der Familie, von anderen Ministerien im Zusammenhang mit den eigentlichen Materien, die ich angesprochen habe, einheitlich getroffen werden sollten. Das Familienministerium wird stets zu Kompetenzstreitigkeiten mit anderen Ministerien führen. Die Überweisung der Zuständigkeit für Jugendfragen in ein solches Ministerium ändert an den soeben angedeuteten Bedenken nichts, sondern verstärkt sie nur. Wie soll z. B. die Betreuung des Sports geregelt werden? Soll diese, soweit sie den Jugend-, also den Schulsport betrifft, an das Familienministerium überwiesen werden und die Betreuung des
    Sportwesens im übrigen im Ministerium des Innern bleiben? Wir bitten um Antwort. Wir werden das Wirken dieses Ministeriums und seines Ministers im Hinblick auf die ihm überwiesene Zuständigkeit für Jugendfragen mit ganz besonderer Aufmerksamkeit verfolgen.
    Der Forschung und Heranbildung eines tüchtigen Nachwuchses, insbesondere auf dem Gebiet der Technik und der Chemie, sollte auch die Sorge der Regierung im Einvernehmen mit den Landesregierungen gelten. Wir hoffen und wünschen, daß bei der Gestaltung des Haushalts dieser Punkt sehr berücksichtigt wird. Wir bitten insbesondere, auch einmal zu beachten, wie groß die Zahl des technischen Nachwuchses in Deutschland jährlich und wie groß die Zahl des entsprechenden Nachwuchses in anderen Ländern, insbesondere z. B. in der Sowjetunion, ist. Meine Freunde glauben, daß wir hier allerhand nachzuholen haben, insbesondere wenn wir daran denken, daß wir mit so von uns ausgebildeten jungen Leuten vielleicht in unseren wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland, besonders auch zu den weniger entwickelten Ländern, durch Zurverfügungstellung solcher Kräfte vieles zu tun und vieles nachzuholen hätten.
    Ferner, was gedenkt die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Ländern zu tun, um dem großen Mangel an Schulräumen und Lehrkräften abzuhelfen? Der Schichtunterricht mit seiner Strapazierung der Kinder und der Lehrer, die mit ihm verbundenen Belastungen der Familie, vor allem der Hausfrau, sind unerträglich.

    (Abg. Kunze: Das ist Länderangelegenheit!)

    — Ich sagte ja: was der Bund im Einvernehmen mit
    den Ländern zu tun gedenkt. Sie ,werden sich entsinnen, sehr verehrter Herr Kollege, daß hier schon Anträge vorgelegen haben, eine finanzielle Unterstützung des Bundes und der Länder auf diesem Gebiet zu gewähren.
    Wir fragen weiter: Sollen in Verbindung mit der Reform des Krankenversicherungswesens auch neue Wege der Gesundheitspolitik beschritten werden? Wie steht es mit der immer schlimmer werdenden Lärmplage, mit der Verunreinigung der Luft und der Flüsse? Wie steht es, wenn die Länder hier auch etwas zu sagen hätten, mit der Erhaltung des Landschaftsbildes? Muß wirklich auf jeden Berg eine Sesselbahn gebaut werden? Kann man nicht die Einsamkeit der Berge und die Stille der Wälder, die Lieblichkeit unserer Täler und Höhen als beste Quelle der Erholung, so wie sie der Herrgott geschaffen hat, erhalten?
    Zum Abschluß noch etwas ganz anderes! Da wir nicht nur zu einer Regierungserklärung Stellung nehmen, sondern am Beginn einer neuen Bundestagssession auch grundsätzlich Stellung zu beziehen haben, bitte ich mir zu gestatten, noch folgende Gedanken zum Ausdruck zu bringen.
    Im Leben eines Volkes spielen wohl die Fragen der Wirtschaft, der Steuern, der Wohlfahrt, der Verteidigung, kurz, alle materiellen Dinge eine große Rolle. Aber es gibt noch andere ideelle Fragen, die auch ihre Bedeutung haben. Wir brauchen hier bei unserer Arbeit im Bundestag und brauchen draußen im privaten und öffentlichen Leben mehr Verständigungsbereitschaft untereinander, mehr Bereitschaft, auch die Meinung der anderen verstehen zu wollen. Aus dieser Verständigungsbereitschaft erwächst dann die Bereitwilligkeit der anderen Seite, die gleiche Bereitschaft zu üben. Der Weg zur Verständigung geht über die Verständigungsbereitschaft und er geht weiter über die Forderung — ich glaube, Herr Kollege Ollenhauer hat es angedeutet —, daß die persönliche Achtung vor uns allen, gegenseitig und auch draußen im Volk, bestehenbleiben sollte. Denn auch das lindert und mildert vieles. Wenn jeder bereit ist, auch die Sorgen des anderen zu verstehen, wird der Unzufriedenheit und dem übertriebenen Egoismus schon allein dadurch gewehrt.
    Auch für das Leben der Konfessionen und Kirchen untereinander und miteinander sollte das gleiche gelten. Wir sollten im Glauben des anderen das ehren und achten, was jedem am höchsten steht und ihn in seinem Innern zutiefst berührt. Weil diese religiösen Dinge als ein Arcanum, als heilig zu betrachten sind und zu gelten haben, konnten viele deutsche Menschen nicht verstehen, warum bei der Regierungsbildung die Konfession eine solche Rolle hat spielen müssen. Wir verstehen wohl — auch in Richtung auf die Verständigungsbereitschaft —, daß eine gewisse äußere Parität hat gewahrt werden sollen. Aber wir haben eine andere Meinung. Wir meinen nämlich, daß eine äußere Parität nicht immer der Ausdruck einer wirklichen inneren Toleranz und Heilighaltung ist.
    Daß der Mißbrauch der Religion zu politischen Zwecken von uns Freien Demokraten — und ich



