Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Schneider feierte gestern, am 4. Dezember, seinen 60. Geburtstag. Wenn er auch nicht im Saale ist, so will ich ihm doch meinen herzlichen Glückwunsch aussprechen.
Herr Abgeordneter Dr. Hackel hat am 1. Dezember 1985 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat am 2. Dezember 1985 Dr. Pfennig die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den uns bereits aus der 8. Wahlperiode bekannten Kollegen und wünsche gute Zusammenarbeit.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 2 a der Tagesordnung — Antrag der Fraktion der SPD betr. Rücknahme der Eingriffe in Chancen und Rechte von Frauen, Drucksache 10/3894 — abgesetzt werden. Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung dieser Woche zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführt. Zugleich mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wie bereits mitgeteilt wurde, beabsichtigt der Herr Bundeskanzler heute um 14.30 Uhr eine Regierungserklärung zum Thema „Europäischer Rat am 2. und 3. Dezember 1985 in Luxemburg" abzugeben. Deshalb ist interfraktionell vereinbart worden, die Mittagspause bis 14.30 Uhr zu verlängern.
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN haben gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung
Aktuelle Stunde
zu dem Thema
Haltung der Bundesregierung zur Inbetriebnahme des umweltgefährdenden Kohlekraftwerkes Ibbenbüren B
verlangt. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Schulte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 29. November 1985 wurde das Buschhaus Nordrhein-Westfalens, das Großkraftwerk Ibbenbüren B, von Ministerpräsident Rau eröffnet. In den nächsten Jahren wird sich der Schadstoffausstoß der Kraftwerke im Ibbenbürener Revier somit mehr als verdoppeln. Allein über 35 000 Tonnen Stickoxide sollen nach dem Willen der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen das Waldsterben offensichtlich noch beschleunigen.
Damit erhöht diesmal die SPD die Giftdosis für Mensch und Wald.
Obwohl die Konferenz der Umweltminister im April 1984 beschloß, daß Kraftwerke schnellstmöglich mit wirksamen Entstickungsanlagen ausgerüstet werden müssen, wurde dieser Beschluß rechtswidrig von der Landesregierung nicht umgesetzt und damit der größte Stickoxidstinker der Nation vorige Woche ohne Umweltschutzeinrichtungen in Betrieb genommen.
Die GRÜNEN im Bundestag fordern alle Parteien und die Bundesregierung auf, alles zu unternehmen, daß das Kraftwerk Ibbenbüren bis zur Fertigstellung einer Entstickungsanlage außer Betrieb genommen wird.
Die Argumente des Herrn Rau für die Inbetriebnahme von Ibbenbüren ohne wirksame Umweltschutzmaßnahmen sind absolut lächerlich. Es gibt in der Bundesrepublik mehrere renommierte Anbieter von Entstickungsanlagen, die eine Verringerung der Stickoxidemission um bis zu 90 % garantieren; doch die Landesregierung NRW hat erneut vor RWE gekuscht und hat sich wieder einmal als willfähriger Diener dieser Strom-Mafia erwiesen.
Zur Sicherung des Absatzes der Ibbenbürener Kohle und zur Sicherung der Arbeitsplätze wäh-
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Schulte
rend des Einbaus einer Entstickungsanlage schlagen die GRÜNEN folgendes Konzept vor:
Erstens. Verfeuerung der Ibbenbürener Kohle in Mischung mit Kraftwerkskohle in bereits ent-schwefelten Kraftwerken mit Trocken- und Wirbelschichtfeuerung.
Zweitens. Stärkere Arbeitsauslastung dieser ent-schwefelten Kraftwerke als vorläufiger Ersatz für die Stromproduktion des Ibbenbürener Kraftwerkes.
Drittens. Sofortiges Verbot des Imports und der Verwendung südafrikanischer Kohle und deren Ersetzung durch Ibbenbürener Kohle.
Statt die hier skizzierten Maßnahmen zur Einführung von wirklichem Umweltschutz im Sinne der berechtigten Arbeitsplatzinteressen der im Bergbau Beschäftigten umzusetzen, erklärt der Ministerpräsident Rau den größten Stickoxidstinker der Nation zu einem Fortschritt für den Umweltschutz.
So also, meine Damen und Herren, sieht Ihre konkrete Umsetzung des großspurig angekündigten Programms „Arbeit und Umwelt" aus!
Wie wollen Sie eigentlich von den Arbeitnehmern verlangen, auf Autobahnen nur 80 zu fahren, wenn Sie gleichzeitig dem RWE-Großkonzern einen Freischein für die Luftverpestung geben? Ich möchte den Vorschlag des früheren Landwirtschaftsministers Bäumer aufgreifen und schlage vor, NRW in RWE umzutaufen.
Ich rate der SPD: Suchen Sie sich für die Wahl 1987 einen anderen Spitzenkandidaten, denn mit Rau wird der Wald ersticken.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Gerstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was zur sozialdemokratischen Haltung in dieser Frage zu sagen ist, hat zum Teil mein Vorredner schon gesagt.
Meine Damen und Herren, „es gibt wohl kein Kraftwerk in der Bundesrepublik Deutschland, das von einer Region so inständig gefordert wurde zur Überwindung einer existenzbedrohenden Krise, wie dieses Steinkohlenkraftwerk hier in Ibbenbüren". Mit diesem Satz hat am 29. November das Mitglied des Vorstandes der Preussag, Dr. Stalp, seine Begrüßungsrede zur offiziellen Inbetriebnahme begonnen. Er hat damit, wie ich meine, die Situation der Region um Ibbenbüren und die Einstellung der Menschen richtig beschrieben.
Der Bau dieses Kraftwerks basiert auf einem ordnungsgemäßen Genehmigungsverfahren. Das Kraftwerk ist energiepolitisch notwendig. Der Betrieb des Kraftwerks und der Erhalt der Schachtanlage Ibbenbüren sind darüber hinaus regional- und arbeitsmarktpolitisch unverzichtbar.
Meine Damen und Herren, jeder, der an der Inbetriebnahme teilgenommen hat, hat die Erleichterung der Menschen dieses Raumes spüren können. Es sind eben viele Tausende, deren Existenzgrundlage nun langfristig gesichert ist.
Dafür haben sich viele eingesetzt, auch Politiker aller Parteien, und auch der Bund hat zur Finanzierung des Kraftwerks beigetragen. Dafür ist heute Dank zu sagen, nicht Tadel auszusprechen.
Meine Damen und Herren, jeder, der an der Inbetriebnahme teilgenommen hat, hat aber auch eine unaufrichtige Rede des Ministerpräsidenten Rau verfolgen können. Herr Rau war leider nicht bereit, einzugestehen, daß der Bau dieses Kraftwerks — ebenso wie vor einem Jahr im Falle Buschhaus — das Ergebnis eines sehr schwierigen Kompromisses zwischen den Zielen Umwelt und Arbeit war und ist, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es war ein Fehler von Herrn Rau, dies nicht deutlich auszusprechen und dieses Kraftwerk und seine Entstehung noch auf Kosten des Kohlekraftwerks Buschhaus als eine besonders umweltfreundliche Maßnahme darzustellen.
Herr Rau hat auch den Satz formuliert: Wer ja sagt zur Kohlevorrangpolitik, der muß auch ja sagen zu Ibbenbüren. — Dem müßte ja nun das klare Bekenntnis zu Ibbenbüren durch alle unsere sozialdemokratischen Kollegen, nicht nur durch die aus Nordrhein-Westfalen, folgen. Wenn der Satz so gültig ist, müßte er auch und vor allem für Buschhaus gegolten haben,
denn auch dort ging es um die Erhaltung von Arbeitsplätzen im Kohlenbergbau in einer schwierigen Region. Bei Buschhaus hat sich aber vor einem Jahr die SPD bis auf drei Ausnahmen der Inbetriebnahme verweigert und statt dessen markige Reden zum Umweltschutz gehalten. Sie wurden verbunden mit ungerechtfertigten Beschuldigungen der Bundesregierung und des Ministerpräsidenten Albrecht. Die Frage muß heute gestellt werden: Mißt die SPD in Sachen Umweltschutz und Kohle mit zweierlei Maß? Und das tut sie.
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Gerstein
Je nachdem, ob Bergbau in Niedersachsen oder in Nordrhein-Westfalen stattfindet, je nachdem, ob Stickoxide aus Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen kommen, je nachdem, ob die Regierung von der SPD oder der CDU gestellt wird, mal ja, mal nein. So, meine Kollegen von der Sozialdemokratie, geht es nicht. Angesichts der lange bekannten Problematik des Kraftwerkes Ibbenbüren, das nun einmal von einer SPD-regierten Landesregierung genehmigt worden ist, war und ist es unaufrichtig, Buschhaus zu verdammen, die Bundesregierung wegen Unterlassungen im Umweltschutz anzuklagen und sich selbst dann als Gralshüter der Umwelt aufzuspielen. Dabei ist es letztlich diese Bundesregierung, die durch die Festlegung der Grenzwerte der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die daraus abgeleiteten Beschlüsse der Umweltministerkonferenz die Maßstäbe für die Zukunft erst gesetzt hat, die jetzt zum Ausgangspunkt der Kritik für Bauvorhaben der Vergangenheit und Gegenwart gemacht werden.
Lassen Sie mich das so zusammenfassen: wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen auf Buschhaus werfen.
Gerade angesichts der schwierigen Problematik mußte von Anfang an die Wahrheit auf den Tisch: Erhalt von Arbeitsplätzen zumindest in Einzelfall kann auch mit Umweltbelastungen verbunden sein. Solange es aber gelingt, diese Belastungen zeitlich zu begrenzen und über die Genehmigung hinaus einen Abbau dieser Belastungen entsprechend dem technischen Fortschritt durchzusetzen, können wir auch mit solchen Anlagen besser leben als ohne diese Anlagen. Daher stehen wir zu Ibbenbüren, daher stehen wir zu Buschhaus in dem sicheren Bewußtsein, daß die Weichen zu einer ständigen Umweltentlastung ebenso richtig gestellt sind wie die Weichen zur Sicherung der Arbeitsplätze.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauff.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gerstein, wir Sozialdemokraten bekennen uns zur Kohlevorrangpolitik. Jedes Kohlekraftwerk produziert Schadstoffe, im wesentlichen Schwefel und Stickoxide. Beim Schwefel sind die Probleme in Ibbenbüren gut gelöst. Das Kraftwerk wird die neuen Grenzwerte unterschreiten und die Fristen unterschreiten.
Das ist auch gut so. Beim Schadstoff Stickoxid sieht die Situation ganz anders aus. Dieses Problem ist für Ibbenbüren nicht befriedigend gelöst.
Nur muß man wissen, auf der ganzen Welt gibt es
derzeit keine erprobte Technik, die im Kraftwerk
Ibbenbüren sofort eingesetzt werden könnte, weder in Japan, wo man Erfahrungen mit öl- und gasbetriebenen Kraftwerken auf diesem Gebiet hat, noch in Europa, noch in anderen Bundesländern.
Überall wird mit Nachdruck an Lösungen gearbeitet. Aber in allen Kohlekraftwerken, mit Schmelzfeuerung jedenfalls, ist die großtechnische Lösung erst in einigen Jahren in Sicht. Das gilt für Nordrhein-Westfalen, das gilt für das Saarland, das gilt für Baden-Württemberg, und das gilt — das sage ich den verehrten Freunden des Herrn Tandler — für Bayern. Er sollte ein bißchen vorsichtig sein, sonst kommen ein paar Zahlen auf den Tisch.
Im Juni 1984 hat der Deutsche Bundestag mit Ihrer Zustimmung, mit Zustimmung aller Fraktionen zum Thema Buschhaus einen Beschluß gefaßt. Dieser Beschluß gilt im Gegensatz zu Ihnen für meine Fraktion auch heute noch.
Dieser Beschluß sagt, daß das Kraftwerk nur dann in Betrieb gehen darf, wenn eine Entschwefelungsanlage eingebaut ist, weil das bereits damals Stand der Technik war. Diese Entschwefelungsanlage ist in Ibbenbüren eingebaut. Insofern ist das Problem befriedigend gelöst.
Unter Punkt 3 der Buschhaus-Entschließung heißt es zum Thema Stickoxide wörtlich:
Spätestens ab 1988 wird nach dem Stand der Technik die NOX Stickoxid-Emission mit dem Ziel verringert, auf höchstens zweihundert Milligramm pro Kubikmeter zu kommen.
Mit anderen Worten: Wir wußten damals bei der Entscheidung über Buschhaus, die wir miteinander getroffen haben, bei dem Thema Stickoxide, daß das nicht Stand der Technik ist und daß diese Technik noch entwickelt werden muß. Aber für uns gilt auch dieser Teil der Buschhaus-Entscheidung. Um das klar zu sagen: Hier befinden wir uns in einem Gegensatz zu Ihnen. Auch dieser Teil der Buschhaus-Entscheidung gilt heute noch.
Deswegen besteht im Hinblick auf Ibbenbüren Handlungsbedarf.
Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen sagte letzte Woche: Die NOx-Emissionen sind zu hoch. RWE und Preussag werden und müssen rasch noch im ersten Halbjahr 1986 die Entscheidung über einen Katalysator treffen, der dann noch 1988 in Betrieb genommen wird. — Dieses Wort von Johannes Rau gilt, auch für den Vorstandsvorsitzenden des RWE. Seine Aussage auf der gleichen Veranstaltung lautete — ich zitiere wörtlich —:
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Dr. Hauff
Ob wir überhaupt einen Katalysator einsetzen können, vermag jedoch noch niemand zu sagen.
Das ist ein unverantwortliches Ausweichen vor den Problemen.
Der Betreiber muß wissen: Wir werden darauf bestehen, daß das Wort von Ministerpräsident Rau eingehalten wird, daß es bei den Fristen und Zahlen bleibt. Nach 1988 muß Ibbenbüren voll entstickt sein. Daran darf bei allen Beteiligten keinerlei Zweifel aufkommen. Das ist die Geschäftsgrundlage für die Inbetriebnahme.
Dann reduzieren sich die Schadstoffe von 17 000 t auf 1700 t.
Dann ist Ibbenbüren, auch was die Stickoxide angeht, in Ordnung. Dann ist dieses Problem gut gelöst.
Nur, meine Damen und Herren, dann bleibt das Problem:
Was passiert ab jetzt bis zum Jahre 1988? Wie überwinden wir diese Durststrecke? Wir erwarten, daß die auf freiwilliger Basis vereinbarten Emissionsminderungspläne in Nordrhein-Westfalen so verändert werden, daß es in diesem Zeitraum durch das Kraftwerk weder in der Region noch im Land Nordrhein-Westfalen insgesamt zu umweltpolitischen Mehrbelastungen, zu Verschlechterungen kommt. Hier sind Nachbesserungen erforderlich, z. B. durch eine flexible Handhabung des Kraftwerkparks. Dabei darf das Thema Teillast in Ibbenbüren auch kein Tabu sein.
Herr Abgeordneter, ich bitte um Entschuldigung, aber Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich darf zusammenfassen. Vizepräsident Frau Renger: Nein.
Wir fordern: Nach 1988 müssen die scharfen Grenzwerte gelten.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie um Entschuldigung, aber ich muß Sie unterbrechen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Verehrter Herr Kollege Vogel, Sie sehen mich aktiv und lebendig. Solange mir kein Vogel ins Triebwerk fliegt, werde ich selbst das überleben. Ich bleibe lebendig.
Meine Damen und Herren, es gibt Fälle, in denen sich Umweltschutz und umweltpolitische Anstrengungen beschäftigungspolitisch positiv auswirken. Es gibt aber auch Fälle — die heile Welt ist eben nicht immer zu haben —, in denen es einen Konflikt zwischen Arbeitsplätzen und Umweltschutz gibt. Mindestens entsteht ein kurzfristiger Widerstreit; Ibbenbüren ist ein solcher Fall. Wer die Inbetriebnahme des Kraftwerks ablehnt, muß die Zeche schließen, und er muß 4 500 Bergarbeiter nach Hause schicken.
Das, was der Kollege von der grünen Fraktion hier erzählt hat, ist fern jeder Realität. Es macht nur noch einmal klar: Die GRÜNEN sind die arbeitsplatz- und arbeitnehmerfeindlichste politische Gruppierung, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt.
Der Hinweis, die Inbetriebnahme von Ibbenbüren sei rechtlich unzulässig — der Kollege Schily ist nicht hier —, ist falsch. Es ist eine Ausrede. Das Kraftwerk ist eine Altanlage im Sinne der Großfeuerungsanlagen-Verordnung.
Nordrhein-Westfalen mußte diesen Betrieb genehmigen. Das Kraftwerk trägt zur Stromversorgung auf der Basis des Jahrhundertvertrages für die Steinkohle bei, den Sie nicht wollen; ich weiß das. Er sichert aber die Steinkohlenförderung. Die Bundesregierung hat das seinerzeit positiv unterstützt. Das Kraftwerk sichert die Arbeitsplätze. Deswegen sage ich: Die Entscheidung war richtig. Allerdings ist es wichtig, daß die hier schon erwähnte und besprochene Nachrüstung auf dem modernsten Stand der Umwelttechnik bei der Bekämpfung der Stickoxide vorgenommen wird. Dies ist auch Grundlage für das positive Votum der FDP-Fraktion.
Meine Damen und Herren, wir sagen hier allerdings auch deutlich, daß die Sozialdemokraten bei ihrer Haltung von ihrer eigenen kurzatmigen Taktik eingeholt werden.
Tempolimitgeschrei, meine Damen und Herren, und gleichzeitig zulassen, daß die Hälfte dessen, was mit dem Tempolimit überhaupt eingespart werden könnte, von einem Kraftwerk ausgestoßen wird, das ist nicht auf einen Nenner zu bringen. Und Buschhaus ist natürlich ebensowenig auf einen
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Dr. Graf Lambsdorff
Nenner zu bringen, Herr Hauff. Genau das Argument, das für Ibbenbüren bei den Stickoxiden gilt, galt für die Entschwefelung der Salzkohle in Buschhaus.
Ihnen sind die niedersächsischen Arbeitsplätze offensichtlich weniger wert als die nordrhein-westfälischen. Und damals gab es dort auch keine Wahlen. Das ist der Punkt.
Abgesehen von einigen bemerkenswerten Entscheidungen des Kollegen Adolf Schmidt und zweier anderer Kollegen der SPD-Fraktion haben Sie damals gnadenlos gegen die Arbeitsplätze in Niedersachsen, in Braunschweig und Helmstedt, gestimmt.
Wir sagen mit aller Deutlichkeit, auch wenn es Ihnen vielleicht bemerkenswert und verwunderlich erscheint: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hat eine unvermeidliche, aber richtige Entscheidung getroffen. Er muß allerdings die Nachrüstung dieses Kraftwerkes sicherstellen.
Allerdings hat die Entscheidung klargemacht, meine Damen und Herren: Über den Wolken schwebend erreicht der Kanzlerkandidat zur Anstellung, Johannes Rau, das Jahr 1987 nicht.
Und kaum entscheidet er einmal — und er entscheidet doch so selten —, dann windet sich die SPD in Schlangenlinien, und aus ihren Freudentänzen über den pflegeleichten Kandidaten werden Eiertänze.
Johannes Rau, der entschlossene Kohleförderer und gleichzeitig entschlossene Umweltschützer, der großmütige und großzügige Sozialpolitiker und gleichzeitig finanziell sorgfältige Hausvater, also das Motto: Johannes Rau, für jeden wohlgefällig, diese SPD-Mogelpackung nehmen wir Ihnen nicht ab, werden Ihnen auch die Wähler nicht abnehmen. Buschhaus, Tempolimit und Ibbenbüren, das ist ein Beispiel für Doppelzüngigkeit, Irreführung, Wählertäuschung. Andere werden noch kommen. Und wir werden Sie damit nicht davonkommen lassen.
Das Wort hat der Minister des Landes Nordrhein-Westfalen, Einert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor vier Monaten wurde das neue Kohlekraftwerk Ibbenbüren in Betrieb genommen, eine Tatsache, die von den Bürgern und von allen politische Verantwortung in dieser Region Tragenden einhellig begrüßt worden ist.
Erst die offizielle Einweihung vor wenigen Tagen war Anlaß zu in der Sache völlig ungerechtfertigten Angriffen. Die Tatsachen sehen anders aus.
In Ibbenbüren ist der Stand der Technik bei der der Rauchgasentschwefelung ohne Abstriche durchgesetzt worden.
So ist das Kraftwerk Ibbenbüren bereits mit einer Rauchgasentschwefelungsanlage in Betrieb gegangen, die in den Jahren 1986 und 1987 noch optimiert werden wird,
und dann fast ein Jahr früher, als nach der Großfeuerungsanlagenverordnung vorgeschrieben, den ab 1. Juli 1988 geltenden Grenzwert
— Sie müssen hier doch davon ausgehen, was Sie als Bundesgesetzgeber selber beschlossen haben,
und hier nicht rummosern, wenn jemand die Fristen, die Sie selber gesetzt haben, früher erfüllt —
mit weniger als 400 mg pro Kubikmeter Abgasluft unterschreitet. Dadurch vermindern sich die Schwefelemissionen des Kraftwerks Ibbenbüren um zwei Drittel und das bei einer Verdreifachung der Stromproduktion.
Das zeigt: Während des Genehmigungsverfahrens, das seit 1974 in mehreren Stufen läuft und dem weitere Nachträge folgen werden, hat die nordrhein-westfälische Landesregierung die Anforderungen entsprechend dem sich rasant entwickelnden Stand der Technik bei der Rauchgasreinigung ständig verschärft. Schon dadurch wird deutlich, daß der Vergleich mit einem anderen Kraftwerk, das vor Jahresfrist in Betrieb gegangen ist, nicht zutrifft.
Bei der Buschhaus-Debatte im vergangenen Jahr im Deutschen Bundestag ist mit Zustimmung aus allen Fraktionen, auch derer, die heute diesen komischen Antrag gestellt haben, in einer Entschließung u. a. gefordert worden, jenes Kraftwerk, nämlich Buschhaus, erst nach Einbau einer Rauchgasentschwefelungsanlage in Betrieb zu nehmen und — nun hören Sie gut zu, mein Kollege Hauff hat bereits darauf hingewiesen —
spätestens ab 1988 nach dem Stand der Technik die
NOx-Emissionen mit dem Ziel 200 mg zu verrin-
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Minister Einert
gern. Dieser einhelligen Forderung des Deutschen Bundestages ist bei Buschhaus nicht entsprochen worden. Ibbenbüren aber erfüllt sie bei SO2 schon heute
und bei NO, nach unserem Emissionsminderungsplan spätestens bis Ende 1988.
Da haben Sie den Unterschied zu Buschhaus. Dann reden Sie nicht an der Sache vorbei, sondern dann geben Sie auch einmal offen zu, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen Buschhaus und Ibbenbüren besteht!
— Das Verkünden von Unwahrheiten macht sie auch bei ständiger Wiederholung nicht wahr. Sie diskutieren nach der Methode: Wenn die Tatsachen nicht mit meiner Meinung übereinstimmen — schade für die Tatsachen.
Zweiter Punkt. Die Umweltminister haben in ihrem Beschluß vom April 1984 die Einhaltung dieses Grenzwertes für Altanlagen „zum frühestmöglichen Zeitpunkt" gefordert. Dabei gingen Sie davon aus, daß 200 Milligramm NO, bei Kohlefeuerung mit trockenem Ascheabzug Stand der Technik seien. „Lediglich bei Schmelzkammerfeuerung", so heißt es in dem Bericht — Ibbenbüren verfügt über eine solche —, „wird in Baden-Württemberg noch die Notwendigkeit gesehen, eine Demonstrationsanlage zu bauen.
Die endgültigen Ergebnisse werden 1987 erwartet. Anschließend sollen dann die Altanlagen umgerüstet werden, spätestens bis 1990." So weit einstimmig die Umweltministerkonferenz.
Ich verstehe Ihre Aufgeregtheiten überhaupt nicht. Wir haben überall in der Bundesrepublik bei der NOx-Minderung technische Probleme bis 1988, in allen Ländern, bei allen Kraftwerken.
Das gilt nicht nur für Nordrhein-Westfalen. Versuchsanlagen sind im Bau.
Auch bei Ibbenbüren, für das nach dem damaligen Stand der Technik trotz 1980 genehmigter 2500 mg durch Primärmaßnahmen bei Inbetriebnahme bereits eine Absenkung auf 1500 bis 1800 mg zu verzeichnen ist, ist die Machbarkeitsstudie für eine DENOX-Anlage durchgeführt. Die planerischen Ansätze müssen noch mit den zur Zeit laufenden Versuchsreihen bei anderen Kraftwerken abgeglichen werden, da japanische Erfahrungen mit Katalysatoren bei Schmelzkammerfeuerung — Ibbenbüren ist die größte der Welt — nicht vorliegen.
Die Landesregierung kann davon ausgehen, daß RWE und Preussag die Bauentscheide noch im ersten Halbjahr 1986 treffen werden, damit die Anlage 1988 in Betrieb gehen kann. Ich verweise noch einmal ausdrücklich darauf, daß wir gestern in einem Gespräch zwischen Landesregierung und Vorstand RWE den Tatbestand noch einmal geklärt haben,
nachdem durch die Formulierung des Vorstandsmitglieds bei der Eröffnung des Kraftwerks eine unterschiedliche Deutung möglich geworden ist. Ich füge das ausdrücklich hinzu. In diesem Gespräch — schriftlich vereinbart und fixiert — hat RWE noch einmal verbindlich zugesagt, nicht nur die Entstikkungsanlage zu bauen — was nach geltendem Recht zwingend ist —, sondern sich auch intensiv zu bemühen, den Planungszeitraum von 1988/89, der ursprünglich vorgesehen war, auf 1987/88 vorzuziehen.
— Wo redet denn jemand in Buschhaus von Entstickungsanlage? Sagen Sie mir das doch einmal!
Herr Gerstein, Sie sollten es eigentlich besser wissen.
Außerdem wurde zugesagt, in der Zwischenzeit das neue Kraftwerk im Jahre 1986 nur mit 80 % Leistung zu fahren, was die Emissionen um 25 % NO, also von 17 000 auf 13 000 t absenkt, und den alten Block in der Umweltbelastung unter 2000 Stunden mit einer 60 %igen Abgasminderung zu fahren.
Damit ist festzustellen, daß bei Ibbenbüren alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, möglichst frühzeitig und über rechtliche Vorschriften hinaus den Stand der Technik voranzubringen, um größtmögliche Emissionsminderung zu erreichen.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat bereits 1984 mit der öffentlichen Kraftwirtschaft einen vorbildlichen Emissionsminderungsplan vereinbart. In diesem haben sich die Betreiber von 71 Kraftwerken in Nordrhein-Westfalen verpflichtet, diese Anlagen früher und wirksamer umzurüsten, als es die Großfeuerungsanlagen-Verordnung vorsieht.
Wir gehen davon aus, daß die S02-Emissionen aus Kohlekraftwerken in Nordrhein-Westfalen bis Ende 1987 um rund ein Viertel, bis 1988 — Termin der Großfeuerungsanlagen-Verordnung — um rund zwei Drittel und bis 1989 um drei Viertel zurückge-
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Minister Einert
hen werden. Entsprechendes gilt für Stickoxide, die bis 1990 um fast drei Viertel reduziert werden.
Ich stelle fest: Erstens. Nordrhein-Westfalen erfüllt die Grundsätze der Emissionsminderung in den Bereichen SO2 und NOS, die durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung festgelegt wurde, in Grenzwerten und Zeitvorstellungen.
Zweitens. Nordrhein-Westfalen erfüllt die Grundsätze der Emissionsminderung in den Bereichen SO2 und NOx, die durch den Beschluß der Umweltministerkonferenz festgelegt wurden, in Grenzwerten und Zeitvorstellungen.
Drittens. Nordrhein-Westfalen erfüllt die Grundsätze der Emmissionsminderung in den Bereichen Sog und NOx gemäß dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom vorigen Jahr zu Buschhaus in Grenzwerten und Zeitvorstellungen.
Insoweit könnten sich viele an Nordrhein-Westfalen ein Beispiel nehmen.
Meine Damen und Herren. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der vergangenen Woche hat der nordrhein-westfälische Ministerpräsident offiziell und persönlich das Kohlekraftwerk Ibbenbüren in Betrieb gesetzt. Ich stelle hierzu fest: Das Kraftwerk Ibbenbüren ist eine Altanlage im Sinne der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Die Inbetriebnahme ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie fällt ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.
Bei der heutigen Diskussion um Ibbenbüren geht es aber überhaupt nicht um die rechtliche Bewertung; zur Debatte steht vielmehr die umweltpolitische Unglaubwürdigkeit der SPD.
Widersprüchlicher als zur Zeit von der SPD kann die umweltpolitische Auseinandersetzung wohl nicht mehr geführt werden.
Wenn die SPD nicht in der Regierungsverantwortung steht, will sie bei umweltpolitischen Forderungen die GRÜNEN noch überbieten. Hat sie aber
Regierungsverantwortung, dann wendet sie völlig andere Maßstäbe an.
Da stellt sie den Totenschein auf den deutschen Wald aus, wenn nicht sofort ein Tempolimit eingeführt wird. Herr Hauff und Herr Schäfer, Sie haben das wiederholt getan.
Gleichzeitg wird das Kohlekraftwerk Ibbenbüren in Betrieb gesetzt, ein Kraftwerk, das bei normalem Lauf 17 000 t Stickoxid im Jahr in die Luft bläst. Wird dieses Kraftwerk im Grundlastbereich eingesetzt, so sind die Stickoxidemissionen sogar fast doppelt so hoch: über 30 000 t.
Zum Vergleich: Bei einem Tempolimit auf den Autobahnen würden 32 000 t im Jahr eingespart.
Meine Damen und Herren, es ist doch völlig unglaubwürdig, wenn Sie von der SPD die Forderung nach einem Tempolimit ständig wiederholen und gleichzeitig Ibbenbüren in Betrieb gehen lassen.
Sie von der SPD rechtfertigen Ihre Entscheidung mit der Sicherung von Arbeitsplätzen. Es ist richtig: Das Steinkohlekraftwerk Ibbenbüren wurde vor allem deshalb gebaut, um den Bergleuten im Münsterland die Arbeitsplätze zu erhalten. Dies ist zu begrüßen.
Zu verurteilen ist jedoch die Doppelzüngigkeit der SPD. Wo bleiben eigentlich Ihre Sorgen um die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie bei der Forderung nach einem Tempolimit?
Wo waren Ihre Sorgen um die Arbeitsplätze im Helmstedter Raum, als es vor einem Jahr um das Kraftwerk Buschhaus ging?
Ich kann Ihnen nur empfehlen, die Debattenbeiträge vom 31. Juli 1984 nachzulesen. Auch Herr Einert hätte sich heute hier sehr gut daran orientieren können.
Buschhaus ist mit Ibbenbüren zu vergleichen, aber mit zwei entscheidenden Unterschieden. Die SPD hat Buschhaus bis aufs Messer bekämpft. Die Vernichtung von Arbeitsplätzen im Helmstedter Raum war für sie damals kein Thema.
Heute will sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident als Retter von 4 500 Arbeitsplätzen in Ibbenbüren feiern lassen und erscheint persönlich zur Inbetriebnahme.
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P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Beides ist möglich, die Erhaltung von Arbeitsplätzen und der verbesserte Schutz unserer Umwelt. Beides ist möglich. Das hat der niedersächsische Ministerpräsident mit Unterstützung der Bundesregierung im letzten Jahr durch verantwortungsvolles Verhalten bei Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus deutlich unter Beweis gestellt.
Der zweite Unterschied: Bevor das hochmoderne Braunkohlekraftwerk Buschhaus in Betrieb gehen durfte, wurde eine Reihe von Kompensationsmaßnahmen getroffen. Diese Maßnahmen führten dazu, daß bei der Inbetriebnahme von Buschhaus die Luft im Helmstedter Raum ab sofort um 25 000 t Schwefeldioxid im Jahr entlastet wird, ich wiederhole: entlastet wird. Gleichzeitig wurden dadurch die für den strukturschwachen Helmstedter Raum besonders wichtigen Arbeitsplätze erhalten. Durch die Inbetriebnahme von Ibbenbüren hingegen wird die Luft mit Tausenden von Tonnen SO2 und NOx zusätzlich belastet.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich weiß, daß Sie die Frage stellen: Warum sind ähnliche Maßnahmen nicht auch in Ibbenbüren möglich? Es reicht aber nicht aus, Herr Kollege Hauff, nur Fragen zu stellen. Ihre Partei stellt in Nordrhein-Westfalen die Regierung; sie muß ihre Regierungsverantwortung auch wahrnehmen. Wenn in Nordrhein-Westfalen nicht das gleiche möglich ist wie in Niedersachsen, dann liegt das nicht an irgendwelchen Naturgesetzen, sondern an der dortigen Landesregierung.
Von der SPD werden umfangreiche Programme geschrieben und der Eindruck erweckt, als könne man Patentrezepte für Arbeit und Umwelt aus der Tasche zaubern. Sobald aber die SPD in der Regierungsverantwortung Entscheidungen vor Ort zu treffen hat, spielt sie plötzlich wieder den Erhalt von Arbeitsplätzen gegen den Umweltschutz aus.
Ich bedauere die heutige Auseinandersetzung; denn sie schadet dem Umweltschutz. Sie schadet dem Umweltschutz vor allem deshalb, weil sie den Anschein erweckt, als stünden Ökonomie und Ökologie, als stünden besserer Umweltschutz und mehr Arbeitsplätze im Gegensatz zueinander. Wer näher hinschaut, wird schnell feststellen, das dies nicht stimmt. Die Bundesregierung läßt es nicht zu, daß der Umweltschutz gegen die Sicherung von Arbeitsplätzen ausgespielt wird. Wir schaffen im Gegensatz zur SPD beides: mehr Arbeit und besseren Umweltschutz.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Becker .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei
Dinge sind, glaube ich, überraschend. Ich habe ei' gentlich gar nicht verstanden, welche Aufforderung der Vertreter der Bundesregierung an die Landesregierung Nordrhein-Westfalen gerichtet hat;
die Landesregierung hat gehandelt.
Eine zweite Bemerkung habe ich auch nicht verstanden. Das war die Bemerkung von Herrn Gerstein, der sich erst einmal mit den GRÜNEN verbündet und hinterher gesagt hat: Aber Arbeitsplätze müssen doch sicher sein. Dies schließt sich aus. So, wie Sie das hier vorgetragen haben, ist das nicht zu machen; entweder — oder.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte in meinem Beitrag etwa ganz anders darstellen, nämlich die Region, in der dieses Steinkohlekraftwerk Ibbenbüren liegt. Bei der Diskussion um dieses Kraftwerk wird dies nämlich häufig völlig außer acht gelassen. Der Kreis Steinfurt, in dem dieses Kohlekraftwerk errichtet worden ist, hat eine Fläche von 1 800 qkm; das sind etwa zwei Drittel des Saarlands. Es handelt sich um etwa 380 000 Menschen, die in diesem Bereich wohnen, und es ist eine der geburtenstärksten Regionen der Bundesrepublik. Die Bevölkerungszunahme betrug in diesem Raum von 1960 bis 1982 25 %. In dieser Region werden 52 % der Arbeitnehmer in der Textilindustrie beschäftigt; das sind rund 20 000 Arbeitsplätze. 23 % der Arbeitsplätze liegen im Investitionsgüterbereich. Die Beschäftigungseinbrüche in der Textilindustrie in den 70er Jahren haben zum Verlust von 23 000 Arbeitsplätzen geführt. Dazu kommt durch Rationalisierungsmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn in der Nähe von Ibbenbüren der Verlust von 2 500 Arbeitsplätzen. In dem an sich ländlichen Raum sind nur noch 1 500 Beschäftigte in der Landwirtschaft zu registrieren. Der Bergbau hat 5 000 Arbeitsplätze; das sind rund 12 % der Arbeitnehmerplätze. Die Existenz weiterer 10 000 Familien hängt vom Bergbau ab.
Diese Situation führte dazu, daß Anfang der 70er Jahre mit einer großen Kraftanstrengung alle Verantwortlichen die Schließung der Zeche Ibbenbüren verhinderten. Land und Bund haben damals zusammen 90 Millionen DM ausgegeben. Diese 60 Millionen DM Bundesmittel und 30 Millionen DM Landesmittel werden jetzt zurückgezahlt. Das war damals eine Verpflichtung, die die Sozialdemokraten mit in die Debatte eingebracht haben.
Anfang 1974 wurden auf politischen Druck hin RWE und Preussag veranlaßt, das Kohlekraftwerk Ibbenbüren am Standort Ibbenbüren zu bauen, um den Absatz der Kohle zu sichern. Bei einer Fördermenge von 2,3 Millionen t wird rund 1 Million t für
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Becker
das Kraftwerk benötigt. In Ibbenbüren wird seit drei Jahren Kohle auf Halde gelegt. Dort liegen inzwischen logischerweise 3 Millionen t.
Es darf nicht unbeachtet bleiben, daß die Arbeitslosenquote im Kreis Steinfurt über dem Durchschnitt liegt. Sie ist, wie im Bundesgebiet gestern überall bekannt geworden ist, auch in Steinfurt wieder gestiegen. Rund 15 000 Menschen sind arbeitslos.
Lediglich 9 000 erhalten Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenhilfe.
Nun will ich Ihnen noch etwas sagen. Der Rat der Stadt Ibbenbüren — da haben Sie nämlich eine kleine Fraktion — hat einstimmig — mit Ihren Stimmen! — die Inbetriebnahme des Kraftwerkes vorgestern begrüßt.
Buschhaus ist ein Problem. Das wissen wir. Ibbenbüren ist ein völlig anderes Problem. Das ist hier dargestellt worden.
Es wird hier noch näher beleuchtet werden.
Sie können sich darauf verlassen — das ist mein letzter Satz —: Hinter dem größten Schmelzkammerkessel der Welt in Ibbenbüren gibt es die modernste Entstickungsanlage der Welt.
Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist zwar von den Grünen beantragt worden; aber auch unsere Fraktion hätte den Antrag stellen können, wenn auch mit anderer politischer Zielsetzung.
Denn was hier heute als politischer Skandal und als parteipolitische Groteske an den Pranger gestellt werden muß, ist die unglaubliche umweltpolitische Doppelzüngigkeit, mit der sich die SPD und ihr Kanzlerkandidat wieder einmal in Szene gesetzt haben.
Es geht deshalb heute gar nicht so sehr um den wirklich schlimmen umweltpolitischen Schadstoff NOR, von dem durch einen Schornstein in Eiffelturmhöhe etwa 17 000 t Stickoxide pro Jahr von Ibbenbüren aus in ferne Lande verfrachtet werden, sondern es geht hier heute ganz konkret um die immer wieder zur Schau gestellte umweltpolitische Selbstgerechtigkeit, mit der die SPD schon seit Jahren unser politisches Klima vergiftet.
Es geht um die umweltpolitische Glaubwürdigkeit der SPD,
von der inzwischen sogar Parteifreunde sagen, daß ihrem Kanzlerkandidaten — hören Sie gut zu; ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung" vom 2. Dezember — „bei seinem Einsatz für das Kraftwerk Ibbenbüren sämtliche Sensoren abhanden gekommen" sein müssen.
— Herr Kollege Vogel, das ist doch Ihre Haus- und Hofzeitung, die so etwas schreibt.
— Dann hat sie also recht?
— Danke schön, daß Sie mir recht geben, Herr Vogel!
Was hat sich Johannes Rau eigentlich gedacht, als er die Ibbenbürener Stromfabrik vor einigen Tagen sozusagen als Paradebeispiel für den nordrhein-westfälischen Weg von Arbeitsplatzsicherung und Umweltschutz feierte?
Hat er etwa vergessen, was uns sein Parteifreund Vogel — der erfreulicherweise im Gegensatz zu Herrn Rau hier ist — am 31. Juli 1984
in der Buschhaus-Debatte des Deutschen Bundestages beschwörend zugerufen hatte, daß es — ich zitiere — „auf diesem Gebiet eine Minute vor zwölf ist und wir unverzüglich mit der Natur Frieden schließen müssen"?
Herr Vogel, seitdem sind 5000 Minuten vergangen, aber Sie haben nicht Frieden geschlossen.
Merkt Johannes Rau nicht, wie er mit dieser Ibbenbürener Lobpreisung der Kohlevorrangpolitik dem niedersächsischen SPD-Kandidaten Schröder geradezu in den Rücken fiel, der für die SPD seit Jahr und Tag kategorisch erklärt: „Buschhaus wäre mit uns nicht möglich gewesen."
War sich Johannes Rau bei seinem markigen Auftritt in Ibbenbüren eigentlich darüber im klaren, daß allein durch dieses Kraftwerk nahezu sämtliche Einsparungen an Stickoxiden, die durch ein
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Engelsberger
bundesweites Tempolimit zu erreichen wären, aufgewogen werden?
Hat da nicht jener Kommentator in der „Welt" recht, der unter der Überschrift „Fortschritt à la Rau" so treffend formulierte:
Die groß aufgezogene Kampagne der SPD für Geschwindigkeitsbegrenzungen entpuppte sich im nachhinein als umweltpolitisches Maulheldentum, mit dem sich die Partei über den gesunden Menschverstand der Bürger lustig macht.
Nein, meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten sich und der deutschen Öffentlichkeit endlich einmal glaubwürdig und verbindlich Rechenschaft darüber ablegen,
was Sie energiepolitisch und umweltpolitisch nun tatsächlich für notwendig und für vernünftig halten und was nicht. Was nützt denn Ihre ganz Phraseologie über die Versöhnung von Arbeit und Umwelt, wenn diese Politik im Ergebnis nicht nur unglaubwürdig und unberechenbar ist, sondern wenn diese Politik in zunehmendem Maße
auch finanziell und umweltpolitisch zu einer unerträglichen Belastung wird?
Sagen Sie uns doch bitte endlich klipp und klar, was Sie unter Kohlevorrangpolitik verstehen.
Herr Hauff, Sie haben das heute in der Debatte wieder betont. Ist dies lediglich ein Synonym für Anti-Kernkraftpolitik? Warum gibt es in Nordrhein-Westfalen kein Kernkraftwerk für die Grundlast, damit der Strompreis im Mittellastbereich für den Kohlestrom erträglich wäre?
Oder heißt Kohlevorrangpolitik, wie sie offenbar der Ministerpräsident Rau versteht, Vorrang der Kohle ohne Wenn und Aber?
Nein, meine Damen und Herren, wer so leichtfertig daherredet, der verrät nicht nur einen peinlichen Mangel an umweltpolitischer Sensibilität, sondern entpuppt sich einmal mehr als politisches Leichtgewicht.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um.
Der letzte Satz, Frau Präsident!
Nein, das war schon der letzte Satz.
Wie sagte doch kürzlich Franz Josef Strauß anläßlich anderer politischer Ungereimtheiten des Kanzlerkandidaten Rau so treffend: Gewogen und zu leicht befunden. — Dem ist nichts hinzuzufügen.
Jetzt hat der Abgeordnete Stahl das Wort.
Stahl [SPD]: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde, die die Fraktion der GRÜNEN zu Ibbenbüren beantragt hat, ist eigentlich überflüssig,
da der Vergleich der Inbetriebnahme der Kraftwerke Ibbenbüren und Buschhaus sachlich nicht gerechtfertigt ist.
Das weiß Herr Spranger, und das weiß Herr Lambsdorff genauso.
Meine Damen und Herren, jetzt vor allem eine Adresse an die GRÜNEN: Seit Anfang der 70er Jahre wurden durch die Energieforschungsprogramme, da damals das SO2 besonders relevant war, verschiedene Verfahren und Komponenten zur Rauchgasentschwefelung gefördert. Damit sollte die Möglichkeit gegeben werden, durch Forschung und Entwicklung von neuen Technologien im Kraftwerksbereich den Einsatz von Steinkohle sowie Braunkohle umweltfreundlich vor allem langfristig zu sichern. Herr Gerstein, darüber waren wir uns alle einig, nur stellen Sie das hier heute anders hin.
Lassen Sie, vor allem Sie, verehrte Kollegen von den GRÜNEN, mich einige Verfahren nennen; denn ich habe den Eindruck, daß Sie von den Techniken überhaupt nichts verstehen.
Ich nenne nur Saarberg-Hölter-Verfahren, Bischoff-Verfahren, Grillo-Verfahren, Walter-Verfahren und verweise auf die Entwicklungen bei Lurgi und der Bergbauforschung. Es könnte hier noch einiges ergänzt werden.
Die meisten dieser Verfahren sind erfolgreich abgeschlossen und stehen heute mit Marktreife der Kraftwerkswirtschaft zur Verfügung.
Die Umrüstung der Altanlagen ist auf Grund dieser Techniken in Bewegung gesetzt. Hier sind Aufträge in Milliardenhöhe für den SO2-Bereich, sage ich ausdrücklich, in Bewegung gesetzt. Das Investitionsvolumen ist beträchtlich. Es ist schon seltsam, daß dazu heute von seiten der Regierungsparteien und vom Regierungsvertreter nichts gesagt wird.
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Stahl
Bezogen auf den Massenschadstoff SO2, der zu Beginn der 80er Jahre erst richtig ins Blickfeld kam — bei den GRÜNEN steht im Bundesprogramm 1981/82 über Waldsterben nicht ein Wort — —
Wir haben im Bereich der Feuerungstechnik der Kraftwerke selbst auf Grund der damaligen Maßnahmen und der noch lückenhaften Erkenntnisse eine ganze Menge von Projekten gefördert. Ich nenne hier nur den Stufenbrenner, die Zuschlagtechnik und einiges mehr.
Durch diese Maßnahmen kann der Ausstoß von NOx im Kraftwerke schon vermindert werden. Und vergessen Sie nicht, daß die Schadstoffabgaben damals bei 2000 Milligramm lagen, während Buschhaus — Herr Gerstein, Sie müssen ehrlich sein — bei 10 000 bis 12 000 Milligramm liegt; dies nur zum Vergleich. Daneben wurden bzw. werden heute simultane Schwefeldioxid- und Stickstoffbindungsanlagen und -technologien gefördert. Ich nenne hier das Walter-Verfahren, das Verfahren der Bergbauforschung, das Resonax-Verfahren sowie die Verbesserung der Festbett-Katalysatoren nach dem japanischen SCR-Verfahren. Hier geht es darum, neue Stoffe für die Katalysatoren zu erproben sowie die Standzeiten der Katalysatoren zu testen. Denn davon hängt es letztendlich ab, ob eine derartige Großtechnologie im Betriebsablauf langfristig, sicher und preiswert eingesetzt werden kann; und Betriebserfahrung müssen wir haben.
Die Erprobung weiterer Forschung bei den hier aufgeführten Technologien für den NOx-Bereich steht derzeit in einer ganzen Reihe von Kleinanlagen an. Allein für die Forschung in diesen Bereichen, die ich angeführt habe — SO2 und NOx, wurden rund 450 Millionen DM an öffentlichen Forschungsmitteln ausgegeben.
Die Änderung der Emissionswerte der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die 1981/82 anberaten und 1983 verabschiedet wurde, brachte eine ganze Menge Bewegung in den Bereich der Umsetzung von neuen umweltfreundlichen Techniken. Herr Lambsdorff, ich wundere mich, daß Sie hier heute so eine einseitige Rede gehalten haben; denn Sie saßen j a damals auch am Kabinettstisch.
Wir haben zwei Demonstrationsanlagen, die im Bau sind: im Kraftwerk Altbach der Neckarwerke mit 460 MWe mit einer Trockenfeuerung sowie bei der VEBA mit 345 MWe mit einer Schmelzkammerfeuerung.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Diese Anlagen gehen 1986 in Betrieb. Lassen Sie mich abschließen — —
Nein, es tut mir furchtbar leid, Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Meine Herren, das Kraftwerk Ibbenbüren ist mit Buschhaus selbst bei großzügiger Betrachtung der Schadstoffabgaben nicht vergleichbar.
Das sollten Sie wirklich zur Kenntnis nehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit der Diskussion um das Kraftwerk Ibbenbüren ist die ganze Umweltpolitik der SPD als wahltaktisches Feuerwerk entlarvt. Läge dieses Kraftwerk in Niedersachsen — wie Buschhaus z. B. — oder in einem anderen CDU/CSU-regierten Land — das Geschrei der SPD wäre groß, und die SPD könnte ihre utopisch-schöne umweltpolitische Maske weiter vor sich hertragen.
Doch nun — welche Ironie — hat der Traumprinz selber dem Märchen ein Ende bereitet.
— Ich schreibe meine Reden im Unterschied zu Ihnen selber. — Die ihm zugedachte Rolle gefiel ihm nicht. So spielte er — unabhängig vom Drehbuch — seinen Part, und dabei darf er nicht einmal lachen. In der Tat, ein schönes Theater, aber das Stück, das die SPD anbietet,
eignet sich möglicherweise als absurdes Theater, möglicherweise auch als Trauerspiel, nicht aber für die politische Bühne der Bundesrepublik Deutschland.
Dies ist, wie der Presse zu entnehmen war, auch der SPD klar. Denn das Wehklagen der Genossen ist groß. Ich darf aus einem Zeitungsartikel — stellvertretend für viele — zitieren: „Was tut Johannes sich und uns nur an?" klagte ein SPD-Genosse.
Die Aufregung der SPD ist verständlich. Ist uns doch allen wohlbekannt, wie Sie gegen das Kraftwerk Buschhaus im Sommer zu Felde gezogen sind. Kaum ein Jahr ist es her, daß in einer Sondersit-
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Schmidbauer
zung des Deutschen Bundestages die SPD vollmundig — wie der Fraktionsvorsitzende, Herr Kollege Vogel, damals sagte — Glaubwürdigkeit in der Umweltpolitik gefordert hat. Nun, was ist von dieser doppelbödigen Politik zu halten, im übrigen personifiziert durch Jo Leinen? Wenn ich daran erinnern darf: Tempolimit 100 fordern und mit 88 km/h durch Völklingen gebraust. Er meinte wohl 100 km/h auf allen Straßen in der Bundesrepublik Deutschland.
Die SPD beantwortet die Frage nach der Glaubwürdigkeit so — ich darf zitieren —: „Eine Katastrophe für unsere Glaubwürdigkeit" stöhnte ein hoher SPD-Mann im Vorstand. So in der Presse zu lesen. Sie müssen das ja wissen. So ist es in der Tat. Steine, die Sie losgetreten haben, treffen Sie nun selbst.
Wo sind eigentlich die Strategen des Sommers 1984? Ich höre hier keinen. Es wäre auch schlimm; denn sie müßten in der Tat schwere Klimmzüge vollziehen.
Die SPD wäre gut beraten — das zeigt sich auch heute deutlich —, wenn sie die konsequente, verläßliche und langfristig angelegte Umweltpolitik der Bundesregierung unterstützen würde.
Die von uns verabschiedete Großfeuerungsanlagen-Verordnung regelt in Buschhaus und Ibbenbüren das Verfahren einer weitergehenden Emissionsminderung. Die Informationen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 28. November 1985 unterstreichen das sehr deutlich. Auch der Kollege Einert hat sich so eingelassen.
Offensichtlich wird unsere vorausschauende Umweltpolitik auch vom Spitzenkandidaten der SPD, Johannes Rau, als solche anerkannt und in seinem Bundesland verfolgt. Das erfreut uns um so mehr, da er offenbar ein neuer Jünger unserer Umweltpolitik ist; denn vor kaum einem Jahr konnte Johannes Rau seine Einsicht im Falle Buschhaus öffentlich noch nicht kundtun. Sonst hätte er sich damals sicher vor den Vorsitzenden der Bergarbeitergewerkschaft, unseren Kollegen Schmidt, gestellt und ihn wohl auch gegen die Angriffe verteidigt.
Aus all diesen Gründen kommt auch die „Rheinische Post" vom 30. November 1985 unter der Überschrift „Doppelbödig" zu dem Ergebnis — ich zitiere —: „Aber für Rau und die SPD ist die Doppelbödigkeit, mit der gegen Buschhaus und für Ibbenbüren argumentiert wird, ein weiterer Minuspunkt."
Nun bleibt abzuwarten und festzustellen, wer hinter Johannes Rau steht. Heute haben wir dazu von Ihnen leider nichts gehört. Der Bürger hat ein Recht darauf, das zu erfahren; denn schließlich kann Umweltpolitik effektiv und erfolgreich nur sein, wenn Stetigkeit und Berechenbarkeit zu ihren Grundlagen gehören.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Umweltschutz und Arbeitsplätze sind keine Gegensätze, es sei denn,
Umweltschutz wird mißverstanden als Verzicht auf moderne Technologie.
Das heißt für Ibbenbüren: Ein Teil der Rauchgasreinigung, die Entstickung, kann nur dann großtechnisch erprobt werden, wenn das Kraftwerk in Betrieb ist. Die Entstickung der Kohle in dieser Größenordnung ist nicht Stand der Technik. Für Ibbenbüren heißt das: Die Entstickung kann erst Stand der Technik werden, wenn sie großtechnisch im laufenden Kraftwerksbetrieb erprobt wird.
Das wird mit der rheinischen Braunkohle genauso gemacht. Anders geht es nicht.
Was heißt sinnvolles wirtschaftliches und arbeitsmarktpolitisches Handeln? Das heißt der Kohle den Absatz sichern, in Ibbenbüren mindestens 15 000 Menschen den Lebensunterhalt sichern,
mit dieser Technologie weltweit führend sein und Exportchancen sichern. Das steht im Einklang mit sinnvollem umweltpolitischen Handeln, nämlich im laufenden Kraftwerksbetrieb so schnell wie überall sonst in der Republik auch die geeignete Entstikkungstechnologie herauszufinden und 1988 anzuwenden.
Tatsache ist: Die Entstickung dieser Kohle kann nirgendwo auf der Welt abgeguckt werden, weil es sie nirgendwo anders gibt. Ich wiederhole: Auch und gerade in Ibbenbüren sind Arbeit und Umwelt kein Gegensatz, kein Widerspruch, auch wenn das im ersten Augenblick so erscheint. Wir sind froh, daß es dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen auch in Ibbenbüren gelungen ist, eine Klammer um den scheinbaren Widerspruch zwischen Arbeit und Umwelt zu setzen.
Wie hätte die Alternative ausgesehen? Das Kraftwerk bleibt kalt. Es gibt keine großtechnische Versuchsreihe für Entstickung niederflüchtiger Kohle.
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Lennartz
5 000 Menschen stehen auf der Straße. Die Immissionen werden nicht gesenkt,
weil alte Kraftwerke weiter blasen. Dann wird Atomstrom eingesetzt, möglichst aus Frankreich, oder gar kein Strom,
oder jeder bläst sein eigenes grünes Windkraftwerk Ihrerseits.
Das sind Ihre Visionen.
Herr Kollege, wenn Sie hier von Arbeitsplätzen sprechen: Bei vier Millionen Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland sind Arbeitsplätze für uns Sozialdemokraten immer ein Argument,
immer, wenn wir politisch denken und handeln.
Das unterscheidet uns sehr deutlich von Ihnen.
Meine Damen und Herren, die Realität sieht Gott sei Dank anders aus. Sie haben heute morgen schon mehrfach gehört, daß die Stickoxidemissionen in Nordrhein-Westfalen rasch und deutlich sinken.
Ich verweise auf die Aussagen des Herrn Minister Einert. Ende 1988/89 werden es weniger als 70 % sein.
Es gibt eine weitere Realität. Auch nach der Inbetriebnahme des Kraftwerksblockes Ibbenbüren gibt es keine Defizite der nordrhein-westfälischen Landesregierung in Sachen Luftreinhaltung. Es bleibt dabei:
Die Regierung Rau hat Vorbildliches geleistet,
um die Luft an Rhein und Ruhr sauberer zu bekommen.
Meine Damen und Herren, ob Ihnen das paßt oder nicht: Das ist die Wirklichkeit.
Meine Damen und Herren, die Investitionen für den Umweltschutz sind nirgendwo stärker als in Nordrhein-Westfalen.
Das können Sie nachlesen. Das läßt sich nicht weg-debattieren. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen wissen das.
Das ist auch der Grund dafür, daß die Wähler GRÜNE im Landesparlament in Nordrhein-Westfalen für überflüssig erklärt haben.
Meine Damen und Herren, das Wort von Johannes Rau steht: 1988 geht eine Entstickungsanlage, die modernste der Welt, in Nordrhein-Westfalen in Betrieb. Sonst, meine Damen und Herren — das sage ich auch für die SPD-Bundestagsfraktion —, wird die Betriebsgenehmigung problematisiert. Aber ich sage Ihnen, das Wort unseres Ministerpräsidenten steht. Wir bekommen das Modernste, was dann überhaupt möglich ist, für Nordrhein-Westfalen, für unsere Republik, für eine Kohlevorrangpolitik.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich denke, wir alle sind uns in dem Ziel im wesentlichen einig:
daß wir zur Verbesserung der Umwelt beitragen. Es mag natürlich unterschiedliche Auffassungen über die Strategien und Wege geben, wie man dieses Ziel erreichen kann. Aber ich möchte davor warnen, diese Zielvorstellungen, die wir haben, durch parteipolitischen Hickhack zu verschütten, der uns in der Sache im Grunde genommen überhaupt nicht weiterbringt.
— Ich habe mich an alle Kollegen gewandt.
Nun haben wir heute morgen eine Aktuelle Stunde über Ibbenbüren. Es war natürlich klar, daß man hier den Bezug zu anderen Vorgängen in der Republik herstellen würde. Das lag auf der Hand.
Ich möchte im Anschluß an das, was Herr Kollege Becker gesagt hat, ganz kurz auf die Geschichte hinweisen. Es ging darum, die Infrastruktur, die Wirtschaftskraft dieser Region zu erhalten. Wir haben Mitte der 70er Jahre die Stromversorgungsunternehmen nachgerade geprügelt, verehrte Kollegen von den GRÜNEN, daß sie dort ein Steinkohlekraftwerk errichten sollen. Das war auf dem Hö-
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Dr.-Ing. Laermann
hepunkt der Diskussion um die Nutzung der Kernenergie. Sie waren doch auch damals — wenn auch noch nicht parlamentarisch vertreten —, wie auch
andere, gegen die Kernenergie. Wir haben gesagt: Wir brauchen a) Kohlevorrangpolitik, b) Sicherung der Region und c) weniger Kernenergiestrom; wir wollen uns auf unsere heimischen Energieträger abstützen.
Das waren die Fakten.
Ein Faktum ist aber auch, daß es sich dort um eine spezielle Kohle handelt, eine niederflüchtige Kohle, die nur in den hier schon erwähnten Spezialkesseln verbrannt werden kann, und zwar bei hohen Temperaturen, womit naturgemäß auch ein hoher NOx-Ausstoß produziert wird. Die Techniken zur Reduzierung dieses NOx Ausstoßes sind noch zu entwickeln; das ist gesagt worden. Wir halten das für notwendig, und dies wird dort auch geschehen. Nur frage ich mich, Herr Kollege Lennartz, woher Sie die Gewißheit nehmen, daß das alles schon bis 1988 erledigt sein wird und daß wir dann die als Ziel gesteckten Grenzwerte erreicht haben werden. Diesem Optimismus möchte ich mich nicht unbedingt anschließen,
denn was dann Stand der Technik ist, wird sich erst in der Erprobung erweisen. Vielleicht ist das dann ja viel besser als das, was wir jetzt erwarten; aber wir müssen auch einkalkulieren, daß diese Ziele möglicherweise nicht erreicht werden.
Dennoch ist es in der Abwägung der Möglichkeiten und Notwendigkeiten in bezug auf die wirtschaftliche Situation in dieser Region und in bezug auf unsere Kohlevorrangpolitik richtig, dieses Kraftwerk in Betrieb zu nehmen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der rechtlichen Grundlage, die gegeben war, denn nach der Definition der Großfeuerungsanlagen-Verordnung ist das eine Altanlage.
Was mich natürlich stört, ist, daß man zwar auf der einen Seite diese Notwendigkeit erkennt, auf der anderen Seite aber — jetzt spreche ich Buschhaus an — haarspalterisch versucht hat, diese Notwendigkeiten nicht im gleichen Rahmen und im gleichen Maße anzuerkennen. Auch bei Buschhaus gibt es Zielvorgaben für die weitere Emissionsreduzierung, auch dort ging es darum, daß die Technik zur Behandlung der Salzkohle noch nicht entwikkelt, noch nicht erprobt, noch nicht vorhanden war, so daß keine Festlegungen erfolgen konnten, wollte man nicht das ganze Unternehmen und damit auch die ganze dortige Region in ihrer Arbeitsplatzsituation in Frage stellen.
— Verehrter Herr Kollege Stahl, ich halte mich hier
an das Wort von Thomas Dehler: Jedes Wort aus
dem Munde eines Politikers muß die Wahrheit atmen. Ich habe hier heute morgen — und nicht nur heute morgen — den Eindruck, daß mindestens auf Ihrer Seite in der Wahrheit möglicherweise eine Tageswahrheit gesehen wird. Ich sage Ihnen: Die Wahrheit ist keine Eintagsfliege. Lassen Sie uns hier wirklich offen und ehrlich mit den Fakten argumentieren, lassen Sie uns offen und ehrlich die Fakten auf den Tisch legen, und zwar so, wie sie sind. Lassen Sie uns hier auf parteipolitischen Hickhack verzichten.
Ich sage Ihnen: Der Bürger draußen hat kein Verständnis für die Haarspalterei, die wir hier betreiben, sondern er ist an der Sache interessiert,
er ist in seiner Region an dem interessiert, was seinen Arbeitsplatz und seine materielle Existenz betrifft. Er ist aber auch daran interessiert, wie es auf allen Gebieten mit dem Umweltschutz weitergeht. Diesem Ziel sollten wir uns verschreiben, statt zu versuchen, durch parteipolitische Haarspaltereien die Maßstäbe zu verwischen. Dies nämlich würde der Bürger nicht verstehen, und er würde es uns zu Recht übelnehmen.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strube.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Inbetriebnahme des Steinkohlekraftwerkes in Ibbenbüren möchte ich aus der Sicht des benachbarten Emslandes Stellung nehmen.
Damit kein Zweifel aufkommt: Wir Emsländer haben viel Verständnis für die Kumpel in Ibbenbüren. Wir wissen, wie wichtig Arbeitsplätze in strukturschwachen Räumen sind. Aber wir sind in höchstem Maße über die Kaltschnäuzigkeit empört, mit der der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Rau, seine Sankt-Florians-Politik durchsetzt. So blieb sich Herr Rau auch bei der Einweihungsfeier treu und trat fast ausschließlich als Sprücheklopfer auf.
Weder Herr Rau noch die anderen Festredner erwähnten die hohe Salzfracht, die täglich ins Emsland abgeleitet wird. Seit Frühjahr 1981, seit der Erschöpfung des Westfeldes und mit Beginn des Kohleabbaus im Ostfeld der Zeche, ist man auf stark salzhaltiges Grubenwasser gestoßen. Bei einer Einleitungsmenge von täglich 40 000 Kubikmeter Grubenwasser werden seitdem Chloridkonzentrationen bis 25 000 Milligramm pro Liter gemessen. Nach durchgeführten Berechnungen betrug die Salzfracht im Jahresdurchschnitt 800 Tonnen täglich. Diese hohe Chloridbelastung — eine Menge,
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Strube
die man sich auf Halde kaum vorstellen kann — hat dazu geführt, daß die als Transportwege benutzten Gewässerstrecken großen biologischen Schaden erlitten haben, ja teilweise biologisch tot sind.
Die Auswirkungen durch die hohen Salzgehalte treffen erstens Wasserrechtsinhaber an den Gewässern, zweitens die landwirtschaftliche Nutzung an den Gewässern. Felder und Weiden werden nach der Berieselung braun. Viehtränken sind verseucht, es sind bereits Tiere verendet. Drittens: Salzgehalte treffen Einbauten und Bauwerke in Gewässern einschließlich der Gewässerbefestigungen. Viertens: Die Auswirkungen treffen Flora und Fauna im Gewässer und an den Randbereichen. Und schließlich fünftens: Die Grundwasserqualität wird erheblich beeinträchtigt.
Seit 1982 gibt es auf Ersuchen des Landkreises Emsland Verhandlungen zwischen dem Landwirtschaftsministerium in Hannover und dem in Düsseldorf. Diese Gespräche werden von der Regierung Rau nur schleppend geführt. So stört man sich in Düsseldorf nicht daran, daß ein Rechtsgutachten des Landkreises Emsland ein sogenanntes Wassereinleitungsrecht der Preussag aus dem Jahre 1912 in Frage stellt. Meine Damen und Herren, so hart es klingen mag, die Gespräche der niedersächsischen Landesregierung mit der DDR über die Salzfracht in der Weser sind erfolgversprechender als die Gespräche mit der Regierung Rau über die Versalzung der Ems.
Wir Emsländer dulden es nicht, daß aus der Ems eine Emscher wird. Wir fordern Taten nach dem Verursacherprinzip. Wer wie Herr Rau das hohe Lied des absoluten Vorranges der Kohle singt, der muß auch bereit sein, eine Pipeline von Ibbenbüren zur Nordsee zu bauen. Wie gesagt, meine Damen und Herren, nicht an seinen Sprüchen, sondern an seinen Taten werden wir Herrn Rau messen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluß der Diskussion drei Feststellungen treffen. Erste Feststellung: Herr Rau und die SPD sind für das Kraftwerk Ibbenbüren verantwortlich, und sie sind alleine dafür verantwortlich.
Meine Damen und Herren, das Kraftwerk Ibbenbüren ist auf intensives Drängen des Herrn Rau und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen gebaut worden, das Kraftwerk Ibbenbüren ist von der Regierung Rau genehmigt worden, und die Genehmigung gestattet einen so hohen Ausstoß von Stickoxiden, weil im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung in Bonn eine SPD-Bundesregierung am Werk war, die weder die umweltpolitische Weitsicht
noch die politische Kraft hatte, die Emissionswerte für Stickoxide so drastisch herunterzusetzen,
wie es im Interesse der Wälder und der Menschen erforderlich gewesen wäre. Dafür mußte dann erst die Wende kommen.
Zweite Feststellung: Herr Rau und die SPD können noch soviel reden, sie können sich aus der Verantwortung für dieses Kraftwerk nicht hinwegstehlen.
Sie haben heute gesagt: Die Genehmigung konnte aus Rechtsgründen nicht versagt werden. Das ist richtig. Wir sagen: Das galt und gilt für Buschhaus auch. Sie haben heute gesagt: Es geht um die Erhaltung von Arbeitsplätzen. Das ist richtig. Aber wir sagen: Das gilt für Buschhaus auch.
— Hören Sie doch einmal zu. Sie sagen: Die Stickoxide müssen hingenommen werden, bis die Technik der Emissionsminderung ausgereift ist. Das ist richtig, Herr Hauff. Aber das gilt für Buschhaus auch.
Und deshalb stelle ich hier fest: Ibbenbüren ist das Buschhaus der SPD und ihres Kanzlerkandidaten Rau. Daran kommen Sie nicht vorbei. Das hat diese Diskussion ergeben.
Dritte Feststellung: Die Reden und die Taten des Herrn Rau sind zwei Dinge, die wenig miteinander zu tun haben. Das hat sich auch an dem Beispiel dieses Kraftwerkes wieder gezeigt. Da erklärt er, die sozialen Kürzungen nehme er zurück, und verschweigt, daß er selbst in Nordrhein-Westfalen die Sozialleistungen um 1,2 Milliarden DM gekürzt hat. Da läßt er sich als Landesvater feiern und bekommt dann von seinem Finanzminister bescheinigt, die Finanzsituation seines Landes sei mit derjenigen von Brasilien, Mexiko und Polen vergleichbar. Da macht er große Sprüche zum Tempolimit und Waldsterben, und dann eröffnet er dieses Kraftwerk. Meine Damen und Herren, zu diesem Theater fällt mir nur eine Überschrift ein, nämlich die: Der unaufhaltsame Abstieg des Johannes Rau aus dem Wolkenkuckucksheim auf den Boden der selbstgeschaffenen Mißlichkeiten.
Sie können es auch weniger literarisch haben: Das Gänseblümchen wird entblättert.
Meine Damen und Herren, sagen Sie Ihrem Kanzlerkanditaten — er ist ja leider nicht hier — einen
Spruch aus der Bibel — für die Bibel ist er doch an
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Dr. Blens
sich immer sehr empfänglich — aus dem Buch Jesus Sirach:
Wenn du zu reden hast, bereite dich vor, damit das Volk nicht über dich lache.
Sagen Sie ihm: Die ganze Bundesrepublik lacht über ihn. Er soll etwas für seine Glaubwürdigkeit tun. Der Akt von Ibbenbüren war kein Beitrag dazu.
Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich darf Sie daran erinnern, daß Punkt 2 a der Tagesordnung abgesetzt worden ist.
Ich rufe nunmehr Punkt 2 b der Tagesordnung auf:
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Bachmaier, Bernrath, Frau Blunck, Catenhusen, Dr. Diederich , Egert, Frau Fuchs (Köln), Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Frau Odendahl, Peter (Kassel), Frau Renger, Schäfer (Offenburg), Frau Schmedt (Lengerich), Frau Schmidt (Nürnberg), Schröer (Mülheim), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Wartenberg (Berlin), Frau Weyel, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst
— Drucksache 10/3055 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Odendahl.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! In den beiden von der SPD-Fraktion beantragten Debatten zur Frauenpolitik — am 12. April 1984 und am 8. Februar 1985 — wurde von allen im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen Einmütigkeit darüber erzielt, daß die Chancenungleichheit von Frauen weiter besteht und daß deshalb Maßnahmen zu ihrer Beseitigung dringend erforderlich sind. Der Bundeskanzler sagte am 12. April 1984: „Wir haben weder in der Wirtschaft noch im öffentlichen Dienst bereits genügend Bereitschaft, hier wirklich im Sinne von Gleichberechtigung Positionen zu vergeben. Ich finde, jeder sollte daran mitwirken, und zwar nicht nur in Sonntagsreden im Parlament, sondern auch in der Praxis und in der Wirklichkeit in den Gemeinden."
Wie wahr, Herr Bundeskanzler; fangen Sie am besten gleich im Kanzleramt an, denn alle führenden und leitenden Funktionen sind in Männerhand. Alle sechs Abteilungen werden von Männern geleitet. Unter 15 Gruppenleitern ist eine Frau. Von 41 Referaten wird eines von einer Frau geleitet.
Am 8. Februar 1985 sagte Heiner Geißler: „Ich halte Frauenförderpläne im öffentlichen Dienst ebenso wie in den öffentlich-rechtlichen Medien und in der Wirtschaft für notwendig." — Ein Hoffnungsschimmer breitete sich aus. Als derselbe Heiner Geißler in seiner damaligen Doppelfunktion als Familienminister und CDU-Generalsekretär die Frauen entdeckte und die Frauenpolitik zum Schwerpunktthema des Essener Parteitages machte, versuchten die Konservativen auf den längst abgefahrenen Zug aufzuspringen. Sie hatten nämlich eine Marktlücke entdeckt. Die Frauen waren ihnen davongelaufen, und zwar mit allem Grund. Seitdem Sie die Regierungsverantwortung übernommen haben, werden die Rechte und Chancen von Frauen kontinuierlich abgebaut.
Sie haben den Mutterschutz vermindert, Sie haben den Kündigungsschutz verwässert, und Sie haben die Ausbildungsförderung nahezu auf den Nullpunkt gebracht. Überall waren Frauen die Hauptleidtragenden.
Die SPD hat diese dritte Frauendebatte nicht beantragt, weil wir Gleichstellungspolitik und Frauenförderung im nun zu Ende gehenden Jahr der Frau als Modehit aufnehmen. Für die SPD sind Frauenförderung und Gleichstellungspolitik keine „Renner", die man bei Bedarf auf den Markt bringt. In unserer langen Geschichte haben wir uns in der Praxis ständig mit Frauenförderung auseinandergesetzt. Es waren vorab die SPD-regierten Länder, die konkrete Frauenförderpläne umgesetzt haben. Es sind zahlreiche Städte und Gemeinden, die auf Drängen der Sozialdemokraten kommunale Gleichstellungsstellen eingerichtet haben, oft gegen den Widerstand der Konservativen.
Auch in den Unternehmen rührt sich etwas. In einigen namhaften Betrieben spielt Frauenförderung endlich eine Rolle. Und die arbeitenden Frauenbeauftragten können nachweisen, daß die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsplatz bei der beruflichen Karriere kein unabänderliches Schicksal sein muß.
Frauenförderung entpuppt sich als neue Bewegung auf dem Arbeitsmarkt. Frauen sind es leid, immer wieder mit Bekenntnissen zur Gleichberech-
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Frau Odendahl
tigung und dem augenzwinkernden Hinweis auf den kleinen Unterschied abgespeist zu werden;
denn der Unterschied im Alltag ist nicht klein. Im Gegenteil, er vergrößert sich zuungunsten der Frauen von Tag zu Tag auf ganz alarmierende Weise.
Obwohl die Bundesregierung Zuversicht verbreiten will, ist die Zahl der arbeitslosen Frauen im Oktober 1985 weiter angestiegen. 1 022 000 Frauen sind arbeitslos, 33 000 mehr als vor einem Jahr. Seit 1983 steigt die Zahl der ohne Ausbildungsplatz gebliebenen Jugendlichen ständig an. Über zwei Drittel der Leerausgegangenen sind Mädchen. Auch an den Universitäten setzt sich der negative Trend für Frauen fort. Der Anteil der weiblichen Studienanfänger ging von 40,4 % im Jahre 1982 auf 38,4 % im Jahre 1984 zurück.
Der öffentliche Dienst hat sich in den letzten Jahren zum größten Arbeitgeber auch für Frauen gemausert. Wer aber nun erwartet, daß der enorm angewachsene Beschäftigungsanteil von Frauen auch nur eine annähernd gleiche Verteilung in oberen Positionen mit sich gebracht hätte, der irrt ganz gewaltig. Der Anteil der Frauen bei Neueinstellungen im öffentlichen Dienst hat sich beim Bund mit 42,4% Mitte 1984 gegenüber 54,6 % Mitte 1982 drastisch verschlechtert. Die Tendenz zur Teilzeitbeschäftigung nimmt zu. Der Frauenanteil an den Vollzeitbeschäftigten liegt bei lediglich 30,5%.
Zur Rechtfertigung der insgesamt trostlosen Situation werden immer wieder die geringere Qualifikation von Frauen oder auch das Argument: Die Frauen wollen ja gar nicht! angeführt. Doch eines steht fest: Noch nie gab es so viele gut ausgebildete Frauen wie heute. Bei den Schulabschlüssen haben die Mädchen gegenüber den Jungen längst nachgezogen, wenn sie nicht gar besser abschneiden. Nur darf Frauenförderung nicht erst beim Eintritt in das Berufsleben erfolgen. Die Weichenstellung findet viel früher statt, durch die altväterliche Rollenzuweisung in unseren Schulbüchern, aber auch bei der mädchentypischen Fächerwahl an den Schulen nach dem Motto: den Mädchen das Schöngeistige und den Jungen das Technische. Sie setzt sich fort bei dem immer noch auf viel zu wenig Berufsfelder begrenzten Ausbildungsplatzangebot für Mädchen. Nachdem sich Mädchen in zahlreichen Modellversuchen für gewerblich-technische Berufe qualifiziert haben, geht es nun darum, ihnen die ihrer Ausbildung entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Frauen sind es einfach leid, immer wieder Versuchsreihen über ihre Qualifizierung zu füllen. Sie wollen endlich heraus aus dieser Laboratmosphäre.
Sie sind weder die weißen Mäuse für ständige Testreihen noch weiterhin die stille Reserve für den Arbeitsmarkt.
Deshalb: Halten Sie Ihr Wort, Herr Bundeskanzler. Sie stehen seit 1984 bei den Frauen im Wort. Ich habe Sie vorhin zitiert. Ich hoffe, man übermittelt
Ihnen das. — Er muß jetzt von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen — zugunsten der Frauen. Wenn man an die Städte, an die Gemeinden, an die Länder und an die Wirtschaft appelliert, muß der Bund seine Vorbildfunktion wahrnehmen. Versprechen reicht nicht. Bleiben Sie glaubwürdig, und bringen Sie das eigene Haus endlich in Ordnung.
Unser Antrag zur Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst nimmt Sie dabei beim Wort.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Roitzsch.
Frau Präsidentin! Meine Herren! Meine Damen! Liebe Kollegin Odendahl, ich glaube, wir unterscheiden uns in dem, was wir für die Frauen wollen, mit Sicherheit nicht. Wir unterscheiden uns nur in dem, wie wir es verkaufen und wie wir es ehrlich meinen.
Zunächst zu dem kleinen Unterschied. Ich meine, der kleine Unterschied ist sehr wichtig, und ihn sollten wir auch nicht durch alle möglichen sogenannten progressistischen Äußerungen hinwegwischen wollen.
Frau Kollegin Odendahl, Sie haben die steigende Arbeitslosigkeit der Frauen angesprochen. Dies ist von den Zahlen her richtig. Nur muß ich dazusagen: Insgesamt ist die Zahl der beschäftigten Frauen um 2% gestiegen. Bitte lesen Sie es nach; es gibt offizielle Statistiken. Wenn Sie beklagen, daß bei den Studienanfängern ein Rückgang der Zahl der Frauen zu bemerken ist, so ist auch dies wahrscheinlich ganz leicht zu erklären. Denn was haben die Frauen mehrheitlich studiert? Auf den Beruf des Lehrers hin! Inzwischen hat man erkannt, daß dies einfach nicht mehr gefragt ist, weil uns die Kinder fehlen. Dies mag zum einen ein Grund sein. Es gibt auch genug junge Männer, die endlich erkannt haben, daß nicht das Studium das Alleinseligmachende und die Grundlage für ein anständiges Berufsleben ist.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Odendahl?
Nein, Frau Präsidentin, ich mache jetzt durch. Wir können uns nachher, Frau Odendahl, gerne unterhalten.
Meine Herren, meine Damen, der Antrag der SPD zur Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst rennt bei uns, der CDU/CSU, tatsächlich offene Türen ein, denn auch wir nehmen die noch immer unbefriedigende Situation der Frauen im Berufsleben sehr ernst. Deshalb hat die Bundesregierung Richtlinien zur beruflichen Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst erarbeitet. Der Parlamentarische Staatssekretär aus dem Innenmini-
13720 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Frau Roitzsch
sterium, Herr Dr. Waffenschmidt, wird sie Ihnen gleich vorstellen. Sie werden sich freuen.
— Ich frage Sie nachher, Frau Fuchs, wo Ihre Praxis geblieben ist.
Vielleicht haben Sie von der SPD aber schon wieder vergessen, was Ihnen die Bundesregierung auf Ihre Anfrage in diesem Sommer mitgeteilt hat. Deshalb wiederhole ich das — das prägt sich besser ein —, daß bei den obersten Bundesbehörden in den Jahren 1983 bis 1985, also in der Zeit, seit der wir verantwortlich sind, der Anteil der Frauen bei den Neueinstellungen bis zu 35 Jahren stolze 54,7 betragen hat.
Unter Ihrer Regierungsverantwortung, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, betrug der Anteil der Frauen zwischen 1980 und Ende 1982 lediglich 45,6 %. Wir haben also in nur anderthalb Jahren eine Steigerung von 9,1 % erzielt.
Vielleicht haben Sie von der SPD auch die Antwort der Bundesregierung auf Ihre eigene Große Anfrage „Frauen im öffentlichen Dienst" vom November 1984 vergessen. Aus dieser geht doch hervor: In der Zeit vom Januar 1983 bis Juni 1984 belief sich der Anteil der Frauen bei Neueinstellungen bei der Hälfte aller Bundesministerien auf über 50%. 44,9 % betrug der entsprechende Anteil bei den Neueinstellungen in allen Bundesministerien.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung in ihrer Antwort deutlich gemacht, daß die Bundesbehörden aufgefordert sind, den Belangen aller Personengruppen, die von der Arbeitslosigkeit besonders betroffen sind — hier eben gerade die Frauen —, die besondere Aufmerksamkeit zu schenken und den Zugang zum öffentlichen Dienst zu ermöglichen.
Die SPD fordert in ihrem heutigen Antrag, daß Ausschreibungen für Stellen im Dienste des Bundes in männlicher und weiblicher Form der Stellenbezeichnung zu erfolgen hat. Einverstanden! Denn die CDU als Regierungspartei hat dies bereits in ihren Leitsätzen „für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau" am 4. Februar 1985 beschlossen.
— Warten Sie doch ab! Ganz ruhig! — Das gleiche gilt für Frauenförderpläne mit Berichtspflicht im öffentlichen Dienst. Auch dies haben wir beschlossen. Darum sagte ich, Sie rennen mit Ihrem Antrag bei uns offene Türen ein.
— Erst wollen wir uns einmal unterhalten, und dann stimmen wir ab. Okay?
Die SPD fordert Fortbildungsangebote für Frauen, auch für teilzeitbeschäftigte Frauen. Einverstanden! Denn auch dies ist ein Beschluß des Bundesparteitages der CDU.
Ich könnte nun den SPD-Antrag Punkt für Punkt an Hand unserer Essener Leitsätze abhaken. Es besteht nur ein kleiner Unterschied — damit sind wir bei dem kleinen Unterschied —: All das, was die SPD in ihrem Antrag zur Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst vom 18. März 1985 eingebracht hat, ist in den Leitsätzen der CDU für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau enthalten
und aus diesen zum Teil wörtlich abgeschrieben.
Nur: Unser Antrag an den Bundesvorstand wurde am 4. Februar 1985 veröffentlicht. Die SPD hatte also genau sechs Wochen Zeit, um von uns abzuschreiben.
Aber sonst ist bei der Opposition auch nicht viel an Eigeninitiative und Ideen geblieben, als Anleihen auf die Stuttgarter und Essener Leitsätze der CDU aus den Jahren 1984 und 1985 zu machen.
Nur mit dem einen Unterschied, daß unsere Parteiprogramme im vollen Bewußtsein der Regierungsverantwortung erarbeitet und verabschiedet worden sind.
Bei der SPD hat z. B. die Grundwertekommision das Godesberger Programm bezüglich der Rolle der Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft in den Papierkorb geworfen.
— Ihre Grundwertekommission — das müssen Sie einmal nachlesen — hat erklärt, was Sie einmal in Ihrem Godesberger Programm hatten, sei alles nicht mehr gültig.
— Das müssen Sie nachlesen.
Nun fordern Sie in Ihrem Antrag von der Bundesregierung einen Bericht, der im Abstand von zwei Jahren über die Umsetzung des Zieles der Förderung von Frauen Aufschluß geben soll.
Ich darf Sie daran erinnern, daß bereits Konrad Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung die Errichtung eines Frauenreferats und eine vierteljährliche Berichtspflicht angekündigt hat. Damit will ich nur sagen, was Sie hier bringen, ist alles gar nicht so neu.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13721
Frau Roitzsch
Wir wollen einmal an Hand von neutralen Fakten sehen, wie ernst es die SPD mit der Frauenförderung wirklich meint.
— Ich sage Ihnen das gleich. Ich habe ja gesagt: Sie rennen bei uns offene Türen ein.
Im Dezember 1972 wurde im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ein Referat für Frauenpolitik eingerichtet. Aber erst sieben Jahre später nahm der Arbeitsstab Frauenpolitik seine Arbeit auf.
Ansonsten ist auch nicht viel gewesen, was die Frauenförderung betrifft.
So wollte die damalige SPD-Bundesregierung im Sommer 1981 diese vorrangig durch die Privatwirtschaft betrieben sehen. Auf eine Anfrage meiner Kollegin Verhülsdonk erklärte der damalige Staatssekretär Fülgraff, daß besonders an die Förderung von Frauen in privatwirtschaftlichen Betrieben gedacht sei, aber die Förderung von Teilzeitarbeitsplätzen für Frauen nicht vorrangig sei.
Weiter teilte die damalige Bundesregierung mit, sie sei bemüht, den Frauen im eigenen Kompetenzbereich mehr Berufschancen zu eröffnen. Es sei eine Kommission eingerichtet, die nach einem Jahr einen Bericht geben wolle. Diesen Bericht haben wir bis heute noch nicht.
Die SPD hätte sich in der Zeit ihrer eigenen Regierungsverantwortung bei einiger Ernsthaftigkeit auch an guten Beispielen der unionsregierten Länder orientieren können.
So nenne ich z. B. mein Heimatland Schleswig-Holstein. Dort hat sich innerhalb von 15 Jahren die Zahl der Mitarbeiterinnen im Landesdienst verdoppelt. Bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen im Landesdienst ist inzwischen das Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen hergestellt. Im Lehrerbereich, im mittleren Verwaltungsdienst und im gehobenen Justizdienst haben die Frauen die Oberhand. Dies ist das Ergebnis konsequenter CDU-Politik eines Landes.
— Wenn Sie das noch nicht begriffen haben, Frau Däubler-Gmelin, dann tut mir das leid. Ich wollte Ihnen nur sagen, wie es bei uns aussieht.
Die Union nimmt die Belange der Frauen sehr ernst. Das hat sie in den drei Jahren ihrer Regierungsverantwortung bereits bewiesen. Es ist noch viel zu tun; da sind wir uns einig. Allerdings geht es um die tatsächliche Frauenförderung und nicht um die Frauenverdummung, wie Sie sie betreiben.
Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Zeitler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht wundert es Sie, meine Damen und Herren von der SPD, daß Ihr Antrag zur Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst, der uns heute hier zur Behandlung verblieben ist und offensichtlich die Position der SPD in Sachen Frauengleichstellung markieren soll, soeben die Unterstützung der CDU bekommen hat. Mich wundert das nicht.
— Sie hat zumindest gesagt, daß Sie offene Türen einrennen.
Ich möchte, indem ich auf die Inhalte dieses Antrags eingehe, aufzeigen, daß es sich bei dem, was Sie hier heute vorlegen, um nicht viel mehr als leere Absichtserklärungen handelt. Ich weiß auch, daß Sie die Regierung mit Ihrem Antrag vorführen wollen. Aber auf was lassen Sie sich dabei ein? Sie verschleiern, wo Sie Bewußtsein schaffen sollten; denn Sie wissen so gut wie ich, daß Ihr Antrag in vielen Punkten hinter das zurückfällt, was hier schon oft diskutiert wurde und was zum Teil bereits geltendes Recht ist. Ihre Forderung nach geschlechtsneutraler Stellenausschreibung etwa ist doch geltendes Recht. Die Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung im letzten Jahr hat sehr deutlich gemacht, daß diese Bestimmungen so lange nicht greifen, wie es keine Sanktionsmöglichkeiten bei Zuwiderhandlungen gibt.
