Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte
mit einer nüchternen Zahl beginnen und damit der derzei-
tigen Stimmung in unserer Gesellschaft, in der Kassandra
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Dr. Günter Rexrodt
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Konjunktur hat, einige Fakten entgegenhalten. Ich kann
Ihnen verkünden, dass die Steuereinnahmen des Bun-
des zum Stand Ende August dieses Jahres um 400 Milli-
onen DM höher lagen als zum vergleichbaren Zeitpunkt
des Vorjahres und damit aus heutiger Perspektive eine
gute Chance besteht, dass der Bundeshaushalt dieses Jahr
nicht unter starken Steuerausfällen leidet, wie es in Hor-
rorszenarien dargestellt wird.
In diesem Jahr sind keine konjunkturbedingten Steuer-
ausfälle zu konstatieren, sondern nur solche aufgrund un-
serer Steuerreform, die den Bürgern und der Wirtschaft
zugute kommt. Das ist für mich als Haushälter ein gutes
Zeichen.
Je länger ich dem Parlament angehöre, umso mehr
denke ich, dass ich in der Vorbereitung auf eine solche
Rede nur zu lesen brauche, was die Kollegen Austermann
und Rexrodt im vorangegangenen Jahr gesagt haben,
denn die Argumente wiederholen sich.
Da das Gedächtnis der Menschen kurz ist, eine kurze
Replik in Zahlen, um zu zeigen, dass man Äpfel mit Äp-
feln vergleichen muss und nicht Äpfel mit Birnen.
Wenn ich mir das ist vor allem an Ihre Adresse ge-
richtet, Kollege Austermann unsere Legislaturperiode
anschaue, stelle ich fest: Wir haben die Bundesschulden
in unserer Regierungszeit bis 2002 unter Einrechnung der
UMTS-Erlöse um 38,6 Milliarden Euro erhöht; das sind
5,2 Prozent mehr Schulden in den vier Jahren unserer Re-
gierungszeit als in den vier Jahren davor.
Ihre Regierung hat die Verschuldung des Bundes zwi-
schen 1995 und 1998 um 141 Milliarden Euro oder
23 Prozent erhöht. Da war die Wiedervereinigung kas-
senmäßig sozusagen längst bewältigt. Das zeigt die
tatsächliche Konsolidierungsleistung dieser Regierung.
Diese Konsolidierung hat mit Sicherheit einen Namen; er
lautet Hans Eichel.
Auch eine andere Aussage, Kollege Austermann, muss
man sich auf der Zunge zergehen lassen. In den vier Jah-
ren unserer Regierungszeit den Ist-Ergebnissen der letz-
ten zwei Jahre, dem Soll-Ansatz dieses Jahres und dem
Regierungsentwurf haben wir insgesamt 8 Milliar-
den Euro Privatisierungseinnahmen. Sie hatten in den
letzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit 14 Milliarden
Euro Privatisierungseinnahmen für den Bundeshaushalt.
Das ist ein Unterschied. Deshalb ist Ihre Behauptung, wir
hätten angesichts der Privatisierungseinnahmen unsere
Verschuldung künstlich heruntergerechnet, falsch. Umge-
kehrt wird ein Schuh daraus: Sie waren doch diejenigen,
die allein im Wahljahr 1998, 10 Milliarden Euro Privati-
sierungserlöse einstellen mussten, um den Haushalt ver-
fassungsgemäß zu halten. Das ist die Wahrheit; da beißt
die Maus keinen Faden ab.
Drittes Argument: 1998 mussten Sie die Ausgaben des
Bundes mit einer Kreditaufnahme in Höhe von 12 Pro-
zent der Gesamtausgaben finanzieren. Wenn Sie die Net-
tokreditaufnahme des kommenden Jahres in Höhe von
21,1 Milliarden Euro in Relation zu den Ausgaben des
Bundes setzen, dann stellen Sie fest, dass wir nächstes
Jahr nur noch eine Kreditaufnahme von 8,5 Prozent in Be-
zug auf die Gesamtausgaben brauchen. Das zeigt, dass
wir in den letzten Jahren auf dem Pfad der finanzpoliti-
schen Tugend in der Tat ein ganz erhebliches Stück vo-
rangekommen sind und dass die Behauptung: Rote und
Grüne können mit Geld umgehen
inzwischen in entsprechenden Veranstaltungen einen po-
sitiven Klang hat, selbst bei Wirtschaftskreisen, Herr
Rexrodt. Wenn ich mit Unternehmern gesprochen habe
Unternehmer wählen sicher eher die FDP als die Grünen
oder die SPD , dann habe ich sie gefragt, wobei ich von
ihnen eine ehrliche Reaktion verlangt habe: Hättet ihr er-
wartet, dass es die Koalition, die nach der politischen Far-
benlehre Mitte/links angesiedelt ist, in ihrer Regierungs-
zeit schafft, mit den Finanzen so umzugehen, dass wir von
der Verschuldung herunterkommen?
