Guten Mor-
gen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.
Ich heiße Sie alle zur ersten Sitzung nach der kurz
unterbrochenen parlamentarischen Sommerpause will-
kommen. Ich spreche zunächst der Kollegin Franziska
Eichstädt-Bohlig, die gestern, am 10. September, ihren
60. Geburtstag feierte, nachdrücklich die besten Glück-
wünsche des Hauses aus.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haus-
haltsausschusses
zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr
1999 Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögens-
rechnung des Bundes
zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2000 zur
Drucksachen 14/3141, 14/4226, 14/4571 Nr. 1.2, 14/6521
ZP 2 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung der Pfän-
dungsfreigrenzen Drucksache 14/6812
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des
Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpas-
sung anderer Rechtsvorschriften
Drucksache 14/6878
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
ZP 4 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Steuerverkür-
che 14/6883
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 5 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Unterneh-
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 6 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschrif-
ten Druck-
sache 14/6877)
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-
stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-
haltsjahr 2002
Drucksache 14/6800
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
18231
185. Sitzung
Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Beginn: 11.00 Uhr
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005
Drucksache 14/6801
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag des Bundesministeriums der Fi-
nanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 1999 Vorlage der Haus-
haltsrechnung und Vermögensrechnung des
Bundes
zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2000 zur Haushalts- und Wirtschafts-
Drucksachen 14/3141, 14/4226, 14/4571 Nr. 1.2,
14/6521
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinbarung
sind für die Haushaltsberatungen im Anschluss an die
Einbringung heute siebeneinhalb Stunden, Mittwoch
zehn Stunden, Donnerstag zehneinhalb Stunden und
Freitag zwei Stunden vorgesehen. Dagegen erhebt sich
kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich gebe nunmehr zur Einbringung des Haushalts das
Wort dem Bundesminister für Finanzen, Hans Eichel.
sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsplan-
entwurf für das Jahr 2002 ist der letzte in dieser Wahl-
periode, der auch in dieser Wahlperiode noch voll wirk-
sam wird.
Wir wollen mal sehen, ob Sie am Ende auch noch so la-
chen wie jetzt am Anfang.
Die Versuchung ich habe es in vielen Kommentaren
gelesen hätte sicherlich groß sein können, einen Wahl-
haushalt vorzulegen und somit Wahlgeschenke zu vertei-
len. Was aber wäre das für ein merkwürdiges Verständnis
von Demokratie?
Zu Ihnen komme ich gleich.
Wenn wir dies tun würden, wer schenkte dann wem
was? Wenn wir weitere Ausgaben in den Haushaltsent-
wurf schreiben und diese durch neue Schulden finanzie-
ren würden, hieße das nichts anderes, als dass wir den
Bürgerinnen und Bürgern die eine oder andere Leistung
mehr gäben, die aber über Schulden zu finanzieren wäre,
welche sie später selbst wieder abbezahlen müssten. Dies
wäre ein fauler Zauber.
Ihr letzter und das war wirklich Ihr letzter Haushalt
1998 wies eine Steigerungsrate von 3,4 Prozent auf.
Genützt hat es Ihnen nichts.
Unser Haushalt hat eine Steigerungsrate von 1,6 Prozent.
Wenn ich zwei Sonderpositionen herausnehme, kommen
wir real sogar auf sinkende Ausgaben. Das ist die Situa-
tion des Jahres 2001. Das heißt, wir machen Ernst mit der
Konsolidierungspolitik und sind den Bürgerinnen und
Bürgern gegenüber ehrlich. Es macht keinen Sinn, Wahl-
geschenke zu verteilen. Das hieße nur, die Bürger in
Wahrheit um ihr eigenes Geld zu prellen.
Sie haben es gemacht. Es wäre schön gewesen, wenn Sie
schon ein paar Jahre ehrlich gewesen wären.
Im Jahre 1999 haben wir mit dem Zukunftsprogramm
2000 eine grundlegende Wende in der Finanzpolitik hin
zu Langfristigkeit und Solidität eingeleitet.
Wir machen eine langfristig angelegte, nachhaltige Finanz-
politik, in deren Mittelpunkt die Vorsorge in und für eine al-
ternde Gesellschaft stehen muss. Diese Finanzpolitik hat drei
Elemente: erstens raus aus der Schuldenfalle, zweitens eine
beschäftigungsfreundliche, wachstumsfördernde Steuer-
und Abgabenpolitik, drittens eine Verbesserung der Qualität
der Staatsausgaben und der Staatstätigkeit. Kurzum: Wir
wollen auf Zukunft gerichtete Haushalte, statt Schulden aus
der Vergangenheit zu finanzieren. Darauf kommt es an.
Ich komme zum ersten Element: raus aus der Schulden-
falle. Hier wende ich mich an Sie. Ich kann verstehen, dass
der Kollege Waigel, den ich persönlich sehr schätze, heute
nicht anwesend ist; denn die Eröffnungsbilanz, die wir
1998 und 1999 machen mussten, war höchst unerfreulich.
Seit 1996 waren die Haushalte verfassungswidrig.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
18232
1996 und 1997 wurden mehr Schulden gemacht, als Inves-
titionen getätigt wurden. 1998 haben Sie dies durch große
Privatisierungserlöse verdeckt.
Ganz nebenbei: Sie haben mir noch in den letzten De-
batten immer erzählt, mir würden sich riesige Chancen
eröffnen und im Haushalt lägen riesige Schätze; ich sei
zwar nicht immer dafür gewesen, hätte aber nun Glück
mit der Haushaltspolitik. Ob Sie dies bei dem jetzigen
Kurs der Telekom-Aktie weiterhin sagen wollen, möchte
ich bezweifeln. Wie wir künftig die Postunterstützungs-
kassen finanzieren werden, ist noch nicht klar, und ob sich
dies aus den Privatisierungserlösen bezahlen lässt, ist
fraglich.
Erzählen Sie also keine Märchen, sondern bleiben Sie
auch in diesem Punkt bei der Realität. Sie haben verfas-
sungswidrige Haushalte eingebracht und dies im Wahl-
jahr durch große Privatisierungserlöse verdeckt.
Nächsten Sommer, vor der Wahl, werde ich wieder ei-
nen Haushalt einbringen.
Den Haushalt, den Sie 1998 im Sommer eingebracht ha-
ben, konnten Sie vor dem Vorwurf der offenkundigen
Verfassungswidrigkeit nur dadurch bewahren, dass Sie
eine Reihe von Dingen überhaupt nicht veranschlagt ha-
ben. Diese Dinge summierten sich auf über 20 Milliar-
den DM, die Sie bei der Veranschlagung schlicht und ein-
fach unterschlagen haben. Es war nämlich wieder ein
verfassungswidriger Haushalt.
80 Milliarden DM Zinsen bedeuten 22 Prozent aller
Steuereinnahmen. Es gibt keine Gebietskörperschaft in
Deutschland, die so hoch verschuldet ist, wie es Deutsch-
land am Ende Ihrer Regierungstätigkeit nach 16 Jahren
war. Ein Haushaltsloch von 80 Milliarden DM bedeutet
ungefähr 25 Milliarden DM über den Investitionen, ent-
spricht also einem verfassungswidrigen Haushalt. Das
war die Ausgangslage, die wir vorgefunden haben.
Die Antwort darauf war klar: Wir mussten eingreifen.
Wir haben bereits mit dem Haushalt 1999 eine mittelfris-
tige Konsolidierungsstrategie begonnen und zunächst ein-
mal Klarheit und Wahrheit hergestellt. Wir haben Ihre
ganzen Schattenhaushalte integriert und alle vergessenen
Positionen hineingeschrieben.
Dann haben wir auf der Ausgabenseite konsequent
konsolidiert. Im Jahr 2000 waren es fast 30 Milliarden
DM wegen der Einsprüche des Bundesrates sind es et-
was weniger geworden und bis zum Jahr 2003 jedes Jahr
50 Milliarden DM mehr an Konsolidierungsbeiträgen.
Das bedeutet langfristig, dass die Ausgaben des Staates
langsamer wachsen als die der Wirtschaft und dass die
Ausgaben des Staates langsamer wachsen als seine Ein-
nahmen. Daraus ergibt sich der Konsolidierungserfolg:
eine konsequente Verringerung der Nettokreditauf-
nahme und jedes Jahr weniger neue Schulden. Dies hal-
ten wir so im dritten Jahr und mit dem Haushaltsplanent-
wurf 2002 auch im vierten Jahr konsequent durch.
Das heißt: Dies ist eine langfristig angelegte Politik,
die man darauf komme ich, wenn ich mich mit Ihren
Vorschlägen auseinander setze, später noch einmal
zurück nicht je nach Konjunkturlage wieder zur Dispo-
sition stellen kann. Finanzpolitik nach Konjunkturlage
führt ins Chaos, um dies ganz klar zu sagen. Eine solche
Politik haben sie betrieben.
