Gesamtes Protokol
Guten Mor-
gen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.
Ich heiße Sie alle zur ersten Sitzung nach der kurz
unterbrochenen parlamentarischen Sommerpause will-
kommen. Ich spreche zunächst der Kollegin Franziska
Eichstädt-Bohlig, die gestern, am 10. September, ihren
60. Geburtstag feierte, nachdrücklich die besten Glück-
wünsche des Hauses aus.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haus-
haltsausschusses
zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr
1999 Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögens-
rechnung des Bundes
zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2000 zur
Drucksachen 14/3141, 14/4226, 14/4571 Nr. 1.2, 14/6521
ZP 2 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung der Pfän-
dungsfreigrenzen Drucksache 14/6812
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des
Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpas-
sung anderer Rechtsvorschriften
Drucksache 14/6878
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
ZP 4 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Steuerverkür-
che 14/6883
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 5 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Unterneh-
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 6 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschrif-
ten Druck-
sache 14/6877)
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-
stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-
haltsjahr 2002
Drucksache 14/6800
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
18231
185. Sitzung
Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Beginn: 11.00 Uhr
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005
Drucksache 14/6801
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag des Bundesministeriums der Fi-
nanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 1999 Vorlage der Haus-
haltsrechnung und Vermögensrechnung des
Bundes
zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2000 zur Haushalts- und Wirtschafts-
Drucksachen 14/3141, 14/4226, 14/4571 Nr. 1.2,
14/6521
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinbarung
sind für die Haushaltsberatungen im Anschluss an die
Einbringung heute siebeneinhalb Stunden, Mittwoch
zehn Stunden, Donnerstag zehneinhalb Stunden und
Freitag zwei Stunden vorgesehen. Dagegen erhebt sich
kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich gebe nunmehr zur Einbringung des Haushalts das
Wort dem Bundesminister für Finanzen, Hans Eichel.
sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsplan-
entwurf für das Jahr 2002 ist der letzte in dieser Wahl-
periode, der auch in dieser Wahlperiode noch voll wirk-
sam wird.
Wir wollen mal sehen, ob Sie am Ende auch noch so la-
chen wie jetzt am Anfang.
Die Versuchung ich habe es in vielen Kommentaren
gelesen hätte sicherlich groß sein können, einen Wahl-
haushalt vorzulegen und somit Wahlgeschenke zu vertei-
len. Was aber wäre das für ein merkwürdiges Verständnis
von Demokratie?
Zu Ihnen komme ich gleich.
Wenn wir dies tun würden, wer schenkte dann wem
was? Wenn wir weitere Ausgaben in den Haushaltsent-
wurf schreiben und diese durch neue Schulden finanzie-
ren würden, hieße das nichts anderes, als dass wir den
Bürgerinnen und Bürgern die eine oder andere Leistung
mehr gäben, die aber über Schulden zu finanzieren wäre,
welche sie später selbst wieder abbezahlen müssten. Dies
wäre ein fauler Zauber.
Ihr letzter und das war wirklich Ihr letzter Haushalt
1998 wies eine Steigerungsrate von 3,4 Prozent auf.
Genützt hat es Ihnen nichts.
Unser Haushalt hat eine Steigerungsrate von 1,6 Prozent.
Wenn ich zwei Sonderpositionen herausnehme, kommen
wir real sogar auf sinkende Ausgaben. Das ist die Situa-
tion des Jahres 2001. Das heißt, wir machen Ernst mit der
Konsolidierungspolitik und sind den Bürgerinnen und
Bürgern gegenüber ehrlich. Es macht keinen Sinn, Wahl-
geschenke zu verteilen. Das hieße nur, die Bürger in
Wahrheit um ihr eigenes Geld zu prellen.
Sie haben es gemacht. Es wäre schön gewesen, wenn Sie
schon ein paar Jahre ehrlich gewesen wären.
Im Jahre 1999 haben wir mit dem Zukunftsprogramm
2000 eine grundlegende Wende in der Finanzpolitik hin
zu Langfristigkeit und Solidität eingeleitet.
Wir machen eine langfristig angelegte, nachhaltige Finanz-
politik, in deren Mittelpunkt die Vorsorge in und für eine al-
ternde Gesellschaft stehen muss. Diese Finanzpolitik hat drei
Elemente: erstens raus aus der Schuldenfalle, zweitens eine
beschäftigungsfreundliche, wachstumsfördernde Steuer-
und Abgabenpolitik, drittens eine Verbesserung der Qualität
der Staatsausgaben und der Staatstätigkeit. Kurzum: Wir
wollen auf Zukunft gerichtete Haushalte, statt Schulden aus
der Vergangenheit zu finanzieren. Darauf kommt es an.
Ich komme zum ersten Element: raus aus der Schulden-
falle. Hier wende ich mich an Sie. Ich kann verstehen, dass
der Kollege Waigel, den ich persönlich sehr schätze, heute
nicht anwesend ist; denn die Eröffnungsbilanz, die wir
1998 und 1999 machen mussten, war höchst unerfreulich.
Seit 1996 waren die Haushalte verfassungswidrig.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
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1996 und 1997 wurden mehr Schulden gemacht, als Inves-
titionen getätigt wurden. 1998 haben Sie dies durch große
Privatisierungserlöse verdeckt.
Ganz nebenbei: Sie haben mir noch in den letzten De-
batten immer erzählt, mir würden sich riesige Chancen
eröffnen und im Haushalt lägen riesige Schätze; ich sei
zwar nicht immer dafür gewesen, hätte aber nun Glück
mit der Haushaltspolitik. Ob Sie dies bei dem jetzigen
Kurs der Telekom-Aktie weiterhin sagen wollen, möchte
ich bezweifeln. Wie wir künftig die Postunterstützungs-
kassen finanzieren werden, ist noch nicht klar, und ob sich
dies aus den Privatisierungserlösen bezahlen lässt, ist
fraglich.
Erzählen Sie also keine Märchen, sondern bleiben Sie
auch in diesem Punkt bei der Realität. Sie haben verfas-
sungswidrige Haushalte eingebracht und dies im Wahl-
jahr durch große Privatisierungserlöse verdeckt.
Nächsten Sommer, vor der Wahl, werde ich wieder ei-
nen Haushalt einbringen.
Den Haushalt, den Sie 1998 im Sommer eingebracht ha-
ben, konnten Sie vor dem Vorwurf der offenkundigen
Verfassungswidrigkeit nur dadurch bewahren, dass Sie
eine Reihe von Dingen überhaupt nicht veranschlagt ha-
ben. Diese Dinge summierten sich auf über 20 Milliar-
den DM, die Sie bei der Veranschlagung schlicht und ein-
fach unterschlagen haben. Es war nämlich wieder ein
verfassungswidriger Haushalt.
80 Milliarden DM Zinsen bedeuten 22 Prozent aller
Steuereinnahmen. Es gibt keine Gebietskörperschaft in
Deutschland, die so hoch verschuldet ist, wie es Deutsch-
land am Ende Ihrer Regierungstätigkeit nach 16 Jahren
war. Ein Haushaltsloch von 80 Milliarden DM bedeutet
ungefähr 25 Milliarden DM über den Investitionen, ent-
spricht also einem verfassungswidrigen Haushalt. Das
war die Ausgangslage, die wir vorgefunden haben.
Die Antwort darauf war klar: Wir mussten eingreifen.
Wir haben bereits mit dem Haushalt 1999 eine mittelfris-
tige Konsolidierungsstrategie begonnen und zunächst ein-
mal Klarheit und Wahrheit hergestellt. Wir haben Ihre
ganzen Schattenhaushalte integriert und alle vergessenen
Positionen hineingeschrieben.
Dann haben wir auf der Ausgabenseite konsequent
konsolidiert. Im Jahr 2000 waren es fast 30 Milliarden
DM wegen der Einsprüche des Bundesrates sind es et-
was weniger geworden und bis zum Jahr 2003 jedes Jahr
50 Milliarden DM mehr an Konsolidierungsbeiträgen.
Das bedeutet langfristig, dass die Ausgaben des Staates
langsamer wachsen als die der Wirtschaft und dass die
Ausgaben des Staates langsamer wachsen als seine Ein-
nahmen. Daraus ergibt sich der Konsolidierungserfolg:
eine konsequente Verringerung der Nettokreditauf-
nahme und jedes Jahr weniger neue Schulden. Dies hal-
ten wir so im dritten Jahr und mit dem Haushaltsplanent-
wurf 2002 auch im vierten Jahr konsequent durch.
Das heißt: Dies ist eine langfristig angelegte Politik,
die man darauf komme ich, wenn ich mich mit Ihren
Vorschlägen auseinander setze, später noch einmal
zurück nicht je nach Konjunkturlage wieder zur Dispo-
sition stellen kann. Finanzpolitik nach Konjunkturlage
führt ins Chaos, um dies ganz klar zu sagen. Eine solche
Politik haben sie betrieben.
Wir reduzieren den Staatsapparat: Jedes Jahr wird die
Anzahl der Stellen um 1,5 Prozent gesenkt. Damit haben
Sie schon angefangen. Das ist richtig. Wir setzen dies
konsequent fort. Dies machen wir übrigens nicht nur der
Konsolidierung und der hohen Staatsschulden wegen, die
Sie uns hinterlassen haben, sondern dies gehört auch zur
Vorsorge für eine alternde Gesellschaft. Eine Gesell-
schaft, deren Struktur sich so verschiebt, dass sie immer
weniger Erwerbstätige und immer mehr Rentner haben
wird, muss auch im Staatsapparat mit weniger öffentlich
Bediensteten auskommen; sonst haben wir die Explosion
des Staatsapparates und die Erhöhung der Steuern bereits
vorprogrammiert. Auch deswegen müssen wir um es in
aller Deutlichkeit zu sagen die Zahl der im öffentlichen
Dienst Beschäftigten zurückfahren.
Das erste Mal seit über 30 Jahren haben wir bei den
Mitarbeitern im öffentlichen Dienst im Bereich des Bun-
des die Zahl von 300 000 unterschritten; dies ist ein großer
Erfolg. Ich will allen, die im öffentlichen Dienst arbeiten,
danken, da der Personalabbau eine ständige Arbeitsver-
dichtung und Umorganisation zur Folge hat. Wir betrei-
ben damit nicht nur Sparpolitik, sondern auch eine konse-
quente Modernisierungsstrategie für den Staat.
Die Gründe für unsere Bemühungen sind einfach: Die
Staatsschulden und die daraus resultierenden Zinsen er-
drosseln die Handlungsfähigkeit des Staates. Wer zum
Beispiel nach mehr öffentlichen Investitionen ruft wofür
ich Verständnis habe , darf nicht so viele Schulden ma-
chen, weil die Zinsen die Investitionsfähigkeit des Staates
ruinieren. Ein solches Problem haben Sie uns hinterlas-
sen.
Zum anderen: Die Rechtfertigung für kreditfinan-
zierte Investitionen, bei denen die Laufzeit der Kredite
über eine Generation hinausgehen soll in dieser Lage
befinden wir uns im Augenblick , ist entfallen. Selbst
die langlebigsten Wirtschaftsgüter, in die wir investieren
Häuser, Straßen oder Brücken , haben allenfalls eine
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
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Gebrauchsdauer von einer Generation; dann ist eine
Grundsanierung fällig, die so teuer wie die Erstanschaf-
fung ist. Das bedeutet, dass jede Generation auch die In-
vestitionen bezahlen muss, die sie tätigt. Auch in diesem
Punkt müssen wir dringend eine Änderung in der Finanz-
politik erreichen.
Es ist gerade in einer alternden Gesellschaft
schlicht eine Frage der Generationengerechtigkeit: Wenn
schon in der Zukunft viel weniger Beschäftigte und damit
Beitragszahler viel mehr Rentnern die Rente garantieren
müssen unsere Kinder müssen das , können wir der
nächsten Generation nicht zusätzlich so hohe Staatsschul-
den in den Rucksack packen, dass sie, so wie das gegen-
wärtig der Fall ist, gezwungen wird, fast ein Viertel der
gezahlten Steuern für die Bedienung der Zinsen auszuge-
ben. Das ist unverantwortlich, da Gerechtigkeit auch eine
Zukunftsdimension hat.
Ich will einen ganz einfachen Satz anführen, dessen
Umsetzung in Deutschland so habe ich zumindest den
Eindruck fast einer Kulturrevolution gleichkommt; ich
bin sehr gespannt, ob wir es aushalten, wenn wir an die-
sen Punkt kommen: Auch der Staat muss, wie jeder Pri-
vatmann, mit dem Geld auskommen, das er hat. Er kann
nicht Jahr für Jahr und Jahrzehnt für Jahrzehnt über seine
Verhältnisse leben. So einfach ist die Sache.
Deswegen müssen wir raus aus der Schuldenfalle und
konsequent die Konsolidierung auf der Ausgabenseite an-
gehen.
Als Zweitens brachen wir ein beschäftigungsfreundli-
ches und wachstumsförderndes Steuer- und Abgaben-
system. Wer Steuern senken will wir haben das massiv
getan , darf das nur dann tun, wenn er seine Ausgaben im
Griff hat. Steuersenkungen mit Ausweichen in höhere
Staatsschulden sind Betrug an den Bürgerinnen und Bür-
gern.
Weil die Schulden von heute die Steuern von morgen sind,
bedeutet das nichts anderes, als dass Sie nach der nächs-
ten Wahl die Steuern wieder erhöhen müssten, die Sie vor-
her auf Pump gesenkt haben. Auch das ist eine Form von
Wahlgeschenken.
Im Übrigen will ich darauf hinweisen: Mit unserer
Steuerreform sinkt die Steuerquote auf einen histori-
schen Tiefstand.
Wir sind in diesem Jahr in der kassenmäßigen Abgren-
zung bei einer Steuerquote von 21,5 Prozent. Das hat es
in der Bundesrepublik Deutschland nie zuvor gegeben.
Wir sind in der Europäischen Union bei der Steuerquote
verglichen mit allen anderen Mitgliedstaaten am unteren
Rand.
Das heißt auch klar: Mehr geht nicht mehr, wenn ich alle
anderen Aufgaben des Staates in Betracht ziehe; ich
komme auf diesen Punkt zurück.
Unsere Steuerpolitik lebt auch nicht von der Hand in
den Mund, sondern ist langfristig angelegt. Wir haben be-
reits über zwei Wahlperioden Steuersenkungen gesetzlich
verankert. Somit können sich alle Bürgerinnen und Bür-
ger als Verbraucher sowie die Unternehmen darauf ein-
stellen, wann sie welche Steuerbelastung haben werden.
Wer Attentismus in der Wirtschaft erzeugen will, der
muss einen gerade in das Gesetz und Verordnungsblatt
geschriebenen Zeitplan immer wieder neu infrage stellen.
Das ist schlichtweg Unfug.
Es müssen also sowohl bei der Haushaltskonsolidierung
als auch in der Steuer- und Abgabenpolitik langfristige Li-
nien verfolgt werden.
Wir sorgen für die größte Steuerentlastung aller Zei-
ten. Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen.
Herr Kollege Stoltenberg
hat in den 80er-Jahren gemessen am Bruttoinlandspro-
dukt genau die gleiche Steuerpolitik wie wir jetzt ver-
folgt. Es gibt zwischen damals und heute allerdings einen
fundamentalen Unterschied: Während uns die heutigen
Staatsschulden zwingen, 2 Prozent des Bruttoinlands-
produktes das sind 80 Milliarden DM für Zinsen aus-
zugeben, musste Stoltenberg damals nur 1 Prozent auf-
wenden. Das heißt also, dass er damals 40 Milliarden DM
mehr als wir heute zur Verfügung hatte. Trotzdem hat er
die Steuern nicht stärker gesenkt als wir mit unserer Steu-
erreform 2000. Das ist in der Tat eine ganz bemerkens-
werte Leistung.
Im Mittelpunkt steht die Entlastung der Arbeitnehmer
und der Familien. Diese werden durch die drei Stufen der
Steuerreform 2001, 2003 und 2005 insgesamt um 65 Mil-
liarden DM entlastet, wodurch auch die Kaufkraft ge-
stärkt wird. Das hat sich, wie die neuesten statistischen
Daten zeigen, bewährt. Der private Konsum ist nach An-
gaben des Statistischen Bundesamtes im ersten Halbjahr
2001 stärker gestiegen, als alle Auguren vorher vermutet
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
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hatten. Die durch unsere Steuerreform erzielte Entlastung
der Menschen hat sich bereits als konjunkturstabilisierend
herausgestellt.
Die von mir erwähnten Entlastungen bedeuten die
Möglichkeit, in einer alternden Gesellschaft Vorsorge zu
treffen; denn wenn das umlagefinanzierte Rentensystem
es allein nicht mehr leisten kann und deshalb private Vor-
sorge betrieben werden muss, dann müssen insbesondere
die Menschen, deren Einkommen am unteren Ende der
Einkommensskala anzusiedeln sind, erst einmal in die
Lage versetzt werden, eine solche private Vorsorge be-
treiben zu können. Wir haben mit unserer Steuerreform
diese Menschen entlastet. Das ist etwas anderes als das,
was Sie beabsichtigt haben; denn Ihnen fiel immer nur das
Wort Spitzensteuersatz ein, egal worüber diskutiert
wurde. Tatsächlich kam es, wie gesagt, darauf an, die
Menschen mit niedrigen Einkommen zu entlasten. Genau
das haben wir gemacht.
Der Mittelstand, die kleinen und die mittleren Unter-
nehmen, wird ab 2005 ebenfalls in drei Stufen jährlich um
30 Milliarden DM entlastet. Dies dient der Stärkung der
Investitions- und Innovationskraft. Und es sind die klei-
nen und die mittleren Unternehmen, die Ausbildungs- und
Arbeitsplätze schaffen. Es sind die Existenzgründer, die
langsam aufbauen und neue Arbeitsplätze schaffen. Die
Großbetriebe, die ich nicht kritisiere, weil auch sie ge-
braucht werden ihr Fehlen in Ostdeutschland zeigt das
deutlich , bauen Arbeitsplätze ab. Deshalb musste die
steuerliche Förderung und Entlastung auf die kleinen und
mittleren Unternehmen konzentriert werden. Genau das
haben wir gemacht.
Wissen Sie, spätestens im nächsten Frühjahr, wenn je-
der Mittelständler seine Steuererklärung abgeben muss,
bricht Ihre gut geölte Propagandamaschinerie zusammen.
Ein Punkt ist völlig klar: Ich war 15 Jahre Oberbürger-
meister. Jedes Mal, wenn ich eine Sitzung der IHK be-
sucht habe, haben mich die Einzelhändler und die Hand-
werksmeister gefragt: Herr Oberbürgermeister, wieso
erheben Sie von uns Gewerbesteuer und nicht von den
Anwaltskanzleien, den Zahnarztpraxen oder den Archi-
tekturbüros? Selbst demjenigen, der lange über diese
Frage nachdenkt, fällt nichts Gescheites als Antwort ein.
Sie haben es sogar in 50 Jahren nicht geschafft, darauf
eine vernünftige Antwort zu geben. Durch unsere Steuer-
reform wird der Mittelständler nicht mehr durch die Ge-
werbesteuer belastet, weil er sie pauschal mit der
Einkommensteuer verrechnen kann.
Ich möchte Ihnen das hier nicht vorrechnen. Sie alle ken-
nen das ja.
Es gibt so gut wie keinen Mittelständler, der tarifär so
hoch belastet ist wie die Körperschaften. Wenn man den
ausgeschütteten Gewinn der Körperschaften berücksich-
tigt, dann stellt man fest, dass die Körperschaften in die-
sem Lande tarifär immer höher belastet sind als jeder Mit-
telständler. Das ist die schlichte Wahrheit unserer
Steuerreform. Wie gesagt, spätestens dann, wenn die Mit-
telständler ihre Steuererklärung im nächsten Frühjahr ab-
geben müssen, bricht Ihr ganzes Lügengebäude zusam-
men, und zwar schon vor der nächsten Bundestagswahl.
Körperschaften dagegen bekommen in der Bilanzie-
rung unserer Steuerpolitik Steuerentlastungsgesetz und
Steuersenkungsgesetz muss man immer zusammen sehen
keine Entlastung; wahrscheinlich ist es sogar eine leichte
Belastung. Aber es war auch nie das Problem der großen
international tätigen Unternehmen, dass sie in Deutsch-
land eine besonders hohe Steuerlast gehabt hätten; die
hatten sie nie. Sie hatten vielmehr ein schlicht nicht wett-
bewerbsfähiges Steuerrecht mit zerstörter Bemessungs-
grundlage und darauf aufbauend unsinnig hohe Steuer-
sätze, die nur zur Umgehung einluden. Also haben wir ein
international wettbewerbsfähiges Steuerrecht hergestellt.
Dafür sind uns die großen Unternehmen auch dankbar.
Wir setzen die Steuerreform, die Modernisierung des
Unternehmenssteuerrechts, fort. Da haben Sie 18 Jahre
lang nichts getan, meine Damen und Herren. So kann man
mit der deutschen Wirtschaft in einer sich globalisierenden
Welt und im europäischen Binnenmarkt nicht umgehen.
Man kann ihr nicht ein Steuerrecht geben, das über-
haupt nicht mehr in die internationale Landschaft passt.
Wir haben durch die Rentenreform und die Ökosteuer
die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt. Wenn ich mir
ansehe, um wie viel während Ihrer Regierungszeit die
Beiträge zur Sozialversicherung Jahr für Jahr gestiegen
sind, stelle ich fest: Dies ist die erste Regierung, die damit
Schluss macht und die es erreicht hat, dass die Beiträge zur
Sozialversicherung wieder sinken. So ist das.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
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Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen das gleich
im Einzelnen vorrechnen.
Damit komme ich zum dritten Punkt, der Verbesserung
der Qualität.
Dass Ihnen das unangenehm ist, ist mir klar; aber ich
kann nicht darauf verzichten, was wir vorgefunden haben
und was wir dagegen tun.
Ich komme zur Verbesserung der Qualität der Staats-
ausgaben und der Staatstätigkeit. Man kann auch plakativ
sagen: Zukunftsvorsorge statt Zinsen.
Die wichtigste Zukunftsvorsorge, die wir machen können
und die Sie jahrzehntelang vernachlässigt haben, ist in der
Tat die Familienpolitik. Wenn wir an dieser Stelle besser
gewesen wären, hätten wir viele sich zuspitzende Pro-
bleme der alternden Gesellschaft nicht.
Im Übrigen haben Sie wohl übersehen, dass das Bun-
desverfassungsgericht Ihnen zwei Dinge ins Stammbuch
geschrieben hat: dass Sie nämlich die kleinen Einkommen
verfassungswidrig hoch besteuert haben deswegen
erhöhen wir ständig das steuerfreie Existenzminimum
und dass Sie die Familien verfassungswidrig hoch be-
steuert haben. Das war doch Ihre Steuerpolitik.
Wir haben in dieser Wahlperiode, in der Phase der Haus-
haltskonsolidierung, das Kindergeld dreimal erhöht. Eine
weitere Erhöhung um 30 DM oder sogar ein bisschen
mehr wegen der Euro-Aufrundung folgt zum 1. Ja-
nuar 2002, also in diesem Haushalt. Das heißt 80 DM
mehr pro Kind. Das bedeutet für eine Familie mit zwei
Kindern 1 920 DM netto mehr im Jahr. Für die Verkäu-
ferin mit zwei Kindern ist das ein 13. Monatsgehalt. Das
ist unsere Politik im Zeichen der Haushaltskonsolidie-
rung.
Das sind im Übrigen um dazu eine deutliche Anmer-
kung zu machen längst nicht alle Aufgaben, die wir ha-
ben. Es ist sehr spannend zu sehen, wie insbesondere die
CDU/CSU, der es schon wehtut, dass man ihr nachweisen
kann und muss, dass sie nichts für die Familien getan hat,
jetzt auf diese Situation reagiert.
Sie reagiert mit völlig unfinanzierbaren Vorschlägen. Be-
sonders unfinanzierbare Vorschläge sind übrigens ein
Münchener Markenzeichen.
In Wirklichkeit ist die Diskussion über ein Erziehungs-
geld von 1 200 DM im Monat nichts weiter als ein gran-
dioses Ablenkungsmanöver. Die Länder müssten dafür
sorgen, dass Frauen den Kinderwunsch und den Berufs-
wunsch vereinbaren können. Kinderbetreuung ist die
Aufgabe der Länder und Kommunen.
Gucken Sie sich doch einmal an, wie es in Deutsch-
land aussieht. Dort, wo das konservative Familienbild
herrscht die Frau soll die Kinder kriegen und zurück an
den Herd , hat man auch nichts für die Kinderbetreuung
getan. Bayern ist das Schlusslicht in Deutschland. Ham-
burg, andere alte Bundesländer und die ostdeutschen Län-
der stehen vorn.
Wenn man sich das vor Augen führt, dann versteht man,
warum man den Versuch unternehmen muss, mit solch
unfinanzierbaren Vorschlägen öffentlich zu überdecken,
was man über viele Jahre versäumt hat.
Kindergeld, Erziehungsgeld, Wohngeld alles das sind
Dinge, die Sie zehn Jahre lang, zum Teil 16 Jahre lang
nicht angepackt haben, die Ihr Finanzminister als geheime
Sparbüchse betrachtet hat; die Beträge hat er nämlich
nicht angepasst. Alles das haben wir in der Zeit der Kon-
solidierung angepackt, verbessert, um wieder mehr so-
ziale Gerechtigkeit und mehr Zukunft in diese Gesell-
schaft hineinzubringen.
Ein weiterer Punkt: Bildung und Forschung. Auch
die Ausgaben dafür haben Sie in den 90er-Jahren ständig
zurückgefahren. Wir schaffen im Haushaltskonsolidie-
rungsprozess den Spielraum für eine Erhöhung der Aus-
gaben: 2,7 Prozent in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr,
12 Prozent im Jahr 2002 gegenüber dem Jahr 2000, als wir
den Konsolidierungskurs eingeleitet haben.
Meine Damen und Herren, das Schlimmste, was man Ih-
nen in diesem Bereich vorhalten muss, ist: Sie reden immer
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Bundesminister Hans Eichel
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nur über Straßen, über Asphalt und über Beton. Wenn ich
über Zukunftsfähigkeit rede, rede ich zuerst über Bildung,
über das, was wir in die Köpfe der Menschen hineinbringen.
Am Beginn der deutschen Einheit, 1990, waren
650 000 Studentinnen und Studenten BAföG-gefördert.
Als wir die Regierung verlassen mussten, 1982, waren es
übrigens deutlich mehr. Als Sie die Regierung verlassen
mussten, 1998, waren es noch 340 000 Studentinnen und
Studenten, die BAföG-gefördert wurden. Wir haben zu
wenig Studentinnen und Studenten in Deutschland. Sie
haben also eine miserable Vorsorge betrieben, weil Sie an
der falschen Stelle gespart haben.
Deswegen die BAföG-Reform. Im Haushalt 2002 ist be-
reits berücksichtigt, dass die Zahl der BAföG-berechtig-
ten Studentinnen und Studenten gegenüber dem Tiefst-
punkt, den wir von Ihnen vorgefunden haben, wieder um
100 000, nämlich auf 445 000, steigt. Wir können nicht al-
les das, was Sie 16 Jahre lang runtergewirtschaftet haben,
in einem Jahr oder in zwei Jahren reparieren;
aber umkehren muss man auf diesem falschen Weg.
Dasselbe gilt auch für das JUMP-Programm.
Jugendausbildung, Jugendförderung, Jugendarbeit, genau
das haben wir gemacht nichts davon hatten Sie in Ihrem
Haushalt und genau das wird im Jahr 2002 so weiterge-
hen.
Meine Damen und Herren, zur Rentenreform. Weil Sie
das vorhin dazwischengerufen haben, will ich Ihnen ein-
mal den Anstieg der Beiträge in der Sozialversicherung
in den Jahren Ihrer Regierungszeit deutlich machen. Ich
fange im Jahr 1992 an. Da waren wir bei 36,8 Prozent.
Als Sie die Regierung verlassen mussten, weil die Wäh-
lerinnen und Wähler eine andere Mehrheit gewählt hat-
ten,
1998, waren wir bei 42,1 Prozent.
Nun sind wir bei 40,9 Prozent.
Ich komme auf das Thema der Gesundheitsreform noch
zurück; gar keine Angst. Da sehen Sie: Das erste Mal
überhaupt geht es deutlich wieder abwärts
mit dem Beitrag. Sind Sie eigentlich nicht in der Lage,
ein Satzgefüge vom Hauptsatz bis zum Relativsatz an-
zuhören?
Das wird im Haushalt 2002 nun auffällig. Das ist ein
Quantensprung. Was Sie nie geschafft haben klarzuma-
chen, haben wir geschafft schwierig genug , nämlich
dass wegen der demographischen Entwicklung, weil es
in der Zukunft viel weniger Beitragszahler und viel mehr
Rentenempfänger geben wird, das umlagefinanzierte Sys-
tem allein es nicht mehr leisten kann. Wer Altersarmut
vermeiden will, wer Überforderung der nächsten Genera-
tion vermeiden will, der muss zusätzliche private kapital-
gedeckte Vorsorge daneben stellen. Das ist der große Re-
formschritt, den Walter Riester für die Bundesregierung
für alle vorgeschlagen hat und den wir hier gegangen sind.
Das darauf muss man hinweisen stärkt übrigens auch
die Eigenverantwortung der Menschen. Wir fördern das,
indem wir in der Steuerreform die unteren Einkommen
besonders entlasten. Wir fördern das, indem wir eine steu-
erliche zusätzliche Förderung der Privatvorsorge gerade
für die kleineren Einkommen und für die Familien einge-
baut haben.
Meine Damen und Herren, ich will bei dieser Gele-
genheit auf ein anderes Thema im Zusammenhang mit der
Rentenversicherung hinweisen. Es ist ja nicht mehr wahr
ich rate auch, manche Schlacht der Vergangenheit da
nicht mehr zu schlagen , dass wir ein paritätisch, und
zwar halbparitätisch, finanziertes System in der Renten-
versicherung haben, das Arbeitgeber und Arbeitnehmer
gleichgewichtig finanzieren. Der Bundeszuschuss zur ge-
setzlichen Rentenversicherung steigt im nächsten Jahr auf
mehr als 140 Milliarden DM an. Anders gesagt: Ein Drit-
tel aller Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversiche-
rung sind inzwischen steuerfinanziert. Das heißt, der Steu-
erzahler ist längst der Dritte im Bunde. Die gesetzliche
Rentenversicherung wird von den Steuerzahlern, von den
beitragszahlenden Unternehmen und von den beitragszah-
lenden Arbeitnehmern, also drittelparitätisch, finanziert.
Diese Entwicklung ist im Übrigen vernünftig; denn es
ist falsch, die Sozialsysteme einseitig vom Faktor Arbeit
abhängig zu machen. Das belastet den Faktor Arbeit und
erhöht in den Betrieben den Druck, Arbeitsplätze wegzu-
rationalisieren. Darüber hinaus ist es für die Menschen
viel schwieriger, im Laufe ihres Lebens die Erwerbs-
biografien werden immer unterschiedlicher Teilzeit-
arbeitsverhältnisse einzugehen, wenn sie dafür über die
Höhe ihrer Rente bestraft werden. Wir brauchen eine stär-
kere Stabilisierung der Sozialsysteme, insbesondere der
Rentenversicherung ich komme auf die Gesundheits-
reform gleich zu sprechen , durch den Bundeshaushalt.
Was soll eigentlich der Streit um die Ökosteuer? Der
ganze Unterschied zwischen Ihnen und uns besteht darin,
dass Sie, um denselben Zweck wie wir zu erfüllen, die all-
gemeine Verbrauchsteuer erhöht haben, weil Ihnen sonst
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Bundesminister Hans Eichel
18237
die Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung auf
über 21 Prozent in den Wahlkampf 1998 hineingeplatzt
wäre. Wir haben Ihnen sogar dabei geholfen, das abzu-
wenden; denn eine solche Entwicklung wäre für Deutsch-
land schlimm gewesen.
Wir haben die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen
Prozentpunkt gemeinsam beschlossen. Das Geld, das da-
durch zusätzlich eingenommen wurde, wurde der gesetz-
lichen Rentenversicherung unmittelbar zugeführt, um den
Anstieg des Beitragssatzes in der Rentenversicherung auf
mehr als 21 Prozent zu verhindern.
Wir erheben es handelt sich um nichts anderes eine
spezielle Verbrauchsteuer. Sie können das ablehnen. Aber
der ideologische Krieg, den Sie um diese Frage entfesselt
haben, lohnt sich in überhaupt keiner Weise.
Nächster Punkt: Qualität der Staatsausgaben. Wir
haben ich muss das jetzt präzise sagen die Infrastruk-
turinvestitionen, was den Verkehr angeht, nicht nur er-
höht, sondern auch verstetigt. Man wird genau hinsehen
müssen, was im Haushalt unter Investitionen erscheint.
Es ist sehr unvernünftig, das Gesamtthema anders, als wir
es tun, zu handhaben. Wenn zum Beispiel Russland seine
Schulden nicht bezahlt und wir auf den Plan treten müs-
sen, wenn bestimmte Investitionen zu tätigen sind, dann
wird niemand diese Verwendung des Begriffs Investitio-
nen für vernünftig halten, auch wenn man um ihn nicht
herumkommt.
Lassen Sie uns einen Blick auf die Bauinvestitionen
werfen. Es ist richtig, die Investitionen im Bereich des
Hochbaus und des Wohnungsbaus zu reduzieren. So vor-
zugehen ist eine Konsequenz der alternden Gesellschaft.
Ich will Sie ganz ruhig auf eines hinweisen: Die Debatte
darüber, was die Schrumpfung der Anzahl der in Deutsch-
land lebenden Menschen für den öffentlichen und für den
privaten Kapitalstock bedeutet, wird irgendwann kom-
men. Jeder soll über diesen Sachverhalt einmal in aller
Stille nachdenken und überlegen, wie seine wirtschaftlich
begründete Position zum Thema Zuwanderung aussieht.
Wir investieren in den Verkehr. Wir haben mithilfe der
Zinsersparnisse, die wir durch die Schuldentilgung auf-
grund der Einnahmen durch die Versteigerung der UMTS-
Lizenzen erzielen konnten, ein kleines Konjunkturpro-
gramm, besser: ein Strukturprogramm, aufgelegt: dreimal
2,9 Milliarden DM, und zwar jeweils 2001, 2002 und
2003. Mit der LKW-Maut, die 2003 eingeführt wird, wird
das Anti-Stau-Programm finanziert.
Das bedeutet zusätzliche Einnahmen in Höhe von 7,5 Mil-
liarden DM.
Was den Aufbau Ost angeht, haben wir, genau wie es
unserer Politik entspricht, sozusagen eine ganz lange
Linie gezogen. Die ostdeutschen Länder wissen jetzt,
welche Finanzen ihnen bis 2020 zur Verfügung stehen,
nämlich 306 Milliarden DM. Davon sind allein 206 Mil-
liarden DM Sonderbundesergänzungszuweisungen.
Damit verbunden ist eine erhebliche Steigerung der Ei-
genverantwortung, der Gestaltungsmöglichkeiten der ost-
deutschen Länder. Bereits der Haushalt 2002 geht in diese
Richtung. Wir müssen noch im Gesetz über den Fi-
nanzausgleich realisieren, dass das Investitionsförde-
rungsgesetz die Dotierung liegt bei 6,6 Milliarden DM
um Sonderbundesergänzungszuweisungen erweitert wird.
Das heißt: bei demselben Geld mehr Eigenverantwortung
der Länder; das haben sie gewollt. Deshalb wollten sie sel-
ber ihre Fortschrittsberichte vorlegen; das war nicht unsere
Idee. Diese Idee hatten die ostdeutschen Länder selber. Ich
finde das sehr gut. Vielleicht da stimme ich Herrn Kol-
legen Biedenkopf zu überlegt sich manches westdeut-
sche Land, ob es sich daran nicht ein Beispiel nehmen
könnte. Damit ziehen wir langfristige Linien und schaffen
auf lange Sicht Planungssicherheit.
Der nächste Punkt ist die Energiewende: weg vom Öl.
Ich weiß sehr wohl, dass das Thema zurzeit nicht sonder-
lich Konjunktur hat. Aber wer sich einmal ernsthaft mit
den Fragen des Weltklimas und den Konsequenzen, die
Änderungen haben, beschäftigt und sich nur einen Mo-
ment überlegt, was es für diese Welt bedeutet, wenn sich
die Erde weiter erwärmt, wenn die Meeresspiegel steigen
man schaue sich einmal an, welche Küstenregionen zu-
erst überschwemmt werden und von wo die Menschen
zuerst flüchten müssen , der kann sich eine solche Ent-
wicklung für unsere Kinder und Enkel nicht wünschen.
Es mag zwar nicht alles populär sein, aber wir sind
auch nicht dazu da, nur populäre Dinge zu verkünden,
sondern die, die wir nach unserem besten Wissen und
Gewissen für die Zukunft dieses Landes als notwendig
ansehen.
Die Politik des Klimaschutzes und Maßnahmen, die uns
weg vom Öl führen, sind zwingend notwendig, übrigens
auch, um uns von den weltwirtschaftlichen Fährnissen, den
erratisch hin- und herschwankenden Ölpreisen ein
Stückchen unabhängiger zu machen. Hierzu finden Sie eine
Reihe von Positionen im Haushalt: das 100 000-Dächer-
Programm, um erneuerbare Energien einzuführen, Wärme-
dämmung an Gebäuden dreimal 400 Millionen DM in
diesen drei Jahren, also auch im Haushalt 2002 , die
Energieforschung, das Stromeinspeisegesetz außerhalb des
Haushaltes und viele andere Elemente mehr. Diese Politik
müssen wir auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
konsequent fortsetzen, egal, mit welchen Instrumenten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18238
Nun zur Agrarwende: von der Quantität zur Qualität.
Ja, meine Damen und Herren, ich akzeptiere vorüberge-
hend auch Mehrausgaben, weil es schwierig ist, diesen
Sektor umzubauen. Eines muss aber ganz klar sein: Die
Zukunft liegt nicht in mehr, sondern in weniger Agrarsub-
ventionen. Das gilt sowohl für den Haushalt der Europä-
ischen Union wie für den Bundeshaushalt und wahr-
scheinlich auch die Haushalte der Länder.
Hierfür gibt es viele Gründe: Wenn wir das nicht in den
Blick nehmen, wird die EU-Osterweiterung eine bittere
Belastung für unseren Haushalt und kann nicht finanziert
werden. Wenn wir das nicht in den Blick nehmen, werden
wir auch die nächste Welthandelsrunde nicht bestehen.
Im Übrigen stellt es gegenüber den Dritte-Welt-Ländern
auch ein Stück Betrug dar, auf der einen Seite unsere
Märkte für sie zu versperren und auf der anderen Seite un-
sere hoch subventionierten Produkte in Konkurrenz zu
ihren Produkten auf den Weltmarkt zu drücken. Wenn man
dazu sagt, dann müssen wir denen auch Subventionen ge-
ben, indem wir die Entwicklungshilfe erhöhen, kann ich
das verstehen, aber als Finanzminister muss ich sagen: Um-
gekehrt wird ein Schuh daraus. Wir müssen die Märkte öff-
nen, die Subventionen herunterfahren und den Entwick-
lungsländern die Chance geben, selber Geld auf den
Weltmärkten zu verdienen. Das wäre ein vernünftiger Weg.
Ihre Vorschläge zum Haushalt ich komme darauf be-
inhalten jedoch genau das Gegenteil.