Die meisten sagen: Nein, das haben wir nicht erwartet
und sind positiv überrascht.
Wenn man dann gleichzeitig zur zweiten Leitplanke,
zur Steuersenkung die erste Leitplanke ist die Konso-
lidierung fragt: Hättet ihr als Unternehmer oder ihr als
Bürgerinnen und Bürger also, wohlgemerkt, Herr
Rexrodt, in Ihren Wahlmilieus, bei Gutsituierten und nicht
in der Unterschicht erwartet, dass die rot-grüne Koali-
tion im Rahmen ihrer Steuerpolitik den Grundfreibetrag
erhöht?, dann wird geantwortet, das habe man natürlich
erwartet.
Das haben wir getan. Wenn man fragt: Hättet ihr es er-
wartet, dass, wie es jetzt im Gesetzblatt steht, die Steuer-
sätze von 53 auf 42 Prozent im oberen Bereich und von
fast 26 auf 15 Prozent im unteren Bereich gesenkt wer-
den?, dann antworten sie: Nein, das hätten wir nicht er-
wartet. Beides erreichen wir mit weniger Schulden und
sinkender Steuerlast für die Bürgerinnen und Bürger. Das
muss klar sein.
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Oswald Metzger
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Kollege Rexrodt, ein weiterer Punkt dabei will ich
ehrlich sein; denn Sie haben es positiv formuliert : Die
jetzige Regierung, die eine große Volkspartei im Boot hat
Volksparteien fällt die Entscheidung zu einer solchen
Konzeption immer schwerer als kleinen Parteien; denn sie
haben eine viel breitere Schicht von Wählern zu vertre-
ten , hat es geschafft
das weiß ich, Kollege Poß , die Rentenreform mit dem
Einstieg in die Kapitaldeckung durchzuführen. Irgend-
wann in den nächsten Jahrzehnten wird man in den Anna-
len den Tag im Januar 2001, an dem dieses Parlament den
Einstieg in die kapitalgedeckte Rentenversicherung be-
schlossen hat, als einen ganz besonderen Tag vermerken.
Dies war eine Strukturreform, die möglicherweise bei-
spielgebend für andere Strukturreformen in dieser Gesell-
schaft ist, zum Beispiel für die anstehende im Gesund-
heitsbereich. Denn ohne diese Strukturreform, Kollege
Rexrodt, können wir die demographischen Probleme
unserer alternden Gesellschaft, aber auch die aller ande-
ren Industriestaaten in der Tat nicht schultern.
Das ist eine ganz einfache Botschaft.
Sie sollten sich diese Reformagenda einmal vor Au-
gen führen. Diesen Problemdruck haben Sie uns hinter-
lassen; das habe ich schon vor einem Jahr gesagt. Ich
finde es immer langweilig, die gleichen Reden zu halten.
Schon damals habe ich Ihnen gesagt: Sie haben 30 Jahre
lang regiert; die Schwarzen neben Ihnen haben 16 Jahre
regiert. Sie waren bei jeder Verschuldung dabei.
Von unter 100 Milliarden DM hinauf auf rund 1,5 Billio-
nen DM war die FDP 30 Jahre lang dabei. Sie waren die
ganze Zeit über dabei, als die Lohnnebenkosten um rund
16 Prozentpunkte gestiegen sind.
Ich kann es nicht mehr hören, dass die Liberalen sozusa-
gen der Hort einer angebotsorientierten und vernünftigen
Wirtschafts- und Finanzpolitik sind. Sie waren immer die-
jenigen, die die Backen aufgeblasen haben.
Herr Rexrodt, um es einmal deutlich zu sagen: Zwischen
1994 und 1998, damals in der Opposition, haben wir ich
war schon damals Sprecher unserer Fraktion bei der
Rente Reformen angemahnt. Die Kollegin Fischer in un-
serer Fraktion hat den demographischen Faktor mehr-
heitsfähig gemacht.
