Rede von
Dietmar
Schütz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das jährlich wiederkehrende Ritual der Sommersmogdiskussion sollte - da bin ich mit Ihnen einer Meinung - diesmal endgültig beendet werden. Ich befürchte jedoch, daß das nicht der Fall sein wird, weil sich die Koalitionsfraktionen nicht bewegen, weil sie nicht die Kraft haben, mit den Ländern einen Kompromiß zu schließen.
Teile Ihrer Fraktionen - ich weiß nicht, ob man sie Betonteile nennen sollte - sind nicht bereit, sich in zwei Fragen zu bewegen. Sie sind erstens nicht bereit - Herr Paziorek hat es soeben gesagt -, sich für ein abgestuftes Verfahren einzusetzen, nämlich ein Tempolimit bei 180 Mikrogramm und ein Fahrverbot erst bei 240 Mikrogramm auszusprechen. Zweitens sind Ihre Ausnahmeregelungen so weit gefaßt, daß überhaupt nicht mehr erkennbar ist, wen man eigentlich noch vom Fahren ausschließen will.
Meine Damen und Herren, Ihr Haupteinwand gegen das Tempolimit war und ist - Herr Paziorek hat ihn gerade wiederholt -, daß hiermit kein nennenswerter Beitrag zur Ozonreduktion geleistet werde. Das ist durch die Anhörung eindeutig widerlegt.
Der Vertreter des Umweltbundesamtes hat deutlich gemacht, daß die Auswertung aller Meßdaten der Bundesrepublik - nicht nur die Auswertung einzelner Versuche oder die Betrachtung einzelner Vorläufersubstanzen - zeigt, daß 17 % der Ozonspitzenwerte mit flächendeckenden Tempolimits gekappt werden können. Wer das Instrument Tempolimit bei dieser Sachlage nicht will, muß sich fragen lassen, ob nicht andere Gründe als das der Höhe der Ozonreduktion im Spiel sind.
Der Verdacht drängt sich auf, daß Sie die Diskussion zum Tempolimit wie der Teufel das Weihwasser scheuen, weil Sie damit einen Einstieg in die allgemeine Tempolimit-Diskussion befürchten.
Ich darf Ihnen versichern, daß wir an dieser Stelle zum Sommersmog nur eine eingeschränkte Tempolimit-Diskussion führen. Die Wände Ihrer ideologischen Wagenburg sind aber schon so hoch, daß Ihre Sicht an jeder Stelle behindert ist. Sie erkennen auch das nicht.
Ein abgestuftes Verfahren ist auch deshalb notwendig, weil Sie auf Grund des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtlich gezwungen sind, bei der Begrenzung von Rechten anderer zuerst das mildere, weniger einschneidende Mittel anzuwenden. Die sofortige Anwendung des einschneidenden Mittels des Fahrverbotes nach Erreichen der Eintrittsschwelle, ohne im Vorfeld versucht zu haben, das Anwachsen der Ozonmenge wirksam zu verhindern, wird zu großen Schwierigkeiten führen. Im Ergebnis liegt hier ein Einfallstor für eine erfolgversprechende Klage.
Professor Basedow, der einzige Rechtswissenschaftler in unserer Anhörung, hat darauf hingewiesen, daß eine sofortige Anwendung des einschneidenden Instruments Fahrverbot vor allem vor dem Europäischen Gerichtshof das Gesetz scheitern lassen kann. Ich fordere Sie deshalb auf: Kommen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, aus Ihrer Wagenburg heraus und finden Sie mit uns einen gemeinsamen tragfähigen Kompromiß in einem abgestuften Verfahren.
Das sollte jetzt geschehen. Dem Bürger wäre nicht klarzumachen, wenn wir erst in der Sommerpause ein Vermittlungsverfahren für den Sommersmog durchführen. Ein Ergebnis würde erst dann vorliegen, wenn die sommerlichen Temperaturen zurückgegangen sind. Die politische Handlungsfähigkeit von uns allen würde ad absurdum geführt werden.
Ich begrüße daher die Initiative des Bundesrates, in einem Schnellverfahren noch heute das Sommersmoggesetz zu behandeln, um rasch einen Kompromiß zu finden.
Die Bundesregierung sollte zudem bedenken, daß die politische Handlungsfähigkeit auch dadurch gefährdet ist, daß Sie - das verwaltungsmäßig sehr schnell einzusetzende Instrument des Tempolimits wollen Sie ja nicht - für den seriösen Vollzug des Fahrverbots einen mehrmonatigen Verwaltungsvorlauf in Kauf nehmen. Jeder seriöse Praktiker sagt Ihnen, daß wir für die Ausgestaltung der Fahrverbote einen längeren Vorlauf brauchen.
