Rede von
Joachim
Poß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Finanzpolitik ist Vertrauenssache, Herr
Austermann. Mit einem Sammelsurium von Halb- und
Unwahrheiten sowie schiefen Vergleichen schafft man
kein Vertrauen. Sie als Person stehen für eine halbseidene
Finanz- und Haushaltspolitik. Sie sind einfach nicht se-
riös. Deshalb schaffen Sie, Herr Austermann, auch kein
Vertrauen.
Das genaue Gegenteil verkörpert der Bundesfinanzmi-
nister Hans Eichel. Ihm vertrauen die Menschen, weil er
vertrauenswürdig ist. So ist es nun einmal. Das macht Ih-
nen zu schaffen.
Deswegen halten wir an unserem Markenzeichen, der so-
liden Finanzpolitik, fest.
Ich möchte mich mit der Rede von Herrn Austermann
eigentlich nicht näher beschäftigen. Ich möchte nur auf
ein Beispiel eingehen: Herr Austermann, Sie haben mit
Blick auf den Wahlkampf in Berlin tränenreich dargelegt,
wie diese Regierung die Bundeshauptstadt im Stich
ließe. Ich frage Sie: Wer hat denn die Verantwortung
dafür, dass die Subventionen von 1990 bis 1998 abgebaut
worden sind? Herr Austermann, im Übrigen war es doch
klar, dass diese zurückgeführt werden mussten. Soweit
ich mich erinnere, hatte sich die SPD-Fraktion bei den
Haushaltsberatungen immerhin noch für einen Gleitflug
eingesetzt, damit es nicht zu abrupt wird. Verzerren Sie
doch nicht so die Wahrheit!
Ich könnte die Liste der Beispiele fortführen. Aber ich be-
lasse es bei dem einen; denn sicherlich werden noch an-
dere Kolleginnen und Kollegen Beispiele auflisten. Es
sollte nur ein Beleg für Ihre Art von Argumentation sein.
Meine Damen und Herren, wir halten mit dem Entwurf
des Bundeshaushaltsplans 2002 und mit dem Finanzplan
bis 2005 Kurs; denn eines haben die Menschen gespürt:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dietrich Austermann
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Bei allem, was uns bei der konjunkturellen Entwicklung
und bei der Entwicklung am Arbeitsmarkt jetzt objektiv
bedrängt das ist ja nicht zu leugnen , spüren sie, dass
wir ein neues Denken in die Finanzpolitik eingeführt ha-
ben, dass wir nicht nur darüber reden, sondern es auch
praktizieren. Wir stehen für Nachhaltigkeit und Gene-
rationengerechtigkeit. Diese Koalition steht für ein
neues Denken in der Finanzpolitik.
Das ist eine Qualität an sich. Jetzt gilt es das ist schwie-
rig genug; der Bundesfinanzminister hat davon gespro-
chen , Jahr für Jahr den Beweis dafür anzutreten und das
praktisch einzulösen.
Es ist schon richtig: Das war im letzten Jahr einfacher, als
es in diesem Jahr ist und voraussichtlich auch im nächs-
ten Jahr sein wird. Aber es gibt keine Alternative dazu.
Wir müssen dieses neue Denken durchsetzen. Deshalb
wird trotz manchen Spekulationen und trotz wenig ge-
lungener Panikmache von Herrn Austermann die Kon-
solidierung des Bundeshaushalts planmäßig fortgesetzt.
Aber wir konsolidieren nicht nur, sondern wir schaffen
auch die finanzielle Grundlage hin zu mehr sozialem Aus-
gleich und zu nachhaltiger Zukunftsgestaltung.
Natürlich müssen wir dabei die ökonomischen
Grunddaten der Bundesrepublik Deutschland und der
internationalen Wirtschaftsentwicklung beachten. Wenn
Sie die Arie von Deutschland als dem Schlusslicht in Eu-
ropa singen, wissen Sie doch ganz genau, warum das so
ist. Sie kennen den wesentlichen Grund: Das Ganze liegt
nun einmal im Einigungsprozess mit den Sonderfaktoren
Bauindustrie und anderen mehr begründet.
Es gibt einschlägige Untersuchungen, die Sie sorgfältig
durchlesen sollten.
Ein Zweites: Sie haben die Weichen für den Neuaufbau
in Ostdeutschland falsch gestellt.
Darunter leiden wir noch heute. Sie haben die Wachs-
tumsverlangsamung von durchschnittlich 1,4 Prozent in
den 90er-Jahren nun wirklich zu verantworten. Sie haben
uns damit zum lahmen Gaul in Europa gemacht und soll-
ten jetzt nicht die Backen aufblasen, wenn das nicht von
heute auf morgen zu verändern ist.