Das gilt für den öffentlichen Dienst ebenso wie für jedes Unternehmen. Die männlichen Denk- und Handlungsstrukturen sind da nicht sehr differenziert. Da Sie das alles wissen, muß ich davon ausgehen, daß Sie eine wirkliche Änderung in der Ausschreibungspraxis gar nicht wollen.
Daß Sie Ausbildungsstellen in diesem Zusammenhang einen kurzen Satz widmen, läßt auf Schlimmes schließen. Wie Sie wissen, entscheidet der Eintritt ins Arbeitsleben für die meisten Menschen über den weiteren Berufs- und Lebensweg. Sie wissen auch, daß zwei Drittel der Jugendlichen, die ohne Ausbildungsplatz bleiben, Mädchen sind. Sie wissen ebenso, daß 70 % der Mädchen in Ausbildungsberufen unterkommen, in denen sie kaum die Chance haben, jemals ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen. Sie begegnen diesem Problem mit der lapidaren Forderung, daß die Ausschreibungen für Ausbildungsstellen geschlechtsneutral erfolgen müssen.
13722 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Frau Zeitler
Ich kann das nur so interpretieren, daß Sie ebenfalls keine wirklichen Verbesserungen für die Mädchen wollen.
Gerade im Ausbildungsbereich, in dem noch nicht einmal die ideologisch verblendetsten Konservativen schlechtere Voraussetzungen für Mädchen ausmachen können, zeigt es sich, daß wir um Quotierungsvorschriften nicht herumkommen,
wollen wir der Diskriminierung von Mädchen, die sich ja ins Erwachsenenalter fortsetzt, etwas entgegensetzen.
Das hat sich mittlerweile sowohl in Kreisen der Gewerkschaften wie beim Arbeitskreis sozialdemokratische Frauen herumgesprochen. Auch dort sind Quotenregelungen und Frauenförderpläne beschlossen. Besonders bei der Quotierung der Ausbildungsstellen bezieht frau klare Positionen. Nur in Ihrer Fraktion bestimmen weiterhin die alten Patriarchen. Da schämen Sie sich auch nicht, Formulierungen zu gebrauchen — und das trifft auch auf den zurückgezogenen Antrag zu —, die in ihrer Griffigkeit und politischen Tragfähigkeit den Sprechblasen von Frau Wilms nicht nachstehen.
Das gleiche gilt übrigens für den Bereich der Einstellungspraxis. Sie wissen so gut wie ich, was der Satz bedeutet: „Frauen sind bei gleicher Qualifikation mindestens im Verhältnis ihres Anteils an den Bewerbungen in die Auswahl einzubeziehen sowie bei gleicher Leistung bevorzugt in den Bereichen einzustellen, in denen sie bisher unterrepräsentiert sind." Unabhängig davon, daß „in die Auswahl einbeziehen" noch nichts über die Auswahl aussagt, werden genau diese Kriterien „gleiche Qualifikationen" und „gleiche Leistung" immer und überall dazu verwandt, Frauen auszuschließen. Denn diese Kriterien sind wie Töpfe, die bei Bedarf mit männlichen Eigenschaften und Vorzügen gefüllt werden. Jeder Personalchef ist in der Lage, an dem bevorzugten männlichen Bewerber Qualifikationen festzumachen, die die Mitbewerberin nicht erfüllt. Das können fünf Jahre mehr Berufserfahrung sein, in denen die Frau Kinder erzog. Da fragt dann auch keiner mehr, ob die Frau vielleicht in dieser Zeit mehr hinzugelernt hat als der Mann, der statt fünf Jahre zehn Jahre das gleiche gemacht hat.
Eines der beliebten männlichen Vorzugs- oder Leistungsmerkmale ist auch ihre sogenannte Familienunabhängigkeit. Nicht, daß sie keine Familie hätten! Aber natürlich brauchen Sie keine Kinder vom Kindergarten abzuholen, sie brauchen keinen Schulstreß mitzumachen, sie haben auch keine Veranlassung, ihre Wäsche zu waschen und die Wohnung sauberzuhalten. Sie sind frei, ihre Freizeit in den Dienst des Arbeitgebers zu stellen. In gehobenen Positionen heißt das dann Bereitschaft zu ungeregelter Arbeitzeit. Das sind Leistungen, die so schnell keine Frau erbringt.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, wissen dies alles. Sie haben mit vollem Bewußtsein die Kriterien „gleiche Qualifikation" und „gleiche Leistung" in Ihren Antrag geschrieben, weil Sie nämlich nichts ändern wollen, weil Sie die Konkurrenz der Frauen für sich und Ihre Geschlechtsgenossen fürchten — Ihre Parteitage in Bremen und Hamburg sprechen da für sich — und weil Sie trotzdem, zumindest solange Sie in der Opposition sind, den Frauen weismachen wollen, daß Sie sich für sie einsetzen.
Ich will auf einen weiteren Punkt Ihres Antrags zu sprechen kommen. Sie fordern die Einrichtung von mehr Teilzeitarbeitsplätzen im öffentlichen Dienst. Ich weiß, wie schwierig es für Menschen mit Kindern ist — überwiegend sind es Frauen —, den ganzen Tag zu arbeiten. Aber Sie wissen doch auch von den Mängeln und Nachteilen der Teilzeitarbeit: daß sie kaum Aufstiegsmöglichkeiten und zu wenig Geld zum Leben bringt. Da frage ich mich: Warum taucht in Ihrem Antrag die Forderung nach allgemeiner Arbeitszeitverkürzung nicht auf? Warum fordern Sie nicht die ganze oder teilweise Freistellung von Erziehenden mit dem Anspruch auf eine Vollzeitstelle?
Einen Satz weiter in Ihrem Antrag verlangen Sie die arbeits- und sozialrechtliche Absicherung von Teilzeitarbeit. Da haben sie unsere volle Unterstützung. Aber wenn Sie das hier fordern, warum fehlt es in Ihrem Entwurf eines Teilzeitarbeitsgesetzes vom 5. Dezember 1984? Dort fehlt dieser umfassende Schutz. Gerade bei dieser so sensiblen und wichtigen Frage der Arbeitslosenversicherung bleiben Sie nämlich inkonsequent. Der Versicherungsschutz soll erst bei Arbeitsverhältnissen von über 17,5 Stunden verpflichtend sein.
In allen diesen Punkten hängen Sie sich mit Forderungen aus dem Fenster, die keine konkreten Verbesserungen für Frauen bedeuten.
Wenn Sie wirklich an einer Gleichstellung von Frauen interessiert sind, empfehle ich Ihnen, sich unserem Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes zu besorgen. Darin werden Roß und Reiterin genannt. Dort wird gezeigt, wo Regelungsbedarf besteht, um Gleichstellung zu erreichen. Es wird gezeigt, wie die Gleichstellung durchgeführt werden kann, und zwar so, daß überall mindestens 50 % Frauen vertreten sind. Weiter ist gezeigt, welche Institutionen bzw. Behörden nötig sind, um diesem Gesetz zur Durchsetzung zu verhelfen. Darüber hinaus werden dort Änderungen einzelner Gesetze aufgeführt, die heute Ungleichbehandlung und Benachteiligung von Frauen bedeuten. Vielleicht kann Ihnen von der CDU/CSU und von der FDP diese Lektüre unseres Entwurfs deutlich machen, was Frauen 1985 erwarten und verlangen. Oder vielleicht verschafft es Ihnen eine Gänsehaut.
Ihnen von der SPD könnte dieser Entwurf eine Meßlatte sein, damit Ihre künftigen Anträge mehr Gehalt haben.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13723
Frau Zeitler
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind von den engagierten Reden unserer Kolleginnen beeindruckt und werden auch von den engagierten Reden beeindruckt sein, die wir noch hören werden. Es ist j a etwas merkwürdig, daß dann, wenn wir über die Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst reden, das Wort traditionell nur von Frauen ergriffen wird. Auch darüber sollten wir einmal nachdenken.
Ich habe den Eindruck, daß bei allen Diskussionen darüber das Feindbild nicht stimmt. Ich glaube nicht, daß es nach Fraktionen geteilte Befürworter oder Gegner der Gleichbehandlung von Frauen im öffentlichen Dienst gibt, sondern ich glaube, daß es in der inneren Einstellung des einzelnen, unabhängig davon, in welcher Fraktion er tätig ist, unterschiedliche Wertungen traditioneller Einstellungen gibt und weiter geben wird.
Das ist die eigentliche Wirklichkeit.
Denn die Diskussion über die Gleichbehandlung haben wir vor vielen Jahren geführt zu einem Zeitpunkt, als es darum ging, ob die Frau nach der Struktur unseres Rechts, nach der Struktur der Teilzeitarbeit, nach der Struktur steuerlicher Regelungen auf ein bestimmtes Berufs- und Lebensbild festgelegt wird. Das war die eigentliche Diskussion. Es gab viele Stimmen, die davon ausgingen, daß das traditionelle Bild der Frau erhalten bleiben sollte, und es wurde eine lange Diskussion darüber geführt, wie man die Gleichwertigkeit der Tätigkeit der Hausfrau mit einer Berufstätigkeit erreichen könnte. Es ging immer um die Frage, welche Rolle das traditionelle Frauenbild spielen sollte und ob und in welchem Umfang die Frauen — auch durch unsere rechtlichen Gestaltungen — in der Lage sein sollten, die Entscheidung über ihr Lebensbild nicht nach vorgegebenen Formeln und Schemata, sondern selbst zu treffen. Das war die Diskussion.
— Ich habe Sie nicht verstanden, gnädige Frau.
— Die Frauen haben kräftig mitdiskutiert, wie Sie wissen, und Sie sind nicht die erste, die dazu das Wort ergreift.
Ich meine, daß diese Diskussion im Grunde seit Jahren abgeschlossen ist, und zwar in dem Sinne, wie es nur sein kann, nämlich daß man den Frauen die freie Entscheidung über ihr Berufs- und Lebensbild überläßt und sie nicht in ein vorgefertigtes Schema preßt.
— Wenn Sie so liebenswürdig wären, Zwischenfragen zu stellen, könnte ich auf sie antworten, ohne daß es auf meine Redezeit ginge.
Die Frage ist, wie wir in drei Bereichen unser Recht gestalten und ob auch Änderungen der Anwendung des Rechts notwendig sind: in der Frage der Ausbildung, in der Frage der beruflichen Reservate und in der Frage der Erleichterung der Rückkehr in eine berufliche Tätigkeit, wenn sie unterbrochen wurde. Das sind die drei Hauptproblembereiche.
Da ist vieles zu beklagen, schon allein bei der Frage der Ausbildung, die j a zu einem wesentlichen Teil und in zunehmendem Maße eine Frage der beruflichen und der Erwachsenenausbildung sein wird, weil sich die technischen Bedingungen gerade im Bereich der Frauenarbeitsberufe in rasanter Weise und mit zunehmender Geschwindigkeit verändern. Ich bin der Auffassung, daß unsere Systeme der beruflichen und der Erwachsenenbildung diesem Tatbestand überhaupt nicht entsprechen.
Es besteht auch kein Anlaß, bezogen auf den öffentlichen Dienst mit dem erreichten Zustand zufrieden zu sein. Das bezieht sich — das muß man sagen — nicht allein auf die Tätigkeiten bei Bundesbehörden. Wenn das parteispezifisch anders wäre, müßten Sie ja darlegen können, daß in sozialdemokratisch regierten Ländern der Anteil der Frauen in Spitzenpositionen des öffentlichen Dienstes dramatisch höher wäre als in anderen Ländern; und das ist nicht der Fall.
Aber bleiben wir einmal bei den Bundesbehörden. Es ist ja nicht zu bestreiten, daß wir, soweit ich das übersehe, keinen einzigen weiblichen Ministerialdirektor haben. Man kann wohl auch sagen, daß das Bild auch in der Besoldungsordnung B ziemlich düster aussieht. Auch das kann kaum bestritten werden.
Was die Einstellungspraxis angeht, ist es in der Tat nicht so schlimm, wie es hier dargestellt worden ist; die Lage hat sich zumindest verbessert. Von 1983 bis 1985 ist die Einstellungsquote von Frauen bei den obersten Bundesbehörden immerhin auf fast 55 % gestiegen, mehr als in den drei Jahren von 1980 bis 1983. In demselben Zeitraum betrug der Anteil der Frauen, die in eine Stelle der Besoldungsgruppe A 8 befördert worden sind, über 60 %. Der Anteil der Frauen, die in Stellen nach A 12 befördert worden sind, ist von knapp 15 % im Jahre 1983 auf fast 17 % im Jahre 1985 gewachsen.
Sie können sagen, auch das sei immer noch zu wenig. Aber es ist immerhin eine Steigerung, und es kann nicht bestritten werden, daß der Anteil der Frauen im einfachen und im mittleren Dienst erheblich höher ist als in den höheren Positionen. Das hängt zu einem Teil mit dem Angebot zusammen. Es hängt zu einem Teil auch mit bestimmten Neigungen zusammen. Die Neigung einer Frau, in den Bibliotheksbereich, in den Schulbereich zu gehen, ist relativ groß. Frauen gehen auch lieber — das ist natürlich und erklärlich — in Berufe, die eine etwas freiere zeitliche Disposition ermöglichen, also in
13724 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Dr. Hirsch
den Richterberuf und, man muß es sagen, auch in den Lehrerberuf.
Den Vogel in dieser Diskussion hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichts abgeschossen.
Es hat ihm ja gefallen, zu sagen, daß das Höchstmaß an Gleichberechtigung mit Frauen unter Waffen erreicht sei. Ich bin immer wieder überrascht darüber, wie leicht sich Frauen in diese Diskussion unter der Überschrift „Gleichberechtigung" hineinziehen lassen, obwohl es im Grunde genommen eine Diskussion über Gleichverpflichtung ist,
also eine Diskussion, die nicht von den Rechten, sondern von der Bedarfsfrage her begonnen wird. Wenn man in der Bundeswehr von dem Höchstmaß an Gleichberechtigung spricht, dann würde ich — im Gegensatz zu Herrn Zeidler — sagen: Wenn das der Maßstab ist, dann ist Gleichberechtigung nicht schon dann erreicht, wenn wir viele weibliche Soldaten unter Waffen haben, sondern wenn der Anteil der Frauen an Stabsoffizieren, an Generälen etwa gleich dem Anteil ist, den wir an Frauen im öffentlichen Dienst, in Leitungsfunktionen im öffentlichen Dienst erwarten. Es muß ja nicht sein, daß das für die Bundeswehr negativ ist. Nur, wer das als Maßstab nimmt, muß das sagen. Man könnte ja auf die Idee kommen, zu sagen: Das Höchstmaß an Gleichberechtigung ist dann erreicht, wenn wir erstmals eine Frau als Verteidigungsministerin
oder — auch das ist ja eine Vorstellung, mit der sich Herr Zeidler befreunden muß — als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts haben. — Darauf wollten Sie mit Ihrer Frage hinaus? — Ja, da sind wir uns dann ganz einig. Das müßte Herr Zeidler sagen. Gleichberechtigung fängt eben immer im eigenen Hause an. —
Ich will auf folgendes hinaus: Wir können uns nicht damit zufriedengeben — denn damit werden wir nicht wesentlich weiterkommen —, nur auf die rechtlichen Strukturen zu starren. Vielmehr kommt es schon auf die Praxis der personalführenden Stellen an. Dazu gehört zum ersten die Frage: Wollen wir traditionelle Berufsreservate bewahren? Da kann ich bezüglich des Landes Nordrhein-Westfalen ein gutes Beispiel bringen: Ich habe die Weibliche Kriminalpolizei in Nordrhein-Westfalen vor Jahren unter großem Getöse abgeschafft, aber dafür die Frauen in allen Sparten der Kriminalpolizei eingesetzt — mit hervorragendem Erfolg. Inzwischen ist die Entwicklung weitergegangen; Frauen werden in vielen Bundesländern in der Schutzpolizei eingesetzt, eine Vorstellung, hinsichtlich der wir damals gewisse Zweifel hatten. Aber es scheint sich zu bewähren. Das heißt: Wir müssen die Berufsreservate ohne Vorurteil durchforsten.
Das zweite ist: Wir müssen nicht nur bei den Einstellungen bestimmte Präferenzen schaffen, sondern müssen auch in der Beförderungspraxis darauf achten, daß wir nicht dem verfallen, was wir normalerweise tun, nämlich von Frauen mehr zu
erwarten und mehr zu verlangen als von Männern.
Auch das gehört j a zur sozialen Wirklichkeit: daß wir einer Frau die Wahrnehmung bestimmter Funktionen zunächst einmal nicht zutrauen und darum von ihr in der beruflichen Tätigkeit Überqualifikationen erwarten. Ich glaube, in einer wirklich gleichberechtigten Gesellschaft kann man eine solche Position nicht aufrechterhalten.
Das dritte ist schließlich, daß wir dafür sorgen müssen, daß es — durch Heranführung auch an qualifizierte Ausbildungen — ein wirkliches Angebot gibt, also den Willen von genügend Bewerberinnen, qualifizierte Funktionen mit besonderen Verantwortungen, d. h. auch: mit besonderen Belastungen, auszuüben.
Was immer der einzelne denkt, wieweit sich der einzelne von traditionellen Vorstellungen befreit oder nicht — da sind die Unterschiede nicht klein, sondern relativ groß —, es ändert nichts daran, daß wir uns auch in der sozialen Wirklichkeit auf den Weg in eine gleichberechtigte Gesellschaft befinden. Das, was dazu beigetragen werden kann, wird auch von unserer Fraktion ohne Einschränkung getan werden.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einige Sätze zu den Ausführungen der Sprecherinnen der Opposition. Ich will doch einmal eins deutlich feststellen: Die Angriffe, die Sie gegen die Bundesregierung, insbesondere den Bundeskanzler, vorgebracht haben, sind völlig unbegründet und gehen an der Wirklichkeit vorbei. Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen. Diese Regierung hat Regelungen durchgesetzt, die sich für die Frauen ganz nachhaltig positiv auswirken. Ich nenne Erziehungsgeld, eigenständiger Rentenanspruch bei der Kindererziehung, eigenständiger Rentenanspruch schon nach fünf Jahren. Überlegen Sie einmal, wie das gerade den Frauen zugute kommt, wenn man bereits nach fünf Jahren einen eigenständigen Rentenanspruch hat. Das ist ein wesentlicher Erfolg dieser Regierung.
Ich will auch die Verbesserungen für die Alleinerziehenden nennen. Ich könnte in der Aufzählung fortfahren. Ich will aber auch noch einmal die Zahlen nennen, die für den öffentlichen Dienst so wichtig sind. In dem Zeitraum vom 1. Januar 1983 bis 31. Juli 1985 entfielen bei den Neueinstellungen der jüngeren Bediensteten 54,7 % auf die Frauen. An die SPD gewandt will ich einmal klar sagen: Wenn Sie während Ihrer Regierungszeit solche Erfolge ge-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13725
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
habt hätten, wären Sie Tag und Nacht nicht zur Ruhe gekommen, das zu preisen.
— Das ist kein Quatsch, Frau Fuchs, das sind die Tatsachen, die Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen und die Sie auch durch Ihr Geschrei nicht aus der Welt bringen.
Den Ausdruck „Quatsch" sollten wir bitte, Frau Kollegin, untereinander nicht verwenden.
Ich will zu der Frauenförderungsrichtlinie Stellung nehmen, die das Bundesinnenministerium ausgearbeitet hat. Ich meine, es ist ganz entscheidend und wichtig, daß wir diese Richtlinie heute vorstellen. Frau Fuchs, wenn Sie sich so engagieren, muß ich gerade Sie als Mitglied der damals SPD-geführten Bundesregierung fragen: Warum haben Sie in den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit keine Frauenförderungsrichtlinie zustande gebracht? Es spricht doch gegen Sie, wenn sie jetzt als Opposition mit Forderungen kommen, die Sie in Ihrer Regierungszeit niemals durchgesetzt haben. Das ist doch deutlich auszusprechen.
Nach unserer Überzeugung ist eine Richtlinie zur beruflichen Förderung der Frauen in der Bundesverwaltung ein geeignetes Instrument, die Situation der Frauen zu verbessern. Deshalb haben wir entsprechende Schritte nicht nur eingeleitet, sondern eine Richtlinie ausgearbeitet. Sie ist mit den übrigen Bundesressorts abgestimmt und wird dem Kabinett zu Beginn des Jahres 1986 zugeleitet. Sie soll am 1. März 1986 in Kraft treten. Ich will die wichtigsten Punkte nennen.
Erstens. Die Richtlinie schreibt vor, daß freie Stellen so ausgeschrieben werden müssen, daß Frauen und Männer wirklich gleichberechtigt angesprochen werden können.
Zweitens. Die Personalverwaltungen werden nachdrücklich dazu aufgefordert, bei Einstellungen und Beförderungen Frauen unter Beachtung des Leistungsprinzips angemessen zu berücksichtigen.
In Bereichen, in denen der Anteil von Frauen gering ist, soll die Einstellungspraxis so gestaltet werden, daß sich dieser Anteil möglichst erhöht. Lassen Sie mich in dem Zusammenhang als Sprecher der Bundesregierung ein ganz klares Nein zu den immer wieder gehörten Forderungen nach einer Regelung zum Ausdruck bringen, die vorschreibt, daß ein Ehegatte gefälligst verzichten solle, wenn beide Ehegatten im öffentlichen Dienst arbeiteten. Das ginge immer zu Lasten der Frauen. Deshalb lehnen wir solche Regelungen ab. Das wäre eine Bestrafung der Ehe und letztlich auch eine Bestrafung der Frau.
Ich fahre fort: Wir wollen drittens in der Richtlinie festlegen, daß eine Bewerberstatistik geführt wird, die aktuell ausweist, wie hoch der Anteil der Frauen an den Bewerbern und an den Eingestellten ist. Dann hat man einen guten Vergleich, den wir dann auch immer in den Debatten zur Hand haben.
Viertens. Im Blick auf den Bereich der Fortbildung wollen wir erreichen, daß bei der Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen Frauen in der gleichen Weise wie Männer berücksichtigt werden. Die Möglichkeiten, an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen und sich dadurch beruflich weiter zu qualifizieren, sollen für Bedienstete mit Familienpflichten, auch wenn sie teilzeitbeschäftigt sind, verbessert werden.
Wichtig ist es daher — das will ich aus der Erfahrung des öffentlichen Dienstes noch einmal ansprechen —, daß auch Fortbildungsveranstaltungen am Dienstort und halbtägige Veranstaltungen angeboten werden, an denen auch diejenigen teilnehmen können, die sich für eine Teilzeitbeschäftigung entschieden haben. Ich möchte darauf hinweisen, daß das Bundesinnenministerium in den letzten Jahren entsprechende Fortbildungsangebote insbesondere für die Beschäftigten im mittleren und im gehobenen Dienst gemacht hat. Ausweislich der bisherigen Erfahrungen sind gerade die Angebote, die am Ort der Beschäftigung und die auch für Teilzeitbeschäftigte liefen, sehr gut angenommen worden.
Fünftens. Als besonders wichtig möchte ich die Regelung hervorheben, die sich mit der beruflichen Wiedereingliederung nach einer längerfristigen Beurlaubung beschäftigt. Das geht gerade auch in Richtung auf die Aufgaben für die Frauen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich habe nur eine begrenzte Redezeit, da aus unserer Fraktion noch weitere Sprecher zu Wort kommen sollen. Ich bitte um Nachsicht, daß ich dies hier ausführen will.
Dieser Problematik kommt besondere Bedeutung zu, nachdem im vorangegangenen Jahr der Beurlaubungszeitraum von sechs auf neun Jahre verlängert wurde. Meine Damen und Herren, hier gilt es Möglichkeiten zu eröffnen, die es längerfristig beurlaubten Bediensteten erlauben, auch während der Berufsunterbrechung den Kontakt zum Beruf und zu den Kollegen aufrechtzuerhalten. Je enger dieser Kontakt bleibt, desto leichter und effizienter wird die spätere berufliche Wiedereingliederung sein. Ich will hier deutlich machen: Die Richtlinie sieht zwei Möglichkeiten vor, diese Kontakte beizubehalten. Zum einen wird es beurlaubten Bediensteten ermöglicht, während der Beurlaubung an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen. Zum anderen ist vorgesehen, daß sie, wenn sie dies wünschen, Urlaubs- oder Krankheitsvertretung über-
13726 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
nehmen können. Das ist eine weitere Möglichkeit, sozusagen eine Brücke, um den Kontakt zum Arbeitsplatz zu erhalten.
Sechstens. Die Richtlinie sieht auch eine regelmäßige Berichterstattung über die Situation der Frauen in der Bundesverwaltung vor. Der Bundesinnenminister berichtet dem Innenausschuß des Bundestages alle drei Jahre über den Anteil der Frauen an den Beschäftigten in der Bundesverwaltung. Dabei wird sowohl auf den Anteil der Frauen an den neu Eingestellten als auch auf den Anteil an den Beförderten oder Höhergruppierten sowie an den Teilnehmern an Fortbildungsveranstaltungen eingegangen.
Meine Damen und Herren, hier wurde eben der Anteil der Frauen an den Beförderten angesprochen. Wir wollen natürlich auch, daß die Damen noch mehr Möglichkeiten haben, in höher eingestufte Ämter vorzudringen. Ich meine, wenn wir jetzt in großer Zahl Bewerberinnen neu einstellen, dann vergrößert sich damit die Möglichkeit, in Beförderungsstellen vorzudringen. Das wollen wir damit auch nachhaltig fördern, meine Damen und Herren.
Außerdem werden in den Berichten Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Situation der Frauen in der Bundesverwaltung dargestellt. Wir verweisen dabei immer gerne auf gute Erfahrungen, die in Ländern und Gemeinden schon gemacht worden sind.
So viel zum Inhalt unserer Frauenförderungsrichtlinie, die wir Anfang des Jahres 1986 ins Kabinett bringen und — um es noch einmal zu sagen — am 1. März 1986 in Kraft setzen wollen.
Sie sehen also: Die Regierung will mit ihren Programmen die Gleichberechtigung von Männern und Frauen voranbringen und in diesen Bereichen weiter aktiv bleiben mit neuen Initiativen. Die Bundesregierung wird diesen Weg weitergehen und das Ziel der Gleichberechtigung von Mann und Frau im öffentlichen Dienst und in allen übrigen Bereichen der Gesellschaft überzeugt und überzeugend vertreten. Ich meine, die Bundesregierung hat in den Jahren ihrer Arbeit seit 1982 dargestellt und durch Taten bewiesen, daß sie nicht nur Programme hat, sondern daß sie mit ihren Entscheidungen wirklich nachdrücklich etwas zur Verbesserung der Situation der Frauen getan hat. Sie wird das weiter so unternehmen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Martiny.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Hirsch, Sie haben beklagt, daß in dieser Diskussion das Feindbild nicht stimme. Ich will mir den Ausdruck „Feindbild" nicht zu eigen machen. In der Sache muß ich Ihnen aber zustimmen. Das „Feindbild" stimmt natürlich doch irgendwo: Es umfaßt unsere Gesellschaftsstrukturen insgesamt. Da müßte man sagen: Das „Feindbild" wäre der Mann. So würde ich das natürlich nicht formulieren. Insoweit würde ich es mir natürlich nicht zu eigen machen. Aber da liegt der Hund begraben.
Sie sagen, daß die Diskussion seit Jahren abgeschlossen sei. Das ist sicher richtig. Die Diskussion haben wir seit Jahren, seit Jahrzehnten geführt. Aber nun muß gehandelt werden.
Auf diesen Handlungsbedarf muß man hinweisen.
Das ist auch die Strategie, die hinter unserem Antrag steht. Wir wollen zeigen: Die Diskussion ist zu Ende; nun, Regierung tu was!
An diesem Punkt ist Ihr Argument, daß es keinen Sinn macht, immer bloß auf die rechtlichen Strukturen zu starren, natürlich nicht richtig; denn wenn die rechtlichen Strukturen so sind, wie Herr Waffenschmidt es hier gerade vorgetragen hat, daß nämlich die Veränderung lediglich darin besteht, daß man Soll-Bestimmungen und Prüfanträge und Berichtspflichten einführt,
ist das im Grunde nur eine Fortführung der Diskussion, aber nicht der Schritt zum Handeln.
Jetzt komme ich zu Ihnen, Frau Roitzsch. Mit seiner Aussage, das Feindbild stimme nicht, hat Herr Hirsch recht, wenn wir uns hier wechselseitig vortragen, was alles wir nicht gemacht bzw. nicht rechtzeitig gemacht haben oder was wir rechtzeitig bedacht und schon seit Adenauers Zeiten in die Diskussion eingeführt haben. Darüber, daß zwischen Parteitagsbeschlüssen und Regierungshandeln Welten liegen, muß man sozialdemokratische Frauen, die — wie ich — seit 1972 im Parlament sind, nicht belehren. Das wissen wir.
Die Diskussion, die Sie 1985 auf Ihrem grandiosen Frauenparteitag geführt haben, haben wir auf unserem Mannheimer Parteitag schon 1975 geführt.
Es hat verdammt lange gedauert, bis sich irgend etwas geändert hat, weil das „Feindbild" insoweit stimmt: Die Mehrheit ist männlich, und das Problem, das sich uns stellt, ist, die männlichen Strukturen zu verändern.
— Ach, Frau Roitzsch, Sie sehen j a niedlich aus und tragen das auch nett vor,
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13727
Frau Dr. Martiny-Glotz
und Sie haben sicherlich auch keine Schwierigkeiten, das in Ihrer Partei einigermaßen akzeptiert zu bekommen, weil Sie nicht so schrecklich viel Widerstand wecken. Aber machen Sie das einmal tatsächlich in der Realität! Setzen Sie das um, was Sie hier jetzt verkündet haben!
— Nun, mir wird das auch immer gesagt, aber ich habe inzwischen eingesehen, daß das nicht die Waffen sind, mit denen man weiterkommt. An der faktischen Situation der Frauen hat sich ja doch tatsächlich nichts Wesentliches verbessert.
Eines allerdings hat sich verbessert: Die Frauen organisieren sich mehr und mehr.
Es werden jetzt Förderpläne nicht nur im öffentlichen Dienst gefordert, und in einigen Bundesländern werden sie bereits mit verbindlichen Richtlinien durchgeführt, nämlich in Hamburg, in Bremen und in Nordrhein-Westfalen; ich denke, Hessen wird nachziehen.
— Aber doch nicht mit verbindlichen Richtlinien, Frau Roitzsch!
Auch das, was Herr Waffenschmidt hier vorgetragen hat, entbehrt ja völlig der Verbindlichkeit. Es ist notwendig, daß gesagt wird, in welchem Zeitraum und mit welchen konkreten Schritten sich etwas verändert. Es reicht nicht, nur zu sagen, was man gerne tun möchte. Der Ruf nach Förderplänen wird an den Hochschulen und wird in den Medien laut, und man kann nur hoffen, daß sich da wirklich auf allen Ebenen etwas verbessert.
Kürzlich sah ich am späten Abend, kurz vor der Nationalhymne, im Fernsehprogramm des Bayerischen Rundfunks die Auflistung derer, die dort in den einzelnen Abteilungen und auf der Leitungsebene Verantwortung tragen. Das hätte den Männern die Schamröte ins Gesicht treiben müssen, denn es waren wirklich nur Männer. Es ist schlimmer als im Mittelalter: Nur Männer sagen den Frauen, wo's langgeht. Das ist eine Art von Entmündigung, die sich die Frauen sicher nicht mehr länger bieten lassen werden.
Geschätzte männliche Kollegen, das Verweigern von Förderplänen zeigt doch, daß es Ihnen letzten Endes um die Macht geht. Denn eines ist doch ganz klar: Wenn man Frauen in dieses System hineinlassen will, geht das nur dadurch, daß Männer auf einen Teil ihrer Vorteile verzichten.
Eines erkennen wir Frauen, so meine ich, auch mit aller Deutlichkeit: daß Sie jetzt, um von dieser
Macht nichts abgeben zu müssen, eine neue Ideologie erfinden, die aber letzten Endes doch wieder die alte ist, um nur ja die Frauen auf dem zweiten Rang in der Gesellschaft, um sie bei ihrer Zweitrangigkeit zu belassen; denn um so strahlender tritt Ihr Bild hervor.
Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, Frauen an wichtigen Posten in der Gesellschaft zu beteiligen, und es kann nicht angehen, daß die am besten ausgebildete Frauengeneration in Deutschland heute die schlechtesten Berufschancen hat, wie das die Dortmunder Professorin Sigrid Metz-Goeckel kürzlich herausgestellt hat.
Wir politisch organisierten Frauen kämpfen, Frau Roitzsch genauso wie ich. Vielleicht wird im nächsten Bundestag der Zeitpunkt erreicht sein, zu dem endlich nennenswert mehr Frauen als 1919 im Parlament sitzen; bisher haben wir nämlich keinen Fortschritt erzielt.
Geschätzte Kollegen, wir erkennen aber auch, daß die Ebene der Parlamente nicht mehr die eigentlich machtvolle Ebene demokratischer Entscheidungsprozesse ist. Die Exekutive, unsere geliebte und gehaßte Bürokratie, hat weit mehr Entscheidungsspielraum als wir. Und da ist es richtig, was Herr Hirsch hier gesagt hat, daß es beklagenswert ist, daß Frauen in der Führungsebene praktisch nicht vorhanden sind. Hier herrscht Macht, und zwar ausschließlich Männermacht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte zu Ende kommen wegen der Redezeit meiner Nachfolgerinnen und Nachfolger. Deswegen wollen Sie auf Zwischenfragen bitte verzichten.
Den westlichen Demokratien ist es gut bekommen, daß die Arbeiterbewegung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts dazu geführt hat, daß aus der abgesonderten Arbeiterklasse gleichberechtigte und in das Gemeinwesen integrierte Staatsbürger geworden sind. In gleicher Weise wäre es höchst bekömmlich für unsere Demokratien, wenn endlich Ernst damit gemacht würde, aus den separierten Frauenfragen gesellschaftspolitische Fragen zu machen, die uns alle, Männer wie Frauen, angehen. Wir politisch aktiven Frauen wollen an der Macht nicht deshalb beteiligt werden, weil wir ähnlich unreflektiert auf die Macht angewiesen sind, wie das auf die Männer zum großen Teil zutrifft,
sondern wir wollen neue Impulse für eine bessere Art des Miteinander-Umgehens in diese Gesellschaft hineintragen.
13728 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Frau Dr. Martiny-Glotz
Wenn Herr Geißler in seiner ungewöhnlichen Sprach- und Bildkraft, die uns häufig auch sehr ärgert, an sich und an seine männlichen Kollegen die Forderung gerichtet hat, daß die Paschas von ihren Thronen herunter müßten, dann entgegne ich ihm — und komme damit zum Schluß —, so weit wollen wir gar nicht gehen, Herr Geißler. Es würde uns schon reichen, wenn Sie und die anderen männlichen Machtmenschen in den konservativen Gruppen der Gesellschaft
den Frauen die Hand reichten, um sie mit hinaufzunehmen auf den Thron. Deshalb brauchen wir verbindliche Frauenförderpläne.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Männle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren: Frau Martiny, darf ich ganz kurz auf Sie eingehen. Wenn ich unsere Diskussionen unter den Frauen recht verstehe, wenden wir uns eigentlich immer geschlossen gegen den sogenannten Sexismus. Was Sie gerade eben in der Reaktion auf meinen Kollegen getan haben, war auch Sexismus. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, daß wir die gleichen Muster übernehmen. Haben Sie nicht gerade in Ihrer Rede die Anpassung an die männlichen Diskussionen, an die männliche Rolle, an männliche Denkmuster ganz gezielt vorgenommen? Bei Ihnen kam mir gerade eben der Eindruck: Ist Gleichberechtigung Gleichstellung mit dem Mann mit all den negativen Aspekten, die wir unter uns Frauen in einer ganz anderen Weise diskutieren? Sie haben hier die Sprache der Männer übernommen. Sie fordern mehr Frauen in die Parlamente. Richtig. Ich verspreche mir aber durch mehr Frauen in den Parlamenten, durch das eigene Einbringen auch der Frauen eine Änderung im Stil. Das, was Sie gerade eben praktiziert haben, ist keine Stiländerung,
sondern die glatte Übernahme dessen, was wir seit fast 100 Jahren jetzt hier praktizieren und was wir bedauern.
Wir diskutieren heute die Frage der Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst. Es zeigt sich in der Diskussion, daß wir uns vielleicht ein bißchen schwer tun, das hier ausgesprochen politisch anzugehen, weil Ihr Antrag meines Erachtens ein Schaufensterantrag ist. Sie versuchen, auf andere Probleme auszuweichen, die Sie mit dem anderen Antrag, den Sie eingebracht hatten, diskutieren wollten. Sie haben meines Erachtens die allgemeine Diskussion in den Ausschüssen nicht verfolgt. Ich kann mich erinnern, vor einiger Zeit hatten wir im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und im Innenausschuß die Frage von Frauenförderungsplänen besprochen und haben uns positiv dafür ausgesprochen. Warum müssen Sie hier noch einmal einen Antrag in das Parlament einbringen, der nur das bestätigt, was wir ohnehin getan haben?
Sie betreiben hier einen Aktionismus, um nach außen hin deutlich zu machen, Sie tun etwas für Frauen. In Wirklichkeit wollen Sie nur das nachvollziehen, was wir ohnehin getan haben.
Lassen Sie mich kurz auf das eingehen, was wir in der letzten Zeit getan haben. Herr Staatssekretär Waffenschmidt hat die Richtlinie angesprochen, auf die ich deshalb nicht näher eingehe.
Lassen Sie mich das Fünfte Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften anführen. Wir haben es im Juli 1984 beschlossen. Darin ist die Teilzeitbeschäftigung für Männer und Frauen im öffentlichen Dienst geregelt. Sie wissen, daß aus familiären Gründen — das ist die sog. familienpolitische Fallgruppe — Beamtinnen inzwischen bis zu 15 Jahren von der Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung Gebrauch machen können. Sie wissen, daß wir die sog. arbeitsmarktpolitische Fallgruppe in den öffentlichen Dienst aufgenommen haben; es ist ebenfalls die Teilzeitbeschäftigung von Männern und Frauen möglich. Sie rennen hier offene Türen ein, aber Sie stehen davor und trauen sich nicht über die Schwelle.
Wir haben anderen Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag erheben, längst entsprochen. Lassen Sie mich auf das Beschäftigungsförderungsgesetz eingehen. Sie sagen hier, die Teilzeitbeschäftigung solle gegenüber der Vollzeitbeschäftigung nicht diskriminiert, sondern gleichgestellt werden. Wir haben im Beschäftigungsförderungsgesetz ganz selbstverständlich eine unterschiedliche Behandlung von Vollzeit-Arbeitnehmerinnen und TeilzeitArbeitnehmerinnen verboten. Das sind konkrete Beschlüsse, die hier im Bundestag längst gefaßt worden sind und die Sie ungern zur Kenntnis nehmen wollen.
Sie wollen der Öffentlichkeit immer weismachen, hier bestehe ein Handlungsbedarf; Frau Martiny, Sie haben das gesagt. Wir haben gehandelt. Das paßt Ihnen nicht; das verstehe ich, weil Sie lieber reden als handeln.
Das Beschäftigungsförderungsgesetz erlaubt auch eine Teilung des Arbeitsplatzes. Sie fordern, diese Teilung dürfe nicht zu Lasten der Arbeitnehmer gehen. Das ist im Beschäftigungsförderungsgesetz geregelt. Auch die Arbeitsplätze auf Abruf sind im Beschäftigungsförderungsgesetz für Frauen positiv geregelt.
Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt ansprechen. Es ist hier davon gesprochen worden, daß vor allem im akademischen Bereich Schwierigkeiten für Frauen bestünden. Denken Sie an die Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes. Vor nicht allzu langer Zeit, im September, haben wir das Hochschulrahmengesetz verabschiedet. Wir haben in Art. 2 die spezifische Förderung von Frauen
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Frau Männle
aufgenommen. Frau Odendahl, es sind nicht nur reine Appelle für die Frauen. Denken Sie etwa an die befristeten Arbeitsverträge für junge Wissenschaftlerinnen. Sie wissen, daß es ein übliches Verfahren an der Hochschule ist, Assistentinnen einen befristeten Arbeitsvertrag zu geben. Wir haben etwas ganz Konkretes — keinen Appell — in dieses Gesetz aufgenommen: Die befristeten Arbeitsverträge all derjenigen Frauen, die ein Kind bekommen, werden verlängert. Sie müssen dann eben nicht nach 5 oder 6 Jahren aufhören; die Arbeitszeit verlängert sich um die Zeit der Kinderbetreuung. Das ist ein konkreter erster Schritt, den Sie nicht einfach unter den Tisch fallen lassen sollten, indem Sie sagen, das seien nur allgemeine Appelle. Das ist etwas ganz, ganz, Konkretes.
Frau Odendahl, auch Sie haben gesagt, es bestehe Handlungsbedarf. Sie haben darauf hingewiesen, man solle die Mitwirkung von Frauen in die Praxis umsetzen. Lassen Sie mich noch ein anderes Beispiel für die Umsetzung in die Praxis geben. Frau Minister Wilms steht einem Ministerium vor, daß von Ihnen eingerichtet worden ist; Sie haben die Positionen besetzt. Lassen Sie mich die Einstellungspraxis von Frau Minister Wilms anführen: Allein im Jahre 1985 sind bei 8 Einstellungen in den höheren Dienst sechs Frauen eingestellt worden. Ist dies nicht eine positive Maßnahme? Ist das nicht ein Beispiel für alle anderen? Wir reden nicht, sondern wir handeln. Das entspricht genau dem, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Sie fordern, daß Frauen auch in höherqualifizierte Positionen aufsteigen sollen. Auch 1985 entfiel im Ministerium von Frau Wilms die Hälfte aller Beförderungen in höhergestellte Positionen — also ab A 15 — auf Frauen, obwohl die Decke für diejenigen, die befördert werden können, noch relativ eng ist.
Oder nehmen Sie das Problem der Teilzeitarbeit. Im Bildungsministerium sind in diesem Jahr 2 Referentinnen eingestellt worden, die sich einen Arbeitsplatz teilen; eine arbeitet in der ersten Wochenhälfte, die andere in der zweiten Wochenhälfte. Meine Damen und Herren, ist das nichts? Ist das nicht eine Umsetzung? Ist das nicht Handeln? Handeln, nicht reden! Wir handeln.
Nehmen Sie die Auszubildenden — auch die hatten Sie angesprochen —, als Beispiel wiederum das Ministerium für Bildung und Wissenschaft: Von 19 Auszubildenden, die dieses Jahr eingestellt worden sind, sind 12 Mädchen. Überproportionales Einstellen von Mädchen, weil ein Defizit besteht. Warum hört man dazu von Ihnen nie etwas? Uns werfen Sie Handlungsbedarf vor. Sie selbst reden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, es geht wohl noch, Herr Jaunich.
Bitte, Herr Kollege.
Frau Kollegin, wäre es nicht, wenn Sie immer davon sprechen, daß Sie handelten und nicht nur redeten, die logische Konsequenz, daß wir heute über diesen Antrag in der Sache befinden und ihn nicht überweisen würden?
Herr Jaunich, ich versuchte vorhin deutlich zu machen, daß Ihr Antrag eigentlich obsolet ist. Nachdem aber Frau Kollegin Martiny vorhin gesagt hat, sie glaube dieser Richtlinie nicht so ganz, sie finde das nicht konkret genug formuliert, sollten wir noch einmal in der Ausschußberatung überprüfen, ob dies tatsächlich alles übereinstimmt.
— Der Antrag ist nur auf die Richtlinie bezogen. Die Richtlinie wird vorgelegt und im Kabinett verabschiedet werden. Beziehen wir sie in die Ausschußberatungen mit ein und überprüfen wir das dann! Ich meine, es deckt sich. Von Ihnen ist gerade eben geäußert worden, es decke sich nicht. Nageln wir das gemeinsam fest. Warum nicht? Ich meine nicht, daß wir unbedingt jetzt abstimmen müßten.
Lassen Sie mich noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Sie versuchen immer, Keile hineinzutreiben und tun sich jetzt ein bißchen hart, weil die Türen, die Sie einrennen wollen, schon offen sind.
Ich erinnere auch an den gemeinsamen Entschließungsantrag aller Fraktionen, den wir bei der Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes gefaßt haben. Dabei ging es um die Behandlung von Bewerbungen für die Einstellung in den öffentlichen Dienst. Wir haben in diesem Hause übereinstimmend die Bundesregierung aufgefordert, bei Verzögerungen, die bei Frauen infolge von Geburten oder Kindererziehung entstehen, zu überprüfen, ob ähnlich wie bei jungen Männern, die Wehrdienst oder Ersatzdienst leisten, verfahren werden kann. Meine Damen und Herren, ich könnte hier noch zahlreiche andere Beispiele aufführen. Aber meine Redezeit ist zu Ende.
Fazit: Wir haben gehandelt.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Terborg.
Frau Präsident! Meine Herren und Damen! Die Debatte ist lang, aber was haben wir bisher nicht schon alles an großen und ergreifenden Worten hören können? Danke schön! — Hört man aber genauer hin, dann läuft diese Aussprache nach sattsam bekanntem Strickmuster: für die Frauen eine Handvoll Streicheleinheiten — für die Männer die Arbeitsplätze.
Blicken wir bitte genauer in die aktuelle Arbeitslosenstatistik. 2,21 Millionen Arbeitslose wurden im November gezählt, darunter 1,03 Millionen Frauen. Das sind nicht weniger als 46,6 %. Dazu kommen, so sagen die Arbeitsmarktforscher, nicht weniger als 1,5 Millionen Arbeitsplatzsuchende, die keine wie auch immer geartete Leistung erhalten und die die
13730 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Frau Terborg
Hoffnung längst aufgegeben haben, von den Am-tern einen Job vermittelt zu bekommen.
156 416 Jugendliche sind arbeitslos. Und wieder wissen wir alle, daß auch die Mädchen die Hauptlast der Beschäftigungskrise zu tragen haben. 2 644 430 sind Teilzeitbeschäftigte. 238 000 — das sind 10,8 % — suchen verzweifelt einen Teilzeitarbeitsplatz. Sie gehen nicht fehl in der Annahme, daß in beiden Bereichen rund 90 % Mädchen und Frauen sind. Und wenn man dann noch berücksichtigt, daß rund zwei Millionen Arbeitnehmer eine Tätigkeit unterhalb der Sozialversicherungsschwelle — davon weit über die Hälfte Frauen — ausüben, dann wird uns sehr schnell klar, was von den schönen Reden zu halten ist, die uns auch heute wieder ins Ohr geträufelt werden.
Für diese ungleiche Behandlung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt gibt es keine rationale Begründung. Es kann sie auch nicht geben, es sei denn, man rechnet Denkträgheit und Vorurteil zur Ratio.
Überall, bei den Ländern und Kommunen, sprießen Gleichstellungsstellen aus dem Boden, werden Frauenbeauftragte eingestellt. Schön so — wir haben lange dafür kämpfen müssen. Das darf aber, meine Herren, nicht alles sein. Die Frauenbeauftragten, die Gleichstellungsstellen müssen auch Kompetenzen erhalten. Sie müssen die Möglichkeiten bekommen, den heute wieder so eindringlich bekundeten Willen des Gesetzgebers umsetzen zu können. Durch eine statistische Erfassung der Verstöße, durch das Anprangern geschlechtsspezifischer Voreingenommenheit erhält keine einzige Frau eine Beschäftigungschance mehr. Betätigungsfelder gibt es genug. Wir dürfen nur nicht vor des Nachbars Hoftür kehren wollen, sondern müßten im eigenen Bereich, im öffentlichen Dienst, Frühjahrsputz veranstalten.
Bei Bund, Ländern und Gemeinden sind rund 1,8 Millionen Frauen, das sind 40 % aller öffentlich Bediensteten, beschäftigt. 1,4 Millionen Frauen sind in den Länder- und Gemeindeverwaltungen tätig. Sie arbeiten als Lehrerinnen, als Krankenschwestern und als Schreib- oder Bürokräfte. In Bundesdiensten sind von 332 000 Beschäftigten 82 000 Frauen. In Kohls Herrenriege zählen wir — welch gigantischer Fortschritt! — zwei Ministerinnen und eine Parlamentarische Staatssekretärin. Von 133 Abteilungsleiterpositionen konnten die Frauen ganze zwei Plätze erobern. Sieben sind es im erlauchten Kreis der 250 Unterabteilungsleiter. Im höheren Dienst weist die Personalstatistik 7,1 Frauen aus, im gehobenen Dienst sind es 23,7 v. H. Es handelt sich meist um Lehrerinnen.
Je weiter wir in der Pyramide nach unten geraten, um so mehr Frauen finden wir: als Krankenpflegerinnen, als Schreibkräfte, als Raumpflegerinnen. Frauen werden überwiegend als Arbeiterinnen oder Angestellte eingestellt. Nur ein Viertel wird in das Beamtenverhältnis übernommen. Die Unkündbarkeit nach 15 Beschäftigungsjahren und nach Vollendung des 40. Lebensjahres erreichen Frauen nur, wenn sie auf die Chance verzichten, eine Familie zu gründen, oder wenn sie so schnell wie möglich wieder an ihren Arbeitsplatz zurückeilen.
Ja, so ist das. — Da kann der Herr Bundesinnenminister noch so wolkige Richtlinien in die Welt setzen. Arbeitsplätze dürfen demnach nicht mehr geschlechtsspezifisch ausgeschrieben werden. Das ist allerdings schon EG-Recht. Bei der Besetzung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen sollen Frauen unter Beachtung des Leistungsprinzips angemessen berücksichtigt werden. Das hat Herr Waffenschmidt eben vorgetragen. Da kichern selbst die Hühner in Nordenham und erzählen sich, daß die meisten SPD-Länder fortschrittlichere Regelungen haben.
— Verbindliche dazu, j a.
In der Frage der Fortbildung fehlt der Hinweis, daß Frauen besonders zur Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen animiert und daran stärker als bisher beteiligt werden müßten. Vielleicht holt sich Herr Zimmermann sachkundigen Rat bei seinen Kollegen in Berlin, Kiel und Mainz.
Teilzeitarbeit sieht das Haus Zimmermann nur bei Bedarf und unter Berücksichtigung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung: Hier ist er wieder, der gebremste Reformeifer des Innenministers. Berlin, Rheinland-Pfalz und selbst Schleswig-Holstein gehen da weiter. Vielleicht windet unsere neue Familienministerin ihrem Kollegen den Federhalter aus der Hand und setzt beim Bund zumindest das durch, was ihr Haus den Privatbetrieben in einem Leitfaden anempfiehlt.
Wo, meine Herren und Damen, bleibt überhaupt die umfassende Frauenförderungskonzeption des Bundes? Ist die Regierung bereit, die Verwirklichung dieser Konzeption durch regelmäßige Berichterstattung an das Parlament zu belegen? Warum hat die Regierung ohne Not die Modellversuche zur Ausbildung von Mädchen im technisch-industriellen Bereich ersatzlos auslaufen lassen?
Ich will Ihnen sagen, warum Sie sich, meine Herren aus der Koalition, hinter dem Bollwerk Ihrer hohlen Phrasen verschanzen: Noch immer betrachten Sie die berufstätige Frau als Reservearmee für den Arbeitsmarkt. Wenn die geburtenschwachen Jahrgänge ins Erwerbsleben gelangen, wird man mit vielen süßen Worten die Frauen von der Küche in die Büros und an die Werkbänke locken. Wenn Massenarbeitslosigkeit herrscht, entdeckt Herr Blüm die neue Mütterlichkeit. Es ist wirklich schon alles dagewesen. Aber muß es denn immer so sein und immer zu Lasten der Frauen ausgehen?
1983 schrieb eine couragierte Professorin u. a.:
Die Berufschancen in den traditionellen Frauenberufen nehmen spürbar ab. Das gilt ebenso für das Bildungs- wie das Sozialwesen. Die dort bislang verfügbaren Arbeitsplätze fallen dem Rotstift der öffentlichen Einsparungen zum Opfer.
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Frau Terborg Sie fuhr fort:
Frauen erfahren im Unterschied zum Mann, daß ihre berufliche Tätigkeit, ihre Beteiligung an der bezahlten Arbeit keineswegs selbstverständlich, ihr Anspruch auf Arbeit im öffentlichen Bewußtsein nicht abgesichert ist.
Schließlich kam die Autorin zu dem fast schon resignierenden Schluß:
Frauen werden gegenwärtig weder vom beruflichen noch vom sozialen Netz aufgefangen. Klare Zukunftsperspektiven sind nicht erkennbar.
Das waren Sie, Frau Minister, vor zwei Jahren. Wir können dieser Analyse nur zustimmen.
Nun befinden Sie sich in der einzigartigen Lage, in Ihrer Politik die richtigen Schlüsse zu ziehen. Leicht werden Sie es dabei nicht haben; das prophezeien wir Ihnen jetzt schon. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion leiht Ihnen immer dann ihre Unterstützung, wenn Sie darangehen sollten, die geschlechtsspezifischen Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt aufbrechen zu helfen.
Packen Sie's an. Sicher werden Sie auch im Unionslager noch den einen oder anderen Mitstreiter finden. Ich wünsche es Ihnen jedenfalls.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich sehr spontan auf die Rede von Frau Kollegin Martiny hin hier zu Wort gemeldet. Vielleicht können Sie einmal ganz kurz zuhören, Frau Kollegin.
Sie haben etwas in die Diskussion eingebracht, was ich im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung für bedenklich halte. Sie haben gesagt: Die Männer sind auf gewisse Machtstrukturen angewiesen, sind machtbesessen; die Frauen haben das nicht nötig.
Ich halte diese Diskussion für sehr gefährlich. Ich will Ihnen einige Namen nennen, um zu zeigen, wie gefährlich diese Diskussion ist. Ich denke da an Elisabeth I., ich denke an Katharina die Große, ich denke an Maria Theresia.
Ich nenne Ihnen auch Namen von Regierungschefinnen aus der Neuzeit, die alle Kriege geführt haben. Ich kenne keine Frau, die Regierungschefin in der Neuzeit war, die keinen Krieg geführt hat. Ich will Ihnen hier Namen nennen: Indira Gandhi, Frau Golda Meir, Margaret Thatcher, Frau Bandaranaike. Alle haben Kriege geführt.
Dennoch sage ich nicht, Frau Kollegin, daß die Frauen machtbesessen sind.
Ich halte es für verkehrt, wenn man in diesen Strukturen denkt.
Frau Kollegin, es ist der Geist des gegensätzlichen Denkens, der die Gleichberechtigung verhindert. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich hätte mir eigentlich gewünscht, daß die Rednerinnen der Opposition etwas mehr Selbstbewußtsein gezeigt hätten. Das käme der Gleichberechtigung insgesamt sehr viel mehr zugute als diese Reden, die Sie hier gehalten haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Eimer, mit dem Machtbewußtsein ist das so eine Sache. Wenn wir Männer ganz ehrlich sind, müssen wir sagen: Wir bemühen uns doch, unseren Status, unsere besseren Sozialchancen und auch den Zipfel der Macht, den wir in der Gesellschaft haben, z. B. als Mitglieder dieses Parlaments, zu erhalten und andere abzuwehren, die uns diesen Zipfel wegreißen wollen. Da sollten wir ein bißchen ehrlicher sein, als Sie das hier getan haben.
Frau Kollegin Männle, unser Antrag ist ein Dreivierteljahr alt. Wenn sich in der Zwischenzeit wirklich etwas bewegt hat, können wir durchaus den Zusammenhang konstruieren, daß es unsere Initiative war, die mit dazu beigetragen hat, daß sich etwas bewegt hat. Wenn sich etwas in die richtige Richtung bewegt hat — um so besser.
Dann verstehe ich aber nicht mehr, warum Sie nicht bereit sind, Frau Kollegin Männle, heute hier unserem Antrag zuzustimmen, ihn sofort zu verabschieden, aber nicht darauf zu warten, bis die Regierung mit Richtlinien kommt; es sei denn, Sie wollen wieder zwischen dem, was Sie hier heute in schönen Reden vertreten haben, und dem, was Sie mit Ihren Rechten als Parlamentarierinnen und Parlamentarier machen, eine Diskrepanz aufklaffen lassen. Ich fürchte — und wir werden das draußen auch so sagen —, daß Ihr heutiges Verhalten — erst mal überweisen, und dann wollen wir mal sehen — genau in die Richtung geht, die Sie bisher immer verfolgt haben, daß Sie nämlich große Worte an die Adresse der Frauen richten, weil Sie wissen, das sind mehr als 50 % der Wähler, aber daß Sie bei den Taten, die dann folgen müßten, ganz klein schreiben und vor den gesellschaftlichen Widerständen kneifen, die man bei Frauenpolitik mit Sicherheit immer zu erwarten hat.
Frau Kollegin Männle, was das Hochschulrahmengesetz angeht, damit Sie da nicht eine Legende stricken: Sie haben mit Ihrer Mehrheit unseren Antrag abgelehnt, im Hochschulrahmengesetz verbindlich Frauenförderungspläne und Frauenbeauftragte vorzuschreiben. Es ist eben gerade kein Durchbruch gewesen, was Sie gemacht haben. Ich fürchte, das wird mit den Frauenförderungsrichtlinien genauso werden, wenn es konkret wird.
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Kuhlwein
Ein weiterer Punkt. Wenn die Frau Ministerin Wilms, wie ich sie nennen würde, obwohl sie sich immer „der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft" nennt, durch Kraftakte in den letzten Wochen die Situation der Frauen in ihrem Ministerium verbessert haben sollte, dann, Frau Männle, wollen wir doch nicht vergessen: alle Abteilungen und Unterabteilungen werden nach wie vor von Männern geleitet, und von 48 Referaten wird nur eines von einer Frau geleitet. Also, der Durchbruch ist so gewaltig noch nicht, der da in der Zwischenzeit angeleiert worden ist.
— Bei uns war die Situation traurigerweise ungefähr genauso, ja.
Aber dazu hat Frau Martiny hier schon das Richtige und Notwendige gesagt.
Ich wollte nur noch zu den Zahlen eines ergänzen, die auch Margitta Terborg hier vorgetragen hat. Bei den Obersten Bundesgerichten liegt der Anteil der Frauen noch immer nicht über 5%. Auch dies ist ein Fakt, der verändert werden müßte.
Nun hat Herr Staatssekretär Waffenschmidt heute etwas zur Doppelverdienerkampagne gesagt.
Ich finde das gut, daß er sich davon distanziert hat, aber ich fürchte, die Flüsterpropaganda an den Stammtischen wird weitergehen und wird sich weiter gegen die Frauen richten.
— Ja, Herr Kollege Kroll-Schlüter, es gibt eine ganze Reihe von Leuten in der Union, die den sogenannten Doppelverdienern den Kampf angesagt haben.
Die CSU will potentielle Doppelverdiener in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr mitzählen. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel hatte die Idee, nur noch einen Teil eines Ehepaares im öffentlichen Dienst zu beschäftigen, und die Bayerische Staatsregierung appellierte an solche Ehepaare, doch einen ihrer beiden Arbeitsplätze aufzugeben. Dabei sind als Doppelverdiener nicht etwa Hochschulprofessoren gemeint, die durch Drittmittelforschung und Gutachtertätigkeit ihr Einkommen verdoppeln, gemeint sind auch nicht Zahnärzte, die doppelt so viel verdienen wie der Bundeskanzler.
Gemeint sind auch nicht Abgeordnete, die ihr Einkommen über Beratertätigkeiten verdoppeln. Gemeint sind Paare, bei denen Frau und Mann arbeiten, weil sie es entweder müssen, um menschenwürdig leben zu können, oder weil sie beide zu Recht feststellen, daß in unserer Gesellschaft Erwerbsarbeit noch immer Voraussetzung für Teil-
habe am Gemeinschaftsleben, für ein Stück Selbstverwirklichung und für die gesellschaftliche Anerkennung ist. Deswegen muß dieses Gerede vom Doppelverdienertum aufhören, meine Damen und Herren. Ich bitte auch Sie auf der rechten Seite des Hauses, das, was Herr Waffenschmidt heute gesagt hat, überall in der Öffentlichkeit konkret nachzuvollziehen.
Wir brauchen keine Doppelverdienerkampagne, die die Frauen wieder gehen läßt, nachdem sie ihre Schuldigkeit getan haben. Wir brauchen Ausbildung, Arbeit und Aufstiegsmöglichkeiten für alle. In einer Gesellschaft, die die faktische Gleichstellung der Geschlechter noch lange nicht erreicht hat, brauchen wir dies vor allem für Frauen.
Zum Schluß noch etwas an die Adresse meiner männlichen Kollegen. Der Herr Hirsch hatte sich heute morgen geirrt, als er meinte, dieses Thema sei in diesen Debatten immer nur ein Thema für Frauen. Ich gehöre zu den männlichen Mitgliedern meiner Fraktion,
die bei uns im „Arbeitskreis Gleichstellung" mitarbeiten. — Herr Kollege Bötsch, das täte Ihnen auch gut, ab und zu mal bei der Frauengruppe der CDU/CSU-Fraktion reinzugucken; dann würden Sie wahrscheinlich eine Menge lernen.
Eine Untersuchung der Zeitschrift „Brigitte" vom vergangenen Monat hat die Männer je nach Einstellung zur Frauenarbeit in fünf Gruppen eingeteilt: die egalitären, die liberalen, die schwankenden, die konservativen und die Chauvinisten. Nun zähle ich mich natürlich gerne zu den egalitären, zu denen nämlich, die bereit sind, Frauen zu fördern und ihre eigenen Interessen auch einmal hinter diejenigen der Frauen zu stellen. Meine Frau sieht das natürlich ein bißchen anders und differenzierter; die konzediert mir allerhöchstens, zur liberalen Gruppe zu gehören, weil ich nur so lange für Rechte und Gleichberechtigung der Frauen eintreten würde, solange meine eigene Position nicht erschüttert wird oder bedroht ist.
— Das ist eigentlich kein Grund zum Lachen. Ich meine das ernst, weil ich daran etwas deutlich machen will.
Viele Frauen glauben, die meisten Männer hätten Angst, daß ihnen Herrschaft und Privilegien verlorengingen. Ich gebe den Frauen nur teilweise recht. Aber ich glaube, es geht bei vielen Männern eher um die Angst, eine bisher ungewohnte Rolle in der Familie und in der Gesellschaft zu akzeptieren.
Meine Herren, wir Männer sollten uns dieser Herausforderung mit demselben Mut stellen, der
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Kuhlwein
uns bisher angeblich zur Übernahme der Führungsaufgaben in der Gesellschaft befähigt hat.
Voraussetzung dafür ist allerdings — und da möchte ich ein Luther-Wort abwandeln —, daß wir Männer bereit sind, den alten Adam in uns durch tätige Reue zu ersäufen.
Schönen Dank, meine Damen und Herren.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/3055 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Vierten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts
— Drucksache 10/317 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/4268 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Helmrich Kleinert Stiegler
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts
— Drucksache 10/3440 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/4268 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Helmrich Kleinert Stiegler
Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4447, 10/ 4448 und 10/4423 bis 10/4430 Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie ein Änderungsantrag der
CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b und eine Aussprache von 105 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
— Als Berichterstatter oder als Redner?
— Also gut. Dann ist das auf das Fraktionskontingent anzurechnen.
— Gut. Sie vereinbaren das: Sie sprechen einen Teil zur Berichterstattung und einen Teil zur Debatte.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Helmrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche erstens als Berichterstatter, und zwar zur Drucksache 10/4447. Es liegt ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen vor. Wir haben einige Berichtigungen, die sich aus den Ziffern 1 bis 12 ergeben. Wir haben eine umfangreichere Berichtigung in der Ziffer 3. Die Vierte Richtlinie war durch die Siebente Richtlinie geändert worden. Das war zunächst übersehen worden. Wir bitten, diesen Berichtigungen zuzustimmen.
So viel als Berichterstatter.
Neben diesen Berichtigungen spreche ich zu den genannten Drucksachen zur Umsetzung der Vierten, der Siebenten und der Achten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie. Das sind die Bilanz-, die Konzernbilanz- und die Prüferrichtlinie.
Diese Richtlinien galt es in deutsches Recht umzusetzen. Als im Frühjahr 1982 die damalige Bundesregierung das Gesetz zur Vierten Richtlinie eingebracht hatte, schrieb das „Handelsblatt" unter der Überschrift „Der Bundestag will auch noch mitreden" am 17. Juli 1982:
Das Vierte Bilanzrichtlinie-Gesetz mit seinen einschneidenden Veränderungen für die deutsche Wirtschaft ist bisher überwiegend auf dem Mist der Ministerialbürokratie gewachsen. Nun melden sich aber auch noch zunehmend Bundestagsabgeordnete zu Wort, die ähnlich wie bei der Reform des GmbH-Rechts Einfluß auf die im Gesetzentwurf der Bundesregierung ausgeuferte Materie nehmen wollen.
Heute, knapp dreieinhalb Jahre später, ziehen wir mit der Abstimmung über dieses Gesetz Bilanz und stellen fest, wie weit der Bundestag Einfluß auf die Umsetzung der Bilanzrichtlinien nehmen wird.
Unsere Schlußbilanz in diesem Gesetzgebungsverfahren ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Regierungsentwürfe einerseits und der Beschlußempfehlungen des Rechtsausschusses andererseits. Schon eine flüchtige Durchsicht zeigt, daß
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Helmrich
beim Recht des Einzelabschlusses, Drucksache 10/317, wesentlich mehr Änderungen vorgenommen worden sind als beim Konzernabschluß, der Drucksache 10/3440.
Die Änderungen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ergaben sich sowohl im Aufbau als auch in der Durchkonstruktion des Gesamtgesetzes.
Wir sind der Bundesregierung gefolgt in der Entscheidung, den Adressatenkreis weiter zu fassen, als die Vierte Richtlinie verlangt. Die große Zahl von Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, die die Vierte Richtlinie enthält, mußte auch für andere als Kapitalgesellschaften, für die die Vierte Richtlinie sonst nur gilt, umgesetzt werden. Wir sind der Bundesregierung auch gefolgt in der Entscheidung, die wesentliche Umsetzung im Dritten Buch des HGB vorzunehmen.
Wir sind der Bundesregierung nicht gefolgt im Aufbau, wonach das durchgängige Leitbild für die Gliederungsvorschriften, für Ansatz- und Bewertungsvorschriften die kleine GmbH sein sollte. Wir sind der Bundesregierung ferner nicht gefolgt in der Einführung eines Oberbegriffs für alle Unternehmen, weil dieser Unternehmensbegriff in der weiteren Folge des Gesetzes doch in einem sehr hohen Maße wieder untergliedert worden ist, so daß insgesamt 13 Unternehmensbegriffe herauskamen, die den Gesamtentwurf schwerfällig und schwer lesbar gemacht haben. Dieser Oberbegriff für alle Unternehmen hatte unserer Auffassung nach keine ausreichende Ordnungsfunktion.
Diese Strukturmerkmale haben wir verändert und haben insbesondere — woran der Entwurf der Regierung auch litt — die alten Vorschriften im HGB, nämlich die §§ 38 bis 47d, in gleicher Weise mit aufgenommen mit der Folge, daß sie nicht am Anfang des HGB als Torso stehenblieben. Diese Vorschriften muß nämlich schon jeder Steuerfachgehilfe lernen. Wenn er dann aber dort für die wesentlichen Bewertungsvorschriften etwa nur Verweisungen auf das Dritte Buch findet, so hat er Not, sich dann im Dritten Buch zurechtzufinden.
Wir sind bei unserer neuen Konzeption einen anderen Weg gegangen. Unser Bestreben bestand zunächst darin, die Vorschriften, die für alle Kaufleute gelten sollen, von denen zu trennen, die zusätzlich und erschwerend nach der Richtlinie nur für Kapitalgesellschaften gelten sollten.
Ferner wollten wir, wo möglich, alte Textstellen erhalten und diese möglichst mit neuen Vorschriften organisch verbinden. Gleichsam als Rohmaterial hatten wir von vier Textgruppen auszugehen, von den alten §§ 38 bis 47d HGB, den §§ 148 ff. des Aktiengesetzes, den §§ 41 ff. des GmbH-Gesetzes und den Vorschriften der Vierten Richtlinie. Als Vorlage diente der Regierungsentwurf. Diese Texte galt es, gesetzessystematisch sauber und nach den Vorgaben der Vierten Richtlinie teils einander zuzuordnen, teils umzuformulieren, teils ineinander aufgehen zu lassen.
Als erstes haben wir aus dem Regierungsentwurf alles herausgefiltert, was für alle Kaufleute gelten soll, sowohl für Einzelkaufleute, Personenhandelsgesellschaften als auch für Kapitalgesellschaften. Dies sind natürlich — neben einigen anderen Vorschriften — insonderheit die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, deren gesetzliche Fixierung die Vierte Richtlinie in größerer Zahl fordert, als dies bei uns der Fall ist.
Diesen aus diesem Filterprozeß hervorgegangenen Vorschriften haben wir die altehrwürdigen Vorschriften der §§ 38 ff. HGB hinzugefügt. Das Dritte Buch des HGB haben wir so mit einem Ersten Unterabschnitt eingeführt, in dem wir die alten §§ 38, 39 und 43 HGB durch die neu hinzukommenden Vorschriften über Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ergänzt haben; das sind insbesondere Ansatz- und Bewertungsvorschriften. Es folgen dann im Dritten und Vierten Unterabschnitt nach den Ansatz- und Bewertungsvorschriften die alten §§ 42 bis 47 d HGB.
Dieser erste Abschnitt ist, so gesehen, nichts anderes als die rechtssystematische Anreicherung der alten §§ 38 bis 41 d HGB. Sie enthalten neben den bisherigen Vorschriften „Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung", deren gesetzliche Normierung durch die Vierte Richtlinie vorgeschrieben ist. Sie sind deshalb nicht vollständig, sie sollten es auch gar nicht sein. Aber diese 26 Paragraphen ruhen in sich, sie sind in sich abgeschlossen. Nur die Geltungsbereichs-Vorschrift für Soll-Kaufleute weist über diesen Abschnitt hinaus.
Im übrigen gibt es in diesen Vorschriften nur vier Verweisungen auf andere Paragraphen.
Das Gewicht dieser Besonderheit wird deutlich, wenn man damit den Paragraphen für die Unternehmensdefinition im Regierungsentwurf vergleicht, der in eineinhalb Textspalten allein 14 Verweisungen enthält. Die meisten davon weisen auch noch aus dem Dritten Buch heraus.
Dieser Erste Abschnitt gilt für alle Kaufleute, also sowohl für Einzelkaufleute, Personenhandelsgesellschaften und Kapitalgesellschaften. Für Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften soll er abschließend gelten, für die Kapitalgesellschaften fungiert er als allgemeiner Teil, dem dann der Zweite Abschnitt, der ergänzende Vorschriften für Kapitalgesellschaften enthält, als besonderer Teil folgt.
Wir haben mit den folgenden Vorschriften im Zweiten Abschnitt die Vorschriften des GmbH-Gesetzes ersetzt. Die §§ 148 ff. Aktiengesellschaft haben wir zum Teil durch Richtlinien-Vorschriften ersetzt, und zum Teil, soweit sie sich mit RichtlinienVorschriften decken, sind sie teils in den Ersten, teils in den Zweiten Abschnitt eingeflossen. Wir glauben, daß wir die vier Ausgangstexte hiermit systematisch ineinandergefügt haben. Der Aufbau des Dritten Buches folgt so dem Prinzip vom Einfacheren zum Komplizierteren, von der einfacheren Rechtsform zur komplizierteren, vom einfacheren Jahresabschluß zum detaillierteren und — generell
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— vom kleineren Kaufmann zum größeren. Damit haben wir den klassischen Gesetzesaufbau, der mit dem Allgemeinen und Grundsätzlichen beginnt und zum Speziellen hinführt, überwiegend durchhalten können.
Da wir auf den Unternehmensbegriff verzichtet haben, konnten wir im Ersten Abschnitt, der für alle Kaufleute gilt, wie in den §§ 38 ff. HGB, den Begriff „Kaufmann" und im Zweiten Abschnitt den Begriff der Kapitalgesellschaft wieder verwenden. Damit spiegelt sich der Aufbau des Gesetzes auch in seinen Begriffen wider. Denn der Begriff des Kaufmanns umfaßt auch den der Kapitalgesellschaft. Ein Leitfaden für Anfänger, Lehrlinge und Studenten wird dem Aufbau dieses Gesetzes folgen können.
Mit Hilfe dieser Begriffe und dieses Aufbaus wollen wir eine scharfe Trennung der allgemeinen Grundsätze von den Spezialregelungen für Kapitalgesellschaften erreichen.
Bei unserem Aufbau wird sich methodenrechtlich die Gesetzesauslegung und Lückenfüllung anders gestalten. War es im Regierungsentwurf ein RegelAusnahme-Verhältnis, ist es bei uns ein Verhältnis von Grundsatznorm zur Spezialnorm.
Von der Spezialnorm her wird die allgemeinere Vorschrift grundsätzlich kaum zu deuten und auszulegen sein. Wir werden damit verhindern, daß die allgemeinen Vorschriften, die für alle gelten, von den Vorschriften für Kapitalgesellschaften überwuchert werden.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, in dem sich der Regierungsentwurf und die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses unterscheiden. In unserer Beschlußempfehlung sind, zumindest soweit es das Recht des Einzelabschlusses und nicht des Konzernabschlusses betrifft, die Sätze kürzer, die Absätze kürzer und die Paragraphen kürzer.
Das mag trivial erscheinen. Trivial ist es sicherlich auch, daß ich den Aufbau so detailliert geschildert habe. Nur, diese Regierung hat Entbürokratisierung auf ihr Panier geschrieben.
Für den Gesetzgeber muß Rechts- und Verwaltungsvereinfachung mit einer Vereinfachung der Vorschriften beginnen. Weil unsere Sätze kürzer sind, sind die Aussagen weniger geschraubt und weniger verschachtelt. Die Bezüge der Satzteile und der Begriffe untereinander sind klarer und damit leichter zu erfassen. Unsere Beschlußempfehlung
ist in weiten Teilen leichter lesbar und verständlicher.
Wir glauben, erstens durch den Abbau nicht zwingend notwendiger Vorschriften, zweitens durch eine organische Eingliederung neuen Rechts in altes, drittens durch die Beibehaltung bewährter Ordnungsbegriffe, viertens durch eine verbesserte Systematik, die allgemeinen Denkgesetzen strenger folgt, und fünftens durch eine klarere und damit verständlichere Sprache die Rechtsfolgen wenigstens zum Teil überschaubarer und damit sicherer gemacht und die Akzeptanz des Gesetzes erhöht zu haben. Bisherige Stellungnahmen jedenfalls sprechen dafür.
Das alles war natürlich nur möglich, weil nach einer gewissen Eingewöhnungszeit die Mitglieder des Unterausschusses und die Damen und Herren aus den Ministerien als ein eingespieltes Team zusammengewirkt haben. Die Hauptlast hierbei hat ohne jeden Zweifel Herr
Ministerialrat Biener aus dem Justizministerium getragen.
Ich darf auch den Mitgliedern des Ausschusses recht herzlich danken. Diese Beratungszeit hat mir persönlich auch viel Freude gemacht.
— Ich muß erheblich protestieren. Es kommt sehr darauf an, ob uns die Arbeit im Bundestag Freude macht oder nicht. Ein bißchen Spaß muß sein, Herr Kollege.
Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, ein Gesetz lebt in erster Linie durch seine Anwender. Der Gesetzgeber verabschiedet ein Gesetz, und dann überläßt er es sich selbst, bis sich die Umstände verändert haben oder Folge- und Nebenwirkungen, die nicht gewollt sind, eine Nachbesserung erheischen. Ich hoffe, daß die Folge- und Nebenwirkungen, die wir nicht vorausgesehen haben, an Zahl und Bedeutung gering sein werden. Dann könnten wir alle mit diesem Gesetz, glaube ich, eine Weile leben.
Danke sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stiegler.
Grüß Gott, Herr Präsident. Vizepräsident Stücklen: Grüß Gott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende des Unterausschusses hat
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Stiegler
dankenswerterweise den Beratungsgang sehr gründlich geschildert. Ich möchte mich jetzt aus unserer Sicht mit einigen politischen Bewertungen des ganzen Vorgangs anschließen.
Das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Richtlinien ist denkbar gering. Das Interesse der Fachöffentlichkeit ist denkbar groß. Diese Vierte, Siebte und Achte Richtlinie, das ist nicht bloß technischer Kram für Fachidioten, das ist auch nicht bloße Europalyrik oder Europaepik. Der Name BiRiLiG könnte zu irgendwelchen romantischen Vorstellungen verleiten. Das ist weit gefehlt. Mit diesem Bilanzrichtlinie-Gesetz werden 39 Gesetze geändert, davon acht wesentlich, ein Gesetz und fünf Verordnungen werden aufgehoben. Das ist ein gewaltiger Umbau unseres gesamten Wirtschaftsrechts, der auch hier im Plenum mehr Interesse verdient hätte.
Wir errichten mit diesem Gesetz einen Zentralbau unserer Wirtschaftsrechtsordnung neu. Wir regeln die Buchführung, die Bilanzierung und die Offenlegung des Jahresabschlusses von der Tante Emma bis zum Multi, vom kaufmännischen Lehrling bis zum Konzernvorstand. Das ist ein ganz wichtiger Rahmen für das wirtschaftliche Handeln, ein ganz wichtiger Rahmen für die Arbeitnehmer, für die Gesellschafter, für die Gläubiger und nicht zuletzt — ich erinnere an den Fiskus — auch für den Staat. Denn die Bilanzvorschriften haben wesentlichen Einfluß darauf, welcher Gewinn ausgewiesen und wie er entsprechend besteuert wird.
Meine Damen und Herren, dieses Bilanzrichtlinie-Gesetz ist ein ganz bedeutender Schritt zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes in den Europäischen Gemeinschaften. Wir werden heute nachmittag eine Europadebatte mit Höhenflügen erleben. Hier wird praktische Europapolitik gemacht. Der Blick auf das Schicksal und den Werdegang des Bilanzrichtlinie-Gesetzes und der entsprechenden Richtlinien zeigt, wie langwierig es in Europa ist, von ersten Vorstellungen — sie gehen bis in die 70er Jahre zurück — zur Umsetzung in nationales Recht zu kommen. Aber es zeigt sich wieder einmal: Der Fortschritt ist zwar eine Schnecke, aber er kommt im Laufe der Distanzen doch beachtliche Strecken voran. Einem, der wie der Herr Ministerialrat Biener dies vom ersten Tag begleitet und durchlitten hat, ist hier ein besonderer Dank für diesen Beitrag zur Einigung Europas zu leisten.
Die Anfangsliebe zu diesem Gesetz war nicht groß. Das kann nicht bestritten werden. Vor allem die Verzögerungen bei der Vierten Richtlinie belegen das. Hier hat erst ein Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof etwas Adrenalin bei uns allen ausschütten müssen, vor allem bei der Mehrheit, sowohl bei der neuen als auch bei der alten — damit hier keine Mißverständnisse aufkommen; Sie brauchen sich überhaupt nicht aufzuregen. Wir sind gerecht bis in die Knochen bei der Bewertung dieser Dinge. Unter dem Druck dieser Klage ist es dann doch zu einer planmäßigen Umsetzung vor allem der Siebten und der Achten Richtlinie gekommen. Bei der Vierten können wir sagen: Spät kommt ihr, doch ihr kommt über mit dieser Richtlinie und mit diesem Gesetzeswerk.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat an der Umsetzung dieser Richtlinien konstruktiv mitgearbeitet. Es handelt sich um ein sozialliberales Erbe, wobei die Liberalen die Vaterschaft nicht unbedingt gerne bekennen. Ihre Liebe hielt sich da in Grenzen, aber immerhin, es ist eine gemeinsame Leistung. Sie geht, was die Vierte Richtlinie betrifft, auf die Justizminister Vogel und Schmude zurück. Für uns Sozialdemokraten ist es ein Stück Europapolitik, daß wir hier zu einer einheitlichen Rechtsordnung kommen. Wir haben also von vornherein konstruktiv mitgearbeitet, um wohlwollend diesen Schritt zur Verbesserung der Rahmenbedingungen im Gemeinsamen Markt voranzubringen.
)
Lassen Sie mich aber die Gelegenheit nutzen, auf eines hinzuweisen: Das Parlament begibt sich bei diesen Richtlinienverfahren häufig entscheidender Mitwirkungsrechte. Wir alle haben uns oft darüber aufgeregt, daß wir nicht mehr entscheiden, sondern nur noch umsetzen konnten. Ich sage Ihnen: Solange wir nicht ein Verfahren finden, mit dem europäische Richtlinien entweder voll der parlamentarischen Kontrolle des Europaparlaments überantwortet werden oder, solange das nicht der Fall ist, bei uns Unterausschüsse das Richtlinienverfahren begleiten, wird es uns so gehen, wie es einmal ein polnischer Schriftsteller mit dem Aphorismus gesagt hat, der lautet: Ich bin für Freiheit und für Rechte; ich frage immer den Fisch noch vor Tisch, wie er gebraten werden möchte. So geht es uns dann bei der Umsetzung solcher Richtlinien: Wir haben keine echte Wahlfreiheit mehr, sondern können hier nur noch formale Dinge regeln.
Ich schlage vor, daß wir uns wirklich überlegen, ob wir nicht die Europavorlagen im Rechtsausschuß einem ständigen Unterausschuß überantworten, damit wir die Beamten, die ja gutwillig sind und uns informieren wollen — die Regierung tut das ja auch —, sozusagen mit der Wahrnehmung der Meinungen des nationalen Parlaments beauftragen können, so daß diese Richtlinien eben nicht unabhängig von dem verabschiedet werden, was hier im Bundestag gedacht wird. Hinterher müssen wir sie nämlich umsetzen, und ich bin sehr dafür, daß wir die Beratungen bei den weiteren Richtlinien, die ja in Arbeit sind, begleiten, um uns insoweit unsere Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu erhalten.
— Mit der gleichen Besetzung wie dieser Unterausschuß? Sie wollen sich Herrn Schily erhalten?
— Herzlichen Glückwunsch!
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Stiegler
Meine Damen und Herren, die Regierungsentwürfe sind wesentlich verändert worden. Wesentliche Veränderungen im Aufbau und in der Konstruktion, zu der wir uns mit bekennen, haben wir gemeinsam auf der Kleinertschen Terrasse entwikkelt.
Dort haben wir in einem vernünftigen Ambiente die Struktur neu geschaffen.
— Kein Neid, Herr Mann, kein Neid! Sie waren damals noch nicht dabei, aber wir hätten Sie nicht ausgebissen, und es hat sogar Grün auf den Balkon hereingeragt. Also kein Neid!
Wir haben also die Veränderungen im Aufbau und in der Konstruktion mit entwickelt, und wir tragen sie mit. Die Veränderungen im Inhalt der Gesetze tragen wir nur teilweise mit. Hier war uns der Regierungsentwurf, der sozusagen noch sozialliberales Erbe enthielt, lieber als das, was jetzt „hineingewendet" worden ist. Das tragen wir nur teilweise mit,
vieles davon sicher auch, aber darauf komme ich im einzelnen noch zu sprechen. Wir tragen also mit und tragen schwer an dieser Verantwortung.
Politisch gilt das insbesondere für die Entscheidung der Koalition, nur das Mindestmaß zu übertragen, also das sogenannte deutsche Übersoll, wie die Wirtschaft es nannte, abzubauen, das in beiden alten Regierungsentwürfen enthalten war. Wir hätten es gerne gesehen, wenn der bewährte Standard etwa des deutschen Aktienrechts erhalten geblieben wäre, wenn also nicht die Gelegenheit genutzt worden wäre, das Aktienrecht abzuschleifen und hier die Vorschriften über die Aufstellung und vor allem über die Publizität etwas zu verwässern; auch darauf komme ich noch im einzelnen zurück.
Wir hätten gern, und zwar nicht nur als Sozialdemokraten, sondern in gleicher Weise unterstützt von großen Teilen der Wissenschaft und natürlich von den Gewerkschaften, in der Konsequenz des alten Regierungsentwurfes eine umfassende Regelung geschaffen und nicht Probleme mit der Ungleichbehandlung geschaffen. Wir haben jetzt in dem neuen Rechnungslegungsbereich eine Ungleichbehandlung. Hier kann es passieren, daß große Personalgesellschaften die Rechnungslegungsvorschriften eines Tante-Emma-Ladens haben, während kleine Kapitalgesellschaften mit bis zu 50 Arbeitnehmern den erschwerten Bedingungen unterworfen sind. Dieses halten wir insgesamt so nicht für richtig. Im Detail komme ich darauf noch zurück.
Meine Damen und Herren, mit dem Bilanzrichtlinie-Gesetz ist ein deutsches Rechnungslegungsgesetz entstanden. Die Diskussion in den 70er Jahren hat sich darum gedreht, die Wirtschaft wollte damals kein Rechnungslegungsgesetz aus Gründen der allgemeinen Unternehmensstrategie. Die alten Regierungsentwürfe hatten es auch noch nicht vorgesehen, sondern hatten es noch sehr zersplittert. Wir haben die zersplitterten Teile zu einer Einheit zusammengeführt und haben jetzt ein deutsches Rechnungslegungsgesetz. Das ist zwar noch rechts-formabhängig, aber es ist leicht praktisch mit ein paar Federstrichen rechtsformunabhängig zu machen, wenn ein paar Trennwände, ein paar Zäune herausgenommen werden, auf die Herr Helmrich großen Wert legt, wenn ein paar Brandmauern aus dem Gebäude herausgerissen werden. Dann hätten wir ein einheitliches deutsches Rechnungslegungsgesetz. Das ist ein Fernziel, das wir als Sozialdemokraten hier haben.
Gleichwohl, auch wenn sozusagen das Glas nur halbvoll oder halbleer ist, je nachdem, wie man es betrachtet, hat dieses neue Gesetz den Vorzug — bei uns halbleer, bei Herrn Helmrich halbvoll, aber man sieht immer, keiner hat die ganze Wahrheit, nur die beiden Aspekte ergeben die ganze Wahrheit —, es ist übersichtlich und einheitlich im Aufbau, die Vorschriften für alle Kaufleute, die Vorschriften für die Kapitalgesellschaften und dann eine stufenweise Steigerung der Anforderungen von den kleinen über die mittleren zu den großen. Konsequent ist das Gesetz, aber nur bei den Kapitalgesellschaften, nicht bei den Personalgesellschaften. Wir würden die Brandmauer zwischen den Personalgesellschaften und den Kapitalgesellschaften nicht eingezogen haben, sondern wir würden allgemein die Anforderungen für kleine, mittlere und große Unternehmen gesteigert haben. Die Unterscheidung zwischen Kapitalgesellschaft und Nichtkapitalgesellschaft gibt in der Wirklichkeit nichts her. Sie ist auch fließend. Deshalb würden wir eine andere Aufbaualternative gewählt haben.