Wir reduzieren den Staatsapparat: Jedes Jahr wird die
Anzahl der Stellen um 1,5 Prozent gesenkt. Damit haben
Sie schon angefangen. Das ist richtig. Wir setzen dies
konsequent fort. Dies machen wir übrigens nicht nur der
Konsolidierung und der hohen Staatsschulden wegen, die
Sie uns hinterlassen haben, sondern dies gehört auch zur
Vorsorge für eine alternde Gesellschaft. Eine Gesell-
schaft, deren Struktur sich so verschiebt, dass sie immer
weniger Erwerbstätige und immer mehr Rentner haben
wird, muss auch im Staatsapparat mit weniger öffentlich
Bediensteten auskommen; sonst haben wir die Explosion
des Staatsapparates und die Erhöhung der Steuern bereits
vorprogrammiert. Auch deswegen müssen wir um es in
aller Deutlichkeit zu sagen die Zahl der im öffentlichen
Dienst Beschäftigten zurückfahren.
Das erste Mal seit über 30 Jahren haben wir bei den
Mitarbeitern im öffentlichen Dienst im Bereich des Bun-
des die Zahl von 300 000 unterschritten; dies ist ein großer
Erfolg. Ich will allen, die im öffentlichen Dienst arbeiten,
danken, da der Personalabbau eine ständige Arbeitsver-
dichtung und Umorganisation zur Folge hat. Wir betrei-
ben damit nicht nur Sparpolitik, sondern auch eine konse-
quente Modernisierungsstrategie für den Staat.
Die Gründe für unsere Bemühungen sind einfach: Die
Staatsschulden und die daraus resultierenden Zinsen er-
drosseln die Handlungsfähigkeit des Staates. Wer zum
Beispiel nach mehr öffentlichen Investitionen ruft wofür
ich Verständnis habe , darf nicht so viele Schulden ma-
chen, weil die Zinsen die Investitionsfähigkeit des Staates
ruinieren. Ein solches Problem haben Sie uns hinterlas-
sen.
Zum anderen: Die Rechtfertigung für kreditfinan-
zierte Investitionen, bei denen die Laufzeit der Kredite
über eine Generation hinausgehen soll in dieser Lage
befinden wir uns im Augenblick , ist entfallen. Selbst
die langlebigsten Wirtschaftsgüter, in die wir investieren
Häuser, Straßen oder Brücken , haben allenfalls eine
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
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Gebrauchsdauer von einer Generation; dann ist eine
Grundsanierung fällig, die so teuer wie die Erstanschaf-
fung ist. Das bedeutet, dass jede Generation auch die In-
vestitionen bezahlen muss, die sie tätigt. Auch in diesem
Punkt müssen wir dringend eine Änderung in der Finanz-
politik erreichen.
Es ist gerade in einer alternden Gesellschaft
schlicht eine Frage der Generationengerechtigkeit: Wenn
schon in der Zukunft viel weniger Beschäftigte und damit
Beitragszahler viel mehr Rentnern die Rente garantieren
müssen unsere Kinder müssen das , können wir der
nächsten Generation nicht zusätzlich so hohe Staatsschul-
den in den Rucksack packen, dass sie, so wie das gegen-
wärtig der Fall ist, gezwungen wird, fast ein Viertel der
gezahlten Steuern für die Bedienung der Zinsen auszuge-
ben. Das ist unverantwortlich, da Gerechtigkeit auch eine
Zukunftsdimension hat.
Ich will einen ganz einfachen Satz anführen, dessen
Umsetzung in Deutschland so habe ich zumindest den
Eindruck fast einer Kulturrevolution gleichkommt; ich
bin sehr gespannt, ob wir es aushalten, wenn wir an die-
sen Punkt kommen: Auch der Staat muss, wie jeder Pri-
vatmann, mit dem Geld auskommen, das er hat. Er kann
nicht Jahr für Jahr und Jahrzehnt für Jahrzehnt über seine
Verhältnisse leben. So einfach ist die Sache.
Deswegen müssen wir raus aus der Schuldenfalle und
konsequent die Konsolidierung auf der Ausgabenseite an-
gehen.
Als Zweitens brachen wir ein beschäftigungsfreundli-
ches und wachstumsförderndes Steuer- und Abgaben-
system. Wer Steuern senken will wir haben das massiv
getan , darf das nur dann tun, wenn er seine Ausgaben im
Griff hat. Steuersenkungen mit Ausweichen in höhere
Staatsschulden sind Betrug an den Bürgerinnen und Bür-
gern.
Weil die Schulden von heute die Steuern von morgen sind,
bedeutet das nichts anderes, als dass Sie nach der nächs-
ten Wahl die Steuern wieder erhöhen müssten, die Sie vor-
her auf Pump gesenkt haben. Auch das ist eine Form von
Wahlgeschenken.
Im Übrigen will ich darauf hinweisen: Mit unserer
Steuerreform sinkt die Steuerquote auf einen histori-
schen Tiefstand.
Wir sind in diesem Jahr in der kassenmäßigen Abgren-
zung bei einer Steuerquote von 21,5 Prozent. Das hat es
in der Bundesrepublik Deutschland nie zuvor gegeben.
Wir sind in der Europäischen Union bei der Steuerquote
verglichen mit allen anderen Mitgliedstaaten am unteren
Rand.
Das heißt auch klar: Mehr geht nicht mehr, wenn ich alle
anderen Aufgaben des Staates in Betracht ziehe; ich
komme auf diesen Punkt zurück.
Unsere Steuerpolitik lebt auch nicht von der Hand in
den Mund, sondern ist langfristig angelegt. Wir haben be-
reits über zwei Wahlperioden Steuersenkungen gesetzlich
verankert. Somit können sich alle Bürgerinnen und Bür-
ger als Verbraucher sowie die Unternehmen darauf ein-
stellen, wann sie welche Steuerbelastung haben werden.
Wer Attentismus in der Wirtschaft erzeugen will, der
muss einen gerade in das Gesetz und Verordnungsblatt
geschriebenen Zeitplan immer wieder neu infrage stellen.
Das ist schlichtweg Unfug.
Es müssen also sowohl bei der Haushaltskonsolidierung
als auch in der Steuer- und Abgabenpolitik langfristige Li-
nien verfolgt werden.
Wir sorgen für die größte Steuerentlastung aller Zei-
ten. Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen.
Herr Kollege Stoltenberg
hat in den 80er-Jahren gemessen am Bruttoinlandspro-
dukt genau die gleiche Steuerpolitik wie wir jetzt ver-
folgt. Es gibt zwischen damals und heute allerdings einen
fundamentalen Unterschied: Während uns die heutigen
Staatsschulden zwingen, 2 Prozent des Bruttoinlands-
produktes das sind 80 Milliarden DM für Zinsen aus-
zugeben, musste Stoltenberg damals nur 1 Prozent auf-
wenden. Das heißt also, dass er damals 40 Milliarden DM
mehr als wir heute zur Verfügung hatte. Trotzdem hat er
die Steuern nicht stärker gesenkt als wir mit unserer Steu-
erreform 2000. Das ist in der Tat eine ganz bemerkens-
werte Leistung.
Im Mittelpunkt steht die Entlastung der Arbeitnehmer
und der Familien. Diese werden durch die drei Stufen der
Steuerreform 2001, 2003 und 2005 insgesamt um 65 Mil-
liarden DM entlastet, wodurch auch die Kaufkraft ge-
stärkt wird. Das hat sich, wie die neuesten statistischen
Daten zeigen, bewährt. Der private Konsum ist nach An-
gaben des Statistischen Bundesamtes im ersten Halbjahr
2001 stärker gestiegen, als alle Auguren vorher vermutet
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18234
hatten. Die durch unsere Steuerreform erzielte Entlastung
der Menschen hat sich bereits als konjunkturstabilisierend
herausgestellt.
Die von mir erwähnten Entlastungen bedeuten die
Möglichkeit, in einer alternden Gesellschaft Vorsorge zu
treffen; denn wenn das umlagefinanzierte Rentensystem
es allein nicht mehr leisten kann und deshalb private Vor-
sorge betrieben werden muss, dann müssen insbesondere
die Menschen, deren Einkommen am unteren Ende der
Einkommensskala anzusiedeln sind, erst einmal in die
Lage versetzt werden, eine solche private Vorsorge be-
treiben zu können. Wir haben mit unserer Steuerreform
diese Menschen entlastet. Das ist etwas anderes als das,
was Sie beabsichtigt haben; denn Ihnen fiel immer nur das
Wort Spitzensteuersatz ein, egal worüber diskutiert
wurde. Tatsächlich kam es, wie gesagt, darauf an, die
Menschen mit niedrigen Einkommen zu entlasten. Genau
das haben wir gemacht.
Der Mittelstand, die kleinen und die mittleren Unter-
nehmen, wird ab 2005 ebenfalls in drei Stufen jährlich um
30 Milliarden DM entlastet. Dies dient der Stärkung der
Investitions- und Innovationskraft. Und es sind die klei-
nen und die mittleren Unternehmen, die Ausbildungs- und
Arbeitsplätze schaffen. Es sind die Existenzgründer, die
langsam aufbauen und neue Arbeitsplätze schaffen. Die
Großbetriebe, die ich nicht kritisiere, weil auch sie ge-
braucht werden ihr Fehlen in Ostdeutschland zeigt das
deutlich , bauen Arbeitsplätze ab. Deshalb musste die
steuerliche Förderung und Entlastung auf die kleinen und
mittleren Unternehmen konzentriert werden. Genau das
haben wir gemacht.
Wissen Sie, spätestens im nächsten Frühjahr, wenn je-
der Mittelständler seine Steuererklärung abgeben muss,
bricht Ihre gut geölte Propagandamaschinerie zusammen.