    Dr. Becker (Hersfeld)

    glaube, auch von anderen — von jeher abgelehnt wird, sei nur am Rande erwähnt. Aber diese Ablehnung ist keine Stellungnahme gegen die Religion, sondern gerade ein Kampf für jedes religiöse Gefühl und für religiöse Duldung. Zum Schutz unseres Beamtentums und aller Behördenangestellten muß aber der Satz gelten, daß es für Einstellung und Beförderung nur auf Wissen, Können und Charakter, nicht aber auf das Parteibuch und die Konfession ankommen sollte.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Auch die Demokratie braucht ihre Ordnung, braucht Autorität und Würde, aber keinen protzenhaften Luxus. Bismarck empfing die Parlamentarier zu Bierabenden. Es ging und geht auch so. Wir sollten immer an die Zeiten denken, die noch nicht lange hinter uns liegen und die uns zu Bescheidenheit und Zurückhaltung Anlaß geben sollten. Wir sollten daran denken, daß die Zeiten noch nicht lange zurückliegen, in denen wir dankbar waren für die Hilfe, die von Schweden und aus der Schweiz und insbesondere durch den Marshall-Plan aus den Vereinigten Staaten zu uns kam. Wenn wir daran denken, dann wird für uns erst der Satz von Schiller richtig durchschlagend sein: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben; bewahret sie durch Einfachheit."
    Im 19. Jahrhundert sprach man vom Männerstolz vor Königsthronen. Die Königsthrone sind verschwunden. Und der Männerstolz?

    (Zurufe von der SPD: Auch!)

    Eine Demokratie kann ohne echte Demokraten nicht bestehen. Eine Demokratie muß sich dessen bewußt sein, daß man im Staat nicht nur Rechte geltend zu machen, nicht nur Forderungen an den Staat zu stellen hat, sondern daß es auch Pflichten gibt, Pflichten gegenüber der Familie, Pflichten gegenüber Staat und Allgemeinheit. Der Gedanke ist heute morgen schon einmal aufgeklungen; ich darf ihn noch ergänzen. Diese Maxime, daß man nicht nur Forderungen an den Staat stellen soll, sondern auch Pflichten gegenüber dem Staat hat, gilt nicht nur nach den Wahlen, sondern auch bei Bewilligungen vor den Wahlen. Echte Demokraten sollten auch Zivilcourage besitzen, den Mut zur eigenen wohlbegründeten Meinung. Wir sollten diese unsere eigene Meinung auch vor Massenversammlungen und auch vor den Mächtigen der Verbände haben, alles in Ruhe und Sachlichkeit. Wir verlangen auch Mut vor Ministersesseln — und auf Ministersesseln.

    (Beifall bei der FDP.)

    So wünschen wir dem deutschen Volke zu der nun beginnenden gemeinsamen Arbeit in diesem Hause guten Erfolg.
    Ein letztes möchte ich doch noch allen in unserem Vaterlande ans Herz legen, und das ist die Ehrfurcht, die Ehrfurcht vor der guten alten Sitte, die Ehrfurcht vor dem, was in deutscher Geschichte groß und gut war — das hat es auch gegeben —, die Ehrfurcht vor dem, was deutsche Menschen uns und der Menschheit gegeben haben, die Ehrfurcht vor Frauen und Müttern und die Ehrfurcht vor dem,
    der höher ist als alle Vernunft. Aus dem Altertum wird uns ein Wort des Sophokles übermittelt, das heißt: „Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch." Und doch kannte man im Altertum von den Himmelskräften, die der Mensch sich im Laufe der Jahrhunderte untertan gemacht hat, nur das Feuer, jenes Feuer, das der vorausdenkende Mensch — er wurde heute schon einmal in anderem Zusammenhang zitiert —, Prometheus, einst vom Olymp geholt hatte. Die Menschen damals hatten die Gefahren und die Nützlichkeit des Feuers erkannt. Sie hatten aber auch verstanden, sich diese Kraft untertan zu machen. Inzwischen hat die Menschheit andere Kräfte, mehr Kräfte und zuletzt mit der Atomkraft ein weiteres Quentchen jener unendlichen Schöpferkraft sich zu eigen machen gelernt. Der Mensch, der solche Gewalten zu entdecken und zu verwenden gelernt hat, muß zeigen, daß sein vom Sittlichen her gebändigter und von der Ehrfurcht geleiteter Wille gewaltig, noch gewaltiger als diese Himmelskraft ist. Wir sollten uns in Ehrfurcht beugen vor dieser Macht und vor dem, von dem sie stammt. Dann gilt das Wort: „Daß nur Menschen wir sind, der Gedanke beuge das Haupt dir." Aber zu dieser Erkenntnis kommt aus der gleichen Ewigkeit der Anruf, das Gebot, der Befehl, als freier, sich selbst zügelnder Mensch diese Naturkraft nicht zum Schlechten, sondern zum Guten, nicht zum Zerstören, sondern zum Frieden zu verwenden. Und dann heißt der Spruch in seiner Vollständigkeit so:
    Daß nur Menschen wir sind, der Gedanke beuge das Haupt dir.
    Doch daß Menschen wir sind, hebe dich freudig empor!

    (Beifall bei der FDP.)