Rede von
Christa
Nickels
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird viel darüber lamentiert, daß das Parlament ein schlechtes Ansehen habe, daß die Entfernung vom Volk sehr groß sei und daß wir sozusagen in einem Raumschiff
Christa Nickels
tagten. Wenn man sich das Plenum ansieht, könnte man sagen, das hat etwas für sich.
Der Jahresbericht wird debattiert, die Abgeordneten flüchten, und seine Plazierung auf der Tagesordnung ist jedesmal eine Strapaze. Wir haben immer große Mühe - das ist schon traditionell -, eine vernünftige Tageszeit für unsere Debatte zu bekommen. Das war dieses Jahr nicht anders. Es ging ein wenig wie beim Hornberger Schießen zu; es war kaum möglich, die Aussprache über unseren Jahresbericht zu plazieren.
Erst sollte sie am Ende der heutigen Tagesordnung stattfinden. Dann aber hat man festgestellt, daß auf Grund des Bürgertages das Volk da ist, und man sah die Sicherheit der Abgeordneten im Plenum gefährdet und wollte die Debatte deshalb absetzen. Das konnte nun gerade noch verhindert werden.
Das, was die Abgeordneten im Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages in jeder Wahlperiode über vier Jahre hinweg leisten, nämlich unmittelbare Verschränkung und Verbindung zwischen dem Parlament und den Bürgern zu sein - 20 000 Bürger wenden sich jährlich unmittelbar an uns, das ist eine Größenordnung, die man sonst nicht erreicht -, findet heute während des Bürgertages statt.
Wir haben draußen sehr viele Zelte und Stände, wo das, was die Menschen bewegt, und das, wofür sie sich engagieren, in unserer Bannmeile ganz sinnfällig sichtbar wird. Sonst kann man das nur in unseren Petitionsakten nachlesen. Für mich ist es ein sehr großer Erfolg, daß wir an dem Tag, an dem uns die Menschen nahekommen dürfen, weil die Bannmeile aufgehoben wurde, über den Jahresbericht debattieren.
Mir persönlich ist sehr daran gelegen, daß der Petitionsausschuß das Image „Fragen Sie Frau Sibylle" los wird. Ich halte das für ein schlimmes Image, das nicht gerechtfertigt ist.
- Das ist völlig richtig, auch das würde ich nicht so gern sehen.
Wir sind der Ausschuß, wo dringende Sorgen und schwere Nöte, Belastungen und ungerechte Behandlungen von den Abgeordneten erörtert und auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages gesetzt werden. Zusätzlich ist der Petitionsausschuß auch das Gremium, das schlecht und hektisch gemachte Gesetze unmittelbar der Regierung und den Fraktionen zwecks Korrektur überweisen kann.
Wir nehmen die Beschwerden auf, bearbeiten sie und leiten sie unverzüglich weiter, so daß auch die Regierung, wenn sie es will - leider weigert sie sich aber viel zu oft -, die Chance hat, Fehler mit fatalen Auswirkungen sofort abzuändern. Schließlich liegen
die Fürstenzeiten weit hinter uns, in denen Bitten und Beschwerden nur in untertänigem Flehen geäußert werden konnten, das dann vielleicht - gnädigerweise - erhört wurde.
Heutzutage haben Petitionen auch den Charakter, ganz neue Anliegen im Bereich erneuerbarer Energien oder die Abschaffung überlebter, „dinosaurierhafter", überholter Arten der Energieerzeugung auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist eine sehr mühselige Angelegenheit, aber sie führt zum Erfolg.
Ein Beispiel: Wir bekamen Anfang der 80er Jahre Listen mit Hunderttausenden von Unterschriften, die verlangten, den Umweltschutz im Grundgesetz zu verankern. Es gab massiven Widerstand. Auch das Parlament sperrte sich dagegen. Dennoch ist es auch gerade diesen Petitionen zu verdanken, daß die Verankerung in der letzten Legislaturperiode stattfand.
In den vergangenen zwei Legislaturperioden und somit auch 1994 hat Dr. Pfennig den Petitionsausschuß geführt und seine Arbeit maßgeblich gestaltet. Ich möchte ihm und Herrn Dr. van Heiß, der den Ausschußdienst jahrelang geführt hat, von hier aus den herzlichen Dank des Ausschusses aussprechen.
