Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Ich komme zunächst zur Verlesung der amtlichen Mitteilungen.
Interfraktionell ist für die heutige Tagesordnung folgende Reihenfolge vereinbart worden. Zunächst soll mit der Beratung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, Tagesordnungspunkte 14a bis d, begonnen werden. Danach findet eine Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU und F.D.P. zur Beendigung der Energie-Konsensgespräche statt. Anschließend werden der Jahresbericht des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkt 15, und danach der Gesetzentwurf zum Antirassismusgesetz, Tagesordnungspunkte 13 a und b, beraten.
Ich möchte Sie vorsorglich darauf hinweisen, daß heute voraussichtlich auch noch über einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zum ersten Teil des Jahressteuergesetzes 1996 abgestimmt werden muß.
Sind Sie mit der Ergänzung und den Änderungen der Tagesordnung einverstanden? - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Infolgedessen verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14a bis 14 d auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 13/1524 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung erhöhter Ozonkonzentrationen
- Drucksache 13/808 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 13/1754 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek
Dietmar Schütz
Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger Rolf Köhne
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Eckpunkte zur Bekämpfung umweit- und gesundheitsgefährdender bodennaher Ozonkonzentration
zu dem Antrag der Abgeordneten Gila Altmann , Albert Schmidt (Hitzhofen), Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verschärfung der Maßnahmen gegen die fortbestehende Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch bodennahes Ozon
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS
Maßnahmen zur Bekämpfung erhöhter Konzentrationen an bodennahem Ozon
- Drucksachen 13/1307, 13/1203, 13/1295, 13/1754 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek
Dietmar Schütz
Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger Rolf Köhne
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 88/77/EWG vom 3. Dezember 1987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen die Emission gasförmiger Schadstoffe und luftverunreinigender Partikel aus Dieselmotoren zum Antrieb von Fahrzeugen
- Drucksachen 13/765 Nr. 1.17, 13/1623 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Renate Hellwig Dietmar Schütz
Dr. Jürgen Rochlitz
Dr. Rainer Ortleb
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anderung der Richtlinie 70/220/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Emissionen von Kraftfahrzeugen
- Drucksachen 13/765 Nr. 1.24, 13/1624 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Renate Hellwig Klaus Lennartz
Dr. Jürgen Rochlitz
Dr. Rainer Ortleb
Zum Entwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 13/1758 und ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1778 vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Gesetzentwurf namentlich abstimmen werden.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Dr. Peter Paziorek.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundestag ist heute nicht nur aufgefordert, eine gesetzliche Lösung zu verabschieden, die verhältnismäßig und verursachergerecht und daher auch vernünftig ist, der Bundestag ist vielmehr auch gefordert, heute morgen einen
Beitrag zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion zu leisten.
Die breite Debatte in Sachen Sommersmog, die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, schien für den Bürger schon in ein reines Verwirrspiel abzugleiten.
Dabei will ich gar nicht auf die Echternacher Springprozession der SPD-regierten Bundesländer eingehen, die sonntags abends lautstark verkündeten, sie hätten eine Länderstrategie, die sie umsetzen wollten, um dann einen Tag später kleinlaut zugeben zu müssen, daß sie für ihre Vorschläge noch nicht einmal eine rechtliche Kompetenz besitzen. Für den Bürger kann so etwas wohl kaum nachvollziehbar sein.
Vielmehr will ich heute ganz besonders die abenteuerliche Position der Grünen ansprechen. Die Bundestagsfraktion der Grünen legte ein 10-PunkteProgramm vor, das an Phantasterei grenzt und eine gesamtgesellschaftliche Verantwortungsbereitschaft gänzlich vermissen läßt. Darin wird u. a. das Recht auf Arbeitsniederlegungen bei einer Ozonkonzentration von 180 Mikrogramm gefordert, sechs Sonntage in den Sommermonaten sollten autofrei sein, und Tempolimits wurden als Allheilmittel angepriesen. Der Vorstandssprecher der Grünen, Herr Trittin, verstieg sich sogar zu dem absurden Vorwurf, mit dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen würde die Vergiftung von Kindern zugelassen, ein ungeheuerlicher Vorwurf, von dem sich die Bundestagsfraktion der Grünen im Plenum heute morgen distanzieren sollte.
Sie müssen sich einmal vorstellen, welche Wirkung solche Hetzparolen auf die Bevölkerung haben. Berechtigte Ängste der Bürger werden für parteipolitische Zwecke schamlos mißbraucht. Mit der Sache an sich hat das dann gar nichts mehr zu tun. Durch übersteigerte Bedrohtheitsgefühle, falsche Risikozuordnung und falsche Risikoeinschätzung sollte die Öffentlichkeit eingeschüchtert werden. Dieser Vorwurf muß Teilen der Opposition heute gemacht werden.
Die CDU/CSU-Fraktion hat immer vor Schnellschüssen in der Ozondebatte gewarnt. Wir haben am Anfang darauf gedrängt, Problemlösungen zu entwickeln, die vernünftig und - das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen - in der Praxis auch tatsächlich umsetzbar sind. Nach der Absenkung des Konzentrationswertes für Ozon auf 240 Mikrogramm und der Klarstellung der Ausnahmebestimmungen bei den Fahrverboten wird eine Regelung getroffen, die im Gegensatz zu den Vorschlägen der Fraktionen der SPD und der Grünen sowohl gesundheitsschädliche Ozonkonzentrationen im Sommer vermeiden hilft wie auch die verkehrsbeschränkenden Maßnahmen auf das notwendige Maß eingrenzt.
Die Sachverständigenanhörung des Umweltausschusses zum Ozongesetzentwurf der Koalition in dieser Woche hat unsere Position weitgehend bestätigt. Die Grünen haben mit ihren panikerzeugen-
Dr. Peter Paziorek
den Horrorvisionen von wissenschaftlicher Seite kaum Unterstützung erfahren.
Die beschworenen gesundheitsschädlichen Wirkungen, bei den Grünen genannt ab 120 Mikrogramm, sind eine reine Schockvision.
- Ich will Ihnen mal eins sagen: Ich habe wirklich den Eindruck, die Ozonpolitik, die Sie, Herr Fischer, betreiben, dient zu nichts anderem, als Ihre Parteibasis, die fundamentalistisch orientiert ist, auf Kurs zu halten, damit Sie persönlich in Bonn Ihren angeblich staatstragenden Koalitionskurs weiterfahren können.
Sie machen Stimmung mit Ozon, um Ihre fundamentalistische Parteibasis für Ihren Kurs zu gewinnen. Das ist eine Doppelstrategie. Deshalb, meine ich, sollten wir mit diesen Horrorvisionen im Sinne einer vordergründigen parteipolitischen Taktik aufhören, Herr Fischer. Sie sind heute hier aufgefordert, endlich zu einer Versachlichung in diesem Bereich beizutragen.
In der Anhörung ist auch deutlich geworden, daß die von den Grünen und Sozialdemokraten immer wieder geforderten Tempolimits keine große Wirkung auf die Reduzierung bodennahen Ozons haben. Wir lehnen daher ein Tempolimit ab.
Bei der Durchsetzung eines Tempolimits bei einer Ozonkonzentration von z. B. 180 Mikrogramm Luft, wie das von der Opposition gefordert wird, würde sich, wenn sich 80 % der Autofahrer an die Tempolimits halten würden, eine Reduzierung der flüchtigen organischen Substanzen um nur 1,5 % ergeben. Das Ozon würde lediglich um maximal 3 % bis 5 % reduziert.
Einige Versuche ergeben sogar nur eine Reduktion des Ozons von 1 % bis 3 %, was von den Wissenschaftlern sogar in den Bereich der Meßungenauigkeiten eingeordnet worden ist. Daran kann man sehen: Tempolimits bringen in dieser Frage überhaupt nichts.
Ganz im Gegenteil: Bei Fahrverboten für schadstoffreiche Fahrzeuge, berechnet auf den ursprünglichen Warnwert von 270 Mikrogramm, ergibt sich z. B. eine Reduzierung der flüchtigen organischen
Substanzen um 54 %, und das Ozon würde um mindestens 15 % reduziert werden.
Vergleichen Sie bitte Ihre Zahl von 3 % Reduktion bei Tempolimit mit 15 bis 20 % Reduktion bei den Vorschlägen, die wir in Sachen Fahrverbot gemacht haben. Daran kann man erkennen, daß unsere Vorschläge vernünftig und verursachergerecht sind.
Aber ich gebe zu, es war auch ein Ergebnis der An-honing, daß ab einem Schwellenwert von 240 Mikrogramm bei besonders empfindlichen Personen in Belastungszeiten gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Aus dem Grunde haben sich die Koalitionsfraktionen dafür ausgesprochen, den ursprünglichen Entwurf zu ändern und einen neuen Grenzwert für Fahrverbote ab 240 Mikrogramm einzuführen. Wir meinen, daß damit Spitzenbelastungen durch Ozon in den Sommermonaten verhindert werden können.
Auch bei kurzfristigen Maßnahmen zur Kappung dieser Ozonspitzenwerte hat eine Rechtsgüterabwägung zu erfolgen. So muß von vornherein deutlich werden, daß Berufspendler, die in einer anderen zumutbaren Art und Weise ihren Arbeitsplatz nicht erreichen können, ausnahmsweise auf ein nicht schadstoffarmes Fahrzeug zurückgreifen dürfen, wenn sie ihren Arbeitsplatz erreichen müssen. Es war ein Ergebnis der Anhörung, daß wir gerade diese Rechtsgüterabwägung vornehmen müssen, damit unser Ozongesetz nicht nachher unter verfassungsmäßigen Gesichtspunkten zurückgewiesen werden kann.
Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf werden wir nur kurzfristig angelegte Maßnahmen initiieren können. Dieses Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir dürfen nach diesem Schritt nicht aufhören, sondern müssen weitere Schritte folgen lassen.
Vorrangiges Ziel unserer Politik ist und bleibt es, eine dauerhafte und nachhaltige Verminderung der Ozonvorläufersubstanzen zu erreichen. Unser Ziel bleibt es damit: Die Fahrzeuge, die ökologisch als Dreckschleudern zu bezeichnen sind, wollen wir von der Straße holen. Aber wir wollen nicht in Umwelthysterie zu einer Lahmlegung des Wirtschaftsverkehrs beitragen. Das wäre ein völlig falscher Weg.
Die von der Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen haben schon gegriffen. Wir haben z. B. gegenüber der Bilanz vom Anfang der 80er Jahre durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, durch die TA Luft eine Reduzierung der Stickstoffoxide und Kohlenwasserstoffe in einer Größenordnung von 600 000 t erreicht. Auf diesem Weg müssen wir weitermachen.
Wir müssen jetzt z. B. die Industrie darauf drängen, daß im Bereich der Lösungsmittelchemie tatsächlich neue Maßnahmen getroffen werden, damit auch aus
Dr. Peter Paziorek
dem industriellen Bereich Vorläufersubstanzen in geringerem Umfang in die Umwelt abgegeben werden und eine verbesserte Bilanz auch bei den Vorläufersubstanzen erzielt wird.
Meine Damen und Herren, die Lander sind aufgefordert, diesem Gesetzentwurf heute morgen im Bundesrat fiber die Hürden zu helfen. Ich appelliere an die Bundesländer, den Weg für eine Sommersmogregelung nun schnellstens freizugeben. Eine Sommersmogregelung mit Wirkung z. B. ab 15. August 1995 wäre ein umweltpolitischer Treppenwitz.
Die Koalition hat ihre umweltpolitischen Schularbeiten gemacht. Nun ist es die Verpflichtung des Bundesrates, seinerseits eine Verzögerung bei der Verabschiedung dieses Gesetzes zu verhindern.
Vielen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Dietmar Schütz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das jährlich wiederkehrende Ritual der Sommersmogdiskussion sollte - da bin ich mit Ihnen einer Meinung - diesmal endgültig beendet werden. Ich befürchte jedoch, daß das nicht der Fall sein wird, weil sich die Koalitionsfraktionen nicht bewegen, weil sie nicht die Kraft haben, mit den Ländern einen Kompromiß zu schließen.
Teile Ihrer Fraktionen - ich weiß nicht, ob man sie Betonteile nennen sollte - sind nicht bereit, sich in zwei Fragen zu bewegen. Sie sind erstens nicht bereit - Herr Paziorek hat es soeben gesagt -, sich für ein abgestuftes Verfahren einzusetzen, nämlich ein Tempolimit bei 180 Mikrogramm und ein Fahrverbot erst bei 240 Mikrogramm auszusprechen. Zweitens sind Ihre Ausnahmeregelungen so weit gefaßt, daß überhaupt nicht mehr erkennbar ist, wen man eigentlich noch vom Fahren ausschließen will.
Meine Damen und Herren, Ihr Haupteinwand gegen das Tempolimit war und ist - Herr Paziorek hat ihn gerade wiederholt -, daß hiermit kein nennenswerter Beitrag zur Ozonreduktion geleistet werde. Das ist durch die Anhörung eindeutig widerlegt.
Der Vertreter des Umweltbundesamtes hat deutlich gemacht, daß die Auswertung aller Meßdaten der Bundesrepublik - nicht nur die Auswertung einzelner Versuche oder die Betrachtung einzelner Vorläufersubstanzen - zeigt, daß 17 % der Ozonspitzenwerte mit flächendeckenden Tempolimits gekappt werden können. Wer das Instrument Tempolimit bei dieser Sachlage nicht will, muß sich fragen lassen, ob nicht andere Gründe als das der Höhe der Ozonreduktion im Spiel sind.
Der Verdacht drängt sich auf, daß Sie die Diskussion zum Tempolimit wie der Teufel das Weihwasser scheuen, weil Sie damit einen Einstieg in die allgemeine Tempolimit-Diskussion befürchten.
Ich darf Ihnen versichern, daß wir an dieser Stelle zum Sommersmog nur eine eingeschränkte Tempolimit-Diskussion führen. Die Wände Ihrer ideologischen Wagenburg sind aber schon so hoch, daß Ihre Sicht an jeder Stelle behindert ist. Sie erkennen auch das nicht.
Ein abgestuftes Verfahren ist auch deshalb notwendig, weil Sie auf Grund des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtlich gezwungen sind, bei der Begrenzung von Rechten anderer zuerst das mildere, weniger einschneidende Mittel anzuwenden. Die sofortige Anwendung des einschneidenden Mittels des Fahrverbotes nach Erreichen der Eintrittsschwelle, ohne im Vorfeld versucht zu haben, das Anwachsen der Ozonmenge wirksam zu verhindern, wird zu großen Schwierigkeiten führen. Im Ergebnis liegt hier ein Einfallstor für eine erfolgversprechende Klage.
Professor Basedow, der einzige Rechtswissenschaftler in unserer Anhörung, hat darauf hingewiesen, daß eine sofortige Anwendung des einschneidenden Instruments Fahrverbot vor allem vor dem Europäischen Gerichtshof das Gesetz scheitern lassen kann. Ich fordere Sie deshalb auf: Kommen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, aus Ihrer Wagenburg heraus und finden Sie mit uns einen gemeinsamen tragfähigen Kompromiß in einem abgestuften Verfahren.
Das sollte jetzt geschehen. Dem Bürger wäre nicht klarzumachen, wenn wir erst in der Sommerpause ein Vermittlungsverfahren für den Sommersmog durchführen. Ein Ergebnis würde erst dann vorliegen, wenn die sommerlichen Temperaturen zurückgegangen sind. Die politische Handlungsfähigkeit von uns allen würde ad absurdum geführt werden.
Ich begrüße daher die Initiative des Bundesrates, in einem Schnellverfahren noch heute das Sommersmoggesetz zu behandeln, um rasch einen Kompromiß zu finden.
Die Bundesregierung sollte zudem bedenken, daß die politische Handlungsfähigkeit auch dadurch gefährdet ist, daß Sie - das verwaltungsmäßig sehr schnell einzusetzende Instrument des Tempolimits wollen Sie ja nicht - für den seriösen Vollzug des Fahrverbots einen mehrmonatigen Verwaltungsvorlauf in Kauf nehmen. Jeder seriöse Praktiker sagt Ihnen, daß wir für die Ausgestaltung der Fahrverbote einen längeren Vorlauf brauchen.
Dietmar Schatz
Mit diesem Gesetzentwurf schreiben Sie schon heute fest, daß gesetzliche Instrumente gegen den Sommersmog 1995 nicht zur Verfügung gestellt werden.
Es ist noch völlig ungeklärt, wie Freistellungen im einzelnen erteilt werden sollen: ob es Plaketten gibt, wie diese aussehen, wie die Verwaltung die Handhabung der Ausnahmevorschriften vorbereiten soll. Was Sie vorgelegt haben, ist ein Verwaltungschaos.
Sie haben keine Instrumente in der Hand. Diese Farce werden wir nicht unterstützen.
Unser Angebot, das wir im Vorfeld gemacht haben - eine Freizeichnungs- und Ermächtigungsklausel für die Länder, um dadurch handlungsfähig zu werden -, scheiterte bisher an Ihrer Hartleibigkeit. Wir hoffen, daß Sie Ihre Haltung noch ändern.
Sie haben schon ab heute die Chance, das zu tun.
Mit Ihrer Position folgen Sie einer nicht nachvollziehbaren abstrusen Logik: Einerseits wollen Sie richtigerweise an das Umweltbewußtsein appellieren und emissionsintensive Kfz ab 240 Mikrogramm stilllegen; andererseits sollen aber diejenigen, die mit Katalysatorautos weiterfahren, ungehindert auf das Gaspedal drücken und bei hoher Geschwindigkeit natürlich auch höhere Emissionen ausstoßen dürfen.
Es ist einem Bürger draußen überhaupt nicht mehr klarzumachen, welche Strategie Sie da verfolgen.
Das Maßnahmenpaket, das Sie durchsetzen wollen, wird in der Öffentlichkeit mit Kopfschütteln und Spott aufgenommen werden. Wir werden sehen, daß es vollkommen unwirksam ist.
Sie wissen auch, daß es nachhaltige gesundheitliche Auswirkungen bei Smogsituationen gibt. Ich muß Ihnen das nicht noch darstellen. Sie kennen die toxische und gentoxische Wirkung des Ozons, insbesondere bei Kindern, bei älteren Menschen und bei Kranken. Es liegen derzeit zwar noch keine harten wissenschaftlichen Grenzwerte fest - in dieser Beziehung haben die Gutachter geschwankt -, aber amerikanische Studien zeigen, daß bereits meßbare gesundheitliche Auswirkungen bei Konzentrationen zwischen 160 und 240 Mikrogramm vorliegen. Sie wissen aus unserer Anhörung: Auch der von Ihnen benannte Gutachter hat darauf hingewiesen.
Die Frage der Belastbarkeit des menschlichen Organismus durch Ozon ist noch nicht endgültig geklärt. Es ist aber unstrittig, daß wir nicht auf hundertprozentig sichere wissenschaftliche Ergebnisse warten dürfen, wenn es überhaupt jemals solche geben
wird. Unsere Verantwortung als Politiker und auch als Gesetzgeber ist es, vorsichtig und vorausschauend zu handeln und nicht auf die letzte Wahrheit zu warten.
Wir müssen deshalb bereits sehr frühzeitig einsetzen, um die Ozonkonzentration zu verringern und um zu verhindern, daß die Werte in den Bereich steigen, in dem mit großer Sicherheit relevante Bevölkerungsgruppen - dies sind immer die anfälligeren Menschen, die jüngeren und die älteren - gesundheitlichen Schaden nehmen. Dies gilt um so mehr, als beim Sommersmog Ozon in einem Schadstoffgemisch vorliegt, in dem das photochemisch hochaktive Ozon die Wirksamkeit anderer Schadstoffe auf die Lunge noch verstärkt.
Lassen Sie mich auch noch etwas zu der zweiten Säule, die in dem Gesetz nicht richtig ausgestaltet ist, sagen. Angesichts der immer noch völlig überzogenen Ausnahmeregelungen muß ich feststellen: Wir machen uns zum Gespött der Fachwelt und stehen da wie eine Karikatur, wenn wir den überbordenden Ausnahmekatalog der Bundesregierung beibehalten.
Anzahl und Ausgestaltung der Ausnahmen verdienen das Prädikat „fragwürdig" und sind zum Teil geprägt von einer etwas merkwürdigen Güterabwägung zwischen der Gesundheit eines substantiellen Teils der Bevölkerung und dem Anspruch auf ungestörte Freizeitgestaltung und Wahl des Transportmittels. Wir halten es durchaus für zumutbar, daß mit weniger eng begrenzten Ausnahmen, z. B. für den ÖPNV, für Polizei, Not- und Rettungsdienste, der Betrieb von schadstoffintensiven Kfz - nur um die geht es hier - an wenigen Tagen im Jahr einmal ruhen kann, ohne daß wir gleich den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland ruinieren.
Das ist von Teilen von Ihnen hier schon wieder vorgetragen worden. Wenn ein schadstoffintensives Auto stehenbleiben muß, ist damit nicht gleich der Wirtschaftsstandort ruiniert.
Konkret stellt sich beispielsweise - um mit dem Gutachter Professor Basedow zu sprechen - bei den Pendlern die Frage, ob ein ungestörtes Arbeitsleben an jedem Tag für diejenigen Pendler, die immer noch einen Pkw ohne Katalysator fahren, wichtiger ist als die Gesundheit eines substantiellen Teils der Bevölkerung. Ist es denn nicht ebenso wie bei Stausituationen, bei Glatteis oder bei Schneeverwehungen zumutbar, auch beim Sommersmog Verzögerungen auf dem Weg zur Arbeit hinzunehmen, indem man andere, möglicherweise zeitaufwendigere Anfahrtsmöglichkeiten sucht?
Sollten wir tatsächlich für Urlaubsfahrten unbedingt Ausnahmen vom Fahrverbot zulassen und damit in der Tat eine merkwürdige Güterabwägung zwischen Freizeitgestaltung und dem Anspruch auf unversehrte Gesundheit vornehmen? Und ich frage: Müssen die nichtdeutschen Truppenteile des Nordat-
Dietmar Schütz
lantikpaktes unbedingt bei Auslösung des Ozonalarms weiterfahren, oder können sie nicht Rücksicht nehmen, wenn wir den Alarm ausgelöst haben? Dies sind Fragen über Fragen, die Sie nicht beantworten.
Beantwortet werden sollen diese dann von den Straßenverkehrsbehörden, die als letztes Glied in der Kette der Verwaltung alle Ungereimtheiten des Gesetzes ausbaden müssen. Das geht so überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, Sie haben darüber hinaus wichtige Teile in dem Gesetz vergessen. Es ist unbestritten, daß neben dem hohen Anteil des Straßenverkehrs an der Ozonbildung fast genausoviel von der Industrie, dem Gewerbe und Handwerk ausgeht, sofern sie mit Lösungsmitteln arbeiten. In Nordrhein-Westfalen lag der Beitrag zur VOC-Emission des Verkehrs bei 300 000 t im Jahr 1990 und der Lösemittelverwendung bei 287 000 t. Konsequenterweise muß deshalb in einer Smogsituation natürlich auch die Verwendung von Lösemitteln reduziert oder ganz untersagt werden. Warum Sie das nicht tun, bleibt ein Rätsel.
Lassen Sie mich noch zwei andere Beispiele dafür nennen, daß der Regierungsentwurf mit heißer Nadel und unter Verlust vieler wichtiger Maschen gestrickt wurde. Nach dem Gesetzentwurf dürfen Elektroautos und gasbetriebene Autos nicht fahren. Ihre Freigabe ist schlicht vergessen worden.
Ferner soll Ozonalarm bei 240 Mikrogramm ausgelöst werden, wenn nach meteorologischen Erkenntnissen anzunehmen ist, daß dieselbe Konzentration am selben Meßpunkt auch am nächsten Tag vorliegt. Diese Feststellung verkennt die Tatsache, daß der Wind die Ozonvorläufersubstanzen wie eine Wolke weitertreibt, so daß uns alle Meteorologen gesagt haben: Das werdet ihr nie erreichen. Im Ergebnis also legen Sie ein Gesetz vor, nach dem ein Ozonalarm überhaupt nicht mehr möglich ist, weil Sie diese meteorologischen Grunddaten nicht berücksichtigt haben. Wir haben darauf hingewiesen; Sie haben das nicht berücksichtigt.
Das Gesetz demaskiert sich selbst als ein völlig wirkungsloses Placebo. Einem solchen Placebo müssen wir unsere Zustimmung verweigern. Sie legen eine Mogelpackung vor, um dem Bürger vorzutäuschen, daß Sie etwas gegen den Sommersmog tun. In Wirklichkeit aber geschieht nichts. Der Bürger wird verhohnepipelt. Mit uns machen Sie das nicht, meine Damen und Herren. Wir lehnen das Gesetz ab.
Danke sehr.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gila Altmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Schade, daß es für so viel heiße Luft seitens des Kollegen von der CDU noch keine Grenzwerte gibt.
Im Dezember vergangenen Jahres hat die Bundesumweltministerin eine schnelle gesetzliche Regelung zum Sommersmog angekündigt. Aber in der Tradition ihres Vorgängers Töpfer hat sich seit dieser Ankündigung praktisch nichts getan, und es ist erneut wertvolle Zeit verlorengegangen.
Wenn man sich den Beratungsablauf im Parlament und in der Öffentlichkeit rückblickend genau ansieht, stellt man fest, daß dieser eher an eine makabre Posse erinnert denn an eine Beratung, die dem Problem, über das wir heute reden, im entferntesten gerecht würde. Anstatt sich auf die nachhaltige Vermeidung der Ursachen von Sommersmog zu konzentrieren, hat die Koalition eine sich selbst disqualifizierende Ersatzdiskussion vom Zaun gebrochen, die niemandem nützt, aber leider vielen schadet.
Sie haben das Ozonproblem leichtfertig auf die Diskussion über Grenzwerte reduziert, ohne sich auch nur im geringsten um die Ursachen des Problems selbst zu kümmern. Das haben Sie getan, um sich um eine ernsthafte Diskussion über das, was wirklich notwendig wäre, herumzudrücken. Statt dessen sind hier nur Sprechblasen produziert worden. Denn auch Sie wissen, daß allein langfristig angelegte Maßnahmen das Ozon wirksam bekämpfen können.
- Ja, in Sprechblasenform; ich habe es bestätigt.
Das Ozon-Hearing des Umweltausschusses am letzten Montag hat eindeutig gezeigt, daß man mit einer Sommersmogverordnung nur die Spitzenwerte senken kann, wenn überhaupt.
Der Entwurf der Bundesregierung, Ihr Entwurf, leistet aber nicht einmal dies. Wenn man sich nämlich die Ausnahmeregelungen anguckt - der Kollege von der SPD hat es gesagt -, dann weiß man, daß es sich hier um eine Sommersmogverordnung handelt, die nie greifen würde. Auch die Experten des Ozon-Hearings haben gerade die Ausnahmeregelungen für Pendler und für Urlauber als groben Unfug enttarnt.
Daß der insgesamt viel zu hohe Durchschnittswert seine Ursache in einer falschen Verkehrs- und Wirtschaftspolitik hat, die von Ihnen zu verantworten ist, ist Ihnen bisher noch nicht einmal in den Sinn gekommen. Da wollen Sie auch nicht ran. Außer Lippenbekenntnissen kommt da nichts.
Aber auch Sie werden irgendwann begreifen müssen: Ozon ist nicht ab irgendeinem Grenzwert gefährlich, sondern es ist für Mensch, Tier und Pflanze an sich giftig. Es gibt keine unbedenklichen Schwel-
Gila Altmann
lenwerte. Untersuchungen aus den USA besagen das eindeutig. Das ist der eigentliche Skandal daran. Der Skandal ist nicht die Diskussion um Grenzwerte selbst, sondern die gewissenlose Verharmlosung der gravierenden Gesundheitsschädigungen durch dieses Reizgas und die Tatsache, daß besonders Kinder darunter leiden, die sich bei solchen Ozonepisoden dann auch noch im Freien bewegen und ein Vielfaches einatmen. Das ist gerade auch bei dem OzonHearing deutlich geworden.
Der vorliegende Gesetzentwurf mit dem Grenzwert von 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft mit den gesamten Ausnahmeregelungen erfüllt daher den Tatbestand der vorsätzlichen und fahrlässigen Körperverletzung. In diesem Zusammenhang lassen Sie mich sagen: Wir distanzieren uns von überhaupt nichts. Denn mit Ihrer Ozonverordnung, die Sie vorgelegt haben, tun Sie so, als täte man etwas. Aber man tut eben nichts.
Wir brauchen Maßnahmen, die auf die langfristige und vorbeugende Vermeidung von Ursachen für das bodennahe Ozon ausgerichtet sind. Die Grenzwertdiskussion kann sich wirklich nur auf flankierende Maßnahmen richten, wenn denn der Fall eingetreten ist.
Unser Antrag und zum Teil auch unsere Änderungsanträge richten sich genau danach. Neben Regelungsmaßnahmen wie Erhöhung der Mineralölsteuer, Entwicklung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs - schlechthin dem Beginn einer ökologischen Verkehrswende - setzen wir so auf einfache, aber wirksame Maßnahmen wie ein bundesweites generelles Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Bundesstraßen und 30 km/h in den Städten.
Das mindert neben der Neubildung von Ozon auch weitere Umweltschäden. Keiner redet über Benzol, Dieselruß und CO2 und darüber, daß deren Werte auch gesenkt werden müssen. Außerdem führt ein Tempolimit zu weniger Staus und senkt die erschrekkend hohen Unfallzahlen.
Ihre Begründung, Tempolimits brächten nichts, ist nichts als eine Schutzbehauptung. Außerdem dürfen Sie die Tempolimits nicht isoliert sehen, sondern immer nur im Kontext mit anderen Maßnahmen. Aber das wollen Sie nicht kapieren, weil Sie Ihrer Autofahrerlobby nicht auf den Bleifuß treten wollen. Der Verkehr muß brummen. Sie wissen, daß selbst ein zeitlich begründetes Tempolimit, wie es von der SPD gefordert wird, genau der Einstieg in einen allgemeinen Ausstieg aus den Geschwindigkeitsräuschen ist.
Sie reden davon, die Maßnahmen seien so schwierig einzuführen. Ich sage Ihnen: Ein generelles Tempolimit läßt sich sehr leicht einführen.
Flankierend dazu brauchen wir aber niedrigere Grenzwerte. Auch das hat das Hearing ergeben. 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft sind viel zu hoch. Spätestens ab 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft müssen deshalb aus unserer Sicht Fahrverbote ausgesprochen werden können, um damit die Neubildung von Ozon zu vermeiden. Die von uns für diesen Fall vorgeschlagenen Maßnahmen sind besonders für Kinder und sich im Freien bewegende und arbeitende Menschen notwendig.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie werden trotz Ihres heute vorgelegten Gesetzentwurfs das Problem der Ozonkonzentration nie loswerden, sondern auch in den nächsten Jahren immer wieder damit konfrontiert werden, immer wieder und wieder. Ich kann Ihnen nur sagen: Hören Sie endlich mit diesen Mogelpackungen auf, die Bevölkerung hat die Nase von diesem Sommersmogtheater
und der Grenzwertdiskussion voll.
Die Konsequenz aus dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsparteien läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Kinder, die Sonne kommt heraus, versteckt euch in den Garagen! Die Erwachsenen wollen draußen mit ihren Autos spielen.
Gerade Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., haben dieses Theater angezettelt. Ihr Minister treibt den Grenzwert hoch, die Partei treibt ihn wieder herunter, und dann flechten Sie sich Ihre Lorbeerkränze in Ermangelung dessen, daß Sie bei Ihrem Koalitionspartner nichts durchsetzen können, selbst.
Das Ende dieser Posse ist leider immer noch nicht in Sicht. Ich kann Ihnen jedoch versichern: Wir werden Ihnen keine Ruhe lassen, bis Sie sich endlich bewegen und anfangen, das Notwendige zu tun. Wir hoffen, daß auch die SPD in ihren Forderungen konsequent bleibt.
Wir garantieren Ihnen auf alle Fälle die nächsten heißen Sommer, und zwar unabhängig davon, wie sich die Temperaturen draußen entwickeln.
Danke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das letzte, was die Frau Kollegin Altmann gesagt hat, zeigt, wie sie aufgepaßt hat. Die Entwicklung der Ozonspitzenkonzentrationen ist eben unbedingt abhängig von der Wetterlage und der Sonneneinstrahlung. Davon abhängig entsteht Ozon.
Wenn ich die chemischen Reaktionsprozesse nicht begriffen hätte, würde ich den Mund halten und mich nicht auch noch hier vorn hinstellen.
Heute steht hier nach intensiven Diskussionen der letzten Wochen und nicht zuletzt als Ergebnis der Sachverständigenanhörung
vom Montag dieser Woche das Ozongesetz zur Beratung und Beschlußfassung an.
Frau Homburger, darf ich Sie bitten, etwas langsamer zu sprechen?
Ja, Frau Präsidentin.
Wenn Sie mich so freundlich bitten, immer!
- Darüber könnte man natürlich verhandeln. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Heute nicht.
Heute nicht? Schade. Ein anderes Mal vielleicht, gut!
Die Koalitionsfraktionen haben einen Entwurf vorgelegt, der, wie ich finde, eine gute Handhabe zur Minderung sommerlicher Ozonspitzenkonzentrationen bei einschlägigen Wetterlagen liefert, und ich bin froh, daß die CDU schließlich doch auf die Linie der F.D.P. eingeschwenkt ist
und den Auslösewert von 240 Mikrogramm pro Kubikmeter akzeptiert hat.
Die Sachverständigenanhörung hat ja auch gezeigt, daß wir mit diesem Wert richtig liegen. Auch da, Frau Altmann, hätte man besser bei der Sachverständigenanhörung zugehört. Wir waren der Meinung, daß das, was als richtig erkannt wird, auch Eingang in den eigenen Gesetzentwurf finden muß.
Gleichzeitig ist das ein Angebot an die Opposition, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, weil wir damit bereits einen ihrer wichtigsten Punkte aufgegriffen haben.
Die Anhörung hat aber auch gezeigt - jetzt komme ich zur SPD und zu den Grünen -, daß kurzfristige Tempolimits zur Ozonreduzierung nichts nützen. Tempolimits bringen keine Erfolge, die über die übliche Meßungenauigkeit hinausgehen.
Lesen Sie bitte die in der Anhörung gemachten Aussagen z. B. von Professor Seiler, von Professor Fiedler und stellenweise auch von dem Sachverständigen des Umweltbundesamtes nach, der hier schon zitiert worden ist. Also bitte behaupten Sie hier nicht Dinge, die nicht stimmen.
Wir dürfen als Staat die Bürger nicht einschränken, indem wir Tempolimits ohne haltbare wissenschaftliche Erkenntnisse verhängen. Tempolimits sind in keiner Weise zu rechtfertigen, und wer etwas anderes sagt, betreibt Bürgertäuschung.
In der Anhörung hat die SPD ja auch klar gesagt, daß sie die Bürger mit dem Tempolimit umerziehen will, auch wenn es sonst keinen Effekt hat.
- Der Herr Kollege Müller.
- Ich kann es gern zitieren, ich habe es hier. - Die F.D.P. hat ein anderes Rechtsstaatsverständnis. Umerziehungslager, meine Damen und Herren von der SPD,
gibt es in anderen politischen Systemen.
- Ich kann das gern zitieren, wenn ich hier dazu aufgefordert werde. Herr Kollege Müller - Sie haben gesagt, ich soll zitieren - hat in einer Frage an einen Sachverständigen gesagt:
Herr Hüsler, das Tempolimit ist aus meiner Sicht eine Frage der kulturellen Einstellung zum Verkehrssektor.
Birgit Homburger
Es ist ein Skandal, meine Damen und Herren von SPD und Grünrn, nun an dieser wirkungslosen Maßnahme Tempolimit das Gesetz scheitern lassen zu wollen, um freie Bahn für eine ideologiebehaftete und wissenschaftlich unbegründete Maßnahme zu haben.
Erst schaffen Sie Horrormeldungen, schüren Ängste bei den Menschen, und dann bieten Sie wirkungslosen Aktionismus. Erst fordern Sie eine Bundesregelung, und dann torpedieren Sie sie. Sie wärmen alte Ladenhüter als Allheilmittel auf. Sie spielen ein Spiel mit der Angst. Das ist unfair gegenüber den Menschen, und das ist unverantwortlich in einer Demokratie.
Wir haben einen vernünftigen Vorschlag gemacht, und Sie haben immer noch die Chance, dem zuzustimmen.
Ich wende mich nochmals an die Grünen: Das Recht auf Arbeitsniederlegung ab 180 Mikrogramm hat nichts mit hochsommerlichen Wetterlagen und Ozonspitzenkonzentrationen zu tun. Herr Professor Greim hat in der Anhörung mehrfach versucht, Ihnen das zu erklären. Sie haben es offensichtlich immer noch nicht begriffen. Ich kann nur sagen: Wer hier ein Recht auf Arbeitsniederlegung ab 180 Mikrogramm fordert, der schürt Ängste; mit der hochsommerlichen Spitzenkonzentration hat das überhaupt nichts zu tun.
Ich will Ihnen auch ganz deutlich sagen: Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir MAK-Werte finden und wie wir Arbeitnehmer schützen. Das bedeutet, daß im Zweifel die Werte am Arbeitsplatz reduziert werden müssen. Aber es kann doch nicht bedeuten, daß wir das Recht auf Arbeitsniederlegung fordern. Das wäre eine Umweltpolitik, mit der Sie die Wirtschaft aus dem Land vertreiben, und das können wir den Bürgerinnen und Bürgern nicht zumuten.
Die F.D.P. hat sich auch mit ihrer Forderung durchgesetzt, eine sachgerechte Lösung in bezug auf die Motorräder zu finden. Ursprünglich war ja vorgesehen, die Motorräder von den Fahrverboten auszunehmen. Das ist jetzt gestrichen. Fahrverbote gelten jetzt für Motorräder genauso wie für nicht schadstoffarme Pkw und Lkw. Damit wird eine exakte Gleichbehandlung hergestellt. Wir halten dies angesichts der wissenschaftlichen Grundlagen auch für erforderlich.
Wir haben mit dem Ozongesetz den Ländern in der Tat die Möglichkeit gegeben, für bestimmte Fälle Ausnahmen zu erlassen. Dies war notwendig, damit das Gesetz auch vor Gerichten Bestand hat. Die Länder sind nach unserer Auffassung näher am Geschehen
und können besser beurteilen, wann Ausnahmen notwendig sind. Da Sie, Herr Kollege Schütz, allerdings behauptet haben, wir würden die Urlaubsfahrer generell vom Verbot ausnehmen, empfehle ich Ihnen den vorgesehenen § 40e des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zur Lektüre. Damit haben wir die Urlauber aus der allgemeinen Regelung herausgestrichen.
Ausnahmen für Berufspendler sollen für den Fall zulässig sein, daß sie nicht auf andere zumutbare Weise zur Arbeit kommen. Das ist ein Gebot der Verhältnismäßigkeit und berücksichtigt die Situationen, in denen ein Umsteigen auf den ÖPNV nicht möglich ist.
Ich möchte an dieser Stelle auch deutlich sagen, daß dieses Ozongesetz zwar nicht überbewertet werden darf, seine Einhaltung aber bei längeren Schönwetterperioden zur Senkung von Ozonspitzenkonzentrationen beitragen wird. Es hat auch einen indirekten Effekt: Es wird dazu beitragen, daß mehr Leute schneller auf schadstoffarme Autos umsteigen
und damit die Grundlast an sogenannten Vorläufersubstanzen drastisch gesenkt wird. Genau das wollen wir erreichen. Deswegen war es auch wichtig, den Grenzwert von 240 Mikrogramm festzulegen.
Damit droht jedem die Gefahr, daß er sein Auto an Tagen mit entsprechend hoher Ozonkonzentration stehenlassen muß.