Unsere Politik hat sich ja ausgezahlt. Im Moment geht
es leider mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit nicht mehr
voran, wenn ich mir die konjunkturelle Lage ansehe. Das
ist wahr. Schauen wir doch einmal, was in den Jahren nach
der Wiedervereinigung, als Sie regierten, und was in de-
nen, als wir regierten, geschehen ist.
Ich will dabei nicht sagen, dass das alles auf unsere Poli-
tik zurückzuführen ist, aber auch auf unsere Politik. In den
Jahren 1999, 2000 und bis dato in diesem Jahr ist die Zahl
der Erwerbstätigen, die der Arbeitnehmer übrigens auch,
um 1,2 Millionen gestiegen.
In den Jahren 1991 bis 1998 ist sie um 1,14 Millionen ge-
sunken. Das war Ihre Bilanz.
Wir haben in zwei Jahren so viele neue Arbeitsplätze in
Deutschland geschaffen, wie in den acht vorherigen Jah-
ren verloren gegangen sind.
Ihre Mär das wird daran schon deutlich , das hätte
etwas mit der demographischen Entwicklung zu tun, weil
mehr Leute aus dem Erwerbsleben ausschieden als neu
hinzukämen, ist völlig falsch. Denn die Arbeitslosenzah-
len sind von 1998 bis 2001 nur um 466 000 gesunken. Das
heißt, es findet ein ganz anderer Vorgang statt. Es ist ein
erheblicher Zugang von erwerbsfähigen Personen an den
Arbeitsmarkt zu verzeichnen. Diesen Arbeitsmarktzu-
gang werden wir auch weiterhin brauchen; das war vorhin
der Hintergrund meines Hinweises auf die Kinderbetreu-
ung. In den Jahren ab etwa 2007 wird unübersehbar deut-
lich werden, dass wir alle Menschen am Arbeitsmarkt
brauchen, auch die Frauen. Herr Braun, der Präsident des
Deutschen Industrie- und Handelskammertages, hat das
sehr genau verstanden. Wenn die Zahl der Erwerbsfähigen
altersbedingt geringer wird, müssen wir alle Reserven
ausschöpfen und den Frauen den Weg in die Arbeit öffnen,
soweit sie ihn noch nicht gefunden haben.
Meine Damen und Herren, es gibt ein paar deutsche
Sondersituationen, auf die ich ausdrücklich hinweisen
möchte. Daher kritisiere ich Sie auch nicht für den Abbau
der Erwerbstätigkeit in Ihrer Regierungszeit. Schließlich
war der erste große Abbau durch den Zusammenbruch der
nicht wettbewerbsfähigen Industrie in der früheren DDR
bedingt. Dies halte ich nur als Sachverhalt fest. In diesem
Bereich bauen wir mühsam wieder auf. Das Zweite sind
die Überkapazitäten am Bau, die reduziert werden müssen.
Diese Überkapazitäten sind allerdings durch eine falsche
Politik in der ersten Hälfte der 90er-Jahre entstanden.
Das wissen Sie selbst ganz genau; Sie haben diese falsche
Politik nur viel zu spät beendet. Das Dritte sind die Über-
kapazitäten im öffentlichen Dienst. Das ist auch ein Erbe
der alten DDR. Wir wissen, dass es dort versteckte Ar-
beitslosigkeit gab und dass die dortige Arbeitsmarktpoli-
tik unvernünftig war. Das hat dann auch Einfluss auf
unsere Konjunktur, während auf der anderen Seite
Deutschland beim Aufbau von Arbeitsplätzen im Dienst-
leistungsbereich vor den anderen großen Ländern Euro-
pas wie Frankreich und Italien steht; nur das eine oder an-
dere kleine Land ist hier noch ein bisschen besser.
Die Arbeitsmarktpolitik wollen wir auch angesichts
der gegenwärtigen konjunkturellen Eintrübung, die einen
weiteren Beschäftigungsaufbau im Moment in der Tat ge-
stoppt hat, verstetigen. Das Job-Aqtiv-Gesetz, das Herr
Kollege Riester vorlegt, ist ein positiver Beitrag zu dieser
Entwicklung, ebenso die weitere rechtliche Ausgestaltung
der Leiharbeit.
Das wird am Arbeitsmarkt hilfreich sein, aber die kon-
junkturelle Abschwächung natürlich nicht ausgleichen
können.
Wie sehr Deutschland durch diese Politik gewonnen
hat, mache ich noch an einem einzigen Beispiel deutlich:
Während zu Ihrer Regierungszeit in den 90er-Jahren aus-
ländische Investitionen in der Regel einen großen Bogen
um Deutschland gemacht haben
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18239
im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit waren es 40 Milli-
arden DM an Direktinvestitionen; das war schon ein An-
stieg , betrugen sie im Jahre 1999, dem ersten Jahr unse-
rer Regierungszeit, netto 100 Milliarden DM. Im Jahr
2000 sind die ausländischen Direktinvestitionen auf netto
400 Milliarden DM gestiegen. Das ist ein Erfolg der Po-
litik dieser Bundesregierung, die ich Ihnen eben darge-
stellt habe.
Meine Damen und Herren, es ist ja nicht zu leugnen,
dass es angesichts der Konjunkturentwicklung Risiken
für unseren Haushalt gibt. Der Haushalt für das Jahr 2001
ist im Wesentlichen im Plan. Es gibt ein paar Risiken, aber
ich sage ganz ausdrücklich: Die konjunkturell bedingten
Steuermindereinnahmen, die wir auch im Vergleich zur
Mai-Steuerschätzung noch haben werden das werden
wir im November wissen , und die Mehrausgaben für
den Arbeitsmarkt können mit einer Reihe anderer Maß-
nahmen saldiert werden. Wenn wir uns ordentlich an-
strengen, kann der Weg der Verringerung der Nettokredit-
aufnahme am Ende, also der Weg aus der Schuldenfalle,
auch in diesem Jahr konsequent gegangen werden.
Einzuschätzen sind die Risiken und Chancen für den
Haushaltsplanentwurf 2002. Nun wundert mich, dass von
Ihnen plötzlich manches infrage gestellt wird, was Sie
16 Jahre lang vernünftig praktiziert haben. Dreimal im
Jahr erarbeitet die Bundesregierung eine Konjunktur-
prognose: zum Jahreswirtschaftsbericht, zur Steuerschät-
zung im Mai, auf deren Basis die Bundesregierung den
Haushaltsplanentwurf für das folgende Jahr aufbaut, und
zur Steuerschätzung im November, also rechtzeitig zur Be-
reinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Deut-
schen Bundestages, damit wir die Chance haben, auch die
jeweils neuesten Daten in unsere Haushaltspolitik ein-
zubeziehen. Alles andere macht keinen Sinn. Deswegen
will ich jetzt auch nicht über einzelne Zahlen spekulieren,
sondern wir werden die November-Steuerschätzung ab-
warten und deren Ergebnisse dann in unseren Beratungen
berücksichtigen.
Klar ist nach dem gegenwärtigen Stand Folgendes:
Wenn wir in diesem Jahr die im Mai vorausgesehenen
2,25 Prozent Wirtschaftswachstum wir lagen damals
eher am unteren Ende des Prognosespektrums nicht er-
reichen werden, werden sich daraus aller Voraussicht nach
Steuermindereinnahmen und Konsequenzen bezüglich
der Ausgaben für den Arbeitsmarkt ergeben. Egal, wie das
Jahr 2002 läuft, ob wir also das von uns prognostizierte
Wachstum erreichen werden oder nicht wir liegen jetzt
in der Mitte des Prognosespektrums , werden wir einen
Basiseffekt aus diesem Jahr haben, den wir in den
Haushaltsplanberatungen im November einzustellen ha-
ben werden.
Meine Damen und Herren, wir haben einige andere
Probleme zu berücksichtigen. Weil die Länder anders
nicht für dessen Erhöhung zu gewinnen waren, kostet uns
das Kindergeld 2 Milliarden DM mehr, als wir in den
Haushaltsplan eingestellt hatten; wir müssen nämlich
0,65 Prozentpunkte der Mehrwertsteuereinnahmen an die
Länder abtreten. Diese 2 Milliarden DM müssen im Laufe
der Beratungen in den Haushalt eingestellt werden. Die
Bundesregierung wird sich an diesen Beratungen natür-
lich mit sehr präzisen Vorschlägen beteiligen.
Das heißt für den Haushaltsausschuss darum will ich
nicht einen Moment herumreden , dass er eine sehr
schwierige Aufgabe vor sich hat. Ich bin sehr dankbar,
dass die Haushälter beider Koalitionsfraktionen klar zum
Ausdruck gebracht haben, sie wollten den Kurs der Ver-
ringerung der Nettokreditaufnahme, wie im Som-
mer 1999 beschlossen, planmäßig fortsetzen, und dass
dieser Kurs von beiden Koalitionsfraktionen getragen
wird.
Was wäre das für eine Situation, wenn wir so kurz nach
Einleitung des Konsolidierungskurses schon wieder ins
Stottern gerieten? Das ist ja der Weg, den Sie uns vor-
schlagen.
Nein, meine Damen und Herren, das wird harte Arbeit
sein, das werden weitaus schwierigere Beratungen als im
vergangenen Jahr sein. Im vergangenen Jahr haben wir
Erhöhungen der Ausgaben ich erinnere an die
Zwangsarbeiterstiftung im Haushalt angesichts der
Konjunkturentwicklung, die uns Mehreinnahmen ge-
bracht und Minderausgaben bewirkt hat, auffangen kön-
nen. Das alles können wir dieses Jahr nicht. Die Haus-
haltsberatungen werden ein sehr schwieriger Prozess
werden. Es wäre völlig unsinnig, auch nur einen Moment
darum herumzureden.
Ich will bei dieser Gelegenheit auch deutlich machen,
dass wir natürlich darauf achten werden, dass sich die Eu-
ropäische Union gegenwärtig erhalten wir jedes Jahr
Rückflüsse ähnlich wie die nationalen Regierungen ver-
hält. Ich halte es für richtig, wenn wir aus Brüssel ermahnt
werden, den Konsolidierungskurs nicht zu verlassen. Es
kann aber nicht so sein, dass das für den Haushalt der Eu-
ropäischen Union nicht gilt. Der Haushalt der Europä-
ischen Union muss an denselben Maßstäben gemessen
werden wie die Haushalte der Mitgliedstaaten der Eu-
ropäischen Union.
Ich will eine andere, möglicherweise nicht ganz be-
queme Aussage treffen: Europa heißt aus meiner Sicht
nicht, dass wir über jeder bereits vorhandene Verwal-
tungsebene eine weitere errichten, dass wir auf Steuern,
die wir schon haben, immer noch weitere Steuern drauf-
satteln. Das Geld, das wir in Europa ausgeben, ist auch
unser Geld. Wenn wir mehr an Kompetenzen nach Brüs-
sel verlagern, dann heißt das auch, dass die nationalen
Haushalte darauf reagieren müssen. Das ist nicht ganz
einfach; das weiß ich wohl. Aber ein Europa, das von den
Bürgern als ein ständiges Steuererhöhungsprogramm
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18240
empfunden wird, wird bei den Menschen nicht populär
sein.
Deswegen werden wir in der jeweiligen nationalen Haus-
haltspolitik Konsequenzen zu ziehen haben.
Nun komme ich zu den Vorschlägen der Opposition;
sie sind ja hoch spannend.
Muss man da so genau unterscheiden? Das müssen Sie
wissen.
Ich möchte einige volkswirtschaftliche Überlegungen in
Bezug auf das Verhältnis von Haushalt und Konjunktur-
steuerung ansprechen. Zuerst muss man sich fragen, wo-
durch die konjunkturelle Abkühlung begründet ist. Dazu
gibt es außer von Ihren eigenen Konjunkturexperten eine
völlig einvernehmliche Position vom Internationalen
Währungsfonds über die OECD bis zu den wirtschaftswis-
senschaftlichen Instituten. Zum einen war diese Abkühlung
durch den Ölpreis bedingt. Deswegen müssen wir weg von
der Abhängigkeit vom Öl. Das ist aber kein neues Wissen.
Zweitens lag dies am Ende eines langen Konjunktur-
booms in den Vereinigten Staaten.
Das sind die beiden wesentlichen Gründe für die mas-
sive Abschwächung des Wachstums in der Weltwirtschaft.
Japan nenne ich bewusst nicht, weil Japan schon seit ein
paar Jahren große Probleme hat und als ein besonderer
Motor der Weltwirtschaft ausgefallen ist. Das ist übrigens
genau die Position, die Horst Köhler Sie kennen ihn ja
noch gut genug , der Managing Director des Internatio-
nalen Währungsfonds, vertritt. Wir haben gestern noch
darüber geredet.
Wenn das so ist, muss man sich auch klarmachen, was
es für nationale Handlungsmöglichkeiten gibt. Es ist
zunächst einmal zu sagen, dass eine Konjunktursteu-
erung durch nationale Haushalte in Zeiten des europä-
ischen Binnenmarktes und globalisierter Märkte völlig
wirkungslos ist.
Das kann man am Beispiel Japan erkennen. Dort gibt es
eine Einheit von Markt und Währungsgebiet. Trotzdem
versuchen die Japaner seit Jahren, leider beraten durch die
amerikanische Regierung, ihre Wirtschaft durch gewal-
tige Konjunkturprogramme wieder voranzubringen. Das
Ergebnis ist, dass sie sich in einer Rezession befinden und
dass sie eine Staatsverschuldung aufgebaut haben, die
2,5-mal so hoch ist wie die deutsche.
Angesichts der Tatsache, dass die japanische Gesellschaft
auch noch viel größere Probleme hinsichtlich ihres Alters-
aufbaus hat als wir, möchte man dort wirklich kein Fi-
nanzminister sein. Eine Konjunktursteuerung scheidet
also aus.
Die Steuerreform 2001, die wir übrigens nicht
aus konjunkturellen, sondern aus strukturellen Gründen
durchgeführt haben, kommt allerdings aus konjunk-
turellen Gründen wie gerufen. Noch im Herbst des ver-
gangenen Jahres begann in Brüssel die Diskussion da-
rüber, dass die Steuerreform prozyklische Finanzpolitik
sei und dass wir sie eventuell verschieben sollten. Davon
redet keiner mehr. Wer jetzt aber glaubt, durch Vorziehen
der Steuerreform etwas erreichen zu können, wer glaubt,
eine zusätzliche Entlastung von 15 Milliarden bzw.
13 Milliarden DM durch ein Vorziehen der Steuerreform
von 2003 auf 2001 brächte es, der hat volkswirtschaftlich
wirklich nichts verstanden.
Das Entscheidende ist: Weil der Staat die Konjunktur
nicht steuern kann, da sie von zu vielen Faktoren beein-
flusst wird, muss er verlässliche Rahmenbedingungen
setzen, mit denen die Bürger genauso wie die Unterneh-
men rechnen können. Auf der einen Seite müssen also der
Konsolidierungskurs er ist mittelfristig angelegt: bis
2006 ein ausgeglichener Haushalt und dann der Beginn
des Abbaus der Staatsverschuldung und auf der anderen
Seite der Steuerkurs, der ebenfalls über zwei Wahlperi-
oden angelegt ist, berechenbar sein und durchgehalten
werden. Wir müssen in diesem Punkt noch besser werden.
Im Staatshaushalt müssen Investitionen berücksichtigt
werden, mit denen die Zukunftsfähigkeit gestärkt wird. Es
ist natürlich völlig unsinnig, Bildungsausgaben von der
Konjunktur abhängig zu machen. Diese Ausgaben fallen
in jedem Fall an.
Auch die Ausgaben für den Ausbau der Infrastruktur dür-
fen nicht von der Konjunktur abhängig sein. Ein Ausbau
der Infrastruktur wird in jedem Fall gebraucht.
Träger des Wachstums sind die Wirtschaftssubjekte
wie Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger, also die
Konsumenten. Es gibt keinen Grund für Pessimismus, da
mit sinkender Inflationsrate immer deutlicher sichtbar
wird, wie viel Geld die Steuerreform den Bürgerinnen und
Bürgern in der Tasche lässt. Ich sage ausdrücklich, dass
sie dieses Geld ruhig ausgeben sollen. Das ist kon-
junkturell hilfreich.
Worauf es am Schluss ankommt, ist doch, dass Fiskalpo-
litik, Lohnpolitik und Geldpolitik spannungsfrei für inflati-
onsfreies Wachstum zusammenwirken. In diesem Zusam-
menhang danke ich der Europäischen Zentralbank
ausdrücklich für ihre Zinspolitik mit den Zinssenkungen.
Wenn wir beim Konsolidierungskurs nur einen Moment ge-
wackelt hätten, hätte die Europäische Zentralbank die Zin-
sen nicht gesenkt. Darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel.
Es hätte auch volkswirtschaftlich keinen Sinn gemacht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
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Es zeugt von der großen Reife der deutschen Gewerk-
schaften, dass sie in dieser Phase langlaufende Tarifver-
träge abgeschlossen und bei der kurzfristigen Steigerung
der Inflationsrate keine Nachschlagsdiskussion geführt
haben. Auch das hat der Europäischen Zentralbank ge-
holfen, nun eine aktivere Rolle zu spielen. Damit wird
klar: Mit dieser Politik sind wir auf europäischer Ebene
eingebunden.
Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt,
den Sie während Ihrer Regierungszeit abgeschlossen ha-
ben, Herr Kollege Waigel, und der uns dazu verpflichtet,
mittelfristig zu ausgeglichenen Haushalten und zu Über-
schüssen zu kommen, ist die eine Bindung. Die sich da-
raus ergebende andere Bindung sind die jährlichen Stabi-
litätsprogramme bezüglich der Defizitziele, zu denen ich
mich ausdrücklich bekenne.
Ich habe darauf hingewiesen das war schon eine wun-
dersame Diskussion , dass neben den Defizitzielen, die
jährlich gelten, auch eine mittel- und langfristige Orien-
tierung der Haushaltspolitik über Ausgabenziele erforder-
lich ist. Diese Politik muss in den Konsolidierungsrahmen
passen, wie wir ihn mittelfristig mit 0,8 Prozent Wachs-
tum pro Jahr abgesteckt haben. Wer das Wachstum in die-
ser Höhe einplant, der plant auch die permanente
Staatsmodernisierung ein. Man braucht einen Fahrplan,
um unseren Staat moderner zu machen. Sonst kann man
dieses Ziel nicht erreichen.
Deswegen brauchen wir in Ergänzung zu den Defizit-
zielen die Ausgabenziele. Im Übrigen gibt es in diesem
Punkt völliges Einvernehmen mit dem zuständigen Kom-
missar wie auch mit dem Präsidenten der Europäischen
Zentralbank. Darüber hinaus gibt es die wirtschaftspoliti-
schen Leitlinien, mit denen jährlich in der Kommission
die Finanzminister verabschieden das dann die Linien
für die Finanz- und Wirtschaftspolitik aller Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union vorgegeben werden.
Lassen Sie mich bei der Gelegenheit das berühmte
Thema automatische Stabilisatoren ansprechen.
Richtig ist so werden wir es auch halten , dass man in
ein sich deutlich verlangsamendes Wirtschaftswachstum
nicht hineinbremsen soll, um die Probleme nicht zu ver-
schärfen. Aber das Problem ist, dass Deutschland aber
nicht nur Deutschland; Frankreich und Italien ebenfalls
mit seiner Haushaltskonsolidierung noch längst nicht so
weit ist wie viele andere, vor allem kleine Länder in der
Europäischen Union. Das bedauere ich sehr. Es wäre bes-
ser gewesen, wenn man schon ab 1996 eine Konsolidie-
rungspolitik eingeleitet hätte, anstatt verfassungswidrige
Haushalte zu verabschieden. Dann hätten wir es heute
eine Menge leichter.
Aber die Situation ist nun einmal so, wie sie ist. Und das
bedeutet, dass diejenigen, die noch nicht ausgeglichene
Haushalte erreicht haben, dann, wenn es schwieriger wird,
gefragt werden, ob sie die automatischen Stabilisatoren in
vollem Umfang wirksam werden lassen können. Ich sage
ganz ausdrücklich: Alles, was dem Arbeitsmarkt nutzt
alle Investitionen in Bildung, in Zukunftsfähigkeit ,
steht nach meiner Auffassung nicht zur Disposition. Aber
Konsumausgaben können sehr wohl gegen andere Kon-
sumausgaben ausgetauscht werden. Das muss möglich
sein. Dies wird unser Beitrag zur Glaubwürdigkeit unse-
rer Position in der Europäischen Union und zur Stärkung
der gemeinsamen Währung sein.
Wie hart die Koordinierung inzwischen ist, sehen
Sie daran, dass man Steuersenkungen, wie sie Herr
Berlusconi in Italien vorhatte, zwar vor der Wahl verspre-
chen, aber nach der Wahl nicht umsetzen kann, weil dies
die europäischen Vereinbarungen nicht zulassen. Italien
hätte sich in eine unerträgliche Situation begeben, wenn
es gegen den Europäischen Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt vorsätzlich verstoßen hätte. Gleiches gilt auch
für uns.
Damit bin ich bei den Vorschlägen, die Sie angesichts
dieser Lage machen. Es ist relativ einfach: Das, was Sie
zuverlässig können, schlagen Sie auch jetzt wieder vor,
nämlich Schulden zu machen. Das ist das Einzige, was Sie
zuverlässig können.
Das Paket Ihrer Bundestagsfraktion zum Haushalt bedeu-
tet Mehrausgaben bzw. Einnahmeverzicht in Höhe von
36,5 Milliarden DM.
Für ein Jahr, für das Jahr 2002! Ein solch gigantischer
Verstoß gegen den Europäischen Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt und gegen die volkswirtschaftliche Vernunft ist
aus meiner Sicht in der Tat fast nicht beratungsfähig. Aber
das müssen Sie sich selber überlegen.
Im Übrigen: Zu keinem einzigen Vorschlag gibt es bei
Ihnen eine gemeinsame Meinung. Wenn es um das Vor-
ziehen der Steuerreform geht, sind die Ministerpräsi-
denten aus München und Wiesbaden ganz forsch. Aber
die Finanzminister aus Hessen oder Baden-Württemberg
sehen das ganz anders. Die nämlich sagen: Das geht über-
haupt nicht. Ich bin daher sehr gespannt, ob eine Lan-
desregierung im Bundesrat einen solchen Antrag stellt.
Sie können solche Anträge hier doch nur deshalb stellen,
weil die Ablehnung gesichert ist.
Aber das merken die Menschen im Lande. Glauben Sie
nicht, dass Ihnen das jemand abnimmt!
Ihre Steuerreform, wie sie im Papier von Frau Kollegin
Merkel zur neuen sozialen Marktwirtschaft veran-
kert ist,
würde einen Einnahmeausfall in Höhe von 175 Milliarden
DM bedeuten. Dafür gibt es in der Tat nur eine einzige Be-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
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schreibung da hat Herr Faltlhauser Recht : Das ist ein
Gag.
Mehrausgaben wollen Sie natürlich im Bereich der
Bundeswehr. Meine Damen und Herren, da wäre ich an
Ihrer Stelle vorsichtig! Sie haben Herrn Kollegen
Scharping bei der Bundeswehr eine Bruchbaustelle hin-
terlassen.
Sich angesichts dessen jetzt so aufzuführen ist wirklich
verantwortungslos.
Wir haben uns, unter Vereinbarung vieler Ausnahmen und
in Bündelung aller Kräfte, auf einen mittelfristigen Pla-
fond bis 2006 verständigt.
Wir haben uns weiterhin darauf verständigt, eine Fülle
von neuen Möglichkeiten betriebswirtschaftlicher Art und
neue Steuerungsinstrumente zu schaffen. Da hat der Kol-
lege Scharping eine Riesenaufgabe vor sich, um die ich
ihn nicht beneide.
Denn so wie Sie die Bundeswehr geführt haben, zeigt,
dass es Ihnen offensichtlich völlig egal war, was sie mit
dem Geld gemacht hat. So kann man eine solch große
Organisation nicht führen.
Allerdings wird es auch darüber besteht völlige
Einigkeit Schattenhaushalte, wie Sie sie gehabt haben,
nicht wieder geben.
Die Ausgaben für den Mazedonien-Einsatz sind mir
nicht schwer gefallen. Um deutlich zu machen, wie sich
unsere auswärtige Politik, in Geld ausgedrückt, darstellt:
Wenn wir eine so große Verantwortung für den Frieden in
Europa übernehmen und deutsche Soldaten nach Maze-
donien schicken, dann ist es doch völlig klar, dass auch al-
les für ihre Sicherheit Erforderliche getan werden muss.
Eine andere Antwort kann es darauf nicht geben.
Um das, vielleicht auch für die kommenden Debatten,
deutlich zu machen: Es ist richtig, dass der militärische
Beitrag der Bundesrepublik Deutschland verglichen mit
dem Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten
Staaten geringer ist. Das war zu Ihrer Zeit im Prinzip übri-
gens nicht anders
und das hat, ob man das fortführen will oder nicht, Tradi-
tion in Deutschland. Das ist in Japan ähnlich. Aber es gibt
kein Land auf der Erde, das sich im internationalen Be-
reich insgesamt so mustergültig bewegt wie wir. Wir sind
nach den USA und Japan der größte Zahler der Vereinten
Nationen und wir sind sogar ein pünktlicher und zuver-
lässiger Zahler, wenn Sie verstehen, was ich mit dieser
Anspielung meine.
Wir sind im Bereich der Entwicklungshilfe längst nicht
bei den 0,7 Prozent,
aber wir sind im Vergleich der großen Nationen, der G 7,
ganz vorne, weil andere es vorziehen, sehr viel mehr fürs
Militär und sehr viel weniger für die Entwicklungshilfe zu
tun.
Hinsichtlich des Schuldenerlasses gibt es in der OECD
nur ein einziges Land, das für die schwächsten Länder
dieser Erde mehr tut als Deutschland. Niemand tut so viel
für den Balkan, für die mittel- und osteuropäischen
Reformstaaten, für Russland und für das Zusammen-
wachsen Europas in der Europäischen Union wie wir. Un-
sere Beiträge für den internationalen Bereich machen ins-
gesamt rund 24 Prozent unseres Haushaltes aus. Schauen
Sie sich dazu einmal die Haushalte der anderen Nationen
an. Die Mischung ist anders. Unser Beitrag für den Frie-
den auf diesem Kontinent und auf der Erde ist aber wirk-
lich gewaltig.
Im Zusammenhang mit den Kosten will ich noch auf
zwei Dinge hinweisen. Frau Kollegin Schmidt beneide
ich nicht um die vor ihr liegende Aufgabe.
Es lag bei Ihnen. Wir haben die schwierigen, streitigen
Themen bereits am Anfang der Wahlperiode auf den Tisch
dieses Hauses gelegt.
Die Gesundheitsreform, die deutlich zur Kostendämp-
fung beigetragen hätte, ist an Ihrer destruktiven Mehrheit
im Bundesrat gescheitert. Das ist die Grundlage, von der
wir heute ausgehen müssen.
Deswegen kann man Frau Kollegin Schmidt um die Auf-
gabe, diese Probleme zu lösen, weiß Gott nicht beneiden.
Wir sind uns einig darin ich sage das mit aller Klar-
heit : Ein System, das, wie der internationale Vergleich
zeigt, in Europa weder zu den besonders kostengünstigen
noch zu den besonders effizienten gehört, muss sich seine
eigenen Effizienzreserven erschließen und kann nicht auf
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18243
Steuersubventionen rechnen. Auch das muss klar gesagt
werden.
Da in Berlin Wahlkampf ist, sage ich auch nach ei-
nem Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister :
Wer glaubt, dass die Berliner um die Lösung der Pro-
bleme, die Sie aufgehäuft haben und deretwegen es Neu-
wahlen in Berlin geben muss, mit riesigen Subventionen
aus den Haushalten des Bundes und der Länder herum-
kommen, der täuscht sich; er geht genau den alten, be-
quemen Weg weiter, der aber nicht zum Ziele führen wird.
Auch der neue Senat sieht das anders. Ich sage klar:
Wir bekennen uns zur Hauptstadt. Im Haushalt 2002 ste-
hen allein 820 Millionen DM für Berlin. Den größten Teil
des Wiederaufbaus der Museumsinsel finanziert inzwi-
schen der Bund. Auch das Jüdische Museum, das am
Sonntag eingeweiht worden ist, ist eine Bundeseinrich-
tung. Ich finde das richtig. Wir werden weiter darüber im
Gespräch bleiben, wie wir als Deutsche insgesamt unsere
Verantwortung für die deutsche Hauptstadt sehen.
Wir werden alles tun, was vernünftig und möglich ist.
Zum Schluss zu den Vorschlägen der CDU/CSU vor
dem Hintergrund des Europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspaktes. Die letzten Wochen waren ein Trau-
erspiel: Kollege Waigel glaubt, er könne mir nachweisen,
ich sei für eine Aufweichung der Ziele. Das ist ziemlich
unsinnig; denn ich setze seine Praxis bezüglich der Aus-
gabenziele fort. Aber ein Unterschied besteht: Unsere
Ausgabenziele sind ehrgeiziger.
Spannend finde ich Folgendes: Außer dem früheren
Finanzminister steigt kein Mensch aus Ihren Reihen in
dieses Thema ein.
Sie scheinen sich von der europäischen Stabilitätskultur
völlig verabschiedet zu haben. Das ist ja auch logisch;
denn Sie können ja nicht für den Europäischen Stabilitäts-
und Wachstumspakt eintreten. Sie versuchen mir an-
zuhängen, ich wolle ihn aufweichen.
Gleichzeitig aber machen Sie Haushaltsvorschläge, die
ein massives Abweichen vom Europäischen Stabilitäts-
und Wachstumspakt bedeuten.
Wie Sie in diesem Bereich Ihre Positionen gewechselt ha-
ben, zeigt, dass Sie nicht europafähig sind. Dieser Bereich
ist nicht das einzige Beispiel dafür.
Damit es ganz klar ist: Die Reformpolitik geht weiter,
und zwar auf dem Arbeitsmarkt mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
und den Regelungen zur Leiharbeit, in der Gesundheitspo-
litik in dieser und vor allem in der nächsten Wahlperiode,
mit der Förderung des deutschen Finanzmarktes bzw.
mit seinem Einbau in den gemeinsamen europäischen
Finanzmarkt noch in diesem Herbst im Rahmen des Vier-
ten Finanzmarktförderungsgesetzes, mit dem die Stär-
kung des Anlegerschutzes und die Verbesserung der Mög-
lichkeiten der Börse erreicht werden sollen, mit der
Allfinanzaufsicht und damit der Stärkung der Aufsicht
über die verschiedenen Finanzmärkte, mit der Zusam-
menführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, wie es
Kollege Riester angekündigt hat
das wird eines der großen Themen gleich am Anfang der
nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages sein ,
mit der Fortsetzung der Modernisierung des Unterneh-
mensteuerrechtes, das in der nächsten Wahlperiode einen
großen Schwerpunkt bilden wird, mit der Gemeinde-
finanzreform,
mit der Revitalisierung des Föderalismus, also einer bes-
seren Aufgabenabgrenzung und einer klareren Regelung
der Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern,
und mit der nationalen Deregulierung der Gütermärkte,
um einheitliche europäische Regeln zu schaffen.
Damit sind wir bei einem zentralen Thema: Wir kom-
men weiter, wenn wir einerseits aus der Ölabhängigkeit
herauskommen und andererseits Europa stärken. Der
europäische Binnenmarkt und auch die Osterweite-
rung, wenn sie richtig durchgeführt wird ist ein Wachs-
tumsprogramm für die Wirtschaft in Europa.
Wir werden ein Stück weit unsere Abhängigkeit von
den Vereinigten Staaten reduzieren, wenn wir Europa stär-
ken natürlich nicht gegen andere und die vorhandenen
Fähigkeiten ausbauen. Angesichts mancher Töne, die Sie
in den derzeitigen Wahlkampf eingeführt haben, sollten
Sie sich überlegen, ob dies irgendetwas mit der Zukunft
dieses Landes zu tun hat. Wir müssen europafähig sein.
Sie von der CDU/CSU waren doch einmal die große
Europapartei, was ich gut fand. Bleiben Sie es! Überlegen
Sie sich sehr gut, was Sie tun!
Meine Damen und Herren, wir jedenfalls bleiben auf
Kurs:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18244
Wir setzen uns für eine langfristig angelegte, berechen-
bare Finanzpolitik ein und wollen aus der Schuldenfalle
heraus. Wir sind für beschäftigungsfreundliche und
wachstumsfördernde Steuern und Abgaben, für öffentli-
che Haushalte, die nicht für vergangene Schulden auf-
kommen müssen, sondern die zukünftigen Wohlstand be-
zahlen und zuverlässig und ohne jedes Schwanken
in die europäische Solidarität eingebunden sind.
Ganz zum Schluss sage ich Ihnen: Sie sollten einem be-
kennenden konservativen Finanzminister folgen:
Der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch
schwankend gesinnt ist, der vermehret das Übel und
breitet es weiter und weiter. Wer aber fest auf dem
Sinne beharrt, der bildet die Welt sich.
Das sagte Johann Wolfgang von Goethe, konservativer
Finanzminister in Weimar.
Auf diese Weise bringen wir Deutschland voran. Ich bitte
Sie um Ihre Unterstützung.
Ich eröffne
die Aussprache und gebe für die CDU/CSU-Fraktion dem
Kollegen Austermann das Wort.
Dietrich Austermann (von der CDU/
CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das letzte Zitat zeigt, welch ein zeitloser
Geist Goethe gewesen ist: Er hat offensichtlich die
schwankende Position des Bundesfinanzministers zum
Stabilitätspakt beschrieben: ein schwankender Geist in
schwankender Zeit. Deutlicher kann man das nicht um-
schreiben.
Der Haushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. Ich
kann mir vorstellen, dass ein großer Teil der Bevölkerung
davon ausgeht, heute zu hören, was diese Bundesregie-
rung in dem letzten Jahr ihrer Regierungszeit vorhat, was
die Bundesregierung geplant hat und wo Schritte unter-
nommen werden, um das, was heute beklagt wird
schlechtes Wachstum, steigende Arbeitslosigkeit ,
möglichst in den Griff zu bekommen.
Was tut der Bundesfinanzminister? Ich habe mir die
Rede angehört. Er hat eine Dreiviertelstunde lang versucht,
Versatzstücke die hätte man beim Unterparteitag des Be-
zirkes Hessen-Süd vortragen können, wenn es für ihn da-
rum geht, eine Direktkandidatur zu ergattern, was er in Kas-
sel nicht geschafft hat , die sich auf die Zeit um 1998/1999
beziehen, vorzutragen. Nichts davon war zutreffend.
Es tut mir Leid, dass ich zu Beginn darauf noch einmal
eingehen muss. Ich hatte meine Rede anders aufgebaut.
Herr Eichel, zum Jahr 1998: von 1993 bis 1998 haben
wir beim Bund konstante Ausgaben gehabt, das heißt,
fünf Jahre lang Ausgaben in der gleichen Größenordnung.
Sie werden die Ausgaben nach vier Jahren insgesamt um
30 Milliarden DM gesteigert haben.
Verschuldung: Sie halten sich zugute, mit dem Schul-
denabbau Ernst zu machen, aber in den vier Jahren, in de-
nen Sie nun Finanzminister sind, haben Sie trotz des
UMTS-Geschenks 180 Milliarden DM neue Schulden
gemacht.
Nach der Haushaltsplanung dieser Regierung für ihr
letztes Regierungsjahr könnten es vielleicht noch mehr
werden.
Sie halten uns vor, wir hätten in der Vergangenheit zu
viele Schulden gemacht.
Diese Berechnung kommt auch immer wieder. Ich will
das erläutern: Gehen wir einmal von 1,3 Billionen DM per
31. Dezember 1998 aus, also der Zahl, die selbst von
Ihrem Haus in offiziellen Papieren veröffentlicht wird.
Dazu rechnen wir noch die Kassen, Fonds Deutsche Ein-
heit usw. Wenn ich die Zahl analysiere, komme ich zu
dem Ergebnis, dass 350 Milliarden DM Schulden sind,
die wir von Helmut Schmidt im Jahre 1982 übernommen
haben, 600 Milliarden DM Altschulden der DDR sind und
weitere 600 Milliarden DM netto aus dem Bundeshaus-
halt aufgewendet worden sind, um den Wiederaufbau in
den neuen Bundesländern zu leisten. Sie können diese Be-
träge einmal addieren. Natürlich habe ich Verständnis
dafür, dass Sie sich mit diesem Betrag kritisch auseinan-
der setzen. Wir hatten das Thema hier schon einmal: Weil
Sie mit der deutschen Einheit im Jahre 1989 und auch mit
den Schulden, die sich daraus ergeben, nichts am Hut hat-
ten
können Sie diese Schulden auch nicht als gesamtstaatli-
che Verpflichtung akzeptieren. Das ist der ganz wesentli-
che Punkt.
Ich will einen weiteren Punkt nennen, den Sie ange-
sprochen haben, und zwar die Familienpolitik. Diese ist
wichtig. Zunächst einmal stellen wir fest, dass Sie das
Kindergeld zum 1. Januar 2002 erhöhen wollen. Dies sind
Kosten in einer Größenordnung von 4,5 Milliarden DM.
Sie feilschen mit den Ländern noch darum, wer welchen
Anteil übernimmt. Gleichzeitig erhöhen Sie zum 1. Ja-
nuar 2002 die Ökosteuer: Das sind 5,7 Milliarden DM.
Dies rechne ich gegen, denn auch die Mütter, die die
Kinder betreuen, sind mit dem Auto unterwegs. Auch
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18245
Familien zahlen Ökosteuer. Ich berücksichtige ferner die
hohe Inflationsrate seit Sie an der Regierung sind, ken-
nen wir das Stichwort Inflationsrate wieder und ziehe
den entsprechenden Betrag auch noch ab. Ergebnis ist:
Den Leuten bleibt netto nichts übrig.
Ich vergleiche das mit der Situation während unserer
Regierungszeit und will Ihnen nur zwei Zahlen nennen:
Wir haben das Kindergeld für das erste Kind von 50 DM
auf 220 DM erhöht
und wir haben Steuerfreibeträge, die Sie damals abge-
schafft haben, wieder eingeführt. In den sechzehn Jahren
haben wir insgesamt etwa 50 Milliarden DM zusätzlich
für den Familienleistungsausgleich bewilligt.
In dieser Situation ist Ihr Beitrag völlig aberwitzig.
Alle wesentlichen Gesetze der letzten Jahre, die etwas
mit der Familie zu tun haben die Regelungen zum Er-
ziehungsgeld sowie andere , tragen die Handschrift der
CDU/CSU und der FDP.
Herr Eichel, Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie
den Vorwurf des Schuldenmachens hier aussprechen. Wer
die Bilanz von Hessen nach Ihren acht Jahren Regie-
rungsverantwortung kennt, weiß, dass zu dieser Zeit Sie
waren ein gelernter Schuldenmacher die Verschuldung
um 69 Prozent angestiegen ist. Dies ist sicherlich auch ein
Grund dafür, dass die Bürger Sie abgewählt haben.
Mit großem Respekt bewundere ich, was die Regierung
Koch mit Finanzminister Weimar in Hessen inzwischen
auf dem Gebiet der Stabilisierung der Landesfinanzen be-
wegt hat.
Ich könnte einen weiteren Aspekt ansprechen, nämlich
das Thema Rentenfinanzen. Man kann sich natürlich
selbst loben, indem man sagt, dass der Bund im nächsten
Jahr wahrscheinlich 141 Milliarden DM in die Renten-
kasse zahlt. Dass dies 41 Milliarden mehr sind als im
Jahre 1998, scheint bei Ihnen völlig untergegangen zu
sein. Dass es sich hierbei um einen Erfolg handelt, so
meine ich, kann man auch nicht unbedingt sagen. Es be-
deutet nämlich, dass ein Drittel der Ausgaben des Bundes
in die Rentenkasse geht. Wenn gleichzeitig Investitionen
zurückgefahren werden, ist der Haushalt doch schief.