Gerade Sie, Herr Rexrodt, sind nun wirklich die Perso-
nifizierung der lame duck in der Wirtschaftspolitik und
sollten sich hier dementsprechend benehmen.
Die Haushaltspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben auf ihrer
gemeinsamen Klausurtagung die wirtschaftliche Situa-
tion und die konjunkturellen Risiken genau bewertet. Wir
müssen und werden davon ausgehen, dass es gegenüber
dem vorgelegten Entwurf in Haushaltsbereichen, die von
der Konjunkturentwicklung abhängig sind, zu gewissen
Mehrbelastungen kommen wird.
Die Haushaltspolitiker der Koalition sind einvernehm-
lich zu der Auffassung gelangt, dass die von der Bundes-
regierung in ihrem Budgetentwurf für 2002 vorgesehene
Nettokreditaufnahme von 21,1 Milliarden Euro oder
42,1 Milliarden DM im Rahmen der jetzt anstehenden
parlamentarischen Beratungen im Ergebnis gehalten wer-
den kann. Das ist ein wichtiges Signal für die künftige fi-
nanzielle Entwicklung, auch im Blick auf die Europäische
Zentralbank.
Mehrbelastungen bei den Arbeitsmarktausgaben und
Steuermindereinnahmen können nach unserer Einschät-
zung an anderer Stelle des Etats aufgefangen werden das
gilt im Übrigen auch für das laufende Haushaltsjahr , so-
dass die für 2001 geplante Nettokreditaufnahme von
43,7 Milliarden DM nach heutiger Einschätzung nicht
überschritten werden wird. Was Herr Austermann dazu
gesagt hat, war nichts anderes als das übliche oppositio-
nelle Rollenspiel, das wir bis 1998 auch betrieben haben,
das wir allerdings etwas besser beherrscht haben als Sie,
Herr Austermann.
Wie in jedem Jahr wird die Regierung zeitnah zur Ab-
schlussberatung des Etatentwurfs 2002 im November
dem Haushaltsausschuss ihre dann aktuelle Einschätzung
der wirtschaftlichen Entwicklung und der Steuereinnah-
men vorlegen. Auf dieser Grundlage wird die Koalition si-
cherstellen, dass der Etat 2002 bei seiner Verabschiedung
Ende November so aktuell und realistisch wie nur mög-
lich ist, wenn man Aussagen über das kommende Haus-
haltsjahr macht. Der Vorwurf, wir würden schönfärben
oder die Risiken bagatellisieren, entbehrt deshalb jeder
Grundlage. Im Unterschied zum Haushaltsgebaren in der
Regierungszeit Kohl/Waigel sind Haushaltsklarheit und
Haushaltswahrheit für uns wesentliche Bestandteile der
Haushaltspolitik.
Das ist neu in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist
eine neue Qualität. Das sage ich, auch wenn es Ihnen nicht
gefällt, so etwas hier hören zu müssen.
Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, das
heißt, die Rückführung der Neuverschuldung, und danach
erst der Abbau des gigantischen Schuldenberges sind nach
wie vor unabdingbar notwendig, um die Handlungs-
fähigkeit der öffentlichen Gebietskörperschaften auf allen
Ebenen auch für die Zukunft zu erhalten. Das kann nur ge-
lingen, wenn wir unseren langfristigen Pfad überzeugend
verfolgen. Also: Jährliche Absenkung der Nettokreditauf-
nahme als stetige Politikaufgabe, und zwar, wie gesagt,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Joachim Poß
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nicht nur bei Sonnenschein, sondern auch dann, wenn es
einmal regnet, wie das in diesem Jahr der Fall ist.
Das Herauskommen aus der Schuldenfalle, aus der
Verfassungswidrigkeit der Haushalte wird uns in den
nächsten Jahren noch gemeinsam beschäftigen. Ohne un-
ser Konsolidierungspaket hätten wir nach 1998 aus der
Ära Kohl/Waigel ein Neuverschuldungsniveau von jähr-
lich 60 Milliarden DM bis 70 Milliarden DM fortschrei-
ben müssen. Daran ist nichts zu ändern.
Auch wenn viele von uns und viele Bürgerinnen und
Bürger ein kurzes Gedächtnis haben: Diesen Marsch in
die Schuldenfalle haben wir gestoppt. Das können Sie uns
nicht ausreden. Der Öffentlichkeit können Sie auch nichts
anderes weismachen.