Wir würden bei den Erleichterungen für die Aufstellung des Jahresabschlusses sehr scharf gebremst haben, weil wir der Meinung sind, daß hier auch im Interesse der Unternehmen die Bilanzierung sehr umfassend und sorgfältig sein sollte. Wir hätten die Erleichterungen aber, wie schon in der ersten Lesung betont, bei der Offenlegung großzügig gewährt, weil auch wir ein Schutzbedürfnis kleiner und mittlerer Unternehmen sehen und dieses mit verwirklichen wollen. Die Koalition hat sich für den anderen Weg entschieden. Die Koalition kann sich formal, das gebe ich zu, darauf berufen, daß die Vierte Richtlinie von ihr nichts anderes verlangt. Das muß man fairerweise zugeben. Aber wir meinen, hier war der Regierungsentwurf besser. Hier ist eine gewisse Chance vertan worden, ein dauerhaftes Gesetz zu machen. Denn eines muß der Wirtschaft klar sein, wir werden, wenn wir eine Mehrheit haben, dieses sofort wieder ändern. Eigentlich sollte man j a im Handelsgesetzbuch bei diesen Rahmenbedingungen nicht immer allzuviel mit Veränderungen arbeiten, sondern sollte dauerhafte Rahmenbedingungen schaffen.
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Stiegler
— Das hat das Volk in der Hand und ist nicht Ihr Wunschdenken; das ist die Sache. Da hat sich schon mancher gebrannt und getäuscht. Denn erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt.
— Selbstverständlich.
Herr Abgeordneter Stark, bitte.
Ich möchte noch einmal auf Ihr schönes Beispiel zurückkommen, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Beurteilung davon abhängt, ob man Optimist — dann ist es halbvoll — oder Pessimist — dann ist es halbleer — ist?
Ich muß Ihrer Philosophie natürlich zustimmen, aber entscheidend ist, daß man gern ein volles Glas hätte. Der Durst wird sonst nicht gelöscht. Im übrigen gilt der Spruch: Man kann sich drehen, kann sich wenden, der Bauch bleibt immer vorn, das andere hinten.
Meine Damen und Herren, ich möchte drei Problemfelder, die uns Bauchschmerzen bereiten, herausarbeiten.
Das erste Problemfeld ist die unterschiedliche Behandlung der Personengesellschaften und der Kapitalgesellschaften. Es wird viele überraschen, aber nach dem neuen Recht muß der Jahresabschluß einer Kapitalgesellschaft unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft vermitteln. Es kommt also darauf an, daß ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild gezeichnet wird. Der Jahresabschluß eines Kaufmannes — ob er Gesellschafter einer Personengesellschaft oder Einzelkaufmann ist — muß lediglich nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung aufgestellt werden.
Die Koalition hat diese Unterscheidung bewußt eingeführt. Wir haben einen Änderungsantrag dazu eingebracht, in dem wir die Auffassung vertreten, daß eine Buchführung, die kein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt, nicht ordentlich sein kann. Denn eine Buchführung ist ja nicht zur Verschleierung da, sondern sie dient der Klarstellung für den Kaufmann selbst, für die Arbeitnehmer, für die Mitgesellschafter und für die Gläubiger. Ich meine, es wäre besser gewesen, wenn wir alle auf den „true and fair view", worauf die Kapitalgesellschaften verpflichtet sind, festgelegt hätten. Ich sage Ihnen: Es wird noch eine Menge wissenschaftlich und auch wirtschaftlich motivierten Streit geben, weil es auch hier wieder Ungleichbehandlungen gibt. In der Personengesellschaft kann man verstecken und verschleiern, mit Stillen Reserven arbeiten und viele Dinge wegdrükken, während man das in der Kapitalgesellschaft nicht kann. Aber man muß bedenken, daß es riesige Personengesellschaften und sehr kleine Kapitalgesellschaften gibt. Diese Unterscheidung ist nicht in Ordnung.
Zum zweiten bereitet uns die Erleichterung der Aufstellung der Bilanz für kleine Kapitalgesellschaften Probleme. Ich rede nicht von der Offenlegung, sondern von der Aufstellung der Bilanz. Hier gehen wir weit hinter das Aktiengesetz, auch hinter das Genossenschaftsrecht und andere Rechtsvorschriften zurück. Es besteht kein Anlaß, schon bei der Aufstellung der Bilanz — ich rede nicht von der Veröffentlichung — Verschlechterungen vorzusehen. Das belastet gerade die Aktionäre einer Aktiengesellschaft, bei der ja — anders als bei der GmbH — die Gesellschafter keinen unmittelbaren Zugang zur Geschäftsführung haben oder sich sogar zu Geschäftsführern ernennen können. Wir haben zwar eine gewisse Verbesserung für die börsennotierten Aktiengesellschaften eingebaut, ich erinnere jedoch an die Beschwerden, die die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz aus guten Gründen eingelegt hat. Es wäre besser gewesen, bei der Aufstellung der Bilanz nicht so großzügig zu sein.
Das dritte Problem — ich glaube, ich habe es vorhin schon angesprochen — sieht folgendermaßen aus: Große Personengesellschaften unterliegen nur den Anforderungen der ordnungsgemäßen Buchführung, während kleine Kapitalgesellschaften mit bis zu 50 Arbeitnehmern — so weit gehen die Kleinen — den strengen Anforderungen der Offenlegung der tatsächlichen Verhältnisse, der tatsächlichen Lage genügen müssen. Hier wäre eine Nachbesserung im Sinne unserer Anträge notwendig. Ich bitte Sie, sich unsere Anträge daraufhin noch einmal anzusehen.
Verehrte Damen und Herren, gleichwohl ist festzuhalten: Dieses neue Recht bringt entscheidende Verbesserungen.
Die Publizität für rund 330 000 Gesellschaften mit beschränkter Haftung wird ab 1. Januar 1987 verbessert. Sie müssen ihren Jahresabschluß nach weitgehend einheitlichen Bewertungs- und Gliederungsvorschriften aufstellen, und sie müssen damit ein tatsächliches Bild ihrer Lage zeichnen.
Wir haben eine Aufstufung der Rechte, wir haben Erleichterungen für die kleinen Gesellschaften beschlossen. Und wir haben erreicht — und das rechne ich der Koalition hoch an, beide Kollegen von der Koalition haben da mitgewirkt —, daß die größenabhängigen Erleichterungen für die Unternehmen die Informations- und Auskunftsrechte der Arbeitnehmer z. B. nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht berühren. Das haben wir in der letzten Beratung in den Entwurf hineingebracht. Das ist auch ein Ausdruck des Klimas. Ich stehe nicht an, hier anzuerkennen, daß die Koalition hier auf die Opposition zugegangen ist, und möchte mich dafür auch bedanken.
Erleichterungen bei der Offenlegung dürfen also
die Rechte der Arbeitnehmer auf Erläuterung des
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Jahresabschlusses nicht beeinträchtigen. Die Teile des Jahresabschlusses, z. B. die Gewinn- und Verlustrechnung, die nicht offengelegt werden müssen, müssen den Arbeitnehmervertretungen gleichwohl vorgelegt werden.
Wir haben eine weitere wichtige Entscheidung durchgesetzt — und das geschah auf Betreiben zweier ganz ungleicher Brüder, des Kollegen Kleinert, für seinen Bereich, und mir, vom DGB herkommend —, daß es keinen befreienden Konzernabschluß mehr gibt. Die großen Konzerne dürfen ihre schönen Töchter nicht mehr verstecken, während sie die Mittelständler auf dem Markte vorführen müssen. Das ist eine ganz wichtige Entscheidung.
Ich habe mich sehr amüsiert, als ich das „Handelsblatt" am 1. Dezember las. Einerseits haben sie dort dem Grafen Lambsdorff Beifall geklatscht für seine Mittelstandsfreundlichkeit, den Späth als einen vorgeführt, der einen Wolf im Schafspelz vorbeiführt, und auf der Seite 18 haben sie diese Wölfe im Schafspelz, die diese ausgegliederten Konzernabteilungen in Wirklichkeit sind, auch noch kräftig verteidigt. Das zeigt, daß selbst so ein Blatt, das sich so seriös gibt, von Widersprüchen nicht frei ist. Das sollte man denen auch einmal unter die Nase halten. Und wenn sie meinen, so mit dem Parlament umgehen zu können, daß sie sagen können: Die Wirtschaft hofft auf den Bundesrat, kann man nur feststellen: Ihr hofft vergebens. Man kann nicht mit dem Parlament so umgehen, als ob es „bei Fuß" gehen müßte und die Spitzenverbände nur antreten und sagen müßten: Kehrt um, und dann gäbe es schon eine Wende. So wendig sind nicht einmal die Wendeline, meine Damen und Herren. Ich hoffe, daß wir hier wacker und tapfer dabeibleiben und uns nicht unterkriegen lassen.
— ist ja prima —, und das mit voller Kraft.
Meine Damen und Herren, wir haben die Prüfungspflicht für die mittelgroße und große GmbH. Wir wollen gerade im Hinblick auf den Gläubigerschutz diese Prüfungspflicht haben. Sie begründet bei etwa 15 000 bis 20 000 GmbH die Gewißheit, daß der Jahresabschluß entsprechend geprüft ist und den Grundsätzen, die wir aufgestellt haben, entspricht.
Wir wollen eine Verbesserung der Bilanzwahrheit erreichen. Hier ist ein wichtiger Durchbruch gelungen. Die Bilanzwahrheit wird für alle Kaufleute durch Einführung einer Rückstellungspflicht für laufende Pensionen und Anwartschaften bei Neuzusagen ab 1. Januar 1987 eingeführt. Man darf dann nicht mehr wie bei AEG Pensionszusagen machen, sie nicht finanzieren und dann die mittelständischen Unternehmen sie per Umlage bezahlen lassen. Das ist ein für allemal zu Ende.
Ich bitte Sie, sich unsere Anträge einmal anzuschauen. Wir haben noch eine Verbesserung vorgeschlagen und meinen, nachdem es nur für Neuzusagen gilt, daß auch bei Altzusagen, wenn nicht Rückstellungen gebildet werden, wenigstens im Anhang bei der Darstellung der Haftungsverhältnisse darauf hingewiesen werden sollte, daß hier noch ein faules Ei im Nest liegt; denn es verfälscht die Aussagekraft einer Bilanz, wenn nicht wenigstens ganz schüchtern hinten noch hineingeschrieben wird: Liebe Leute, da haben wir noch einige Millionen an Pensionszusagen sozusagen im Nest, und die müssen erfüllt werden. — Bitte schauen Sie sich unseren Antrag dazu noch an.
Meine Damen und Herren, die Übersichtlichkeit und Klarheit der Bilanz wird durch die Bilanzvorschriften selbst verbessert. Es gibt eine bessere Aufgliederung. Die Gewinn- und Verlustrechnung muß deutlicher gemacht werden, in diesem Fall müssen die außerordentlichen Erträge von den ordentlichen Erträgen getrennt werden. Viele verschleudern Grundstücke und legen dann schöne Bilanzen vor. Die Leute sagen dann: Ach, was haben wir für einen tollen Vorstand! — In Wirklichkeit haben die nur die Substanz verjubelt, um sich zu schminken und den Jahresabschluß hinzudressen.
Dieses wollen wir und werden wir in Zukunft nicht mehr haben.
Wir haben gewisse Bedenken gegen das Umsatz-kostenverfahren, weil es sehr viel verschleiern kann und die Vergleichbarkeit erschwert. Wir haben dazu einen Antrag gestellt. Wir bitten Sie, daß Sie sich diesen Antrag ansehen und uns dabei helfen, die Richtlinie und das Gesetz noch zu verbessern.
Schließlich: Wir haben eine Verbesserung bei der Ergebnisermittlung. Alle GmbH werden in Zukunft keine stillen Reserven mehr bilden können, wie die Aktiengesellschaften jetzt schon. Wir sagen aber: Dies sollte nicht nur für die Kapitalgesellschaften gelten, sondern auch für die Personalgesellschaften.
Beim Konzernabschluß werden wir ab 1. Januar 1990 eine verbesserte Konzernrechnungslegung, einen verbesserten Lagebericht, Weltabschlüsse, eine Vollkonsolidierung und einheitliche Wertansätze haben. Hier haben wir zwar noch einige Verbesserungen mit einem Antrag eingebracht, aber die Konzernrechnungslegung wird entscheidend verbessert werden.
Meine Damen und Herren, so weit, so gut. Das Gesetz bringt Fortschritte. Aber eine Hauptlücke, so groß wie ein Scheunentor, macht uns die Zustimmung unmöglich. Wir hätten gerne zugestimmt, weil es wirklich ein Fortschritt ist. Aber die praktischen Fortschritte werden durch die Befreiung der GmbH & Co. KG weitgehend wieder entwertet. Es gibt keine sachliche Begründung für die Befreiung der GmbH & Co.
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Das ist wider den Geist der Vierten Richtlinie, durch die alle Rechtsformen erfaßt werden sollen, die Gesellschaftern, Gläubigern und Dritten eine Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen bilden. Die Abschlußpublizität ist der notwendige Ausgleich für die Haftungsbeschränkung. Das sind die zwei Seiten einer Medaille. Das gilt für die GmbH & Co. KG in vollem Umfang.
Wir meinen, daß man dem Geist der Vierten Richtlinie widerspricht, wenn man das nicht macht. Die Regierung hat noch in der 9. Wahlperiode deutlich geschrieben:
Würde aber die Kapitalgesellschaft & Co. nicht in den Entwurf einbezogen werden, so könnten mit Hilfe dieser Rechtsform die Regelungen der Vierten Richtlinie leicht umgangen werden. Die GmbH, auf die die Vierte Richtlinie zwingend angewendet werden muß, ist mit der Rechtsform der Kapitalgesellschaft & Co. wirtschaftlich austauschbar. Der Verzicht auf die Einbeziehung dieser Gesellschaften könnte
— ich sage: und wird —
die Bundesrepublik Deutschland dem Vorwurf aussetzen, die Vierte Richtline nicht ihrem Zweck entsprechend in deutsches Recht umzusetzen und deutschen Unternehmen ein breites Tor zu öffnen, sich den zwingenden Regelungen der Vierten Richtlinie zu entziehen.
In der Praxis haben wir das heute schon; siehe die Umgründungshandbücher und die Seminare, die etwa die „NJW" anbietet. Die Privilegierung der GmbH & Co. gefährdet Gesellschafter, Arbeitnehmer, Gläubiger und den Staat.
Wir wissen alle, wie konkursanfällig die GmbH & Co. KG ist. Wir werfen vor, daß diese Privilegierung der GmbH & Co. KG dem Gleichbehandlungsgrundsatz widerspricht.
Stellen Sie sich vor: Große GmbH & Co. KG — das sind fast die Hälfte — werden in Zukunft wie Tante-Emma-Läden behandelt, mit stillen Reserven, die sie still auflösen. Viele „Steuersparer" schauen dann in die Röhre, wie wir sehr häufig erlebt haben.
Während die kleine GmbH, Herr Kollege Stark, in Zukunft keine stillen Reserven mehr bilden darf, darf die GmbH & Co. KG durch Manipulationen bei der Abschreibung dies vollständig tun. Das ist nicht in Ordnung. Wir werden keine Ruhe geben, bis das in das Gesetz aufgenommen ist.
Wir lassen uns auch nicht damit trösten, daß die GmbH & Co. KG im Rahmen des Konzernabschlusses erfaßt werden kann, wenn einer Komplementär-GmbH z. B. das Recht zusteht, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen und abzuberufen.
Meine Damen und Herren, diese Lücke bezüglich der GmbH & Co. KG ist so groß wie ein Scheunentor. Sie entwertet das Bilanzrichtlinie-Gesetz gewaltig. Es ist schade, daß dieses bedeutende Reformwerk mit diesem schweren Mangel behaftet ist. Wir haben hier eine schöne Fassade, wunderbar geschmückt: vorne hui und hinten pfui.
Herr Abgeordneter Stiegler, das war doch sicherlich nicht auf Ihre Position, die Sie einnehmen, gemünzt?
Herr Präsident, ich versichere Ihnen untertänigst — „submissest", wie es Ihr Ministerpräsident immer sagt —, daß ich Sie nicht gemeint habe.
Vizepräsident Stücklen: Danke schön.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar Takte zum Berufsrecht sagen. Rund 20 000 mittelgroße und große GmbH werden prüfungspflichtig. Die Umsetzung hat deshalb zu erheblichen berufsrechtlichen Fragen geführt. Für uns galt und gilt: Qualifikation, Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit der Prüfung und der Prüfer müssen im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Davon sind wir ausgegangen.
Die Besitzstandswahrung haben wir nicht aus dem Auge verloren. Die Posser-Initiative hat uns dazu nachdrücklich ermuntert. Wir meinen: Mit der Übergangslösung, der Dauerlösung und der Härteregelung haben wir in Abstimmung mit den Verbänden etwas erreicht, was sich sehen lassen kann. Ich bitte aber, daß sich die rechte Mitte hinsichtlich unseres Änderungsantrags, den die Liberalen innerlich mittragen, einen Ruck gibt. Ich sage Ihnen: Die Wirtschaftsprüfer werden Sie nicht verprügeln, weil sie sehen, daß wir hier durchaus eine sachgerechte Entscheidung getroffen haben. Geben Sie sich einen Ruck. Viele von Ihnen sind überzeugt. Nur die hartleibigen Parlamentarischen Geschäftsführer lassen Sie nicht. Emanzipieren Sie sich gegenüber diesen Zuchtmeistern, meine Damen und Herren!
Freie unabhängige Prüfer sind für uns die besten Garantien für eine sachgemäße Prüfung. Darum haben wir vorgeschlagen, daß die Beteiligung Berufsfremder an Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zurückgedrängt werden soll. Da hat der Kollege Kleinert mit meiner Unterstützung in ein verdammtes Wespennest gestoßen. Ich will all die Großen des Reiches nicht aufzählen, die sich als Schutzengel hinter manche gestellt haben. Hier sind alle mit Ruhm bekleckert, wie sie hier im Hause sitzen.
Jetzt haben wir bei den Wirtschaftsprüfern wenigstens für die Zukunft etwas erreicht. Aber ich begreife nicht, daß die Union bei den Steuerberatern im letzten Moment gekniffen hat. Das ist Feigheit vor dem Bauernverband, der Steuerberatungsgesellschaften haben will, die er „bei Fuß" führen
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Stiegler
kann — der Herr Heereman nach Gutsherrenart. Wir wollen unabhängige und nicht abhängige Prüfer.
Ich bitte Sie, bei Ihrer Politik für die freien Berufe glaubwürdig zu bleiben. Gehen Sie zu Herrn Rollmann in den Beichtstuhl. Er wird Ihnen keine Absolution erteilen, solange Sie hier nicht voranmachen. Ich finde es unmöglich, sich beim Bundesverband der Freien Berufe als Heros der freien Berufe hinzustellen und dann Herrn Heereman sozusagen seine abhängigen Prüflinge zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, das ist nicht in Ordnung.
Wir wollen, daß Sie unserem Antrag auf Trennung zwischen Prüfung und Beratung zustimmen und die Unabhängigkeit der Prüfung gewährleisten.
Heute kann man lesen, was dem Raiffeisenverband alles im Bereich der Prüfung vorgeworfen wird. Hier zeigt sich wiederum, wie notwendig es ist, daß wir hier besser werden und die Rechte wahren.
Ich möchte zum Schluß Herrn Ministerialrat Biener danken, der geradezu unmenschliche Arbeit geleistet hat, Tag und Nacht, Jahre und Jahrzehnte.
Ich bewundere Sie und danke Ihnen ganz herzlich für diese enorme Leistung
und dafür, daß Sie uns sozusagen erst in die Materie eingeführt haben, damit Sie dann das ausführen konnten, was wir ausgebrütet haben. Das, finde ich, ist eine ganz großartige Leistung. Herzlichen Dank, bitte auch an Ministerialdirektor Krieger. Die Zusammenarbeit war wirklich Klasse, sachverständig. Wenn wir den Biener nicht gehabt hätten, ich glaube, wir hätten uns mit der Gesetzesvorlage nicht hierher getraut; aber wir wußten immer: Der Biener wird es schon richten, wenn wir hier mit unseren Vorstellungen nicht ganz klarkommen.
Es ist hier vielleicht nicht üblich, aber ich möchte es doch tun, nämlich unserem Vorsitzenden danken. Der Kollege Helmrich hat hier eine Wahnsinnsarbeit geleistet, wirklich über Jahre hinweg.
Ich sehe nicht ein, wieso ich das als Sprecher der Opposition nicht anerkennen sollte: Hoher Respekt für diesen Glanz der Dauer, diese Marathonqualitäten, die er in diesem Bereich entwickelt hat! Er war zwar in einigen Punkten verstockt; da hätte ich gerne gehabt, daß er uns gefolgt wäre; aber die Sache hat er wirklich großartig gemacht.
Ich fasse zusammen. Meine Damen und Herren, die Gesetzesberatungen waren schwierig, teilweise fast unzumutbar, aber wir haben es gepackt. Wir haben die Grundsätze gemeinsam entwickelt. Wir haben ein Gemeinschaftswerk, das wir nur wegen der GmbH & Co. KG, wegen dieser großen Wunde nicht ganz tragen können. Wir lehnen aber auch nicht ab, sondern bringen mit unserem Änderungsantrag und unserer Enthaltung zum Ausdruck — ich bin gleich fertig, Herr Präsident —, daß wir die europäische Rechtseinheit wollen, daß wir der Wirtschaft verläßliche Grundlagen für die Rechnungslegung geben wollen, daß wir die Informationsrechte der Arbeitnehmer sichern wollen und daß wir mit einer eigenen Mehrheit das Bilanzrichtlinie-Gesetz vollenden werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! — Meine sehr verehrte Dame! Meine Herren! Das muß man erst einmal genau sehen. Es gibt immer wieder Leute, die machen den Fehler — wenn ich Ihnen das mal so sagen darf —, nicht ganz hinter sich zu gucken, bevor sie die Versammlung mit „meine Herren" anreden. Das war der Sinn der Maßnahmen.
Man soll ganz umsichtig zu Werke gehen, so wie wir es auch bei dieser Bilanzrichtlinie versucht haben.
Nachdem zum Schluß vom Dank die Rede war, will ich, der historischen Aufbaumethode folgend, mit Undank beginnen, und zwar mit Undank an die' jenigen, die uns zu dem schließlich zweifellos gut ausgegangenen Werk überhaupt zusammengeführt haben. Ich kann nämlich überhaupt nicht einsehen, warum Leute, die nicht in der Lage sind, Stahl, Kohle und Agrarprodukte auch nur einigermaßen vernünftig in einem Gemeinsamen Markt zu handhaben, sondern bei ihren Übungen, einen solchen Markt zu regulieren, viele, viele Milliarden in den Sand setzen, aus Alibi-Gründen hergehen und uns mit völlig überflüssigen Richtlinien zu Gebieten des gleichen Marktes beliefern, die solcher Harmonisierung nicht annähernd so dringlich befürfen wie die eingangs dargestellten Gebiete; so fängt das erst mal an.
Wenn hier jemand meint, der Wettbewerb im europäischen Markt werde durch dieses Gesetz in irgendeiner Weise gefördert und erleichtert, dann irrt sich der. Erstens läßt die Richtlinie — das haben wir j a nun schon sehr im einzelnen ausgelotet, wie Sie schon von den Vorrednern vernommen haben — so viele Möglichkeiten bei der Umsetzung in nationales Recht, daß etwa eine synoptische Lesung der verschiedenen Gesetze in Europa überhaupt nicht möglich ist. Der Aufbau unterscheidet sich, Einzelregelungen unterscheiden sich zum Teil in sehr wichtigen Punkten. Das Ganze wird also keinen wesentlichen Beitrag zu einer Harmonisierung in Europa leisten. Es hat außerdem den von Herrn Stiegler zutreffend dargestellten Nachteil, daß die parla-
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Kleinert
mentarische Beteiligung in diesem Europa zu gering ist.
Die vernunfttreibende Kraft der Praxiskontakte, wie das ein gescheiter Mensch einmal genannt hat, fehlt in einer Bürokratie, die mit sich und von sich lebt, um dann die anderen mit den so zustande gekommenen Erzeugnissen zu beglücken. Deshalb ist es, glaube ich, ganz wichtig, unseren Willen zu Europa bei dieser Gelegenheit mit Nachdruck zu unterstreichen, aber gleichzeitig zu sagen, daß Europa in den Herzen unserer Bürger nur dann wirklich Platz finden kann, nur dann wirklich Leben gewinnen wird, wenn durch parlamentarische Kontrolle nicht nur im Europäischen Parlament, sondern durch einen entsprechenden Mechanismus, der mit den nationalen Ebenen verzahnt ist, die Verbindung der Bürger dorthin sichergestellt wird und damit auch ihre Bereitschaft wächst, das Ganze als ein Stück von sich selbst zu tragen.
Das Gegenteil ist, daß hier gesetzliche Regelungen von größter Bedeutung aus einem Apparat heraus auf uns zukommen, der besagter Praxiskontakte entraten muß, weil die parlamentarische Begleitung, gelinde gesagt, höchst unzulänglich ist. Nur wenn man den Zusammenhang klar sieht, wird man mit Europa in dem Sinn, wie wir es alle wollen, weiterkommen.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
Bitte schön. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Verehrter Herr Kollege, ist es nach Ihrem Empfinden eigentlich fair, die Unzulänglichkeit der Richtlinien immer auf die Bürokratie zu schieben? Wäre es nicht gerechter, wenn wir als Parlamentarier sähen, daß die unklaren Vorgaben der Ministerräte für derartige Richtlinien sehr viel mehr verantwortlich sind als die einer anonymen Bürokratie?
Herr Kollege, Sie sagen „teils, teils". Typisch liberale Antwort — höre ich auch schon. Dennoch ist es, wie Sie wissen, ein sehr komplexer Vorgang auch ohne parlamentarische Beteiligung, bis so ein Entwurf auf den Tisch kommt. Wenn ich von einer Bürokratie spreche, meine ich damit stichwortartig die Art des ganzen Prozesses, der nur von der Verwaltung angeregt, kontrolliert und betrieben werden kann und nicht so unmittelbar mit den künftigen Anwendern und Betroffenen rückgekoppelt ist, wie es hier in unserem Parlament der Fall ist, was gerade die Beratung dieses Gesetzes wieder gezeigt hat.
Es gibt in Europa eine Reihe von Verbänden — die will ich bei meiner Kritik gar nicht auslassen, Herr Roth —, die sich im Weg der Parthenogenese zusammensetzen und ergänzen und ihrerseits keine Beziehung zur Basis haben.
Es gibt ja einen Verbraucherrat. Fragen Sie mich nicht, wie der Verbraucherrat in Europa zustande kommt. Jedenfalls kommt er nicht so zustande, daß Einzelpersonen namhaft gemacht werden könnten, die zum Zustandekommen dieses Gremiums irgendwann das Geringste beigetragen hätten. Das ist als Beratung für diejenigen, die hinterher natürlich faktisch und dankenswerterweise die Arbeit tun, eben nicht ausreichend.
Deshalb ist meine Kritik keineswegs auschließliche Kritik an einer Verwaltung.
Ich kann jetzt nahtlos vom Undank zum Dank übergehen und an dieser Stelle genau das sagen, was meine Vorgänger mit Recht gesagt haben, nämlich wie hervorragend und wie dringend notwendig die Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Justiz und hier insbesondere mit Herrn Ministerialrat Biener gewesen ist. Er ist vorhin ja vom Vorsitzenden schon befördert worden. Das wird hoffentlich in absehbarer Zeit nachgetragen, nicht zuletzt auf Grund der enormen Leistung beim Zustandekommen dieses Gesetzes, die es uns ermöglicht hat, das, was wir an Politischem wollten, so umzusetzen, daß es uns nicht wegen einer Fülle fachlicher Unzulänglichkeiten um die Ohren geschlagen wird. Dafür also herzlichen Dank an das Bundesministerium der Justiz. Herrn Biener habe ich genannt. Herrn Dr. Krieger gilt der Dank genauso, ebenso allen anderen Mitarbeitern.
Dann komme ich genauso wie Herr Stiegler an dieser Stelle dazu, auch dem Vorsitzenden unseres Unterausschusses, der während unserer Beratungen auch noch Vorsitzender des Rechtsausschusses geworden ist, für seinen ganz ungewöhnlichen Einsatz beim Zustandekommen dieses Gesetzes sehr herzlichen Dank zu sagen.
Wir können es uns nach der Art des politisch-parlamentarischen Geschäfts einfach nicht erlauben, jedes Gesetz so im Detail durchzuberaten und so selbst bis in jede einzelne Bestimmung hinein mitzugestalten, wie das hier wieder einmal geschehen ist. Wir haben das gleiche enorm arbeitsaufwendige Verfahren bei der Beratung des GmbH-Gesetzes in fast der gleichen Besetzung — damals war statt Herrn Stiegler Herr Kollege Lambinus dabei — im übrigen schon einmal geübt, und wir hatten in beiden Fällen eigentlich nur einen Grund für dieses Verfahren vorzutragen, nämlich den, daß wir als Parlamentarier versuchen sollten, ein gutes Beispiel zu geben, wie man es eigentlich machen sollte, wie man versuchen sollte, die Vorschriften zu straffen, wie man auf Grund der erwähnten Praxiskontakte dazu kommen kann, das Gesetz für die Anwender handhabbarer und einleuchtender zu machen, wie man durch die Umstellung vom Einfachen hin zum Komplizierten, die wir hier vollzogen haben — der Entwurf war ursprünglich anders angelegt —, verhindern kann, daß sich später Fehldeutungen einschleichen. Das kann man nur gelegentlich machen, um ein Beispiel zu setzen. Wir können nur hoffen, daß sich die Arbeit, die hier von allen Beteiligten hineingesteckt worden ist, in diesem Sinne auch bezahlt macht.
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Ich möchte nicht auf die Dinge zu sprechen kommen, in denen wir einig sind und die schon sehr gut vorgetragen worden sind, sondern möchte zu einigen Punkten sprechen, in denen wir trotz aller Kollegialität in der Zusammenarbeit auseinander sind.
Das erste ist der Vorwurf, Herr Stiegler, daß wir hier ein Scheunentor offengelassen hätten, weil die GmbH & Co. KG so, wie es die Richtlinie erlaubt — Sie haben das selbst klargestellt —, außen vorbleibe.
Ich darf zu unseren Gründen noch einmal folgendes sagen.
Wenn man sich das Ziel der Gesetzgebung genau vorstellt und zu dem Ergebnis gelangt, daß sie nicht unbedingt erforderlich ist, dann ist die Einbeziehung jedes zusätzlichen Unternehmens mit den dadurch entstehenden Kosten und dem dadurch entstehenden Arbeitsaufwand falsch. Ich bin der Meinung, daß die Richtlinie dem Verbraucherschutz ohnehin nicht dient. Den Verbraucher wollte ich sehen, der sich eine solche Bilanz hernimmt, sie liest und dann entscheidet, ob er bei dem Unternehmen kauft oder nicht. Der Prozeß geht etwas anders vonstatten.
Die Bilanzrichtlinie wird auch nichts Wesentliches zum Gläubigerschutz beitragen, denn die Gläubiger, die die Zeit und die Sachkunde haben, sich zu informieren, tun das bereits heute. Insonderheit tun das die Banken, die ohne Rücksicht auf die Unternehmensform von ihren Kreditkunden weit mehr verlangen, als nach dieser Richtlinie oder jetzt nach dem Gesetz von den Kunden verlangt wird. Die machen sich selbst klug und brauchen dieses Gesetz nicht.
Der kleine Handwerker wird sich in Zukunft ebensowenig wie der Verbraucher in die Bilanz vertiefen, wenn er einen Auftrag bekommen hat, sondern er wird sich freuen, wird den Auftrag ausführen, wird Respekt haben vor den Damen und Herren, die er als Auftraggeber sieht, und wird denken, es werde schon gutgehen. Bilanzlesen ist da nicht zu erwarten. Das zu erwarten ist ein absoluter Aberglaube.
Wenn das so ist, dann bleibt hier lediglich eine für den engen Kreis der Rechtsanwender klarere Ordnung der Buchhaltungsvorschriften, der Bilanzvorschriften. Die ist nun allerdings zustande gekommen. Insoweit haben wir aus einem Vorwurf, will ich einmal sagen, nämlich aus dieser Bilanzrichtlinie, schließlich etwas gemacht, was tatsächlich der Vereinfachung und nicht der zusätzlichen Komplizierung unseres Rechtssystems dient; und das ist gut so. Da aber die anderen Gesichtspunkte alle nicht ziehen, müssen wir das Äußerste tun, um zu vermeiden, daß mehr als unbedingt erforderlich — ich sage mit allem Nachdruck: „überflüssigerweise erforderlich" — in diese Mühle hineingerät.
Wenn Sie von 20 000 Unternehmen gesprochen haben, die jetzt zusätzlich prüfungspflichtig werden, dann wissen Sie auch, Herr Stiegler, daß mindestens 60 000 weitere Unternehmen prüfungspflichtig würden, wenn die GmbH & Co. hier hineinfallen würde. Das heißt, daß sich u. a. der von Ihnen zutreffend gewürdigte Streit zwischen den beteiligten Berufen, den wir durch die „Wiederentdeckung" des vereidigten Buchprüfers, die Herrn Helmrich gelungen ist, glücklicherweise einigermaßen harmonisch aus der Welt schaffen konnten, vom Volumen des Streitgegenstandes her um das Dreifache verschärft hätte. Dann hätten wir ihn wahrscheinlich nicht so aus der Welt bekommen, wie wir ihn jetzt — im wesentlichen im Einverständnis mit den Verbänden — aus der Welt bekommen haben. Das ist auch ein Grund, warum wir die GmbH & Co. KG nicht mit hineinnehmen.
Im übrigen ist es nicht Sache des Parlaments, unserer Wirtschaft, von der wir alle leben — jeder! —, überflüssigerweise zusätzliche Kosten aufzubürden. Wenn man sieht, wie gering die Anteilnahme hier heute morgen ist, sollte man gar nicht glauben, daß hier ein Volumen von mindestens einer Milliarde DM allein bei den beteiligten Dienstleistenden zusätzlich umgesetzt werden dürfte — im weitesten Sinne, mit Veröffentlichung und mit allem, was damit zu tun hat. Über dieses Kostenvolumen reden wir, und dieses Kostenvolumen wollen wir Liberale jedenfalls nicht sehenden Auges verdreifachen, wenn man uns nicht viel genauer und viel überzeugender, als dies bisher geschehen ist, darlegen kann, welchen Sinn das haben soll.
Meine Damen und Herren, wir haben bei Gelegenheit dieses Gesetzes, ohne daß uns das aufgegeben worden wäre, auch einige Dinge angefaßt, die von erheblicher Bedeutung für unsere Ordnung im ganzen und auch für die Art sind, wie wir unserer Ordnung begegnen können. Ich meine jetzt zunächst die Kapitalbindung. Dieses Stichwort bedeutet den Grundsatz, daß Wirtschaftsprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaften, wenn sie in Form einer Kapitalgesellschaft betrieben werden, nur denjenigen gehören sollen, die in diesen als Prüfer oder Berater tätig sind. Man sollte glauben, daß das eine reine Selbstverständlichkeit ist; das ist es jedoch nicht.
Der Bundesrepublik Deutschland gehört die so bezeichnete Treuarbeit zu 45 %. Ich kann Ihnen auch sagen, warum der Bund nur 45 % hat. Es ist nämlich interessanterweise völlig unbemerkt geblieben, daß die Bilanz der Deutschen Lufthansa von 1973 vom Amtsgericht Köln für nichtig erklärt worden ist. Es ist weiter unbekannt geblieben, daß die Bilanz der Lufthansa auf die sofortige Beschwerde hin vom Landgericht Köln ebenfalls für nichtig erklärt worden ist, und zwar deshalb, weil sich die Treuarbeit, die die Lufthansa geprüft hat, mehrheitlich im Besitz des Bundes befand, so wie die Lufthansa auch. Sehr überzeugende Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln!
Zwischen den beiden Beschlüssen hat sich dann folgendes ereignet: Die gleichen Leute, die heute
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sagen, es sei so unheimlich gut, dankenswert und zweckmäßig, daß die Treuarbeit zu einem erheblichen Anteil dem Bund gehöre, die gleichen Leute, die sagen, dabei könne nie etwas passieren, sind damals ihrem schlechten Gewissen gefolgt und haben in der Zeit zwischen dem Beschluß des Amtsgerichts und dem des Landgerichts einen Teil ihrer Anteile an einige Bundesländer verkauft, damit — formal gesehen — die Trennung zum Bund hergestellt ist. Bloß, mit dem formalen Trennen geben wir uns nicht zufrieden. Wir möchten, daß die Trennung wirklich vollzogen ist. Wenn jemand einen anderen prüft, dann muß er dem fremd und völlig unabhängig gegenübertreten. Ich lasse mich auch nicht durch die Tatsache beruhigen, daß Vorsitzender des Aufsichtsrats der Präsident des Bundesrechnungshofs ist — ich halte das sogar für eine -etwas seltsame Vermischung ganz verschiedener Zuständigkeiten —, sondern ich bin der Meinung, hier muß eine wirkliche Trennung her.
Deshalb haben wir das zwar nur für die Zukunft regeln können. Wir werden aber nicht nachlassen, darauf zu bestehen, daß uns die Bundesregierung Vorschläge macht, wie auch für die angeblich hergebrachten Rechte dieser Art, die ich für sehr zweifelhaft halte, eine vernünftige Lösung gefunden werden kann.
Wir werden auch sehr sorgfältig darauf achten, daß man sich dieses Themas hinsichtlich der Steuerberater bei der anstehenden Beratung des Steuerberatungsgesetzes im Finanzausschuß, wo es sachlich, fachlich hingehört, genauso annimmt.
Wir lassen es nicht auf sich beruhen, schon gar nicht mit der einleuchtenden Begründung, die hierzu von seiten der Regierung zu hören war, es habe sich zwischen den zu Prüfenden und den Prüfern ein so gutes Vertrauensverhältnis entwickelt. Das halte ich für ein Mißverständnis.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vierte EG-Richtlinie hatte zu der Hoffnung Anlaß gegeben, daß in der Zukunft Bilanzen transparenter, vergleichbarer und damit als ökonomisches und soziales Frühwarnsystem tauglicher werden würden. Externe Bilanzanalytiker, Belegschaften, Gewerkschaften usw. hatten sich die Hoffnung gemacht, daß durch die an sich sehr wegweisende EG-Richtlinie Informationen über die Geschäftslage von AGs und größeren GmbHs durchsichtiger werden würden.
Nun, diese Hoffnungen sind nicht in dem Maße erfüllt worden, wie man es hätte erwarten können.
Was erschwerend hinzukommt, ist, daß bekannte Risiken durch diesen Gesetzentwurf nicht minimiert worden sind. Nicht erst seit dem Fall AEG ist schließlich bekannt, daß bestehende Pensionsverpflichtungen die finanziellen Kräfte von manchen Unternehmen übersteigen. Das früh genug zu wissen und zu erfahren muß ein unabdingbares Recht von Belegschaften und selbstverständlich auch externen Bilanzanalytikern sein.
Wären Sie der EG-Richtlinie konsequent gefolgt und entsprechend dem ersten Entwurf dabei geblieben, daß Pensionszusagen unter die Passivierungspflicht fallen, dann hätten wir einen besseren Gesetzentwurf gehabt. Jetzt haben Sie das Wahlrecht doch zugelassen. Ich vertrete die Auffassung, daß Sie damit dem Gebot der Bilanzklarheit und -wahrheit und dem Geist der EG-Richtlinie widersprochen haben. Mit ihrem Entwurf haben Sie sich gegen die EG-Richtlinie und für die Lobby entschieden. Das ist das Problem bei diesem Entwurf.
Die Wahlmöglichkeit zwischen dem Umsatzkosten- und Gesamtkostenverfahren kam, wie man hört, durch eine Anregung der Spitzenverbände der Wirtschaft zustande. Durch sie wird die Vergleichsmöglichkeit zwischen Unternehmen derselben Branche, aber auch von Bilanzen desselben Unternehmens in unterschiedlichen Jahren beeinträchtigt. Der vom Gesetz geforderte möglichst sichere Einblick in die Vermögens- und Ertragslage eines Unternehmens wird damit auch ad absurdum geführt. Die Zusammenfassung unterschiedlicher Ertrags- und Aufwandspositionen zu Sammelpositionen verhindert zudem die Anwendung gebräuchlicher Analysekennziffern, womit der Klarheit auch vom Methodischen her nicht Rechnung getragen wird.
Sehen wir uns noch einige weitere Beispiele an, die aus diesem Gesetzentwurf hervorgehen. Bei der Aufgabe der Publizität spielt die Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen und von verschiedenen Zeitpunkten eine erhebliche Rolle. Die GmbH & Co. KG wird nicht einbezogen, obwohl doch auch hier eindeutig eine Haftungsbeschränkung vorliegt; mit der Konsequenz, daß Sie nur ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Steuerberater durchführen und die Zahl der Umgründungen von GmbHs in eine GmbH & Co. KG zur Zeit natürlich in die Zehntausende geht. Das halte ich für überaus problematisch, weil dieses Schlupfloch natürlich dazu führt, daß all das, was in diesem Gesetzentwurf noch an Positivem enthalten ist, dadurch noch konterkariert wird.
Eine Zwischenfrage, bitte. Vogel (GRÜNE): Lieber Jo!
Wir wollen hier formell bleiben, wenn es möglich ist, Herr Vogel .
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wieso, glauben Sie, wird es so ge-
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Vogel
macht, daß die GmbH & Co KGs ausgegliedert werden? Was ist der tiefere Grund? Das ist mir in der ganzen Diskussion bisher nicht klargeworden.
— Selbstverständlich; Sie nicht? Wir haben nicht das Problem, daß wir Fraktionssitzungen dazu benutzen müssen, um der Regierung zu beweisen, daß es uns noch gibt, wie es kürzlich in der Frage der Steuer und der Mineralölpreise für Kleinflugzeuge bei Ihnen geschehen ist.
Das haben Sie sehr gut gemacht. Damit haben Sie der Regierung wirklich gezeigt, daß es Sie noch gibt.
Wir freuen uns, daß Sie noch solche Fraktionssitzungen machen.
Ich möchte zurück zur Sache kommen. Sie lassen weiterhin die Bildung von Rückstellungen zu, deren Notwendigkeit und spätere Auflösung für den Externen Bilanzleser nicht nachvollziehbar ist. Die Formulierung enthält weiterhin völlig unbestimmte Rechtsbegriffe, mit denen nur den verschleierungswilligen Unternehmen geholfen wird und die zudem keine steuerliche Relevanz haben. Für den Aktionär wichtige Angaben im Lagebericht werden nur in einer Soll-Vorschrift erwähnt, z. B. Vorgänge von besonderer Bedeutung, die nach Ende des Geschäftsjahres eingetreten sind.
Kurios wird es im Teil „Konzernabschluß", weil hier der Willkür wirklich Tür und Tor geöffnet wird. Zum Beispiel braucht ein Tochterunternehmen nicht einbezogen zu werden, wenn die Anteile „ausschließlich zum Zwecke ihrer Weiterveräußerung gehalten werden". So steht es in § 296. Mit anderen Worten: Macht eine Tochtergesellschaft, ein Tochterunternehmen hohe Verluste und droht es damit die Muttergesellschaft zu ruinieren, so kann dennoch die Konzernbilanz verschönt werden, indem dieses Tochterunternehmen einfach nicht auftaucht. Das ist ein großes Problem für die Zukunft angesichts der Zunahme der Konzentrationen.
Wird ein Tochterunternehmen von zwei Muttergesellschaften jeweils zu 50% gehalten, so können die Muttergesellschaften zwischen vollständigem oder anteiligem Einbezug wählen. Im Ergebnis sind die Konzernbilanzen dann natürlich absolut nicht mehr vergleichbar. Die Verflechtung des Konzerns braucht nicht mehr veröffentlicht zu werden. Es reicht die Hinterlegung einer Liste an irgendeinem
Ort. Das hat mit Offenlegung überhaupt nichts mehr zu tun. Das wäre meine Kritik an dem § 313 dieses Gesetzes.
Mit diesen Beispielen dürfte deutlich geworden sein, warum die Spitzenverbände der Wirtschaft allen Grund zum Jubel haben. Da sollte auch ein Wermutstropfen nicht stören, die Befreiung der Tochtergesellschaften von der Publizitätspflicht durch einen Konzernabschluß unter bestimmten Voraussetzungen, wie der alte § 326 HGB-E es genannt hat.
Ich möchte zum Schluß kommen. Wir sollten die Bedenken der Wirtschaftsprüfer ernst nehmen, die die Absenkung der Publizitätspflicht auf Durchschnittsmaß — ich würde es pointierter sagen: auf ein absolutes Minimum — beklagen. Die positive Absicht der Harmonisierung des EG-Rechts führte im Ergebnis zur Lösung auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners. Interessant ist hier, daß die Wirtschaftsprüfer selbst von diesem Gesetz, das angeblich der Harmonisierung dienen sollte, nicht viel Vereinheitlichung im EG-Rahmen erwarten, weil die Umsetzung der Richtlinien nur sehr unterschiedlich verfolgt wird. Vielmehr wird das Harmonisierungsargument offenbar ebenso wie das Argument der internationalen Konkurrenzfähigkeit sozusagen als Totschlagsargument zugunsten einer verschleierungsfreundlichen Rechtsprechung verwendet. Im Falle dieser EG-Richtlinie war eine Initiative von seiten der EG vorhanden, die eine soziale und segensreiche Zielsetzung beinhaltet hatte, nämlich eine Erweiterung der Publizitätspflicht.
Ich möchte zum Abschluß eine Bewertung aus der „Süddeutschen Zeitung" zitieren, der ich mich anschließe:
Alles in allem räume der Gesetzentwurf den Unternehmungsleitungen zu viele Wahlrechte ein. Eine gute Gelegenheit zur Verbesserung der Publizität und zu mehr Bilanzklarkeit werde mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verpaßt.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel ?
Nein, weil ich zum Ende gekommen bin.
Herr Abgeordneter Vogel , das war schlecht getimet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schroeder .
Herr Präsident! Meine Herren Kollegen! Die Umsetzung der EG-Bilanzrichtlinie in innerstaatliches Recht war für den nationalen Gesetzgeber eine handelsrechtliche, konzernrechtliche und berufsständische Aufgabe, aber auch und vor allem ein steuerrechtliches
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Dr. Schroeder
Problem. Eine der schwierigsten Hausaufgaben bei der Umsetzung der EG-Bilanzrichtlinie in nationales Recht war die Wahrung der Steuerneutralität.
Die Steuerneutralität war eine Zielvorgabe, die bei den Beratungen des Gesetzentwurfes stets unverrückbarer Maßstab war. Wie insgesamt bei den Ausschußberatungen zur Bilanzrichtlinie ist auch in diesem Punkt vorzügliche Arbeit geleistet worden. Das Problem der Wahrung der Steuerneutralität stellt sich für die Bundesrepublik deshalb in besonderer Schärfe und mit besonderer Eigenart, weil nach unserem Steuerrecht für die steuerliche Gewinnermittlung der Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz gilt. Die EG-Richtlinie sollte nun so umgesetzt werden, daß zum einen an dem bewährten Grundsatz der Maßgeblichkeit festgehalten werden konnte, daß sich zum anderen aber weder die Steuerbelastung für die Wirtschaft insgesamt noch die steuerliche Belastung des einzelnen Unternehmens ändern sollte.
Das ehrgeizige Vorhaben, die Vierte EG-Richtlinie steuerneutral in deutsches Recht zu überführen, ist voll verwirklicht worden. Das ist eine große Leistung.
Das breite Lob der Wirtschaft und die Zustimmung der betroffenen Unternehmen und der steuerberatenden Berufe dürfen hier deshalb auch mit einiger Genugtuung vermerkt werden.
Es ist sogar gelungen, gewichtige steuerrechtliche Novellierungen durchzusetzen, die einem schon lange vorgetragenen Bedürfnis der Wirtschaft Rechnung tragen, nämlich die Passivierungspflicht von Pensionszusagen, soweit sie nach dem 31. Dezember 1986 erteilt werden, und die Abschreibung des entgeltlich erworbenen Firmen- oder Geschäftswertes.
Der entgeltlich erworbene Firmenwert, auf den ich zunächst zu sprechen komme, kann künftig auch bei der steuerlichen Gewinnermittlung abgeschrieben werden. Es ist von den Verbänden der Wirtschaft bei den Anhörungen zum Entwurf des Bilanzrichtlinie-Gesetzes mit Recht allgemein beklagt worden, daß hinsichtlich des Firmenwertes das Handelsrecht und das Steuerrecht bisher verschiedene Wege gegangen sind. Während nach Handelsrecht der Firmenwert bisher binnen eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums abgeschrieben werden mußte, waren solche Abschreibungen bei der steuerlichen Gewinnermittlung nicht möglich. Das Einkommensteuergesetz wird nun durch das Bilanzrichtlinie-Gesetz in der Weise geändert, daß der entgeltlich erworbene Firmenwert bei der steuerlichen Gewinnermittlung künftig binnen 15 Jahren abgeschrieben wird. Damit werden die steuerlichen Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft in diesem Punkte spürbar verbessert.
Die neue Abschreibungsregelung kommt erstmals für das Wirtschaftsjahr 1987 in Betracht. Diese Neuregelung ist nicht nur unter steuerpolitischen und steuersystematischen Gesichtspunkten zu begrüßen, sondern führt auch zu einer erheblichen Steuervereinfachung. Die Zahl der Streitigkeiten zwischen dem Finanzamt und dem Steuerbürger darüber, ob beim Erwerb eines Unternehmens ein Firmenwert erworben worden ist und wieviel vom Kaufpreis für das Gesamtunternehmen auf den Firmenwert entfällt, wird sich spürbar reduzieren.
Besonders begrüßt wird von meiner Fraktion auch, daß für nach dem 31. Dezember 1986 neu erteilte Pensionszusagen eine Passivierungspflicht wegen der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz künftig auch steuerrechtlich besteht. Wir haben Verständnis dafür, daß zur Vermeidung größerer Steuerausfälle diese Passivierungspflicht nicht auch auf die Vergangenheit, also auf Pensionszusagen, die vor dem 1. Januar 1987 gegeben worden sind, ausgedehnt werden konnte.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die gesetzliche Verankerung der sogenannten umgekehrten Maßgeblichkeit in § 6 des Einkommensteuergesetzes. Es wird nunmehr im Einkommensteuergesetz klargestellt, daß steuerliche Subventionen in Form von Sonderabschreibungen und erhöhten Absetzungen nur dann in Anspruch genommen werden können, wenn auch in der Handelsbilanz entsprechend bilanziert wird. Auf Grund eines Urteils des 1. Senats des Bundesfinanzhofs aus dem April 1985 sind nämlich Zweifel daran entstanden, ob das deutsche Steuerrecht den Grundsatz der umgekehrten Maßgeblichkeit enthält. Die gesetzliche Neuregelung stellt nun die Rechtslage eindeutig klar und sichert damit gleichzeitig, daß auch Kapitalgesellschaften wie bisher Sonderabschreibungen und erhöhte Absetzungen in ihren Handelsbilanzen vornehmen können. Es wird damit aber auch gleichzeitig sichergestellt, daß die Teile des Unternehmensgewinns, die durch Sonderabschreibungen und erhöhte Absetzungen von der Besteuerung freigestellt werden, nicht als Gewinn an die Unternehmenseigner ausgeschüttet werden können. Das mit der steuerlichen Vergünstigung erstrebte Ziel, nämlich die Unternehmenssubstanz zu stärken, wird damit voll erreicht.
Schließlich konnte eine steuerneutrale Lösung auch im Bereich der Rückstellungen für unterlassene Instandhaltung und Abraumbeseitigung gefunden werden. Zur Sicherung der bisherigen Rückstellungsmöglichkeiten sieht das Gesetz vor, daß bei unterlassenen Instandhaltungen, die binnen der Dreimonatsfrist nach Ablauf des Geschäftsjahres nachgeholt werden, nunmehr in der Handelsbilanz eine Rückstellung nicht nur gebildet werden kann, sondern gebildet werden muß. Dies schlägt wegen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes voll auch auf die Steuerbilanz durch. Bei den Aufwendungen für unterlassene Abraumbeseitigung, die in der Praxis des Tagebergbaues eine große Bedeutung haben, mußte wegen der hier vorliegenden Besonderheiten eine Jahresfrist festgelegt werden, binnen der nach dem Bilanzstichtag die unterlassene Abraumbeseitigung nachgeholt wird. Dies deckt sich mit den berechtigten Wünschen der Wirtschaft.
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Dr. Schroeder
Mit dem Bilanzrichtlinie-Gesetz liegt schließlich erstmals eine umfassende und rechtsformneutrale Kodifizierung der handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften vor. Damit ist auch für die Steuerbürger und die steuerberatenden Berufe mehr Rechtssicherheit verbunden. Eine übersichtliche und eingehende Regelung der Gewinnermittlungsvorschriften bringt nicht nur mehr Rechtssicherheit, sondern trägt auch zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens bei.
Herr Kollege Stiegler, Sie haben die berufsständischen Fragen und dann im Zusammenhang mit den SPD-Anträgen insbesondere auch die GmbH & Co. KG angesprochen. Zur berufsständischen und berufsrechtlichen Seite: Hier gibt es ein ganz natürliches Interesse an einer Besitzstandwahrung bei der Beratungs- und Prüfungstätigkeit sowohl seitens der Wirtschaftsprüfer wie seitens der Steuerberater. Es sind, meine Damen und Herren, zahlreiche schwierige Gespräche mit den Steuerberatern, mit den Kammern, mit den Wirtschaftsprüfern geführt worden. Ich möchte schon sagen, daß unter Beachtung des Grundsatzes, daß Qualifikation und Besitzstandwahrung gelten müssen, hier ein historischer Kompromiß erzielt worden ist. Das war schwierig. Hier gebührt vielen Beteiligten, insbesondere dem Vorsitzenden des Unterausschusses „Bilanzrichtlinie-Gesetz", dem Kollegen Helmrich, ein ganz besonderes Dankeschön für diese Arbeit.
— Ob er den Ehrendoktor bekommt, wird sich dann noch erweisen, auch, von welcher Fakultät. Wir sollten, Herr Kollege Stiegler, an diesem historischen Kompromiß jetzt nicht mehr mit eigenen Anträgen rütteln und damit den ganzen Kompromiß gefährden, sondern an diesem Kompromiß sollte hier festgehalten werden.
Jetzt zu Ihren übrigen Anträgen. Sie haben darauf hingewiesen, daß wir im Ausschuß konstruktiv zusammengearbeitet haben. Wir haben auch über Ihre Anträge sehr eingehend beraten. Ich möchte diese konstruktive Zusammenarbeit unter allen Ausschußmitgliedern auch hier noch einmal lobend erwähnen.
Zu Ihrem Antrag, in dem Sie die Einbeziehung der GmbH & Co KG in das Bilanzrichtlinie-Gesetz fordern, möchte ich hier nur soviel sagen: Wir wollen, was diesen Punkt angeht, das Scheunentor offenlassen, um Ihre Worte aufzugreifen.
Wir wollen hier keine Übersoll-Erfüllung. Herr Kollege Stiegler und meine Herren von der SPD, das gilt auch für Ihre übrigen Anträge: Die Wirtschaft braucht Vereinfachung, sie braucht keinen Paragraphendschungel und nicht mehr, sondern weniger Kosten.
Ich möchte zum Schluß kommen.
— Herr Kollege Emmerlich, es ist mir ein ganz besonderes Anliegen, für meine Fraktion — so wie das vorhin auch für die anderen Fraktionen hier getan worden ist — allen beteiligten Beamten — Herr Biener ist ja ganz besonders erwähnt worden; ich möchte hier keinerlei Abstriche machen, sondern das voll unterstreichen —, die hier so konstruktiv mitgewirkt haben, nochmals herzlichen Dank sagen. Es ist mir aber ein ganz besonderes Bedürfnis, für meine Fraktion dem Kollegen Helmrich als dem Vorsitzenden des Unterausschusses „Bilanzrichtlinie-Gesetz" für eine zweijährige Mammutarbeit einen ganz herzlichen Dank zu sagen.
Meine Damen und Herren, es ist ein großer Wurf gelungen. Die Wirtschaft, die steuerberatenden Berufe und auch die Verwaltung können mit diesem Gesetz hervorragend arbeiten.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister der Justiz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenige Stunden vor Abgabe der Regierungserklärung zum EG-Gipfel in Luxemburg am letzten Wochenende leisten wir hier doch recht bedeutsame und ganz konkrete Arbeit für die europäische Integration. Durch die Vierte, die Siebente und die Achte gesellschaftsrechtliche EG-Richtlinie wird das Bilanzrecht und damit ein bedeutsamer Teil des Gesellschaftsrechts in der Europäischen Gemeinschaft harmonisiert. Es handelt sich dabei um das bisher umfangreichste Harmonisierungsvorhaben der Gemeinschaft auf dem Gebiete des Gesellschaftsrechts.
Die Umsetzung dieser Richtlinien in die nationalen Rechtsordnungen stellt einen wesentlichen Schritt zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes dar. Sie steht damit in der Linie jener Grundentscheidungen in den Römischen Verträgen, denen sich die Bundesregierung bei ihrer Arbeit in besonderem Maße verpflichtet weiß.
Das Bilanzrichtlinie-Gesetz ist aber auch für den nationalen Bereich von großer Bedeutung. Das deutsche Bilanzrecht insgesamt erhält eine neue gesetzliche Grundlage. Die bisherige über viele Gesetze verstreute — dies ist ja bereits erwähnt worden —, zum Teil unvollständige Regelung der handelsrechtlichen Rechnungslegung wird jetzt durch eine umfassende Kodifikation im neuen Dritten Buch des Handelsgesetzbuches, sozusagen dem beruflichen Grundgesetz des Kaufmannes, ersetzt. Dies gewährleistet eine bessere Übersichtlichkeit, mehr Rechtsklarheit und damit eine leichtere Anwendbarkeit des Bilanzrechts für alle Betroffene.
Die Bundesregierung sieht es als einen großen Erfolg an, daß dieses bedeutsame Gesetzgebungswerk nunmehr zu einem guten Abschluß gebracht
13748 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Bundesminister Engelhard
wird. Ich danke hierfür besonders den Mitgliedern des Unterausschusses „Bilanzrichtlinie-Gesetz" des Rechtsausschusses, ganz speziell meinen drei Vorrednern, den Kollegen Helmrich, Kleinert und Stiegler.
Diese Kollegen haben in intensiver zweijähriger Arbeit die beiden Regierungsentwürfe beraten und zu dem vorliegenden Entwurf zusammengefaßt. Sie haben unendlich viel Zeit und Mühe vor allem auch darauf verwandt, die Neuregelungen der schwierigen Materie des Bilanzrechts klar und überhaupt lesbar zu machen.
Vom Unterausschuß sind zwei große Anhörungen durchgeführt worden, um den beteiligten Kreisen Gelegenheit zu geben, ihre Vorstellungen in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Nicht zuletzt hierauf wird es zurückzuführen sein, daß mittlerweile auf breiter Ebene Zustimmung vorhanden ist.
Besonders bemerkenswert ist es, daß es dem Unterausschuß gelungen ist, in der sehr umstrittenen Frage des zur Jahresabschlußprüfung berechtigten Personenkreises eine Lösung herbeizuführen. Wer einmal draußen in einer öffentlichen Versammlung erlebt hat — und viele werden dies erlebt haben —, wie man sich, wenn Wirtschaftsprüfer und Steuerberater anwesend waren und dieses Thema zur Sprache kam, als Redner der Versammlung beruhigt zurücklehnen und seinem Biere zusprechen konnte, weil die Kontrahenten mit der letzten Erbitterung die Gestaltung der Versammlung völlig übernommen hatten, wird ermessen können, daß es ein großes, überhaupt nicht zu unterschätzendes Verdienst ist, das ungeheurer Mühe, ungeheurem Durchblick und der Nachhaltigkeit, die jede schwierige Arbeit begleiten muß, bedürfte, daß hier eine Einigung erzielt werden konnte.
Meine Damen und Herren, es ist hier von allen Rednern den Mitarbeitern meines Hauses sehr gedankt worden, voran dem Referatsleiter, Herrn Ministerialrat Biener, aber auch allen anderen, beginnend mit dem Abteilungsleiter und endend bei den Schreibkräften,
die in der Tat in Nacht-, aber auch in Sonntagsarbeit, gerade in der letzten Zeit, tätig werden mußten. — Ich freue mich über diesen Dank. Und weil diese Mitarbeiter hier nicht selbst das Wort nehmen können, möchte ich mich in ihrem Namen für die freundlichen Bemerkungen von allen Seiten in dieser Runde sehr bedanken.
Ich halte es aber für richtig und nicht nur für guten Stil, wenn ich als Mitglied der Bundesregierung an dieser Stelle nochmals sehr deutlich hervorhebe, daß dies eine Stunde des Parlaments ist.
Die Vorstellungen draußen gehen doch davon aus,
daß sich Parlamentarier in der ihnen zugewiesenen
Funktion wie folgt verhalten: Abgeordnete der Opposition haben zu suchen, was ihnen an dem nicht gefällt, was die Regierung vorlegt, und auch, wenn sie einmal nichts finden sollten, haben sie in jedem Fall nein zu sagen — konkrete Mitarbeit, so meinen viele draußen, gäbe es hier nicht —, während Abgeordnete der Koalition sozusagen die Aufgabe eines regierungsamtlichen Notars hätten, nämlich das zu betrachten, was die Regierung vorlegt und serviert, um es anschließend, mit dem parlamentarischen Segen versehen, in das Bundesgesetzblatt zu bringen. — Was hier passiert ist, ist, daß Kollegen, quer durch die Fraktionen, sich darangemacht haben, mit eigenen Gedanken, eigenen Überlegungen, schwierigsten Bemühungen, etwas, was die Regierung vorgelegt hatte, zu etwas zum Teil völlig Neuem zu machen. Dies verdient — mit aller Achtung, allem Respekt von meiner Seite aus gesagt — der besonderen Hervorhebung.
Deswegen ist den Kollegen, speziell den Herren Helmrich, Kleinert und Stiegler, ganz besonders zu danken, an der Spitze ganz sicherlich Herrn Helmrich als dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses, der ganz besondere Mühe für dieses Problem verwandt hat.
Meine Damen und Herren, es ist angesprochen worden, daß ein Unterschied zu dem früheren Entwurf zur Vierten Bilanzrichtlinie der ist, daß in dem Ihnen vorliegenden Entwurf die Kapitalgesellschaften & Co., im wesentlichen also die GmbH & Co. KG, nicht mehr enthalten sind. Ich möchte in diesem Zusammenhang in die Erinnerung rufen, daß dies ja jener Punkt war, bei dem unter der alten Bundesregierung die damaligen FDP-Minister das erste und einzige Mal in der Kabinettsitzung überstimmt worden waren.
Mich erfüllt es mit großer Befriedigung und Genugtuung, daß unter der neuen Bundesregierung und unter meiner Federführung die damalige Entscheidung korrigiert werden konnte.
Ich meine, wenn die SPD heute erneut beantragt, die GmbH & Co. KG wieder mit hineinzunehmen, so sollten wir dem nicht folgen, weil es sinnvoller ist, die deutsche Wirtschaft dort, wo es die Richtlinie ermöglicht, nicht allzusehr zu belasten. Wir fühlen uns der mittelständischen Wirtschaft, die besonderem Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, in besonderer Weise verbunden. Im Interesse der betroffenen Unternehmen sollten wir alles tun, um die im internationalen Wettbewerb Stehenden
nicht über das zwingend Gebotene hinaus zu belasten.
Dementsprechend haben wir gehandelt.
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Bundesminister Engelhard
Ich bin mir sicher, daß die Befürchtungen, die die bevorstehende Publizität des Jahresabschlusses der GmbH in den betroffenen Kreisen zunächst ausgelöst hatte, unbegründet sind.
Ich meine, die Offenlegung des Jahresabschlusses, auch des Konzernabschlusses, wird künftig den Belangen dieser Unternehmen dienlich sein, weil hiermit das Vertrauen in ihre Solidität in ganz besonderer Weise gestärkt werden wird.
Ich bitte Sie, der Vorlage Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b. Der Rechtsausschuß empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4268, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/317 und 10/3440 miteinander zu verbinden und in der Ausschußfassung anzunehmen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es wird so verfahren.
Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4427, 10/4424, 10/4423, 10/4425, 10/4426, 10/4428 und 10/4447 Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie ein interfraktioneller Änderungsantrag vor. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4427 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4424 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4423 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4425 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4426 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4428 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4447. Wer den Ziffern 1 bis 4 dieses Änderungsantrags zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. -- Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wer Art. 1 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen aus der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4429 und 10/4447 Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4429 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ziffern 5 bis 8 des Änderungsantrages der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4447. Wer stimmt dafür? — Wer ist dagegen? — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wer Art. 2 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 3 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4447 unter Ziffer 9 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wer Art. 3 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 4 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 5 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4430 und 10/4447 Änderungsanträge der Fraktion der SPD
13750 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Vizepräsident Stücklen
sowie der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4430 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Enthaltungen ist dieser Antrag abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4447 unter Ziffer 10 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wer Art. 5 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Enthaltungen aus der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Art. 6 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/4448 und 10/4447 Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4448 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4447 unter Ziffer 11 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Der Änderungsantrag ist bei einer Enthaltung angenommen.
Wer Art. 6 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Drei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Enthaltungen aus der SPD-Fraktion. Art. 6 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Art. 7 bis 9 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Enthaltungen aus der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN. Die Art. 7 bis 9 sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 10 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4447 unter Ziffer 12 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wer Art. 10 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Enthaltungen aus der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN. Der Art. 10 ist damit angenommen.
Ich rufe die Art. 11 bis 13, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Wieder Enthaltungen aus der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN. Die Art. 11 bis 13 sowie Einleitung und Überschrift sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, nach Annahme von Änderungsanträgen in zweiter Beratung darf sich nach § 84 Buchst. b unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung nur dann unmittelbar anschließen, „wenn auf Antrag einer Fraktion oder ... zwei Drittel der anwesenden Mitglieder des Bundestages es beschließen". Ist das Haus damit einverstanden, daß unmittelbar in die dritte Beratung eingetreten wird? — Keine Gegenstimmen, keine andere Meinung; dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Drei Gegenstimmen. Enthaltungen? — Enthaltungen aus der Fraktion der SPD. Damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen.
Meine Damen und Herren, ein anscheinend großes Werk — als Nicht-Jurist schalte ich „anscheinend" vor — ist damit zum Abschluß gebracht worden. Es ist allen schon gedankt worden. Aber ich möchte sagen, ich habe in meinen 35 Jahren Parlamentszugehörigkeit noch nie unter so vielen Juristen eine so sachliche, fundierte und beinahe einheitliche Diskussion erlebt. Darüber habe ich mich gefreut.
Danke schön.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Gesetz zum weiteren Ausbau der Strafaussetzung zur Bewährung —
— Drucksache 10/1116 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/4391 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seesing Dr. de With
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/ .... —
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13751
Vizepräsident Stücklen
Berichterstatter:
Abgeordnete Deres
Dr. Müller Frau Zutt
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache 10/2720 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/4391 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Seesing
Dr. de With
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4431 und 10/4432 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Das Wort zur Berichterstattung wird gewünscht. Das Wort hat der Berichterstatter Abgeordneter Seesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 10/4391 ist bei Art. 2 Nr. 3 — § 454 b der Strafprozeßordnung — versehentlich der Abs. 3 nicht als Beschluß des 6. Ausschusses aufgenommen, obwohl der Ausschuß diese Vorschrift in der Fassung des Regierungsentwurfs beschlossen hat. Die beiden Berichterstatter — Herr Dr. de With und ich — bitten, die Beschlußempfehlung entsprechend zu berichtigen.
Danke schön. Kein weiterer Berichterstatter wünscht das Wort.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entwürfe der Bundesregierung und der SPD-Bundestagsfraktion zur Erweiterung der Strafaussetzung zur Bewährung — zeitlich hätte ich den SPD-Entwurf zuerst nennen müssen — sind im Rechtsausschuß ausführlich beraten worden.
Dabei stellten sich vier Grundüberzeugungen heraus:
Erstens. Das Rechtsinstitut der Strafaussetzung zur Bewährung hat sich ganz außerordentlich bewährt.
Zweitens. Die Zeit ist' reif für eine Ausweitung dieses Rechtsinstituts.
Drittens. Dabei sollte das Jugendstrafrecht eine Vorreiterrolle spielen.
Viertens. Die Ausweitung der Strafaussetzung wirft die Frage auf, ob nicht die Zeit gekommen ist, das Sanktionensystem unseres Strafgesetzbuchs auszuweiten und zu verfeinern.
Die Regierungskoalition ist diesen, wie ich meine, auch von ihr akzeptierten Ergebnissen der Beratungen in der Praxis jedoch nicht gefolgt.
Hier ist die Harmonie nicht so groß wie bei der Beratung des vorangegangenen Tagesordnungspunkts. Die Regierungskoalition bewegt sich halbherzig und zaghaft und nur millimeterweise voran.
Sie lehnt den weitergehenden Entwurf der SPD ab,
stimmt aber dann unseren Beschlußvorlagen zu. Sie stimmt diesen Beschlußvorlagen zu, weil sie offenbar vom schlechten Gewissen geplagt wird.
Denn auch sie sieht ein
— ich nehme an, Herr Stark, das ist auch Ihre Auffassung —, daß es nicht angeht, daß das Jugendgerichtsgesetz dem Erwachsenenrecht hinterherhinkt.
Deshalb fordern Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen von der Union, zusammen mit uns, daß die Bundesregierung bis zum 1. März 1986 einen Entwurf für die Reform des Jugendgerichtsgesetzes vorlegt. Ich kann nur hoffen, Herr Minister, daß dieser Termin eingehalten wird: zum Wohl der davon Betroffenen. Denn — ich wiederhole — es geht nicht an, daß das Jugendgerichtsgesetz dem Erwachsenenstrafrecht hinterherhinkt.
Bis heute war es im Prinzip immer umgekehrt.
Warum ist das so geschehen, daß Sie uns zugestimmt haben? Doch ganz offensichtlich deswegen, weil auch Sie der Bundesregierung hier Beine machen mußten.
Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition präsentieren sich — lassen Sie mich das einmal deutlich sagen — in der Rechtspolitik so wie im Grunde auch sonst. Von der Opposition gedrängt und innerlich gespalten, fügt sie sich verspätet einem notwendigen Bedürfnis nur halb,
vertröstet für den Rest auf die Zukunft, gibt das
noch fröhlich als großen Erfolg aus und spricht
dann — ich zitiere Herrn Marschewski — von ei-
13752 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Dr. de With
nem „Glanzstück" der Koalition. So muß man es machen. Aber niemand glaubt Ihnen.
Die Möglichkeit, Strafaussetzung zur Bewährung durch Urteil auszusprechen, gibt es erst seit dem Jahr 1923, und zwar im Jugendgerichtsgesetz. Dahinter steht kein geringerer als Gustav Radbruch. Die Nazis schafften diese Errungenschaft 1943 ab. Erst 1953 wurde durch Thomas Dehler die Strafaussetzung zur Bewährung in das Jugendgerichtsgesetz und erstmals in das Erwachsenenstrafrecht eingestellt.
1969 schufen während der Großen Koalition Gustav Heinemann und Horst Ehmke das zur Zeit noch geltende Recht. Herr Minister, Sie haben große Vorfahren, und es wäre gut, wenn Sie sich dieser Vorfahren würdig erweisen würden.
Das geltende Recht sieht wie folgt aus: Wer bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe erhält, dem kann grundsätzlich Strafaussetzung zur Bewährung gewährt werden, im Ausnahmefall auch dann, wenn gegen ihn bis zu zwei Jahren Strafe verhängt wurden. Das gilt auch im Jugendstrafrecht. Im übrigen kann seit geraumer Zeit vom sogenannten Restdrittel-Erlaß Gebrauch gemacht werden, nämlich dann, wenn sich einer bei der Strafverbüßung wohlverhält. Möglich ist allerdings auch der hälftige Erlaß; aber hier sind die Hürden so hoch, daß im Grunde im Erwachsenenstrafrecht davon kaum Gebrauch gemacht wird.
Die Richter — das sei hier besonders betont — wenden dieses Rechtsinstrument der Strafaussetzung zur Bewährung mehr und mehr an, und zwar, wie wir meinen — und das belegen die statistischen Zahlen —, mit großem Erfolg. Von 1970 bis 1981 hat sich die Zahl der zur Strafaussetzung zur Bewährung Verurteilten fast verdoppelt. Wurde anfangs bei 50 v. H. der so Verurteilten die Stafe erlassen, so ist diese Zahl heute auf rund 60 % gestiegen. Die darin zum Ausdruck gekommene Tendenz hatte schon bei den Beratungen im Strafrechtssonderausschuß 1968/69 zu der Überlegung geführt, ob man denn nicht eine größere Ausdehnung wagen sollte. Man hat davon abgesehen in der Hoffnung, daß man dies später nachholen würde. Heute und jetzt ist die Zeit dazu.
Bei einem internationalen Rechtsvergleich schneidet die Bundesrepublik schlecht ab.
Fast alle westlichen Länder verfahren bei der Strafaussetzung zur Bewährung seit geraumer Zeit deutlich großzügiger als wir, so z. B. — ich nenne die Länder — Italien, Spanien und Belgien, denen Pro-
gressivität zuzuschreiben wir nicht immer geneigt sind.
— Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall sind sie hier deutlich progressiver als wir, und ich kann nicht einsehen, warum wir nicht ihrem Beispiel folgen sollten. — In Portugal und in Japan sind es grundsätzlich drei Jahre. Frankreich liegt sogar bei fünf Jahren, und die skandinavischen Länder sowie England und die USA haben keine feste Begrenzung. Allerdings, das sei erwähnt, gibt es hier stufenweise Bremsen, um zu verhindern, daß generell Strafaussetzung zur Bewährung gewährt wird. Aber dennoch sind diese Länder wesentlich großzügiger, als wir es handhaben.
Noch stärker wird der Druck zur Reform, vergleicht man die Gefangenenzahlen auf dem Stand vom 1. Februar 1984, gemessen an 100 000 der Wohnbevölkerung. Unter 21 Ländern nehmen wir mit 104 Gefangenen zusammen mit Österreich — das liegt bei 114 — und, man höre und staune, der Türkei — die hat 171 — den höchsten oder richtiger ausgedrückt, den schlechtesten Platz ein. Spanien liegt bei 38, die Schweiz bei 62 und Frankreich bei 74 Gefangenen pro 100 000 der Wohnbevölkerung.
Der rapide Anstieg der Belegungszahlen unserer Gefängnisse wird deutlich, wenn wir uns in der Bundesrepublik den Unterschied zwischen 1974 und 1984, also einen Zeitraum von zehn Jahren, vergegenwärtigen. 1974 betrug die entsprechende Vergleichszahl nur 84. Die Untersuchungshäftlinge — die machen bei uns etwa 29 % der Inhaftierten aus — sind bei diesem Zahlenwerk eingeschlossen. Das rechtfertigt wahrlich den Schluß, daß bei uns zu oft und zu viel verhaftet wird,
aber auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, den weiteren Schluß, daß auch aus Überbelegungsgründen — gewissermaßen als willkommener Nebeneffekt — reformiert werden muß.
Diese Zahlen zwingen schließlich auch zu der Forderung — und die erhebe ich hier —, die fällige Reform des Untersuchungshaftvollzuges alsbald durchzuführen.
Hier kündige ich an, daß die SPD-Bundestagsfraktion schon im Frühjahr nächsten Jahres eine entsprechende Vorlage zur Reform des Untersuchungshaftvollzuges vorlegen wird. Entsprechende Vorarbeiten liegen vor; ich hoffe, daß die Bundesregierung entsprechend bald nachzieht. Wir alle stützen uns freilich auf das, was in einem Zwischenbericht bereits erarbeitet wurde. Aber die Zahlen und die Anmerkungen in diesem Papier sprechen Bände.
Daß die Justizvollzugsanstalten bei uns überfüllt sind, ist beinahe schon Gemeingut. Aber ich darf in diesem Zusammenhang einmal auf Rainer Oberheim Bezug nehmen, der dazu eine Untersuchung
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13753
Dr. de With
durchgeführt und Zahlen genannt hat. Er spricht davon, daß es bei uns Anstalten mit einer Belegungsziffer von 150% gibt. Er sagt, daß in Einzelzellen zwei liegen, daß Mannschafts-, Besuchs- und Verwaltungsräume umfunktioniert werden mußten. Daß dies alles im Widerspruch zum Strafvollzugsgesetz steht, das wir erst 1976 gemeinsam reformiert haben, ist offenkundig.
Hier muß uns — das sage ich ganz deutlich —, wenn das so anhält, das Gefühl beschleichen, daß unsere Gefängnisse auf die Dauer, um ein vielzitiertes Wort von Eberhard Schmidt zu gebrauchen, „zu Stein gewordene Riesenirrtümer" werden.
Auch deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, sollten Sie sich heute einen Ruck geben und nicht nur millimeterweise vorankrabbeln.
Ich darf ein letztes Argument für die Reformvorschläge meiner Fraktion vortragen. Ein Gefangener kostet die Steuerzahler pro Tag cum grano salis 100 DM. Das sind bei mehr als 60 000 Gefangenen etwas mehr als 2 Milliarden DM im Jahr. Der frühere niedersächsische Justizminister Schwind, bekanntermaßen kein Sozialdemokrat, einer aus Ihren Reihen, aus den Reihen der Union, beziffert dagegen die Kosten pro Proband für eine Bewährungshilfe auf zwischen 820 und 1 800 DM pro Jahr. Das sind — man höre und staune — 2,50 DM bis 5 DM pro Tag. Die Länderjustizminister, die sich über die harte Hand ihrer Finanzminister so oft — ich sage: zu Recht — beklagen
und sich deswegen mit ihnen nicht selten in den Haaren liegen, haben durch Zustimmung zu unserem Reformvorschlag die Möglichkeit, etwas für die Resozialisierung zu tun und gleichzeitig — ich möchte sagen: in einem Handstreich — eine Menge Geld zu sparen. Sie könnten nämlich ihren Etat gewaltig entlasten, und sie könnten darüber hinaus, um es vereinfacht zu sagen, Leid ersparen.
Allerdings darf ich in diesem Zusammenhang etwas Wasser in den Wein gießen: Die Zahl der Bewährungshelfer ist nach der Statistik des gerade erwähnten Schwind noch immer viel zu niedrig. Die Zahl der Probanden pro Bewährungshelfer beträgt in Berlin 38,8 und in Rheinland-Pfalz 74. Ganz abgesehen von den Unterschieden in den Ländern, ist diese Quote, auch wenn man den Durchschnitt nimmt, zu hoch. Wie soll der Bewährungshelfer bei dieser Zahl von Probanden individuell helfen, z. B. bei der Arbeitsplatzsuche, bei der Suche nach einer Wohnung, bei der Schuldenregulierung und Schuldentilgung und auch bei nicht selten auftretenden familiären Schwierigkeiten?
Herr Abgeordneter de With, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sauer?
Aber gerne. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie die Freundlichkeit haben, dem Hause mitzuteilen, daß der Kollege Professor Schwind seit Jahren nicht mehr Justizminister in Niedersachsen, sondern, soweit ich weiß, Lehrstuhlinhaber in Bochum ist, und diese Aussage sicherlich nicht als CDU-Politiker getan hat?
Ich denke, ich habe deutlich gesagt, daß er Justizminister in Niedersachsen war. Ich kenne den Herrn Kollegen Schwind gut und glaube, daß er damit einverstanden ist, daß ich aus seinen Statistiken zitiere, mit denen er in diesem Fall voll auf unserer und nicht auf Ihrer Seite steht.
Gestatten Sie eine weitere Zusatzf rage?
Bitte.
Meine Frage geht dahin, ob Sie die Auffassung vertreten, daß Professor Schwind in diesem Fall namens der CDU gesprochen hat.
Er hat im Namen nüchterner Zahlen gesprochen, und die wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Er wäre sauer, wenn er Sie hörte.
Ich richte deshalb einen ernsten Appell an die Länder, endlich die Zahl der Bewährungshelfer zu erhöhen und die Quote der Probanden, die auf die Bewährungshelfer entfallen, damit deutlich zu senken. Ich hoffe, Herr Sauer, dem können Sie wenigstens zustimmen.
Wir Sozialdemokraten haben deshalb beantragt — um es zu wiederholen —: erstens Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich bei Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren und im Ausnahmefall bis zu drei Jahren zu gewähren; zweitens grundsätzlich den hälftigen Straferlaß bei Verbüßung der Strafe zuzubilligen; drittens die Regelung der Strafaussetzung zur Bewährung, wie eben gefordert, auf das Jugendstrafrecht zu übertragen. Die Koalition hat diese unsere Vorschläge abgelehnt. Deshalb beantragen wir in zweiter Lesung erneut die Einfügung dieser Erweiterung. Auf die Drucksache 10/4432 darf ich verweisen.
Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, uns immer noch nicht zustimmen können, appelliere ich erneut an die Länderjustizminister, zu Ihren Vorschlägen im Bundestag nein zu sagen und den Vermittlungsausschuß anzurufen, damit auf diesem Gebiet endlich eine vernünftige Reform durchgeführt werden kann.
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Dr. de With
— Wenn Sie, Herr Kollege Stark, und Ihre Fraktion diesen Reformversuch weiterhin blockieren,
dann sage ich: was sich hier auftut, hat eine böse Vorgeschichte.
Wann immer versucht wurde, das Strafensystem zu humanisieren, stieß das leider auf den Widerstand der Konservativen. Die Generalprävention — so heißt es — und das Sühnebedürfnis verböten zu weitgehende Schritte.
Das war schon so — hier spreche ich Herrn Justizminister Engelhard an, der ja ebenso wie ich aus Bayern kommt — im Jahre 1806, als Anselm von Feuerbach seinem bayerischen Kurfürsten Max Joseph die Beseitigung der Folter in Gestalt eines Ediktes über „Die Abschaffung der peinlichen Frage" vorschlug und die Konservativen dagegen mit Macht protestierten. Der Kurfürst drehte und wendete sich und erklärte schlau — ich zitiere —:
Möge es Feuerbach verantworten, wenn die Verbrecher der Strafe entgehen.
Aber er unterschrieb. Und von einer Schwächung der Strafverfolgung konnte damals wie heute niemals die Rede sein. Ich wünschte, Sie würden sich diesem Vorbild, Herr Minister, anschließen.
Als in den 20er Jahren um die Todesstrafe — ja oder nein — gerungen wurde, war es ebenso. Nicht anders war es nach dem Zweiten Weltkrieg, als wir die Zuchthausstrafe — dann allerdings gemeinsam — abschafften. Ebenso war es, als wir 1953 — ich habe darauf verwiesen — die Strafaussetzung zur Bewährung — wieder gemeinsam — einführten. Am Ende freilich — das sage ich erneut zu den Koalitionsfraktionen — hat sich meist die Reform doch noch durchgesetzt, nur eben oft zu spät zum Leid der davon Betroffenen.
Härte im Strafrecht bedeutet keineswegs automatisch weniger Kriminalität. Sie kann vornehmlich bei Ersttätern und denen, die vor einer zweiten kriminellen Handlung stehen, zur Verhärtung und damit zum Gegenteil führen — nach der Melodie: Einsitzen muß ich eh, auf ein paar Monate mehr oder weniger kommt es dann doch nicht an. Die Rechtsüberzeugung des Bürgers wird auch dann berührt, wenn dem Bewußtsein von der Freiheitsstrafe als größtem Übel nicht ein gefächertes und differenziertes Stufensystem von Sanktionen vorangestellt wird. Dazu gehört aber auch — ich darf das so formulieren —, daß die Freiheitsstrafe weiter „hinaufgeschoben" und der so gewonnene „Vorraum" mit einem verfeinerten Sanktionsinstrumentarium „aufgefüllt" wird. Diesen Prozeß behindern Sie mit Ihrer ablehnenden Haltung, auch wenn Sie unserem Antrag an die Bundesregierung zustimmen, daß bis zum 1. Juli 1986 darüber berichtet werden möge, ob eine solche Erweiterung fällig ist und wie sie aussehen soll.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, lehnen es sogar ab, Ihre bescheidenen Fortschritte im Erwachsenenstrafrecht auf das Jugendstrafrecht auszudehnen. Sie können nicht hoffen, daß, selbst wenn der Justizminister bis 1. März nächsten Jahres einen entsprechenden Entwurf zur Reform des Jugendgerichtsgesetzes vorlegt, dieser bald Gesetz wird. Denn vor Mitte der nächsten Legislaturperiode — das wäre 1989 — kann er nach allen Erfahrungen gar nicht Gesetz werden. Deswegen wäre es an der Zeit gewesen, wenigstens bis dahin unseren Vorschlägen zu folgen und diese Lücke zu füllen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir gestehen im übrigen gerne zu, daß es bei dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen, der zugleich die Vorlage des Justizministers ist, eine ganze Reihe von Vorschlägen gibt, denen wir zustimmen können. Das ist aber in erster Linie ein Werk, das routinemäßig erfolgt.
— Ich weiß, ich bin sofort fertig, Herr Präsident. — Zustimmen können wir vor allem der Streichung des § 48, den Rückfallvoraussetzungen.
Alles in allem gesprochen sage ich mit Nachdruck: Für die Regierungskoalition mag das nur eine versäumte Gelegenheit sein. Für unsere Rechtsordnung ist das mehr als eine verpaßte Chance und für viele, die in Verstrickungen geraten sind, aus welchen Gründen auch immer, Schaden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hat sich recht viel Mühe mit den Gesetzentwürfen gemacht, die heute zur Beratung in zweiter und dritter Lesung anstehen.
Es war ernsthaft zu prüfen, wie eine Ausweitung der Strafaussetzung zur Bewährung zur Entlastung oder Veränderung des Strafvollzuges beitragen kann oder soll. Wir haben das in dem Bewußtsein beraten, daß die Durchführung Ländersache ist. Das Ergebnis unserer Beratungen läßt sich zusammenfassend so darstellen: Das Institut der Strafaussetzung zur Bewährung wird behutsam weiterentwickelt. Warum nur behutsam, Herr Kollege Dr. de With, und nicht so energisch, wie es im Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion gefordert wurde? Ich will auf diese Frage eine Antwort mehr vom Grundsätzlichen her geben.