Ein Punkt ist völlig klar: Ich war 15 Jahre Oberbürger-
meister. Jedes Mal, wenn ich eine Sitzung der IHK be-
sucht habe, haben mich die Einzelhändler und die Hand-
werksmeister gefragt: Herr Oberbürgermeister, wieso
erheben Sie von uns Gewerbesteuer und nicht von den
Anwaltskanzleien, den Zahnarztpraxen oder den Archi-
tekturbüros? Selbst demjenigen, der lange über diese
Frage nachdenkt, fällt nichts Gescheites als Antwort ein.
Sie haben es sogar in 50 Jahren nicht geschafft, darauf
eine vernünftige Antwort zu geben. Durch unsere Steuer-
reform wird der Mittelständler nicht mehr durch die Ge-
werbesteuer belastet, weil er sie pauschal mit der
Einkommensteuer verrechnen kann.
Ich möchte Ihnen das hier nicht vorrechnen. Sie alle ken-
nen das ja.
Es gibt so gut wie keinen Mittelständler, der tarifär so
hoch belastet ist wie die Körperschaften. Wenn man den
ausgeschütteten Gewinn der Körperschaften berücksich-
tigt, dann stellt man fest, dass die Körperschaften in die-
sem Lande tarifär immer höher belastet sind als jeder Mit-
telständler. Das ist die schlichte Wahrheit unserer
Steuerreform. Wie gesagt, spätestens dann, wenn die Mit-
telständler ihre Steuererklärung im nächsten Frühjahr ab-
geben müssen, bricht Ihr ganzes Lügengebäude zusam-
men, und zwar schon vor der nächsten Bundestagswahl.
Körperschaften dagegen bekommen in der Bilanzie-
rung unserer Steuerpolitik Steuerentlastungsgesetz und
Steuersenkungsgesetz muss man immer zusammen sehen
keine Entlastung; wahrscheinlich ist es sogar eine leichte
Belastung. Aber es war auch nie das Problem der großen
international tätigen Unternehmen, dass sie in Deutsch-
land eine besonders hohe Steuerlast gehabt hätten; die
hatten sie nie. Sie hatten vielmehr ein schlicht nicht wett-
bewerbsfähiges Steuerrecht mit zerstörter Bemessungs-
grundlage und darauf aufbauend unsinnig hohe Steuer-
sätze, die nur zur Umgehung einluden. Also haben wir ein
international wettbewerbsfähiges Steuerrecht hergestellt.
Dafür sind uns die großen Unternehmen auch dankbar.
Wir setzen die Steuerreform, die Modernisierung des
Unternehmenssteuerrechts, fort. Da haben Sie 18 Jahre
lang nichts getan, meine Damen und Herren. So kann man
mit der deutschen Wirtschaft in einer sich globalisierenden
Welt und im europäischen Binnenmarkt nicht umgehen.
Man kann ihr nicht ein Steuerrecht geben, das über-
haupt nicht mehr in die internationale Landschaft passt.
Wir haben durch die Rentenreform und die Ökosteuer
die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt. Wenn ich mir
ansehe, um wie viel während Ihrer Regierungszeit die
Beiträge zur Sozialversicherung Jahr für Jahr gestiegen
sind, stelle ich fest: Dies ist die erste Regierung, die damit
Schluss macht und die es erreicht hat, dass die Beiträge zur
Sozialversicherung wieder sinken. So ist das.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18235
Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen das gleich
im Einzelnen vorrechnen.
Damit komme ich zum dritten Punkt, der Verbesserung
der Qualität.
Dass Ihnen das unangenehm ist, ist mir klar; aber ich
kann nicht darauf verzichten, was wir vorgefunden haben
und was wir dagegen tun.
Ich komme zur Verbesserung der Qualität der Staats-
ausgaben und der Staatstätigkeit. Man kann auch plakativ
sagen: Zukunftsvorsorge statt Zinsen.
Die wichtigste Zukunftsvorsorge, die wir machen können
und die Sie jahrzehntelang vernachlässigt haben, ist in der
Tat die Familienpolitik. Wenn wir an dieser Stelle besser
gewesen wären, hätten wir viele sich zuspitzende Pro-
bleme der alternden Gesellschaft nicht.
Im Übrigen haben Sie wohl übersehen, dass das Bun-
desverfassungsgericht Ihnen zwei Dinge ins Stammbuch
geschrieben hat: dass Sie nämlich die kleinen Einkommen
verfassungswidrig hoch besteuert haben deswegen
erhöhen wir ständig das steuerfreie Existenzminimum
und dass Sie die Familien verfassungswidrig hoch be-
steuert haben. Das war doch Ihre Steuerpolitik.
Wir haben in dieser Wahlperiode, in der Phase der Haus-
haltskonsolidierung, das Kindergeld dreimal erhöht. Eine
weitere Erhöhung um 30 DM oder sogar ein bisschen
mehr wegen der Euro-Aufrundung folgt zum 1. Ja-
nuar 2002, also in diesem Haushalt. Das heißt 80 DM
mehr pro Kind. Das bedeutet für eine Familie mit zwei
Kindern 1 920 DM netto mehr im Jahr. Für die Verkäu-
ferin mit zwei Kindern ist das ein 13. Monatsgehalt. Das
ist unsere Politik im Zeichen der Haushaltskonsolidie-
rung.
Das sind im Übrigen um dazu eine deutliche Anmer-
kung zu machen längst nicht alle Aufgaben, die wir ha-
ben. Es ist sehr spannend zu sehen, wie insbesondere die
CDU/CSU, der es schon wehtut, dass man ihr nachweisen
kann und muss, dass sie nichts für die Familien getan hat,
jetzt auf diese Situation reagiert.
Sie reagiert mit völlig unfinanzierbaren Vorschlägen. Be-
sonders unfinanzierbare Vorschläge sind übrigens ein
Münchener Markenzeichen.
In Wirklichkeit ist die Diskussion über ein Erziehungs-
geld von 1 200 DM im Monat nichts weiter als ein gran-
dioses Ablenkungsmanöver. Die Länder müssten dafür
sorgen, dass Frauen den Kinderwunsch und den Berufs-
wunsch vereinbaren können. Kinderbetreuung ist die
Aufgabe der Länder und Kommunen.
Gucken Sie sich doch einmal an, wie es in Deutsch-
land aussieht. Dort, wo das konservative Familienbild
herrscht die Frau soll die Kinder kriegen und zurück an
den Herd , hat man auch nichts für die Kinderbetreuung
getan. Bayern ist das Schlusslicht in Deutschland. Ham-
burg, andere alte Bundesländer und die ostdeutschen Län-
der stehen vorn.
Wenn man sich das vor Augen führt, dann versteht man,
warum man den Versuch unternehmen muss, mit solch
unfinanzierbaren Vorschlägen öffentlich zu überdecken,
was man über viele Jahre versäumt hat.
Kindergeld, Erziehungsgeld, Wohngeld alles das sind
Dinge, die Sie zehn Jahre lang, zum Teil 16 Jahre lang
nicht angepackt haben, die Ihr Finanzminister als geheime
Sparbüchse betrachtet hat; die Beträge hat er nämlich
nicht angepasst. Alles das haben wir in der Zeit der Kon-
solidierung angepackt, verbessert, um wieder mehr so-
ziale Gerechtigkeit und mehr Zukunft in diese Gesell-
schaft hineinzubringen.
Ein weiterer Punkt: Bildung und Forschung. Auch
die Ausgaben dafür haben Sie in den 90er-Jahren ständig
zurückgefahren. Wir schaffen im Haushaltskonsolidie-
rungsprozess den Spielraum für eine Erhöhung der Aus-
gaben: 2,7 Prozent in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr,
12 Prozent im Jahr 2002 gegenüber dem Jahr 2000, als wir
den Konsolidierungskurs eingeleitet haben.
Meine Damen und Herren, das Schlimmste, was man Ih-
nen in diesem Bereich vorhalten muss, ist: Sie reden immer
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Bundesminister Hans Eichel
18236
nur über Straßen, über Asphalt und über Beton. Wenn ich
über Zukunftsfähigkeit rede, rede ich zuerst über Bildung,
über das, was wir in die Köpfe der Menschen hineinbringen.
Am Beginn der deutschen Einheit, 1990, waren
650 000 Studentinnen und Studenten BAföG-gefördert.
Als wir die Regierung verlassen mussten, 1982, waren es
übrigens deutlich mehr. Als Sie die Regierung verlassen
mussten, 1998, waren es noch 340 000 Studentinnen und
Studenten, die BAföG-gefördert wurden. Wir haben zu
wenig Studentinnen und Studenten in Deutschland. Sie
haben also eine miserable Vorsorge betrieben, weil Sie an
der falschen Stelle gespart haben.
Deswegen die BAföG-Reform. Im Haushalt 2002 ist be-
reits berücksichtigt, dass die Zahl der BAföG-berechtig-
ten Studentinnen und Studenten gegenüber dem Tiefst-
punkt, den wir von Ihnen vorgefunden haben, wieder um
100 000, nämlich auf 445 000, steigt. Wir können nicht al-
les das, was Sie 16 Jahre lang runtergewirtschaftet haben,
in einem Jahr oder in zwei Jahren reparieren;
aber umkehren muss man auf diesem falschen Weg.
Dasselbe gilt auch für das JUMP-Programm.