Das war eine Leistung. Unsere Partei hat ihr Konzept
übernommen. Es war wichtig, dass wir uns in der Oppo-
sitionszeit die Mühe gemacht haben, den Menschen nicht
wohlfeil nach dem Mund zu reden, sondern Konzepte an-
zubieten.
Die Politik, an Konzepten orientiert Finanzpolitik zu
machen, zahlt sich aus auch jetzt. Aus der ruhigen Hand
machen Karikaturisten eine zitternde Hand; das ist ab-
surd. Die langen Linien im Bereich der Finanzpolitik auf-
gezeigt, heißen: Staatsverschuldung heruntersetzen und
die Steuer- und Abgabenlast durch Strukturreformen, aber
teilweise auch durch eine Umfinanzierung reduzieren. Es
ist ein von der gesamten Wirtschaftwissenschaft an-
erkanntes Prinzip, dass man in der Sozialversicherung
aufgrund der demographischen Probleme nicht alles über
den Faktor Arbeit, also über Beiträge, machen kann, son-
dern man auch dort über Steuern gehen muss.
Der Finanzminister hat Ihnen von der Unionsfraktion
zu Recht vorgehalten, dass Sie damals mithilfe der Sozi-
aldemokraten über die Mehrwertsteuer gemacht haben,
was wir jetzt mit einer Verbrauchsteuer auf Energie ma-
chen. Ich sage Ihnen eines: Dem Konsumenten ist es lie-
ber, die Chance zu haben, einer steuerlichen Belastung
durch sein Verhalten auszuweichen, als wenn die Mehr-
wertsteuer erhöht wird. Was macht der Durchschnittsbür-
ger bei einer Mehrwertsteuererhöhung? Er muss sie
schlucken oder schwarz einkaufen.
Das ist die einzige Antwort auf die Umfinanzierung. Des-
halb gilt: Bleiben Sie auf dem Teppich und denken Sie
daran, dass die finanz- und wirtschaftspolitischen Grund-
ausrichtung dieser Regierung bisher deutlich besser ist,
als viele in unserer Gesellschaft erwartet haben, was an-
gesichts der aktuellen weltwirtschaftlichen und speziell
der deutschen ich will nicht darum herumreden Situa-
tion nötig ist.
Wir hatten keine Rezession im Sinne der Definition der
Volkswirtschaft, aber wir hatten im zweiten Quartal die-
ses Jahres ein bescheidendes Wachstum über der Null-
linie. Der private Verbrauch hat dieses Wachstum in
Deutschland getragen. Das wissen Sie. Auch uns hat es
überrascht auch darauf hat der Finanzminister hinge-
wiesen , dass der private Konsum die Konjunktur in die-
sem Jahr trotz einer Inflation, die ihren Buckel im Mai bei
3,6 Prozent hatte, trotz dieses Kaufkraftentzugs, stabili-
siert hat. Wir wären unter Null, wenn die Steuerreform
nicht gegriffen hätte. Dies können Sie in allen outlooks
der letzten Tage zum Beispiel von Ifo, vom HWWA in
Hamburg gestern nachlesen. Das ist keine grüne Exegese
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Oswald Metzger
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der Situation, sondern tatsächliche Zustandsbeschrei-
bung.
Insofern ist logisch, dass wir von der Regierungsseite
und auch viele Konjunkturforscher sagen: Wenn die Bin-
nennachfrage bereits im ersten Quartal stabilisierend ge-
wirkt hat, um wie viel stärker kann sie dann stabilisierend
wirken, wenn sich die Inflationsrate zurückbildet? Seit
dem Buckel im Mai ist sie bereits um 1 Prozentpunkt ge-
sunken. Die EZB bewertet das Ganze genauso. Die Zins-
senkung in der vorletzten Woche wäre ohne den Wegfall
des Inflationsdrucks nicht möglich gewesen. Die Import-
preise sinken auf Raten wie seit drei oder vier Jahren
nicht mehr, natürlich auch, weil im September des letzten
Jahres die Energiepreise an den Weltmärkten nach oben
geschossen sind und nicht, weil wir letztes Jahr am 1. Sep-
tember irgendeine Stufe der Ökosteuer beschlossen oder
gar in Kraft gesetzt hätten. So einfach sind die Zusam-
menhänge. Das hört man nicht gern, aber es ist wichtig,
darauf hinzuweisen.
Oder wenn Sie, Kollege Rauen, als Mittelständler zur-
zeit investieren wollen, bekommen Sie Ihre Investitionen
mittel- und langfristig zu Bedingungen wie selten in die-
ser Republik refinanziert. Das Zinsniveau ist niedrig.