Erstens. Der Staat hat um der Gerechtigkeit willen die Pflicht, zu strafen, wenn ein Mann oder eine Frau gegen die Regeln verstoßen, die das Leben der Gemeinschaft und in der Gemeinschaft sichern. Grund für eine Bestrafung ist die böse Tat als Verstoß gegen unsere Rechtsordnung. Der Staat nimmt
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13755
Seesing
dazu die Berechtigung aus der Tatsache, daß er verpflichtet ist, ein möglichst friedliches Zusammenleben zu garantieren. Durch eine lang gewachsene Praxis ist das System staatlicher Sanktionen gesetzlich geregelt. In diesem durchaus noch wohlabgewogenen System nimmt die Freiheitsstrafe ihren bestimmten und festen Platz ein. Sie dient der Vorbeugung und der Sühne für das getane Unrecht. Beide Aspekte sind nach unserer Auffassung auch heute zu berücksichtigen. Der Sühnecharakter darf nach Meinung der großen Mehrheit unserer Mitbürger nicht verlorengehen. Das könnte aber bei einer erheblichen Ausweitung der Möglichkeiten zur Strafaussetzung eintreten.
Zweitens. Die recht hohe Kriminalitätsrate in unserem Land zwingt uns förmlich, an der Freiheitsstrafe als Mittel der Vorbeugung festzuhalten. Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen unseres Landes ist recht groß. Die Menschen betrachten die Sicherung der Allgemeinheit vor Kriminellen als die Forderung an die Rechtspolitiker und als einen wichtigen Strafzweck. Dieses Sicherheitsbedürfnis darf den Rechtspolitiker allerdings nicht zu der irrigen Annahme verführen, daß es bei einer etwaigen Erhöhung des Strafrahmens durch die dann möglicherweise vorhandene Abschreckung allein schon zu einer erheblichen Verminderung der Kriminalität kommen könne. Neben der Resozialisierung von Gefährdeten und Gefallenen sieht ein Programm von CDU und CSU zur Kriminalitätsbekämpfung auch eine Reihe von Notwendigkeiten und Möglichkeiten, um im Vorfeld des Strafvollzugs zu einer
) Verminderung von Straftaten überhaupt zu kommen. Ich nenne nur die Stabilisierung der familiären Erziehung, die Entwicklung des Rechts- und Unrechtsbewußtseins, die Förderung einer sinnvollen Freizeitgestaltung, den Ausbau der Vorbeugungsprogramme der Kriminalpolizei, die Beratung und Behandlung von Rauschmittelabhängigen sowie die Nachsorge für sie, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und eine auf Begrenzung und Integration ausgerichtete konsequente Ausländerpolitik. Auf Alternativen zur Freiheitsstrafe werde ich noch zu sprechen kommen.
Drittens. Wir möchten auf den Einzelfall abstellen können. In jedem einzelnen Fall muß eine Prüfung angestellt werden, ob die in diesem Gesetz angebotenen Maßnahmen verantwortet werden können. Wenn wir diese Einzelfallprüfung als unumgänglich ansehen, kann natürlich für eine Haftverschonung oder Haftentlassung nicht allein das Argument gelten, unsere Gefängnisse seien zu voll. Ich bin immer noch — wie ich es im Bundestag und im Rechtsausschuß schon mehrfach vorgetragen habe — der Ansicht, daß bei uns die Zahl der Strafgefangenen und der Untersuchungshäftlinge recht hoch ist.
Deswegen habe ich mich darüber gefreut, daß die von dieser Bundesregierung in Auftrag gegebene Untersuchung der Universität Göttingen jetzt weitere Zwischenergebnisse gebracht hat.
Dennoch ist es wohl richtig, erst dann über eine Reform des Rechts der Untersuchungshaft nachzudenken, wenn ein Abschlußbericht vorliegt.
— Sie haben recht. Nachdenken sollte man immer. In Gesetzesregelungen eintreten sollte man aber erst dann, wenn man alle Dinge bei der Hand hat.
Genauso wird man darüber nachdenken müssen, ob an die Stelle von geringeren Freiheitsstrafen andere Sanktionen treten können. Das ist aber nicht eine Aufgabe, die über Nacht gelöst werden könnte oder dürfte.
Der Rechtsausschuß bittet den Bundestag, einer Entschließung zuzustimmen, nach der die Bundesregierung bis zum 1. Juli 1986 einen Bericht über Alternativen und Ergänzungen des jetzigen Sanktionensystems geben soll. Ich möchte hier deutlich machen, Herr Kollege de With, daß die Liste der Hinweise, zu denen die Bundesregierung berichten soll, nicht in allen Punkten unseren Vorstellungen entspricht; sie macht aber sichtbar, daß wir uns mit den Vorschlägen ernsthaft — und nicht auf Grund eines schlechten Gewissens — auseinandersetzen wollen.
Es ist eigentlich auch nicht einzusehen, daß wir im Grunde nur zwei Strafformen kennen, Freiheitsstrafe und Vermögensstrafe. Je mehr man nämlich über Strafe, Strafzumessung und Strafvollzug nachdenkt, desto erstaunlicher ist es, daß wir im Laufe der Jahrhunderte von einem Reichtum an Strafen zu einer Strafenarmut gekommen sind, die natürlich auch wieder Ausdruck der Bemühungen ist, alles und alle möglichst gleichzubehandeln. Ich habe mich natürlich auch ein wenig mit der Geschichte der Strafen befaßt, wobei ich vorweg sagen muß, daß ich alle Strafen, die gegen das Leben und den Körper eines Menschen gerichtet sind, aus tiefstem Herzen verabscheue.
Dennoch könnte man vielleicht aus dem vielfältigen mittelalterlichen System der Sanktionen einiges lernen. Ich will jetzt nicht die Vielzahl der Todesstrafen — wie Verbrennen, Rädern, Ertränken, Vierteilen, Hängen usw. — anführen, auch nicht die daneben existierende ungeheure Skala von Körperstrafen; meine Stellungnahme dazu habe ich gerade abgegeben. Es wird aber deutlich, daß man dem Einzelfall sehr große Bedeutung zumaß. Oder betrachten Sie auch einmal das breite Sanktionensystem, das es in den Schulen gab oder in anderer Form bzw. zum Teil noch in der bisherigen Form auch heute gibt. Dazu könnte ich aus meinem bisherigen Erfahrungsbereich einiges sagen.
So frage ich mich, ob es nicht innerhalb des Systems der Freiheitsstrafe im Rahmen des Vollzugs
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Seesing
eine Vielzahl von auf den Einzelfall zugeschnittenen Maßnahmen geben könnte, wie sie in den beiden letzten Jahren von verschiedenen Autoren in mehreren Fachzeitschriften angesprochen wurden.
Daneben wirft der Strafvollzug noch viele Fragen auf, die CDU und CSU mit Fachleuten erörtern wollen. Die Diskussion über den Strafvollzug ist also mit der heutigen Beratung nicht beendet; vielleicht beginnt sie erst richtig.
Was bringt nun dieses neue Gesetz, wenn es die Zustimmung des Bundestages findet? Ich will nur auf einige Punkte eingehen:
Erstens. Die Rückfallvorschrift des § 48 des Strafgesetzbuches fällt weg.
— Vielleicht wegen des anderen Rechtssystems. Besonders betroffen wäre von solchen Möglichkeiten auch der Bereich der Wirtschaftskriminalität. Was wird der berühmte Mann von der Straße sagen, wenn ein Wirtschaftskrimineller, der wegen erheblicher Wirtschaftsdelikte zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist, wegen einer guten Sozialprognose, die ihm wahrscheinlich immer dann zusteht, nicht mehr mit der Strafvollstreckung rechnen muß? Also wir halten die Zeit auf jeden Fall noch nicht für gekommen, einer Ausweitung des § 56 des Strafgesetzbuches zuzustimmen.
Viertens. Großzügiger wollen wir die Strafaussetzung nach Teilverbüßung nach § 57 des Strafgesetzbuches angehen. Zwar bleibt die in Absatz 1 dieser Vorschrift geregelte Zwei-Drittel-Entlassung bestehen. Diese Möglichkeiten zur Strafaussetzung sind in der Vergangenheit gut genützt worden. Nur jeder zehnte Antrag auf vorzeitige Haftentlassung wurde von den Gerichten abgelehnt. Zu einer Änderung des Abs. 1 besteht also kein Bedürfnis. Man könnte vielleicht einmal in eine Diskussion darüber eintreten, ob in dem unteren Strafbereich auf die Prognoseklausel und/oder auf das Zustimmungserfordernis verzichtet werden sollte. Im Gegensatz zu der Regelung in Abs. 1 hat der § 57 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs mit seiner Möglichkeit zur Entlassung nach hälftiger Strafverbüßung in der Praxis kaum eine Rolle gespielt. Das soll nach unserer Auffassung durch die neue Bestimmung des § 57 Abs. 2 anders werden. Die Kumulation von Tat und Täterbezug wird wie schon in § 56 Abs. 2 aufgegeben. An ihre Stelle tritt die Klausel von der Gesamtwürdigung. Die Mindestverbüßungsdauer wird von einem Jahr auf sechs Monate herabgesetzt.
Wichtiger aber ist die Bestimmung, daß bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren für Gefangene, die erstmalig eine Freiheitsstrafe verbüßen, unter den üblichen Voraussetzungen die Möglichkeit zur Entlassung nach der Hälfte der Strafzeit gegeben wird. Der Bundesrat hatte zusätzlich vorgeschlagen, die Strafaussetzung „in der Regel" vorzuschreiben. Wir sind der Auffassung, daß es bei der Kann-Vorschrift bleiben sollte, weil dadurch dem Gericht die volle Entscheidungsmöglichkeit verbleibt.
Den sehr viel weitergehenden Vorschlägen der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE GRÜNEN konnten wir aus den von mir zu Beginn vorgetragenen Gründen nicht folgen. Wir glauben dennoch, daß es im Bereich der Freiheitsstrafen zwischen neun Monaten und zwei Jahren zu einer auch für den Strafvollzug spürbaren Verkürzung der Strafverbüßung kommen wird. Wir hoffen, daß diese neuen Möglichkeiten von der Praxis auch angenommen werden.
Die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzestextes sprechen nur den Bereich des Erwachsenenstrafvollzuges an. Auch wir erwarten die Vorlage der Bundesregierung zu einem Jugendgerichtsgesetz zum 1. 3. 1986.
Wir bitten, die Änderungsanträge von der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN abzulehnen und dem Gesetz in der Fassung des 6. Ausschusses zuzustimmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Das Interesse der Kollegen dieses Hauses steht in umgekehrtem Verhältnis zu der Bedeutung der Materie, mit der wir uns hier heute befassen. Das möchte ich vorab sagen. Man könnte meinen, sagte mein Kollege Vogel, es sei Donnerstagnacht.
Durch die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelungen werden weder die enorm hohen Gefangenenzahlen in der Bundesrepublik — wir stehen an dritter Stelle in Europa — beseitigt werden, noch wird eine Entlastung der überstrapazierten Bewährungshilfe erreicht werden können. Es handelt sich bei dem Entwurf der Regierung um allzu behutsame Schritte, Herr Kollege Seesing, die ein wirklich humanes, in die Zukunft gerichtetes strafrechtspolitisches Konzept nicht erkennen lassen. Wir werden daher dem Entwurf der Bundesregierung nicht zustimmen.
Vielleicht zu Anfang noch eine Zahl aus unserem Änderungsantrag, damit wir wissen, in welchem Bereich wir uns bewegen. Bei der Bewährungshilfe ist die Zahl der Probanden allein seit 1968 von 28 000 auf jetzt über 100 000 gestiegen, obwohl nur etwa 10 % aller nach § 56 Abs. 1 und nur 30 % aller nach § 56 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs Verurteilten einem Bewährungshelfer unterstellt wurden. In dem Zeitraum von 1971 bis 1981 ist die Zahl der Inhaftierten trotz der Erweiterung der Möglichkeiten der Aussetzung zur Bewährung um 29 % gestiegen.
Zunächst noch etwas Positives. Wir begrüßen die Streichung der Rückfallvorschrift des § 48 StGB. Es handelt sich bei dieser Vorschrift um eine besondere Fehlleistung des Gesetzgebers, die Blei einmal als „so nützlich wie ein Hühnerauge" bezeichnete. Diese 1970 ins Strafgesetzbuch aufgenommene Vorschrift hat immer wieder zu Urteilen geführt, die mit dem Gebot des maßvollen Einsatzes staatlicher Strafe schlechterdings unvereinbar sind. Ich erinnere an die beiden Fälle, die dem Bundesverfassungsgericht vorlagen, den Käse-Fall, in dem der Schaden 79 Pfennige betrug, und das Fahren ohne Fahrschein. In beiden Fällen betrug die Mindeststrafe auf Grund einer schematischen Anwendung der Vorschrift des § 48 sechs Monate. Damit wird jetzt Schluß gemacht. Das begrüßen wir sehr.
Die Streichung des § 48 sollte eigentlich ein erster Schritt sein, um den Umfang und die Intensität staatlichen Strafens langfristig drastisch zu reduzieren. Hier vermissen wir in der Tat mutige, in die Zukunft weisende Schritte. Ich denke, es ist, wie ein Fachmann geschrieben hat, ein Entwurf „auf kleiner Flamme", obwohl ihm sehr intensive Beratungen mehrer Justizministerkonferenzen vorausgegangen sind.
Meine lieben Kollegen, wir haben — wie auch schon im Rechtsausschuß — versucht, durch unseren Änderungsantrag, der sich auf den Entwurf der SPD-Fraktion bezieht -- es handelt sich um die
Drucksache 10/4431 —, unsere in die Zukunft gerichtete Position deutlich zu machen. Dazu werde ich im folgenden einige Ausführungen machen.
Zunächst noch einmal zu dem Entwurf der Regierung. In einigen Formulierungen finden sich Tendenzen, die einer Prisonierung weiterer Bevölkerungskreise das Wort reden. § 57 des Entwurfs der Regierung sieht z. B. vor, daß ein Strafgefangener mindestens sechs Monate seiner Strafe verbüßt haben muß, um in den Genuß der Halbstrafenentlassung zu kommen. Dies sieht auf den ersten Blick wie eine Liberalisierung der bisher gültigen Vorschrift aus, schaut man aber genauer hin, so stellten sich die weiteren Voraussetzungen einer Halbstrafenentlassung allerdings um einiges restriktiver als die bisherige Rechtslage dar. Wir meinen demgegenüber, daß den spezial- als auch generalpräventiven Wünschen durchaus auch dann Rechnung getragen ist, wenn in Ausnahmefällen bereits nach Verbüßung eines Drittels der Freiheitsstrafe deren Rest zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Hierbei darf die Dauer der Inhaftierung keine Rolle spielen; einziges Kriterium muß vielmehr die Frage sein, ob die Erprobung des Verurteilten außerhalb des Strafvollzugs verantwortet werden kann, wie es ja im übrigen § 57 in der derzeit geltenden Fassung vorsieht.
Ähnlich prognostischen Gesichtspunkten entspricht auch unser Vorschlag, die Bewährungszeit auf höchstens zwei Jahre zu begrenzen, wenn der Strafrest ein Jahr nicht überschreitet, sowie die Abkopplung der Hilfs- von der Kontrollfunktion des Bewährungshelfers. Nicht Gängelung und Kontrolle, sondern Begleitung und Hilfe sollten nach unserer Vorstellung die wichtige Arbeit der Bewährungshilfe bestimmen.
Unsere Anregungen hätten darüber hinaus einen Beitrag zum Abbau der horrenden Überbelastung der Bewährungshelfer in der Bundesrepublik leisten können.
Ich möchte an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen über die schwierige Situation der Bewährungshelfer machen, da mir leider die Zeit fehlt. Herr Kollege de With hat dazu einiges gesagt. Ich will hier nur erwähnen, daß unser Vorschlag mit einem neuen Anhörungs-, Antrags- und Beschwerderecht des Bewährungshelfers in allen Fragen, die die Bewährung betreffen, dazu führen würde, die Anwaltsfunktion zugunsten des Probanden zu verstärken.
Zum Schluß noch einige Bemerkungen zu der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses. Der Referentenentwurf zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes liegt seit 1983 vor. Allein aufgrund der verheerenden Stellungnahmen der Verbände und Initiativen sowie der Kriminologen und Juristen, die in diesem Bereich arbeiten, ist es bisher verhindert worden, daß die Bundesregierung ihre Politik der Ausgrenzung gesellschaftlicher Minderheiten auch im Bereich der straffällig gewordenen Jugendlichen ausdehnt. Ich nenne beispielsweise die Ausweitung des Jugendarrests als einer in den 30er Jahren für
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Mann
im Prinzip gutartige Jugendliche eingeführten Sanktion. Wer diese Ausweitung befürwortet, der verstößt in eklatanter Weise gegen den Erziehungsgedanken des Jugendgerichtsgesetzes.
Ich komme zum Schluß. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sind sehr einverstanden mit der Frage an die Bundesregierung, ob sich das bestehende Sanktionensystem des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung bewährt hat. Wir werden aller Voraussicht nach zum zehnjährigen Jubiläum des Strafvollzugsgesetzes eine Große Anfrage einbringen, um die bisherige Richtung bundesdeutscher Kriminalpolitik in Frage zu stellen. Wir werden versuchen, konkrete Alternativen insbesondere im Jugendstrafrecht vorzuschlagen, die mit der Aussonderung von Straffälligen Schluß machen und statt dessen eine partnerschaftliche Begleitung in Freiheit ermöglichen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine Herren! Bevor ich auf einige grundsätzliche Gesichtspunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs eingehe, möchte ich zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, dem Bundesminister der Justiz, Herrn Hans Engelhard, und auch den beteiligten Beamten seines Hauses meinen Dank für die Mithilfe bei diesem Gesetzgebungsvorhaben auszusprechen.
Wenn man die Vorgeschichte dieses Entwurfs Revue passieren läßt, so kann man ohne Übertreibung sagen, daß nicht zuletzt die Bemühungen des Bundesjustizministers und seiner Beamten das Zustandekommen des Gesetzes ermöglicht haben. Insbesondere die intensive Zusammenarbeit mit den Landesjustizverwaltungen hat dazu geführt, daß die Länder bereits frühzeitig ihre Bedenken einbringen und die von dieser Seite unterbreiteten Vorschläge bereits im Anfangsstadium Berücksichtigung finden konnten.
Daß letztlich nicht alle Anregungen, die von den Ländern gemacht worden waren, aufgegriffen werden konnten, mag für das jeweils betroffene Land zwar schwer zu verkraften sein, liegt aber, wie ich meine, im Wesen eines Kompromisses. Hier gilt es nun auf beiden Seiten, zurückzustecken und das in der gegebenen Situation Machbare durchzusetzen.
Im Augenblick stellt der hier gefundene Kompromiß das dar, was politisch machbar, aus meiner Sicht aber auch rechtsethisch noch vertretbar ist. Es handelt sich eben um einen ausgewogenen Kompromiß.
Diese Betrachtung führt mich zum Kern meines Anliegens. Ich möchte nicht noch einmal auf die einzelnen Regelungen des Entwurfs eingehen. Ich denke, dies ist insbesondere durch meinen Kollegen Seesing zur Genüge geschehen. Ich will vielmehr Ihren Blick einmal auf das Grundsätzliche lenken, auf etwas, was über die reine Diskussion um den
Inhalt, die Zahlen, die Daten und Fakten hinausgeht.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf hat sich zum Ziel gesetzt, einen überaus schwierigen Konflikt zu lösen. Es stehen sich zwei schwergewichtige Interessen gegenüber, die es sachgerecht auszubalancieren gilt. Dies sind die Interessen des Staates an der Durchsetzung seines Strafanspruchs und die Interessen des Täters, noch einmal eine Bewährungschance zu erhalten. Es geht um die Frage, inwieweit der Staat auf die Vollstreckung von Freiheitsstrafen verzichten kann, ohne die Effektivität der Strafrechtspflege zu gefährden, ohne der Bevölkerung das zu große Risiko aufzubürden, daß der auf Bewährung entlassene Straffällige erneut Straftaten begeht, erneut Schäden an Individualrechtsgütern verursacht.
Es geht letztlich um das Verhältnis zwischen dem Straftäter und der Gesellschaft, zwischen Aktion und Reaktion, zwischen Strafe und Sühne, ein uralter Konflikt. Dieser Interessenkonflikt — das möchte ich an dieser Stelle noch einmal klarmachen — ist kein Feld für einseitige Wertungen, für Experimente am lebenden Objekt und auch kein Platz, an dem sich die Vorurteile die Hand reichen. Das Strafrecht dient dem Schutz des Bürgers, nicht seiner Kontrolle. Nicht Sünde und Unmoral sollen bestraft werden, sondern Vergehen und Verbrechen. Der Vollzug einer Strafe soll nicht Vergeltung sein, sondern dem Schutz der Gesellschaft dienen und — das ist für mich das überragende Ziel — die Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft ermöglichen.
Hierbei, meine Damen und Herren, wollen wir ihm mit dem jetzt eingebrachten Gesetzentwurf helfen. Wir wollen ihm eine Brücke bauen, ihm noch einmal die Möglichkeit einräumen, sich für das Recht, für die Beachtung der gesellschaftlichen Regeln zu entscheiden.
Wir wollen den Anwendungsbereich des Rechtsinstituts der Strafaussetzung zur Bewährung behutsam ausweiten, um dem Straffälligen die Rückkehr zur Rechtsordnung zu ermöglichen. Dies ist die grundlegende Zielsetzung unseres Vorhabens. Wir wollen aber auch dem Gedanken der Strafaussetzung zur Bewährung mehr Rechnung tragen. Wir wollen dem Täter die Gelegenheit bieten, sich durch sein straffreies Verhalten nach der Verurteilung den Straferlaß sozusagen zu verdienen, und das meinen wir ernst. Der Straffällige muß mitarbeiten, er muß seine Mithilfe anbieten und durch Taten zu erkennen geben, daß er auf den Boden der Rechtsordnung zurückgekehrt ist.
Meine Damen und Herren, dies ist ein einmaliges Angebot der Gesellschaft an den Verurteilten. Es liegt nun ganz bei ihm, ob er dieses Angebot annimmt oder ausschlägt. Wir können ihm dabei nur Hilfestellung leisten, sich im wahrsten Sinne des Wortes zu bewähren. Der Verurteilte selbst ist für sein Schicksal innerhalb der staatlichen Gemeinschaft verantwortlich. Wir können nur den äußeren
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13759
Beckmann
Rahmen schaffen. Ihn auszufüllen und zum Ziel zu führen bleibt dem Betroffenen selbst vorbehalten.
Ich bin sicher, daß dies unter Mithilfe aller Beteiligten gelingen kann.
Darüber dürfen wir aber auch nicht vergessen, daß die Bewährungshilfe die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht hat. Wir müssen erkennen, daß die Beamten und Angestellten in diesem Bereich bereits jetzt mit ihren Aufgaben mehr als überlastet sind. Wäre hier ein nicht über das normale Maß weit hinausgehendes Engagement der Sozialarbeiter, der Polizeibeamten, der Vollzugsbediensteten und der sonstigen an der Resozialisierung beteiligten Bürger vorhanden, wäre die Bewährungshilfe in ihrer jetzigen Form schon längst nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Wir hoffen nun, daß es in absehbarer Zeit den Landesjustizverwaltungen unter Mithilfe des Bundesjustizministers gelingt, hier Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten und im Rahmen des finanziell Machbaren alles zu tun, damit hier Abhilfe geschaffen werden kann.
Zum Schluß, meine Herren, möchte ich noch einmal zum Ausdruck bringen, daß meine Fraktion diesen in unseren Augen sehr ausgewogenen Kompromiß als Beitrag zu einer behutsamen Rechtsfortentwicklung begrüßt. Gerade in diesem so sensiblen Bereich, in dem es um die Reaktion des Staates auf strafbares Verhalten geht, sehen wir unseren Grundsatz gewahrt, daß neues Recht am Allernotwendigsten zu orientieren ist.
Wir sehen den Grundsatz gewahrt, Herr Kollege de With, daß die von der Gesellschaft erzwungene Sühne für das begangene Unrecht nicht durch das Erdulden einer Strafe, sondern auch durch eigene, positive Leistungen des Täters erbracht werden kann.
Wir sind uns aber auch im klaren, daß dies nicht der Endpunkt der Entwicklung im Strafrecht und im Strafvollzugsrecht sein kann. Wir müssen abwarten, wie sich die hier vorgeschlagenen Regelungen in der Praxis bewähren. Erst wenn hierüber Erkenntnisse vorliegen, kann man darüber reden, ob ein weiterer Ausbau der Strafaussetzung zur Bewährung befürwortet werden kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Strafaussetzung zur Bewährung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als ein wirksames Mittel einer modernen Kriminalpolitik bewährt. Es liegt daher nahe, es behutsam und überlegt auszuweiten und den Gegebenheiten anzupassen.
Ich bin im übrigen, Herr Kollege de With, mit Ihnen und anderen Kollegen natürlich völlig darin einig, daß dem Jugendstrafrecht dabei eine Vorreiterrolle zukommt. Darin besteht völlige Einigkeit.
Aber weil hier zahlreiche Anmerkungen über das Schicksal des Referentenentwurfes meines Hauses zum Jugendgerichtsgesetz gemacht wurden, will ich dazu doch einige wenige Worte sagen. Tatsache ist, daß damit neue Kosten auf die Länder zukommen.
Der Bundesfinanzminister hat das größte Interesse daran, zunächst auch über diese Kosten einen gewissen Überblick zu gewinnen. Deswegen sind die Länder aufgefordert worden, einmal eine Hochrechnung dieser Kosten vorzunehmen — mit dem Ergebnis, daß dies dort auf nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten stößt und wir es ungemein schwer haben, jene Zahlen, die selbst zu errechnen wir nicht in der Lage sind, zu besorgen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten de With?
Ja, bitte. Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr.
Herr Minister, wäre der Augenblick nicht günstig, durch eine Ausdehnung der Strafaussetzung zur Bewährung und die damit gewonnenen Kosten gewissermaßen das zu verrechnen, was das Jugendgerichtsgesetz an Mehrkosten bringt, und so die Länderfinanzminister und -senatoren zu überzeugen?
Herr Kollege de With, Ihr Vorschlag liegt etwa auf jener Linie, die dahingeht, in kostensparender Weise hier etwas zu bewegen. Nur werden Sie gerade beim Jugendgerichtsgesetz sehen müssen, daß der Gedanke des Einstiegsarrestes, der dem Betroffenen ein deutliches Zeichen setzt, es ihm aber gleichzeitig ersparen soll, auf längere Zeit in Jugendstrafvollzug zu kommen, natürlich Mittel erfordert.
Man wird aber umgekehrt auf jenen Einstiegsarrest nicht ohne weiteres verzichten können, wenn man es sich nicht so einfach machen will wie die GRÜNEN, die hier von partnerschaftlicher Zusammenarbeit und ähnlichen Dingen erzählt haben, was ganz sicherlich bei dem ernsten Problem der Kriminalität, auch der Jugendkriminalität, von einem gewissen Edelmut zeugen mag, im Ergebnis aber genau dies nicht bringen wird: einem jungen Menschen, der einen schweren Fehler begangen hat, den Ernst der Lage deutlich zu machen, auch wenn man bereit ist, sich ihm aufgeschlossener zu nähern als einem alten Knastbruder, einem auch nach Lebensjahren alten Knastbruder.
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Bundesminister Engelhard
Das ist meines Erachtens das Wesentliche. Deswegen bejahe ich speziell die Vorreiterrolle im Jugendstrafrecht. Wir werden weiter bemüht sein, trotz aller Schwierigkeiten hier die Hürden zu beseitigen, um weiterzukommen.
Meine Damen und Herren, zum vorliegenden Entwurf: Täter, die zu nicht mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden sind und sich erstmals im Strafvollzug befinden, sollen häufiger als bisher damit rechnen können, bereits nach Verbüßung der Hälfte ihrer Strafe bedingt entlassen zu werden. Dies ist ein Fortschritt. Herr Mann, Sie haben in Ihrem Beitrag eine unzutreffende Wertung gegeben.
Voraussetzung für eine Aussetzung des Strafrestes muß allerdings auch weiterhin sein, daß dem Verurteilten eine gute Sozialprognose gestellt werden kann. Diese Regelung soll eine maßvolle Erweiterung des geltenden Rechts sein. Sie läßt sich einerseits von folgender Erwägung leiten: Wer sich erstmals im Strafvollzug befindet, spürt dessen Wirkung in der Regel besonders nachhaltig. Ein vergleichsweise kurzer Freiheitsentzug und die anschließende Betreuung durch einen Bewährungsheifer können daher hier in besonderem Maße günstig und spezialpräventiv wirken.
Andererseits sollten wir uns aber auch der Grenze bewußt sein, die bei einer Strafaussetzung unter generalpräventiven Gesichtspunkten gezogen sein muß. So darf niemand den Eindruck erhalten, als Ersttäter schwerwiegende Delikte begehen zu können, ohne überhaupt mit einem längeren Strafvollzug rechnen zu müssen.
Wir wollen uns dies an einem Beispiel näher anschauen. Nach der Strafzumessungspraxis der Gerichte werden Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren, nach dem Regierungsentwurf die Obergrenze für die Strafaussetzung zur Bewährung, in aller Regel nur bei ganz erheblichen Straftaten verhängt. Im Jahre 1983 sind wegen des Delikts des Einbruchsdiebstahls in der Bundesrepublik Deutschland 16 478 Verurteilungen erfolgt. Dabei ist nur in 853 Fällen, also so rund um die 5%, Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verhängt worden. Daran sieht man, daß selbst bei dem schon seiner Natur nach ja nicht im Bagatellbereich angesiedelten Delikt des mit erheblicher und nachhaltiger Kriminalität verübten Einbruchsdiebstahls offensichtlich nur in den schwersten Fällen, wo jemand ja auch bereits vielfach vorbestraft sein mag, Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verhängt wird. Jetzt auch diese Fälle mit einer großzügigen Ausnahmeregelung zu erfassen, würde allen generalpräventiven Gesichtspunkten ins Gesicht schlagen.
Wenn Sie in Ihrem Entwurf — ich habe das aufmerksam verfolgt — darauf abzielen, bei günstiger Sozialprognose bei Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren Strafaussetzung zu gewähren, so ist dies eine Problematik, die nicht nur draußen von niemand verstanden werden würde, sondern die ja auch dazu führt, daß Schwerkriminalität, wo der Täter, was seine Zukunft angeht, einen günstigen Eindruck macht, mit Strafaussetzung zur Bewährung bedacht wird. Ich sage Ihnen, es geht so nicht, auch unter allen Beschwörungen des Bamberger Landrechts, Herr Kollege de With, mit Anselm von Feuerbach und Ihrer Parallele, die Sie hier gezogen haben, verbunden mit dem Appell an meine Großzügigkeit und Aufgeschlossenheit; dies hat ja nun wirklich gehinkt. Denn ich sage Ihnen eines. Aus sehr wohlerwogenen Gründen von Gerichten verhängte Freiheitsstrafen von über zwei Jahren nicht zur Bewährung auszusetzen, hat natürlich mit Folter nichts zu tun.
Das war auch allen Zuhörern hier ganz offensichtlich. So hinkt Ihr Beispiel in so beträchtlichem Maße, daß es nicht dazu dienen kann, hier etwas zu bewegen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Sind Sie bereit, Herr Minister, zur Kenntnis zu nehmen, daß es in erster Linie um den Strafbereich zwischen einem und zwei Jahren und nur in Ausnahmefällen um den Strafbereich zwischen zwei und drei Jahren geht und daß es in meinem Beispiel von Anselm von Feuerbach, das Radbruch beschrieben hat, darum ging, daß der damalige Fürst zugestimmt hat, obwohl die Konservativen nein sagten, und daß seine Zustimmung richtig und dann richtungsweisend war. Nur das war das Beispiel.
Ich glaube, daß die Parallele auch nicht dadurch besser wird, daß jetzt die Konservativen hier mit ins Gespräch gebracht werden.
Wir, Herr Kollege de With, nicht nur wir beide, sondern alle hier Versammelten, sind gegen die Folter
und gegen vieles andere. Dementsprechend ist unser Rechtssystem in der Bundesrepublik Deutschland gestaltet als ein humanes System.
Aber es ist so, daß man in der Auseinandersetzung, wie und wo wir zugreifen sollten, verschiedene Meinungen haben kann und daß man kein Reaktionär, ja nicht einmal ein Konservativer zu sein braucht, um der Auffassung zu sein, daß die Einstellung in besonderen Fällen Gnade vor Recht ergehen zu lassen, ihre Grenzen hat, jenseits deren das System unserer Strafen Anwendung finden muß, um deutlich zu machen, daß der Tat die Strafe auf dem Fuß
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13761
Bundesminister Engelhard
folgt, so großzügig wir im einzelnen Fall auch sein mögen.
Ich erwähne als letzten Punkt, daß es bei der angespannten Arbeitsmarktlage manchem Verurteilten nicht möglich ist, eine Geldstrafe zu bezahlen, so daß er die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müßte. Jetzt kann der betroffene Personenkreis damit rechnen und davon ausgehen, daß auch der Arbeitslose die Möglichkeit erhält, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch Leistung freier gemeinnütziger Arbeit abzuwenden, ohne Gefahr zu laufen, seine Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung zu verlieren. Das ist ein vernünftiger Weg gerade in unserer Zeit, den wir hier gehen.
Ich bitte Sie, den Empfehlungen des Rechtsausschusses Ihre Zustimmung zu geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung, über den Tagesordnungspunkt 4 a. Zu dem von der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/1116 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4431 vor. Ich lasse zunächst über diesen Änderungsantrag abstimmen.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Bei drei Enthaltungen ist dieser Antrag abgelehnt.
Der Ausschuß empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4191 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD abzulehnen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 4 b, und zwar zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2720. Ich rufe die Art. 1 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußordnung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. —
Bitte?
— Moment! Einen Augenblick, Herr Pfeffermann!
— Diesen Antrag hätten Sie mir schriftlich vorlegen können. Dann hätten wir so verfahren, Herr Abgeordneter de With. Wenn Sie den Antrag
schriftlich vorgelegt hätten, hätten wir so verfahren.
— Also erstens: Die Meldungen gehen nicht an den Beamten — der ist nur in zweiter Linie verantwortlich —, sondern an den Schriftführer zu meiner rechten Seite.
— Wenn ich aufmerksam bin, genügt das.
— Also, wie möchten Sie abstimmen? Nennen Sie noch einmal den ersten Punkt!
— Stop! Stop!
— Art. 1 Ziffer 5. Sie wollen es jetzt getrennt haben?
— Aber eines nach dem anderen! Gut. Also jetzt stimmen wir ab über den Art. 1.
— Ziffer 5.
— Art. 1 Ziffer 1?
Die Beschlußempfehlung — Nummer 2 — haben wir noch nicht aufgerufen.
— Nein. Also dann stimmen wir erst mal ab über Art. 1 Ziffer 5.
— Gut. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. —
— Bitte?
— Also, Herr Abgeordneter de With, hier ist in der Verfahrensfrage nicht nach der Geschäftsordnung verfahren worden. Wir sollten längst in die Mittagspause eingetreten sein. Aus diesem Grund werde ich jetzt die Abstimmung nicht mehr fortführen. Legen Sie Ihre Wünsche vor. Wir werden sie selbstverständlich in vollem Umfang respektieren. Wir stimmen dann unmittelbar nach der Mittagspause ab.
13762 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Vizepräsident Stücklen
Wir treten in die Mittagspause ein. Wir fahren um 14.30 Uhr fort. Ich unterbreche die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Die vor der Mittagspause nicht mehr erledigte Abstimmung zu den Tagesordnungspunkten 4 a und b werden wir nach Tagesordnungspunkt 5 durchführen.
— Meine Damen und Herren, melden Sie Ihre Wünsche rechtzeitig an; dann werden sie auch rechtzeitig ordnungsgemäß erledigt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung erweitert werden um die Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP „Ergebnis des Europäischen Rates in Luxemburg am 2./3. Dezember 1985" — Drucksache 10/4474 —. Der Antrag soll zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Forschung und Technologie überwiesen werden. Es ist vorgesehen, den Zusatzpunkt in verbundener Debatte mit Punkt 5 der Tagesordnung aufzurufen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 f sowie die Zusatztagesordnungspunkte 2 und 3 und den soeben verlesenen weiteren Zusatzpunkt auf:
5. a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 7. Mai 1985 über das System der eigenen Mittel der Gemeinschaften
— Drucksachen 10/3791, 10/4053 —Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache 10/4185 —
Berichterstatter: Abgeordnete Esters Borchert
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Sechsten Bericht und Empfehlung der Europa-Kommission zur Frage der Einsetzung einer Regierungskonferenz zur Fortentwicklung der Europäischen
Gemeinschaft zur Europäischen Union durch den Europäischen Rat in Mailand am 29./30. Juni 1985
— Drucksachen 10/3420, 10/4088 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wulff Brück
Ertl
c) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Regierungskonferenz — Drucksache 10/4068 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Haushaltsausschuß
d) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu den Arbeiten der Regierungskonferenz über die Europäische Union
— Drucksache 10/4189 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß
e) Beratung des Achten Berichts und Empfehlung der Europa-Kommission zur Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments
— Drucksache 10/4087 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß
Haushaltsausschuß
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultationen des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 543/69 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 1463/70 über die Einführung eines Kontrollgeräts im Straßenverkehr
— Drucksachen 10/3315, 10/4383 —
Berichterstatter: Abgeordneter Curdt
Zusatzpunkt 2:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Europäischer Rat am 2. und 3. Dezember 1985 in Luxemburg
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13763
Vizepräsident Stücklen Zusatzpunkt 3:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Europäischer Rat am 2./3. Dezember 1985 in Luxemburg
— Drucksache 10/4433 —
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Ergebnis des Europäischen Rates in Luxemburg am 2./3. Dezember 1985
— Drucksache 10/4474 —
Zu Tagesordnungspunkt 5 a liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4434 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 f sowie der Zusatztagesordnungspunkte 2 und 3 und des weiteren Zusatzpunktes und eine Aussprache von drei Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben am 2. und 3. Dezember in Luxemburg ein Vertragswerk beschlossen, das die politische und institutionelle Weiterentwicklung der Gemeinschaft ein wesentliches Stück voranbringen wird.
Vorausgegangen sind wieder einmal sehr schwierige, sehr zähflüssige Verhandlungen von fast 30stündiger Dauer in diesen beiden Tagen. Erneut wurde die Erfahrung bestätigt, daß eben nur kleine Schritte in die Zukunft möglich sind. Aber dieser manchmal sehr mühsame Prozeß ist unverzichtbar, wenn wir auf dem Wege zur europäischen Integration vorankommen wollen, und ich füge hinzu, es gibt keine wirkliche Alternative zu dieser Politik.
Wir haben in wichtigen Bereichen Fortschritte erzielt, die weit in die Zukunft weisen. Die Vertragstexte, über die wir uns in Luxemburg inhaltlich geeinigt haben, werden von den Außenministern im nächsten Rat am 16. und 17. Dezember endgültig fertiggestellt. Wir werden als Bundesregierung darauf drängen, daß dann bald unterzeichnet wird, und die Verträge unverzüglich den gesetzgebenden Körperschaften Bundestag und Bundesrat zuleiten. Bis zur Unterzeichnung, so hoffen wir, werden auch diejenigen Mitgliedstaaten, die jetzt noch aus sehr unterschiedlichen Gründen Vorbehalte eingelegt haben, ihre endgültige Zustimmung geben können.
Die Bundesregierung kann für sich in Anspruch nehmen, entscheidend zu diesem Erfolg beigetragen zu haben.
Wir haben in Mailand nicht nur die Weichen für die Regierungskonferenz gestellt, die für die Luxemburger Beratungen beachtliche Vorarbeit geleistet hat, sondern wir haben auch das jetzt vorliegende Paket von Reformmaßnahmen ganz wesentlich mitgestaltet. Das heißt: Die europapolitische Bilanz dieser Bundesregierung ist eindeutig positiv.
Diese Politik ist realistisch, sie ist von der Bereitschaft zum Ausgleich, aber auch von dem Willen getragen, deutsche Interessen — selbstverständlich im Rahmen unserer europäischen Verantwortung
— wahrzunehmen.
Wir haben auch auf diesem Felde ein schwieriges Erbe übernommen, das wir bis in die jüngste Zeit in zwei Kernbereichen europäischer Politik zu spüren bekamen: in der Agrarpolitik und im Haushalt der Gemeinschaft.
Hätten diejenigen, die heute nach einer durchgreifenden Reform der Agrarpolitik rufen, bereits früher Maßnahmen eingeleitet, wären uns viele Probleme und den Betroffenen mit Sicherheit manche Härte erspart geblieben.
Es war diese Bundesregierung, die die drängend-sten Probleme auf dem Europäischen Rat in Stuttgart gebündelt und die Verhandlungen in Gang gesetzt hat, die dann im Juni 1984 in Fontainebleau erfolgreich abgeschlossen werden konnten: Durch die Begrenzung der Agrarpreisgarantie haben wir den Zusammenbruch der Marktordnungen verhindert. Wir haben damit gleichzeitig einen Kostenblock reduziert, der den Haushalt der Gemeinschaft in eine nicht mehr finanzierbare Höhe getrieben hatte.
Wir haben die Haushaltsungleichgewichte, die nicht nur Großbritannien, sondern auch uns selbst betrafen, korrigiert und damit ein Problem gelöst, das die Gemeinschaft über viele Jahre hinweg gelähmt hat.
Wir haben auf Regeln für die Haushaltsdisziplin gedrängt, die uns in Zukunft vor einer weiteren Ausuferung der Kosten, vor allem der Agrarkosten, bewahren soll.
Wir haben schließlich, meine Damen und Herren
— das möchte ich wenige Tage vor dem 1. Januar, dem Tag des förmlichen Beitritts von Spanien und Portugal noch einmal herausstellen —, die Verhandlungen durch die Koppelung der Erhöhung der Eigenmittel an die Erweiterung zum Erfolg geführt. Ich bin für diese Strategie viel kritisiert worden. Ich möchte heute einmal mehr die Behauptung aufstellen, daß der Beitritt, der von uns allen gewünschte Beitritt von Spanien und Portugal zum
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Bundeskanzler Dr. Kohl
1. Januar 1986 ohne dieses Junktim nicht möglich gewesen wäre.
In Stuttgart haben wir die Feierliche Deklaration zur Europäischen Union verabschiedet. Sie ging auf eine sehr verdienstvolle Initiative des Kollegen Genscher und seines damaligen italienischen Kollegen Colombo zurück.
Auf meinen Vorschlag hin hat sich der Mailänder Gipfel vorrangig mit der Frage befaßt, welche politischen und institutionellen Maßnahmen erforderlich sind, um diesem Ziel näherzukommen. Denn, meine Damen und Herren, die Europäische Union darf nach unserem Willen keine leere Hülse bleiben, sie muß mit politischem Leben erfüllt werden.
Auf Grund der politischen Vorgaben des Mailänder Gipfels hat die Regierungskonferenz ihre Arbeiten Anfang September aufgenommen. Wir haben uns in Luxemburg auf die wichtigsten Kernfragen konzentriert. Für die Bundesregierung standen dabei der Binnenmarkt, die Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments und der Vertrag über außenpolitische Zusammenarbeit im Vordergrund. Daneben spielten auch wichtige neue Politikbereiche eine Rolle, z. B. Forschung und Technologie sowie Umweltfragen. Andere Mitgliedstaaten haben zudem darauf gedrängt, auch ein Kapitel über die „Kohäsion" und Währungsfragen in das Vertragswerk aufzunehmen.
Der schwierigste Teil — das war zu erwarten — vor und während der Tagung in Luxemburg betraf die Änderungen des EWG-Vertrages. Sie wissen, daß sich einige Regierungen zunächst überhaupt gegen Vertragsänderungen gesträubt haben; ich erinnere an die Debatte in diesem Haus nach dem Mailänder Gipfel. Die Bundesregierung, vor allem ich selbst, hat jedoch von Anfang an die Auffassung vertreten, daß eine lediglich politische Beschlußfassung die anstehenden Probleme nicht dauerhaft lösen kann. Ich begrüße es daher sehr, daß wir uns schließlich darauf verständigen konnten, die notwendigen Schritte im Blick auf eine Reform in rechtsverbindlichen Texten festzuschreiben.
Vor allem die Einigung auf ein Kapitel über den Binnenmarkt, die erst nach einer zähen Diskussion erreicht wurde, stellt einen wichtigen Schritt nach vorne dar. Wir hatten uns zwar schon in Mailand darauf verständigt, den europäischen Binnenmarkt bis 1992 zu vollenden. Das wäre bei der Fülle der Vorhaben, die die Kommission in ihrem Weißbuch dazu aufführt, mit dem bisher geltenden Abstimmungsverfahren im Rat auf keinen Fall zu schaffen gewesen. Die entscheidenden Elemente des in Luxemburg erreichten Kompromisses sind die Festlegung eines Termins — es ist der 31. Dezember 1992 — für die Vollendung des Binnenmarkts und die Einführung der qualifizierten Mehrheit für die Herstellung der vier Grundfreiheiten im Binnenmarkt. Wir haben damit die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um diese Aufgabe überhaupt bewältigen zu können. Das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt.
Lassen Sie mich dazu ganz offen bekennen: Er wird bei allem Verdruß, daß nicht noch mehr erreicht werden konnte, auch nicht dadurch geschmälert, daß Ausnahmen zugelassen werden mußten. Wer den Weg Europas durch die Jahrhunderte kennt, die besondere Situation der einzelnen Völker, wer sich erinnert, daß wir in diesem Jahr den 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs begangen haben, der wird verstehen, ja der muß verstehen, daß über viele Jahrzehnte, sogar über Jahrhunderte gewachsene Strukturen nicht über Nacht beseitigt werden können und daß nicht in allen Fällen die Mehrheitsentscheidung durchsetzbar war oder auch von uns — das muß ich fairerweise gleich hinzufügen — gewollt war. Das gilt beispielsweise für das völlig unterschiedliche Steuer- und Sozialsystem in den einzelnen Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Für uns selbst war es wichtig durchzusetzen — um ein wichtiges Beispiel zu nennen —, daß die Grundsätze der Berufsordnung — denken Sie an die Handwerksordnung — auch weiterhin unserem Votum mit unterliegen müssen.
Wir sind mit Nachdruck für eine Bestimmung eingetreten, die die Kommission verpflichtet, bei ihren Harmonisierungsinitiativen im Bereich von Umwelt, Gesundheit, Sicherheit, Arbeits- und Verbraucherschutz hohe Standards zugrunde zu legen. Aber ich füge gleichzeitig hinzu — auch im Blick auf die Diskussion in den deutschen Parteien, nicht zuletzt in meiner eigenen Partei —: Wer erwartet, daß in Europa nur die deutschen Standards zum Maß aller Dinge werden, der wird Europa nicht schaffen. Wir müssen alle kompromißbereit sein, um auf diesem Weg weiterzukommen.
Wir werden jetzt darauf drängen, daß die Umsetzung der im Weißbuch der Kommission enthaltenen Vorschläge — es sind nahezu 300 an der Zahl — vorankommt. Vor allem die bereits im EWG-Vertrag von 1957 verankerten vier Grundfreiheiten — der freie Personen- und Warenverkehr, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr — müssen gewährleistet werden. Das wird von allen Flexibilität verlangen, aber gleichzeitig die Gemeinschaft um eine ganz entscheidende Dimension bereichern.
Ich weiß, auch hierzulande gibt es Stimmen, die ängstlich vor zuviel Dynamik warnen. Wir sollten statt dessen mehr Vertrauen in die Anpassungsfähigkeit, in die Dynamik nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Wirtschaft überhaupt haben. Sorgen, so meine ich, brauchen sich höchstens jene zu machen, die sich nur deshalb hinter eingefahrenen Regelungen verschanzen, weil sie den frischen Wind des Wettbewerbs scheuen.
Allen, nicht zuletzt unserer eigenen Wirtschaft, hat der Gemeinsame Markt — das möchte ich doch sagen — überwiegend Vorteile gebracht. Fast 50% der deutschen Industrieausfuhren gehen in die Länder der Europäischen Gemeinschaft. Dieser Prozentsatz wird sich in wenigen Wochen mit dem
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13765
Bundeskanzler Dr. Kohl
Beitritt von Spanien und Portugal — nach allem, was man berechnen kann — auf 60 erhöhen.
Wir haben in Luxemburg eine — nicht zuletzt für uns — sehr schwierige Diskussion über die sogenannte Kohäsion geführt. Hinter diesem neuen Schlagwort verbirgt sich mancherlei, was für uns voller Probleme ist. Mit ihm soll die Verpflichtung auf die Solidarität innerhalb der Gemeinschaft unterstrichen werden. Ich sage klar und deutlich, daß die Bundesregierung selbstverständlich zu diesem Prinzip der Solidarität steht. Wir haben durch unseren materiellen und finanziellen Beitrag zur Gemeinschaft als Bundesrepublik Deutschland immer wieder bewiesen, daß wir das Ziel einer harmonischen Wirtschaftsentwicklung in der gesamten Gemeinschaft nachhaltig unterstützen. Ich denke, dies ist eine Feststellung, die von allen Seiten des Hauses geteilt wird. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Bereitstellung von rund 9 Milliarden DM für die sogenannten Integrierten Mittelmeerprogramme.
Im Laufe der Regierungskonferenz, d. h. in den letzten Monaten, entstand jedoch gelegentlich der Eindruck, daß sich hinter dem Begriff der Kohäsion nur die Forderungen nach einem verstärkten Finanzausgleich verbargen. Die wirtschaftspolitischen Prioritäten würden jedoch auf den Kopf gestellt werden, wenn die Gemeinschaft nicht mehr in erster Linie auf die Wachstumskräfte der nationalen Volkswirtschaften, sondern auf einen immer größer werdenden Ressourcentransfer setzen würde.
Wir sind solchen Vorstellungen energisch entgegengetreten.
Aus der Sicht der Bundesregierung kommt es weiterhin vorrangig auf die Konvergenz der Wirtschaftspolitiken und die Schaffung eines Binnenmarktes an, der dann auch zu einer allseitigen Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen kann. In dieser Auffassung sind wir von der Mehrheit der Mitgliedstaaten unterstützt worden.
Der jetzt in Luxemburg verabschiedete Text stellt einen politischen Kompromiß dar, der die Ausgewogenheit der Politiken der Gemeinschaft wahrt, aber auch den Interessen der weniger begünstigten Länder und Gebiete Rechnung trägt.
Wir begrüßen es auch, daß es der Regierungskonferenz gelungen ist, der Forschungs- und Technologiepolitik der Gemeinschaft und der Umweltpolitik eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage zu geben. Eine zukunftsorientierte Forschungs- und Technologiepolitik ist unabdingbar zur Sicherung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Die Formulierung eines besonderen Vertragskapitels wird dieser Bedeutung gerecht. Die Gemeinschaft hat nunmehr auf diesem Feld eine klare Zielsetzung und die notwendigen Instrumente, um für die Aufgaben der Zukunft gewappnet zu sein.
Besondere Bedeutung kommt aus der Sicht der Bundesregierung dem in Luxemburg verabschiedeten Umweltkapitel zu. Wir haben von Anfang an ein solches Kapitel befürwortet und sind dafür eingetreten, um die Umweltpolitik als Gemeinschaftsaufgabe zu unterstreichen und eine gesicherte Rechtsgrundlage für gemeinsame Aktionen zu schaffen. Die Tatsache, daß die Verhandlungen zu diesen Vertragsergänzungen unproblematisch verliefen, belegt, wie sehr sich auch im Bereich der Europäischen Gemeinschaft erfreulicherweise das Umweltbewußtsein verändert — ich möchte sagen: verbessert — hat.
Wer die Erfahrungen bei der Einführung eines umweltfreundlichen Autos mit all den Normen, all dem Streit und den Auseinandersetzungen, die ja nicht lange zurückliegen, noch in Erinnerung hat, konnte nur aufs höchste erfreut sein, daß das, was jetzt überlegt, diskutiert und sicher auch ermöglicht wird, von einer breiten Basis in der EG getragen wird.
Dagegen ist über eine andere Frage, meine Damen und Herren, die Aufnahme einer währungspolitischen Dimension, in die Vertragsänderung, vor und auf dem Gipfel hart gerungen worden. Nach dem Gipfel wird es weitergehen. Der Kommissionspräsident, Jacques Delors, hat kurz vor Ende der Regierungskonferenz einen Vorschlag eingebracht, den wir nicht akzeptieren konnten. Ich habe ihm das in mehreren Gesprächen deutlich gemacht.
In Luxemburg haben sich die Staats- und Regierungschefs schließlich auf eine Regelung geeinigt, die wir vorgeschlagen haben und die den Vertragsänderungen in diesem hochsensiblen Bereich eine zukunftsweisende Perspektive gibt. Das Ziel der schrittweisen Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion wird unter dem Hinweis auf die Pariser Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 in die Präambel des Textes zur Änderung des Rom-Vertrages aufgenommen. Dies weist über die Beschlüsse zur Errichtung des Europäischen Währungssystems im Anschluß an die Schlußfolgerungen des Bremer Gipfels vom Juli 1978 hinaus, auf die ebenfalls ausdrücklich Bezug genommen wird.
Das Europäische Währungssystem, das das Zusammenwirken in der Gemeinschaft fördert, kann nicht Eck- oder Endpunkt einer Vertragsänderung sein, die die Perspektiven bis in das nächste Jahrhundert aufzeigt. Das Europäische Währungssystem ist als eine Zwischenstation auf dem Wege der europäischen Integration, nicht jedoch als das letztlich angestrebte Ziel anzusehen. Das EWS umschreibt vielmehr den Zustand voneinander getrennter Währungsgebiete mit Mechanismen für den Ausgleich der Wechselkurse, der Interventionen und der Zahlungsbilanzen. Bis auf weiteres — das will ich unterstreichen — ist die Flexibilität der monetären Zusammenarbeit leichter im bisherigen Rahmen und unter Beachtung der gesetzlichen Zuständigkeiten in den einzelnen Ländern — das gilt insbesondere auch für die Stellung der Deutschen Bundesbank in der Bundesrepublik Deutschland — zu verwirklichen. Die Mitgliedstaaten müssen die hierin liegenden Möglichkeiten der Zusammenarbeit ebenso ausschöpfen wie die Regeln des Ver-
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Bundeskanzler Dr. Kohl
trags, die eine um vieles weitergehende Liberalisierung des Kapitalverkehrs vorsehen, als sie schon bisher in den Mitgliedstaaten erreicht wurde.
Meine Damen und Herren, ich habe in Luxemburg darauf hingewiesen, daß viele, die sich mit diesen monetären Fragen und auch mit Forderungen an die Bundesrepublik Deutschland wenden, zunächst einmal überlegen sollten, ob sie ihren Beitrag dazu geleistet haben, jene Beschlüsse umzusetzen, die zum Teil vor Jahrzehnten gefaßt und in einzelnen Ländern bis heute nicht realisiert wurden. Ich denke hier vor allem an die Frage der Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Hier war der endgültige Erfüllungszeitpunkt das Jahr 1971, und manche tun so, als seien solche Beschlüsse nie gefaßt worden. Wir wissen auch, daß sich im Zusammenhang mit dem EWS manche Länder in der Gemeinschaft bisher überhaupt nicht zur Teilnahme bereit finden konnten. Das alles gehört in den Kontext einer zukünftigen Entwicklung.
Um die Ausgewogenheit der Vertragsergänzungen und den Zusammenhang zwischen Fortschritten in der Wirtschaftspolitik einerseits und der Währungspolitik andererseits sicherzustellen, werden die Vorschriften über die Wirtschaftspolitik ergänzt. Sie verpflichten die Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit mit dem Ziel, die erforderliche Konvergenz der Wirtschafts- und Währungspolitik gemäß Art. 104 zu sichern, d. h. unter Wahrung eines hohen Beschäftigungsstandes und eines stabilen Preisniveaus das Gleichgewicht der Zahlungsbilanzen zu gewährleisten und das Vertrauen in die Währung aufrechtzuerhalten. Das ist ein Ziel, das bisher keineswegs überall in Europa auch nur annähernd erreicht werden konnte.
Es sind derzeit, meine Damen und Herren, keine institutionellen Änderungen beabsichtigt. Wenn sie erforderlich werden, ist notwendigerweise das parlamentarische Verfahren der Gesetzgebung zur Änderung der Verträge vorgesehen, d. h., daß die nationalen Parlamente eingeschaltet werden.
Ich fasse zusammen: Die Perspektive einer Wirtschafts- und Währungsunion hat in den Vertrag Eingang gefunden. Diese Vertragsänderung ist ein weiterer, ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Union. Die praktische Zusammenarbeit im Europäischen Währungssystem kann unter flexibler Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten weitergeführt werden.
Meine Damen und Herren, ein weiteres, aufs heftigste umstrittenes Thema dieses Gipfels war die Erweiterung der Befugnisse des Parlaments. Wir haben als Bundesregierung und als Bundesrepublik Deutschland immer wieder darauf hingewiesen, daß das demokratische Selbstverständnis der Gemeinschaft ein größeres Mitspracherecht des Europäischen Parlaments erfordert. Die Bürger in den Staaten des EG-Europa wählen in freier, geheimer und direkter Wahl ihre Abgeordneten für das Straßburger Parlament. Daß die Bürger in dieses Parlament auf die Dauer Vertrauen setzen und investieren, können wir nur dann erwarten, wenn dieses Parlament auch bei der Gestaltung der gemeinschaftlichen Politiken effektiver mitwirken und mitentscheiden kann.
Ich muß gestehen: Der Lernprozeß in allen demokratischen Gruppierungen Europas verläuft da zum Teil sehr unterschiedlich. Am wenigsten Schwierigkeiten haben wir damit vielleicht in Deutschland; ich glaube, wir sind auf Grund der geschichtlichen Gegebenheiten viel weiter als andere.
Es ist nicht einfach — und die Erfolge sind recht bescheiden —, für eine Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlaments zu werben. Wir haben auf der Regierungskonferenz einen Vorschlag eingebracht, der einen realistischen Ansatz für eine stufenweise Beteiligung des Parlaments am Legislativverfahren enthielt. Ich habe die Kollegen in vielen Besprechungen, auch in Besprechungen mit einzelnen, immer wieder auf unsere geschichtliche Erfahrung hingewiesen, auf die Erfahrung bei der Begründung des Deutschen Reiches, auf die Stellung der Länder zur Zentralgewalt, die Erfahrung der Weimarer Republik bei der Verfassungsgebung, insbesondere auf die Erfahrung, die wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Verfassung, mit dem Verhältnis Bundesrat — Bundestag wie der sehr wichtigen und, wie sich vor der Geschichte erwiesen hat, sehr klugen Einrichtung des Vermittlungsausschusses gemacht haben.
Wer die Diskussionen auf dem EG-Gipfel und im Rahmen der EG beurteilen will, muß natürlich davon ausgehen, daß andere Länder völlig andere geschichtliche Entwicklungen genommen haben, daß vor allem die klassischen europäischen Zentralstaaten, die außer dem zentralen Parlament nie andere Parlamente dezentraler, lokaler Art — über die kommunale Ebene hinaus — gekannt haben, sich ungeheuer schwertun, diesen Gedanken einer modernen föderalen Ordnung mit ihrer Dezentralisierung der legislativen Gewalt zu akzeptieren. Hier ist sicherlich auch für die Zukunft noch ein großer Lernprozeß notwendig.
Unser Vorschlag — das möchte ich an dieser Stelle betonen — ging weit über den Text hinaus, den jetzt in Luxemburg zu verabschieden möglich war. Ich sage dies auch an die Adresse mancher Kollegen — ich sage bewußt: auch mancher Freunde — im Europäischen Parlament, die jetzt aus ihrer Sicht — und ich kann das gut verstehen — sehr zu Recht sagen: Warum seid ihr nicht weitergekommen, nicht weitergegangen?
Einzelaspekte des vorgesehenen Verfahrens werden in den nächsten Tagen noch einmal von den Außenministern formuliert. Das Europäische Parlament wird in wesentlichen Binnenmarktfragen, bei denen der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheidet, Mitgesetzgeber sein. Die Mitwirkung des Parlaments wird daher — über die Haushaltsbefugnisse hinaus — auf die materielle Gesetzgebung ausgeweitet. Dabei ist festzuhalten, daß trotz der erweiterten Einflußnahme des Parlaments auf den Entscheidungsprozeß das letzte Wort jetzt beim Rat bleibt.
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Ich bekenne mich klar und eindeutig zu dieser Entscheidung. Wer wirklich die Dinge in Europa vorantreiben will, wer die Lage der einzelnen Länder realistisch betrachtet, der muß wissen, daß dies trotz allem eine kluge Entscheidung ist. Man kann mehr fordern, und das haben ja auch viele getan, nicht zuletzt das Parlament selbst. Wenn man aber den Gang der Diskussion kennt und bedenkt, kann man das Erreichte nicht unterschätzen. Ich füge allerdings ebenso klar hinzu — lassen Sie mich das einmal so formulieren, nicht nur als Regierungschef, sondern auch in meiner Funktion als Parteivorsitzender —: Wir können und wir werden bei diesem Stand nicht stehenbleiben wollen. Wir haben jetzt einen Schritt getan, und wir müssen in absehbarer Zeit weitere Schritte tun.
Ich habe daher den italienischen Vorschlag, schon jetzt ein Signal für künftige Verbesserungen zu setzen, mit unterstützt. Aber wir haben in Luxemburg keine Chancen für eine Mehrheit gehabt. Wir haben dann gemeinsam eine Revisionsklausel vorgeschlagen, die vorsah, daß wir — noch vor 1992 — die Möglichkeit weitergehender Zuständigkeiten prüfen sollten. Aber auch dieser Vorschlag, meine Damen und Herren, war dann nicht mehrheitsfähig.
Es wird immer wieder über die langsamen Entscheidungsprozesse in Brüssel geklagt. Wir haben uns deshalb darauf verständigt, die Durchführungsund Verwaltungsbefugnisse der Kommission zu erweitern. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen, daß der neue Kommissionspräsident es in seiner bisherigen Amtszeit verstanden hat, die Rolle der Kommission in einer dynamischen Weise zur Geltung zu bringen — bei allen Diskussionen; es gab dabei auch mancherlei Ärger.
Nach außen stellt sich die Gemeinschaft heute im wesentlichen als Handelsmacht dar. Die eigentliche Außenpolitik fällt nicht in ihre Zuständigkeit, sondern ist eine Domäne der Mitgliedsstaaten, die sich in der EPZ um Abstimmung und Koordinierung ihrer Interessen bemühen.
Für die Bundesregierung war es von Anfang an ein wichtiges Ziel, die EPZ auf eine vertragliche Grundlage zu stellen. Wir haben daher in Mailand gemeinsam mit Frankreich einen Entwurf für einen Vertrag über politische Zusammenarbeit eingebracht. Die Regierungskonferenz hat über diese Initiative — zusammen mit einem gleichzeitig vorgelegten britischen Entwurf — intensiv beraten.
Der jetzt in Luxemburg vereinbarte Vertragstext enthält wesentliche Elemente aus diesen Entwürfen:
Das Bemühen um die Ausarbeitung und Verwirklichung einer europäischen Außenpolitik wird zu einer vertraglichen Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten.
Für uns besonders wichtig ist die Feststellung, daß zu der außenpolitischen Identität Europas auch eine engere Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit beiträgt. Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich daher zu einer stärkeren Koordinierung ihrer Standpunkte zu den politischen Aspekten der Sicherheit.
Der Vertrag sieht ausdrücklich eine enge Beteiligung des Europäischen Parlaments und der Kommission vor.
Schließlich ist in Aussicht genommen, der Präsidentschaft ein Sekretariat zur Seite zu stellen, um auf diese Weise ein hohes Maß an Kontinuität sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, Ziel bleiben eine umfassende außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit und ihr Ausbau letztendlich zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen einer Europäischen Union.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europäische Politik in dieser Zeit wird stets eine Politik der kleinen Schritte sein. Das hat überhaupt nichts mit Resignation zu tun, sondern entspricht der Einsicht, daß sich über Jahrhunderte gewachsene politische und soziale Strukturen, die in bitteren kriegerischen Auseinandersetzungen auch gegeneinander standen, nicht in einem kurzen Anlauf verändern lassen. 30 Jahre sind vor der Geschichte eben doch nur ein kurzer Anlauf.
Wir haben in Europa vieles auf den Weg gebracht, und ich denke, es ist wichtig, in dieser Stunde zu sagen: Es gab dabei viel Gemeinsamkeit unter den Demokraten, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Es bleibt noch viel zu tun. Helfen wird uns dabei, so denke ich, daß die große Mehrheit unserer Bürger — vor allem auch der jungen Generation; ich habe dies gerade letzte Woche in einer Diskussion nach einem Vortrag in Cambridge erfahren — Europa will, ja viele ungeduldig sind und noch entschiedener vorangehen wollen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in diesem Jahr — 40 Jahre nach Kriegsende — an das Jahr 1945 zurückerinnert, an das Jahr, das uns die Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft brachte, an das Jahr des Zusammenbruchs des Dritten Reiches, an das Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg, der weit über 50 Millionen Menschen das Leben kostete, der den alten Kontinent verwüstet hat und dessen politischen Strukturen grundlegend veränderte, sein Ende fand.
Wenn wir, die freien Völker Europas, an diese Ausgangssituation zurückdenken, dann können wir in aller Demut vor der Geschichte deutlich machen, daß wir Grund haben, für einen Weg dankbar zu sein, den unsere Völker in 40 Jahren in Frieden und Freiheit, in enger Freundschaft, in guter Zusammenarbeit zurücklegen konnten.
Die großartige Idee eines geeinten Europas, was wir jetzt bereits erreicht haben und was wir noch erreichen wollen, das alles ist in seiner ganzen Dimension, in seiner historischen Perspektive nur vor dem Hintergrund jener Ereignisse zu erfassen, die gerade erst 40 Jahre zurückliegen.
13768 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Bundeskanzler Dr. Kohl
Wir dürfen uns deshalb — bei aller Ungeduld und
auch bei allen Rückschlägen — nicht beirren lassen. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Wir dürfen auch zukünftig nicht vor den zahlreichen Schwierigkeiten zurückschrecken. Es gibt trotz allem keinerlei Anlaß zum Pessimismus in Europa. Eurosklerose ist ein dümmliches Schlagwort; es ist nicht hilfreich, es bringt uns nicht weiter.
Meine Damen und Herren, Europa, diese Vision, die viele von uns — auch mich als Schüler — unmittelbar nach dem Kriege erfaßt hat, die damals — um nur ganz wenige zu nennen — von Konrad Adenauer und Paul-Henri Spaak, von Winston Churchill oder Alcide de Gasperi den Jungen vorgestellt wurde, ist für die damalige wie für die heutige junge Generation eine faszinierende Perspektive, die jede Mühe lohnt, die unsere Phantasie bewegen muß, um die wir uns leidenschaftlich bemühen müssen.
Ich denke, zwischen uns Demokraten sollte nicht das Ziel, sondern, wenn überhaupt, nur der Weg oder die Mittel streitig sein. Unsere gemeinsame Aufgabe bleibt es, diese Vision eines geeinten, eines freien, eines demokratischen Europa im Bewußtsein vor allem der jungen Generation zu verankern. Sie muß dabei wissen, daß es ihre Zukunft ist, um die wir uns jetzt bemühen, ihre Zukunft in Frieden und Freiheit und nur so auch eine Zukunft von sozialer Gerechtigkeit und Wohlstand.
Das, meine Damen und Herren — auch dieses Wort gehört in den Deutschen Bundestag —, ist natürlich eine Vision, die über Westeuropa hinausgreift; denn wir vergessen zu keiner Stunde, daß EG-Europa eben nur ein Torso ist, daß Dresden und Leipzig, Warschau und Prag, Budapest und Bukarest — um nur wenige wichtige Plätze Europas zu nennen — genauso zu diesem alten großen Europa gehören
und daß das Ziel der Einigung Europas immer auch die Uberwindung der Spaltung des europäischen Kontinents einschließt. Meine Damen und Herren, dafür lohnt es sich zu streiten, dafür lohnt es sich auch zu arbeiten. Jeder kleine Schritt voran — und mehr ist nach allen Erfahrungen nicht möglich — ist ein Schritt in eine bessere Zukunft.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jahreszeit läßt ja frohe Botschaften erwarten, und eine solche haben wir eben vernommen, nach der Weise: Von drauß' vom Gipfel komm' ich her ..., wo es dann hinterher heißt: „Überall auf den Tannenspitzen sah ich gold'ne Lichtlein blitzen".
Die Erklärung, die wir gehört haben, hat mich an einen großen Sohn meiner Vaterstadt Hamburg er-
innert, nämlich an Johannes Brahms. Als Brahms einmal dem populären Violinkonzert von Max Bruch zugehört hatte, soll er hinterher gesagt haben, die Aufführung sei ihm etwas anstrengend gewesen; denn er habe sich so selten setzen können; schließlich habe er so viele alte Bekannte begrüßen müssen.
Ähnlich ist es mir bei dem Bericht über den Luxemburger Gipfel gegangen: liebliche, teilweise sehr bekannte, auch populäre Melodien, aber natürlich keine große neue Symphonie. Das wurde aber, Herr Bundeskanzler, von Ihnen auch wirklich nicht erwartet.
Ich will auch überhaupt nicht bekritteln, polarisieren oder polemisieren. Wir sind mit vielem von dem, was Sie vorgetragen haben, durchaus einverstanden, zumal manches davon ja die Fortsetzung von Linien bedeutet, die andere zu unserer Zeit schon begonnen hatten.
Ich will vielmehr einige Aspekte zu einer nüchternen Betrachtung der Lage beitragen. Nüchternheit allerdings ist in Sachen Europas fast immer notwendig. — Vor sechs Jahren hat der damalige Oppositionsführer Kohl nach einer anderen Luxemburger Konferenz gesagt, es sei ein jämmerliches Bild gewesen;
vor fünf Jahren: „Es ist für Europa fünf Minuten vor zwölf". Vor vier Jahren hat er den Europäischen Rat ein „Symbol kollektiver Unfähigkeit und Veranwortungslosigkeit" genannt. Nach dem Stuttgarter Treffen des gleichen Rats, dem er nun inzwischen selbst angehörte, hat er hier, inzwischen vorsichtiger geworden, ausgeführt: „Viele Worte können das Handeln nicht ersetzen". Ein Jahr später, nach einem erneuten Gipfel, noch etwas vorsichtiger: Das Brüsseler Treffen sei ohne abschließendes Ergebnis geblieben; er bedauere dies zutiefst.
Wieder ein Vierteljahr später, im Sommer dieses Jahres nach Fontainebleau, sagte dann Herr Stoltenberg, noch nie seit den 60er Jahren habe eine EG-Konferenz so entscheidende Fortschritte gebracht. Herr Stoltenberg, Sie haben damals offenbar die weise Empfehlung von Mark Twain beherzigt, der geschrieben hatte: Wahrheit ist das Kostbarste, was wir besitzen; laßt uns sparsam damit umgehen.
Der Bundeskanzler hat heute jenen Rückfall in europäische Euphorie nicht wiederholt. Im Gegenteil, er hat noch einmal vorsichtiger gesprochen. Er hat richtigerweise die ungelösten, noch vor uns liegenden Probleme auch nicht ganz verschwiegen; er hat sich auch gegen Vorwürfe verteidigt, nicht weit genug gegangen zu sein. Herr Bundeskanzler, Sie haben j a recht: Das ist ein ganz langer Weg. Viele, viele kleine Schritte sind notwendig, und Sie haben einen davon gemeinsam mit Ihren elf Kollegen zustande gebracht. Dagegen ist nichts zu sagen.
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Aber insgesamt haben Sie ein so positives Bild gezeichnet, daß man beinahe George Bernard Shaw paraphrasieren und sagen möchte: Der Luxemburger Gipfel vom Anfang dieser Woche gehört ganz zweifellos zu den 30 erfolgreichsten Gipfeln der Europäischen Gemeinschaft.
Meine Damen und Herren, ich habe die wörtlichen Zitate aus früheren Reden, aus offiziellen Protokollen nicht vorgelesen, um jemanden zu ärgern, sondern eigentlich nur, um wirklich zur Nüchternheit bei der Betrachtung all dieser kleinen Schritte zu mahnen. Die Nüchternheit darf durchaus, ja, sie sollte mit der Leidenschaft für die europäische Sache gekoppelt sein. Aber ebenso wichtig bleiben Wille und Fähigkeit zum beharrlichen Bohren sehr dicker Bretter und — ich wiederhole es — die Fähigkeit, nüchtern und realistisch einzuschätzen, was geht, auch was nicht geht, wann etwas geht und wie man es gehen machen kann.
Sie haben, Herr Bundeskanzler, eben von dem schwierigen Erbe — so drückten Sie sich aus — der Agrarpolitik gesprochen. Sie haben recht. Die Agrarpolitik verschlingt inzwischen 70 % des Etats der EG, und infolge der hohen Subventionen erzeugt die Gemeinschaft im Durchschnitt 25 % mehr Getreide, Rindfleisch, Butter und Zucker, als wir Europäer gemeinsam aufessen können. Eigentlich müßte jedermann erkennen: Hier geht nichts mehr.
Schließlich besteht j a auch — wenn wir noch einmal auf den Etat sehen — die europäische Erwerbsbevölkerung nur zu 7 % aus Landwirten, aber doch zu 11 % aus Arbeitslosen. Es gibt eine gemeinsame, immer noch produktionssteigernde Landwirtschaftspolitik, aber es gibt — leider — kein gemeinsames gesamtökonomisches Handeln zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit.
Dieser Vorwurf trifft natürlich alle Regierungen, keineswegs bloß die gegenwärtige deutsche Bundesregierung; er trifft auch die vorangegangenen Regierungen in allen Hauptstädten einschließlich unserer früheren Regierung. Darin, Herr Bundeskanzler, hatten Sie recht. Aber bitte schieben Sie die Agrarmisere nicht von sich ab. Sie waren es, der zusätzliche nationale Agrarsubventionen eingeführt hat.
Sie waren es, der sich durch das erste deutsche Veto in der gesamten Geschichte der Europäischen Gemeinschaft gegen agrarpolitische Vernunft gestemmt hat.
Die letzten, tatsächlich wichtigen Errungenschaften der Europäischen Gemeinschaft, der Beitritt Englands und inzwischen fünf weiterer Staaten, das Europäische Währungssystem, die Direktwahl des Parlaments, das inzwischen, wie vorausgesehen, begonnen hat, sich die demokratisch notwendigen Rechte schrittweise zu erkämpfen, all dies wurde vor Amtsantritt der jetzigen Regierungen in Paris, Rom, Bonn usw. beschlossen oder eingeleitet.
Dann kam der zweite Ölschock dazwischen, von dem Harold Macmillan jüngst im Oberhaus gesagt hat — ich zitiere ihn wörtlich —:
Das war nicht unsere Schuld, aber beinahe hat dieser Ölschock die industrielle Gesellschaft der heutigen Welt zerstört. Daß wir unter dem Schlag gewankt haben, das war kein Wunder, wohl aber war es ein Wunder, daß wir ihn überstanden haben.
Er hat recht. Tatsächlich haben wir diesen Schlag allerdings noch nicht ganz überstanden. Denn seit dem zweiten Ölschock und seit seinen katastrophalen weltwirtschaftlichen Folgen, nämlich den Verwerfungen im Preis-, Handels- und Zahlungsbilanzgefüge vieler Staaten und steil ansteigender Massenarbeitslosigkeit, seit 1980 also ist kein wirklicher Fortschritt in der EG mehr möglich gemacht worden.
Dann kamen 1981 und 1982 Regierungswechsel in Washington, in Paris, in Bonn, zwangsläufig auch neue Politiken der neuen Regierungen. Die internationale Schuldenkrise kam hinzu, ebenso die amerikanische Haushaltskrise mit ihren schlimmen weltweiten Auswirkungen auf die reale Zinshöhe auf der ganzen Welt, auf die Wechselkurse, auf die Handelspolitik, auf den Kapitalabfluß aus aller Welt nach den USA, allerdings auch mit der — wahrscheinlich vorübergehenden — Wirkung der Steigerung der Exportbeschäftigung in Japan, Europa, Deutschland und anderswo.
Die Unordnung unter den wichtigsten Faktoren der Weltwirtschaft ist seither größer als jemals im letzten Vierteljahrhundert. Dies ist keineswegs die Schuld der Europäer oder der EG. Wohl aber ist die Europäische Gemeinschaft mangels geistiger, politischer, ökonomischer Führung uneinig hinsichtlich der gemeinsamen Vertretung ihrer ökonomischen Interessen in dieser Unordnung.
Frankreich hat 1981 eine Haushaltsdefizitpolitik Reaganschen Ausmaßes begonnen. Sie kam am meisten der italienischen, der deutschen usw. Beschäftigung zugute und mußte nach drei Franc-Abwertungen — die vierte wird wohl im Frühjahr 1986 folgen — bald abgebrochen werden. Das Europäische Währungssystem hat damals seine die ökonomische Politik der Mitgliedsregierungen harmonisierende Kraft gezeigt.
Umgekehrt Deutschland und in unserem Gefolge auch Holland: Hier hat man alsbald umgekehrt eine deflatorische Haushaltspolitik versucht, ähnlich in England. Deswegen haben diese Staaten heute höhere Arbeitslosigkeiten als je zuvor, als jemals seit dem Zweiten Weltkrieg.
Das volkswirtschaftliche Wachstum hingegen ist weitgehend dem Exportanstieg zu verdanken, d. h. weitgehend den im vorigen und im jetzt ablaufenden Jahr unsinnig hohen Dollarwechselkursen.
Aber auch die übrigen EG-Staaten verfolgen national beschränkte ökonomische Konzepte in ihren
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Geld-, Währungs-, Kapitalmarktpolitiken, in ihren Steuer- und Haushaltspolitiken, auch in ihren strukturpolitischen Versuchen.
Wenn man sich die Arbeitslosigkeitszahlen in Europa anschaut — eines unserer Nachbarländer hat sogar 16 % Arbeitslose! —, dann stellt man fest, daß keiner der Staaten der Gemeinschaft mit seiner anachronistischen Alleingangspolitik irgendeinen zu Buche schlagenden Erfolg in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erzielt hat.
Der Hauptgrund dafür liegt darin, daß nicht nur wegen der zum Teil enormen Weltmarktabhängigkeit — wir Deutschen exportieren inzwischen 35% unseres Sozialprodukts, die Europäische Gemeinschaft als ganze ungefähr 25% —, sondern auch wegen des innerhalb Europas erreichten Grades der tatsächlichen gegenseitigen wirtschaftlichen Verflechtung weder für Frankreich noch für Deutschland noch für Holland, Italien, England, Belgien usw. eine rein nationale Zinspolitik erfolgreich möglich ist.
Die von Amerika ausgehenden weltrekordhohen realen Zinsen sind der Hauptgrund für die europäische Investitionsschwäche von heute und für die aus dieser Investitionsschwäche herrührende Arbeitslosigkeit; der Hauptgrund auch für die zeitliche Verlängerung der zweiten Ölschockkrise über die frühen 80er Jahre hinaus.
Harold Macmillan, heute „The Earl of Stockton", hat in der vorhin schon zitierten fabelhaften Jungfernrede im Oberhaus dazu gesagt:
Reagan hat in Umkehrung von Keynes die Ressourcen der Alten Welt einberufen, um damit die Expansion der Neuen Welt zu finanzieren.
National beschränkte ökonomische Politiken hier in Europa sind machtlos gegen diesen Sog, und sie werden sich auch dann als machtlos herausstellen, wenn sich in Zukunft ergibt, daß die horrenden Dollarauslandsschulden der USA nur durch Inflationierung des Dollars bedient werden können, von Tilgung gar nicht zu sprechen.
Aber eine gemeinsame europäische Abwehr dieser Gefahren wird nicht versucht. Für uns Europäer gilt dann möglicherweise die Tucholskysche Definition, nämlich: „Nationalökonomie ist, wenn Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben. Das hat mehrere Gründe. Die feinsten sind die wissenschaftlichen Gründe."
Und wenn ich selber auch einmal zugespitzt formulieren darf: es sieht so aus, als ob die Europäische Gemeinschaft politisch gegenüber beiden weltwirtschaftlichen Zeitbomben abgedankt hat, sowohl gegenüber der lateinamerikanischen Schuldenkrise als auch gegenüber der US-amerikanischen Haushalts-, Zins- und Zahlungsbilanzkrise.
Es gibt aber auch, Herr Bundeskanzler, kaum noch eine gemeinsame europäische Außenpolitik, etwa auf dem Felde der Rüstungs- und Abrüstungspolitik. Ob SDI oder ABM, ob Atomversuche im Pazifik oder chemische Waffen, es gibt zu all diesen Europa existentiell angehenden Fragen gegenwärtig keine gemeinsame Politik der europäischen Regierungen.
Es gibt nicht einmal eine gemeinsame Politik der europäischen Regierungen gegenüber dem Obersten Gaddafi in Libyen. Bei dieser Lage wirkt die von einem unserer Bundestagskollegen stammende außenpolitische Einteilung seiner eigenen Freunde in entweder Genscheristen oder Stahlhelmer geradezu rührend provinziell.
Ich will nachher auf die Frage dieser politischen Gesamtstrategie zurückkommen und spreche im Augenblick von dem ökonomischen Ausschnitt der Gesamtstrategie.
Es gibt heute auf der Welt vier große homogene Märkte:
Erstens ist es China mit 1 Milliarde Menschen. Es hat gegenwärtig zwar einen Lebensstandard von nur 300 Dollar pro Kopf und Jahr, aber in anderthalb Jahrzehnten könnten es durchaus mehr als 800 Dollar pro Kopf werden, wenn Deng Xiaopings und Zhao Ziyangs Reformpolitik nicht zurückgedreht wird. Natürlich ist dieser wirtschaftlich gewaltige Organismus China schon heute militärisch und politisch die dritte Weltmacht.
Der zweite große homogene Markt ist die Sowjetunion mit 270 Millionen Menschen, eine überzentralisierte Verwaltungswirtschaft, Befehlswirtschaft von geringer Leistungsfähigkeit, die wegen der seit Jahren andauernden Abzweigung von 12 bis 14 % ihres Sozialprodukts für militärische Zwecke nur ganz langsam den relativ niedrigen Lebensstandard dieser 270 Millionen Menschen heben kann.
Drittens sind die Vereinigten Staaten zu nennen: 240 Millionen Menschen, ein homogener Markt, ein Wirtschaftsorganismus von enormer Leistungskraft, 50 Staaten, aber natürlich nur eine einzige Währung, eine einzige ökonomishe Politik; und die Gerätestecker, die in Kalifornien hergestellt werden, passen natürlich auch in die Steckdosen in New Hampshire; im Lebensstandard deshalb Europa deutlich überlegen.
Viertens Japan: 120 Millionen Menschen, sehr leistungsbewußt, vielleicht etwas zu diszipliniert — für meinen Geschmack —, im Lebensstandard an Europa noch nicht ganz heranreichend. Aber weil sie von Hokkaido bis Okinawa nur eine einzige Währung haben, eine einzige ökonomische Politik, eine einzige technische Gesetzgebung und so fort, werden sie uns bald eingeholt haben. Sie fangen schon an, uns ein wenig mitleidig das von Professor Giersch in Kiel, Herr Bundeskanzler, geprägte und von einigen Amerikanern weltweit verbreitete Schlagwort von der Eurosklerose entgegenzuhalten und nachzuplappern. Denn Sie rechnen damit, uns
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in absehbarer Zeit in ihrem Lebensstandard zu überholen.
An fünfter Stelle ist dann der sogenannte Gemeinsame Markt der Europäer zu nennen, der ab 1. Januar 320 Millionen Menschen umfassen wird. Aber hat man eigentlich je in der Geschichte von einem Marktplatz gehört, auf dem elf oder zwölf Kaufleute jeder in einer anderen Währung bezahlt werden will, insgesamt also elf Währungen vorhanden sind, wo aber jeder Käufer nur eine einzige Währung im Portemonnaie hat, wo einige der Marktaufseher die durchaus vorhandene gemeinsame Währung — ich rede vom ECU, Herr Stoltenberg — als skandalöse Parallelwährung verdammen und den Menschen in ihren Wohnvierteln sogar verbieten, Zahlungsmittel dieser einen gemeinsamen Währung zu besitzen?
Hat man je von einem Marktplatz gehört, auf dem es einigen Kunden verboten bleibt, bestimmte Biersorten zu kaufen, weil die angeblich nicht rein genug sind — andere Kunden dürfen dieses Bier aber trinken —, wofür umgekehrt einige Lieferanten aus den gleichen Wohnvierteln wütend ihr Recht verteidigen, ihren Wein zu verzuckern oder, wie es so schön heißt, „zu verbessern" — einen Wein, den dann Menschen in anderen Wohnvierteln desselben Markts nicht trinken sollen?
Wieso, Herr Schwarz-Schilling, kann ich kein französisches Telefon kaufen? Wieso kann ein Engländer kein deutsches Fernsehgerät kaufen und anschließen? Wieso können die Eisenbahnen Europas nicht Lokomotiven oder Waggons oder Signaleinrichtungen aus den anderen Wohnvierteln, aus den anderen Ländern Europas kaufen?
Wieso muß ein Lastwagenfahrer auf dem Weg von Deutschland nach Italien bei angeblich von Ihnen geschaffenen offenen Grenzen ganze 27 Dokumente parat halten und vorzeigen?
Der in aller Welt so genannte „common market" ist in Wirklichkeit bisher ziemlich „uncommon", auf deutsch: ziemlich ungewöhnlich.
Dies ist ganz gewiß nicht die Schuld der gegenwärtigen Bundesregierung; ganz gewiß nicht. Die Bundesregierung hat das meiste so vorgefunden, wie es heute ist. Ich darf Ihnen versichern: Vor 15 Jahren war das alles noch sehr viel ärger.
Aber die Bundesregierung sollte bitte nicht verschlimmbösern. Ein deutsches Veto, Herr Bundeskanzler, gegen eine Rationalisierung dieses Marktes hat es zu unserer Zeit in der Tat niemals gegeben
mit all seinen Rückwirkungen in Frankreich.