Jugendausbildung, Jugendförderung, Jugendarbeit, genau
das haben wir gemacht nichts davon hatten Sie in Ihrem
Haushalt und genau das wird im Jahr 2002 so weiterge-
hen.
Meine Damen und Herren, zur Rentenreform. Weil Sie
das vorhin dazwischengerufen haben, will ich Ihnen ein-
mal den Anstieg der Beiträge in der Sozialversicherung
in den Jahren Ihrer Regierungszeit deutlich machen. Ich
fange im Jahr 1992 an. Da waren wir bei 36,8 Prozent.
Als Sie die Regierung verlassen mussten, weil die Wäh-
lerinnen und Wähler eine andere Mehrheit gewählt hat-
ten,
1998, waren wir bei 42,1 Prozent.
Nun sind wir bei 40,9 Prozent.
Ich komme auf das Thema der Gesundheitsreform noch
zurück; gar keine Angst. Da sehen Sie: Das erste Mal
überhaupt geht es deutlich wieder abwärts
mit dem Beitrag. Sind Sie eigentlich nicht in der Lage,
ein Satzgefüge vom Hauptsatz bis zum Relativsatz an-
zuhören?
Das wird im Haushalt 2002 nun auffällig. Das ist ein
Quantensprung. Was Sie nie geschafft haben klarzuma-
chen, haben wir geschafft schwierig genug , nämlich
dass wegen der demographischen Entwicklung, weil es
in der Zukunft viel weniger Beitragszahler und viel mehr
Rentenempfänger geben wird, das umlagefinanzierte Sys-
tem allein es nicht mehr leisten kann. Wer Altersarmut
vermeiden will, wer Überforderung der nächsten Genera-
tion vermeiden will, der muss zusätzliche private kapital-
gedeckte Vorsorge daneben stellen. Das ist der große Re-
formschritt, den Walter Riester für die Bundesregierung
für alle vorgeschlagen hat und den wir hier gegangen sind.
Das darauf muss man hinweisen stärkt übrigens auch
die Eigenverantwortung der Menschen. Wir fördern das,
indem wir in der Steuerreform die unteren Einkommen
besonders entlasten. Wir fördern das, indem wir eine steu-
erliche zusätzliche Förderung der Privatvorsorge gerade
für die kleineren Einkommen und für die Familien einge-
baut haben.
Meine Damen und Herren, ich will bei dieser Gele-
genheit auf ein anderes Thema im Zusammenhang mit der
Rentenversicherung hinweisen. Es ist ja nicht mehr wahr
ich rate auch, manche Schlacht der Vergangenheit da
nicht mehr zu schlagen , dass wir ein paritätisch, und
zwar halbparitätisch, finanziertes System in der Renten-
versicherung haben, das Arbeitgeber und Arbeitnehmer
gleichgewichtig finanzieren. Der Bundeszuschuss zur ge-
setzlichen Rentenversicherung steigt im nächsten Jahr auf
mehr als 140 Milliarden DM an. Anders gesagt: Ein Drit-
tel aller Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversiche-
rung sind inzwischen steuerfinanziert. Das heißt, der Steu-
erzahler ist längst der Dritte im Bunde. Die gesetzliche
Rentenversicherung wird von den Steuerzahlern, von den
beitragszahlenden Unternehmen und von den beitragszah-
lenden Arbeitnehmern, also drittelparitätisch, finanziert.
Diese Entwicklung ist im Übrigen vernünftig; denn es
ist falsch, die Sozialsysteme einseitig vom Faktor Arbeit
abhängig zu machen. Das belastet den Faktor Arbeit und
erhöht in den Betrieben den Druck, Arbeitsplätze wegzu-
rationalisieren. Darüber hinaus ist es für die Menschen
viel schwieriger, im Laufe ihres Lebens die Erwerbs-
biografien werden immer unterschiedlicher Teilzeit-
arbeitsverhältnisse einzugehen, wenn sie dafür über die
Höhe ihrer Rente bestraft werden. Wir brauchen eine stär-
kere Stabilisierung der Sozialsysteme, insbesondere der
Rentenversicherung ich komme auf die Gesundheits-
reform gleich zu sprechen , durch den Bundeshaushalt.
Was soll eigentlich der Streit um die Ökosteuer? Der
ganze Unterschied zwischen Ihnen und uns besteht darin,
dass Sie, um denselben Zweck wie wir zu erfüllen, die all-
gemeine Verbrauchsteuer erhöht haben, weil Ihnen sonst
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Bundesminister Hans Eichel
18237
die Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung auf
über 21 Prozent in den Wahlkampf 1998 hineingeplatzt
wäre. Wir haben Ihnen sogar dabei geholfen, das abzu-
wenden; denn eine solche Entwicklung wäre für Deutsch-
land schlimm gewesen.
Wir haben die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen
Prozentpunkt gemeinsam beschlossen. Das Geld, das da-
durch zusätzlich eingenommen wurde, wurde der gesetz-
lichen Rentenversicherung unmittelbar zugeführt, um den
Anstieg des Beitragssatzes in der Rentenversicherung auf
mehr als 21 Prozent zu verhindern.
Wir erheben es handelt sich um nichts anderes eine
spezielle Verbrauchsteuer. Sie können das ablehnen. Aber
der ideologische Krieg, den Sie um diese Frage entfesselt
haben, lohnt sich in überhaupt keiner Weise.
Nächster Punkt: Qualität der Staatsausgaben. Wir
haben ich muss das jetzt präzise sagen die Infrastruk-
turinvestitionen, was den Verkehr angeht, nicht nur er-
höht, sondern auch verstetigt. Man wird genau hinsehen
müssen, was im Haushalt unter Investitionen erscheint.
Es ist sehr unvernünftig, das Gesamtthema anders, als wir
es tun, zu handhaben. Wenn zum Beispiel Russland seine
Schulden nicht bezahlt und wir auf den Plan treten müs-
sen, wenn bestimmte Investitionen zu tätigen sind, dann
wird niemand diese Verwendung des Begriffs Investitio-
nen für vernünftig halten, auch wenn man um ihn nicht
herumkommt.
Lassen Sie uns einen Blick auf die Bauinvestitionen
werfen. Es ist richtig, die Investitionen im Bereich des
Hochbaus und des Wohnungsbaus zu reduzieren. So vor-
zugehen ist eine Konsequenz der alternden Gesellschaft.
Ich will Sie ganz ruhig auf eines hinweisen: Die Debatte
darüber, was die Schrumpfung der Anzahl der in Deutsch-
land lebenden Menschen für den öffentlichen und für den
privaten Kapitalstock bedeutet, wird irgendwann kom-
men. Jeder soll über diesen Sachverhalt einmal in aller
Stille nachdenken und überlegen, wie seine wirtschaftlich
begründete Position zum Thema Zuwanderung aussieht.
Wir investieren in den Verkehr. Wir haben mithilfe der
Zinsersparnisse, die wir durch die Schuldentilgung auf-
grund der Einnahmen durch die Versteigerung der UMTS-
Lizenzen erzielen konnten, ein kleines Konjunkturpro-
gramm, besser: ein Strukturprogramm, aufgelegt: dreimal
2,9 Milliarden DM, und zwar jeweils 2001, 2002 und
2003. Mit der LKW-Maut, die 2003 eingeführt wird, wird
das Anti-Stau-Programm finanziert.
Das bedeutet zusätzliche Einnahmen in Höhe von 7,5 Mil-
liarden DM.
Was den Aufbau Ost angeht, haben wir, genau wie es
unserer Politik entspricht, sozusagen eine ganz lange
Linie gezogen. Die ostdeutschen Länder wissen jetzt,
welche Finanzen ihnen bis 2020 zur Verfügung stehen,
nämlich 306 Milliarden DM. Davon sind allein 206 Mil-
liarden DM Sonderbundesergänzungszuweisungen.
Damit verbunden ist eine erhebliche Steigerung der Ei-
genverantwortung, der Gestaltungsmöglichkeiten der ost-
deutschen Länder. Bereits der Haushalt 2002 geht in diese
Richtung. Wir müssen noch im Gesetz über den Fi-
nanzausgleich realisieren, dass das Investitionsförde-
rungsgesetz die Dotierung liegt bei 6,6 Milliarden DM
um Sonderbundesergänzungszuweisungen erweitert wird.
Das heißt: bei demselben Geld mehr Eigenverantwortung
der Länder; das haben sie gewollt. Deshalb wollten sie sel-
ber ihre Fortschrittsberichte vorlegen; das war nicht unsere
Idee. Diese Idee hatten die ostdeutschen Länder selber. Ich
finde das sehr gut. Vielleicht da stimme ich Herrn Kol-
legen Biedenkopf zu überlegt sich manches westdeut-
sche Land, ob es sich daran nicht ein Beispiel nehmen
könnte. Damit ziehen wir langfristige Linien und schaffen
auf lange Sicht Planungssicherheit.
Der nächste Punkt ist die Energiewende: weg vom Öl.
Ich weiß sehr wohl, dass das Thema zurzeit nicht sonder-
lich Konjunktur hat. Aber wer sich einmal ernsthaft mit
den Fragen des Weltklimas und den Konsequenzen, die
Änderungen haben, beschäftigt und sich nur einen Mo-
ment überlegt, was es für diese Welt bedeutet, wenn sich
die Erde weiter erwärmt, wenn die Meeresspiegel steigen
man schaue sich einmal an, welche Küstenregionen zu-
erst überschwemmt werden und von wo die Menschen
zuerst flüchten müssen , der kann sich eine solche Ent-
wicklung für unsere Kinder und Enkel nicht wünschen.