Eine langfristige und dauerhafte Absenkung der Grundbelastung mit Vorläufersubstanzen verlangt mehr als nur Verkehrsbeschränkungen. Deswegen haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem wir deutlich machen - dies wird auch von den Experten bestätigt -, was wir flankierend noch alles unternehmen wollen. Es geht darum, daß die Ozonkonzentrationen dauerhaft nur dann reduziert werden können, wenn die Grundlast der sogenannten Vorläufersubstanzen reduziert wird.
Ich möchte abschließend sagen, Frau Präsidentin: Die F.D.P. fordert SPD und Grüne auf: Machen Sie gar nicht erst den Versuch, ein Sommertheater zu inszenieren.
Birgit Homburger
Es wird kein Kassenschlager für Sie werden. Geben Sie Ihre Blockadehaltung auf, werfen Sie ideologischen Ballast ab, und machen Sie den Weg frei für eine vernünftige Regelung, die noch in diesem Sommer greift!
Vielen Dank.
Als nächste spricht die Kollegin Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein ökologisches Trauerspiel, was sich in Sachen Sommersmog in diesem Hohen Hause abspielt.
Ich stelle mir manchmal vor, wie das, was wir hier machen, nach außen wirkt. Die Leute müssen doch den Eindruck bekommen, als würfelten wir hier: über Grenzwerte, über gesundheitliche Belastungen und über unser politisches Handeln.
In einer Zeitschrift für Kindergärten fand ich vor kurzem Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter Kindern im Alter von 6 bis 14 Jahren. Die Kinder sollten angeben, wovor Sie Angst haben. Die größte Angst hatten die Kinder vor dem Aussterben der Tiere und vor Luftverschmutzung. An dritter Stelle - das will ich hier nur nebenbei an die Adresse derer, die mal eben schnell in Bosnien mitmischen wollen, sagen - rangierte die Angst, daß Deutschland in einen Krieg verwickelt werden könnte.
Globale ökologische Ängste nehmen in der kindlichen Psyche einen herausragenden Platz ein. An die Eltern gerichtet fordern die Psychologen, die Ängste der Kinder ernst zu nehmen. Genau das möchte ich Ihnen, liebe Damen und Herren von der Koalition, ins Stammbuch schreiben: Nehmen Sie die Sorgen der Menschen ernst. Versuchen Sie nicht, sie kleinzureden oder gar zu ignorieren.
Der Gipfel dessen, was mir in Sachen Ozon in der letzten Woche auf den Schreibtisch geflattert ist, war allerdings eine Broschüre des Verbandes der Automobilindustrie. Man will mich, so das Anschreiben, beim Bekämpfen des Sommersmogs vor unbedachtem voreiligen Eingreifen in den Straßenverkehr bewahren. In der Broschüre liest sich das dann so:
Die auftretenden Augenreizungen, Reizungen der oberen Atemwege und Husten sind aber alle vorübergehend und verschwinden mit dem Rückgang der Ozonkonzentration.
Da muß man sich fragen, wie mit den Ängsten der Menschen umgegangen wird: alles halb so wild, das vergeht wieder von selbst. Auf diese Art von Argumentationshilfe kann ich gern verzichten.
Wer die tatsächlichen Folgen derart verharmlost, spielt mit dem Leben und der Gesundheit Hunderttausender. Es sind eben nicht nur - das hat die Anhörung, so denke ich, deutlich gezeigt - kurzzeitig auftretende Reizungen, sondern auch deutliche Beeinträchtigungen der Lungenfunktion bis hin zur Auslösung entzündlicher Prozesse und Vernarbungen in der Lunge zu erwarten.
Neueste Erkenntnisse über krebserregende Wirkungen sowie mögliche genetische Schäden können nicht ernst genug genommen werden.
- Kollege Paziorek, es geht nicht um Hetzparolen, sondern - das ist inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen - um wirkliche Erkenntnisse. Kollegin Homburger, wenn Sie die nicht wahrnehmen wollen, ist das Ihr Problem.
- Das Material der Anhörung liegt für jeden vor, und ich kann nur empfehlen, daß sich jeder Kollege und jede Kollegin des Parlamentes diese Unterlagen vornimmt.
- Ich denke, es geht nicht um Zitate. Es geht tatsächlich um die Erkenntnisse daraus, und die müßten Sie einmal verarbeiten.
Unsere Verantwortung, denke ich, muß vor allem dort liegen, wo die Schwächsten der Gesellschaft betroffen sind. Nicht der lautstarken Autolobby sollte unser politisches Herz gehören, sondern alten und kranken Menschen, Allergikern, Asthmatikern, Schwangeren und ganz besonders den Kindern.
Durch erhöhtes Atemvolumen - bezogen auf die Körpergröße - ist die aufgenommene Schadstoffmenge bei Kindern deutlich größer als bei Erwachsenen. Die Auswirkung der Ozonbelastung wird aber an einem ausgewachsenen Menschen mit einem Körpergewicht von 70 Kilogramm gemessen. In dieser Frage, wen oder was wir zum Maßstab für Berechnungen nehmen, besteht dringender Handlungsbedarf, aber nicht nur in dieser Frage, sondern im gesamten Schadstoffbereich.
Was wir allerdings brauchen, ist eine umfassende Smogprävention. Damit meine ich nicht nur die regelmäßige Beobachtung der Großwetterlage. Völlig klar ist, daß gehandelt werden muß, bevor hohe Kon-
Dr. Dagmar Enkelmann
zentrationen erreicht sind. Dann sind schnelle Maßnahmen notwendig: Warnungen an besonders betroffene Teile der Bevölkerung, drastische Fahreinschränkungen bis hin zu Fahrverboten, Arbeitsverbote im Freien usw. Die Vorschläge sind in den Anträgen - vor allem vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - gemacht.
Aber das ist nicht genug und greift letzten Endes zu kurz. Was wir brauchen, sind endlich konsequente Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung. Genau dort muß angesetzt werden, wo Verkehr entsteht. Wir müssen hin zu regionalen Wirtschaftskreisläufen, zu einer engen Verflechtung von wichtigen Lebensfunktionen wie Wohnen, Arbeiten, Freizeit usw.
Dringend geboten ist ein Katalog von Regelungen zur Verlagerung von Verkehr auf ökologisch verträglichere Träger. Wir brauchen auch restriktive Maßnahmen - das ist hier schon mehrfach erwähnt worden - zur Veränderung des Fahrverhaltens, also eine gerechte Kostenentlastung, Tempolimit usw. Ich sage dazu aber: Auch das Tempolimit kann nur ein Mittel sein. Das heißt: Wir dürfen es nicht zur Ideologie erheben. Wir müssen tatsächlich diesen gesamten Komplex von Maßnahmen berücksichtigen.
Eine Rechtsgüterabwägung, Kollege Paziorek, ist notwendig. Da stimme ich Ihnen zu. Ich denke, das höchste Rechtsgut ist der Schutz der Gesundheit von Mensch und Umwelt, und ganz oben an - das sage ich Ihnen ganz deutlich - steht zumindest für mich der Schutz der Gesundheit von Kindern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächste spricht die Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute den Gesetzentwurf über die Bekämpfung hoher Ozonkonzentrationen im Sommer diskutieren, dann müssen wir uns natürlich fragen: Warum brauchen wir eine solche Regelung?
Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause alle einig, daß wir diese Regelung brauchen, um überhöhte Ozonkonzentrationen im Sommer temporär zu bekämpfen. Das sind und bleiben temporäre Maßnahmen. Das haben wir auch immer gesagt. Damit sind und bleiben diese Maßnahmen auf irgendeine Art und Weise auch ein Notbehelf, weil wir es noch nicht geschafft haben, die Grundbelastungen so zu senken, daß diese hohen Ozonkonzentrationen bei bestimmten Witterungsverhältnissen nicht auftreten.
Deshalb haben wir immer hinzugefügt - das sage ich noch einmal ganz besonders in Richtung von
Frau Altmann -: Unser Hauptpunkt muß die Bekämpfung der Grundbelastung sein,
d. h. ganzjährig die Minimierung der Vorläufersubstanzen des Ozons, nämlich der Stickoxide und der flüchtigen Kohlenwasserstoffe. Wenn notwendig, müssen temporäre Maßnahmen hinzukommen, und nur über diese diskutieren wir heute, weil nur diese Gegenstand des Gesetzentwurfs sind.
Es kann und darf aber nicht - deshalb habe ich mir manchmal die Frage gestellt, warum wir eine Ozonregelung brauchen - Ziel einer solchen Gesetzesregelung sein, daß man einen Stellvertreterkrieg führt - einen Stellvertreterkrieg gegen den Autoverkehr, gegen ganze Bereiche der Wirtschaft und vieles andere mehr - und sich einen solchen Anlaß nimmt, um politische Ziele durchzusetzen, die man sonst jahrelang nicht durchsetzen konnte.
Meine Damen und Herren, ich habe keine Lust, mir vorhalten zu lassen, wir würden Ängste nicht ernst nehmen. Das ist nicht mein Prinzip. Wir nehmen die Ängste der Bürger ernst. Aber ich sage Ihnen auch: Die Ängste der Bürger beruhen zum Teil auf den Informationen, die ihnen die Politik gibt. Das, was wir in diesem Land an Diskussionen über die Gefährdungen durch Ozon hatten, entbehrt zum Teil jeder fundierten wissenschaftlichen Grundlage. Auch das trägt zu den Ängsten bei, mit denen Sie in diesem Sommer fertig werden müssen.
Stickoxide und flüchtige Kohlenwasserstoffe kommen zu über der Hälfte aus dem Verkehrsbereich. Deshalb setzen wir hier mit unseren Maßnahmen an, obwohl wir nie vergessen haben und nicht vergessen dürfen, daß ein großer Teil der Belastungen aus der Industrie kommt. Lösemittel, Farben und Lackierereien, all das haben wir im Auge.
Wir haben bei der Bekämpfung der hohen Ozonkonzentrationen dort eingesetzt, wo man von Vorteilen für die sprechen kann, die schadstoffarme Autos und Lkws haben. Das heißt, wir wollen die belohnen, die sich umweltfreundlich verhalten, und nicht alle gleichermaßen abstrafen. Ich denke, dies ist der richtige Weg, um einen Anreiz zu schaffen, daß sich Menschen umweltfreundlich verhalten. Denn nicht „freie Fahrt für freie Bürger", wie es aus der Grünen-Fraktion heraus schallt, ist unser Motto, sondern Stopp für die, die sich nicht umweltfreundlich verhalten. Genau das ist die Intention unseres Gesetzentwurfs.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Die Fahrverbote werden für etwa 17,8 Millionen von den etwa 40 Millionen Autos grundsätzlich gelten. Das sollte uns allen einmal zu denken geben, ob heute wirklich noch so viele Autos notwendig sind, die keinen Katalysator haben,
und ob sich nicht mancher von denen, die ein altes Auto haben, ein neues Auto gut leisten könnte. Ich hoffe, es sind nicht zu viele dabei, die umweltfreundliche Sprüche klopfen und sich trotzdem noch nicht entschließen konnten, sich ein neues Auto zu kaufen. Das muß gebrandmarkt werden.
Meine Damen und Herren, wenn Sie bei den Grünen wieder einmal eine Umfrage machen, fragen Sie einfach einmal nach, wie alt die Autos der Wähler der Grünen sind. Ich habe da so meine Vermutungen.
Die Ergebnisse würden mich sehr interessieren. Auch bei der SPD könnte eine solche Umfrage interessant sein.
Ich denke, daß unsere Wähler dabei noch am besten wegkommen. Aber wir müßten das einmal untersuchen.
- Das sind nicht die Reichen. Die Arbeiter haben bei der letzten Bundestagswahl mehrheitlich die CDU gewählt. Schauen Sie es sich einmal genau an, wie es mit den Reichen und den Armen ist.
Die Koalitionsfraktionen haben mit Unterstützung der Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von kurzfristig auftretenden Ozonspitzen im Bundestag eingebracht. Fahrverbote werden ab 240 Mikrogramm pro Kubikmeter vorgesehen. Das, was hier im Zusammenhang mit der Wetterlage diskutiert wurde, ist schlicht und ergreifend wahr - Frau Homburger hat das schon gesagt -: Ozon entsteht in Abhängigkeit von der Witterung, und deshalb brauchen wir Wetterprognosen auch für den nächsten Tag.
Ausgenommen von dem Fahrverbot sind Personenkraftwagen mit geregeltem Katalysator und gleichwertige Dieselfahrzeuge, alle Lkw und Busse, die die heutigen Zulassungsnormen erfüllen, und die, die nicht älter als fünf Jahre sind. Das bringt Vorteile für diejenigen, die schadstoffarme Autos haben.
Ein Fahrverbot für Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß ist eine sehr einschneidende Maßnahme. Deshalb muß man sich genau überlegen, ob, wann und wie man eine solch einschneidende Maßnahme durchsetzt. Aus diesem Grunde sage ich noch
einmal: Wir haben uns dazu entschlossen, weil wir es mit der Bekämpfung der erhöhten Ozonkonzentrationen und der möglichen Gefährdungen ernst meinen. Wir sind aber nicht bereit, Maßnahmen zu ergreifen, deren Auswirkungen nicht erwiesen sind, nur um die Leute zu tyrannisieren.
Dazu muß ich sagen: Erstens trifft ein Tempolimit alle gleich. Deshalb ist das keine Ermunterung für diejenigen, die sich umweltfreundlich verhalten. Zweitens gibt es eigentlich keinen ernstzunehmenden Hinweis und keinen Versuch, der bewiesen hätte, daß Tempolimits wirklich einen wichtigen Beitrag zur Minderung der Ozonbelastung leisten. Warum sollen wir uns einer solchen Maßnahme bedienen, wenn auch Sie nicht beweisen können, daß das etwas bringt? Sagen Sie es mir. Ich kann es im Zusammenhang mit dem Ozon nicht sehen.
Der Gesetzentwurf sieht Ausnahmen vor. Er sieht generelle Ausnahmen vor, die wohl unstrittig sind und die wir bereits beim Wintersmog gewährt haben. Er sieht Ausnahmen für Berufspendler vor, die auf zumutbare Weise nicht anders als mit dem Auto zu ihrem Arbeitsplatz kommen.
Dazu muß man einfach sagen: Das ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Ich frage Sie schon jetzt: Wer zahlt eigentlich den Lohnausfall für die, die nicht zur Arbeit kommen können, weil wir der Meinung waren, daß es unbedingt notwendig ist, diese Menschen nicht zur Arbeit fahren zu lassen.
- Bei Glatteis kann man objektiv nicht zur Arbeit kommen.
Es ist doch ein Unterschied, ob wir jemandem auf Grund der Verursachung eines kleinen Anteils an einer Gesamtbelastung, deren Gesundheitsgefährdung bei einer kurzen Zeitspanne noch nicht einmal nachgewiesen ist, verbieten, zur Arbeit zu fahren. Ich bitte Sie, das ist doch ein Unterschied.
Wenigstens insoweit sollten wir miteinander redlich sein.
Ich bin jetzt schon auf die Vorschläge der Länder in dem hoffentlich noch heute einberufenen Vermittlungsausschuß gespannt und darauf, was diese uns dazu sagen werden, wie sie mit den Berufspendlern umgehen. Diesbezüglich möchte ich nicht nur die Umweltminister, sondern auch die Wirtschaftsminister der Länder hören. Dann wollen wir einmal se-
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
hen, wie wir zusammenkommen und wie sich die Ministerpräsidenten am Schluß entscheiden.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf enthalt ferner Bestimmungen, auf Grund deren unter bestimmten Umständen für bestimmte Personengruppen Ausnahmen erlassen werden können. Das darf man nicht damit verwechseln, daß eine generelle Ausnahme schon besteht. Vielmehr eröffnet der Bundesgesetzgeber die Möglichkeit, daß die Länder in bestimmten Situationen das tun können, was sie für verantwortbar und wichtig halten.
Es wird manches Bundesland geben, das sehr erfreut ist, daß es die Möglichkeit hat, eine Autobahn für mehrere Stunden für die Fahrt freizugeben, beispielsweise dann, wenn sich kilometerlange Rückstaus von Urlaubern ergeben.
Dann wollen wir einmal sehen, wie sie das dann praktisch regeln.
Das Interessanteste an der ganzen Debatte ist folgendes: Wenn wir sagen, die Länder sollten das regeln oder an die kommunalen Behörden delegieren, weil sie näher am Geschehen dran sind, sagen diese vielleicht: Eigentlich haben wir damit nicht gerne etwas zu tun.
Ich halte das für ziemlich entlarvend.
Natürlich haben die Straßenverkehrsbehörden, die Gewerbeämter und alle anderen den Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in allen seinen Teilen durchzuführen; das wird immer auf Landesebene durchgeführt. Aber bei den Fahrverboten möchten die Länder nichts damit zu tun haben. Das machen wir nicht mit. Verantwortung muß geteilt werden.
Im übrigen haben die Länder als erstes den Wunsch gehabt, daß ein Gesetz mit Fahrverboten gemacht wird. Deshalb werden die Länder einen großen Teil der Verantwortung zu tragen haben. Das ist nichts weiter als richtig, redlich und praxisbezogen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns über die Grenzwerte gestritten. Wir haben uns jetzt auf 240 Mikrogramm pro Kubikmeter eingelassen. Aber es ist absurd - das hat etwas mit der Mißinformation der Bevölkerung zu tun -, meinen zu wollen, daß es irgendwelche wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine höhere Belastung bei einem Grenzwert von 270 anstatt 240 Mikrogramm pro Kubikmeter gibt.
Die unterschiedlichen Meßverfahren - deutsches Meßverfahren, EU-Meßverfahren - machen bereits einen Unterschied von 20 Mikrogramm pro Kubikmeter, also 7 %, aus. Ein Großteil der Länder hat das Meßverfahren noch nicht umgestellt.
Das, was nach deutschem Meßverfahren 270 Mikrogramm sind, sind nach europäischem Meßverfahren 250 Mikrogramm. Wenn also in Hessen - ich glaube, dort ist es so - nach deutschem Meßverfahren 270 Mikrogramm gemessen werden, dann sind das, wenn dort endlich nach europäischem Meßverfahren gemessen wird, auch nur 250 Mikrogramm.
Jetzt wollen Sie dem Bürger weismachen, wir würden etwas Unverantwortliches tun, wenn wir 270 Mikrogramm vorschlagen, und Sie würden mit einem Grenzwert von 240 Mikrogramm das Richtige fordern.
Das ist Irreführung.
Aber wir sind kompromißbereit. Wir wollen eine bundeseinheitliche Regelung. Deshalb unterstützen wir gemeinsam den Vorschlag eines Grenzwertes von 240 Mikrogramm pro Kubikmeter.
Da können Sie sich freuen, Herr Schütz. Gehen Sie dann aber auch von Ihren unsinnigen und wirklich nicht relevanten Forderungen nach einem Tempolimit ab. Dann kommen wir schnell zueinander, und die Bürger haben endlich das, was sie brauchen, nämlich eine gute gesetzliche Grundlage.
Über das, was Sie noch an Verbesserungsvorschlägen bezüglich der Ausnahmen haben, kann man im Vermittlungsausschuß sicherlich noch einmal reden. Das müssen wir dann aber auch noch in anderen Ausschüssen tun. Wir sollten also nicht nur mit den Umweltpolitikern darüber reden.
Langfristige Maßnahmen zur Bekämpfung der Ozonbelastung sind notwendig. In einem Memorandum haben wir eingefordert, daß dies auf europäischer Ebene geschieht. Man muß aber auch zur Kenntnis nehmen, daß sich seit 1980 die Belastung mit Stickoxiden und flüchtigen Kohlenwasserstoffen in der Bundesrepublik um jährlich 20 % vermindert hat. Es gibt nicht einen einzigen ernstzunehmenden Politiker in den Ländern, der bestreiten wird, daß diese Verminderung stattgefunden hat. Die Verminderung wird weitergehen; es gibt nur ganz wenige, lokal begrenzte Stellen in der Bundesrepublik Deutschland, wo die Belastungen in den letzten Jahren gestiegen sind. Deshalb sage ich Ihnen: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir müssen ihn weitergehen.
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, daß bei 180 Mikrogramm pro Kubikmeter die Bevölkerung informiert und zu bestimmten Maßnah-
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
men aufgefordert wird. Daß Sie an die Freiwilligkeit der Menschen nicht glauben, wissen wir. Wir glauben daran, daß Menschen sich auch von sich aus vernünftig verhalten. Deshalb ist dies die erste Stufe unserer Maßnahmen. Die zweite folgt dann bei 240 Mikrogramm pro Kubikmeter. Die Europäische Union sagt, daß ein Warnwert von 360 Mikrogramm pro Kubikmeter vorzugeben ist. Ich glaube, wir werden mit einer Regelung, die bei 240 Mikrogramm pro Kubikmeter einschneidende Maßnahmen vorsieht, der Sache wirklich gerecht.
Wir haben mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf eine Regelung vorgeschlagen, die es in dieser Stringenz in keinem der OECD-Staaten und in keinem europäischen Land gibt. Deshalb ist der Bundesrat gefordert, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, damit wir alle gemeinsam unsere politische Handlungsfähigkeit beweisen können. Ich glaube, wir sollten das umweltfreundliche Verhalten der Bürger belohnen. Die Bevölkerung hat von diesem Theater wirklich die Nase voll. Wir geben Ihnen heute eine Grundlage, damit sich das ändert und in diesem Sommer endlich bundeseinheitlich vernünftige Regelungen in Kraft treten können.
Als nächstes spricht die Kollegin Elke Ferner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Das Trauerspiel, das sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen bei dem Versuch zur Bekämpfung des Sommersmogs geleistet haben, kann man wie folgt umschreiben: Wir zeigen lieber mit dem Finger auf andere - ich nenne das Beispiel „Brent Spar" - und werden dann weniger konkret und sehr unverbindlich, wenn es um den Umweltschutz im eigenen Land geht.
Es ist ein Irrtum anzunehmen, daß das, worüber wir heute diskutieren, im Vergleich zur Verschmutzung der Nordsee eine Petitesse wäre. Es geht um die Gesundheit der Bevölkerung. Es geht um die Versauerung von Böden und Gewässern und um das Waldsterben. Wir hatten wahrlich gehofft, daß es nach diesem Schwenk auch hier eine Änderung Ihrer Haltung gibt. Da macht die Frau Umweltministerin wirklich löbliche Versuche, uni die Sache endlich voranzubringen. Aber sie wird vom Verkehrsminister und vom Wirtschaftsminister ausgebremst. Dem Wirtschaftsminister tritt dann noch einmal die eigene Basis auf die Füße. Das ist das, was sich die Regierung in den letzten Wochen geleistet hat.
Die Bundesregierung peitscht hier einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Sommersmogs durch, der für diesen Zweck völlig untauglich und allenfalls ein Alibi für ein umwelt- und verkehrspolitisches Versagen ist. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie sind weder in der Lage, wirksame kurzfristige Maßnahmen zur Absenkung der Spitzenwerte durchzuführen, noch sind Sie in der Lage, endlich die notwendigen Schritte für die längst fällige Verkehrswende einzuleiten, damit es eben langfristig zu einer Reduzierung der Schadstoffe im Verkehrsbereich kommt.
Nach Ihrem Gesetzentwurf wird erst einmal nichts getan und abgewartet, bis die Konzentration 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erreicht hat. Danach soll dann ein Verfahren einsetzen, das man eine Mischung aus Täuschungsmanöver durch die Behörden und Intelligenztest für die Bevölkerung nennen kann. Die Behörden täuschen vor, daß nun eine Fahrverbotsregelung in Kraft gesetzt wird, um endlich den Sommersmog zu bekämpfen. Gleichzeitig wird der Grips der gesamten Bevölkerung in Gang gesetzt, damit die unendliche Kette von Ausnahmeregelungen dann auch genutzt werden kann. Ich frage Sie: Welcher Pendler hätte dann wohl nicht eine besonders schwere Akten- oder Werkzeugtasche zur Arbeit zu transportieren?
Ich bitte um etwas mehr Ruhe im Saal. Man kann die Rednerin kaum verstehen.
Frau Homburger, da Sie eben gesagt haben, Urlaubsfahrer seien in der Ausnahmeregelung überhaupt nicht drin,
möchte ich aus der Beschlußempfehlung des Umweltausschusses zitieren, in der auf Seite 21 zu Art. 1 Nr. 1- § 40e - steht:
Einer gesonderten Regelung für Urlaubsfahrer in Abs. 1 bedarf es nicht. Die Fallgruppe ist durch den Begriff „Personengruppe" mit umfaßt.
Es gibt also doch eine Ausnahmeregelung.
Das, was Sie hier gemacht haben, ist nicht mehr und auch nicht weniger als eine Täuschung.
Die Frau Kollegin Altmann hat eben schon gesagt, daß das hier im Klartext bedeutet: Kinder, alte Menschen und andere ozonempfindliche Personen müssen drinnen bleiben, und die Autos bleiben in der freien Natur. Das ist die Konsequenz Ihres Gesetzentwurfes, wenn die Grenzwerte überhaupt erreicht werden.
— Seien Sie doch nicht so aufgeregt, Frau Homburger.
Elke Ferner
Wir wissen, daß die Bevölkerung sehr wohl bereit ist, auch einschränkende Maßnahmen in Kauf zu nehmen, wenn sie für alle gelten. Wenn Sie aber wegen ideologischer Scheuklappen aus purer Angst vor dem Einstieg in ein allgemeines Tempolimit die Möglichkeit versäumen, das Ansteigen der Spitzenwerte im Vorfeld zu verhindern, dann ist das, was Sie hier betreiben, vorsätzliche Körperverletzung. Anders kann man das nicht mehr nennen.
Wenn die Fahrverbote dann auch noch durch Ausnahmeregelungen so durchlöchert werden, daß sich jeder, der sich daran hält, blöd vorkommen muß,
dann ist Ihre Unfähigkeit zum notwendigen politischen Handeln offenkundig.
Sie bauen hier einen Popanz auf. Es geht überhaupt nicht um die Einschränkung der Mobilität. Das Gegenteil ist der Fall: Es geht gerade darum, daß es erst gar nicht soweit kommt, daß Fahrverbote ausgesprochen werden müssen. Sie müssen doch selbst daran interessiert sein, daß es nicht dazu kommt, daß der Wirtschafts- und der Lieferverkehr nicht mehr funktionieren kann. Dann ist es doch immer noch besser, das Ganze bei stark reduziertem Tempo stattfinden zu lassen, als den Stillstand zu propagieren. Ihre Argumentation ist irgendwie nicht schlüssig.
Die Notwendigkeit, überhaupt ein Gesetz zum Sommersmog verabschieden zu müssen, verdeutlicht eigentlich, daß Sie bisher eine völlig verfehlte und falsche Verkehrspolitik gemacht haben. Auch hier setzen Sie wieder nur an den Symptomen an und werfen das, was man Ursachenbekämpfung oder Vermeidungsstrategie nennt, im Verkehrssektor völlig auf die Seite.
Sie haben in der Vergangenheit eine Betonpolitik gemacht. Sie haben versucht, den Prognosen über immer größer werdendes Verkehrswachstum hinterherzurennen und sie sogar noch zu überholen. Die richtigen Schritte haben Sie nicht eingeleitet.
Ich glaube, wer Menschen davon überzeugen will, das Auto stehen zu lassen und die Alternativen im Umweltverbund zu benutzen, der muß auch den ÖPNV massiv ausbauen. Wir erwarten deshalb, daß Wege gefunden werden, damit die Finanzmittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz auch über 1997 hinaus auf einem hohen Niveau verstetigt werden.
Auf der europäischen Ebene gibt es Übereinstimmung in dem verbalen Ziel, jedem Verkehrsträger seine Kosten, einschließlich der externen Kosten, anzulasten. Bei diesen Worthülsen bleibt es aber; in der Realität passiert nichts. Die Mindeststeuersätze sind
extrem niedrig, und zumindest mir ist keine Initiative seitens der Bundesregierung bekannt, die darauf abzielt, auf der europäischen Ebene noch einen Schritt nach vorne zu gehen.
Frau Ferner, darf ich Sie noch einmal unterbrechen? - Es ist für die Rednerin kaum möglich durchzukommen, wenn Sie sich ihr gegenüber nicht mit Ihren Unterhaltungen etwas zurückhalten. Zwar steht eine namentliche Abstimmung bevor, doch diese Disziplin müssen wir uns einfach abverlangen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Auf der europäischen Ebene gibt es weiter den einmaligen Vorgang, daß es die Bundesregierung mit ihrer Zustimmung zur Vignettenregelung zugelassen hat, daß ein beispielloses Steuerdumping im Lkw-Bereich eingesetzt hat. Auch dies ist ein Beitrag zum Sommersmog.
Wenn man sieht, daß der Anteil des Güterverkehrs auf der Straße wächst und wächst, der Anteil des kombinierten Verkehrs aber schrumpft, braucht man sich wirklich nicht zu wundern. Es gibt keine optimale Vernetzung der Verkehrsträger; davon sind wir auch noch Lichtjahre entfernt. Solange Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Investitionen beim Schienenbau immer wieder herunterfahren und beim Straßenbau dagegen noch drauflegen, braucht man sich nicht zu wundern, daß sich an dieser Situation und auch an dem Problem des Sommersmogs nichts ändert.
Daß die Post dann ihre Verteilzentren auf die grüne Wiese ohne Gleisanschluß baut und die Transporte damit auf die Straße verlagert, paßt ins Bild. Wir hatten ja genügend Anfragen dazu von Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Fragestunden.
Alles das sind Beiträge zum Entstehen des Sommersmogs und nicht zur Vermeidung von Sommersmog.
Es geht weiter: Bei der Vignettenregelung für Lkws, die 1997/98 noch einmal geändert werden soll, fällt dem Bundesverkehrsminister nichts Besseres ein, als großmundig eine drastische Erhöhung zu fordern, obwohl er genau weiß, daß die Staaten, die bisher eine gerechte Kostenanlastung verhindert haben, genau dieses wieder tun werden. Anstatt jetzt aber endlich einen Schritt weiterzugehen und zu versuchen, streckenabhängige Gebühren zu erheben, wird das von der Bundesregierung nicht einmal in Erwägung gezogen.
Auch bei der Umwandlung der Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale: Fehlanzeige. Auch hier zeigt sich ideologische Verbohrtheit mit dem Ziel, Autofahren weiter zu privilegieren und andere Verkehrsarten nicht in dem Maße zu begünstigen.
Elke Ferner
Zu den Schadstoffemissionen und dazu, was eben zu den Kat-Fahrzeugen gesagt worden ist: Wenn ich hier weiter auf Freiwilligkeitsregelungen setze, brauche ich mich über das Ergebnis nicht zu wundern. Es war ja diese Koalition, die die Einführung des Kats auf Druck der Automobilindustrie lange verhindert hat.
Sonst wären wir schon ein gutes Stück weiter. Heute sind erst 50 % der Fahrzeuge mit Kat ausgerüstet.
Zum generellen Tempolimit - auch das ist eben schon gesagt worden -: Das meidet die Koalition wie der Teufel das Weihwasser. Das ist aber pure Ideologie.
Aus verkehrspolitischer Sicht wäre es allemal vernünftiger gewesen, ein gestuftes Verfahren einzuführen. Sie werden sich jetzt mit den Ländern auseinanderzusetzen haben. Wir jedenfalls werden diesen Versuch eines Täuschungsmanövers gegenüber der Bevölkerung nicht mitmachen und werden Ihren Gesetzentwurf ablehnen.
Als letzter in der Debatte spricht der Kollege Dr. Klaus Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Deutsche Bundestag hat es fertiggebracht, innerhalb von 14 Tagen eine Vorlage unter Einbeziehung der Sachverständigen gut durchzuberaten. Ich halte dies für eine großartige Leistung. Das ist ein Punkt, wo wir sagen: Wir wollen unseren Beitrag zur Lösung des Problems leisten.
Jetzt, Herr Schütz, komme ich zu Ihnen: Nachdem wir gerade erfahren haben, wie gefährlich Ozon ist, was das alles für die Kinder und für die Senioren bedeutet, machen Sie hier in Ihrem Beitrag klammheimlich die Tür auf und sagen: Die Länder können das nicht so schnell umsetzen.
Jetzt bin ich gespannt, ob es Ihnen mit der Gesundheitsgefährdung wirklich so ernst ist und ob die Länder nun in der Lage sind, zu schaffen und diesen Gesetzentwurf innerhalb kürzester Zeit umzusetzen. Daran wird sich das erweisen, und daran werden wir Sie messen.
Hätten wir dieses Gesetz nicht vor der Sommerpause durchgebracht, hätten Sie überlegt, uns aus den Ferien teuer zurückzuholen. Jetzt sagen Sie, die Beamten in den Ländern, die von Ihrer Partei regiert werden, könnten das nicht schaffen.
Mit uns nicht! Ran an die Arbeit in den Ländern - auch wenn der Bundesrat hier nicht vertreten ist!
Was vom Tempolimit zu halten ist, sagen mir doch die schwarz-roten bzw. roten Länder Berlin und Brandenburg. Sie sagen: Wir brauchen das Tempolimit nicht.
Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie Harald B. Schäfer beim Großversuch in Heilbronn bei Tempo 180 durchs Autotelefon diktiert, daß wir die Geschwindigkeitsbegrenzung brauchen. Das ist doch die Wahrheit!
Den anderen Wasser predigen, aber bei Tempo 180 auf die Ozongefährdung hinweisen: Sind das die Leute, von denen wir uns glaubhaft Umweltpolitik versprechen? - Nein! Was jetzt her muß, ist die weitere Beschleunigung der Umstellung auf Katalysatorfahrzeuge.
Frau Kollegin, jetzt räumen wir gleich auch noch mit der historischen Lüge auf: Von 1972 bis 1983 waren in Deutschland Katalysatoren für den Einbau in den Autos fertig entwickelt. Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat elf Jahre nichts gemacht, und wir haben das in den ersten zwei Jahren umgesetzt. Das ist die Wahrheit.
Wir hätten seit 1972 die Absenkung haben können, wenn Sie gehandelt und nicht nur geredet hätten.
Deshalb werden wir in diesem Gesetzentwurf alles tun, damit wir die Umstellung auf Katalysatorfahrzeuge weiter beschleunigen.
Herr Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. - Das bekommen wir mit dem Fahrverbot hin. Ich will Ihnen auch eines sagen: Dieses Fahrverbot muß verhältnismäßig sein.
Dieses Fahrverbot muß berücksichtigen, daß es erst ab einem bestimmten Schwellenwert Umweltgefährdungen gibt. Da kenne ich die Antwort des Landes Nordrhein-Westfalen auf Ihre Anfrage, in der steht, Umweltgefährdungen entstehen erst bei 360 Mikrogramm. Das alles wollen Sie jetzt nicht haben. Wir bleiben mit 240 Mikrogramm deutlich darunter. Das ist ein Wert, bei dem man sagen kann: Hier schaffen wir Abhilfe. Jetzt bewegen Sie sich in den anderen
Dr. Klaus W. Lippold
Fragen und blockieren Sie nicht die Entscheidung im Bundesrat, denn diese Blockade schadet den Menschen und führt nicht zu einer Problemlösung, die wir brauchen.
Ich will noch einmal ganz deutlich sagen, meine Damen und Herren: Die Instrumentalisierung der Ängste älterer Menschen und der Kinder ist unverantwortlich.
- Ich habe das bei Ihnen schon häufiger erlebt. Ich erinnere noch einmal an die Diskussion um große Kraftwerke und um Pseudokrupp, was bei Kindern durch die Emissionen großer Braunkohle- und Kohlekraftwerke verursacht würde, haben Sie gesagt. Dann haben Sie Eltern hingeschickt, die mit tränenerstickter Stimme gesagt haben: Wir müssen diese Großkraftwerke wegschaffen, weil meine Kinder Pseudokrupp bekommen. Dann haben Sie auf die Kernenergiedebatte umgeschaltet. Seitdem haben wir nie wieder ein pseudokruppgeschädigtes Ehepaar in den Veranstaltungen gesehen. So instrumentalisieren Sie Ängste. Dazu sagen wir nein. Mit uns nicht. Diese Panikmache ist dem Sachverhalt nicht angemessen.
Ich sage noch einmal deutlich: Wenn Sie das so weiterführen, dann fordern wir die absoluten Fahrverbote für Ihre Umweltminister, die sich über dem Tempolimit bewegen.
Herzlichen Dank.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat Dr. Wolf.
Herr Kollege Lippold, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß Harald Schäfer als Umweltminister von Baden-Württemberg als Raser autotelefonierend mit 180 km/h auf der Autobahn ertappt worden ist. Wollen Sie mit mir übereinstimmen, daß dieses Phänomen nicht allein auf ihn als Minister in Baden-Württemberg zutrifft, sondern auf eine ganze Reihe von Ministern und prominenten Politikern -
- Sie zögern es durch Ihre Zwischenrufe hinaus -, prominenten politischen Vertretern in diesem Bundestag, die auf ähnliche Weise ertappt worden sind? Darunter ist Minister Blüm, darunter ist der damalige Generalsekretär der CSU, Herr Wisheu, heute Verkehrsminister, der unter anderem alkoholisiert einen polnischen Rentner auf der Autobahn getötet hat?
Der Minister möchte als erster antworten.
Ich habe eine Preisfrage: Wo haben
Sie oder andere mich bei Geschwindigkeitsübertretungen erwischt?
- Ich lese nicht den „Stern". Ich weiß, wie ich fahre.
Herr Lippold.
Herr Kollege, ich darf noch einmal darauf hinweisen: Mein Wort galt denen, die doppelzüngig sind, die Wasser predigen und selbst Wein trinken. Ich habe die gemeint, die in der Öffentlichkeit sagen: Ihr, die Bevölkerung, sollt euch so verhalten, und sich selbst dann hinterher gegenteilig benehmen. Diese Scheinheiligkeit muß angeprangert werden. Dazu stehe ich, übrigens gleich, wem gegenüber.
Letzte Kurzintervention von Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von der CDU/CSU und von der PDS, daß jetzt die Koalition gegen Scheinheiligkeit von allen unterstrichen wurde, ist ein Grund, sich zu freuen. Vielleicht wären Sie auch noch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, Herr Kollege von der PDS, daß Sie in bezug auf den Kollegen Schäfer aus Baden-Württemberg die Unwahrheit gesagt haben. Ich darf Ihnen den Rat geben: Glauben Sie nicht alles, was in der „Bild-Zeitung" steht. Wir werden dann insgesamt mit unserer Kampagne gegen Doppelzüngigkeit und Scheinheiligkeit weiterkommen.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung über diesen Tagesordnungspunkt kommen, möchte ich Ihnen sagen, daß damit weitere Abstimmungen verbunden sind. Ich bitte Sie also dringend hierzubleiben.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1778 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Gegenstimmen der CDU/CSU und der F.D.P. und bei Enthaltung der SPD abgelehnt.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Gegenstimmen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben' ).
Wir setzen die Beratung fort. Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen, weil weitere Abstimmungen anstehen.
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/ CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1758. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung erhöhter Ozonkonzentrationen auf Drucksache 13/808. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/1754 unter Nr. 3, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/808 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Eckpunkten zur Bekämpfung umwelt- und gesundheitsgefährdender bodennaher Ozonkonzentration, Drucksache 13/1754 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1307 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese
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Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/ CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Maßnahmen gegen bodennahes Ozon, Drucksache 13/ 1754 Nr. 5. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1203 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. bei Gegenstimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS und bei weitgehender Enthaltung der SPD angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu Maßnahmen zur Bekämpfung erhöhter Konzentrationen an bodennahem Ozon, Drucksache 13/1754 Nr. 6. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1295 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. bei Gegenstimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS bei Enthaltung der SPD angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu einem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union über Maßnahmen gegen die Emission gasförmiger Schadstoffe und luftverunreinigender Partikel aus Dieselmotoren, Drucksache 13/1623 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/1623 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung bei Enthaltung der PDS angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu einem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Emissionen von Kraftfahrzeugen, Drucksache 13/ 1624 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist ebenfalls einstimmig angenommen.