Lassen Sie mich etwas zu den anstehenden Haushalts-
beratungen, zu unseren Vorschlägen und zur tatsächlichen
Situation, die nicht so ist, wie Sie sie schönreden, sagen.
Es sind noch 111 Tage bis zum Euro. Im nächsten Jahr
wird der Euro die DM als Bargeldwährung ablösen. Dies
sind also die letzten Haushaltsberatungen, die vor dem
Hintergrund einer erfolgreichen Währung die D-Mark
ist die erfolgreichste Währung, die es jemals auf deut-
schem Boden gab stattfinden.
Beides gibt Anlass, Bilanz zu ziehen. Wir haben die so-
ziale Markwirtschaft durchgesetzt und im vergangenen
Jahrzehnt zu einem weltweit anerkannten Erfolgsmodell
gemacht. Die Deutsche Mark war das allseits begehrte
und anerkannte Symbol des Aufstiegs der Bundesrepublik
zu einer führenden Wirtschaftsmacht in der Welt. Die
Deutsche Mark war ein Inbegriff sowohl der wirtschaftli-
chen Kraft als auch des sozialen Ausgleichs. Jetzt, nach
drei Jahren Rot-Grün, ist die soziale Marktwirtschaft von
Verkrustungen zu befreien. Das Stichwort neue soziale
Markwirtschaft verstehe ich so: Die Verkrustungen, die
sich in drei Jahren in vielen Bereichen der Wirtschaft ge-
bildet haben, müssen weg.
Die Politik der Bundesregierung hat den Euro aus
Dummheit und Überheblichkeit als taumelndes wäh-
rungspolitisches Weichei starten lassen. Sie, Herr Eichel,
haben sich mit Ihrem Vorstoß zu den Stabilitätskriterien,
mit dem Infragestellen des Stabilitätspaktes, kaum dass
ein wenig Sturm aufkommt, als Stabilitätsrisiko erwie-
sen. Das muss sofort aufhören. Wir werden das ab Okto-
ber 2002 ändern und dem Euro beibringen, in die richtige
Richtung zu laufen.
Nicht nur beim Euro, der immer noch etwa um ein Vier-
tel unter seinem anfänglichen Dollarkurs dahindümpelt,
hat die rot-grüne Bundesregierung versagt. Fast alle ge-
samtwirtschaftlichen Daten und alle haushaltspolitischen
Kennzahlen weisen in die falsche Richtung. Am 27. No-
vember des letzten Jahres habe ich bei der zweiten Lesung
des Haushaltes für dieses Jahr darauf hingewiesen, dass
sich dunkle Wolken am Konjunkturhimmel zeigen.
Das ist deshalb wichtig, Herr Kollege, weil viele das da-
mals belächelt haben. Viele glaubten, man könnte sich
über diese Warnzeichen hinwegsetzen.
Sie verweisen jetzt darauf, Sachverständige hätten dies
gesagt. Ich habe vier Mitarbeiter in meinem Büro. Sie ha-
ben 2 100 Mitarbeiter und etwa 90 mehr als Ihr Amtsvor-
gänger. Es kann doch nicht wahr sein, dass Sie nicht in der
Lage sind, festzustellen, dass die wirtschaftliche Ent-
wicklung in Deutschland in die falsche Richtung läuft.
Jetzt wollen Sie uns vertrösten und sagen, wir müssten die
Haushaltsberatungen eigentlich aussetzen, wir müssten
abwarten, bis die neue Steuerschätzung da ist, wir müss-
ten das Buch zumachen. So kann man das Finanzgeschäft
des Staates nicht betreiben.
Diese Bundesregierung verantwortet Mickerwachs-
tum. Im Haushalt für dieses Jahr stehen 2,75 Prozent
Wachstum, es werden 0 Prozent sein. Die Wirtschaft be-
findet sich in einer rezessiven Phase, die Arbeitslosigkeit
steigt. Sie haben die Konjunktur in den Sand gesetzt. Die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dietrich Austermann
18246
Investitionen schrumpfen trotz der UMTS-Milliarden, die
Energiekosten, die Abgabenquote und die Inflationsrate
steigen, die Kassenbeiträge gehen hoch und die Steuer-
quote klettert.
Was bleibt von der groß angekündigten Steuerreform?
Vergleichen wir wieder einmal die Jahre 1998 und 2002.
Sie werden im nächsten Jahr 58 Milliarden DM mehr
Steuern einnehmen als 1998. Das ist die größte Entlas-
tung in der Geschichte der Nachkriegszeit. Der Bund
nimmt durch Steuern 58 Milliarden DM mehr ein und
spricht von einem Impuls für den Arbeitsmarkt und einer
gewaltigen Entlastung für die Wirtschaft! Das kann doch
wohl nicht stimmen. Deswegen sagen wir, Herr Eichel:
Sie schwimmen im Geld. Sie teilen es bloß falsch ein.
Angesichts dieser Bilanz und der Daten habe ich von
Ihnen etwas Inhaltliches zum Haushalt erwartet. Zu Ihrer
Rede müsste man sagen: Zurück an die Arbeit, einen neuen
Haushalt vorlegen! Dieser taugt nichts. Fünf, setzen!
Schon der laufende Haushalt ist aus den Fugen. Nichts
stimmt mehr. Der neue Haushalt ist in seinen Grundan-
nahmen überholt. Die Arbeitslosigkeit steigt seit vielen
Monaten. Dem Steigflug der Arbeitslosenzahlen ent-
spricht der Sinkflug des Wirtschaftswachstums. Die im-
portierte Inflation trabt und die Bundesregierung gibt ihr
mit der Ökosteuer noch die Sporen. Die nächste Stufe soll
am 1. Januar 2002 folgen.
Ich will Ihnen einmal vorlesen, was im Monatsbericht
8/2001 des Bundesfinanzministeriums, der gestern er-
schienen ist, steht. Es heißt dort:
Im Gefolge des Kaufkraftentzuges im Inland durch
Preisanstieg bei Energie und Nahrungsmitteln ist die
deutsche Wirtschaft vorübergehend in eine Wachs-
tumspause geraten.
Mit anderen Worten: Das, was Sie gemacht haben, die
Energiepreise hochgetrieben und damit die Bürger mit
65 Milliarden DM belastet, hat das Wachstum negativ be-
einflusst. Das sagt Ihr Haus. Pfeifen Sie den Mann, der
das Papier geschrieben und gedruckt hat, zurück.
In dieser Broschüre vom gestrigen Tage sagen Sie an
anderer Stelle:
Die konjunkturelle Flaute
bestätigt der BMF-Mitarbeiter
belastet zusätzlich den Arbeitsmarkt.
Das heißt also, die von Ihnen verursachten hohen Ener-
giepreise belasten den Arbeitsmarkt. Das ist ein ganz ein-
facher Dreisatz. Vereinfacht kann dies nur heißen: Die Re-
gierung macht die falsche Politik. Sie ist für dieses Land
schädlich.
Jetzt möchte ich noch etwas zu den Beschäftigten-
zahlen sagen. Sie sind wirklich hochinteressant. Die Steu-
erreform von Gerhard Stoltenberg in den Jahren 1986,
1988 und 1990 hat für die Beschäftigung einen Schub in
der Größenordnung von zusätzlich etwa zwei Millionen
gebracht. Den Beschäftigungsschub, den Sie erzielt haben,
haben Sie durch buchhalterische Tricks in der Statistik,
durch Einbeziehung der Minijobs erreicht, aber nicht
durch einen einzigen wirtschaftspolitischen Impuls.
Herr Finanzminister, Sie sagen, es gebe keine Alterna-
tive zu Ihrem Weg aus der Staatsverschuldung. Diese Aus-
sage ist richtig, aber Ihr Weg ist falsch. Ich kann doch
nicht die Staatsverschuldung senken wollen, aber gleich-
zeitig 180 Milliarden DM neue Schulden machen. Trotz
des Geschenks der UMTS-Milliarden Sie haben es aus
meiner Sicht zu einem Flop verkommen lassen; das woll-
ten Sie ursprünglich nicht; Sie waren gegen die Privati-
sierung von Post und Telekom haben Sie gleichzeitig
180 Milliarden DM Schulden gemacht.
Man sagt immer: Hans Eichel spart. Sie lassen sich in
dem Lied, wofür Sie wohl selber Geld ausgegeben haben
ich nehme an, die jungen Leute wollten Sie mit dem,
was sie gesungen haben, veräppeln , als Sparmeister be-
zeichnen. Nun wollen wir uns einmal die Zahlen genau
anschauen. Der Etat steigt im nächsten Jahr um 8 Milliar-
den DM. Auch ohne Schattenhaushalte liegt er ganz
wesentlich über dem von 1998. Bauausgaben werden ge-
streckt, wodurch sie teurer werden. Einzelne Bauausga-
ben werden aufgebläht. Gutachteritis greift um sich. Aber
wenn Genossen zu bedienen sind, dann spielt Geld über-
haupt keine Rolle. Ich nenne hier einmal die GEBB, die
GTZ und Schuldenmanagement. Selbst pensionierte
Beamte müssen sich ein bescheidenes Zubrot von
600 000 DM erdienen. All das spielt keine Rolle.
Auch gilt es, alte Freunde zu bedienen. Herr Schmidt-
Deguelle sorgt dafür, dass Sie regelmäßig zu Sabine
Christiansen eingeladen werden. Das kann man sich ein
paar Mark wert sein lassen. Das ist in Ordnung. Aber muss
das der Steuerzahler bezahlen? Daran haben wir erhebliche
Zweifel.
Wir schauen uns die anderen Spezis an. 70 Spitzenbeamte
mussten weichen, und zwar nicht, weil sie schlecht waren,
sondern weil sie das falsche oder gar kein Parteibuch hat-
ten. Die Verfügungsfonds aller Minister, einschließlich
der des Verteidigungsministers, steigen in diesem Jahr um
43 Prozent. Wird hier gespart? Ich sage Ihnen: Die
Gruppe, die Ihnen das Lied gesungen hat, wollte Sie wohl
ein bisschen auf den Arm nehmen.
Was sagt die EU Sie haben sich mehrfach auf Urteile
Außenstehender bezogen dazu? Die EU sagt in einem lan-
gen, umfangreichen Bericht, der in Göteborg vorgelegt
wurde: Deutschland ist beim qualitativen Wachstum wie
beim Wachstum überhaupt Schlusslicht in Europa. Die
OECD sagt: Deutschland ist beim Sparen Schlusslicht in
Europa.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dietrich Austermann
18247
Die EU wird morgen ein Konzept vorstellen, indem sie
die Regierung dazu auffordert, die Steuern zu senken.
Hört, hört! Wir von der Union sind, zusammen mit der
FDP, auf der Linie der EU, die sagt: Deutschland als wich-
tigste Wirtschaftsmacht muss seine Schularbeiten ma-
chen, indem es die Steuern senkt. Das, was wir fordern, ist
genau richtig.
Sie wollen beim öffentlichen Defizit im Jahre 2004 bei
Null landen. Zunächst einmal mussten Sie zugeben, dass
Sie die vorgesehenen 1,5 Prozent nicht erreichen, sondern
wahrscheinlich bei 2 Prozent landen werden. Im Jahre
2006 wollen Sie dann auch im Bereich des Bundes bei
Null sein. Um das zu erreichen, müssten Sie jedes Jahr
10 Milliarden DM Schulden abbauen. Wir haben Ihnen
das vorgemacht. Wir haben in den Jahren 1997 und 1998
die Neuverschuldung um 21 Milliarden DM verringert,
Sie dagegen werden im nächsten Jahr vielleicht 1,5 Milli-
arden Mark schaffen. Es ist deutlich geworden, dass das
Sparen als echtes Einschränken offensichtlich nicht funk-
tioniert. Ihr für das Jahr 2006 angestrebtes Ziel erreichen
Sie natürlich nicht, und zwar erstens nicht, weil Sie ab
2002 nicht mehr im Amt sind, und zweitens nicht, weil Sie
dafür die falsche Politik machen.
Die Ausgaben klettern fröhlich weiter. Es werden neue
Gesetze gemacht, die zusätzliche Belastungen mit sich
bringen. Ich erinnere an LKW-Maut und Bundeswehrpri-
vatisierung; Schatten- und Nebenhaushalte feiern fröhliche
Urständ. Die Steuerquote geht nach oben. Ich sage: Es muss
umgesteuert werden, und zwar auch bei der Privatisierung.
Hier gehen Sie mit der Brechstange vor. Kein Finanzminis-
ter hat aus der Privatisierung mehr Geld eingenommen als
Sie. Die Zahlen, die Sie für 1998 genannt haben, stimmen
nicht; schauen Sie sich die Statistik an. Wenn wir die Erlöse
aus den UMTS-Lizenzen von 100 Milliarden DM Sie ha-
ben sie über zwei Jahre verteilt weglassen, so sind für die-
ses Jahr immer noch mehr als 21 Milliarden DM vorgese-
hen. Das ist ein Privatisierungsrekord. Eine andere Sache
ist, dass Sie eventuell mit der Politik, die Sie betreiben,
Schwierigkeiten bekommen, diese Summe zu erlösen; ein-
gerechnet haben Sie sie jedenfalls und ohne Privatisierung
werden Sie Ihre Probleme auch nicht lösen können.
Die Privatisierung mit der Brechstange spüren inzwi-
schen auch die Banken des Bundes, die KfW und die
DtA. Ich würde an Ihrer Stelle mit diesen beiden Institu-
ten vorsichtig umgehen, da die Wirtschaft von diesen In-
stituten ganz wesentlich lebt. Wenn man sie auf schwan-
kenden Grund stellt, gibt das nicht nur für den Bund,
sondern für weite Bereiche Probleme.
Wir haben vor dieser falschen Entwicklung gewarnt.
Wir sagen: Deutschlands Wachstumsdefizite ergeben sich
zu einem großen Teil aus Reformdefiziten dieser Regie-
rung, deren Kanzler auf zunehmende Wirtschafts- und Ar-
beitsmarktprobleme sinngemäß erklärt, Nichtstun also
eine Politik der ruhigen Hand sei ein politischer Wert an
sich. Wir sagen: Nichtstun hilft nichts.
Möglicherweise hat der Kanzler aber Recht und es ist bes-
ser, dass das, was Sie in den letzten drei Jahren gemacht
haben, nicht weitergemacht wird.
Wir müssen uns bei dieser Bilanz nicht darüber wun-
dern, dass diese Regierung einen Minushaushalt außer
beim Mogeln gibt es keine Kreativität vorgelegt hat. Sie
sind nicht der Herr der Haushaltslöcher, sondern der
Haushaltsschluchten. Wir wollen einen ganz anderen Ak-
zent setzen, nachdem wir festgestellt haben, dass Sie im
Verkehrs- und Bauhaushalt die Investitionen gegenüber
früheren Haushalten herunterfahren und die Bundeswehr
unterfinanziert ist. Man kann uns doch nicht vorwerfen,
die Bundeswehr sei in einem schlimmen Zustand, wenn
man gleichzeitig Jahr für Jahr der Bundeswehr 2,5 Milli-
arden Mittel wegnimmt.
Ich denke, dass der Verteidigungsminister Aufgaben der
Selbstverteidigung zu erledigen hat.
Wenn man heute feststellt, dass im Verteidigungsetat
dieses Jahres 2 Milliarden DM fehlen, kann man doch
nicht im nächsten Jahr die Mittel im Verteidigungshaus-
halt noch einmal um 660 Millionen herunterfahren. Die
Unterfinanzierung wird gnadenlos fortgesetzt.
Der Mittelstand, der schon bei der Steuerreform unter
die Räder gekommen ist, wird im Bundeshaushalt noch
einmal geknebelt.
Ja, Sachkunde würde nicht schaden.
Statt 1,34 Milliarden DM, die noch 1998 für Mittel-
standsförderung zur Verfügung standen, werden es im
kommenden Jahr nur noch 480 Millionen DM sein, also
ein Drittel von dem, was wir im Jahre 1998 für Mittel-
standsförderung ausgegeben haben.
Gleiches gilt für die neuen Länder und Berlin: Trä-
nenreich erzählen Sie von der Unterstützung für Berlin,
während Sie auf der anderen Seite sagen, diese Stadt muss
selber mit ihren Problemen zurechtkommen. Das passt zu
Ihnen: Sie haben eben kein gesamtdeutsches Herz.
Diese Stadt hat bis 1990 zu 50 Prozent vom Bund gelebt.
Trotzdem erwarten Sie, dass Berlin von einem Tag zum
anderen einen Sprung machte.
Berlin behält die Mittel aus dem Finanzausgleich; aber
Sie nehmen Berlin im nächsten Jahr durch den Haupt-
stadtvertrag zusätzlich 500 Millionen bis 600 Milli-
onen DM weg. Das ist angesichts der momentanen Ent-
wicklung unfair gegenüber der Hauptstadt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dietrich Austermann
18248
Sie wollten die Mittel für Forschung und Technologie
verdoppeln. Tatsächlich kürzen Sie die Ausgaben für die
erneuerbaren Energien um 100 Millionen DM. Sie haben
zwar öfter gesagt, dass wir vom Erdöl loskommen müss-
ten. Aber macht es dann einen Sinn, die Kernkraft zu stop-
pen? Diese Frage muss man zumindest stellen dürfen.
Das alles passt nicht zusammen.
Lassen Sie mich darlegen, wie wir umsteuern wollen,
wie unsere Alternative aussieht.
Die Steuern müssen stärker und schneller gesenkt und
die nächsten Stufen der Steuerreform vorgezogen werden.
Wenn man eine Steuerreform beschließt, die für 2003 und
2005 die nächsten Steuersenkungsschritte vorsieht, dann
kann man heute doch nicht so tun, als wenn das Vorziehen
dieser Schritte Teufelswerk wäre. Auch das passt nicht zu-
sammen.
Von Ihrer Salamireform merkt doch im Jahre 2005 kein
Mensch mehr etwas.
Wir wollen den Umsatzsteuerbetrug tatsächlich been-
den. Wir wollen mehr in die Zukunft investieren. Wir for-
dern 3 Milliarden DM mehr für den Straßenbau und den
Ausbau der Stadtkerne. Wir wollen die Infrastrukturlücke
in den neuen Ländern schließen, um eine Basis für einen
selbsttragenden Aufschwung zu schaffen.
Wir wollen mehr private Vorfinanzierungen von Infra-
strukturprojekten über Konzessionsmodelle. Des Weite-
ren muss der Arbeitsmarkt von seinen bürokratischen Fes-
seln befreit und müssen Mittel vom ersten Arbeitsmarkt in
Investitionen umgelenkt werden. Heute ist berichtet wor-
den, dass Mittel, die eigentlich für die Finanzierung von
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Ländern
bereitgestellt wurden, zum Teil in die alten Bundesländer
transferiert werden. Wie passt das mit Ihrer Aussage zu-
sammen, dass Sie den neuen Ländern helfen wollen? Hier
scheint es offensichtlich Luft für Investitionen zu geben.
Wir wollen die neuen Länder und Berlin mit 0,5 Milli-
arden DM zusätzlich stärken. Wir fordern, dass die
nächste Stufe der Ökosteuerreform ausgesetzt wird. Das
gesamte Sozialsystem muss gründlich reformiert werden.
Es kann nicht angehen, dass die Bauern in Zukunft immer
weniger Geld haben, während die Verbraucher immer
mehr zahlen müssen. Das werden wir beenden. Außerdem
werden wir die Staatsfinanzen neu ordnen. Wir werden
Einnahmeverbesserungen erzielen und bei Privatisierun-
gen die Schattenhaushalte auflösen. Deshalb gibt es mit
uns keine höhere Neuverschuldung.
Herr Eichel, Ihr Haushalt eignet sich kaum als Arbeits-
grundlage. Dennoch werden wir uns in den Haushaltsbe-
ratungen der nächsten Monate wie schon beim letzten
Haushalt dieser rot-grünen Bundesregierung darum be-
mühen, von Beginn an die Weichen grundsätzlich anders
zu stellen, und zwar für mehr Wachstum, für eine Bele-
bung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie für besser
geordnete Staatsfinanzen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile
dem Kollegen Joachim Poß das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Finanzpolitik ist Vertrauenssache, Herr
Austermann. Mit einem Sammelsurium von Halb- und
Unwahrheiten sowie schiefen Vergleichen schafft man
kein Vertrauen. Sie als Person stehen für eine halbseidene
Finanz- und Haushaltspolitik. Sie sind einfach nicht se-
riös. Deshalb schaffen Sie, Herr Austermann, auch kein
Vertrauen.
Das genaue Gegenteil verkörpert der Bundesfinanzmi-
nister Hans Eichel. Ihm vertrauen die Menschen, weil er
vertrauenswürdig ist. So ist es nun einmal. Das macht Ih-
nen zu schaffen.
Deswegen halten wir an unserem Markenzeichen, der so-
liden Finanzpolitik, fest.
Ich möchte mich mit der Rede von Herrn Austermann
eigentlich nicht näher beschäftigen. Ich möchte nur auf
ein Beispiel eingehen: Herr Austermann, Sie haben mit
Blick auf den Wahlkampf in Berlin tränenreich dargelegt,
wie diese Regierung die Bundeshauptstadt im Stich
ließe. Ich frage Sie: Wer hat denn die Verantwortung
dafür, dass die Subventionen von 1990 bis 1998 abgebaut
worden sind? Herr Austermann, im Übrigen war es doch
klar, dass diese zurückgeführt werden mussten. Soweit
ich mich erinnere, hatte sich die SPD-Fraktion bei den
Haushaltsberatungen immerhin noch für einen Gleitflug
eingesetzt, damit es nicht zu abrupt wird. Verzerren Sie
doch nicht so die Wahrheit!
Ich könnte die Liste der Beispiele fortführen. Aber ich be-
lasse es bei dem einen; denn sicherlich werden noch an-
dere Kolleginnen und Kollegen Beispiele auflisten. Es
sollte nur ein Beleg für Ihre Art von Argumentation sein.
Meine Damen und Herren, wir halten mit dem Entwurf
des Bundeshaushaltsplans 2002 und mit dem Finanzplan
bis 2005 Kurs; denn eines haben die Menschen gespürt:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dietrich Austermann
18249
Bei allem, was uns bei der konjunkturellen Entwicklung
und bei der Entwicklung am Arbeitsmarkt jetzt objektiv
bedrängt das ist ja nicht zu leugnen , spüren sie, dass
wir ein neues Denken in die Finanzpolitik eingeführt ha-
ben, dass wir nicht nur darüber reden, sondern es auch
praktizieren. Wir stehen für Nachhaltigkeit und Gene-
rationengerechtigkeit. Diese Koalition steht für ein
neues Denken in der Finanzpolitik.
Das ist eine Qualität an sich. Jetzt gilt es das ist schwie-
rig genug; der Bundesfinanzminister hat davon gespro-
chen , Jahr für Jahr den Beweis dafür anzutreten und das
praktisch einzulösen.
Es ist schon richtig: Das war im letzten Jahr einfacher, als
es in diesem Jahr ist und voraussichtlich auch im nächs-
ten Jahr sein wird. Aber es gibt keine Alternative dazu.
Wir müssen dieses neue Denken durchsetzen. Deshalb
wird trotz manchen Spekulationen und trotz wenig ge-
lungener Panikmache von Herrn Austermann die Kon-
solidierung des Bundeshaushalts planmäßig fortgesetzt.
Aber wir konsolidieren nicht nur, sondern wir schaffen
auch die finanzielle Grundlage hin zu mehr sozialem Aus-
gleich und zu nachhaltiger Zukunftsgestaltung.
Natürlich müssen wir dabei die ökonomischen
Grunddaten der Bundesrepublik Deutschland und der
internationalen Wirtschaftsentwicklung beachten. Wenn
Sie die Arie von Deutschland als dem Schlusslicht in Eu-
ropa singen, wissen Sie doch ganz genau, warum das so
ist. Sie kennen den wesentlichen Grund: Das Ganze liegt
nun einmal im Einigungsprozess mit den Sonderfaktoren
Bauindustrie und anderen mehr begründet.
Es gibt einschlägige Untersuchungen, die Sie sorgfältig
durchlesen sollten.
Ein Zweites: Sie haben die Weichen für den Neuaufbau
in Ostdeutschland falsch gestellt.
Darunter leiden wir noch heute. Sie haben die Wachs-
tumsverlangsamung von durchschnittlich 1,4 Prozent in
den 90er-Jahren nun wirklich zu verantworten. Sie haben
uns damit zum lahmen Gaul in Europa gemacht und soll-
ten jetzt nicht die Backen aufblasen, wenn das nicht von
heute auf morgen zu verändern ist.
Gerade Sie, Herr Rexrodt, sind nun wirklich die Perso-
nifizierung der lame duck in der Wirtschaftspolitik und
sollten sich hier dementsprechend benehmen.
Die Haushaltspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben auf ihrer
gemeinsamen Klausurtagung die wirtschaftliche Situa-
tion und die konjunkturellen Risiken genau bewertet. Wir
müssen und werden davon ausgehen, dass es gegenüber
dem vorgelegten Entwurf in Haushaltsbereichen, die von
der Konjunkturentwicklung abhängig sind, zu gewissen
Mehrbelastungen kommen wird.
Die Haushaltspolitiker der Koalition sind einvernehm-
lich zu der Auffassung gelangt, dass die von der Bundes-
regierung in ihrem Budgetentwurf für 2002 vorgesehene
Nettokreditaufnahme von 21,1 Milliarden Euro oder
42,1 Milliarden DM im Rahmen der jetzt anstehenden
parlamentarischen Beratungen im Ergebnis gehalten wer-
den kann. Das ist ein wichtiges Signal für die künftige fi-
nanzielle Entwicklung, auch im Blick auf die Europäische
Zentralbank.
Mehrbelastungen bei den Arbeitsmarktausgaben und
Steuermindereinnahmen können nach unserer Einschät-
zung an anderer Stelle des Etats aufgefangen werden das
gilt im Übrigen auch für das laufende Haushaltsjahr , so-
dass die für 2001 geplante Nettokreditaufnahme von
43,7 Milliarden DM nach heutiger Einschätzung nicht
überschritten werden wird. Was Herr Austermann dazu
gesagt hat, war nichts anderes als das übliche oppositio-
nelle Rollenspiel, das wir bis 1998 auch betrieben haben,
das wir allerdings etwas besser beherrscht haben als Sie,
Herr Austermann.
Wie in jedem Jahr wird die Regierung zeitnah zur Ab-
schlussberatung des Etatentwurfs 2002 im November
dem Haushaltsausschuss ihre dann aktuelle Einschätzung
der wirtschaftlichen Entwicklung und der Steuereinnah-
men vorlegen. Auf dieser Grundlage wird die Koalition si-
cherstellen, dass der Etat 2002 bei seiner Verabschiedung
Ende November so aktuell und realistisch wie nur mög-
lich ist, wenn man Aussagen über das kommende Haus-
haltsjahr macht. Der Vorwurf, wir würden schönfärben
oder die Risiken bagatellisieren, entbehrt deshalb jeder
Grundlage. Im Unterschied zum Haushaltsgebaren in der
Regierungszeit Kohl/Waigel sind Haushaltsklarheit und
Haushaltswahrheit für uns wesentliche Bestandteile der
Haushaltspolitik.
Das ist neu in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist
eine neue Qualität. Das sage ich, auch wenn es Ihnen nicht
gefällt, so etwas hier hören zu müssen.
Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, das
heißt, die Rückführung der Neuverschuldung, und danach
erst der Abbau des gigantischen Schuldenberges sind nach
wie vor unabdingbar notwendig, um die Handlungs-
fähigkeit der öffentlichen Gebietskörperschaften auf allen
Ebenen auch für die Zukunft zu erhalten. Das kann nur ge-
lingen, wenn wir unseren langfristigen Pfad überzeugend
verfolgen. Also: Jährliche Absenkung der Nettokreditauf-
nahme als stetige Politikaufgabe, und zwar, wie gesagt,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Joachim Poß
18250
nicht nur bei Sonnenschein, sondern auch dann, wenn es
einmal regnet, wie das in diesem Jahr der Fall ist.
Das Herauskommen aus der Schuldenfalle, aus der
Verfassungswidrigkeit der Haushalte wird uns in den
nächsten Jahren noch gemeinsam beschäftigen. Ohne un-
ser Konsolidierungspaket hätten wir nach 1998 aus der
Ära Kohl/Waigel ein Neuverschuldungsniveau von jähr-
lich 60 Milliarden DM bis 70 Milliarden DM fortschrei-
ben müssen. Daran ist nichts zu ändern.
Auch wenn viele von uns und viele Bürgerinnen und
Bürger ein kurzes Gedächtnis haben: Diesen Marsch in
die Schuldenfalle haben wir gestoppt. Das können Sie uns
nicht ausreden. Der Öffentlichkeit können Sie auch nichts
anderes weismachen.
Dabei vergessen wir Gestaltungselemente und durch-
aus auch konjunkturfördernde Impulse nicht. Ich stimme
zwar mit dem Bundesfinanzminister überein,
dass unsere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sehr be-
schränkt sind, aber sie sind nicht gänzlich ausgeschlossen.
Natürlich hat auch der Bundeshaushalt Auswirkungen auf
das konjunkturelle Geschehen. Was mit dem Konsolidie-
rungspfad vereinbar gemacht werden konnte, wird reali-
siert. Unser Zukunftsinvestitionsprogramm, das wir in
diesem Jahre begonnen haben und das wir im nächsten
Jahr fortsetzen, ist ein Beispiel. Das sind solche Elemente,
die in den nächsten Monaten noch stärker zum Tragen
kommen, als das bisher der Fall war.
Das gilt ebenfalls für die Steuerentlastungen dieses
Jahres, die auch im nächsten Jahr wirken werden und die
für die Bürgerinnen und Bürger wichtig sind. Infolge der
geringer werdenden Inflation wird der Spielraum größer.
Schon die September-Daten werden da interessant wer-
den. Die August-Zahl das wissen wir ja ist noch mit
einer gewissen Vorsicht zu genießen.
Hier wurde vom Mittelstand gesprochen. Dazu hat
Herr Eichel, überzeugend Stellung genommen. Die Pro-
paganda von manchen mittelständischen Verbänden, die
einer Partei oder auch zwei Parteien der ehemaligen Re-
gierung besonders eng verbunden sind,
lesen wir wohl, aber diese Propaganda
wird im nächsten Jahr an der Realität zu messen sein, Herr
Repnik.
Uns freut es nicht, wenn wir lesen, was der Verband der
Volksbanken und Raiffeisenbanken so alles erklärt. Dann
forschen wir nach: Wie kommen solche Stellungnahmen
denn zustande? Wir hören: Der Herr Kiefer, der ehema-
lige CDU-Sprecher, hat da eine Außenstelle errichtet.
In solchen Fragen werden wir Transparenz schaffen. Es
kann nämlich nicht angehen, dass diese Verbände sozusa-
gen jenseits der Faktenlage ständig Propaganda im Inte-
resse der CDU/CSU oder partiell auch der FDP machen,
meine Damen und Herren.
Das werden wir auch im Bundestag zum Thema machen.
Das kann man so nicht hinnehmen.
Zur Familienpolitik. An Ihrer Stelle würde ich mich
hier überhaupt nicht auf die Familienpolitik berufen. Wir
kennen doch die Entwicklungsgeschichte. Als wir beim
Kindergeld die Erhöhung von 70 DM auf 200 DM durch-
gesetzt haben das war der Druck einer relativen Mehr-
heit der SPD im Bundesrat und der SPD-Bundestagsfrak-
tion , wollte Herr Waigel das Kindergeld für das zweite
Kind nur um 20 DM erhöhen. Lesen Sie doch einmal die
einschlägigen Reden von Herrn Merz oder von Herrn
Schäuble nach!
Als wir nach dem Regierungswechsel 1998 als eine der
ersten Maßnahmen die Erhöhung des Kindergeldes vor-
geschlagen haben, waren Sie dagegen, weil es angeblich
keine Arbeitsplätze schafft.
Haben Sie so ein kurzes Gedächtnis? Ich hoffe nicht, dass
die Bürgerinnen und Bürger ein solch kurzes Gedächtnis
haben.
Durch das, was wir in verschiedenen Schritten be-
schlossen haben, zuletzt im zweiten Familienförderungs-
gesetz, wird die private Nachfrage ebenfalls im nächsten
Jahr um 5 Milliarden DM gestärkt. Wir tragen auch durch
die öffentlichen Investitionen von über 50 Milliar-
den DM, die im Entwurf des Bundeshaushalts 2002 vor-
gesehen sind, zu einer Stärkung der konjunkturellen Ent-
wicklung bei. Wir wissen andererseits das ist nicht zu
leugnen; das sagen auch alle Ökonomen : Es gibt keine
Instrumente und Maßnahmen, die uns aus der derzeitigen
konjunkturellen Abschwächung mit Sicherheit und umge-
hend herausbringen können.
Die konjunkturelle Entwicklung ist trotzdem nach wie
vor chancenreich. Konjunkturpolitischer Aktionismus ist
überhaupt nicht angebracht. Auch das sagen alle Sachver-
ständigen. Was von Ihnen vorgeschlagen wurde Herr
Austermann hat es zuletzt zusammengefasst und was
von einigen Verbandsfunktionären über zusätzliche um-
fangreiche Steuersenkungen und Mehrausgaben in den
verschiedenen Haushaltsbereichen zu hören ist, das alles
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Joachim Poß
18251
ist für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden
nicht verkraftbar.
Sie können nicht auf der einen Seite, wie es in einigen
strukturschwachen Städten in Nordrhein-Westfalen ge-
schieht, die Haushaltslage beklagen man kommt über-
haupt nicht mehr klar und fordert eine Gemeindefinanz-
reform und auf der anderen Seite das Vorziehen der
Steuerreform es geht um Einnahmeausfälle von über
40 Milliarden DM; die Gemeinden wären mit 6 Milliar-
den DM dabei fordern oder einen Tarif vorschlagen, der
einen Ausfall von 175 Milliarden DM bedeuten würde,
woran die Kommunen wiederum mit 15 Prozent beteiligt
wären. Wir lassen Ihnen eine Politik, die mit gespaltener
Zunge arbeitet Kommunen auf der einen Seite, Bundes-
politik auf der anderen Seite , nicht durchgehen.
Im Übrigen wäre das, was Sie fordern, nicht realisier-
bar. Der Bundeshaushalt und eine Reihe von Landeshaus-
halten würden verfassungswidrig werden. Allen einiger-
maßen Sachkundigen müsste klar sein, was das für das
deutsche Standing auf den internationalen Finanzmärk-
ten, für die Politik der Europäischen Zentralbank und für
den Euro bedeuten würde. Von daher passen die Forde-
rungen, die die Haushaltspolitiker der CDU/CSU-Frak-
tion anlässlich ihrer Klausurtagung letzte Woche aufge-
stellt haben, ins Bild. Es handelt sich um ein Füllhorn von
Wohltaten für fast alle gesellschaftlichen Gruppen ohne
einen einzigen ernst zu nehmenden Finanzierungsvor-
schlag. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat nicht
mehr anzubieten, als die vorgesehene Neuverschuldung
im Bundeshaushalt im Ergebnis nahezu zu verdoppeln.
Das ist Ihr Beitrag zur deutschen Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik. Jämmerlich, kann ich da nur sagen.
Oder haben Sie andere Finanzierungsvorschläge? Bei
Ihnen war eigentlich auch die Erhöhung der Mehrwert-
steuer immer sehr beliebt.
Es sticht ins Auge, dass es bei Ihnen wirklich ein Chaos
in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, ein Chaos von Kon-
zepten und ein Schaulaufen von Personen, gibt. Seit dem
Sommer haben sich maßgebliche Politiker der Union mit
neuen Vorschlägen zur Finanz- und Wirtschaftspolitik
geradezu überschlagen. Manchmal war auf dem Papier
die Tinte noch nicht trocken, da kam schon eine neue Va-
riante. Das war ein Theaterstück mit fünf Akten und an-
schließend mit Zugabe.
Erster Akt. Ende Juni legt die Parteivorsitzende der
CDU, Frau Merkel, ein 10-Punkte-Konjunktur-Sofortpro-
gramm vor.
Zweiter Akt. Einen Tag später kontern der Fraktions-
vorsitzende der Union, Herr Merz, und der Landesgrup-
penchef der CSU, Herr Glos, mit einem allerdings an-
ders gestrickten Zehnpunkteprogramm.
Dritter Akt. Mitte August bekräftigt der bayerische Mi-
nisterpräsident, Herr Stoiber, seine Ambitionen als Kanz-
lerkandidat der gesamten Union mit einem eigenen Kon-
zept. Zur Erinnerung: Absenkung des Spitzensteuersatzes
bei der Einkommensteuer auf 40 Prozent das ist eine
reine Umverteilung von unten nach oben ohne erkennbare
positive ökonomische Effekte , Absenkung der Abga-
benbelastung auf 40 Prozent wie ist das eigentlich mit
der Forderung nach Aussetzung der Ökosteuer, deren Auf-
kommen zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge
verwendet wird, vereinbar? , Absenkung der Staatsquote
ebenfalls auf unter 40 Prozent. Das alles, ohne zu sagen,
welche staatlichen Leistungen zur Erreichung dieses Ziels
gestrichen werden müssten.
Vierter Akt. Ein paar Tage später melden sich darauf-
hin die CDU-Wirtschaftspolitiker Wissmann und Uldall
zu Wort und holen ihr altes Einkommensteuerstufenmo-
dell aus der Ablage, das wiederum von der CSU, beson-
ders von Herrn Faltlhauser, kräftig gewürdigt wurde. Ich
weiß nicht, wie Sie das sehen, Frau Hasselfeldt, ob Sie die
Meinung von Herrn Faltlhauser dazu teilen können.
Fünfter Akt. Ende August bemüht sich die CDU-Par-
teivorsitzende, Frau Merkel, die Regie zurückzu-
gewinnen. Sie erfindet den Slogan der neuen sozialen
Marktwirtschaft und fordert in diesem Zusammenhang
ein weiteres Steuerstufenmodell. In den beiden Zehn-
punkteprogrammen von Merkel bzw. Merz und Glos von
Ende Juni war noch die Forderung nach Vorziehen der be-
reits beschlossenen Einkommensteuer-Entlastungsstufen
2003 und 2005 auf 2002 aufgeführt, was zu Steuerausfäl-
len von mehr als 40 Milliarden DM für die öffentlichen
Haushalte allein im Jahre 2002 geführt hätte. In der
neuen sozialen Marktwirtschaft das wäre auch ein tol-
ler Name für eine Kneipe oder so etwas der CDU-
Vorsitzenden taucht diese Forderung nicht mehr auf.
Jetzt die Zugabe. Das wiederum konnte Ministerpräsi-
dent Stoiber nicht so im Raum stehen lassen und hat an
diesem Wochenende dagegengehalten. In deutlicher Kon-
frontation zur CDU-Parteivorsitzenden hat er erklärt, eine
Einkommensbesteuerung nach dem Stufenmodell der
CDU sei weniger leistungsfördernd und sei ungerechter
als der geltende lineare Tarif.
Dieser Ablauf, meine Damen und Herren, macht deut-
lich, wie zerstritten die Unionsparteien in einer zentralen
Frage der deutschen Politik sind.
Deswegen stellen die Unionsparteien im politischen
Wettbewerb keine ernst zu nehmende Alternative dar.