Es mag zwar nicht alles populär sein, aber wir sind
auch nicht dazu da, nur populäre Dinge zu verkünden,
sondern die, die wir nach unserem besten Wissen und
Gewissen für die Zukunft dieses Landes als notwendig
ansehen.
Die Politik des Klimaschutzes und Maßnahmen, die uns
weg vom Öl führen, sind zwingend notwendig, übrigens
auch, um uns von den weltwirtschaftlichen Fährnissen, den
erratisch hin- und herschwankenden Ölpreisen ein
Stückchen unabhängiger zu machen. Hierzu finden Sie eine
Reihe von Positionen im Haushalt: das 100 000-Dächer-
Programm, um erneuerbare Energien einzuführen, Wärme-
dämmung an Gebäuden dreimal 400 Millionen DM in
diesen drei Jahren, also auch im Haushalt 2002 , die
Energieforschung, das Stromeinspeisegesetz außerhalb des
Haushaltes und viele andere Elemente mehr. Diese Politik
müssen wir auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
konsequent fortsetzen, egal, mit welchen Instrumenten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18238
Nun zur Agrarwende: von der Quantität zur Qualität.
Ja, meine Damen und Herren, ich akzeptiere vorüberge-
hend auch Mehrausgaben, weil es schwierig ist, diesen
Sektor umzubauen. Eines muss aber ganz klar sein: Die
Zukunft liegt nicht in mehr, sondern in weniger Agrarsub-
ventionen. Das gilt sowohl für den Haushalt der Europä-
ischen Union wie für den Bundeshaushalt und wahr-
scheinlich auch die Haushalte der Länder.
Hierfür gibt es viele Gründe: Wenn wir das nicht in den
Blick nehmen, wird die EU-Osterweiterung eine bittere
Belastung für unseren Haushalt und kann nicht finanziert
werden. Wenn wir das nicht in den Blick nehmen, werden
wir auch die nächste Welthandelsrunde nicht bestehen.
Im Übrigen stellt es gegenüber den Dritte-Welt-Ländern
auch ein Stück Betrug dar, auf der einen Seite unsere
Märkte für sie zu versperren und auf der anderen Seite un-
sere hoch subventionierten Produkte in Konkurrenz zu
ihren Produkten auf den Weltmarkt zu drücken. Wenn man
dazu sagt, dann müssen wir denen auch Subventionen ge-
ben, indem wir die Entwicklungshilfe erhöhen, kann ich
das verstehen, aber als Finanzminister muss ich sagen: Um-
gekehrt wird ein Schuh daraus. Wir müssen die Märkte öff-
nen, die Subventionen herunterfahren und den Entwick-
lungsländern die Chance geben, selber Geld auf den
Weltmärkten zu verdienen. Das wäre ein vernünftiger Weg.
Ihre Vorschläge zum Haushalt ich komme darauf be-
inhalten jedoch genau das Gegenteil.
Unsere Politik hat sich ja ausgezahlt. Im Moment geht
es leider mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit nicht mehr
voran, wenn ich mir die konjunkturelle Lage ansehe. Das
ist wahr. Schauen wir doch einmal, was in den Jahren nach
der Wiedervereinigung, als Sie regierten, und was in de-
nen, als wir regierten, geschehen ist.
Ich will dabei nicht sagen, dass das alles auf unsere Poli-
tik zurückzuführen ist, aber auch auf unsere Politik. In den
Jahren 1999, 2000 und bis dato in diesem Jahr ist die Zahl
der Erwerbstätigen, die der Arbeitnehmer übrigens auch,
um 1,2 Millionen gestiegen.
In den Jahren 1991 bis 1998 ist sie um 1,14 Millionen ge-
sunken. Das war Ihre Bilanz.
Wir haben in zwei Jahren so viele neue Arbeitsplätze in
Deutschland geschaffen, wie in den acht vorherigen Jah-
ren verloren gegangen sind.
Ihre Mär das wird daran schon deutlich , das hätte
etwas mit der demographischen Entwicklung zu tun, weil
mehr Leute aus dem Erwerbsleben ausschieden als neu
hinzukämen, ist völlig falsch. Denn die Arbeitslosenzah-
len sind von 1998 bis 2001 nur um 466 000 gesunken. Das
heißt, es findet ein ganz anderer Vorgang statt. Es ist ein
erheblicher Zugang von erwerbsfähigen Personen an den
Arbeitsmarkt zu verzeichnen. Diesen Arbeitsmarktzu-
gang werden wir auch weiterhin brauchen; das war vorhin
der Hintergrund meines Hinweises auf die Kinderbetreu-
ung. In den Jahren ab etwa 2007 wird unübersehbar deut-
lich werden, dass wir alle Menschen am Arbeitsmarkt
brauchen, auch die Frauen. Herr Braun, der Präsident des
Deutschen Industrie- und Handelskammertages, hat das
sehr genau verstanden. Wenn die Zahl der Erwerbsfähigen
altersbedingt geringer wird, müssen wir alle Reserven
ausschöpfen und den Frauen den Weg in die Arbeit öffnen,
soweit sie ihn noch nicht gefunden haben.
Meine Damen und Herren, es gibt ein paar deutsche
Sondersituationen, auf die ich ausdrücklich hinweisen
möchte. Daher kritisiere ich Sie auch nicht für den Abbau
der Erwerbstätigkeit in Ihrer Regierungszeit. Schließlich
war der erste große Abbau durch den Zusammenbruch der
nicht wettbewerbsfähigen Industrie in der früheren DDR
bedingt. Dies halte ich nur als Sachverhalt fest. In diesem
Bereich bauen wir mühsam wieder auf. Das Zweite sind
die Überkapazitäten am Bau, die reduziert werden müssen.
Diese Überkapazitäten sind allerdings durch eine falsche
Politik in der ersten Hälfte der 90er-Jahre entstanden.
Das wissen Sie selbst ganz genau; Sie haben diese falsche
Politik nur viel zu spät beendet. Das Dritte sind die Über-
kapazitäten im öffentlichen Dienst. Das ist auch ein Erbe
der alten DDR. Wir wissen, dass es dort versteckte Ar-
beitslosigkeit gab und dass die dortige Arbeitsmarktpoli-
tik unvernünftig war. Das hat dann auch Einfluss auf
unsere Konjunktur, während auf der anderen Seite
Deutschland beim Aufbau von Arbeitsplätzen im Dienst-
leistungsbereich vor den anderen großen Ländern Euro-
pas wie Frankreich und Italien steht; nur das eine oder an-
dere kleine Land ist hier noch ein bisschen besser.
Die Arbeitsmarktpolitik wollen wir auch angesichts
der gegenwärtigen konjunkturellen Eintrübung, die einen
weiteren Beschäftigungsaufbau im Moment in der Tat ge-
stoppt hat, verstetigen. Das Job-Aqtiv-Gesetz, das Herr
Kollege Riester vorlegt, ist ein positiver Beitrag zu dieser
Entwicklung, ebenso die weitere rechtliche Ausgestaltung
der Leiharbeit.
Das wird am Arbeitsmarkt hilfreich sein, aber die kon-
junkturelle Abschwächung natürlich nicht ausgleichen
können.
Wie sehr Deutschland durch diese Politik gewonnen
hat, mache ich noch an einem einzigen Beispiel deutlich:
Während zu Ihrer Regierungszeit in den 90er-Jahren aus-
ländische Investitionen in der Regel einen großen Bogen
um Deutschland gemacht haben
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18239
im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit waren es 40 Milli-
arden DM an Direktinvestitionen; das war schon ein An-
stieg , betrugen sie im Jahre 1999, dem ersten Jahr unse-
rer Regierungszeit, netto 100 Milliarden DM. Im Jahr
2000 sind die ausländischen Direktinvestitionen auf netto
400 Milliarden DM gestiegen. Das ist ein Erfolg der Po-
litik dieser Bundesregierung, die ich Ihnen eben darge-
stellt habe.
Meine Damen und Herren, es ist ja nicht zu leugnen,
dass es angesichts der Konjunkturentwicklung Risiken
für unseren Haushalt gibt. Der Haushalt für das Jahr 2001
ist im Wesentlichen im Plan. Es gibt ein paar Risiken, aber
ich sage ganz ausdrücklich: Die konjunkturell bedingten
Steuermindereinnahmen, die wir auch im Vergleich zur
Mai-Steuerschätzung noch haben werden das werden
wir im November wissen , und die Mehrausgaben für
den Arbeitsmarkt können mit einer Reihe anderer Maß-
nahmen saldiert werden. Wenn wir uns ordentlich an-
strengen, kann der Weg der Verringerung der Nettokredit-
aufnahme am Ende, also der Weg aus der Schuldenfalle,
auch in diesem Jahr konsequent gegangen werden.