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/1624 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der PDS angenommen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Ich komme zu dem schon heute morgen in der Beratung angekündigten Zusatzpunkt nach Tagesordnungspunkt 14. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 1996 zu erweitern. Der Antrag soll jetzt gleich ohne Aussprache beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenbar der Fall. Wir können so verfahren.
Damit rufe ich den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 1996
- Drucksachen 13/901, 13/1558, 13/1600, 13/ 1779 -
Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag auf Drucksache 13/1779. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Ich wiederhole die Abstimmung; die Lage ist nicht ganz eindeutig. Ich bitte alle, die jetzt noch stehen, sich hinzusetzen, auch diejenigen, die hinter den Sitzen stehen. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Haben alle Platz genommen?
Ich wiederhole die Abstimmung. Wer stimmt für die Anrufung des Vermittlungsausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. bei Gegenstimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen. Damit ist dieses Abstimmungsverfahren beendet.
Ich rufe auf:
Aktuelle Stunde
Beendigung der Energiekonsensgespräche
Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. haben zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster der Kollege Rainer Haungs.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Einen Augenblick, Herr Haungs. Ich bin nicht bereit, unter diesen Umständen anzufangen. Darf ich die Kollegen und Kolleginnen darum bitten, daß sie uns die Möglichkeit geben, die Beratung fortzuführen?
Herr Haungs.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die deutsche Öffentlichkeit hat wohl ein Recht darauf, zu erfahren, warum die dritte Runde der Energiekonsensgespräche gescheitert ist. Es ist wohl richtig, wenn wir gleich am Anfang dieser öffentlichen Diskussion keine Legenden entstehen lassen. Es waren nicht Fragen der Kohlefinanzierung oder der Flexibilisierung der Plafonds. Alle Teilnehmer der Runde gaben Zusagen, die über die Vereinbarungen in der ersten Runde hinausgingen. Es waren auch nicht die erneuerbaren Energien, ein Thema, das alle Parteien einigt und zu dem ebenfalls ein gemeinsamer Antrag vorliegt. Es waren auch nicht die Finanzierungsfragen in bezug auf energiesparende Maßnahmen, nicht einmal so schwierige Dinge wie die Energiesteuer oder so etwas Ähnliches. Es waren auch nicht die Zusagen über Laufzeiten von derzeit betriebenen Kernkraftwerken oder die Frage nach alternativen Lagerstätten. Nein, dies alles war es nicht.
Es war einzig und allein die Tatsache, daß Teile der SPD-Delegation sich weigerten, der Arbeitsgruppe, die wir einsetzen wollten und die Fragen der Kernenergie bearbeiten sollte, einen klaren Arbeitsauftrag zu erteilen.
Natürlich waren wir uns darüber im klaren, daß wir grundsätzlich verschiedene Auffassungen zu diesem Thema haben. Dies konnte in einer gemeinsamen Vereinbarung festgehalten werden. Wir waren uns ebenfalls klar darüber, daß der Arbeitsauftrag für diese Arbeitsgruppe keine Vorentscheidung für den Bau eines zukünftigen Reaktors sein darf und sein soll.
Was sollten die Arbeitsgruppen machen? Die eine sollte untersuchen, welche Maßnahmen und welche Finanzierungsmöglichkeiten in bezug auf energiesparende Maßnahmen in die Zukunft weisen, welche erneuerbaren Energien vorhanden sind und wie man sie ausbauen kann - ein Bereich, über den Einigkeit besteht und in bezug auf den wir keine Konsensrunde hätten zusammenrufen müssen. Denn dies ist glücklicherweise breite Meinung in der politischen Diskussion.
Die zweite Arbeitsgruppe sollte den klaren Auftrag haben - diese Formulierungen wurden im Vorfeld unserer Diskussion ja gemeinsam besprochen -, zu klären, welches die notwendigen Voraussetzungen sind, damit wir in Deutschland auch in der Zukunft
Rainer Haungs
über die Fähigkeit verfügen, neue Anlagen zur Energieerzeugung im Bereich der Kernkraft zu errichten, wenn diese notwendig sind, wenn die technischen Entwicklungen auf dem letzten Stand sind und wenn es sich ökonomisch verantworten läßt. Also, es sollte nicht irgendeine Frage problematisiert werden, sondern es sollte ein klarer Arbeitsauftrag erteilt werden. Es ist völlig unverständlich, warum wir hier nicht zu einer Einigung gekommen sind.
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, es spricht Bände über den Zustand der SPD, über die Modernität, die Zukunftsoffenheit und die Wirtschaftskompetenz, daß sie sich auf einen zehn Jahre alten Parteitagsbeschluß zurückzieht und sich der ergebnisoffenen Diskussion verweigert. Im Kommentar einer angesehenen Tageszeitung wurde dies heute unter der Überschrift „Die Angst der SPD vor dem Risiko" sehr treffend formuliert. Denn schonungsloser kann man es nicht sagen. Ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung":
Prinzipiell gesagt, handelt es sich um die Frage, ob die SPD in wichtigen ... Fragen ... fähig und in der Lage ist, sich dem Risiko einer ergebnisoffenen politischen Auseinandersetzung zu stellen; oder ob sie ... sich in die politische Bewegungslosigkeit zurückzieht.
Dies ist schlicht und einfach die Bewertung dieser Runde.
Die Konsensrunde war schon sehr eigenartig. Denn der Konsens mußte nicht zwischen Regierungskoalition und Opposition gesucht werden, sondern das größte Problem der drei, vier Stunden an diesem Abend war, daß der Konsens innerhalb der SPD-Delegation zwar gesucht, aber nicht gefunden wurde. Wie in vielen anderen Fragen ist die Opposition hier heillos zerstritten. Ich kann jetzt schon sagen: Zukünftige Diskussionsrunden ähnlicher Art werden erst dann wieder sinnvoll sein, wenn man sich hier nach einem Klärungsprozeß innerhalb der Reihen der SPD-Opposition einem Ergebnis nähert. Das, was an diesem Abend von Ihnen gezeigt wurde, war kein Führungswille. Es ist der Zustand in diesen und auch in anderen Fragen, der uns wenig Hoffnung gibt, daß sich hieran in Zukunft etwas ändert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich fortfahre, möchte ich das Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 628. Mit Ja haben gestimmt: 332; mit Nein haben gestimmt: 295; Enthaltungen: 1. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 628
ja: 332
nein: 295
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Adam, Ulrich
Altmaier, Peter
Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter Basten, Franz Peter Bauer, Dr. Wolf
Baumeister, Brigitte Belle, Meinrad
Bergmann-Pohl, Dr. Sabine Bierling, Hans-Dirk
Blank, Dr. Joseph-Theodor Blank, Renate
Blens, Dr. Heribert Bleser, Peter
Blüm, Dr. Norbert Bohl, Friedrich
Böhmer, Dr. Maria Borchert, Jochen Börnsen ,
Wolfgang
Bosbach, Wolfgang Bötsch, Dr. Wolfgang Brähmig, Klaus
Braun , Rudolf Breuer, Paul
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler , Klaus Büttner (Schönebeck),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens , Manfred Carstensen (Nordstrand),
Peter Harry
Dehnel, Wolfgang Deittert, Hubert
Dempwolf, Gertrud Deß, Albert
Diemers, Renate Dietzel, Wilhelm Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dregger, Dr. Alfred Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eßmann, Heinz Dieter Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Faltlhauser, Dr. Kurt Feilcke, Jochen
Fell, Dr. Karl H.
Fink, Ulf
Fischer , Dirk Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Herbert Friedrich, Dr. Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim Geiger, Michaela
Geis, Norbert
Geißler, Dr. Heiner Glos, Michael Glücklich, Wilma Göhner, Dr. Reinhard
Götz, Peter
Götzer, Dr. Wolfgang
Gres, Joachim Grill, Kurt-Dieter Gröhe, Hermann Grotz, Claus-Peter Grund, Manfred
Günther , Horst Hammerstein, Carl-Detlev
Freiherr von
Haschke ,
Gottfried
Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser , Otto Hauser (Rednitzhembach),
Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred Hellwig, Dr. Renate Hinsken, Ernst
Hintze, Peter Hollerith, Josef
Hornhues, Dr. Karl-Heinz Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim
Hüppe, Hubert Jacoby, Peter Jaffke, Susanne Janovsky, Georg Jawurek, Helmut Jobst, Dr. Dionys Jork, Dr.-Ing. Rainer
Jung , Michael Junghanns, Ulrich Jüttner, Dr. Egon
Kahl, Dr. Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen
Kansy, Dr.-Ing. Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Klaeden, Eckart von Klaußner, Dr. Bernd
Klein , Hans Klinkert, Ulrich
Köhler ,
Hans-Ulrich Kolbe, Manfred Königshofen, Norbert
Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Koslowski, Manfred
Kraus, Rudolf
Krause , Wolfgang Krautscheid, Andreas Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Krüger, Dr.-Ing. Paul Krziskewitz, Reiner
Kues, Dr. Hermann
Kuhn, Werner Lamers, Karl Lamers ,
Dr. Karl A.
Lammert, Dr. Norbert Lamp, Helmut Laschet, Armin Lattmann, Herbert Laufs, Dr. Paul Laumann, Karl-Josef
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Lensing, Werner
Lenzer, Christian Letzgus, Peter
Limbach, Editha
Link , Walter Lintner, Eduard Lippold (Offenbach),
Dr. Klaus W.
Lischewski, Dr. Manfred Lohmann , Wolfgang
Louven, Julius
Löwisch, Sigrun Lummer, Heinrich Luther, Dr. Michael
Maaß , Erich Mahlo, Dr. Dietrich Marschewski, Erwin
Marten, Günter
Mayer ,
Dr. Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Meister, Dr. Michael Merkel, Dr. Angela Merz, Friedrich
Meyer , Rudolf Michelbach, Hans Michels, Meinolf Müller, Dr. Gerd
Müller , Elmar Nelle, Engelbert Neumann (Bremen), Bernd Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia
Olderog, Dr. Rolf Ost, Friedhelm Oswald, Eduard Otto , Norbert Päselt, Dr. Gerhard Paziorek, Dr. Peter
Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika Pfennig, Dr. Gero Pflüger, Dr. Friedbert Philipp, Beatrix Pinger, Dr. Winfried Pofalla, Ronald Pohler, Dr. Hermann Polenz, Ruprecht Pretzlaff, Marlies Probst, Dr. Albert Protzner, Dr. Bernd Pützhofen, Dieter Rachel, Thomas Raidel, Hans
Ramsauer, Dr. Peter Rau, Rolf
Rauber, Helmut Rauen, Peter Harald Regenspurger, Otto
Reichard , Christa Reichardt (Mannheim),
Klaus Dieter
Reinartz, Dr. Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Richter, Roland Richwien, Roland Rieder, Dr. Norbert
Riedl , Dr. Erich Riegert, Klaus
Riesenhuber, Dr. Heinz
Rönsch , Hannelore
Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Rossmanith, Kurt J.
Roth , Adolf Röttgen, Norbert
Ruck, Dr. Christian Rühe, Volker
Rüttgers, Dr. Jürgen Sauer , Roland Schätzle, Ortrun
Schäuble, Dr. Wolfgang Schauerte, Hartmut Schemken, Heinz
Scherhag, Karl-Heinz Scheu, Gerhard
Schindler, Norbert Schlee, Dietmar
Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt , Christian Schmidt (Halsbrücke),
Dr.-Ing. Joachim
Schmidt , Andreas Schmiedeberg, Hans-Otto Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
Schmude, Michael von Schnieber-Jastram, Birgit Schockenhoff, Dr. Andreas Scholz, Dr. Rupert Schorlemer, Reinhard
Freiherr von
Dr. Christian
Sebastian, Wilhelm-Josef Seehofer, Horst
Seibel, Wilfried
Seiffert, Heinz-Georg Seiters, Rudolf
Selle, Johannes
Siebert, Bernd
Sikora, Jürgen
Singhammer, Johannes Sothmann, Bärbel Späte, Margarete
Spranger, Carl-Dieter Steiger, Wolfgang
Steinbach, Erika
Stetten, Dr. Wolfgang Freiherr von
Stoltenberg, Dr. Gerhard Storm, Andreas
Straubinger, Max
Stübgen, Michael
Susset, Egon
Süssmuth, Dr. Rita Teiser, Michael
Tiemann, Dr. Susanne Töpfer, Dr. Klaus
Tröger, Gottfried
Uelhoff, Dr. Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Vogt , Wolfgang Waffenschmidt, Dr. Horst Waigel, Dr. Theodor Waldburg-Zeil,
Alois Graf von
Warnke, Dr. Jürgen Wetzel, Kersten
Wilhelm , Hans-Otto Willner, Gert
Wilz, Bernd
Wimmer , Willy Wissmann, Matthias Wittmann (Tännesberg),
Simon
Wöhrl, Dagmar Wonneberger, Michael Wülfing, Elke
Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia
Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno
Zöller, Wolfgang
F.D.P.
Albowitz, Ina Babel, Dr. Gisela Braun ,
Hildebrecht Bredehorn, Günther
Essen, Jörg van Feldmann, Dr. Olaf Frick, Gisela
Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst Funke, Rainer
Genscher, Hans-Dietrich Gerhardt, Dr. Wolfgang Günther , Joachim Guttmacher, Dr. Karlheinz Haussmann, Dr. Helmut Heinrich, Ulrich
Hirche, Walter Hirsch, Dr. Burkhard Homburger, Birgit Hoyer, Dr. Werner Inner, Ulrich
Kinkel, Dr. Klaus
Kleinert , Detlef Kohn, Roland
Kolb, Dr. Heinrich L. Koppelin, Jürgen
Laermann, Dr.-Ing. Karl-Hans Lambsdorff, Dr. Otto Graf Lanfermann, Heinz Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine Lahr, Uwe
Nolting, Günther Friedrich Ortleb, Dr. Rainer
Peters, Lisa
Rexrodt, Dr. Günter Röhl, Dr. Klaus
Schäfer , Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard Sohns, Dr. Hermann Otto Stadler, Dr. Max
Thiele, Carl-Ludwig
Thomae, Dr. Dieter Türk, Jürgen
Weng ,
Dr. Wolfgang
Nein
SPD
Adler, Brigitte Andres, Gerd
Bachmaier, Hermann Barnett, Doris
Barthel, Klaus
Becker-Inglau, Ingrid Bertl, Hans-Werner Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck, Lilo
Böhme , Dr. Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Brandt-Elsweier, Anni Braune, Tilo
Brecht, Dr. Eberhard Bulmahn, Edelgard Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Conradi, Peter
Däubler-Gmelin, Dr. Herta Deichmann, Christel Diller, Karl
Dobberthien, Dr. Marliese Dreßen, Peter
Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut
Eich, Ludwig
Enders, Peter
Erler, Gernot
Ernstberger, Petra Faße, Annette
Ferner, Elke
Fischer , Lothar Fograscher, Gabriele Follak, Iris
Formanski, Norbert Freitag, Dagmar Fuchs , Anke Fuchs (Veil), Katrin Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Gloser, Ganter
Glotz, Dr. Peter
Graf , Ganter Graf (Rosenheim), Angelika Grasedieck, Dieter Großmann, Achim
Haack ,
Karl Hermann
Hacker, Hans-Joachim Hagemann, Klaus Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Hartenbach, Alfred Hartenstein, Dr. Liesel Hasenfratz, Klaus Hauchler, Dr. Ingomar Heistermann, Dieter Hemker, Reinhold Hempelmann, Rolf Hendricks, Dr. Barbara Heubaum, Monika Hiksch, Uwe
Hiller , Reinhold Hilsberg, Stephan
Höfer, Gerd
Hoffmann , Jelena Hofmann (Volkach), Frank Holzhüter, Ingrid Hovermann, Eike
Ibrügger, Lothar Ilte, Wolfgang
Imhof, Barbara
Irber, Brunhilde
Jäger, Renate
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Janssen, Jann-Peter
Jens, Dr. Uwe Kaspereit, Sabine Kastner, Susanne Kastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Klose, Hans-Ulrich
Knaape, Dr. Hans-Hinrich Kolbow, Walter
Körper, Fritz Rudolf Kressl, Nicolette Kröning, Volker Krüger, Thomas Kubatschka, Horst Kuhlwein, Eckart Kunick, Konrad Kurzhals, Christine Küster, Dr. Uwe Lange, Brigitte Larcher, Detlev von Lehn, Waltraud Lennartz, Klaus Leonhard, Dr. Elke
Lohmann , Klaus Lörcher, Christa
Lotz, Erika
Lucyga, Dr. Christine
Maaß , Dieter
Mante, Winfried Marx, Dorle
Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert Mertens, Angelika Meyer , Dr. Jürgen Mogg, Ursula
Mosdorf, Siegmar
Müller , Michael Müller (Völklingen), Jutta Müller (Zittau), Christian Neumann (Berlin), Kurt Neumann (Bramsche), Volker Neumann (Gotha), Gerhard Niehuis, Dr. Edith
Niese, Dr. Rolf Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Onur, Leyla
Opel, Manfred Ostertag, Adolf Palis, Kurt
Papenroth, Albrecht Penner, Dr. Willfried Pfaff, Dr. Martin Pick, Dr. Eckhart Poß, Joachim
Purps, Rudolf Rehbock-Zureich, Karin Reuter, Bernd
Richter, Dr. Edelbert Rixe, Günter
Robbe, Reinhold Schäfer, Dr. Hansjörg Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter Scharping, Rudolf Scheffler, Siegfried Schild, Horst
Schily, Otto
Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ,
Horst
Schmidt , Ursula Schmidt (Meschede), Dagmar Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Schmitt (Berg), Heinz Schnell, Dr. Emil
Schöler, Walter
Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela
Schubert, Dr. Mathias Schuhmann , Richard
Schulte , Brigitte Schultz (Everswinkel), Reinhard
Schultz , Volkmar Schumann, Ilse
Schuster, Dr. R. Werner Schütz , Dietmar Schwall-Düren, Dr. Angelica Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo
Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Sonntag-Wolgast,
Dr. Cornelie
Sorge, Wieland
Spanier, Wolfgang Sperling, Dr. Dietrich Spiller, Jörg-Otto
Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig
Struck, Dr. Peter
Tappe, Joachim
Tauss, Jörg
Teichmann, Dr. Bodo Terborg, Margitta Teuchner, Jella
Thalheim, Dr. Gerald Thierse, Wolfgang Thieser, Dietmar
Thönnes, Franz Titze-Stecher, Uta Tröscher, Adelheid Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried
Verheugen, Günter Vogt , Ute
Voigt , Karsten D. Wagner, Hans Georg Wegner, Dr. Konstanze Weiermann, Wolfgang
Weis , Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen (Wiesloch),
Gert
Welt, Jochen
Wester, Hildegard Westrich, Lydia
Wieczorek, Dr. Norbert Wieczorek , Helmut
Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Wittich, Berthold
Wodarg, Dr. Wolfgang Wohlleben, Verena
Wolf , Hanna Wright, Heidi
Zapf, Uta
Zöpel, Dr. Christoph Zumkley, Peter
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Altmann , Gila
Beck , Marieluise Beck (Köln), Volker
Beer, Angelika Berninger, Matthias Buntenbach, Annelie Dietert-Scheuer, Amke
Eichstädt-Bohlig, Franziska Eid, Dr. Uschi
Fischer , Joseph Grießhaber, Rita
Häfner, Gerald Hermenau, Antje Heyne, Kristin Höfken, Ulrike Hustedt, Michaele
Kiper, Dr. Manuel Knoche, Monika
Köster-Loßack, Dr. Angelika Lengsfeld, Vera
Lippelt, Dr. Helmut
Metzger, Oswald Müller , Kerstin Nachtwei, Winfried
Nickels, Christa Özdemir, Cem Poppe, Gerd Probst, Simone Rochlitz, Dr. Jürgen
Saibold, Halo Scheel, Christine
Schewe-Gerigk, Irmingard Schlauch, Rezzo
Schmidt , Albert Schmitt (Langenfeld),
Wolfgang Schoppe, Waltraud
Schulz , Werner Steenblock, Rainder Steindor, Marina
Sterzing, Christian
Such, Manfred
Vollmer, Dr. Antje
Wilhelm , Helmut Wolf (Frankfurt), Margareta
PDS
Bierstedt, Wolfgang Blass, Petra
Bulling-Schröter, Eva Einsiedel, Heinrich Graf von Enkelmann, Dr. Dagmar Fuchs, Dr. Ruth
Gysi, Dr. Gregor Heym, Stefan
Höll, Dr. Barbara Jacob, Dr. Willibald Jüttemann, Gerhard
Knake-Werner, Dr. Heidi Köhne, Rolf
Kutzmutz, Rolf Lederer, Andrea Lüth, Heidemarie Maleuda, Dr. Günther
Müller , Manfred Neuhäuser, Rosel Tippach, Steffen Warnick, Klaus-Jürgen
Wolf, Dr. Winfried Zwerenz, Gerhard
Enthalten
CDU/CSU Rose, Dr. Klaus
Wir setzen die Aktuelle Stunde fort. Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Anke Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manche hatten erwartet, daß die Konsensgespräche weitergehen können. Ich gehöre zu denen, die bedauert haben, daß wir die Gespräche abbrechen mußten. Ich sage gleichwohl: Die Gespräche sind gescheitert. Der Konsens in der Energiepolitik ist aber nach wie vor gefragt; denn mit dem Abbruch der Gespräche sind ja die Probleme nicht gelöst. Deswegen werden wir in dieser Demokratie in den dafür zuständigen Gremien weiterhin miteinander zu reden haben, um zu Lösungen zu kommen.
Daß die Gespräche scheitern mußten, war vom Wirtschaftsminister angelegt.
Seine Unfähigkeit, vernünftige, tragfähige Lösungen
in der Kohlefrage vorzulegen und damit Mißtrauen
Anke Fuchs
zu beseitigen, ist die eigentliche Ursache für das Scheitern dieser Gespräche.
- Das Mißtrauen, Herr Kollege Hinsken, entstand, weil der Wirtschaftsminister wiederum behauptete, die Kohlefinanzierung sei geregelt. Dies hat dazu beigetragen, daß auf unserer Seite nachher ein Gesprächsfaden gerissen ist, den man hätte geknüpft lassen können.
Ich bedaure es sehr.
Ich will festhalten, um was es geht: Es herrschte Einigkeit darüber, daß die Kohlefinanzierung in einer Plafondfinanzierung so durchgeführt wird, daß die zugesagten 7,5 Milliarden DM pro Jahr - insgesamt 21,5 Milliarden DM - auch wirklich abfließen können. Es war klar, daß das so gewollt war. Bis heute ist die Flexibilität nicht geklärt, weil der Wirtschaftsminister nicht in der Lage ist, sich in dieser Frage mit dem Finanzminister zu einigen. Es ist seine Unfähigkeit, die dazu beigetragen hat, daß wir kein Vertrauen zu diesem Minister in den Konsensgesprächen haben konnten.
Gleichwohl: Die Probleme bleiben auf dem Tisch. Wir werden gemeinsam, egal, ob im Konsensgespräch oder nicht, über die Frage regenerativer Energien, Einhaltung der vom Bundeskanzler zugesagten CO2-Emissionsreduzierung um 25 % zu reden haben.
Es ist parlamentarische Aufgabe, es ist Aufgabe der Bundesregierung und der Länder, hier zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Ich freue mich, daß bei diesem Konsensgespräch auch klar war, daß sich alle Landesregierungen beim Thema regenerativer Energien und Klimaschutzprogramme auf den Weg machen wollen, um mehr zu tun, als bisher gemacht werden konnte.
Wir werden auch über das Thema Zukunft der Kernenergie im Gespräch bleiben müssen; denn die offenen Fragen sind vorhanden. Die Entsorgung ist nicht gelöst, die Frage von Restlaufzeiten ist nicht gelöst, und die Frage, wie wir zukünftig mit der Energiepolitik umgehen, muß weiter im Gespräch bleiben.
Ich glaube, wir sollten auch festhalten: Gesprächsverweigerung ist keine Politik.
Wünsche zu formulieren heißt noch nicht, daß ich sie auch realisieren kann.
Ich bleibe dabei: Man sollte nicht so ängstlich sein, wenn man sich mit seinen Wünschen mit einem Partner zusammensetzt, der ganz andere Wünsche hat.
Hier wurden wahrscheinlich die Konsensmöglichkeiten überfordert. Ich sage noch einmal für die sozialdemokratische Partei: Mit uns ist nicht verhandelbar, wir wollen aus der Kernenergie aussteigen.
Es ist völlig klar, daß wir nicht über den Umweg über irgendwelche neuen Technologien den Einstieg möglich machen wollen. Aber ich frage mich: Warum sind wir eigentlich so ängstlich, mit den Biedenkopfs und Stoibers in Arbeitsgruppen zu reden? Das hätte man doch tun können. Es ist Schwäche in das eigene Zutrauen, wenn man sagt: Ich traue mir nicht zu, über solche Dinge zu reden, weil das mißdeutet werden könnte.
Daß es mißdeutet werden könnte,' Herr Kollege Hinsken, das war doch unser Problem. Wir haben nicht miteinander geredet, sondern wir haben eine öffentliche Debatte inszeniert, bei der bei uns Mißtrauen gegenüber dem Bundeswirtschaftsminister vorhanden war. Wir haben uns gefragt: Was sagen die nun und was nicht? Das heißt, wir haben nicht in der Sache debattiert, sondern auf eine öffentliche Meinungslage reagiert. Das war eine schlechte Voraussetzung für mögliche Konsensgespräche.
Ich sage noch einmal: Wir bleiben bei den Entsorgungsfragen, den Restlaufzeitfragen und den Fragen, wie gehen wir mit zukünftigen Energien und dem Energiesparen um, gesprächsbereit.
Hören Sie auf - das gilt für Herrn Rexrodt und Frau Merkel -, so zu tun, als ob Sie mit Ihren Vokabeln eine Chance hätten, uns von unserem Programmpunkt Ausstieg aus der Kernenergie abzubringen. Es wird Ihnen nicht gelingen.
Ich sage aber auch: Wer aussteigen will, muß mehr als Wünsche formulieren, er muß Realitätsschneisen schlagen.
Dazu brauchen wir auch den politischen Partner auf der anderen Seite. Deswegen bleiben wir gesprächsbereit.
Herzlichen Dank.
Als nächster spricht der Kollege Paul Friedhoff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Energiepolitik ist ein zähes Geschäft, wie wir immer wieder erleben können. Im November 1993 wurden die ersten Energiekonsensgespräche für gescheitert erklärt. Die starre Haltung
Paul K. Friedhoff
der SPD machte einen parteiübergreifenden Kompromiß auch damals nicht möglich. Damals konnten wir jedoch etliche Steine aus dem Weg räumen; wichtige Zwischenergebnisse sind in Arbeitsgruppen erreicht worden.
Angesichts der Bedeutung eines Energiekonsenses für den Wirtschaftsstandort Deutschland und in Wahrung unserer energiepolitischen Verantwortung waren wir bereit, den energiepolitischen Dialog wiederaufzunehmen. Wir haben der SPD Zeit gelassen. Wir haben in der Zwischenzeit das Energieartikelgesetz verabschiedet und dem Steinkohlebergbau eine operative Basis geschaffen, die ihm auch weiterhin die Kohleförderung auf hohem Niveau ermöglicht. Mit der Plafondierung der Mittel hat die Koalition aber auch ein Signal zur Rückführung der zu hohen Subventionen im Steinkohlebereich setzen können.
Nach der Bundestagswahl haben wir die Energiekonsensgespräche wieder aufleben lassen, um auf die Dauer die Sicherung eines gesunden Energiemixes für eine effiziente und umweltschonende Energieversorgung zu ermöglichen. Dazu gehört ebenso wie der zügige Ausbau der regenerativen Energien der rationelle und sparsame Energieeinsatz auf allen Ebenen der Energieversorgung. Kohle- und Kernenergiepolitik müssen als Teil eines Mixes im Zusammenhang beraten werden.
Die F.D.P. befürwortet die weitere Nutzung der bestehenden Kernkraftwerke. Die Möglichkeit für den Bau von neuen Kraftwerken mit deutlich höheren Sicherheitsstandards muß offengehalten werden. Mit dieser Zielsetzung, die von unserer Fraktion im Januar 1995 einvernehmlich verabschiedet worden ist, sind wir am 16. März und am 24. April in die Konsensgespräche gegangen.
Gemeinsam hat die Koalition die anstehenden Fragen gelöst: Die Kohlepolitik, insbesondere die Kokskohlebeihilfe und die Verstromungshilfen, ist einvernehmlich festgeschrieben worden. Frau Kollegin Fuchs, es ist nicht redlich, wenn die SPD jetzt Nachbesserungen verlangt, dies jedoch unter dem Deckmantel angeblich nicht eingehaltener Verabredungen tut. Sie wissen genau wie wir alle, was im Energieartikelgesetz steht, und auf dieser Grundlage bewegen wir uns.
Die Themen Energieeinsparung, rationeller Energieeinsatz und erneuerbare Energien sind beim zweiten Gespräch erörtert worden. Es ist unstrittig, daß in diesem Bereich Verbesserungen stattfinden müssen.
Zur Erörterung von Fragen der friedlichen Nutzung der Kernenergie war man vorgestern abend verabredet. Für die SPD sind diese Erörterungen natürlich die sensibelsten; denn hier steht für sie viel auf dem Spiel. Nicht nur die ideologischen Grabenkämpfe innerhalb ihrer eigenen Reihen müssen ausgestanden werden. Das sollte uns alle nicht berühren, wenn es hier nicht um mehr ginge.
Es geht um den Standort Deutschland und seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit.
Es geht um die Energiesicherung Deutschlands auf der Basis eines gesunden Energiemixes.
Wer wird denn in den nächsten zehn bis 15 Jahren die weltweit benötigten und auch entstehenden 250 Kernkraftwerke bauen? Scheiden deutsche Unternehmen endgültig aus dem Wettbewerb aus?
Es geht um den Erhalt einer Hochtechnologie in Deutschland, die auf den internationalen Märkten gefragt ist und die die Kernkraftwerke in den mittel-
und osteuropäischen Staaten auf ein sicherheitstechnisch befriedigendes Niveau anheben könnte. Dies sind nicht nur wirtschaftspolitische Fragen; dies sind auch Themen, die in der SPD, wie wir erkennen konnten, zur Nagelprobe geworden sind. Hier kann sie ihren Willen zur Mitgestaltung einer gesamtpolitisch verantwortbaren Energiepolitik beweisen.
Vorgestern hat sie bedauerlicherweise wieder gekniffen. Sie hat sich einem parteiübergreifenden Kompromiß entzogen und war noch nicht einmal bereit, im Rahmen einer Arbeitsgruppe über den Erhalt der Fähigkeit zur potentiellen Errichtung eines neuen Kernkraftwerkes zu beraten.
Frau Fuchs, was Sie hier gerade getan haben, war Nebelwerfen. Es war ganz klar nicht an der Frage gescheitert, daß Sie ein Mißtrauen gegenüber dem Bundeswirtschaftsminister äußerten, sondern es ist daran gescheitert, daß Sie sich nicht einigen konnten.
Ich danke Ihnen.
Als nächster spricht der Abgeordnete Rolf Köhne.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, daß diese Konsensgespräche gescheitert sind.
Daß Atomkonsens Nonsens ist, hat die Bewegung schon vorher gewußt und in Hannover ja auch demonstrativ zum Ausdruck gebracht. Atomenergie hat keine Zukunft, und die Haushaltsmittel könnten nun zur Förderung von Kraft-Wärme-Kopplung und regenerativen Energien umgeschichtet werden. Alles in allem sind wir der Abschaltung der Atomanlagen wohl einen Schritt näher gekommen.
Rolf Köhne
Sowohl der seit 1992 diskutierte Vorschlag zur Vereinbarung von Restlaufzeiten als auch der zum Schluß in die Debatte geworfene Vorschlag für ein standortunabhängiges Genehmigungsverfahren waren Schritte in die falsche Richtung. Auch die Debatte über atomare Abfälle hätte nicht vernünftig geführt werden können. Solange noch Atomkraftwerke betrieben werden, sind Menge und Qualität der endzulagemden Abfälle nicht bekannt.
Die Debatte um die Restlaufzeiten beherrschte die Konsensgespräche. Diese enthielten damit eine erhebliche Gefahr: Für eine ganze Reihe von Anlagen wäre der Fortbestand auf lange Zeit gesichert worden. Wäre der Weiterbetrieb derart sanktioniert worden, dann hätte sich jede Aufsichtsbehörde die Entscheidung Dutzende Male überlegt, bevor sie einen sachlich gebotenen und auf Grundlage des § 17 Atomgesetz möglichen Widerruf der Betriebsgenehmigung ausgesprochen hätte. Mit einer Vereinbarung über Restlaufzeiten hätte es das Land Hessen im Falle Biblis sehr viel schwerer gehabt.
Sofern sich im Bund die Mehrheiten nicht ändern sollten, müssen die Atomkraftwerke einzeln und in einem zähen Ringen stillgelegt werden. Dafür sind die Voraussetzungen nach dem gescheiterten Konsens besser geworden.
Besonders froh bin ich, daß sich Schröder auf Druck aus seiner Partei letztlich doch nicht auf Rexrodts Vorschlag eines standortunabhängigen Genehmigungsverfahren für ein neues Atomkraftwerk eingelassen hat.
Das wäre ein Angriff auf Bürgerrechte gewesen.
Bislang war es immerhin noch strittig, ob das Atomgesetz ein solches Verfahren überhaupt zuläßt.
- Nein, das ist kein Hohn. Ich erkläre Ihnen das: Man hofft, daß es in einem standortunabhängigen Verfahren keine Einwendungen gibt; denn ohne Standort fühlt sich niemand direkt betroffen. Und wenn erst einmal genehmigt ist, dann können in einem späteren Verfahren nach § 7 b Atomgesetz keine Einwände mehr erhoben werden, die man in ein standortunabhängiges Verfahren hätte einbringen müssen. Wenn keine Einwendungen erhoben werden, dann ist den zukünftig betroffenen Bürgern die Klagemöglichkeit gegen das konkrete Projekt verschlossen. Das ist einfach so. Deshalb sollen diese standortunabhängigen Verfahren durchgeführt werden. Diesen Trick hat man schon einmal in Niedersachsen bei einem HTR-Modul versucht; er ist auch damals gescheitert.
Nun noch zum Entsorgungsproblem. Das Entsorgungsdilemma hätte mit einem Energiekonsens schon gar nicht gelöst werden können. Alle Planungsansätze zur Lösung des Entsorgungsproblems scheitern daran, daß Menge und Qualität der Abfälle unbekannt sind. Bei einem Weiterbetrieb der Atomanlagen müssen nicht etwa nur alternative Endlagerstandorte untersucht werden, vielmehr müssen mehrere Standorte gefunden und vorbereitet werden.
Die Abschätzung der bis heute aufgelaufenen Abfälle, die zu entsorgen sind, ist ein dunkles Kapitel. Erst seit kurzem ist bekannt, daß der größte Teil der 2 400 Tonnen wiederaufgearbeitetem Uran aus La Hague veräußert wurden. Ich sage bewußt „veräußert", nicht „verkauft"; denn dieser Stoff hat auf Grund seiner besonderen radiologischen Eigenschaften keinen Wert, da er sich nicht zur Wiederverarbeitung eignet. Über die näheren Umstände der Veräußerung hat auch die Bundesregierung keine Informationen gesammelt.
Es mangelt also an einer systematischen Erfassung der atomaren Abfälle. Und so hege ich bis auf weiteres den starken Verdacht, daß sich deutsche Energieversorgungsunternehmen eines Teiles ihrer atomaren Abfälle in Rußland entledigt haben. Denn aus Rußland haben wir die Information, daß die französische COGEMA, die ja deutsche Brennelemente wieder aufbereitet, solche Abfälle nach Tomsk 7 geliefert hat. Gäbe es eine lückenlose Kontrolle dieser Abfallströme, dann hätte der Verlust längst auffallen müssen.
Es ist deshalb nicht schade, daß es nicht zur Bildung eines Kernenergiekonsenses gekommen ist; ein Untersuchungsausschuß wäre angebrachter. Es gilt: Erst abschalten, dann neu planen!
Es spricht jetzt die Bundesministerin Frau Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Mittwoch haben wir uns zur dritten Runde der Energiekonsensgespräche getroffen. Ich möchte hier ganz deutlich sagen, daß es für mich bei diesen Energiekonsensgesprächen nicht nur um den Streit über die Kernenergie ging, aber es ging auch um den Streit um die Kernenergie.
Insgesamt geht es um die Gestaltung der künftigen Energieversorgung in unserem Land unter verschiedenen Gesichtspunkten. Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit sind die Punkte, die ich für außerordentlich erforderlich halte, damit wir Planungssicherheit für die Zukunft haben, damit wir als Industrieland zukunftsfähig sind.
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
Vorgestern abend mußten wir die Energiekonsensgespräche beenden. Wir haben dies ja schon einmal erleben müssen. Vor mehr als zwei Jahren gab es Energiekonsensgespräche, die daran gescheitert sind, daß sich der Verhandlungsführer, Ministerpräsident Schröder, mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen konnte, unter bestimmten Bedingungen einen neuen Demonstrationsreaktor und dann eventuell auch neue Kernkraftwerke zu bauen, wenn dafür Bedarf besteht. Wir hatten vielfältige Signale, daß sich dies vielleicht ändern könnte und neuer Gesprächsbedarf da ist. Deshalb haben wir in diesem Frühjahr die Gespräche wieder aufgenommen.
Von Anfang an war aber klar, daß es bei diesen Gesprächen nur um eine Paketlösung gehen kann, d. h. um eine Diskussion über alle Energieträger, über die gesamte Zukunft, nicht über ausgewählte Gebiete und dann am liebsten wohl noch über die Gebiete, über die schon von Beginn an Konsens bestand; über diese braucht man nicht lange zu sprechen.
Wir haben uns geeinigt - das war die Meinung aller, und ich will das auch ganz deutlich für unsere Seite sagen -, daß der sparsame Umgang mit Energie eine der wichtigsten Aufgaben - ganz besonders auch im Hinblick auf die Klimaveränderungen und unsere Einsparungsziele bei Kohlendioxid - für die nächsten Jahrzehnte ist.
Wir sind uns einig: Der schonende Umgang mit Ressourcen muß erlernt werden. Neue Wege der Energieerzeugung müssen diskutiert werden. Deshalb waren wir uns auch einig, daß wir eine Arbeitsgruppe mit einem ganz klaren Auftrag einsetzen: Welche Möglichkeiten der Energieeinsparung gibt es? Wie können wir das Klimaschutzziel erreichen? Wie können wir neue, regenerierbare Energien besser fördern und in den Markt einführen?
Aber, meine Damen und Herren, es geht natürlich auch noch um einen anderen Punkt, und zwar die Kernenergie. Genau dies war Gegenstand der Diskussionen bei der dritten Runde unserer Gespräche.
- Frau Fuchs, es ist eine Legende - ich rate uns allen gemeinsam, weil wir ja über die Zukunft diskutieren wollen, von so etwas ab -, daß diese Gespräche an der Frage der Kohlefinanzierung gescheitert seien.
- Verbreiten Sie dies nicht weiter! Dies hat auch kein Mißtrauen gesät, sondern es war Ihnen ein willkommener Anlaß, an irgendeinem Detail zu begründen, warum Sie am liebsten gleich wieder gegangen wären, weil Sie sich nicht einig waren.
- Frau Fuchs, es ist doch nicht mehr als recht und billig, daß eine Arbeitsgruppe „Regenerative Energien", die einen klaren Arbeitsauftrag hat, doch nur
zusammengehen kann mit einer Arbeitsgruppe „Kernenergie", die auch ein Mandat und einen klaren Arbeitsauftrag hat. Genau um diesen Punkt haben wir gestritten.