Auch dies ist Ausdruck dessen, dass die Inflationserwar-
tungen an den Märkten nicht steigen, sondern abnehmen
und insofern die Situation in Deutschland von den real-
wirtschaftlichen Daten her so schlecht nicht ist.
Wenn wir uns in dieser Situation jetzt hinstellen und sa-
gen würden, wir machen nichts mehr, alle anderen Pro-
bleme, ob im Bereich Gesundheit oder beim Arbeitsmarkt,
interessieren uns nicht, wäre es anders. Aber es ist nicht so.
Die Benchmarkgruppe im Bündnis für Arbeit hat bei-
spielsweise zum Thema Arbeitsmarkt sehr wohl Richtiges
aufgeschrieben. Die Tatsache, dass wir mit unserem Ko-
alitionspartner im Job-Aqtiv-Programm in diesen Tagen
eine Regelung innovativer Maßnahmen im Bereich der Ar-
beitsverwaltung hinbekommen wollen, ist wichtig. Wir
glauben, dass die Effizienz der Maßnahmen und die Ziel-
genauigkeit vergrößert werden müssen. Wir können nicht
so tun, als ob wir in Deutschland mit realwirtschaftlichen
Wachstumsraten wie in anderen Volkswirtschaften unter-
durchschnittliches Beschäftigungswachstum bekämen.
Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Das weiß jeder, der
ehrlich ist und nicht nur die Brille der jeweiligen Regie-
rung oder der jeweiligen Opposition aufsetzt. Keine Frage:
Das ist ein Problem und das werden wir lösen müssen.
Dies wird auch nicht nur durch das Job-Aqtiv-Pro-
gramm gelöst werden, sondern dieses Thema wird aus
meiner Sicht in der nächsten Legislaturperiode im Rah-
men eines großen Reformprozesses auf der Agenda ste-
hen, mit dem Arbeitslosen- und Sozialhilfe integriert
werden, diese beiden Sicherungssysteme in einem aufge-
hen werden. Dabei spielen die Gemeindefinanzen eine
Rolle. Die Gemeinden dürfen nicht das Gefühl haben,
dass sich hier der Bund, der die Arbeitslosenhilfe bezahlt,
zulasten der Kommunen entlastet. In diesem Zusammen-
hang müssen wir über andere Steuereinnahmen der Ge-
meinden als Kompensation reden. Wichtig ist auf jeden
Fall, dass diese Gesellschaft alles tun muss, damit bei
wirtschaftlichem Wachstum auch tatsächlich mehr Be-
schäftigung entsteht.
Es ist richtig ich nenne jetzt ein Gebiet, das zurzeit
natürlich mehr aufgrund der Person des Ministers wahr-
genommen wird , dass die Bundeswehr und ihre Finan-
zierung die Haushalte des Bundes berührt. Als Haushalts-
politiker und zuständiger Berichterstatter unserer
Fraktion im Verteidigungsressort bin ich überzeugt, dass
uns das Thema der Finanzierung der Bundeswehr dann
wieder einholt, wenn das Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe infrage stellt, dass in Deutschland noch Wehr-
gerechtigkeit besteht. So, wie es im Moment aussieht,
wird im Oktober dieses Jahres eine mündliche Verhand-
lung in Karlsruhe stattfinden.
Ab dem Zeitpunkt, an dem wir hinter der Wehrpflicht
was ich persönlich glaube zumindest ein kleines, wenn
nicht sogar ein großes Fragezeichen machen müssen, wird
sich die Frage nach dem Personalkörper der Bundeswehr
anders als bei der jetzigen Strukturreform stellen. Es gab
Kommissionen, die eine Freiwilligenarmee mit einem
kleinen Anteil an Wehrpflichtigen vorschlugen. Diese
hätte sich an die Finanzplanung des Bundesfinanzminis-
ters gehalten. Insofern ist, wenn man ehrlich ist, klar zu
sagen: Die Probleme im Bereich der Bundeswehr werden
auf der Agenda bleiben. Auch das will ich nicht ver-
schweigen. Alles andere wäre unredlich.
Herr Kollege Kalb, Sie wissen genau, dass Ihre Fraktion
bei diesem Thema die Backen nicht aufblasen darf, denn
Sie sind bezüglich der Wehrpflicht gegen eine Grundge-
setzänderung. Somit kommt das Parlament in diesem
Punkt nicht auf eine Zweidrittelmehrheit. Der Finger, der
von der CDU/CSU-Opposition auf die Regierung zeigt,
zeigt auf sie zurück; denn wenn Sie zustimmen würden,
wäre die Empfehlung der FDP-Opposition, nämlich die
Aussetzung der Wehrpflicht, sofort umsetzbar. Die Union
blockiert im Prinzip einen Strukturprozess, den selbst
viele Militärs inzwischen für geboten halten.