Arbeit, die seinerzeit dort in Angriff genommen worden ist, beschäftigt uns heute noch. An vielen Beispielen kann man sehen, daß über die Jahre hinweg beklagte Mißstände schließlich doch korrigiert werden konnten. Als Beispiel möchte ich Beschwerden gegen die Telekom vorstellen: Bereits 1992 hatten sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger mit Beschwerden über überhöhte Telefonrechnungen an den Petitionsausschuß gewandt und die Meinung vertreten, daß die Netze der Telekom nicht sicher seien und nicht einmal ein Einzelnachweis über geführte Telefonate zu bekommen war. Hinzu kam eine unglaubliche Arroganz der später teilprivatisierten Post, der Telekom, den Petenten gegenüber, die sich wirklich wieder in längst verflossene Zeiten zurückversetzt glaubten.
Hier hat der Ausschuß schon im letzten Jahr einen Berücksichtigungsbeschluß gefaßt. Die Diagnose, daß die Netze nicht sicher sind, der Verbraucherschutz nicht ordentlich gewährleistet ist und die Petenten recht haben und ihnen entgegengekommen werden muß, wurde durch Pressemitteilungen im November voll und ganz bestätigt. Sofort nach der Neukonstituierung haben wir nachgefaßt und alles, was wir vom Ausschuß her tun konnten, in Bewegung gesetzt, um hier Abhilfe zu schaffen.
Man muß sagen, daß da, wo die Telekom stur war, sich Minister Bötsch bewegt hat. Es ist sehr wichtig, daß wir hier im Parlament fraktionsübergreifend immer wieder Abgeordnete und Minister haben, die volksnah genug sind, um berechtigte Anliegen aufzugreifen und diese gegen verfestigte Behördenwillkür und gegen „Kleister" durchzusetzen.
Wir haben hier erreicht, daß in erheblichem Umfang etwas geändert wird. Demnächst wird es einen Einzelverbindungsnachweis geben, die Digitalisie-
Christa Nickels
rung wird vorangetrieben, und es gibt sehr viele technische Maßnahmen zur Verbesserung der Netzsicherheit, Möglichkeiten der Beweislaständerung zugunsten der Kunden wurden in Aussicht gestellt.
Wir haben auch erreicht, daß vorerst in diesem Bereich das Prüfrecht des Petitionsausschusses gewährleistet ist. Durch die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben - und dazu gehört auch die Bereitstellung von Telekommunikation ebenso wie auch die Fortbewegungsmöglichkeiten für alle, egal, ob sie reich oder arm sind - kommen nämlich große Probleme in bezug auf die Frage- und Prüfmöglichkeiten auf das Parlament, den Petitionsausschuß und die Abgeordneten zu.
Die Telekom hatte dieses Prüfrecht abgestritten und erklärt, nach der Privatisierung sei das Parlament nicht mehr zuständig. Das Thema wird uns aber weiterhin beschäftigen. Die Telekom versucht in einer Art Salamitaktik, hier wieder alle Zusagen des Postministers rückgängig zu machen, sobald Herr Bötsch ihr den Rücken kehrt. Im Herbst werden wir als Ausschuß weitere Untersuchungen vornehmen und in Absprache mit dem Geschäftsordnungsausschuß dieses Hauses dafür sorgen, daß die Fragerechte und Prüfrechte der Abgeordneten gewährleistet bleiben.
Ein weiterer Bereich, der uns in der letzten Legislaturperiode und im letzten Jahr sehr beschäftigt hat, war der Asylkompromiß, der viele Möglichkeiten ausgehebelt hat, Härtefallregelungen zu schaffen. Wir haben das riesengroße Problem, daß wir als Petitionsausschuß in diesem Bereich nur sehr geringe Möglichkeiten haben. Wir dürfen nur das Bundesamtsverfahren prüfen, wobei aber noch nicht einmal gewährleistet ist - nicht einmal in Fällen, in denen wir gravierende Fehler im Bundesamtsverfahren feststellen -, daß die Petenten das Petitionsverfahren in unserem Land abwarten können.