Es ist richtig: Da waren wir nicht einig. Das sagen Sie für sich und diese Seite des Parlaments. Aber wir hätten uns einig werden können. Ich will hier aber vorausschicken: Wir wollten niemanden grundsätzlich bekehren. Wir wissen, was Sie für Beschlüsse haben, und Sie wissen, welche Beschlüsse wir haben.
Uns ging es darum, für die nächsten 10 oder 15 Jahre über die Jahrtausendwende hinweg einmal die Grundlagen festzulegen, auf denen sich Industrie und Entwicklung hier bewegen können.
Da haben wir nichts Unvernünftiges verlangt, sondern uns an einer Stelle in der Diskussion über mehrere Stunden verhakelt. Diese Stelle hieß: Wollen wir uns die Fähigkeit erhalten, neue, sicherheitstechnisch bessere Kernkraftwerke zu errichten,
oder wollen wir uns diese Fähigkeit nicht erhalten?
Das Problem war, daß sich daraus eine sehr interessante Diskussion entsponnen hat, was eine „Fähigkeit" ist und welche Voraussetzungen dazu erfüllt sein müssen. Wir wissen wie Sie: Es gibt keinen konkreten Bauantrag. Aber Sie wissen wie wir: Um bei einem konkreten Bauantrag im Jahre 2005 handlungsfähig zu sein, können wir jetzt nicht zehn Jahre die Hände in den Schoß legen und uns um den Bereich nicht kümmern, sondern wir müssen klare Definitionen treffen, welche Voraussetzungen wir brauchen.
Um überhaupt entscheiden zu können, brauchen wir die Weiterentwicklung genau der Fähigkeiten, die wir heute schon haben. Wir mußten konstatieren, daß Sie einen anderen Arbeitsauftrag wollten.
- Herr Fischer, Sie waren nicht dabei. Hören Sie doch wenigstens einmal zu.
Sie konnten sich in Ihren Reihen nur darauf „einigen", daß untersucht werden soll, ob wir uns eine Fähigkeit, die wir heute haben, erhalten wollen oder
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
schnellstmöglich verlieren wollen. Das gehört einfach festgehalten. Sie waren gespalten: Die einen möchten die Fähigkeit erhalten, die anderen möchten untersuchen, ob wir uns die Fähigkeit erhalten. Wir haben gesagt: Dazu brauchen wir uns nicht zusammenzusetzen. Das können Sie alleine untersuchen. Wir wollen die Fähigkeit zum Bau neuer Kernkraftwerke erhalten.
Wir haben Gründe dafür. Weltweit entwickelt sich die Kernenergie weiter, und wir bauen die sichersten Kernkraftwerke.
Es geht doch gar nicht nur darum, daß wir für uns selbst und unsere nationale Energieversorgung Vorsorge treffen, sondern auch darum, daß wir auf dieser Welt wettbewerbsfähig und mitgestaltend sein müssen.
Es geht um die Kernkraftwerke in Mittel- und Osteuropa. Es geht um den Export. Es geht um die Fragen der Entsorgung. Auf allen Gebieten haben wir die technologischen Fähigkeiten in der Hand, aber wir diskutieren, ob wir sie behalten oder aufgeben sollten. Das müßten Sie einmal jemandem außerhalb dieses Landes erklären.
Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Behalten wir den Endpunkt dieser Diskussion fest im Auge! Wenn Sie sich darauf einigen, daß auch Sie technologische Fähigkeiten erhalten wollen, dann sind wir jederzeit bereit, dies mit Ihnen gemeinsam zu diskutieren. Bis dahin müssen wir leider außerhalb eines solchen Konsenses die anstehenden Probleme - sie sind zahlreich, Frau Fuchs; das ist richtig - lösen. Dazu werden wir Möglichkeiten finden.
Den Problemkreis der regenerativen Energien können wir alleine in Angriff nehmen, und das werden wir auch tun. Energiesparprogramme und manches mehr werden verstärkt werden. Wir haben gerade ein neues Wärmedämmprogramm eingesetzt.
- Herr Fischer, das haben Sie wahrscheinlich noch gar nicht mitbekommen.
Die Fragen der Entsorgung werden wir in BundLänder-Gesprächen klären müssen. Denn es kann nicht angehen, daß wir ein Gesetz gemacht haben, bei dem wir der SPD entgegengekommen sind und die direkte Endlagerung im Artikelgesetz ausdrücklich vereinbart haben - eine Ihrer Kernforderungen -, damit Sie darauf antworten, indem Sie das einzige genehmigte Zwischenlager nicht in Betrieb nehmen wollen, sondern indem Sie einen Totalboykott machen. Das kann nicht sein, und das werden wir in Gesprächen zwischen Bundesregierung und Bundesländern klären müssen, so wie das auch früher der Fall war.
Wir werden uns dann daran erinnern, daß Ministerpräsident Rau noch Anfang der 80er Jahre gesagt hat: Für nicht wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle muß schnellstmöglich ein Endlager gefunden werden. - Dann werden wir auf den Tisch legen, wie sich die Genehmigungsverfahren für das Endlager Konrad gestalten. Wir werden wieder darüber diskutieren, wie glaubwürdig Sie wenigstens dann sind, wenn es darum geht, daß Sie Ihre eigenen Entscheidungen heute so weit weiterverfolgen, daß der daraus entstandene Problemberg gelöst werden kann. Das werden wir auf anderer Ebene klären.
Ich sage Ihnen noch einmal deutlich: Bei den Energiekonsensgesprächen kann es nur um die Zukunft aller Energieträger gehen. Wer einen Energieträger von vornherein apodiktisch ausschließt, verschließt sich der Zukunft und damit der technologischen Entwicklung. Dabei machen wir nicht mit.
Herzlichen Dank.
Es spricht jetzt der Abgeordnete Michael Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe in einem Interview gelesen - allerdings ist das jetzt einige Zeit her -, daß Sie, Frau Merkel, gesagt haben: Der Energiekonsens soll ein Energiesparkonsens werden. Auf dieser Linie hätten wir uns in der Tat verständigen können.
Ich komme auf diesen Punkt zurück, weil ich glaube, daß hier der eigentliche Streitpunkt der energiepolitischen Auseinandersetzung liegt; denn wir verstehen unter dem Thema „Einsparen" etwas völlig Unterschiedliches.
Sie wissen, daß wir in der Frage der Atomenergie einen grundsätzlichen Streit haben, der nicht mit Formelkompromissen zu lösen ist. Bei uns sind in der Vergangenheit die Hauptgründe für den Ausstieg aus der Atomkraft gewesen: die ungelöste Entsorgung, die Frage des militärischen und terroristischen Mißbrauchs und die nicht auszuschließenden Sicherheitsrisiken.
Ich will hierzu eine Anmerkung machen: Nach dem jetzt geltenden Atomgesetz müßten nach Auffassung vieler Experten eigentlich alle Anlagen von vor 1980 aus dem Betrieb genommen werden. Das sind zehn Atomkraftwerke. Wir müssen hier über die Ausgangssituation reden, daß auch in der Bundesrepublik erheblicher Zweifel an der Sicherheit der bestehenden Atomkraftwerke besteht.
Michael Müller
Die eigentliche Frage konnten wir in den Energiegesprächen leider nur begrenzt angehen. Es ist die Frage: Wie sieht aus unserer Sicht die Zukunft der Energieversorgung aus? Wie muß sie vor dem Hintergrund der bekannten Risiken gestaltet werden?
Ich glaube, die Ursache des Streits ist, daß ein großer Teil noch in den Strukturen überholter energiepolitischer Vorstellungen verhaftet ist, die uns in die heutigen Probleme geführt haben. Sie nehmen nicht wahr, welche Erkenntnisse es gibt und welche Anforderungen an die grundlegende Neuordnung von Energiesystemen gestellt werden. Das ist der eigentliche Streit. Sie sind in überholten Denkweisen verhaftet. Das ist der Streitpunkt.
Dies wird an Ihrer Optionsphilosophie deutlich. Sie können vor dem Hintergrund der Endlichkeit der Rohstoffe, der Klimaproblematik, der Sicherheitsrisiken und der Umweltprobleme nicht eine offene Optionsdebatte in der Energieversorgung führen. Vielmehr müssen Sie sich klar entscheiden, wie Sie diese Risiken verringern wollen. Das ist der entscheidende Ausgangspunkt für die Neuordnung der Energieversorgung.
Ich sage Ihnen: Der Maßstab für einen Energiekonsens muß sein, wie wir durch höhere Energieeffizienz, wie wir durch Einsparen und wie wir durch die Förderung der Sonnenenergie diese Risiken insgesamt verringern. Das ist der Maßstab und nicht das Festhalten an einzelnen Techniksystemen.
Meine Damen und Herren, die Behauptung ist falsch, wir hätten uns in der Vergangenheit nicht auf ein gedankliches Experiment, ob mit dem Ausbau der Atomenergie diese Fragen zu lösen sind, eingelassen. Es ist objektiv falsch, Herr Haungs. Ich möchte Ihnen das hier einmal sagen; denn es kann sein, daß Sie das nicht wissen:
Wir haben in der Klimaenquete des Deutschen Bundestages gemeinschaftlich - ich weiß, Herr Grill, Sie nehmen das nicht zur Kenntnis, aber ich sage es Ihnen trotzdem; denn ich halte Herrn Haungs für einen nachdenklichen Menschen - die Annahme der Weltenergiekonferenz von Cannes zur Grundlage der weiteren Energieversorgung genommen.
Ich will die Ausgangssituation aufzeigen: Die Weltenergiekonferenz von Cannes schlägt eine Verzwölffachung - ich wiederhole: Verzwölffachung der Atomenergie bis zum Jahre 2060 vor. Gleichzeitig steigen nach dieser Prognose die Kohlendioxidemissionen von 21 auf 43 Milliarden Tonnen.
Die Schußfolgerung der Klimaenquete war: Ein Festhalten an den heutigen Energiestrukturen führt
zu einer Kumulierung von Risiken und nicht zur Lösung der Probleme.
Das heißt, wir werden weder die Gefahr von Tschernobyl verhindern noch die ökologische Katastrophe in dem Punkt ausschließen können. Insofern lautet der Streit in der Energiepolitik: Bleibt es bei den heutigen Strukturen, ergänzt mit etwas Energieeinsparen, oder machen Sie die Energiewende, die wir wollen, mit? Setzen Sie Energieeinsparen ins Zentrum der Energiepolitik, und machen Sie dies zur Brücke ins Solarzeitalter. Das ist die eigentliche Alternative, um die es geht.
Zuletzt darf ich noch eines zu dem international angeblich so großen Ausbau der Atomenergie sagen: Schauen Sie sich die letzten Jahre an. In der Welt sind 55 neue Atomkraftwerke in Betrieb genommen, aber gleichzeitig sind 69 abgeschaltet worden. Es ist einfach nicht wahr, daß es weltweit nur einen Trend in der Energieversorgung gibt. Die wichtigste Frage der Zukunft wird vielmehr sein, ob unser Land auf den Effizienzmärkten, auf den Einsparmärkten, in der Frage der Solarenergie weltweit führend wird oder nicht. Das ist die Schlüsselfrage für einen echten Konsens.
Für diesen Konsens stehen wir auch in der Zukunft bereit.
Es spricht jetzt der Kollege Ernst Hinsken.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Mittwoch um 16 Uhr traf sich der Ministerpräsident und Verhandlungsführer der SPD-Delegation, Herr Schröder, mit Journalisten. Er verteilte ein Papier, in dem akzeptable Grundsätze vorhanden waren.
Um 18 Uhr trifft er sich dann mit seinen Kollegen, die mit ihm am Verhandlungstisch zu sitzen haben, darunter auch die Fundamentalisten Herr Schäfer und Herr Müller. Diese pfeifen ihn zurück, Schröder möge dieses Papier vernichten. Er gibt es unter den Aktendeckel, und es ist für ihn nicht mehr von Belang. Er bringt es nicht mehr auf den Punkt. Herrn Clement paßt das Ganze, weil er sich hier ja in Koalitionsverhandlungen mit den Grünen befindet und ihm ein gegebenenfalls erreichbarer Kompromiß nicht ins Konzept paßt.
Um 19 Uhr beginnt dann die Konsensrunde. Man möchte schnell Schluß machen und sagen: Was ist los in Sache Kohle? Setzen wir zwei Arbeitsgruppen ein! Die eine beschäftigt sich mit regenerativen, alternativen Energien und die andere mit der Kernenergie. Und damit basta!
Ernst Hinsken
Ich meine, daß hier wieder einmal eine Hoffnung zu Grabe getragen wurde. Ich darf meinen Kollegen Rainer Haungs ergänzen, der heute den Bericht einer großen Zeitung zitiert hat, in dem es im letzten Satz heißt:
Auf diesem Weg
- gemeint ist die Energiepolitik -
ist die SPD in dieser Woche nicht vorangekommen und damit auch nicht auf ihrem Weg in die Regierungsverantwortung 1998.
Das ist Fakt.
Es bleibt hier festzustellen: Frau Kollegin Fuchs, Sie haben in dieser Konsensrunde konstruktive Beiträge geleistet, aber Sie konnten Ihre Kollegen - auch zusammen mit Herrn Schröder nicht - nicht überzeugen. Es ist deshalb wieder einmal die Hoffnung geschwunden, daß es gelingen könnte, mit der SPD einen Konsens über eine wichtige Zukunftsfrage für Deutschland zu finden. Eine Verständigung auf eine von breitem Konsens getragene Energiepolitik wäre ein Signal für eine gute ökonomische und ökologische Zukunft in Deutschland gewesen.
Dabei wollen wir erreichen, daß die Konsensgespräche im Bereich Kernenergie auf folgender Grundlage fortgesetzt werden:
Erstens. Die Fähigkeit zur potentiellen Errichtung eines neuen KKW muß durch geeignete Maßnahmen erhalten bleiben, z. B. Forschung und Entwicklung einschließlich standortunabhängiger Verfahren zur Prüfung der technischen Genehmigungsreife, also Kernenergieoption.
Zweitens. Die Entsorgungsgrundsätze - Ministerpräsidentenbeschluß von 1979 - sollten unter Einschluß des Artikelgesetzes weiterentwickelt werden.
Frau Kollegin Ferner, das ist genau das, was im Papier Ihres Ministerpräsidenten Schröder gestanden hat und wozu Ihre Verhandlungsdelegation nur wenige Stunden später nicht stehen konnte.
Ich verrate hier doch wohl kein Geheimnis, wenn ich sage, daß wir uns auf dieser Basis hätten einigen können. Uns ging es einzig und allein darum, bei uns die Fähigkeit - um mit Frau Minister Merkel zu sprechen - zu erhalten, auch künftig noch Kernkraftwerke in Deutschland zu bauen. Wir wollen, daß uns und nachfolgenden Generationen die Möglichkeit der Entscheidung für einen Kernkraftwerksneubau belassen bleibt. Damit dies möglich ist, muß weiter geforscht und entwickelt werden können. Jungen Wissenschaftlern muß eine Perspektive dafür geboten werden, daß Sie die Ergebnisse ihrer Forschung auch bei uns nutzen können und dürfen. Schließlich wollen wir auch, daß die deutsche Kernkraftwerkstechnologie, die beste und sicherste in der ganzen Welt, auch künftig noch eine Chance auf dem Weltmarkt hat.
Machen wir uns doch nichts vor: Derzeit werden weltweit rund 500 Kernkraftwerke betrieben. Weitere 50 sind im Bau; 20 sind in Planung. Die meisten davon haben bei weitem nicht die Sicherheitsstandards, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Daß die SPD oder - sagen wir besser - die Fundamentalisten in der SPD nicht bereit waren, künftigen Generationen diese Entscheidungsfreiheit zu belassen, ist unverständlich. Mit den Realpolitikern der SPD wäre es - auch das ist ein offenes Geheimnis - durchaus möglich gewesen, darüber eine Verständigung zu erreichen.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein Ausstieg aus der Kernenergie ist in den nächsten Jahrzehnten doch nicht möglich. Der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung liegt bei uns in der Bundesrepublik derzeit bei rund 33 %. Wind-
und Wasserkraft sind zu 4 % an der Energiegewinnung beteiligt. Bis zum Jahr 2010 können es 6 oder 7 % sein. Demnach käme als Ersatz kurzfristig nur die Verstromung von Kohle, und zwar aus volkswirtschaftlichen Gründen von Importkohle, in Frage.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist leider vorbei.
Lassen Sie mich deshalb abschließend feststellen, daß es uns darum geht, den CO2-Ausstoß zu mindern. Wir wären dazu bereit. Wir haben dafür die notwendigen Konzepte. Wir wünschen nur, daß diese auch von einer staatstragenden Partei wie der SPD auf den Terminplan genommen werden, damit wir auf dem Gebiet weiterkommen. Das war auch Sinn und Zweck des Energiekonsensgesprächs, das leider Gottes auf Grund Ihres Nichteinlassens gescheitert ist.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir über Atomenergie reden, sprechen wir über die gefährlichste Energieerzeugungs- und -nutzungsform, mit der Menschen zu tun haben. Sie weist eine Gefährlichkeit auf, die im Versagensfalle zu säkularen Katastrophen und zu nationalen Verwüstungen führen kann, eine Gefährlichkeit von europäischen Dimensionen hat, wie wir sie am Beispiel des Super-GAU von Tschernobyl erleben mußten.
Joseph Fischer
Wir sprechen hier über eine Energieerzeugungsform, Frau Ministerin, mit der Sie offensichtlich auch die Zukunft zu gestalten beabsichtigen. Ihre Reden dazu sind für jemanden, der 20 Jahre lang Atomenergiewiderstand in Westdeutschland erlebt hat, teilweise nur schwer nachvollziehbar. Ernst Albrecht - seliges Angedenken - war da schon weiter.
Frau Ministerin, was Sie heute hier gesagt haben, macht völlig klar, daß ein Konsens nicht möglich ist. Wir reden hier nicht über einen Konsens zur Fortführung des bisherigen Kurses. Wenn es darum geht, müssen Sie sich bemühen, die Mehrheit zu behalten, um mit dieser am Atomgesetz festhalten zu können.
Die Energiekonsensgespräche, so wie sie ursprünglich intendiert waren und wie wir als Grüne sie auch für richtig befunden haben, sollten einen Ausstieg aus der Atomenergie herbeiführen, der für beide Seiten einen Kompromiß bedeutet hätte.
Das war der Grund, warum wir uns beteiligt haben.
Als klar war, daß aus diesem Ausstiegskonsens nichts anderes werden sollte als der Versuch, den SPD-Parteitagsbeschluß von Nürnberg dergestalt zu verändern, daß über die Fortführung geredet werden sollte, wußten wir, daß dies nichts mehr mit einem ausstiegsorientierten Energiekonsens, mit einer zukünftigen Energiepolitik zu tun hat, die die ökologischen Imperative an die erste Stelle setzt. Das war nichts anderes als ein parteitaktisches Spiel, um die SPD von ihrem Ausstiegsbeschluß abzubringen.
Insofern finde ich es hervorragend, daß diese Gespräche beendet wurden.
Meine Damen und Herren, Sie haben gesagt, die Option sei der Knackpunkt. Es geht aber doch nicht nur um die Option. Die Firma Siemens kann doch im Rahmen der bestehenden Gesetze forschen, soviel und solange sie will.
Hier existiert Forschungsfreiheit.
Was Sie wollen, das sind neue Reaktoren, das ist der Bauantrag, wie die Frau Ministerin schon sagte. Ich sage Ihnen: Dem werden wir härtesten Widerstand entgegensetzen.
Mit uns wird es keine Fortführung der Atomenergie geben.
Wir setzen darauf, daß es unter veränderten Mehrheitsverhältnissen sehr schnell einen Konsens mit der Stromwirtschaft geben wird und wir dann zu einer definitiven Beendigung der Atomenergie in der Bundesrepublik Deutschland und gleichzeitig auch zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens über das, was dann zu folgen hat, kommen.
Der Kollege Müller hat mit dem, was er in bezug auf die internationale Entwicklung gesagt hat, völlig recht. Verstecken Sie sich nicht hinter dem, was Sie tun wollen! Warum hat diese Bundesregierung, die zwölf Jahre im Amt ist, in den Fragen der Energieeinsparung und der rationellen Energienutzung im Verhältnis zu den Ländern so gut wie nichts vorzuweisen?
Warum hat diese Bundesregierung nicht schon langst ein Solarenergieprogramm aufgelegt, damit der Durchbruch zur Nutzung von Solarenergie in diesem Lande tatsächlich erreicht werden konnte?
Sie können nicht so tun, als hätte diese Bundesregierung mit dem Eintreten für das Umweltministerium begonnen. Hier ist schmähliche Fehlanzeige zu vermelden. Fragen Sie einmal den Bundeswirtschaftsminister, worin die Energiepolitik der vergangenen Jahre bestanden hat! Sie bestand darin, daß die Stromkonzerne das tun durften, was sie schon immer getan haben.
Eine energiepolitische Zukunftsgestaltung gab es nicht, meine Damen und Herren.
Deswegen sage ich Ihnen: Einen Konsens über die Fortführung dieser Politik wird es in diesem Lande nicht geben. Ich kann nur alle davor warnen, zu glauben, das sei nur eine Sache der politischen Parteien. In den 70er Jahren war dies eine Sache der politischen Parteien. Jetzt wird dies aber nicht mehr der Fall sein, da sich eine gesellschaftliche Opposition entwickelt hat. Wenn wir über einen zukünftigen Konsens reden, muß diese gesellschaftliche Opposition eingebunden werden. Selbst wenn wir Grünen und die Sozialdemokraten zustimmten: Die gesellschaftliche Opposition würde sich in einen solchen Fortführungskonsens nicht einbinden lassen. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren.
Deswegen: Wenn es den Ausstiegskonsens nicht gibt, dann werden wir um andere Mehrheiten kämpfen. Dann wird der Dissens ausgefochten. Dann muß die Stromwirtschaft wissen, daß wir in diesem Sektor vor einer Deregulierung nicht haltmachen werden. Wir wollen auch eine Neuorganisation und eine Trennung der Netze von der Energieerzeugung, um damit die Grundlage zu schaffen,
endlich die Potentiale mobilisieren zu können, die dezentral vorhanden sind.
Joseph Fischer
Das ist gleichzeitig eine mittelstandsfreundliche Politik, wo man sich fragen muß, warum die abgewrackte F.D.P., die immer den „Mittelstand" im Munde führt, das nicht schon längst gemacht hat, zumal das in ihre ordoliberalen Vorstellungen bestens hineinpassen würde.
Deswegen: Wir werden den Energiedissens ausfechten. Sie können fest darauf setzen: Die gesellschaftliche Opposition wird die Atomenergie in diesem Lande nicht akzeptieren, und zwar deswegen nicht, weil wir Ihnen die Mär von der angeblich besten deutschen Reaktortechnik nicht glauben.
Wir brauchen den Durchbruch zu einer atomenergiefreien Zukunft über die Mobilisierung der Einsparpotentiale, über bessere Energienutzung, und wir brauchen endlich den Durchbruch bei den erneuerbaren Energieträgern, den Durchbruch zu einer Sonnenenergiewirtschaft. Dafür kämpfen wir.
Es spricht jetzt der Herr Bundesminister Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Fischer, Sie erzählen hier Märchen.
Das beginnt damit, daß Sie die Gespräche, die wir 1993 geführt haben, als solche bezeichnen, die das Ziel hatten, einen Ausstiegskonsens zu finden.
Die Tatsachen sind ganz anders. 1992/93 gab es bei den Kraftwerkserbauern und der Kraftwerkswirtschaft folgende Aussage: Wir können und wollen neue Kraftwerke nur dann bauen, wenn über die Genehmigung und den Bau dieser Kraftwerke ein breiterer gesellschaftlicher Konsens herbeigeführt werden kann. Deshalb sind die Gespräche geführt worden.
Dann ist aus Ihrer Partei, Frau Fuchs und Herr Scharping, signalisiert worden: Darüber können wir reden, wenn zugleich andere Bedingungen erfüllt werden, die im Zusammenhang mit dem Betrieb vorhandener Kraftwerke stehen.
Dann haben wir, wie ich meine, gut verhandelt, und wir waren Ende 1993 genauso weit wie vorgestern, nämlich kurz vor einer Einigung auf der Basis der Aufrechterhaltung einer Option.
Es war die fundamentalistische Mehrheit in Ihrem Präsidium, die schon damals Herrn Schröder zurückgepfiffen und den Konsens in 1993 unmöglich gemacht hat.
Das waren die Hardliner in Ihrer Partei - damals wie
heute -, und deshalb kam es nicht zu einem Konsens.
Herr Fischer, Sie berufen sich auf eine gesellschaftliche Opposition. Selbst wenn die SPD und sogar die Grünen mitmachten, gäbe es eine gesellschaftliche Opposition, die die Errichtung oder den Betrieb von Kernkraftwerken unmöglich machte.
Sie drohen damit. Mit welcher gesellschaftlichen Opposition drohen Sie eigentlich? Soll sich ein frei gewähltes Parlament irgendwelchen Scharfmachern auf der Straße unterwerfen? Das möchte ich einmal wissen. Ist das Ihre parlamentarische Umgangsweise?
Das ist ein Popanz, den Sie aufbauen. Das ist wie Pfeifen im Walde, weil Sie genau wissen, daß der Wind Ihnen ins Gesicht weht, daß die Akzeptanz für eine sichere Generation von Atomkraftwerken in unserer Gesellschaft sehr viel größer geworden ist. Einen solchen Trend gibt es nicht nur bei uns in Deutschland, sondern weltweit.
Nun haben wir 1995 weiterverhandelt. Wir haben zunächst sehr gut verhandelt. Wir haben über die Kohle gesprochen und dort eine Lösung gefunden, die für den gegenwärtigen Zeitpunkt von allen Seiten als eine bezeichnet wird, mit der man leben kann. Wir müssen über wesentliche und wichtige Fragen der Rückführung der Kohleförderung - ob nun ab 1999 oder 2001 - weiter sprechen; ich bin für 1999.
- Frau Fuchs, ich will Ihnen gegenüber keine Schärfe hineinbringen. Aber schauen Sie sich doch einmal das Gesetz an.
Sie können mir doch nicht abverlangen, daß ich gegen Recht und Gesetz verstoße, wo doch Zuwendungsbescheide auf der Basis des Artikelgesetzes ergangen sind. Ich sage ja, Ihre Forderung nach Flexibilität ist nachvollziehbar.
Wir werden darüber bescheiden. Sie haben einen Popanz aufgebaut auf Grund eines Druckes aus Nordrhein-Westfalen, der da lautet: Wir wollen jetzt keine Energiekonsensgespräche; brecht sie ab. Dann haben Sie auf die Kohle gesetzt und haben das nicht durchhalten können, weil Sie gewußt haben, wie lächerlich diese Argumentation ist. Das wissen Sie auch selber.
Darum sind Sie ja auch nicht ausgezogen, wie Sie es eigentlich wollten. - Aber das nur am Rande.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Es ist eine Randfrage, ein Popanz. Wir haben über die Kohle gute Gespräche geführt.
- Herr Fischer, ich kann Sie, wenn Sie so schreien, gar nicht verstehen. Das dröhnt nur auf den Ohren.
Wir haben gut über regenerative Energien gesprochen und wären dort auch zu einer Lösung gekommen. Nun müssen wir es allein machen. In diesem Land wird im Bereich Energieeinsparung und regenerative Energien mehr getan als in jedem anderen Land Europas und außerhalb Europas. Wir sind in den meisten dieser Technologien führend. Wir sind, was die Wirtschaftlichkeit und Produktivität gerade der Solartechnik angeht, in diesem Land am weitesten fortgeschritten.
- Sie haben keine Ahnung. Sie bauen einen Popanz auf, weiter nichts.
Nun kommen wir zur Kernfrage. Das ist in der Tat die Frage nach der Offenhaltung der Option. Meine Damen und Herren, es ging in diesen Energiekonsensgesprächen und es geht in dieser Zeit überhaupt nicht um die Frage, ob ein neues Kernkraftwerk gebaut werden soll. Diese Frage stellt sich frühestens im nächsten Jahrzehnt, wenn sie sich überhaupt stellt.
Das einzige, was wir wollten, Herr Scharping, ist, die Fähigkeit zu behalten, Kernkraftwerke auch einer neuen, sichereren Generation bauen zu können.
Dazu gehören eben nicht nur Forschung und Technologie, sondern dazu gehört auch die administrative Fähigkeit, diese Kraftwerke zu bauen. Dazu müssen Genehmigungsbehörden vorhanden sein, die das Know-how besitzen, die dazu in der Lage sind. Da müssen die Kriterien für eine neue Reaktorgeneration festgelegt sein, nach denen der Reaktor genehmigungsfähig ist.
Ihr Verhandlungsführer, Herr Schröder, hat zwar eine Option in den Raum gestellt, aber zunächst einmal eine leere Option, eine nicht belastbare Option. Am Ende ist er, obwohl er einsichtig war, bei der Frage nach einer Prüfung der Voraussetzungen für diese Fähigkeit, solche Kraftwerke bauen zu können, zurückgepfiffen worden. Die Hardliner in Ihrer Partei, in dem Falle Herr Lafontaine, Herr Schäfer und Herr Müller, haben ihn während der Sitzung zurückgepfiffen. Wir saßen ja dabei. Wir haben gesehen,
wie er zurückgepfiffen worden ist. Er war mit unserer Formulierung einverstanden.
Ihre Leute haben ihn in unserer Gegenwart zurückgepfiffen. Es wäre möglich gewesen, mit Ihrem Verhandlungsführer abzuschließen. Er wollte wohl und durfte nicht. Das ist der Sachverhalt.
Für mich - lassen Sie mich das abschließend sagen, meine Damen und Herren - zeigt sich, daß in Ihrer Partei eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht. Sie bezeichnen sich als Partei der Zukunft, Sie bezeichnen sich als Partei, die technikfreundlich ist.
Das genaue Gegenteil ist der Fall: Überall da, wo neue und moderne Technologien angewendet werden sollen, wo geforscht werden soll - beispielsweise in der Biotechnologie, über liberalisierte Telekommunikationsmärkte, über Verkehrstechnologien -, zucken Sie zurück, wenn es darauf ankommt. Auch vor Ort zucken Sie zurück, wenn in den Landkreisen, in den Kommunen die Entscheidungen zu treffen sind.
Das geht so weit - das ist der Punkt -, daß Sie diesem Land die Fähigkeit absprechen wollen, Atomkraftwerke einer neuen sichereren Generation bauen zu können, unabhängig von der Frage, ob diese Entscheidung in Deutschland je ansteht.
Das ist eine Partei, die Anspruch und Wirklichkeit, was moderne Energiepolitik und was Standortpolitik angeht, verwechselt. Das ist eine Partei, die in Wirklichkeit rückwärtsgewandt ist in ihrem Denken, die den Ideologen Raum gibt, die wir während dieser Verhandlungstage erlebt haben.
Eine solche Partei kann doch nicht den Anspruch erheben, dieses Land in das 21. Jahrhundert führen zu wollen.
Sie führen uns mit Ihrer Technologiepolitik in das 19. Jahrhundert zurück, meine Damen und Herren, und nichts anderes.
Das Wort hat jetzt Rudolf Scharping, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das immer neue Drehen der alten ideologischen Platte, Herr Rexrodt, wird keinen Millimeter weiterführen. Das langweilt.
Im übrigen haben Sie gesagt, in diesem Land würde wie in keinem anderen etwas für erneuerbare Energiequellen getan usw. Ich habe hier gerade die „Süddeutsche Zeitung" von heute: Anteil sanfter Energien in Deutschland 1 %, Großbritannien 1 %, Niederlande 2 %, Japan 3 %, USA 6 %, Dänemark 7 %, Luxemburg 10 %, Schweiz 14 %, Finnland 21 %, Osterreich 24 %, Schweden 27 % usw. Ein Wirtschaftsminister, der keine Ahnung davon hat, wie die Stellung der erneuerbaren Energien überhaupt ist, sollte hier gleich die Sachen einpacken und sagen: Okay, das war es.
Ich will Ihnen folgendes sagen: Es geht darum, daß wir zum Schutz von Klima und Umwelt eine wirksame Energieversorgung aufbauen. Es geht darum, eine höhere Effizienz in der Energieerzeugung zu erreichen. Es geht darum, die umweltverträglichen Energiearten zu erschließen. Es geht darum, in diesem Sinne neue Technologien zu fördern. Wenn die Bundesrepublik Deutschland die Kraft gehabt hätte, das Geld, das in Wackersdorf, in Kalkar, in HammUentrop und sonstwo verpulvert worden ist, in die Entwicklung neuer Technologien und in die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen zu stecken, dann wären wir einen wesentlichen Schritt weiter.
Im übrigen: Für diese Energiearten muß ein Markt geschaffen werden. Sie wissen doch genausogut wie wir: Wenn Sie mit den Herstellern bis hin zu Siemens reden, hören Sie, daß diese doch nicht beklagen, daß das technisch nicht möglich sei, sondern daß sie beklagen, daß die Bundesrepublik Deutschland mit dieser Bundesregierung nichts dafür tut, daß ein Markt geschaffen wird, daß es Einführungsprogramme gibt. Sie sind doch diejenigen, die genau das blockieren!
Ich will noch eines hinzufügen: 1990 hat es eine Enquete-Kommission zum Schutz von Klima und Umwelt gegeben. Deren Vorsitzender hieß Schmidbauer; er ist heute Staatsminister. Der sagte: „Wer angesichts der Klimagefahren nach dem Ausbau der Atomenergie ruft, hat die Zusammenhänge nicht begriffen. "
Wenn jetzt in Ihre Reihen der Dogmatismus zurückkehrt, wenn Sie sich erkenntnismäßig hinter das Jahr 1990 zurückbewegen,
dann haben Sie doch bitte wenigstens die Souveränität, zu sagen, daß Sie den Rückwärtsgang eingelegt haben, statt mit völlig untauglichen Floskeln eine Opposition zu beschimpfen, die den Einstieg in neue Energiequellen, den Einstieg in neue Technologien, den Einstieg in höhere Produktivität und den Einstieg in höhere Effizienz haben will.
Das ist unsere Linie, und das wird sie bleiben.
Ich will noch etwas im Zusammenhang mit der Atomenergie sagen. Wir haben Ihnen einen Vorschlag gemacht; das wissen Sie. Daß es in solchen Verhandlungen hin- und hergeht, das weiß auch ich. Mir ist übrigens auch klar, mit welchem Charakter und mit welcher Intention solche Gespräche geführt werden: Sie wollen zitterbare Quellen haben, um auf Mißverständnisse oder Widersprüche hinweisen zu können.
Viel wichtiger ist etwas anderes. Die Erfahrung dieser Tage zeigt - Sie werden es ganz schnell merken -: Wir werden uns wieder zusammensetzen müssen
- natürlich -, Sie werden sich auf uns zubewegen müssen, so wie Sie das bei den Steuern machen müssen und so wie Sie das bei der Gewerbekapitalsteuer machen müssen. Denn glücklicherweise haben wir eine Machtposition, die es uns erlaubt, mit offenen Armen auf Sie zu warten, bis bei Ihnen die Erkenntnis eintritt.
Das ist freilich schade für das Land. Denn jeder weiß, daß wir, wenn sich die Vorstände der großen Energieversorger, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, vielleicht auch noch Joschka Fischer, Herr Biedenkopf und Herr Stoiber an einen Tisch setzen, innerhalb von zwei Tagen einen vollständigen Energiekonsens haben.
Die einzigen, die das blockieren, sitzen in der Bundesregierung. Das war ja in diesen Verhandlungen überdeutlich zu sehen, und ich weiß es aus vielen vorbereitenden Gesprächen.
- Entschuldigung, ich habe mit Herrn Stoiber und
mit einigen anderen über diese Frage geredet. Ich
weiß sehr genau, daß es jederzeit möglich wäre, mit
Rudolf Scharping
Biedenkopf, Stoiber, Fischer, Scharping, Schröder, Lafontaine, den Vorständen der Energiekonzerne und einigen anderen sofort einen Konsens zu finden. Denn die ideologischen Positionen sind bei Ihnen.
Sie werden ja auch merken - darin stimme ich ausdrücklich auch Joschka Fischer zu -, daß die monopolartige Stellung in der Produktion und bei der Verteilung, bei der Erzeugung von Energie und beim Betrieb der Netze genau jene Schwelle ist, an der sich Verbrauchermacht nicht entfalten kann.
Und Sie werden an den Beispielen in Dänemark, den Niederlanden und den USA lernen, daß diese Monopolentflechtung stattfinden muß. Da hätte ein liberaler Wirtschaftsminister eine dankbare Aufgabe.
Daß er sie nicht aufgreift, ist genau der Punkt. Sie machen alles kaputt, was es an Möglichkeiten gäbe.
Sie dürfen ganz sicher sein: Irgendwann, vielleicht im Herbst, werden Sie die ersten Schritte auf uns zu machen. Wir werden Sie mit offenen Armen empfangen; denn ein Konsens ist sinnvoll und notwendig. Um dem Preis des Wiedereinstiegs in die Atomenergie werden Sie ihn nicht bekommen.
Es spricht jetzt der Kollege Kurt-Dieter Grill.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Herr Scharping, es geht Ihnen nicht so wie dem verschmähten Liebhaber: Sie stehen mit offenen Armen da, und keiner kommt.
Ich bin ganz verwundert. Wenn ich ein paar Zitate zu Hilfe nehme, so steht da: Am 20. Juni sagte Herr Scharping, die SPD werde einem Wiedereinstieg in die Atomenergie nicht zustimmen. Herr Schröder erklärte: Wir dürfen doch nicht nur sagen, wo wir raus wollen, sondern wir müssen auch sagen und der Wirtschaft nahebringen können, wo wir hinein wollen.
- Hören Sie gut zu! - Das heißt, bevor wir nicht für Deutschland eine belastbare Alternative haben, kann man Risiken nicht eingehen. Deswegen geht es immer um die Frage: Was setzen wir an die Stelle der Kernenergie?
Sehen Sie, meine Damen und Herren, dies ist wiederum ein Beweis dafür, daß die Sozialdemokraten bestimmte energiepolitische Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland schlicht und einfach verleugnen, vergessen.
Herr Scharping, ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal einen Blick in den Bundeshaushalt seit dem Regierungswechsel 1983 zu tun. Sie werden entdekken, daß das Herunterfahren der Förderung von Kernenergie bis zum heutigen Tage und das Herauffahren der regenerativen Energien mit dem TausendDächer-Programm und mit dem 250-Megawatt-Programm eine Folge unserer Politik gewesen sind. Es war die Ablösung der in der Kernenergie verhafteten Politik der Sozialdemokraten in den 70er Jahren. Das ist das eine.
Das zweite, meine Damen und Herren, ist: Wir hatten gestern eine Anhörung zum Stromeinspeisungsgesetz. Schauen Sie sich einmal an, daß wir allein durch das Stromeinspeisungsgesetz bis Ende 1994 den Anteil der erneuerbaren Energien aus dem Bereich der Dritteinspeiser von 1,3 auf 3,3 Milliarden Kilowattstunden gepuscht haben. Dies ist unsere Politik. Ich könnte dies mit einer Fülle von Beispielen anreichern, will es aber in Anbetracht der Zeit nicht tun.
Erstens. Ich stelle fest, Sie bleiben bei Ihrer Behauptung, die durch nichts zu beweisen ist und an der Realität vorbeigeht, daß die Kernenergie sozusagen das Gefährlichste ist. Sie vergessen dabei, meine Damen und Herren, daß die gleichzeitige Beschreibung der Klimaproblematik, wie sie Herr Müller hier immer wieder abgibt, von Ihnen bis heute keine glaubwürdige Antwort gefunden hat.
Sie waren es, die in der ersten Runde der Energiekonsensberatungen jede Diskussion über eine CO2Steuer gerade im Hinblick auf die Kohle abgelehnt haben.