Ich möchte diesen Themenbereich nur ansprechen, da
es sich um ein gesellschaftspolitisches Gebiet handelt,
wie auch die Arbeits- und Gesundheitspolitik, die noch
anstehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen es schaf-
fen, klarzumachen, dass wir bei bestimmten Grundlinien
zwar einen Reformbedarf sehen, aber trotz der Wahlen
nicht alles auf einmal machen können, weil in einer
Industriegesellschaft zumal in einer sozial abgesicher-
ten Gesellschaft wie der deutschen auch auf die Verän-
derungsängste der Bevölkerung reagiert werden muss. Sie
glauben doch nicht, dass wir in einem Wahljahr den Re-
formmotor plötzlich auf 180 Touren bringen und Sie als
Passagiere am Wegrand stehen und darauf hinweisen kön-
nen, dass diese Regierung diese und jene Reform durch-
führt, mit denen wir Ihnen wohlfeile Argumente liefern
würden. Bei Gott, so blöd kann keine Regierung dieser
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Oswald Metzger
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Welt sein, vor allem dann nicht, wenn sie in den letzten
drei Jahren die Hausaufgaben, die auf der Reformagenda
standen, abgearbeitet hat. Viele haben dies von uns er-
wartet, und viele von denen, die uns damals nicht geglaubt
haben, geben uns jetzt eine positive Rückmeldung.
Ich sage noch ein Wort zu den Risiken, die für den
Haushalt bestehen. Sie haben eingangs meine Bemerkung
richtig verstanden: Es ist zwar gewagt, in der ersten Le-
sung am 11. September eine Prognose abzugeben, wenn
erst am 15. November die Bereinigungssitzung im Haus-
haltsausschuss stattfindet das weiß ich wohl ,
aber in der Vergangenheit habe ich mit meinen Prognosen
zwischen der ersten sowie zweiten und dritten Lesung
Sie können es nachlesen nie falsch gelegen. Ich habe
auch im letzten Jahr gesagt, dass wir die Investitionen er-
höhen und die Nettokreditaufnahme aufgrund der günsti-
gen Bedingungen gegenüber dem Regierungsentwurf re-
duzieren werden. Das haben wir damals erreicht.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
glaube ich heute sagen zu können, dass wir bei den Ein-
nahmen in diesem Jahr eine Punktlandung machen wer-
den. Die Steuerschätzung im November wird für das lau-
fende Jahr keine signifikante Verschlechterung bringen,
weshalb auch alle, die von der Wirkung der automatischen
Stabilisatoren reden, höllisch aufpassen müssen. Es gibt
keine konjunkturbedingten Steuerausfälle, denn für die
Steuereinnahmen des Staates ist das nominale und nicht
das reale Wachstum verantwortlich; das weiß auch jeder.
Herr Kollege Austermann, vor diesem Hintergrund
glaube ich, dass der negative Basiseffekt, den Sie für das
nächste Jahr hochrechnen, aus heutiger Sicht nicht zum
Tragen kommen wird.
Insofern sind die Hiobsbotschaften, die Zahlen, die die
Opposition in den Raum stellt, Kassandrarufe und nichts
anderes.
Vor allem Sie als Vertreter der Partei, die sich immer
auf Ludwig Erhard als Vater der Marktwirtschaft beruft,
sollten sich über eines im Klaren sein: Ludwig Erhard hat
immer gesagt dieses Wort wird oft zitiert : Wirt-
schaftspolitik und Wirtschaft sind zu mindestens 50 Pro-
zent Psychologie. Erstaunlich finde ich es schon, wenn in
Deutschland eine deutliche Mehrheit der Menschen bei
Umfragen sogar mit steigender Tendenz von sich sagt:
Mir persönlich geht es besser. Gleichzeitig wird die allge-
meine Lage aber immer schlechter eingeschätzt.
Diese Differenz zwischen der persönlichen Wahrneh-
mung und der Wahrnehmung des Ganzen hat etwas mit
Schwarzmalen und einer Mentalität zu tun, die Sie uns, als
Sie noch regierten, immer vorgeworfen haben, während
gleichzeitig der schwarze Finanzminister Waigel gesund-
beterisch Wachstumsprognosen für seine Haushalte un-
terstellte, die ihn regelmäßig zwischen Soll und Ist mit
verfassungswidrigen Haushalten und allem Drum und
Dran in den Abgrund gestürzt haben.