Dabei vergessen wir Gestaltungselemente und durch-
aus auch konjunkturfördernde Impulse nicht. Ich stimme
zwar mit dem Bundesfinanzminister überein,
dass unsere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sehr be-
schränkt sind, aber sie sind nicht gänzlich ausgeschlossen.
Natürlich hat auch der Bundeshaushalt Auswirkungen auf
das konjunkturelle Geschehen. Was mit dem Konsolidie-
rungspfad vereinbar gemacht werden konnte, wird reali-
siert. Unser Zukunftsinvestitionsprogramm, das wir in
diesem Jahre begonnen haben und das wir im nächsten
Jahr fortsetzen, ist ein Beispiel. Das sind solche Elemente,
die in den nächsten Monaten noch stärker zum Tragen
kommen, als das bisher der Fall war.
Das gilt ebenfalls für die Steuerentlastungen dieses
Jahres, die auch im nächsten Jahr wirken werden und die
für die Bürgerinnen und Bürger wichtig sind. Infolge der
geringer werdenden Inflation wird der Spielraum größer.
Schon die September-Daten werden da interessant wer-
den. Die August-Zahl das wissen wir ja ist noch mit
einer gewissen Vorsicht zu genießen.
Hier wurde vom Mittelstand gesprochen. Dazu hat
Herr Eichel, überzeugend Stellung genommen. Die Pro-
paganda von manchen mittelständischen Verbänden, die
einer Partei oder auch zwei Parteien der ehemaligen Re-
gierung besonders eng verbunden sind,
lesen wir wohl, aber diese Propaganda
wird im nächsten Jahr an der Realität zu messen sein, Herr
Repnik.
Uns freut es nicht, wenn wir lesen, was der Verband der
Volksbanken und Raiffeisenbanken so alles erklärt. Dann
forschen wir nach: Wie kommen solche Stellungnahmen
denn zustande? Wir hören: Der Herr Kiefer, der ehema-
lige CDU-Sprecher, hat da eine Außenstelle errichtet.
In solchen Fragen werden wir Transparenz schaffen. Es
kann nämlich nicht angehen, dass diese Verbände sozusa-
gen jenseits der Faktenlage ständig Propaganda im Inte-
resse der CDU/CSU oder partiell auch der FDP machen,
meine Damen und Herren.
Das werden wir auch im Bundestag zum Thema machen.
Das kann man so nicht hinnehmen.
Zur Familienpolitik. An Ihrer Stelle würde ich mich
hier überhaupt nicht auf die Familienpolitik berufen. Wir
kennen doch die Entwicklungsgeschichte. Als wir beim
Kindergeld die Erhöhung von 70 DM auf 200 DM durch-
gesetzt haben das war der Druck einer relativen Mehr-
heit der SPD im Bundesrat und der SPD-Bundestagsfrak-
tion , wollte Herr Waigel das Kindergeld für das zweite
Kind nur um 20 DM erhöhen. Lesen Sie doch einmal die
einschlägigen Reden von Herrn Merz oder von Herrn
Schäuble nach!
Als wir nach dem Regierungswechsel 1998 als eine der
ersten Maßnahmen die Erhöhung des Kindergeldes vor-
geschlagen haben, waren Sie dagegen, weil es angeblich
keine Arbeitsplätze schafft.
Haben Sie so ein kurzes Gedächtnis? Ich hoffe nicht, dass
die Bürgerinnen und Bürger ein solch kurzes Gedächtnis
haben.
Durch das, was wir in verschiedenen Schritten be-
schlossen haben, zuletzt im zweiten Familienförderungs-
gesetz, wird die private Nachfrage ebenfalls im nächsten
Jahr um 5 Milliarden DM gestärkt. Wir tragen auch durch
die öffentlichen Investitionen von über 50 Milliar-
den DM, die im Entwurf des Bundeshaushalts 2002 vor-
gesehen sind, zu einer Stärkung der konjunkturellen Ent-
wicklung bei. Wir wissen andererseits das ist nicht zu
leugnen; das sagen auch alle Ökonomen : Es gibt keine
Instrumente und Maßnahmen, die uns aus der derzeitigen
konjunkturellen Abschwächung mit Sicherheit und umge-
hend herausbringen können.
Die konjunkturelle Entwicklung ist trotzdem nach wie
vor chancenreich. Konjunkturpolitischer Aktionismus ist
überhaupt nicht angebracht. Auch das sagen alle Sachver-
ständigen. Was von Ihnen vorgeschlagen wurde Herr
Austermann hat es zuletzt zusammengefasst und was
von einigen Verbandsfunktionären über zusätzliche um-
fangreiche Steuersenkungen und Mehrausgaben in den
verschiedenen Haushaltsbereichen zu hören ist, das alles
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Joachim Poß
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ist für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden
nicht verkraftbar.
