Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der diesjährige Jahresbericht des Petitionsausschusses weist insgesamt einen zahlenmäßigen Rückgang bei der Einreichung von Petitionen aus. Dennoch war die Belastung für uns im Ausschuß in den letzten Wochen und Monaten ganz erheblich.
Mit Ende der 12. Legislaturperiode sind viele der alten Mitglieder ausgeschieden, so daß die anstehende Arbeit auf wenige Schultern verteilt werden mußte. Der Aktenberg, der sich dabei zwangsläufig angestaut hat, belastet auch jetzt noch die Arbeit des neuen Ausschusses.
Wenn wir beispielsweise wie in dieser Woche 41 Petitionen auf der Tagesordnung haben, bleibt pro Petition nur noch etwas mehr als eine Minute übrig - ein Zeitrahmen, der für unsere Arbeit bei weitem nicht ausreicht. Es fehlt die Möglichkeit, im Ausschuß bei strittigen Voten Argumente auszutauschen, um so im Interesse der Petenten eventuell doch noch zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Zwar wird die Vorarbeit von den Obleuten gemacht; dennoch können wir nur deshalb so verfahren, weil im Ausschuß eine ganz erhebliche Disziplin zu verzeichnen ist.
Aber nicht nur die äußerst knapp bemessene Zeit ist ein Problem für die Ausschußarbeit. Die Bereitschaft muß wachsen, eine Lösung im Sinne der Petenten zu finden. Dazu gehört auch der Mut, an der eigenen Regierung Kritik zu üben.
Da viele der Mitglieder neu im Petitionsausschuß sind, kann ich ihnen sagen: Die Vorgänger hatten diesen Mut. Nur so können wir dem Anspruch gerecht werden, Anwalt der Bürgerinnen und Bürger zu sein.
- Weil ich acht Jahre lang in diesem Petitionsausschuß war und weiß, wie gearbeitet wurde. Ich hoffe, daß wir auch in dieser Legislaturperiode noch dahin kommen.
Meine Damen und Herren, meine Ausführungen zum diesjährigen Tätigkeitsbericht möchte ich mit dem Fall eines Petenten beginnen, der mit Hilfe des Petitionsausschusses nun sage und schreibe seit zehn Jahren versucht, sich aus den Mühlen der Bürokratie zu befreien, die ihn in seiner Existenz bedrohen.
Der Petent bewirtschaftet als Vollerwerbslandwirt einen ererbten Hof von 20 Hektar. Nach der Übernahme des Hofes verhielt sich der Petent so, wie es ihm der Bayerische Bauernverband geraten hatte und wie es auch seinen Interessen entsprach: Er baute einen zusätzlichen Kuhstall und pachtete außerdem Weideflächen von einem Nachbarn.
Mit Pachtvertrag vom 20. Dezember 1983 übernahm er 19 Hektar Land, das der bisherige Eigentümer bis dahin zur Schafzucht und nicht zur Milchproduktion genutzt hatte. Mit dieser Zupachtung verdoppelte der Petent also die ihm zur Verfügung stehende Fläche.
Am 2. April 1984 wurde dann in Form einer Stichtagsregelung die Milchmengengarantieverordnung eingeführt. Sie garantiert jedem Milchproduzenten die Abgabe eines gewissen Milchkontingentes zu festen Preisen; das ist für die Landwirte ganz wichtig. Die Höhe des Kontingents richtet sich nach der Größe der Weidefläche, die der Landwirt bis zu diesem Stichtag bereits zur Milchproduktion nutzte. Auch dies ist eigentlich eine sinnvolle Lösung. Die
Lisa Seuster
Fläche, die der Petent erworben hat, erfüllte diese Bedingung zur Anrechnung auf die Quote nicht, da sie zum Zeitpunkt der Quotenregelung nicht zur Milchproduktion, sondern eben zur Schafzucht genutzt wurde. Daher bekam der Petent lediglich die Genehmigung, soviel Milch zu verkaufen, wie er auf seiner alten Hoffläche von 20 Hektar erwirtschaftet hatte. De facto darf er durch die Zupachtung keinen Liter Milch mehr zu garantierten Preisen liefern.
Es wurde zwar eine Härtefallregelung geschaffen, die den Bauern, die sich durch Stallbau und Anschaffung von Milchkühen zum Teil hoch verschuldet hatten, höhere Quoten zuteilte. Der Petent wurde von dieser Regelung jedoch nicht erfaßt, da er die Baugenehmigung für seinen größeren Stall einen Monat früher hätte beantragen müssen. Somit nützte ihm auch die Stichtagsregelung nichts; der zusätzliche Stall brachte ihm also nicht einen Liter Milch mehr ein, den er zu festen Preisen hätte liefern können. Damit erwiesen sich für ihn sowohl der Stallneubau als auch die Zupachtung der Flächen von einem Tag auf den anderen als unrentabel.