So wie etwa der Airbus nur deshalb auf der ganzen Welt konkurrenzfähig ist — und damit dürfen sich frühere Bundesregierungen durchaus schmükken — oder die Ariane oder die Satelliten der ESA, weil sie in einem europaweiten Maßstab entwickelt und finanziert und produziert und nicht etwa in einer rein französischen oder rein italienischen oder sonstigen nationalen Bastelstube gebaut werden, so ist es doch auch mit der Wirtschaft Europas insgesamt!
Im Wettbewerb mit den Unternehmensleitungen, den Arbeitnehmern und den Regierungen dieser vier anderen großen homogenen Märkte der Welt können wir in Europa auf die Dauer nur dann bestehen, können wir unseren Lebensstandard und unsere Beschäftigung auf die Dauer nur dann steigern, wenn wir uns die potentiellen Vorteile der wirtschaftlichen Größenordnung Europas tatsächlich zunutze machen
oder wenn wir uns, wie man in Amerika sagt, die Economy of scale zunutzen machen.
Ich weiß, daran wird gerarbeitet. Der Bundeskanzler hat erwähnt, 300 Harmonisierungsrichtlinien seien noch fällig. Hoffentlich gehen dann die Regierungen mit der Umsetzung dieser Harmonisierungsdirektiven etwas vernünftiger um, als die Bundesregierung mit dem vor vier Jahren beschlossenen einheitlichen Muster für den europäischen Paß umgegangen ist. Eigentlich sollte er am 1. Januar dieses Jahres ausgestellt werden. Inzwischen liegt seit Sommer dieses Jahres ein ganz anderer Paßgesetzentwurf im Innenausschuß, und vom Einführungsdatum für den europäischen Paß ist in diesem Entwurf keine Rede mehr.
George Bernard Shaw hat einmal geschrieben: Die besten Reformer der Welt sind diejenigen, die bei sich selber anfangen.
Wer z. B. das Veto in den europäischen Räten abschaffen will, der könnte verbindlich erklären: Die deutsche Bundesregierung wird kein Veto mehr einlegen.
— Das können Sie leicht erklären. Auch wir haben das 13 Jahre lang nicht gemacht. Wir haben uns allerdings nicht damit gebrüstet. Wir fangen heute an, uns damit zu brüsten, nachdem Sie sich hier als die Erfinder Europas dartun.
Wer europaweite Ausschreibungen und Käufe aller Regierungen und staatlichen Stellen — Bundesbehörden, Bundeswehr, Post, Bahn usw. — einführen will, der könnte doch sofort erklären, daß wir in Deutschland auf nationale Beschränkungen unserer Ausschreibungen und Beschaffungen verzichteten. Wer bei jeder solchen Sache immer erst die
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Gegenleistung des anderen schriftlich auf den Tisch haben will
— und ich kenne natürlich schon alle Gegenargumente, Herr Kollege, welche ebenso natürlich den Vorteil für den Leistungswettbewerb und für den Fiskus des Herrn Stoltenberg abstreiten wollen —, der ist dann eben doch bloß ein Politiker. Lloyd George hat einmal gesagt, ein Politiker sei jemand, mit dessen Politik man nicht übereinstimme. Wenn man aber mit ihr übereinstimme, dann sei er ein Staatsmann.
Und jetzt ohne Spaß: Europa braucht vielleicht nicht alle seine Politiker, aber es braucht einige wenige Staatsmänner. Oder wie mein Freund Callaghan vor ein paar Tagen formuliert hat:
Europa braucht einen modernen Ernest Bevin oder Robert Schuman oder Jean Monnet mit deren Kraft — ich zitiere Callaghan —, mit deren konstruktiver Energie und mit deren Vorstellungsvermögen — „imagination", so sagt er —, um die institutionellen Hemmnisse zu überwinden.
Meine Fraktion hat Ihnen eine Entschließung über das, was jetzt praktisch zu tun ist, vorgelegt und ich greife daraus die Punkte 3, 4 und 5 heraus. Wir stimmen weitgehend überein mit einer einstimmigen Empfehlung, welche das Monnet-Komitee im Juni dieses Jahres hier in Bonn unter Vorsitz von Karl Carstens an die Adresse der Regierenden in Europa gerichtet hat. Diese drei Empfehlungen haben den großen Vorteil, daß sie keinen neuen völkerrechtlichen Vertrag, keine Ergänzung der europäischen Verträge, keine langdauernden Ratifikationsverfahren in zwölf Parlamenten erfordern, sondern daß die Regierungen sie verwirklichen können, ohne neue Institutionen dafür zu schaffen. In einem Wort: Es handelt sich um das jetzt, um das hier und um das sogleich Machbare.
Erstens. Wir halten z. B. den weiteren Ausbau des Europäischen Währungssystems und der ECU-Währung für einen heute gangbaren und zugleich notwendigen Schritt. Sie, Herr Bundeskanzler, haben Ihre ablehnende, Ihre negative Einstellung heute breit dargelegt, und ich möchte darauf antworten. Gewiß, für die schließliche Vollendung des Europäischen Währungssystems wird man eine Ergänzung der Römischen Verträge brauchen, wie etwa Präsident Delors das im Herbst vorgeschlagen hat. Heute wäre die Einrichtung einer autonomen europäischen Zentralbank noch nicht geboten. Die Vertragsergänzung aber, die vorgestern in Luxemburg zustande gebracht worden ist, besteht nun tatsächlich nur aus unverbindlichen, allgemeinen Redensarten. Damit kann jetzt jeder tatsächliche Fortschritt auf Eis gelegt werden, bis der Ergänzungsvertrag nach einer Reihe von Jahren schließlich ratifiziert ist, wenn er denn überhaupt zustande kommt. Aber genauso, wie das EWS ohne Vertragsänderung geschaffen werden konnte, genauso könnte es heute ohne Vertragsänderung seine zweite Ausbaustufe erreichen.
Ich stimme Ihrem Bedauern darüber zu, Herr Bundeskanzler, daß Frau Thatcher trotz gegenteiliger Meinung der englischen Finanzwelt immer noch nicht mitmachen will, aber der weitere Ausbau des EWS wird dadurch doch nicht behindert. Eher im Gegenteil: Je erfolgreicher sich das Europäische Währungssystem entwickelt, um so wahrscheinlicher wird Englands Beitritt.
Der Hauptwiderstand gegen den Ausbau des EWS kommt in Wahrheit aus Deutschland, genauer: aus Frankfurt und aus der Rheindorfer Straße in Bonn. Der Bundeskanzler hat ihn von dorther übernommen. Der Finanzminister ist sogar bis zur Forderung vorgedrungen, selbst bei Änderung des EG-Vertrages dürfe die Autonomie der Bundesbank nicht berührt werden. Die „Financial Times" hat dazu sarkastisch geschrieben, einige westdeutsche Währungspolitiker schlichen auf Zehenspitzen um diese obskure Sache herum, als könnte da eine Bombe hochgehen. Und tatsächlich kam ja jüngst ein Brief aus Frankfurt hier nach Bonn, der demjenigen des Ministers Weinberger an seinen Präsidenten ähnelte, als dieser in Genf gerade mit Generalsekretär Gorbatschow zu reden hatte.
Die Bundesbank muß erkennen: Jedes Verbot, den ECU zu verwenden, tendiert dazu, das Quasi-Monopol des Dollars aufrechtzuerhalten und damit die Giralgeldschöpfung unserer Geschäftsbanken von den extremen Kursschwankungen des Dollars abhängig zu machen.
Ich rufe in Ihre Erinnerung: Zu Jahresbeginn 1980 war der Dollar 1,70 DM wert, in diesem Frühjahr, im Frühjahr 1985, war er 3,40 DM wert — doppelt so viel —, im Augenblick ist er nur 2,50 DM wert; der Kurs der EWS-Währungen hingegen hat wesentlich geringer geschwankt als derjenige der frei floatenden Währungen, etwa der des Dollars. Die Wechselkurskorrekturen im System sind genauso reibungslos abgelaufen wie früher einmal zu Zeiten des Systems von Bretton Woods. Sie haben sich an den fundamentalen Faktoren wie den unterschiedlich hohen Inflationsraten in Europa und den Zahlungsbilanzgleichgewichten orientiert. Sie waren deshalb berechenbar. Das EWS hat seine Partnerstaaten in Europa gegenüber dem Rest der Welt begünstigt und uns vor allzugroßen Verzerrungen der Preise, der Kosten, der Allokationen bewahrt.
Regierungen und Notenbanken sollten Schritt für Schritt ganz pragmatisch lernen, in der Währungspolitik sowohl EG-intern als auch im Verhältnis zu Amerika und zu Japan an einem Strang zu ziehen. Wenn sie es nicht lernen, dann sehe ich nicht, wie Europa seinen schwindenden Einfluß auf der inter-
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nationalen ökonomischen Bühne zurückgewinnen soll. Ich sehe dann auch keine Besserung, keine dauerhafte Besserung der Arbeitslosigkeit in Europa.
Wenn wir, Herr Bundeskanzler, 1979 den Tendenzen der Bundesbank gefolgt wären, dann gäbe es das EWS überhaupt nicht, ein System, dem alle europäischen Ökonomen heute den Erfolg bescheinigen. Heute ist — anders als die Warner in Frankfurt schreiben oder schreiben lassen — klar ersichtlich — siehe das Beispiel Frankreich —, daß geld- und währungspolitischer Gleichlauf die Regierungen zur Konvergenz ihres allgemeinen wirtschaftspolitischen Verhaltens zwingt. Wer aber, Herr Stoltenberg, die umgekehrte Reihenfolge verlangt, erst wirtschaftspolitischen Gleichlauf auf allen Feldern und erst dann — vielleicht — auch währungspolitischen Gleichlauf, der kann kein geschichtliches Beispiel für den Erfolg seines Rezeptes beibringen, und vielleicht will er diesen Erfolg ja auch gar nicht.
Die Regierung und ihr Finanzminister haben detaillierte Vorschläge für den Ausbau des EWS auf dem Tische, z. B. u. a. auch von mir. Sie sollten den Rat eines bedeutenden Mannes befolgen, der gesagt hat
— ja, lachen Sie nicht zu früh —: Es ist die Schwäche der Regierungen, die Beschlüsse in der EG ständig verhindert, z. B. beim europäischen Währungssystem. — Der dies sagte, war Dr. Kohl; es war am 9. Januar 1981.
Damals, Herr Bundeskanzler, war das Europäische Währungssystem zwar längst in Funktion, aber in der Zwischenzeit — Sie sind seit drei Jahren im Amt — ist es nicht weiter ausgebaut worden. Also, bitte, zeigen Sie die Stärke, die Sie früher von anderen verlangt haben.
Dabei wird von Ihnen keineswegs erwartet, daß Sie der Bundesbank etwas wegnehmen oder gar das Bundesbankgesetz ändern. Das Gesetz muß lediglich angewandt werden.
Außenwährungspolitik bleibt schließlich Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, und sie bleibt Teil der Außenpolitik, hier der Europapolitik der Bundesregierung. Was Sie zu dem Thema EWS ausgeführt haben, war eigentlich bloß die Bemäntelung einer Kapitulation vor vermeintlichen — vermeintlichen! — nationalen deutschen Interessen.
Zweitens. Was die Herstellung des einheitlichen Binnenmarkts bis 1992 angeht, so würde ich einräumen, daß das eine sehr viel kompliziertere Aufgabe ist als der Ausbau des Europäischen Währungssystems. Sehr viel komplizierter! Die vielen Harmonisierungen sind erwähnt worden. Aber auch auf diesem Felde kann einiges sofort geschehen, z. B. die
Europäisierung aller öffentlichen Ausschreibungen. Das Monnet-Komitee hatte Ihnen das schon für Mailand vorgeschlagen. Es wird Zeit, daß einer die Initiative ergreift. Delors hat Ihnen im Juli ein ganzes Paket von Vorschlägen für die Schaffung des Binnenmarkts vorgelegt: von der Vereinheitlichung der technischen Normvorschriften über die Steuerharmonisierung bis hin zu den unterschiedlichen Einzelwertberichtigungen und Mehrwertsteuersätzen usw. Ich will das nicht ausmalen. Sie selbst haben es erwähnt. Man muß aber auch an die Notwendigkeit erinnern, europäische Dienstleistungen zu ermöglichen. Ich habe bisher weder französische Wirtschaftsberatung bei Hamburger Firmen erlebt noch deutsche Wirtschaftsprüfung in Rom. Wohl aber erobern amerikanische Beratungsfirmen und hundertköpfige amerikanische Rechtsanwaltssozietäten inzwischen unsere Märkte in Europa, in jeder größeren Stadt. Das muß j a so nicht sein.
Binnenmarkt heißt natürlich abermals Souveränitätsverzicht, vor allem auch gegen den Wunsch national organisierter Interessenverbände.
Im übrigen haben einige Industrien erfolgreich gezeigt — ich denke z. B. an einen Bereich in der Elektrobranche —, daß die Unternehmen manches zur Herstellung gemeinsamer technischer Normenvorschriften beitragen können; leider geschieht das nicht in der Automobilwirtschaft.
Der dritte Bereich, in dem sofort und konkret ohne ratifikationsbedürftige Verträge gehandelt werden könnte, ist der Bereich des technischen Fortschritts in Europa. Präsident Mitterrand hatte im Mai 1984 in Straßburg drei technologische Felder genannt — Elektronik, Weltraum, Verkehrswesen —, die wir zur Wiedergewinnung europäischer Wettbewerbsfähigkeit fördern sollten. Wir Sozialdemokraten haben jene Vorschläge unter Hinzufügung der Umwelttechnologie im Bundestag unterstützt. Aber trotz des neuen und sehr schönen Eureka-Schlagwortes ist die Sache seither nicht viel weitergekommen.
Die funktionierenden europäischen Forschungs-und Technologiekooperationen hatte es j a längst vorher gegeben. Sie braucht man heute nun nicht künstlich unter ein neues Sekretariatsdach zu schaffen; sie haben ja doch bisher gut funktioniert. Das gilt genauso für die etwa 3 000 Personen, die in der Forschung und im Forschungsmanagement durch die EG beschäftigt sind. Man soll die bestehenden Institutionen nutzen und nicht ständig neue Bürokratien hinstellen, auch wenn sie sich vornehm Sekretariat nennen.
Warum lassen Sie Ihren Postminister nicht den Anstoß dazu geben, daß die Postverwaltungen der Staaten der EG untereinander ein einheitliches Glasfaserbreitbandnetz vereinbaren und voranbringen, statt diese ewigen Fehlinvestitionen in die Kupferverkabelung vorzunehmen?
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Warum lassen Sie den Verkehrsminister nicht seine Kollegen in Paris und in Brüssel anstoßen, damit in Europa — wie Mitterrand vorgeschlagen hat — ein gemeinsames Schnellbahnsystem errichtet wird? Holland, Italien, andere würden sich schnell beteiligen. Lassen Sie es planen von Rom bis nach Kopenhagen. Die französische Eisenbahn hat gezeigt, daß sie das kann. Die japanische kann es schon lange. Aber auch die Bundesbahn hat jüngst einen Hochgeschwindigkeitszug vorgestellt. Wieso geht das eigentlich nur national und nicht gemeinsam? Es ist doch ein gemeinsames Eisenbahnnetz.
Wenn wir Flugzeuge und Fernmelde- und Forschungssatelliten gemeinsam bauen konnten, wieso eigentlich nicht auch Satelliten zur militärischen Aufklärung, wie Paris es vorgeschlagen hat? Sollen denn wir Europäer auf ewig in der Abrüstungskontrolle von den Brosamen abhängig bleiben, die von den Tischen der Hunderte von Aufklärungssatelliten der beiden Großmächte fallen?
Meine Damen und Herren, SDI ist eine Sache — eine Sache, die zugleich eine Kernfrage künftiger Strategie bedeutet. Hoffentlich wird sie unter Berücksichtigung unserer europäischen Sicherheitsinteressen entschieden. Europäische industrielle Interessen sind dabei zwar nicht gleichgültig, aber sie sind bestenfalls zweitrangig. Man kann doch wohl eine strategische Revolution nicht nach ihrem technologischen spillover beurteilen wollen.
Eine durchaus andere Sache ist die Notwendigkeit Europas, sich technologisch gegen die vier großen, aber homogenen Wirtschaftskörper zu behaupten, von denen ich sprach. Ich habe in diesem Herbst einige hochtechnisierte japanische Unternehmen studiert. Manches hat mir imponiert. Einiges können wir schon von den Japanern lernen. Aber eine Sache hat mir zutiefst mißfallen. Eine japanische Elektrofirma baut serienweise Computer, die zum Schluß das Markenzeichen einer europäischen Elektronikfirma aufgeklebt bekommen und unter diesem Firmenzeichen in der ganzen Welt verkauft werden. Offenbar war die europäische Firma nicht in der Lage, die Geräte in gleicher Qualität selbst zu produzieren oder sie zu vergleichbaren Kosten zu produzieren.
Ob wir es also Eureka nennen oder ob wir es anders nennen: Nur wenn wir die Größenordnung ausnutzen, die uns durch über 300 Millionen intelligenter und fleißiger Europäer gegeben ist, nur wenn diese 300 Millionen ihre Forschung und Technik gemeinsam voranbringen, nur dann halten wir unseren relativen Lebensstandard und unsere Beschäftigung. Das gilt für das ganze Feld, von den Quarzuhren und den neuen Medientechniken bis hin zur Umwelttechnologie oder der Technologie der Kohle, der Kernenergie oder der Sonnenenergie. Schließlich haben uns allen ja die beiden Ölschocks und das Verhängnis der allzu hohen Ohmportabhängigkeit Europas deutlich genug das Fell verbrannt.
Ich will mich den institutionellen Vorschlägen zuwenden, die auf unseren Tischen liegen. Den Vertragsentwurf à la Luxemburg kennen wir zwar noch nicht genauer; er ist auch noch nicht fertig. Ein Dooge-Bericht lag aber vor, ein vollständiger europäischer Verfassungsentwurf des Straßburger Parlaments für eine Europäische Union liegt vor, viele Studien, Vorschläge, die Westeuropäische Union soll ausgebaut werden. Die „Welt" von gestern hat Sie zitiert, Herr Bundeskanzler; Sie sollen in Luxemburg gesagt haben: „So geht es nicht weiter." — Sie sollen auch gesagt haben: „Im Grunde sind wir völlig überfordert." — Sofern die beiden Zitate zutreffen und sofern sie auf den Wirrwarr all dieser Vorschläge gemünzt sind, kann ich ihnen meine Zustimmung nicht verhehlen. Es bleibt aber dann erstaunlich, daß der von CDU/CSU und FDP vorgelegte Entschließungsantrag das Ganze einen „Durchbruch" nennen will.
Für meine Person möchte ich Jean Monnet in Erinnerung rufen. In seinen „Lebenserinnerungen eines Europäers" lesen Sie, man solle „Breschen in die Mauern der nationalen Souveränitäten schlagen, die so begrenzt sind, daß sie Zustimmung erlangen können, gleichzeitig aber doch tief genug, um die Staaten zu der für den Frieden notwendigen Einheit zu bewegen".
Für mich selbst hat diese Überzeugung seit dem Scheitern des Projekts einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vor mehr als dreißig Jahren immer gegolten. Ich bin deshalb in meiner Zustimmung zu umfassenden Entwürfen, die nicht bloß begrenzte Breschen schlagen sollen, sondern die ganz neue Grundmauern errichten wollen, zurückhaltend. Sie können in der Ratifikation genauso scheitern, wie die EVG Anfang der 50er Jahre im französischen Parlament gescheitert ist.
Wenn die Regierungschefs heute in der EG gemeinsam das Veto abschaffen oder einschränken wollen, das seit 20 Jahren, seit der Politik des leeren Stuhls, de facto eingeführt ist, dann genügte es doch, wenn sie gemeinsam erklärten, sie wollten sich von nun an tatsächlich an den geltenden Text der Römischen Verträge halten.
Notfalls könnten Sie dem geltenden Text eine gemeinsame Interpretation hinzufügen.
Wenig aussichtsreich erscheinen dagegen Versuche, durch einen formalen Vertrag tatsächlich eine gemeinsame Außenpolitik zustande zu bringen, etwa auf dem Felde der Sicherheit, das der Bundeskanzler hier in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervorgehoben hat. Wie kann eine gemeinsame Sicherheitspolitik tatsächlich verfolgt werden, wenn Irland neutral ist; wenn Frankreich zwar der Allianz, nicht aber der NATO angehört; wenn zwar Frankreich und England Nuklearmächte sind, aber nur einer von beiden den Atomteststoppvertrag und nur einer von beiden den Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen unterschrieben hat; wenn wir anderen mittleren und kleineren Staaten in der EG den Nichtverbreitungsvertrag zwar natürlich ratifiziert
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haben und auch peinlich genau einhalten, aber leider seit 15 Jahren vergeblich darauf warten, daß auch die nuklearen Vertragspartner ihre Abrüstungsverpflichtungen aus Art. 6 endlich erfüllen;
und wenn sich schließlich die nichtnuklearen Staaten in der EG in zwei unterschiedliche Interessengruppen aufteilen, in solche, die keine fremden Atomwaffen auf ihrem Boden dulden wollen, und solche wie Italien, Deutschland, Belgien und Holland, die dies nach schwierigen inneren Auseinandersetzungen gestatten?
Aus all diesen — auch völkerrechtlichen — Unterschieden im Sicherheitsstatus und außerdem aus unterschiedlichen geographischen Lagen ergeben sich sehr verschiedene Interessen, z. B. gegenüber den meisten Abrüstungsproblemen. Wir Deutschen haben ein dringliches, ein vordringliches Interesse am Erfolg der Verhandlungen über atomare Mittelstreckenwaffen, die jüngst von Gorbatschow und Reagan wieder in den Mittelpunkt gerückt worden sind, über eurostrategische Waffen, die auf uns gerichtet sind. Für die Portugiesen dagegen kann dies nur eine von vielen anderen, für sie gleichrangigen Fragen sein. Für London hat die „special relationship" zu Amerika jedenfalls bisher vor vielen europäischen Interessen Vorrang. Für die gleichfalls mit Washington verbündeten Franzosen sieht das erheblich anders aus, siehe die völlig unterschiedlichen Haltungen in London und in Paris gegenüber SDI.
Was nützt aber nun in solcher Situation eine vertragliche Festlegung, bei allen zukünftig vorkommenden sicherheitspolitischen Fragen einer Meinung sein zu wollen? Welcher Meinung denn? Oder wird vielleicht die sehr interessante, aber in Amerika wie in Europa sehr umstrittene Idee des amerikanischen Präsidenten, mit Hilfe von SDI die Strategie des Bündnisses völlig umzuwälzen, von dem neuen Vertrag ausgenommen?
Meine Herren,
durchaus ohne Vertrag über die gemeinsame Außenpolitik haben die europäischen Regierungschefs und Außenminister häufig genug auf vielen wichtigen außenpolitischen Feldern gemeinsam agiert, z. B. in der Mittelostpolitik, z. B. einige Jahre lang in der Namibiapolitik, z. B. in der Abwehr des amerikanischen Röhrenembargos. Am erfolgreichsten haben sie — ohne jede Vertragsgrundlage — bei der Konzipierung der Harmel-Doktrin 1967 kooperiert, vor allem bei ihrer tatsächlichen Anwendung und Befolgung.
Das reichte doch vom Nichtverbreitungsvertrag, von SALT I und ABM über die deutschen Ostverträge und das Viermächteabkommen über Berlin bis hin nach Helsinki.
Die Harmel-Doktrin der Atlantischen Allianz war eine sehr brauchbare Gesamtstrategie.
Sie war präzise in ihrem doppelten Kern, aber doch allgemein genug, um von allen europäischen Bündnisstaaten und von den Amerikanern gemeinsam getragen werden zu können. Sie verzichtete darauf, die sich erst später entwickelnden Politiken der Verteidigung, der Rüstungsbegrenzung oder der vertraglichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion im Vorwege im Detail oder geradezu in Paragraphen zu regeln. Das ganze Dokument war der Form nach ein bloßer Ratsbeschluß; es war, wenn ich mich recht erinnere, nicht länger als zweieinhalb Druckseiten.
Jener nach dem damaligen Vorsitzenden des Rates — es war der Belgier Pierre Harmel — genannte Beschluß hatte zwei Voraussetzungen. Er setzte erstens den Druck der sowjetischen Weltmacht auf Europa voraus, und er setzte zweitens, daraus resultierend, die fortdauernde Notwendigkeit des Bündnisses der Europäer mit der anderen Weltmacht, mit den USA, voraus. Beide Voraussetzungen bestehen heute noch genauso, wie sie 1967 bestanden haben.
Der Kern der Doktrin bestand aus zwei Punkten. Erstens: Die Allianzpartner verpflichteten sich selbst zu erheblichen gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen, um durch tatsächliche Verteidigungsfähigkeit abzuschrecken. Zweitens: Auf der Basis der so hergestellten Sicherheit boten sie der Sowjetunion Zusammenarbeit an, vornehmlich auf dem Felde der Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, aber auch auf wirtschaftlichem Felde usw. Wenn Sie so wollen, war das eine Doppelstrategie im wahren Sinne dieses heute inflatorisch mißbrauchten Wortes.
Diese außenpolitische gemeinsame Strategie Europas und der Amerikaner ist ein Jahrzehnt lang sehr erfolgreich gewesen. Sie wurde von der Sowjetunion akzeptiert. Sie hat nicht nur den Einmarsch in die Tschechoslowakei überstanden, sondern auch den Vietnam-Krieg, an dem beide Weltmächte beteiligt waren. Dann ist sie in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zerbröckelt. Auf beiden Seiten wurden Fehler gemacht. Der größte Fehler war die SS-20-Rüstung, dann der Einmarsch in Afghanistan, so daß Präsident Carter danach öffentlich gesagt hat, jetzt erst erkenne er den wirklichen Charakter der Sowjetunion. Das ehrte ihn zwar seiner Ehrlichkeit wegen. Wir Europäer hingegen hatten solche Aha-Erlebnisse nicht; denn wir hatten ja keine Illusionen gehabt. Aber in den Vereinigten Staaten wurde nun jede tatsächliche oder auch jede angebliche Illusion über sowjetische Politik ins krasse Gegenteil verkehrt. SALT II wurde nicht mehr ratifiziert, und bis zum „evil empire" war es dann nach dem Präsidentenwechsel nicht mehr weit. Der Abschuß des koreanischen Verkehrsflugzeuges hat zu alledem erheblich beigetragen.
Die Harmel-Epoche, meine Damen und Herren, war möglich gewesen, weil die Europäer außenpolitisch zusammengearbeitet haben. Sie ging kaputt
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von dem Zeitpunkt an, wo die Zusammenarbeit zwischen Europäern und Amerikanern zerbröckelte. Der europäische Einfluß auf die Gesamtstrategie Washingtons ist ab 1977 zunächst langsam und dann schrittweise zerbröckelt, gemeinsam mit der Harmel-Doktrin. Sie war eine Gleichgewichtsdoktrin — das ist europäisches Interesse —, sie war keine Überlegenheitsstrategie. Sie kennzeichnet darum in Sachen Friedenssicherung die bei weitem erfolgreichste Phase der Nachkriegszeit. Aber das kann doch, Herr Bundeskanzler, jetzt nicht durch einen rein formalen, von der Substanz her inhaltslosen außenpolitischen Kooperationsvertrag der Europäer untereinander wiederhergestellt werden.
Denn ohne den Willen Amerikas geht es schon gar nicht.
Es gibt gegenwärtig keine gemeinsame Gesamtstrategie des Bündnisses. Statt eines, wie ich glaube, substanzlosen, wenn auch wahrscheinlich unschädlichen außenpolitischen Kooperationsvertrages, schiene es mir wichtiger, wenn die europäischen Regierungen untereinander die langfristige Interessenlage ihrer Staaten im Verhältnis zur Sowjetunion, auch zu den USA, auch untereinander, erneut in die Tiefe gehend analysierten. Sie würden dann wahrscheinlich erneut auf die alte Erkenntnis stoßen, die der geschichtserfahrene Winston Churchill damals 1946 in Zürich ausgesprochen hat. Die europäische Familie, so sagte er, braucht ein Zusammengehen von Frankreich und Deutschland. Monnet und Schuman, später de Gaulle und Adenauer und später wieder andere in Paris und Bonn haben das verstanden. Sie haben nach diesem Verständnis praktisch zu handeln versucht. Dabei sind — Sie haben recht, Herr Bundeskanzler — große Fortschritte erreicht worden. Vor allem anderen nenne ich die freundschaftliche Gesinnung der Franzosen und der Deutschen gegenüber einander.
Natürlich sind manchmal auch Fehler gemacht worden, jedenfalls sind Erschwernisse eingetreten. Die prononcierte Wiederaufnahme der autonomen nuklearen Verteidigungskonzeption de Gaulles „à tous azimuts", gegen alle Himmelsrichtungen, durch den gegenwärtigen Präsidenten in Paris hat das deutsche Dilemma wiederaufleben lassen. Unsere gegenwärtige Bundesregierung und wir alle leiden daran. Ich meine jenes Dilemma, das uns Deutschen der große Präsident de Gaulle heute vor 20 Jahren durch seinen Auszug aus der NATO beschert hat.
Dieses Dilemma besteht darin, geschichtlich und politisch und psychologisch vornehmlich auf die Legitimation durch den französischen Partner angewiesen zu sein und doch zugleich, in Sachen unserer eigenen Sicherheit auf Frankreichs Hilfe nur eingeschränkt rechnen dürfend, militärisch und bündnispolitisch vornehmlich auf den amerikanischen Partner angewiesen zu sein — und dies beides bei ganz erheblicher Divergenz der Politik und der Strategie des französischen und des amerikanischen Partners.
Als dieses Dilemma vor zwei Jahrzehnten zum ersten Mal — eigentlich schon während der Verhandlungen zum Elysée-Vertrag und über MLF — auftauchte, gab es bei den beiden großen Parteien hier in diesem Hause durchaus verschiedenartige Tendenzen in der Beurteilung, wie man sich verhalten solle. Ich erinnere mich, daß Baron Guttenberg und Franz Josef Strauß und Kurt Georg Kiesinger entsprechend ein gaullistisches Epitheton ornans angehängt bekommen haben. Gerhard Schröder, Fritz Erler, Herbert Wehner, auch Willy Brandt oder mich, uns nannte man „Atlantiker". Diese Beinamen waren allerdings schwere Übertreibungen. Aber das zugrundeliegende Dilemma war real. Das Dilemma steht heute leider wieder stärker im Vordergrund als zur Zeit von Giscard d'Estaing oder von Pompidou.
Die Ursachen für das Hervortreten dieses Dilemmas liegen nur zum Teil in Paris. Sie liegen zum Teil in Bonn, zum Teil in Washington. Vor ein paar Tagen hat Jean François-Poncet im „Figaro" geschrieben — ich zitiere wörtlich —:
Regelmäßige Treffen, Höflichkeiten und Dementis ändern nichts an der Tatsache, daß die deutsch-französischen Beziehungen nicht mehr das sind, was sie einmal waren.
Zum Beleg führte er dann sieben wichtige Meinungsverschiedenheiten an: SDI, neue GATT-Runde, europäisches Kampfflugzeug, Raumstation Columbus statt Hermes, die Aufschiebung einer Entscheidung über den Beobachtungssatelliten, die zögerliche Behandlung von EUREKA und natürlich das Kiechlesche Veto. Hier kennen eine ganze Menge von uns François-Poncet als einen nüchternen Mann. Ich will mir — trotz seiner Nüchternheit — seine Schlußfolgerung nicht zu eigen machen. In ihr ist von einer „tiefgreifenden Verschlechterung" die Rede.
Ich weiß auch, daß bei Verstimmungen zwischen Menschen oder Regierungen oder den öffentlichen oder veröffentlichten Meinungen von Völkern meist auf beiden Seiten Fehler gemacht worden sind. Deshalb sollte man sowohl im Elysée als auch im Kanzleramt prüfen, ob Fehler vorliegen und wie sie für die Zukunft vermieden werden können. Weder liegt es in Frankreichs Interesse, uns Deutsche in alternative oder polarisierende Entscheidungssituationen zu drängen oder drängen zu lassen, noch dürfen wir selbst uns in polarisierende Entscheidungssituationen hineinbegeben.
Beide Chefs müssen wissen, daß das Ausbleiben einer eindeutig kooperativen sicherheitspolitischen Entscheidung Frankreichs die Sache heute stärker erschwert als zur Zeit der Harmel-Strategie in den 70er Jahren.
Die Zeit für eine neue, den europäischen Interessen dienliche Gesamtstrategie unseres westlichen Bündnisses ist trotz des Genfer Gipfels, der ein erster Schritt auf einem viele Meilen langen Wege gewesen ist, zwischen den Regierungen des Westens offenbar noch nicht reif. Aber Europa wird in diesem Bündnis und in der Welt nur dann wieder ein Gewicht in die Waagschale legen können, wenn
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dies gemeinsam und im engen Einvernehmen zwischen Deutschen und Franzosen geschieht.
Am Montag dieser Woche hat mein Freund Giscard d'Estaing hier vor dem DIHT in Bonn gesprochen und gesagt:
Dort, wo Deutschland und Frankreich einig sind, kommt Europa voran.
Dort, wo Deutschland und Frankreich sich trennen, tritt Europa auf der Stelle.
Beides trifft den Kern.
Und wenn ich einen bescheidenen persönlichen Rat hinzufügen darf: So wie Präsident Mitterrand selbstverständlich und selbstverständlich taktvoll Kontakt pflegt und Kontakt pflegen läßt zu führenden Personen der Opposition in Bonn, so sollte die deutsche Seite Kontakt pflegen in Paris, nicht nur zu Herrn Fabius, sondern auch zu den Herren Chirac, Chaban-Delmas, Giscard, Raymond Barre, natürlich auch zu Rocard. Persönliche Freundschaften, meine Damen und Herren, zwischen den Staatslenkern Frankreichs und Deutschlands sind ein Geschenk. Die kann man nicht durch Beschluß kreieren. Aber freundschaftliche Kontakte und Verständigung zwischen den wichtigen Personen der politischen Klasse in beiden Ländern, die hingegen können durchaus erarbeitet werden —
damit es bei abermaligen Regierungswechseln nicht noch mal so hergehen muß wie Montag und Dienstag in Luxemburg, etwa nach dem Diktum Rossinis über Wagners Lohengrin: „Sehr schöne Momente, aber böse Viertelstunden".
Ich möchte auf zwei Personen hinweisen, die außerhalb der Regierungen stehen, zwei Staatsmänner, konzeptionsstark und urteilskräftig, deren ausgleichenden Ratschlag man sowohl in Paris als auch in Bonn als auch anderswo in Europas Hauptstädten hören sollte. Ich meine den englischen Konservativen Lord Carrington, und ich meine den französischen Sozialdemokraten Jacques Delors. Das sind beides gestandene, ausgewiesene Männer. Es würde mir sehr schwerfallen, ihren Rat auszuschlagen.
Warum läßt man sie nicht agieren, z. B. im Vorfelde des Genfer Gipfels? Etwa jener New Yorker Nachmittag, der ominöserweise mit dem französischen Präsidenten nicht abgestimmt war und zu dem er deshalb nicht erschien, der konnte doch wohl einen deutlichen europäischen Einfluß nicht ersetzen, der vor Genf lange Zeit völlig gefehlt hatte.
Oder z. B. im Vorfeld der Euro-Gipfel von Mailand
oder Luxemburg. Nur dann, Herr Bundeskanzler,
sollen die Staatslenker persönlich die Details regeln, wenn Kommissionspräsident und Minister das wirklich nicht können. — Aber das letztere ist doch gar nicht der Fall.
Warum läßt man z. B. Delors nicht einen Marshall-Plan oder einen Reagan-Plan für Zentralamerika ausarbeiten und qua EG der amerikanischen und der japanischen Regierung ein Angebot machen, das so lauten könnte: Costa Rica und El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, die Staaten der zentralamerikanischen Landbrücke haben zusammen ein Bruttosozialprodukt von ganzen 30 Milliarden Dollar. Das ist ungefähr 1 % des amerikanischen oder des europäischen Sozialprodukts. Wir schlagen euch in Washington und in Tokio vor, das Sozialprodukt pro Kopf in Zentralamerika, sagen wir, in sieben Jahren zu verdoppeln. — Natürlich könnten wir uns das leisten. Es würde jeden von uns weniger als ein Zehntel Prozent unseres jährlichen Sozialprodukts kosten. Aber natürlich würde damit endlich eine wirtschaftliche und soziale Grundlage geschaffen, auf der dann Contadora und Vernunft sich durchsetzen könnten gegen ziellose Revolutionäre und Contras und Diktaturen.
Und natürlich wäre das ein positiver Beitrag europäischer Außenpolitik zur Entgiftung der Welt.
Oder ein anderes Beispiel: Warum läßt man Delors nicht die Initiative von Jim Baker in Seoul aufgreifen. Da hat zum erstenmal ein Amerikaner in die richtige Richtung gedacht, zum erstenmal Washington die Schuldenkrise als langfristige Aufgabe, als politische Aufgabe verstanden und ernst genommen. Jetzt müssen wir Europäer das Problem endlich auch als langfristiges Problem verstehen, sowohl als finanzökonomisches, vor allem aber als weltpolitisches Problem. Warum liefern wir nicht die bei Jim Baker noch fehlenden wesentlichen Elemente?
Das sind zwei Beispiele für Ansatzpunkte zum konkreten Handeln hier und heute. Der außenpolitische Kooperationsvertrag des Europäischen Rats kommt erst in Jahren, und der wird ganz gewiß weder für Seoul noch für Zentralamerika Rezepte liefern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Schluß sagen: Wir Sozialdemokraten, und so auch ich, sind des deutschen Schicksals in der Zukunft unserer Nation wegen immer überzeugte Europäer gewesen, immer Freunde Amerikas,
immer auch — auf der Basis der eigenen Sicherheit — überzeugte Verfechter der Verständigung mit unserem mächtigen Nachbarn Sowjetunion.
Wenn heute, wie wohl meistens, meine Ausführungen zu Europa nicht so euphorisch geklungen haben, so bedenken Sie bitte, daß sich bei uns lebenslanger Idealismus mit nüchterner, pragmatischer, realistischer Vorstellung von dem, was heute machbar ist, verbindet. Ich selbst habe in der Politik Optimismus immer für fast ebenso gefährlich gehalten wie Pessimismus; und tatsächlich, die Pro-
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gnosen der Optimisten und die Prognosen der Pessimisten erweisen sich im Durchschnitt der politischen Lebenserfahrung in gleichem Maße als fehlerhaft und irreführend,
so bei der Wettervorhersage, so bei der Konjunkturprognose, so auch bei der Vorhersage von epochemachenden Wirkungen des Luxemburger Gipfels. Aber ich gebe durchaus zu: Im Durchschnitt leben die Optimisten glücklicher als die Pessimisten.
Manchmal sind Sie, Herr Bundeskanzler, allein Ihres Optimismus wegen glücklich.
Ich denke dabei ganz besonders an die Schlußpassage Ihrer Erklärung vorhin. Aber lassen Sie uns bitte dabei die Wirklichkeit nicht schöner malen, als sie ist. In der Wirklichkeit ist in all den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft eine gewisse Europamüdigkeit eingetreten; ein Effekt von zu vielen euphorischen Reden und Ankündigungen und zu vielen nachfolgenden Enttäuschungen.
Lassen Sie uns seltener große Ziele ankündigen, aber dafür häufiger, nein, immer das konkrete Machbare tatsächlich tun.
Auch wenn das Tun dann begrenzt bleibt, bringt es uns in seiner Summierung doch weitaus besser voran als verpuffende Euphorie.
Sie haben, Herr Bundeskanzler, am Schluß vom gemeinsamen europäischen Ziel der Demokraten gesprochen. Ich habe gemeint, daß sich das auch an uns richtet. Das war gut. Ich füge hinzu: Der Urgrund des westeuropäischen Zusammenschlusses liegt in der Vorgeschichte des letzten Weltkrieges, an den Sie erinnert haben. Er liegt auch in der präsenten Nähe des mächtigen kommunistischen Nachbarn. Er liegt im Willen, zu verhindern, daß sich je die Schrecken der Vergangenheit wiederholen. Er liegt auch im Willen zur Selbstbehauptung der Völker Europas. Ich stimme Ihnen zu: aller Völker Europas. Sie haben die im Osten ausdrücklich namentlich genannt, und auch ich schließe sie ein. Er liegt auch im Willen zur Selbstbehauptung aller Völker Europas gegenüber der immer noch steigenden militärischen und wirtschaftlichen und insgesamt politischen Macht der beiden Weltmächte.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß wir gelassene und respektierte Nachbarn der einen Weltmacht, Sowjetunion, bleiben und daß wir gegenüber der anderen Weltmacht, Amerika, Freunde, Verbündete, Weggenossen, Partner bleiben, daß wir Europäer aber nie auf den Status von Klienten, von Schutzbefohlenen absinken, sondern daß wir Partner bleiben!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was der Kollege Schmidt gegen Schluß seiner Rede als Standortbestimmung der deutschen Sozialdemokratie gesagt hat, nehme ich ihm mit Respekt ab. Ich fürchte nur: Er hat dabei so wenig einen Mehrheitsstandpunkt seiner Partei formuliert wie im Herbst 1983.
Meinen Respekt auch, Herr Kollege Schmidt, vor dieser bitteren, selbstkritischen Analyse über die Phase des Zerbröckelns der Zusammenarbeit zwischen den Europäern und den Vereinigten Staaten.
Meine Damen und Herren, im übrigen — wir hatten schon ein bißchen vergessen, wie das ist — haben wir natürlich weite Passagen einer intelligenten, kundigen,
teilweise sehr fairen, teilweise einseitigen (Feilcke [CDU/CSU]: Eingebildeten!)
Tour d'horizon hier erlebt, die, wenn Sie so wollen, ein Beispiel routinierter Vortragskunst ist.
Ich kann mir gut vorstellen, wie ein fasziniertes Publikum in Milwaukee dem zuhört. Das ist immer so ein wenig insinuierend, er wisse alle Lösungen für die Probleme, die er beschreibt und analysiert.
Meine Damen und Herren, es geht vorwärts in Europa. Die Luxemburger Sitzung des Europäischen Rates hat erkennbare Fortschritte gebracht. In dem Antrag, den Ihnen meine Fraktion heute dazu vorlegt, heißt es:
Die Bundesregierung hat, wie die Entwicklung seit dem Stuttgarter Treffen des Europäischen Rates 1983 belegt, entscheidenden Einfluß auf Beschleunigung und Ausweitung des ins Stokken geratenen europäischen Integrationsprozesses ausgeübt.
Dies ist eine nüchterne, tatsachengerechte Bewertung eines Erfolges für die Bundesregierung, eines Erfolges für die Bundesrepublik Deutschland, für die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft und für deren Partnerstaaten in aller Welt.
Ich glaube zu wisen, warum der Oppositionsführer entgegen aller sonstigen Übung heute nicht auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers geantwortet hat. In der Debatte am 27. Juni dieses Jahres hat er — ein bißchen polemisch umrankt — vorgetragen, was die Sozialdemokraten von der Europapolitik der Bundesregierung erwarten. Aus der
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heutigen Regierungserklärung des Bundeskanzlers wird deutlich, daß die Bundesregierung dem allergrößten Teil dieser Erwartungen gerecht geworden ist. Der Kollege Dr. Vogel hätte sich heute also fairerweise bedanken müssen. Dem hat er sich entzogen.
Den Mitgliedern des Europäischen Rates ist in Luxemburg etwas gelungen, was unseren Respekt verdient: Sie haben es in einer ganzen Reihe wichtiger Fragen geschafft, einen Durchbruch zu erzielen, ohne der Gefahr der pompösen, Illusionen weckenden Selbstberühmung zu erliegen.
Natürlich bedarf die europäische Einigung der visionären Kraft. Bleibt die Wirklichkeit aber weit hinter den Ankündigungen zurück oder verheddert sich die Gemeinschaft in Bestimmungen, die der Bürger nicht mehr begreift, breiten sich Enttäuschung und Resignation aus. Franz Josef Strauß, dieser engagierte Europäer der ersten Stunde, gehört zu den beredten Warnern vor solchen Fehlentwicklungen.
Die Luxemburger Beschlüsse aber leiten Entwicklungen ein, die jedem einzelnen von den ab 1. Januar 1986 rund 320 Millionen Europäern in der Gemeinschaft Vorteile bringen. Damit meine ich keineswegs nur die Maßnahmen, die unter dem Stichwort „Europa der Bürger" getroffen werden sollen, etwa den Wegfall der Personenkontrollen an den Grenzen oder die gegenseitige Anerkennung von Hochschuldiplomen und Prüfungen; vielmehr beziehe ich mich auf die Schaffung des Binnenmarktes, die Forschungs- und Technologiepolitik der Gemeinschaft, den gemeinsamen Umweltschutz, die Kompetenzausweitung des Europäischen Parlaments und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Außenpolitik.
Freilich, viele der Ergebnisse waren nicht maximal, sondern bestenfalls nur optimal oder wie im Falle des Europaparlaments sogar noch ein bißchen weniger. Doch, selbst wenn man sich drei Schritte vorgenommen hat und nur zwei tun kann, meine Damen und Herren, ist das immer noch besser, als stehenzubleiben.
Der Begriff Kompromiß hat für mich keine abwertende Bedeutung. Er ist das oft mühsam erreichte Ergebnis demokratischen Abgleichs unterschiedlicher Interessenlagen. Für die initiative Rolle, die Bundeskanzler Kohl bei der Erreichung vieler dieser notwendigen Kompromisse gespielt hat, für sein Drängen auf mehr Fortschritt und für die behutsame Mittlerposition, mit der er gegensätzliche Standpunkte zusammenzubringen trachtete, habe ich ihm namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu danken.
Der wohl bedeutendste Beschluß — Heinz Stadlmann bezeichnet ihn in der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als Mittelpunkt der Reformbestrebungen — zielt auf die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes, eines Raumes ohne Binnengrenzen zwischen den 12 EG-Staaten. Die Voraussetzung dafür schafft der Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip auf qualifizierte Mehrheiten bei den entsprechenden Entscheidungsprozeduren. Bei Verwirklichung dieses Binnenmarktes werden von allen Beteiligten noch weitgehende Konzessionen gefordert werden.
In einigen wichtigen Bereichen ist es gelungen, die hohen Standards der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen. Aber so wie wir möchten auch andere bestimmte, in ihrem Lande gewachsene Strukturen schützen. Dabei können noch Gegensätze aufeinanderprallen.
Ich nenne, Herr Kollege Schmidt, einen Punkt, über den beispielsweise kein bayerischer Politiker mit sich reden lassen kann: das Reinheitsgebot des Biers.
Der Umweltschutz, meine Damen und Herren, wird in den Vertragstext aufgenommen. Auf dem Stuttgarter Europagipfel war die Bundesregierung mit dieser Forderung noch ein einsamer Rufer. Und als Bundesinnenminister Zimmermann mit seinen ersten Vorschlägen für ein umweltfreundliches Auto vor die europäische Öffentlichkeit trat, höhnte die Opposition. Aber diese Impulse haben positive, ein gemeinsames europäisches Umweltbewußtsein schaffende Wirkungen gezeitigt.
Auch die Forschungs- und Technologiepolitik der Gemeinschaft wird in einem eigenen Vertragskapitel verankert, das Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion ausdrücklich in den EWG-Vertrag aufgenommen.
Was die Mitwirkungsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments anlangt, so ist der Bundeskanzler mit erheblich weitergehenden Vorstellungen nach Luxemburg gegangen. Sie waren nicht voll durchsetzbar. Doch auch das schließlich Erreichte, ein Kompromiß zwischen den äußerst restriktiven Dänen und den äußerst progressiven Italienern, ist wesentlich der Beharrlichkeit des Bundeskanzlers zu danken.
Meine Damen und Herren, als Chef einer Koalitionsregierung aus drei Parteien, in der immer wieder operative Kompromisse nötig sind und in der jeder Triumph den Erfolg gefährden würde, ist er natürlich gut im Training.
An dieser Stelle sei mir aber ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen der SPD gestattet. Nutzen Sie doch Ihre Parteibeziehungen innerhalb der Sozialistischen Internationale, um auf Sozialdemokraten und Sozialisten in Dänemark und auf die Mitglieder der Labour Party in Großbritannien einzuwirken. Denn es ist deren erbitterter, freilich meist innen- oder parteipolitisch begründeter Widerstand, der es einem Ministerpräsidenten Schlüter oder einer Premierministerin Thatcher so schwer macht, Konzessionen zuzustimmen. Dadurch würde die europäische Gesinnung der SPD glaubwürdig.
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Das läge auch im deutschen Interesse — im Gegensatz zu Ihrer Techtelmechtel-Gegenaußenpolitik gemeinsam mit regierenden kommunistischen Parteien in Osteuropa.
Bei allem Verständnis für die Enttäuschung über noch nicht Erreichtes bei unseren Kollegen im Europäischen Parlament kann ich die Interview-Außerungen der beiden Europa-Parlamentarier Seefeld und Alber nicht ganz so gelassen hinnehmen, wie es soeben der Bundeskanzler getan hat. Niemand, der europäische Gemeinsamkeit ernsthaft will, darf sich über die historische, wirtschaftliche, politische und kulturelle Identität eines Partnerlandes so hinwegsetzen, wie es der sozialdemokratische Europa-Abgeordnete Seefeld mit dem Satz tut: Wem es nicht paßt, der soll das sagen und uns notfalls verlassen.
Solche Einstellung auch noch mit der Forderung nach mehr europäischer Demokratie zu begründen, ist schlicht absurd. Schließlich soll nach dem Willen des Europäischen Rates durch einen Vertrag nunmehr auch die Voraussetzung für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen werden, die über den Rahmen der EPZ, der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, hinausgeht. Die EG hat schon in den letzten Jahren ungeachtet aller inneren Schwierigkeiten außenpolitisches Profil gewonnen. Darauf haben sich die USA, Kanada, Japan und andere befreundete Staaten längst eingestellt. Das hat aber auch die UdSSR und die RGW-Länder zum Überdenken ihrer ursprünglich ablehnenden Haltung veranlaßt. Und die Staaten der Dritten Welt mit der Volksrepublik China an der Spitze versprechen sich viel von einer noch intensiveren Zusammenarbeit mit einer noch geschlosseneren Europäischen Gemeinschaft.
Mit Spanien und Portugal, die übrigens beide schon jetzt außergewöhnlich konstruktiv mitarbeiten, hat das Gewicht der EG weltweit zugenommen. Gelingt es den Zwölf, außenpolitisch weitgehend mit einer Zunge zu sprechen und sicherheitspolitisch stärker an einem Strang zu ziehen, wird die Beispielkraft ihrer friedlichen, freiheitlichen und demokratischen Zusammenarbeit auf ganz Europa wirken. Auch zum Nutzen aller Deutschen.
Die zwölf Außenminister haben die Aufgabe, Mitte Dezember die Luxemburger Ratsbeschlüsse in Vertragsform zu fassen. Ihre elf Kollegen und Sie, Herr Bundesaußenminister, müssen den Teufel, der ja bekanntlich im Detail steckt, bändigen. Dafür wünschen wir Ihnen Erfolg.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kelly.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Kommentar meinte die „Süddeutsche Zeitung" gestern:
Zu rühmen ist die kaltblütige Ruhe, mit der Europas Oberhäupter auf jene Bombe reagierten, die, nur 70 Meter entfernt, vor ihrem Tagungshauptquartier in Luxemburg explodierte. „Sie ließen sich nicht stören", vermerkt die offizielle Verlautbarung. Es ist ein Satz, der ... von ewiger Wahrheit kündet. Die Staats- und Regierungschefs der EG, wieder einmal angetreten, um den Traum Europa mit neuen Klauseln und Paragraphen zu beflügeln, lassen sich nicht stören — nicht von Bomben ...
Und schon gar nicht von so ernsten sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und agrarpolitischen Problemen. Sie ließen sich nicht stören von 14 Millionen registrierten Arbeitslosen in diesem Europa heute, und sie ließen sich nicht von den neuesten OECD-Prognosen stören, daß 1986 die 20-MillionenMarke überschritten wird. 20 Millionen Arbeitslose, Herr Genscher, in 1986! 20 Millionen Arbeitslose, Herr Genscher, im Jahre 1986! Sie lassen sich nicht stören von den Ursachen von Armut in Europa. Der EG-Kommissar Peter Sutherland nannte es einen Fortschritt — „einen Fortschritt" sagte er —, daß inzwischen keine der EG-Regierungen mehr das Vorhandensein von Armut in ihrem Land bestreite. Das ist Fortschritt in Europa! Doch die EG-Finanzmittel für das neue EG-Armutsprogramm wurden von Bonn und von London von 80 Millionen DM auf 56 Millionen DM gestrichen. Armut, die heute vorwiegend mit alten Menschen, Menschen ohne Wohnsitz, Dauerarbeitslosen, Gastarbeiterfamilien, Alleinerziehenden, politischen Flüchtlingen und Behinderten zu tun hat.
Aber wen kümmert das schon im Europa von oben? Noch vor dem Weihnachtsfest 1985 lassen die EG-Behörden mit deutscher Zustimmung rund 650 t Trockenfeigen vernichten. Das Angebot dieser Früchte vor der Weihnachtszeit soll nach dem Willen der EG-Landwirtschaftsminister begrenzt und der Preis hoch gehalten werden. Auch das ist Europa von oben.
Sie ließen sich auch nicht stören, Herr Kohl, als Ihr Parteikollege, der Europaabgeordnete Herr Alber, am Montag gemeint hat, den EG-Ministerrat könne man gut und gern in „Alliierte Hochkommission für Europa" umbenennen, denn seine sogenannte Gesetzgebung sei undemokratisch. Die Gesetzgebung ausschließlich durch den Ministerrat, so Ihr Kollege, könne fast als Besatzungsrecht bezeichnet werden. Wir stimmen nicht mit den Zielen von Herrn Alber überein, aber für seine Kritik haben wir durchaus Verständnis. Die Oberhäuptlinge Europas haben es in Luxemburg immerhin geschafft, über Verhütungsmittel und einen freien Binnenmarkt zu sprechen, und von diesem Thema führte ein kurzer Weg zu der Frage, wie ein freier Handel mit Pornographie verhindert werden könne. Was die Demokratisierung des Europaparlaments angeht, so meinte gestern Außenminister Genscher im Auswärtigen Ausschuß: Das letzte Wort habe weiterhin der EG-Ministerrat, in letzter Instanz entscheiden die EG-Minister.
So kann es eigentlich nicht mehr weitergehen. Und das wird Demokratisierung des Europaparla-
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ments genannt. Diese Art von Europapolitik ist höchst zynisch und menschenverachtend.
Ein weiteres Beispiel des zynischen Europas von oben ist diese Anzeige von Panavia Aircraft, die ich mitgebracht habe, letzte Woche in der „Zeit" erschienen,
eine Anzeige der Panavia Aircraft zum Thema 800 Tornado — Allwetterkampfflugzeuge, die sie hergestellt hat. „Ein Erfolg Europas", so die Überschrift dieser Anzeige letzte Woche und auch diese Woche. Daraus nur ein Zitat:
Panavia, ein funktionierendes europäisches Instrumentarium, seit 16 Jahren ein verläßlicher und fähiger Partner der NATO-Luftstreitkräfte. Deshalb
— so in dieser Anzeige —
haben sich auch die kochentwickelten
— so heißen sie —
Luftwaffen Omans und Saudi-Arabiens für Panavia entschieden und werden 80 Tornados einsetzen.
Das wird als Erfolg Europas bezeichnet.
Ich glaube, dies geht Hand in Hand mit den Visionen eines Helmut Kohl, der sich nicht ganz so gut ausdrückt, und den Visionen eines Helmut Schmidt, der sich sehr gut und brillant ausdrückt, der aber vieles verschweigt, mit den Visionen eines Herrn Genscher und eines Herrn Strauß: die große Koalition für Europa, an der wir, DIE GRÜNEN, uns nie beteiligen werden.
Diese große Koalition möchte die Eigenständigkeit, die Unabhängigkeit und die Souveränität Europas herbeirüsten und errüsten über den Aufbau einer militärischen und wirtschaftlichen, ausbeuterischen europäischen Supermacht unter französischer Führung.
Herr Schmidt, Sie haben schon vor einem Jahr, am 28. Juni 1984, in diesem Hause davon geträumt, daß Frankreich seine autonome Nuklearmacht auch auf die Abschreckung zugunsten der Bundesrepublik erstrecke. Beide Seiten würden, so sagten Sie damals, Herr Schmidt, Ihre soldatischen Fähigkeiten — die soldatischen Fähigkeiten der Bundesrepublik und Frankreichs, so meinten Sie — und Frankreich würde seine große geschichtliche Militärtradition in die gemeinsame Verteidigung einbringen —
das Konzept eines deutsch-französischen Tandems oder einer deutsch-französischen Militärallianz, von der Sie immer wieder sprechen, welches zur politischen Führung der EG führen soll und später einer Europäischen Union. Und dies, Herr Schmidt, mit einer Regierung, die ein Greenpeace-Schiff mit terroristischer Absicht versenkt hat und damit jemanden umgebracht hat und mit einer skrupellosen, kriminellen Force de frappe, die weiterhin weit weg von Frankreich ihre Atombomben im Pazifik testet, ohne Rück- oder Vorsicht auf Menschenleben und Natur, genau wie die beiden Supermächte, die wir ständig ermahnen und ständig auffordern, zu einem Atomteststopp zu kommen.
Und wo bleibt denn die europäische Moral z. B. in bezug auf Südafrika und Druck auf das Apartheidregime?
Letztes Jahr haben Sie, Herr Schmidt, die rüstungspolitische Zusammenarbeit in Europa hervorgehoben — auch diesmal haben Sie das getan, z. B. bei Transall, bei ESA, bei Alpha-Jet, bei Hot, bei Milan, bei Roland —, um darin den Weg zur politischen Eigenständigkeit Europas zu beschreiben. Diesen Weg werden aber ganz viele soziale Bewegungen in diesem Europa nicht mitmachen.
Was in der WEU zur Zeit vorgeht, vorprogrammiert wird, zeigt ganz deutlich, daß man das Europa der Rüstungsindustrie und der Militaristen eben auch ohne die Quertreiber und ohne die Querulanten, die Iren, die Griechen und die Dänen, vorantreiben kann. Wenn es nicht in der EG geht, dann innerhalb der WEU, dem militärischen Arm der Europäischen Gemeinschaft. Der Luxemburger Gipfel und seine Aussagen dazu bestärken uns in dieser Annahme.
Die Karten müssen offen auf den Tisch. Wie steht es eigentlich mit der festgelegten Beistandsverpflichtung im Rahmen des WEU-Vertrages? In der WEU-Empfehlung vor einem Jahr regte die WEU-Versammlung an, daß WEU-Mitglieder bei Entwicklungen außerhalb des NATO-Gebiets, die die lebenswichtigen Interessen der WEU-Staaten berühren, Streitkräfte in diese Krisenregionen verlegen sollten. Wir wissen, daß der WEU-Vertrag keine geographische Begrenzung des Aufgabenbereichs enthält. Trägt auch Helmut Schmidt diese Vision mit?
Auch im EG-Rahmen werden Überlegungen über eine gemeinsame Militärpolitik vis-à-vis der Dritten Welt angestellt. Vorschläge für EG-Friedens- und Eingreiftruppen zur Sicherung unserer Rohstoffund Energieversorgung aus der Dritten Welt und für die Sicherung der Seewege durch gemeinsame Missionen der militärischen Flotten der EG-Mitgliedstaaten deuten darauf hin, daß sich die EG eigenständige militärische Interventionskapazitäten zulegen will. Dabei darf die indirekte militärische Durchdringung der Staaten der Dritten Welt über europäische Rüstungslieferungen nicht vergessen werden. Und Ankara bietet zur Zeit Übungsplätze in Anatolien für unsere Tiefflieger als Gegenleistung für den Leo II an; auch das ist Europa.
Weitere Bausteine für eine Super- und Atomstreitmacht Europa sind die europäischen Raumfahrt- und Atomindustrien, militärische Projekte auf sogenannter ziviler Grundlage. Dies fängt bei Plänen für eine bemannte europäische Raumstation an und führt über zivile Ergebnisse von Eureka, die für SDI militärisch genutzt werden können, und das verbindende Zwischenglied ist die Europäische Verteidigungsinitiative, bei der es um Antiraketen und Spionagesatelliten geht und die sich ge-
13782 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Frau Kelly
rade Herr Wörner seit einigen Tagen herbeisehnt. Und in der WEU plant man tüchtig die Eroberung des Weltraums auch unter militärischen Gesichtspunkten.
Bei der Nukleartechnologie in Europa, Herr Schmidt, wird deutlich, daß die sogenannte zivile Atomindustrie die technologische Basis für militärische Nuklearvorhaben bildet, z. B. — und damit komme ich zum Schluß — über den französischen Schnellen Brüter Super-Phénix, an dem RWE beteiligt ist und der eindeutig französischen militärischen Interessen dient.
Was als neue europäische Identität verkauft wird, ist nicht Europäisierung der Sicherheitspolitik, sondern es ist in Wirklichkeit eine neue Arbeitsteilung zwischen Amerika und Europa. Wir sollen die USA dabei in ihrer globalen Polizeirolle unterstützen und in Europa entlasten. Und so bleiben wir in die Globalstrategie der Amerikaner eingebunden, verstärken den Druck auf den Ostblock und werden langsam, aber sicher eine dritte militärische nukleare Supermacht mit eigenen nuklearen Optionen. Ich glaube nicht, daß das der Wunsch einer solchen Großen Koalition ist — oder vielleicht doch?
Zum Schluß noch ein Satz von Frau Helga Wex, der auch aus einer Rede eines SPD-Mitglieds sein könnte:
Voraussetzung für eine atomare europäische Verteidigung durch die Europäer selbst wäre eine Europäische Union mit einer zentralen Regierung mit Zuständigkeiten für Außen- und Sicherheitspolitik.
Diesen Weg tragen wir niemals mit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, wir haben uns wirklich sehr gefreut, daß Sie im Deutschen Bundestag wieder einmal das Wort zu wichtigen Fragen der deutschen Politik und der Weltpolitik ergriffen haben. Wir hatten dabei den Vorteil, auch ganz umsonst zuhören zu dürfen.
In Ihrer Rede gab es schöne Passagen. Allerdings muß ich sagen, daß wir uns in der Vergangenheit von Ihnen ähnliche Beiträge gewünscht hätten, z. B. zum NATO-Doppelbeschluß und zur Haltung Ihrer Partei zu dieser Politik, die ja Ihre Politik war und die auch unsere noch ist. Ein paar deutliche Worte hätten uns schon genutzt. Nachdem Sie sich nun entschlossen haben, wieder häufiger im Deutschen Bundestag zu reden, freuen wir uns jetzt schon auf Ihre Beiträge erstens zum Verhältnis der SPD zur Atlantischen Allianz, insbesondere zu den USA — viele Ihrer Worte waren ja in Ihre eigene Partei hinein gesprochen —, zweitens zur Wirtschafts- und Finanzpolitik in diesem Staate und drittens zu dem Konjunkturprogramm der SPD. Wir versprechen Ihnen schon heute, Herr Kollege Schmidt, Ihren Worten aufmerksam zu lauschen und Ihren Ausführungen Beifall zu zollen.
Selten hat es in den Medien über einen Europagipfel so unterschiedliche Berichte gegeben wie über die Luxemburger Konferenz. Es ist vom Scheitern die Rede, von einer Konferenz ohne jegliche Ergebnisse und auf der anderen Seite von einem Durchbruch und von dem Aufstoßen eines Tores. Wie so oft liegt die Wahrheit auch hier in der Mitte. Die Konferenz hat Ergebnisse gebracht. Es gab drei Schritte nach vorn. Es wurde das im Augenblick Machbare erreicht.
Aber eines ist unbestritten und ganz sicher: Ohne die Kompromißbereitschaft und die flexible Haltung der Bundesregierung wäre Luxemburg ein Fehlschlag geblieben. Die FDP-Fraktion dankt Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher ausdrücklich für ihre erfolgreiche Verhandlungsführung.
Darüber hinaus hofft die FDP, daß die offen gebliebenen Fragen noch in diesem Jahr einvernehmlich gelöst werden. Die FDP steht uneingeschränkt hinter Außenminister Genscher, der die Last der Verantwortung auf der Ratssitzung am 16./17. Dezember 1985 zu tragen hat.
Es hat sich wieder einmal gezeigt, daß für einen Fortschritt in Europa eine deutsch-französische Initiative unerläßlich ist. Die Bundesrepublik und Frankreich hatten ausgehandelt, daß Frankreich seine Kapitalverkehrskontrollen abbaut, bevor es zu einer deutschen Beteiligung an einer Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems kommt. Damit war klar, daß der zweite Schritt — ich glaube auch nicht, Herr Schmidt, daß Sie das anders gemeint haben —, nämlich die Währungsunion, nicht vor dem ersten Schritt, nämlich der Anpassung der Wirtschafts-, der Konjunktur- und der Steuerpolitik, gemacht werden kann.
Kommissionspräsident Jacques Delors hatte sich bekanntlich für den umgekehrten Weg ausgesprochen, also zuerst die europäische Währungspolitik zu harmonisieren.
Das auf solchen Konferenzen übliche Geben und Nehmen wurde erst ermöglicht, als die Bundesregierung in der Währungsfrage einlenkte, ohne dabei die wichtigsten Aspekte der deutschen Position preiszugeben. Im Vertrag wird nun die Konvergenz der Wirtschafts- und Währungspolitik als notwendige Voraussetzung für eine europäische Währung definiert. Die Autonomie der Deutschen Bundesbank bleibt unangetastet. Die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank ist für uns der Schlüssel für eine erfolgreiche und stabile Währungspolitik. So gesehen bleibt die EG-Währungsunion ein fernes Ziel. Hier hätte ich mir in der Vergangenheit schon etwas mehr Flexibilität seitens der Bundesregierung gewünscht.
Warum soll es eigentlich nicht möglich sein, eine private Verwendung der europäischen Währung, nämlich des ECU, in der Bundesrepublik zuzulassen? Dadurch würde die für wichtig gehaltene Autonomie der Bundesbank sicher nicht angetastet.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13783
Dr. Rumpf
Ein anderes Gebiet sind die vielen Normen und DIN-Vorschriften im deutschen Wirtschaftssystem, die einer Harmonisierung der Märkte entgegenstehen. In diesem Zusammenhang sehen wir Freien Demokraten in dem von uns vorgeschlagenen großen Steuerreformpaket einen echten Schritt in Richtung Harmonisierung der europäischen Steuersysteme. Unter anderem ist ja vorgesehen die Vermögensteuer und die Gewerbesteuer — Steuerarten, die es in anderen Ländern in dieser Form nicht gibt — abzuschaffen. Bei den Verbrauchsteuern wie z. B. der Mehrwertsteuer hätten wir uns den Nachbarländern anzupassen. Ich bin schon jetzt auf die Diskussion in diesem Hause gespannt — wenn es einmal so weit ist — über die Steuerreformpakete.
Wir Freien Demokraten sehen in dieser Steuerreform jedenfalls einen Schritt zur Angleichung nationaler Vorschriften, zu einem Markt ohne Binnengrenzen in Europa, wie ihn der Vertrag von Luxemburg j a vorsieht und wie er bis 1992 erreicht werden soll.
Beim freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital wird das Prinzip der Einstimmigkeit in einigen Bereichen zugunsten einer qualifizierten Mehrheit aufgelockert. Wir sehen darin Mut zum Risiko. Es ist in unseren Augen die zweite wichtige Vertragsänderung. Allerdings bleibt diese Ausweitung nach dem Gipfelkompromiß wegen der Ängste nationaler Bürokratien und Interessengruppen ein schmaler Pfad.
Herr Schmidt, Sie haben bedauert, daß die Eisenbahnsysteme nicht besser angeglichen sind. Ich frage mich vor diesem Hintergrund, was Sie zu der Ankündigung von Ministern von Bundesländern, in ihren Ländern eine Beschränkung auf 100 km/h einzuführen, sagen. Das wäre erst recht ein Weg zurück in den Partikularismus.
Wir warten mit Interesse, ob die Regierungschefs den Willen und die Macht besitzen werden, ihre Ministerialbürokratien und Interessengruppen in ihre Schranken zu weisen. Die Fleißarbeit wäre auch umsonst, wenn in Zukunft noch einmal ein größerer Mitgliedstaat auf das Vetorecht pocht.
Damit komme ich ganz zufällig zur Agrarpolitik. Die europäische Agrarpolitik und vor allem die deutsche Landwirtschaft leiden doch nicht deshalb, meine Damen und Herren, weil es zuviel Europa gibt, sondern — ganz im Gegenteil — weil es zuwenig davon gibt. Hätten wir den einheitlichen Binnenmarkt und die Harmonisierung aller Steuer-, Währungs- und auch Wirtschaftssysteme, dann ginge es der deutschen Landwirtschaft sicher besser. Denn dann würden auf den Märkten nur noch Qualitäten entscheiden und nicht offene oder versteckte Subventionen. Der Landwirtschaft macht die lange Übergangszeit ohne echten Wettbewerb zu schaffen. Die Freien Demokraten sehen in Luxemburg deshalb auch einen wichtigen Schritt zur Verbesserung dieser Situation.
Es bleibt zum Schluß ein Wort zur Stärkung des Europaparlaments zu sagen. Hier ist wirklich am wenigsten erreicht worden. Bei der Rechtsetzung der Gemeinschaft wird das Europäische Parlament auch in Zukunft keine Befugnisse haben. Es gibt lediglich eine beschränkte Mitwirkung. Die Vorschläge des Parlaments müssen vom Ministerrat zur Kenntnis genommen werden. Er kann sie billigen, oder er muß sie zurückweisen. Einfach in den Papierkorb werfen kann er sie nicht mehr. Zum mindesten muß dem Europaparlament so etwas wie eine konkurrierende Gesetzgebung oder eine Mitentscheidung eingeräumt werden. Wir Freien Demokraten haben deshalb durchaus Verständnis für die italienische Haltung, den Luxemburger Vertrag nur dann zu ratifizieren, wenn das Europaparlament das Kompromißpaket insgesamt gebilligt hat. Aber wir halten dieses Vorgehen für unpolitisch. Sollten die frustrierten Europaparlamentarier der Versuchung verfallen, das im ganzen unbefriedigende Ergebnis zu verwerfen, dann sind damit auch die kleinen, aber wichtigen Fortschritte zunichte gemacht, besonders auf dem Gebiet des Umweltschutzes und in der technologischen Zusammenarbeit.
Vor wenigen Tagen, meine Damen und Herren, am 27. November, sagten Sie, Herr Bundeskanzler, in einer Rede vor der Cambridge Union Society und der Cambridge University Conservative Association, daß die nationalen Identitäten dann am besten gewahrt werden können, wenn unsere Politik in gemeinsame Strukturen verwirklicht wird. Daraus ergäben sich dann auch neue politische Spielräume. Wörtlich haben Sie fortgefahren:
Dafür müssen wir aber auch von dem einen oder anderen, tief im nationalen Bewußtsein verwurzelten Denkmuster Abschied nehmen.
Dieser Satz, vor einer englischen Zuhörerschaft gesagt, bezieht sich auf uns alle, selbstverständlich auch auf uns Deutsche.
Die kritischen Untertöne meiner Ausführungen sollen die Bundesregierung nicht entmutigen, sondern anspornen auf ihrem Weg, konsequent und noch nachdrücklicher weiterzugehen. Große europäische Taten können deshalb nicht zustande kommen, weil den Regierungen keine ungeduldigen oder engagierten Wähler im Nacken sitzen. Zum Handeln schwingen sich die Regierungen nur dann auf, wenn innenpolitischer Druck wächst. Den Rükkenwind und den Druck müssen die Parteien und Fraktionen des Hauses hier insgesamt ausüben. Wir wollen dies im Interesse Europas tun.
Danke schön.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen.
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Ja, das ist eine starke Fraktion hier im Hause. Täuschen Sie sich da nicht!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, daß es ermutigend ist, daß der Bundeskanzler und der Kollege Schmidt in der Überzeugung übereinstimmten, daß unsere europäische Verantwortung über die Grenzen der Europäischen Gemeinschaft hinausreicht, d. h. daß wir unsere Verantwortung als eine Verantwortung in ganz Europa und für ganz Europa begreifen und daß die konkrete Aufgabe lautet, das demokratisch organisierte Europa handlungsfähiger zu machen.
Dieser geschichtliche Zusammenhang muß uns immer vor Augen stehen, und wir fühlen ja, daß unabhängig von den Systemen das europäische Bewußtsein stärker wird, ja, daß man schon von einem europäischen Patriotismus sprechen kann, der die Menschen — wiederum unabhängig von den Systemen — stärker und stärker ergreift.
In Luxemburg ging es darum, unsere Europäische Gemeinschaft in ihrer Entscheidungsfähigkeit zu stärken, jene Blockaden zu überwinden, die sich an das Einstimmigkeitsprinzip knüpften und die es in der Vergangenheit z. B. unmöglich machten, einen Binnenmarkt tatsächlich herzustellen. Wir mußten dort die Vorkämpfer dieses Binnenmarktes sein; denn ohne einen freien Markt in der Europäischen Gemeinschaft ist weder eine technologische Entwicklung möglich, noch können sich die Marktkräfte von über 300 Millionen Menschen auswirken.
Deshalb ist es ein erheblicher Fortschritt, daß wir bei den Mehrheitsentscheidungen signifikant vorangekommen sind. Dann, wenn wir uns selbst den Mehrheitsentscheidungen unterworfen haben, mußte auch klar sein, daß diese Mehrheitsentscheidungen nicht zurückführen dürfen, sondern daß sich Europa als Fortschrittsgemeinschaft bestätigen muß. Wenn wir also Entscheidungen im Bereich der beruflichen Sicherheit, des Arbeitsschutzes, des Umweltschutzes oder der Gesundheit der Mehrheitsentscheidung unterwerfen, muß klar sein: Es darf keine Mehrheiten zurück geben können, sondern es muß eine Harmonisierung nach vorn, nach oben, ausgerichtet auf die höchsten Standards, stattfinden.
Das haben wir sichergestellt. Das war keine einfache Sache, denn da werden, wie wir ja aus dem Bereich des Umweltschutzes wissen, von vielen unserer Partner erhebliche Schritte erwartet.
Auch die technologische Bewußtwerdung in Europa, die technologische Stärkung Europas, eine unabdingbare Voraussetzung seiner wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit, setzt voraus, daß über die EUREKA-Initiative hinaus die Technologiegemeinschaft gebildet wird. Diese verlangt eine Aufhebung der durch unterschiedliche Normen hervorgerufenen Hindernisse. Sie verlangt in der Tat eine Aufhebung auch des Egoismus bei der nationalen Auftragsvergabe; aber das funktioniert nun wirklich nur, wenn es von allen Staaten gleichzeitig praktiziert wird. Sie verlangt schließlich die Möglichkeit der Bildung europäischer Gesellschaften.
Es ist hier die Frage aufgeworfen worden, ob in der Währungspolitik die Staats- und Regierungschefs mutig genug waren, ob sie bereit waren, weit genug zu gehen, oder ob hier Zaghaftigkeit das Handeln diktierte. Wir sind der Meinung, daß die Aufnahme des Zieles der Währungsunion in die Gemeinschaft den vertraglichen Zielen unserer Gemeinschaft zum erstenmal ausdrücklich die währungspolitische Dimension eröffnet hat. Das ist eine wichtige Zielrichtung.
Aber der Vertragsinhalt bringt so, wie wir ihn vereinbart haben, auch eine wichtige Entscheidung in Richtung der Auffassungen der Bundesregierung. Es ist nämlich die Frage, ob die Währungsunion am Anfang steht und ob man von ihr geradezu automatisch die Konvergenz von Wirtschafts-und Finanzpolitik erwarten kann, entschieden worden. Es ist die Notwendigkeit der Herstellung der wirtschaftlichen und der finanzpolitischen Konvergenz dafür, das Ziel der Währungsunion erreichen zu können, in den Vertrag aufgenommen worden.
Das ist eine wichtige, im Interesse auch unserer Stabilitätspolitik bedeutsame Entscheidung. Sie wird uns jetzt die Möglichkeit geben, über die Wirkungen des Europäischen Währungssystems hinaus nachhaltig dafür einzutreten, daß wir bei dieser Konvergenz materielle Fortschritte machen. Hier ist ein qualitativer Sprung erreicht worden, weil eine lähmende Diskussion durch Vertragsänderung in der nach unserer Meinung richtigen Weise entschieden wurde. Das Europäische Währungssystem — das werden auch seine Skeptiker zugeben — hat ohne Zweifel eine disziplinierende, in Richtung auf eine stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik sich auswirkende Funktion; darüber gibt es keinen Zweifel.
Aber ohne eine Konvergenz der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist das EWS an die Grenze seiner Wirkungsmöglichkeiten gestoßen.
Deshalb war es so wichtig, daß wir dieses Ziel in unseren Vertrag aufgenommen haben. Das war keine einfache Sache. Es heißt hier:
Um die für die Weiterentwicklung der Gemeinschaft erforderliche Konvergenz der Wirtschafts- und Währungspolitik zu sichern, arbeiten die Mitgliedstaaten gemäß den Zielen des Artikels 104 zusammen. Sie berücksichtigen dabei die Erfahrungen, die bei der Zusammenarbeit im Rahmen des Europäischen Währungssystems und mit der ECU gesammelt worden sind, und respektieren die bestehenden Zuständigkeiten.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13785
Bundesminister Genscher
In der Tat, sie respektieren die bestehenden Zuständigkeiten. Dazu gehört auch die Unabhängigkeit unserer Notenbank. Diese Unabhängigkeit müssen wir wahren, solange es nicht eine ebenso unabhängige europäische Notenbank gibt, die es nicht geben kann, bevor wir die Konvergenz der Wirtschafts- und Finanzpolitik hergestellt haben.
Die Zeichen sind in die richtige Richtung gesetzt. Hier ist ein neuer dynamischer Faktor in die Gemeinschaft hineingetragen worden, ein dynamischer Faktor, der nun ausgefüllt werden will. Es hat sich gezeigt, daß auch bei dieser Frage wiederum eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit notwendig war, um dieses Ziel erreichen zu können. Wir haben das aber auch in Absprache mit den anderen wichtigen Ländern getan in dem Bewußtsein, daß Frankreich und Deutschland die Impulse geben können und müssen, daß aber die Mitarbeit der anderen unerläßlich ist, wenn wir vorankommen wollen.
Meine Damen und Herren, dieses Vorankommen wird sich jetzt auch in den Impulsen für die technologische Zusammenarbeit erweisen müssen, wenn die Herstellung des größeren europäischen Marktes dafür den Rahmen eröffnet.
Das Parlament hätte nach unserer Auffassung noch mehr Mitwirkungsmöglichkeiten erhalten sollen. Hier sind wir an Grenzen gestoßen, die andere gesetzt haben, auf denen Mitwirkung wir angewiesen sind. Wir sind hier an Grenzen gestoßen, die andere gesetzt haben, die aus einer anderen Tradition ihres eigenen Parlamentsverständnisses, aus einer längeren Geschichte größere Schwierigkeiten als wir haben, auch Kompetenzen an das Europäische Parlament abzugeben. Wir hoffen, daß man aus Italien den Vorbehalt zurückzieht; denn es wäre falsch, das jetzt Erreichte aufs Spiel setzen zu wollen.
Die Frage der außenpolitischen Zusammenarbeit ist ebenfalls in einem qualitativen Schritt neu beantwortet worden. Die Frage der außenpolitischen Zusammenarbeit ist in Richtung auf eine europäische Außenpolitik entschieden worden. Meine Damen und Herren, ich denke noch genau zurück an die zaghaften Versuche, sich in der europäischen politischen Zusammenarbeit zu organisieren, an die Weigerung, von einer europäischen Außenpolitik zu sprechen, was von vornherein der Zusammenarbeit Grenzen auferlegt. Jetzt haben wir uns darauf verständigt, daß es eine europäische Zusammenarbeit in der Außenpolitik geben wird. Eine europäische Außenpolitik zu schaffen, ist das Ziel, das wir uns gesetzt haben.
Ich bin froh darüber, daß hier die Sicherheitspolitik einbezogen ist. Ich würde noch glücklicher über den Entwurf sein, wenn er die Sicherheitspolitik in allen Aspekten einbezogen hätte. Meine sehr verehrten Damen und Herren, kann es denn angehen, daß es in Europa Stimmen gibt, die sich über Ungleichgewichtigkeit zwischen Europa einerseits und den Vereinigten Staaten andererseits beklagen, wenn wir aber gleichzeitig selbst nicht in der Lage sind, in den entscheidenden Sicherheitsfragen unsere eigenen Interessen zu identifizieren?
Deshalb ist es so bedeutsam, daß wir wenigstens die wichtigsten Aspekte — wenn auch nicht die militärischen — der Sicherheitspolitik einbezogen haben.
Der Kollege Schmidt hat zu Recht auf die unterschiedlichen Interessenlagen hingewiesen. Es ist wahr, daß Portugal sicherheitspolitische Fragen aus seiner geographischen Lage heraus anders beurteilen und in der Wertigkeit sehen muß als die Bundesrepublik. Aber ist das wirklich ein Argument gegen eine europäische Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik? Ist es nicht vielmehr ein Argument für eine gemeinsame Gestaltung der Sicherheitspolitik, nämlich daß unterschiedliche Wertigkeiten dahin geführt werden, daß gleichgerichtetes Handeln schwerpunktmäßig erzielt wird? Das muß doch unser Ziel sein.
Deshalb glaube ich, daß es richtig und notwendig war, daß wir die Sicherheitspolitik einbeziehen. Auch hier wieder wird eine besondere Verantwortung bei Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland liegen. Da kann man keinen Zweifel daran haben, daß in diesen wichtigen Fragen der Schulterschluß zwischen dieser Bundesregierung und der französischen Regierung sehr eng ist. Das wird sogar derjenige bestätigen, der in Fragen des NATO-Doppelbeschlusses anderer Meinung war als die Regierungsmehrheit.
Als der französische Präsident hier Anfang 1983 in einer vitalen sicherheitspolitischen Frage, für Frankreich, das selbst am NATO-Doppelbeschluß nicht teilnahm, seine Unterstützung erklärte, war das für mich ein Akt sicherheitspolitischer Solidarität in Europa.
Das erfordert eine Antwort im weiteren sicherheitspolitischen Handeln. Was jetzt in den Konsultationen zwischen den Außen- und Verteidigungsministern Frankreichs und der Bundesrepublik geschieht, ist ja das Suchen nach dieser gemeinsamen Antwort.
Aber es wäre zu wenig, wenn wir diese Zusammenarbeit mit dem sicherheitspolitischen Aspekt auf Frankreich und Deutschland beschränkten. Das gehört auch in die Europäische Gemeinschaft hinein. Man kann heute ja gar nicht mehr Außen- und Sicherheitspolitik voneinander trennen; es sei denn, man wollte Sicherheitspolitik nur als etwas rein Militärisches verstehen. In Wahrheit sind wir doch alle der Meinung, daß die Rüstungskontrollpolitik ein integraler Bestandteil unserer Sicherheitspolitik ist.
Deshalb ist es so notwendig, daß wir über diese Aspekte auch in der Europäischen Gemeinschaft sprechen. Da ist diese Europäische Gemeinschaft, wie ihr Auftreten in der Abrüstungskonferenz in Stockholm, wie das Auftreten bei der KSZE zeigt, doch längst auch in den sicherheitspolitischen Fragen zu einem handlungsfähigen Faktor geworden.
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Bundesminister Genscher
Aber das muß weiter ausgebaut werden. Aus Koordinierung muß gemeinsame Politik werden. Das ist das Ziel dieses Teils des Vertrages. Hier wiederum kommt der deutsch-französischen Zusammenarbeit eine besondere Funktion zu. Das hat doch diesen Gipfel in der Vorbereitung und beim Ablauf maßgeblich bestimmt.
Ich kann mich noch genau an jene Stimmen erinnern, die vor Mailand gesagt haben: Es wird nicht zu einer Regierungskonferenz kommen. Als wir von Mailand zurückkamen, wurde gesagt: Aber die und die und die werden an der Regierungskonferenz nicht teilnehmen. Dann nahmen sie teil. Dann wurde gesagt: Sie werden teilnehmen, aber sie werden nicht mitarbeiten. Dann haben sie mitgearbeitet.
Heute haben wir in der Tat italienische Vorbehalte und einen allgemeinen dänischen Vorbehalt, der sich aus der dortigen Mehrheitslage im Parlament erklärt. Beide Vorbehalte gehen in die entgegengesetzte Richtung: die Italiener wollen weitergehen, die Dänen wollen nicht so weit gehen. Ich will hoffen, daß sich beide Vorbehalte gegeneinander aufheben werden. Wer wollte nach der Zustimmung von 10 Regierungen eigentlich das Scheitern dieses wirklich entscheidenden Schrittes auf seine eigene Verantwortung nehmen? Das ist die Frage, die sich jetzt jeder stellen muß, der dann zur Ratifizierung dieses Vertrages zu schreiten hat.
Für uns sind die Ziele dabei ganz klar: die Hinarbeit auf eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die Nutzung der Kräfte des größeren europäischen Marktes durch einen europäischen Binnenmarkt, die Nutzung der Möglichkeiten der Konvergenz der Wirtschafts- und Finanzpolitik und der Währungspolitik, um Europa zu einer Stabilitätsgemeinschaft zu machen, wie wir es schon erreicht haben. Sie, Frau Kollegin Kelly, haben gesagt, die Regierungschefs hätten sich nicht um die Arbeitslosen gekümmert. Wir sind dorthin gegangen, um durch die Stärkung der Wirtschaftskraft unseres Europas dazu beizutragen, daß in ganz Europa Fortschritte bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gemacht werden können, wie sie sich in der Bundesrepublik Deutschland abzeichnen.
Wir hätten da einen Fehler gemacht, wenn wir uns falsche Wirtschaftskonzepte zu eigen gemacht hätten. Wir haben richtig gehandelt, daß wir die Notwendigkeit der Konvergenz der Wirtschafts-und Finanzpolitiken in den Vertrag aufgenommen haben. Da begreifen wir die Sicherung der technologischen Führungsposition Europas als einen Akt europäischer Selbstbehauptung.