Konzepte müssen auch realisierbar sein, wenn man denn
eines hat. Soweit sind Sie aber noch nicht; Sie haben noch
kein einheitliches Konzept.
Wenn diese Konzepte nicht realisierbar sind, taugen sie
nicht für den politischen Ideenwettbewerb. Sie können so-
zusagen als Schaumschlägerei hier im Bundestag oder bei
Talkshows eingesetzt werden. Für den politischen Ideen-
wettbewerb sind Sie konzeptionell nicht gerüstet. Auch
das ist in den letzten Tagen deutlich geworden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Joachim Poß
18252
Eigentlich sollte die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu
wichtig sein, als dass sie zum Spielball im Kampf um die
Kanzlerkandidatur in CDU und CSU missbraucht wird.
Nur eines haben die verwirrenden steuerpolitischen
Vorschläge aus den Reihen der Opposition gemeinsam:
Mit der Vorlage von jedem dieser Vorschläge verabschie-
det sich die Opposition aus der Haushaltspolitik und da-
mit von dem finanzpolitischen Ziel, das eigentlich für alle
gelten sollte, nämlich in gemeinsamer Anstrengung die
öffentlichen Finanzen auf allen Staatsebenen zu sanieren,
um so sicherzustellen, dass der Staat auch in Zukunft
seine Aufgaben erfüllen kann.
Der Bundesfinanzminister hat hier die Maßnahmen
erwähnt, die dem sozialen Ausgleich dienen: BAföG,
Wohngeld, Erziehungsgeld, Einkommensteuerreform. Ja,
wir haben eine Trendwende geschafft, die Millionen von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Familien zu-
gute kommt. Das haben Sie, meine Damen und Herren,
nie hinbekommen.
Wir können nachweisen, dass unsere Steuerpolitik dem
Mittelstand dient und nicht der Großindustrie. Wir werden
darüber noch öfter diskutieren.
Auch, dass wir für mehr Steuergerechtigkeit stehen,
haben wir auf vielen Feldern bewiesen.
Mit unserem Gesetz zur Bekämpfung der Umsatzsteuer-
kriminalität fügen wir diesen Schritten einen weiteren
hinzu: Wir brauchen in diesem Lande mehr Steuergerech-
tigkeit und mehr Steuerlegalität.
Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, liegen Sie falsch, wenn Sie Ihr Heil in maßlosem und
hektischem wirtschafts- und finanzpolitischen Aktionis-
mus suchen. Sie machen sich etwas vor, wenn Sie glau-
ben, die Bürgerinnen und Bürger würden auf unfinan-
zierte Wohltaten und Steuersenkungen auf Pump
hereinfallen. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes
wissen ganz genau, dass so die Zukunft nicht zu gewin-
nen ist. Sie wissen auch ganz genau, weshalb sie Hans
Eichel, dieser Bundesregierung und dieser Koalition die
Verantwortung für die Finanzpolitik im nächsten Jahr
wieder überantworten werden.
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Günter Rexrodt.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Eichel, auch ich muss
zunächst einmal meiner Verwunderung darüber Ausdruck
geben, wie Sie Ihre Haushaltsrede angelegt haben. Sie ha-
ben mehr als die Hälfte Ihrer Redezeit darauf verwandt,
über angebliche Versäumnisse in den 90er-Jahren zu spre-
chen.
Sie haben in diesem Zusammenhang nicht ein einziges
Mal das Ereignis erwähnt, das in den 90er-Jahren die Fi-
nanzpolitik und die Politik in Deutschland überhaupt
überlagert hat.
Wären Sie, Herr Eichel, ehrlich gewesen, hätten Sie
auch ein paar Worte zum Haushalt des Landes Hessen sa-
gen müssen, den Sie zu verantworten hatten. Ein Ruh-
mesblatt stellte er bestimmt nicht dar.
Ich möchte über den Haushalt 2002 sowie über das
sprechen, was uns in Zukunft bevorsteht, wenn wir be-
stimmte Strukturprobleme nicht lösen.
Es gibt in diesem Haushalt zwei große Fallen; die erste ist
eine aktuelle und die zweite eine strukturelle. Zu dem ers-
ten Dilemma kommen wir ganz schnell über die wach-
senden Arbeitslosenzahlen; in der Vergangenheit war es
von der Tatsache verdeckt, dass wir eine günstige Kon-
junktur mit um insgesamt 14 Prozent steigenden Steuer-
einnahmen hatten und dass dem Bundeshaushalt dreistel-
lige Milliardensummen durch die Privatisierung
zugeflossen waren, eine Privatisierung, die Sie vorher bis
aufs Messer bekämpft hatten.
Ich gebe zu, Sie haben einen Gutteil der Privatisie-
rungserlöse in die Rückführung der Verschuldung einge-
führt. Mit dem Anerkenntnis, dass die Struktur der Schul-
denpolitik richtig ist, haben wir Liberale nie ein Problem
gehabt. Aber von diesem Segen auf der Einnahmeseite
lässt sich im Jahre 2001 nichts mehr feststellen: Die Steu-
erschätzungen müssen nach unten revidiert werden und
die Einmaleinnahmen verblassen, während Zusatzaus-
gaben in Milliardenhöhe, für deren Gegenfinanzierung
noch keine Vorsorge getroffen worden ist, erforderlich
sind. Ich denke hier beispielsweise an die Familienförde-
rung, an die Entwicklungshilfe oder an die Rücklage für
Reinvestitionen. All dies ist in Ihrem Haushalt überhaupt
nicht berücksichtigt. Deshalb ist Ihr Haushaltsentwurf für
2002 schon am heutigen Tage Makulatur, Herr Eichel.
Auf der Ausgabenseite hat der Bundesfinanzminister
ohnehin nie seine Schularbeiten gemacht; das haben wir
immer gebrandmarkt. So sind die Investitionsausgaben
ich werde darauf noch zurückkommen auf eine histo-
risch niedrige Quote zurückgeführt worden. Auch wurde
der Bundeswehr vorenthalten, was sie für ihre Umstruk-
turierung und zur Erfüllung ihrer Aufgaben braucht. Da
hat sich der Sparkurs niedergeschlagen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Joachim Poß
18253
Meine Damen und Herren, diese unzulängliche Politik
holt uns heute ein. Wir stehen aktuell vor dem Dilemma
einer schlechten Wirtschaftslage mit hoher Arbeitslosig-
keit und zumindest relativ fallenden Steuereinnahmen.
Ferner stehen wir vor dem strukturellen Dilemma einer al-
ternden Bevölkerung auf der einen Seite und einem enor-
men Anstieg der Ausgaben aufgrund von Leistungsgeset-
zen auf der anderen Seite.
Bevor ich aber darauf eingehe, möchte ich etwas zur Ar-
beitslosigkeit und zur Arbeitsmarktpolitik sagen. Als
Wahlkämpfer hat diese Koalition 1998 großartig verkün-
det, sie verfüge über Rezepte zur Lösung der Arbeits-
marktprobleme. Heute flüchtet man sich in die Politik der
ruhigen Hand. Diese Politik wird überall im Lande als eine
Politik der ruhigen Kugel erkannt und als Hilflosigkeit und
Unfähigkeit, diese Probleme anzupacken, entlarvt.
Das Missverhältnis zwischen ansteigenden Sozialaus-
gaben und sinkenden investiven Ausgaben ich nehme
hier keine Bewertung der Einzelausgaben vor erstickt
im Haushalt jede Kreativität. Es wird ein Desaster geben.
Jeder, der von diesem Haushalt etwas versteht, weiß, wo-
hin es führen wird, wenn wir das Ruder nicht herum-
reißen.
Im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit wird von Ihnen,
Herr Eichel, und von anderen gesagt, hier handele es sich
um eine Schwächephase auf Zeit. Solche Beschwichti-
gungsversuche hat es bei schlechter Konjunkturlage im-
mer gegeben, auch bei uns; das sei Ihnen geschenkt. Völ-
lig neben der Sache liegt die Koalition aber mit der
Behauptung, dass diese Schwäche ihre Ursache überwie-
gend in weltwirtschaftlichen Entwicklungen habe, dass
die USA daran schuld seien. Das Gegenteil ist der Fall,
und zwar aus folgendem Grund: Das strategische High-
light Ihrer bisherigen Politik, die so genannte Steuer-
reform, hat in Teilen der deutschen Wirtschaft und na-
mentlich im Mittelstand zu einer ungeheuren Verärgerung
und zu Verdruss geführt.
Sie wird als viel zu spät eingeleitet wahrgenommen. Sie
wirkt sich in den Jahren 2004 und 2005 aus; das ist viel zu
spät.
Sie hat zu einer Verärgerung geführt, weil die Großunter-
nehmen 25 Prozent Körperschaftsteuer plus 13 Prozent
Gewerbesteuer zahlen, also in der Summe 38 Prozent,
während der Mittelstand zumindest der Teil des Mittel-
standes, der das Rad dreht und den Höchstsatz der Ein-
kommensteuer zahlt 4 Prozentpunkte mehr zahlt. Das
hat im Mittelstand zu einem Riesenärger über diese
Steuerreform und zu Investitionsattentismus geführt, das
hat zu Arbeitslosigkeit geführt.
Hinzu kommt das unselige Thema Ökosteuer, über das
wir hier immer wieder gesprochen haben. Diese Steuer ist
in der Wahrnehmung der mittelständischen Wirtschaft
deshalb so verheerend, weil sie die Großverursacher von
Umweltverschmutzung außen vor lässt, während sie beim
Mittelstand, bei den Arbeitnehmern, den Selbstständigen
und Handwerkern richtig zuschlägt.
Das ist der zweite Punkt, der zu Verärgerung und Zurück-
haltung im Mittelstand geführt hat und der für die kon-
junkturelle Schwäche verantwortlich ist, Herr Eichel,
nicht die USA oder die Weltwirtschaft. Das muss gesagt
werden.
Sie haben im Hinblick auf die Veräußerungsgewinne
bei mittelständischen Unternehmen ein bisschen korri-
giert. Wir fordern Sie auf: Machen Sie die Steuerreform-
schritte schnell, ziehen Sie sie auf das nächste Jahr vor.
Lassen Sie jede weitere Erhöhung der unseligen Öko-
steuer.
Entschließen Sie sich, Steuervereinfachung durchzu-
führen, drei Stufen von Steuersätzen einzuführen, 15 Pro-
zent, 25 Prozent und 35 Prozent, wie die FDP das seit lan-
gem vorschlägt.
Wir können über die eine oder andere Ziffer reden; das
können auch einige Prozentpunkte mehr oder weniger
sein. Darauf kommt es nicht an.
Ich verspreche Ihnen, meine Damen und Herren von
der Koalition,
wenn Sie dies machten, hätten wir von Stund an in
Deutschland ein anderes Investitionsklima und würden
auch wieder Leute eingestellt. Die Konjunkturkrise ist zu
großen Teilen hausgemacht. Das muss hier gesagt wer-
den.
Die Folgen für den Arbeitsmarkt sind gravierend. Die
prognostizierten Arbeitslosenzahlen werden nicht zu hal-
ten sein, weder die 3,7 Millionen im Jahresdurchschnitt
und noch weniger die 3,5 Millionen im nächsten Jahr. Ich
weiß sehr wohl, dass es einen Königsweg zur Lösung der
Probleme nicht gibt. Aber es waren doch die rot-grünen
Wahlkämpfer von 1998, die sagten, sie wüssten, wo es
lang gehe und was man machen müsse. Es gibt da Stell-
schrauben; an ihnen haben Sie auch gedreht, aber Sie ha-
ben in die falsche Richtung gedreht.
Die rot-grüne Koalition hat alle Ansätze aus der 13. Le-
gislaturperiode sie waren vorsichtig und, wenn ich
ehrlich bin, unzulänglich genug in Sachen Tarif-
und Arbeitsrecht in ihr Gegenteil verkehrt. Das
Scheinselbstständigengesetz, die Regelung der 630-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dr. Günter Rexrodt
18254
Mark-Jobs, die Korrektur des Kündigungsschutzes, die
Rücknahme der Karenzzeit bei der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall, später dann das Recht auf Teilzeitarbeit
und jetzt vor kurzem unter der Überschrift Mehr Mitbe-
stimmung eine zusätzliche Investitionsbremse für den
Mittelstand meine Damen und Herren, das ist eine
falsche Politik; sie führt in dieses Haushaltsdilemma für
2002.
Wenn wir vorankommen wollen, muss es darum ge-
hen, das verkrustete Arbeits- und Tarifrecht aufzubre-
chen. Daran wird sich entscheiden, ob unser Land wieder
Zuversicht schöpft oder ob wir hinterherhinken, ob wir im
Geleitzug der europäischen Länder, was die wirtschaftli-
che Entwicklung angeht, wieder vorn oder mittendrin
oder hinten sind.
Die Ausgaben für den Arbeitsmarkt sind neben den
Zuschüssen zur Rentenversicherung das Ausgabenpro-
blem Nummer eins in unserem Haushalt. Ganz aktuell
sind sie ein Risiko für den Haushalt 2002, weil die An-
sätze für die Bundesanstalt für Arbeit und die Ansätze für
die Arbeitslosenhilfe von der Annahme ausgehen, dass es
im Jahresdurchschnitt 3,48 Millionen Arbeitslose gibt.
Das wird aber nicht der Fall sein. Diese Annahme hat Sie
dazu gebracht, Herr Eichel, eine Zeit lang von einem Aus-
gabenkorridor zu sprechen, wie das Herr Fabius schon
lange tut. Sie haben sich dann Gott sei Dank korrigiert. Ich
hoffe, es bleibt dabei und die Nettokreditaufnahme wird
um 10 Milliarden DM pro Jahr zurückgeführt.
Eine Politik, die darauf hinausläuft, hier ein bisschen
zu sparen, dort ein bisschen zeitlich zu strecken, und
Glück bei den Einnahmen zu haben, lässt sich nicht fort-
setzen, wenn wir mit dem wichtigsten Problem des Haus-
halts, dem Ungleichgewicht zwischen investiven Ausga-
ben und Sozialausgaben, fertig werden wollen. Die
Bundesrepublik Deutschland das sage ich ohne jede Po-
lemik bewegt sich kontinuierlich auf einen Punkt zu, ab
dem sie nicht mehr in der Lage ist, ihre Infrastruktur
einschließlich ihrer Sicherheitsstruktur zu finanzieren.
Diese Entwicklung findet im Übrigen schon seit längerem
statt. Dass ich diese Tatsache erwähne, ist Ausdruck des-
sen, dass es mir an dieser Stelle nicht um einen tagespoli-
tischen Schlagabtausch geht. Es geht um sehr viel mehr.
Ich möchte dazu einige wenige Zahlen in den Raum stel-
len.
Erstens. Die investiven Ausgaben des Bundes sind
seit 1975 mit einer kurzen Unterbrechung unmittelbar
nach der Wiedervereinigung kontinuierlich von
16,3 Prozent des Gesamthaushaltes auf 11,4 Prozent im
Jahre 2002 gesunken. Im Jahr 2005 sollen sie bei
10,3 Prozent liegen.
Zweitens. Die Ausgaben für die Bundeswehr wurden
seit 1985 von 49 Milliarden DM oder 19 Prozent des Bun-
deshaushaltes auf 46 Milliarden DM oder 9,5 Prozent des
Haushaltes zurückgeführt. Dabei wurden insbesondere
die investiven Ausgaben gesenkt, also diejenigen Ausga-
ben, die nicht in den laufenden Betrieb, sondern in die An-
schaffung gehen. Die Bundeswehr ist also unterfinanziert.
Drittens. Die Ausgaben des Bundes für den Bereich
soziale Sicherung also Leistungen an die Rentenversi-
cherung, landwirtschaftliche Sozialpolitik und Mittel für
die Arbeitsmarktpolitik sind in der gleichen Zeit konti-
nuierlich gestiegen. Sie belaufen sich heute auf 41,4 Pro-
zent des Gesamthaushaltes. Augenfällig ist dabei die Ent-
wicklung der Zuschüsse zur Rentenversicherung. Sie
lagen 1982 bei 12,6 Prozent. Jetzt sind es 29,1 Prozent
und im Jahr 2005 werden es 31 Prozent sein.
Mit dieser Gegenüberstellung geht es mir nicht darum,
eine Bewertung in dem Sinne Was ist wichtiger, die Fi-
nanzierung von Fernstraßen, sichere Fahrzeuge für die
Bundeswehr oder Ausgaben für die soziale Sicherung?
vorzunehmen. Es geht mir darum, den Blick darauf zu
richten, dass in absehbarer Zeit kaum noch Mittel für In-
vestitionen bereitstehen, wenn der dramatische Anstieg
der Sozialausgaben im Haushalt nicht begrenzt werden
kann.
Um diesem Dilemma entgegenzuwirken, gibt es im
Wesentlichen drei Handlungsbereiche. Im ersten hat die
rot-grüne Koalition die richtigen Weichen gestellt, im
zweiten die falschen und im dritten hat sie gar nichts ge-
tan. Das ist eine magere Bilanz.
Richtige Weichen wurden beim Aufbau einer zusätzli-
chen, kapitalgedeckten Altersvorsorge auf privater Ba-
sis gestellt. Die umfassende staatliche Förderung in einem
übrigens viel zu komplizierten System wird dabei
zunächst zu erheblichen Einnahmeausfällen führen. Das
will ich aber gar nicht kritisieren; das ist unumgänglich.
Im Übrigen werden zu Recht Zweifel an dem Rechenwerk
geäußert; ich komme darauf noch zu sprechen. Eine
zweite Rentenreform, Herr Eichel und Herr Riester, ist
unvermeidbar.
Im zweiten Handlungsbereich haben Sie zwecks Fi-
nanzierung der Rentenversicherung schlicht die Steuern
angehoben, nämlich die Mineralölsteuer erhöht und die
Gas- und Stromsteuer eingeführt. Das wird kaschiert
durch den Begriff Ökosteuer. Wir wissen jedoch, dass es
zweckgebundene Steuern gar nicht gibt; Steuern fließen
alle in einen Topf. Wenn schon eine Bezeichnung für die
Begründung der Steuererhöhungen gesucht wird, dann
müsste diese Steuer nicht Ökosteuer, sondern Renten-
finanzierungsteuer heißen.
Unser Land braucht aber niedrigere Steuersätze und nicht
eine ideologische Überhöhung einer Rentenfinanzierung-
steuer durch den Begriff Ökosteuer.
Das dritte Handlungsfeld, in dem es um die Rück-
führung der Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik gehen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dr. Günter Rexrodt
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muss, habe ich bereits angesprochen. Um wenigstens ei-
nen Teil der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger wie-
der in den Arbeitsprozess eingliedern zu können, müssen
Tabus gebrochen werden. Andere Länder sind dort weiter;
sie haben mehr Fantasie. Im Übrigen waren es wir, die Li-
beralen, die sich immer für die Abschaffung des
Flächentarifs
und ein System von Anreiz und Sanktionen ausgespro-
chen haben.
Dafür bedurfte es nicht wie bei Herrn Koch einer Reise
nach Wisconsin. Herr Scharping, der ebenfalls solche Ge-
dankensplitter äußerte, wurde ganz schnell wieder
zurückgepfiffen.
Zu einem weiteren Aspekt, der, wie ich meine, in die-
sem Zusammenhang sogar der wichtigste ist, weil er die
Ursache beschreibt: Der wesentliche Grund für dieses Di-
lemma Rückgang der Investitionen und Anwachsen der
Ausgaben für Leistungsgesetze ist, dass die Wohnbe-
völkerung in Deutschland eine dramatische Veränderung
der Altersstruktur durchmacht. Von den 82 Millionen
Einwohnern in Deutschland gehören heute noch 47 Milli-
onen Menschen der Altersgruppe der 20- bis 60-Jährigen
an; im Jahre 2030 werden es nur noch 36 Millionen sein.
Gleichzeitig wird die Zahl der über 60-Jährigen von heute
18 Millionen auf 30 Millionen ansteigen. Dabei ist schon
die günstige Prognose zugrunde gelegt, dass jährlich
250 000 Leute zuwandern und die Geburtenziffer von
heute 1,25 auf 1,50 je Frau steigt.
Diese Zahlen, die die Altersstruktur unserer Wohnbe-
völkerung beschreiben, bergen eine Dramatik. Das wird
das Thema der nächsten 30 Jahre aller Politikbereiche
sein. Hier muss umgesteuert werden.
Wir können das Problem nicht dadurch lösen, dass wir die
Schulden erhöhen. Wir müssen vielmehr eine zweite Ren-
tenreform ins Auge fassen daran führt kein Weg vorbei
und schnell und durchgreifend eine Gesundheitsreform
verabschieden, um die man sich bislang aus tagespoliti-
schen Erwägungen heraus drückt.
Darüber hinaus brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz.
Dieses Vorhaben kommt nicht voran. Die Grünen machen
scharf. Im Übrigen wenn ich das sagen darf bekleckert
sich in Sachen Zuwanderungsgesetz auch die Union nicht
gerade mit Ruhm.
Auch wenn dies in Deutschland immer ein bisschen
Hautgout hat, möchte ich es doch auf den Punkt bringen:
Wir brauchen in diesem Land mehr junge Bürger. Wir
brauchen mehr Kinder. Das ist nicht nur eine Frage des
Geldes, sondern eine Frage der Rahmenbedingungen,
eine Frage von Kindergärten und eine Frage dessen, ob
die gesellschaftliche Rolle der erziehenden Frau oder des
erziehenden Mannes richtig gewürdigt wird.
Darüber hinaus brauchen wir in diesem Land Zuwande-
rung. Mit jedem Jahr, das wir verstreichen lassen, ohne
dass das entsprechende Gesetz verabschiedet wird, ver-
schenken wir wesentliche Ressourcen, die dringend ge-
braucht werden. Daher muss ein solches Gesetz verab-
schiedet werden.
Ich komme zum Schluss. Die Bundesregierung hat
aus tagespolitischer Opportunität beschlossen, sich nach
Steuer- und Rentenreform auf medienorientierte Auf-
tritte und Veranstaltungen zurückzuziehen.
Das werden Sie das Jahr über nicht durchhalten und das
dürfen Sie angesichts des aktuellen Dilemmas auf dem
Arbeitsmarkt und des strukturellen Dilemmas aufgrund
der Bevölkerungsentwicklung auch nicht durchhalten.
Herr Eichel und insbesondere, in nachahmenswerter
Weise, Herr Poß haben hier große Worte über Strukturen
gefunden.
Aber die Strukturprobleme haben Sie überhaupt nicht an-
gepackt. Sie machen Tagespolitik, nicht mehr und nicht
weniger.
Das ist Ausdruck Ihrer Hilflosigkeit und Ihres mangeln-
den Mutes bei der Bewältigung der anstehenden Pro-
bleme.
Wir brauchen mehr als Tagespolitik, aber das spiegelt
dieser Haushalt nicht wider. Deshalb werden wir ihm auch
nicht zustimmen.
Bevor ich dem nächs-
ten Redner das Wort erteile, begrüße ich auf der Tribüne
den Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes, Herrn
Dr. Engels, sehr herzlich. Ich freue mich, dass Sie an un-
seren Beratungen teilnehmen.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Oswald
Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte
mit einer nüchternen Zahl beginnen und damit der derzei-
tigen Stimmung in unserer Gesellschaft, in der Kassandra
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dr. Günter Rexrodt
18256
Konjunktur hat, einige Fakten entgegenhalten. Ich kann
Ihnen verkünden, dass die Steuereinnahmen des Bun-
des zum Stand Ende August dieses Jahres um 400 Milli-
onen DM höher lagen als zum vergleichbaren Zeitpunkt
des Vorjahres und damit aus heutiger Perspektive eine
gute Chance besteht, dass der Bundeshaushalt dieses Jahr
nicht unter starken Steuerausfällen leidet, wie es in Hor-
rorszenarien dargestellt wird.
In diesem Jahr sind keine konjunkturbedingten Steuer-
ausfälle zu konstatieren, sondern nur solche aufgrund un-
serer Steuerreform, die den Bürgern und der Wirtschaft
zugute kommt. Das ist für mich als Haushälter ein gutes
Zeichen.
Je länger ich dem Parlament angehöre, umso mehr
denke ich, dass ich in der Vorbereitung auf eine solche
Rede nur zu lesen brauche, was die Kollegen Austermann
und Rexrodt im vorangegangenen Jahr gesagt haben,
denn die Argumente wiederholen sich.
Da das Gedächtnis der Menschen kurz ist, eine kurze
Replik in Zahlen, um zu zeigen, dass man Äpfel mit Äp-
feln vergleichen muss und nicht Äpfel mit Birnen.
Wenn ich mir das ist vor allem an Ihre Adresse ge-
richtet, Kollege Austermann unsere Legislaturperiode
anschaue, stelle ich fest: Wir haben die Bundesschulden
in unserer Regierungszeit bis 2002 unter Einrechnung der
UMTS-Erlöse um 38,6 Milliarden Euro erhöht; das sind
5,2 Prozent mehr Schulden in den vier Jahren unserer Re-
gierungszeit als in den vier Jahren davor.
Ihre Regierung hat die Verschuldung des Bundes zwi-
schen 1995 und 1998 um 141 Milliarden Euro oder
23 Prozent erhöht. Da war die Wiedervereinigung kas-
senmäßig sozusagen längst bewältigt. Das zeigt die
tatsächliche Konsolidierungsleistung dieser Regierung.
Diese Konsolidierung hat mit Sicherheit einen Namen; er
lautet Hans Eichel.
Auch eine andere Aussage, Kollege Austermann, muss
man sich auf der Zunge zergehen lassen. In den vier Jah-
ren unserer Regierungszeit den Ist-Ergebnissen der letz-
ten zwei Jahre, dem Soll-Ansatz dieses Jahres und dem
Regierungsentwurf haben wir insgesamt 8 Milliar-
den Euro Privatisierungseinnahmen. Sie hatten in den
letzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit 14 Milliarden
Euro Privatisierungseinnahmen für den Bundeshaushalt.
Das ist ein Unterschied. Deshalb ist Ihre Behauptung, wir
hätten angesichts der Privatisierungseinnahmen unsere
Verschuldung künstlich heruntergerechnet, falsch. Umge-
kehrt wird ein Schuh daraus: Sie waren doch diejenigen,
die allein im Wahljahr 1998, 10 Milliarden Euro Privati-
sierungserlöse einstellen mussten, um den Haushalt ver-
fassungsgemäß zu halten. Das ist die Wahrheit; da beißt
die Maus keinen Faden ab.
Drittes Argument: 1998 mussten Sie die Ausgaben des
Bundes mit einer Kreditaufnahme in Höhe von 12 Pro-
zent der Gesamtausgaben finanzieren. Wenn Sie die Net-
tokreditaufnahme des kommenden Jahres in Höhe von
21,1 Milliarden Euro in Relation zu den Ausgaben des
Bundes setzen, dann stellen Sie fest, dass wir nächstes
Jahr nur noch eine Kreditaufnahme von 8,5 Prozent in Be-
zug auf die Gesamtausgaben brauchen. Das zeigt, dass
wir in den letzten Jahren auf dem Pfad der finanzpoliti-
schen Tugend in der Tat ein ganz erhebliches Stück vo-
rangekommen sind und dass die Behauptung: Rote und
Grüne können mit Geld umgehen
inzwischen in entsprechenden Veranstaltungen einen po-
sitiven Klang hat, selbst bei Wirtschaftskreisen, Herr
Rexrodt. Wenn ich mit Unternehmern gesprochen habe
Unternehmer wählen sicher eher die FDP als die Grünen
oder die SPD , dann habe ich sie gefragt, wobei ich von
ihnen eine ehrliche Reaktion verlangt habe: Hättet ihr er-
wartet, dass es die Koalition, die nach der politischen Far-
benlehre Mitte/links angesiedelt ist, in ihrer Regierungs-
zeit schafft, mit den Finanzen so umzugehen, dass wir von
der Verschuldung herunterkommen?
Die meisten sagen: Nein, das haben wir nicht erwartet
und sind positiv überrascht.
Wenn man dann gleichzeitig zur zweiten Leitplanke,
zur Steuersenkung die erste Leitplanke ist die Konso-
lidierung fragt: Hättet ihr als Unternehmer oder ihr als
Bürgerinnen und Bürger also, wohlgemerkt, Herr
Rexrodt, in Ihren Wahlmilieus, bei Gutsituierten und nicht
in der Unterschicht erwartet, dass die rot-grüne Koali-
tion im Rahmen ihrer Steuerpolitik den Grundfreibetrag
erhöht?, dann wird geantwortet, das habe man natürlich
erwartet.
Das haben wir getan. Wenn man fragt: Hättet ihr es er-
wartet, dass, wie es jetzt im Gesetzblatt steht, die Steuer-
sätze von 53 auf 42 Prozent im oberen Bereich und von
fast 26 auf 15 Prozent im unteren Bereich gesenkt wer-
den?, dann antworten sie: Nein, das hätten wir nicht er-
wartet. Beides erreichen wir mit weniger Schulden und
sinkender Steuerlast für die Bürgerinnen und Bürger. Das
muss klar sein.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Oswald Metzger
18257
Kollege Rexrodt, ein weiterer Punkt dabei will ich
ehrlich sein; denn Sie haben es positiv formuliert : Die
jetzige Regierung, die eine große Volkspartei im Boot hat
Volksparteien fällt die Entscheidung zu einer solchen
Konzeption immer schwerer als kleinen Parteien; denn sie
haben eine viel breitere Schicht von Wählern zu vertre-
ten , hat es geschafft
das weiß ich, Kollege Poß , die Rentenreform mit dem
Einstieg in die Kapitaldeckung durchzuführen. Irgend-
wann in den nächsten Jahrzehnten wird man in den Anna-
len den Tag im Januar 2001, an dem dieses Parlament den
Einstieg in die kapitalgedeckte Rentenversicherung be-
schlossen hat, als einen ganz besonderen Tag vermerken.
Dies war eine Strukturreform, die möglicherweise bei-
spielgebend für andere Strukturreformen in dieser Gesell-
schaft ist, zum Beispiel für die anstehende im Gesund-
heitsbereich. Denn ohne diese Strukturreform, Kollege
Rexrodt, können wir die demographischen Probleme
unserer alternden Gesellschaft, aber auch die aller ande-
ren Industriestaaten in der Tat nicht schultern.
Das ist eine ganz einfache Botschaft.
Sie sollten sich diese Reformagenda einmal vor Au-
gen führen. Diesen Problemdruck haben Sie uns hinter-
lassen; das habe ich schon vor einem Jahr gesagt. Ich
finde es immer langweilig, die gleichen Reden zu halten.
Schon damals habe ich Ihnen gesagt: Sie haben 30 Jahre
lang regiert; die Schwarzen neben Ihnen haben 16 Jahre
regiert. Sie waren bei jeder Verschuldung dabei.
Von unter 100 Milliarden DM hinauf auf rund 1,5 Billio-
nen DM war die FDP 30 Jahre lang dabei. Sie waren die
ganze Zeit über dabei, als die Lohnnebenkosten um rund
16 Prozentpunkte gestiegen sind.
Ich kann es nicht mehr hören, dass die Liberalen sozusa-
gen der Hort einer angebotsorientierten und vernünftigen
Wirtschafts- und Finanzpolitik sind. Sie waren immer die-
jenigen, die die Backen aufgeblasen haben.
Herr Rexrodt, um es einmal deutlich zu sagen: Zwischen
1994 und 1998, damals in der Opposition, haben wir ich
war schon damals Sprecher unserer Fraktion bei der
Rente Reformen angemahnt. Die Kollegin Fischer in un-
serer Fraktion hat den demographischen Faktor mehr-
heitsfähig gemacht.
Das war eine Leistung. Unsere Partei hat ihr Konzept
übernommen. Es war wichtig, dass wir uns in der Oppo-
sitionszeit die Mühe gemacht haben, den Menschen nicht
wohlfeil nach dem Mund zu reden, sondern Konzepte an-
zubieten.
Die Politik, an Konzepten orientiert Finanzpolitik zu
machen, zahlt sich aus auch jetzt. Aus der ruhigen Hand
machen Karikaturisten eine zitternde Hand; das ist ab-
surd. Die langen Linien im Bereich der Finanzpolitik auf-
gezeigt, heißen: Staatsverschuldung heruntersetzen und
die Steuer- und Abgabenlast durch Strukturreformen, aber
teilweise auch durch eine Umfinanzierung reduzieren. Es
ist ein von der gesamten Wirtschaftwissenschaft an-
erkanntes Prinzip, dass man in der Sozialversicherung
aufgrund der demographischen Probleme nicht alles über
den Faktor Arbeit, also über Beiträge, machen kann, son-
dern man auch dort über Steuern gehen muss.
Der Finanzminister hat Ihnen von der Unionsfraktion
zu Recht vorgehalten, dass Sie damals mithilfe der Sozi-
aldemokraten über die Mehrwertsteuer gemacht haben,
was wir jetzt mit einer Verbrauchsteuer auf Energie ma-
chen. Ich sage Ihnen eines: Dem Konsumenten ist es lie-
ber, die Chance zu haben, einer steuerlichen Belastung
durch sein Verhalten auszuweichen, als wenn die Mehr-
wertsteuer erhöht wird. Was macht der Durchschnittsbür-
ger bei einer Mehrwertsteuererhöhung? Er muss sie
schlucken oder schwarz einkaufen.
Das ist die einzige Antwort auf die Umfinanzierung. Des-
halb gilt: Bleiben Sie auf dem Teppich und denken Sie
daran, dass die finanz- und wirtschaftspolitischen Grund-
ausrichtung dieser Regierung bisher deutlich besser ist,
als viele in unserer Gesellschaft erwartet haben, was an-
gesichts der aktuellen weltwirtschaftlichen und speziell
der deutschen ich will nicht darum herumreden Situa-
tion nötig ist.
Wir hatten keine Rezession im Sinne der Definition der
Volkswirtschaft, aber wir hatten im zweiten Quartal die-
ses Jahres ein bescheidendes Wachstum über der Null-
linie. Der private Verbrauch hat dieses Wachstum in
Deutschland getragen. Das wissen Sie. Auch uns hat es
überrascht auch darauf hat der Finanzminister hinge-
wiesen , dass der private Konsum die Konjunktur in die-
sem Jahr trotz einer Inflation, die ihren Buckel im Mai bei
3,6 Prozent hatte, trotz dieses Kaufkraftentzugs, stabili-
siert hat. Wir wären unter Null, wenn die Steuerreform
nicht gegriffen hätte. Dies können Sie in allen outlooks
der letzten Tage zum Beispiel von Ifo, vom HWWA in
Hamburg gestern nachlesen. Das ist keine grüne Exegese
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Oswald Metzger
18258
der Situation, sondern tatsächliche Zustandsbeschrei-
bung.
Insofern ist logisch, dass wir von der Regierungsseite
und auch viele Konjunkturforscher sagen: Wenn die Bin-
nennachfrage bereits im ersten Quartal stabilisierend ge-
wirkt hat, um wie viel stärker kann sie dann stabilisierend
wirken, wenn sich die Inflationsrate zurückbildet? Seit
dem Buckel im Mai ist sie bereits um 1 Prozentpunkt ge-
sunken. Die EZB bewertet das Ganze genauso. Die Zins-
senkung in der vorletzten Woche wäre ohne den Wegfall
des Inflationsdrucks nicht möglich gewesen. Die Import-
preise sinken auf Raten wie seit drei oder vier Jahren
nicht mehr, natürlich auch, weil im September des letzten
Jahres die Energiepreise an den Weltmärkten nach oben
geschossen sind und nicht, weil wir letztes Jahr am 1. Sep-
tember irgendeine Stufe der Ökosteuer beschlossen oder
gar in Kraft gesetzt hätten. So einfach sind die Zusam-
menhänge. Das hört man nicht gern, aber es ist wichtig,
darauf hinzuweisen.
Oder wenn Sie, Kollege Rauen, als Mittelständler zur-
zeit investieren wollen, bekommen Sie Ihre Investitionen
mittel- und langfristig zu Bedingungen wie selten in die-
ser Republik refinanziert. Das Zinsniveau ist niedrig.
Auch dies ist Ausdruck dessen, dass die Inflationserwar-
tungen an den Märkten nicht steigen, sondern abnehmen
und insofern die Situation in Deutschland von den real-
wirtschaftlichen Daten her so schlecht nicht ist.
Wenn wir uns in dieser Situation jetzt hinstellen und sa-
gen würden, wir machen nichts mehr, alle anderen Pro-
bleme, ob im Bereich Gesundheit oder beim Arbeitsmarkt,
interessieren uns nicht, wäre es anders. Aber es ist nicht so.
Die Benchmarkgruppe im Bündnis für Arbeit hat bei-
spielsweise zum Thema Arbeitsmarkt sehr wohl Richtiges
aufgeschrieben. Die Tatsache, dass wir mit unserem Ko-
alitionspartner im Job-Aqtiv-Programm in diesen Tagen
eine Regelung innovativer Maßnahmen im Bereich der Ar-
beitsverwaltung hinbekommen wollen, ist wichtig. Wir
glauben, dass die Effizienz der Maßnahmen und die Ziel-
genauigkeit vergrößert werden müssen. Wir können nicht
so tun, als ob wir in Deutschland mit realwirtschaftlichen
Wachstumsraten wie in anderen Volkswirtschaften unter-
durchschnittliches Beschäftigungswachstum bekämen.
Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das weiß jeder, der
ehrlich ist und nicht nur die Brille der jeweiligen Regie-
rung oder der jeweiligen Opposition aufsetzt. Keine Frage:
Das ist ein Problem und das werden wir lösen müssen.
Dies wird auch nicht nur durch das Job-Aqtiv-Pro-
gramm gelöst werden, sondern dieses Thema wird aus
meiner Sicht in der nächsten Legislaturperiode im Rah-
men eines großen Reformprozesses auf der Agenda ste-
hen, mit dem Arbeitslosen- und Sozialhilfe integriert
werden, diese beiden Sicherungssysteme in einem aufge-
hen werden. Dabei spielen die Gemeindefinanzen eine
Rolle. Die Gemeinden dürfen nicht das Gefühl haben,
dass sich hier der Bund, der die Arbeitslosenhilfe bezahlt,
zulasten der Kommunen entlastet. In diesem Zusammen-
hang müssen wir über andere Steuereinnahmen der Ge-
meinden als Kompensation reden. Wichtig ist auf jeden
Fall, dass diese Gesellschaft alles tun muss, damit bei
wirtschaftlichem Wachstum auch tatsächlich mehr Be-
schäftigung entsteht.
Es ist richtig ich nenne jetzt ein Gebiet, das zurzeit
natürlich mehr aufgrund der Person des Ministers wahr-
genommen wird , dass die Bundeswehr und ihre Finan-
zierung die Haushalte des Bundes berührt. Als Haushalts-
politiker und zuständiger Berichterstatter unserer
Fraktion im Verteidigungsressort bin ich überzeugt, dass
uns das Thema der Finanzierung der Bundeswehr dann
wieder einholt, wenn das Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe infrage stellt, dass in Deutschland noch Wehr-
gerechtigkeit besteht. So, wie es im Moment aussieht,
wird im Oktober dieses Jahres eine mündliche Verhand-
lung in Karlsruhe stattfinden.
Ab dem Zeitpunkt, an dem wir hinter der Wehrpflicht
was ich persönlich glaube zumindest ein kleines, wenn
nicht sogar ein großes Fragezeichen machen müssen, wird
sich die Frage nach dem Personalkörper der Bundeswehr
anders als bei der jetzigen Strukturreform stellen. Es gab
Kommissionen, die eine Freiwilligenarmee mit einem
kleinen Anteil an Wehrpflichtigen vorschlugen. Diese
hätte sich an die Finanzplanung des Bundesfinanzminis-
ters gehalten. Insofern ist, wenn man ehrlich ist, klar zu
sagen: Die Probleme im Bereich der Bundeswehr werden
auf der Agenda bleiben. Auch das will ich nicht ver-
schweigen. Alles andere wäre unredlich.