Schwarz und Schwarzmalen danke, Kollegin passen
offensichtlich zusammen. Wir als Grüne halten es eher
mit der Hoffnung; denn grün ist die Hoffnung. Wir haben
begründeten Anlass zu Optimismus, auch wenn nächstes
Jahr ein Wahljahr ist.
Ich liefere dafür auch eine mathematische Erklärung.
Allein die Tatsache, dass dieses Jahr die wirtschaftliche
Dynamik schwächer ist, wird dazu führen, dass der Ba-
siseffekt für das wirtschaftliche Wachstum im nächsten
Jahr positiv überzeichnet wird. Das hatten wir schon ein-
mal, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, näm-
lich vom Jahr 1999 auf das Jahr 2000. 1999 war ein Jahr
mit einer schwachen Wachstumsrate: 1,4 Prozent. Das
letzte Jahr war auch aufgrund dieses Basiseffekts mit
3 Prozent realem Wachstum sehr gut.
Ich wünsche uns als Koalition, dass ein solcher Effekt,
passend im Wahljahr kommt. Er sollte aber nicht nur ein
statistischer Basiseffekt sein, sondern ein Faktor der Hoff-
nung dafür sein, dass wir die Arbeitslosigkeit trotz der
derzeit retardierenden Momente senken können. Gleich-
zeitig sollte die Finanz- und Steuerpolitik auf dem soliden
und berechenbaren Pfad bleiben.
Unsere Politik ist jedenfalls viel solider, Kollege
Austermann, als all das, was Sie mit der Haushaltsgruppe
Ihrer Unionsfraktion am 7. September dieses Jahres als
Pressemitteilung hinausposaunt haben.
Ich war fassungslos, dass eine Oppositionspartei ein sol-
ches Papier in die Öffentlichkeit bringt. Ich als grüner Po-
litiker hätte mich in unserer Oppositionszeit geschämt, ein
Haushaltspapier in dieser oberflächlichen und beschöni-
genden Art und Weise vorzulegen.
Kollege Austermann, das Vorziehen der Steuerre-
form 2005 und 2003 auf das nächste Jahr würde 45,3 Mil-
liarden DM Einnahmeausfälle für das nächste Jahr brin-
gen.
Das Aussetzen der Ökosteuer würde den Bundeshaushalt
bei der Zuzahlung an die Rente automatisch um zusätzlich
6 Milliarden DM belasten. Die Investitionen, die Sie bei
der Bundeswehr, dem Verkehrsetat und anderswo ohne
Gegenfinanzierung erhöhen wollen, reißen zusätzliche
Löcher in den Haushalt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2001
Oswald Metzger
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Mit Ihren Vorschlägen würden Sie im nächsten Jahr einen
verfassungswidrigen Haushalt riskieren.
Vor allem würden Sie jeden Anspruch an eine seriöse Fi-
nanzpolitik mit Füßen treten.
Kollege Austermann, mein Problem mit Ihnen ist im-
mer, dass Sie von Ihrem Verstand her genau wissen, wie
die Zusammenhänge sind. Sie versuchen aber aus vorder-
gründigen, parteipolitischen Motiven, mit den Zahlen
ich möchte es einmal so sagen zu lügen. Sie haben hier
am Rednerpult das erkläre ich ganz deutlich wider bes-
seres Wissen die Unwahrheit gesagt.
Kollege Austermann, ich versuche in dieser parlamentari-
schen Auseinandersetzung mit der gebotenen Schärfe
klarzumachen, dass mir das an Ihnen missfällt. Wenn Sie
es nicht wüssten, wäre ich nicht so verärgert. Aber Sie ma-
chen es wider besseres Wissen. Wider besseres Wissen die
Unwahrheit sagen heißt nach der grammatikalischen und
tatsächlichen Definition lügen. Dies ist kein parlamenta-
rischer Ausdruck, aber ich verwende ihn bewusst als je-
mand, der normalerweise gute Argumente hat
und Ihnen Recht gibt, wenn Sie den Finger auf die Wunde
legen.
Wenn Sie zugehört hätten, dann hätten Sie gemerkt, dass
es für mich hinsichtlich der Arbeitsmarktpolitik, der Ge-
sundheitspolitik und der Bundeswehr durchaus Positio-
nen gibt, die man kritisieren kann.