Noch schlimmer ist aber, daß er mit Ablauf seines Pachtvertrages für die Zupachtung bitter bestraft werden wird. Sein Pachtvertrag, vor der Stichtagsregelung geschlossen, zählt zu den sogenannten Altpachtverträgen. Das heißt, daß mit Ablauf des Pachtvertrages seine Milchquote etwa zur Hälfte, weil er ja eine gleich große Fläche zugepachtet hat, auf den Verpächter übergeht. Dabei spielt es keine Rolle, ob für diese zugepachtete Fläche vorher bereits eine Milchquote festgelegt war.
Der Petent befürchtet vor diesem Hintergrund zu Recht, daß er beim Auslaufen seines Pachtvertrages bestenfalls nur noch die Hälfte der bisherigen Milchmenge wird liefern können. Das würde für ihn ganz eindeutig den wirtschaftlichen Ruin bedeuten. Weil er so etwas kommen sah, wandte er sich bereits 1986 an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages, um für diese Altpachtregelungen neue gesetzliche Möglichkeiten zu finden.
Mit der Bitte, ihn in seinem Anliegen zu unterstützen, hat sich der Petent in den vergangenen Jahren an zahlreiche Institutionen, wie den Bayerischen Bauernverband, das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten,
den Bund der Steuerzahler, den Petitionsausschuß, das Landwirtschaftsministerium und an die Bundestagsabgeordneten Dr. Klaus Rose und Bartholomäus Kalb gewandt.
Alle Angesprochenen bestätigten ihm, daß diese Altpachtregelung für den Betroffenen sehr ungerecht sei und daß man eine Neuregelung finden müsse. Trotzdem hat sich bis heute an der entscheidenden Stelle, nämlich im Ministerium, nichts bewegt.
Der Petitionsausschuß war einstimmig der Auffassung, daß diese ungerechte Regelung geändert werden müsse. Bei einer Ausschußanhörung am 2. März 1994 gab der zuständige Parlamentarische Staatssekretär Gröbl eine eindeutige Stellungnahme ab. Demnach werde im Landwirtschaftsministerium an einer neuen Altpachtregelung gearbeitet, bei der dem Prinzip Geltung verschafft werden solle, daß die Milchquote demjenigen zustehe, der sie ermolken habe - also dem Landwirt, nicht dem Verpächter. Gröbl räumte außerdem ein, daß die gegenwärtige Altpachtregelung verbesserungsbedürftig und verbesserungsfähig sei.
Der Petitionsausschuß hoffte nunmehr, daß eine Regelung durch das Ministerium gefunden werden könne, die diese krasse Ungerechtigkeit beseitigen würde. Weit gefehlt, es tat sich nichts. Auch eine Ladung des Landwirtschaftsministers Borchert vor den Ausschuß blieb erfolglos. Er versteckte sich hinter der EU und den Gerichtsurteilen, durch die ihm die Hände gebunden seien, anstatt durch eine Gesetzesinitiative endlich Härtefälle dieser Art zu regeln.
Tatsache ist nämlich, daß die Umsetzung der Milchmengengarantieverordnung in diesen Details allein Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist und eben nicht in der EU geregelt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo kämen wir hin, wenn wir in der Gesetzgebung nichts tun könnten, weil irgendwo ein Gericht - zudem in einem Fall, der noch völlig anders lag - etwas entschieden hat? Es ist doch unsere Aufgabe, etwas zu tun.
Ich kann diesen Vorgang nur so kommentieren wie ein Landtagsabgeordneter aus Bayern, der in dem Bericht zitiert wird mit den Worten: „Das ist gesetzlich erlaubter Diebstahl."
Ich kann mich dem eigentlich nur anschließen.
Die letzte Hoffnung, die uns in dieser Sache noch bleibt, ist die Überweisung an den Landwirtschaftsausschuß, die wir jetzt vorgenommen haben, weil wir wissen, daß dort eine Änderung erarbeitet wird. Vielleicht führt die Tatsache, daß sich die Mitglieder im Landwirtschaftsausschuß diesen Fall einmal ansehen, dazu, daß man Gesetze macht, die Landwirtschaft nicht verhindern, und nicht nur sonntags erzählt, wie man den bäuerlichen Familienbetrieb stützt. Es muß dringend etwas getan werden.