Sie können nicht auf der einen Seite, wie es in einigen
strukturschwachen Städten in Nordrhein-Westfalen ge-
schieht, die Haushaltslage beklagen man kommt über-
haupt nicht mehr klar und fordert eine Gemeindefinanz-
reform und auf der anderen Seite das Vorziehen der
Steuerreform es geht um Einnahmeausfälle von über
40 Milliarden DM; die Gemeinden wären mit 6 Milliar-
den DM dabei fordern oder einen Tarif vorschlagen, der
einen Ausfall von 175 Milliarden DM bedeuten würde,
woran die Kommunen wiederum mit 15 Prozent beteiligt
wären. Wir lassen Ihnen eine Politik, die mit gespaltener
Zunge arbeitet Kommunen auf der einen Seite, Bundes-
politik auf der anderen Seite , nicht durchgehen.
Im Übrigen wäre das, was Sie fordern, nicht realisier-
bar. Der Bundeshaushalt und eine Reihe von Landeshaus-
halten würden verfassungswidrig werden. Allen einiger-
maßen Sachkundigen müsste klar sein, was das für das
deutsche Standing auf den internationalen Finanzmärk-
ten, für die Politik der Europäischen Zentralbank und für
den Euro bedeuten würde. Von daher passen die Forde-
rungen, die die Haushaltspolitiker der CDU/CSU-Frak-
tion anlässlich ihrer Klausurtagung letzte Woche aufge-
stellt haben, ins Bild. Es handelt sich um ein Füllhorn von
Wohltaten für fast alle gesellschaftlichen Gruppen ohne
einen einzigen ernst zu nehmenden Finanzierungsvor-
schlag. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat nicht
mehr anzubieten, als die vorgesehene Neuverschuldung
im Bundeshaushalt im Ergebnis nahezu zu verdoppeln.
Das ist Ihr Beitrag zur deutschen Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik. Jämmerlich, kann ich da nur sagen.
Oder haben Sie andere Finanzierungsvorschläge? Bei
Ihnen war eigentlich auch die Erhöhung der Mehrwert-
steuer immer sehr beliebt.
Es sticht ins Auge, dass es bei Ihnen wirklich ein Chaos
in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, ein Chaos von Kon-
zepten und ein Schaulaufen von Personen, gibt. Seit dem
Sommer haben sich maßgebliche Politiker der Union mit
neuen Vorschlägen zur Finanz- und Wirtschaftspolitik
geradezu überschlagen. Manchmal war auf dem Papier
die Tinte noch nicht trocken, da kam schon eine neue Va-
riante. Das war ein Theaterstück mit fünf Akten und an-
schließend mit Zugabe.
Erster Akt. Ende Juni legt die Parteivorsitzende der
CDU, Frau Merkel, ein 10-Punkte-Konjunktur-Sofortpro-
gramm vor.
Zweiter Akt. Einen Tag später kontern der Fraktions-
vorsitzende der Union, Herr Merz, und der Landesgrup-
penchef der CSU, Herr Glos, mit einem allerdings an-
ders gestrickten Zehnpunkteprogramm.
Dritter Akt. Mitte August bekräftigt der bayerische Mi-
nisterpräsident, Herr Stoiber, seine Ambitionen als Kanz-
lerkandidat der gesamten Union mit einem eigenen Kon-
zept. Zur Erinnerung: Absenkung des Spitzensteuersatzes
bei der Einkommensteuer auf 40 Prozent das ist eine
reine Umverteilung von unten nach oben ohne erkennbare
positive ökonomische Effekte , Absenkung der Abga-
benbelastung auf 40 Prozent wie ist das eigentlich mit
der Forderung nach Aussetzung der Ökosteuer, deren Auf-
kommen zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge
verwendet wird, vereinbar? , Absenkung der Staatsquote
ebenfalls auf unter 40 Prozent. Das alles, ohne zu sagen,
welche staatlichen Leistungen zur Erreichung dieses Ziels
gestrichen werden müssten.
Vierter Akt. Ein paar Tage später melden sich darauf-
hin die CDU-Wirtschaftspolitiker Wissmann und Uldall
zu Wort und holen ihr altes Einkommensteuerstufenmo-
dell aus der Ablage, das wiederum von der CSU, beson-
ders von Herrn Faltlhauser, kräftig gewürdigt wurde. Ich
weiß nicht, wie Sie das sehen, Frau Hasselfeldt, ob Sie die
Meinung von Herrn Faltlhauser dazu teilen können.