Das zweite ist: Herr Scharping und auch Herr Fischer haben über den Markt gesprochen und darüber, welche Segnungen die Liberalisierung des Energiemarktes in der Bundesrepublik Deutschland für die Zukunft Ihrer Energiepolitik bedeuten würde. Wenn Sie sich mit dem Thema wirklich ernsthaft auseinandergesetzt hätten, hätten Sie erkannt, daß, wenn der Wettbewerb zu einem Sinken der Energiepreise im Sinne der Verbraucher führte, die Diskrepanz zwischen den bestehenden Energiepreisen und den Preisen für die erneuerbaren Energien - z. B. Sonne und Wind - in Zukunft immer größer würde. Sie vergrößern an der Stelle zumindest das Problem, wenn nicht sogar das Fördervolumen. Sie erreichen nicht das, was Sie hier behauptet haben: daß mit der Liberalisierung des Marktes in Deutschland im Grunde genommen der Siegeszug der erneuerbaren Energien angetreten würde.
Das dritte ist: Herr Scharping, Sie haben beliebt zu behaupten, daß Sie mit allen möglichen Teilen der CDU einen Konsens hätten herstellen können, wenn
Kurt-Dieter Grill
es die böse Bundesregierung nicht gäbe. Ich habe Ihnen dazu eine Geschichte aus dem Jahre 1993 zu erzählen. Das, was wir vorgestern erlebt haben, ist die Wiederholung dessen, was 1993 passiert ist. Sie hatten einen selbsternannten Verhandlungsführer, der in Wahrheit kein Mandat hatte und den Sie - bevor wir, die CDU/CSU, überhaupt zum Schwören kommen mußten - gekippt haben. Herr Clement hat das 1993 wie folgt beschrieben. Es gab eine subjektive Rationalität - das war seine. Es gab eine objektive Rationalität - das war die der Runde des Energiekonsenses. Nach Herrn Clement gab es auch eine kollektive Rationalität - das war die des SPD-Parteipräsidiums. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Sie haben Schröder in ein Gefecht geschickt, das er gar nicht gewinnen sollte. Sie haben ihm kein Mandat gegeben. Der Grund dafür ist nicht nur die Frage der Energiepolitik, ist nicht nur die Frage des Ausstiegs, sondern einer der wesentlichen Gründe in der Sozialdemokratischen Partei für dieses Verhalten ist, daß Sie Schröder den Erfolg nicht gönnen, weil Sie die Konkurrenz höher bewerten als die Sache.
Es spricht jetzt der Kollege Reinhard Schultz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, mir ist es wie vielen anderen gegangen: Wir waren eigentlich tief enttäuscht, daß mit dem Scheitern der Gespräche eine wichtige Chance, die Zukunftsfähigkeit deutscher Politik unter Beweis zu stellen, zunächst einmal verschenkt worden ist.
Wo die Ursachen im einzelnen liegen und ob sie rational nachvollziehbar sind, weiß ich nicht; ich war nicht dabei. Auf Grund von Beobachtungen aus der Ferne kann ich nur feststellen, Herr Rexrodt, daß Sie zwei Monate lang nichts anderes versucht haben, als die Energieversorgungswirtschaft dazu zu bringen, ihre Bereitschaft zu erklären, kurzfristig oder in absehbarer Zeit einen Bauantrag zu stellen. Das hat sie nicht getan.
Ich weiß nicht, was Sie dazu treibt, welche Art von politischem Kernkraftwerksfetischismus. Rational ist das allemal nicht. Vertrauensbildend wirkt es auch nicht.
Ich weiß, daß viele Personen innerhalb der SPD und im Umfeld der SPD, die zu Recht Angst vor der Atomkraft haben, ihre ganze Hoffnung hinsichtlich eines Ausstiegs aus der Atomkraft auf die Sozialdemokraten setzen. Die Gefahr besteht natürlich, daß man schon den guten Willen und auch Parteitagsbeschlüsse als Vollzug betrachtet. Zwischen diesen Positionen zu vermitteln ist außerordentlich schwierig und bedarf offensichtlich mehrerer Anläufe. Das muß man wohl so sehen.
An die Adresse der Regierungskoalition muß ich sagen: Seit der März-Runde herrscht ein tiefes Mißtrauen hinsichtlich der Tariffähigkeit der Koalition.
Erst auf den letzten Drücker wurden Bewilligungsbescheide in Sachen Kohle erteilt - allerdings in einem Zuschnitt, der völlig anders aussah, als eigentlich vereinbart war.
Entgegen allen Verabredungen und der bisherigen Praxis sind die Jahresraten der Steinkohlebeihilfe nicht im Rahmen des Fünfjahresgesamtplafonds übertragbar.
Die Bundesregierung bastelt sogar daran, das Artikelgesetz so zu verändern, daß die Zusagen für die Steinkohleverstromung für 1999 und 2000 unter Haushaltsvorbehalt gestellt werden. Das ist nicht Tariffähigkeit.
Daran müssen Sie, Herr Rexrodt, meiner Meinung nach arbeiten, bevor Sie uns zumuten, an den Tisch zurückzukehren.
Andererseits appelliere ich dringend, daß Sie nach einer Phase der Besinnung auf den Teppich zurückkommen und mit uns einen Konsens suchen. Denn wenn wir ihn nicht finden, wird die Struktur unserer Energieversorgung sehr schnell hoffnungslos veraltet sein; es wird der breite ökonomische Spin-off, den wir mit Programmen zur Effizienzsteigerung und zur Nutzung erneuerbarer Energien erreichen wollen, verhindert, und es wird technischer Sachverstand verkümmern oder ins Ausland abwandern. Herr Rexrodt, ich bedaure es zutiefst, daß der letzte Produzent von Solartechnik in Hamburg, ein Tochterunternehmen von RWE und Dasa, seine Produktion in die USA verlagert, weil dort die Rahmenbedingungen offensichtlich besser sind als unter Ihrer Wirtschaftspolitik.
Wenn wir keinen Konsens finden, dann werden die Ziele zur CO2-Verminderung, auf die wir uns verständigt haben, nicht erreicht werden, und es wird weiterhin Unsicherheiten beim Steinkohlebergbau geben, und zwar weit über das Jahr 2000 hinaus.
Wer erwartet, daß Entsorgungslösungen für atomare Abfälle halbwegs friedlich durchgesetzt werden, der muß den Menschen, die davon betroffen sind und die davor Angst haben, sagen, daß die Atomkraftnutzung endlich ist und daß die Menge der Abfälle begrenzt sein wird.
Wer die Risiken des unsachgemäßen Umgangs mit kerntechnischen Anlagen in ärmeren oder politisch unsicheren Ländern begrenzen oder langfristig aus-
Reinhard Schultz
schließen will, der muß als Hochtechnologieland zeigen, daß eine sanfte Industrialisierung auf der Basis einer anderen Energieversorgung möglich ist.
Ich weiß ebenfalls, daß ein Konsens zwischen den politischen Lagern mit unterschiedlichen Grundauffassungen unter Einbeziehung der Energiewirtschaft natürlich seinen Preis hat.
Wir von der SPD wollen den Ausstieg. Ich sage ganz deutlich, auch aus persönlicher Kenntnis: Auch der Verhandlungsführer der SPD in der Energiekonsensrunde, Ministerpräsident Schröder, will den Ausstieg. Ich sage das, damit es hier zu keiner Legendenbildung kommt.
Wir wollen das über eine Befristung der Genehmigung von Kernkraftwerken erreichen, um daraus dann im Einzelfall Restlaufzeiten zu definieren. Als Gegenleistung - das ist in den betroffenen Regionen nicht einfach - bieten wir einen energischen Beitrag zur Entsorgungssicherheit an. Wir wollen den Einstieg ins Solarzeitalter und sehen darin eine realistische Option, die mit beiden Händen schon heute ergriffen werden muß. Nur, es genügt nicht, daß man sich dazu bekennt; man muß auch in die Richtung handeln.
Die Koalition hält sich, aus welchen Gründen auch immer, die Option auf einen angeblich in sich sicheren, neuen Reaktortyp offen, der erst noch entwikkelt werden muß. Wir glauben nicht, daß es ein solches Atomkraftwerk geben wird, dessen Risiken sich auf sein Betriebsgelände beschränken lassen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist leider vorbei.
Und wir glauben schon gar nicht, daß ein solches Kraftwerk über den Strompreis zu finanzieren wäre. Aber weil eben angesprochen worden ist, wir seien nicht verhandlungsfähig gewesen
- einen letzten Satz noch -, möchte ich Sie darauf hinweisen und auch denjenigen, die nicht bei den Gesprächen dabei waren, sagen: Die SPD hat in den Gesprächen vorgestern angeboten, daß in einer zweiten Arbeitsgruppe sowohl über Restlaufzeiten der derzeitigen Kernkraftwerksgeneration als auch über die Fähigkeit zur Errichtung eines neuen KKWTyps geredet werden soll, Stichwort: Option, -
Herr Kollege, ich muß Sie jetzt bitten aufzuhören.
- wobei beide Seiten feststellen, -
Nein.
- daß damit ausdrücklich keine Vorentscheidung für den Bau eines neuen Reaktors getroffen worden ist. Sie sehen also: Legendenbildung hilft nicht.
Nein, es ist jetzt Schluß.
Ich bin sicher, in einem halben Jahr sehen sich alle wieder.
Ich muß die Kollegen darum bitten - ich bin in der Regel großzügig - zu beachten, daß man in der Aktuellen Stunde eigentlich nur fünf Minuten reden darf.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Peter Paziorek.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Versuch, zwischen den Parteien eine verläßliche und kalkulierbare Energiepolitik für die Zukunft festzuschreiben, ist leider vorerst gescheitert. Aber, Herr Scharping, die Gespräche sind deshalb gescheitert, weil die SPD noch nicht einmal in der Lage war, Formulierungen hinsichtlich der Option auf die Kernenergie zu übernehmen, die von Ihrem Verhandlungsführer, Herrn Ministerpräsidenten Schröder, noch einige Stunden vorher vorgeschlagen worden sind. Das ist der wahre Grund, weshalb die Gespräche gescheitert sind.
Umweltpolitisch muß sich die SPD nun den Vorwurf gefallen lassen, zwar immer lautstark vom Klimaschutz zu reden, in Wirklichkeit aber die Bedingungen für eine realistische Klimaschutzpolitik durch eine kompromißlose Linie in Sachen Kernenergie zu gefährden.
Die CDU/CSU will den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir setzen uns ein für das Energiesparen. Es kann doch nicht richtig sein, wenn Herr Fischer hier behauptet, es gebe eine solche Strategie nicht. Wir haben seit 1970 einen Anstieg des Wirtschaftswachstums von im Schnitt 2 % pro Jahr. Aber seit 1970 sind Energieträger nur in einer Größenordnung von nicht mehr als 500 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten jährlich eingesetzt worden.
Dr. Peter Paziorek
Wie kommt es, daß wir jährlich mehr Wachstum haben, ohne daß die Masse der Energieträger tatsächlich zugenommen hat? Das kann seinen Grund nur darin haben, daß wir in der Wirtschaft und in den Privathaushalten eine klare Einsparungsstrategie durchgeführt haben.
Somit stellt sich jetzt gerade auf Grund der unsicheren Haltung der SPD wegen der laufenden Koalitionsgespräche zwischen der SPD und den Grünen in Nordrhein-Westfalen die sowohl für NRW als auch für die ganze Bundesrepublik zentrale Frage: Gibt es nach dem Kurs der SPD in Richtung eines Ausstiegs aus der Atomkraft nun auch einen Ausstieg aus der heimischen Stein- und Braunkohle durch Rot-Grün? Wird dieser Ausstieg so erfolgen, daß bei diesem Ausstiegskurs die Steinkohle zunächst außen vor bleibt, daß aber mit der Braunkohle ein Anfang gemacht wird?
Hat die SPD überhaupt noch die Kraft, trotz der tiefen Gräben in der eigenen Partei hinsichtlich einer modernen Energiepolitik den überzogenen und realitätsfernen Forderungen der Grünen in Sachen Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen zu widerstehen? Die mangelnde Handlungsfähigkeit der SPD hier im Bundestag läßt für die Energiepolitik in Nordrhein-Westfalen Schlimmes befürchten. Die SPD scheint nicht mehr in der Lage zu sein, die verschiedenen Facetten einer Klima- und Energiepolitik zu einer sinnvollen Gesamtkonzeption zusammenzufassen.
Für die CDU steht fest: In zentralen Standortfragen darf es kein Einknicken geben, und es dürfen keine Formelkompromisse vereinbart werden. Die Interessen dieses Landes müssen gewahrt werden und nicht die überzogenen Wünsche energiepolitischer Fundamentalisten.
Den Bergleuten an Rhein und Ruhr und - ich sehe den Kollegen Peter Jacoby - auch den Bergleuten im Saarland sei klar gesagt: Die CDU/CSU-Fraktion steht eindeutig zu den Zusagen aus dem Artikelgesetz zugunsten der heimischen Steinkohle.
Auch bei der Übertragung nicht genutzter Mittel auf das nächste Kalenderjahr werden wir - da bin ich mir sicher - eine für den Bergbau günstige Regelung finden.
Frau Fuchs und Herr Lennartz, Ihre Zwischenrufe haben überhaupt keinen Zweck. Herr Rexrodt hat das erklärt, Herr Haungs hat es heute morgen hier öffentlich erklärt: Wir werden nicht nur die finanziellen Zusagen pro Jahr einhalten; wir werden auch für die Übertragbarkeit der Mittel eine Regelung finden. Das haben unsere Vertreter am Mittwoch abend auch in den Energiekonsensgesprächen getan.
- Bestreiten Sie das nicht immer. Die Aussage war genau andersherum. Das ist unsere Botschaft an die Bergleute an Rhein und Ruhr und im Saarland.
Meine Damen und Herren, die IG Bergbau hat recht mit ihrer Frage, ob sie nicht bei einer solchen Politik, wie Sie sie betreiben, befürchten muß, daß Tausende von Arbeitsplätzen im Ruhrgebiet und in ganz Nordrhein-Westfalen durch Ihre völlig unrealistische Energiepolitik gefährdet werden. Ich kann den Kollegen Berger nur bitten, weiterhin offene und klare Worte zu finden.
Ich bin der Ansicht, die SPD hält weiterhin starr an ihren unrealistischen Parteibeschlüssen zum Ausstieg aus der Atomenergie fest und verfehlt dabei den realistischen Mittelweg zwischen den teilweise - das gebe ich ja zu - konträren Positionen. Aber es ist doch gerade die Kunst, diesen Mittelweg jetzt zu finden. Die SPD entzieht sich dieser Diskussion, weil sie sich einer Debatte zu vielen Detailpunkten der Energiepolitik wie z. B. der Frage entziehen will: Wann und zu welchem Preis können erneuerbare Energien auch heimische fossile Energieträger tatsächlich in Gänze ersetzen? Das ist eine spannende Frage. Dazu haben wir von Ihnen konkret noch nichts gehört.
Daß Sie dieser Diskussion ausweichen, zeugt weder von Führungskraft noch von politischem Verantwortungsbewußtsein. Ihre Politik läßt für das Energieland Nordrhein-Westfalen Schlimmes befürchten.
Herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war der letzte Redner. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 1994
- Drucksache 13/1415 -
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Vorsitzende des Petitionsausschusses, die Kollegin Christa Nickels.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird viel darüber lamentiert, daß das Parlament ein schlechtes Ansehen habe, daß die Entfernung vom Volk sehr groß sei und daß wir sozusagen in einem Raumschiff
Christa Nickels
tagten. Wenn man sich das Plenum ansieht, könnte man sagen, das hat etwas für sich.
Der Jahresbericht wird debattiert, die Abgeordneten flüchten, und seine Plazierung auf der Tagesordnung ist jedesmal eine Strapaze. Wir haben immer große Mühe - das ist schon traditionell -, eine vernünftige Tageszeit für unsere Debatte zu bekommen. Das war dieses Jahr nicht anders. Es ging ein wenig wie beim Hornberger Schießen zu; es war kaum möglich, die Aussprache über unseren Jahresbericht zu plazieren.
Erst sollte sie am Ende der heutigen Tagesordnung stattfinden. Dann aber hat man festgestellt, daß auf Grund des Bürgertages das Volk da ist, und man sah die Sicherheit der Abgeordneten im Plenum gefährdet und wollte die Debatte deshalb absetzen. Das konnte nun gerade noch verhindert werden.
Das, was die Abgeordneten im Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages in jeder Wahlperiode über vier Jahre hinweg leisten, nämlich unmittelbare Verschränkung und Verbindung zwischen dem Parlament und den Bürgern zu sein - 20 000 Bürger wenden sich jährlich unmittelbar an uns, das ist eine Größenordnung, die man sonst nicht erreicht -, findet heute während des Bürgertages statt.
Wir haben draußen sehr viele Zelte und Stände, wo das, was die Menschen bewegt, und das, wofür sie sich engagieren, in unserer Bannmeile ganz sinnfällig sichtbar wird. Sonst kann man das nur in unseren Petitionsakten nachlesen. Für mich ist es ein sehr großer Erfolg, daß wir an dem Tag, an dem uns die Menschen nahekommen dürfen, weil die Bannmeile aufgehoben wurde, über den Jahresbericht debattieren.
Mir persönlich ist sehr daran gelegen, daß der Petitionsausschuß das Image „Fragen Sie Frau Sibylle" los wird. Ich halte das für ein schlimmes Image, das nicht gerechtfertigt ist.
- Das ist völlig richtig, auch das würde ich nicht so gern sehen.
Wir sind der Ausschuß, wo dringende Sorgen und schwere Nöte, Belastungen und ungerechte Behandlungen von den Abgeordneten erörtert und auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages gesetzt werden. Zusätzlich ist der Petitionsausschuß auch das Gremium, das schlecht und hektisch gemachte Gesetze unmittelbar der Regierung und den Fraktionen zwecks Korrektur überweisen kann.
Wir nehmen die Beschwerden auf, bearbeiten sie und leiten sie unverzüglich weiter, so daß auch die Regierung, wenn sie es will - leider weigert sie sich aber viel zu oft -, die Chance hat, Fehler mit fatalen Auswirkungen sofort abzuändern. Schließlich liegen
die Fürstenzeiten weit hinter uns, in denen Bitten und Beschwerden nur in untertänigem Flehen geäußert werden konnten, das dann vielleicht - gnädigerweise - erhört wurde.
Heutzutage haben Petitionen auch den Charakter, ganz neue Anliegen im Bereich erneuerbarer Energien oder die Abschaffung überlebter, „dinosaurierhafter", überholter Arten der Energieerzeugung auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist eine sehr mühselige Angelegenheit, aber sie führt zum Erfolg.
Ein Beispiel: Wir bekamen Anfang der 80er Jahre Listen mit Hunderttausenden von Unterschriften, die verlangten, den Umweltschutz im Grundgesetz zu verankern. Es gab massiven Widerstand. Auch das Parlament sperrte sich dagegen. Dennoch ist es auch gerade diesen Petitionen zu verdanken, daß die Verankerung in der letzten Legislaturperiode stattfand.
In den vergangenen zwei Legislaturperioden und somit auch 1994 hat Dr. Pfennig den Petitionsausschuß geführt und seine Arbeit maßgeblich gestaltet. Ich möchte ihm und Herrn Dr. van Heiß, der den Ausschußdienst jahrelang geführt hat, von hier aus den herzlichen Dank des Ausschusses aussprechen.
Arbeit, die seinerzeit dort in Angriff genommen worden ist, beschäftigt uns heute noch. An vielen Beispielen kann man sehen, daß über die Jahre hinweg beklagte Mißstände schließlich doch korrigiert werden konnten. Als Beispiel möchte ich Beschwerden gegen die Telekom vorstellen: Bereits 1992 hatten sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger mit Beschwerden über überhöhte Telefonrechnungen an den Petitionsausschuß gewandt und die Meinung vertreten, daß die Netze der Telekom nicht sicher seien und nicht einmal ein Einzelnachweis über geführte Telefonate zu bekommen war. Hinzu kam eine unglaubliche Arroganz der später teilprivatisierten Post, der Telekom, den Petenten gegenüber, die sich wirklich wieder in längst verflossene Zeiten zurückversetzt glaubten.
Hier hat der Ausschuß schon im letzten Jahr einen Berücksichtigungsbeschluß gefaßt. Die Diagnose, daß die Netze nicht sicher sind, der Verbraucherschutz nicht ordentlich gewährleistet ist und die Petenten recht haben und ihnen entgegengekommen werden muß, wurde durch Pressemitteilungen im November voll und ganz bestätigt. Sofort nach der Neukonstituierung haben wir nachgefaßt und alles, was wir vom Ausschuß her tun konnten, in Bewegung gesetzt, um hier Abhilfe zu schaffen.
Man muß sagen, daß da, wo die Telekom stur war, sich Minister Bötsch bewegt hat. Es ist sehr wichtig, daß wir hier im Parlament fraktionsübergreifend immer wieder Abgeordnete und Minister haben, die volksnah genug sind, um berechtigte Anliegen aufzugreifen und diese gegen verfestigte Behördenwillkür und gegen „Kleister" durchzusetzen.
Wir haben hier erreicht, daß in erheblichem Umfang etwas geändert wird. Demnächst wird es einen Einzelverbindungsnachweis geben, die Digitalisie-
Christa Nickels
rung wird vorangetrieben, und es gibt sehr viele technische Maßnahmen zur Verbesserung der Netzsicherheit, Möglichkeiten der Beweislaständerung zugunsten der Kunden wurden in Aussicht gestellt.
Wir haben auch erreicht, daß vorerst in diesem Bereich das Prüfrecht des Petitionsausschusses gewährleistet ist. Durch die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben - und dazu gehört auch die Bereitstellung von Telekommunikation ebenso wie auch die Fortbewegungsmöglichkeiten für alle, egal, ob sie reich oder arm sind - kommen nämlich große Probleme in bezug auf die Frage- und Prüfmöglichkeiten auf das Parlament, den Petitionsausschuß und die Abgeordneten zu.
Die Telekom hatte dieses Prüfrecht abgestritten und erklärt, nach der Privatisierung sei das Parlament nicht mehr zuständig. Das Thema wird uns aber weiterhin beschäftigen. Die Telekom versucht in einer Art Salamitaktik, hier wieder alle Zusagen des Postministers rückgängig zu machen, sobald Herr Bötsch ihr den Rücken kehrt. Im Herbst werden wir als Ausschuß weitere Untersuchungen vornehmen und in Absprache mit dem Geschäftsordnungsausschuß dieses Hauses dafür sorgen, daß die Fragerechte und Prüfrechte der Abgeordneten gewährleistet bleiben.
Ein weiterer Bereich, der uns in der letzten Legislaturperiode und im letzten Jahr sehr beschäftigt hat, war der Asylkompromiß, der viele Möglichkeiten ausgehebelt hat, Härtefallregelungen zu schaffen. Wir haben das riesengroße Problem, daß wir als Petitionsausschuß in diesem Bereich nur sehr geringe Möglichkeiten haben. Wir dürfen nur das Bundesamtsverfahren prüfen, wobei aber noch nicht einmal gewährleistet ist - nicht einmal in Fällen, in denen wir gravierende Fehler im Bundesamtsverfahren feststellen -, daß die Petenten das Petitionsverfahren in unserem Land abwarten können.
Dazu hat der Deutsche Bundestag ein Gutachten in Auftrag gegeben, das jetzt vorliegt, das wir auswerten und daraufhin prüfen werden, daß auch die Petitionsrechte für Menschen gewährleistet sind, die ganz am Ende der Skala der Glücklichen und Erfolgreichen stehen und überhaupt keine Rechte haben.
An dem Punkt ist mir sehr wichtig, den Kolleginnen und Kollegen auch etwas anderes vor Augen zu führen, was diese Petitionen zeigen: Kaum eine Petition im Asylbereich kommt von einem Asylbewerber. In aller Regel sind es Flüchtlingsinitiativen, Kirchengemeinden, Arbeitgeber und Nachbarn, die in großer Anzahl das Anliegen schildern. Das widerlegt ganz eindeutig das Vorurteil vom bornierten und rassistisch gesonnenen Deutschen. Wir erleben im Petitionsausschuß eine unglaubliche Anteilnahme von Menschen, die sich für Asylbewerber einsetzen. Das sollte man auch einmal zur Kenntnis nehmen und positiv nach vorne wenden.
Ein für uns ebenfalls sehr wichtiger Bereich ist die Begleitung des Zusammenwachsens der neuen und der alten Bundesländer. Für die Mitbürgerinnen und
Mitbürger in den neuen Bundesländern sind gravierende Probleme dadurch aufgetreten, daß auf einmal eine völlig neue Rechtsordnung und eine völlig neue Art, Versicherungen abzuschließen oder sich im Arbeitsleben einen Platz zu erkämpfen, auf sie niedergeprasselt sind. Mit dieser stark beschleunigten Entwicklung werden viele Menschen nicht fertig; vor allem alte, benachteiligte und junge Leute drohen unter das Räderwerk dieser schnellen Maschinerie zu geraten. Hier hat der Petitionsausschuß schon in den letzten vier Jahren sehr viel machen können.
Ein hochaktuelles Thema in den neuen Bundesländern sind die Rentenüberleitungsgesetze. Vor einigen Wochen haben wir 2300 Petitionen so aufbereitet, daß sie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden konnten. Wir danken sehr der Ausschußvorsitzenden, Frau Mascher, daß sie diese von uns übermittelten Informationen auch den Sachverständigen weitergeleitet hat, die hier am Mittwoch bei einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ihre Stellungnahmen abgegeben haben. Wir konnten so mit dazu beitragen, daß sich diese Wissenschaftler nicht aus dem Elfenbeinturm heraus geäußert haben, sondern auch im Lichte dessen Stellung nehmen konnten, was 2 300 Bürgerinnen und Bürger als falsch oder richtig oder wichtig empfunden haben.
Zum Abschluß möchte ich noch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsausschußdienstes danken. Der Petitionsausschuß, der das Tor für Bürgerinteressen in diesem Parlament ist, könnte überhaupt nichts bewirken, wenn nicht zwei Flügel motiviert zusammenarbeiten würden: Zum einen meine ich den parlamentarischen Bereich, die Ausschußmitglieder. Die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten müssen sich - neben der ganzen anderen Arbeit, die sie haben - mit Courage und Zähigkeit im Petitionsbereich einsetzen, auch einmal gegen den Strich bürsten, sich gegen die Verwaltung auflehnen und teilweise sehr ins Detail gehen. Wir brauchen Kolleginnen und Kollegen, die von der Arbeit überzeugt sind und die über Jahre hinweg bereit sind, die Arbeit engagiert, motiviert und kenntnisreich zu machen. Dafür danke ich ihnen.
Zum anderen sind wir darauf angewiesen, daß der Ausschußdienst, in dem 85 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind, die Vorbereitungsarbeiten übernimmt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen, damit sie motiviert arbeiten können, gut ausgestattet sein. Da ist noch einiges zu tun. Ich bin in den ersten sechs Monaten meiner Vorsitzendentätigkeit durch alle Referate des Ausschußdienstes gegangen und habe festgestellt, daß da noch einiges zu tun ist, was die Ausstattung mit PCs und die Organisation insgesamt angeht. Ich setze darauf, daß die zuständigen Stellen uns dabei in den Haushaltsberatungen unterstützen. Hier zu sparen wäre Sparen am falschen Platz.
Noch einmal herzlichen Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Kolleginnen und Kollegen!
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Dehnel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nun schon fünf Plenardebatten zum Jahresbericht des Petitionsausschusses miterlebt, aber mit soviel Polemik hat es noch nie angefangen. Das stimmt mich im Hinblick auf die zukünftige Arbeit etwas bedenklich, Frau Vorsitzende.
Der Bericht über die Tätigkeit des Petitionsausschusses im Jahre 1994 zeigt ein weiteres Mal, wie vielschichtig die Sorgen und Nöte vieler Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind, die sich - von Jahr zu Jahr mit anderen Schwerpunkten - mit Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag wenden. Zugleich vermittelt der Bericht auch ein Bild von der umfangreichen Arbeit, die die Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß zusätzlich zu ihren sonstigen Funktionen übernommen haben. Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschußdienstes möchte ich an dieser Stelle ganz besonders danken. In diesen Dank schließe ich natürlich auch die Minister und Staatssekretäre ein
sowie deren Mitarbeiter, die oft in erheblichem Maße dazu beigetragen haben, lin Einzelfall konkret zu helfen.
Wohl in keinem anderen Gremium dieses Hohen Hauses wie in diesem Ausschuß spiegeln sich die aktuellen Probleme der jeweiligen politischen und sozialen Wirklichkeit in Deutschland so deutlich wider. Dabei kann der Tätigkeitsbericht des Ausschusses angesichts der Vielzahl der an ihn herangetragenen Einzelfälle, Sammeleingaben und Massenpetitionen immer nur exemplarische Fälle aufzeigen. Diese stehen freilich für eine größere Zahl vergleichbarer Sachverhalte. Deshalb will ich hier auch nur einige Schwerpunkte beleuchten, die mir als Mitglied des Petitionsausschusses - zumal als einem aus einem der neuen Bundesländer - besonders wichtig sind.
Vielfach geht es um persönliche Probleme, die für den einzelnen Petenten häufig von existentieller Bedeutung sind, etwa im Bereich der Altersversorgung, der Krankenversicherung und des Familienlastenausgleichs. Andererseits wurden in vielen Eingaben aber auch Sorgen und Probleme von allgemeinem politischen Interesse angesprochen, z. B. die Forderung nach einem energischen Einschreiten gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit sowie nach schärferen gesetzlichen Vorschriften gegen Kindesentführung und -mißhandlung, Gewalt- und Wirtschaftsverbrechen.
Meine Damen und Herren, was den vorliegenden Bericht für das Jahr 1994 in besonderer Weise kennzeichnet, ist der deutliche Rückgang der Zahl der Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern aus den
neuen Bundesländern. Diese Entwicklung kann zweifellos als ein Indiz dafür gelten, daß die zwischenzeitliche Verabschiedung zahlreicher gesetzlicher Regelungen zur Bereinigung „einigungsbedingter" Probleme zu einem weiteren Abbau der Kritik am Verlauf des sozialen Einigungsprozesses und damit zur weiteren Normalisierung der Verhältnisse in Deutschland beigetragen hat.
Das bedeutet jedoch nicht, daß es eine besondere Betroffenheit der in den neuen Ländern lebenden Menschen durch die im Zusammenhang mit der deutschen Einheit stehenden Veränderungen und die sich daraus ergebenden sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Probleme nicht mehr gäbe. Noch stehen wir mitten im Prozeß des Ausgleichs zwischen den alten und den neuen Bundesländern, und es bedarf immer noch weiterer Ausgleichsmaßnahmen.
So wurden auch im Jahre 1994 dem Ausschuß zahlreiche Bitten vorgelegt, mit denen Probleme im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung vorgebracht wurden. Diese hatten sich im Zuge der grundlegenden Umgestaltung des Sozialsystems in den neuen Ländern ergeben. Einen deutlichen Schwerpunkt bildeten dabei die zahlreichen Eingaben zur Rentenumbewertung bzw. zur Neuberechnung der Bestandsrenten in den neuen Ländern nach dem Renten-Überleitungsgesetz sowie Beschwerden über die lange Bearbeitungsdauer von Rentenanträgen. Hierzu mußte der Ausschuß nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens wegen der Beschwerden vieler Petenten Stellung nehmen. Auf Grund der großen Zahl von Bestandsrenten war eine kurzfristige Erledigung im Rahmen der bestehenden Verwaltungskapazitäten jedoch nicht möglich.
Viele Eingaben bezogen sich auch auf die Neuberechnung von Renten mit Leistungen aus Zusatz-
und Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR. Der in zahlreichen Zuschriften vorgebrachten Kritik hinsichtlich der Kappung der der Rentenberechnung zugrunde gelegten Entgelte wegen „staatsnaher" Tätigkeit konnte inzwischen durch Aufhebung des sogenannten Kappungsfaktors von 1,4 Rechnung getragen werden. Dabei war es jedoch nicht möglich, die alsbaldige Neuberechnung der zunächst nur pauschal ermittelten Rentenbeträge angesichts des hierfür vorgesehenen aufwendigen Verwaltungsverfahrens generell in Aussicht zu stellen. Allerdings konnte der Ausschuß erreichen, daß für Petenten in einer besonderen Notlage eine vorrangige Neuberechnung vorgenommen wurde; beispielsweise im Fall eines 1917 geborenen Petenten mit einer Schwerbehinderung von 100 %, der als Härtefall unverzüglich in das Neufeststellungsverfahren einbezogen wurde.
Meine Damen und Herren, in zahlreichen Eingaben aus den neuen Bundesländern wandten sich die Petenten gegen die Nichtberücksichtigung von Ausbildungsabschnitten und Dienstzeiten wegen Erfüllung der Wehrpflicht bei den Grenztruppen der frü-
Wolfgang Dehnel
heren DDR. So sind beispielsweise einem Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn sieben Dienstjahre, die er vor Einberufung zum Wehrdienst bei der Deutschen Reichsbahn zurückgelegt hatte, im Rahmen der Dienstzeitberechnung nicht angerechnet worden. Daraus ergab sich für den Petenten nach der Wiederaufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses bei der Deutschen Reichsbahn eine nicht unerhebliche Lohnminderung. Erst nach Einschaltung des Petitionsausschusses kam es zu einer nochmaligen Überprüfung des Verfahrens mit dem Ergebnis, daß dem Anliegen des Petenten in vollem Umfang entsprochen werden konnte.
Diese Entscheidung hat über den angesprochenen Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung erlangt. Der Bundesminister des Innern hat auf Grund dieses Vorgangs eine Anordnung erlassen. Bei allen Bundesbehörden ist die zunächst erfolgte Nichtberücksichtigung rückgängig zu machen. Eine gleiche Regelung gilt inzwischen auch für die Bereiche der Unternehmen der ehemaligen Deutschen Bundespost.
Meine Damen und Herren, wie hilfreich die Anrufung des Petitionsausschusses auch in einem zunächst „aussichtslosen" Fall sein kann, zeigt das Beispiel eines bei der BfA Versicherten. Mehrjährige Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden nicht anerkannt, weil die entsprechenden Versicherungsbelege abhanden gekommen bzw. vernichtet worden sind. Hier ist es durch das engagierte Zusammenwirken von Versicherungsträger, Beschäftigungsstelle und Petitionsausschuß schließlich gelungen, im Wege der Glaubhaftmachung einen lückenlosen Versicherungsverlauf zu rekonstruieren. So konnte auch hier dem Anliegen des Petenten in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
Meine Damen und Herren, auch im Berichtsjahr 1994 sind dem Petitionsausschuß wieder zahlreiche im Zusammenhang mit der Thematik ,,Vergangenheitsbewältigung" stehende Eingaben vorgelegt worden. Insbesondere Fragen zur Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern des SED-Regimes wurden vorgetragen. Außerdem wurde die Arbeitsweise des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR beanstandet. Insbesondere beanstandet wurden die langen Bearbeitungszeiten von Anträgen an diese Behörde. Der Petitionsausschuß hält deshalb eine Beschleunigung der Bearbeitung dieser Anträge und auch entsprechende zusätzliche ABM-Stellen für angebracht.
Von besonderer Bedeutung war dabei für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern das Zweite Gesetz zur Bereinigung von SEDUnrecht. Es ist im Juni 1994 mit dem Schwerpunkt der verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierung der Opfer des SED-Regimes in Kraft getreten. Hierzu gingen verhältnismäßig wenige Eingaben beim Bundestag ein, denn die Ausführung dieses Gesetzes erfolgt im wesentlichen durch die Rehabilitierungsbehörden der Länder. Also sind die Petitionsausschüsse der jeweiligen Landtage zuständig.
Immerhin dürfen aber in diesem Zusammenhang die intensiven Bemühungen auch des Petitionsausschusses des Bundestages in Erinnerung gerufen werden. Er hat sich in entsprechenden Ersuchen an die Bundesregierung schon sehr frühzeitig für eine beschleunigte Regelung zur Rehabilitierung derjenigen ehemaligen DDR-Bürger eingesetzt, die auf Grund ihrer kritischen Haltung gegenüber dem SEDRegime berufliche Nachteile erleiden mußten.
Als exemplarisch kann hier der Fall eines Bürgers aus dem sächsischen Klingenthal gelten. Ein Lehrer war 1955 fristlos aus dem Schuldienst entlassen worden, weil er auf einer Lehrerkonferenz bei der Verabschiedung von Freiwilligen für die kasernierte Volkspolizei nicht applaudiert hatte. Der Betroffene hatte bis zu seiner Rente nur noch eine Anstellung als Hilfsarbeiter mit den entsprechenden Konsequenzen für die Höhe seiner Rente gefunden. Ihm konnte nach Verabschiedung des Zweiten Unrechtsbereinigungsgesetzes der Bescheid über seine berufliche Rehabilitation ausgehändigt werden. Auf dieser Grundlage wurde eine Neuberechnung seiner Altersversorgung vorgenommen. Ausgangspunkt für diesen Erfolg war das Vorsprechen dieses Bürgers in meiner Bürgersprechstunde. Um so größer war unsere gemeinsame Freude.
Meine Damen und Herren, Unverständnis und Arger haben auch im Jahre 1994 wiederum die überhöhten Fernmelderechnungen der Deutschen Bundespost Telekom bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ausgelöst. Hierzu gingen im Berichtszeitraum über 600 Zuschriften - damit etwa doppelt soviel wie 1993 - beim Petitionsausschuß des Bundestages ein. Dabei handelte es sich überwiegend um Rechnungen von 500 bis zu 5 000 DM, in einzelnen Fällen bis zu 20 000 DM. Die beiden folgenden Fälle mögen hierfür ein Beispiel geben.
Einem Ehepaar, das ein Einfamilienhaus bewohnt und dessen monatliche Telefongebühren seit 30 Jahren nachweislich zwischen 50 und 130 DM betrugen, war eine Telefonrechnung für einen Monat in Höhe von 1 369,04 DM zugegangen. Die fristlose Kündigung des Anschlusses im Falle der Nichtzahlung der Rechnung war durch die Telekom angedroht worden.
In einem anderen Fall hatte ein Ehepaar eine Telefonrechnung über 1 517,30 DM für einen Monat erhalten, obwohl die durchschnittlichen monatlichen Telefongebühren seit vielen Jahren nur zwischen 40 und 50 DM gelegen hatten. In beiden Fällen hat sich die Telekom nach Einschaltung des Petitionsausschusses zu einer Kulanzregelung bereit erklärt und auf die zwangsweise Einziehung der strittigen Beträge verzichtet.
Jedoch nicht in allen einschlägigen Petitionsfällen konnte der Ausschuß ein entsprechend positives Ergebnis erreichen. Mit Befriedigung haben wir aber im Ausschuß feststellen können, daß den Beschwerden wegen überhöhter Telefonrechnungen inzwischen zunehmend häufiger abgeholfen wird. Ich sehe das als Folge des einmütigen Beschlusses des Bundestages, die entsprechenden Eingaben der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.
Wolfgang Dehnel
Dazu hat Herr Bundesminister Bötsch wesentlich mit beigetragen. Durch seine „Selbsteinladung" ist er in unseren Ausschuß gekommen und hat uns dort seine Unterstützung zugesagt. Das ist ein Novum in meiner fünfjährigen Ausschußarbeit.
Für die weiteren Beratungen des Ausschusses über diese Problematik wird es im Zusammenhang mit der am 1. Januar 1995 erfolgten Privatisierung der Unternehmen der Deutschen Bundespost wichtig sein, welche Möglichkeiten der Einflußnahme und der Kontrolle des Parlamentes hinsichtlich der Privatisierung dieser Unternehmen künftig bestehen. Dabei gehe ich davon aus, daß der Ausschuß seine Prifungskompetenz bezüglich der Stellung des Bundes als Anteilseigner und Alleinaktionär sowie des Monopolcharakters der Aktiengesellschaften erhält.