Einzuschätzen sind die Risiken und Chancen für den
Haushaltsplanentwurf 2002. Nun wundert mich, dass von
Ihnen plötzlich manches infrage gestellt wird, was Sie
16 Jahre lang vernünftig praktiziert haben. Dreimal im
Jahr erarbeitet die Bundesregierung eine Konjunktur-
prognose: zum Jahreswirtschaftsbericht, zur Steuerschät-
zung im Mai, auf deren Basis die Bundesregierung den
Haushaltsplanentwurf für das folgende Jahr aufbaut, und
zur Steuerschätzung im November, also rechtzeitig zur Be-
reinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Deut-
schen Bundestages, damit wir die Chance haben, auch die
jeweils neuesten Daten in unsere Haushaltspolitik ein-
zubeziehen. Alles andere macht keinen Sinn. Deswegen
will ich jetzt auch nicht über einzelne Zahlen spekulieren,
sondern wir werden die November-Steuerschätzung ab-
warten und deren Ergebnisse dann in unseren Beratungen
berücksichtigen.
Klar ist nach dem gegenwärtigen Stand Folgendes:
Wenn wir in diesem Jahr die im Mai vorausgesehenen
2,25 Prozent Wirtschaftswachstum wir lagen damals
eher am unteren Ende des Prognosespektrums nicht er-
reichen werden, werden sich daraus aller Voraussicht nach
Steuermindereinnahmen und Konsequenzen bezüglich
der Ausgaben für den Arbeitsmarkt ergeben. Egal, wie das
Jahr 2002 läuft, ob wir also das von uns prognostizierte
Wachstum erreichen werden oder nicht wir liegen jetzt
in der Mitte des Prognosespektrums , werden wir einen
Basiseffekt aus diesem Jahr haben, den wir in den
Haushaltsplanberatungen im November einzustellen ha-
ben werden.
Meine Damen und Herren, wir haben einige andere
Probleme zu berücksichtigen. Weil die Länder anders
nicht für dessen Erhöhung zu gewinnen waren, kostet uns
das Kindergeld 2 Milliarden DM mehr, als wir in den
Haushaltsplan eingestellt hatten; wir müssen nämlich
0,65 Prozentpunkte der Mehrwertsteuereinnahmen an die
Länder abtreten. Diese 2 Milliarden DM müssen im Laufe
der Beratungen in den Haushalt eingestellt werden. Die
Bundesregierung wird sich an diesen Beratungen natür-
lich mit sehr präzisen Vorschlägen beteiligen.
Das heißt für den Haushaltsausschuss darum will ich
nicht einen Moment herumreden , dass er eine sehr
schwierige Aufgabe vor sich hat. Ich bin sehr dankbar,
dass die Haushälter beider Koalitionsfraktionen klar zum
Ausdruck gebracht haben, sie wollten den Kurs der Ver-
ringerung der Nettokreditaufnahme, wie im Som-
mer 1999 beschlossen, planmäßig fortsetzen, und dass
dieser Kurs von beiden Koalitionsfraktionen getragen
wird.
Was wäre das für eine Situation, wenn wir so kurz nach
Einleitung des Konsolidierungskurses schon wieder ins
Stottern gerieten? Das ist ja der Weg, den Sie uns vor-
schlagen.
Nein, meine Damen und Herren, das wird harte Arbeit
sein, das werden weitaus schwierigere Beratungen als im
vergangenen Jahr sein. Im vergangenen Jahr haben wir
Erhöhungen der Ausgaben ich erinnere an die
Zwangsarbeiterstiftung im Haushalt angesichts der
Konjunkturentwicklung, die uns Mehreinnahmen ge-
bracht und Minderausgaben bewirkt hat, auffangen kön-
nen. Das alles können wir dieses Jahr nicht. Die Haus-
haltsberatungen werden ein sehr schwieriger Prozess
werden. Es wäre völlig unsinnig, auch nur einen Moment
darum herumzureden.
Ich will bei dieser Gelegenheit auch deutlich machen,
dass wir natürlich darauf achten werden, dass sich die Eu-
ropäische Union gegenwärtig erhalten wir jedes Jahr
Rückflüsse ähnlich wie die nationalen Regierungen ver-
hält. Ich halte es für richtig, wenn wir aus Brüssel ermahnt
werden, den Konsolidierungskurs nicht zu verlassen. Es
kann aber nicht so sein, dass das für den Haushalt der Eu-
ropäischen Union nicht gilt. Der Haushalt der Europä-
ischen Union muss an denselben Maßstäben gemessen
werden wie die Haushalte der Mitgliedstaaten der Eu-
ropäischen Union.
Ich will eine andere, möglicherweise nicht ganz be-
queme Aussage treffen: Europa heißt aus meiner Sicht
nicht, dass wir über jeder bereits vorhandene Verwal-
tungsebene eine weitere errichten, dass wir auf Steuern,
die wir schon haben, immer noch weitere Steuern drauf-
satteln. Das Geld, das wir in Europa ausgeben, ist auch
unser Geld. Wenn wir mehr an Kompetenzen nach Brüs-
sel verlagern, dann heißt das auch, dass die nationalen
Haushalte darauf reagieren müssen. Das ist nicht ganz
einfach; das weiß ich wohl. Aber ein Europa, das von den
Bürgern als ein ständiges Steuererhöhungsprogramm
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18240
empfunden wird, wird bei den Menschen nicht populär
sein.
Deswegen werden wir in der jeweiligen nationalen Haus-
haltspolitik Konsequenzen zu ziehen haben.
Nun komme ich zu den Vorschlägen der Opposition;
sie sind ja hoch spannend.
Muss man da so genau unterscheiden? Das müssen Sie
wissen.
Ich möchte einige volkswirtschaftliche Überlegungen in
Bezug auf das Verhältnis von Haushalt und Konjunktur-
steuerung ansprechen. Zuerst muss man sich fragen, wo-
durch die konjunkturelle Abkühlung begründet ist. Dazu
gibt es außer von Ihren eigenen Konjunkturexperten eine
völlig einvernehmliche Position vom Internationalen
Währungsfonds über die OECD bis zu den wirtschaftswis-
senschaftlichen Instituten. Zum einen war diese Abkühlung
durch den Ölpreis bedingt. Deswegen müssen wir weg von
der Abhängigkeit vom Öl. Das ist aber kein neues Wissen.
Zweitens lag dies am Ende eines langen Konjunktur-
booms in den Vereinigten Staaten.
Das sind die beiden wesentlichen Gründe für die mas-
sive Abschwächung des Wachstums in der Weltwirtschaft.
Japan nenne ich bewusst nicht, weil Japan schon seit ein
paar Jahren große Probleme hat und als ein besonderer
Motor der Weltwirtschaft ausgefallen ist. Das ist übrigens
genau die Position, die Horst Köhler Sie kennen ihn ja
noch gut genug , der Managing Director des Internatio-
nalen Währungsfonds, vertritt. Wir haben gestern noch
darüber geredet.
Wenn das so ist, muss man sich auch klarmachen, was
es für nationale Handlungsmöglichkeiten gibt. Es ist
zunächst einmal zu sagen, dass eine Konjunktursteu-
erung durch nationale Haushalte in Zeiten des europä-
ischen Binnenmarktes und globalisierter Märkte völlig
wirkungslos ist.
Das kann man am Beispiel Japan erkennen. Dort gibt es
eine Einheit von Markt und Währungsgebiet. Trotzdem
versuchen die Japaner seit Jahren, leider beraten durch die
amerikanische Regierung, ihre Wirtschaft durch gewal-
tige Konjunkturprogramme wieder voranzubringen. Das
Ergebnis ist, dass sie sich in einer Rezession befinden und
dass sie eine Staatsverschuldung aufgebaut haben, die
2,5-mal so hoch ist wie die deutsche.
Angesichts der Tatsache, dass die japanische Gesellschaft
auch noch viel größere Probleme hinsichtlich ihres Alters-
aufbaus hat als wir, möchte man dort wirklich kein Fi-
nanzminister sein. Eine Konjunktursteuerung scheidet
also aus.
Die Steuerreform 2001, die wir übrigens nicht
aus konjunkturellen, sondern aus strukturellen Gründen
durchgeführt haben, kommt allerdings aus konjunk-
turellen Gründen wie gerufen. Noch im Herbst des ver-
gangenen Jahres begann in Brüssel die Diskussion da-
rüber, dass die Steuerreform prozyklische Finanzpolitik
sei und dass wir sie eventuell verschieben sollten. Davon
redet keiner mehr. Wer jetzt aber glaubt, durch Vorziehen
der Steuerreform etwas erreichen zu können, wer glaubt,
eine zusätzliche Entlastung von 15 Milliarden bzw.
13 Milliarden DM durch ein Vorziehen der Steuerreform
von 2003 auf 2001 brächte es, der hat volkswirtschaftlich
wirklich nichts verstanden.
Das Entscheidende ist: Weil der Staat die Konjunktur
nicht steuern kann, da sie von zu vielen Faktoren beein-
flusst wird, muss er verlässliche Rahmenbedingungen
setzen, mit denen die Bürger genauso wie die Unterneh-
men rechnen können. Auf der einen Seite müssen also der
Konsolidierungskurs er ist mittelfristig angelegt: bis
2006 ein ausgeglichener Haushalt und dann der Beginn
des Abbaus der Staatsverschuldung und auf der anderen
Seite der Steuerkurs, der ebenfalls über zwei Wahlperi-
oden angelegt ist, berechenbar sein und durchgehalten
werden. Wir müssen in diesem Punkt noch besser werden.