Damit komme ich zum Eingang zurück: Wir als Europäer haben unsere Kräfte wirtschaftlich und politisch zu stärken und zusammenzufügen und dort, wo Europa demokratisch handlungsfähig ist, das Höchstmaß an gemeinsamem Handeln und Entscheidungen zu erreichen und damit unser Gewicht als Partner unserer nordamerikanischen Verbündeten zu stärken. Ich bleibe dabei: Nicht die Amerikaner sind im Bündnis zu stark, sondern Europa, solange es nicht ausreichend geeint ist, ist aus eigener Verantwortung zu schwach im Bündnis.
Uns selbst zu stärken, das ist europäische Verantwortung.
Wenn wir beides tun, nämlich das demokratische Europa in allen Bereichen handlungsfähig zu machen und zu einem wirklich gleichberechtigten Partner der Amerikaner aus eigener Kraft zu werden, können wir auch jene Verantwortung erfüllen, die uns als Europäer in ganz Europa und für ganz Europa aufgetragen ist. Das meine ich, wenn ich von einem wachsenden europäischen Patriotismus spreche, in dem sich das einordnet, was wir als Verantwortung und Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen verstehen.
Vielleicht gehört es ja zu den größten Errungenschaften der deutschen Nachkriegspolitik, daß wir verstanden haben, daß wir die nationalen Ziele unseres Volkes nur dann verwirklichen können, wenn wir ihre Verwirklichung in Übereinstimmung mit unseren Nachbarn — mit allen unseren Nachbarn — suchen und nicht gegen sie.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Auhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir GRÜNEN kommen überwiegend aus einer Generation, die durch Reisen und persönliche Kontakte zu Europa ein positives und selbstverständliches Verhältnis hat, aber ohne patriotisches Pathos. Für uns ist daher eine friedliche und solidarische Europäische Gemeinschaft ein positives Ziel.
Warum lehnen wir nun diese gegenwärtige Form der EG und vor allem ihre Weiterentwicklung, worüber in Luxemburg verhandelt worden ist, zu einem vollendeten Binnenmarkt ab? Vollendung des Binnenmarktes heißt: Niederreißen der verbliebenen Wirtschaftsgrenzen, was beinhaltet: Einheitlichkeit der Normen und technischen Vorschriften, Harmonisierung der Steuervorschriften, Verzicht auf Kapitalverkehrskontrollen sowie ein einheitliches Währungssystem.
Womit werden diese tiefen Eingriffe in die nationale Gestaltungsfähigkeit gerechtfertigt? Wenn es nicht nur der pure Höhenrausch ist, Europa zur größten Handelsmacht der Welt zu machen, so ist es die trügerische Hoffnung, durch einen gemeinsamen europäischen Markt das Problem von 19 Millionen Arbeitslosen zu lösen, trügerisch angesichts der deutschen Erfahrung mit einem Superexportrekord und gleichzeitig einem Rekord an Arbeitslosigkeit, die wir trotz dieser wirtschaftlichen Expansion nicht bewältigen können. Ähnlich wie die techno-romantische Flucht in den Weltraum ist das eine Flucht in Wachstum und neue Größenordnungen, die Flucht nämlich vor der schwierigen sozialen
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13787
Auhagen
und ökonomischen Gestaltungsaufgabe vor Ort, Arbeit und Einkommen anders zu verteilen und die sozialen Sicherungssysteme umzubauen.
Die Idee des vollendeten Binnenmarktes mit der Harmonisierung des Steuerrechts verbaut hier Handlungsmöglichkeiten, z. B. die Einführung einer Wertschöpfungssteuer, die Sie, liebe Europa-Euphoriker von der SPD, ja auch fordern. Glauben Sie, daß es leichter werden wird, die Energiesteuer, mit der Sie Arbeit und Umwelt finanzieren wollen, auf EG-Ebene durchzufechten?
Noch bedenklicher ist die Tatsache, daß die Bundesregierung nach dem Katalysator-Desaster des letzten Jahres bereit ist, bei Produktnormen auf ökologisch optimale Standards zu verzichten. Ihnen ist es wohl ganz recht, wenn ökologische Forderungen in Zukunft nicht mehr von Ihnen abgeblockt werden müssen, sondern wenn Sie Ihre Untätigkeit auf EG-Sachzwänge schieben können.
Daß Sie diese Sachzwänge nun für die Zukunft noch ausbauen wollen, soll hier bitteschön zu Protokoll genommen werden.
Warum dieses Nachgeben der Bundesregierung zu Lasten ökologischer Standards? Warum keine Unterstützung für die Abgasforderung Dänemarks in Luxemburg? Warum? — Um den ersehnten freien Binnenmarkt zu bekommen. Sie wollen einen plattgewalzten europäischen Binnenmarkt als Startbahn für großtechnologische Weltmarktkonkurrenz mit Japan und den USA. Dabei böte gerade ein Zusammenschluß wie die EG eine Chance, sich von der wildwüchsigen Weltmarktlogik zu lösen, eines Weltmarktes, in dem nicht mehr nach dem Nutzen für die Menschen gefragt, sondern allein die Frage gestellt wird: Was macht die Konkurrenz? Das müssen wir auch machen.
Eine andere EG, die nicht uniforme Einheitlichkeit vorantreibt, sondern solidarisch die gemeinsamen Kräfte zur regionalen Entfaltung mobilisiert, könnte einen dritten Weg weisen, einen Weg zwischen weltweitem wirtschaftlichem Vernichtungskonkurrenzkampf einerseits und illusorischem nationalem Autarkiestreben andererseits.
Wir wollen ein Europa, das sich nicht bedingungslos der Macht und dem Expansionsstreben großer Konzerne unterwirft. Wir wollen eine Agrarpolitik, die das Bauernlegen stoppt und kleinbäuerliche ökologische Landwirtschaft fordert,
wir wollen eine Regionalpolitik, die regionale Wirtschaftskreisläufe fördert und lokale Entscheidungskompetenzen stärkt. Wir wollen eine Bundesrepublik, die ihrer Verantwortung als Vorreiter für ökologische Reformen und für Arbeitszeitverkürzung
gerecht wird und damit auch Handlungsspielräume für schwache Regionen schafft.
Wir wollen eine Verschärfung der Umweltstandards auf EG-Ebene statt ihrer Aufweichung.
Danke schön.
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch einige Minuten, um auf die Ausführungen des Kollegen Helmut Schmidt zur Wirtschafts- und Währungspolitik und auch auf seine Kritik an der Bundesbank und der Bundesregierung einzugehen.
Ich glaube, die Gründungsväter der Europäischen Gemeinschaft waren auch hier weitblickender als manche, die später kamen; denn es trifft nicht zu, daß sie 1957 die Währungspolitik gleichsam vernachlässigt oder im Vertrag kaum behandelt haben. In den Artikeln 2 und 67 bis 73 finden wir seit 28 Jahren im Vertrag die vorrangigen Aufgaben einer europäischen Währungspolitik. Zu Recht ist schon damals die Liberalisierung des Kapitalmarkts, des Kapitalverkehrs in der Gemeinschaft als entscheidende Voraussetzung dafür beschrieben worden, daß es so etwas wie wirksame europäische Währungspolitik geben kann.
Aber wir müssen feststellen, daß dies in 28 Jahren nicht einmal unter den sechs Gründungsmitgliedern der Gemeinschaft erreicht worden ist. Der Abbau von Kapitalverkehrskontrollen — das ist die Position der Bundesregierung im Einvernehmen mit der Bundesbank, Herr Kollege Schmidt — ist die wichtigste Voraussetzung dafür, daß die von Ihnen zu Recht erwähnte externe Disziplin in der Gemeinschaft wirksam werden kann,
und ist natürlich eine Vorbedingung für einen wirklichen gemeinsamen Markt und, wie man im Europadeutsch sagt, seine monetäre Dimension.
Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Ziel erreicht, die Niederlande und Großbritannien haben es fast erreicht, seit kurzem erfreulicherweise auch Dänemark. Frankreich ist — das ist zu begrüßen — auch durch die Entscheidungen der letzten Tage auf dem Wege, aber es hat noch eine weitere Strecke zurückzulegen. Hier müssen wir arbeiten, und hier bemühen wir uns.
Das europäische Währungssystem ist eine zusätzliche wichtige Vereinbarung von Regierungen und Notenbanken außerhalb des Vertrages. Die Zwischenbilanz — Herr Kollege Genscher hat es schon gesagt — ist positiv; das europäische Währungssystem hat sich in sechs Jahren, aufs Ganze gesehen, bewährt. Aber die Bilanz ist nach meiner bis jetzt dreijährigen Erfahrung auch deshalb positiv, weil der Vollzug sehr weitgehend den Notenbanken überlassen worden ist und in deren geräuschlosen
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
effektiven Zusammenarbeit diese Zone relativer Stabilität Wirklichkeit geworden ist. Insofern sage ich offen, daß ich es für gut gehalten habe, daß die Bundesbank damals vor sechs Jahren gewisse anderslautende Überlegungen und Vorstellungen Ihrer Regierung auch korrigiert hat; das hat sich als richtig erwiesen.
Der Ausbau des Europäischen Währungssystems ist notwendig. Wir stimmen darin, wenn auch mit etwas anderen Prioritäten, überein. Für uns hat die Frage, ob Großbritannien demnächst dem Interventionsverbund beitritt, eine größere Bedeutung, als das in Ihren Prioritäten erkennbar ist. Es ist nicht einzusehen, daß die neben der D-Mark zur Zeit stärkste Währung in der Gemeinschaft diese entscheidende Verpflichtung nicht übernimmt. Von Belgien und Italien wird erwartet, daß sie die damals übergangsweise eingeführten befristeten Sonderregelungen abbauen.
Unsere Forderung an die Kommission ist unverändert, Herr Kollege Schmidt, nämlich zunächst einmal durch eigene Initiativen das der Verwirklichung näherzubringen, was seit 28 Jahren im Hinblick auf die Währungspolitik im Vertrag steht. Wir erwarten von der Kommission — und wir sagen es ihr seit Jahren —, konkrete Vorlagen für den Abbau der Kapitalverkehrskontrollen vorzulegen, natürlich mit angemessenen Übergangsfristen, aber doch mit eindeutigen Vorgaben. Mir scheint bei allem Respekt, den ich teile, auch vor dem von Ihnen hervorgehobenen Präsidenten der Kommission Jacques Delors, den ich als Finanzminister, als Kollegen schätzen gelernt habe, daß eine wichtigere Aufgabe der Kommission, als den Versuch zu machen, eine federführende Rolle in den Fragen der internationalen Währungspolitik oder bei Sanierungsprogrammen für Mittelamerika zu übernehmen, die ist, zunächst einmal das zu tun, was der Vertrag seit 28 Jahren zwingend vorschreibt, jedenfalls durch ihre Initiativen.
Denn solange wir Kapitalverkehrskontrollen haben — —
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja, sehr gerne.
Bitte sehr.
Ich würde gern die Frage stellen, Herr Stoltenberg, ob Sie einräumen würden, daß zur Zeit der Römischen Verträge vor 28 Jahren jedermann von der Existenz des funktionstüchtigen Bretton Woods-Systems mit festen Wechselkursen selbstverständlich ausgegangen ist und auch ausgehen durfte, daß deshalb damals eine Erwähnung der monetären Dimension in den Römischen Verträgen ganz und gar überflüssig war, daß sich aber die Lage seit dem Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse in der Welt und auch in Europa grundlegend geändert hat, so daß in den 70er Jahren — anders als in den 50ern — es dringend erwünscht war, unter den wirtschaftlich zusammenwachsensollenden Partnern der EG einen monetären Gleichlauf herzustellen, es wenigstens zu versuchen, so daß der Vergleich mit 1957 — Messina, Römische Verträge — wegen vollständig veränderter Voraussetzungen zur Sache eigentlich nichts einträgt.
Ich gebe Ihnen darin recht, daß der Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems und der Übergang zu flexiblen Wechselkursen die Bedingungen natürlich erheblich verändert hat. Aber ich möchte hinzufügen, Herr Kollege Schmidt, daß auch unter diesen veränderten Bedingungen erst vor wenigen Jahren Staaten, die der Gemeinschaft relativ kurze Zeit angehören wie Dänemark, es durch eine überzeugende Stabilitätspolitik erreicht haben, die Kapitalverkehrskontrollen abzubauen. Was für Dänemark in drei Jahren möglich war, muß auch für andere, die ich genannt habe, möglich sein, jedenfalls in einer angemessenen Frist.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister? — Bitte schön.
Ich muß es in Frageform kleiden: Wollen Sie mir bitte glauben, daß ich diesem Satz in der Tat zustimme?
Ich bedanke mich für das Einvernehmen. Ich wollte dies nur als eine Priorität in unserem Denken hervorheben, nachdem Sie uns ja zwar freundschaftlich, aber deutlich kritisiert haben. Wenn ich „uns" sage, meine ich sowohl die Graurheindorfer Straße wie auch Frankfurt. So haben Sie das beschrieben.
Ich muß das hier einmal zur Verdeutlichung unserer Prioritäten ganz klar sagen. Denn, Herr Kollege Schmidt, solange wir diese Kapitalverkehrskontrollen in der Gemeinschaft haben — sogar, ich sage es noch einmal, im Bereich der Gründungsmitglieder —, kann der ECU, der eine Währungseinheit ist, heute per definitionem eben noch keine Währung, keine internationale Reservewährung vom Gewicht der Deutschen Mark sein. Die Voraussetzung dafür, daß der ECU später einmal unter gewissen Bedingungen in diese Rolle hineinwachsen kann, ist, daß wir zunächst einmal den Gemeinsamen Markt im Bereich der Währung in der Europäischen Gemeinschaft herstellen. Wie könnte es eigentlich anders sein!
Deswegen drängen wir darauf mit Geduld, mit Beharrlichkeit, mit Verständnis für die Schwierigkeiten anderer, aber doch als einer Priorität der Währungspolitik.
Die offizielle Verwendung der ECU ist mit ausdrücklicher Unterstützung der von Ihnen kritisch angesprochenen Bundesbank in den letzten zwei
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
Jahren erheblich erweitert worden. Wir begrüßen das.
Ich mache kein Hehl aus der Auffassung — ich sage es nicht zum erstenmal —, daß nach den jetzt erreichten positiven Klarstellungen für Grundsatzorientierungen der europäischen Währungspolitik die Frage einer privaten Verwendung der ECU noch einmal geprüft werden sollte. Wir werden darüber als Regierung in eine Erörterung der Argumente mit der Bundesbank eintreten. Aber meine Erfahrungen sind, daß es gut ist, mit dieser bedeutenden, unabhängigen Institution auch zu argumentieren und sie nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus mit öffentlicher Kritik zu überziehen.
Meine Damen und Herren, Währungsunion — Herr Kollege Genscher hat es gesagt, ich brauche es nicht zu wiederholen — steht in einem Zusammenhang mit der Wirtschaftsunion. Nun führt der Streit nicht sehr weit, ob das eine erst vorangehen muß oder das andere. Ich glaube, es steht in einem Prozeß der Wechselwirkung.
Jedenfalls ist eines sicher: Im Wert einer Währung spiegelt sich die wirtschaftliche Bilanz und Vertrauenswürdigkeit jedes Landes und jeder Volkswirtschaft wider. Zunächst einmal muß durch eigene Anstrengung und Zusammenarbeit mit anderen dieses Vertrauen gefestigt werden, wenn eine europäische Währungseinheit — später einmal, wie wir hoffen, eine europäische Währung — wirklich ihr Gewicht in die Waagschale werfen soll. Im übrigen wird das ein wechselseitiger Prozeß sein.
Was nun die Grenzen betrifft, die wir sehen — ich will es hier kurz sagen; Herr Kollege Schmidt, auch dies haben Sie als Finanzminister und als Bundeskanzler gewußt —: Geldwertstabilität ist ein kostbares Gut, und wir möchten die in den letzten Jahren verstärkt wiedergewonnene Stabilität, das Vertrauen in unsere Deutsche Mark auch nicht leicht aufs Spiel setzen. Auch das ist eine Koordinate unseres Systems.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl?
Bitte sehr, Herr Kollege Ertl.
Bitte sehr.
Herr Kollege Stoltenberg, würden Sie mir auch darin zustimmen: Solange es weder Wirtschafts- noch Währungspolitik gibt, kann es keine funktionsfähige Agrarpolitik geben, und damit sind alle Pläne bezüglich einer Reform illusorisch?
Also, Herr Kollege Ertl, ich möchte jetzt nicht wagen, improvisierend auf dieses große neue Thema einzugehen. Aber daß es einen Zusammenhang zwischen einem funktionsfähigen Agrarmarkt und einer stabileren Wirtschafts- und Währungsstruktur gibt, darin stimme ich Ihnen zu.
Lassen Sie mich zum Schluß einen letzten Punkt aufnehmen. Es ist die Frage der weltweiten Verantwortung der EG und ihrer Mitgliedsstaaten. Ich betone hier ausdrücklich — und ich unterstelle, daß das auch in Ihrer Zeit als Bundeskanzler so war —: Alle wesentlichen internationalen Beiträge, die wir und andere weltweit im Währungsfonds, in der Weltbank, in der Fünfer-Gruppe leisten, beruhen auf einer Vorabstimmung in der Europäischen Gemeinschaft. Das verstehen wir unter europäischer Solidarität. Aber es bedeutet nicht, daß wir etwa mit Aussicht auf Erfolg zu dem dramatischen Thema der internationalen Verschuldung nur eine abgegrenzte EG-Position zur Geltung bringen können. Eine Beherrschung und schließliche Lösung der internationalen Schuldenkrise ist nur vorstellbar, wenn die Abstimmung über die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft hinaus in den entscheidenden Punkten auch die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan und andere Industrieländer einbezieht. Das ist per definitionem so.
Und so hat es ja seinen Sinn, daß wir, ausgehend von einer Abstimmung und einer Diskussion in der EG auch als Bundesregierung und Bundesbank im Währungsfonds, in der Weltbank, in der Fünfer-Gruppe unsere Gesichtspunkte vertreten. Ich sage: in Abstimmung mit der Kommission, aber nicht vertreten durch ein Mitglied der Kommission, auch wenn das vielleicht die Vorstellung des einen oder des anderen in Brüssel sein mag. Es geschieht vielmehr auch in Verantwortung der deutschen Regierung, die hier in Ihrer Amtszeit ein großes Gewicht hatte; Sie haben immer Wert darauf gelegt, das sichtbar zu machen. Wir glauben, daß dieses große Gewicht unverändert auch der jetzigen Bundesregierung und der unabhängigen Notenbank zukommt, wenn es um Fragen der Schuldenkrise und des internationalen Wirtschafts- und Währungssystems geht.
Und etwas mehr haben wir doch erreicht als das, was hier gesagt wurde. Die Zeit reicht nicht — ich habe das in der Haushaltsdebatte gesagt —, über die Erklärungen und Absprachen der Fünfer-Gruppe im September oder das zu reden, was wir mit sehr viel Mühe in Seoul ein Stück vorangebracht haben. Nein, diese Zusammenarbeit, bei allen Grenzen und Enttäuschungen, ist erfolgreicher, als von vielen angenommen wird.
Schönen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist vielleicht ganz hilfreich, anläßlich einer solchen Debatte mal in die Protokolle zu schauen, wie es eigentlich 1957 war, als die EWG-Verträge angenommen wurden. Man stellt fest, daß durch alle Fraktionen hindurch Hoffnung und Befürchtung einander die Waage hielten, so wie auch heute wieder. Die
13790 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Frau Dr. Hellwig
Befürchtung, die von den verschiedenen Oppositionsparteien damals geäußert wurde, war die, die kleine Sechsergemeinschaft könnte eine kleine Gemeinschaft bleiben und damit wirtschaftspolitisch und dann später auch gesamtpolitisch zu einer endgültigen Spaltung selbst Westeuropas führen. Man verwandte den Vergleich, wie bei der kleindeutschen Lösung komme es jetzt zu einer kleineuropäischen Lösung, die nie die Chance haben werde, eine echte stabilisierende dritte Kraft zu sein.
Die Hoffnung richtete sich andererseits wieder — es ist klar, daß diese insbesondere von den Vertretern der Regierung geäußert wurde — darauf, daß der in der EG schon angelegte Binnenmarkt spätestens in 15 Jahren vollendet sein würde. Meine Damen und Herren, das war 1957. 1972 hätte er also vollendet sein müssen.
Allerdings hat auch schon damals die Frage — und auf die möchte ich mich heute konzentrieren — eine entscheidende Rolle gespielt, ob es nicht durch die Tatsache, daß es zu einer europäischen Gesetzgebung kommen werde und diese nicht demokratisch kontrolliert sei, zu einer schleichenden Entdemokratisierung durch die Gesetzgebung in Europa kommen werde.
Wie ist es heute, meine Damen und Herren? Da möchte ich die Diskussion einfach wieder einmal zusammenbinden. Wir haben ja in diesem Bundestag auch eine Europa-Kommission. In der Europa-Kommission des Bundestages begleiten wir mit großer Aufmerksamkeit, mit großem Interesse und mit Entschließungen die Arbeit sowohl der Regierungschefs als auch der Regierungskonferenzen, die mehr auf Beamtenebene stattfinden. Wir haben in diesem Jahr verschiedene Entschließungen gefaßt. Unsere übrigens mit den Parteien der Opposition einstimmig getroffenen Entschließungen — die GRÜNEN waren leider nie anwesend — konzentrierten sich immer wieder darauf, dieses demokratische Element zu stärken. Unsere einstimmigen Forderungen gehen dahin, und wir ermuntern hier die Bundesregierung ausdrücklich, dafür zu sorgen, daß das Europäische Parlament als der entscheidende demokratische europäische Faktor genügend Mitbestimmungsbefugnisse bekommt.
Herr Außenminister, ich möchte in dem Zusammenhang den Auftrag, der in unserer letzten Entschließung steht, an Sie weitergeben: Das Europäische Parlament muß mitentscheidend an der Gesetzgebung beteiligt werden. Gegen diesen Grundsatz würde u. a. verstoßen, wenn eine endgültige Entscheidung wegen Untätigkeit des Rates deswegen nicht zustande käme, weil der Rat nicht an vergleichbare Fristen für eine Beschlußfassung gebunden würde wie das Europäische Parlament.
Ich stelle hier mit großem Dank und großer Zuversicht fest — wir hatten in unseren Sitzungen zweimal mit Vertretern der deutschen und der europäischen Beamtenschaft über diese Frage diskutiert —, daß es in dem Entwurf, der uns vorliegt, gelungen ist, nicht nur dem Parlament, sondern auch dem Rat eine Frist für seine Entscheidungen zu setzen. Diese Fristsetzung muß in den Nachverhandlungen, die in den nächsten Wochen und Monaten geführt werden — hoffentlich werden sie noch in diesem Jahr abgeschlossen —, erhalten bleiben; sonst ist die Hoffnung, auf die wir uns alle stützen, nämlich 1992 wirklich einen Binnenmarkt zu haben, zerstört. Die Schritte dorthin, diese vielen, vielen kleinen Schritte, sind nur dann in angemessenem Zeitraum erreichbar, wenn einerseits die qualifizierte Mehrheit hier den Durchbruch schafft und andererseits die Fristsetzung für Rat und Parlament tatsächlich auch dazu führt, daß die entsprechenden Entscheidungen fallen.
Meine Damen und Herren von der SPD-Opposition, ich habe Ihre bisherigen Einlassungen und auch die heutige Rede von Altbundeskanzler Schmidt als vorwärtsweisend verstanden. Sie drükken aus, daß Sie zwar nicht ganz mit dem Erreichten zufrieden sind, aber anerkennen, daß dieses immerhin wesentlich besser als nichts ist, und daß Sie, vorwärtstreibend, wild entschlossen sind, mit uns den Weg in Richtung auf eine Vereinheitlichung des Rechts im europäischen Rahmen voll verantwortlich mitzugehen und die dafür notwendigen Entscheidungen in diesem Bundestag auch mitzutragen. Darauf wird es in den nächsten Jahren bis 1992 entscheidend ankommen.
Ich kündige hier an, ich werde Sie an Ihren guten Willen erinnern, europäische Entscheidungen mitzutragen, denn wir werden nicht unbeträchtlichen Spannungen ausgesetzt sein, wenn eine solche qualifizierte Mehrheitsentscheidung im Rat und im Parlament einmal zu unseren Ungunsten ausgeht. Dann werden wir uns an unseren Europa-Idealismus, und zwar gemeinsam, auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, erinnern und diese Entscheidung tragen müssen. Wir dürfen dann z. B. unsere Regierung nicht auffordern, etwa unter dem Gesichtspunkt, daß unsere nationalen Interessen zu stark berührt seien, alles zu tun, um uns von dieser Entscheidung wieder herunterzubringen. Auch aus diesem Grunde halte ich es für so ungeheuer wichtig, daß es zu Mitverantwortungsrechten des Europäischen Parlaments kommt. Nehmen Sie z. B. die Agrarpolitik. Da muß unser armer Minister Ignaz Kiechle — er sitzt gerade hier — heute allein durch die Bundesrepublik reisen und sich stellvertretend für Europa beschimpfen lassen, und alle Bundestagsabgeordneten — ich nehme unsere gar nicht in Schutz — stellen sich einen Schritt beiseite und geben die Aggressivität an den einzigen europäisch Verantwortlichen, nämlich Ignaz Kiechle, weiter und sagen so ungefähr: Na, hättest du nicht noch härter sein müssen, um hier auf jeden Fall nationale Interessen durchsetzen zu können?
Darum wird es wichtig sein, daß die europäischen Parlamentarier, die solche demokratischen Entscheidungen vollverantwortlich tragen, dann auch vor Ort gehen und sie als legitim gewählte Abgeordnete gegenüber den Bauern oder gegenüber den Unternehmern oder gegenüber den verschiedenen Umweltschützern vertreten, denen zukünftige, europäisch gefundene Umweltlösungen vielleicht nicht weit genug sind und die der Meinung sind, wir hätten hier in diesem deutschen Hasenstall à la GRÜNE bleiben müssen, den Sie ja deutlich ange-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13791
Frau Dr. Hellwig
kündigt haben, indem Sie erklärt haben: Wir bauen hier unser kleines, sauberes Umweltnestchen, ganz, ganz sauber, nicht beschmutzt von nicht so umweltbewußten Franzosen oder Engländern, die den Stand unseres Umweltbewußtseins noch nicht erreicht haben.
In der Hoffnung, daß wir hier zu einem gemeinsamen europäischen Denken kommen und daß diese gemeinsamen europäischen Interessen auch im Europäischen Parlament formuliert werden können, freue ich mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen, meine Kollegen, in der Europa-Kommission.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwörer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da unsere großen Vorredner mir die Hälfte meiner Zeit genommen haben,
beschränke ich mich auf den Binnenmarkt. Dazu möchte ich einige Gedanken vortragen.
Ab 1. Januar 1986 werden 320 Millionen Menschen in diesem großen europäischen Binnenmarkt leben. Für die Wirtschaft der Gemeinschaft ist dies eine Herausforderung, aber auch eine Chance. Auch andere Wirtschaftsmächte werden sich um diesen Markt bemühen. Das sollen sie auch, und zwar möglichst ungehindert.
Die Europäer würden sich ein Armutszeugnis ausstellen, wenn sie sich den Anforderungen dieses großen Wirtschaftsraumes nicht ohne Abschirmung gewachsen fühlten. Das Wichtigste für Europas Wirtschaft ist aber, daß endlich ein einheitlicher europäischer Wirtschaftsraum ohne Hindernisse, ohne neu geschaffene Grenzen zustande kommt. Darum hat die Koalition der Mitte vom ersten Tag an gekämpft. Die CDU/CSU-Fraktion bekräftig heute nochmals diese Ziele:
Erstens. Wir wollen den Abbau aller Grenzkontrollen.
Zweitens. Wir wollen die Beseitigung der technischen Schranken. Ein in der EG rechtmäßig in Verkehr gebrachtes Erzeugnis sollte überall ungehindert verkauft werden können. Dazu gehören die entsprechenden Normen. Die technische EG-Normungsinitiative, die wir in diesem Sommer beraten haben, ist ein echter Fortschritt.
Drittens. Die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungsmarktes ist zwar weitergegangen, ist aber längst noch nicht dort, wo wir sein wollen.
Viertens. Unaufschiebbar ist die Schaffung eines europäischen Kapitalmarktes. Dazu hat der Finanzminister einiges gesagt. Deshalb kann ich mir weitere Ausführungen sparen.
Fünftens. Wir wollen auf der einen Seite Unternehmenskooperationen über die Grenzen hinweg, besonders für mittelständische Unternehmen. Auf der anderen Seite soll verhindert werden, daß Wettbewerbsbeschränkungen durch Marktübermacht von Großfirmen zustande kommen. Es soll eine Fusionskontrolle auch in Europa geschaffen werden. Damit soll wirkungsvoll gegen vertikale Beschränkungen und gegen den Mißbrauch von Marktmacht vorgegangen werden.
Sechstens. Die Beseitigung der Steuerschranken ist das schwierigste Gebiet. Die Steuerharmonisierung hat eine wichtige Funktion, aber wir wissen, daß sie schon deshalb sehr schwierig werden wird, weil sie nur einstimmig herbeigeführt werden kann. Aber zu einem vollständigen Abbau der Grenzkontrollen ist sie unbedingt notwendig.
Alle diese Forderungen hat die Europäische Kommission in ihr Weißbuch aufgenommen. Wir begrüßen diese Vorlage, und wir ermutigen die Bundesregierung, die Umsetzung dieses Papiers in die Wirklichkeit mit Nachdruck zu betreiben. Das Ziel, das Jahr 1992 für die Vollendung des Binnenmarkts, ist ein ehrgeiziges Ziel. Das wissen wir. Aber der Beschluß von Luxemburg mit der Möglichkeit, Bestimmungen zum Binnenmarkt mit qualifizierten Mehrheiten zu beschließen, ist ein echter Fortschritt. Er berechtigt uns zu der Hoffnung, daß es tatsächlich auf diesem Gebiet weitergeht.
Das zähe Ringen und das Ergebnis von Luxemburg zeigen eindrucksvoll die Ernsthaftigkeit, mit der die Staats- und Regierungschefs die EG-Reform betreiben. Die Fortschritte sind zwar nicht so, wie wir sie uns gewünscht hätten, aber sie bedeuten einen Schritt in die richtige Richtung. Deshalb danken wir unserer Bundesregierung und vor allem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl für sein sehr großes persönliches Engagement in dieser Frage.
Für uns Deutsche ist nicht nur wichtig, daß der Gemeinsame Markt nun verwirklicht werden kann. Wichtig ist auch, daß er nicht durch ein Mehr an Protektionismus gegenüber Drittländern und auch nicht durch ein Weniger an währungspolitischer Stabilität im Inneren der EG erkauft wird. Das sind wichtige Voraussetzungen für eine Wachstumspolitik, die sich der Preisstabilität verpflichtet weiß und die durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Wirtschaft und durch Steuerentlastungen für alle Bürger die nötigen Impulse zustande bringen will, um dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen.
Vor allem die junge Generation in Europa darf wieder hoffen. Sie wird es auf diesem Wege am ehesten durch neue, moderne Arbeitsplätze in Europa leichter haben, die erlernten Fähigkeiten nutzbringend für sich und ihre Familien einzusetzen. Das zu erreichen ist das wichtigste Ziel der Europäischen Gemeinschaft.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung, und zwar zunächst über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß
13792 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Vizepräsident Cronenberg
des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 7. Mai 1985 über das System der eigenen Mittel der Gemeinschaften, Drucksache 10/3791. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Nunmehr ist über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Haushaltsausschuß empfiehlt unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4185 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen nunmehr zum Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4434. Wer diesem SPD-Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 5 b, und zwar über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 10/4088. Wer dieser Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Zu den Punkten 5 c bis 5 e der Tagesordnung sowie dem Zusatzpunkt 3 zur Tagesordnung schlägt Ihnen der Ältestenrat die Überweisung der Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu noch andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so beschlossen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4474 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß zur Überweisung und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Forschung und Technologie. — Weitere Vorschläge hierzu werden nicht gemacht. Dann ist auch dies so beschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Punkt 5 f der Tagesordnung, und zwar über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf der Drucksache 10/4383. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu der Fortsetzung der vor der Mittagspause unterbrochenen Abstimmung zu den Punkten 4a und b der Tagesordnung. Ich muß Ihre Geduld einige Zeit in Anspruch nehmen. Es handelt sich um die Entwürfe eines Strafrechtsänderungsgesetzes. Ich bitte die Stimmführer, darauf zu achten, daß dieser etwas komplizierte Abstimmungsvorgang ohne allzu große Schwierigkeiten abgewickelt werden kann.
Der Ausschuß empfiehlt Ihnen zu Punkt 4 a in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4391 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD abzulehnen.
Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung abgelehnt. Nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung entfällt jede weitere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung zu Punkt 4 b der Tagesordnung, und zwar über den- von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf der Drucksache 10/2720.
Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Zu dieser Ausschußfassung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4432 vor. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Dann ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Die Fraktion der SPD und die Fraktion der GRÜNEN verlangen getrennte Abstimmung über die einzelnen Vorschriften.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer der Nr. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Damit ist die Nr. 1 angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 bis 4 in der Ausschußfassung auf. Wer Nr. 2 bis 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Nr. 2 bis 4 sind einstimmig angenommen worden.
Ich rufe Art. 1 Nr. 5 in der Ausschußfassung auf. Wer der Nr. 5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist die Nr. 5 mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 6 in der Ausschußfassung auf. Wer der Nr. 6 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dies mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 7 in der Ausschußfassung auf. Wer der Nr. 7 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dies mit den Stimmen der Koalition angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 8 bis 15 in der Ausschußfassung auf. Wer Nr. 8 bis 15 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Enthaltungen? — Wer stimmt dagegen? — Nr. 8 bis 15 sind gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen worden.
Ich rufe Art. 2 Nr. 01 sowie Nr. 1 bis 3, und zwar bis zum § 454b Abs. 1 in der Ausschußfassung auf. Wer diesen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN sind diese Vorschriften angenommen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13793
Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe nunmehr aus Nr. 3 des Art. 2 den § 454 b Abs. 2 in der Ausschußfassung auf. Wer dieser Vorschrift in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist diese Vorschrift mit den Stimmen der Koalition angenommen worden.
Art. 2 Nr. 01 sowie Nr. 1 bis 3 sind damit angenommen.
Ich rufe Art. 2 Nr. 4 bis 12 in der Ausschußfassung auf. Wer Art. 2 Nr. 4 bis 12 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
- Enthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der
GRÜNEN ist Art. 2 Nr. 4 bis 12 angenommen worden.
Ich rufe die Art. 3 bis 7 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Stimmenthaltung der GRÜNEN sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen worden.
Ich rufe Art. 8 in der Ausschußfassung auf. Wer Art. 8 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen?
— Damit ist Art. 8 mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 9 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke sehr. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die aufgerufene Vorschrift angenommen.
Es bleibt noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit sind auch Einleitung und Überschrift angenommen.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Danke schön. Damit ist der Gesetzentwurf als Ganzer angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit noch nicht am Ende, denn es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen.
Der Rechtsausschuß empfiehlt Ihnen unter Nr. 3 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4391 die Annahme einer Entschließung. Die Fraktion der GRÜNEN verlangt auch hier getrennte Abstimmung, und wir werden uns diesem Prozeß selbstverständlich unterziehen.
Wer der Nr. 3 Ziffer 1 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4391 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist Nr. 3 Ziffer 1 der Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der GRÜNEN angenommen.
Wer der Nr. 3 Ziffer 2 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/4391 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Damit ist Nr. 3 Ziffer 2 der Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.
Somit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses unter Nr. 3 auf Drucksache 10/4391 insgesamt angenommen worden, und wir sind am Ende dieses komplizierten Tagesordnungspunktes.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
— Drucksache 10/3972 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/4282 —
Berichterstatter: Abgeordnete Schlatter Dr. von Wartenberg
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4283 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth Hoppe
Wieczorek
Kleinert
Hierzu liegen ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/4435 und 10/4436 vor.
Nach einer Vereinbarung des Ältestenrates sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Widerspruch im Hause erhebt sich nicht. Ich nehme auch an, daß das Wort zur Berichterstattung nicht gewünscht wird, so daß ich die allgemeine Aussprache eröffnen kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Uldall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim vorliegenden Gesetzentwurf geht es um die Verteilung der Mehrwertsteuer zwischen dem Bund und den Bundesländern. Die Vorlage sieht vor, daß der Anteil des Bundes auf 65% abgesenkt wird und daß die Länder mehr bekommen, und zwar 35%. Diese Verbesserung des Länderanteils bedeutet für die Länder Mehreinnahmen in Höhe von etwa 600 Millionen DM im kommenden Jahr.
Damit haben wir seit Übernahme der Regierung im Jahre 1982 bereits die dritte Verbesserung des Mehrwertsteueranteils der Länder durchgeführt;
insgesamt bedeutet das für die Länder eine Verbesserung in der Größenordnung von 3 Milliarden DM.
13794 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Uldall
Von einer Konsolidierung des Bundes zu Lasten der Länder kann also, wenn man sich diese Zahlen vor Augen hält, überhaupt nicht die Rede sein. Vor allem kann man dann nicht von einer Konsolidierung des Bundes zu Lasten der Länder reden, wenn man bedenkt, daß dem Bund von seinem Anteil an der Mehrwertsteuer ja eben nur ein ständig schmaler werdender Anteil dadurch verbleibt, daß noch die Bundesergänzungszuweisungen abzusetzen sind und die Abführungen an die EG immer weiter steigen.
Überhaupt scheint es mir an der Zeit zu sein, mit der ständig von der SPD aufgegriffenen Behauptung aufzuhören, die Länder seien finanziell benachteiligt. Die SPD-Länder hatten im Bundesrat eine noch weitergehende Forderung gestellt. Sie wollten eine Verbesserung ihres Anteils um weitere 0,5 % erreichen. Deswegen möchte ich einmal die Zahlen nennen, wie sich die Steuereinnahmen im Bund und in den Ländern in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Nach den neuesten Steuerschätzungen jetzt vom November 1985 steigen die Steuereinnahmen des Bundes von 1985 auf 1986 um 2,1 %, die der Länder steigen mehr als doppelt so schnell, nämlich um 4,8 %. Auch absolut steigen die Steuereinnahmen der Länder schneller. Sie steigen nämlich um knapp 8 Milliarden DM, während der Bund seine Einnahmen nur um etwa 4 Milliarden DM erhöhen kann. Das gleiche Bild gab es 1985, als der Bund 5,2 % Mehreinnahmen hatte, die Länder aber 6,4 % hatten. Auch im Vorjahr gab es eine ähnliche positive Entwicklung für die Länder.
Es ist also falsch, zu sagen, daß die Länder durch die Tarifreform benachteiligt würden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Länderfinanzen entwikkeln sich von den Steuereinnahmen her gesehen besser als die Steuereinnahmen des Bundes. Wenn die SPD-Länder dennoch meinen, daß sie die Steuersenkung nicht verkraften können, und deswegen einen noch höheren Mehrwertsteueranteil fordern, so bestätigen sie letztlich ihr eigenes finanzpolitisches Versagen.
So schlecht würde es ja auch um einige SPDLänder gar nicht stehen, wenn diese Länder etwas sorgfältiger auf der Ausgabenseite vorgehen würden. So konnten wir heute in der Zeitung lesen, daß Johannes Rau seinen Ministerpräsidentenetat anheben will, um im Vorwahljahr 1986 finanziell besser ausgestattet zu sein. Sein Etat soll um 15 % oder um 13 Millionen DM im kommenden Jahr steigen. Das heißt, meine Damen und Herren, daß fast 10 % der zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen verbraten werden, um den Ministerpräsidentenetat von Johannes Rau aufzubessern, damit er im Vorwahljahr 1986 entsprechend besser dasteht. Ich halte es für unglaublich, daß man auf der einen Seite nach höheren Zuweisungen bei der Mehrwertsteuer ruft und auf der anderen Seite die wahlkampfbezogene Ausgabensteigerung in einem so überzogenen Maße vornimmt, wie es Johannes Rau in Nordrhein-Westfalen tut.
Eine besonders laute Kampagne in Sachen Länderfinanzausgleich führt zur Zeit der Hamburger
Bürgermeister von Dohnanyi. Ich freue mich, daß der Hamburger Finanzsenator Gobrecht hier ist, den ich deswegen auch besonders ansprechen möchte. Mit der Kampagne des Hamburger Bürgermeisters soll letztlich der Eindruck erweckt werden, als ob Hamburg von allen Finanznöten frei wäre, wenn eben nur der Länderfinanzausgleich anders geregelt würde. Sehen wir uns einmal an, wie die tatsächliche Finanzlage Hamburgs ist und ob eine solche Behauptung überhaupt aufrechtzuerhalten ist. Hamburg nimmt 1986 1,5 Milliarden DM an neuen Krediten auf, um seine Haushaltslücke zu schließen. Ebenfalls 1,5 Milliarden DM benötigt Hamburg, um die laufenden Kredite mit Zinsen zu bedienen. Diese Zahlen verdeutlichen, vor welchen gewaltigen Finanzproblemen die Stadt Hamburg steht und daß in Hamburg von einer Konsolidierung, so wie sie hier beim Bund bereits praktiziert wird, bei weitem noch nicht gesprochen werden kann.
Wenn man sich aber einmal ansieht, was Hamburg in den Länderfinanzausgleich zahlt, nämlich 290 Millionen DM pro Jahr, dann erkennt man, daß das nicht einmal 20 % des Betrages ausmacht, den der Hamburger Senat für neue Kredite aufnimmt.
— Herr Kollege Apel, wer hier der richtige Patriot ist, das werden wir noch einmal feststellen. — Denn keiner, nicht einmal der Hamburger Bürgermeister, geschweige denn ein Fachmann wie Sie, Herr Apel, wird die Auffassung vertreten, daß man bei dem Verfassungsgerichtsstreit in Karlsruhe so gut abschneiden wird, daß Hamburg von Zahlungen in den Länderfinanzausgleich völlig freigestellt wird.
Wenn man die besten Rahmenbedingungen unterstellt, dann könnte Hamburg bestenfalls 70 Millionen DM sparen. Das würde bedeuten, daß gerade 5 % der Finanzprobleme, die sich Hamburg stellen, durch eine Änderung des Länderfinanzausgleichs gelöst würden. 95 % der Probleme, die wir mit den Finanzen in Hamburg haben, würden überhaupt erst gar nicht angepackt. Man lenkt nur von den Problemen ab. Ich meine, es ist unseriös von Bürgermeister von Dohnanyi, nur über ein Randproblem zu sprechen, aber das Hauptproblem zu vernebeln.
Das geschieht nur, um eine Entschuldigung für das Scheitern der Hamburger Finanzpolitik zu konstruieren. Die Devise für Bürgermeister von Dohnanyi muß aber heißen: Nicht entschuldigen, sondern entschulden!
Zugleich setzt sich der Hamburger Senat hinsichtlich seiner Position vor dem Verfassungsgericht einem leichtfertigen Spiel aus. Es wäre klüger, wenn er nicht die Vorteile Hamburgs in der Einwohnerbewertung aufs Spiel setzen würde. Das
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13795
Uldall
Bundesfinanzministerium hat mir noch einmal bestätigt, daß der Vorteil Hamburgs bei der Einwohnerbewertung etwa 900 Millionen DM ausmacht. Hamburg darf diesen Vorteil nicht einfach zur Disposition stellen, sondern muß alles tun, um Verbündete zu suchen, um diese Vorteile Hamburgs im Länderfinanzausgleich zu verteidigen.
— Nein. Vielleicht läßt sich ja auch einmal zusammen etwas machen.
Nur, man darf auf keinen Fall das machen, was Bürgermeister von Dohnanyi macht. Er sucht sich nämlich in der ganzen Bundesrepublik keine Freunde; er verärgert vielmehr die anderen Bundesländer zusätzlich durch einen großen Rundumschlag.
Meine Damen und Herren, dies ist eine leicht durchschaubare Politik des Bürgermeisters, der die hamburgischen Interessen damit aufs allerhöchste gefährdet.
Ich möchte noch einen anderen Aspekt ansprechen. Ich möchte hier darlegen, welche positiven Auswirkungen die Finanzpolitik des Bundes auf die Länder hat. Durch die Konsolidierung der Bundesfinanzen ist es ja gelungen, die Zinsen deutlich zu senken. Seit August 1985 ist der Zinssatz für die öffentlichen Anleihen um 1,5 Prozentpunkte gesunken. Jedes Bundesland spart dadurch Zinsen. Jedes Bundesland mag sich einmal ausrechnen, wieviel die Länder auf Grund der Konsolidierungspolitik des Bundes sparen. Diese Summe wird fast die Größenordnung erreichen, die durch die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Verbesserung der Mehrwertsteuerzuweisung erreicht wird. Für Hamburg allein bedeutet das eine Verbesserung um rund 200 Millionen DM.
Ich kann daher zusammenfassend feststellen, daß die finanzpolitischen Bemühungen der Länder, ihre Haushalte zu konsolidieren, durch die solide Finanzpolitik des Bundes tatkräftige Unterstützung erhalten. Darüber hinaus führt die Finanzpolitik der Bundesregierung zu einer Entlastung des Bürgers. Sie führt zu einer Verringerung der Steuerlast, die wir zu tragen haben. Die Bundesregierung betreibt eine gute Finanzpolitik. Wir werden deswegen alles tun, um die Bundesregierung in ihren Bemühungen auch weiterhin zu unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Spöri.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten, lieben Kolleginnen und Kollegen! Die SPDBundestagsfraktion stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern zu. Das bedeutet jedoch nicht, Herr Kollege Schwörer, daß dieser Gesetzentwurf in jedem Punkt voll unseren Vorstellungen entspräche. Ganz im Gegenteil! Es gibt da eine Menge Probleme. Ich möchte nur drei Punkte herausgreifen.
Die vorgesehene Erhöhung des Länderanteils an der Umsatzsteuer um 0,5 Prozentpunkte ist bestimmt kein angemessener Ausgleich für Länder und Gemeinden angesichts der Steuerausfälle, die sie aus der sogenannten größten Steuerreform aller Zeiten zu erwarten haben. Wir dürfen, wenn wir hier als Bundestagsabgeordnete diskutieren, nicht vergessen, daß die Länder und die Gemeinden durch die Mehrheitsbeschlüsse dieses Hauses in den nächsten Jahren mit 57,5 % der 20 Milliarden DM Steuerausfall belastet werden. Meine Damen und Herren, wenn die Bundesregierung in diesem Gesetzgebungsverfahren wirklich einen angemessenen Ausgleich für Länder und Gemeinden gesucht hätte, hätte sie den Ländern einen zusätzlichen Umsatzsteueranteil von 2,3 % zubilligen müssen anstatt der 0,5 %, die jetzt vorgesehen sind. Wenn gar die Zusage des Herrn Bundeskanzlers an die Bundesländer, Herr Schwörer, eingehalten würde, daß die Länder nur anteilig an 17 Milliarden DM der Steuerausfälle aus der größten Steuerreform aller Zeiten beteiligt werden sollten, müßte der Bund den Ländern in diesem Gesetzgebungsverfahren sogar 3,2 % an zusätzlichem Umsatzsteueranteil zugestehen. Das sind die Fakten.
Warum sage ich das hier? Wenn wir als Bundestagsabgeordnete Gesamtverantwortung für diesen föderalen Bundesstaat tragen und nicht nur mit engem Horizont die Interessen der Bundeskasse vertreten, kann uns das Ergebnis, das hier vorgelegt worden ist, bestimmt nicht glücklich stimmen. Dieses Ergebnis entspricht nicht einem angemessenen Ausgleich für die Steuerausfälle, die die Länder und Gemeinden in den nächsten Jahren zu erwarten haben.
Ein gerechter Ausgleich ist einmütig von den Ländern im Bundesrat durch das Junktim zwischen Steuersenkungsgesetz 1986/88 auf der einen Seite und Finanzausgleich auf der anderen Seite formuliert worden. Was wir jetzt hier haben, fällt weit hinter diese Vorstellungen zurück.
Die Unionsländer haben eben die gemeinsame Front, die sie noch im Bundesrat bezogen hatten, inzwischen verlassen. Leider muß ich sagen, daß die Ministerpräsidenten der Union wieder einmal aus Parteiräson ihre Länderinteressen zuwenig vertreten haben. Sie haben einem faulen Kompromiß zugestimmt, der nicht im Bundesrat, sondern im Konrad-Adenauer-Haus durch Helmut Kohl und Franz Josef Strauß ausgehandelt worden ist. Unabhängig von dem unbefriedigenden Ergebnis, meine Damen und Herren, ist dieser Vorgang bedenklich, allein vom Prozeduralen her gesehen, einfach deswegen, weil er ein weiteres Beispiel dafür ist, wie die Funktion des Bundesrats zunehmend durch Mausche-
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Dr. Spöri
leien auf der Ebene der Parteischiene der CDU und im Konrad-Adenauer-Haus ausgehöhlt wird.
Zweitens dürfen wir bei dieser Diskussion — weil es um den Ausgleich von Steuerausfällen geht — nicht vergessen, meine Damen und Herren von der Union, was eigentlich hier zu 57,5 % zu Lasten der Länder und Gemeinden an Steuerpolitik finanziert werden soll. Diese Frage muß auch hier erlaubt sein.
Diese Steuerpolitik ist so skandalös, Herr Kollege Repnik, daß der Durchschnittsverdiener in den nächsten Jahren per saldo, wenn man die Krankenversicherungsbeitragssteigerung einrechnet, nicht mehr in der Tasche haben wird und die Lohnsteuerbelastung des Durchschnittsarbeitnehmers trotz dieser Steuerentlastung in den nächsten drei Jahren weiter auf einen einmaligen Rekordstand im Jahre 1988 wachsen wird. Das sind die Fakten.
— Deshalb, Herr Kollege Uldall, waren die SPDregierten Länder im Gesetzgebungsverfahren zum Finanzausgleich zu Recht empört über das, was steuerpolitisch mit den knappen Mitteln aus ihren Landeskassen und mit den knappen Mitteln aus den Gemeindekassen gemacht wurde. — Jetzt können Sie fragen, aber kurz und präzise.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Uldall.
Herr Kollege Spöri, würden Sie mir nicht zustimmen, daß die steuerliche Belastung des Durchschnittsverdieners, wie Sie beklagen, noch stärker ansteigen würde, wenn wir diese Steuersenkung, die Sie so beklagen, nicht vornähmen?
Lieber Herr Kollege Uldall, ich gebe Ihnen nachher gerne noch ein Privatissimum, aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Sie haben versäumt, hier zur Kenntnis zu nehmen, daß die SPD-Bundestagsfraktion ein Konzept vorgelegt hat, das Sie hier im Deutschen Bundestag abgelehnt haben, das diese 20 Milliarden DM viel eindeutiger zugunsten der Arbeitnehmer, des Durchschnittsverdieners vergeben hätte, und dann hätten wir diese Steigerung der Lohnsteuerbelastung eben nicht. Diese Steigerung kommt nur dadurch zustande, daß Sie oben, bei über 70 000 DM Jahreseinkommen, bei den Spitzeneinkommensbeziehern, die Hauptentlastung vornehmen. Das ist der Grund dafür.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Uldall?
Ich muß jetzt weitermachen, ich habe nur zehn Minuten Zeit.
Herr Abgeordneter, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich Ihnen das auf die Zeit nicht anrechne.
Wird nicht angerechnet?
Ich habe es Ihnen nicht angerechnet.
Herr Präsident ist heute wieder wohlwollend. Prima!
Herr Spöri, erinnere ich mich falsch, daß Ihre Fraktionskollegin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Frau Anke Fuchs, die heute abend leider nicht hier sein kann, gefordert hatte, 50 % der vorgesehenen Steuersenkung nicht vorzunehmen, und erinnere ich mich falsch, daß der Herr Senator Gobrecht, der dort drüben sitzt, ebenfalls gefordert hatte, auf die Steuersenkung völlig zu verzichten, und daß auch der Ministerpräsident Ihres Fast-Kanzlerkandidaten namens Posser gefordert hatte, auf eine Steuersenkung zu verzichten?
Herr Kollege Uldall, schon wieder eine Verwechselung. Sie müssen die Zeitung richtig lesen. Es war so: Die Kollegen, der Kollege Gobrecht,
heute der Finanzsenator von Hamburg, der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Posser, und die Kollegin Fuchs, haben alle unserem alternativen Steuerentlastungskonzept im Umfang von 20 Milliarden DM in diesem Haus zugestimmt. Sie müssen es einmal im Protokoll nachlesen, da kann man es finden. Aber wenn sich diese Kollegen gegenüber Steuersenkungen skeptisch geäußert haben, dann gegen diese unseriösen steuerpolitischen Versprechungen, die Sie gegenwärtig in die Landschaft setzen, um Wahlspeck auszulegen; sie sind nicht finanziert, sie sind finanzpolitisch überhaupt nicht abgedeckt. Es ist richtig, daß die Kollegen aus meinen Reihen gegenüber diesen Vorschlägen eine gewisse Skepsis vorbringen. Das ist natürlich richtig.
— Ja, natürlich. Was Sie an steuerpolitischen Versprechen in die Landschaft setzen, haben Sie finanzpolitisch gar nicht gedeckt. Das können Sie nicht decken. Sie leimen die Leute vor den Wahlen mit solchen bunten Luftballons. Das ist die Realität.
Jetzt gehe ich einmal weiter.
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Dr. Spöri
Drittens. Das Steuersenkungsgesetz, Herr Kollege Uldall, 1986/88 war ja nicht die einzige Operation zu Lasten der Länder und Gemeinden in den letzten Jahren. Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer sogenannten Politik der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Unternehmen pro Jahr 10 Milliarden Subventionen für die Unternehmen zusätzlich ausgeworfen.
Was ist aus dieser Politik geworden?
— Ach, fragen Sie einmal Herrn Kreile. Der hat sich erst vorgestern beim BDI darüber gerühmt, daß so viele Steuerentlastungen für Unternehmen geschaffen worden sind.
Ganz abgesehen davon, daß mit diesen steuerlichen Geschenken an die Unternehmen eigentlich nur eine günstige Gewinndynamik noch einmal nach oben getrimmt worden ist
und daß der hohe Arbeitslosensockel mit dieser Steuerpolitik eigentlich nicht reduziert werden konnte, gab es keine flankierenden Hilfen, keinen flankierenden Ausgleich für Länder und Gemeinden im Rahmen dieser Politik. Das Ende der Fahnenstange bei dieser Politik, die auf die finanziellen Interessen und auf die Situation der Länder und Gemeinden keine Rücksicht nimmt, ist noch gar nicht erreicht. Es ist ja so, daß wir als nächsten Punkt in diesem Hohen Haus die Abschreibungsverbesserung bei Wirtschaftsgebäuden debattieren werden. Was bedeutet das für Länder und Gemeinden, Herr Schwörer? Das bedeutet, daß allein 1988 die Länder und Gemeinden wegen dieser Maßnahme mit 2,4 Milliarden DM zusätzlich belastet werden, der Bund dagegen nur mit 1,3 Milliarden DM. Es ist doch rechnerisch ganz klar: Dadurch wird die Verteilungsposition von Ländern und Gemeinden gegenüber dem Bund ohne irgendwelche Ausgleichsmaßnahmen im finanziellen Bereich weiter geschwächt.
Sie brauchen sich überhaupt nicht zu wundern, Herr Schwörer. Sie sind ja von der Bauindustrie. Sie wären ein schlechter Lobbyist, wenn Sie das nicht berücksichtigten, was ich jetzt sage:
Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn bei dieser Finanzpolitik in den nächsten Jahren
die Investitionsquoten bei finanzschwachen Ländern und Gemeinden zu Lasten der Bauindustrie weiter schrumpfen werden.
Dies veranlaßt den Abgeordneten Schwörer zu einer Zwischenfrage. Sind Sie einverstanden?
Herr Schwörer, immer, natürlich!
Herr Kollege Spöri, ist Ihnen erstens entgangen, daß der Finanzminister in diesem Hause gesagt hat, diese Anpassung der Abschreibungsbedingungen sei international geboten, weil die deutsche Industrie die schlechtesten Bedingungen für Abschreibungen habe? Zweitens: Wissen Sie nicht — als Steuerexperte müßten Sie das eigentlich wissen —, daß es sich hier nur um Verschiebungen, um Verlagerungen und nicht um einen endgültigen Steuerverzicht handelt?
Unabhängig davon, daß wir unterschiedlicher Auffassung über die wirtschaftspolitische Effektivität dieser Abschreibungsmaßnahmen sind, ist es einfach die finanzpolitische Auswirkung dieser Abschreibungsverbesserung in den nächsten Jahren — und wenn es finanztechnisch auch nur ein Zinsvorteil ist —, daß Länder- und Gemeindehaushalte schlechter gestellt werden und daß dies Gift für die Investitionstätigkeit und damit auch für die Bauindustrie ist, deren Interessen Sie hier besser vertreten sollten.
Herr Abgeordneter Spöri, ich möchte den Herrn Abgeordneten Schwörer darauf aufmerksam machen, daß wir ein bißchen auf die Zeit zu achten und Sie Gelegenheit haben, beim nächsten Tagesordnungspunkt genau diesen Sachverhalt ausführlich zu diskutieren. Ich bitte also um Verständnis, wenn ich keine weitere Zwischenfrage zulasse. — Herr Abgeordneter Spöri, ich bitte Sie fortzufahren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Schwörer, wir können — sicherlich wechselseitig mit Gewinn — noch oft diskutieren, auch im Restaurant.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Finanzausgleichs, den wir hier beraten, sollte aber unabhängig von den soeben debattierten Fragen auch einmal Anlaß sein, uns zu überlegen, ob denn eigentlich unabhängig von der Verteilung des Steuerkuchens zwischen Bund und Ländern die Länderpositionen untereinander — im Vergleich zwischen den Ländern — noch dem verfassungsmäßigen Auftrag unseres Grundgesetzes entsprechen. Wenn ich in das Grundgesetz schaue, dann finde ich diesen verfassungsmäßigen Auftrag in Art. 107 formuliert. Darin steht, daß wir hier durch unsere Politik die Finanzkraft der Länder untereinander anzugleichen haben. Das ist unser Auftrag.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieses Auftrages kann ich Ihnen sagen, daß aus meiner Sicht der horizontale Länderfinanzaus-
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Dr. Spöri
gleich und die Bundesergänzungszuweisungen zu Recht im Kreuzfeuer der Kritik
und auch auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand vor dem Bundesverfassungsgericht stehen; denn es kann nicht in Ordnung sein, wenn z. B. Lasten aus nationalen Aufgaben, wichtige Ausgabenlasten aus nationalen Gründen — etwa im Bereich Kohle und Stahl — im Rahmen des Länderfinanzausgleichs überhaupt keine Berücksichtigung finden. Es kann nicht in Ordnung sein, wenn StadtUmland-Verflechtungsprobleme in diesem Finanzausgleich nicht berücksichtigt werden. Und es kann nicht in Ordnung sein, wenn z. B. Bayern in diesem Jahr an Bundesergänzungszuweisungen das 26,5fache dessen kassiert, was es an Länderfinanzausgleich bekommt. Dann sind Bundesergänzungszuweisungen keine ergänzenden Zahlungen im Sinne der Verfassung mehr.
Deswegen, meine Damen und Herren, gibt es genügend gute Gründe für Normenkontrollverfahren, für die Klagen der Länder vor dem Bundesverfassungsgericht. Zum Abschluß aber muß ich Ihnen sagen: Dies kann mich überhaupt nicht beruhigen. Wir sollten nicht nur auf das Bundesverfassungsgericht starren;
denn wir würden Illusionen unterliegen, wenn wir erwarteten, daß uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts fertige Gesetzesformulierungen zur Lösung liefert.
Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß diese wichtigste Aufgabe des Föderalismus nicht mehr politisch in diesem Hause unter der Federführung der Bundesregierung entschieden wird, sondern sie vor Gericht geklärt werden muß, vor dem höchsten deutschen Gericht, ist kein Ruhmesblatt für den deutschen Föderalismus und für die Qualität unserer Finanzausgleichspolitik.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat mir wie anderen nordrhein-westfälischen Abgeordneten einen Brief geschrieben, in dem es heißt:
Hierin sehe ich keine parteipolitische Thematik, sondern ein wichtiges, ausschließlich am objektiven Landesinteresse orientiertes Anliegen.
Ich glaube, er hat recht, wenn er sagt, daß der Länderfinanzausgleich tunlichst nicht in die parteipolitischen Auseinandersetzungen hineingeraten sollte. Was eben hier so ein wenig hochgekommen ist an parteipolitischer, unnötig scharfer Auseinandersetzung, hat dies bewiesen, indem man nämlich auf andere Politikbereiche ausgewichen ist.
Im föderativen Staat gehören die Finanzverteilungsprobleme stets zu den kontrovers diskutierten Fragen. Diese alte, in der Natur der Dinge liegende Erfahrung bestätigt sich jetzt wieder einmal. Das Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern ist das Ergebnis heute fast schon wieder vergessener streitiger Debatten zwischen Bund und Ländern als Folge des Steuersenkungsgesetzes 1986/88.
Es geht um die Frage, ob es wegen dieses Steuersenkungsgesetzes überhaupt eine Neuverteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern geben muß. Sie wissen, daß die ursprüngliche Ausgangsposition des Bundesfinanzministers — wie ich meine, zu Recht - diejenige war, daß dieses Steuersenkungsgesetz keine , Neuverteilung der Umsatzsteuer notwendig machen würde, und zwar aus zwei Gründen nicht: zum einen, weil es eine platte Selbstverständlichkeit ist, daß, wenn dem Bürger zu hohe oder zuviel abgenommene Steuern zurückgegeben werden, die drei Empfängergruppen, die ihn abkassiert haben, auch die Mindereinnahmen zu tragen und zu verkraften haben; zum zweiten aber auch deshalb, weil unsere Verfassung vorschreibt, daß dieser Verteilung der Umsatzsteuer alle Einnahme- und Belastungsfaktoren des Bundes einerseits und der Länder andererseits zu berücksichtigen sind. Die Ausgangsverhandlungsposition des Bundesfinanzministers mit den zusätzlichen Ausgabenbelastungspositionen des Bundes, z. B. im EG-Bereich, waren eigentlich so gut, daß man fast schon das halbe Prozent als ein bißchen unseriös herausverhandelt bezeichnen könnte. Dies steht nun als Ergebnis der Verhandlungen im Gesetz und findet unsere Billigung.
Meine Damen und Herren, noch kritischer scheint neben diesem vertikalen Finanzausgleich die Frage zu sein, wie der horizontale Finanzausgleich zwischen den Ländern selbst aussieht. Wie Sie wissen, sind es nunmehr sechs Länder, die das Bundesverfassungsgericht wegen dieser Frage angerufen haben, übrigens mit höchst unterschiedlichen Begründungen. Die einen meinen, ihre Sonderlasten seien nicht ausreichend berücksichtigt oder die Sondereinnahmen des anderen seien nicht berücksichtigt, die Einwohnerbewertung stimme nicht, sei falsch oder die Verteilung der Ergänzungszuweisungen sei zu beanstanden.
Zu diesem letzten Punkt hat der nordrhein-westfälische Finanzminister hier in der vorigen Woche ein vehementes Plädoyer für die Einbeziehung Nordrhein-Westfalens in die Ergänzungszuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder gehalten. Nordrhein-Westfalen bemüht sich also, in den Kreis der sonderzualimentierenden Länder zu kommen. Ich sage als Nordrhein-Westfale: Ich würde sehr hoffen, daß die Steuereinnahmen des letzten Quartals 1985, von denen Herr Passer bisher nicht sprechen konnte und nicht gesprochen hat, und die Steuereinnahmen des Jahres 1986 des Landes Nordrhein-Westfalen so sein werden, daß dies nicht
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Gattermann
der Fall ist; wäre dies doch ein Beweis dafür, daß die Wirtschaftskraft meines Landes besser geworden ist.
Der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat in der vergangenen Woche ein vehementes Plädoyer zu diesem Fragenkomplex deshalb gehalten, weil er beklagt, daß sein Land in der politischen Auseinandersetzung immer mehr mit negativen Adjektiven tituliert werde und deswegen das Image des ganzen Landes in Gefahr gerate. Ich kann dazu nur sagen: Ich beklage dies mit ihm. Aber wer die eigenen Probleme verdrängt oder dadurch beseitigen will, daß er die Verantwortlichkeiten im allzu bekannten Schwarzen-Peter-Spiel woanders hin verlagert, nämlich nach Bonn, darf sich nicht wundern, wenn von der anderen Seite her die Fehler und Versäumnisse der Landes- und der Finanzpolitik von Nordrhein-Westfalen sehr nachdrücklich herausgestellt werden.
Ein Punkt in den Ausführungen des Finanzministers Posser bedarf der Richtigstellung, damit es in den Protokollen des Deutschen Bundestages nicht unwidersprochen bleibt.
— Ein Punkt scheint mir ganz entscheidend zu sein, Herr Kollege. — Herr Posser spricht von der Basis eines vorher von ihm beschriebenen Zahlenmaterials, „das im Bundesministerium der Finanzen zusammengestellt worden ist". Das von ihm in Bezug genommene Zahlenmaterial ist nicht im Bundesministerium der Finanzen zusammengestellt worden, sondern es handelt sich um die Zusammenstellung von Zahlenmaterial für die regionalisierte Steuerschätzung, die die Länder veranstalten. Das Zahlenmaterial ist diesmal im Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg gesammelt worden. Der Bund hat bei all seinen Zahlenberechnungen, wenn er gefordert war, immer die tatsächlichen, nachprüfbaren Zahlen des letzten abgeschlossenen Steuerjahres zugrunde gelegt; das ist das Jahr 1984. Das sind nicht die ersten drei Quartale des Jahres 1985, von denen Herr Posser auf Grund einer gänzlich anderen Berechnungsmethode ausgeht und die dann im Zusammenhang mit der Steuerschätzung 1986 fortgeschrieben sind. Dies muß klargestellt werden, damit nicht der Irrtum entsteht, der Vorwurf von Herrn Posser sei richtig, wir verabschiedeten hier ein Gesetz, das nicht nur nicht verfassungskonform, sondern verfassungswidrig sei.
Im übrigen gilt für dieses Gesetz und für unser Handeln als Bundesgesetzgber, daß wir uns natürlich ungern in diesen Streit der sechs Länder vor dem Bundesverfassungsgericht hineinziehen lassen würden und für die eine oder die andere Interpretation Partei ergreifen würden. In der Vergangenheit ist es stets so gewesen, daß das föderative System funktioniert hat, daß man sich nach hartem, zähem Ringen immer zu irgendwelchen Kompromissen durchgerungen hat. Das hat in der Bundesrepublik Deutschland 35 Jahre lang funktioniert. Wenn die Konsensfähigkeit der Länder nachläßt, was an sechs Verfassungsklagen abzulesen ist, sind wir jedenfalls nicht dazu da, diesen Streit durch Parteinahme für die eine oder die andere Seite zu schüren. Deswegen ist es richtig, daß wir die Ergänzungszuweisungen weiter nach denselben Berechnungsmethoden verteilen, wie wir das in den 35 Jahren des Konsenses mit den Ländern getan haben.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel .
Herr Präsident! Frau Will-Feld! Frau Hürland! Liebe Kollegen! Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Umsatzsteuereinnahmen der Länder 1987 um insgesamt 625 Millionen DM höher sein als in diesem Jahr. Allein durch die Änderung der Abschreibungsfristen für Wirtschaftsgebäude, die als nächster Tagesordnungspunkt hier zur Debatte steht, werden den Ländern Mindereinnahmen in Höhe von 1,4 Milliarden DM bei der Einkommensteuer entstehen. Im Finanzausschuß wird diese Woche ein als Steuerbereinigungsgesetz getarntes Subventionsgesetz beraten, nach dem die Steuervergünstigung für die Landwirtschaft wesentlich erhöht, die Sonderabschreibung für Handelsschiffe verlängert und etliche weitere Steuerausfälle beschlossen werden, die zu 57,5% von den Ländern und Gemeinden zu tragen sind.
Bei dieser Finanzpolitik davon zu sprechen, durch die Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder um einen halben Prozentpunkt werde ein Ausgleich geschaffen, ist fürwahr ein Hohn. Es ist kein Wunder, daß das Investitionsniveau der Gemeinden mittlerweile real auf das Niveau von 1983 gefallen ist. Die Gemeinden können überhaupt nicht mehr vorauskalkulieren, welcher Wirtschaftslobby die Bundesregierung wieder nachgeben wird,
welche neuen Sonderabschreibungen und Freibetragserhöhungen sie wieder in das Einkommensteuergesetz aufnimmt, teilweise an der ersten Lesung vorbei, nur im Ausschuß eingebracht und ruckzuck „verbraten".
Die Ergänzungszuweisungen des Bundes machen das Defizit im vertikalen Finanzausgleich noch lange nicht wett.
Sie erweisen sich vielmehr gerade auch unter dem Gesichtspunkt regionaler Autonomie als problematisch, weil wegen der abstrusen Art, wie diese Ergänzungszuweisungen auf die Länder verteilt werden, der Bund hier ein finanzpolitisches Instrument
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Vogel
in der Hand hat, um die Länder am goldenen Zügel, um nicht zu sagen, an der Kandare zu führen.
Ab dem nächsten Jahr wird auch Bremen neben vier CDU/CSU-regierten Bundesländern und dem Saarland erstmals Ergänzungszuweisungen erhalten. Das werden 1986 96 Millionen DM sein. Diese 96 Millionen DM wurden von Bremen — darauf hatte ich schon in der letzten Debatte hingewiesen — mit der Zustimmung zur Förderung der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf und mit der Zustimmung zur Frühpensionierung der Offiziere im Bundesrat erkauft. Es ist doch fürwahr ein Skandal, daß hier für die Bundesregierung die Möglichkeit besteht, Druck auf Länder auszuüben. Übrigens brauchen die bisher schon Ergänzungszuweisungen empfangenden CDU/CSU-regierten Länder von ihrem Besitzstand nichts an Bremen abzugeben. Dabei haben Sie, Herr Uldall, in der letzten Debatte eine nicht vorhandene Großzügigkeit der CDU/CSU-regierten Länder unterstellt. Die Summe, die an Bremen gezahlt wird, entspricht nämlich fast genau dem Anstieg der Ergänzungszuweisungen auf Grund des Anstiegs des Umsatzsteuereinkommens. Das heißt, die Koalitionsfraktionen brauchten den CDU/CSU-regierten Ländern keinen einzigen Pfennig wegzunehmen, um Bremen in den Kreis der Empfängerländer aufzunehmen.
Bremen erhält nur 5,3 % der Ergänzungszuweisungen, Bayern dagegen 17,4 %. Vielleicht liegt übrigens in diesem Kostgängertum des Freistaates Bayern auf Kosten der anderen Bundesländer die Wurzel für das ungebrochene Verhältnis des bayerischen Landesvaters zu Subventionen.
Er bezieht ja nun praktisch Subventionen nicht nur als Ministerpräsident des Freistaates Bayern und als Aufsichtsratmitglied der Airbus-Organisation, sondern er strebt auch an, daß die Privatflieger steuerlich subventioniertes Benzin bekommen. Er hat auch ein gutes Vorbild am Postwirt in Altötting, dem ja nun eine Wallfahrtsautobahn direkt bis vor die Haustür gelegt wird, damit das Geschäft dort besser läuft.
Bremen hatte im letzten Jahr eine Arbeitslosenrate, die um 53 % über dem Bundesdurchschnitt lag. Bayern gehörte zu den Ländern mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit.
Daß hier eine Änderung des Verteilungsschlüssels notwendig ist, dürfte doch eigentlich jedem klar sein.
Eine besondere Ironie des horizontalen Finanzausgleichs jedoch ist es,
wenn Niedersachsen ein Drittel der Ergänzungszuweisungen erhält, also sehr viel mehr als Bremen, obgleich es gerade die Abwanderung von Unternehmen nach Niedersachsen ist, die Bremen in die schlechte Haushaltslage hineinmanövriert hat. Als Anreize für die Unternehmen bietet Niedersachsen den Ausverkauf seines Bodens und spezielle Vergünstigungen, für die u. a. deshalb das Geld da ist, weil die Förderzinsen nur zur Hälfte bei der Berechnung der Finanzkraft des Landes und damit bei der Berechnung der Ausgleichszahlungen berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, eine unzureichende Ausstattung der Länder und Gemeinden mit autonom verfügbaren Mitteln kann auch nicht durch spezielle, zweckgebundene Zuweisungen des Bundes wettgemacht werden. So sind z. B. die Leistungen aus der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung" für strukturschwache Gebiete ausdrücklich nur für die Subventionierung von Produktion und Dienstleistungen für den überregionalen Gebrauch vorgesehen. Wir GRÜNEN sind der Meinung, daß, genau umgekehrt, die Verbesserung der politischen wie wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Regionen gefördert werden muß.
Ich will das am Beispiel von Bremen aufzeigen. Dort steht der Bau eines Heizkraftwerks an, das ein Einstieg in die Entwicklung und Produktion umweltfreundlicher Energietechnik sein und durch das die bestehende weitgehende Autonomie des Landes in der Energieversorgung erhalten bleiben könnte. Hier versucht jetzt die Preußenelektra mit Dumpingpreisen für die Industrie diesen Kraftwerksbau zu verhindern, um ihren Atomstrom billig absetzen zu können.
Es geht also nicht nur um eine volkswirtschaftlich in ihren Kosten unkalkulierbare und für die Gesellschaft verheerende Energiepolitik, sondern auch um die Autonomie der Regionen. Deshalb brauchen die Regionen Mittel, um den Versuchen der Auslagerung der wirtschaftlichen Entscheidungsbefugnisse entgegenwirken zu können.
Die gegebene Erhöhung des Umsatzsteueranteils reicht dafür nicht aus. Deshalb ist es an der Zeit, den vertikalen Finanzausgleich zugunsten der Länder und Gemeinden zu verbessern. Wir werden dem SPD-Änderungsantrag zustimmen, der besagt, daß die jetzt vereinbarte Aufteilung der Ergänzungszuweisungen zunächst einmal nur für ein Jahr gilt, und halten es für erforderlich, daß dann unmittelbar in neue Verhandlungen eingetreten wird.
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Vogel Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Voss.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt es, daß der vorliegende Entwurf im federführenden Finanzausschuß des Deutschen Bundestages Zustimmung gefunden hat. Gleichwohl muß ich hier noch einmal darauf hinweisen, daß der erreichte Kompromiß sozusagen die Grenze der finanziellen Möglichkeiten des Bundes darstellt.
Herr Kollege Spöri, wenn Sie sich die Ausführungen, die ich zur ersten Lesung gemacht habe, einmal zu Gemüte geführt hätten,
hätten Sie erkannt, daß bei dem Verhältnis von Ländern und Gemeinden bezüglich des Haushaltsvolumens, der Anteil der Länder 58 % beträgt, wobei der Bund korrespondierend 42 % der Gesamtausgaben aller öffentlichen Haushalte hat, und die Länder, wenn sie bei der Steuerentlastung 57,5 % tragen, proportional genau das tragen, was sie zu tragen haben. Von daher, Herr Kollege Spöri, ist der Bund besonders länderfreundlich gewesen — der Kollege Gattermann hat es soeben auch noch einmal angesprochen —, wenn er den Ländern dennoch zusätzlich einen halben Prozentpunkt gewährt. Das wäre nach dem Ausgabenvolumen und nach dem Belastungsvolumen auf Grund der Tarifentlastung nicht notwendig gewesen.
Der Kollege Uldall hat bereits darauf hingewiesen, wie sich die Umsatzsteuer in den letzten Jahren zuungunsten des Bundes verschoben hat. Ich muß hier auch noch einmal deutlich machen, daß man, wenn man den Bundesanteil am Umsatzsteueraufkommen richtig einschätzen will, insbesondere mit einkalkulieren muß, was der Bund aus seinem Anteil zusätzlich an Bundesergänzungszuweisungen zahlt und was er in steigender Größenordnung auch an die EG zu zahlen hat. Wenn man sich diese Zahlen einmal zu Gemüte führt, wird deutlich, daß von dem Anteil, den der Bund an der Umsatzsteuer hatte und der im Jahre 1976 noch 62,6 % betrug, inzwischen zehn Prozentpunkte abgezogen worden und nur noch 52 Prozentpunkte für den Bund verblieben sind. Diese Verschiebung allein zu Lasten des Bundes ist nicht für alle Zeit verkraftbar. Die Länder sollten sich daher nicht länger der Einsicht verschließen, daß es de facto nicht mehr nur zwei, sondern längst drei Ebenen sind, zwischen denen das Umsatzsteueraufkommen aufgeteilt wird, wobei das Gewicht der EG-Ebene von Jahr zu Jahr noch zunimmt.
Diese Belastung kann, wie gesagt, der Bund allein nicht länger tragen. Wer die europäische Integration will, der muß dafür auch Opfer bringen. Das gilt für die Länderebene um so mehr, als sie nicht unerheblichen Nutzen aus der deutschen Mitgliedschaft in der EG zieht. Aus dem EG-Haushalt fließen beträchtliche Mittel in Form von Beihilfen und Darlehen zur Finanzierung von Länderaufgaben an die Länder; 1984 waren es immerhin fast 1,2 Milliarden DM.
Angesichts dieser Entwicklung wäre es vernünftig, in Zukunft wenigstens den Anteil der EG am Umsatzsteueraufkommen vorab von dem zwischen Bund und Ländern zu verteilenden Umsatzsteueraufkommen abzusetzen und in den Verhandlungen dann nur noch das Beteiligungsverhältnis an dem noch verbleibenden national zur Verfügung stehenden Aufkommensanteil zu vereinbaren.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu den Bundesergänzungszuweisungen. Sie werden j a, wie wir bereits gehört haben und wie uns allen bekannt ist, sehr kontrovers behandelt. Dadurch, daß der Bund bisher in der vorhandenen Größenordnung Bundesergänzungszuweisungen vorgenommen hat, ist der Druck der finanzstarken Länder, ihrerseits höhere Ausgleichsleistungen zu erbringen, weggenommen worden. Nun erscheinen einigen Ländern die Finanzausgleichsergebnisse nicht mehr ausreichend. Das drückt sich, wie gesagt, in den Normenkontrollverfahren aus.
Aus der Sicht des Bundes muß aber darauf hingewiesen werden, daß eine weitere Erhöhung der Bundesergänzungszuweisungen schon unter Haushaltsgesichtspunkten nicht in Betracht kommen kann. Vielmehr muß im Interesse der finanzschwächeren Länder in Richtung einer Intensivierung, d. h. einer Umstrukturierung des Länderfinanzausgleichs weitergedacht werden. Dabei sind etwaige Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen, die wir wohl im ersten Halbjahr 1986 erwarten können.
Die Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen hat im bisherigen Gesetzgebungsverfahren im Finanzausschuß wie auch im Bundesrat eine große Rolle gespielt. Zum Beispiel hat Finanzminister Dr. Posser in der vergangenen Woche von dieser Stelle aus die weitere Bezugsberechtigung Bayerns von Ergänzungszuweisungen nachdrücklich bezweifelt und den vorliegenden Gesetzentwurf in die Nähe der Verfassungswidrigkeit zu rücken versucht. Dazu ist anzumerken, daß die Vermutung, Bayern könne 1986 den Status eines finanzschwachen Landes verlieren, auf sehr ungesicherten Annahmen beruht. Der Kollege Gattermann hat das eben bereits angesprochen. Denn die regionalisierte Steuerschätzung, die Minister Posser hier in die Diskussion eingeführt hat, bildet insoweit keine tragfähige Grundlage oder einen hinreichenden Anlaß für Änderungen, da diese Regionalisierung — die übrigens nicht von der Bundesregierung stammt — die Einnahmeverhältnisse zwischen den Ländern aus einer zurückliegenden Referenzperiode auf die in die Zukunft gerichtete Steuerschätzung schablonenhaft überträgt.
Auch kann der Gesichtspunkt nicht vernachlässigt werden, daß in dem Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht praktisch alle Elemente des Finanzausgleichs streitig gestellt sind. Daher kann heute niemand mit Sicherheit sagen, welche Bemessungskriterien für die Finanz-
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Parl. Staatssekretär Dr. Voss
kraftbestimmung der einzelnen Länder nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Bestand haben werden.
Schließlich sollte sich niemand der Illussion hingeben, daß ein Land von heute auf morgen auf Ergänzungszuweisungen in einer Größenordnung von jährlich rund 300 Millionen DM verzichten könnte, ohne nach Kompensationsmöglichkeiten im Finanzausgleichssystem zu suchen.
Vor diesem Hintergrund halte ich die Beteiligung Bayerns an den Ergänzungszuweisungen im vorliegenden Gesetzentwurf für eine richtige und verantwortbare Entscheidung. Die Länder mit einer ungünstigen Finanzlage sollten die Lösung ihrer Finanzprobleme nicht durch bloße Veränderungen des Finanzausgleichs erwarten. Ein Blick auf die gegenwärtige Größenordnung des Finanzausgleichs zeigt nämlich, daß auch eine Umstrukturierung innerhalb des Finanzausgleichs nur zu relativ begrenzten Verschiebungen führen kann. Die Hoffnung auf Veränderung beim Finanzausgleich befreit daher diese Länder nicht von der Notwendigkeit, eine Politik der Gesundung ihrer eigenen Finanzen zu betreiben.
Daher bitte ich namens der Bundesregierung, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zuzustimmen.
Danke schön.
Nun hat der Abgeordnete Struck das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf meine Vorredner möchte ich in einigen Punkten eingehen.
Zunächst zu Ihnen, Herr Uldall. Als Hamburger Bundestagsabgeordneter hätte es Ihnen gut angestanden, hamburginterne Wahlkampfauseinandersetzungen, die Sie möglicherweise mit dem Bürgermeister dort haben, nicht gerade bei diesem Punkt in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu tragen.
Sie haben schon eine Verantwortung, Herr Kollege Uldall, was den horizontalen Finanzausgleich und die finanzielle Situation der Freien und Hansestadt Hamburg angeht.
— Bitte sehr.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Uldall.
Herr Kollege Struck, ist Ihnen nicht aufgegangen, daß sich meine Kritik darauf erstreckte, daß der Hamburger Bürgermeister von den eigentlichen Problemen der Hansestadt ablenkt,
seine Ausführungen immer nur auf 5 % Randprobleme beschränkt, aber das eigentliche Finanzproblem Hamburgs in der Größenordnung von mehr als 1 Milliarde DM gar nicht angeht?
Herr Kollege Uldall, nun haben Sie schon wieder Wahlkampf gemacht. Ich hatte Ihnen gerade gesagt, Sie sollten das sein lassen.
— Ach, hören Sie auf damit. Sie sind hier nicht in der Hamburger Bürgerschaft, sondern im Deutschen Bundestag.
Hier müssen Sie sich schon ein bißchen ernsthafter um das Thema des horizontalen Finanzausgleichs kümmern.
Zweitens. Herr Kollege Gattermann, an Sie ein Wort gerichtet: Es läßt sich nicht bestreiten, Herr Gattermann — das müßte Ihnen als Vorsitzendem des Finanzausschusses geläufig sein —: Der Anteil der Länder an den Steuerausfällen durch das neue Steuersenkungsgesetz ist viel größer als der Anteil der Länder am Steueraufkommen insgesamt. Das heißt, man muß davon ausgehen — das war die Zielrichtung der Verhandlungen zwischen den Ländern und der Bundesregierung; Herr Kollege Voss wird das bestätigen können —, daß sich die Länder durch das Steuersenkungsgesetz stärker belastet gefühlt haben, als sie meinen verantworten zu können. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns relativ schnell einig. Die Konsequenzen haben wir in diesem Gesetzentwurf vorliegen.
Nun zu den beiden Anträgen, die die SPD-Bundestagsfraktion gestellt hat. Zunächst möchte ich bemerken, daß wir sehr begrüßen, daß das Land Bremen durch dieses Gesetz neu in den Kreis der Empfänger von Ergänzungszuweisungen auf genommen worden ist. Wir wissen alle, daß der bundesstaatliche Finanzausgleich auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe steht. Es gibt Normenkontrollanträge von sechs Bundesländern. Ich will hier nicht im einzelnen auf diese Anträge eingehen. Einige Bemerkungen dazu seien uns jedoch schon erlaubt. Ich komme dann auch auf unsere Anträge dazu.
Das Volumen der Ergänzungszuweisungen des Bundes steht heute in keinem angemessenen und vertretbaren Verhältnis zu dem Finanzvolumen des Länderfinanzausgleichs, obwohl die Bundesergänzungszuweisungen eigentlich, wie das Wort schon
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13803
Dr. Struck
sagt, eine Ergänzung des horizontalen Finanzausgleichs sein sollen.
Im Jahre 1970 machten die Ergänzungszuweisungen 8,2 % des Länderfinanzausgleichsvolumens aus. 1984 betrug diese Quote bereits 71,4 %. Daran sieht man, daß die Leistungen aus den Ergänzungszuweisungen in einem außerordentlichen Umfang gestiegen sind. Es kann auch nicht angehen, daß ein Land aus den Ergänzungszuweisungen mit dem Zwanzigfachen dessen, was es aus dem horizontalen Finanzausgleich bekommt, rechnen kann.
Das widerspricht dem Prinzip der Ergänzungszuweisungen.
Wir haben deshalb, Herr Kollege Voss, die Bundesregierung mit unserem Änderungsantrag aufgefordert, die Regelungen, die jetzt in dem Gesetzentwurf enthalten sind, nicht für zwei Jahre, sondern nur für das Jahr 1986 gelten zu lassen, weil wir der Auffassung sind, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit sehr ernsthaft zu diskutieren ist. Der Deutsche Bundestag ist gut beraten, wenn er ein Gesetz, von dem man ahnen kann, daß das Bundesverfassungsgericht Zweifel anmelden wird, nicht länger als nötig gelten läßt.
Deshalb haben wir den Antrag gestellt, diese Ergänzungszuweisung nur für ein Jahr in der im Gesetz genannten Höhe festzulegen.
Der Entschließungsantrag, den die Sozialdemokraten vorgelegt haben, bezieht sich auf das Grundsatzproblem: Was passiert mit den Ergänzungszuweisungen, was passiert beim Bundesverfassungsgericht? Hier muß ich ein Wort der Kritik an die Bundesregierung richten. Das wird Sie nicht verwundern. Aber ich habe das Gefühl, Herr Kollege Voss, daß die Bundesregierung den Streit der Länder vor dem Bundesverfassungsgericht sozusagen zufrieden zurückgelehnt im Sessel verfolgt. Das kann aber nicht sein, Herr Kollege Voss, weil wir uns darin einig sind, daß ein Urteil — egal, wie es ausfallen mag — natürlich auch Auswirkungen auf uns, also auf den Bundestag, auf die Bundesregierung und auf den Bundeshaushalt, haben wird; denn das Bundesverfassungsgericht wird ja in der Frage des horizontalen Finanzausgleichs die Ergänzungszuweisungen nicht außer acht lassen können.