Meine Damen und Herren, diese wenigen exemplarischen Fälle zeigen einerseits, daß es bei der Arbeit im Petitionsausschuß - in der Regel quer durch die Fraktionen - auf die praktische Arbeit und die sachgerechte Lösung der Einzelfälle und Fallgruppen ankommt. Sie zeigen andererseits aber auch, daß der Petitionsausschuß mit seiner Arbeit nicht nur wichtige Aufgaben der Verwaltungs- und der Gesetzeskontrolle erfüllt, sondern daß er vor allem auch ein wichtiges Bindeglied zwischen Staat und Bürger ist.
Dabei darf ich im übrigen mit einiger Genugtuung feststellen, daß im Petitionsausschuß allenthalben ein bestimmtes Rollenverständnis besteht. Im allgemeinen ist dieses nicht von der politische Parlamentsdebatten beherrschenden Kontroverse zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien geprägt, sondern wird weitgehend von einer sehr sachlichen und sehr kooperativen Arbeit der Ausschußmitglieder getragen. Wir sehen uns in erster Linie als Anwalt der Bürger und sind darum bemüht, berechtigte Interessen, die in Bitten und Beschwerden an das Parlament herangetragen werden, engagiert zu vertreten. Für mich und die CDU/CSU-Fraktion gilt bei der Entscheidungsfindung der Grundsatz, den Wählerauftrag sowie gesellschaftliches und Einzelinteresse abzuwägen und zu wahren.
Meine Damen und Herren, abschließend lassen Sie mich die Worte des berühmten Sohnes dieser Stadt Bonn, Ludwig van Beethoven, zitieren, die so gut auf unsere Arbeit im Petitionsausschuß zutreffen:
Wohltun, wo man kann, Freiheit über alles lieben, Wahrheit auch vor dem Throne nicht verleugnen.
Es spricht jetzt der Kollege Bernd Reuter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst will ich etwas geradestellen, was der Kollege Dehnel ausgeführt hat. Ich hatte nicht den Eindruck, daß unsere Vorsitzende, als sie hier sprach, besondere Polemik in die Debatte brachte.
Ich will auch noch zu der Anmerkung, daß wir jetzt weniger Petitionen aus den neuen Bundesländern haben, ergänzen, daß das wohl auch damit zusammenhängt, daß dort jetzt die staatliche Verwaltung funktioniert und daß viele Menschen ihre Petitionen, die in die Länderzuständigkeiten fallen, dort abliefern. Daß uns jetzt weniger Petitionen aus den neuen Ländern erreichen, ist mit Sicherheit nicht darauf zurückzuführen, daß die Menschen in den neuen Bundesländern jetzt sehr viel zufriedener wären.
Meine Damen und Herren, in Art. 17 des Grundgesetzes heißt es:
Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.
Unser Grundgesetz kennt leider keine anderen plebiszitären Elemente. Die Bürgerinnen und Bürger können einmal in vier Jahren ihre Stimme abgeben. Darüber hinaus haben sie dann lediglich noch die Möglichkeit, sich unmittelbar an den Deutschen Bundestag zu wenden.
Rund 20 000mal wurde dieses Recht 1994 in Anspruch genommen. - Ich will eine Vergleichszahl nennen: 1980 geschah das rund 10 000mal. - An den 20 000 Eingaben hängen aber viel mehr Menschen mit ihrer Hoffnung, mit ihren Wünschen; denn wir hatten darunter im letzten Jahr eine Massenpetition, die allein von einer Million Menschen unterschrieben war. Das zeigt aus meiner Sicht die wirkliche Situation: Es kann nicht immer nur davon geredet werden, daß Politikverdrossenheit herrsche; denn wenn diese Menschen politikverdrossen wären, hätten sie nicht den Mut, sich hinzusetzen und einen Brief an den Deutschen Bundestag zu schreiben.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle will ich einmal unseren Parlamentarischen Geschäftsführern für ihren weisen Ratschluß danken. Sie haben es in der Tat fertiggebracht, uns noch in diesem Jahr die Debatte über diesen Jahresbericht zu ermöglichen. Ich hatte schon die größten Befürchtungen, daß wir das erst im nächsten Jahr tun könnten. Ich sage hierzu aber auch ganz ernsthaft: Die Art und Weise, wie die Terminierung dieser Debatte in dieser Woche erfolgt ist, muß ein einmaliger Vorgang bleiben. Das wird sich der Ausschuß zukünftig nicht mehr gefallen lassen.
Bernd Reuter
- Vor allen Dingen sind Sie da, Herr Irmer. Das freut I mich besonders; das ist für uns Mitglieder des Petitionsausschusses schon ein Erlebnis.
Ich möchte jedoch auch anmerken, daß die Arbeit im Ausschuß nicht ganz einfach und leicht ist; Frau Nickels hat darauf hingewiesen. In keinem anderen Ausschuß wird der Charakter des Bundestages als Volksvertretung deutlicher als im Petitionsausschuß. Darum ist es besonders hier notwendig, die Anliegen der Menschen ernst zu nehmen, auch wenn sie uns auf den ersten Blick nicht einleuchten mögen. Ich füge sehr deutlich hinzu, daß dies auch die Regierung und die Bundesbehörden tun müssen.
Ich will hier ausdrücklich dem Innenministerium ein Lob aussprechen, das in diesem Jahresbericht seinen Niederschlag gefunden hat. Da ging es um Petitionen aus dem Bereich der Aussiedler; man sieht ja auch, welcher Staatssekretär aus dem Innenministerium hier anwesend ist. Es geschah öfter, als manche glauben, daß Petitionen schon im Vorfeld erledigt werden konnten, weil im Innenministerium die Bereitschaft bestand, kooperativ mitzuwirken, die Probleme einer Lösung zuzuführen. Aber das gleiche Engagement des Innenministeriums hätte ich mir eigentlich auch bei so mancher Petition aus dem Asylbereich gewünscht,
wo ich nicht feststellen konnte, daß man die Problemlage sehr ernst genommen hat.
Ich will hinzufügen, daß gerade die Asylproblematik sehr schwierig ist. Ich habe auf Grund der vielen Petitionen, die uns vorliegen, aber auch den Eindruck, daß hier die Rechtslage unbefriedigend ist. Was fehlt, sind aus meiner Sicht Härtefallregelungen im Ausländerrecht, weil wir vielfach nicht helfen können und vielfach einfach unmenschlich entschieden werden muß. Das kann meiner Ansicht nach nicht so bleiben. Ich appelliere an die Kreativität derjenigen, die sich um den Asylkompromiß so große Verdienste erworben haben, auch darüber einmal nachzudenken.
- Ich bin, wie Sie mich kennen, nicht für Aufweichungen, sondern ich bin für vernünftige humane Regelungen. Herr Kollege Dehnel, daß ein Einzelrichter nicht weisungsgebunden ist - es wird immer nur darauf hingewiesen, daß man daran nichts ändern könne - und daß vielfach nur ein Gericht entscheidet und keine Revision zugelassen wird, ist mir für die Regelung eines menschlichen Schicksals rechtsstaatlich eigentlich zu wenig.
Wenn Sie das als Aufweichung verstehen - nun gut.
Herr Dehnel, Sie haben zu Recht den Kollegen Bötsch gelobt. Es ist wirklich ein einmaliger Fall - nicht nur in Ihrer fünfjährigen Praxis, sondern überhaupt -, daß ein Minister zu früher Stunde bereit war, in den Petitionsausschuß zu kommen, um dort darzulegen, wie er die Probleme der Telekom mit uns regeln will. Das liest sich gut und hört sich auch heute alles gut an, daß das so geklappt hat. Aber man muß einmal die Familie sehen, die von der Telekom so behandelt wurde, wie es der Kollege Dehnel geschildert hat. Dieser Familie hat man das Telefon abgeschaltet, und die Menschen hatten keine Chance, sich gegen einen so großen Konzern wie die Telekom zur Wehr zu setzen. Deshalb war es notwendig, daß der Ausschuß hier geholfen hat.
Aber es bringt ja nichts, wenn wir bei der Diskussion über den Jahresbericht nur Lob austeilen. Wir müssen auch einmal Kritik anbringen, z. B. Kritik an den Ministerien, die nicht so willig und bereit sind, uns bei der Lösung dieser Probleme zu helfen. Dazu gehört z. B. auch das Bundesministerium der Verteidigung. Ich habe den Eindruck, daß wir manche Probleme besser lösen könnten, wenn dort die Bereitschaft bestünde, die Petitionen ernster zu nehmen.
Ich will nur einmal an den Doppelstaater erinnern, der dafür optiert hat, in den Niederlanden seinen Wehrdienst zu leisten. Da wacht jetzt die Bundeswehr immer noch darüber, ob er das tatsächlich dort macht. Möglicherweise wird dann auch noch von uns weiterverfolgt, ob dieser Mensch oder Doppelstaater der auf Grund seines Studiums vom Wehrdienst zurückgestellt ist, seinen Wehrdienst überhaupt leistet. Ich meine, da müssen wir wirklich einmal an die Bundesregierung bzw. an die Bundesministerien appellieren, sich anders zu verhalten.
Ich erinnere auch an die Petition mit der Asbestose. Es besteht einfach keine Bereitschaft, zu helfen, wenn sich ein Marinesoldat an uns wendet und uns erklärt, daß er jetzt eine Risikoprämie bei seiner Krankenkasse zahlen muß, weil er jahrelang auf Schiffen gefahren ist, die asbestverseucht waren. Da die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist, kommt § 81 des Soldatengesetzes nicht zum Tragen. Das ist ein Skandal. Da muß doch ein Aufschrei der Entrüstung durch diesen Bundestag gehen. Wir müssen willens und bereit sein, das zu ändern. Wir dürfen dann nicht akzeptieren, daß § 81 so bleibt.
Ich will auch dem Bundesinnenminister ganz ernsthaft noch etwas mit auf den Weg geben. Ich habe einmal einige Unterlagen mitgebracht. Uns liegt seit über einem Jahr eine Petition von Menschen vor, die eine andere Haltung der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Kurdenpolitik erreichen wollen. Da kann man zum Inhalt stehen, wie man will. Daß sich aber der Bundesinnenminister anmaßt, zu sagen, das sei gar keine Petition, sondern
Bernd Reuter
die Meinung eines einzelnen, das kann nicht angehen. Es kann nicht angehen, daß das Verfassungsorgan Bundesregierung dem Verfassungsorgan Bundestag vorschreibt, was eine Petition ist.
Ich werde gemeinsam mit meinem Kollegen und Freund Günther Nolting von der F.D.P., der jetzt plötzlich aufgeschreckt ist - -
- Entschuldigung!
Herr Kollege Nolting, wir beide werden, soweit ich die Aktenlage kenne, beantragen, daß der Herr Minister Kanther einmal frühmorgens um 7.30 Uhr in unseren Ausschuß kommt.
- Genauso machen wir das. Sie sehen, meine Damen und Herren, wir haben in diesem Ausschuß einen breiten Konsens. Das ist sehr wichtig und auch sehr erfolgreich.
- Ja, früh. Bei uns in Hessen heißt es sonst 19.30 Uhr, Herr Kollege Irmer.
- Das haben wir ja vor. Wenn es abends stattfände, hätte ich 19.30 Uhr gesagt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Abgesehen von den hohen Investitionen für solche Einzelentwicklungen gibt es bis heute keine preiswerte, von der Konstruktion her zufriedenstellende und von den Behinderten allein autonom bedienbare Lösung.
Wenn man weiterliest, so heißt es da:
Die Deutsche Bahn AG beschafft keine fahrzeuggebundenen Einstiegshilfen. Angaben über Kostenvergleiche können daher nicht gemacht werden.
Der Minister schreibt also, daß dies zu teuer würde, er aber über Kosten keine Angaben machen kann. Solche Totschlagsargumente möchte ich in den Stellungnahmen zu den Petitionen in Zukunft nicht mehr lesen.
Ich wünschte mir auch, daß die Bundesregierung bei Petitionen, die wir zur Erwägung oder zur Berücksichtigung überweisen, öfter dem Willen und der Entscheidung des Petitionsausschusses und des Bundestages folgte. Manchmal habe ich den Eindruck, daß dort die Auffassung vorherrscht, irgendein Ausschuß mache etwas in seinem stillen Kämmerlein, was aber nicht so recht ernst zu nehmen ist.
Wenn wir einer Petition, die wir zur Berücksichtigung oder zur Erwägung an die Bundesregierung überweisen, unsere Entscheidung beifügen, dann handelt es sich dabei um eine Entscheidung des Verfassungsorgans Bundestag; es ist ein Beschluß dieses Hauses. Ich wünschte mir schon, daß das etwas ernster genommen würde.
In der gebotenen Kürze möchte ich noch zwei, drei Anmerkungen zu den Menschen machen, deren Petitionen uns erreichen. Wir engagieren uns selbstverständlich auch dann, wenn ein hoher Beamter der Meinung ist, daß er schneller von A 15 nach A 16 befördert werden muß, und Ungerechtigkeiten im Spiel sind. Wir müssen aber alle gemeinsam darüber nachdenken, wie es uns gelingt, die Menschen zur Einreichung von Petitionen zu ermuntern, die die Technik des Schreibens nicht so beherrschen und die nicht wissen, wie alles zusammenhängt und eine Petition schnell auf den Weg an uns gebracht werden kann.
Deshalb begrüße ich ausdrücklich, daß im Rahmen des Tags der Offenen Tür dafür geworben wird. Wir sollten die Bürgerinnen und Bürger auch auf Kirchentagen und bei anderen Veranstaltungen davon in Kenntnis setzen, welche Möglichkeiten bestehen, sich an uns zu wenden, damit wir ihre Sorgen ernst nehmen können.
Meine Damen und Herren, der Petitionsausschuß ist für viele Menschen die letzte Anlaufstelle und Hoffnung bei der Lösung ihrer sehr oft persönlichen Probleme; das zeigt auch der Bericht des Ausschusses. Diese Besonderheit macht es erforderlich, daß die Ausschußmitglieder über eigene Parteilinien hinausdenken. Je geschlossener der Petitionsausschuß arbeitet, desto größer ist die Chance, sich für die Bürgerinnen und Bürger bei der Bundesregierung und den Behörden ein- und durchzusetzen. Ich begrüße ausdrücklich die Ausführungen, die der Kollege Dehnel in diesem Zusammenhang gemacht hat.
Ich will die Gelegenheit auch noch dafür nutzen, unserem langjährigen Kollegen Dr. Gero Pfennig, der diesen Ausschuß acht Jahre lang geleitet hat,
Bernd Reuter
ein herzliches Wort des Dankes zu sagen.
Er hat im stillen gewirkt; seine Arbeit aber war effektiv. In dieser Zeit konnte vielen Menschen geholfen werden.
Seit Beginn der 13. Legislaturperiode haben wir eine Vorsitzende, was auch sehr ordentlich ist.
Ich bin der Meinung, daß gerade Frau Nickels ein großes Herz für diese Arbeit mitbringt. Sie hat natürlich nicht die Hausmacht des Dr. Gero Pfennig, weil ihre Fraktion kleiner ist als die der CDU/CSU. Aber, Frau Nickels, bevor Ihre Fraktion wächst, können Sie sich darauf verlassen, daß ich hinter Ihnen stehe.
- Herr Nolting, das ist nur ein Problem der F.D.P.; bei uns ist das kein Problem.
- Nein, das ist kein Chaos; wir machen das schon ordentlich.
Ich will aber sehr ernsthaft hinzufügen, daß sich der Ausschuß in der zurückliegenden Zeit sehr oft über die Parteigrenzen hinweg bemüht hat, den Menschen zu helfen. Ich bin davon überzeugt, daß das auch in Zukunft so sein wird und daß wir uns wieder zu einer vernünftigen Arbeitsweise zusammenraufen.
Mein Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Ausschußsekretariat, aber vor allen Dingen den Menschen, die das Vertrauen in unsere Demokratie haben und sich vertrauensvoll an uns wenden. Unsere Aufgabe besteht darin, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen.
Schönen Dank.
Es spricht jetzt der Kollege Günther Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon darauf hingewiesen worden: Die Arbeit des Petitionsausschusses erfolgt meistens unspektakulär, meistens auch unter Ausschluß der breiten Öffentlichkeit.
Die Arbeit des Petitionsausschusses findet auch in den Medien kaum eine Beachtung, es sei denn - darauf haben die Vorsitzende und andere schon hingewiesen -, es geht um den Bereich der Telekom, mit dem wir uns im letzten Jahr gerade im Zusammenhang mit den überhöhten Telefonrechnungen beschäftigen mußten. Dies allerdings wurde von den Medien in sehr breitem Umfang aufgenommen.
Darüber hinaus erfolgt die Arbeit des Petitionsausschusses als Anwalt des Bürgers weitgehend reibungslos; das zeigt sich auch an der Debatte. Daß
dies so ist, liegt vor allen Dingen daran, daß hinter den Kulissen eine Vielzahl von tüchtigen Menschen arbeitet, die die Beschlüsse des Ausschusses vorbereiten und die immense Papierflut lenken. Für die F.D.P.-Fraktion möchte ich deshalb an dieser Stelle den Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sekretariats des Petitionsausschusses ausdrücklich weitergeben.
Ich möchte auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien danken, die die Petitionen zu bearbeiten und dazu Stellung zu nehmen haben. Es ist erfreulich, ,daß auch in diesem Jahr die Regierungsvertreter hier wieder so zahlreich vertreten sind.
Ich will an dieser Stelle auch meinen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen des Petitionsausschusses für die konstruktive und gute Zusammenarbeit, fraktionsübergreifend über alle Grenzen hinweg, danken.
Herr Kollege Dehnel, wenn es Meinungsäußerungen gibt - das sollte man, glaube ich, jedem Abgeordneten und jeder Abgeordneten zugestehen -, dann sollte man nicht überreizt und überempfindlich reagieren, sondern man sollte das in der entsprechend sachlichen Form kommentieren. Wir werden nach den ersten sechs Monaten, die wir zusammengearbeitet haben, noch viele weitere Monate zusammenarbeiten. Wir werden uns da wohl noch zusammenraufen.
Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei den Bürgerinnen und Bürgern bedanken, die manchmal sehr viel Geduld aufbringen müssen. Denn bevor eine Petition behandelt und über sie beschlossen wird, vergehen häufig mehr als zwölf Monate, manchmal anderthalb oder sogar zwei Jahre. Wir müssen an die Bürgerinnen und Bürger appellieren, für diese manchmal sehr langwierige Arbeit Verständnis zu haben.
In diesem Zusammenhang stellt sich für mich die Frage, ob wir die Arbeit im Petitionsausschuß in einigen Bereichen nicht noch beschleunigen können. Meine Hoffnung setze ich dabei auch auf neue Techniken. In diesem Jahr sollen z. B. die Büros der Ausschußmitglieder an die Datenbank Petkom angeschlossen werden. Dann werden sich aus unserer Sicht, aus der Sicht der Berichterstatter, Nachfragen beim Ausschußdienst häufig erübrigen, was letztendlich zu einer Entlastung führen kann.
Ich habe eingangs gesagt, der Petitionsausschuß des Bundestages ist der Anwalt des Bürgers. Es gibt einen grundgesetzlich verbrieften Anspruch des Bürgers. Wir alle wissen, daß der Petitionsausschuß ein Pflichtausschuß ist, der nach dem Grundgesetz gebildet werden muß. Jedermann kann sich - auch jede Frau - nach dem Grundgesetz mit ganz persönlichen Bitten, Forderungen und Beschwerden an diesen Petitionsausschuß wenden. Der Ausschuß gibt den Bürgern einen direkten Kontakt zum Parlament, ohne daß der Petent den Umweg über Lobbyisten, über die Medien oder über die Parteien gehen muß.
Günther Friedrich Nolting
An Hand der eingegangenen Beschwerden kann das Parlament direkt ablesen, welche Schwierigkeiten die Bürgerinnen und Bürger mit einzelnen Gesetzen und Vorschriften haben. Ich wünsche mir deshalb auch - ich schließe mich hier meinen Vorrednerinnen und Vorrednern an -, daß viele der von den Bürgern angesprochenen Probleme auch die entsprechende Aufmerksamkeit bei den Fraktionen des Bundestages, aber auch bei der Regierung finden, um zu Lösungen zu gelangen. Nur - Herr Kollege Reuter, jetzt spreche ich Sie an -, da sind auch wir als Gesetzgeber gefragt; es ist nicht nur die Regierung in die Pflicht zu nehmen. Wir als Gesetzgeber sind in diesen Fragen ausdrücklich gefordert.
Meine Damen und Herren, die Änderung des Asylrechts ist angesprochen worden. Seit dieser Änderung des Asylrechts im Jahre 1993 habe ich den Eindruck, daß viele Asylbewerber, deren Antrag abgelehnt wurde, glauben - wie auch andere Ausländer, denen eine Abschiebung droht -, der Petitionsausschuß könne die letzte Hoffnung sein. Eine Eingabe beim Ausschuß soll eine Abschiebung verhindern und ein Bleiberecht sichern.
Nein, meine Damen und Herren, der Petitionsausschuß ist keine Oberasylbehörde, auch wenn ich in den letzten Monaten den Eindruck gewinnen mußte, daß insbesondere die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Gruppe der PDS den Ausschuß gerne dazu umfunktionieren möchten. Ich sage aber dazu: Das Petitionsverfahren verschafft gerade keinen außerprozessualen Rechtsbehelf. Der Rechtsweg hat immer Vorrang, und auch der Ausschuß ist an Recht und Gesetz gebunden.
Die Auffassung speziell der Grünen-Fraktion, daß Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber so lange auszusetzen sind, bis sich der Petitionsausschuß mit deren Fall noch einmal ausführlich befaßt hat, konterkariert den Willen des Gesetzgebers, dem es bei den Änderungen im Jahre 1993 um eine Straffung des Asylverfahrens ging.
Nach Auffassung der F.D.P. machen es die Neuregelungen im Asylrecht möglich, den Mißbrauch dieses Rechts deutlich zu begrenzen und die Asylverfahren beschleunigt durchzuführen. Dies war der Wille des Gesetzgebers, und dies, wohlgemerkt, ohne den Schutz politisch Verfolgter zu gefährden. Dies zeigt sich bereits an dem bemerkenswerten Anstieg der Zahl der Anerkennungen gegenüber dem alten Recht um das Fünffache.
Auch aus den Eingaben zum Bereich Asyl- und Ausländerrecht ist aus meiner Sicht der Schluß zu ziehen, daß die Bundesrepublik Deutschland dringend eine gesetzliche Regelung zur Steuerung und zur Begrenzung der Zuwanderung braucht. Nur ein Einwanderungsgesetz schafft die Voraussetzungen für kontrollierte Einwanderungspolitik
und verhindert, daß sich diejenigen, die auf der Suche nach Arbeitsplätzen und besseren Lebensbedingungen in unser Land kommen, auf das Grundrecht auf Asyl berufen.
Eine Novellierung des Ausländergesetzes ist ebenfalls dringend notwendig. Dies zeigen Eingaben, die wir gerade auch im Berichtszeitraum erhalten haben, und die die Erleichterung der Visabestimmungen, Verbesserungen bei der Möglichkeit zum Familiennachzug und eine Erweiterung des eigenständigen Aufenthaltsrechtes des Ehegatten fordern.
Meine Damen und Herren, besonders hat es mich persönlich gefreut, daß wir im Petitionsausschuß gerade für die Menschen in den neuen Bundesländern manches tun konnten. Der Kollege Dehnel ist schon auf einige Punkte eingegangen. Hier ging es naturgemäß häufig um wichtige soziale Belange und viele persönliche Einzelschicksale, meistens um Rentenfragen. So haben beispielsweise die pauschal zum 1. Januar 1992 umgewerteten Witwenrenten manche schwerwiegende Benachteiligung entstehen lassen, da einheitlich eine Basis von 35 Arbeitsjahren zugrunde gelegt wurde. Da aber in der Realität häufig bis zu 50 Arbeitsjahre geleistet worden waren, entstand für manche Witwe eine finanziell schwierige und rechtlich nicht mehr verstehbare Situation. Dies war auch bei einer 83jährigen Dame aus Sachsen-Anhalt der Fall, der - genau wie in zahlreichen anderen ähnlich gelagerten Fällen - durch Einwirkung des Petitionsausschusses geholfen werden konnte.
Ähnliche Schwierigkeiten wie bei der Umwertung der Witwenrenten gab es für zahlreiche weitere Rentenbezieher, die zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR gehört hatten und deren Renten ab Ende 1993 neu berechnet werden mußten, nachdem sie in die gesetzliche Rentenversicherung überführt worden waren. Da diese Gruppe mit über 300 000 Menschen zahlenmäßig sehr groß war, mußte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die Betroffenen jahrgangsweise zur Neuberechnung der Renten aufrufen. Dies führte häufig zu persönlichen Härten, gerade bei Beziehern von Klein- und Kleinstrenten. Auch hier konnte der Petitionsausschuß für die Petenten, die sich in besonderen Notlagen befanden, erreichen, daß die Neuberechnung ihrer Renten durch die BfA deutlich vorgezogen wurde.
Weitere Petitionen in diesem Zusammenhang betrafen z. B. Angehörige der Sonderversorgungssysteme der ehemaligen NVA, die für die Rentenberechnung eine Entgeltbescheinigung des Dienstherrn benötigten. Durch den Petitionsausschuß konnte über die zuständigen Ressorts festgestellt werden, daß als Rechts- und Funktionsnachfolger der Sonderversorgungssysteme der ehemaligen NVA das Wehrbereichsgebührnisamt in Strausberg bzw. die Wehrbereichsverwaltung VII zu betrachten ist. Diese haben zur vorrangigen Bearbeitung von rund 90 000 Anträgen auf Entgeltbescheinigungen zur Rentenberechnung zusätzliche Dienstposten eingerichtet, so daß die betroffene Bevölkerungsgruppe
Günther Friedrich Nolting
schnellstmöglich eine Neuberechnung ihrer Renten erhält. Auch hier konnte so in besonderen Härtefällen eine beschleunigte Bearbeitung erreicht werden.
Hier ist darauf hingewiesen worden, daß die Zahl der Eingaben aus dem sogenannten Beitrittsgebiet rückläufig ist. Aber dies macht deutlich, daß der Prozeß des inneren Zusammenwachsens unseres Landes erfreulicherweise fortgeschritten ist. Gerade Einrichtungen wie der Petitionsausschuß haben hierzu erheblich beitragen können.
Ich will auf einem anderen Feld, das mich auch als Mitglied des Verteidigungsausschusses berührt, einige Bitten und Beschwerden vortragen, die ebenfalls ernst genommen werden sollten. Es geht darum, Frauen endlich die Möglichkeit zu geben, freiwillig und gleichberechtigt, d. h. in allen Bereichen und Laufbahnen der Streitkräfte, Dienst in der Bundeswehr tun zu können. So haben sich 1994 verschiedene Sanitätssoldatinnen, aber auch junge Frauen außerhalb der Bundeswehr an den Petitionsausschuß gewandt und darauf hingewiesen, daß in der Bundeswehr außerhalb des Sanitäts- und Musikdienstes eines der letzten geschlechtsspezifischen Berufsverbote herrscht.
Auch hier sah der Petitionsausschuß - auch wenn es Ihnen nicht paßt, Herr Kollege - Handlungsbedarf. Eine verstärkte Öffnung der Laufbahnen in der Bundeswehr für freiwillige weibliche Bewerber wäre im Sinne der Gleichstellung der Berufschancen beider Geschlechter wünschenswert.
Leider reagierte die Bundesregierung - hier das Bundesministerium der Verteidigung und das Bundesministerium des Innern - darauf ablehnend und verneinte ohne nähere Begründung jeden Handlungsbedarf. Aber ich denke, dies, Frau Staatssekretärin, wird noch nicht das letzte Wort sein. Ich habe der Presse entnehmen können, daß Sie meine Forderung nach Öffnung der Bundeswehr für Frauen unterstützen. Wir werden dann vielleicht in den nächsten Monaten oder im nächsten Jahr zu einer gemeinsamen Initiative kommen. Ich freue mich schon darauf.
Ich werde für die F.D.P. diese Frage noch einmal, wie gerade angekündigt, in das Parlament und damit auch in die verstärkte öffentliche Diskussion einbringen.
- Das können wir machen. Im Moment kann ich sie nicht sehen. Wir werden uns natürlich auch mit der Opposition darüber unterhalten. Ich freue mich auch auf deren Unterstützung.
Meine Damen und Herren, als Mitglied des Petitionsausschusses und als Berichterstatter, der eine Vielzahl von Einzelfällen zu begutachten hat, fällt mir an Hand der Eingaben auf, daß bei vielen Bürgerinnen und Bürgern oft eine Art Vollkaskomentalität
- ich will es einmal so hart nennen - um sich greift. Der Staat soll sich um alles kümmern, der Staat soll für alles Vorsorge treffen. Verstehen Sie mich bitte an dieser Stelle nicht falsch. Mir geht es nicht darum, die Petenten zu schelten. Ich will auch nicht Rechte des einzelnen Bürgers, der einzelnen Bürgerin einschränken. Im Gegenteil, gerade die F.D.P. hat erhebliche Anstrengungen unternommen, die Rechte des einzelnen zu festigen und auszubauen.
Ich sage aber dazu: Wer Rechte hat, hat auch Pflichten. Dies muß die Bereitschaft beinhalten, Verantwortung und Eigenintiative zu übernehmen, bevor nach staatlichem Handeln gerufen wird.
Die Politik hat die Aufgabe, dies allen Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, es ihnen vorzuleben und das Anspruchsdenken nicht noch zu fördern.
Wer im Petitionsausschuß mitarbeitet, kommt nicht umhin, von der ständig wachsenden Bürokratie Kenntnis zu nehmen. Gerade diese Bürokratie schränkt die Chancen des einzelnen zur Selbstverwirklichung zusehends ein. Immer mehr Gesetze, immer mehr Verwaltungsvorschriften, Formulare, die selbst für sachkundige Bürger nicht mehr überschaubar und verständlich sind, belasten den Bürger. Wir als Abgeordnete dieses Parlaments sind zu einem großen Teil dafür mitverantwortlich. Dies sage ich mit aller Selbstkritik.
Die Beratung des Jahresberichtes des Petitionsausschusses ist deshalb Anlaß für mich, eindringlich eine Entbürokratisierung, den Stopp der Normenflut und die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren zu fordern.
- Ja, Herr Kollege, für diesen Zwischenruf bedanke ich mich. Es ist, glaube ich, Aufgabe dieses Parlamentes, es nicht bei Zwischenrufen zu belassen, sondern diese Aufgabe ernst anzugehen. Mir ist es mit dieser Aufgabe ernst, und ich belasse es auch nicht bei Zwischenrufen.
Vielleicht könnte gerade der Petitionsausschuß - Frau Vorsitzende, damit spreche ich Sie persönlich an - in Zukunft bei seinen Empfehlungen stärker überprüfen, ob die eingeforderten und kritisierten Regelungen überhaupt notwendig sind, und dem Parlament daraufhin Vorschläge machen, in welchen Bereichen unsere Gesetze entrümpelt werden können und müssen.
Der Bundestag als Gesetzgebungsorgan sollte bei neuen Regelungen, wenn sie denn überhaupt notwendig sind, darauf achten, daß durch generalisierende Normen der Wille des Gesetzgebers deutlich wird. Detailregelungen, mit denen auch noch der
Günther Friedrich Nolting
kleinste Einzelfall abgedeckt werden soll, schaffen nur neue Unklarheiten.
So läßt sich an vielen Beispielen aus dem Jahresbericht des Petitionsausschusses immer wieder eine alte Forderung der F.D.P. ableiten, nämlich die, einfache, klare und für den Bürger verständlich formulierte, von der Verwaltung in schnellen, unbürokratischen Verfahren umzusetzende Gesetze zu schaffen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß der Petitionsausschuß seine Aufgabe auch im kommenden Jahr weiter ernst nehmen wird. Die Delegation von Aufgaben, Frau Vorsitzende, auf einen einzelnen -sprich z. B. einen Ombudsmann oder eine Ombudsfrau - lehne ich daher ab.
Ich will, daß das ganze Parlament in die Pflicht genommen wird, daß das Parlament als Ganzes dafür Verantwortung trägt, daß sich das gesamte Parlament in diesen Fragen seiner Verantwortung bewußt bleibt und ihr nachkommt.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Eckart von Klaeden hat gebeten, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen.*) Sind Sie damit einverstanden? -
Gut. - Die Debatte geht aber weiter. Jetzt hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vielfalt der zu behandelnden Themen im Petitionsausschuß spiegelt die unbewältigten Probleme in dieser Gesellschaft wider - das wurde auch schon von Herrn Dehnel gesagt -, von denen die Bürgerinnen und Bürger, verursacht durch die Politik der Bundesregierung, zunehmend betroffen sind.
Symptomatisch dafür ist eine Vervielfachung von Eingaben zu den Themen Asyl- und Ausländerrecht, zu den Folgen des Vereinigungsprozesses oder zur Militarisierung Deutschlands. Auch die zunehmende Sensibilisierung der Bevölkerung in Umweltfragen schlägt sich immer mehr in Petitionen nieder.
Die Ausflüsse der Seehoferschen Gesundheitsreform und einschneidende Änderungen im Arbeitsförderungsgesetz waren genauso Thema wie die notwendigen Verbesserungen der Lebenssituation Behinderter. Daß u. a. der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung seit
*) Anlage 2
Jahren mit an der Spitze steht, sollte den Damen und Herren der Bundesregierung eigentlich zu denken geben. Das beweist den systematischen Ausstieg aus dem Sozialstaat.
Die Menschen wenden sich doch in der Hoffnung an das Parlament, daß hier Abhilfe für ihre Sorgen und Probleme geschaffen wird. Dabei macht die zunehmende Zahl an Massenpetitionen nicht nur deutlich, daß das individuelle Begehren der oder des einzelnen im Vordergrund steht, sondern daß - frei nach Shakespeare - in diesem Staate etwas faul ist.
Nicht nur Einzelprobleme gilt es zu lösen, sondern zunehmend auch Massenprobleme, die die Öffentlichkeit bewegen, wie z. B. § 218 des Strafgesetzbuches. Berechtigt verlangen die Petenten mit 22 612 Unterschriften Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Mit 1 100 000 Unterschriften werden die Erleichterung der Einbürgerung und die Ermöglichung der doppelten Staatsbürgerschaft gefordert. Gegen die geplante Anschaffung des Eurofighters 2000 und für die Forderung, keine weiteren Forschungs- und Entwicklungsgelder für die Durchführung von bereits geplanten Großwaffenprojekten bereitzustellen, wurde mit 80 000 Unterschriften votiert.
Allein in diesem Jahr wurden mir von den Bürgerinnen und Bürgern aus den neuen Bundesländern bisher nahezu 100 000 Petitionen gegen das Mietenüberleitungsgesetz übergeben. Ich denke, wir werden sie irgendwann behandeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, welchen Stellenwert die Bundesregierung den Sorgen und Nöten der Wählerinnen und Wähler beimißt, werden Sie sicher auch daran erkennen, daß es trotz der Hartnäckigkeit des Petitionsausschusses nicht gelungen ist, die Debatte zum Jahresbericht nicht erst als vorletzten Punkt vor dem Wochenende auf die Tagesordnung zu setzen. Sie werden das ebenso an den folgenden Zahlen erkennen.
1994 überwies der Bundestag der Bundesregierung 156 Petitionen zur Berücksichtigung, weil nach Meinung des Parlaments das Anliegen des Petenten begründet und Abhilfe notwendig war. Diese Notwendigkeit wurde von der Bundesregierung in 20 Fällen akzeptiert. Über einen Berücksichtigungsbeschluß wurde negativ entschieden. 135 Petitionen sind noch immer nicht abgeschlossen.
Ähnlich ist die Tendenz bei den 321 Überweisungen zur Erwägung. Das sind Eingaben, die Anlaß zu einem Ersuchen an die Bundesregierung geben, das Anliegen noch einmal zu überprüfen und nach Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen. Während nur 9 der Erwägungsbeschlüsse positiv beschieden wurden, war die Bundesregierung in 57 Fällen nicht zu einer Abhilfe bereit. 255 Überweisungen sind noch offen. Im Berichtszeitraum wurde insgesamt 102 Überweisungen nicht entsprochen.
Da die Beschlüsse des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung im rechtlichen Sinne keine Bindungswirkung entfalten, führt das dazu, daß, wie an Hand der Zahlen nachgewiesen, in vielen Fällen den Aufforderungen des Petitionsaus-
Eva Bulling-Schröter
schusses bzw. des Parlaments keine Folge geleistet wird. Wenn ich mir überlege, daß Überweisungsbeschlüsse des Bundestages mit Mehrheit gefaßt werden, wie es heute schon öfters betont wurde, läßt das unweigerlich den Schluß zu, daß die Bundesregierung nicht nur den Petitionsausschuß nicht ernst nimmt, sondern das gesamte Parlament ignoriert und damit natürlich auch die Interessen ihrer eigenen Wählerinnen und Wähler.
- Wir könnten uns ja einmal darüber unterhalten, wenn Sie das nicht so sehen. - So wird Politik- und Parteienverdrossenheit geschürt. Hier ist dringend Handlungsbedarf angesagt. Ich denke, wir sollten gemeinsam etwas tun.
Eine drastische Einschränkung der Zuständigkeit des Deutschen Bundestages und damit der Einflußmöglichkeiten des Petitionsausschusses - das macht der Jahresbericht deutlich - ist durch die zunehmende Umwandlung von Bereichen staatlicher Tätigkeit in die Rechtsformen einer Aktiengesellschaft oder GmbH zu verzeichnen. Wie im Schreiben eines Vorstandsmitgliedes der Deutschen Telekom AG vermerkt wird - ich zitiere -,
... kann das Handeln der Deutschen Telekom AG nicht mehr Gegenstand des Petitionsrechts sein, mit Ausnahme der Petitionen, die sich auf hoheitliche oder beamtenrechtliche Fragen beziehen.
Selbstverständlich steht in einem demokratischen Staat den Betroffenen der Rechtsweg zur Wahrung ihrer Interessen offen. Bedenkt man allerdings, daß allein zwei Drittel der den Geschäftsbereich des Postministeriums betreffenden Petitionen sich gegen überhöhte Fernmelderechnungen richten, ergeben sich daraus für mich, abgesehen von finanziellen Problemen, sofort folgende Fragen. Erstens: Über welchen Zeitraum würde sich ein derartiges Verfahren bei der derzeitigen Überlastung der Gerichte erstrekken? Zweitens: Welche Chancen haben die Betroffenen, bei denen die Beweislast liegt, daß tatsächlich ihre Interessen gewahrt werden?
Ein Mehr an Demokratie wird damit sicherlich nicht erreicht. Vielmehr werden auf diese Weise wichtige Bereiche des öffentlichen Lebens der parlamentarischen Kontrolle entzogen. Ich denke, das ist mit der Privatisierung auch so gewollt.
Als Neuling im Petitionsausschuß habe ich mir natürlich auch die Debatten zu den Jahresberichten der vergangenen Jahre angesehen. Daraus ergibt sich ein interessanter Vergleich: 1992 wurden allein über 40 % aller Petitionen von den Bürgerinnen und Bürgern der neuen Bundesländer eingereicht, und das wurde als Beleg für ihre Fähigkeit und ihren Willen gefeiert, Demokratie nicht nur zu erleben, sondern auch zu leben und direkt an ihr teilzunehmen. Dem steht laut Aussage des Jahresberichts 1994 gegenüber, daß es jetzt nur noch etwa ein Viertel aller Petitionen, nämlich 25,7 %, sind. Das ist ein Rückgang von bald 50 %. Die Interpretation dieser Aussage steht Ihnen frei. Allerdings dürfte sie kaum ein Ausdruck dafür sein, daß im gleichen Maße vereinigungsbedingte" Probleme in den neuen Bundesländern gelöst wurden und die versprochenen blühenden Landschaften in voller Pracht stehen.