Im Staatshaushalt müssen Investitionen berücksichtigt
werden, mit denen die Zukunftsfähigkeit gestärkt wird. Es
ist natürlich völlig unsinnig, Bildungsausgaben von der
Konjunktur abhängig zu machen. Diese Ausgaben fallen
in jedem Fall an.
Auch die Ausgaben für den Ausbau der Infrastruktur dür-
fen nicht von der Konjunktur abhängig sein. Ein Ausbau
der Infrastruktur wird in jedem Fall gebraucht.
Träger des Wachstums sind die Wirtschaftssubjekte
wie Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger, also die
Konsumenten. Es gibt keinen Grund für Pessimismus, da
mit sinkender Inflationsrate immer deutlicher sichtbar
wird, wie viel Geld die Steuerreform den Bürgerinnen und
Bürgern in der Tasche lässt. Ich sage ausdrücklich, dass
sie dieses Geld ruhig ausgeben sollen. Das ist kon-
junkturell hilfreich.
Worauf es am Schluss ankommt, ist doch, dass Fiskalpo-
litik, Lohnpolitik und Geldpolitik spannungsfrei für inflati-
onsfreies Wachstum zusammenwirken. In diesem Zusam-
menhang danke ich der Europäischen Zentralbank
ausdrücklich für ihre Zinspolitik mit den Zinssenkungen.
Wenn wir beim Konsolidierungskurs nur einen Moment ge-
wackelt hätten, hätte die Europäische Zentralbank die Zin-
sen nicht gesenkt. Darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel.
Es hätte auch volkswirtschaftlich keinen Sinn gemacht.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
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Es zeugt von der großen Reife der deutschen Gewerk-
schaften, dass sie in dieser Phase langlaufende Tarifver-
träge abgeschlossen und bei der kurzfristigen Steigerung
der Inflationsrate keine Nachschlagsdiskussion geführt
haben. Auch das hat der Europäischen Zentralbank ge-
holfen, nun eine aktivere Rolle zu spielen. Damit wird
klar: Mit dieser Politik sind wir auf europäischer Ebene
eingebunden.
Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt,
den Sie während Ihrer Regierungszeit abgeschlossen ha-
ben, Herr Kollege Waigel, und der uns dazu verpflichtet,
mittelfristig zu ausgeglichenen Haushalten und zu Über-
schüssen zu kommen, ist die eine Bindung. Die sich da-
raus ergebende andere Bindung sind die jährlichen Stabi-
litätsprogramme bezüglich der Defizitziele, zu denen ich
mich ausdrücklich bekenne.
Ich habe darauf hingewiesen das war schon eine wun-
dersame Diskussion , dass neben den Defizitzielen, die
jährlich gelten, auch eine mittel- und langfristige Orien-
tierung der Haushaltspolitik über Ausgabenziele erforder-
lich ist. Diese Politik muss in den Konsolidierungsrahmen
passen, wie wir ihn mittelfristig mit 0,8 Prozent Wachs-
tum pro Jahr abgesteckt haben. Wer das Wachstum in die-
ser Höhe einplant, der plant auch die permanente
Staatsmodernisierung ein. Man braucht einen Fahrplan,
um unseren Staat moderner zu machen. Sonst kann man
dieses Ziel nicht erreichen.
Deswegen brauchen wir in Ergänzung zu den Defizit-
zielen die Ausgabenziele. Im Übrigen gibt es in diesem
Punkt völliges Einvernehmen mit dem zuständigen Kom-
missar wie auch mit dem Präsidenten der Europäischen
Zentralbank. Darüber hinaus gibt es die wirtschaftspoliti-
schen Leitlinien, mit denen jährlich in der Kommission
die Finanzminister verabschieden das dann die Linien
für die Finanz- und Wirtschaftspolitik aller Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union vorgegeben werden.
Lassen Sie mich bei der Gelegenheit das berühmte
Thema automatische Stabilisatoren ansprechen.
Richtig ist so werden wir es auch halten , dass man in
ein sich deutlich verlangsamendes Wirtschaftswachstum
nicht hineinbremsen soll, um die Probleme nicht zu ver-
schärfen. Aber das Problem ist, dass Deutschland aber
nicht nur Deutschland; Frankreich und Italien ebenfalls
mit seiner Haushaltskonsolidierung noch längst nicht so
weit ist wie viele andere, vor allem kleine Länder in der
Europäischen Union. Das bedauere ich sehr. Es wäre bes-
ser gewesen, wenn man schon ab 1996 eine Konsolidie-
rungspolitik eingeleitet hätte, anstatt verfassungswidrige
Haushalte zu verabschieden. Dann hätten wir es heute
eine Menge leichter.
Aber die Situation ist nun einmal so, wie sie ist. Und das
bedeutet, dass diejenigen, die noch nicht ausgeglichene
Haushalte erreicht haben, dann, wenn es schwieriger wird,
gefragt werden, ob sie die automatischen Stabilisatoren in
vollem Umfang wirksam werden lassen können. Ich sage
ganz ausdrücklich: Alles, was dem Arbeitsmarkt nutzt
alle Investitionen in Bildung, in Zukunftsfähigkeit ,
steht nach meiner Auffassung nicht zur Disposition. Aber
Konsumausgaben können sehr wohl gegen andere Kon-
sumausgaben ausgetauscht werden. Das muss möglich
sein. Dies wird unser Beitrag zur Glaubwürdigkeit unse-
rer Position in der Europäischen Union und zur Stärkung
der gemeinsamen Währung sein.
Wie hart die Koordinierung inzwischen ist, sehen
Sie daran, dass man Steuersenkungen, wie sie Herr
Berlusconi in Italien vorhatte, zwar vor der Wahl verspre-
chen, aber nach der Wahl nicht umsetzen kann, weil dies
die europäischen Vereinbarungen nicht zulassen. Italien
hätte sich in eine unerträgliche Situation begeben, wenn
es gegen den Europäischen Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt vorsätzlich verstoßen hätte. Gleiches gilt auch
für uns.
Damit bin ich bei den Vorschlägen, die Sie angesichts
dieser Lage machen. Es ist relativ einfach: Das, was Sie
zuverlässig können, schlagen Sie auch jetzt wieder vor,
nämlich Schulden zu machen. Das ist das Einzige, was Sie
zuverlässig können.
Das Paket Ihrer Bundestagsfraktion zum Haushalt bedeu-
tet Mehrausgaben bzw. Einnahmeverzicht in Höhe von
36,5 Milliarden DM.
Für ein Jahr, für das Jahr 2002! Ein solch gigantischer
Verstoß gegen den Europäischen Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt und gegen die volkswirtschaftliche Vernunft ist
aus meiner Sicht in der Tat fast nicht beratungsfähig. Aber
das müssen Sie sich selber überlegen.
Im Übrigen: Zu keinem einzigen Vorschlag gibt es bei
Ihnen eine gemeinsame Meinung. Wenn es um das Vor-
ziehen der Steuerreform geht, sind die Ministerpräsi-
denten aus München und Wiesbaden ganz forsch. Aber
die Finanzminister aus Hessen oder Baden-Württemberg
sehen das ganz anders. Die nämlich sagen: Das geht über-
haupt nicht. Ich bin daher sehr gespannt, ob eine Lan-
desregierung im Bundesrat einen solchen Antrag stellt.
Sie können solche Anträge hier doch nur deshalb stellen,
weil die Ablehnung gesichert ist.
Aber das merken die Menschen im Lande. Glauben Sie
nicht, dass Ihnen das jemand abnimmt!
Ihre Steuerreform, wie sie im Papier von Frau Kollegin
Merkel zur neuen sozialen Marktwirtschaft veran-
kert ist,
würde einen Einnahmeausfall in Höhe von 175 Milliarden
DM bedeuten. Dafür gibt es in der Tat nur eine einzige Be-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
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schreibung da hat Herr Faltlhauser Recht : Das ist ein
Gag.
Mehrausgaben wollen Sie natürlich im Bereich der
Bundeswehr. Meine Damen und Herren, da wäre ich an
Ihrer Stelle vorsichtig! Sie haben Herrn Kollegen
Scharping bei der Bundeswehr eine Bruchbaustelle hin-
terlassen.
Sich angesichts dessen jetzt so aufzuführen ist wirklich
verantwortungslos.
Wir haben uns, unter Vereinbarung vieler Ausnahmen und
in Bündelung aller Kräfte, auf einen mittelfristigen Pla-
fond bis 2006 verständigt.
Wir haben uns weiterhin darauf verständigt, eine Fülle
von neuen Möglichkeiten betriebswirtschaftlicher Art und
neue Steuerungsinstrumente zu schaffen. Da hat der Kol-
lege Scharping eine Riesenaufgabe vor sich, um die ich
ihn nicht beneide.
Denn so wie Sie die Bundeswehr geführt haben, zeigt,
dass es Ihnen offensichtlich völlig egal war, was sie mit
dem Geld gemacht hat. So kann man eine solch große
Organisation nicht führen.
Allerdings wird es auch darüber besteht völlige
Einigkeit Schattenhaushalte, wie Sie sie gehabt haben,
nicht wieder geben.