Dietmar Schatz
Mit diesem Gesetzentwurf schreiben Sie schon heute fest, daß gesetzliche Instrumente gegen den Sommersmog 1995 nicht zur Verfügung gestellt werden.
Es ist noch völlig ungeklärt, wie Freistellungen im einzelnen erteilt werden sollen: ob es Plaketten gibt, wie diese aussehen, wie die Verwaltung die Handhabung der Ausnahmevorschriften vorbereiten soll. Was Sie vorgelegt haben, ist ein Verwaltungschaos.
Sie haben keine Instrumente in der Hand. Diese Farce werden wir nicht unterstützen.
Unser Angebot, das wir im Vorfeld gemacht haben - eine Freizeichnungs- und Ermächtigungsklausel für die Länder, um dadurch handlungsfähig zu werden -, scheiterte bisher an Ihrer Hartleibigkeit. Wir hoffen, daß Sie Ihre Haltung noch ändern.
Sie haben schon ab heute die Chance, das zu tun.
Mit Ihrer Position folgen Sie einer nicht nachvollziehbaren abstrusen Logik: Einerseits wollen Sie richtigerweise an das Umweltbewußtsein appellieren und emissionsintensive Kfz ab 240 Mikrogramm stilllegen; andererseits sollen aber diejenigen, die mit Katalysatorautos weiterfahren, ungehindert auf das Gaspedal drücken und bei hoher Geschwindigkeit natürlich auch höhere Emissionen ausstoßen dürfen.
Es ist einem Bürger draußen überhaupt nicht mehr klarzumachen, welche Strategie Sie da verfolgen.
Das Maßnahmenpaket, das Sie durchsetzen wollen, wird in der Öffentlichkeit mit Kopfschütteln und Spott aufgenommen werden. Wir werden sehen, daß es vollkommen unwirksam ist.
Sie wissen auch, daß es nachhaltige gesundheitliche Auswirkungen bei Smogsituationen gibt. Ich muß Ihnen das nicht noch darstellen. Sie kennen die toxische und gentoxische Wirkung des Ozons, insbesondere bei Kindern, bei älteren Menschen und bei Kranken. Es liegen derzeit zwar noch keine harten wissenschaftlichen Grenzwerte fest - in dieser Beziehung haben die Gutachter geschwankt -, aber amerikanische Studien zeigen, daß bereits meßbare gesundheitliche Auswirkungen bei Konzentrationen zwischen 160 und 240 Mikrogramm vorliegen. Sie wissen aus unserer Anhörung: Auch der von Ihnen benannte Gutachter hat darauf hingewiesen.
Die Frage der Belastbarkeit des menschlichen Organismus durch Ozon ist noch nicht endgültig geklärt. Es ist aber unstrittig, daß wir nicht auf hundertprozentig sichere wissenschaftliche Ergebnisse warten dürfen, wenn es überhaupt jemals solche geben
wird. Unsere Verantwortung als Politiker und auch als Gesetzgeber ist es, vorsichtig und vorausschauend zu handeln und nicht auf die letzte Wahrheit zu warten.
Wir müssen deshalb bereits sehr frühzeitig einsetzen, um die Ozonkonzentration zu verringern und um zu verhindern, daß die Werte in den Bereich steigen, in dem mit großer Sicherheit relevante Bevölkerungsgruppen - dies sind immer die anfälligeren Menschen, die jüngeren und die älteren - gesundheitlichen Schaden nehmen. Dies gilt um so mehr, als beim Sommersmog Ozon in einem Schadstoffgemisch vorliegt, in dem das photochemisch hochaktive Ozon die Wirksamkeit anderer Schadstoffe auf die Lunge noch verstärkt.
Lassen Sie mich auch noch etwas zu der zweiten Säule, die in dem Gesetz nicht richtig ausgestaltet ist, sagen. Angesichts der immer noch völlig überzogenen Ausnahmeregelungen muß ich feststellen: Wir machen uns zum Gespött der Fachwelt und stehen da wie eine Karikatur, wenn wir den überbordenden Ausnahmekatalog der Bundesregierung beibehalten.