Herr Kollege Kalb, Sie wissen genau, dass Ihre Fraktion
bei diesem Thema die Backen nicht aufblasen darf, denn
Sie sind bezüglich der Wehrpflicht gegen eine Grundge-
setzänderung. Somit kommt das Parlament in diesem
Punkt nicht auf eine Zweidrittelmehrheit. Der Finger, der
von der CDU/CSU-Opposition auf die Regierung zeigt,
zeigt auf sie zurück; denn wenn Sie zustimmen würden,
wäre die Empfehlung der FDP-Opposition, nämlich die
Aussetzung der Wehrpflicht, sofort umsetzbar. Die Union
blockiert im Prinzip einen Strukturprozess, den selbst
viele Militärs inzwischen für geboten halten.
Ich möchte diesen Themenbereich nur ansprechen, da
es sich um ein gesellschaftspolitisches Gebiet handelt,
wie auch die Arbeits- und Gesundheitspolitik, die noch
anstehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen es schaf-
fen, klarzumachen, dass wir bei bestimmten Grundlinien
zwar einen Reformbedarf sehen, aber trotz der Wahlen
nicht alles auf einmal machen können, weil in einer
Industriegesellschaft zumal in einer sozial abgesicher-
ten Gesellschaft wie der deutschen auch auf die Verän-
derungsängste der Bevölkerung reagiert werden muss. Sie
glauben doch nicht, dass wir in einem Wahljahr den Re-
formmotor plötzlich auf 180 Touren bringen und Sie als
Passagiere am Wegrand stehen und darauf hinweisen kön-
nen, dass diese Regierung diese und jene Reform durch-
führt, mit denen wir Ihnen wohlfeile Argumente liefern
würden. Bei Gott, so blöd kann keine Regierung dieser
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Oswald Metzger
18259
Welt sein, vor allem dann nicht, wenn sie in den letzten
drei Jahren die Hausaufgaben, die auf der Reformagenda
standen, abgearbeitet hat. Viele haben dies von uns er-
wartet, und viele von denen, die uns damals nicht geglaubt
haben, geben uns jetzt eine positive Rückmeldung.
Ich sage noch ein Wort zu den Risiken, die für den
Haushalt bestehen. Sie haben eingangs meine Bemerkung
richtig verstanden: Es ist zwar gewagt, in der ersten Le-
sung am 11. September eine Prognose abzugeben, wenn
erst am 15. November die Bereinigungssitzung im Haus-
haltsausschuss stattfindet das weiß ich wohl ,
aber in der Vergangenheit habe ich mit meinen Prognosen
zwischen der ersten sowie zweiten und dritten Lesung
Sie können es nachlesen nie falsch gelegen. Ich habe
auch im letzten Jahr gesagt, dass wir die Investitionen er-
höhen und die Nettokreditaufnahme aufgrund der günsti-
gen Bedingungen gegenüber dem Regierungsentwurf re-
duzieren werden. Das haben wir damals erreicht.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
glaube ich heute sagen zu können, dass wir bei den Ein-
nahmen in diesem Jahr eine Punktlandung machen wer-
den. Die Steuerschätzung im November wird für das lau-
fende Jahr keine signifikante Verschlechterung bringen,
weshalb auch alle, die von der Wirkung der automatischen
Stabilisatoren reden, höllisch aufpassen müssen. Es gibt
keine konjunkturbedingten Steuerausfälle, denn für die
Steuereinnahmen des Staates ist das nominale und nicht
das reale Wachstum verantwortlich; das weiß auch jeder.
Herr Kollege Austermann, vor diesem Hintergrund
glaube ich, dass der negative Basiseffekt, den Sie für das
nächste Jahr hochrechnen, aus heutiger Sicht nicht zum
Tragen kommen wird.
Insofern sind die Hiobsbotschaften, die Zahlen, die die
Opposition in den Raum stellt, Kassandrarufe und nichts
anderes.
Vor allem Sie als Vertreter der Partei, die sich immer
auf Ludwig Erhard als Vater der Marktwirtschaft beruft,
sollten sich über eines im Klaren sein: Ludwig Erhard hat
immer gesagt dieses Wort wird oft zitiert : Wirt-
schaftspolitik und Wirtschaft sind zu mindestens 50 Pro-
zent Psychologie. Erstaunlich finde ich es schon, wenn in
Deutschland eine deutliche Mehrheit der Menschen bei
Umfragen sogar mit steigender Tendenz von sich sagt:
Mir persönlich geht es besser. Gleichzeitig wird die allge-
meine Lage aber immer schlechter eingeschätzt.
Diese Differenz zwischen der persönlichen Wahrneh-
mung und der Wahrnehmung des Ganzen hat etwas mit
Schwarzmalen und einer Mentalität zu tun, die Sie uns, als
Sie noch regierten, immer vorgeworfen haben, während
gleichzeitig der schwarze Finanzminister Waigel gesund-
beterisch Wachstumsprognosen für seine Haushalte un-
terstellte, die ihn regelmäßig zwischen Soll und Ist mit
verfassungswidrigen Haushalten und allem Drum und
Dran in den Abgrund gestürzt haben.
Schwarz und Schwarzmalen danke, Kollegin passen
offensichtlich zusammen. Wir als Grüne halten es eher
mit der Hoffnung; denn grün ist die Hoffnung. Wir haben
begründeten Anlass zu Optimismus, auch wenn nächstes
Jahr ein Wahljahr ist.
Ich liefere dafür auch eine mathematische Erklärung.
Allein die Tatsache, dass dieses Jahr die wirtschaftliche
Dynamik schwächer ist, wird dazu führen, dass der Ba-
siseffekt für das wirtschaftliche Wachstum im nächsten
Jahr positiv überzeichnet wird. Das hatten wir schon ein-
mal, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, näm-
lich vom Jahr 1999 auf das Jahr 2000. 1999 war ein Jahr
mit einer schwachen Wachstumsrate: 1,4 Prozent. Das
letzte Jahr war auch aufgrund dieses Basiseffekts mit
3 Prozent realem Wachstum sehr gut.
Ich wünsche uns als Koalition, dass ein solcher Effekt,
passend im Wahljahr kommt. Er sollte aber nicht nur ein
statistischer Basiseffekt sein, sondern ein Faktor der Hoff-
nung dafür sein, dass wir die Arbeitslosigkeit trotz der
derzeit retardierenden Momente senken können. Gleich-
zeitig sollte die Finanz- und Steuerpolitik auf dem soliden
und berechenbaren Pfad bleiben.
Unsere Politik ist jedenfalls viel solider, Kollege
Austermann, als all das, was Sie mit der Haushaltsgruppe
Ihrer Unionsfraktion am 7. September dieses Jahres als
Pressemitteilung hinausposaunt haben.
Ich war fassungslos, dass eine Oppositionspartei ein sol-
ches Papier in die Öffentlichkeit bringt. Ich als grüner Po-
litiker hätte mich in unserer Oppositionszeit geschämt, ein
Haushaltspapier in dieser oberflächlichen und beschöni-
genden Art und Weise vorzulegen.
Kollege Austermann, das Vorziehen der Steuerre-
form 2005 und 2003 auf das nächste Jahr würde 45,3 Mil-
liarden DM Einnahmeausfälle für das nächste Jahr brin-
gen.
Das Aussetzen der Ökosteuer würde den Bundeshaushalt
bei der Zuzahlung an die Rente automatisch um zusätzlich
6 Milliarden DM belasten. Die Investitionen, die Sie bei
der Bundeswehr, dem Verkehrsetat und anderswo ohne
Gegenfinanzierung erhöhen wollen, reißen zusätzliche
Löcher in den Haushalt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Oswald Metzger
18260
Mit Ihren Vorschlägen würden Sie im nächsten Jahr einen
verfassungswidrigen Haushalt riskieren.
Vor allem würden Sie jeden Anspruch an eine seriöse Fi-
nanzpolitik mit Füßen treten.
Kollege Austermann, mein Problem mit Ihnen ist im-
mer, dass Sie von Ihrem Verstand her genau wissen, wie
die Zusammenhänge sind. Sie versuchen aber aus vorder-
gründigen, parteipolitischen Motiven, mit den Zahlen
ich möchte es einmal so sagen zu lügen. Sie haben hier
am Rednerpult das erkläre ich ganz deutlich wider bes-
seres Wissen die Unwahrheit gesagt.
Kollege Austermann, ich versuche in dieser parlamentari-
schen Auseinandersetzung mit der gebotenen Schärfe
klarzumachen, dass mir das an Ihnen missfällt. Wenn Sie
es nicht wüssten, wäre ich nicht so verärgert. Aber Sie ma-
chen es wider besseres Wissen. Wider besseres Wissen die
Unwahrheit sagen heißt nach der grammatikalischen und
tatsächlichen Definition lügen. Dies ist kein parlamenta-
rischer Ausdruck, aber ich verwende ihn bewusst als je-
mand, der normalerweise gute Argumente hat
und Ihnen Recht gibt, wenn Sie den Finger auf die Wunde
legen.
Wenn Sie zugehört hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass
es für mich hinsichtlich der Arbeitsmarktpolitik, der Ge-
sundheitspolitik und der Bundeswehr durchaus Positio-
nen gibt, die man kritisieren kann.
Kollege Metzger,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Austermann? Bitte.
Herr Kollege
Metzger, ich stelle nur fest, dass Sie den Beweis dafür,
dass auch nur eine einzige der von mir vorgetragenen
Zahlen nicht stimmt, schuldig geblieben sind. Ich stelle
auch fest, dass Sie ständig Postulate erheben, am Freitag
fordern, die Koalition müsse dieses oder jenes machen,
und am Montag einknicken. Ich nenne das: als Kondor ge-
startet und als Spatz gelandet. Wie wollen Sie bei dieser
Position ständig etwas anderes fordern, als Sie nachher
tatsächlich tun in einer parlamentarischen Debatte ernst
genommen werden? Ich sage Ihnen: Ihr Vorwurf, der üb-
licherweise mit einem Ordnungsruf geahndet wird, kann
mich überhaupt nicht treffen.
Herr Kollege
Austermann, es bedurfte nicht Ihres Hinweises. Ich wollte
Ihnen nur Gelegenheit geben, zunächst das Wort zu er-
greifen, weil Sie direkt angegriffen worden sind.
Herr Kollege Metzger, es ist in diesem Hause nicht üb-
lich, einen Kollegen der Lüge zu zeihen.
Deswegen erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.
Herr Präsident, ich will jetzt sozusagen staatstragend darauf
reagieren. Ich nehme den Ordnungsruf an, weil eine solche
Bezeichnung unüblich ist; ich ärgere mich auch darüber,
wenn so etwas von diesem Pult aus gesagt wird. Ich kann
aber belegen, dass die Zahlen, die der Kollege Austermann
seit Jahren bringt, nicht den Fakten entsprechen.
Herr Kollege Austermann, in einem Punkt muss ich
auch sagen, was bereits der Finanzminister korrigiert und
viele Redner aus den Regierungsfraktionen in den letzten
zwei Jahren gesagt haben: Sie vergleichen grundsätzlich
Äpfel mit Birnen. Das gilt zum Beispiel für das Aus-
gabevolumen von 1994 bis 1998. Es ist schon ein starkes
Stück, wenn sich der Haushaltssprecher der größten Oppo-
sitionsfraktion hinstellt und das Ausgabevolumen eines
Zeitraums, in dem das Kindergeld noch eine Ausgabe im
Bundeshaushalt war, mit dem Ausgabevolumen eines Zeit-
raums nach dem 1. Januar 1996 vergleicht, als das Kin-
dergeld zu einer Einnahmeverkürzung die Ausgaben für
Kindergeld entfielen auf der Leistungsseite und führten zu
einer Einnahmenverschlechterung wurde. Wenn der
Haushaltssprecher der Opposition dies zum wiederholten
Male im deutschen Parlament sagt, ist dies unerhört.
Zum Zweiten: Sie unterschlagen, dass die Kinder-
erziehungszeiten, die in der Rentenversicherung mit Ihrer
Zustimmung zu Recht beschlossen worden sind, pro Jahr
allein mit über 23 Milliarden DM ausgabensteigernd ge-
wirkt haben. Wer solche Informationen unterschlägt, Herr
Kollege Austermann, ist zumindest unredlich. Diesen Be-
griff halte ich aufrecht. Die Lüge nehme ich zurück.
Zum Schluß: Die Tatsache, dass wir als Koalition im
Bereich der Finanzpolitik in einem Wahljahr Kurs halten,
ist ein gutes Zeichen, weil das die Erwartungshaltung der
Märkte und der Wirtschaft vergrößert. Wir haben damit
die Chance, weiterhin auf dem Pfad, die Zinsausgabe-
ersparnisse für höhere Investitionen, für Zukunftsinves-
titionen einzusetzen das ist nicht nur eine gebaute Zu-
kunft, sondern betrifft auch Bildung, Forschung und
Technologie , fortzufahren.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Oswald Metzger
18261
Wenn wir diesen Kurs halten, wird es vielleicht ähnlich
sein wie im letzten Jahr, Herr Kollege Kalb, als die Op-
position in der ersten Lesung im September von einer po-
sitiven Konjunktur redete und uns Miesmacherei vorwarf,
weil wir in den Haushaltseckdaten für 2001 zu geringe
Wachstumsraten angesetzt hätten.
Vielleicht wird es dieses Mal umgekehrt laufen: Sie wer-
den im November im Lichte der neuen Steuerschätzung
und veränderten Wahrnehmungen an den Finanzmärkten
feststellen, dass die Sache anders aussieht.
Sie sollten Ihre Politik auf Grundlinien orientieren und
nicht auf Stimmungen. Das rate ich auch unserer Koali-
tion. Mit diesem Kurs sind wir 1999 in schwierigem Fahr-
wasser hinsichtlich der Konsolidierungslinie gut gefahren
und wir werden auch jetzt wieder gut damit fahren.
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christa Luft, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! In einem möchte ich namens mei-
ner Fraktion dem Bundesfinanzminister, der im Moment
nicht da ist, ausdrücklich zustimmen: Es kann beim Bun-
deshaushalt 2002 nicht um das Verteilen von Wahlge-
schenken gehen; denn das wäre ein Missbrauch öffent-
licher Gelder zugunsten der regierenden Parteien. Das
darf natürlich nicht sein.
Es muss aber um die Frage gehen, ob mit diesem Bun-
deshaushalt 2002 das eingelöst wird, was 1998 an Wahl-
versprechen gemacht worden ist.
In diesem Punkt, so finde ich, sieht es schon sehr mau aus.
Das primäre und kühnste Versprechen des Bundes-
kanzlers, auf das nebenbei bemerkt weder der Bundesfi-
nanzminister noch der Kollege Poß noch der Kollege
Metzger angemessen eingegangen ist,
war, die Zahl der Arbeitslosen bis 2002, also bis zur
nächsten Bundestagswahl, auf 3,5 Millionen zu reduzie-
ren. Fehlanzeige, wie wir jetzt sehen können!
Der Trend geht eher in Richtung 4 Millionen. Aber die
dramatische Arbeitsmarktlage nun auf die schlechte Welt-
konjunktur und auf saisonale Einflüsse zu schieben ist
viel zu billig. Sie ist zu einem Gutteil selbst verursacht.
Da ist zunächst die von Rot-Grün gefeierte so genannte
große Steuerreform, die nicht für die erwarteten be-
schäftigungsstimulierenden Wirkungen gesorgt, dafür
aber große Löcher in die öffentlichen Kassen gerissen hat.
Ins Fäustchen lachen können sich besonders die deut-
schen Kapitalgesellschaften; denn sie zahlen nur noch
14,9 Milliarden DM an Körperschaftsteuer. Das sind nur
noch knapp 1,7 Prozent des gesamten Steueraufkommens.
Man kann eigentlich auf den Tag warten, an dem der An-
teil der Kapitalgesellschaften bei 0 Prozent liegt. Das
könnte geschehen, wenn das umgesetzt wird, worüber
hier manche diskutieren.
Rechnet man die vielfältigen Subventionen gegen das
Aufkommen aus der Körperschaftsteuer auf, dann stellt
man fest, dass die Kapitalgesellschaften überhaupt nichts
mehr zu den öffentlichen Einnahmen und obendrein auch
nichts zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen. Ich
finde, dass man angesichts dieses Missstandes nicht mehr
länger nur still zuschauen kann.
Es war ohnehin ein Irrglaube, anzunehmen, dass mas-
sive Steuersenkungen automatisch die Bereitschaft der Un-
ternehmen erhöhen würden, Arbeitsplätze zu schaffen. Das
hat schon unter der Kohl-Regierung bis 1998 nicht funktio-
niert. Das wird auch unter Rot-Grün nicht anders sein. Herr
Bundesfinanzminister, wer wie auch die Abgeordneten der
Koalitionsfraktionen tun dies zu Recht den Schuldenberg
und die daraus resultierende Zinslast beklagt, kann doch
nicht diejenigen, die über Fördergelder und Steuersparmo-
delle vom Schuldenmachen in den 90er-Jahren am meisten
profitiert haben, nämlich Konzerne, Handelsketten, Ban-
ken und Gutbetuchte, nun durch drastische Steuer-
senkungen auch noch vom Abbau der Zinslast ausnehmen.
Die Haushaltskonsolidierung das spricht Bände ,
die auf der Liste der Wahlversprechen von 1998 gar nicht
zu den Prioritäten gehörte, ist klammheimlich zum Haupt-
erfolgskriterium der Regierung avanciert, unbeschadet
negativer gesamtwirtschaftlicher Folgen. Daher hat der
Minister wenn man es zusammenrechnet etwa 90 Pro-
zent seiner Redezeit auf das Erreichen dieses Ziels ver-
wendet. Das Einzige, was für ihn feststeht, ist, dass die
Neuverschuldung bis zum Jahr 2006 auf null reduziert
werden kann. Eigentlich unterstützen wir dieses Ziel.
Aber vorher müssen auf anderen Gebieten angefangen
beim Abbau der Arbeitslosigkeit bis hin zu Reformen im
Gesundheits- und Bildungswesen auch hohe Ziele
gesetzt und erreicht werden.
Nichts gegen vernünftiges Sparen wer könnte schon
dagegen sein? , aber bitte an den richtigen Stellen!
Was hat es eigentlich mit einem Sparkurs zu tun, wenn
die Koalition jede weit nach oben von der Planung ab-
weichende Rechnung sei es für die EXPO, sei es für die
Asbestsanierung des Palastes der Republik, sei es für die
Bundesbauten manchmal zähneknirschend, letztlich
aber dann doch bezahlt, ohne den Ursachen für die Kos-
tenexplosion nachhaltig auf den Grund zu gehen und ohne
das mit Konsequenzen für diejenigen, die sie ausgelöst
haben, zu verbinden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Oswald Metzger
18262
Kein kleines Unternehmen, das den Kostenvoranschlag
überschreitet und sei es auch nur um ein paar Mark ,
kann auf automatische Begleichung der Rechnung zählen.
Aber hier, im großen Stil, funktioniert das. Da sagen wir:
Bevor man die Sense wieder an wichtige Positionen der
öffentlichen Daseinsvorsorge ansetzt, erwarten wir, dass
erst einmal auf den genannten Gebieten richtig zugefasst
wird und jene, die hier etwas verschulden, auch zur Kasse
gebeten werden.
Heraus aus der Schuldenfalle ja, aber nicht, indem man
sich schuldig macht an Teilen der jungen Generation. Die
junge Generation kann man nicht nur dadurch entlasten,
dass man Kurs auf weniger Zinszahlungen nimmt, was
grundsätzlich vernünftig ist. Bei offiziell 4 Millionen Ar-
beitslosen sind sehr viele Kinder und Enkelkinder betrof-
fen. Die sind mit einem schweren Schicksal belastet, so-
lange ihre Eltern oder ihre Großeltern arbeitslos sind.
Auch die Millionen prekär Beschäftigter gehören dazu.
Die haben auch Kinder, um deren Zukunft sie sich sorgen
und deren Eintritt in eine sichere Zukunft durch Arbeits-
losigkeit ihrer Eltern zu einem guten Stück verbaut ist.
In Ostdeutschland kommen zur Stunde auf eine offene
Lehrstelle fünf Lehrstellensuchende. Nur mit Mobilitäts-
prämien von 10 000 bis 15 000 DM, auch noch aus den
Geldern von Beitragszahlenden finanziert, kann man das
Problem der Jugendarbeitslosigkeit im Osten doch wohl
nicht lösen.
Ich finde, das ist auch ein Stück Zweckentfremdung
von Geldern der Bundesanstalt. Die Bekämpfung der Ju-
gendarbeitslosigkeit kann man nicht nur den Beitragszah-
lenden aufbürden; das ist eine Aufgabe der ganzen Ge-
sellschaft und deshalb müssen hier Steuergelder
eingesetzt werden.
Allein in Berlin sind 14 Prozent aller Sozialhilfeempfän-
gerinnen und Sozialhilfeempfänger Menschen mit Hoch-
schulreife. Was für eine Vergeudung geistigen Potenzials!
Welch eine Hürde für diese jungen Menschen, in eine
sichere Zukunft zu schreiten!
Fatal ist, dass von den geplanten Ausgaben im Bun-
deshalt 2002 wegen des Sparkurses keinerlei Impulse für
die Beschäftigungsankurbelung ausgehen werden. Ganz
im Gegenteil: Die investiven Ausgaben sinken gegenüber
dem Vorjahr um 1,4 Milliarden DM. Damit wird ein wei-
terer Beschäftigungsabsturz in der ohnehin Not leidenden
Bauwirtschaft und in anderen Branchen in Kauf genom-
men. Das ist die traurige Wahrheit, der wir hier ins Auge
blicken müssen, wenn der Haushalt unverändert bleibt.
Der Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit ist
komplett gestrichen worden. Damit wird nicht nur der
Rahmen für aktive Arbeitsmarktpolitik noch enger, son-
dern es kommt zu einem Paradigmenwechsel. Steuermit-
tel stehen für aktive Arbeitsmarktpolitik nicht mehr zur
Verfügung. Die Beitragszahlenden allein werden in die
Pflicht genommen, das Hauptübel Massenarbeitslosigkeit
zu mildern, das sie selbst ja nicht verursacht haben. Ich
finde, das ist eine ziemlich zynische Innovation.
Insbesondere in der Arbeitsmarkt- und Beschäfti-
gungspolitik steht die Bundesregierung man muss es
schon so sagen vor einem Scherbenhaufen, jedenfalls
wenn man Soll und Ist vergleicht. Auf eine ruhige Hand
sollten Uhrmacher und Chirurgen schwören, nicht aber
ein Bundeskanzler.
Ein Bundeskanzler braucht ein kräftige, eine richtungs-
weisende, eine zupackende Hand.
Das ist das, was wir vermissen.
Der Bundesfinanzminister hat hier zu Vorschlägen der
Opposition, wie er es nannte, Stellung genommen. Wir
gehören auch zur Opposition und haben auch Vorschläge
gemacht. Da er dazu nichts gesagt hat, will ich hier einige
vortragen.
Wir fordern ein Ende der beschäftigungspolitisch kon-
traproduktiven Finanzpolitik. Die öffentlichen Investitio-
nen, die sich einem historischen Tief nähern, gehören auf-
gestockt. Eine kommunale Investitionspauschale wäre ein
Weg in diese Richtung.
Nun werden Sie fragen: Woher wollt ihr das Geld neh-
men? Ich nenne nur Stichworte; wir werden in den nächs-
ten Wochen und Monaten genügend Zeit haben darüber zu
diskutieren.
Die Zinsersparnisse aus den für Kredittilgung einge-
setzten UMTS-Lizenzerlösen sind höher, als uns bisher
gesagt wurde. Es gibt Einsparungen bei den Zinsausgaben
durch das neue Kreditmanagement des Bundes. Eine
energischere als bislang vorgesehene Bekämpfung des
Umsatzsteuerbetruges gehört ebenfalls auf die Tagesord-
nung und natürlich ein Stopp der Verschwendung von
Steuergeldern. Ich habe vorhin schon Bespiele genannt.
Notfalls ich will das hier durchaus sagen darf auch
das Anrühren der Nettoneuverschuldung nicht untersagt
sein. Es darf kein Tabu sein, die Nettoneuverschuldung in
der Höhe festzuschreiben, wie das bisher der Fall ist,
wenngleich ich sage: Einem vernünftigen Sparkurs wird
sich die PDS nicht verschließen.
Das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeits-
losigkeit, JUMP, muss aus Steuer- und darf nicht aus Bei-
tragsmitteln finanziert werden.
Die damit bei der Bundesanstalt für Arbeit frei werdenden
Gelder sind für Maßnahmen der Qualifizierung, der Aus-
bildung sowie auch für eine Sinn stiftende, vernünftige
Arbeitsförderung bereitzustellen. Wir fordern abermals,
mit Modellprojekten zuhauf vorhandene Tätigkeiten im
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dr. Christa Luft
18263
Bereich humaner Dienstleistungen und sozialer Betreu-
ung als Erwerbsarbeit dauerhaft finanzierbar zu machen.
Unterstützen möchten wir Sie, Herr Bundesfinanzmi-
nister, in der Ablehnung der Forderung, die nächsten Stu-
fen der Steuerreform vorzuziehen, wie es Union und FDP
wollen. Es wäre ein Hasardspiel, Haushaltslöcher in zwei-
stelliger Milliardenhöhe zusätzlich zu produzieren und
gleichzeitig allein für die Bundeswehr 2 Milliarden DM
zusätzlich zu fordern. Da geht doch irgendetwas nicht zu-
sammen. Dieses Konzept von Union und FDP würde am
Ende auf eine Mehrwertsteuererhöhung hinauslaufen und
davon hätten wiederum die Bezieher und Bezieherinnen
kleiner Einkommen die Hauptlast zu tragen.
Wir fordern das sofortige Schließen von Schlupflöchern,
die die Bundesregierung mit ihrer großen Steuerreform be-
sonders für global tätige Konzerne geschaffen hat.
Statt den Spitzensteuersatz für alle Einkommensgrup-
pen vom gut bezahlten Ingenieur über den nach BAT I
im öffentlichen Dienst Besoldeten bis hin zum Daimler-
Chrysler-Chef, um nur ein Beispiel zu sagen einheitlich
auf 42,5 Prozent zu senken, fordern wir einen differen-
zierten Spitzensteuersatz, zumindest so lange, wie eine
Vermögensteuer nicht erhoben wird.
Ich komme zu einem letzten Gedanken es ist schade,
dass der Bundeskanzler nicht da ist : Ich finde es enttäu-
schend, dass eine Bündnis für Aufträge genannte Idee
von Fachleuten verschiedener Parteien aus Wirtschaft,
Bankenwesen und Politik, untersetzt durch konkrete Pro-
jekte, bislang keinerlei Resonanz bei der Regierung ge-
funden hat. Auf die Vorschläge, die unterbreitet worden
sind, haben wir nicht einmal eine Eingangsbestätigung
aus dem Kanzleramt erhalten. Das ist, finde ich, kein guter
Stil; denn man kann der Opposition nicht absprechen,
Konstruktives beisteuern zu wollen und zu können. Im
Übrigen daran darf ich hier erinnern : Die Idee eines
Stadtumbauprogramms Ost ist zuallererst aus den Reihen
der PDS gekommen.
Sie ist inzwischen glücklicherweise aufgegriffen worden,
wenn auch zu nicht akzeptablen Konditionen.
Ich hoffe im Zuge der Etatberatungen immer noch auf
eine konstruktive Antwort auf Vorschläge, die aus dem
Leben gegriffen sind und die nicht am Schreibtisch gebo-
ren sind.
Danke schön.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans Georg Wagner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich den Ablauf
der Debatte bisher angehört hat, kann nur sagen: Im Wes-
ten oder im Osten oder hier in der Mitte nichts Neues. Was
die Opposition vorgetragen hat, kann man im Protokoll
der Beratung des vergangenen Jahres genau nachlesen.
Herr Austermann hat nur eines nicht wiederholt. Er hat
nicht gleich heute die Vorlage eines Nachtrages zum
Haushalt 2002 gefordert.
Das kommt wahrscheinlich noch im Laufe der Debatte.
Spätestens im Januar nächsten Jahres wird es dann so weit
sein.
Herr Austermann, einen Punkt möchte ich ansprechen.
Sie haben die Familienpolitik der früheren Regierung ge-
lobt. Ich würde den Mund nicht so voll nehmen; denn es
gab ein vernichtendes Urteil des Bundesverfassungsge-
richts über Ihre Familienpolitik.
Mit den Schulden, die Sie aufgebaut haben, mit den Zins-
verpflichtungen, die Sie aufgebaut haben das ist eine
Größenordnung von 80 Milliarden DM pro Jahr , haben
Sie, CDU/CSU und FDP, um die Zukunft unserer Kinder
eine Mauer gebaut. Diese Mauer bauen wir jetzt langsam
ab; denn wir wollen den Kindern wirklich wieder die
Chance geben, ihre Lebensumwelt selbst zu gestalten.
Wir wollen nicht heute Schulden machen, damit es uns
gut geht, und den Kindern nachher die Schulden und de-
ren Abzahlung überlassen.
Das ist eine Umkehrung der Politik, die wir betreiben.
Als Sie, Herr Kollege Austermann, gesprochen haben,
ist mir übrigens unwillkürlich ein alter Spruch eingefal-
len. Er lautet: Wenn morgens früh die Sonne lacht, dann
hats die CDU gemacht; gibts aber morgens Eis und
Schnee, dann wars bestimmt die SPD.
Das war so die Überschrift über die Rede, die Sie gehal-
ten haben. Es war nichts Neues. Es kommt immer wieder
dasselbe.
Herr von Larcher, ich habe gesehen, dass Mister Wirt-
schaft eben geklatscht hat. Mir ist die Misswirtschaft
ich habe das auf dem Plakat gesehen oftmals lieber als
Mister Wirtschaft.
Wenn einer der erfolglosesten Wirtschaftsminister der
Bundesrepublik Deutschland sagt: Ich bin Mister Wirt-
schaft, dann ist das schon ein starkes Stück.
Herr Rexrodt, Sie haben damals den prägenden Satz ge-
sagt das ist mir in Erinnerung geblieben : Wirtschaft
wird in der Wirtschaft gemacht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dr. Christa Luft
18264
Eine ganz tolle Erkenntnis! Deshalb haben Sie immer ei-
nen Bogen um den Subventionsabbau gemacht und die
Auffassung vertreten, Wirtschaft werde in der Wirtschaft
gemacht und die Subventionen würden vom Staat gezahlt.
Frau Kollegin Luft sie ist im Moment abgelenkt ,
was die Entwicklung der Kosten für den Bau von öf-
fentlichen Gebäuden angeht: Für uns ist das genauso wie
für Sie ein Ärgernis. Es ist wirklich nicht mehr nachzu-
vollziehen, wie sich ich denke nicht nur an die Bundes-
bauten die Baukosten entwickeln. Für die Bauten des
Deutschen Bundestages ist auch die Baukommission
verantwortlich, die man inklusive der Geschäftsführer der
Bundesbaugesellschaft verhaften müsste.
Ilse Janz ist dagegen; sie ist Mitglied dieser Kommis-
sion. Wenn man diese Verhaftung vornehmen würde,
dann müsste man wahrscheinlich halb Berlin einsperren.
Die Entwicklung ist wirklich fatal. Auch ich habe mich
gestern geärgert, als ich in der Vorlage gelesen habe, dass
die Asbestbeseitigung im Palast der Republik 47 Milli-
onen DM mehr kosten wird, weil man zufälligerweise ir-
gendwo noch Asbest gefunden hat. Sorgsam vorbereitet,
hätte man das vorher merken müssen. Dasselbe gilt für die
Bauten des Bundestags. Es ist ja schön, dass wir in eine
halbe Baustelle eingezogen sind. Von meinem Zimmer
aus habe ich einen klaren, unverbauten Blick auf die Kin-
dertagesstätte. Von Berlin ist da überhaupt nichts mehr zu
sehen. Das ist eben der Nachteil, wenn man in der zwei-
ten Etage sitzt. Der Vorteil ist, dass man da keine Klima-
anlage braucht, weil die Sonne nie dorthin kommt. Ir-
gendwie ist alles schon bestens organisiert.
Die ganze Geschichte ist schlimm.
Frau Kollegin Luft, Sie haben gesagt, dass die Investi-
tionen wieder ansteigen müssten. Ich frage Sie ganz ein-
fach: Woher soll das Geld kommen? Die alte Regierung
aus CDU/CSU und FDP hat die Gewährleistungen erhöht
wie Herr Eichel dargestellt hat, handelt es sich bei deren
Inanspruchnahme auch um Investitionen und dadurch
war die Quote von Investitionen und Nettoneuverschul-
dung eingehalten. Allerdings das muss man so darstel-
len handelte es sich nicht um Investitionen, die wirklich
etwas gebracht haben.
Stichwort Jugendarbeitslosigkeit: Hätten wir einfach
nur zuschauen sollen, wie die Entwicklung verläuft? Es
gibt in der Tat das muss man sagen; das ist einfach so
ein Problem mit den Ausbildungsplätzen im Osten. Ich
plädiere für mehr Zielgenauigkeit des Programms der
Bundesanstalt für Arbeit. Man sollte kein Geld an Regio-
nen im Westen geben, wo überhaupt keine Jugendarbeits-
losigkeit mehr herrscht; vielmehr sollte man versuchen,
Geld in diejenigen Gebiete fließen zu lassen, wo es wirk-
lich brenzlig ist. Um dieses Problem zu lösen, braucht es
ich wiederhole es mehr Zielgenauigkeit.
Im Übrigen werden Sie es nie schaffen ich erinnere
daran, dass ich aus dem Saarland komme , dafür zu sor-
gen, dass alle jungen Menschen dorthin gehen, wo sie ei-
nen Ausbildungs- und Arbeitsplatz finden. Wir haben es
im Saarland jahrzehntelang erlebt: Menschen, die ihre
Stelle durch den Abbau von Arbeitsplätzen in der Kohle-
und Stahlindustrie verloren haben, haben das Bundesland
verlassen und sind teilweise am Wochenende zum Bei-
spiel aus dem Ruhrgebiet oder aus dem Mannheimer
Raum ins Saarland zurückgekehrt. Man kann dieses
Problem also nicht nur auf die östlichen Länder kaprizie-
ren, sondern es trifft auch auf bestimmte Regionen im
Westen der Bundesrepublik Deutschland zu.
Der Haushaltsentwurf des Jahres 2002 ist eine solide
Grundlage für die weitere Arbeit im nächsten Jahr. Er ist
solide finanziert.
Wenn Sie das nicht gerne hören, dann muss ich Ihnen sa-
gen: Solides Finanzieren ist Ihnen in Ihrer Regierungszeit
sowieso abhanden gekommen. Sie haben nur unsolide fi-
nanziert. Wir müssen mit der Erblast allerdings fertig
werden. Die Schulden in Höhe von 1,5 Billionen DM und
die damit verbundenen 80 Milliarden DM Zinsen, die ge-
zahlt werden müssen, sind nun einmal da.
Wir müssen wir sind auf dem Weg, das zu tun die Zin-
sen möglichst schnell reduzieren; denn die Zinsen sind
das ist doch eine makabere Situation der zweitgrößte
Ausgabenposten im Bundeshaushalt. Die Nettokredit-
aufnahme im Jahre 2006 auf null zu senken ist ein Ziel,
dem eigentlich auch Sie sich verpflichtet fühlen müssten.
Dort, wo Sie Verantwortung tragen, müssen Sie mithel-
fen, dieses Ziel zu erreichen. Erst dann beginnen wir mit
dem vollständigen Abbau der Schulden, die die Zukunft
unserer Kinder zugemauert haben. Bei der Lösung dieses
Problems müssten Sie eigentlich auf unserer Seite sein.
Wenn ich es richtig gesehen habe, dann machen Sie in
Ihren Anträgen überhaupt keine Vorschläge für die Finan-
zierung von Mehrkosten in Höhe von 36,5 Mil-
liarden DM. Was da steht, ist lächerlich. Für bestimmte
Bereiche fordern Sie zusätzliches Geld. Sie sprechen zum
Beispiel davon, dass die Steuerreform vorgezogen werden
soll. Zu kleineren Gebieten, die Sie auch noch anspre-
chen, will ich gleich etwas sagen.
Stichwort Bundeswehr: Der ganze Dampf der letzten
Tage, der um Scharping gemacht wurde, diente nur dazu,
von dem Finanzdesaster abzulenken, das Sie bei der Bun-
deswehr angerichtet und hinterlassen haben.
Das war der Grund für Ihr Theater der letzten Tage, meine
Damen und Herren. Schauen Sie sich einmal an, was für
Bestellungen getätigt wurden. Jetzt ist der Oberexperte
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Hans Georg Wagner
18265
Breuer nicht da. Ich stelle da nämlich fest, dass Sie den
Eurofighter als Rohling bestellt haben, der gerade einmal
fliegen konnte, aber keine Bewaffnung die musste für
7 Milliarden DM nachbestellt werden und keine Ein-
richtungen zum Unterfliegen von Radar hatte; die musste
für 4 oder 5 Milliarden DM nachbestellt werden. Sie ha-
ben uns Vorbelastungen übertragen, die ins Grenzenlose
gingen.
Sie sollten auch Weiteres wissen, was die Bundeswehr
angeht. Ich frage Sie noch einmal ganz ehrlich, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Warum haben
Sie die Erhöhung des Wehrsoldes für die Soldaten ab-
gelehnt? Die Koalition hat den Wehrsold, der über Jahre
nicht erhöht worden war, erhöht. Warum wollten Sie den
Soldaten die Erhöhung des Wehrsoldes verweigern? Auf
diese Frage müssen Sie mir eine Antwort geben, wenn Sie
mit einem scheinheiligen Lächeln behaupten, Sie sorgten
sich wirklich um die Bundeswehr.
Der nächste Punkt, hierzu hat die Bundesregierung ei-
nen Gesetzentwurf vorgelegt: Als ich in den Haushalts-
ausschuss kam, habe ich eine Erfahrung gemacht, die Sie,
Herr Kollege Koppelin, wahrscheinlich auch gemacht ha-
ben. Sie sind ja für den Haushalt des Verteidigungsminis-
teriums vonseiten der FDP zuständig. Auch Sie haben be-
stimmt gemerkt, dass im Bereich der Beamten Hunderte
bzw. Tausende nach A 1 oder A 2 bezahlt wurden. Das gibt
es in keiner Gemeinde in Deutschland mehr, dass irgend-
ein Beamter nach A 1 oder A 2 bezahlt wird. Das gibt es
nur bei der Bundeswehr. Das haben wir geändert. Der Ge-
setzentwurf sieht vor, dass im Rahmen des Personalpla-
fonds hier jetzt endlich Verbesserungen für diese Leute
vorgenommen werden. Diese Leute sind zum Teil für 200
andere verantwortlich. Sie werden jetzt noch in einer Art
und Weise bezahlt ich will das nicht näher benennen, um
niemanden zu beleidigen , die jedenfalls unmöglich ist.
Sie haben die Soldaten über Jahrzehnte hängen lassen,
was ihre Bezahlung anging. Sie haben sich dadurch kei-
nen guten Dienst erwiesen.
Sie haben die Motivation der Soldaten gedrückt.
Jetzt bitte keine Fragen.