Dazu hat der Deutsche Bundestag ein Gutachten in Auftrag gegeben, das jetzt vorliegt, das wir auswerten und daraufhin prüfen werden, daß auch die Petitionsrechte für Menschen gewährleistet sind, die ganz am Ende der Skala der Glücklichen und Erfolgreichen stehen und überhaupt keine Rechte haben.
An dem Punkt ist mir sehr wichtig, den Kolleginnen und Kollegen auch etwas anderes vor Augen zu führen, was diese Petitionen zeigen: Kaum eine Petition im Asylbereich kommt von einem Asylbewerber. In aller Regel sind es Flüchtlingsinitiativen, Kirchengemeinden, Arbeitgeber und Nachbarn, die in großer Anzahl das Anliegen schildern. Das widerlegt ganz eindeutig das Vorurteil vom bornierten und rassistisch gesonnenen Deutschen. Wir erleben im Petitionsausschuß eine unglaubliche Anteilnahme von Menschen, die sich für Asylbewerber einsetzen. Das sollte man auch einmal zur Kenntnis nehmen und positiv nach vorne wenden.
Ein für uns ebenfalls sehr wichtiger Bereich ist die Begleitung des Zusammenwachsens der neuen und der alten Bundesländer. Für die Mitbürgerinnen und
Mitbürger in den neuen Bundesländern sind gravierende Probleme dadurch aufgetreten, daß auf einmal eine völlig neue Rechtsordnung und eine völlig neue Art, Versicherungen abzuschließen oder sich im Arbeitsleben einen Platz zu erkämpfen, auf sie niedergeprasselt sind. Mit dieser stark beschleunigten Entwicklung werden viele Menschen nicht fertig; vor allem alte, benachteiligte und junge Leute drohen unter das Räderwerk dieser schnellen Maschinerie zu geraten. Hier hat der Petitionsausschuß schon in den letzten vier Jahren sehr viel machen können.
Ein hochaktuelles Thema in den neuen Bundesländern sind die Rentenüberleitungsgesetze. Vor einigen Wochen haben wir 2300 Petitionen so aufbereitet, daß sie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden konnten. Wir danken sehr der Ausschußvorsitzenden, Frau Mascher, daß sie diese von uns übermittelten Informationen auch den Sachverständigen weitergeleitet hat, die hier am Mittwoch bei einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ihre Stellungnahmen abgegeben haben. Wir konnten so mit dazu beitragen, daß sich diese Wissenschaftler nicht aus dem Elfenbeinturm heraus geäußert haben, sondern auch im Lichte dessen Stellung nehmen konnten, was 2 300 Bürgerinnen und Bürger als falsch oder richtig oder wichtig empfunden haben.
Zum Abschluß möchte ich noch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsausschußdienstes danken. Der Petitionsausschuß, der das Tor für Bürgerinteressen in diesem Parlament ist, könnte überhaupt nichts bewirken, wenn nicht zwei Flügel motiviert zusammenarbeiten würden: Zum einen meine ich den parlamentarischen Bereich, die Ausschußmitglieder. Die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten müssen sich - neben der ganzen anderen Arbeit, die sie haben - mit Courage und Zähigkeit im Petitionsbereich einsetzen, auch einmal gegen den Strich bürsten, sich gegen die Verwaltung auflehnen und teilweise sehr ins Detail gehen. Wir brauchen Kolleginnen und Kollegen, die von der Arbeit überzeugt sind und die über Jahre hinweg bereit sind, die Arbeit engagiert, motiviert und kenntnisreich zu machen. Dafür danke ich ihnen.
Zum anderen sind wir darauf angewiesen, daß der Ausschußdienst, in dem 85 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind, die Vorbereitungsarbeiten übernimmt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen, damit sie motiviert arbeiten können, gut ausgestattet sein. Da ist noch einiges zu tun. Ich bin in den ersten sechs Monaten meiner Vorsitzendentätigkeit durch alle Referate des Ausschußdienstes gegangen und habe festgestellt, daß da noch einiges zu tun ist, was die Ausstattung mit PCs und die Organisation insgesamt angeht. Ich setze darauf, daß die zuständigen Stellen uns dabei in den Haushaltsberatungen unterstützen. Hier zu sparen wäre Sparen am falschen Platz.
Noch einmal herzlichen Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Kolleginnen und Kollegen!