Fünfter Akt. Ende August bemüht sich die CDU-Par-
teivorsitzende, Frau Merkel, die Regie zurückzu-
gewinnen. Sie erfindet den Slogan der neuen sozialen
Marktwirtschaft und fordert in diesem Zusammenhang
ein weiteres Steuerstufenmodell. In den beiden Zehn-
punkteprogrammen von Merkel bzw. Merz und Glos von
Ende Juni war noch die Forderung nach Vorziehen der be-
reits beschlossenen Einkommensteuer-Entlastungsstufen
2003 und 2005 auf 2002 aufgeführt, was zu Steuerausfäl-
len von mehr als 40 Milliarden DM für die öffentlichen
Haushalte allein im Jahre 2002 geführt hätte. In der
neuen sozialen Marktwirtschaft das wäre auch ein tol-
ler Name für eine Kneipe oder so etwas der CDU-
Vorsitzenden taucht diese Forderung nicht mehr auf.
Jetzt die Zugabe. Das wiederum konnte Ministerpräsi-
dent Stoiber nicht so im Raum stehen lassen und hat an
diesem Wochenende dagegengehalten. In deutlicher Kon-
frontation zur CDU-Parteivorsitzenden hat er erklärt, eine
Einkommensbesteuerung nach dem Stufenmodell der
CDU sei weniger leistungsfördernd und sei ungerechter
als der geltende lineare Tarif.
Dieser Ablauf, meine Damen und Herren, macht deut-
lich, wie zerstritten die Unionsparteien in einer zentralen
Frage der deutschen Politik sind.
Deswegen stellen die Unionsparteien im politischen
Wettbewerb keine ernst zu nehmende Alternative dar.
Konzepte müssen auch realisierbar sein, wenn man denn
eines hat. Soweit sind Sie aber noch nicht; Sie haben noch
kein einheitliches Konzept.
Wenn diese Konzepte nicht realisierbar sind, taugen sie
nicht für den politischen Ideenwettbewerb. Sie können so-
zusagen als Schaumschlägerei hier im Bundestag oder bei
Talkshows eingesetzt werden. Für den politischen Ideen-
wettbewerb sind Sie konzeptionell nicht gerüstet. Auch
das ist in den letzten Tagen deutlich geworden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Joachim Poß
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Eigentlich sollte die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu
wichtig sein, als dass sie zum Spielball im Kampf um die
Kanzlerkandidatur in CDU und CSU missbraucht wird.
Nur eines haben die verwirrenden steuerpolitischen
Vorschläge aus den Reihen der Opposition gemeinsam:
Mit der Vorlage von jedem dieser Vorschläge verabschie-
det sich die Opposition aus der Haushaltspolitik und da-
mit von dem finanzpolitischen Ziel, das eigentlich für alle
gelten sollte, nämlich in gemeinsamer Anstrengung die
öffentlichen Finanzen auf allen Staatsebenen zu sanieren,
um so sicherzustellen, dass der Staat auch in Zukunft
seine Aufgaben erfüllen kann.
Der Bundesfinanzminister hat hier die Maßnahmen
erwähnt, die dem sozialen Ausgleich dienen: BAföG,
Wohngeld, Erziehungsgeld, Einkommensteuerreform. Ja,
wir haben eine Trendwende geschafft, die Millionen von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Familien zu-
gute kommt. Das haben Sie, meine Damen und Herren,
nie hinbekommen.
Wir können nachweisen, dass unsere Steuerpolitik dem
Mittelstand dient und nicht der Großindustrie. Wir werden
darüber noch öfter diskutieren.
Auch, dass wir für mehr Steuergerechtigkeit stehen,
haben wir auf vielen Feldern bewiesen.
Mit unserem Gesetz zur Bekämpfung der Umsatzsteuer-
kriminalität fügen wir diesen Schritten einen weiteren
hinzu: Wir brauchen in diesem Lande mehr Steuergerech-
tigkeit und mehr Steuerlegalität.
Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, liegen Sie falsch, wenn Sie Ihr Heil in maßlosem und
hektischem wirtschafts- und finanzpolitischen Aktionis-
mus suchen. Sie machen sich etwas vor, wenn Sie glau-
ben, die Bürgerinnen und Bürger würden auf unfinan-
zierte Wohltaten und Steuersenkungen auf Pump
hereinfallen. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes
wissen ganz genau, dass so die Zukunft nicht zu gewin-
nen ist. Sie wissen auch ganz genau, weshalb sie Hans
Eichel, dieser Bundesregierung und dieser Koalition die
Verantwortung für die Finanzpolitik im nächsten Jahr
wieder überantworten werden.