Die Anhörung zur Korrektur des Renten-Überleitungsgesetzes am vorigen Dienstag, zu der auch der Petitionsausschuß geladen war, bot einen tiefen Einblick in die Ungerechtigkeiten bei der Überführung von Renten und Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR in die gesetzlichen Rentenversicherungssysteme. Selbst wenn man in Erwägung zieht, daß die Anhörung zu positiven Veränderungen führen könnte, wird damit nur ein Teil der Probleme gelöst, die die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern bewegen.
Da sich die Mehrheitsverhältnisse des Bundestages im Petitionsausschuß widerspiegeln, ist klar, daß solche Forderungen wie z. B. die nach Veränderung des Asylrechts oder nach Stopp der Rüstungsexporte als Überweisungsbeschluß zur Erwägung oder zur Berücksichtigung auch im Ausschuß kaum eine Mehrheit finden. Das führt dann dazu, daß oftmals Entscheidungen zu Einzelpetitionen prinzipiellen politischen Intentionen untergeordnet werden und sie damit von vornherein keine Chance haben, im Parlament auf der Tagesordnung zu stehen.
In Art. 17 der Verfassung ist das Recht verankert, daß sich jedermann einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung wenden kann. Wenn dieses Recht nicht zum Alibi oder zur Farce werden soll, dann müssen die Eingaben und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernster genommen werden. Dazu gehört auch der Ausbau und nicht der Abbau der demokratischen Kontrolle gegenüber der Exekutive, der Verwaltung.
Für überlegenswert halte ich den Vorschlag, Sitzungen des Petitionsausschusses ähnlich wie Gerichtsverhandlungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Wählerinnen und Wähler hätten so die Möglichkeit, unmittelbar zu erleben, wie die Abgeordneten ihre Interessen nach bestem Wissen und Gewissen vertreten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich nach inzwischen sechs Monaten praktischer Erfahrung im Petitionsausschuß weiß, wieviel Arbeit für die ordnungsgemäße Bearbeitung einer Petition erforderlich ist, möchte ich mich für das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Petitionsausschusses - einige sitzen noch auf der Zuschauertribüne -, die eine sachgemäße Arbeit der Abgeordneten im Ausschuß gewährleisten, und für das meist sachliche Klima im Ausschuß im Sinne der Petentinnen und Petenten bedanken.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Max Straubinger.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In knapp 20 000 Fällen suchten Bürgerinnen und Bürger oder Organisationen dieses Landes Rat, Tat, Hilfe, Unterstützung und Gerechtigkeit über das Petitionsrecht. In meinen Augen ist dies Ausdruck dafür, daß der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages bei den Bürgerinnen und Bürgern bekannt ist und daß ihm das Prädikat, Anwalt des Bürgers zu sein, welches er sich über Jahrzehnte seiner Tätigkeit erworben und erarbeitet hat, zusteht.
Wie hoch bei einzelnen Petenten die Erwartungen sind, daß über ihr eigenes, persönliches Anliegen vom Petitionsausschuß positiv entschieden wird und dadurch ihr Problem gelöst werden kann, läßt sich aus Aussagen in Anschreiben wie „Sie sind meine letzte Rettung" oder „Jetzt bin ich an der richtigen Stelle" oder „Ich bin überzeugt, daß ich bei Ihnen die nötige Unterstützung erhalte", unschwer ableiten.
Natürlich kann auch der Petitionsausschuß nicht Unmögliches möglich machen oder widerrechtliches zu rechtlich einwandfreiem Handeln erklären. Aber in rund 23 % der entschiedenen Fälle hat der Petitionsausschuß die Erwartungen erfüllt und die Anliegen positiv erledigen oder beeinflussen können. Das ist eine beachtliche Bilanz, die die Notwendigkeit des Petitionsrechts zusätzlich untermauert. Aber auch viele Petitionen, die in der Sache nicht positiv beschieden werden konnten, haben durch die umfangreiche Bearbeitung dazu geführt, daß Entscheidungen verständlicher und einsichtiger werden. Viele Bürgerinnen und Bürger gewinnen dadurch das Vertrauen in unser Staatswesen zu-ruck, oder es wird wesentlich gestärkt. Die Bürger erhalten oft das Gefühl zurück, daß es jemanden gibt, der sich auch ihrer sogenannten kleinen, aber in Wirklichkeit großen Probleme annimmt und ihre Anliegen ernst nimmt, und daß ihre Anfragen Auswirkungen auf die künftige Verwaltungspraxis haben oder bei Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung finden.
Umgekehrt bietet sich aber auch den Parlamentariern eine gute Möglichkeit, auf Fehlentwicklungen, Schwachstellen oder Lücken der Gesetzgebung oder der Umsetzung einzelner Gesetze aufmerksam zu werden.
Der jetzige Jahresbericht zeigt deutlich, daß unser Staat auf die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger eingeht und daß das Parlament sowie die Bundesregierung bereit sind, gesetzliche Bestimmungen nötigenfalls auch neu zu überdenken. Signifikant kommt darin auch zum Ausdruck, daß die Anzahl der Petitionen aus den neuen Bundesländern zurückgegangen ist, weil die Schwierigkeiten, Lücken und Schwachstellen, die durch die Wiedervereinigung in verschiedenen Bereichen entstanden sind, mittlerweile dadurch beseitigt wurden, daß Neuregelungen entweder umgesetzt wurden oder bestehende Ge-
setze ergänzt wurden. Dies war auch das Anliegen der früheren Petitionen, und dem wurde meines Erachtens vom Parlament und von der Regierung vorbildlich Rechnung getragen.
Diese Entwicklung kann man nur positiv bewerten. Die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern konnten damit ein Recht aktiv nutzen, das sich, wie die Zahlen des Berichts zeigen, bewährt hat und wesentlich dazu beigetragen hat, daß nicht nur die Einheit Deutschlands, sondern auch der Verlauf des Einigungsprozesses als positiv und zufriedenstellend bewertet werden konnten.
Meine Damen und Herren, viele Wünsche und Anliegen der Bürger, die an den Ausschuß herangetragen werden, wurden bereits von Ämtern, Behörden und Gerichten fair beschieden oder überprüft. Ich möchte in diesem Zusammenhang besonders herausstellen und verdeutlichen, daß deren Arbeit in höchstem Maße korrekt und rechtsstaatlich vor sich gegangen ist.
Den Verwaltungen, die wegen ihrer Bürokratie zum Teil negativ dargestellt werden, muß man großenteils unsere hohe Anerkennung für ihre Arbeit und Leistungen aussprechen. In vielen Fällen, die im normalen Verwaltungsweg korrekt abgehandelt wurden und bei denen Petenten ab und zu versuchen, eine rechtlich fundierte Entscheidung zu hintertreiben, besteht für den Petitionsausschuß nur die Möglichkeit, die Richtigkeit des Verfahrens zu prüfen. Eine entgegengesetzte oder geänderte Beurteilung in der Sache steht dem Ausschuß in derartigen Fällen nicht zu.
Das ist in unserer Arbeit auch geboten und wird der Gewaltenteilung in unserem Land gerecht. Versuche, diese Trennlinie zu verwischen, indem man fordert, rechtsstaatlich abgeschlossene Verfahren über die Dauer eines Petitionsverfahrens hinaus auszusetzen und zu verzögern, lehne ich ab.
Rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren z. B., die als Ergebnis die Ablehnung des Asylantrages hatten und die Ausweisung oder Abschiebung erfordern, dürfen nicht durch ein Petitionsverfahren hintertrieben werden, um auf diesem Weg den mißbräuchlichen Nutzern des Asylrechts eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer in unserem Land zu ermöglichen. Dafür wurde der Petitionsausschuß nicht eingerichtet.
Wenn wir derartigen Forderungen nachgeben, untergraben wir die bewährte Gewaltenteilung in unserem Land. Trotz aller politischen Gegensätzlichkeit müssen wir der Versuchung widerstehen, das Organ des Petitionsausschusses als indirekte Gerichtsbarkeit zu mißbrauchen.
Wenn in einer Presseerklärung der Grünen zum Jahresbericht des Petitionsausschusses die Einführung eines qualifizierten Minderheitenrechts für die Minderheit im Ausschuß gefordert wird, stellt das
Max Straubinger
meiner Meinung nach die demokratischen Mehrheitsprinzipien auf den Kopf.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nickels?
Nein.
Wenn diese Forderung noch damit begründet wird, daß die Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Exekutive und der Verwaltung gestärkt werden, so unterstellt man uns, den Mitgliedern der Mehrheitsfraktionen, indirekt, daß wir dem Auftrag, den Petenten zu helfen und Sachaufklärung zu betreiben, nur zögerlich nachkommen. Solche Unterstellungen, auch wenn sie nur indirekter Art sein mögen, weise ich entschieden zurück. Der Jahresbericht und die Arbeit des Ausschusses beweisen eindeutig, daß dies eine lächerliche und haltlose Unterstellung ist. Wir alle versuchen doch, im Rahmen der Gesetzgebung das Mögliche für die Petenten zu erreichen.
Ich möchte deshalb zum Schluß dem ehemaligen Vorsitzenden, Herrn Dr. Gero Pfennig, der jetzigen Vorsitzenden, Frau Nickels, und allen Mitgliedern des Ausschusses für die aktive und kollegiale Zusammenarbeit recht herzlich danken. Ein besonderer Dank gebührt an dieser Stelle dem Ausschußdienst, der die Petitionen mit hohem Sachverstand bearbeitet und für die parlamentarische Prüfung aufbereitet. Es geht aber auch ein Wort des Dankes für die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Ausschuß und für manche dem Bürger entgegenkommende Entscheidung an die Bundesregierung und die Ministerien.
Ich darf zum Schluß feststellen, daß Art. 17 des Grundgesetzes vom Ausschuß in vorbildlicher Weise umgesetzt wird.
Danke schön.
Ich erteile nun der Abgeordneten Lisa Seuster das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der diesjährige Jahresbericht des Petitionsausschusses weist insgesamt einen zahlenmäßigen Rückgang bei der Einreichung von Petitionen aus. Dennoch war die Belastung für uns im Ausschuß in den letzten Wochen und Monaten ganz erheblich.
Mit Ende der 12. Legislaturperiode sind viele der alten Mitglieder ausgeschieden, so daß die anstehende Arbeit auf wenige Schultern verteilt werden mußte. Der Aktenberg, der sich dabei zwangsläufig angestaut hat, belastet auch jetzt noch die Arbeit des neuen Ausschusses.
Wenn wir beispielsweise wie in dieser Woche 41 Petitionen auf der Tagesordnung haben, bleibt pro Petition nur noch etwas mehr als eine Minute übrig - ein Zeitrahmen, der für unsere Arbeit bei weitem nicht ausreicht. Es fehlt die Möglichkeit, im Ausschuß bei strittigen Voten Argumente auszutauschen, um so im Interesse der Petenten eventuell doch noch zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Zwar wird die Vorarbeit von den Obleuten gemacht; dennoch können wir nur deshalb so verfahren, weil im Ausschuß eine ganz erhebliche Disziplin zu verzeichnen ist.
Aber nicht nur die äußerst knapp bemessene Zeit ist ein Problem für die Ausschußarbeit. Die Bereitschaft muß wachsen, eine Lösung im Sinne der Petenten zu finden. Dazu gehört auch der Mut, an der eigenen Regierung Kritik zu üben.
Da viele der Mitglieder neu im Petitionsausschuß sind, kann ich ihnen sagen: Die Vorgänger hatten diesen Mut. Nur so können wir dem Anspruch gerecht werden, Anwalt der Bürgerinnen und Bürger zu sein.
- Weil ich acht Jahre lang in diesem Petitionsausschuß war und weiß, wie gearbeitet wurde. Ich hoffe, daß wir auch in dieser Legislaturperiode noch dahin kommen.
Meine Damen und Herren, meine Ausführungen zum diesjährigen Tätigkeitsbericht möchte ich mit dem Fall eines Petenten beginnen, der mit Hilfe des Petitionsausschusses nun sage und schreibe seit zehn Jahren versucht, sich aus den Mühlen der Bürokratie zu befreien, die ihn in seiner Existenz bedrohen.
Der Petent bewirtschaftet als Vollerwerbslandwirt einen ererbten Hof von 20 Hektar. Nach der Übernahme des Hofes verhielt sich der Petent so, wie es ihm der Bayerische Bauernverband geraten hatte und wie es auch seinen Interessen entsprach: Er baute einen zusätzlichen Kuhstall und pachtete außerdem Weideflächen von einem Nachbarn.
Mit Pachtvertrag vom 20. Dezember 1983 übernahm er 19 Hektar Land, das der bisherige Eigentümer bis dahin zur Schafzucht und nicht zur Milchproduktion genutzt hatte. Mit dieser Zupachtung verdoppelte der Petent also die ihm zur Verfügung stehende Fläche.
Am 2. April 1984 wurde dann in Form einer Stichtagsregelung die Milchmengengarantieverordnung eingeführt. Sie garantiert jedem Milchproduzenten die Abgabe eines gewissen Milchkontingentes zu festen Preisen; das ist für die Landwirte ganz wichtig. Die Höhe des Kontingents richtet sich nach der Größe der Weidefläche, die der Landwirt bis zu diesem Stichtag bereits zur Milchproduktion nutzte. Auch dies ist eigentlich eine sinnvolle Lösung. Die
Lisa Seuster
Fläche, die der Petent erworben hat, erfüllte diese Bedingung zur Anrechnung auf die Quote nicht, da sie zum Zeitpunkt der Quotenregelung nicht zur Milchproduktion, sondern eben zur Schafzucht genutzt wurde. Daher bekam der Petent lediglich die Genehmigung, soviel Milch zu verkaufen, wie er auf seiner alten Hoffläche von 20 Hektar erwirtschaftet hatte. De facto darf er durch die Zupachtung keinen Liter Milch mehr zu garantierten Preisen liefern.
Es wurde zwar eine Härtefallregelung geschaffen, die den Bauern, die sich durch Stallbau und Anschaffung von Milchkühen zum Teil hoch verschuldet hatten, höhere Quoten zuteilte. Der Petent wurde von dieser Regelung jedoch nicht erfaßt, da er die Baugenehmigung für seinen größeren Stall einen Monat früher hätte beantragen müssen. Somit nützte ihm auch die Stichtagsregelung nichts; der zusätzliche Stall brachte ihm also nicht einen Liter Milch mehr ein, den er zu festen Preisen hätte liefern können. Damit erwiesen sich für ihn sowohl der Stallneubau als auch die Zupachtung der Flächen von einem Tag auf den anderen als unrentabel.
Noch schlimmer ist aber, daß er mit Ablauf seines Pachtvertrages für die Zupachtung bitter bestraft werden wird. Sein Pachtvertrag, vor der Stichtagsregelung geschlossen, zählt zu den sogenannten Altpachtverträgen. Das heißt, daß mit Ablauf des Pachtvertrages seine Milchquote etwa zur Hälfte, weil er ja eine gleich große Fläche zugepachtet hat, auf den Verpächter übergeht. Dabei spielt es keine Rolle, ob für diese zugepachtete Fläche vorher bereits eine Milchquote festgelegt war.
Der Petent befürchtet vor diesem Hintergrund zu Recht, daß er beim Auslaufen seines Pachtvertrages bestenfalls nur noch die Hälfte der bisherigen Milchmenge wird liefern können. Das würde für ihn ganz eindeutig den wirtschaftlichen Ruin bedeuten. Weil er so etwas kommen sah, wandte er sich bereits 1986 an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages, um für diese Altpachtregelungen neue gesetzliche Möglichkeiten zu finden.
Mit der Bitte, ihn in seinem Anliegen zu unterstützen, hat sich der Petent in den vergangenen Jahren an zahlreiche Institutionen, wie den Bayerischen Bauernverband, das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten,
den Bund der Steuerzahler, den Petitionsausschuß, das Landwirtschaftsministerium und an die Bundestagsabgeordneten Dr. Klaus Rose und Bartholomäus Kalb gewandt.
Alle Angesprochenen bestätigten ihm, daß diese Altpachtregelung für den Betroffenen sehr ungerecht sei und daß man eine Neuregelung finden müsse. Trotzdem hat sich bis heute an der entscheidenden Stelle, nämlich im Ministerium, nichts bewegt.
Der Petitionsausschuß war einstimmig der Auffassung, daß diese ungerechte Regelung geändert werden müsse. Bei einer Ausschußanhörung am 2. März 1994 gab der zuständige Parlamentarische Staatssekretär Gröbl eine eindeutige Stellungnahme ab. Demnach werde im Landwirtschaftsministerium an einer neuen Altpachtregelung gearbeitet, bei der dem Prinzip Geltung verschafft werden solle, daß die Milchquote demjenigen zustehe, der sie ermolken habe - also dem Landwirt, nicht dem Verpächter. Gröbl räumte außerdem ein, daß die gegenwärtige Altpachtregelung verbesserungsbedürftig und verbesserungsfähig sei.
Der Petitionsausschuß hoffte nunmehr, daß eine Regelung durch das Ministerium gefunden werden könne, die diese krasse Ungerechtigkeit beseitigen würde. Weit gefehlt, es tat sich nichts. Auch eine Ladung des Landwirtschaftsministers Borchert vor den Ausschuß blieb erfolglos. Er versteckte sich hinter der EU und den Gerichtsurteilen, durch die ihm die Hände gebunden seien, anstatt durch eine Gesetzesinitiative endlich Härtefälle dieser Art zu regeln.
Tatsache ist nämlich, daß die Umsetzung der Milchmengengarantieverordnung in diesen Details allein Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist und eben nicht in der EU geregelt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo kämen wir hin, wenn wir in der Gesetzgebung nichts tun könnten, weil irgendwo ein Gericht - zudem in einem Fall, der noch völlig anders lag - etwas entschieden hat? Es ist doch unsere Aufgabe, etwas zu tun.
Ich kann diesen Vorgang nur so kommentieren wie ein Landtagsabgeordneter aus Bayern, der in dem Bericht zitiert wird mit den Worten: „Das ist gesetzlich erlaubter Diebstahl."
Ich kann mich dem eigentlich nur anschließen.
Die letzte Hoffnung, die uns in dieser Sache noch bleibt, ist die Überweisung an den Landwirtschaftsausschuß, die wir jetzt vorgenommen haben, weil wir wissen, daß dort eine Änderung erarbeitet wird. Vielleicht führt die Tatsache, daß sich die Mitglieder im Landwirtschaftsausschuß diesen Fall einmal ansehen, dazu, daß man Gesetze macht, die Landwirtschaft nicht verhindern, und nicht nur sonntags erzählt, wie man den bäuerlichen Familienbetrieb stützt. Es muß dringend etwas getan werden.
Ich möchte noch auf einige Petitionen eingehen, die in den neuen Bundesländern besonders von Bedeutung waren. Oft ging es um die Treuhand. Ich selbst war Berichterstatterin in einem Fall, in dem
Lisa Seuster
sich der Petent darüber beschwerte, daß die Treuhand Grundstücke an Bürger aus dem Westen verkaufe, während seinem Kaufwunsch als jahrzehntelangem Nutzer nicht Rechnung getragen wurde. Der Petent hat vor 30 Jahren auf einem LPG-Grundstück gebaut und nutzte die angrenzende Fläche als Garten. Nach der Vereinigung meldete der Petent bei der zuständigen Gemeinde sein Interesse am Kauf dieses Gartens an. Nachdem er sich erkundigt hatte, wie weit die Angelegenheit gediehen war, mußte er feststellen, daß dieser Garten an einen Interessenten aus dem Westen verkauft worden war, ohne ihn zu fragen. Rückfragen bei der Treuhand ergaben, daß man zwar diese fälschliche Bearbeitung zugab, aber auch unsere zusätzlichen Stellungnahmen konnten nicht mehr klären, wer für diesen Vorgang verantwortlich war. Ich denke, so sollte man mit den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern nicht umgehen; denn das führt zu Verdrossenheit.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch den Fall einer Sammelpetition schildern, in der sich mehrere Bürgerinnen und Bürger aus Mecklenburg-Vorpommern darüber beschwerten, daß eine von der Treuhand beauftragte Firma ihnen ihre Betriebswohnungen zu überhöhten Preisen verkauft habe. Im Vergleich zu den Gutachten, die vor dem Verkauf erstellt wurden, waren sie plötzlich sehr viel höher gesetzt worden, und nur unter dem Druck des Notars - sonst würde ihr Vorkaufsrecht verfallen - haben sie einem Verkauf zugestimmt.
Sie wandten sich an den Petitionsausschuß, und da gab es ein erfreuliches Ergebnis. Frau Karwatzki war bei uns zu einer Anhörung. Sie hat sehr schnell und eindeutig klar gemacht, daß auch sie empfinde, daß das falsch sei. Sie hat dafür gesorgt, daß diese Bürger im nachhinein Abschläge von ihrem Kaufpreis bekommen haben.
Das zeigt, daß es auch anders geht und man mit der Regierung auch in solchen Fragen zusammenarbeiten kann.
Ich habe mir überlegt: Warum sind die vielen Petitionen aus den neuen Bundesländern zurückgegangen? Das hat uns wohl alle überrascht. Ich denke aber, daß die Verwaltungen dort jetzt besser funktionieren, daß mehr beraten wird und daß sich damit eine gewisse Normalität eingestellt hat. Ich denke, daß sich viele nicht mit jeder möglichen Petition an den Petitionsausschuß wenden, sondern an die in den Ländern und Kommunen zuständigen Menschen.
Auch ich bin der Meinung, daß insbesondere Sammelpetitionen zum Teil wiedergeben, wie die Stimmung im Land ist. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die 1 100 000 Unterschriften einer Sammelpetition zur Forderung nach Erleichterung der Einbürgerung und nach Ermöglichung der doppelten Staatsbürgerschaft lenken. Frau Schmalz-Jacobsen, wir sollten wirklich sehen, daß wir dem jetzt nachkommen, denn diese Bürger zeigen deutlich, wohin es gehen muß, und wir sollten sehen, daß wir dies geregelt bekommen.
- Ja, aber es muß dazu ein Gesetz geben. Pressemitteilungen alleine nützen nichts. Wir müssen sehen, daß wir dieses Problem in einen gesetzlichen Rahmen bringen. Da stehen wir zur Verfügung. Die SPD hat dazu - auch hier im Parlament - in den letzten Jahren reichlich Maßnahmen getroffen.
Auch die Asylfragen nehmen bei uns im Ausschuß zunehmend Raum ein. Es werden insbesondere die Asylfragen an uns herangetragen, bei denen man deutlich merkt, daß die Möglichkeiten des Verfahrens nicht ausgeschöpft worden sind. Teilweise wurde in diesen Verfahren sehr unsensibel vorgegangen. Ich denke, es ist das gute Recht des Petitionsausschusses, dann auch noch einmal nachzufragen, warum etwas so gekommen ist und man nicht noch weitere Personen angehört hat, um zu einem Ergebnis im Interesse des Petenten zu kommen. Solche Verfahren müssen immer wieder überprüft werden. Nur dann ist die Verträglichkeit in der Bevölkerung zu halten. Anders wird es nicht gehen. Das beweisen die vielen Petitionen, die wir bekommen haben.
Ich habe hier nur einige Punkte herausgreifen können, um deutlich zu machen, daß Arbeit im Petitionsausschuß Einzelfallarbeit ist. Es geht manchmal darum, einen Petenten über Jahre zu begleiten. Andererseits wird aber auch deutlich, daß wir die Strömungen und die Unzufriedenheit, die in der Bevölkerung da sind, bei uns aufgreifen und versuchen, sie zu lenken. Ich denke, daß das auch in Zukunft so bleiben wird, daß wir uns gemeinsam finden und mit Erfolg im Interesse der Petenten unsere Arbeit tun können.
Es spricht nun die Kollegin Amke Dietert-Scheuer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daß sich auch 1994 wieder fast 20 000 Menschen mit Bitten und Beschwerden an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages gewandt haben und ihm in so großer Zahl die Lösung ihrer Probleme zutrauen, ehrt dieses Parlament. Der Jahresbericht 1994 dokumentiert, daß sich das Petitionssystem des Deutschen Bundestages auch 1994 in seinen Grundsätzen bewährt hat. In vielen Fällen konnte wertvolle Hilfe geleistet werden.
Amke Dietert-Scheuer
Zahlreiche Eingaben im Berichtsjahr haben erneut deutlich gemacht, daß der Petitionsausschuß neben seiner Funktion des individuellen Rechts- und Interessenschutzes ein herausragendes Instrument der Regierungs- und Verwaltungskontrolle ist. Deshalb war es auch ein kluger Entschluß des 13. Deutschen Bundestages, den Vorsitz dieses Gremiums nach langer Zeit wieder an eine Oppositionspartei zu vergeben. Damit will ich natürlich die wertvolle Arbeit von Herrn Pfennig in den vergangenen Jahren in keiner Weise schmälern.
Mehrfach angesprochen wurden hier die Probleme, die durch die nach meiner Meinung unhaltbare Rechtssituation im Asyl- und Ausländerbereich entstehen. Die Tatsache, daß immer mehr dramatische Hilferufe von abgelehnten Asylbewerbern oder ihren entsetzten deutschen Freunden uns im Bundestag erreichen, liegt nicht, wie es hier teilweise unterstellt wurde, daran, daß es sich dabei um ein besonderes Hobby der Grünen-Fraktion handelt, sondern daran, daß diese Entscheidungen auf Grund der Zuständigkeitsregelungen, die Sie in Ihrer Mehrheit durch Gesetzesänderungen getroffen haben, bei uns ankommen und nicht mehr zum großen Teil wie früher bei den Länderparlamenten.
Wir sind auch nicht der Meinung: Wir wollen im Petitionsausschuß ein neues Asylverfahren führen. Das können wir nicht; dazu müßten wir die Petenten anhören usw. Es geht darum, daß wir die Aufgabe und die Verpflichtung haben, die Entscheidungen der Verwaltung, d. h. in diesem Falle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, zu kontrollieren. Dieser Aufgabe müssen wir nachkommen.
Es ist festzustellen, daß es oft gravierende Mängel allein auf der Verfahrensebene gibt. Dem müssen wir abhelfen. Leider müssen wir feststellen, daß sich auch in Fällen offenkundiger Fehlentscheidungen und Mängel in der Prüfung des Asylantrages die Mehrheit im Ausschuß und im Plenum weigert, sich für den Schutz bedrohter Flüchtlinge einzusetzen.
- Da Sie, Herr Nolting, widersprechen, möchte ich Sie darauf hinweisen, daß wir das im Falle eines verfolgten Christen aus Pakistan wieder erlebt haben.
Gerade die Rechtswegverkürzung auf Grund des unseligen Asylkompromisses macht eine erhöhte Wachsamkeit des Petitionsausschusses notwendig. Besser wäre natürlich eine Korrektur der unmenschlichen Regelungen insgesamt.
Ähnlich bedrückend und völlig unzureichend gelöst sind die zahlreichen Eingaben zur Entschädigung von Naziverfolgten. Noch immer werden ganze Opfergruppen, die sich enttäuscht und verbittert an uns wenden, nicht entschädigt, so z. B. Zwangssterilisierte, Zwangsarbeiterinnen, Euthanasiegeschädigte, Schwule, Kommunisten, sogenannte
Asoziale, Opfer der NS-Militärjustiz, viele Sinti und Roma oder NS-Opfer in Rumänien und Ungarn. Es ist unerträglich, wenn die Bitten der Opfer des Nationalsozialismus von der Bundesregierung immer wieder mit dem Hinweis auf abgelaufene Antragsfristen oder knappe Haushaltsmittel abgewiesen werden. Der Petitionsausschuß muß als Organ dieses Parlaments eine starke Lobby für diese Menschen sein und darf ihnen nicht noch zusätzliche Wunden zufügen.
In anderen Fallen, in denen der Petitionsausschuß die Bundesregierung um Abhilfe bei Bürgerbeschwerden gebeten hat, ist er damit bei der Bundesregierung auf taube Ohren gestoßen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich spreche hier insbesondere von der großen Zahl von Eingaben lärmgeplagter Bürgerinnen und Bürger, bei denen sich die zuständigen Ministerien weigern, notwendige Lärmschutzmaßnahmen zu treffen.
Es kommt leider aber auch vor, daß sich der Petitionsausschuß selber lächerlich macht. Im vergangenen Jahr war das Bundesverteidigungsministerium einem Antrag des Ausschusses nachgekommen und hatte Autorennen auf dem Fliegerhorst Wunstorf nicht mehr gestattet -
Frau Kollegin, Sie müssen Ihre Rede abschließen. Ich bitte wirklich darum.
- einen Satz noch -, da diese zu erheblichen Belästigungen der Anwohner führten. Vor einigen Wochen haben die Abgeordneten der Regierungskoalition dem Druck der ADAC-Lobby nachgegeben und das Verteidigungsministerium aufgefordert, genau diese Rennen wieder zuzulassen.
Danke.
Ich erteile dem Abgeordneten Frederick Schulze das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vorhin von Frau Seuster sehr richtig gehört, daß wir uns alle darum bemühen, ein Höchstmaß an Gerechtigkeit zu finden. Sie haben uns aufgefordert, uns als Kontrollorgan gegenüber der Regierung und den Bundesbehörden zu verstehen. Darin kann ich Ihnen uneingeschränkt zustimmen. Dies ist die Aufgabe eines jeden Parlamentariers, und dieser Aufgabe werden wir sicherlich gern nachkommen.
Frederick Schulze
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders bei den Mitarbeitern des Petitionsausschusses bedanken, die in sehr guter Art und fachlich fundiert zuarbeiten und den Abgeordneten die Arbeit im Ausschuß erheblich erleichtern. Ich möchte auch der Vorsitzenden danken, die durch ihre charmante, provokative Art eine angeregte Diskussion herausfordert und zu ihr beiträgt.
Ich kann dies ganz besonders sagen, weil ich mit ihr schon mehrfach aneinandergeraten bin. Deshalb danke ich Ihnen ganz besonders für Ihre Art.
Ich möchte aber auch meine Freude über die Mitarbeit im Petitionsausschuß zum Ausdruck bringen, weil sie einen hohen Lerneffekt hat. Man erfährt viel über Bereiche, mit denen man sich eine Zeitlang im Leben nicht befaßt hat. Der Zeitaufwand dafür ist natürlich nicht unerheblich im Vergleich zu der Zeit, den man für die Ausschußberatung tatsächlich zur Verfügung hat.
Ich möchte in meinem heutigen Beitrag den Geschäftsbereich des BMVg besprechen. Die Zahl der Eingaben war im letzten Jahr etwas rückläufig. Somit hatten wir für den Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung insgesamt 1 052 Petitionen. Diese Zahl muß man natürlich vor dem Hintergrund relativieren, daß wir einen Wehrbeauftragten bzw. eine Wehrbeauftragte haben und daß bei dieser Stelle bereits sehr viel bearbeitet wird, was nicht in den Petitionsausschuß kommt. Auch gibt es truppendienstliche Beschwerden, die vor Ort wesentlich schneller zu einer Regelung führen, und letztendlich das Gespräch unter den Soldaten, wo sich jemand beschwert fühlt.
Die Masse der Eingaben besteht aus Fragen zu Verwaltungsangelegenheiten. Herr Reuter, Sie sprachen eben den Fall eines Soldaten an, der 25 Jahre auf damals asbestverseuchten Schiffen gefahren ist und daher die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung wünscht. Da gibt es klare Gerichtsurteile.
- Doch, die gibt es, aus Schleswig. Sie brauchen sie nur zu lesen. - Ich sehe nicht ein, warum wir uns als Übergericht aufspielen sollten, warum wir an dieser bestehenden Rechtslage etwas ändern oder die Bundesregierung auffordern sollten, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen.
Es gab in dem gesamten Bereich des BMVg im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen, mit denen sich der Petitionsausschuß befaßt, eine deutliche Schwerpunktverlagerung. So nahm die Zahl der Eingaben von Bürgern aus den fünf neuen Bundesländern deutlich zu.
Hierbei ging es häufig um Petitionen von Menschen, deren Beschäftigungs- oder Dienstverhältnis durch die Bundeswehr gekündigt wurde. Diese Arbeits- oder Dienstverhältnisse wurden beendet, weil aufgefallen ist, daß die bei der Einstellung von jedem einzelnen aus der ehemaligen NVA übernommenen Mitarbeiter zu erbringenden Erklärungen, nicht für
das MfS gearbeitet zu haben, nicht zutrafen. Somit lag der Tatbestand einer arglistigen Täuschung vor. Das führte dazu, daß nach sehr strengen Einzelfallüberprüfungen, die einer größtmöglichen Gerechtigkeit dienen sollten, ein Teil der Mitarbeiter entlassen werden mußte. Da braucht die Bundeswehr den Vergleich zu anderen Bundesbehörden und insbesondere auch nicht zu einigen Landesbehörden, die ja hinreichend bekannt sind, nicht zu scheuen.
In mehreren Petitionen sowohl von Wehrpflichtigen als auch von Zeit- und Berufssoldaten wurde großes Unverständnis über den Bundesverfassungsgerichtsbeschluß vom 25. August 1994 geäußert, in dem das Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder" als Meinungsäußerung toleriert wurde. Die Petenten sahen in diesem Urteil zu Recht ein verhängnisvolles Signal. Die Integration der Bundeswehr in unsere Gesellschaft wurde durch den Beschluß sicherlich kaum gestärkt. Man hat hier das Individualrecht der freien Meinungsäußerung über den Ehrenschutz einer Berufsgruppe und auch der Wehrpflichtigen gesetzt.
Nach wie vor bilden Renten- und Versorgungsangelegenheiten einen festen Stamm von Petitionen auch im Bereich des BMVg. Hierbei handelt es sich insbesondere um Rentenangelegenheiten von ehemaligen Angehörigen der NVA. Hier ist Handlungsbedarf erkannt worden. Über die Fraktionen hinweg wird an der Beantwortung der Frage gearbeitet, ob es zu einer Rentenüberleitung kommt. Ebenso geht es um das Schließen der Versorgungslücke für diejenigen ehemaligen Soldaten der NVA, die man jetzt in längerfristigen Zeitdienstverhältnissen oder als Berufssoldaten in die Bundeswehr übernommen hat. Es wird meiner Meinung nach eine Novellierung geben, aber nicht in der Art, daß man jetzt auch noch die Zusatzversorgten und Sonderversorgten mit den ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicherheit gleichstellt, die dann quasi geadelt würden. Dieses wird es mit Sicherheit nicht geben.
Weitere Themen, wie sie der Kollege Nolting vorhin angesprochen hat, waren die Anfrage junger Frauen nach freiwilligem Dienst in der Bundeswehr oder auch der Streit um Motorsportveranstaltungen auf einem Gelände der Bundeswehr; wir haben es eben gerade gehört. Der Petitionsausschuß sollte sich auch nicht über das Votum der Leute hinwegsetzen, die vor Ort Entscheidungen getroffen haben, und die Kommunalpolitiker haben sich für diese Veranstaltung ausgesprochen.
Es ging um Fragen der Tauglichkeitsprüfung von Wehrpflichtigen, Beförderungsprobleme und schließlich um das typische Bundeswehrproblem der Versetzung an einen neuen Standort mit allen Konsequenzen, die die Familien zu tragen haben. Sie können mir glauben, daß ich davon eine Menge verstehe. Ich habe selbst 14 Umzüge hinter mir und kenne die Begleiterscheinungen, aber auch die Möglichkeiten, die es gibt, wenn man irgendwo wieder neu anfängt.
Frederick Schulze
Eine Bewertung der Petitionen aus dem Geschäftsbereich des BMVg zeigt zweierlei: Auf der einen Seite wird deutlich, daß es sich beim BMVg um einen großen Apparat und Arbeitgeber handelt, mit allen typischen Begleiterscheinungen, die ein solches System mit sich bringt wie Versetzung, Beförderung und Entlassung. Die Zahl der Petitionen, die aus diesem Bereich resultieren, ist relativ gering.
Die Zuarbeit des BMVg wurde vorhin kritisiert. Ich sehe dies nicht so. Ich glaube, daß hier sehr gut gearbeitet worden ist. Es hat sich aber auch gezeigt, daß in unserer Gesellschaft eine erfreuliche Diskussion über die Fragen der Verteidigung und das Thema Bundeswehr stattfindet.
Angesichts der Vorgabe, die der Gesetzgeber geschaffen hat, die ehemalige NVA und die Bundeswehr zu einer Armee zu vereinen und die Zahl der Soldaten von über 600 000 auf nunmehr 340 000 zu reduzieren, muß den Verantwortlichen sowohl der politischen als auch der militärischen Führung der Bundeswehr an dieser Stelle ein großes Kompliment gemacht werden. Abgesehen von den technischen und politischen Problemen galt es natürlich auch, die menschliche Dimension einer solchen Umstrukturierung zu meistern. Dieses ist in vorbildlicher Art und Weise geschehen.
Ich möchte Ihnen aber auch noch ein paar Worte zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 sagen. Wir haben eine Reihe von Eingaben dazu gehabt, in denen auch auf die Frage eingegangen wurde, wie sich die Bundeswehr an einem möglichen UN-Einsatz beteiligen soll. Ich glaube, hieran wird deutlich, daß einfach die Auffassung verlorengegangen ist, daß wir uns gegen latente Gefahren, die es unmittelbar vor unserer Haustür gibt, verteidigen müssen.
- Von Ihnen kann ja nichts Gescheites kommen! Deshalb brauche ich darauf nicht einzugehen.
Wir sollten aber im Hinblick auf die geostrategische Lage sehr wohl berücksichtigen, daß wir heute zwar von Partnern und befreundeten Staaten umgeben sind, aber dennoch durch das Westliche Bündnis zur Stabilität in Europa beitragen. Nicht umsonst ist ja die Diskussion um die Öffnung der NATO nach Osten entstanden. Wir müssen die Verteidigungsfunktion aufrechterhalten und zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung beitragen. Dabei ist es wichtig, daß die Soldaten der Bundeswehr Klarheit über ihren Auftrag haben, der auf der Basis des Grundgesetzes ausgeführt wird. Dazu rufe ich die politisch Verantwortlichen ebenso auf wie natürlich das Parlament.
Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Jutta Müller.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Herr Schulz, Ihre Rede - vor allem das Beispiel mit dem Soldaten, der auf diesem astbestverseuchten Schiff gedient hat - hat deutlich gemacht, daß es - bei aller Zusammenarbeit - hier durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber gibt,
was die Aufgabe eines Petitionsausschusses ist, und daß es auch unterschiedliche Auffassungen über unser Selbstverständnis gibt. Wenn Gerichtsurteile gefällt wurden, dann ist das in Ordnung. Aber Gerichtsurteile werden nach der geltenden Rechtslage gefällt. Wenn wir der Meinung sind, daß die geltende Rechtslage nicht in Ordnung ist, dann können wir dieses Recht jederzeit andern; denn wir sind der Gesetzgeber und werden auch dafür bezahlt.
Es ist also keine juristische Frage, sondern eine Frage des politischen Willens, hier beispielsweise mit einer Gesetzesänderung zu helfen.
Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung zu dem Thema machen, Frauen zum Dienst mit der Waffe in der Bundeswehr zuzulassen. Daß Sie und auch Herr Nolting dies hier ansprechen, war mir schon klar.
Etwas merkwürdig fand ich das zustimmende Nikken der Staatssekretärin Frau Geiger, und zwar nicht deswegen, weil ich die Beschlüsse der Frauen-Union kenne - da sind wir uns über die Parteigrenzen hinweg einig, Frau Karwatzki -, sondern weil sie einer Partei angehört, die den Frauen in der vergangenen Legislaturperiode abgesprochen hat, in schwierigen, konfliktreichen Situationen eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen; denn sonst würde man Frauen nicht durch Zwangsberatungen im Schwangerschaftskonflikt bedrohen.