Anzahl und Ausgestaltung der Ausnahmen verdienen das Prädikat „fragwürdig" und sind zum Teil geprägt von einer etwas merkwürdigen Güterabwägung zwischen der Gesundheit eines substantiellen Teils der Bevölkerung und dem Anspruch auf ungestörte Freizeitgestaltung und Wahl des Transportmittels. Wir halten es durchaus für zumutbar, daß mit weniger eng begrenzten Ausnahmen, z. B. für den ÖPNV, für Polizei, Not- und Rettungsdienste, der Betrieb von schadstoffintensiven Kfz - nur um die geht es hier - an wenigen Tagen im Jahr einmal ruhen kann, ohne daß wir gleich den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland ruinieren.
Das ist von Teilen von Ihnen hier schon wieder vorgetragen worden. Wenn ein schadstoffintensives Auto stehenbleiben muß, ist damit nicht gleich der Wirtschaftsstandort ruiniert.
Konkret stellt sich beispielsweise - um mit dem Gutachter Professor Basedow zu sprechen - bei den Pendlern die Frage, ob ein ungestörtes Arbeitsleben an jedem Tag für diejenigen Pendler, die immer noch einen Pkw ohne Katalysator fahren, wichtiger ist als die Gesundheit eines substantiellen Teils der Bevölkerung. Ist es denn nicht ebenso wie bei Stausituationen, bei Glatteis oder bei Schneeverwehungen zumutbar, auch beim Sommersmog Verzögerungen auf dem Weg zur Arbeit hinzunehmen, indem man andere, möglicherweise zeitaufwendigere Anfahrtsmöglichkeiten sucht?
Sollten wir tatsächlich für Urlaubsfahrten unbedingt Ausnahmen vom Fahrverbot zulassen und damit in der Tat eine merkwürdige Güterabwägung zwischen Freizeitgestaltung und dem Anspruch auf unversehrte Gesundheit vornehmen? Und ich frage: Müssen die nichtdeutschen Truppenteile des Nordat-
Dietmar Schütz
lantikpaktes unbedingt bei Auslösung des Ozonalarms weiterfahren, oder können sie nicht Rücksicht nehmen, wenn wir den Alarm ausgelöst haben? Dies sind Fragen über Fragen, die Sie nicht beantworten.
Beantwortet werden sollen diese dann von den Straßenverkehrsbehörden, die als letztes Glied in der Kette der Verwaltung alle Ungereimtheiten des Gesetzes ausbaden müssen. Das geht so überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, Sie haben darüber hinaus wichtige Teile in dem Gesetz vergessen. Es ist unbestritten, daß neben dem hohen Anteil des Straßenverkehrs an der Ozonbildung fast genausoviel von der Industrie, dem Gewerbe und Handwerk ausgeht, sofern sie mit Lösungsmitteln arbeiten. In Nordrhein-Westfalen lag der Beitrag zur VOC-Emission des Verkehrs bei 300 000 t im Jahr 1990 und der Lösemittelverwendung bei 287 000 t. Konsequenterweise muß deshalb in einer Smogsituation natürlich auch die Verwendung von Lösemitteln reduziert oder ganz untersagt werden. Warum Sie das nicht tun, bleibt ein Rätsel.
Lassen Sie mich noch zwei andere Beispiele dafür nennen, daß der Regierungsentwurf mit heißer Nadel und unter Verlust vieler wichtiger Maschen gestrickt wurde. Nach dem Gesetzentwurf dürfen Elektroautos und gasbetriebene Autos nicht fahren. Ihre Freigabe ist schlicht vergessen worden.
Ferner soll Ozonalarm bei 240 Mikrogramm ausgelöst werden, wenn nach meteorologischen Erkenntnissen anzunehmen ist, daß dieselbe Konzentration am selben Meßpunkt auch am nächsten Tag vorliegt. Diese Feststellung verkennt die Tatsache, daß der Wind die Ozonvorläufersubstanzen wie eine Wolke weitertreibt, so daß uns alle Meteorologen gesagt haben: Das werdet ihr nie erreichen. Im Ergebnis also legen Sie ein Gesetz vor, nach dem ein Ozonalarm überhaupt nicht mehr möglich ist, weil Sie diese meteorologischen Grunddaten nicht berücksichtigt haben. Wir haben darauf hingewiesen; Sie haben das nicht berücksichtigt.
Das Gesetz demaskiert sich selbst als ein völlig wirkungsloses Placebo. Einem solchen Placebo müssen wir unsere Zustimmung verweigern. Sie legen eine Mogelpackung vor, um dem Bürger vorzutäuschen, daß Sie etwas gegen den Sommersmog tun. In Wirklichkeit aber geschieht nichts. Der Bürger wird verhohnepipelt. Mit uns machen Sie das nicht, meine Damen und Herren. Wir lehnen das Gesetz ab.
Danke sehr.