Ich möchte noch auf einige Petitionen eingehen, die in den neuen Bundesländern besonders von Bedeutung waren. Oft ging es um die Treuhand. Ich selbst war Berichterstatterin in einem Fall, in dem
Lisa Seuster
sich der Petent darüber beschwerte, daß die Treuhand Grundstücke an Bürger aus dem Westen verkaufe, während seinem Kaufwunsch als jahrzehntelangem Nutzer nicht Rechnung getragen wurde. Der Petent hat vor 30 Jahren auf einem LPG-Grundstück gebaut und nutzte die angrenzende Fläche als Garten. Nach der Vereinigung meldete der Petent bei der zuständigen Gemeinde sein Interesse am Kauf dieses Gartens an. Nachdem er sich erkundigt hatte, wie weit die Angelegenheit gediehen war, mußte er feststellen, daß dieser Garten an einen Interessenten aus dem Westen verkauft worden war, ohne ihn zu fragen. Rückfragen bei der Treuhand ergaben, daß man zwar diese fälschliche Bearbeitung zugab, aber auch unsere zusätzlichen Stellungnahmen konnten nicht mehr klären, wer für diesen Vorgang verantwortlich war. Ich denke, so sollte man mit den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern nicht umgehen; denn das führt zu Verdrossenheit.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch den Fall einer Sammelpetition schildern, in der sich mehrere Bürgerinnen und Bürger aus Mecklenburg-Vorpommern darüber beschwerten, daß eine von der Treuhand beauftragte Firma ihnen ihre Betriebswohnungen zu überhöhten Preisen verkauft habe. Im Vergleich zu den Gutachten, die vor dem Verkauf erstellt wurden, waren sie plötzlich sehr viel höher gesetzt worden, und nur unter dem Druck des Notars - sonst würde ihr Vorkaufsrecht verfallen - haben sie einem Verkauf zugestimmt.
Sie wandten sich an den Petitionsausschuß, und da gab es ein erfreuliches Ergebnis. Frau Karwatzki war bei uns zu einer Anhörung. Sie hat sehr schnell und eindeutig klar gemacht, daß auch sie empfinde, daß das falsch sei. Sie hat dafür gesorgt, daß diese Bürger im nachhinein Abschläge von ihrem Kaufpreis bekommen haben.
Das zeigt, daß es auch anders geht und man mit der Regierung auch in solchen Fragen zusammenarbeiten kann.
Ich habe mir überlegt: Warum sind die vielen Petitionen aus den neuen Bundesländern zurückgegangen? Das hat uns wohl alle überrascht. Ich denke aber, daß die Verwaltungen dort jetzt besser funktionieren, daß mehr beraten wird und daß sich damit eine gewisse Normalität eingestellt hat. Ich denke, daß sich viele nicht mit jeder möglichen Petition an den Petitionsausschuß wenden, sondern an die in den Ländern und Kommunen zuständigen Menschen.
Auch ich bin der Meinung, daß insbesondere Sammelpetitionen zum Teil wiedergeben, wie die Stimmung im Land ist. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die 1 100 000 Unterschriften einer Sammelpetition zur Forderung nach Erleichterung der Einbürgerung und nach Ermöglichung der doppelten Staatsbürgerschaft lenken. Frau Schmalz-Jacobsen, wir sollten wirklich sehen, daß wir dem jetzt nachkommen, denn diese Bürger zeigen deutlich, wohin es gehen muß, und wir sollten sehen, daß wir dies geregelt bekommen.
- Ja, aber es muß dazu ein Gesetz geben. Pressemitteilungen alleine nützen nichts. Wir müssen sehen, daß wir dieses Problem in einen gesetzlichen Rahmen bringen. Da stehen wir zur Verfügung. Die SPD hat dazu - auch hier im Parlament - in den letzten Jahren reichlich Maßnahmen getroffen.
Auch die Asylfragen nehmen bei uns im Ausschuß zunehmend Raum ein. Es werden insbesondere die Asylfragen an uns herangetragen, bei denen man deutlich merkt, daß die Möglichkeiten des Verfahrens nicht ausgeschöpft worden sind. Teilweise wurde in diesen Verfahren sehr unsensibel vorgegangen. Ich denke, es ist das gute Recht des Petitionsausschusses, dann auch noch einmal nachzufragen, warum etwas so gekommen ist und man nicht noch weitere Personen angehört hat, um zu einem Ergebnis im Interesse des Petenten zu kommen. Solche Verfahren müssen immer wieder überprüft werden. Nur dann ist die Verträglichkeit in der Bevölkerung zu halten. Anders wird es nicht gehen. Das beweisen die vielen Petitionen, die wir bekommen haben.
Ich habe hier nur einige Punkte herausgreifen können, um deutlich zu machen, daß Arbeit im Petitionsausschuß Einzelfallarbeit ist. Es geht manchmal darum, einen Petenten über Jahre zu begleiten. Andererseits wird aber auch deutlich, daß wir die Strömungen und die Unzufriedenheit, die in der Bevölkerung da sind, bei uns aufgreifen und versuchen, sie zu lenken. Ich denke, daß das auch in Zukunft so bleiben wird, daß wir uns gemeinsam finden und mit Erfolg im Interesse der Petenten unsere Arbeit tun können.