Schauen wir uns andere Zustände an. Ich habe eben als
Beispiel den Eurofighter genannt. Sie wissen genau, wie
es mit der Beschaffung des Transporters aussieht, der vor
der Bundestagswahl nur bestellt worden ist, damit die Be-
triebe schnell noch sichere Aufträge bekommen und keine
reelle Ausschreibung stattfinden musste.
Schauen wir uns einmal an, wie es um die Einsatz-
fähigkeit von Material im Kosovo oder jetzt in Mazedo-
nien bestellt ist. Ich nehme an, dass Sie schon einmal dort
waren. Die Einrichtungen dort sind nicht einsetzbar. Ich
denke an den Leo 2; 3 000 wurden dorthin transportiert,
damit 1 500 einsatzfähig gemacht werden konnten. Das
geht doch auf Ihre Bundeswehrpolitik zurück. Damit ha-
ben wir doch nichts zu tun. Wir haben weder ihn noch den
Marder bestellt. Das sind alles Unzulänglichkeiten, die
uns von Ihnen hinterlassen wurden. Das wird sich jetzt än-
dern. So, wie wir den Soldaten ganz konkret geholfen ha-
ben, werden wir jetzt auch für diese Einsätze die modern-
ste Ausrüstung beschaffen.
Der nächste Punkt, der auch in den Anträgen der
CDU/CSU auftaucht, betrifft die Bahn. Ich halte es für fa-
tal, dass die CDU/CSU beantragt, 500 Millionen DM
mehr an die Bahn zu geben. Ist Ihnen nicht klar oder nicht
bewusst geworden, dass Ihre Vorstandsvorsitzenden Dürr
und Ludewig in den Jahren ihres Tuns bei der Deutschen
Bahn die ganzen Planungsabteilungen liquidiert haben?
Jetzt kommen wir und stellen fest, dass Bedarf besteht,
das Netz zu erneuern. Hierzu kommen uns die Zinser-
sparnisse infolge der UMTS-Gelder zugute. Wir geben
2 Milliarden DM, damit das Netz besser und schneller ge-
macht werden kann, es stellt sich aber dann heraus, dass
das gar nicht möglich ist, weil die planerischen Voraus-
setzungen dafür gar nicht vorhanden sind.
Es war doch Ihr Fehler, dass Sie zugelassen haben, dass
Personal im Bereich der Planungsabteilungen der Bahn
abgebaut wurde. Diese sind heute ausgelaugt und nicht in
der Lage, sehr schnell zu reagieren. Das Ergebnis wird
sein, meine Damen und Herren, dass von den 2 Milliarden
DM, die wir in diesem Jahr der Bahn zur Verfügung ge-
stellt haben, drei Viertel übrig bleiben. Sie werden das
hoffe ich sehr durch Aufträge festgelegt sein, aber nicht
verausgabt worden sein. Ich finde es ganz gut, dass Ver-
kehrsminister Bodewig mit der Bahn ein Abkommen ge-
schlossen hat, dass stattdessen andere Großmaßnahmen
finanziert werden können, damit das Geld dann, aller-
dings von der Bahn, im Jahre 2004 nachträglich bereitge-
stellt werden kann. Ich halte das für vernünftig.
Sie müssen doch sehen, dass Sie das verursacht haben.
Nach dem Verursacherprinzip sind Sie alleine an dieser
Misere schuld, sonst niemand. Sie haben ja über lange
Jahre den Verkehrsminister gestellt.
Es verhielt sich nun einmal bei diesen Geldern wie in der
ganzen Bauwirtschaft so, dass es üblicherweise eine Pla-
nungs- und eine Ausschreibungs- bzw. Vergabephase gibt
und erst dann ausgeführt und abgerechnet werden kann.
Das ist in der Bauwirtschaft immer so gewesen. Man kann
nicht Herrn Mehdorn am 1. Januar 2 Milliarden DM über-
weisen und ihm sagen, er solle das Geld schnell unter die
Leute bringen. So etwas wäre in höchstem Maße unred-
lich. Wir müssen hier einen längeren Atem haben.
Nun sind endlich erste Anzeichen dafür erkennbar,
dass Aufträge vergeben werden. Das gilt übrigens nicht
nur für die Bahn. Von den 125 im Programm der Bundes-
regierung zum Bau von Ortsumgehungen aufgeführten
Maßnahmen sind bereits 66 vergeben und im Bau. Auch
insoweit wird sich in der Bauwirtschaft etwas bewegen;
Kollege Metzger hat bereits darauf hingewiesen, dass sich
die Daten positiv verändern. Wir können also daran fest-
halten, dass es im zweiten Halbjahr oder spätestens im
ersten Halbjahr des Jahres 2002 eine wirtschaftliche Be-
lebung in Deutschland geben wird.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Hans Georg Wagner
18266
Frau Kollegin Dr. Luft und andere haben erneut ein
Programm gefordert, mit dem die Arbeitslosigkeit stär-
ker bekämpft wird. Arbeitslosigkeit ist für jeden ein Är-
gernis. Es gibt gar keinen Zweifel, dass jede Idee zur
wirksamen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aufgenom-
men wird. Wir können allerdings die Unternehmen nicht
dazu prügeln, Personal einzustellen statt zu entlassen, wie
es leider massenhaft geschieht.
Bei Ihnen war das Routine, bei uns ist es jedenfalls ein
öffentliches Ärgernis wenn das immer so läuft. Ihnen war
es letztlich wahrscheinlich egal.
Wir haben im vergangenen Jahr das Zukunftsinvesti-
tionsprogramm aufgelegt, das mit 15 Milliarden DM do-
tiert und aus den Zinsersparnissen solide finanziert ist, die
von den UMTS-Erlösen herrühren. Dies ist etwas anderes
als das, was in Japan geschieht; dort wurden kreditfinan-
zierte Konjunkturprogramme aufgelegt, was aber zu dem
Ergebnis führte, dass dort die Arbeitslosigkeit noch nie so
hoch war, wie sie heute ist, und der Staat pleite ist. Wir ha-
ben es auch anders als die Amerikaner gemacht, die alle
Steuern und Ausgaben herunterfahren wollten. Herr Bush
ist mit seinem Steuersenkungsprogramm bekanntlich
nicht weit gekommen; es ist schon am ersten Tag schief
gegangen.
Wenn jetzt leichte Besserungstendenzen in den USA er-
kennbar sind, dann ist das ja gut. Dies wird sich auch bei
uns auswirken, da der Export die tragenden, Säule unse-
res Arbeitsmarktes ist und bleibt. Wenn die Amerikaner
weniger konsumieren, können wir nicht so viel exportie-
ren; das ist eine ganz einfache Rechnung. Wenn sich das
Konsumverhalten in Amerika bessert, wird das zu positi-
ven Folgen bei uns führen, übrigens nicht nur in Deutsch-
land, sondern in allen Ländern der Europäischen Union
und auch in anderen Ländern. Ich war neulich in Brasilien.
Reisen bildet, Herr Kollege Repnik; Sie sollten viel-
leicht auch einmal verreisen. Dort ist mir gesagt worden,
dass man ebenfalls auf eine Erholung des amerikanischen
Marktes warte.
Ich habe gesagt, dass Reisen bildet. Sie sollten auch ein-
mal nach Brasilien fahren. Dort können Sie etwas lernen,
Herr Repnik,
und dann können Sie vielleicht auch intelligentere Zwi-
schenrufe machen.
Es hängen also auch andere Länder von der amerikani-
schen Konjunktur ab. Wenn der IWF Argentinien neue
Kredite gibt, bedeutet das für uns ebenfalls zusätzliche
Exportchancen, weil dort dann die Wirtschaft wieder zu
funktionieren beginnt.
Bei der FDP fällt das Stichwort Subventionsabbau
immer zuerst;
sie ist nur nicht dabei, wenn es konkret wird. Ich
schlage vor, Herr Kollege Koppelin, dass wir uns darauf
verständigen.
Ich polemisiere hier nicht, gegen Sie sowieso nicht; das
wissen Sie doch.
Subventionsabbau hört sich immer gut an. Bis jetzt
wird nur eine einzige Subvention vertraglich abgebaut,
nämlich die der deutschen Steinkohle. Das lässt sich aber
auch bei anderen Subventionen machen, Herr Kollege
Rexrodt. Sie waren ja damals als Wirtschaftsminister
maßgeblich an dem Vertrag beteiligt, der die Einschrän-
kung der Steinkohlesubventionen bis zum Jahre 2005 vor-
sieht. Das ist mit Ihr Werk, gegen das zunächst einmal
nichts zu sagen ist. Aber warum sind Sie nicht bereit, auch
bei der Landwirtschaft Subventionsabbau zu betreiben?
Das gilt übrigens auch für die europäische Ebene; Herr
Minister Eichel hat es gesagt.
Für die Steinkohle werden 5 Prozent aller Subventionen
gezahlt. Dann seien Sie doch bereit, Herr Kollege
Gerhardt, mir zuzugestehen, dass ich Sie dazu einlade,
beim Subventionsabbau in anderen Bereichen mitzuma-
chen. Hier denke ich etwa auch an den großen Bereich des
Wohnungsbaus, wo eine Anpassung an den tatsächlichen
Bedarf stattfinden muss. Es gibt gar keinen Zweifel, dass
Herr Eichel hinsichtlich dieses Punktes Recht hat. In die-
sem Zusammenhang halte ich es nicht gerade für fair,
Frau Kollegin Luft, dass Sie es gering achten, wenn wir in
den nächsten drei Jahren für den Stadtumbau Ost
1,2 Milliarden DM aufwenden. Würden Sie den Städten
und Gemeinden im Westen, denen es überhaupt nicht gut
geht, sagen, dass 1,2 Milliarden DM nichts seien, erhiel-
ten Sie sicherlich eine ganz andere Antwort.
Die Union hat bereits jetzt Anträge auf Mehrausgaben
gestellt, die sich nicht nur auf die 36,5 Milliarden DM be-
ziehen; denn man muss alles zusammenfassen. Herr Kol-
lege Rauen, Sie werden nach mir sprechen; vielleicht be-
antworten Sie die Frage, wie Sie die 400 Milliarden DM,
die sich als Summe Ihrer Anträge ergeben, in unserem
Haushalt finanzieren wollen. Sie können natürlich sagen,
wir sollen die Mehrwertsteuer um 20 Prozentpunkte er-
höhen. Damit wäre das alles abgedeckt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Hans Georg Wagner
18267
Aber das wollen Sie ja auch nicht. Sie wollen die Steuer-
reform vorziehen und Entlastungen vornehmen. Man
muss mir einmal erklären, wie das zusammenpasst. Ir-
gendeiner muss doch etwas zur Finanzierung sagen, wenn
Anträge auf 400 Milliarden DM Mehrausgaben gestellt
werden und gleichzeitig die Steuern gesenkt werden sol-
len, denn Sie wollen doch wohl seriös sein.
Wenn ich Herrn Austermann richtig verstanden habe, lebt
er in dem Irrglauben, Sie kämen im nächsten Jahr wieder
an die Regierung. Solche Hoffnungsschimmer hat er
manchmal. Solche Vorhaben müssen dann aber auch se-
riös finanziert werden.
Wir haben die Absicht erklärt, die Möglichkeiten zur Be-
lebung am Arbeitsmarkt auszubauen. Die Beratung über
das Job-Aqtiv-Gesetz wird in der nächsten Sitzungswoche
beginnen. Darin werden wir auch Verfeinerungen und Ver-
besserungen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vorneh-
men.
Jetzt möchte ich etwas zum Ablauf der letzten Jahre sa-
gen. Ich frage Sie, warum die Union die Kindergeld-
erhöhungen abgelehnt hat. Vor Weihnachten 1999 haben
Sie die erste Kindergelderhöhung abgelehnt, dann haben
Sie die zweite Kindergelderhöhung abgelehnt und jetzt
lehnen Sie die dritte Kindergelderhöhung auch noch ab.
Sie haben die Neufestlegung des Existenzminimums ab-
gelehnt. Sie haben alle von uns erreichten sozialen Errun-
genschaften abgelehnt. Sie müssen mir erklären, wie Sie
das mit Ihrer Politik in Übereinstimmung bringen wollen.
Ich denke an das Kündigungsschutzgesetz, das wir zu-
gunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder
verändert haben.
Das hat überhaupt keine Arbeitsplätze vernichtet, Herr
Kollege Gerhardt. Das ist nicht wahr.
Wir haben in anderen Bereichen einige Maßnahmen er-
griffen, die Sie einfach abgelehnt haben. Sie müssen gegen-
über der Bevölkerung bitte auch begründen, warum Sie das
tun, statt immer neue Anträge zu stellen und darüber hin-
ausgehende Forderungen zu erheben. Sie sollten ganz kon-
kret sagen: Wir haben die Kindergelderhöhung abgelehnt,
weil wir es den Leuten nicht gönnen. Sagen Sie das; das ist
ja in Ordnung. Dann weiß jeder, woran er bei Ihnen ist.
Wir werden den Haushalt selbstverständlich intensiv
beraten. Wir werden auch den Umsatzsteuerbetrug, den
Sie, Herr Rexrodt, beklagten, bekämpfen.
Dann war es eben Herr Austermann. Er hätte in 16 Jah-
ren, in denen Sie an der Regierung waren, diesen Betrug
bekämpfen können. Herr Repnik, warum waren Sie denn
nicht bereit, dies zu bekämpfen? Warum müssen wir das
machen? Das ist wieder eine Erblast. Sie laden Schutt bei
uns ab, den wir dann beseitigen müssen. Die Betrüger sind
aber nicht nur in diesem Jahr gefunden worden; es gibt sie
schon wesentlich länger, man hätte sie früher bekämpfen
können.
Frau Merkel hat in der vorigen Woche einen bemer-
kenswerten wahren Satz gesprochen.
Ja. Sie hat nämlich gesagt, die chronische Unterfinan-
zierung der Bundeswehr begann 1989. Damit hat sie voll-
kommen Recht gehabt. Insofern ist es zu begrüßen, wenn
hier der Wahrheit entsprechende Sätze geäußert werden.
Ansonsten waren sich die Redner aller Fraktionen einig,
dass man etwas zur Bekämpfung der internationalen
Kriminalität wie Drogenhandel und Menschenhandel
tun muss.
Die Koalition wird sich bemühen, im Zuge der Beratun-
gen die eine oder andere zusätzliche Verbesserung auf die-
sem Gebiet zu erreichen, ebenso bei den Hilfsorganisa-
tionen wie dem THW, die wir ins Ausland schicken.
Wir werden die Ausstattung der Programme für den
Städtebau und für die soziale Stadt an die des Jahres 2001
anpassen, weil diese Maßnahmen in den westlichen Städ-
ten begründet sind. Für die Städte in den östlichen Bun-
desländern bleibt die Höhe der Förderung ohnehin in glei-
chem Umfang erhalten. Ich halte das für eine gute
Ausgangsposition. Zu diesen Punkten werden wir im
Rahmen der Beratung des Haushaltes entsprechende An-
träge formulieren.
Sie entsinnen sich an die Berlin-Debatte, die wir in die-
sem Hohen Haus geführt haben. Ich glaube, die FDP hatte
beantragt, man solle über die Situation Berlins reden.
Damals sagten wir, im Unterschied zum Saarland und zu
Bremen, wo die Haushaltsnotlage unverschuldet entstan-
den ist, ist sie hier in Berlin durch eigenes Verschulden
entstanden.
Das muss man abrechnen. Dabei muss man beachten,
welche konkreten Maßnahmen wir finanzieren. Sie be-
kommen das vielleicht gar nicht mit. Sehen Sie sich ein-
mal im Bundeshaushalt an, wie viele Millionen wir an
Berlin geben. Die Museumsinsel und das Jüdische Mu-
seum sind genannt worden; das ist ja alles in Ordnung.
Darüber sind wir uns völlig einig.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Hans Georg Wagner
18268
Es gab bisher keinen Streit. Sie haben nicht besonders
dafür gekämpft oder kämpfen müssen.
Sie haben nichts dafür getan; da haben Sie auch wieder
Recht.
Wir tun also einiges für Berlin. Wir sind aber an Ent-
scheidungen der Stadt Berlin gebunden. Sie wissen, dass
wir die Finanzierung der Sanierung des Olympiastadions
übernommen haben.
Der alte Berliner Senat das gilt bis jetzt auch für den
neuen konnte sich aber noch nicht entscheiden, was mit
der U 5 passiert, die ebenfalls vom Bund finanziert wird.
Das ist richtig. Zumindest der größere Koalitionspartner
war absolut schlecht. Das gebe ich gerne zu.
Der andere Koalitionspartner konnte nicht so regieren,
wie er wollte. Er war aber auf jeden Fall besser. Wir hel-
fen also Berlin da, wo es möglich ist.
Wir werden auch die Sportförderung in den neuen
Ländern Stichwort: Goldener Plan im Rahmen der
Haushaltsberatungen diskutieren. Es wird dann deutlich
werden, wo die einzelnen Fraktionen ihre Schwerpunkte
setzen. Ich lade alle drei Oppositionsfraktionen herzlich
ein, sinnvolle Anträge einzubringen, um sie mit uns ge-
meinsam zu beraten. Wir werden sicherlich dem einen
oder anderen Vorschlag entgegenkommen warum denn
nicht? , wenn er vernünftig ist. Bis jetzt kam aber mei-
nes Wissens noch bei keiner Haushaltsberatung etwas
Vernünftiges vonseiten der CDU/CSU auf den Tisch.
Natürlich, mit einigen sogar sehr.
Herr Kollege Repnik, die Fraktionen können doch noch
eigene Vorschläge machen.
Sie waren anscheinend so abhängig von der Regierung,
dass Sie gar nichts mehr gemacht haben.
Die Koalitionsfraktionen sind doch selbstbewusst genug,
unserer Regierung zu sagen, an dem und dem Punkt
könnte man es besser machen.
Das ist doch normal. Ich weiß, dass Sie über 16 Jahre blin-
den Gehorsam gezeigt haben: abnicken und fertig. Diese
Zeiten sind vorbei.
Wir werden den Konsolidierungskurs weiter mittra-
gen und werden dem Ziel von Hans Eichel folgen, im Jahr
2006 eine Nettokreditaufnahme von Null zu erreichen.
Wir werden dem Haushalt nach einer gründlichen Bera-
tung, zu der ich Sie herzlich einlade, zustimmen.
Vielen Dank.
Nun hat der Kollege
Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die meisten von Ihnen wissen, dass ich
Unternehmer in der Baubranche bin, in einer Branche, der
zurzeit bundesweit das Wasser bis zum Halse steht. Ich
habe in den letzten sechs Wochen versucht, Aufträge zu
bekommen, um meine Mitarbeiter nicht entlassen zu müs-
sen. Daher bin ich von dem, was ich von der Bundesre-
gierung und von den Koalitionsrednern zum Haushalt,
zum Schicksalsbuch der Nation, heute gehört habe, sehr
enttäuscht.
Herr Eichel, Sie haben zugegebenermaßen eine gute
Parteitagsrede gehalten, die Ihre eigenen Reihen erfreut
hat.
Aber ich habe relativ wenig zum Haushalt gehört.
Herr Poß, weil Sie dazwischenrufen, muss ich Ihnen sa-
gen, dass Sie sich in einem Drittel Ihrer Rede zum Haus-
halt mit Meinungsbildungsprozessen in der Union be-
schäftigt haben.
Sie haben diese Prozesse dann auch noch falsch wieder-
gegeben.
Um es sehr klar zu sagen: Das Zehnpunkteprogramm ist
das Ergebnis der Diskussion in der gesamten Fraktion und
in der gesamten Partei.
Herr Kollege Metzger, Sie haben das Argument von
den 50 Prozent Psychologie bemüht und darüber hinaus
den Kollegen Austermann in einer Art und Weise ange-
griffen, die zu Ihnen eigentlich überhaupt nicht passt. Herr
Wagner, das Beispiel von der Sonne an dem einen Mor-
gen und dem Regen an dem anderen Morgen habe ich
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Hans Georg Wagner
18269
schon mehrmals hier gehört. Sie sollten sich einmal ein
neues Beispiel ausdenken.
Zu dem Argument von der Erblast: Mein Gott, ihr regiert
schon drei Jahre. Dieses Argument läuft sich allmählich
tot. Was in den Reden dargestellt wurde, hat mit der Re-
alität in der Wirtschaft nichts zu tun.
Dieser Bundeshaushalt ist ein Dokument der Hilflosig-
keit dieser Bundesregierung,
ein Beweis der Hilflosigkeit dieser Regierung gegenüber
sich dramatisch verschlechternden Wirtschaftsdaten, ge-
genüber zunehmender Arbeitslosigkeit und abnehmender
Beschäftigung sowie gegenüber einer Inflationsrate in
einer Höhe, die man sich vor anderthalb Jahren noch nicht
vorstellen konnte. Es ist in der Tat bitter, dass die größte
Wirtschaftsnation in Europa, die Bundesrepublik Deutsch-
land, die für fast ein Drittel des Bruttoinlandproduktes im
Euroraum Verantwortung trägt, bei allen wichtigen wirt-
schaftlichen Grunddaten am Schluss der Entwicklung in
Europa steht. Sie ist sozusagen zum Fußkranken in Europa
geworden.
Herr Poß, Sie haben das ja eben zugegeben.
Ich finde es schon unverschämt, dass Sie diese Tatsache
der deutschen Wiedervereinigung in die Schuhe schieben
wollen. Das ist ökonomisch so unsinnig, dass man gar
nicht darüber nachdenken darf.
Das alles, was wir jetzt erleben, ist Ergebnis Ihrer ver-
fehlten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Das Spie-
gelbild ist der Arbeitsmarkt: Ende August dieses Jahres
waren 5,6 Millionen Menschen in Deutschland verdeckt
oder offen arbeitslos. Saisonbereinigt ist die Arbeitslo-
senzahl seit Januar um 85 000 gestiegen. Wir hatten im
August dieses Jahres zum ersten Mal auch absolut mehr
Arbeitslose als im Jahr vorher. Hinzu kommt: Die Zahl
der in Deutschland geleisteten Überstunden geht zurück
und die Kurzarbeit steigt ein Alarmsignal ersten Ran-
ges!
Erfolg auf dem Arbeitsmarkt hat diese Regierung zu
keinem Zeitpunkt gehabt. Die statistischen und demogra-
phischen Effekte, von denen Sie in den ersten drei Jahren
Ihrer Amtszeit gezehrt haben, sind vollständig aufge-
braucht. Obwohl in den Jahren 1999 bis 2001 645 000
mehr alte Menschen aus dem Erwerbsleben ausgeschie-
den sind, als junge ins Erwerbsleben eingetreten sind,
ist die Zahl der Arbeitslosen seit Ihrer Regierungsüber-
nahme im Oktober 1999 bis zum August 2001 um ledig-
lich 103 000 gefallen.
Hören Sie zu, Herr Eichel, dann werden Sie das Wort
Märchen nicht mehr in den Mund nehmen.
In Deutschland wird nicht mehr, sondern weniger ge-
arbeitet. Dies hat natürlich Auswirkungen auf den Haus-
halt und die sozialen Sicherungssysteme. Während Sie
sich noch in den scheinbaren Erfolgen auf dem Arbeits-
markt gesonnt haben, haben Sie, Herr Eichel, auch die
Hinweise des Sachverständigenrates in 1999 und 2000
nicht ernst genommen. Der Sachverständigenrat hat Ihnen
glasklar mitgeteilt, dass, in Erwerbstätigenstunden ge-
rechnet, der Beschäftigungsaufwuchs in 1997 und 1998,
der zu verzeichnen war und vom Statistischen Bundesamt
auch festgestellt wurde, in 1999 und 2000 zum Erliegen
gekommen ist. In diesem Jahr geht die Zahl der geleiste-
ten Arbeitsstunden zurück. Nur von den geleisteten Ar-
beitsstunden jedoch werden Sozialversicherungsbeiträge
und Steuern gezahlt.
Die Beitragszahlungen brechen weg. Genau an dieser
Stelle liegen die Gründe dafür, dass die Krankenkassen
flächendeckend die Beiträge erhöhen müssen, dass die
Beitragssätze zur Rentenversicherung trotz der Erhöhung
der Ökosteuer nicht um 0,3 Prozentpunkte, ja sogar über-
haupt nicht gesenkt werden, die Arbeitsverwaltung neuen
Finanzbedarf anmeldet und die Steuerschätzungen, die
diesem Haushalt zugrunde liegen, bereits heute Makula-
tur sind.
Ihr angesichts der demographischen Entwicklung oh-
nehin bescheidenes Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf
3,5 Millionen zu drücken, haben Sie längst aufgegeben.
100 000 Arbeitslose mehr bzw. Beschäftigte weniger kos-
ten die Sozialkassen circa 5 Milliarden jährlich und haben
Steuermindereinnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden DM
zur Folge wenn es 200 000 Arbeitslose mehr gibt, ist das
also schon eine Differenz von 13 Milliarden DM und je-
des Prozent Wachstum, das fehlt, führt dazu, dass 17 Mil-
liarden DM weniger Steuern und Sozialabgaben in die
staatlichen Kassen fließen.
Ihr zweites Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge un-
ter die 40-Prozent-Marke zu senken, haben Sie ebenfalls
längst aufgegeben. Am Ende haben Sie die Menschen mit
37 Milliarden DM Ökosteuer abgezockt, ohne die
versprochenen Entlastungen einzuhalten.
Sie sind schon jetzt mit beiden Zielen gescheitert.
Dieser Haushalt beweist, dass die ruhige Hand Schröders
in Wahrheit Hilflosigkeit ist.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Peter Rauen
18270
Auch das Bild vom eisernen Sparer, das Sie, Herr
Finanzminister, so gerne benutzen, wird, wie ich finde,
immer unschärfer. Das Bild mag zwar auf die Privatperson
Eichel zutreffen. Ich habe gelesen, Sie putzen Ihre Woh-
nung selbst. Vielleicht liegt das auch daran, dass Sie we-
gen der Kompliziertheit der Regelungen zu den 630-Mark-
Jobs keine Putzfrau mehr finden.
Aber das gilt nicht für den Finanzminister.
Ich komme wieder zur Ernsthaftigkeit zurück, Herr
Eichel. Dem Ist-Ergebnis Ihres Haushalts 2002 entnehme
ich, dass Sie gegenüber dem Bundeshaushalt 1998
58 Milliarden DM mehr Steuereinnahmen haben werden.
Gleichzeitig sinkt die Nettokreditaufnahme im Ver-
gleich zu 1998 lediglich um bescheidene 15 Milliar-
den DM. Was das noch mit Konsolidierung der Staats-
finanzen zu tun hat, ist mir persönlich schleierhaft.
Gegen jede volkswirtschaftliche und arbeitsmarktpoli-
tische Vernunft erhöhen Sie die konsumtiven Ausgaben
und senken die Investitionen. Trotz der Zinsersparnis
aufgrund des Verkaufs der UMTS-Lizenzen sinkt die
Investitionsquote 2002 mit 11,4 Prozent auf den niedrigs-
ten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land. Selbst 1998 hatten wir noch 12,5 Prozent. Das wa-
ren über 4 Milliarden DM mehr für Investitionen.
Herr Eichel, Sie wissen ganz genau: Obwohl es in den
Jahren 1995, 1996 und 1997 keine Erhöhung der Steuer-
einnahmen gab, die Steuern im Gegenteil nominal sogar
zurückgegangen sind, lag die Investitionsquote damals
höher als bei den üppigen Einnahmen, die Sie heute haben.
Diese alte Schimäre wird immer wieder erzählt.
Aber, Herr Eichel, Sie sind jetzt an der Regierung und
Ihrem Finanzplan entnehme ich, dass Sie dieses volks-
wirtschaftliche Risiko bis 2005 fortsetzen wollen. Danach
soll die Investitionsquote auf 10,3 Prozent zurückgehen.
Sie konsolidieren den Haushalt zulasten der Investitio-
nen. Bis 2005 wollen Sie die konsumtiven Ausgaben ge-
genüber 1998 um 47 Milliarden DM erhöhen und gleich-
zeitig die Investitionen um 6 Milliarden DM kürzen. Ich
bin sicher, dass es dazu nicht mehr kommen wird, weil die
Wähler dies im nächsten Jahr nicht zulassen werden.
Der Rückgang der Investitionsausgaben ist ein volks-
wirtschaftliches Risiko ersten Ranges. Davon betroffen
ist nicht nur die Bauindustrie, die nicht zuletzt wegen
fehlender öffentlicher Aufträge in einer existenziellen
Krise steckt. Nehmen Sie bitte ernst, was Ihnen Ihre Land-
räte und Oberbürgermeister zurzeit angesichts des Weg-
brechens der Einnahmen aus der Gewerbeertragsteuer sa-
gen. Die Gewerbeertragsteuer ist immer die erste Steuer,
die angepasst wird, wenn sich die Gewinne von Firmen
reduzieren. Auch das hat natürlich verheerende Konse-
quenzen für den größten Auftraggeber gerade der Bau-
wirtschaft , nämlich die Kommunen.
Es hat besondere Konsequenzen für die neuen Bun-
desländer; das sage ich klipp und klar. Wir haben in den
neuen Bundesländern festzustellen, dass die Lohnpro-
duktivitätslücke in den letzten Jahren unverändert bei
minus 26 Prozent liegt. Wir wissen auch, dass 15 Prozent
dieser Lohnproduktivitätslücke aufgrund fehlender Infra-
struktur bestehen. Damit es zu einem selbsttragenden
Aufschwung kommt, müssen die Investitionslücken bei
den Infrastrukturmaßnahmen verstärkt und unter großen
Anstrengungen so schnell wie möglich geschlossen wer-
den. Dem wird Ihr Haushalt in keinster Weise gerecht.
Von Regierungsseite höre ich manchmal die These,
dass an dem Dilemma die außenwirtschaftlichen Gege-
benheiten schuld seien. Das ist blanker Unfug. Die Ex-
portquote ist im ersten Halbjahr dieses Jahres gegenüber
dem Vorjahr massiv gestiegen. Das Statistische Bundes-
amt hat festgestellt, dass der Außenwert aufgrund dieser
Entwicklung, aber auch aufgrund der verminderten Im-
porte allein 1 Prozent des Wachstums im zweiten Quartal
ausgemacht hat. Wenn das stimmt, was die Institute jetzt
sagen, nämlich dass wir nur noch bei 0,9 Prozent landen
werden, Herr Eichel, und ich dieses 1 Prozent vom
Wachstum abziehe, dann haben wir das, was in der Bin-
nenkonjunktur bereits auszumachen ist, nämlich eine Re-
zession. Das sollten Sie sehr ernst nehmen. Denn als je-
mand, der einen ganz persönlichen Einblick in die
Wirtschaft hat, neige ich dazu, zu sagen, dass wir in
Deutschland sehr nahe vor einer rezessiven Phase stehen.
Es macht mir überhaupt keinen Spaß, dass es so ist. Mir
wäre es aufgrund meiner Tätigkeit als Unternehmer und
im Interesse meiner Mitarbeiter viel lieber, wenn es an-
ders wäre. Aber es ist festzustellen: Wir geraten in eine
solche Situation, ohne dass Entscheidendes dagegen ge-
tan wird.
Meine Damen und Herren, bei den Haushaltsbera-
tungen im letzten Jahr habe ich sinngemäß gesagt: Wer
zum einen den Arbeitsmarkt re-reguliert Sie haben
Maßnahmen, die wir getroffen haben, zurückgenommen
und zum anderen neu reguliert und wer eine Politik ge-
gen den Mittelstand und die Arbeitnehmer in Deutschland
macht, der wird auf dem Arbeitsmarkt brutal scheitern.
Das können Sie nachlesen.
Herr Eichel, Sie bringen so gerne das Beispiel, wie viel
eine Kauffrau im Rahmen der Steuerreform mehr ver-
dient: 60 DM. Ich bleibe einmal bei diesem Beispiel. Ich
verstehe davon eine ganze Menge, weil ich weiß, wie eine
Lohnabrechnung aussieht. Ich spreche einmal von meinen
Maurern, Herr Eichel. Ein Maurer hat aufgrund Ihrer
Steuerreform im Monat 80 DM mehr. Aufgrund der Lohn-
erhöhung um bescheidene 1,75 Prozent in diesem Früh-
jahr hat er rund 32 DM mehr. Das heißt, nach Steuerre-
form und Lohnerhöhung hat er netto, also als Kaufkraft,
112 DM im Monat mehr. Das sind pro Jahr 1 344 DM.
Wenn dieser Mitarbeiter im Oktober letzten Jahres den
Heizöltank seines Eigenheimes gefüllt hat und wenn
in diesen 3 000 Liter hineinpassen, dann hat er das aus
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Peter Rauen
18271
dieser Nettoentlastung gewonnene Geld bereits voll für
die daraus entstandenen Mehrkosten ausgeben müssen.
Gerade die Gewerkschafter hier sollten nicht so laut
schreien. Ich komme gleich noch darauf, was die Ver-
teuerung der Energie für Konsequenzen hat.
Moment mal, ich spreche nur von der Kaufkraft dieses
Mitarbeiters. Dabei sind die Mehrkosten für den Sprit
Kollege Diller weiß, woher ich komme; im ländlichen
Raum haben die Menschen keine andere Möglichkeit als
die, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren und auch die
höheren Stromkosten noch nicht abgedeckt. Das heißt,
dieser Mitarbeiter hat trotz der Steuerreform und trotz der
Lohnerhöhung einen realen Kaufkraftverlust erlitten.
Ich sage Ihnen voraus: Da kommt ein riesiges Problem
auf uns zu.
Ja, auch die Inflation ist zu berücksichtigen. Die Entlas-
tungen bei der Steuer und die Lohnerhöhungen sind durch
inflationsbedingte und energiegebundene Kosten längst
aufgefressen worden. Das wissen die Spitzen des DGB
ganz genau. Im nächsten Frühjahr kommt Folgendes auf
uns zu: Was machen die Tarifpartner? Ich sage immer: Die
Menschen in Deutschland verdienen netto zu wenig und
die Arbeit kostet brutto zu viel.
Wenn dann noch aufgrund von nicht erfolgten Reformen
und einer nicht ausreichenden Steuerreform reale Ein-
kommensverluste hinzukommen, dann bleibt den Tarif-
partnern nur das Mittel einer erheblichen Lohnerhöhung.
Das kann uns sehr schnell in eine Lohn-Preis-Spirale trei-
ben, die im Interesse Deutschlands niemandem recht sein
kann.
Zum Abschluss will ich darauf hinweisen, wo unser
Kernproblem liegt: Herr Eichel, wenn bei mir ein Mit-
arbeiter eine Lohnerhöhung von 1 DM erhält, dann gehen
nach der Steuerreform denn man erreicht ja den Spit-
zensteuersatz schon früh 40 Pfennig für die Steuer und
20 Pfennig für den Arbeitnehmerbeitrag weg. Das heißt,
von der Lohnerhöhung um 1 DM bleiben diesem Mann
gerade noch 40 Pfennig und noch weniger, wenn er
Junggeselle ist.
Ich als Unternehmer muss den Arbeitgeberanteil von
20 Prozent, den Beitrag zur Berufsgenossenschaft in
Höhe von 6,5 Prozent und noch einmal 20 Prozent für den
Beitrag zur ZVK das ist die Tarifkasse, die wir haben
drauflegen. Das sind 147 Prozent. Das heißt, mich kostet
eine Lohnerhöhung um 1 DM 1,47 DM, damit der jewei-
lige Mitarbeiter lächerliche 40 Pfennig herausbekommt.
Das führt zu der Situation, dass Arbeit in Deutschland
nicht mehr bezahlbar ist und dass ein Wirtschaftszweig
boomt wie kein anderer, nämlich die Schattenwirtschaft,
die mittlerweile 17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
ausmacht. Herr Eichel, ich sage Ihnen eines: Halten Sie
sich an das Zehnpunkteprogramm der Union!
Lassen Sie doch diese dumme Frage. Das, was da vor-
gelegt wurde, ist die Meinung der gesamten CDU/CSU-
Fraktion und der gesamten Partei.
Ziehen Sie die Steuerreform vor, damit die Tarifpartner
Luft bekommen, also diese Lohn-Preis-Spirale nicht in
Gang gesetzt wird! Denn alles, was danach käme, hätte
verheerende Folgen für die Wirtschaft in Deutschland.
Ziehen Sie das nicht ins Lächerliche! Frau Scheel, mit
Ihnen zu diskutieren bringt nichts.
Sie werden nie kapieren, dass zwischen der fiskalischen
und der volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise ein Rie-
senunterschied besteht. Es macht keinen Sinn, zu sagen
was teilweise auch Finanzminister von uns tun , man
könne sich dies aus fiskalischen Gründen nicht leisten.
Denn mit der Konjunktur und dem Wachstum wird für
das, was ihr aus fiskalischen Gründen geglaubt habt euch
nicht leisten zu können, dreifach bezahlt werden müssen.
Diese volkswirtschaftliche Sicht und nicht nur die buch-
halterische Sicht benötigt unser Finanzminister.
Schönen Dank.
Ich erteile der Kolle-
gin Antje Hermenau, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rauen,
Sie haben völlig Recht: Im nächsten Jahr werden die
Wähler entscheiden. Es kann schon sein, dass Ihnen die-
ser Haushalt ein bisschen zu unspektakulär ist, vielleicht
zu wenig Überraschungsboxen enthält. Auch in der bis-
herigen Debatte hat man von der Oppositionsseite nur
gehört, dass dieser Haushalt wenig Überraschungen ent-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Peter Rauen
18272
hält. Ich sage dazu: Das ist ein deutlicher Fortschritt ge-
genüber dem, was wir vorher hatten.
Wenn Sie von der CDU/CSU die Verfassungswidrig-
keit Ihrer Haushalte in der Vergangenheit nicht weiter an-
ficht, spricht das vielleicht dafür, dass Sie gegenüber sol-
chen Sachverhalten die nötige politische Ignoranz haben.
Ich aber finde, die Verfassungswidrigkeit der Haushalte
zu bagatellisieren, wie Sie das gerade in Ihrer Rede getan
haben, ist nicht in Ordnung. Wir haben immer gesagt, dass
man dann, wenn man in Europa ein stabiles Währungs-
system aufbauen will der Euro wird in vier Monaten
eingeführt und alle werden ihn in der Tasche haben ,
auch eine Haushaltsdisziplin einhalten muss. Das ist
wichtiger als das, was Sie hier aufgezeichnet haben.
Herr Rauen, ich möchte Sie an etwas erinnern, was in-
zwischen schon über drei Jahre her ist, denn vielleicht ha-
ben Sie es vergessen: Zu Ihrer Regierungszeit war das
Verhältnis zwischen Arbeitergeberanteil und Nettolohn
des Arbeitnehmers noch schlechter als jetzt. Inzwischen
sind die Lohnnebenkosten geringer geworden und der
Eingangssteuersatz ist ebenfalls gesunken.
Jetzt kommen wir zu den Fragen, die ein Haushalt ne-
ben den kurzfristigen Dingen auch beantworten muss. Re-
den wir einmal über nachhaltige Finanzpolitik, eine Sa-
che, der Sie sich kulturell nur sehr langsam annähern. Das
merken wir seit drei Jahren. Es ist sogar zum Teil so, dass
Sie Ihre Haushaltsreden vom letzten Jahr recyceln. Kol-
lege Austermann hat hier Passagen seiner Rede des letz-
ten Jahres wieder vorgetragen.
Es gab vor einiger Zeit eine sehr interessante Initiative
der Bundesbank. Sie bezog sich auf generational ac-
counting. Es ging für diejenigen, die es auf Deutsch
hören wollen darum, Generationenkonten einzurichten
und zu überprüfen, was die jetzige Politik für nachfol-
gende Generationen bedeutet. Man kann sich hier nicht
nur mit ein paar Sachen zur Familienpolitik herausreden.