Die Ausgaben für den Mazedonien-Einsatz sind mir
nicht schwer gefallen. Um deutlich zu machen, wie sich
unsere auswärtige Politik, in Geld ausgedrückt, darstellt:
Wenn wir eine so große Verantwortung für den Frieden in
Europa übernehmen und deutsche Soldaten nach Maze-
donien schicken, dann ist es doch völlig klar, dass auch al-
les für ihre Sicherheit Erforderliche getan werden muss.
Eine andere Antwort kann es darauf nicht geben.
Um das, vielleicht auch für die kommenden Debatten,
deutlich zu machen: Es ist richtig, dass der militärische
Beitrag der Bundesrepublik Deutschland verglichen mit
dem Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten
Staaten geringer ist. Das war zu Ihrer Zeit im Prinzip übri-
gens nicht anders
und das hat, ob man das fortführen will oder nicht, Tradi-
tion in Deutschland. Das ist in Japan ähnlich. Aber es gibt
kein Land auf der Erde, das sich im internationalen Be-
reich insgesamt so mustergültig bewegt wie wir. Wir sind
nach den USA und Japan der größte Zahler der Vereinten
Nationen und wir sind sogar ein pünktlicher und zuver-
lässiger Zahler, wenn Sie verstehen, was ich mit dieser
Anspielung meine.
Wir sind im Bereich der Entwicklungshilfe längst nicht
bei den 0,7 Prozent,
aber wir sind im Vergleich der großen Nationen, der G 7,
ganz vorne, weil andere es vorziehen, sehr viel mehr fürs
Militär und sehr viel weniger für die Entwicklungshilfe zu
tun.
Hinsichtlich des Schuldenerlasses gibt es in der OECD
nur ein einziges Land, das für die schwächsten Länder
dieser Erde mehr tut als Deutschland. Niemand tut so viel
für den Balkan, für die mittel- und osteuropäischen
Reformstaaten, für Russland und für das Zusammen-
wachsen Europas in der Europäischen Union wie wir. Un-
sere Beiträge für den internationalen Bereich machen ins-
gesamt rund 24 Prozent unseres Haushaltes aus. Schauen
Sie sich dazu einmal die Haushalte der anderen Nationen
an. Die Mischung ist anders. Unser Beitrag für den Frie-
den auf diesem Kontinent und auf der Erde ist aber wirk-
lich gewaltig.
Im Zusammenhang mit den Kosten will ich noch auf
zwei Dinge hinweisen. Frau Kollegin Schmidt beneide
ich nicht um die vor ihr liegende Aufgabe.
Es lag bei Ihnen. Wir haben die schwierigen, streitigen
Themen bereits am Anfang der Wahlperiode auf den Tisch
dieses Hauses gelegt.
Die Gesundheitsreform, die deutlich zur Kostendämp-
fung beigetragen hätte, ist an Ihrer destruktiven Mehrheit
im Bundesrat gescheitert. Das ist die Grundlage, von der
wir heute ausgehen müssen.
Deswegen kann man Frau Kollegin Schmidt um die Auf-
gabe, diese Probleme zu lösen, weiß Gott nicht beneiden.
Wir sind uns einig darin ich sage das mit aller Klar-
heit : Ein System, das, wie der internationale Vergleich
zeigt, in Europa weder zu den besonders kostengünstigen
noch zu den besonders effizienten gehört, muss sich seine
eigenen Effizienzreserven erschließen und kann nicht auf
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18243
Steuersubventionen rechnen. Auch das muss klar gesagt
werden.
Da in Berlin Wahlkampf ist, sage ich auch nach ei-
nem Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister :
Wer glaubt, dass die Berliner um die Lösung der Pro-
bleme, die Sie aufgehäuft haben und deretwegen es Neu-
wahlen in Berlin geben muss, mit riesigen Subventionen
aus den Haushalten des Bundes und der Länder herum-
kommen, der täuscht sich; er geht genau den alten, be-
quemen Weg weiter, der aber nicht zum Ziele führen wird.
Auch der neue Senat sieht das anders. Ich sage klar:
Wir bekennen uns zur Hauptstadt. Im Haushalt 2002 ste-
hen allein 820 Millionen DM für Berlin. Den größten Teil
des Wiederaufbaus der Museumsinsel finanziert inzwi-
schen der Bund. Auch das Jüdische Museum, das am
Sonntag eingeweiht worden ist, ist eine Bundeseinrich-
tung. Ich finde das richtig. Wir werden weiter darüber im
Gespräch bleiben, wie wir als Deutsche insgesamt unsere
Verantwortung für die deutsche Hauptstadt sehen.
Wir werden alles tun, was vernünftig und möglich ist.
Zum Schluss zu den Vorschlägen der CDU/CSU vor
dem Hintergrund des Europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspaktes. Die letzten Wochen waren ein Trau-
erspiel: Kollege Waigel glaubt, er könne mir nachweisen,
ich sei für eine Aufweichung der Ziele. Das ist ziemlich
unsinnig; denn ich setze seine Praxis bezüglich der Aus-
gabenziele fort. Aber ein Unterschied besteht: Unsere
Ausgabenziele sind ehrgeiziger.
Spannend finde ich Folgendes: Außer dem früheren
Finanzminister steigt kein Mensch aus Ihren Reihen in
dieses Thema ein.
Sie scheinen sich von der europäischen Stabilitätskultur
völlig verabschiedet zu haben. Das ist ja auch logisch;
denn Sie können ja nicht für den Europäischen Stabilitäts-
und Wachstumspakt eintreten. Sie versuchen mir an-
zuhängen, ich wolle ihn aufweichen.
Gleichzeitig aber machen Sie Haushaltsvorschläge, die
ein massives Abweichen vom Europäischen Stabilitäts-
und Wachstumspakt bedeuten.
Wie Sie in diesem Bereich Ihre Positionen gewechselt ha-
ben, zeigt, dass Sie nicht europafähig sind. Dieser Bereich
ist nicht das einzige Beispiel dafür.
Damit es ganz klar ist: Die Reformpolitik geht weiter,
und zwar auf dem Arbeitsmarkt mit dem Job-Aqtiv-Gesetz
und den Regelungen zur Leiharbeit, in der Gesundheitspo-
litik in dieser und vor allem in der nächsten Wahlperiode,
mit der Förderung des deutschen Finanzmarktes bzw.
mit seinem Einbau in den gemeinsamen europäischen
Finanzmarkt noch in diesem Herbst im Rahmen des Vier-
ten Finanzmarktförderungsgesetzes, mit dem die Stär-
kung des Anlegerschutzes und die Verbesserung der Mög-
lichkeiten der Börse erreicht werden sollen, mit der
Allfinanzaufsicht und damit der Stärkung der Aufsicht
über die verschiedenen Finanzmärkte, mit der Zusam-
menführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, wie es
Kollege Riester angekündigt hat
das wird eines der großen Themen gleich am Anfang der
nächsten Wahlperiode des Deutschen Bundestages sein ,
mit der Fortsetzung der Modernisierung des Unterneh-
mensteuerrechtes, das in der nächsten Wahlperiode einen
großen Schwerpunkt bilden wird, mit der Gemeinde-
finanzreform,
mit der Revitalisierung des Föderalismus, also einer bes-
seren Aufgabenabgrenzung und einer klareren Regelung
der Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern,
und mit der nationalen Deregulierung der Gütermärkte,
um einheitliche europäische Regeln zu schaffen.
Damit sind wir bei einem zentralen Thema: Wir kom-
men weiter, wenn wir einerseits aus der Ölabhängigkeit
herauskommen und andererseits Europa stärken. Der
europäische Binnenmarkt und auch die Osterweite-
rung, wenn sie richtig durchgeführt wird ist ein Wachs-
tumsprogramm für die Wirtschaft in Europa.
Wir werden ein Stück weit unsere Abhängigkeit von
den Vereinigten Staaten reduzieren, wenn wir Europa stär-
ken natürlich nicht gegen andere und die vorhandenen
Fähigkeiten ausbauen. Angesichts mancher Töne, die Sie
in den derzeitigen Wahlkampf eingeführt haben, sollten
Sie sich überlegen, ob dies irgendetwas mit der Zukunft
dieses Landes zu tun hat. Wir müssen europafähig sein.
Sie von der CDU/CSU waren doch einmal die große
Europapartei, was ich gut fand. Bleiben Sie es! Überlegen
Sie sich sehr gut, was Sie tun!
Meine Damen und Herren, wir jedenfalls bleiben auf
Kurs:
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Bundesminister Hans Eichel
18244
Wir setzen uns für eine langfristig angelegte, berechen-
bare Finanzpolitik ein und wollen aus der Schuldenfalle
heraus. Wir sind für beschäftigungsfreundliche und
wachstumsfördernde Steuern und Abgaben, für öffentli-
che Haushalte, die nicht für vergangene Schulden auf-
kommen müssen, sondern die zukünftigen Wohlstand be-
zahlen und zuverlässig und ohne jedes Schwanken
in die europäische Solidarität eingebunden sind.
Ganz zum Schluss sage ich Ihnen: Sie sollten einem be-
kennenden konservativen Finanzminister folgen:
Der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch
schwankend gesinnt ist, der vermehret das Übel und
breitet es weiter und weiter. Wer aber fest auf dem
Sinne beharrt, der bildet die Welt sich.
Das sagte Johann Wolfgang von Goethe, konservativer
Finanzminister in Weimar.
Auf diese Weise bringen wir Deutschland voran. Ich bitte
Sie um Ihre Unterstützung.