Die Bundesregierung wird deshalb ihre defensive Haltung aufgeben müssen und wird sich mit konstruktiven Vorschlägen an der Meinungsbildung zu beteiligen haben, wie dies im übrigen im Jahre 1969 auch der damalige Finanzminister getan hat.
Herr Abgeordneter Struck, der Herr Abgeordnete Voss möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Struck, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bundesregierung bereits jetzt ihre Mithilfe nach einem
Spruch des Bundesverfassungsgerichts angeboten hat, damit man dann zu einer Einigung unter den Ländern kommt, daß sie sich also nicht — wie Sie hier unterstellen — genüßlich im Sessel zurücklehnt und abwartet, was da kommen wird?
Herr Kollege Voss, ich bin gerne bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, aber ich möchte Ihnen mit einer Gegenfrage antworten; Sie können diese Frage dann gern wiederum mit einer Zwischenfrage beantworten, wenn wir das hier so handhaben wollen.
Darf ich daraus schließen, Herr Kollege Voss, daß das Bundesministerium der Finanzen bereits jetzt politische Vorstellungen davon hat, was passiert, wenn das Bundesverfassungsgericht so oder so entscheidet?
Mir wäre es lieber, wenn sich das jetzt in eine Frage kleiden ließe. Wir wollen j a ökonomisch mit der Zeit umgehen.
Er kann ja fragen, ob ich das zur Kenntnis nehmen kann.
Bitte sehr, Herr Dr. Voss.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Bundesministerium der Finanzen in seinen politischen Überlegungen bereits so weit fortgeschritten ist, daß es, wenn der Spruch des Bundesverfassungsgerichts erfolgt ist, sofort in der Lage ist, darauf aufzubauen?
Ich nehme das gerne zur Kenntnis. Es wundert mich allerdings — das muß ich ehrlich sagen —, weil ich Ihnen das nicht zugetraut hätte. Wollen wir also einmal abwarten, was dabei herauskommt.
Am 14. Januar 1986 soll die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht stattfinden. Wer erwartet, daß das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung darüber treffen wird, wie der richtige Finanzausgleich auszusehen hat, d. h. ob und wieviel einige Länder weniger in den Länderfinanzausgleich einzuzahlen haben, überfordert das Gericht.
Die politische Verantwortung für eine Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen den Ländern und für die Regelung der Bundesergänzungszuweisungen wird auch nach einem Urteil von Karlsruhe bei den Ländern einerseits und bei Bundesregierung und Bundestag andererseits bleiben. Wir vermissen bisher eine klare Position der Bundesregierung. Wir wollen wissen, ob sie sich schon auf die Vorschläge zur Anpassung des Finanzausgleichsgefüges und insbesondere zum Thema der Bundesergänzungszuweisungen vorbereit hat, und ich sehe mit großem Interesse, Herr Kollege Voss, Ihren diesbezüglichen Vorschlägen entgegen.
13804 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Dr. Struck
Ich habe den Eindruck, daß auch wir im Deutschen Bundestag, weil natürlich jeder Abgeordnete auch darüber nachdenkt, was dann, wenn im horizontalen Finanzausgleich das eine oder andere geändert wird, in seinem eigenen Bundesland passiert, unsere Verantwortung schon ernsthafter wahrnehmen müssen, was die Frage angeht: Welche Konsequenzen sind aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch zum horizontalen Finanzausgleich zu ziehen?
Wir können uns davor nicht drücken und können die Verantwortung dafür nicht allein den Ländern überlassen. Auch wir selbst sind gefordert. Bekanntlich hat sogar die Sachverständigenkommission beim Bundesfinanzminister in Sachen Neuregelung der Umsatzsteuer eine deutliche Kritik am Deutschen Bundestag, also an uns, geübt, weil wir uns — so die Sachverständigenkommission — in eine bloße Notarrolle haben drängen lassen; das heißt, wir bestätigen nur das, was die Länder untereinander ausgehandelt haben. Das kann aber nicht die Zielrichtung unserer Politik im Deutschen Bundestag sein. Ich nehme an, Sie werden dagegen auch keine Einwendungen geltend machen. Wir halten eine solche Selbstbeschränkung mit dem Selbstverständnis des Parlaments nicht für vereinbar.
Es geht hier um elementare Fragen der bundesstaatlichen Finanzverfassung und um existentielle Fragen für einzelne Länder innerhalb des föderativen Aufbaus.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß die Bundesregierung, aber auch die Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag diesem Appell an ihre verfassungsmäßige Pflicht, die Finanzsituation der Länder untereinander und im Verhältnis zum Bund ordnungsgemäß zu regeln, folgen werden, und ich wünsche uns allen dabei eine gute Hand.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache wird geschlossen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4435 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Ich rufe die Art. 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Damit ist das einstimmig angenommen worden.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem
Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht,
den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Auch dies ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4436. Wer dem Entschließungsantrag der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? — Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a, 7 b und den Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
7 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude
— Drucksache 10/4042 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/4372 —
Berichterstatter: Abgeordnete Poß von Schmude
bb) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4399 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth Hoppe
Wieczorek
Kleinert
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investionszulagengesetzes
— Drucksache 10/4297 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß
Zusatzpunkt 4:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Roth, Dr. Jens, Urbaniak, Wieczorek , Dr. von Bülow, Collet, Dr. Ehrenberg, Jung (Düsseldorf), Junghans, Frau Dr. Martiny-Glotz, Dr. Mitzscherling, Reuschenbach, Rohde (Hannover), Schanz, Frau Skarpelis-Sperk, Sieler, Wolfram (Recklinghausen), Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie
— Drucksache 10/4235 —
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13805
Vizepräsident Cronenberg
Meine Damen und Herren, interfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 7 a, 7 b sowie des Zusatzpunktes 4 der Tagesordnung und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. — Hiergegen erhebt sich Gott sei Dank kein Widerspruch.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist Gott sei Dank auch nicht der Fall, so daß wir zur Aussprache kommen. Um das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele gebeten. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst ein paar Worte zu dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung eingebracht hat, um das allgemeine Investitionszulagengesetz zu ändern. Wir ziehen hier Schlußfolgerungen aus neuen Erkenntnissen, die der Planungsausschuß, der zwischen den Ländern und dem Bund besteht, gefunden hat, um die regionale Wirtschaftsförderung zu begleiten, um die regionale Förderpolitik zu konzentrieren und zu verstärken. Vor allem zwei Schwerpunkte enthält dieser Gesetzentwurf. Der erste ist, daß die privaten Investitionsvorhaben, die Forschung und Entwicklung betreffen, künftig verstärkt werden, indem das sogenannte Anhäufungsverbot zwischen dieser und der allgemeinen Investitionszulage wegfällt. Das ist eine Konzentration und eine Verstärkung.
Weiterhin soll vor allem auch verhindert werden, daß sich nur besonders kapitalkräftige Betriebe ansiedeln statt solche, die mehr Arbeitsplätze schaffen. Es kommt also künftig sehr stark auf die Zahl der Arbeitsplätze an, die dabei geschaffen werden. Wir wären sehr dankbar, wenn die Fraktionen — und erfreulicherweise haben sie die Bereitschaft schon bekundet — dieses in das morgen zu Ende zu beratende Steuerbereinigungsgesetz 1986 im Finanzausschuß noch aufnehmen würden. Wir haben in der Zwischenzeit nicht nur die fünf Punkte, die der Bundesrat angeregt hat, übernommen, sondern uns heute dazu durchgerungen, auch den letzten Punkt, dessen Aufnahme der Bundesrat wünscht — übrigens auf Antrag von Hessen —, noch aufzunehmen, um sicherzustellen, daß dieses Gesetz hier noch in zweiter und dritter Lesung mit dem Steuerbereinigungsgesetz im laufenden Jahr zustande kommen kann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie es gestatten, dann sage ich aus Gründen der Vereinfachung nur ganz wenige Worte zu den anderen Punkten, die hier in verbundener Debatte beraten werden.
Ich möchte zunächst auf die Änderung des Stahlinvestitionszulagengesetzes zu sprechen kommen. Die SPD-Fraktion hat hierzu einen erfreulichen Antrag eingereicht, der, wie wir aus den Beratungen des Finanzausschusses wissen, nicht nur die Zustimmung der beiden Koalitionsfraktionen findet, sondern inhaltlich auch dem entspricht, was die Koalitionsfraktionen seit dem Frühsommer dieses Jahres an die Bundesregierung herangetragen haben. Es geht um eine verhältnismäßig wichtige Frage betreffend den Stahl. Die Firmen, die schon die Zusagen hatten, die schon mit gewissen Fördermitteln rechneten, rechnen durften, sollen, wenn die Förderung auf Grund EG-Rechts Ende dieses Jahres ausläuft und sie infolge dessen in Lieferschwierigkeiten gekommen sind oder wenn die Genehmigungen aus irgendeinem Grund verzögert worden sind, nicht das Nachsehen haben. Wir wären sehr dankbar, wenn das morgen einvernehmlich geregelt werden könnte. Wie es ausschaut, wird das der Fall sein.
Ich komme schließlich noch auf den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude zu sprechen, den wir heute hier in diesem Hohen Hause verabschieden wollen. Ich möchte mich beim Finanzausschuß des Deutschen Bundestages sehr für die zügige Beratung bedanken. Ich glaube, wir haben eine Verbesserung erreicht, indem wir eine Anregung des Bundesrates übernommen haben. Das wird gerade für kleinere und mittlere Unternehmen von Bedeutung sein: Voraussetzung für die Abschreibung ist nicht mehr, daß ein Drittel des Gebäudes privat und zwei Drittel wirtschaftlich genutzt werden; künftig kann auch ein kleiner Handwerker, der ein Gebäude zur Hälfte privat und zur Hälfte gewerblich nutzt, den gewerblichen Teil voll abschreiben. Nach dem ursprünglichen Entwurf wäre er nicht erfaßt worden. Das ist eine Verbesserung.
Insgesamt dient diese Verbesserung der Abschreibungsbedingungen — das ist der Hauptsinn dieses Gesetzes — dazu, den Wandel unserer Wirtschaft zu fördern, ihre Anpassungsfähigkeit zu steigern und zugleich — das tritt ergänzend hinzu — die Bautätigkeit zu verstetigen. Diese Maßnahmen sind nicht befristet. Wir wollen eine dauerhafte Förderung gewähren.
Wir sind dem Finanzausschuß auch sehr dankbar, daß er dieses Gesetz, das jetzt rasch verabschiedet wird, benutzt hat, um das gemeinsame Anliegen aufzunehmen, energiesparende und umweltfreundliche Maßnahmen beim Heizungs- und Warmwasseranlagenbau für alte Gebäude, die mindestens 10 Jahre alt sind, vorzusehen. Das ist inzwischen Bestandteil dieses Gesetzentwurfes geworden. Wir haben die Regelung ja relativ großzügig ausgestaltet. Das Gesetz tritt rückwirkend zum 1. Juli 1985 in Kraft. Man konnte also schon ab 1. Juli 1985 anfangen, denn es bestand überhaupt kein Zweifel, daß das Gesetz so verabschiedet wird. Insofern erhält das Ausbaugewerbe jetzt vor Weihnachten, da die schwierigen Wintermonate anbrechen, durch die Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt letztgültige Klarheit. Wir sind sehr dankbar, wenn dieses Gesetz heute hier im Hohen Hause verabschiedet wird.
Herr Staatssekretär, ich möchte mich sehr dafür bedanken, daß Sie die
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Vizepräsident Cronenberg
Kürze nicht nur angekündigt, sondern auch praktiziert haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Poß.
Nein, da muß ich Sie enttäuschen. — Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf das Gesetz zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude eingehen. Die SPD hat den Eindruck, daß dieses Gesetz eine Alibi-Maßnahme ist, die von der beschäftigungspolitischen Tatenlosigkeit dieser Bundesregierung ablenken soll.
Unsere Bedenken, die wir anläßlich der ersten Lesung vorgetragen haben, sind durch die Ausschußberatungen nicht widerlegt worden. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß es ein viel zu teures Gesetz ist und daß es die von ihm erhofften stimulierenden Wirkungen für die Bauwirtschaft und die Beschäftigungslage insgesamt nicht haben wird.
— Herr Schwörer, selbst nach den Angaben der Bundesregierung wird das von ihr zusätzlich erwartete Bauvolumen in Höhe von ca. 3,9 Milliarden DM nur genau den Betrag der ab 1989 zu erwartenden Steuerausfälle erreichen. Deshalb werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen.
Die Verkürzung des Abschreibungszeitraumes von 50 Jahren auf 25 Jahre führt bei den Unternehmen zu einer Senkung der Ertragssteuerbelastung. Zusätzliche Investitionsentscheidungen werden dadurch direkt nicht initiiert, schon gar nicht kurzfristig. Diese Einschätzung, Herr Schwörer, teilen wir mit dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Auch der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Herr Dr. Schlesinger, hat auf die beträchtlichen Mitnahmeeffekte hingewiesen. Diese Skepsis teilt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, aber auch der Sachverständigenrat. Sie sehen — wenn Sie auf Ifo verweisen —, wir sind in guter Gesellschaft mit unserer Meinung. In seinem Sondergutachten hatte der Sachverständigenrat insbesondere die pauschale — ich betone: pauschale — Kürzung der Abschreibungsdauer von 50 auf 25 Jahre kritisiert und eine differenzierte Regelung empfohlen, Herr Häfele, die den wirtschaftlichen Verwendungsbedingungen der verschiedenen Gebäudetypen auch Rechnung trägt. Hier sehen auch wir einen erheblichen Mangel der vorgesehenen Regelung. Es ist doch nicht so — wie wir wissen —, daß bisher alle Wirtschaftsgebäude erst nach 50 Jahren abgeschrieben gewesen wären. Die Gebäude z. B., die einem erhöhten Verschleiß unterlagen oder durch Veralterung ihren Wert verloren hatten, konnten schon bisher vorzeitig abgeschrieben werden. Ich nenne das Stichwort „Teilwertabschreibung". In Zukunft, Herr Schwörer, muß aber steuerlich in 25 Jahren abgeschrieben werden, müssen entsprechende Abschreibungen in der Bilanz berücksichtigt werden, auch wenn die betriebliche Nutzungsdauer länger ist und auch dann, wenn durch diese Festlegung der verkürzten Abschreibungsfrist Verluste entstehen.
Unsere Hauptkritik an der heute zu verabschiedenden Verkürzung der Abschreibungsdauer bezieht sich aber auf die Finanzierung dieser teuren Maßnahme. Für die Bewertung der Beschäftigungswirkung insgesamt ist ganz entscheidend, daß bei den öffentlichen Haushalten hohe Einnahmeausfälle entstehen, die durch weitere Einsparungen in den jeweiligen Haushalten kompensiert werden müssen. Allein in diesem Finanzplanungszeitraum werden bundesweit mehr als 10 Milliarden DM Steuermindereinnahmen entstehen, davon in dem viel gescholtenen Land Nordrhein-Westfalen 1 Milliarde DM und in den nordrhein-westfälischen Gemeinden rund 850 Millionen DM. Diese Ausfälle müssen neben denen aus der Steuerreform 1986/88 verkraftet werden.
Hauptbetroffene der Wirtschafts- und Steuerpolitik der Bundesregierung sind wieder einmal die Städte und Gemeinden. Sie haben einen weit überproportionalen Beitrag zur Finanzierung der Abschreibungsverbesserungen zu leisten. Der Deutsche Städtetag hat diesen Anteil bis 1989 mit 28,4 % an den gesamten Einnahmeausfällen berechnet, unter Einbeziehung des kommunalen Finanzausgleichs sogar mit 35,4 %. Diese Finanzmittelkürzung trifft die kommunale Ebene, die ständig von der Bundesregierung aufgerufen wird, mehr zu investieren. Ich fürchte, daß die Folge dieser Maßnahme sein wird, daß die Städte und Gemeinden eher weniger als mehr Investitionen vornehmen werden; denn von einem Ausgleich der überproportionalen Steuerausfälle ist bei der Bundesregierung entgegen ihren früheren Versprechungen keine Rede mehr. Der Grund, warum die Kommunen überproportional betroffen sind, liegt darin, daß die Gewerbesteuer bei den Steuerausfällen ein besonders großes Gewicht hat. Bereits im Jahre 1988 wird das Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer allein durch diesen gesetzgeberischen Eingriff um über 1,1 Milliarden DM verkürzt werden, meint der Deutsche Städtetag — und dies bei der sogenannten Gewerbesteuergarantie der Bundesregierung. Auf der einen Seite eine Bestandsgarantie abgeben — die Sie immer wiederholen — und auf der anderen Seite gleichzeitig diesen Bestand verringern, das grenzt an Heuchelei, meine Damen und Herren.
Ein neues Paradebeispiel für gebrochene Zusagen hat der Chef der beiden Herren, der verehrte Herr Bundesfinanzminister, letzter Tage erst geliefert. Er hat die Bestandsgarantie des Bundeskanzlers einfach aufgehoben. Seine Wiedergabe der Gewerbesteuergarantie ist eine klare Verfälschung der Kohlschen Formulierung. Und das ist schon ein Kunststück. Sie läßt Schlimmes ahnen und muß die Verunsicherung der Gemeinden noch verstärken. Da geht doch der Bundesfinanzminister — Sie haben das im „Bulletin" gebracht — zum Bundesverband der Deutschen Industrie und spricht am 3. De-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13807
Poß
zember über die Ziele der Steuerpolitik in der nächsten Legislaturperiode. Und was erklärt er zur Gewerbesteuer, Herr Häfele? Die Diskussion über die Gewerbesteuer müsse weitergehen.
Und wörtlich:
Die Bundesregierung hat deshalb den Gemeinden im wesentlichen
— ich wiederhole: im wesentlichen —
den Weiterbestand der Gewerbesteuer garantiert, solange es keine befriedigende Alternative gibt.
Von dieser Einschränkung auf das Wesentliche ist bei der Garantie des Bundeskanzlers nichts zu lesen. Will also hier der Bundesfinanzminister nachträglich rechtfertigen, daß er durch Abschreibungsverkürzungen über 1 Milliarde DM Gewerbesteuer weggenommen hat, und will er dieses Spielchen nach der Salamitaktik fortsetzen? Denn die Gewerbesteuer ist nach seiner Interpretation nur noch „im wesentlichen" aufrechtzuerhalten. Das heißt doch nichts anderes, als daß der Bundesfinanzminister schon wieder plant, die Gewerbesteuer auszuhöhlen.
Dabei hat der Sachverständigenrat in seinem neuesten Gutachten die Verantwortung der Bundesregierung deutlich herausgestellt, wenn er in der Textziffer 277 feststellt:
Wir führen die zurückhaltende Investitionspolitik der Gemeinden auf deren Unsicherheit über die künftige Finanzausstattung zurück.
Ich fordere den Bundesfinanzminister und die Kommunalpolitiker der Koalition auf, sich im Interesse der Kommunen, im Interesse der kommunalen Investitionstätigkeit und damit im Interesse einer besseren Beschäftigungspolitik zu dieser Manipulation hier zu äußern.
— Ich habe vorhin etwas dazu gesagt, sehr geehrter Kollege.
In verbundener Debatte findet auch die erste Lesung des Investitionszulagenänderungsgesetzes statt. Dazu möchte ich nur einige kurze Anmerkungen machen; wir werden morgen im Ausschuß sicherlich intensiver diskutieren. Diese Vorlage ist eine Fortentwicklung der alten Rechtslage und bedeutet eine Anpassung an veränderte Entwicklungen. Das begrüßen wir ebenso wie die Verbindung von forschungs- und regionalpolitischen Kriterien. Die Begrenzung der Förderung auf einen Höchstbetrag dokumentiert die Absicht, Kapitalinvestitionen nicht um jeden Preis und in jeder Höhe zu unterstützen und führt endlich das Kriterium „dauerhafte Arbeitsplätze" ein. Dennoch möchten wir gerne wissen — da frage ich die Bundesregierung —, warum die Förderung des Handwerks in diesem Gesetz nicht die Berücksichtigung gefunden hat, die der Planungsausschuß vorgeschlagen hat? Gefördert werden nur Produktionen, die überwiegend außerhalb der Region verkauft werden. Das heißt heute aber: Nur wer schon 50 vom Hundert überregionalen Absatz hat, erhält diese Förderung, nicht aber, wer mit dieser Förderung in die überregionale Orientierung hineinwachsen will. Das wäre auch eine Aufgabe z. B. für die Mittelstandspolitiker der Union, sich um dieses Detail einmal zu kümmern, das gar nicht so unbedeutend ist, wenn man immer das hehre Ziel der Mittelstandspolitik verkündet.
— Das ist auch das Ziel der SPD. Aber wir klaffen in Theorie und Praxis nicht so weit auseinander wie Sie.
— Und an Ihrem Praxisdefizit, Herr von Schmude; das paßt doch dann.
Ob die finanziellen Größenordnungen der Förderung für die ausgeschlossenen Handwerksbetriebe so erheblich sind, werden wir in den Ausschußberatungen prüfen. Ich halte haushaltsmäßige Erwägungen in diesem Zusammenhang für fragwürdig, da offensichtlich bei den Handwerksbetrieben das Geld eingespart wird, das für Wackersdorf in viel höherem Maße ausgegeben werden soll.
— Moment, Kollege. Seien Sie nicht so voreilig!
Wir werden im Ausschuß sehr genau prüfen, wie es sich mit den bis zur dritten Lesung zu stellenden Anträgen bei Wackersdorf verhält. Schließlich geht es hier um ein Subventionsvolumen für ein einziges Unternehmen in Höhe von mehr als 600 Millionen DM aus der regionalen Investitionszulage.
Bayern möchte — sehr trickreich — für Wackersdorf die Vorteile der bisherigen Regionalförderung, sprich: 600 Millionen DM, und zusätzlich die Möglichkeit der Forschungszulagen nach neuem Recht. Nicht anders kann man die Anträge, die mit Mehrheit vom Bundesrat gefaßt wurden, interpretieren. Wenn hier haushaltsmäßige Bedenken bestehen, weil Mitnahmeeffekte für eine auch sonst notwendige Betriebsverlagerung vorherzusehen sind, dann möchten wir dazu morgen Aufklärung im Ausschuß erhalten, Herr Häfele. Oder kann die Bundesregierung schon heute erklären, daß sie keinen Antrag aus Wackersdorf erhält oder daß sie einen solchen Antrag aus rechtlichen Gründen nicht genehmigen wird?
Aber Großzügigkeit bei den großen und enge Grenzen bei den kleinen Unternehmen, den Handwerksbetrieben, das ist nicht unsere Förderungspolitik. Einer Lex Wackersdorf werden wir nicht zustimmen, meine Damen und Herren.
13808 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Das Wort hat der Abgeordnete von Schmude.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte der vergangenen Woche hat noch einmal in eindrucksvoller Weise verdeutlicht, in welch starkem Maße die konjunkturelle Aufwärtsentwicklung in der Bundesrepublik durch die seit der Wende verbesserten Rahmenbedingungen in der Wirtschaft verursacht worden ist. Der weitere Ausbau dieser Rahmenbedingungen ist aber aus konjunkturellen wie auch aus strukturellen Gründen notwendig. Gerade diesen Zielen dient der vor uns liegende Gesetzentwurf: der Gesetzentwurf über die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude, jetzt erweitert um den Bereich moderne Heizungs- und Warmwasseranlagen, sowie der Gesetzentwurf zur Änderung des Investitionszulagengesetzes.
Die Opposition hat in der ersten Lesung ihre ablehnende Haltung in bezug auf die verkürzten Abschreibungsfristen nicht mit überzeugenden Argumenten rechtfertigen können.
Ich kann das auch heute nach der Rede des Kollegen Poß nicht anders sehen.
Dieses Verhalten bleibt um so unverständlicher, als es hier um die Schaffung von Arbeitsplätzen geht, das Gesetz insbesondere von der mittelständischen Wirtschaft befürwortet wird und im übrigen auch die Gewerkschaften keine ablehnende Haltung gezeigt haben. Es drängt sich der Verdacht auf, daß aus ideologischen Gründen das offensichtlich immer noch gestörte Verhältnis Ihrer Partei zur Wirtschaft der wahre Grund für die ablehnende Haltung ist.
Die Lebensdauer von Betriebsgebäuden wird maßgeblich und unbestreitbar von dem schneller gewordenen technologischen Wandel bestimmt. Daneben wirken zusätzlich neue gesetzliche Vorschriften, die derartige Investitionsentscheidungen beeinflussen.
— Warten Sie ab!
In unseren europäischen Nachbarländern und weit darüber hinaus ist diesem Tatbestand des Wandels schon lange durch Abschreibungszeiten Rechnung getragen worden, die bei 20 Jahren und darunter liegen.
Mit diesem Gesetz wird nichts anderes als Chancengleichheit im internationalen Wettbewerb angestrebt.
Wer — wie der Kollege Poß oder auch der Kollege
Wieczorek in der ersten Lesung — behauptet, kürzere Abschreibungszeiten seien auch in der Vergangenheit auf Einzelantrag möglich gewesen, macht es sich wirklich zu einfach. Ich habe mir von einem kleineren Unternehmer in meinem Wahlkreis einmal die Korrespondenz in einer solchen Angelegenheit zeigen lassen. Da wurden von der Finanzverwaltung immer neue Nachweise verlangt, teure Gutachten gefordert, und nach fast einjährigem Kampf kam ein ganz fauler Kompromiß für diesen Unternehmer heraus.
Gerade weil Großbetriebe sich in der Vergangenheit in diesem Bereich viel erfolgreicher durchsetzen konnten, verlangt es neben den generellen Erwägungen, die hier am Platze sind, auch das Gebot der Chancengleichheit, eine gesetzliche Regelung zu treffen, die mehr Steuergerechtigkeit insbesondere auch zugunsten der Klein- und Mittelbetriebe bewirkt.
Im Falle der steuerfreien Rücklage nach § 6 b war es übrigens zu Ihrer Regierungszeit, meine Damen und Herren von der Opposition, genauso: Mittelständische Unternehmen mußten sich wegen des § 6 b mit dem Finanzamt herumschlagen; große Betriebe wie Flick hatten es wesentlich einfacher, wie wir wissen.
Die Herabsenkung der Abschreibungsfristen bringt aber auch gegenüber der bisherigen Praxis
ein gutes Stück Erleichterung, ein gutes Stück Entbürokratisierung, da wir künftig bedeutend weniger Anträge auf Herabsetzung der Abschreibungszeit zu erwarten haben.
In dieses Gesetz konnten, nicht zuletzt aus Kostengründen, Altbauten nicht einbezogen werden; aber ich sage hier: Es kann erwartet werden, daß die Finanzverwaltung ihre auch künftig individuell zu treffenden Entscheidungen über die tatsächliche Lebensdauer von Altgebäuden näher an der Praxis orientiert fällen wird.
Es geht bei diesem Gesetz nicht um eine Art Vorruhestandsregelung für Gebäude, sondern vielmehr um eine zwingend notwendige strukturelle Anpassungsmaßnahme. Es ist deshalb völlig abwegig, hier eine Art Subventionscharakter zu konstruieren. Allerdings stärkt dieses Gesetz die Investitionskraft der Unternehmen, da der steuerstundende Charakter von Abschreibungen zur Rücklagenbildung beiträgt. Dies ist um so notwendiger, als der Wiederbeschaffungswert abgeschriebener Aktiva in der Regel wesentlich höher liegt.
Betriebe planen ihre Investitionen auf Grund der Absatz- und Ertragsentwicklung; aber die praktische Umsetzung solcher Überlegungen hängt entscheidend von den Kosten und deren Finanzierung ab. Das hierfür erforderliche Eigenkapital ist in den Zeiten Ihrer Regierung stark zurückgegangen, und zwar besonders zu jener Zeit, als man die „Belastbarkeit der Wirtschaft testen" wollte. Aus Erträgen allein können die Unternehmen ihre Investitionen selten finanzieren. Großunternehmen haben es einfach, wenn sie auf den Kapitalmarkt gehen. Mittel-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13809
von Schmude
ständische Unternehmen brauchen um so stärker die Möglichkeit der eigenen Ertragskraft und auch der Rücklagenbildung durch Abschreibung. Insoweit wird vor allem kleinen und mittleren Firmen durch diese verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten geholfen. Der Kollege Klose hat in der ersten Lesung zu Recht darauf hingewiesen, daß vor allem bei kleinen und mittleren Betrieben ein erheblicher Investitionsstau vorhanden ist. Die notwendigen Anstoß- und Auslöseeffekte werden mit diesem Gesetz erreicht. Die alternative Inanspruchnahme entweder der verdoppelten Abschreibung auf jährlich 4% bei der linearen MA oder der nun auf 45 % angehobenen degressiven MA ist auch für kleine und ertragsschwächere Betriebe in Verbindung mit dem Gesetz über den Verlustrücktrag bzw. Verlustvortrag interessant. Starke konjunkturelle Impulse sind deshalb für die Baubranche zu erwarten. Sie können auch erwartet werden von der Wiedereinführung der Sonderabschreibung für Heizungs-und Warmwasseranlagen. Die entsprechende Änderung des § 51 des Einkommensteuergesetzes trägt auch energie- und umweltpolitischen Gesichtspunkten Rechnung. Die Organisationen des Handels, des Wohnungseigentums und des Wohnungsbaus haben diese Gesetzesinitiative nachdrücklich begrüßt.
Vereinzelte Mitnahmeeffekte sind auch bei diesem Gesetz nicht auszuschließen. Es gibt sie eigentlich bei jedem Gesetz. Aber fest steht, daß bei Strohfeuerprogrammen — und da haben Sie j a Ihre Erfahrungen — stets die Trittbrettfahrer mit auf springen. Dies ist nachweislich auch bei Ihrem Programm „Arbeit und Umwelt" so; denn gerade mit diesem Programm sollen Investitionen gefördert werden, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften ohnehin durchgeführt werden müßten.
Die ebenfalls zur Beratung anstehende Änderung des Investitionszulagengesetzes stärkt die regionale Strukturpolitik in den Fördergebieten. Dies wird vor allem erreicht durch die Aufhebung des Kumulationsverbotes von regionaler Zulage und Zulage für Forschung und Entwicklung. Dadurch werden Forschungs- und Entwicklungsvorhaben besonders gefördert. Auch die vorgesehene Absenkung der Höchstgrenze der Fördermittel ist sinnvoll im Interesse der Schaffung von mehr Dauerarbeitsplätzen.
Die Ankündigung der Bundesregierung, daß künftig nur noch die im Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe genannten Gebiete gefördert werden, läßt hoffen, daß die Neuordnung der Gebietskulisse, die ja ursprünglich für Anfang 1986 vorgesehen war, sich nun nicht mehr allzusehr verspätet. Bei der Überprüfung der Fördergebiete muß aber — ich sage das ausdrücklich — den Belangen Berlins und des Zonenrandgebietes Rechnung getragen werden.
Der Präferenzvorsprung dieser beiden, durch die deutsche Teilung besonders benachteiligten Gebiete darf auf keinen Fall abgebaut werden. Die jetzt vorgesehenen Verbesserungen haben sich auch in der Zonenrand- und Berlinförderung ausgewirkt. Aber die Präferenzsituation muß von Zeit zu Zeit überprüft werden.
Die vor uns liegenden Gesetze haben nachhaltige konjunkturelle Wirkungen, insbesondere im Bereich der Bauwirtschaft. Der Arbeitsmarkt profitiert davon. Wenn man die Basiszahlen von Ifo hochrechnet, kommt man, über den Dreijahreszeitraum hinausgerechnet, auf 150 000 zusätzliche Arbeitskräfte. Abgesehen davon werden durch entsprechende Investitionen andere Arbeitsplätze sicherer gemacht, da die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch Investitionen nachhaltig gesichert wird. Und wenn man weiß, daß Investitionen von heute die Arbeitsplätze von morgen sind, dann sage ich: Vorzieheffekte sind bei diesem Gesetz sogar erwünscht.
Wenn nun Städte und Gemeinden darauf verweisen, daß sie Steuerausfälle in den nächsten vier Jahren haben werden — da werden ja unterschiedliche Zahlen genannt; ich nenne mal die Zahl 2,9 Milliarden DM, auf die sich der Haushaltsausschuß geeinigt hat —, so kann man demgegenüber nur darauf hinweisen, daß Städte und Gemeinden in der Vergangenheit — in den letzten drei Jahren — von der Konsolidierungspolitik, von dieser Politik der Wende in der Konjunkturpolitik am stärksten profitiert haben. Bei den gegriffenen Zahlen über Steuerausfälle, Herr Poß,
bei diesen Kalkulationen bleiben nun die konjunkturell bedingten Mehreinnahmen völlig unberücksichtigt,
die gerade durch dieses Gesetz initiiert werden. Sie bleiben völlig außer Ansatz. Übersehen wird auch, daß Abschreibungsverbesserungen eben nur steuerstundenden Charakter haben und eben nur dazu beitragen, daß vorn stärker abgeschrieben wird und hinten eben diese steuerlichen Möglichkeiten nicht mehr in Anspruch genommen werden können.
Undurchsichtig bleibt aus der Sicht der Städte und Gemeinden auch, daß der Arbeitsmarkteffekt hier nicht berechnet wird. Sie haben ja bei anderer Gelegenheit des öfteren vorzurechnen versucht, wie die Situation am Arbeitsmarkt die Gemeinden belastet. Ich stelle fest, daß Bund, Länder und Gemeinden auch bei diesem Gesetz in einem Boot sitzen. Angesichts der Steuermehreinnahmen für die Gemeinden von durchschnittlich 5 % in den nächsten Jahren, bereits unter Berücksichtigung des Gesetzes, kann man auch den Kommunen zumuten, einen Beitrag zur konjunkturellen Weiterentwicklung in dieser Form zu leisten. Die Gemeindefinanzen lassen es im übrigen — ebenfalls nach Aussage des Städtetags — zu, daß erstmals seit 1980 in 1985 mit steigenden Investitionen bei den Kommunen gerechnet werden kann.
Es bleibt also insgesamt völlig unverständlich, warum die Opposition dieses Gesetz über die verbesserten Abschreibungsbedingungen ablehnt.
13810 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Nun hat der Abgeordnete Vogel mal wieder das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier die Tagesordnung für den 5. Dezember in Händen. Unter Tagesordnungspunkt 7 b steht: „Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagegesetzes". Auf der Zusatz-Tagesordnung steht als Punkt 4 die Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie; erste Beratung. Ich habe hier gleichzeitig die Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaft des Deutschen Bundestages, der damit bereits seine abschließende Stellungnahme zu diesen beiden Gesetzentwürfen, die heute zur ersten Beratung anstehen, bekanntgibt, und zwar mit Datum vom 4. Dezember, also von gestern.
Ich habe hier den Text des § 62 der Geschäftsordnung,
in dem über die Aufgaben der Ausschüsse steht: „Als vorbereitende Beschlußorgane des Bundestages haben Sie die Pflicht, dem Bundestag bestimmte Beschlüsse zu empfehlen, die sich nur auf die ihnen überwiesenen Vorlagen ... beziehen dürfen."
Ich stelle fest: Dieses Gesetz wird, wenn es so bleibt, rechtswidrig zustande kommen.
Ich fordere das Präsidium von dieser Stelle aus auf, dieses Gesetz nicht zur zweiten und zur dritten Beratung zuzulassen, wenn sich der Wirtschaftsausschuß nicht erneut damit befaßt.
Und ich fordere schon jetzt den Geschäftsordnungsausschuß des Deutschen Bundestages auf, sich mit diesem Sachverhalt eingehend zu befassen.
Ich weise den Appell des Staatssekretärs Häfele an dieser Stelle zurück, der hier wirklich — ich muß sagen: — heuchlerisch um baldige Beratung gebeten hat, wenn praktisch die Beratung in den Ausschüssen schon abgeschlossen ist.
Im Finanzausschuß habe ich immerhin erreichen können, daß die Ausschußsitzung nicht am Donnerstag mit der abschließenden Beschlußfassung über dieses Gesetz beendet wurde, sondern daß wir uns morgen früh noch einmal treffen, um dieses Gesetz abschließend zu beraten.
Herr Abgeordneter Vogel, der Herr Abgeordnete Köhler möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr.
Herr Kollege, ist Ihnen vielleicht entgangen, daß der Wirtschaftsausschuß bei diesen beiden Gesetzentwürfen mitberatend ist? Der entscheidende Ausschuß ist der Finanzausschuß. Ich habe Sie in der Finanzausschußsitzung ja gesehen. Er wird erst morgen in zweiter und dritter Lesung darüber entscheiden. Wie erklären Sie sich Ihre falsche Auslegung der Geschäftsordnung?
Das ist eine korrekte Auslegung der Geschäftsordnung, denn das Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse muß auf jeden Fall jede Festlegung vermeiden. Also: Der Ausschuß darf sich lediglich damit befassen; aber er darf keine Entschließung dazu machen und auch keine Stellungnahme endgültig verabschieden. Insofern ist Ihre Auslegung der Geschäftsordnung falsch.
Meine Herren, ohne mich in den Streit hier einmischen zu wollen, darf ich Sie informieren, daß ein Antrag vorliegt, die Mitberatung im Wirtschaftsausschuß nicht vorzunehmen, sondern die Ausschußberatung auf den Finanzausschuß zu beschränken. Ich könnte mir vorstellen: Dadurch wird das ganze Problem gelöst.
Ich bitte Sie, Herr Abgeordneter Vogel, in Ihrer Rede fortzufahren.
Dann stelle ich aber fest, daß hier in der Tagesordnung unter „Überweisungsvorschlag des Ältestenrates" ausdrücklich auch der Ausschuß für Wirtschaft aufgeführt wird. Da im Ältestenrat normalerweise nach dem Konsensprinzip vorgegangen wird, kann ich mir nicht vorstellen, daß unser parlamentischer Geschäftsführer bisher von dieser Position abgerückt ist.
Auch das möchte ich deutlich machen: Der Abgeordnete Poß hat ja schon die Befürchtung geäußert, es könne sich hier um eine Lex Wackersdorf handeln.
Angeführt wird hier insbesondere die Aufhebung des Kumulationsverbotes, die dazu führen wird, daß in Zukunft im Zonenrandgebiet nicht nur die Regionalzulage von 8 bis 10 % gezahlt wird, sondern daß darüber hinaus spezielle Forschungszulagen von 20 % gezahlt werden.
Für Investitionen, die eine für Menschen und Umwelt besonders unsichere Technik anwenden,
werden also künftig insgesamt 30 % Investitionszulage gezahlt werden.
Ich möchte es einmal genauer beleuchten. Der Höchstbetrag für die Investitionszulage orientiert sich an den Investitionskosten pro Arbeitsplatz. Da-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13811
Vogel
bei gilt eine Höchstgrenze in Höhe des Zehnfachen des Betrages, der im Rahmenplan der Regionalförderung als Durchschnittsbetrag der Investitionskosten pro Arbeitsplatz angesetzt ist. Konkret: Die Höchstgrenze für die Bemessung der Investitionszulage sind 2 Millionen DM pro Arbeitsplatz. Das heißt, bis zu 2 Millionen DM pro Arbeitsplatz werden gefördert.
Früher gab es eine Ausschlußgrenze in Höhe von 6 Millionen DM. Arbeitsplätze, die pro Platz mehr als 6 Millionen DM kosteten, waren überhaupt nicht förderungswürdig, weil sie als zu kapitalintensiv angesehen wurden. Die WAA Wackersdorf wäre insofern fraglich gewesen, da hier wahrscheinlich 8 Milliarden DM für ca. 1 000 Arbeitsplätze ausgegeben werden. Nach der neuen Regelung ist auf jeden Fall sichergestellt, daß die Wiederaufarbeitungsanlage Geld erhalten wird.
Wenn es sich bei Investitionen um eine fragliche Technik handelt, weshalb dann die Forschungszulage gezahlt wird, dann werden also pro Arbeitsplatz 600 000 DM an Zulage gezahlt. Mit dieser Summe könnten aber z. B. 15 Arbeitsplätze im Bereich der Pflegeleistungen direkt und voll finanziert werden. Das bedeutet, daß allein aus der Investitionszulage für 100 Arbeitsplätze in Wackersdorf 1 500 Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich voll aus öffentlichen Mitteln finanziert werden könnten.
Überhaupt ist auch interessant, daß die Kraftwerke plötzlich nicht mehr förderungswürdig sind. Dezentrale Wirbelschichtfeuerungsanlagen, alternative Windkraftanlagen z. B. werden aus der Förderung ausdrücklich herausgenommen, und gleichzeitig wird sichergestellt, daß die WAA auf jeden Fall gefördert wird.
— Richtig.
Ich möchte noch auf den Gesetzentwurf zu sprechen kommen, der hier in dritter Beratung ansteht. Es handelt sich darum, daß die Abschreibungsfrist für neue Wirtschaftsgebäude von 50 auf 25 Jahre verkürzt wird. Natürlich handelt es sich hier um eine Subvention, und das ist, Herr von Schmude, im Ausschuß wirklich überdeutlich geworden. Die Situation ist doch die: Die Abschreibungsfrist für ein riesiges Firmengebäude beträgt 25 Jahre, die Abschreibungsfrist für die Hausmeisterwohnung unten beträgt jedoch 50 Jahre. Da besteht doch offensichtlich eine Diskrepanz zwischen Abschreibungsdauer und Erhaltungsdauer des Gebäudes. Es kann doch nicht angehen, daß die Hausmeisterwohnung 50 Jahre hält, der Rest aber nur 25 Jahre. An dieser Differenz zeigt sich ganz deutlich, daß eine Subventionierung von Industriebetrieben gewollt ist. Das läßt man sich auch etwas kosten: 1987 2,2 Milliarden DM, 1988 3,7 Milliarden DM und 1989 3,9 Milliarden DM, mit weiterhin steigender Tendenz.
— Ja, das reicht wirklich.
Im übrigen möchte ich, nachdem hier der Antrag gestellt wird, nicht an den Wirtschaftsausschuß zu überweisen, wohl auf Grund des von mir dargestellten Tatbestandes, doch einmal fragen, ob auch an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen nicht überwiesen werden soll.
Soweit ich weiß, hat sich nämlich der Zonenrandförderungs-Unterausschuß inzwischen auch damit befaßt,
und auch der Ausschuß für regionale Wirtschaftsstruktur hatte diesen Punkt gestern auf der Tagesordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf für die FDP-Fraktion ganz kurz folgendes erklären. Den grundsätzlichen Argumenten und Erwägungen des Kollegen von Schmude ist nichts hinzuzufügen. Die vorweihnachtliche Stimmung und Milde und das Mitgefühl mit den Kollegen in diesem Hause veranlassen mich deshalb, nur zu sagen: In dem Bewußtsein, daß mit der Verabschiedung dieser Gesetze etwas Wesentliches zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft getan und ein Anreiz zur Verstärkung der Investitionstätigkeit der Wirtschaft ganz allgemein gegeben wird, erkläre ich, daß die FDP diesen Gesetzentwürfen zustimmt.
Herr Abgeordneter, das Haus weiß Ihnen für die Kürze zu danken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1982 haben wir in diesem Hause ein Stahlprogramm verabschiedet, dessen wesentliche Bestandteile soziale Flankierung, Stahlstandorteprogramm und Investitionshilfen waren, ein Programm also, das zur Modernisierung der deutschen Stahlindustrie und zur Sicherung der Arbeitsplätze beitragen sollte. Die damaligen Wettbewerbsverzerrungen in der Europäischen Gemeinschaft haben dies ja herausgefordert.
Nun ist das Stahlinvestitionszulagengesetz in diesem Zusammenhang sozusagen dadurch in Schwierigkeiten gekommen, daß der Kompromiß, der mit dem Kodex in Luxemburg gefunden worden ist, bestimmte Grenzen für den 31. Dezember 1985 setzt.
13812 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Urbaniak
Es muß hier eine Rechtslage gefunden werden, die dazu führt, daß wir noch in diesem Jahr klären können, daß Anzahlungen nicht nur auf Teilherstellungskosten, sondern auch auf Gesamtherstellungskosten geleistet werden können, damit das von diesem Hohen Haus genehmigte Investitionsvolumen für die Modernisierung der Stahlindustrie zur Auszahlung kommt.
Dies beabsichtigen wir mit unserem Gesetzentwurf. Wir haben im Wirtschaftsausschuß schon vor Monaten auf diese Situation aufmerksam gemacht, auch die Bundesregierung gebeten, geeignete Schritte zu unternehmen. Es ist dann in der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses über diese Frage einigermaßen Klarheit darüber entstanden, wie man diese Dinge regeln will, nämlich im Steuerbereinigungsgesetz 1985.
Wir sind uns darüber im klaren, daß die Perspektiven für die Sicherung der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie nicht so überschaubar sind, daß wir sagen könnten: Alles das, was in der EG verhandelt worden ist, gibt uns zu vorsichtigem Optimismus Anlaß. Vielmehr könnte es in Zukunft noch sehr schwierig werden. Denn die Bundesregierung hat ja in diesem Jahr einem Investitionsvolumen für die Mitbewerber zugestimmt, das uns noch sehr große Schwierigkeiten machen wird.
Wir möchten gern, daß unser Gesetzentwurf ausschließlich an den federführenden Finanzausschuß überwiesen wird. Dies ist interfraktionell wohl auch so vereinbart worden. Wir bitten, eine Überweisung an den Wirtschaftsausschuß und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung nicht vorzunehmen.
Denn morgen wird j a im Finanzausschuß über das Steuerbereinigungsgesetz wohl weiterberaten, so daß wir mit unserer Initiative noch erhebliche Substanz liefern, um das politische Ziel zu erreichen, das wir in diesem Hohen Hause beschlossen haben.
Den Kolleginnen und Kollegen des Finanzausschusses wollen wir mit diesem Entwurf nur hilfreich sein. Wir von der SPD-Fraktion sind uns darüber im klaren: Das Investitionsvolumen muß ausgeschöpft werden, um die Arbeitsplätze in der Stahlindustrie sicherer zu machen
und die Wettbewerbsvoraussetzungen für die deutsche Stahlindustrie ebenfalls erheblich zu verbessern.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir kommen damit zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 7a, und zwar über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4042. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —
— Nein, es ist mit Mehrheit angenommen worden. Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? —
— Das Präsidium ist sich einig, daß die Mehrheit gegeben ist. Wir gehen von der Mehrheit aus und stellen fest, daß das Gesetz damit angenommen worden ist.
Meine Damen und Herren, zu Tagesordnungspunkt 7 b und Zusatztagesordnungspunkt 4 wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/4297 und 10/4235 an den Finanzausschuß zu überweisen, also nicht wie in der Vorlage. Ich möchte feststellen, ob Konsens in dieser Frage besteht? — Zur Geschäftsordnung meldet sich der Abgeordnete Vogel.
Ich beantrage, daß er auch an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen wird. Nachdem sich der Ausschuß für Wirtschaft schon qualifiziert damit beschäftigt hat, wird er auch in der Lage sein, eine Vorlage an den Finanzausschuß zu erstellen. Es handelt sich hier um einen Gesetzentwurf, der eindeutig auch in den Wirtschaftsausschuß gehört.
Der Abgeordnete Urbaniak hat das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Wir sind ja diejenigen, die den Gesetzentwurf erarbeitet, vorgelegt und begründet haben. Wir haben gehört, daß man sich interfraktionell zu unserem Entwurf geeinigt hat, und wir bitten, ihn nur an den Finanzausschuß zu überweisen.
Ich verstehe den Antrag des Abgeordneten Vogel so, daß er wünscht, daß darüber abgestimmt wird, ob neben dem Finanzausschuß auch der Wirtschaftsausschuß mit dem Fragenkomplex beschäftigt wird. Ich lasse darüber abstimmen.
Wer dem Antrag des Abgeordneten Vogel zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer dagegen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Damit ist der Antrag des Abgeordneten Vogel abgelehnt. Die ausschließliche Überweisung an den Finanzausschuß ist damit beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13813
Vizepräsident Cronenberg
— Es geht jetzt auch noch um den Zusatztagesordnungspunkt 4. Der Abgeordnete Becker hat mit seiner Bemerkung recht. Die Überweisung bezog sich auf den Finanzausschuß. Ich glaube feststellen zu dürfen, das Haus ist sich einig, daß der Gesetzentwurf unter Zusatzpunkt 4 entsprechend dem Antrag des Abgeordneten Urbaniak ausschließlich im Finanzausschuß behandelt werden soll. Überwiesen werden natürlich die beiden Entwürfe.
Nachdem ich somit die Klarheit hergestellt habe, darf ich nunmehr mit Zustimmung des ganzen Hauses Tagesordnungspunkt 8 aufrufen:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1986
— Drucksache 10/3997 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 10/4274 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Niegel
Jung
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4438 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion, einschließlich der Berichterstatter, vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch.
Der Abgeordnete Niegel hat zunächst das Wort zur Berichterstattung. Er hat mir mitgeteilt, daß er dies gleichzeitig als Debattenbeitrag betrachtet.
— Herr Abgeordneter Niegel, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß im Ältestenrat eine Gesamtzeit vereinbart worden ist, an die ich mich zu halten habe. Das Präsidium wird nicht kleinlich verfahren. — Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der dem Hohen Hause in zweiter und dritter Lesung vorliegende ERP-Wirtschaftsplan 1986 führt die bekannte und bewährte Investitionsfinanzierung kleiner und mittlerer gewerblicher Unternehmen, die Umweltschutzförderung und das Berliner Investitionsprogramm als Hauptschwerpunkte fort. Gleichzeitig umfaßt er einen substantiellen Teil der Maßnahmen, die die Bundesregierung Mitte dieses Jahres zur Stärkung und Verstetigung der kommunalen Investitionstätigkeit und zur Erleichterung des Anpassungsprozesses in der Bauwirtschaft beschlossen hat.
Wegen struktureller Schwierigkeiten und Veränderungen in der Bauwirtschaft, die auch durch die Haushaltsschwierigkeiten von früheren Regierungen und die Finanzschwierigkeiten der Gemeinden verstärkt wurden, darf die insgesamt positive Wirtschaftsentwicklung nicht — wie gerne von so manchem — negativ betrachtet werden. Ein Konjunkturprogramm mit bekannten Strohfeuereffekten würde der Wirtschaftslage nicht gerecht.
Notwendig ist jedoch im Rahmen einer neuen Grundausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung ein Anstoß für einen dauerhaften Anstieg, vor allem der kommunalen Investitionen. Durch Erfolge bei der Haushaltskonsolidierung haben die Gemeinden ingesamt den notwendigen Spielraum für eine stärkere Investitionstätigkeit wiedergewonnen. Daneben galt und gilt es, die gewerbliche Bautätigkeit anzuregen.
Für den ERP-Wirtschaftsplan wurde eine überproportionale Mittelaufstockung für die Jahre 1986 und 1987 um insgesamt 1,6 Milliarden DM, zum Teil über zusätzliche Kreditaufnahme, zum Teil durch Austausch von Vermögenswerten zwischen dem ERP- und dem Bundeshaushalt finanziert, vorgenommen. Auf diese Weise kann für nächstes Jahr ein Fördervolumen von 4,4 Milliarden DM finanziert werden. Ergänzend stehen dazu über die beiden Hauptleihinstitute — Kreditanstalt für Wiederaufbau und Lastenausgleichsbank — ein Betrag von fast 2 Milliarden DM zur Verfügung, so daß ein Kreditvolumen von insgesamt 6 Milliarden DM vorhanden ist.
Für kleine und mittlere Unternehmen stehen davon 2,3 Milliarden DM zur Verfügung, Investitionen in Berlin können mit 665 Millionen DM gefördert werden. Die gegenüber dem Vorjahr zusätzlichen Mittel sind für die besonderen baurelevanten ERP-Programme wie ERP-Abwasserreinigungsprogramm, ERP-Abfallwirtschaftsprogramm, ERP-Gemeindeprogramm und E-RP-Standardprogramm bestimmt, deren Zweckbestimmung zum Teil erweitert wird. Hauptsächlich kommen sie — plus 600 Millionen DM — dem Umweltschutz zugute. Insgesamt sind für diesen Bereich für 1986 rund 1,2 Milliarden DM gegenüber 490 Millionen DM im Jahre 1985 vorgesehen. Die Mittel sind gegenüber dem Vorjahr verdoppelt worden.
Politische Voraussetzung für die Aufstockung war vor allem, daß die übrigen ERP-Programme unverändert weitergeführt werden können, z. B. das ERP-Existenzgründungsprogramm. Das ERP-Programm ist und bleibt derzeit die beste Wirtschaftsförderung des gewerblichen Mittelstandes.
Im einzelnen: Für das ERP-Abwasserreinigungsprogramm — es umfaßt hauptsächlich kommunale Bauinvestitionen — sind Zusagemittel in Höhe von 610 Millionen DM vorgesehen. Der Verwendungszweck wird im wesentlichen — vor allem bei der Gewässerreinhaltung — ausgeweitet. Einbezogen werden unter anderem Hauptsammler, Regenüberlaufbecken und neue Kanalisationen in gewerblich und gemischt genutzten Gebieten.
Für das ERP-Abfallwirtschaftsprogramm, das sowohl kommunale als auch zunehmend gewerbliche Investitionen umfaßt, sind 1986 Zusagemittel in Höhe von 420 Millionen DM enthalten. In beide Programme — ebenso wie in das ERP-Luftreinhalteprogramm — wird 1986 und 1987 die Förderung
13814 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Niegel
baurelevanter umweltfreundlicher Produktionsanlagen einbezogen. Gemeint sind damit Anlagen, die das Entstehen von Schadstoffen vermeiden und insoweit eine nachträgliche Beseitigung überflüssig machen, sofern die Investitionen einen wesentlichen Bauanteil haben. In allen drei Umweltprogrammen können umweltfreundliche Produktionsanlagen finanziert werden, wenn damit wesentliche Bauinvestitionen verbunden sind.
Es läßt sich allerdings nicht vermeiden, daß bei der Komplexität der Investitionsmotive auch mit Mitnahmeeffekten gerechnet werden muß. Ich möchte daher an dieser Stelle an die Verwaltung und an die Hauptleihinstitute des ERP-Sondervermögens appellieren, einen scharfen Maßstab anzulegen, um die wirklich umweltschutzorientierten Vorhaben für die Förderung herauszufinden.
Das ERP-Gemeindeprogramm betrifft kommunale Bauinvestitionen zur Verbesserung des Wohn-und Freizeitwertes in den Schwerpunktorten der Gemeinschaftsaufgabe und ergänzt damit die wirtschaftsbezogenen Maßnahmen. Für 1986 sind für das Programm Zusagemittel von 100 Millionen DM vorgesehen. In vielen Fällen wird dadurch auch der Eigenkapitalanteil der Kommunen zur Komplementierung des Programms für die Stadt- und Dorferneuerung, das ab 1. Juli neu aufgelegt wurde, finanziert.
Meine Damen und Herren, der ERP-Wirtschaftsplan 1986 ist Teil eines Maßnahmenpaketes: Ergänzt werden die ERP-Mittel durch ein mehrjähriges Zusatzkreditangebot der MW und der LAB für Gemeinde- und Umweltschutzmaßnahmen von über 5 Milliarden DM. Ich möchte an dieser Stelle der KfW und der LAB dafür danken, daß sie zum einen von sich aus Programme zusätzlich aufgelegt haben, zum anderen aber auch Programme finanziert haben, die ähnlich wie die ERP-Programme zu den gleichen Bedingungen finanziert werden.
Im Programm für kleine und mittlere Unternehmen weist z. B. die KfW 1985 mehr als 4 Milliarden DM aus. Für Umweltschutzinvestitionen z. B. von gewerblichen Unternehmen und für Vorhaben im kommunalen Bereich stellt sie insgesamt 5,5 Milliarden DM zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, das sind Leistungen — ERP und die beiden Programme der beiden Hauptleihinstitute —, die zusammen mich zu der Aussage veranlassen, daß noch nie so viele Mittel für investitionsfreundliche Unternehmen, aber auch für investitionsfreudige Kommunen zur Verfügung gestanden haben.
Ein Wort zu den Zinskonditionen bei den Hauptprogrammpunkten des ERP-Kredits. Diese betragen derzeit bundesweit 6 %, im Zonenrandgebiet 5% und in Berlin 4 %. Für Programme mit Umweltschutz- und Gemeindeinvestitionen betragen die Zinskonditionen 5,5 %, und das unabhängig von der regionalen Lage.
Abschließend darf ich Ihnen noch ein Wort zur Dankesspende sagen. Die letzten 10 Millionen DM der für 1972 zugesagten 150 Millionen DM Dankesspende an den German Marshall Fund in Washington sind im Wirtschaftsplan für 1986 enthalten. Bereits bei der zweiten und dritten Lesung des ERP-Wirtschaftsplans 1985 am 18. April habe ich hier an dieser Stelle gefordert: Falls eine Verlängerung erfolgt, sollten ein gewisses Mitspracherecht des Parlaments und eine stärkere Hinwendung im Ablauf des Programms zur Verbesserung der Verständigung des wirtschaftspolitischen Verhältnisses zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland hergestellt werden.
Zum Abschluß der Beratungen des ERP-Plans 1986 ist erfreulicherweise festzustellen, daß bei dem jetzt vorgesehenen Anschlußprogramm die Hälfte der Mittel für spezielle Projekte der deutschamerikanischen Zusammenarbeit überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen ist.
Weiter ist es, wenn auch erst in letzter Minute, durch Verhandlungen mit dem Bundeskanzleramt gelungen, zu erreichen, daß sich das deutsche Beratungsgremium zusammen mit dem Unterausschuß ERP-Wirtschaftspläne auf Einladung des ERP-Unterausschusses trifft, um Überlegungen für Programmgestaltungen bzw. Anregungen zu beraten. Damit ist zumindest der Versuch einer parlamentarischen Mitwirkung unternommen.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitte ich um Annahme des ERP-Wirtschaftsplans 1986.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Frau Präsident! Nachdem es jetzt fast schon zur Tradition geworden ist, daß Herr Niegel zum ERP-Wirtschaftsplan nicht nur als Debattenredner, sondern sozusagen im gleichen Atemzug auch als Berichterstatter spricht, ohne daß die Übergänge sehr deutlich werden, möchte auch ich gern mein Recht als Berichterstatter in Anspruch nehmen und hier einige einleitende Bemerkungen zur Struktur des diesjährigen ERP-Wirtschaftsplans vorausschicken und würde gern auch noch eine besondere Bemerkung anschließen.
Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsausschuß hat dem Bundestag einmütig empfohlen, den Gesetzentwurf über die Feststellung des ERP-Wirtschaftsplans für 1986 anzunehmen. Maßgeblich dafür war die Erhöhung des Zusagevolumens um 1 Milliarde DM gegenüber dem laufenden Jahr, so daß im nächsten Jahr insgesamt 4,4 Milliarden DM an Kreditmitteln zur Verfügung stehen. Regulär, d. h. wenn der revolvierende Charakter des Sondervermögens nicht in Frage gestellt wird, hätte dieses Zusagevolumen nur um 200 Millionen DM erhöht werden können. Der erweiterte Kreditrahmen soll zum größten Teil zur Förderung von bauwirksamen Investitionen in der gewerblichen Wirtschaft, und zwar im Umweltbereich, verwendet werden. Insgesamt stehen 1986 für Umweltschutzmaßnahmen aus dem ERP-Wirtschaftsplan 1,1 Milliarden DM zur Verfügung. Dabei müssen die Fördermittel der übrigen Programme des ERP-Sondervermögens nicht eingeschränkt werden; sie können in ihrem
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13815
Jung
Volumen weitergeführt und sogar aufgestockt werden.
Ich möchte eine weitere Bemerkung zu dem Sperrvermerk machen, den der Unterausschuß ,,ERP-Wirtschaftspläne" zu der Verpflichtungsermächtigung für die Dankesspende an den German Marshall Fund beschlossen und dann kurzfristig wiederaufgehoben hat; dieser Vorgang ist im Unterausschuß ein Problem gewesen. Bei diesem Sperrvermerk ging es lediglich darum, sicherzustellen, daß der ERP-Unterausschuß über Inhalt, Struktur und Entscheidungsverfahren des German Program unterrichtet wird. Das ist inzwischen geschehen.
Es bleibt festzuhalten, daß es ein Teil der Ausschußmitglieder, nämlich die Sozialdemokraten, lieber gesehen hätte, wenn der Gesamtbetrag der Dankesspende, nämlich 100 Millionen DM, verteilt auf zehn Jahre, wie bisher in der alleinigen Verfügung der amerikanischen Stiftungsorgane verblieben wäre. Die Vertreter des German Marshall Fund sind aber mit der nun gefundenen Regelung einverstanden, so daß wir den Kompromiß, nämlich die hälftige Teilung der Summe in ein amerikanisches und in ein deutsches Programm, mittragen können.
Auf jeden Fall aber, meine Damen und Herren, wollen wir keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß wir uns des Charakters dieser Dankes-spende zur Förderung der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit voll bewußt sind und sie daher auch ohne Vorbehalt unterstützen wollen. — Soviel wollte ich zur Berichterstattung ergänzen.
Ich habe gesagt — damit komme ich zu dem Beitrag für die Sozialdemokraten —, der erweiterte Kreditrahmen solle zum größeren Teil zur Förderung bauwirksamer Investitionen im Umweltbereich verwendet werden. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kann ich daher sagen: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, soweit der ERP-Haushalt gemeint ist. Wir Sozialdemokraten werden daher dem Haushalt zustimmen.
Aber diese Entwicklung ist überhaupt nicht neu; darauf möchte ich besonders hinweisen. In den ERP-Wirtschaftsplan 1982, also noch zu Zeiten der sozialliberalen Koalition, wurde die Gemeinschaftsinitiative mit einem Kostenaufwand in Höhe von insgesamt 1,6 Milliarden DM, verteilt auf vier Jahre, aufgenommen, und zwar gegen den Widerstand der damaligen Opposition. Zum ERP-Wirtschaftsplan 1983 stellte die SPD, nunmehr selbst in der Opposition, den Antrag, das ERP-Programm „Existenzgründungen und standortbedingte Investitionen" um 400 Millionen DM aufzustocken und diese Aufstockung in den Jahren 1984 und 1985 zu wiederholen. Zur Finanzierung dieser Erhöhung hat sie die Übernahme von Beteiligungen des ERP-Sondervermögens durch den Bund gegen Zuführung entsprechender Barmittel vorgeschlagen, ähnlich, wie es nunmehr praktiziert werden soll. Das stieß vor drei Jahren noch auf den entschiedenen Widerstand der derzeitigen Regierungskoalition. Nichtsdestoweniger werden wir den ERP-Wirtschaftsplan unterstützen. Das möchte ich für die Sozialdemokraten noch einmal deutlich machen.
Das tun wir allerdings nicht ohne den Hinweis, daß die größte Arbeitslosigkeit seit der Gründung der Bundesrepublik, die selbst nach regierungsamtlichen Annahmen in den nächsten Jahren nicht abgebaut werden wird — ich füge hinzu: jedenfalls nicht mit den Mitteln Ihrer Politik —, und die bedrohliche Umweltzerstörung, die Sie nur mit halbherzigen Maßnahmen angehen, Kraftanstrengungen ganz anderen Ausmaßes notwendig machen.
Meine Damen und Herren, in der Beratung des Bundestages befindet sich immer noch unser Vorschlag, bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau ein Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" zu schaffen, mit dem ein wirksamer Beitrag zum Umweltschutz, insbesondere zur Beseitigung der Altlasten, und gleichzeitig zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit geleistet werden soll.
Wenn Sie Ihre Maßnahmen zur Förderung von bauwirksamen Umweltinvestitionen auf das Argument stützen, daß Sie damit, wie Sie sagen, nicht nur ein konjunkturelles Strohfeuer entfachen, sondern auch einen Beitrag zur strukturellen Anpassung unserer Wirtschaft leisten wollen, dann müßten Sie genau dies auch für das von uns vorgeschlagene Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" gelten lassen. Aber das tun Sie nicht, und zwar nicht nur deswegen, weil Sie es nicht vertragen können, wenn ein richtiger, zukunftsweisender Vorschlag von der Opposition kommt; das tun Sie auch deswegen nicht — davon bin ich überzeugt —, weil Ihnen größer dimensionierte staatliche Programme, die der Wirtschaft gesellschaftspolitische Ziele vorgeben, nicht in das ideologische Konzept passen.
Ich füge hinzu: In das ideologische Konzept paßt Ihnen auch nicht unser Vorschlag, Betriebe der Selbstverwaltungswirtschaft mit den Mitteln des ERP-Sondervermögens zu fördern, wie das schon einmal im Unterausschuß andiskutiert worden ist. Wir halten an unserer Auffassung fest, daß selbstverwaltete Betriebe, die mittlerweile über 50 000 Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, ein zwar nicht zu überschätzender, aber auch nicht zu übersehender Faktor auf dem Arbeitsmarkt sind. Nicht alle sozialen und arbeitsrechtlichen Begleitumstände dieser selbstverwalteten Betriebe können wir kritiklos akzeptieren, aber wir können uns auch nicht der Einsicht verschließen, daß in diesen Betrieben Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden, die von den dort Beschäftigten nicht nur deswegen als bessere Alternative empfunden werden, weil die Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten größer sind,
sondern vor allem auch deswegen, weil jede Alternative zur Arbeitslosigkeit besser ist.
Meine Damen und Herren, darum wollen wir gemeinsam nach Wegen suchen, um diesen Initiativen über ihre Anfangsschwierigkeiten hinwegzuhelfen und um sie zu dauerhaften, sich selbst tragenden sozial- und arbeitsrechtlich gesichterten Einrichtungen zu machen. Wir wollen daher, daß im ERPWirtschaftsplan eine eigene Titelgruppe zur Förderung von Betrieben der Selbstverwaltungswirt-
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Jung
schaft in genossenschaftlicher und genossenschaftsähnlicher Form mit einem Ansatz von 30 Millionen DM eingestellt wird, um die Rahmenbedingungen, die wir ja dann noch im einzelnen erörtern können, für deren Tätigkeit zu verbessern.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der ERP-Wirtschaftsplan ist sozusagen der kleine Bruder des Bundeshaushalts. Wie für manchen anderen kleinen Partner gilt auch für ihn das Motto: klein aber fein.
Das ERP-Sondervermögen zeichnet sich seit jeher nicht durch Größe, wohl aber durch Solidität und Effektivität aus. Bei einem Vergleich mit dem Bundeshaushalt verdient beim ERP-Sondervermögen besonders hervorgehoben zu werden, daß die Summe der Investitionsausgaben in den letzten Jahren ständig gestiegen ist. Die qualitative Konsolidierung hin zu mehr Investitionen ist beim Bundeshaushalt eine wichtige, ja, vielleicht sogar die wichtigste Aufgabe, die in den vor uns liegenden Jahren noch bewältigt werden muß.
Beim ERP-Sondervermögen sieht dies ganz anders aus. Das Fördervolumen für investive Ausgaben wird im Jahre 1986 den Stand der letzten Jahre um mehr als ein Drittel übersteigen. Die positiven Wirkungen des ERP-Sondervermögens auf Wirtschaftsstruktur und Beschäftigung konnten von der Bundesregierung und den sie tragenden Koalitionsfraktionen also kräftig gesteigert werden.
Für das Jahr 1986 enthält der ERP-Wirtschaftsplan die erste Hälfte der von der Bundesregierung in diesem Sommer beschlossenen Maßnahmen zur Verstetigung der kommunalen Bauinvestitionen. Diese Mittel kommen vor allen Dingen Umweltschutzinvestitionen zugute. Die zweite Hälfte der Aufstockungsmittel in Höhe von 1,6 Milliarden DM ist für 1987 vorgesehen. Rechnet man nun hinzu, was die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Lastenausgleichsbank, also die Hauptleihinstitute des ERP-Sondervermögens, aus eigenen Mitteln flankierend als Finanzierungshilfe anbieten, beläuft sich das Gesamtvolumen dieser Maßnahmen auf insgesamt 6 Milliarden DM.
Der Bauwirtschaft gewährt das ERP-Sondervermögen damit eine wichtige Hilfestellung bei der derzeitigen konjunkturbedingten Schwierigkeit. Verständlicherweise hätten es die Bauunternehmen gern gesehen, wenn das ERP-Sondervermögen noch erheblich mehr als bereits geschehen aufgestockt worden wäre. Die geforderte Aufstockung der Programme um 10 Milliarden DM geht aber über das hinaus, was das ERP-Sondervermögen realistischerweise zu leisten vermag.
Der jetzt zur Beratung vorliegende Wirtschaftsplan 1986 sieht eine Steigerung der Darlehenszusagen um mehr als 1 Milliarde auf insgesamt 4,5 Milliarden DM vor.
Nach wie vor liegt das Schwergewicht der Förderung dabei auf den kleinen und mittleren Unternehmen. Diese Förderung ist zu 98 % auf drei Programme konzentriert. Dies stärkt die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel, verhindert es doch, daß die Fördermittel nach dem Gießkannenprinzip gleichmäßig auf alle Unternehmen verteilt werden.
Zu erwähnen ist insbesondere das Existenzgründungsprogramm. Mit diesem ausgesprochen erfolgreichen Programm werden neue Unternehmen gefördert, die frisches Blut in die Wirtschaft bringen und damit den Wirtschaftskreislauf insgesamt stärken.
Besonders stark angestiegen — und dies möchte ich auch noch einmal den Damen und Herren von den GRÜNEN sagen — sind die Ansätze für Umweltschutzinvestitionen. Mit insgesamt 1,2 Milliarden DM sind sie mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr. Mit über 1 Milliarde DM liegt der Schwerpunkt dabei eindeutig bei der Abfallbeseitigung und der Abwasserwirtschaft. Umweltschutz — das wird daraus sehr deutlich — ist für uns, für diese Koalition, nicht nur ein bloßes Lippenbekenntnis.
Und wir verlieren uns auch nicht wie Sie von den GRÜNEN in realitätsferne Maximalforderungen. Die FDP, meine Fraktion, unterstützt konkrete Maßnahmen, die einen wirksamen Beitrag zur Beseitigung der Umweltprobleme leisten.
Ich möchte aber, abschließend, auch nicht die Berlin-Förderung vergessen, die ebenfalls deutlich höher als im laufenden Jahr sein wird. Auch dies ist ein besonderes Anliegen meiner Fraktion.
Meine Damen und Herren, wir danken der Bundesregierung, daß sie den ERP-Wirtschaftsplan rechtzeitig vor Beginn des kommenden Jahres vorgelegt hat. Die zusätzlichen Fördermittel, besonders im Bereich des Umweltschutzes, können damit rechtzeitig zu Beginn des Jahres 1986 zur Verfügung gestellt werden. Meine Fraktion wird deshalb dem vorliegenden Gesetzentwurf gerne zustimmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Auhagen.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Grundsätzlich bewerten wir in diesem ERP-Wirtschaftsplan die Umweltschutzinvestitionen positiv. Herr Kollege von der FDP, wir haben keine Probleme, so etwas auch zu begrüßen. Nur sich mit 1,2 Milliarden DM angesichts der ungeheuren und noch zunehmenden Zerstörungen in den verschiedensten Bereichen sozusagen einen
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13817
Auhagen
ökologischen Freibrief ausstellen lassen zu wollen, ist uns wirklich zu mickrig.
Positiv finden wir auch die Förderung kleinerer Unternehmen. Insofern haben wir grundsätzlich eine positive Haltung.
An zwei Punkten stören wir uns.
Erster Punkt: 155 Millionen DM werden für die Exportförderung vorgesehen. Exportförderung sehen wir angesichts der ungeheuren Außenhandelsüberschüsse nicht ein.
Zweiter Punkt — und darauf möchte ich mich konzentrieren —: die mangelnde Zugangsmöglichkeit für Alternativbetriebe zu den Existenzgründungsprogrammen im Rahmen des ERP.
Aus diesem Grund enthalten wir uns bei der Abstimmung über den ERP-Wirtschaftsplan.
Ich möchte mich jetzt noch auf den Entschließungsantrag der SPD in diesem Zusammenhang beziehen. Die SPD-Fraktion beantragt, einen Sondertitel von 30 Millionen DM für die Förderung alternativer genossenschaftlicher Betriebe einzustellen. Dazu können wir sagen: Wir begrüßen diese Initiative der SPD und vor allen Dingen die Wende innerhalb der SPD, die noch am 16. Oktober entsprechende Anträge von uns — auch entsprechende Beratungsanträge — auf das Existenzgründungsprogramm im Haushalt des Wirtschaftsministers bezogen, abgelehnt hat. Wir finden es aber trotzdem positiv, daß sich jetzt endlich auch bei der SPD die Erkenntnis durchsetzt, daß es sich bei neuen genossenschaftlichen Betrieben und Projekten nicht um romantische Spielereien handelt, wie es einige Genossenschaftsverbände und die meisten Gewerkschaften meinen. Die SPD greift hier auf, was im Bereich der selbstverwalteten Betriebe schon seit langem gefordert wird, nämlich — das ist ganz entscheidend — die Einbeziehung selbstverwalteter genossenschaftlicher Betriebe in die öffentliche Wirtschaftsförderung.
Faktisch sind nämlich die sogenannten Alternativbetriebe aus Programmen wie ERP ausgeschlossen.
— Dazu möchte ich gerade etwas sagen. Entweder sind sie nicht antragsberechtigt, weil sie eben keine juristischen Personen sind,
oder die begutachtenden Hausbanken lehnen die Wirtschaftlichkeit dieser Betriebe ab, oder die sogenannten banküblichen Sicherheiten können nicht beigebracht werden.
Eine eigene Titelgruppe zur Förderung genossenschaftlicher Betriebe wäre in der Tat ein erster sinnvoller Schritt, um die Gründung solcher Betriebe zu ermöglichen. Allerdings bleiben die wirtschaftlichen und politischen Vorbehalte der Gutachter und Banken gegenüber diesen Betriebsformen und die Sicherungsprobleme bestehen.
Wenn der Antrag der SPD nicht oppositionelle Schaumschlägerei für eine alternative Wunschklientel im Rahmen sozusagen der neuen SPD sein soll, muß die SPD auch dabei helfen, die realen Schwierigkeiten der selbstverwalteten Betriebe zu überwinden. Deswegen muß konsequenterweise gleichzeitig das Gesetz über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens geändert werden. Darin müßte vorgesehen werden, daß die Abwicklung der ERP-Darlehen nicht nur über die Hausbanken und deren Hausgutachter laufen soll, sondern auch über private Wirtschaftsberater und Gutachter, die die Wirtschaftsbedingungen der selbstverwalteten Betriebe kennen, im Gegensatz zu irgendwelchen Nadelstreifenmanagern von Banken.
Ferner ist in den Richtlinien zu dieser Titelgruppe als Verwendungszweck aufzunehmen, daß die Mittel für Betriebsneugründungen und für die Übernahme von Betrieben durch Belegschaften zu verwenden sind. Allen hier im Haus ist bekannt, daß in der Vergangenheit Betriebsfortführungen durchaus lebensfähiger Betriebe oder Betriebsteile an kurzfristigen Finanzierungslücken gescheitert sind.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 11, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4438. Es ist beantragt, den Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
13818 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Vizepräsident Frau Renger
Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes
— Drucksache 10/3279 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 10/4410 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Wagner
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4481 vor.
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, für die Aussprache für jede Fraktion einen Beitrag bis zu fünf Minuten vorzusehen. Einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Berichterstatter wünschen nicht das Wort.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Rusche.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie das Schicksal so spielt, halte ich meine Jungfernrede ausgerechnet zum Fleischbeschaugesetz. Bei uns herrschte dazu zunächst Heiterkeit, doch nach näherem Studium der Materie bemerkten meine Fraktion und ich, wie ernst die Sache eigentlich ist.
Selbstverständlich gibt es in unserer Partei und Fraktion viele Menschen, die den Verzehr von Fleisch für ungesund oder für ethisch bedenklich halten. Ich kann Ihnen aber auch sagen, daß selbst unsere Fleischesser Ihren Entwurf ablehnen.
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes, der zur Vereinheitlichung in der EG dienen soll, kann der zunehmenden Verunreinigung und Verseuchung von Fleisch nicht Einhalt gebieten. Das Zurückdrängen der Tierärzte aus der Fleischbeschau kann nur eine Verschlechterung der Kontrolle bedeuten. Statt dessen sollten den Tierärzten Instrumente an die Hand gegeben werden, damit sie mit folgenden Problemen besser fertig werden:
Durch Zucht und nicht artgerechte Haltung und Fütterung taucht in den Schlachthöfen vermehrt minderwertiges, sogenanntes PSE-Fleisch auf. Das zeigt: Mehr Kontrolle und nicht weniger wird gebraucht!
Immer häufiger werden bakterielle Verseuchungen registiert, bei Hühnern z. B. wird vermehrt Salmonellose festgestellt, die bei Menschen zu Zehntausenden von Erkrankten und in schlimmen Fällen sogar zum Tode führte. Das ist in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hönes nachzulesen.
Jetzt wird es makaber: Salmonellenschutz bei Hähnchen und Hühnchen würde 190 Millionen DM kosten, während die Salmonellose bei Menschen „nur" 160 Millionen DM kostet. Ein Zitat: „Für gestorbene Kinder und Jugendliche werden die Aufzuchtkosten bis einschließlich des 14. Lebensjahres in Ansatz gebracht." So heißt es dazu in dem entsprechenden Forschungsbericht „Nutzen-KostenAnalyse der Salmonellenbekämpfung".
Dies ist in einem der Ökotest-Magazine der letzten Monate nachzulesen.
— Ökotest-Magazin, das ist eine Verbraucherschutzzeitung.
— Nein, nicht unser Laden; das ist eine unabhängige Verbraucherschutzzeitung.
Mittlerweile sind die Salmonellen auch zum Problem bei Rind- und Schweinefleisch geworden.
Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Kontrolle der Rückstände wie Pestiziden, Antibiotika und anderer Chemikalien. Sie würden nach diesem neuen Gesetz wie bisher völlig unter den Tisch fallen. Es bliebe den Verbraucherschutzorganisationen — und z. B. auch dem Ökotest-Magazin — überlassen, einzelne Skandale aufzudekken und ins Gespräch zu bringen. Die Aufgabe eines wirksamen Fleischbeschaugesetzes wäre es aber, dies von vornherein zu verhindern.
Wir sind der Meinung, daß eine Änderung des Fleischbeschaugesetzes dahin gehend erforderlich ist, Rückstandsuntersuchungen auf gefährliche Substanzen zu ermöglichen.
Verbote und Gesetze zur Reinhaltung des zum Verzehr bestimmten Fleisches nützen nichts, wenn es keine geeigneten Kontrollinstanzen gibt.
Zum Abschluß noch ein kleines Zitat: Vertrauen ist gut, Beschauen ist besser.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dempwolf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren! Meine Damen! Sie werden sicher nicht erwarten, daß ich auf den Unsinn eingehe, den mein Vorredner hier soeben gebracht hat;
denn sicherlich wären dann wir alle, die wir hier sitzen, schon längst vergiftet.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13819
Frau Dempwolf
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes wird das gesamte Fleischhygienerecht grundlegend überarbeitet. Es wird von einer Fülle von Detailregelungen befreit und so gestaltet, das Gemeinschaftsrecht in angemessener Frist umgesetzt werden kann.
Das Gesetz trägt der Notwendigkeit Rechnung, die Hygiene in der Fleischgewinnung zu verbessern und insbesondere auch besser zu überwachen — eine Verbesserung für den Verbraucher, der dadurch nur Fleisch erhält, von dem er sicher sein kann, daß es nicht geeignet ist, die menschliche Gesundheit zu schädigen, und das auch keine Wertminderung erfahren hat. Wir werden darum das Fleischbeschaugesetz in ein „Fleischhygienegesetz" umbenennen:
Nicht nur in EG-zugelassenen, sondern in allen Fleischbetrieben wird jetzt der amtliche Tierarzt auch für die Überwachung der Hygiene zuständig. Damit wird die Verantwortung für die Untersuchungen und die Hygieneüberwachung miteinander verbunden, und es wird gewährleistet, daß die Hygiene zum Schutze des Fleisches und der Verbraucher besser überwacht werden kann. Fleisch ist das einzige Lebensmittel, das vor dem Inverkehrbringen einer obligatorischen Untersuchung unterliegt. Ausnahmen werden lediglich bei Hausschlachtungen erteilt, wenn das Fleisch ausschließlich im Haushalt des Besitzers verwendet wird.
Der Grund für diese Regelung liegt vor allem in der Tatsache, daß lebende Tiere an Krankheiten leiden können, die durch den Fleischgenuß auf den Menschen übertragen werden. Es ist keine Frage, daß Aufsicht, Verantwortung und fachliche Kompetenz wie bisher beim Tierarzt liegen müssen.
Die Funktion des Fleischkontrolleurs liegt in der Zuarbeit und in der Unterstützung des Veterinärs. Die Ausbildung des Fleischkontrolleurs wird intensiver. Sie wird von jetzt etwa 6 Wochen auf drei Monate wie bei dem Geflügelfleischkontrolleur verlängert. Bei dem funktionellen Nebeneinander von Tierärzten und Hilfskräften kommt es entscheidend darauf an, daß die Arbeit so gestaltet wird, daß der Tierarzt durch laufenden Sprech- und Sichtkontakt zu den ausübenden Hilfskräften Verbindung hat. Nur so kann im Sinne des EG-Rechtes die volle Verantwortung für jedes einzelne geschlachtete Tier übernommen werden. Auch weiterhin obliegt dem Tierarzt schon auf Grund seiner Ausbildung die fachliche Beaufsichtigung und Verantwortung für die gesamte Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie für den Hygienebereich, auch eine Verbesserung in Richtung Tierarzt.
Das Verbot der Schlachtung von Hunden — ich habe micht gewundert, Herr Kollege, daß Sie das nicht angesprochen haben; denn es ist doch eines Ihrer Anliegen —
ist in großen Bevölkerungsteilen auch ein gehegtes
Anliegen. Ließe man sich von der Auffassung leiten,
daß die Schlachtung dieser Tiere nach der Fleischbeschaustatistik seit Jahren ohne Bedeutung ist, so haben wir uns doch für die Streichung des Wortes „Hunde" entschieden, so daß ein eigenes Gesetz zum Verbot des Schlachtens von Hunden nicht mehr notwendig ist.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es liegt uns noch ein Änderungsantrag vor. Durch ihn wird sichergestellt, daß zwischen den Straftatbeständen und den Ordnungswidrigkeiten klar unterschieden wird. Ich bitte um Zustimmung zu dem Änderungsantrag und um Zustimmung zu dem Gesetz.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zu dem Änderungsantrag, der j a spät, im Grunde zu spät eingebracht worden ist. Wir erheben aber keine Fristeinrede und sind damit einverstanden, daß er im Zusammenhang mit der Beratung behandelt wird.
Nun zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Er greift EG-Recht auf oder, besser gesagt, ermöglicht dessen Umsetzung und soll in einem gewissen Maße auch zu Verwaltungsvereinfachung führen. So weit, so gut und auch richtig; aber man muß j a wohl auch fragen, inwieweit dieser Gesetzentwurf den berechtigten Belangen des Verbraucherschutzes Rechnung trägt. Da sind ernsthafte Zweifel anzumelden. Ja, da sind Zweifel vorhanden, die bis heute noch nicht ausgeräumt sind. Wenn Sie, Frau Staatssekretärin Karwatzki jetzt in Ihrer gleich folgenden Rede diese Zweifel nicht ausräumen können, sieht sich meine Fraktion nicht imstande, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Was ist Sache? Insbesondere strittig ist der § 4, „Personal" überschrieben, der das Verfahren bei diesen amtlichen Untersuchungen regelt. Professor Wenzel hat in einem Gutachten — Ihnen ist das bekannt — ausgeführt:
Nach dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist das Erkennen von klinisch erkrankten Schlachttieren sowie von pathologisch-anatomisch veränderten Einzelorganen und Organsystemen durch eindeutig gesicherte Befunde möglich. Das Schwergewicht der Gefahrenabwehr hat sich aber vom eindeutigen Befund zum sich entwickelnden Befund im Grenzübergangsbereich von „gesund" zu „krank" verlagert. Die Befunde in der Schlachttier- und Fleischuntersuchung sind unspezifischer geworden. Aus diesem Grunde bedarf es einer fachlich in jeder Hinsicht qualifizierten Fähigkeit des Untersuchers, aus der Summe vieler — z. T. nur geringgradiger — Veränderungen eine Ganzheitsdiagnose zu stellen.
13820 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Jaunich
Ob die Ausbildung des neu geschaffenen Fleischkontrolleurs, die zwar ein paar Wochen länger als die des Trichinenbeschauers, aber nur drei Monate umfaßt, bei diesen Anforderungen ausreichend ist, um solche Kenntnisse zu vermitteln, muß nicht nur bezweifelt, sondern bestritten werden.
Daher legen wir Wert darauf, daß die Bundesregierung jetzt hier erklärt, daß in der nach § 4 zu erlassenden Rechtsverordnung das EG-Recht voll umgesetzt und eingehalten wird. Nach der entsprechenden EG-Regelung darf sich der amtliche Tierarzt bei entsprechenden Untersuchungen durch ihm unterstellte Hilfskräfte unterstützen lassen. Wenn dies nicht eindeutig aus der Verordnung hervorgeht — der Gesetzentwurf geht davon aus, daß die Fleischbeschauer eigenständig tätig werden — und wenn Sie uns nicht erklären, daß eine entsprechende Relation zwischen akademisch ausgebildeten Tierärzten und Fleischkontrolleuren besteht, ist unser Vorbehalt nicht ausgeräumt und werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Im übrigen sollten Sie, Frau Staatssekretärin, dem Haus auch noch erklären, ob Sie mit diesem Gesetzentwurf das EG-Recht in der Tat vollgültig respektieren und ob wir nicht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof befürchten müssen, bzw. wer nach Art. 16 eines Tages das Verfahren einleiten wird, um die Frage der Unterstützung zu klären.