Wir können gerne über Familienpolitik reden; aber das al-
lein ist es nicht. Wir reden darüber, wie wir den Acker be-
stellen, wie wir das Haus hinterlassen, wenn unsere Kin-
der die Früchte dessen ernten, was wir hier gemacht
haben. Wir reden über sehr lange Zeiträume. Wenn man
sich ansieht, wie die Debatte zur Rentenreform verlaufen
ist, weiß man genau, über wie viele Jahre man reden muss.
Wenn man das ist jetzt Bundesbank-O-Ton versu-
chen würde, den nachfolgenden Generationen nicht mehr
Steuern und Abgaben als uns jetzt aufzubürden, müsste
man die Steuern um 30 Prozent erhöhen und die Renten
um 40 Prozent senken. Vor solchen Konsequenzen
drücken Sie sich. Auch wir drücken uns natürlich davor
das gebe ich gerne zu , denn das ist nicht zumutbar. Es
ist nicht zumutbar, die Lebensbedingungen der jetzigen
Generationen so drastisch zu verändern.
Man muss also andere Stellschrauben bemühen. Das
braucht Zeit. Das kostet Mühe. Das braucht langen Atem
und es ist ein bisschen unspektakulär das gebe ich gerne
zu , aber es führt hoffentlich zum Ziel, nämlich den nach-
folgenden Generationen trotzdem noch Beweglichkeit in
ihrem alltäglichen Leben und in der Finanzpolitik zu er-
halten.
Jede Verzögerung erhöht die zukünftig notwendigen
Abgaben für die Bürger weiter. Deswegen muss man dies
vermeiden.
Ich erinnere mich, dass Herr Westerwelle noch im Fe-
bruar 1998 in der Wirtschaftswoche davon sprach, ihm
sei es eine Herzensangelegenheit. Die Union mutmaßte
damals, es gehe wahrscheinlich nur um den etwas offen-
sichtlichen Versuch, das Umlageverfahren bei der Rente
zu kippen. Man braucht aber keine kurzsichtige und kurz-
atmige FDP, wenn man Haushaltspolitik auch für nach-
folgende Generationen machen möchte, sondern man
braucht einen langen Atem.
Wenn Sie von der FDP und der CDU/CSU ständig von
Steuersenkungspaketen in Milliardenhöhe plappern das
ist ja nur Geplapper , Volumina von bis zu 50 Milliar-
den Euro ins Spiel bringen und sich Herr Rexrodt als Ber-
liner Kandidat der FDP hier hinstellt und Drei-Stufen-
Steuermodelle verficht, dann stelle ich die Frage: Wie soll
Berlin das verkraften? Herr Rexrodt, falls Sie ins Stadt-
parlament hineingewählt werden, können Sie sie ja be-
antworten. Sie sprechen hier von Steuerausfällen in Mil-
liardenhöhe für Berlin.
Auf so etwas hat die FDP ihre gesamte Redezeit ver-
schwendet.
Herr Austermann, was ist denn nun? Ist der Haushalt
zu eng oder zu weit? Sie sind hin- und hergeeiert und
haben überhaupt nicht klargestellt, worum es geht. Sie ha-
ben die Kritik angebracht, dass es mit der Rente nicht hin-
haut, aber völlig vermieden zu sagen, wie die CDU/CSU
das lösen würde. Sie hätten zugeben müssen, dass Ihre
Planung darin besteht, die Renten massiv zu kürzen, so
wie es im Prinzip auch die Bundesbank gefordert hat.
Dazu stehen Sie aber natürlich nicht.
Wenn wir den Schuldenstand heute mit dem im vorigen
Jahr vergleichen, stellen wir fest, dass er heute 12 Mil-
liarden Euro niedriger ist als im letzten Jahr. Wir bauen
die Schulden der Bundesrepublik Deutschland ab. Es ist
schon einigermaßen keck, wie Sie hier aufgetreten und
Gegenfinanzierungsvorschläge schuldig geblieben sind.
In der Bild-Zeitung konnte man heute einen netten
Kommentar lesen. Sie hat vorsichtig angefragt, ob denn
die Union in der Lage ist, ihre Chancen in der traditionel-
len Stunde der Opposition in die Haushaltsschlacht zu
nutzen. Davon war wenig zu sehen;
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Antje Hermenau
18273
herumnörgeln alleine reicht nicht, heißt es in der Bild-
Zeitung; wir wollen vor allem hören, was Merkel und Co.
anders und besser machen würden. Das alles sind Sie
schuldig geblieben; Sie haben es nicht gesagt.
Das heißt offensichtlich, dass sie keinen anderen Haushalt
als wir vorlegen könnten. Selbst das Herumnörgeln
kommt nicht mehr als sehr interessant herüber.
Wir legen Punktlandungen hin. Es war mühevoll; aber
wir haben es über drei Jahre hinweg geschafft. Wir erzie-
len eine Punktlandung beim Kindergeld: Es wird ab dem
1. Januar 2002 151 Euro für das erste und zweite Kind be-
tragen. Wir ziehen die dritte Stufe der Einkommensteuer-
reform vor; diese läuft jetzt schon. Die unteren und mitt-
leren Einkommen werden entlastet. Wir bringen, so
mühevoll das ist und so langsam es geht, die Sachen
voran. Nebenbei bringen wir jedes Jahr auch das Zu-
kunftsinvestitionsprogramm weiter voran. Es geht dabei
um die Hochschulen, um die berufliche Bildung, um die
Innovation regionaler Wirtschaftskerne und besonders
auch um Zukunftsinvestitionen für die Bahn. Man kann
sich doch nicht hier hinstellen und sagen, der Haushalt sei
verfehlt. Es ist ein angemessener Haushalt, der in Ruhe
und sachgerecht mit den Problemen umgeht und trotzdem
die lange Sicht nicht aus den Augen verliert. Darum geht
es.
Reden wir über die Familienpolitik und darüber, wie
das Leben den Menschen, die jetzt Kinder großziehen, ein
wenig erleichtert werden kann. Auch das ist eine Frage der
Generationengerechtigkeit. Das Zweite Gesetz zur Fami-
lienförderung wurde im Juli 2001 beschlossen. Was bringt
es? Das sächliche Existenzminimum wird angepasst,
das Kindergeld ich habe es schon erwähnt wird erhöht.
1998, als Sie die Regierungsverantwortung übergeben ha-
ben, betrug es 220 DM. Ab dem 1. Januar 2002 beträgt es
schon 300 DM. Das ist eine Steigerung von über 25 Pro-
zent. Für das erste und zweite Kind wird ein Drittel mehr
Kindergeld gezahlt. Wenn man sich überlegt, wie viele
Kinder es in Deutschland gibt, kommt man zu dem Er-
gebnis, dass es eine enorme Summe ist.
Denken Sie einmal an den Kinderfreibetrag, der eben-
falls um ungefähr 30 Prozent erhöht wurde.
Auch der Ausbildungsfreibetrag und die Abzugsfähigkeit
tatsächlich entstandener Kinderbetreuungskosten sind
im Gesetz enthalten. Es ist ein handlungsfähiger Staat, der
sich in diesem Politikfeld vor Ihnen manifestiert. Das hat
etwas mit der Haushaltskonsolidierung zu tun.
All das kostet aber Geld. Umgekehrt gesagt: Wir ver-
zichten auf Steuereinnahmen. Durch das Familienleis-
tungsgesetz entsteht ein Defizit. Wir müssen darüber dis-
kutieren, wie wir dieses im nächsten Jahr beseitigen kön-
nen. Eines unserer Probleme ist, dass wir aufgrund dieser
Familienleistungen, die wir durch Steuerentlastungen ge-
währen, natürlich weniger Steuereinnahmen haben wer-
den. Das ist das wichtigste Problem, das die Unter-
finanzierung in Höhe von 1,3 Milliarden Euro, die wir in
diesem Herbst noch zu verbuchen haben, verursacht. Ich
denke aber, dass es zu leisten ist. Wir haben es auch im
letzten Jahr, als die Probleme in finanzieller Hinsicht noch
viel größer waren, mit Bordmitteln geleistet.
Man kann durch eine gezielte Politik, die auch gewollt
ist, weniger Geld einnehmen. Wir haben gesagt, dass wir
diese Erleichterungen für Familien erreichen wollen. Wir
verzichten dafür auf Steuereinnahmen, die es uns leichter
machen würden, den Haushalt aufzustellen. Wir gehen mit
diesem Verzicht produktiv um, indem wir keine neuen
Schulden aufnehmen, sondern versuchen, mit dem, was wir
haben, auch das andere zu finanzieren. Das ist harte Arbeit.
Wir werden in den nächsten zwei Monaten sehen, wie
wir alle damit umgehen. Wir haben gesagt: All die Dinge,
die sich aus diesen Politikzielen heraus ergeben, wollen
wir finanzieren, ohne neue Schulden aufzunehmen. Wir
fangen dies mit unseren Bordmitteln auf. Es wird viel-
leicht Minderausgaben bei der EU geben. Es gibt Mög-
lichkeiten, bei den Gewährleistungen oder bei den Zins-
ausgaben zu sparen. Ich denke, wir reden hier über ein
knappes halbes Prozent des gesamten Bundesetats. Dies
werden wir durch Umschichtungen und solide Haus-
haltspolitik schaffen. Dafür muss man sich nicht ver-
schulden. Das ist nicht nötig.
Die bisherigen Erfolge, die wir über Jahre hinweg er-
reicht haben und die wir mit diesem Haushalt bestätigen
und fortsetzen, bestehen darin, dass wir ungefähr 12 Mil-
liarden Euro weniger Schulden haben. Das Entlastungs-
volumen für die privaten Haushalte und für die Unterneh-
men wird bei etwa 23 Milliarden Euro liegen. 2001
werden wir sinkende Steuereinnahmen haben und trotz-
dem die Schulden reduzieren. Das Geld aus dem Verkauf
der UMTS-Lizenzen hat dazu geführt, dass wir gemäß ei-
ner EU-Vorgabe unsere Schuldenstandsquote endlich
wieder unter den Grenzwert von 60 Prozent des BIP ge-
bracht haben.
Ich weiß noch, wie sich Herr Waigel vor Jahren über
die Italiener lustig gemacht hat. Diese haben den ganzen
Sommer über gefeixt, weil es uns nur mit Mühe gelungen
ist, unter diesen Schuldenstand zu kommen.
Hör doch auf, Dietrich Austermann!
Wir reduzieren die Schulden. Daran kannst du nicht vor-
bei. Daran kann keiner vorbei. Alle können hier große Re-
den halten. Aber die Ersten, die die Schulden seit langer
Zeit wirklich reduzieren, sind die rot-grünen Haushälter,
ist die rot-grüne Regierung.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Antje Hermenau
18274
Wir können gerne über eine Reihe von mit Augenmaß
zu liefernden Korrekturen sprechen: Entwicklungshilfe,
erneuerbare Energien, Arbeitsmarkt. Hier wird es noch
Justierungen geben. Das ist die Arbeit der nächsten zwei
Monate. Dabei ist jeder konstruktive Beitrag gefragt. An-
sonsten war die Debatte, zumindest vonseiten der Oppo-
sition, eher verhalten.
Schönen Dank.
Ich erteile dem Kolle-
gen Hermann Otto Solms, FDP-Fraktion, das Wort.
Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den mir verbleiben-
den drei Minuten Redezeit kann ich natürlich nur zusam-
menfassende Bemerkungen machen. Eines vorab: Die
laufenden Schuldzuweisungen an die frühere Regierung
und die sie tragenden Parteien nach drei Jahren Regie-
rungsverantwortung sind allmählich mehr als peinlich; es
sei denn, es wäre ein Zeichen der Hilflosigkeit.
Es verwundert nicht, dass Sie wegen Ihrer Hilflosigkeit
auf die alte Regierung verweisen, weil Sie mit Ihrer
Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik, Herr Bundesminis-
ter Eichel, und mit der Sozialpolitik die gesamte Bundes-
regierung in ganzer Breite an die Wand fahren.
Sie können nicht einmal die von Ihnen selbst postulierten
Ziele verwirklichen. Wenn alles so wäre, wie Sie es dar-
stellen, Herr Eichel, dann wären Sie ein Zauberer. In
Wirklichkeit sieht es anders aus. Ich will nur drei kleine
Beispiele nennen.
In der Haushaltspolitik, so sagen Sie großspurig, wol-
len Sie raus aus der Schuldenfalle und die Haushalte kon-
solidieren. Schaut man sich die Zahlen an, so stellt man
fest, dass die Ausgaben des Bundes seit 1998 von
457 Milliarden DM auf 484 Milliarden DM gestiegen
sind. Von Konsolidierung und Sparen kann hier keine
Rede sein: alles heiße Luft.
Sie haben gesagt, Sie müssten mit der Haushaltspolitik
einen Beitrag zur Konjunkturankurbelung leisten.
Schauen Sie sich einmal das Verhältnis von konsumtiven
und investiven Ausgaben an: Die konsumtiven Ausga-
ben steigen von 359 Milliarden DM auf 430 Milliar-
den DM, die investiven Ausgaben sinken von 57 Milliar-
den DM auf 55 Milliarden DM. In Ihrer Planung sollen sie
weiter sinken: in 2004 auf 51 Milliarden DM, wohinge-
gen die konsumtiven Ausgaben auf 446 Milliarden DM
weiter steigen sollen. Also stimmt auch in der langfristi-
gen Perspektive das nicht, was Sie hier behaupten. Das
Gegenteil ist richtig.
Zur Steuerpolitik: Sie sprechen von der größten Steuer-
reform aller Zeiten und reden von einer Entlastung für die
Arbeitnehmer und die Steuerpflichtigen. Das Gegenteil
ist richtig: Das Steueraufkommen steigt. Dies muss von
irgendjemandem bezahlt werden. Dies bezahlen natürlich
die Steuerpflichtigen. Nachdem Sie die Steuerentlastung
auf die großen Kapitalgesellschaften konzentriert haben,
bezahlen jetzt die kleinen Arbeitnehmer und der Mittel-
stand die Rechnung. Damit dämpfen Sie auch noch die
konjunkturelle Entwicklung.
Sie haben vorhin gesagt, die Angaben zur Steuerquote
stimmten nicht. Ich habe hier die Daten des Statistischen
Bundesamtes. Seit 1950, seit Beginn der Bundesrepublik,
haben wir im Jahre 2000 das ist die letzte vorliegende
Zahl , gemessen am Bruttosozialprodukt, die höchste
volkswirtschaftliche Steuerquote.
Das Jahr 2001 ist in der Statistik noch nicht enthalten,
weil dieses Jahr noch nicht abgeschlossen ist. Auch im
Jahr 1977 war die Situation kurzfristig so, dass wir die
höchste volkswirtschaftliche Steuerquote hatten. In die-
sem Punkt sind Ihre Aussagen einfach falsch, unrichtig.
Dritte Bemerkung Sozialabgaben : Der Bundes-
kanzler ist mit der Aussage angetreten, er wolle die Sozi-
alabgabenquote auf unter 40 Prozent senken. Trotz der
Zuhilfenahme von rund 30 Milliarden DM aus der Öko-
steuer zugunsten der Rentenkasse steigen die Sozialabga-
ben weiter.
Wir sind bei über 41 Prozent und es ist heute schon klar,
dass Sie die geplante Senkung der Beiträge von 19,1 auf
19,0 Prozent nicht hinbekommen; das Gleiche gilt für die
geplante Senkung auf 18,8 Prozent im nächsten Jahr. Das
heißt, auch die Aussage, die Ökosteuer treffe die Arbeit-
nehmer nicht, weil sie bei den Beiträgen zur Rentenversi-
cherung gleichzeitig entlastet würden, ist eine glatte
Lüge; das stimmt einfach nicht.
Ergebnis dieser falschen Politik ist Sie können das im
Spiegel dieser Woche nachlesen; das ist für Sie viel-
leicht glaubwürdiger, als wenn ich es sage : Die Bun-
desrepublik Deutschland ist der Sitzenbleiber unter den
Industrienationen;
sie ist beim Wirtschaftswachstum an drittletzter Stelle, bei
der Erwerbsquote ebenfalls, aber bei der Steuer- und Ab-
gabenquote Ihre Verantwortung, Herr Bundesminister
weltweit Spitzenreiter mit 60 Prozent. Auf dieser Basis
wird sich die Wirtschaft in Deutschland nicht erholen und
die Arbeitslosigkeit nicht abgebaut werden können. Vor
diesem Hintergrund werden die Wähler im nächsten Jahr
ihr Urteil zu sprechen haben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Antje Hermenau
18275
Ich erteile der Kolle-
gin Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Der Bundesfinanzminister hat uns
heute Vormittag eigentlich nur eine Botschaft herüber-
gebracht: Spare mit jedem Pfennig, koste es, was es wolle,
auch wenn es unsere Zukunft ist! Sie haben gesagt, Sie
wollten die Bürger nicht um ihr eigenes Geld bringen und
müssten deshalb die Schulden abbauen. Ihre Politik, nur
zu sparen, ohne auf die Einnahmenseite zu schauen, führt
aber natürlich zu dem Ergebnis, dass die Bürgerinnen und
Bürger um ihr Geld gebracht werden. Sie haben die pri-
vate Finanzierung der Rente beschlossen. Sie haben den
Abbau der Massenarbeitslosigkeit nicht vorangebracht.
Sie verlangen, dass Bürgerinnen und Bürger die Dis-
kussionen nehmen immer mehr zu für die Schulbildung
und das Studium ihrer Kinder stärker bezahlen müssen.
Auch das sind private Investitionen, das heißt, Sie ver-
lagern hier schlicht und einfach.
Schaut man sich einmal die Steuerbelastungen genauer
an, so muss man erschrocken feststellen: Die veranlagte
Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer, die von
BMW, Siemens, Deutsche Bank usw., von den Mil-
lionären und Milliardären, die wir auch in der Bundesre-
publik haben, erbracht werden, machen nur 3,1 Prozent
des gesamten Steueraufkommens aus, nicht mehr. Das ist
doch ein Skandal ohnegleichen.
Natürlich haben Sie es relativ geschickt gemacht. Herr
Waigel hätte sich nie getraut, den Spitzensteuersatz um
10 Prozent und den Körperschaftsteuersatz um 20 Prozent
zu senken; Sie wären dagegen Sturm gelaufen. Ermög-
licht wird diese Senkung durch eine Verlagerung von der
direkten auf die indirekte Besteuerung Stichwort Öko-
steuer , aber auch dadurch, dass, obwohl Sie eine ge-
wisse Steuersenkung von immerhin 3 Prozent vorgenom-
men haben, diese Gruppe der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer den Großteil des Steueraufkommens bei
den direkten Steuern zahlt, nämlich 29 Prozent. Verglei-
chen Sie bitte die 3,1 Prozent, die ich eben genannt habe,
mit diesen 29 Prozent. Die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer finanzieren also inzwischen das Gemeinwe-
sen und nicht die großen Unternehmen. Sie haben zu
Recht gesagt, diese bedanken sich für das rot-grüne Steu-
erparadies, das Deutschland inzwischen ist. Das gilt aber
nur für diese Gruppe der Bevölkerung, die doch recht
klein ist.
Ich komme aus Leipzig. Wir freuen uns sehr, dass wir
die Ansiedlung von BMW bekommen, die uns 10 000 Ar-
beitsplätze bringen wird. Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer werden ihre Lohnsteuer brav abführen, so wie
sich das gehört. Ob aber BMW in Leipzig überhaupt eine
Mark Steuern zahlen wird, wage ich sehr zu bezweifeln.
Im Gegenteil: BMW bekommt noch hohe Subventionen
für die Ansiedlung eines Werkes in Leipzig.
Frau Hermenau, Sie haben vorhin hervorgehoben, dass
die rot-grüne Regierung aufgrund der Anhebung des
Kindergeldes auf Steuereinnahmen verzichte. Lassen Sie
mich bitte klarstellen: Sie alle, die sich in den letzten Jah-
ren die Regierungsverantwortung geteilt haben das be-
trifft nicht meine Fraktion, weil wir auf Bundesebene
noch nicht an der Regierung waren , haben viel zu we-
nig für die Kinder getan. Alles, was zugunsten von Fami-
lien mit Kindern gemacht worden ist, ist auf Druck des
Bundesverfassungsgerichts geschehen, das diesem Ho-
hen Hause gar keine andere Wahl gelassen hat.
Dass Familien mit Kindern in den Genuss einer Kinder-
gelderhöhung kommen, lässt sich darauf zurückführen,
dass ein Großteil der Familien einen Rechtsanspruch auf
steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kin-
der hat. Das heißt, die eigentliche Familienförderung
kommt nur noch einer kleinen Gruppe zugute. Sie, meine
Damen und Herren von der Koalition, lassen die durch die
Kindergelderhöhung entstandenen Mehrausgaben zum
großen Teil durch steuerliche Höherbelastung der Allein-
erziehenden gegenfinanzieren. Das wissen Sie auch.
Die Kindergelderhöhung ist insgesamt viel zu gering
ausgefallen. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der es
Ihnen, wenn Sie ihn aufgegriffen hätten, ermöglicht hätte,
das Kindergeld auf 400 DM für jedes Kind ab dem 1. Ja-
nuar 2002 zu erhöhen. Sie müssten in Ihrer Steuerpolitik
wirklich einmal mutig sein und zur Individualisierung der
Einkommensteuer übergehen. Dann hätten Sie auch das
notwendige Geld dafür.
Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Herr Eichel die
Verantwortung für die Kinderbetreuung den Ländern
und Kommunen überlässt. Uns allen ist klar: Auch ein
Kindergeld von 400 DM würde die Probleme nicht lösen.
Es ist daher notwendig, dass Deutschland endlich europä-
isches Normalmaß erreicht und für eine ausreichende
Zahl von Einrichtungen für die ganztägige Kinderbetreu-
ung sorgt. Hier können wir die Länder und Kommunen
nicht alleine lassen. Wenn ich mir vor Augen führe, dass
das Steueraufkommen der Kommunen in diesem Jahr um
durchschnittlich 17 Prozent aufgrund der verabschiedeten
Steuerreform eingebrochen ist, dann frage ich Sie, mit
welcher Berechtigung Sie von den Kommunen und Län-
dern verlangen, die Kinderbetreuung alleine zu finanzie-
ren. Die Kommunen haben nicht einmal wie die Länder
die Möglichkeit gehabt, über das Steuergesetz zu verhan-
deln. Das, was Sie fordern, ist nicht in Ordnung. So kann
man die Politik nicht vorantreiben.
Wir haben Ihnen unsere Vorschläge vorgelegt. Wir ha-
ben Ihnen vorgeschlagen, auch die Unternehmen wieder
nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit zu besteuern.
Das wäre eine richtige Mittelstandsförderung. Wir haben
Ihnen die Einführung eines progressiven Körper-
schaftsteuersatzes vorgeschlagen. Sie sollten auch unse-
ren Vorschlag einer Mindestbesteuerung ernst nehmen.
Wenn Sie schon nicht die Steuerschlupflöcher schließen,
dann sollten Sie doch wenigstens sicherstellen das wäre
ein erster Schritt, um wenigstens ein kleines bisschen Mut
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 200118276
zu zeigen , dass jeder in diesem Land einen Mindest-
steuerbetrag abführt und damit wenigstens etwas zur Fi-
nanzierung des Gemeinwesens beiträgt.
Ich bin ein bisschen optimistisch, wenn ich die Dis-
kussion über die Tobin-Steuer verfolge und mir die Liste
der Namen der Unterstützerinnen und Unterstützer aus
diesem Hause anschaue, die sich nicht auf die PDS be-
schränkt. Wir haben bereits in der 13. und auch in der jet-
zigen Legislaturperiode einen Antrag dazu eingebracht.
Ich freue mich schon darauf, wenn zum Beispiel die Bun-
desministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul gemeinsam
mit anderen Abgeordneten in der Regierungskoalition
dafür kämpfen wird, dass endlich auch die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland etwas gegen Devisenspeku-
lationen tut, damit in ausreichendem Maße Geld für die
Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung steht, so
wie wir es in unseren Anträgen bereits gefordert haben.
Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ei-
nigermaßen merkwürdig, wenn Sie, Herr Rauen und ei-
nige aus Ihren Reihen, fast drei Jahre, nachdem wir die
schwarz-gelbe Koalition abgelöst haben, so tun, als wären
Sie dem Jungbrunnen entsprungen und würden jetzt alles
voller Elan anpacken. Wenn man genauer hinhört, dann
stellt man fest, dass Sie sich selber treu bleiben. Es ist
Ihnen in den 16 Jahren Ihrer Regierungstätigkeit mit zu-
nehmendem Tempo gelungen, eigentlich die gesamte
Ordnung der öffentlichen Finanzsysteme und der Sozial-
systeme zu chaotisieren.
Sie haben den öffentlichen Haushalt zugrunde gerichtet
und sind bis an die Grenze des verfassungsmäßig Zuläs-
sigen in Schattenhaushalte ausgewichen. Sie haben die
Altersvorsorge vor die Wand fahren lassen und zur Unsi-
cherheit bei alten wie bei jungen Menschen beigetragen.
Sie haben mit Ihrer steuerlichen Familienförderung gegen
die Verfassung verstoßen, wie Ihnen das Bundesverfas-
sungsgericht bescheinigt hat.
Sie haben in vielen anderen Bereichen eigentlich nur
Chaos hinterlassen.
Wer 16 Jahre Zeit hatte, eine Welt einzureißen, und dies
auch getan hat, der muss uns ein wenig Zeit geben, sie
wieder aufzubauen.
Mit der Ankündigung, Herr Rauen und andere, Sie
würden an unserer Stelle die nächsten Stufen der Steuer-
reform mit 45 Milliarden DM vorziehen, fallen Sie in
Ihre alten Gepflogenheiten zurück, was öffentliche Haus-
halte, insbesondere den Bundeshaushalt, angeht: alles nur
auf Pump!
Ihre Ankündigung, Sie wollten uns in der Familienförde-
rung noch toppen, finde ich geradezu albern, nachdem Sie
sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte geweigert haben,
überhaupt etwas zu machen.
Liebe Kollegin Höll, Sie haben hier gesagt, die Koali-
tion habe im Bereich der Familienförderung lediglich
das getan, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben
habe und was dem Rechtsanspruch der Familien ent-
spricht. Das ist doch völlig falsch.
Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich gesagt, dass
bestimmte Aufwendungen für Kinder im Bereich der Ein-
kommensteuer freigestellt werden müssen.
Es war ausschließlich von Freibeträgen die Rede. Über
Kindergeld für diejenigen, die geringe Einkommen oder
gar kein Einkommen haben, hat das Bundesverfassungs-
gericht nichts gesagt. Das macht die Sache teuer, aber das
haben wir gemacht, und zwar gerne.
Das Bundesverfassungsgericht hat auch überhaupt nichts
darüber gesagt, dass berufstätige Eltern die tatsächlichen
Betreuungskosten für Kinder zusätzlich von der Steuer
absetzen können. Wir haben es gemacht, und zwar gerne.
Das Bundesverfassungsgericht hat auch gar nichts
darüber gesagt, dass wir bei der Problematik der Allein-
erziehenden, die ja Ausgangspunkt der Rechtsprechung
des Verfassungsgerichts war, einen gleitenden Übergang
organisieren, der auch ins Geld geht. Wir tun es, weil wir
die sowieso schon schwierige Gruppe allein erziehender
Mütter nicht noch zusätzlich schädigen wollen als Folge
eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Wir nehmen
eine zusätzliche Belastung in Kauf, bis sich Kindergeld
und Steuerfreibeträge mit den bisherigen Rechtsan-
sprüchen von Alleinerziehenden getroffen haben. Das
haben wir gerne gemacht, aber dazu hat uns niemand
gezwungen. Das muss hier klar gesagt werden.
Wir sind weit über das hinausgegangen, was das Bun-
desverfassungsgericht gefordert hat. Wir sind natürlich
erst recht über das hinausgegangen, was die Opposition
jemals angedacht hat. An das, was wir hier jetzt gemacht
haben, haben Sie ja nicht einmal zu denken gewagt.
Ich glaube, auch hinsichtlich der Arbeitsmarktsitua-
tion machen Sie es sich etwas einfach. In den letzten
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dr. Barbara Höll
18277
Jahren Ihrer Regierungstätigkeit wurde sehr oft Aufbau
Ost mit Bereicherung West verwechselt.
Es wurden keine tragfähigen Strukturen aufgebaut. Das
zeigt sich jetzt und rächt sich bitter, da in einigen Berei-
chen ein Zusammenbruch droht, gegen den wir mit
großem öffentlichen Aufwand ankämpfen müssen.
Sie haben Wirtschaftspolitik gemacht mit einem
Wirtschaftsminister Rexrodt, der grundsätzlich zum Pro-
gramm erklärt hat: Wir machen nichts. Heute stellt er sich
hier hin und beginnt an Stellschrauben zu drehen, von de-
nen er in seiner Amtszeit überhaupt nicht wusste, dass es
sie gibt, weil er sich geweigert hat, sie zur Kenntnis zu
nehmen.
Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass das deutsche
Volk glaubt, drei Jahre nach Ihrer berechtigten Nieder-
lage, nach 16 Jahren, in denen Sie Chancen hatten, etwas
Bleibendes zu errichten, seien diese Bäckerburschen im
Trainingslager so erfolgreich gewesen, dass man ihnen
das Schicksal des Volkes im nächsten Jahr wieder anver-
trauen kann! Das glauben Sie wohl selbst nicht. Das ist
Pfeifen im dunklen Keller.
Meine Stimme ist so laut; das ist in den weiten westfä-
lischen Landen so. Da muss man manchmal auch größere
Distanzen überwinden. Ich gebe mir aber Mühe, etwas
leiser zu reden.
Ich bin heute im Wesentlichen hier angetreten, um ei-
niges zur Steuerpolitik zu sagen. Für die Schlussrunde
am kommenden Freitag liegt ein Entschließungsantrag
der CDU/CSU vor, in dem so getan wird, als gäbe es we-
der Steuergerechtigkeit noch hätten wir etwas Vernünfti-
ges für die Unternehmen, geschweige denn für den Mit-
telstand, unternommen. Wir haben eine Entlastung
organisiert, und zwar wahlperiodenübergreifend, die im
Jahre 2005 Hans Eichel hat darauf hingewiesen in eine
Entlastung von circa 100 Milliarden DM pro Jahr mündet.
Das hat es in Deutschland noch niemals gegeben. Dies
wird auch Früchte tragen. Es wird nicht nur Geld in die
Taschen der privaten Leute oder der Unternehmen, die in-
vestieren sollen, bringen, sondern wird sich auch in der
Nachfrage widerspiegeln, wie das jetzt schon zunehmend
der Fall ist.
Es gab einige Monate, in denen aufgrund explodieren-
der Rohölpreise nicht aufgrund der Ökosteuer eine
sehr hohe Preissteigerungsrate zu verzeichnen war. Das
ist gar keine Frage; das hat auch uns in hohem Maße geär-
gert. Richtig ist, dass durch diese Ölpreiserhöhung ein
Teil der Entlastungseffekte aufgefressen wurde. Aber stel-
len Sie sich doch einmal vor, welches gesamtwirtschaftli-
ches Szenario eingetreten wäre, wenn wir diese Ent-
lastung nicht vorgenommen hätten und es zu einer solchen
Preissteigerungsrate gekommen wäre!
Das hätte zur Rezession geführt. Wir hätten es lieber an-
ders gehabt das ist gar keine Frage , aber wir haben die
Preissteigerungsrate gerade bei Rohöl nicht zu verant-
worten.
Wir haben entlastet und damit dazu beigetragen, dass die
Nachfrageseite noch einigermaßen elastisch reagieren
konnte und wir nicht einen realen Rückgang im konsum-
tiven Bereich, der sonst garantiert eingetreten wäre, zu
verzeichnen hatten.
Wir haben jetzt Gott sei Dank wieder eine Normalisie-
rung. Die Inflationsrate bewegt sich auf einem normal
niedrigen Maß.
Damit werden natürlich auch die Erträge von Steuer- und
Beitragsentlastungen für Private und Unternehmen wie-
der voll spürbar. Die nächsten Stufen der Steuerreform
werden da sind wir außerordentlich zuversichtlich voll
nachfragewirksam werden.
Normalerweise sind die Kollegen aus den süddeutschen
Ländern für die Festzelte zuständig.
Nein? Na gut, dann nehme ich das zurück.
Aber dann muss man auch darauf aufmerksam gemacht
werden; sonst fällt es einem nicht auf.
Überwiegend hat der
Kollege Schultz das Wort.
Wir haben
dazu beigetragen, dass niedrige Einkommen im Grunde
genommen überhaupt nicht besteuert werden. Es gibt sehr
hohe Grundfreibeträge. Familien mit zwei Kindern wer-
den ab dem Jahr 2005 überhaupt erst bei einem Einkom-
men von mehr als 56 000 DM die erste Mark Steuern be-
zahlen. Das hat es noch nie gegeben. Das ist eine
wahnsinnige Förderung gerade von Familien mit kleinen
Einkommen, die da wirksam werden wird.
Zur Entlastung der Unternehmen. Das glaubt Ihnen
kein Mensch, aber es ist so: Die rechtsformgebundenen
Unternehmen und ihre Verbände sind mit der Steuerre-
form in hohem Maße zufrieden. Die Definitivbesteuerung
von 25 Prozent hat schon dazu geführt, dass Erträge
der Unternehmen in den Unternehmen bleiben und in
Investitionen umgemünzt werden. Diese Unternehmen-
steuerreform hat dazu geführt, dass ausländische
Unternehmen, die Deutschland den Rücken gekehrt
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Reinhard Schultz
18278
hatten, wieder zurückkommen, weil sie hier die bessere
steuerpolitische Kulisse für ihre Aktivitäten vorfinden.
Auch für die nicht rechtsformgebundenen Gesellschaften,
für die Personengesellschaften, für die Einzelkaufleute,
haben wir durch die Kombination des niedrigen Einkom-
mensteuertarifs und der Möglichkeit, die Gewerbesteuer-
belastung fast vollständig von der Steuerschuld abzuzie-
hen, eine erhebliche Entlastung geschaffen.
Ein Unternehmen muss schon einen Reinerlös von mehr
als 480 000 DM im Jahr haben wir haben das hier be-
reits mehrfach diskutiert , wenn es ihm schlechter gehen
soll als einer rechtsformgebundenen Gesellschaft. Da
aber die meisten Personengesellschaften, nämlich 95 Pro-
zent, einen Ertrag von weniger als 250 000 DM haben, ist
alles das, was Sie hier erzählen, ein reines Märchen.
Aber wir legen noch einen drauf. Bei der Fortent-
wicklung des Unternehmensteuerrechts, das am
Freitag in erster Lesung behandelt werden wird, wird
deutlich werden, dass wir auch andere Vorteile der Unter-
nehmensteuerreform, nämlich die steuerfreie Veräuße-
rung von Unternehmensteilen, soweit das Geld in der
unternehmerischen Sphäre bleibt, für Personengesell-
schaften nutzbar machen wollen.
Die Koalition da darf ich auf den Kollegen verweisen
denkt konstruktiv mit. Sowohl die SPD und ich selbst als
auch die Grünen haben frühzeitig darauf hingewiesen,
dass wir auch auf diesem Gebiet die Gleichstellung von
Personengesellschaften auf der einen Seite und GmbHs
und Aktiengesellschaften auf der anderen Seite wollen.
Die steuerfreie Reinvestitionsrücklage wird dazu
beitragen, dass auch in Personengesellschaften die Durch-
führung von Umstrukturierungsprozessen deutlich leich-
ter wird. Damit ist die Waffengleichheit hergestellt. Das
wird sich auf das wirtschaftspolitische Klima in Deutsch-
land natürlich außerordentlich positiv auswirken.
Sie tun in Ihrer Vorlage so, als wäre das alles mit wahn-
sinnigen Hürden befrachtet,
als ob man für Erschwerungen sorgen würde und als ob
Ausschreibungen gar nicht möglich wären. Wir werden in
den Ausschusssitzungen natürlich sehr aufmerksam ver-
folgen, was Sie dort vortragen.
Wir sehen nur, dass wir eine fast vollständige Waffen-
gleichheit, was die Entlastungen und was die Beweglich-
keit von Unternehmensvermögen angeht, sowohl für
rechtsformgebundene als auch für Personengesellschaf-
ten herstellen. Auch das hat es bislang noch nicht gege-
ben. Unsere einladende Geste sieht so aus: Wer investiert,
der wird von Steuern verschont; wer privat entnimmt, der
muss allerdings, seiner Situation entsprechend, den nor-
malen Steuersatz entrichten.
Ich möchte noch ein Wort auf die Situation in Bund,
Ländern und Gemeinden verwenden. Die Opposition er-
klärt, es gebe überhaupt keine Probleme, zusätzlich
45 Milliarden DM bereitzustellen usw. Das alles aber
ginge zulasten der Länder. Wenn wir auf die Idee gekom-
men wären, zusätzlich 45 Milliarden DM aus dem Ver-
kehr zu ziehen, dann würde, glaube ich, selbst Minister-
präsident Stoiber in München vor Wut an die Decke
springen, weil dann sogar der Landeshaushalt in Bayern
nicht mehr ohne Weiteres finanzierbar wäre. Es ist so ähn-
lich wie bei Waigel: Als er noch Minister war, hat er im-
mer auf der Abgeordnetentoilette gebetet, dass sich die
Mehrheit der SPD-geführten Länder im Bundesrat durch-
setzt; denn ansonsten wären das wissen Sie ganz ge-
nauso gut wie wir weder der Bundeshaushalt noch der
bayerische Staatshaushalt ich erinnere an Ihre Peters-
berger Beschlüsse zu finanzieren gewesen.
Wir halten es vor diesem Hintergrund nicht für besonders
hilfreich und nicht für besonders ehrlich, dass Sie er-
zählen, dass es den Gemeinden besonders schlecht geht,
und gleichzeitig ankündigen, man wolle sie weiter belas-
ten, indem man ihnen Einnahmen nimmt.
Wir sehen, dass in der Debatte über die Fortschreibung
des Unternehmensteuerrechts Fragen wie die Verlage-
rung von Gewerbesteueraufkommen im Zusammen-
hang mit Organschaftsproblemen behandelt werden müs-
sen. Wir werden auch über den eigenartigen Effekt reden
intern haben wir es schon getan , der daraus resultiert,
dass ertragreiche Versicherungsformen gegen riskante
Versicherungsformen verrechnet werden, dass also, um
ein Beispiel zu nennen, Elementarversicherungen mit
Verlusten gegen ertragreiche Lebensversicherungen ver-
rechnet werden. Dies führt dazu, dass eine Stadt mit einer
bestimmten Versicherung plötzlich einen wahnsinnigen
Gewerbesteuerausfall hat, während bei einer anderen
Stadt kaum noch etwas ankommt. Das alles werden wir
gemeinsam besprechen. Wir sehen Handlungsbedarf. Wir
werden handeln; darauf können Sie sich verlassen.
Das hat mit Reparatur überhaupt nichts zu tun.
Man muss genau beobachten, welche Verlagerungsef-
fekte es dadurch gibt, dass Konzerne ihre Beteiligungsge-
sellschaften untereinander verrechnen. Darin besteht das
Organschaftsproblem. Es besteht verschärft bei den
Versicherungen. Dort dürfte es eigentlich nicht existieren,
weil sich jede Versicherung selber tragen müsste. Wir sind
auch gewählt worden, um aufmerksam zu beobachten,
was im Lande vor sich geht, beherzt zu handeln und die
bestehenden Fehler zu korrigieren. Um das zu tun, brau-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Reinhard Schultz
18279
chen wir Sie, Herr Rauen, und Ihre Freunde nicht zwin-
gend.