Wenn man den Frauen diese Entscheidung nicht zutraut, finde ich es merkwürdig, warum Sie ein solch „verantwortungsloses Weibervolk" plötzlich an die Waffen rufen wollen.
Jutta Müller
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wollte auch noch auf einige spezielle Bereiche des Berichts des Petitionsausschusses eingehen.
- Daß Ihnen das nicht gepaßt hat, Herr Nolting, ist mir schon klar.Wir haben schon über die Massenpetitionen gesprochen. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die Unterschriften zusammenzuzählen: Es waren insgesamt ca. 12 000 Massenpetitionen; diese wurden von 1 303 812 Menschen getragen. Man muß einmal sehen, wie enorm dies ist.
Über die Massenpetitionen zu Staatsbürgerschaft oder Asyl wurde schon einiges gesagt.Ich möchte noch einmal auf die Petitionen zurückkommen, die von sehr vielen Menschen getragen wurden und uns jetzt seit Jahren beschäftigen, weil das Problem noch immer latent besteht. Jedes Jahr schreiben Menschen Petitionen, die wir auch jedesmal überweisen, weil wir denken, daß etwas getan werden muß. Es passiert allerdings nichts.Hier geht es mir hauptsächlich um die Petitionen, die sich im engeren Sinne mit Lärm beschäftigen, und zwar mit Lärm an bestehenden Schienenwegen. Wir hatten hierzu schon die tollsten Beschlüsse gefaßt. So hatten wir z. B. Berücksichtigungsbeschlüsse. Ich erinnere nur an die Strecke Hannover-Lehrte. Denjenigen, die schon lange im Ausschuß sind, ist das sicherlich noch ein Begriff. Dies schleppen wir nun schon seit vier Jahren mit uns herum.Ich finde es gut, daß wir uns über alle Parteigrenzen hinweg einig sind, daß man etwas tun sollte. Es würde mich dann aber auch freuen, wenn die auf Grund dieser Beschwerden entwickelten Gesetzesinitiativen - in der letzten Woche hat meine Fraktion einen Antrag zum Lärmschutz eingebracht - von denjenigen, die im Petitionsausschuß mit uns stimmen, auch im Gesetzgebungsverfahren unterstützt werden,
damit wir aus dem riesigen Verkehrshaushalt zumindest ein kleines Stückchen herausnehmen können. Ich weiß, daß wir nicht alle Maßnahmen gleichzeitig durchsetzen können, denke aber, daß wir hier einen Einstieg finden müssen.Verkehrslärm ist ein Riesenproblem. 54 % der Menschen in diesem Land empfinden Verkehrslärm als eine der größten Umweltverschmutzungen. Mittlerweile gibt es entsprechende Untersuchungen, die belegen, daß beispielsweise das Herzinfarktrisiko bei Menschen, die in lärmgeplagten Regionen leben, wesentlich höher ist. - Ich denke also, daß wir hier gefordert sind, etwas zu tun.Ich möchte eine weitere Petition herausgreifen, die zu einer Initiative der Fraktionen geführt hat. Im April 1993 hat sich ein Ehepaar aus Niedersachsen mit der Bitte an den Petitionsausschuß gewandt, bestimmte Giftstoffe in Schädlingsbekämpfungsmitteln zu verbieten. Dem Ehepaar ist etwas Schlimmes passiert: Sie hatten schlicht und ergreifend Katzenflöhe und haben einen Kammerjäger mit deren Vernichtung beauftragt. Dieser gute Mensch verwandte ein Mittel, das Deltamethrin hieß und eine Substanz enthielt, die allergische Reaktionen vor allem im Haut- und Schleimhautbereich verursacht. Später stellte sich heraus, daß dieses Mittel nicht nur von Schädlingsbekämpfern verwandt wird, sondern daß damit vorsorglich auch Teppichböden eingesprüht werden, um den Befall von Insekten und Schädlingen langfristig zu verhindern. So wurden in einer Bremer Kindertagesstätte 700 Milligramm dieses Giftes in einem Kilogramm Hausstaub gemessen.Das Bundesgesundheitsamt veranlaßte damals, daß bei den Petenten eine Schadstoffmessung durchgeführt wurde. Es stellte sich heraus, daß noch Jahre danach - die Behandlung mit diesem Mittel war 1986 - die giftigen Rückstände vorhanden waren und tagtäglich eingeatmet wurden.Das Bundesgesundheitsministerium hat dann auf Initiative des Bundesgesundheitsamtes einen Verordnungsentwurf vorbereitet, der jedoch lediglich eine Mißbrauchswarnung bei der Verwendung von Elektroverdampfern zur Zerstäubung dieses Schädlingsbekämpfungsmittels enthielt.Wir haben im Ausschuß diese Initiative des Ministeriums zwar begrüßt, waren aber der Ansicht, daß die Gesundheitsrisiken nur dann ausgeschlossen werden können, wenn der Gebrauch dieser Bekämpfungsmittel mit so giftigen Zusätzen in Innenräumen völlig verboten wird. Der Ausschuß hat deshalb die Bundesregierung aufgefordert, die Verwendung entsprechender Insektizide in Innenräumen gänzlich zu verbieten.Ich denke, daß es höchste Zeit wird. Vor wenigen Wochen hat der Wissenschaftler Eberhard Greiser vom Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin eine Studie vorgelegt, in der er bei 633 Leukämiepatienten einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieses Blutkrebses und der vorangegangenen Verwendung von Haushaltsinsektiziden festgestellt hat.Auch hierzu hat meine Fraktion mittlerweile einen Antrag vorbereitet. Er wird zunächst im Umweltausschuß in die Beratungen gehen. Ich denke, daß wir das dann über alle Fraktionen hinweg tragen können; denn wir haben das auch im Petitionsausschuß so beschlossen.
Weil die Redezeit meiner Kollegin Amke Dietert-Scheuer nicht ganz ausgereicht hat, möchte ich noch einmal auf den Truppenübungsplatz in Wunstorf und zu dem Autorennen zurückkommen.Jutta Müller
Ich meine, das war schon ein etwas merkwürdiges Verfahren. Wir hatten diese Petition sehr lange in der Beratung, weil wir das Rennen eigentlich nicht verbieten wollten. Wir haben versucht, eine Kompromißlinie zwischen den negativ betroffenen Bürgern und dem Veranstalter zu finden. Wir haben uns damit sehr viel Mühe gemacht.Wir sind beim Veranstalter auf taube Ohren gestoßen. Sogar die Bitte, das Autorennen vielleicht außerhalb der Vegetationsperiode stattfinden zu lassen, wurde mit dem Hinweis abgelehnt, daß dann ein geringeres Zuschauerinteresse zu erwarten sei.Das heißt im Klartext: Autorennen sollen möglichst im Sommer und bei schönem Wetter stattfinden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Diskussion zum Sommersmog und zur Gesundheitsgefährdung durch hohe Ozonwerte, die wir gerade heute morgen hier durchgeführt haben. Ich erinnere auch an die jährliche Diskussion der Waldzustandsberichte, man sollte besser sagen: der Waldschadensberichte.Es ist also nicht so, daß wir hier irgendwie leichtfertig gehandelt haben. Denn es war ja eine einstimmige Entscheidung, zu sagen: Wenn der Veranstalter nicht bereit ist, wenigstens einige kleine Auflagen zu erfüllen, dann wollen wir das Rennen nicht mehr zulassen. Diese Meinung ging quer durch die Fraktionen.So weit, so gut. Das Autorennen wurde eingestellt; die Anwohner haben aufgeatmet. Mir wurde erzählt, am diesjährigen Tag des Autorennens, das nicht stattgefunden hat, war dort ein großes Kinderfest. Das finde ich gut.Aber dann ist etwas Merkwürdiges passiert: Gesteuert vom ADAC hat plötzlich eine andere Petition vorgelegen, die genau das Gegenteil forderte. Wir waren in meiner Fraktion der Meinung: Damit fangen wir jetzt nicht mehr an; sie hatten eigentlich Gelegenheit genug, mit uns einen Kompromiß. zu finden; wir bleiben bei unserer Meinung.Aber die Mehrheit der Koalitionsfraktionen hat nun genau den umgekehrten Beschluß gefaßt, daß dieses Rennen wieder stattfinden kann. Ich meine, das tut uns selbst nicht gut; denn so werden unsere Beschlüsse nicht ernst genommen.
Wir wissen ja, daß es bestimmte Ministerien gibt, die unsere Beschlüsse grundsätzlich nicht sehr ernst nehmen. So, wie vorhin Frau Karwatzki sehr positiv herausgestellt wurde, muß ich nun sagen, daß gerade der Bundesminister der Verteidigung sich äußerst hartleibig zeigt, wenn es darum geht, bestimmte Mißstände abzustellen.Ich nenne einmal einen ganz aktuellen Fall, der zwar nicht in dem 94er Bericht enthalten ist, der wahrscheinlich aber eine große Rolle in dem 95er Bericht spielen wird. Es geht da um einen jungen Wissenschaftler, der an einem Forschungsprojekt arbeitet, welches von der Bundesrepublik auch noch finanziert wird. Es geht um die Entwicklung eines neuen modernen Computertomographen, mit demMenschenleben gerettet werden können. Dieser junge Mann wurde Anfang des Jahres zur Bundeswehr einberufen, weil man der Meinung war, es bestünde kein öffentliches Interesse an der Entwicklung von medizinischem Gerät.Wir haben uns dann in einem Eilverfahren zusammengesetzt und haben gesagt: Da besteht ein öffentliches Interesse, und die Verteidigungsfähigkeit dieser Republik kann nicht an einer einzigen Person hängen. Das wäre sehr traurig. Wir haben über die Parteigrenzen hinweg einen Berücksichtigungsbeschluß gefaßt, diesen jungen Mann aus der Bundeswehr zu entlassen, damit er seine Arbeit weitermachen kann. Das war im April.Ich habe einmal nachgeforscht, was inzwischen passiert ist. Da mußte ich feststellen: Er ist immer noch bei der Bundeswehr, weil nach dem Berücksichtigungsbeschluß des Parlaments - da sieht man einmal, wie ernst das Verteidigungsministerium das Parlament nimmt - der Bundesminister der Verteidigung ein Gutachten beim Bundesminister für Wissenschaft über dieses Forschungsprojekt angefordert hat. Nachdem dieses vorgelegen hat, hat der Bundesminister der Verteidigung gemeint: Das ist mir aber nicht umfangreich genug. Ich hätte gern ein größeres Gutachten. Diese Verzögerungstaktik, Beschlüsse nicht umsetzen zu wollen, weil sie einem nicht passen und Gutachten herauszuzögern, bis sich die Sache von selbst erledigt hat, halte ich wirklich für eine Unverschämtheit.
Ich will einmal überspitzt formulieren: Während dieser Mann bei der Bundeswehr Wache schiebt, sichern sich japanische und amerikanische Wissenschaftler Patente und Lizenzen für einen weltweiten Verkauf dieser Medizintechnologie.
- Die Patienten, die darauf angewiesen sind, warten darauf.Ich denke, so kann es nicht weitergehen. Wir müssen hier stärker darauf drängen, daß vor allem die Berücksichtigungsbeschlüsse umgesetzt werden und daß wir nicht immer ausgebremst werden oder daß man denkt: Wir haben es beschlossen, wir machen es nicht. Wahrscheinlich vergessen die, was sie beschlossen haben. So geht das nicht. Der Petitionsausschuß ist keine leblose Institution, die in Sonntagsreden zu unserer demokratischen Kultur wohlgefällig Würdigung braucht.Ich sagte eingangs: Wir haben alle gemeinsam - ich möchte auch im Namen der SPD-Fraktion ein ausdrückliches Lob an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben - im letzten Jahr hart geschuftet. Wir haben Probleme von 1,3 Millionen Menschen bearbeitet. Vielleicht konnten wir in dem einen oder anderen Fall helfen und konnten gute Dinge auf den Weg bringen. Wir würden uns natürlich freuen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1995 3707
Jutta Miller
wenn unsere Geschäftsführer das in Zukunft zur Kenntnis nehmen würden, damit wir eine andere Redezeit bekommen und wir mit unserer Arbeit ernster genommen werden.
Es liegt keine weitere Wortmeldung vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13a und 13 b auf:
a) Erste Beratung des von der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Rassismus und die Diskriminierung ausländischer Bürgerinnen und Bürger
- Drucksache 13/1466 —Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS
Einrichtung einer Expertenkommission zur Überprüfung der Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes auf Ausländerinnern und Ausländer diskriminierende und rassismusfördernde Bestimmungen
- Drucksache 13/1405 —
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 1990 beschäftigen wir uns - seitdem erlebe ich das im Bundestag - auch mit Problemen des Rassismus und seiner Überwindung, mit Problemen der Ausländerfeindlichkeit - überhaupt und generell mit Diskriminierungsproblemen. Der Gesetzentwurf, den wir hier vorgelegt haben, greift nicht in alle Diskriminierungsmöglichkeiten ein, die es in einer Gesellschaft gibt. Dabei denke ich an Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder an viele andere Bereiche, wo es zum Teil auch rechtliche Diskriminierungen gibt. Das war von uns zumindest noch nicht zu leisten.
Wir haben deshalb, wie schon in der letzten Legislaturperiode, als erstes einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der sich mit der Frage von Diskriminierung von Menschen aus rassistischen Gründen beschäftigt, also im weitesten Sinne mit Fragen über die Diskriminierung von Ausländerinnen und Ausländern in unserer Gesellschaft.
Wenn ich heute lese, daß das Europäische Parlament beschlossen hat, eine Forschungskommission gegen Rassismus zu gründen und zu ermitteln, wie und auf welche Art und Weise in den Ländern der Europäischen Union solche Diskriminierungen stattfinden, dann, glaube ich, sagt uns das Europäische Parlament auch, daß die Bundesrepublik Deutschland diesbezüglich aktiv zu werden hat.
An sich verlangt das das Grundgesetz. Denn es legt in Art. 3 fest, aus welchen Gründen Menschen nicht diskriminiert werden dürfen. Wir wissen, daß täglich Gegenteiliges geschieht. Bislang ist daraus noch nie eine gesetzliche Konsequenz gezogen worden. Ich meine, es ist höchste Zeit, vor allem, wenn man darüber nachdenkt, daß die USA und die Schweiz solche Gesetze haben. Die Bundesrepublik Deutschland ist davon noch immer weit entfernt.
Unser Gesetz würde, wenn Sie ihm zustimmen, ermöglichen, daß Bürgerinnen und Bürger, die aus rassistischen Gründen diskriminiert werden, erstmalig einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch hätten, z. B. wenn ihnen aus diesem Grunde ein Arbeitsplatz verwehrt wird, wenn ihnen eine Wohnung verwehrt wird oder wenn in anderer Art und Weise Diskriminierung stattfindet. Auch in dem Wissen darum, daß das Gesetz nicht häufig zu Gerichtsurteilen führen wird, auch was die damit verbundenen Geldbußen etc., die wir vorschlagen, betrifft, denke ich, daß schon die Schaffung eines solchen Rechtsinstituts ein wichtiges Signal in einer Gesellschaft ist, nämlich daß der Gesetzgeber nicht duldet, daß Menschen aus rassistischen Gründen diskreditiert werden, egal, auf welchen Gebieten und durch welche Institutionen.
Ich denke, daß es auch höchste Zeit ist, die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland danach zu durchforsten, ob und in welchem Umfang Diskriminierungen dieser Art gesetzlich verankert sind. Wir haben in unserem Artikelgesetz ein Gesetz enthalten, das sich Erstes Gesetz zur antirassistischen Normenbereinigung nennt, in dem wir auf verschiedenen Gebieten Änderungen vorschlagen, weil dort Normen geregelt sind, die zweifellos Ausländerinnen und Ausländer diskriminieren. Ich nenne als Beispiel nur das Versicherungsvertragsgesetz und andere Gesetze, in denen Ausländerinnen und Ausländer ganz erheblich benachteiligt werden, und zwar ohne irgendeinen nachvollziehbaren Grund, d. h. letztlich aus ausländerfeindlichen oder rassistischen Gründen.
Dr. Gregor Gysi
Es ist schon schlimm genug, wenn sich solche Dinge im Laufe der Geschichte in die Gesetzgebung des Bundestages eingeschlichen haben. Aber noch schlimmer wäre es, wenn der Bundestag nicht bereit ist, diese zu korrigieren und ernsthaft alle Gesetze auf solche Diskriminierungen hin zu durchforsten.
Damit hängt unser zweiter Antrag zusammen. Wir haben die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage gefragt, ob und in welchem Umfang sie uns Regelungen nennen kann, in denen Ausländerinnen und Ausländer, die hier ihren legalen Wohnsitz haben, anders behandelt werden als Deutsche. Die Bundesregierung hat uns mitgeteilt, dazu sei sie nicht in der Lage; das Material sei zu umfangreich. Das heißt, sie räumt damit ein, daß wir so viele gesetzliche Bestimmungen haben, die Ausländerinnen und Ausländer diskriminieren, daß sie nicht einmal in der Lage ist, uns diese mitzuteilen. Wenn das so ist, dann ist eine Kommission, die jedes Gesetz daraufhin überprüft, dringend geboten. Damit beschäftigt sich unser Antrag hinsichtlich der Expertenkommission.
Ich bin natürlich traurig, daß ein so wichtiges gesetzliches Anliegen in der letzten Legislaturperiode keine Chance hatte, durchzukommen. Auch bin ich traurig, daß wir das als einen winzigen Tagesordnungspunkt am Freitagnachmittag ganz am Schluß in einer halben Stunde behandeln, was schon etwas über die Einstellung des Bundestages zu einem solchen Problem aussagt.
- Doch, doch.
- Ich habe Sie auch nicht gemeint, Herr Fischer.
Wir haben auch einen Vorschlag zur Stellung der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung gemacht. Wir haben dabei - ich will nicht sagen: akribisch - sehr intensiv das aufgenommen, was die Ausländerbeauftragte selber vorgeschlagen hat und was in dieser Regierungskoalition leider keine Chance hatte. Man kann nicht eine solche Funktion schaffen und dann keine Kompetenzen damit verbinden. Dann bekommt sie eine reine Alibifunktion. Das wird Ihnen fast jede und jeder Ausländerbeauftragte bestätigen.
Wir haben hier ganz andere rechtliche Grundlagen geschaffen, damit eine solche Beauftragte oder ein solcher Beauftragter auch in der Lage ist, wirksam gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit vorzugehen.
Herr Kollege Gysi, die Zeit.
Deshalb bitte ich Sie, das Gesetz in den Ausschüssen wohlwollend zu behandeln. Ich weiß, daß es nicht wenige Abgeordnete gibt, die das ähnlich sehen. Lassen Sie uns dann aber auch den Mut haben, hier parteiübergreifend zusammenzuarbeiten. Denn es geht hier nicht um uns, es geht nicht um die politische Bewertung der einen oder anderen Partei, sondern es geht um Millionen Menschen, die in dieser Bundesrepublik Deutschland leben und die diesbezüglich auf uns warten.
Das Wort hat Kollege Meinrad Belle, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, Ihre Bekundungen der Traurigkeit über das Scheitern des Gesetzentwurfs in der letzten Legislaturperiode sind außerordentlich scheinheilig. Das muß ich wirklich feststellen.
Denn siehe da, an allen Beratungen Ihres Gesetzentwurfs in der letzten Legislaturperiode, an allen Ausschußberatungen hat kein einziger Vertreter Ihrer Gruppe teilgenommen. So wichtig war Ihnen dieser Gesetzentwurf. Er ist auch zu Recht abgelehnt worden.
- Ich mache gleich piano weiter, Herr Fischer, damit Sie nicht aufwachen.
Meine Damen und Herren, die PDS hat diesen Entwurf erneut eingebracht. In der letzten Legislaturperiode wurde der gleiche Entwurf bereits abgelehnt. Ein Gesetzentwurf wird nicht dadurch besser oder richtiger, daß er wiederholt eingebracht wird.
Die Regelungen in der Grundnorm des Art. 3 des Grundgesetzes sind völlig ausreichend, um Diskriminierungen in Gesetzen und Vorschriften zu verhindern. Leider ist es richtig, daß es im täglichen Leben immer wieder Diskriminierungen am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche oder auch im gesellschaftlichen Bereich gibt.
Herr Kollege Belle, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege, Sie haben gesagt, daß bei der Beratung des Antirassismusgesetzes die Vertreterin der PDS an Sitzungen nicht teilgenommen habe. Kann es sein, daß Sie diese Aussage hier machen können, weil die Kollegin Ulla Jelpke, die dieses Gesetz seit drei oder vier Jahren
Dr. Winfried Wolf
massiv betreibt, zufällig nicht anwesend sein kann, da Sie durch Krankheit verhindert ist? Kann es sein, daß Sie es ihr nicht ins Gesicht sagen wollen? Ich traue ihr das, was Sie ihr vorwerfen, nicht zu, weil sie dieses Gesetz als Herzblutangelegenheit betrieben hat.
Lieber Kollege, ich selbst war bei den Beratungen dabei. Ich habe bei der Ablehnung des Gesetzentwurfs in der dritten Lesung hier gesprochen und ihr diesen Vorwurf damals auch gemacht. Sie war anwesend. Das ist eine Tatsachenfeststellung.
- In allen Ausschußberatungen war kein Vertreter Ihrer Gruppe anwesend. Das betrifft den Innenausschuß und die anderen Ausschüsse. Es kann nachgeprüft werden.
- Richtig.
Tatsache ist aber auch, daß fremdenfeindlichen Strömungen und immer wieder festzustellenden Fällen von Ausländerdiskriminierung nicht durch Gesetze begegnet werden kann. Die Ursachen von Ausländerfeindlichkeit - Unkenntnis, Angst, Diskriminierung - sind leider in den Köpfen der Menschen zu finden, und hier müssen wir mit anderen Maßnahmen entgegenwirken.
Illusion ist es auch, durch ein Gesetz die tatsächliche Gleichstellung der ausländischen Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik erreichen zu wollen; denn kein Staat dieser Welt kann in seiner Rechtsordnung auf eine unterschiedliche Behandlung seiner Staatsbürger und der Ausländer gänzlich verzichten, weil einfach sachliche Gründe - öffentliche Sicherheit, Arbeitsmarkt usw. - eine Differenzierung notwendig machen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt daher den effekthascherischen Gesetzentwurf erneut ab. Wir werden weiterhin gemeinsam mit unserem Koalitionspartner einen anderen, richtigeren Weg einschlagen. Wir prüfen wie bisher bei der Beratung jedes Gesetzentwurfs ernsthaft, ob vorhandene unterschiedliche Regelungen beibehalten werden müssen oder eine Verbesserung im Sinne einer Integration der auf Dauer bei uns wohnenden Ausländer erreicht werden kann. Wir werden auch die Einbürgerung der hier wohnhaften Ausländer weiter erleichtern.
Positive Veränderungen, mögen sie dem einen oder anderen auch noch nicht weit genug gehen - ich will auch heute unterschiedliche Auffassungen in bezug auf die Größe der notwendigen Schritte und auf das erforderliche Tempo, Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, nicht bestreiten - -
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
- nein, ich möchte jetzt zum Ende kommen -, werden wir in dieser Legislaturperiode weiter angehen.
Wir unterstützen die Vorhaben der Bundesregierung und der Bundesländer, durch Gewaltprävention bei Jugendlichen mit Aufklärungs- und Integrationsmaßnahmen, aber auch mit einem entschiedenen Vorgehen von Polizei und Justiz die Ursachen von Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen. Diese Maßnahmen müssen weiterhin gebündelt werden.
Ich lade Sie alle herzlich ein, meine Damen und Herren, sich im täglichen Leben an dieser gemeinsamen Arbeit gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit zu beteiligen, natürlich auch hier im Parlament.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manche Ziele wirken auf den ersten Blick so einleuchtend, daß jeder erst einmal heftig mit dem Kopf nickt. Aber bei genauerer Prüfung kommt rasch die Ernüchterung. Antirassismusgesetz - wer möchte nicht zunächst einmal laut applaudieren, wenn dem Rassismus nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten, über Gesetzgebung, zu Leibe gerückt werden soll.
Ich will gar nicht bestreiten, daß wir vielleicht zusätzliche Gesetze brauchen, um die eigentlich unmißverständliche Aussage von Art. 3 unserer Verfassung mit Leben zu füllen.
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
So lautet der entsprechende Passus in der jetzt gültigen Fassung.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, oft wünschte ich mir, diese beiden Sätze stünden an deutlich sichtbarer Stelle in allen Schulen, Rathäusern, Maklerbüros, Firmen, Läden, Bussen und Bahnen und nicht zuletzt auf den Stammtischen unserer Kneipen.
Vielleicht brauchen diese Sätze ein zusätzliches gesetzgeberisches Transportmittel, um wirklich mit Leben gefüllt zu werden. Dafür ist der Ansatz, den die PDS gewählt hat, aber nicht tauglich. Ich will das erklären. Rassismus ist ein dumpfes Gebräu aus Haß, Unverständnis, Vorurteilen, chauvinistischem Überlegenheitswahn, zuletzt noch angeheizt durch eine
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Ideologie der Menschenverachtung. So etwas nistet in den Köpfen und muß dort, in den Köpfen, bekämpft werden. Papiere und Paragraphen werden das leider nicht schaffen.
Diskriminierung und Geringschätzung, Feindseligkeit und Haß treffen in unserer Gesellschaft leider nicht nur Menschen ohne deutschen Paß, sondern auch Aussiedler, Mitbürger jüdischen Glaubens, Obdachlose oder Homosexuelle. Deshalb wird in der interessierten Öffentlichkeit seit langem über ein Antidiskriminierungsgesetz nachgedacht und geredet. Ich werde Ihnen gleich noch den Ansatz der SPDBundestagsfraktion erläutern.
Eines halte ich schon jetzt fest: Ein Gesetz, das sich mit der Benachteiligung nur von Ausländerinnen und Ausländern beschäftigt, greift auch im Hinblick auf die Zielgruppen zu kurz.
Jetzt komme ich zu einigen Einzelforderungen Ihrer beiden Anträge. Das Amt der Ausländerbeauftragten wollen auch wir Sozialdemokraten aufwerten, allerdings anders als Sie von der PDS. Nötig ist eine echte Kontrollfunktion, wie sie z. B. der Datenschutzbeauftragte hat. Anzustreben ist in Zukunft ein wirkungsvoll arbeitendes Amt für Migration, das sich der gesamten Thematik und der Probleme von Flüchtlingen und Zugewanderten widmet.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Ich muß mich entschuldigen, weil mein Fragebegehren vor der Problematik der Ausländerbeauftragten oder des Ausländerbeauftragten lag.
Das Mikrofon braucht immer eine gewisse Zeit, bis es funktioniert; das wissen Sie. Deshalb habe ich erst einmal weitergeredet.
Ja, wobei wir selbstverständlich zu Gesprächen bereit sind, wenn Sie da noch mehr Kontrollfunktionen wünschen.
Wir haben in § 2 definiert:
Rassistisch handelt, wer einen anderen Menschen unmittelbar oder mittelbar aus Gründen der Hautfarbe, der Nationalität, der ethnischen Herkunft, der Kultur oder der Religionszugehörigkeit nachteilig behandelt.
Das heißt, damit sind auch andere Fälle erfaßt. Wenn Sie das Wort "rassistisch" stört und Sie dafür einen anderen Begriff einsetzen wollen, wäre das nicht das Problem.
Aber da Sie gerade z. B. auf Menschen jüdischer Herkunft hingewiesen haben:
Diese wären in § 2 durchaus auch erfaßt. Würden Sie das akzeptieren? Könnten Sie dem Gedanken in Anbetracht der Tatsache, daß die USA und die Schweiz solche Gesetze haben, nicht doch nähertreten?
Ich kann sehr gut über allgemeine Forderungen diskutieren und trotzdem einen anderen Ansatz finden. Das möchte ich Ihnen gleich weiter erläutern.
Ich komme zum nächsten Punkt, Herr Gysi. Sie fordem außerdem die Einrichtung einer Expertenkommission - Sie haben es eben erwähnt -, die die Gesetze des Bundes auf diskriminierende und rassismusfördernde Bestimmungen hin abklopft. Ich will so etwas bei der ersten Beratung gar nicht sofort wegschieben. Wir werden darüber im Ausschuß reden können.
Aber eine solche, natürlich pluralistisch zusammengesetzte Kommission würde schon bei der Antwort auf die Frage, was wohl eine ,,rassismusfördernde Bestimmung" ist, in die Sackgasse geraten; davon bin ich überzeugt. Es sei denn, Sie kommen zu dem Schluß, daß das Ausländergesetz an sich schon diskriminierend ist und rassistische Regungen schürt, weil es Gleichbehandlungen so nicht vorsieht. In der Tat schränkt das Ausländergesetz Spielraum, Chancen und Freizügigkeit der nichtdeutschen Bürgerinnen und Bürger ein. Das ist so. Ich bin dennoch davon überzeugt, daß wir ein Ausländergesetz brauchen, allerdings eines mit weltoffeneren, humaneren und familienfreundlicheren Zügen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, Gruppen unserer Gesellschaft, denen Geringschätzung und Benachteiligung droht, brauchen unsere Hilfe, unseren Schutz und unser aktives Eintreten für ihre Rechte, ihre körperliche und seelische Unversehrtheit. Zu diesem Schutz gehört auch eine sozial gerechtere Politik, die die Brandherde des Hasses und der Vorurteile gegen Minderheiten löscht, eine Politik, die verhindert, daß Benachteiligte ihren Haß und ihren
Frust gegen andere Benachteiligte, die noch schwächer sind, richten, weil sie einen Prügelknaben suchen. Dieser schreckliche Bazillus muß heraus aus unserer Gesellschaft.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Volker Beck, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erfreulicherweise sind die rechtsextremistischen Parteien deutlich gescheitert. Zur Entwarnung besteht dennoch kein Anlaß.
Der Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International vom Mai 1995 legt offen: Selbst Mißhandlungen von Ausländern durch Polizisten sind keine Einzelfälle. Sätze wie „Für Ausländer nicht zu vermieten", Frau Wolgast, oder „Nur für Deutsche" sind leider keine Seltenheit. Opfer minderheitenfeindlicher und rassistisch motivierter Übergriffe sind hauptsächlich außereuropäische Immigranten. Aber auch Schwulenverbände und Behindertenorganisationen beklagen das hohe Ausmaß der Gewalt.
Meine Damen und Herren, über diese Gewalt dürfen wir nicht hinwegsehen. Wir müssen Rassismus und Minderheitenfeindlichkeit, Gewalt und Diskriminierung auch als Gesetzgeber wirksam begegnen.
Unsere Gesellschaft muß die diskriminierten Minderheiten endlich alle „einbürgern". Niemand darf auf Grund seiner Hautfarbe, Nationalität, ethnischen Herkunft, seiner sexuellen Identität, Kultur und Religion oder auf Grund seiner Behinderung benachteiligt werden. Es geht uns darum, allen Menschen gleiche Rechte zu geben. Es geht dabei nicht um Mitleid oder die Gewährung eines Gnadenrechts. Gleichstellung ist eine zentrale Frage für unsere Demokratie.
Wer rechtliche Diskriminierung duldet, legt die geistige Grundlage von minderheitenfeindlicher Gewalt.
Wir wollen die rechtliche Gleichstellung mit einem umfassenden Antidiskriminierungsgesetz erreichen. Migranten und Flüchtlinge, Schwule und Lesben, Sinti und Roma sowie Behinderte sollen sich gegen Benachteiligungen erfolgreich wehren können. Wir schlagen ein Antidiskriminierungsgesetz vor, das neben einer Generalklausel für alle Minderheiten und einem Verbandsklagerecht zivilrechtliche Sanktionsregelungen vorsieht. In Artikelgesetzen wollen wir rechtliche Diskriminierung einzelgesetzlich beseitigen.
Volker Beck
Antidiskriminierungsgesetze bestehen in vielen europäischen Ländern und in den Vereinigten Staaten. Sie haben sich dort bewährt. Deutschland ist beim rechtlichen Schutz von Minderheiten dagegen ein Entwicklungsland. Das müssen wir ändern.
Meine Damen und Herren, neue Gesetze werden die Ursachen für Rassismus und Diskriminierung freilich nicht mit einem Schlag beseitigen. Das Recht hat hier nur begrenzt eine Leitbildfunktion. Aber ein klares Wort des Gesetzgebers kann offen rassistisches Verhalten in seine Schranken weisen und langfristig Auswirkungen auf das Unrechtsbewußtsein der Menschen haben.
Die vorliegenden Anträge sind daher in ihrer Zielsetzung zu begrüßen. Viele der Vorschläge werden auch von uns seit Jahren angemahnt. Gegen einzelne Regelungen bestehen aber massive Bedenken. In der Kürze der Zeit nur zwei Punkte:
Das Antirassismusgesetz enthält zwar entgegen früheren Vorschlägen keine Forderung nach neuen strafrechtlichen Bestimmungen. Das begrüße ich ausdrücklich. Es durchbricht jedoch mit seiner Forderung nach Ordnungsgeld das Prinzip einer rein zivilrechtlichen Wiedergutmachung und Entschädigung.
Starke rechtsstaatliche Bedenken habe ich insbesondere bei der vorgesehenen Beweislastumkehr. In einigen Diskriminierungsbereichen sollte man über die Zulassung statistischer Beweismittel nachdenken, um die Rechtsposition der Opfer zu stärken. Die hier vorgeschlagene Lösung schießt aber eindeutig über das Ziel hinaus.
Ein wirksames Diskriminierungsverbot gesetzlich zu verankern ist eine Sache, die wohl vorbereitet sein will; das lehren die Erfahrungen mit § 611 a BGB. Wir werden uns deshalb die notwendige Zeit für die Diskussion unseres Entwurfes eines Antidiskriminierungsgesetzes mit den verschiedenen Initiativen und Verbänden nehmen. Über den gesetzgeberischen Handlungsbedarf sind wir uns mit den Antragstellern einig. Über den besten Lösungsweg werden wir allerdings noch diskutieren müssen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Burkhard Hirsch, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich merke, daß wir alle im Ziel einig sind und alle uneinig in der Art, wie wir das Ziel erreichen wollen. Ich weiß nicht, ob ich mich zuerst mit Ihnen, Frau Sonntag-Wolgast, oder mit Herrn Gysi auseinandersetzen soll. Ich fange mit Ihnen, Frau Sonntag-Wolgast, an.
Wenn Sie das Ausländerrecht, das wir haben, kritisieren - das kann man in manchen Teilen -, dann dürfen Sie an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß wir zusammen mit unserem Koalitionspartner ein
Ausländerrecht in der Bundesrepublik geschaffen haben, das im Vergleich zu anderen europäischen Rechten seinesgleichen sucht und das wirklich vorbildlich ist:
in der Sicherung von Rechtspositionen, in der Familienzusammenführung, in dem Anspruch auf Einbürgerung hier geborener Kinder, in Wiederkehrrechten usw. Wir haben bei aller angemessenen Kritik an Einzelpunkten keine Veranlassung, uns in dieser Beziehung vor anderen zu verstecken. Ich hoffte, daß die anderen Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft und die Türkei sich entschließen könnten, ein Ausländerrecht in ihren Ländern einzuführen, das unserem auch nur einigermaßen gleichkommt.
Herr Kollege Gysi, zu Ihrem Vorschlag: Wir haben ja schon im Januar 1994 infolge des Vorliegens vergleichbarer Vorschläge hier darüber debattiert. Ich freue mich, daß Sie einen Vorschlag aufgenommen haben, den die Ausländerbeauftragte schon seit geraumer Zeit macht, nämlich die bestehenden Gesetze und Verordnungen darauf zu überprüfen, was darin an diskriminierenden oder benachteiligenden Einzelregelungen enthalten ist. Das ist eine Arbeit, die man leisten muß und leisten kann. Ob wir dazu eine besondere Kommission brauchen, bezweifle ich. Das können wir vielleicht auch selbst in die Hand nehmen.
Bei dem Gesetzentwurf zögere ich - um ein Detail zu nennen - bezüglich der Umkehr der Beweislast. Wenn der Staat unterstellt, daß sich der Bürger rechtswidrig verhält, wenn er nicht das Gegenteil beweisen kann, dann sollte sich der Staat ein anderes Volk suchen, und dann ist der Überwachung Tür und Tor geöffnet. Das kann nicht richtig sein.
- Meine Redezeit läuft, weil Sie keine Frage stellen. Das ärgert mich etwas. Sie kommen nicht darum herum, eine richtige Umkehr der Beweislast zu fordern, sonst ist das nicht akzeptabel.
Im Mai dieses Jahres hat der Rat der Europäischen Union einen Schlußbericht der beratenden Kommission „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" vorgelegt. Der belegt in der Tat, daß in allen europäischen Ländern rassistische und fremdenfeindliche Diskriminierungen nicht reine Schlagworte, sondern Wirklichkeit sind. Das ist ein Tatbestand, den man nicht stillschweigend hinnehmen kann.
Wir wollen es nicht länger akzeptieren und dulden, daß Ausländer oder Minderheiten nur als eine polizeirechtliche Gefahr gesehen werden oder an ihnen Emotionen abreagiert werden, wie das seit Jahrhunderten in Europa dumpfe Selbstverständlichkeit war. Das ist nicht akzeptabel.
Die Frage ist aber, wie wir das erreichen können, ob wir ein Gesetz machen müssen, wenn es um die Veränderung des Inhaltes in den Köpfen und darum
Dr. Burkhard Hirsch
geht, die Verhaltensweisen der Bürger Minderheiten gegenüber zu verändern.
Wir haben vorgeschlagen, den Bericht der Kommission, der wirklich eindrucksvoll ist, in aller Ruhe und Ausführlichkeit im Innenausschuß zu behandeln, um dann möglichst gemeinsam zu sehen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
Bezüglich des Gesetzentwurfes, den Sie vorlegen, möchte ich nur zur Frage der Rechtsstellung der Ausländerbeauftragten ein paar Sätze sagen. Wir sind der Meinung und haben das auch immer wieder gefordert, daß die Rechtsstellung der Ausländerbeauftragten dann verbessert werden muß, wenn sie in der Verfassungswirklichkeit nicht genügend Mitwirkungs- und Einwirkungsrechte hat. Das bezieht sich auch auf die personelle und finanzielle Ausstattung ihrer Wirkungsmöglichkeiten.
Der Vorschlag, den die PDS macht, weicht von der jetzigen Konstruktion völlig ab: Wahl, organisatorische Verselbständigung usw. Daran, daß das der richtige Weg ist, haben wir erhebliche Zweifel, solange wir eine Ausländerbeauftragte haben, die Mitglied dieses Hauses ist und sich der Unterstützung weitester Teile des Hauses erfreut, also auch alle parlamentarischen Wirkungsmöglichkeiten einsetzen kann.
Wir wollen unsere Entscheidung oder die weitere Marschrichtung in dieser Frage davon abhängig machen, welche Erfahrungen die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung in der Verfassungswirklichkeit angesichts der Tatsache macht, daß sie verpflichtet ist, über das Wohl und Wehe von mehreren Millionen Menschen, die in diesem Lande leben, mit zu wachen, und zwar für uns.
Es ist eigentlich merkwürdig - nun komme ich auf die Frage der Bürgerrechte zu sprechen -: Es ist ein Kernsatz der Aufklärung gewesen, daß diejenigen, die in einer Gesellschaft leben, arbeiten und Steuern zahlen - heute würden wir sagen, Sozialabgaben zahlen -, Bürgerrechte gewinnen. Man wurde nicht durch Gnade Bürger einer Gemeinschaft, sondern dadurch, daß man in ihr lebte und arbeitete.
Das ist Kants geistiges Erbe und Grundlage nicht nur der Bostoner Tea Party, sondern der modernen Staatenwelt. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, daß wir uns, in welchen großen oder kleinen Schritten auch immer, an diese alten Wahrheiten wieder heranbegeben werden.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/1466 und 13/1405 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. Juni 1995, 16 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.