Kurzum, wir haben nach den Beratungen im Ausschuß berechtigte Zweifel. Auch die Änderungsanträge haben in dieser Hinsicht keine qualitative Änderung bewirkt. Noch einmal: Entweder gelingt es Ihnen, unsere Zweifel auszuräumen. Dann können Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Denn zu den zwei erstgenannten Zielen ist klar: Die EGUmsetzung ist gar keine Frage. Und Verwaltungsvereinfachung ist auch für uns ein lohnendes Ziel. Aber der Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes muß gerade im Fleischbereich, wo wir mit einer Vielzahl von Skandalen und Skandälchen immer wieder zu tun hatten und wohl auch künftig rechnen müssen, absolut sichergestellt sein. Dies ist unsere Forderung, bevor wir uns zu diesem Gesetzentwurf positiv äußern können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf leistet einen Beitrag, die Rechtsvorschriften innerhalb der Europäischen Gemeinschaft anzugleichen. Auch hier sieht man wieder, daß es vieler mühevoller, oft langsamer und oft als zu klein empfundener Schritte bedarf, um die Länder der Europäischen Gemeinschaft zusammenzuführen. Dies soll uns jedoch nicht daran hindern, auf dem einmal eingeschlagenen Weg fortzufahren. Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist besser, als eine Maximalforderung aufzustellen, die sich nicht verwirklichen läßt.
Ich danke vor allem meinen Kollegen im Ausschuß für die sachliche Zusammenarbeit. Herr Kollege Jaunich, trotz der Zweifel, die Sie in dieser Rede deutlich gemacht haben, ist, glaube ich, auch diese Sachlichkeit der Zusammenarbeit deutlich geworden. Wenn es gelingt, Sie in dieser dritten Lesung zu überzeugen, daß man dem noch zustimmen kann, dann kann man, glaube ich, dadurch auch beweisen, daß in solchen Debatten wie heute noch etwas zu bewegen ist.
Der Gesetzentwurf ist zu begrüßen, weil durch die Straffung und Vereinfachung ein kleiner Beitrag zur Entbürokratisierung geleistet werden kann.
Wir sollten uns als Bundesgesetzgeber generell bemühen, bei allen Gesetzen, die wir beraten, Bürokratien abzubauen, statt neue zu schaffen. Ich wünsche mir in dieser Wahlperiode eigentlich mehr Gesetzentwürfe, die man in diesem Zusammenhang loben kann. An erster Stelle dieses Gesetzes steht die Verbrauchersicherheit. „Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das gesamte Fleichhygienerecht grundlegend überarbeitet." So heißt es in der Begründung. Dieser Fleischhygiene dient auch die vom Ausschuß einmütig gebilligte Empfehlung, künftig auch das Schlachten von Hunden und Katzen zu verbieten und unter Strafe zu stellen.
Im Ausschuß hatte sich die SPD enthalten, weil das Gesetz angeblich hinter EG-Recht zurückgehe und weil einige Bedenken bestanden, die Kollege Jaunich gerade noch einmal aufgeführt hat. Wir sehen diese Bedenken nicht. Das Gesetz übernimmt Grundsätze der EG-Vorschriften, und die besondere Verantwortung der Tierärzte ist im Ausschußbericht besonders hervorgehoben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rusche?
Frau Kollegin, wir sind zeitlich schon im Verzug.
Da haben Sie sicher recht.
Ich möchte versuchen, möglichst kurz zu sprechen und gleich fertig zu werden.
Die Ausbildung der Fleischkontrolleure wird wesentlich intensiver und besser. Gestrafft werden in diesem Gesetz auch die Straf- und Bußgeldvorschriften. Wegen der hohen Bedeutung der Fleischbeschau für die Gesundheit der Menschen in der Bundesrepublik halte ich es für unverzichtbar, daß wir von Zeit zu Zeit prüfen, ob diese Vorschriften geeignet und in der Lage sind, die Ziele des Gesetzes zu unterstützen.
Deutscher Bundestag — l0. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13821
Eimer
Wir halten dies, meine Damen und Herren, in der vorliegenden Form für gegeben, wir halten das Gesetz für geeignet und werden es deshalb unterstützen.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Staatssekretärin Karwatzki.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf wird das nunmehr 85 Jahre alte Fleischbeschaurecht grundlegend überarbeitet. Das Gesetz wird wesentlich gestrafft und damit übersichtlicher.
— Es wird auch besser. — Die Bundesregierung leistet hiermit zugleich einen Beitrag zur Entbürokratisierung. In dem Gesetz werden Regelungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf dem Gebiet der Fleischhygiene in deutsches Recht umgesetzt.
Herr Kollege Jaunich, Sie haben einige Fragen an mich gerichtet, die insbesondere den Verbraucher- und den Gesundheitsschutz betreffen. Ich möchte Ihnen hiermit sagen, daß die Hilfskräfte nach wie vor unter der Aufsicht des Tierarztes arbeiten können. Sie arbeiten nicht voll verantwortlich, sondern unter der Leitung eines Tierarztes. Es werden lediglich die Tierärzte von der mechanischen Arbeit, die bei der Beschau unbedingt erforderlich ist, entlastet. Ich kann Ihnen erklären, daß das EG-Recht voll berücksichtigt wird und daß in der Ermächtigung — da können wir gar nichts anderes regeln — die Regelungen der EG-Kommission berücksichtigt werden müssen. Dies zu Ihren Fragen.
Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt aus verbraucherpolitischer Sicht erwähnen. Die bisher bei Hausschlachtungen für bestimmte junge Tiere vorgesehene Befreiung von der Schlachttier- und Fleischbeschau hat zu Mißbräuchen geführt. Deshalb wird zukünftig die Befreiung von der Schlachttierbeschau nur noch im Einzelfall zugelassen und diese auf die Hausschlachtungen beschränkt.
Der federführende Ausschuß hat eine Reihe von Änderungen empfohlen, die der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingetretenen Entwicklung in Brüssel Rechnung tragen. So hat die Bundesregierung die seit langem angestrebte Harmonisierung der Untersuchungsgebühren für amtliche Untersuchungen von Fleisch auf europäischer Ebene erreicht. Die Umsetzung erfolgt in § 23 des Gesetzentwurfs.
Meine Damen und Herren, das Schlachten von Hunden wird in breiten Kreisen der Öffentlichkeit abgelehnt. Der Ausschuß hat eingehend geprüft, ob für ein Verbot des Schlachtens von Hunden und Katzen auch ausreichende gesundheitliche Gründe vorliegen. Er hat dies bejaht und deshalb ein Schlachtverbot in § 1 des Gesetzes eingefügt.
Das EG-Recht sieht eine systematische Kontrolle von Fleisch und Fleischerzeugnissen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft in Zukunft nicht mehr vor. Sie ist auch nicht mehr erforderlich, weil in allen Mitgliedstaaten Fleisch nach den gleichen hygienischen Grundsätzen gewonnen und untersucht wird. Dieser Grundsatz wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf übernommen. Der Schutz des Verbrauchers wird damit in Zukunft durch eine Kontrolle inländischen und eingeführten Fleisches auf allen Handelsstufen sichergestellt. Damit trägt die Bundesregierung zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes bei, ohne dabei den Verbraucherschutz zu mindern.
— Herr Kollege Jaunich, ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie diesem Gesetz zustimmen könnten.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Frau Staatssekretärin?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Ich wollte zwar gerade abtreten, aber Herrn Jaunich gestatte ich natürlich noch eine Zwischenfrage.
Herr Jaunich, bitte.
Ich bin Ihnen dankbar; denn es soll j a der Klarstellung dienen. — Frau Staatssekretärin, Sie haben so gut wie nichts zum Inhalt der Rechtsverordnung gesagt, die der zuständige Bundesminister nach § 4 erlassen kann.
Darf ich davon ausgehen, daß diese Rechtsverordnung in etwa der Durchführungsverordnung zu § 8 des bisherigen Gesetzes entsprechen wird und somit dem EG-Recht, wonach diese Hilfskräfte nur unterstützend tätig sind, Rechnung trägt?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jaunich, ich habe die Unterlagen, § 8 usw., jetzt nicht hier, um das bestätigen zu können.
— Gut, ich will, wenn Sie gestatten, einmal rüber-gucken und schauen, ob meine Mitarbeiter nicken. — Offensichtlich im großen und ganzen ja.
Herr Kollege Jaunich, auch dafür danke schön, daß Sie dafür Verständnis haben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/4481 ein Änderungsantrag der Frak-
13822 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Vizepräsident Frau Renger
tionen der CDU/CSU und FDP vor. Wer diesem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen ist dieser Änderungsantrag angenommen.
Wer Art. 1 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Es geht jetzt um die Ausschußfassung mit der Änderung, der soeben zugestimmt worden ist.
— Doch, dabei bin ich gerade. — Ich darf wiederholen: Wer dem Art. 1 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung — —(Jaunich [SPD]: Frau Präsidentin, ich hätte
gern eine Einzelabstimmung über § 4 gehabt! — Seiters [CDU/CSU]: Normalerweise wird das von der Geschäftsführung
beantragt! Also, was ist das nun? Ich lege
Wert darauf, daß das von der SPD-Fraktion
beantragt wird, nicht von einem einzelnen
Abgeordneten!)
— Es wäre schön, wenn man so etwas vorher wüßte.
— Herr Becker, haben Sie Einzelabstimmung beantragt?
— So, dann ist das jetzt der Fall. — Damit wir uns hier nicht mißverstehen: Der Antrag, über den wir soeben schon abgestimmt haben, ist erledigt. Dem haben Sie zugestimmt, wenn ich das richtig gesehen habe. Sie wünschen also jetzt eine Einzelabstimmung über Art. 1 § 4 „Personal". Sehe ich das richtig? — Wer diesem § 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — § 4 — Personal — ist in der Ausschußfassung angenommen.
Wer nun Art. 1 in der Ausschußfassung mit der vorhin schon beschlossenen Änderung — Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen ist das angenommen.
Ich rufe die Art. 2 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei eingen Gegenstimmen angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie keinen Wiederspruch erheben, daß wir in die dritte Lesung eintreten. — Das ist nicht der Fall.
Wir treten nunmehr in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen ist der Gesetzentwurf angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 g auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 106 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/4037 —
b) Beratung der Sammelübersicht 107 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/4038 —
c) Beratung der Sammelübersicht 110 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/4077 —
d) Beratung der Sammelübersicht 111 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/4078 —
e) Beratung der Sammelübersicht 118 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/4395 —
f) Beratung der Sammelübersicht 119 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/4396 —
g) Beratung der Sammelübersicht 120 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/4397 —
Zu den Tagesordnungspunkten 10 a bis 10 c liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4437 und 10/4411 bis 10/4413 vor.
Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c und jeweils ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden, d. h. daß es zu diesen Tagesordnungspunkten drei Debattenrunden gibt. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so akzeptiert.
Zu den Tagesordnungspunkten 10 d bis 10 g ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Ich eröffne die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 10 a. Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13823
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Petent dieser Eingabe wohnt in der Einflugschneise des Flughafens MünchenRiem.
Im ersten Abschnitt des Steigflugs ziehen die Flugzeuge über sein Haus hoch. Der Lärm sei infernalisch, so schreibt er. Im Garten könne man sich nicht aufhalten. Die Nachrichten im Fernsehen könne man selbst bei geschlossenen Türen und Fenstern kaum verfolgen.
Der Petent kann nicht verstehen, wieso sein Anwesen nicht zum Bereich der Lärmschutzzone 1 gehört. Im Juni 1980 wendet er sich mit der Bitte an den Petitionsausschuß, die Lärmschutzzonen zu überprüfen. Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 muß in der Tat spätestens alle fünf Jahre eine Überprüfung des Lärmschutzbereichs erfolgen. Der Lärmschutzbereich des Flughafens München-Riem wurde am 1. September 1976 festgelegt. 1980 Eingabe der Petition. Zeit also, die vom Gesetz geforderte Prüfung vorzunehmen.
Das Innenministerium sagt diese Überprüfung zu und teilt das dem Petenten mit Schreiben vom Juli 1980 mit. Schon zwei Jahre später, im April 1982, besitzt der Petent die Dreistigkeit, sich erneut an Bonner Instanzen zu wenden, um sie mit seinem Anliegen zu belästigen. Alle zwei Minuten würden startende Flugzeuge über sein Haus donnern, und obwohl das Nachtflugverbot zunehmend durchlöchert würde, könne er sich komischerweise nicht an den Fluglärm gewöhnen. Verständnisvoll erkundigt er sich nach dem Gang der Dinge — der Amtsschimmel ist ja schließlich kein Rennpferd — und schlägt vor, um Zeit und Kosten zu sparen, ihn nur noch alle fünf Jahre über die Ermittlungen auf dem laufenden zu halten.
Das Bundesinnenministerium antwortet noch im selben Jahr — wir schreiben 1982 —, mit der Dateneinholung sei man noch nicht so weit, aber man habe jetzt das Datenerfassungssystem DES entwikkelt. DES ist eine Abkürzung und nicht — das muß ich ausdrücklich betonen — etwa die Vorsilbe von Desinformation oder Desinteresse.
Aber die Sache kommt nun doch einen großen Schritt voran; denn es wird festgestellt, daß für die Dateneinholung eigentlich das Bundesministerium für Verkehr zuständig sei. Die Kompetenzen sind jetzt also geklärt. Hoffnungsfroh stimmt auch die Aussage des Ministers — ich zitiere —: „Ich bemühe mich auch weiterhin um einen raschen Fortgang des Verfahrens." Donnerwetter — man kann gespannt sein.
Schon ein Jahr später — wir schreiben September 1983 — meldet sich der Minister für Verkehr und teilt mit, die erforderlichen Daten seien ihm vom bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr übersandt worden. Er werde sie nun zur weiteren Bearbeitung an den Bundesminister des Innern weiterleiten.
Im Oktober 1984 — wieder ein Jahr später — meldet sich der Innenminister und teilt mit, daß er gerade dabei sei, die Berechnungen zu beschleunigen, und daß er sich wieder melde, wenn Ergebnisse vorlägen.
Im März 1985, jetzt also bereits nach einem halben Jahr — die Bearbeitungsgeschwindigkeit nähert sich der Schallgrenze —, schreibt der Innenminister, nun seien die Berechnungen durch das Datenerfassungssystem DES endlich abgeschlossen. Zwar habe man den Fluglärm gar nicht gemessen, aber die Prognosedaten hätten ergeben, daß die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung des Lärmschutzbereichs nicht vorlägen.
1976 sind die Lärmschutzzonen in München-Riem festgelegt worden. Alle fünf Jahre sollen sie laut Gesetz überprüft werden. Das Jahr 1986 steht vor der Tür. Das sind zehn Jahre, geteilt durch zwei, den Vorgang bearbeitende Ministerien, macht fünf Jahre. Das ist der Trick. Wir befinden uns also im Rahmen der im Gesetz festgelegten fünf Jahre.
Spaß beiseite: Hier wird ein Bürger meines Erachtens veralbert. Tagtäglich und nachts klirren bei ihm die Scheiben. Fünf Jahre ist er hingehalten worden. Das ist ein Skandal. Schließlich stellt sich nach fünf Jahren heraus: Gemessen wurde überhaupt nicht. Es wurde nur prognostiziert. Keiner weiß, wie diese Prognosedaten zustande gekommen sind und nach welchen Kriterien sie im DES-System verarbeitet wurden.
Es würden zunehmend moderne Flugzeuge eingesetzt werden, wird vom Innenminister gesagt. Die Lärmbelastung würde deshalb sinken. Nun muß man aber wissen — der Innenminister weiß das natürlich —: Der Flugverkehr hat seit 1980 um 11% zugenommen. Die alten Maschinen fliegen immer noch. Die etwas Leiseren sind lediglich hinzugekommen. Die Bürger um den Flughafen München-Riem können sich nun beim Lärm der etwas leiseren Maschinen vom Lärm der lauteren Maschinen erholen. Die Verweigerung neuer Messungen und damit die anständige Erfüllung des Lärmschutzgesetzes grenzt für mich an Amtspflichtsverletzung.
Ich fordere deshalb, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rumpf. — Er ist aber nicht da. Dann kommt der Abgeordnete Wittmann dran.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie bereits im Ausschuß hat der Kollege Vahlberg hier nicht zum Thema der Petition gesprochen, sondern hat sehr ausführlich die Probleme eines Bürgers dargestellt. Das Anliegen dieser Petition ist die Ausweitung der Lärmschutzzone 1 im Bereich des Flughafens München-Riem. — Klar? Das ist das wesentliche Anliegen, und um das geht es hier. Das Ziel dieser Ausweitung ist, Zuschüsse zu Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen zu erhalten.
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Wittmann
Ich darf, bevor ich im einzelnen auf Ihren Antrag eingehe, noch eine grundsätzliche Bemerkung vorausschicken.
Wir sind uns auch in der Koalition der Tatsache bewußt, daß erstens Lärm in den letzten Jahren insgesamt zugenommen hat und daß wir zweitens vermehrt etwas gegen diesen Lärm tun müssen.
Es ist heute nicht bloß in der Bevölkerung, sondern auch in der Politik eine größere Sensibilität gegenüber Lärmbelästigungen da. Ich bin deshalb sehr erfreut, daß man auch in diesem Hohen Hause in den Haushaltsberatungen endlich akzeptiert hat, daß man auf den Truppenübungsplätzen mehr gegen Lärm tun muß. So bin ich auch hier grundsätzlich der Meinung, daß mehr dagegen getan werden muß. Aber man kann nicht eine Petition dazu benutzen, gesetzliche Maßnahmen zu ersetzen.
Die Lärmschutzzone in München-Riem ist auf Grund des Gesetzes über Lärmschutz aus dem Jahre 1976 überprüft worden, durch Berechnungen, durch entsprechendes Datensammeln. Die Tendenz dieser Berechnungen ist, daß der Lärm eigentlich nicht in dem Ausmaße gekommen ist, wie er erwartet wurde. Das heißt, es gab keine gesetzliche Grundlage, die Lärmschutzzone auszuweiten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vahlberg?
Selbstverständlich.
Herr Kollege, die Festlegung der Lärmschutzzone, die 1976 erfolgte, basierte auf Lärmmessungen in dB . Warum hat man das im Verlauf der zehn Jahre oder im Verlauf des Prozesses von 1980 bis jetzt nicht machen können? Warum keine Messungen, warum nur Prognosedaten?
Bitte nur kurze Zwischenfragen, Herr Abgeordneter. Wir sind ja schon ziemlich spät dran. — Bitte, Herr Kollege.
Die Lärmschutzmessungen, die 1976 stattgefunden haben, wurden fortgeschrieben. Das stimmt. Es gibt erstens durch die Flugzeuge, die dort abfliegen, zweitens durch die Häufigkeit der Flugbewegungen und drittens natürlich auf Grund der Daten aus der Flugzeugproduktion zuverlässige Möglichkeiten, zu berechnen,
wie stark der Lärm zugenommen hat und ob eine Lärmschutzzone ausgeweitet werden muß.
— Herr Vahlberg, ich habe Ihrem langen, etwas ausgeweiteten Vortrag, in dem Sie eine lange Geschichte, die wir alle kennen, erzählt haben, auch aufmerksam zugehört;
vielleicht wäre es jetzt auch an Ihnen, hier zuzuhören.
Das Ergebnis der Prüfungen steht auf jeden Fall fest: Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist eine Erweiterung der Lärmschutzzone nicht möglich. Der Antrag der SPD bedeutet deshalb, daß der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordern soll, entgegen gesetzlichen Bestimmungen die Lärmschutzzone zu erweitern. Das ist doch nicht bloß widersprüchlich, aber ich möchte mir einen weitergehenden Ausdruck ersparen.
Die Petition ist deshalb unserer Meinung nach als erledigt anzusehen, da das Anliegen im Rahmen der jetzt bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten nicht erfüllt werden kann. Eine Gesetzesänderung können Sie hier ja jederzeit beantragen, auch eine Änderung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm.
Obwohl sie in der Petition nicht angesprochen wurden, möchte ich auf zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen für den Bereich München-Riem eingehen. Da gibt es ja auch eine Lärmschutzzone 2, in der etwa 60 000 Menschen wohnen. Ein entsprechendes Lärmschutzprogramm würde dort etwa 150 Millionen DM kosten.
Die Abwicklung eines solchen Programms würde einige Jahre dauern.
Maßnahmen in diesem Umfang für einen Flughafen, der in wenigen Jahren aufgelassen wird, sind aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr vertretbar. Andernfalls hätte das Auswirkungen auch auf andere Flughäfen, und es wäre mit Sicherheit auf einen Schlag 1 Milliarde DM notwendig, um auch in der Lärmschutzzone 2 entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Die Tatsache, daß diese Petition ins Plenum gebracht wurde, läßt wieder vermuten, daß man vor Ort halt ein bißchen Wahlkampf führen will. Ich habe das schon bei der großen Aussprache zum Bericht des Petitionsausschusses zum Ausdruck gebracht: Es wird immer wieder versucht, Petitionen ins Plenum zu bringen, um vor Ort Wahlkampf machen zu können.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13825
Wittmann
Hier hätten Sie vielleicht, wenn Sie wirklich der Bevölkerung helfen wollen,
vor Ort verstärkt darauf drängen können, daß möglichst bald der neue Flughafen im Erdinger Moos gebaut wird;
um so schneller wäre die Belastung der Bevölkerung geringer.
Wir sind deshalb dafür, die Petition als erledigt anzusehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Ausführungen der Kollegen Vahlberg und Wittmann kann ich mich zu dieser Petitionsangelegenheit verhältnismäßig kurz fassen.
— Herr Kollege Dr. Göhner, es ist ein rechtlicher und politischer Skandal ersten Ranges, daß sich die Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Festsetzung des Lärmschutzbereichs des Flughafens München-Riem trotz einer aus dem Juni 1980 stammenden Petition um annähernd fünf Jahre verzögert hat — nach dem Gesetz sollte die Überprüfung am 1. September 1981 stattfinden —, und zwar bei einer Betroffenheit von etwa 60 000 Bürgerinnen und Bürgern allein in der Lärmschutzzone 2. Allein aus diesem Grunde ist unser Antrag zu Ziffer 2 berechtigt.
Ich darf die Kollegen an das erinnern, was im Ausschuß beraten worden ist. Aus dem Protokoll ergibt sich, daß Sie eigentlich mit einer Überweisung zur Kenntnisnahme einverstanden sein müßten, um das Verhalten der Bundesregierung bei der Bearbeitung dieser Petition — übrigens der früheren und der jetzigen Bundesregierung — zu kritisieren. Ich hoffe also, daß Sie hier fernab von allen ideologischen und parteilichen Scheuklappen diesem Antrag unter Ziff. 2 zustimmen werden.
Zu Ziff. 1, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich zunächst einmal auf unseren ausführlichen Änderungsantrag auf Drucksache 10/4411 Bezug nehmen. Ich möchte noch eine Stelle aus dem Schreiben des Petenten vom 25. April 1982, aus dem der Kollege Vahlberg bereits auszugsweise zitiert hat, einführen. Er hat vorgeschlagen — ich zitiere —, „um Zeit und Kosten zu sparen, die Mitteilung über die jeweils noch andauernden Ermittlungen nur noch alle fünf Jahre zu schicken, letztmalig etwa im Jahre 2007 ". Ich meine, wir sollten diese gallige Formulierung eines Bürgers sehr ernst nehmen, und wir sollten auch sehr ernst nehmen, daß sich in der Tat das Bewußtsein der Bevölkerung für Lärmprobleme sehr erheblich verändert hat.
Mit diesem Ernst haben Sie, vor allen Dingen Herr Kollege Wittmann, hier nicht argumentiert. Wir sind nämlich in der Tat als Politiker gefordert, auf Grund solcher Petitionen initiativ zu werden. Wenn hier jemand 100 Meter entfernt von der Lärmschutzzone 1 wohnt und darauf hinweist — worauf bisher überhaupt niemand in diesem Verfahren eingegangen ist —, daß sich durch die wegen der Entführung geänderte Startkurve der Lärm an dem Haus des Petenten erheblich, nämlich infernalisch geändert habe, dann sind wir aufgefordert, wenn wir unsere Aufgabe als Petitionsausschuß wirklich ernst nehmen, zu überlegen, ob nicht das Lärmschutzgesetz geändert werden muß. Und, Herr Kollege Wittmann, lassen Sie mich das noch sagen, bevor ich Ihre Zwischenfrage gern zulasse, es gibt an anderen Flughäfen Lärmschutzprogramme. Darauf ist in den Unterlagen vom Ministerium selbst hingewiesen worden. Das ist nämlich des Pudels Kern. Ich will hier mal als Vermutung äußern, in München-Riem hat es kein solches Lärmschutzprogramm gegeben, weil Sie Angst gehabt haben, möglicherweise würde sich dann durch geringeren Widerstand der Bürger gegen Riem Ihr Einsatz für Erding als unzeitgemäß erweisen. Man hätte sehr wohl zumindest an eine Ausnahmeregelung, wie ich in unserem Antrag dargestellt habe, für Leute, die in unmittelbarer Nähe der Lärmschutzzone 1 wohnen, in Form eines freiwilligen Programms des Flughafens München denken können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wittmann?
Bitte schön.
Herr Kollege Mann, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß unsere Fraktion bereit war, diese Petition als Material zu überweisen, um in künftige Überlegungen bei Lärmschutzmaßnahmen einbezogen zu werden, und daß Sie eigentlich nur eine Absicht hatten, nämlich mal wieder in der Öffentlichkeit — —
Einen Augenblick. Das letzte gehört wirklich nicht mehr zur Frage.
Ich nehme das zur Kenntnis und gehe deshalb davon aus, daß Ihre Fraktion unserem Antrag unter Ziff. 2 zustimmen wird. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rumpf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das einzige, was wir Freien Demokraten an der Behandlung dieser Petition zu bemängeln haben, ist die lange Zeitdauer, bevor dem Petenten eine abschließende Antwort gegeben worden ist. Die Petition stammt vom Juni 1980, wir schreiben jetzt 1985. Also fünfeinhalb Jahre, meine Damen und Herren, das ist wirklich zu lange. Das ist
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Dr. Rumpf
auch für uns Abgeordnete, geschweige denn für die Bürger eine zu lange Zeit, die zugemutet werden kann. Das Bundesministerium des Innern, die bayerischen Landesbehörden und die Flugplatzbetreiber München-Riem müssen sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, daß sie die Sache etwas verschleppt haben und die Ernsthaftigkeit des Falles nicht so ganz erfaßt haben.
In der Sache bedauern wir, daß dem Petenten nicht geholfen werden kann. Als Fluglärmgeschädigter — ich bin selber einer — habe ich großes Verständnis für die Petition. Ich wohne nämlich in dem militärischen Manöverfluglärmgebiet der Bundeswehrgeschwader und der Alliierten mitten im Hunsrück. Hier wird durch eine Entzerrung der Flugzeiten und Fluggebiete auch nur wenig erreicht werden. Man hofft auf eine Verlagerung in NATOPartnerländer. Aber durch die Ausdehnung der Tieffluggebiete werden wir noch viel zu leiden haben.
Der Petent ist wie viele andere Bürger, die in der Nähe eines zivilen Flughafens leben, dem ständigen, regelmäßigen Lärm ausgesetzt. Lärmempfindung, meine Damen und Herren, ist eine individuelle Sache. Manche brauchen geradezu den Lärm, um sich wohlzufühlen. Andere verabscheuen jede Art von Lärmkulisse. Selbst Musik wird von manchen als Lärm empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden, wie Wilhelm Busch sagt. Deshalb müssen hier objektive Maßstäbe gesetzt werden; und darauf will ich zu sprechen kommen.
So wird versucht, die Lärmschutzzone nach neutralen Gesichtspunkten einzurichten. Dies geht leider nur über Dezibel-Messungen, obwohl, wie gesagt, für verschiedene Menschen Lärm und Schall nicht dasselbe sind. Es bleibt uns keine andere Wahl, als die Messungen auch als Meßlatte oder als Schwellenwerte zu verstehen. Bei den Messungen wurde nach den Unterlagen korrekt und folgerichtig vorgegangen. Eventuell sind die Fünfjahreszeiträume etwas zu weit gesteckt. Aber die Ergebnisse sind in Ordnung gewesen.
So bedauern wir, die Petition insoweit als erledigt ansehen zu müssen. Dem Petenten bleibt allenfalls der beschwerliche Weg der Zivilklage gegen den Flughafenbetrieb nach § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache zu Punkt 10 a und komme zur Abstimmung über die vorliegenden Anträge.
Ich lasse zuerst über den Antrag der SPD abstimmen. Da es immer nur sehr kleine Unterschiede sind, bitte ich, darauf zu achten: In dem SPD-Antrag wird gefordert, die Petition nicht als erledigt anzusehen, sondern der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Der Antrag Drucksache 10/4411 der GRÜNEN lautet in diesem Punkt: „... wird der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen". Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist im selben Stimmverhältnis abgelehnt.
Als Alternative heißt es: „ ... wird den Fraktionen zur Kenntnis überwiesen". Das ist sicherlich ein Irrtum, das können wir hier nicht beschließen. Die Fraktionen bekommen die Drucksachen j a automatisch. Vielmehr muß es heißen: „ ... wird der Bundesregierung zur Kenntnis überwiesen". Das ist ja der Sinn der Sache. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der gleichen Stimmenmehrheit abgelehnt.
Jetzt kommen wir zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4034. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Beratung über den Tagesordnungspunkt 10 b. Hierzu hat der Abgeordnete Mann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich zum Verfahren sagen, daß es nicht die Regel ist, daß Petitionen den Fraktionen zur Kenntnis überwiesen werden. Deswegen bitte ich, unserem entsprechenden Antrag zuzustimmen und unserem Antrag, die Petition der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen, ebenfalls zuzustimmen.
Ich verweise auf unseren Änderungsantrag auf Drucksache 10/4412. Darin ist der wesentliche Sachverhalt dargestellt. Wir kritisieren, daß insbesondere das verantwortliche Ministerium, aber auch das Bundesversicherungsamt hier eigentlich nur rechtlich argumentieren.
Es geht um die Anerkennung eines unter Alkoholeinfluß erlittenen Unfalls eines Gerüstbauhelfers als Arbeitsunfall. Dieser hat in der Tat mit einem Blutalkoholgehalt von 3,82 Promille einen Unfall am Arbeitsplatz erlitten. Nach der geltenden Rechtslage ist der Antrag des Petenten — des Versicherten — auf Anerkennung dieses Unfalls als Arbeitsunfall — wohl zu Recht — abgelehnt worden.
Wir wollen mit der Behandlung im Plenum keinesfalls Wahlkampf machen,
sondern einfach auf dieses gesellschaftlich
außerordentlich schwerwiegende Problem — Herr
Kollege Jagoda, gerade als Mitglied des Ausschus-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13827
Mann
ses, in dem Sie tätig sind, sollten Sie dieses Problem sehr ernst nehmen — hinweisen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher, Herr Kollege Mann?
Einen Moment noch.
Wir sind der Meinung, daß gerade auch wir, die wir alle fürwahr im Glashaus sitzen — wenn man den Beratungen in diesem Hohen Hause, vor allen Dingen zu späten Abendstunden folgt —, uns mit dem Problem Alkohol am Arbeitsplatz sehr intensiv und ernsthaft auseinandersetzen sollten. Ich habe während der Beratungen im Petitionsausschuß nicht die Überzeugung gewinnen können, daß im zuständigen Fachausschuß, worauf allgemein hingewiesen wurde, zur Zeit eine politische Auseinandersetzung mit dem Problem des Alkoholismus tatsächlich stattfindet.
Bitte jetzt die Frage des Kollegen Kühbacher.
Bitte, Herr Kühbacher.
Herr Kollege Mann, würden Sie, da das hier fast nur zu Protokoll diskutiert wird, den noch Zuhörenden bitte erklären, daß Sie sich im Moment für ein Unfallopfer mit einer Blutalkoholkonzentration von 3,82 Promille einsetzen, was eigentlich schon der Zustand der Lebensgefahr ist?
Herr Kollege Kühbacher, ich möchte nicht wissen — durch Feststellung des Blutalkoholgehalts —, wieviel in diesem Hohen Haus Anwesende getrunken haben.
Ich glaube, daß es sehr wohl, Herr Kollege Kühbacher — —
Herr Kollege, was halten Sie davon, wenn Sie Ihre Bemerkung zurücknähmen?
Ich möchte jetzt keine weitere Zwischenfrage mehr zulassen, weil ich die Gefahr erkenne, daß eine sachliche Auseinandersetzung tatsächlich nicht mehr möglich ist. Aber, Herr Kollege Kühbacher — —
— Sie sollten Ihre Zwischenrufe zur Sache machen, Herr Kollege Dr. Göhner. Das würde gerade Ihnen gut anstehen, da Sie ständig an mich appellieren, Ausführungen zur Sache zu machen.
Ich glaube also, das Problem ist hier hinreichend geschildert worden. Ich meine, Sie würden dem politischen und gesellschaftlichen Stellenwert des Problems Alkoholismus am Arbeitsplatz
dadurch gerecht werden, daß Sie keine dusseligen Zwischenrufe machen, sondern unserem Antrag zustimmen.
Vielen Dank.
Wir räumen Ihrer Fraktion die Redezeit ein wie den anderen Fraktionen, die weit größer sind als Ihre. Sie sollten sie nicht zu Beleidigungen des ganzen Hauses benutzen.
— Ich rufe Sie zur Ordnung.
Das Wort hat der Abgeordnete Rumpf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wollen versuchen, die Sache doch ganz ohne Emotionen zu behandeln.
Die Ausgangslage: Der Petent hält es für ungerecht, daß in der gesetzlichen Unfallversicherung bei Alkoholeinfluß der Versicherungsschutz verlorengeht. Die GRÜNEN sind der Auffassung, daß der Alkoholismus eine Krankheit ist — das ist unbestritten —
und daß der Schutz durch die Unfallversicherung auch in diesen Fällen zu gewährleisten sei.
Im einzelnen muß dazu festgestellt werden: Der hier zur Beratung anstehende Fall betrifft die Problematik, ob bei Alkoholismus und einem darauf zurückzuführenden Unfall noch Leistungen der Berufsgenossenschaft zu gewähren sind. Ob die von der Berufsgenossenschaft getroffenen Feststellungen im konkreten Einzelfall vorgelegen haben, kann von uns nicht beurteilt werden. Durch das Versäumen der Widerspruchsfrist hat es der Petent auch verhindert, daß die Berufsgenossenschaft selbst bzw. ein Sozialgericht die Einzelheiten hätte nachprüfen können.
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Dr. Rumpf
Es bleibt also die Frage offen, ob bei einem Unfall, der auf Alkoholismus zurückzuführen ist, die Berufsgenossenschaft einzuspringen hat. Ich möchte dies für die FDP aus Gründen der Funktion der Berufsgenossenschaft als gesetzlicher Unfallversicherung verneinen; denn diese tritt mit ihren Leistungen an die Stelle des Unternehmers, der eigentlich für die Folgen eines Arbeitsunfalls aus Gründen der Verschuldens- und Gefährdungshaftung einstehen müßte.
In der Unfallversicherung wird eine ansonsten bestehende Haftpflicht des Unternehmers abgelöst. Dies kann zu Recht allerdings nur dann gelten, wenn der Unfall im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung steht. Bei 3,82 Promille, Herr Mann, kann man keine Arbeitsleistung mehr erbringen.
Allen ist bekannt, daß der Versicherungsschutz dann entfällt, wenn ein Unfall am Arbeitsplatz auf Alkoholeinfluß zurückzuführen ist. An dieser langjährigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sollten wir nichts ändern. Jede andere Regelung würde z. B. dazu führen, daß die gesetzliche Unfallversicherung auch alkoholbedingte Wegeunfälle, bei denen die Fahruntüchtigkeitsgrenze, nämlich 1,3%
— 1,3 Promille —, überschritten wird, übernehmen müßte. — Ist das so lustig, Herr Kirschner?
— Ja, gut. Es freut mich, wenn Sie so leicht zu unterhalten sind. — Dies scheint mir in der Tat nicht tragbar zu sein.
Letztlich müßte unser aller Bestreben dahin gehen, dem Phänomen des Alkohols am Arbeitsplatz den Kampf anzusagen.
Eine Änderung der jetzt geltenden Praxis der Berufsgenossenschaft würde diesem Ziel aber zuwiderlaufen.
Deshalb sehen wir die Petition als erledigt an. Danke sehr.
Das Wort hat der Abgeordnete von der Wiesche.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Petent, ein Gerüstbauhelfer, wie schon gesagt, erlitt am 10. November 1980 gegen 14 Uhr einen Unfall bei einem Blutalkoholgehalt von 3,82 Promille. Nach meiner und auch nach Auffassung von Medizinern ist ein Mensch, der so stark betrunken ist, überhaupt nicht mehr arbeitsfähig. Mit einem so hohen Blutalkoholgehalt kann er nicht mehr arbeiten. Dies hat auch der Arbeitgeber gewußt, und er hat ihn nicht zu Unrecht mehrfach aufgefordert, nicht auf das Gerüst zu steigen, so auch an diesem Morgen.
— Er hatte ihn auch schon vorher wegen dieser Tatsache mehrfach verwarnt. Der Petent mußte wissen, daß bei einem solchen Alkoholgenuß der Unfallversicherungsschutz verlorengehen mußte. Denn die Einstandspflicht der Unfallversicherung besteht nur so weit — darin stimme ich mit der Einlassung des Bundesarbeitsministers überein — und so lange, wie die Arbeitnehmer eine für das Unternehmen irgendwie nützliche Tätigkeit ausüben können.
Wenn Sie, Herr Mann, nun versuchen wollen, zu erreichen, daß Alkoholismus als Krankheit anerkannt wird, um damit den Versicherungsschutz durch die Unfallversicherung herzustellen, ist das, meine ich, der ungeeignetste Fall, den man sich in bezug auf diese Frage nur denken kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß unser Antrag darauf hinausläuft, den Fraktionen und der Regierung diese Petition zur Kenntnis zu geben, daß ich ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß die geltende Rechtslage keine andere Entscheidung erlaubt, daß etwa 1 Million Bundesbürger vielleicht nicht mit 3,8 Promille, aber angesichts der Verbreitung des Alkoholismus in einer ähnlichen Situation am Arbeitsplatz wohl ohne Unfallversicherungsschutz arbeiten und es glücklicherweise .. .
Ende der Zwischenfrage! Dies war schon wieder eine Minute.
... ebenso oft nicht zu Unfällen kommt?
Ich kann darauf nur kurz antworten und noch einmal betonen, daß diese Petition der ungeeignetste Fall ist, diese Dinge hochzuziehen.
Ich bin sehr dafür, daß wir darüber einmal diskutieren, aber nicht vor dem Hintergrund dieses Falles.
Denn wir müssen sehr scharf unterscheiden zwischen einem Entschädigungsfall für die Unfallversicherung und einem ganz normalen Versicherungsfall im Bereich der Kranken- oder Rentenversicherung.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13829
von der Wiesche
Der Petent ist ja durch die Krankenversicherung abgesichert. Nur, Herr Mann, ich muß Sie natürlich fragen: Was würden Sie tun und wie würden Sie denn argumentieren, wenn Sie im Straßenverkehr von einem Verkehrsteilnehmer mit einem Blutalkoholgehalt von 3,82 Promille angefahren und erheblich verletzt würden? Würden Sie dann auch sagen: der ist nun leider krank, den kann ich nicht belangen?
Der Petent behauptet, er habe die Dinge — zumindest viele Dinge — vorher nicht gewußt. Aber auch das reicht nicht aus, um daraus einen möglichen Entschädigungsfall abzuleiten. Dazu schrieb das Bundesarbeitsgericht in der Begründung eines Urteils — ich zitiere —:
In der Mitte des 20. Jahrhunderts muß einem in einer modernen, hochentwickelten Industriegesellschaft lebenden Arbeitnehmer zugemutet werden, sich die Rechtskenntnisse zu verschaffen, die er im Arbeitsleben für die Wahrnehmung seiner sozialen Sicherheit braucht.
Das aber hat der Petent nicht getan.
Nach der Bewertung all der Tatbestände bleibt die SPD dabei, diese Petition als erledigt anzusehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jagoda.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure es außerordentlich, daß Herr Kollege Mann nicht die Kraft hat, die Beleidigung zumindest gegenüber den Kolleginnen und Kollegen zu unterlassen, die im Deutschen Bundestag ihre Pflicht tun. Ich stehe heute am Beginn der dritten Schicht; um 6 Uhr habe ich angfangen, und ich bin nicht alkoholisiert.
Sie tun denen, die sich mit großer Kraftanstrengung und der Unterstützung der Familie aus dem Sumpf herausziehen, mit solchen Anschuldigungen in der Öffentlichkeit mit Sicherheit keinen Gefallen. Damit meine ich die Menschen draußen im Lande, die unter der Geißel des Alkoholismus leiden.
Herr Kollege Mann, wenn Sie in diesem Bereich im Petitionsausschuß gefochten haben und der Auffassung sind, daß die Entscheidung falsch ist, hätte ich von Ihnen als Jurist erwartet, daß Sie hier die Begründung dafür bringen, daß Sie sagen, es sei nicht so, wie der Petitionsausschuß entschieden habe. Sie wissen ja nicht einmal, was Sie beantragt haben. In der Zwischenfrage sprechen Sie von Kenntnisnahme, ausweislich der Drucksache wollen Sie die Petition der Regierung zur Erwägung überweisen lassen. Schauen Sie erst einmal, was Sie überhaupt beantragen.
Sie tun mit Ihrem Verhalten auch dem Petenten keinen Gefallen, Herr Mann. Nachdem ich die Petition gelesen hatte, verstand ich den Petenten. Er hört in der Öffentlichkeit, Alkoholismus sei seit 1978 als Krankheitssymptom anerkannt. Deshalb denkt er, er habe jetzt vielleicht eine Chance. Dann bittet er den Deutschen Bundestag darum, zu prüfen, ob der Unfall nun nicht doch als Arbeitsunfall anerkannt werden kann. — Hier geht es doch nicht um 3,82 Promille oder was auch immer; das ist doch ganz nebensächlich.
Deshalb sage ich als Volksschüler und Nichtjurist dem auf Kosten des Steuerzahlers gut ausgebildeten Juristen folgendes:
Wenn das der Kernpunkt ist, müssen Sie sich die Frage vorlegen, ob die Anerkennung einer Krankheit im Katalog des Unfallrechts dazu führt, daraus eine Leistung abzuleiten. Muß, wenn morgen beispielsweise eine neue Krankheit auftaucht und in den Katalog aufgenommen wird, dies konsequenterweise bei einem Arbeitsunfall zu einer Leistung führen?
Ich will nicht das wiederholen, was wir im Ausschuß gesagt haben. Da haben die Regierung und das Bundesversicherungsamt begründet, weshalb das im Unfallrecht nicht geht. Wenn Sie mit dieser Systematik nicht einverstanden sind, weil die GRÜNEN den Sachverhalt sichergestellt haben wollen — sehen Sie, Sie hören nicht einmal zu, wenn ich mich mit Ihnen auseinandersetze; das ist Ihre Kollegialität, die Sie von anderen fordern, aber zu der Sie selber nicht beitragen; darf ich jetzt Ihr Ohr einmal in Anspruch nehmen? —
und davon überzeugt sind, ist zu fragen: Warum kommen Sie dann nicht mit einer normalen Gesetzesvorlage und versuchen, Mehrheiten zu bekommen? Sie können doch nicht erwarten, daß eine solche Problematik in fünf Minuten stichhaltig abgehandelt werden kann.
Sie mißbrauchen die Kollegialität des Petitionsausschusses, in dem wir uns, gleichgültig, in welcher Fraktion wir sind, alle miteinander bemühen, den Bürgern zu helfen. Treiben Sie es nicht auf die Spitze! Sie nutzen den Bürgern nicht, Sie schaden ihnen.
Wenn Sie politisch eine andere Meinung haben, ist das in Ordnung, und ich werde mich immer dafür einsetzen, daß Sie sie sagen können, aber nicht mit „Wischi-Waschi"-Anträgen, bei denen Sie nicht einmal wissen, was Sie beantragt haben. Sie wollen in fünf Minuten über Grundsatzprobleme reden. Sie sollten vielmehr einen konkreten Antrag auf Änderung der Reichsversicherungsordnung bezüglich dieses Buchs der Unfallversicherung stellen, und dann werden wir mit Ihnen darüber streiten und darüber auch entscheiden.
13830 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Jagoda
Aber, Herr Mann, meine ganz herzliche Bitte: nicht mit Fünfminutenbeiträgen die gute Arbeit des Petitionsausschusses, die in vielen Einzelfällen geholfen hat, dadurch kaputtzumachen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache über Tagesordnungspunkt 10b.
Hierzu liegt noch ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4412 vor. Herr Mann hat eben eine kleine Änderung angemeldet: Die Petition möge der Bundesregierung zur Kenntnis überwiesen werden. Ich lasse über den Antrag abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4038 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme und einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses angenommen.
Wir kommen jetzt zu dem Tagesordnungspunkt 10 c. Hierzu habe ich die Wortmeldung von Frau Dann. Bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die vom Petitionsausschuß beschlossene Begründung zur Ablehnung eines Sofortprogramms für Frauenhäuser ist vollkommen unverständlich. Die Existenz von mißhandelten Frauen wird dem ökonomischen Kalkül geopfert. Herr Kühbacher hat eine Million DM als Spende für 120 Frauenhäuser vorgeschlagen, was am 14. November mit 13 gegen 12 Stimmen vom Haushaltsausschuß abgelehnt worden ist. Das ist doch ein Hohn, wenn frau gleichzeitig weiß, daß die Bundesregierung sage und schreibe 25 Millionen DM lockermacht, um den Petersberg als Gästehaus des Bundestages zu renovieren.
25 Millionen DM allein in der ersten Runde.
— Sie wissen schon, was ich meine.
Seit zehn Jahren kämpfen die autonomen Frauenhausvereine um die finanzielle Absicherung der Häuser. Auf Grund fehlender Regelungen, die die Eigenständigkeit von Konzeptionen anerkennen, müssen immer mehr Häuser ihre Arbeit einstellen, zuletzt Krefeld und Schleswig. Da helfen die Empfehlungen Heiner Geißlers an Länder und Kommunen wenig. Kostenvereinbarungen nach dem Bundessozialhilfegesetz stehen im Ermessen der Gemeinden. Frauen können dort als Bittsteller auftreten und um eine milde Gabe anfragen. Für eine gesicherte Finanzplanung hilft das wenig.
Die bayerische Variante im Umgang mit Geißlers Empfehlungen ist auch der Bundesregierung bekannt. Die Bayern halten Frauenhäuser für überflüssig und empfehlen den Frauen, Unterschlupf bei Nachbarn und Verwandten zu suchen.
Eine menschenwürdige Arbeit in Frauenhäusern kann nicht geleistet werden, wenn sie über das Bundessozialhilfegesetz finanziert werden muß, das zwar jeder einzelnen Frau Geld gewährt, nicht aber Institutionen. Das ist schon im Ansatz falsch, weil dadurch jede Frau stigmatisiert wird, die in ein Frauenhaus gehen muß. Frauen sind diejenigen, die aktenkundig werden. Sie müssen den Grad ihrer Mißhandlung belegen, während die Mißhandler unbehelligt bleiben.
Oder ein anderes Beispiel. Jeder Mensch hat Anspruch auf Sozialhilfe, die nicht zurückgezahlt werden muß. Notleidende Frauen jedoch bekommen Sozialhilfe nur als Darlehen, wie in Solingen und Dinslaken geschehen. Den Frauen wird damit ein Neuanfang erschwert bzw. unmöglich gemacht, weil sie zu ihren Mißhandlern zurückgehen müssen.
Nach zehnjähriger Arbeit haben die Erfahrungen in den Frauenhäusern belegt, daß die gesellschaftlichen und ungelösten Konflikte wie Erwerbslosigkeit, Isolation und Kommunikationsfähigkeit usw. seitens der Männer in der Mißhandlung von Frauen und Kindern ihren stärksten Ausdruck finden.
Menschenwürde, Entfaltung der Persönlichkeit und Gleichberechtigung, oberste Maximen unserer Verfassung, stehen im Abseits, wenn es um den Schutz von Frauen geht. Zumindest darf er nichts kosten und muß kontrollierbar bleiben. Der Wert der Familie, von der Regierungskoalition beschworen, sinkt, wenn es um die Restfamilie geht, um die vor ihren Ehemännern flüchtenden Frauen und die Kinder.
Wenn Sie, meine Herren, die Petition mit 12 000 Unterschriften für ein Notprogramm über 30 Millionen DM ablehnen, liefern Sie erneut den Beweis einer frauenverachtenden Politik. Und das wird noch mit formalen Gründen gerechtfertigt.
Wenn von Herrn Kühbacher dem Haushaltsausschuß nur eine Million DM zur Bewilligung empfohlen und vom Haushaltsausschuß abgelehnt wird, zeugt das von einer völligen Ignoranz gegenüber der realen Situation, besonders der in den autonomen Frauenhäusern.
Darum bringen die GRÜNEN mit ihrem Änderungsantrag auf Drucksache 10/4413 zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses die Forderungen der Petentinnen ein und beantragen ein Notprogramm von 30 Millionen DM.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13831
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist interessant, zu beobachten, wie die GRÜNEN versuchen, eine Finanzierung besonders der autonomen Frauenhäuser aus Bundesmitteln sicherzustellen: zuerst mittels eines Gesetzentwurfs für eine Stiftung,
der erst gestern im Ausschuß abgelehnt worden ist und uns daher hier bald noch mal beschäftigen wird, und hier und heute der Versuch, mittels einer Petition eine Bundesfinanzierung zu erreichen.
Für uns Liberale ist es überhaupt keine Frage, daß Frauenhäuser leider als Zufluchtsstätten für mißhandelte Frauen und ihre Kinder notwendige soziale Einrichtungen sind.
— Wollen Sie? Bitte.
Sie lassen die Frage zu?
Ja, ja.
Es ist halb zehn. Bitte.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es um eine Petition geht, die hier zur Diskussion steht, und daß diese Petition im Bundestag länger als der Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN anhängig ist?
Okay. Dafür bin ich noch nicht lange genug hier. Das habe ich nicht so genau beachtet. Aber es gibt jedenfalls den Versuch, einmal auf diesem Weg und, wenn es auf dem einen Weg nicht geht, auf dem anderen Weg eine Finanzierung zu erreichen.
Wir waren jetzt bei dem traurigen Sachverhalt, daß Frauenhäuser eine Notwendigkeit sind. Erkennt man diese Notwendigkeit der Frauenhäuser an — worüber wir uns gerade am Mittwoch im Ausschuß weitgehend einig waren —, bleibt immer noch das Problem der Finanzierung.
Den von den Petenten zur Sicherstellung der Finanzierung vorgesehenen Weg, ein Bundesgesetz zu erlassen, halten wir für ebenso falsch wie die Stiftungsidee.
Gegen den Erlaß eines solchen Bundesgesetzes haben sich neben den kommunalen Spitzenverbänden und etlichen Wohlfahrtsverbänden alle Länder mit Ausnahme des Landes Hessen ausgesprochen. Allein aus diesem pragmatischen Grund hat ein Bundesgesetz zur Finanzierung von Frauenhäusern keinerlei Aussicht auf Erfolg. Dem Erlaß eines solchen Bundesgesetzes stehen außerdem verfassungsrechtliche Bestimmungen entgegen.
Der Vorschlag der Petenten, Bundesmittel im Weg eines Geldleistungsgesetzes nach Art. 104 Abs. 3 des Grundgesetzes bereitzustellen, ist ebenso abwegig. Die FDP hält eine Verlagerung der Zuständigkeiten von der Gemeinde- und Länderebene weg auf den Bund weder für verfassungsrechtlich möglich noch für politisch sinnvoll. Die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung der Gemeinden darf ebensowenig in Frage gestellt werden wie die Autonomie der freien Wohlfahrtsverbände.
Nach Meinung der FDP kann der Weg daher nur sein: Hilfe in Fällen der sozialen Not ist Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung. Häufig sind die Kommunen nach dem Bundessozialhilfegesetz
in diesen Fällen zur Hilfe verpflichtet. Außerordentlich wichtig ist bei alldem eine gemeinsame Verständigung über die Finanzierungsmöglichkeiten nach dem Bundessozialhilfegesetz. In diesem Zusammenhang können die vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit entwickelten Vorschläge zur Auslegung des Bundessozialhilfegesetzes vor allem über die Kostenvereinbarung gemäß § 93 Abs. 2 BSHG von außerordentlichem Nutzen sein.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas zur Argumentation der Vertreter einiger autonomer Frauenhäuser sagen. Sicher ist richtig, daß Gewalt an Frauen und Kindern ein gesellschaftliches Problem ist. Die Argumentation, daß die Mißhandlung der Frauen und Kinder wegen des gesellschaftlichen Phänomens der Gewalttätigkeit kein Tatbestand für das Bundessozialhilfegesetz sein dürfe, ist meines Erachtens nicht schlüssig. Entscheidend ist, daß die Finanzierung der Frauenhäuser sichergestellt wird. Das Bundessozialhilfegesetz kann dazu eine weitere Grundlage sein. Behauptungen, wonach Gegnern der Finanzierung von Frauenhäusern unterstellt wird, sie betrieben eine Strategie der Verharmlosung der Gewalt gegen Frauen, kann nicht entschieden genug entgegengetreten werden.
Wir werden die weitere Entwicklung der finanziellen Absicherung der Frauenhäuser kritisch beobachten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kühbacher.
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die sich zu dieser späten Stunde noch mit diesem Thema beschäftigen! Ich möchte meiner Vorrednerin eine Frage stellen. Wenn sie von dem traurigen Tatbestand der Notwendigkeit des Bestandes von Frauenhäusern spricht und gleichzeitig sagt: „Wir werden die weitere Entwicklung der finanziellen Absicherung kri-
13832 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Kühbacher
tisch beobachten", dann möchte ich einmal wissen, wo ihre Absichten wirklich liegen:
bei dem kritischen Beobachten des langsamen Schließens und Kaputtgehens von Frauenhäusern
oder bei der Tatsache, daß der Bund die sehr komfortable Ausrede gebraucht, daß er hier vielleicht verfassungsrechtlich nicht zuständig sei
oder daß es, wie Sie es begründen, im Bundesrat Schwierigkeiten geben könnte, wenn sich der Bund in eine Rahmengesetzgebung hineinbegäbe? Mit dieser komfortablen Ausrede versucht die FDP hier deutlich zu machen, daß man sich dem Thema, Herr Dr. Rumpf, nicht zuwenden will.
Worum geht es denn bei der Petition? Bei der Petition geht es darum, daß die Frauenhäuser in ihrem Bestand gesichert werden. 12 000 Frauen sagen, sie brauchten diese Frauenhäuser, wir im Parlament sollten nicht immer nur den Mund voll nehmen, sondern auch etwas tun.
Die Sache wird in den Ausschüssen beraten, und zwar, wie ich eben diesem Beitrag entnehme, nicht
mit gutem Erfolg. Ich werde bei dem Lesen der ganzen Unterlagen dazu den Eindruck nicht los, daß sich einige Männer — ich sage das ganz bewußt —, einige wohlbestallte Beamte im Ministerium, eine Meinung gebildet haben, von der sie nicht mehr herunterwollen.
— Das ist keine unsachliche Unterstellung, Herr Schlottmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bund möchte am liebsten damit nichts zu tun haben.
— Dort ist genauso entschieden worden, wie es im Haushaltsausschuß bereits anklang. Herr Schlottmann, es geht uns hier eben darum, daß dieses Thema von Ihnen weich heruntergefahren wird, so nach dem Motto, das alles regele sich unten vor Ort
von selbst, wissend, daß die Frauenhäuser dabei Stück für Stück kaputtgehen.
— Doch, darum geht es. Es geht um die Absicherung der Existenz aller jetzt bestehenden Frauenhäuser.
— Herr Dolata, das finde ich interessant. Ich möchte Sie persönlich bitten, Ihrem Sozialsenator Fink in Berlin zu folgen. Der ist auf dem richtigen Weg.
— Ich bestreite doch gar nicht, daß es in Berlin nicht schlecht läuft. Worum es mir geht, ist, deutlich zu machen, daß wir überall in der Bundesrepublik ganz unterschiedliche Startchancen haben.
Da gibt es Männer, die so argumentieren, die es so sehen und die Mehrheiten haben, und es gibt Sozialsenatoren wie in Berlin, die sich darum kümmern. Ich spreche Herrn Fink seine Erfolge überhaupt nicht ab. Worum es uns geht, Herr Dolata, ist, daß solche positiven Verhältnisse bundesweit durchgesetzt werden
— j a, natürlich —, auch gegen Widerstände in den Kommunen, gegen Widerstände in den Ländern
und gegen die Grundvorbehalte bei den Männern, daß es so etwas eigentlich gar nicht geben könne, weil es nicht sein dürfe. Das genau ist es doch: Man will nämlich im Innersten nicht zugeben, daß es Gewalt gegen Frauen in der Familie gibt.
— Ja, natürlich, solche Vorbehalte haben wir doch alle zu überwinden gehabt
— das mag so sein —, die wir in den Kommunen die Finanzierung von Frauenhäusern durchsetzen wollten. Den gleichen Widerstand finden wir heute nach wie vor in dem Ministerium, das dafür zuständig wäre.
— Natürlich. —
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13833
Kühbacher
Wir würden es durchsetzen.
Das, worum es hier geht, Herr Dolata, ist doch der Antrag, nämlich die Mitverantwortung des Bundes parlamentarisch festzustellen und dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit eine Mitverantwortung bei der Lösung dieser Frage zuzuweisen.
Um nichts anderes habe ich im Haushaltsausschuß gefochten, um zu erreichen, daß wir den Fuß in die Tür für eine Bundeskompetenz bekommen. Das ist, wie ich zugebe, leider mit 13 : 12 Stimmen zwar schön kommod und weich, aber endgültig abgelehnt worden. Das, was hier heute abend passiert, ist doch, daß die hier anwesenden Damen — ich hoffe, sie enthalten sich zumindest der Stimme — genauso gedrückt werden nach dem Motto: Der Bund möchte mit diesem unangenehmen Thema vor 1987 hier nicht mehr behelligt werden.
Ich bitte Sie, die Entschließung der GRÜNEN, nämlich den Minister für Jugend, Familie und Gesundheit aufzufordern, sich dieses Themas, insbesondere der notleidenden Frauenhäuser, anzunehmen, zu unterstützen und nicht dagegen zu stimmen.
Herr Kollege Göhner, Sie werden doch jetzt dagegen argumentieren. Wenn sich Ihre Damen, Ihre Kolleginnen, hier der Stimme enthalten, werden wir die Bundesregierung zwingen, sich zu ihrer Verantwortung zu bekennen — und das nicht erst nach 1987, sondern heute. Darum bitte ich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlottmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Finanzierung der Frauenhäuser ist für die CDU/CSU eindeutig geregelt.
Zuständig sind Bundesländer und Kommunen.
Herr Kollege Kühbacher, ich habe soeben bei Ihren Ausführungen — ich bleibe sachlich — die Konzeption Ihrer Fraktion vermißt. Gestern wurden im zuständigen Ausschuß, in dem wir dieses Thema behandelt haben, von Ihrer Fraktion ganz andere Überlegungen angestellt, z. B. die bezüglich eines Bundesgesetzes. Sie wollen jetzt also eine Art Stiftung oder ein Sonderprogramm. Sie haben mit einer Million DM — Sie wissen genau, daß damit nicht viel anzufangen ist, daß das quasi der Tropfen auf den heißen Stein sein dürfte — im Ausschuß angefangen. Ich würde der SPD-Fraktion empfehlen, hier einmal zu Potte zu kommen und eine Kon-
zeption zur Finanzierung der Frauenhäuser zu entwickeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Länder haben in der Regel Programme zur Finanzierung der Frauenhäuser entwickelt, mit denen sie die Einrichtungen in besonderem Maße fördern. Die Gemeinden tragen insbesondere die laufenden Kosten nach dem BSHG, vielfach aber auch — als freiwillige Leistungen — die Kosten der Einrichtung, der Renovierung sowie die Kosten für größere Reparaturen.
In der gestrigen Sitzung des Ausschusses ist das sehr deutlich gemacht worden, insbesondere durch einen Bericht der Bundesregierung.
Gegen ein Bundesgesetz zur Finanzierung — das ist soeben schon von meiner Kollegin von der FDP gesagt worden — haben sich alle Bundesländer
mit Ausnahme von Hessen ausgesprochen.
Außerdem haben sich der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge dagegen ausgesprochen, also Herr Kühbacher, nicht etwa einige Herren im Ministerium oder der CDU/CSU-Fraktion. Sie versuchten j a, hier noch einen Gegensatz zwischen Kolleginnen und Kollegen aufzutun. Das dürfte Ihnen nicht gelingen, das ist vorbei, das sind alte Zöpfe. Damit hier im Parlament zu agieren halte ich für falsch.
CDU/CSU und Bundesregierung sind also der Auffassung, daß die Finanzierung der Frauenhäuser über das geltende Finanzierungskonzept in der Aufgabenteilung zwischen Ländern und Gemeinden und den freien Trägern, insbesondere nach dem BSHG und seiner Individualförderung, eine sinnvolle Grundlage darstellt,
die allerdings, meine verehrte Kollegin, entwicklungsfähig ist; das geben wir zu. Auch ein Sofortprogramm, heute hier geplant, auch von der SPD schon angesprochen, wird von uns abgelehnt, weil verfassungsrechtliche Bedenken dagegen sprechen. Die SPD wäre besser beraten
— hören Sie gut zu, ich empfehle Ihnen das —, wenn sie sich in den einzelnen Bundesländern hinsichtlich der dortigen Situation von Frauenhäusern sachkundig machte und dort gegebenenfalls Sofort-
13834 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Schlottmann
programme beantragte, so beispielsweise bei Herrn Rau in Nordrhein-Westfalen.
Gehen Sie einmal hin. Sie werden dort Programme vorfinden, die laufen. Man wird Ihnen deutlich machen, daß Ihre Vorstellungen in dem Land überhaupt nicht nötig sind.
Unsere Haltung ist klar. Die CDU/CSU-Fraktion sieht in den Frauenhäusern notwendige Zufluchtstätten für mißhandelte Frauen und ihre Kinder.
Wir danken an dieser Stelle insbesondere für den hervorragenden, vorbildlichen Einsatz vieler ehren-und hauptamtlicher Mitarbeiter in diesen Einrichtungen. Das möchte ich hier einmal unterstreichen und betonen.
Als Voraussetzung für die notwendige längerfristige finanzielle Absicherung von Frauenhäusern sind Finanzierungsregelungen der Länder und Gemeinden zu treffen, mit denen sichergestellt wird, daß die sachlich unvermeidbaren Betriebskosten,
d. h. insbesondere Personal- und Sachkosten, zusätzlich zu den laufenden Lebenshaltungskosten abgedeckt werden. Ein weiterer Weg für ein tragfähiges Finanzierungskonzept sind die vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit entwickelten Vorschläge zur Auslegung des BSHG, vor allem über Kostenvereinbarungen nach § 93 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes, die er bereits im Jahre 1983 mit Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Fachverbänden und einem Großteil der Frauenhäuser abgestimmt hat.
Die Frauenhausarbeit braucht über die Finanzierungsfragen hinaus laufend die öffentliche Ermutigung und Unterstützung
durch den Staat und die Gemeinden, durch politische Parteien und Parlamente sowie die Medien, wie ich meine, in besonderem Maße. Bund, Länder und Gemeinden und die freien Verbände sind zu bitten — das tue ich von dieser Stelle aus —, ihre Projektförderungen im Bereich der Frauenhausarbeit einschließlich der Fortbildung von Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser fortzusetzen.
Die CDU/CSU — das darf ich abschließend sagen — wird sich weiterhin mit der Lage der Frauenhäuser und ihrer finanziellen Absicherung befassen
und deshalb die Bundesregierung bitten, bis zum 30. Juni 1988 einen erneuten Erfahrungsbericht vorzulegen. Wir halten die Petition für erledigt. Den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, der von der
SPD unterstützt wird, lehnen wir aus sachlichen Gründen selbstverständlich ab.
Ich bedanke mich.
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag der GRÜNEN ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
— Wir haben vorher schon durchgezählt, damit keine Schwierigkeiten entstehen.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/4077 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.
Wir stimmen jetzt noch über die Tagesordnungspunkte 10 d bis 10 g ab. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 10/4078 und 10/4395 bis 10/4397 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft
— Drucksache 10/4043 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 10/4252 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schmidt
b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft
— Drucksache 10/4041 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 10/4252 —
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13835
Vizepräsident Frau Renger
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schmidt
Der Ältestenrat schlägt die Gemeinsame Beratung der Punkte 11 a und 11 b und einen Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vor. Besteht Einverständnis? — Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herkenrath.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gerade die Überschrift des Gesetzes gehört. Die Frau Präsidentin hat sie vorgetragen. Ich möchte Sie bitten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, da er notwendig ist. Das werde ich kurz begründen.
Das Gesetz, das den internationalen Handel mit gefährdeten, d. h. vom Aussterben bedrohten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Europäischen Gemeinschaft regelt, ist bis zum 31. Dezember 1985 befristet. Wenn der Bundestag jetzt nicht handelt, gibt es ab 1. Januar 1986 keine gesetzliche Grundlage für die EG-Verordnung zu diesem Thema.
Der Schutz für gefährdete Arten von Pflanzen und Tieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, beschäftigt Millionen unserer Mitbürger. Der normale Posteingang eines Bundestagsabgeordneten macht das deutlich. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nimmt diese Aufgabe sehr ernst und hat gründliche Beratungen eingeleitet. Diese sollten nicht unter Zeitdruck stehen. Die Aufgabe muß sachgerecht und umfassend gelöst werden. Es müssen Beteiligte und Betroffene, Verbände, Institutionen, Organisationen und wissenschaftliche Disziplinen Gelegenheit haben, ihre Auffassung zu dieser weltweiten Aufgabe darzulegen. Das konnte in den vergangenen Wochen auf Grund des umfassenden Arbeitsprogrammes unseres Fachausschusses noch nicht geschehen.
So entstand aus der Mitte des Bundestages ein Initiativgesetzentwurf, der die Verlängerung der Geltungsdauer des derzeit gültigen Gesetzes zum Ziel hat, unter Vorsitz von Herrn Dr. Schmidt . Das ist vernünftig und wird die sehr oft emotional geführten Diskussionen versachlichen.
Schließlich muß auch festgestellt werden, daß das bisher gültige Gesetz, das sicher noch verbesserungswürdig ist — dazu wird sicher Frau Blunck nachher noch einiges sagen —, schon für eine erfolgreiche Verbesserung der Situation bei seltenen Tieren und Pflanzen gesorgt hat. Denn eine allgemeine Einfuhr gefährdeter Arten findet praktisch nicht mehr statt,
auch wenn das hier und da bezweifelt wird. Das öffentliche Bewußtsein jedenfalls ist geschärft. Die Bundesrepublik Deutschland ist gegenüber anderen Ländern bei der Bemühung um Artenschutz weit voraus. Es wird unsere Aufgabe sein, darauf
hinzuwirken, daß auch in den übrigen Ländern beim Artenschutz nachgezogen wird. Die entsprechende Vorlage, die sogenannte Artenschutznovelle, die das bisherige Gesetz verbessern soll, befindet sich bereits in der parlamentarischen Beratung
und wird das nun in seiner Geltungsdauer zu verlängernde Durchführungsgesetz ablösen. Es ist kein Fehler, wenn man lange und gründlich über eine Sache berät,
die dann auch gut und von Dauer sein soll.
Wir wollen das im nächsten Jahr zum Abschluß bringen.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich Sie bitten, dieser Gesetzesvorlage zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Blunck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ein Skandal, daß wir uns heute hier erneut mit einem Problem beschäftigen müssen, das wir bereits vor zwei Jahren als erledigt angesehen haben, und das alles nur, weil diese Bundesregierung ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen ist, bis September 1984, Herr Herkenrath, eine umfassende Novellierung des Artenschutzes im Bundesnaturschutzgesetz vorzulegen.
Das Verhalten der Bundesregierung ist nicht nur eine unglaubliche Mißachtung dieses Parlaments. Es zeigt auch zugleich, welchen Stellenwert der Artenschutz bei dieser Regierung hat, nämlich gar keinen.
Was in der Zwischenzeit einmal als Regierungsentwurf aus den Schreibtischen hervorgekramt wurde, ist Gott sei Dank sehr schnell wieder in der Versenkung verschwunden. Denn diese sogenannte Artenschutznovelle war nichts anderes als gesetzlich geregelter Artentod.
Zwei Jahre lang ist die Bundesregierung untätig geblieben. Zwei Jahre lang hat sie Däumchen gedreht. Jetzt stehen wir wieder einmal unter Zeitdruck.
— Oh ja, um sicherzustellen, daß ab 1. Januar 1986 kein rechtloser Zustand eintritt. Höhere Ansprüche können j a an das vorliegende Gesetz nicht gestellt werden. Die zahlreichen Ausnahmebestimmungen im § 2 öffnen dem Mißbrauch Tür und Tor, was inzwischen auch vielfach belegt ist.
13836 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Frau Blunck
Wir Sozialdemokraten hatten daher im Ausschuß den Antrag gestellt, Ausnahmen von den Vermarktungsverboten nur im Einzelfall zu Forschungs-und Zuchtzwecken sowie für solche Exemplare zuzulassen, die in Übereinstimmung mit dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen im Geltungsbereich der EWG-Verordnung gezüchtet oder durch Anbau gewonnen worden sind. Wir haben uns angesichts der Mehrheitsverhältnisse leider nicht durchsetzen können. So werden wir denn vorerst weiterhin mit der Tatsache leben müssen, daß trotz des angeblichen Importverbots vom Aussterben bedrohte Tiere und aus ihnen gewonnene Produkte nach wie vor in unser Land kommen können und auch zum Verkauf angeboten werden.
Die von den Tierschutzverbänden vorgelegten Beweise sind eindeutig, und ich empfehle Ihnen, Herr Herkenrath, dringend, sich diese einmal zusenden zu lassen; ich jedenfalls werde sie Ihnen gerne zuschicken.
In einigen Ländern der Dritten Welt sind ganze Banden darauf spezialisiert, geschützte Tierarten, beispielsweise Kaimane, Ozelote oder Fischotter, zu jagen, Tiere, die dann mit gefälschten Herkunftspapieren ihren verschlungenen Weg zu deutschen Händlern finden. Es ist schon schlimm genug, daß durch diese organisierte Wilderei ganze Tierbestände praktisch ausgerottet werden; es werden gleichzeitig aber auch natürliche Ökosysteme auf Kosten der ohnehin schon ärmlichen Lebensbedingungen der Menschen in diesen Regionen zerstört. Wenn wir schon so regen Anteil an Hunger- und Naturkatastrophen in der Dritten Welt nehmen, sollten wir uns auch einmal die Frage stellen, ob nicht wir selbst zu diesen Zuständen beitragen, weil wir bei uns einen Markt für Tiere und Produkte zulassen, die bei uns nur als eitler Zierat dienen, in den betroffenen Ländern aber eine wichtige Funktion im Naturhaushalt erfüllen.
Mit einem Importverbot allein, das zudem bei den unterschiedlichen Verhältnissen in den EG-Staaten leicht umgangen werden kann, ist die Ausrottung bedrohter Tiere und Pflanzen nicht zu stoppen; nur ein sofortiges Handelsverbot wie in den USA und in den Niederlanden kann diese Tiere und Pflanzen retten.
Erst wenn mit ihnen kein Geschäft mehr zu machen ist, sind sie vor der Ausrottung sicher. Wer vor dieser bitteren Tatsache die Augen verschließt, macht sich mitschuldig an der Zerstörung der Natur und ihrer Vielfalt, macht sich mitschuldig an der Vernichtung der traditionellen Lebensgrundlagen der Menschen in der Dritten Welt.
Wir Sozialdemokraten stimmen heute notgedrungen einer Verlängerung des derzeit geltenden Gesetzes bis zum 31. Dezember 1986 zu. Wir fordern aber gleichzeitig die Bundesregierung sehr nachdrücklich auf, nun endlich den seit mehr als einem Jahr überfälligen Gesetzentwurf vorzulegen, einen
Gesetzentwurf, der tatsächlich Artenschutz bedeutet.
Solange das nicht geschehen ist, muß sich die Regierung den Vorwurf gefallen lassen, daß sie sich mehr als Interessenvertreterin der einschlägigen Industrie
denn als Anwalt der von Ausrottung bedrohten Tier- und Pflanzenwelt versteht.
Das Wort hat der Abgeordnete Bredehorn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Blunck, Sie haben sich hier sehr aufgeregt. Ich muß sagen, im Ausschuß haben wir uns ja sehr sachlich und sehr verantwortungsvoll über diese Dinge unterhalten.
Heute geht es darum, das jetzige Gesetz um ein Jahr zu verlängern, damit die Rechtsgrundlagen zum Schutz freilebender Pflanzen und Tiere erhalten bleiben.
Anfang nächsten Jahres werden wir im Ausschuß sehr sorgfältig und sehr verantwortungsvoll die Artenschutznovelle zum Bundesnaturschutzgesetz beraten. Wir brauchen dazu auch etwas Zeit, damit im Interesse der Natur etwas Vernünftiges dabei herauskommt.
Meine Damen und Herren, ich muß Ihnen sagen: In Anbetracht der späten Stunde und insbesondere der Tatsache, daß alle unsere Kollegen aus dem Ernährungsausschuß im Augenblick zusammen mit dem Minister eine friedvolle Weihnachtsfeier haben, möchte ich für die FDP-Fraktion nur kurz erklären: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu.
Nächster Redner ist der Herr Abgeordnete Senfft.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt ist ein weiteres Armutszeugnis für den Artenschutz in der Bundesrepublik,
und er ist ein weiteres erschreckendes Beispiel für die skrupellose Art und Weise, auf die sich die Bundesregierung über Beschlüsse dieses Parlaments hinwegsetzt.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13837
Senfft
Wir sollen heute die Verlängerung der Geltungsdauer eines Gesetzes beschließen, dessen Befristung zum 31. Dezember 1985 hier vor zwei Jahren einstimmig beschlossen worden ist. Es geht um das EG-Gesetz zur Durchführung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens in der Bundesrepublik, um ein Gesetz, das schon bei seiner Verabschiedung von allen Fraktionen als unzureichend, als vorläufig und als schleunigst ablösungsbedürftig kritisiert worden ist. Es war der einhellige Wille dieses Bundestages, daß dieses Gesetz Anfang 1986 durch ein umfassend novelliertes und verbessertes Artenschutzrecht ersetzt werden sollte. Entsprechend wurde die Bundesregierung einstimmig aufgefordert, bis September 1984 hierzu einen Gesetzentwurf vorzulegen, und der Herr Staatssekretär von Geldern erklärte, die Bundesregierung habe dagegen auch nichts einzuwenden, denn genau dies habe sie ohnehin vor. Es mag sein, daß die Bundesregierung allerhand vorhatte. Tatsache jedoch ist, daß ein solcher Entwurf zwei Jahre nach diesem Beschluß immer noch nicht vorliegt und daß wir heute nicht vor der Verabschiedung eines gründlich verbesserten Artenschutzgesetzes stehen, sondern im Gegenteil vor dem von Ihnen verschuldeten Zwang, eigene Beschlüsse zur Makulatur erklären zu müssen. Wo ist der Kabinettsentwurf denn seit seiner ersten Beratung im Bundesrat Anfang Juni geblieben? Was soll überhaupt diese ganze Verschleppungstaktik? Und vor allem, was soll das dreiste Ansinnen des BML, die Befristungsklausel ersatzlos zu streichen? Die Antwort ist einfach: Diese Bundesregierung möchte sich am liebsten ganz, völlig aus der Affäre mogeln. Sie fürchtet eine weitere umweltpolitische Bauchlandung, weil sie weiß, daß der Kabinettsentwurf in seiner jetzigen Fassung auf den geschlossenen Widerstand aller Umwelt-, aller Natur- und aller Artenschutzverbände in der Bundesrepublik stoßen wird.
Das ist der wahre Hintergrund.
Den von uns eingebrachten Alternativentwurf zur Änderung des Durchführungsgesetzes können Sie zwar heute für erledigt erklären lassen. Das Problem mit den Ausnahmeregelungen des § 2 wären Sie damit aber nicht los. Sie haben es geschafft, daß diese Schlupflöcher für jeden beliebigen Mißbrauch der internationalen Artenschutzbestimmungen ein weiteres Jahr offengehalten werden. Die Jäger, die Falkner, die Kadaverfetischisten, die Pelz- und die Tierhändler, die Delikatessenhändler, die Betreiber aller Arten von Tiergefängnissen werden Ihnen gewiß dankbar dafür sein. Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch eine Vielzahl, eine breite Mehrheit verantwortungsbewußter Bürger, und diese Menschen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP, werden Sie im kommenden Jahr sehr nachdrücklich daran erinnern, daß es keinen wirksamen Artenschutz in der Bundesrepublik geben kann, solange die sogenannten Vorerwerbsund Zuchtexemplare hochgradig gefährdeter Arten von den Vermarktungsverboten des EG-Rechts ausgenommen bleiben. Sie werden fordern, daß unter diesen Ausnahmefilz endlich ein Schlußstrich gezogen wird.
Die bewährte Verschleppungstaktik wird Ihnen jedoch nicht allzuviel nutzen. Wir werden unseren Novellierungsentwurf zum Bundesnaturschutzgesetz im Januar in die parlamentarische Beratung bringen und werden Sie damit zwingen, sich der politischen Auseinandersetzung um die von Ihnen jahrelang verdrängten Elementarforderungen des Natur- und Artenschutzes zu stellen. Das Thema bekommen Sie bis 1987 nicht vom Tisch. Wir werden deshalb dafür sorgen, daß Ihnen diese Auseinandersetzung nicht erspart bleibt.
Im übrigen wünsche ich Ihnen noch eine angenehme Nachtruhe.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär von Geldern.
— Ja, auch das noch. Nur für drei Minuten; das hat er uns versprochen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten hier eine Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft. Wenn man bedenkt, welchen Umfang heute Reisen, Handel, internationaler Transport innerhalb und über die Grenzen der Gemeinschaft hinaus angenommen haben, dann wird jedem klar, daß dies eine schwierige Materie ist, die man nicht übers Knie brechen kann. Ich habe nur aus einem Grunde jetzt noch um das Wort gebeten, und zwar deshalb, weil zwei Redner, nämlich Frau Kollegin Blunck und Herr Kollege Senfft, hier Anwürfe gegen die Regierung erhoben haben, die völlig unberechtigt sind. Es ist unterstellt worden, es gebe eine absichtliche Verzögerung. Nichts davon ist richtig. Ich bin eben auch zitiert worden in der guten Absicht, die wir haben, das Gesetz so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Vielleicht wird die Verlängerung um ein Jahr gar nicht voll in Anspruch genommen.
Aber lassen Sie mich zur Versachlichung die Daten noch einmal nennen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist am 24. Mai dieses Jahres dem Bundesrat zugeleitet worden. Es ist keine Rede davon, daß wir nicht tätig gewesen seien, daß wir Däumchen gedreht und nichts gemacht hätten. Der Gesetzentwurf ist im Mai zugeleitet worden. Am 5. Juli dieses Jahres hat der Bundesrat seine Stellungnahme abgegeben. Dann hat es eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung über die Gegenäußerung gegeben, die jetzt abgeschlossen ist. Wir werden voraussichtlich noch in diesem Monat Dezember das Kabinett abschließend damit befassen. Dann kann der Deutsche Bundestag seine Entscheidung treffen.
Ich möchte in aller Form dagegen Stellung nehmen, daß hier behauptet worden ist, wir handelten auf dem Gebiet des Schutzes freilebender Tiere und Pflanzen insbesondere in bezug auf den internatio-
13838 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern
nalen Handel, rückständig, nachlässig, verzögerlich. Tatsache ist, daß sich die Bundesrepublik Deutschland auch heute schon im internationalen Maßstab auf diesem Gebiet durchaus sehen lassen kann,
daß wir die Absicht haben, diesen hohen Standard zu halten, daß alle dafür notwendigen Vorbereitungen getroffen worden sind und daß der Zeitplan, in dem die endgültige gesetzliche Entscheidung getroffen werden kann, absehbar ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich konnte den Herrn Staatssekretär nicht mittendrin unterbrechen; er mußte erst einmal den Satz zu Ende bringen. — Aber Sie haben Ihre Rede, wie ich sehe, schon beendet, Herr Staatssekretär. Danke schön. — Zwischenfragen müssen zur rechten Zeit gestellt werden; die Ihre konnte nicht mehr dazwischen geschoben werden. Es tut mir leid, Herr Gansel; ich konnte den Redefluß nicht unterbinden, weil das ein zusammenhängender Satz war.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 11 a, und zwar über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 10/4043. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 11 b. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt auf Drucksache 10/4252 unter Nr. 2, den von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4041 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines neuen Marktabschnitts an den Wertpapierbörsen und zur Durchführung der Richtlinien des Rates der Europäischen
Gemeinschaften vom 5. März 1979, vom 17. März 1980 und vom 15. Februar 1982 zur Koordinierung börsenrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 10/4296 —
Das Wort dazu wird nicht erbeten. Interfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/4296 an den Finanzausschuß — zur federführenden Beratung — sowie an den Ausschuß für Wirtschaft und den Rechtsausschuß — zur Mitberatung — zu überweisen. Werden weitere Vorschläge gemacht? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. Juni 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
— Drucksache 10/3971 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/4270 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
Das Wort zur Aussprache wird nicht erbeten.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Rechtsbereinigungsgesetzes
— Drucksache 10/3290 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/4373 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schröer Mann
Clemens
Dr. Hirsch
Das Wort zur Aussprache wird nicht erbeten.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 38, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13839
Vizepräsident Frau Renger
— Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimme? —Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes
— Drucksache 10/2621 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/4269 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Tietjen Clemens
Dr. Hirsch
Das Wort zur Aussprache wird nicht erbeten.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung und der Bericht des Innenausschusses zu Punkt 16 der Tagesordnung konnten erst gestern verteilt werden. Ich gehe davon aus, daß von der Frist für den Beginn der Beratung gemäß § 81 Abs. 1 der Geschäftsordnung abgewichen werden soll. Ist das Haus damit einverstanden? — Erhebt sich kein Widerspruch? — Dann ist das sogar einstimmig — erforderlich ist nur die Mehrheit — beschlossen.
Ich rufe sodann Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes
— Drucksache 10/4220 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/4422 —
Berichterstatter: Abgeordnete Broll Jaunich
h) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4480 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Kleinert Gerster (Mainz)
Kühbacher
Frau Traupe
Frau Seiler-Albring
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort.
Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht erbeten.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf.
Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten AKPEWG-Abkommen von Lomé vom 8. Dezember 1984 sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen
— Drucksache 10/3960 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache 10/4449 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Pohlmeier Brück
Ertl
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/4462 —
Berichterstatter: Abgeordnete Esters Borchert
Keiner der Berichterstatter wünscht das Wort. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
13840 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Vizepräsident Frau Renger
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die Punkte 17a und 17b der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerster , Doss, Frau Rönsch, Dr. Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Schäfer (Mainz), Mischnick und der Fraktion der FDP, der Abgeordneten Tatge, Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Delorme, Fischer (Osthofen) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 29 Abs. 7)
— Drucksache 10/4264 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß
b) Erste Beratung des von den Abgeordenten Gerster , Doss, Frau Rönsch, Dr. Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Schäfer (Mainz), Mischnick und der Fraktion der FDP, der Abgeordenten Tatge, Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Delorme, Fischer (Osthofen) und Genossen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes
— Drucksache 10/4265 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Rechtsausschuß
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/4264 und 10/4265 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Das Haus ist damit einverstanden, da sich kein Widerspruch erhebt. —
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen
Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks in Bonn
— Drucksachen 10/4028, 10/4186 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Simonis Dr. Hackel
Kleinert
Auch hier wird das Wort nicht erbeten.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/4186, der Veräußerung zuzustimmen.
Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen ist das so angenommen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 08 07 Tit. 63201 —Verwaltungskostenerstattung an Länder — Drucksachen 10/3962, 10/4187 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Simonis Dr. Hackel
Kleinert
Die Berichterstatter wünschen nicht das Wort.
Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht erbeten.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußempfehlung auf Drucksache 10/4187, von der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Wir haben schon Kenntnis genommen.
Ich rufe die Punkte 20 bis 22 der Tagesordnung auf:
20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates über den Abschluß der Abkommen in Form von Briefwechseln zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Barbados, Belize, Fidschi, der Kooperativen Republik Guyana, der Republik Elfenbeinküste, Jamaica, der Republik Kenia, der Volksrepublik Kongo, der Demokratischen Republik Madagaskar, der Republik Malawi, Mauritius, der Republik Surinam, St. Christoph und Nevis, dem Königreich Swasiland, der Vereinigten Republik Tansania, Trinidad und Tobago, der Republik Uganda und der Republik Zimbabwe sowie mit der Republik Indien über die Garantiepreise für Rohrzucker für den Lieferzeitraum 1985/86
— Drucksachen 10/3275 Nr. 8, 10/4192 —
Berichterstatter: Abgeordneter Hornung
21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13841
Vizepräsident Frau Renger
Vorschlag einer Verordnung des Rates zur Einführung einer zweiten zeitweiligen Maßnahme — in Abweichung von der Verordnung (EWG) Nr. 171/83 — betreffend Beifänge bei der Fischerei auf Stintdorsch in der Nordsee
— Drucksachen 10/3788 Nr. 23, 10/4251 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Blunck
22. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates über bestimmte Maßnahmen zur Erleichterung von Fischereitätigkeiten für wissenschaftliche Untersuchungszwecke
— Drucksachen 10/3788 Nr. 25, 10/4193 —
Berichterstatter: Abgeordneter Eigen
Das Wort wird nicht erbeten.
Die Beschlußempfehlungen sind im Ausschuß einvernehmlich verabschiedet worden. Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimnmen.
Wer den Beschlußempfehlungen auf den Drucksachen 10/4192, 10/4251 und 10/4193 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Ermächtigung der Kommission, im Rahmen des Neuen Gemeinschaftsinstruments Anleihen zur Investitionsförderung in der Gemeinschaft aufzunehmen
— Drucksachen 10/3788 Nr. 46, 10/3827, 10/4332 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. von Wartenberg
Das Wort wird nicht erbeten.
Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 10/4332 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 und 25 auf:
24. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
zu der Verordnung der Bundesregierung
Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 10/3922, 10/4278 —
Berichterstatter: Abgeordneter Auhagen
25. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksachen 10/3970, 10/4279 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Mitzscherling
Auch hier wird das Wort nicht erbeten.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen sind die Beschlußempfehlungen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
— Drucksache 10/4408 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schwenk
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Auch die Aussprache wird nicht erbeten.
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/4408 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. Dezember 1985 — 9 Uhr? — 9 Uhr ein. Was, so spät?
Vielen Dank.
Die Sitzung ist geschlossen.