Die Situation, die wir bis zur physischen Einführung
des Euro vor uns haben, ist schwierig. Wir haben den
Euro bereits eingeführt. Es wird zwar immer wieder ge-
sagt, er werde zum 1. Januar 2002 kommen; aber er ist be-
reits Realität.
Wir haben ihn nur noch nicht als Bargeld in der Tasche.
Ich finde, die Vorbereitungen, die die Bundesregierung
und andere Akteure auf diesem Gebiet leisten, gut. Wir
werden noch eine Menge an Vertrauensarbeit leisten müs-
sen, damit nicht der Verdacht entsteht, dass einige der Ak-
teure, ob Banken, ob Einzelhandel oder sonst wer, versu-
chen, die Umrechnung in den Euro für versteckte
Preissteigerungen zu nutzen. Wir werden in dieser Hin-
sicht sehr aufmerksam sein;
denn wir wollen, dass der Euro das Vertrauen bekommt,
das er verdient. Dies würde gefährdet, wenn man sozusa-
gen durch die Hintertür Preistreiberei betreibt.
Das gilt auch für das Kreditgewerbe, wo man vor dem
Hintergrund des großen europäischen Währungsraums
jetzt plötzlich auf die Idee kommt, die Gebühren für den
Auslandszahlungsverkehr zu erhöhen. Wir unterstützen
die EU ausdrücklich bei dem Bestreben, die Gebühren für
den Auslandszahlungsverkehr jeweils an die bisherigen
Gebühren für den Inlandszahlungsverkehr zu knüpfen,
damit auch an dieser Stelle kein neues Einfallstor für
Kostensteigerungen im Bankensektor entsteht.
Wir gehen auch davon aus, dass die Zusage des Kre-
ditgewerbes steht, die berühmten haushaltsüblichen Men-
gen an D-Mark kostenlos umzutauschen, damit auch in
dieser Hinsicht keine Verluste entstehen.
Alles das machen wir. Deshalb verzeichnen wir auch
mit Genugtuung, dass mit steigender Tendenz das Ver-
trauen nicht nur in den Euro wächst, sondern auch das Ver-
trauen in die Koalition, mit den damit zusammenhängen-
den Problemen fertig zu werden. Das hätte ich nie
geglaubt. Am Anfang dieser Wahlperiode habe ich immer
gedacht, das sei psychologisch eher ein schwieriges Feld.
Durch ordentliche Arbeit kann man aber dafür sorgen, dass
nicht nur das Vertrauen in die Währung, sondern insbe-
sondere auch in die handelnde Regierung wächst, die ja
dieses Vertrauen durch Verabredungen mit der Wirtschaft
und dem Bankensektor sowie durch eine vernünftige Öf-
fentlichkeitsarbeit herstellen muss. Dafür möchte ich auch
dem Finanzminister danken. Ich glaube, diese Riesenope-
ration, die sehr schwierig ist, wird sehr gut ausgehen.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun die
Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Diese Regierung ist einmal
mit hehren politischen Zielen angetreten. Auch heute war
mehrfach die Rede von der so genannten neuen Finanz-
politik. Dabei wurde eine blühende wirtschaftliche Ent-
wicklung, die Senkung der Arbeitslosenzahlen und immer
wieder Haushaltskonsolidierung, Konsolidierung und
noch einmal Konsolidierung versprochen.
Von all diesen Zielen ist heute nichts mehr übrig geblie-
ben. Es ist alles Schein, aber nichts Sein.
Wie sieht die Bilanz tatsächlich aus? Statt blühender
wirtschaftlicher Entwicklung stellen wir fest, dass wir
heute bezüglich des Wirtschaftswachstums das Schluss-
licht in Europa sind. Statt weniger Arbeitslosen haben wir
heute mehr Arbeitslose. Mit dem Sparen und Konsolidie-
ren ist es auch nicht weit her.
Obwohl 60 Milliarden DM mehr an Steuern im Jahr 2001
im Vergleich zum Jahr 1998 eingenommen werden, ist es
in diesem Jahr nicht möglich, die Defizitquote von
1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erreichen. Wo
bleibt da die Konsolidierung? Von Konsolidierung kann
überhaupt nicht die Rede sein. Sie werden Ihren eigenen
Zielen nicht gerecht.
Nun will ich Ihnen einmal chronologisch anhand eini-
ger Stichworte aufführen, welche Aussagen es in diesem
Jahr zum Wirtschaftswachstum gegeben hat: Anfang
des Jahres bzw. im Frühjahr prognostizierte der
Jahreswirtschaftsbericht 2,75 Prozent. Wenig später sag-
ten die Wirtschaftsforschungsinstitute, das sei nicht halt-
bar, und korrigierten den Wert auf 2 Prozent. Es hat lange
Zeit gebraucht, bis sich auch die Bundesregierung dieser
Meinung angeschlossen hat. Ich kann mich noch gut an
eine Diskussion hier in diesem Saal erinnern, wo der Fi-
nanzminister auf die Forschungsinstitute geschimpft hat,
dass sie immer wieder neue Prognosen stellten.
Jetzt sind wir so weit, dass auch die 2 Prozent nicht zu
halten sind; es ist vielmehr fast amtlich, dass es unter
1 Prozent liegt. Wir liegen damit unter der Hälfte des EU-
Durchschnitts. Wir stellen das Schlusslicht in Europa dar,
obwohl wir einmal Spitzenreiter des Wachstums in Eu-
ropa waren. Das ist die Konsequenz Ihrer Wirtschaftspo-
litik.
Deshalb ist nicht nur eine Korrektur des Haushaltsansat-
zes, sondern auch ein aktives politisches Gegensteuern
notwendig. Das Wirtschaftswachstum ist ja nicht etwas
Abstraktes, das uns nicht betrifft, sondern es betrifft uns
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Reinhard Schultz
18280
alle: die Gewinne der Unternehmer, die Einkommen der
Arbeitnehmer und nicht zuletzt die Arbeitslosen und die-
jenigen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, weil die
negativen Wirkungen schon auf den Arbeitsmarkt
herüberschwappen.
Ich hätte es schon ganz gerne, dass der Bundeskanzler
es jetzt nicht bei seinen knackigen Aussprüchen, die er am
Anfang der Legislaturperiode und vor der Wahl in Bezug
auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gemacht hat, be-
lässt, sondern auch tatsächlich Taten folgen lässt.
Dann war heute viel die Rede von Haushaltskonsoli-
dierung. Es ist überhaupt keine Frage, dass dies ein ganz
wichtiges Ziel ist. Der Finanzminister kämpft ja fast ver-
bissen um sein Image als eiserner Sparminister. Er lässt
sogar Hans-Eichel-Songs und Ähnliches darüber kompo-
nieren.
Ausschlaggebend aber, meine Damen und Herren, ist
nicht das Image, ausschlaggebend sind die Fakten.
Genau. Die Fakten lauten wie folgt: Die Ausgaben des
Bundes sinken nicht, sondern sie steigen,
und nicht nur im letzten Jahr, sondern schon seit Jahren.
Seit Sie an der Regierung sind, steigen die Ausgaben des
Bundes. Es steigen in erster Linie die Konsumausgaben,
nicht die Investitionsausgaben.
Für mehr Wachstum wäre ein Ansteigen der Investitions-
ausgaben notwendig. Sie aber machen das Gegenteil.
Die Bürger werden abgezockt. 1998 wurden im Ver-
gleich zu heute 60 Milliarden DM weniger Steuern einge-
nommen, im Jahr 2001 allein 15 Milliarden DM mehr als
im vergangenen Jahr, davon allein 5,7 Milliarden DM
durch die Ökosteuer. Trotz dieser zusätzlichen Steuerein-
nahmen in enormer Höhe da kein Wirtschaftswachstum
vorhanden ist, steigt die individuelle Steuerbelastung der
Bürger erreicht diese Regierung nicht die Defizitquote
von 1,5 Prozent. Wo bleibt denn da Konsolidierung,
meine Damen und Herren? Für dieses Jahr prognostiziert
das DIW die Defizitquote mit 2,1 Prozent. Genau diese
Quote hatten wir bereits im Jahre 1998. Angesichts des-
sen, Herr Finanzminister, können Sie noch so viel an
Ihrem Image als eiserner Sparer arbeiten, die Fakten spre-
chen eine andere Sprache: Sie haben nicht konsolidiert,
Sie sind keinen einzigen Schritt weitergekommen.
Sie machen es sich ein wenig leicht, wenn Sie laut da-
rüber nachdenken, ob das Defizitziel die richtige Orien-
tierung sei oder ob man sich nicht mehr an den Ausgaben
orientieren solle. Sie haben sich vor einigen Tagen in Riga
so geäußert heute haben Sie diese Aussage wieder ein
bisschen relativiert ; diese Äußerung war unverantwort-
lich und unbedacht. Nachdem Ihr Vorgänger Lafontaine
schon den Euro kaputt geredet hat, müsste ein deutscher
Finanzminister eigentlich wissen, dass man hier etwas
vorsichtiger sein soll. Deutschland war bei der Europä-
ischen Währungsunion der Vorreiter in Sachen Stabilität
und Wachstum und der damalige deutsche Finanzminister
Theo Waigel war Vorreiter bei den Stabilitätskriterien.
Daher darf heute ein deutscher Finanzminister weder an
eine Aufweichung der Kriterien denken noch über sie spe-
kulieren. Im Gegenteil, er hat ein überzeugendes Be-
kenntnis zu Geist und Buchstaben des Stabilitätspaktes
abzugeben.
Heute wurde mehrfach davon gesprochen, dass die Si-
tuation in Amerika und die Weltwirtschaft am konjunk-
turellen Abschwung schuld seien.
Das ist ein billiges und durchsichtiges Ablenkungs-
manöver. Auch hier sprechen die Daten eine andere Spra-
che. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind die
deutschen Exporte um 14,2 Prozent gestiegen. Das Fi-
nanzministerium selbst schreibt in seinem August-Be-
richt:
Auch unter den Bedingungen einer deutlichen Ab-
kühlung der Weltkonjunktur zeigten die deutschen
Exporte im ersten Halbjahr 2001 eine bemerkens-
wert robuste Verfassung.
Dies bedeutet, dass die Ursachen nicht in der Weltwirt-
schaft, sondern im eigenen Lande zu suchen sind. Der Ab-
schwung ist hausgemacht.
Herr Schultz, Sie können die Steuerreform noch so
sehr preisen. Die Menschen merken von ihr nichts. Die
Personenunternehmen spüren keine Entlastung, die Ar-
beitnehmer spüren ebenfalls keine Entlastung.
Das Ifo-Institut hat erst vor wenigen Tagen veröffentlicht,
dass sich durch die Steuerreform keine Verbesserung
beim Konsum ergeben habe, weil die Menschen durch die
Inflation sowie durch die Ökosteuer und zusätzliche Be-
lastungen von dieser marginalen Entlastung überhaupt
nichts mehr spüren.
Sie haben es also amtlich. Sie sind an diesen wirt-
schaftlichen Problemen selbst schuld. Ursächlich sind
eine Reihe von Gesetzen im Bereich der Arbeitsmarkt-
und Sozialpolitik, Defizite im sozialpolitischen Bereich,
insbesondere bei den Sozialversicherungen, und zusätzli-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Gerda Hasselfeldt
18281
che Regulierungen des Arbeitsmarktes. Sie sind aber auch
schuld, weil Sie eine falsche Steuerpolitik betrieben ha-
ben. Die besonderen Kennzeichen Ihrer Steuerpolitik: Sie
ist einseitig zugunsten der Kapitalgesellschaften und zu-
lasten der Personenunternehmen und der Arbeitnehmer.
Sie entlastet zu spät und zu wenig. Sie ist nach wie vor viel
zu kompliziert. Wenn wir das komplizierte Steuersystem
in unserem Lande beklagen, dann haben Sie es noch kom-
plizierter gemacht, als es ohnehin schon war.
Das macht auch das ständige Reparieren notwendig. Herr
Schultz hat vorhin einiges angesprochen, was nun wieder
repariert wird, beispielsweise in der so genannten Fort-
entwicklung der Unternehmensteuerreform. Das hätten
Sie alles schon eher haben können. Wenn Sie auf unsere
Forderungen beispielsweise beim Mitunternehmererlass
oder bei der Reinvestitionsrücklage bereits damals gehört
hätten, müssten Sie nicht heute diese Aufstände machen.
Sie hätten diese Maßnahmen dann auch nicht nur halb-
herzig, sondern nachdrücklich ergriffen. Mit dem, was Sie
jetzt vorhaben, sind zusätzliche Restriktionen, Einschrän-
kungen und Schwierigkeiten verbunden, zum Beispiel mit
der siebenjährigen Behaltefrist, die Sie einführen wollen.
Sie können sicher sein, dass wir in den Ausschussbera-
tungen, nachdem die erste Lesung am Freitag beendet sein
wird, auf eine vollständige Gleichbehandlung von Kapi-
talgesellschaften und Personenunternehmen drängen wer-
den, dass wir es Ihnen nicht durchgehen lassen werden,
dass nur die Überschriften, aber nicht die Inhalte stim-
men.
Es war einige Male die Rede davon, dass die Steuerre-
form nach unserer Meinung vorgezogen werden soll. Sie
sagen immer, das ist nicht finanzierbar.
Erstens. Das Ganze ist ja bereits beschlossen; das steht
in der mittelfristigen Finanzplanung. Die Horrorzahlen,
die Sie immer in den Raum stellen, stimmen überhaupt
nicht. Es geht nur um einen Vorzieheffekt.
Zweitens. Wenn es notwendig war, die Personenunter-
nehmen und die Arbeitnehmer früher und gleichzeitig mit
den Kapitalgesellschaften zu entlasten, dann ist es ange-
sichts der konjunkturellen Situation jetzt erst recht not-
wendig.
Da hilft keine buchhalterische Betrachtungsweise. Ich
empfehle Ihnen vielmehr, auch einmal darauf zu achten,
was beispielsweise die Kommission der Europäischen
Union dazu sagt. Sie erklärt, Deutschland muss die direk-
ten Steuern deutlicher und schneller senken, als das bisher
der Fall war.
Im Übrigen weise ich auch darauf hin, dass mit der
Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges durchaus Ein-
nahmen erzielt werden, wenn sie denn richtig gemacht
wird. Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist eine zusätzli-
che Schikane, sind zusätzliche Verschärfungen für die
Steuerehrlichen.
Es müssen aber die Betrüger zur Kasse gebeten werden.
Die Steuerpolitik in dieser Legislaturperiode war und
ist letztlich von einem heillosen Durcheinander gekenn-
zeichnet, von ständigen Reparaturen, ständigen Korrektu-
ren, von dem Verlust von Planungssicherheit für Unter-
nehmen und Arbeitnehmer. Es sind halbherzige
Lösungen, die immer wieder durch kleine Nachbesserun-
gen und Korrekturen noch komplizierter werden.
Notwendig wären klare Botschaften. Sie müssten unter
anderem Folgendes beinhalten: erstens die Abschaffung
der Ökosteuer, wenigstens die Aussetzung der Erhebung
der weiteren Stufen; zweitens die zeitgleiche Entlastung
von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen;
drittens die volle Gleichbehandlung von Kapitalgesell-
schaften und Personenunternehmen; viertens eine sachge-
rechte Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs; fünftens
eine wirkliche Vereinfachung des Steuerrechts, nicht aber
das, was Sie bisher gemacht haben.
Dazu brauchen wir eine Politik der ruhigen Hand, aber
nicht die einer solchen ruhigen Hand, die bei anstehenden
Notwendigkeiten untätig bleibt, andere walten lässt und
darauf vertraut, dass es sich irgendwie allein richten wird,
also keine Politik, die nicht besteht, beide Hände auf dem
Rücken zu verschränken, sondern eine Politik zweier zu-
packender Hände, die die Probleme der Menschen in die-
sem Land aufgreifen, die eine Politik, die sich nichts vor-
macht, wie Sie das tun.
Bevor ich dem nächs-
ten Redner das Wort erteile, möchte ich Sie über Folgen-
des informieren: In New York hat es eine schreckliche Ka-
tastrophe gegeben. Zwei Flugzeuge sind in das World
Trade Center in New York gestürzt. Beide Türme stehen
in Flammen. Mehr wissen wir noch nicht; ich kann auch
keinerlei Würdigung oder Wertung dieses Vorgangs vor-
nehmen, aber ich meine, wir sollten wissen, was dort pas-
siert ist, wenn wir jetzt unsere Debatte fortsetzen. Ich
danke Ihnen.
Ich erteile nun dem Kollegen Hans Urbaniak, SPD-
Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich gern
mit der Einnahmeseite des Bundeshaushaltes beschäfti-
gen und mich dabei besonders auf die Vorfälle hinsicht-
lich des Umsatzsteuerbetruges konzentrieren.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Gerda Hasselfeldt
18282
Seit dem 1. Januar 1993 gibt es den EU-Binnenmarkt.
Die Grenzkontrollen und Grenzüberwachungen sind weg-
gefallen. Der Bundesrechnungshof hat bereits 1996 auf
die Konsequenzen aufmerksam gemacht und die Regie-
rung ermahnt, Maßnahmen gegen den Umsatzsteuerbe-
trug einzuleiten. Ich kann aufgrund der Unterlagen nur
sagen:
Die damalige Bundesregierung hat nicht gehandelt. Jetzt
wird aber gehandelt und entsprechende Entwürfe werden
vorgelegt.
In der 13. Legislaturperiode hat der Bundestag den Be-
richt des Bundesrechnungshofes positiv zur Kenntnis ge-
nommen. Aber die schwarz-gelbe Koalition hat nicht ge-
handelt. Durch die daher mögliche Steuerverkürzung sind
dem Staat Haushaltsmittel in erheblicher Höhe verloren
gegangen. Das muss aufhören.
Allein durch den letzten großen Fall er wurde von der
Presse besonders herausgestellt gingen über 500 Milli-
onen DM Steuereinnahmen verloren. Es ist schon sehr er-
staunlich, wie viele Menschen im staatlichen Auftrag un-
terwegs waren, um diesen kriminellen Machenschaften
Einhalt zu gebieten: 1 188 Polizeibeamte, 542 Steuer-
fahnder und 45 Gerichtsvollzieher. Es wurden über
400 Objekte in Leipzig, Wiesbaden und Karlsruhe durch-
sucht. Es wurden in verschiedenen Ländern insbeson-
dere in den Niederlanden, in Belgien, in Luxemburg, in
der Schweiz und in Frankreich Durchsuchungen von
Wohnungen und Banken vorgenommen. Es kam auch zu
Verhaftungen. Der Gesamtverlust der Gebietskörper-
schaften beziffert sich auf 500 Millionen DM. Das ist eine
ganz erhebliche Summe.
Am 15. August hat das Bundeskabinett den Entwurf
des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes verab-
schiedet. Es wird hier beraten werden. Wenn man näher
untersucht, wie viele Einnahmen dem Staat durch solche
Betrugsfälle verloren gehen, dann kann man feststellen,
dass der Verlust bei circa 22 Milliarden bis 25 Milliar-
den DM liegt. Das ist eine gewaltige Summe, die Hälfte
des Verteidigungshaushaltes. Man könnte diese Summe
zur Haushaltskonsolidierung einsetzen und damit die
Schulden abbauen, die uns die alte Koalition hinterlassen
hat. Der entscheidende Punkt bei dieser Haushaltsbera-
tung ist, dass der Konsolidierungskurs fortgesetzt werden
muss und dass die Betrugsfälle, die zu Einnahmeverlusten
führen, verstärkt bekämpft werden müssen. Deswegen
gibt es die entsprechenden Gesetzesinitiativen, die hier
eine entscheidende Rolle spielen.
Die Bundesregierung wird dafür sorgen, dass die ent-
sprechenden Institutionen von Bund, Ländern und der Eu-
ropäischen Gemeinschaft effektiv zusammenarbeiten.
Dazu gehört auch der Zoll, dem hier eine ganz besondere
Bedeutung zukommt. Die moderne Zollverwaltung, wie
sie gegenwärtig entwickelt und durch den Bundesfinanz-
minister gestützt wird, wird dafür sorgen, dass wir eine
schlagkräftige Einheit bekommen. Das Zusammenwirken
der Institutionen wird dazu beitragen, dass mit diesen Fäl-
len von Steuerverkürzung endgültig Schluss ist.
Wenn man sich ansieht, welche Objekte beschlag-
nahmt worden sind, dann weiß man, dass das keine einfa-
chen Arbeitnehmer waren, die sich an diesen schlimmen
Abenteuern beteiligt haben. So sind beispielsweise
Luxusautos und Luxusjachten sichergestellt worden. Das
ist schon Bandenkriminalität.
Es ist also höchste Zeit, dass gehandelt wird. Das tut die
Bundesregierung. Da Sie, Frau Hasselfeldt, gesagt haben,
man müsse bei der Betrugsbekämpfung vorangehen, will
ich Ihnen entgegenhalten: Seit 1993 bereits gibt es den
EU-Binnenmarkt; 1996 sind Sie in dieser Richtung er-
mahnt worden. Warum haben Sie in Ihrer Regierungszeit
eigentlich nichts dagegen getan?
Das ist ein schweres Versäumnis, das man Ihnen sachge-
recht entgegenhalten muss. Ich gehe daher davon aus,
dass wir auch von Ihnen Unterstützung für unser Steuer-
verkürzungsbekämpfungsgesetz vier Wörter für eine
Aktion! erhalten.
Was nun die Frage der Handwerker und der kleinen Be-
triebe angeht, so ist es völlig klar, dass diese im Rahmen
der Praktikabilität weiter auf vernünftige Zusammenar-
beit mit den Finanzämtern hoffen können. Denn das sind
keine Kriminellen; diejenigen, die sich mit solch schlim-
men Dingen beschäftigen, sind ganz andere Typen. Des-
halb wird in den Beratungen des Finanzausschusses, aber
auch des Haushaltsausschusses darauf geachtet werden,
dass keine überzogene Bürokratie geschaffen wird, son-
dern dass funktionale, vernünftige Regelungen he-
rauskommen, die das ehrliche Steuerverhalten in dem
von mir genannten Bereich anerkennen. Vorsteuerabzüge
werden selbstverständlich nach wie vor möglich sein, so-
dass die Betroffenen nicht in Liquiditätsschwierigkeiten
geraten.
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass ergänzend
eine enge Zusammenarbeit der Verwaltungen, des Zolls
und der EU nötig ist. Denn hier geht es nicht nur darum,
dass wir dem Bundeshaushalt zusätzliche, gerechtfertigte
Einnahmen zuführen, sondern auch darum, dass die EU
davon profitiert. Gerade die Initiative des Bundesfinanz-
ministers auf diesem Gebiet zeigt, dass eine enge Bereit-
schaft der EU-Behörden besteht, mit uns zusammenzu-
arbeiten. Das Neapler Übereinkommen wie ich meine,
ebenfalls ganz wichtig: auch eine deutsche Initiative
wird mit Leben erfüllt. Sie können daran erkennen, dass
im Bundesfinanzministerium alle Möglichkeiten eröffnet
werden, um Umsatzsteuerbetrug mit aller Intensität zu
bekämpfen, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten
und der EU-Kommission. Ich gehe davon aus, dass wir in
unserem Bestreben Erfolg haben werden.
Wir werden die Gesetzentwürfe zügig verabschieden.
Im Haushaltsausschuss werden wir uns insbesondere
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Hans-Eberhard Urbaniak
18283
damit beschäftigen, was das für die Realität der Einnah-
meseite bedeutet.
Schließlich das ist ein ganz entscheidender Punkt
muss Steuergerechtigkeit hergestellt werden. Die Ar-
beitnehmer, die Monat für Monat bei ihren Steuern ehr-
lich sind, sind nicht nur verärgert, sondern schlagen die
Hände über dem Kopf zusammen, dass es überhaupt mög-
lich ist, dass in der Vergangenheit nicht gehandelt worden
ist. Es ist selbstverständlich, dass Steuergerechtigkeit er-
reicht werden muss.
Wir werden damit auch die Illegalität ausmerzen kön-
nen. Man muss dem Staat das geben, was dem Staat
zusteht. Die Koalition wird die Bundesregierung dabei
unterstützen. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Es wird noch einiges übrig bleiben, um die riesige Ver-
schuldung von 1,5 Billionen DM, die Sie uns hinterlassen
haben, abzubauen. Das Finanzministerium wird intensiv
daran arbeiten. Wir sind froh darüber. Die Bereitschaft der
Koalition zur Mitarbeit ist sicher. Nun muss Schluss sein
mit der Steuerverkürzung; die Kriminellen müssen ge-
fasst werden
und das, was diese Leute angerichtet haben, muss ausge-
merzt werden. Sie dürfen keine Perspektive haben.
Machen wir das zu einer Gemeinschaftsaktion. Dann
werden wir sagen können: Vom Parlament ist alles getan
worden, um die Steuergerechtigkeit in diesem Lande her-
zustellen. Sie haben das versäumt; wir werden es machen.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Hans Jochen Henke für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Kolleginnen und Kollegen! Auch ich habe mich gefragt,
Herr Finanzminister, warum Sie so weite Strecken Ihrer
Rede der Vergangenheit gewidmet haben. Zunächst hat
sich bei mir der Eindruck festgesetzt, dass es vielleicht
einfach eine Rückbesinnung und teilweise eine Flucht aus
der Wirklichkeit sein sollte.
Im ersten Jahr nach der Regierungsübernahme hatte das
noch Sinn und Nutzen, aber im vierten Jahr ist das nun
wirklich nicht mehr nachvollziehbar.
Mir ist aber, werter Herr Minister Eichel, der Zusam-
menhang bei dem ersten Stichwort Ihrer Ausführungen
zur Sache klarer geworden; das waren nämlich die Wahl-
geschenke. Ich frage mich, warum Sie nicht nur in der
Presse, sondern auch hier in diesem Hause Wahlge-
schenke an den Anfang Ihrer Rede gesetzt haben. Wir er-
warten von Ihnen keine Wahlgeschenke, ganz im Gegen-
teil. Ich habe den Eindruck, Ihre Rede war über weite
Strecken eher an Ihre eigenen Koalitionäre, an Ihre eige-
nen Reihen gerichtet denn an die Öffentlichkeit und an die
Opposition.
Ich sage für uns hier und heute, dass wir nicht nur keine
Wahlgeschenke wollen, sondern eigentlich nur das, was
ganz klar in Ihrer Verantwortung liegt: dass Sie sich an das
halten, was Sie 1998 und 1999 versprochen haben.
Das wären keine Wahlgeschenke, sondern das wäre ver-
antwortungsvolle Politik.
Ich will ganz kurz einige Punkte aufgreifen. Sie spra-
chen von den Zukunftschancen, davon, dass der Staat mit
dem Geld auskommen müsse, das er zur Verfügung habe.
Das ist schon richtig. Nur, wenn eine Regierung so viel
Geld zur Verfügung hat wie Sie, mehr als jede andere Re-
gierung vor Ihnen, dann lässt sich dies leicht sagen. Sie
sprachen von Steuersenkungen, die über zwei Perioden
vorgesehen seien. Da oben sitzen Hunderte von Zuhöre-
rinnen und Zuhörern, die in diesen Etatentwurf genauso
hineinschauen können wie Sie und ich. In diesem Etat-
entwurf steht nichts davon, dass Steuereinnahmen abge-
senkt werden. In Ihrem Entwurf 2002 sind sage und
schreibe Steuermehreinnahmen gegenüber 1998 in einer
Größenordnung von 60 Milliarden DM enthalten. 1998
waren es 340 Milliarden DM, 2002 werden es 400 Milli-
arden DM sein. Ich bleibe lieber bei der Mark, weil sie an
dieser Stelle griffiger ist als der Euro.
Sie sprechen von der Senkung der Beiträge für die So-
zialversicherung. Ich schaue lieber auf die Gesamtbei-
tragssituation bei den Lohnnebenkosten. Da kann ich nur
sagen: Prost Mahlzeit oder schöne Bescherung.
Der Binnenmarkt sei ein einziges Wachstumspro-
gramm. Richtig, da sind wir einer Meinung; das haben
wir über Jahre und Jahrzehnte gefordert und betrieben.
Nur, wenn Deutschland die rote Laterne trägt, dann ist es
mit unserer Rolle nicht so arg weit her.
Lieber Kollege Wagner, ich möchte Sie bitten: Unter-
lassen Sie doch die Polemik gegen die Familienpolitik der
vorausgegangenen Regierung! Das Urteil, das Sie ange-
führt haben, hat mit einem Sachverhalt aus dem Jahre
1982 zu tun. Sie wissen genauso gut wie wir, unter welch
schwierigen Voraussetzungen wir nachhaltige Kindergeld-
erhöhungen über mehrere Stufen erreicht und umgesetzt
haben.
Kollege Poß führte an, Finanzpolitik sei Vertrauens-
sache. Ich sage ihm und dem Kollegen Metzger: Auch der
Umgang hier im Hause mit diesem Thema ist Vertrauens-
sache. Die Art und Weise, wie Sie hier auftreten, lässt bei
mir den Eindruck aufkommen, als ob Sie sich Ihrer Sache
längst nicht mehr sicher sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war sie also
heute zwischen 11 und 12 Uhr die Rede zum Etat 2002.
Sie ist im vierten Jahr der Regierung Schröder/Eichel
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Hans-Eberhard Urbaniak
18284
quasi der Höhepunkt, die Krönung der rot-grünen Wahl-
und Amtsperiode. Herr Finanzminister, es wäre in der Tat
nicht fair und angemessen, wenn man behaupten würde,
Sie hätten gar nichts erreicht. Ich unterstreiche durchaus:
Ihre Konsolidierungsschritte gehen nach unserer Über-
zeugung in die richtige Richtung. Aber gemessen an den
Spielräumen, Chancen und Erwartungen, die Sie 1998
geweckt haben, nimmt sich das Ergebnis, wie es sich in
Ihrem Entwurf niederschlägt, außerordentlich bescheiden
aus.
Sie sind vor drei Jahren mit dem starken Rückenwind
einer angesprungenen Konjunktur angetreten. Wie schön
und lobenswert könnte Ihr Entwurf selbst dann sein, wenn
Ihre Ankündigungen von 1998 und die Ihres Vorgängers
nur teilweise bzw. ansatzweise in Erfüllung gegangen
wären. Da wurde die Steuerreform als das Jahrhunderter-
eignis für Lohnempfänger und Mittelstand angekündigt.
Der Neue Markt mit der Informations- und Telekommu-
nikationsindustrie war der von Ihnen reklamierte Wachs-
tumsmotor für das 21. Jahrhundert. Vom Bündnis für Ar-
beit sollten für Wachstum und Beschäftigung wirksame
Effekte ausgehen. Wenn, wie angekündigt und verspro-
chen, Deutschland und Europa zu einer von den USA ab-
gekoppelten Währungs- und Wirtschaftszone aufgestie-
gen wären, dann sähe die Situation anders aus, ebenso
dann, wenn der Euro tatsächlich die harte Position im in-
ternationalen Währungsgeschäft einnehmen würde, wie
Sie dies in Bezug auf das Flaggschiff Europa und Bun-
desrepublik Deutschland seinerzeit angekündigt haben.
Von der Inflation will ich nicht eigens sprechen. Aber er-
wähnenswert ist, dass die Lohnnebenkosten unter 40 Pro-
zent und die Arbeitslosenzahl unter 3,5 Millionen gesenkt
werden sollten. Ich sage das nicht deshalb, um mich in die
Reihe der Vorredner einzureihen, sondern aus einem ganz
anderen Grund: Diese Ziele, lieber Herr Minister Eichel,
waren doch seinerzeit schon außerordentlich bescheiden.
Diese 40 Prozent und diese 3,5 Millionen waren doch
keine anspruchsvollen Ziele. Sie werden diese Ziele noch
nicht einmal annähernd erreichen, Sie werden sie verfeh-
len. Mir fällt dazu nichts Besseres ein als der Reim: Das
ist des Kanzlers ruhige Hand, Hans Eichel bleibt dafür
Garant.
Die Wirklichkeit ist einfach viel zu nüchtern und viel
zu ernst. Das Haushaltsvolumen bleibt auf dem von
Oskar Lafontaine initiierten und ausgelösten historischen
Hoch. Sie sprechen im Zusammenhang mit den Steuern
von einer Entlastung in Höhe von 65 Milliarden DM. Wir
kommen eigentlich nur auf Mehreinnahmen von 100 Pro-
zent und damit auf eine Mehrbelastung von 100 Prozent.
Irgendwie reden wir aneinander vorbei. Nur, unsere Zahl
steht im Haushaltsplan, Ihre Zahl steht nirgendwo. Ich je-
denfalls finde sie nicht.
Statt der angesagten größten Steuerentlastung errei-
chen wir Höchststände bei den Rentenkassen, bei den Ar-
beitsmarktausgaben, bei den Lohnnebenkosten sowie bei
den angesprochenen Arbeitslosenzahlen. Was sinkt und
dies kontinuierlich , sind die Investitionen. Bei der Ab-
senkung der Neuverschuldung steht die Nagelprobe erst
noch bevor. Sie ist aber bereits jetzt wie auch andere
wichtige Reformprojekte wohlweislich auf 2003, also
auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl, verscho-
ben worden. In diesem Jahr sollte eigentlich eine Absen-
kung um 4,5 Milliarden Euro bzw. 9 Milliarden DM an-
stehen.
Sie haben die Spielräume, die sich Ihnen zwischen
1998 und 2000 in einer einmalig günstigen Form geboten
haben, auch nicht annähernd entsprechend den Möglich-
keiten ausgenutzt. Sie haben über die drei Jahre auf
Schönwetter gesetzt, haben die Konjunktur für sich rekla-
miert. Dann ist Schlechtwetter aufgezogen und plötzlich
sind für die veränderte Wettersituation nicht mehr der
Bundeskanzler oder der Finanzminister verantwortlich,
sondern es sind die Europäische Union, die Europäische
Zentralbank, die Wirtschaft und die globalen Veränderun-
gen schuld. Das kann und wird so nicht hingenommen
werden.
Sie haben einfach nicht breit und nachhaltig genug ent-
lastet, sondern breit und nachhaltig umgeschichtet. Die
Verschiebung der Einführung der neuen Abschreibungs-
tabellen, die so genannte Unternehmensteuerreform und
der wiederholt angesprochene Familienlastenausgleich
räumen überwiegend nur von Ihnen neu geschaffene Un-
gereimtheiten aus. Diese Ungereimtheiten können in der
Tat durch Einsparungen und Mehreinnahmen aufgefan-
gen werden. Ich sage den Koalitionsparteien an dieser
Stelle: Hinsichtlich der Deckungsvorschläge sind wir ei-
gentlich gar nicht so weit voneinander entfernt.
In dem Zusammenhang bleibt aber, Herr Finanzminis-
ter, eine frappierende Diskrepanz zwischen der Wachs-
tums- bzw. Beschäftigungs- und der Einnahmeentwick-
lung nicht verborgen. Daran können Sie selbst am
allerwenigsten glauben. Meines Wissens gab es in der Ge-
schichte der Bundesrepublik bisher keinen Finanzminis-
ter, der über einen so weit reichenden Einfluss wie Fi-
nanzminister Eichel verfügt hat. Er ist dabei, ihn noch
weiter auszubauen. Kein Vorgänger hat zu den Prognosen
über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung einen so ori-
ginären Zugang gehabt wie Sie durch die Verlagerung der
Grundsatzabteilung vom Wirtschaftsministerium in Ihr
Haus. Sie laden nicht nur zu Steuerschätzungen ein, son-
dern Ihr Haus liefert alle Daten und Fakten, Ihr Haus ko-
ordiniert, Ihr Haus bewertet und Ihr Haus hat bei der
Haushaltsaufstellung auch schon das Ergebnis im Blick.
Sie wissen also am besten, wie unrealistisch die jetzt zu-
grunde gelegten Annahmen sind und dass am Ende ein ge-
waltiges Defizit möglicherweise in der Größenordnung
eines zweistelligen Milliardenbetrages übrig bleiben
wird.
Frau Kollegin Hasselfeldt hat es angesprochen: Es
macht keinen Sinn, auf europäischer Ebene Defizitkrite-
rien mit fiskalischen Ausgabezielen zu verknüpfen. Ob
die EZB durch die angestrebte Reform hin zu einer stär-
ker an die Bundesregierung angebundenen Bundesbank
gestärkt wird, bezweifle ich ebenso wie die Behauptung,
dass Haushalts- und Kreditpolitik nachhaltig stabilisiert
werden, wenn der weltweit größte Kreditnehmer, nämlich
die Bundesrepublik, durch seinen Finanzminister künftig
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Hans Jochen Henke
18285
mit einer ihm zugeordneten GmbH unter weitgehender
Ausschaltung von Parlament, Rechnungshof und Bundes-
bank neue, marktnahe, aber zwangsläufig risikobehafte-
tere Anlagestrategien verfolgt. Milliardeneinsparungen
sind nur zum Preis von höheren Risiken zu haben.
Niemand, Herr Minister, will und kann Sie für den
Neuen Markt und die Entwicklung auf dem Kommunika-
tionssektor verantwortlich machen. Aber der erkennbare
Zusammenhang zwischen der vor einem Jahr gelaufenen
UMTS-Lizenzversteigerung mit allen Investitionsfolgen
für die ganze Technologiebranche und dem Wertverlust
der Aktien von mehr als 75 Prozent kann ebenso wenig
übersehen werden wie der Vertrauensschwund der Anle-
ger. Ob die nunmehr anstehende vierte Novellierung des
Finanzmarktförderungsgesetzes hilft, bleibt abzuwarten.
Fazit aus alledem: In Ihrer Rede haben Sie sich über-
wiegend an der Vergangenheit orientiert.
Aber im vierten Jahr ist die Vergangenheit der alten Ko-
alition endgültig abgeschlossen. Erwartet werden aktuelle
belastbare Einschätzungen. So, wie hier vorgetragen und
argumentiert wird, kommen wir nicht weiter. Wir stehen
in der Europäischen Gemeinschaft leider da, wo wir ge-
genwärtig hingehören: auf dem letzten Platz. Das hat die-
ses Land nicht verdient.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribü-
nen! Die Lage in Amerika hat sich verschärft. Die Infor-
mationen gehen dahin, dass nun auch ein Flugzeug auf das
Pentagon geflogen ist. Das Weiße Haus wird evakuiert.
Ich denke, wir unterbrechen die Sitzung für eine halbe
Stunde. Ich bitte den Herrn Staatssekretär des Verteidi-
gungsministers, uns über die Sachlage zu informieren.
Mit uns meine ich die Parlamentarischen Geschäftsfüh-
rer. Ich denke, eine halbe Stunde reicht aus, um uns In-
formationen geben zu lassen. Wir können nichts machen,
sollten aber unsere Debatte nicht einfach so fortsetzen.
Ich unterbreche die Sitzung für eine halbe Stunde. Um
16.30 Uhr treffen wir uns wieder.
Meine Damen und
Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich möchte Ihnen bekannt geben, dass wir die letzten
Reden der ersten Runde von Frau Uta Titze-Stecher 1) und
Frau Susanne Jaffke 2) zu Protokoll nehmen.
Angesichts der Dramatik der Ereignisse schließe ich
die Sitzung. Für den heutigen Tag beenden wir unsere
Debatte.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen früh, 9.00 Uhr, ein. Damit ist der heu-
tige Tag für uns parlamentarisch zu Ende. Mehr sage ich
nicht, weil mir die Worte fehlen.