Rede von
Dr.
Helmut
Kohl
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(CDU)
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben am 2. und 3. Dezember in Luxemburg ein Vertragswerk beschlossen, das die politische und institutionelle Weiterentwicklung der Gemeinschaft ein wesentliches Stück voranbringen wird.
Vorausgegangen sind wieder einmal sehr schwierige, sehr zähflüssige Verhandlungen von fast 30stündiger Dauer in diesen beiden Tagen. Erneut wurde die Erfahrung bestätigt, daß eben nur kleine Schritte in die Zukunft möglich sind. Aber dieser manchmal sehr mühsame Prozeß ist unverzichtbar, wenn wir auf dem Wege zur europäischen Integration vorankommen wollen, und ich füge hinzu, es gibt keine wirkliche Alternative zu dieser Politik.
Wir haben in wichtigen Bereichen Fortschritte erzielt, die weit in die Zukunft weisen. Die Vertragstexte, über die wir uns in Luxemburg inhaltlich geeinigt haben, werden von den Außenministern im nächsten Rat am 16. und 17. Dezember endgültig fertiggestellt. Wir werden als Bundesregierung darauf drängen, daß dann bald unterzeichnet wird, und die Verträge unverzüglich den gesetzgebenden Körperschaften Bundestag und Bundesrat zuleiten. Bis zur Unterzeichnung, so hoffen wir, werden auch diejenigen Mitgliedstaaten, die jetzt noch aus sehr unterschiedlichen Gründen Vorbehalte eingelegt haben, ihre endgültige Zustimmung geben können.
Die Bundesregierung kann für sich in Anspruch nehmen, entscheidend zu diesem Erfolg beigetragen zu haben.
Wir haben in Mailand nicht nur die Weichen für die Regierungskonferenz gestellt, die für die Luxemburger Beratungen beachtliche Vorarbeit geleistet hat, sondern wir haben auch das jetzt vorliegende Paket von Reformmaßnahmen ganz wesentlich mitgestaltet. Das heißt: Die europapolitische Bilanz dieser Bundesregierung ist eindeutig positiv.
Diese Politik ist realistisch, sie ist von der Bereitschaft zum Ausgleich, aber auch von dem Willen getragen, deutsche Interessen — selbstverständlich im Rahmen unserer europäischen Verantwortung
— wahrzunehmen.
Wir haben auch auf diesem Felde ein schwieriges Erbe übernommen, das wir bis in die jüngste Zeit in zwei Kernbereichen europäischer Politik zu spüren bekamen: in der Agrarpolitik und im Haushalt der Gemeinschaft.
Hätten diejenigen, die heute nach einer durchgreifenden Reform der Agrarpolitik rufen, bereits früher Maßnahmen eingeleitet, wären uns viele Probleme und den Betroffenen mit Sicherheit manche Härte erspart geblieben.
Es war diese Bundesregierung, die die drängend-sten Probleme auf dem Europäischen Rat in Stuttgart gebündelt und die Verhandlungen in Gang gesetzt hat, die dann im Juni 1984 in Fontainebleau erfolgreich abgeschlossen werden konnten: Durch die Begrenzung der Agrarpreisgarantie haben wir den Zusammenbruch der Marktordnungen verhindert. Wir haben damit gleichzeitig einen Kostenblock reduziert, der den Haushalt der Gemeinschaft in eine nicht mehr finanzierbare Höhe getrieben hatte.
Wir haben die Haushaltsungleichgewichte, die nicht nur Großbritannien, sondern auch uns selbst betrafen, korrigiert und damit ein Problem gelöst, das die Gemeinschaft über viele Jahre hinweg gelähmt hat.
Wir haben auf Regeln für die Haushaltsdisziplin gedrängt, die uns in Zukunft vor einer weiteren Ausuferung der Kosten, vor allem der Agrarkosten, bewahren soll.
Wir haben schließlich, meine Damen und Herren
— das möchte ich wenige Tage vor dem 1. Januar, dem Tag des förmlichen Beitritts von Spanien und Portugal noch einmal herausstellen —, die Verhandlungen durch die Koppelung der Erhöhung der Eigenmittel an die Erweiterung zum Erfolg geführt. Ich bin für diese Strategie viel kritisiert worden. Ich möchte heute einmal mehr die Behauptung aufstellen, daß der Beitritt, der von uns allen gewünschte Beitritt von Spanien und Portugal zum
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1. Januar 1986 ohne dieses Junktim nicht möglich gewesen wäre.
In Stuttgart haben wir die Feierliche Deklaration zur Europäischen Union verabschiedet. Sie ging auf eine sehr verdienstvolle Initiative des Kollegen Genscher und seines damaligen italienischen Kollegen Colombo zurück.
Auf meinen Vorschlag hin hat sich der Mailänder Gipfel vorrangig mit der Frage befaßt, welche politischen und institutionellen Maßnahmen erforderlich sind, um diesem Ziel näherzukommen. Denn, meine Damen und Herren, die Europäische Union darf nach unserem Willen keine leere Hülse bleiben, sie muß mit politischem Leben erfüllt werden.
Auf Grund der politischen Vorgaben des Mailänder Gipfels hat die Regierungskonferenz ihre Arbeiten Anfang September aufgenommen. Wir haben uns in Luxemburg auf die wichtigsten Kernfragen konzentriert. Für die Bundesregierung standen dabei der Binnenmarkt, die Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments und der Vertrag über außenpolitische Zusammenarbeit im Vordergrund. Daneben spielten auch wichtige neue Politikbereiche eine Rolle, z. B. Forschung und Technologie sowie Umweltfragen. Andere Mitgliedstaaten haben zudem darauf gedrängt, auch ein Kapitel über die „Kohäsion" und Währungsfragen in das Vertragswerk aufzunehmen.
Der schwierigste Teil — das war zu erwarten — vor und während der Tagung in Luxemburg betraf die Änderungen des EWG-Vertrages. Sie wissen, daß sich einige Regierungen zunächst überhaupt gegen Vertragsänderungen gesträubt haben; ich erinnere an die Debatte in diesem Haus nach dem Mailänder Gipfel. Die Bundesregierung, vor allem ich selbst, hat jedoch von Anfang an die Auffassung vertreten, daß eine lediglich politische Beschlußfassung die anstehenden Probleme nicht dauerhaft lösen kann. Ich begrüße es daher sehr, daß wir uns schließlich darauf verständigen konnten, die notwendigen Schritte im Blick auf eine Reform in rechtsverbindlichen Texten festzuschreiben.
Vor allem die Einigung auf ein Kapitel über den Binnenmarkt, die erst nach einer zähen Diskussion erreicht wurde, stellt einen wichtigen Schritt nach vorne dar. Wir hatten uns zwar schon in Mailand darauf verständigt, den europäischen Binnenmarkt bis 1992 zu vollenden. Das wäre bei der Fülle der Vorhaben, die die Kommission in ihrem Weißbuch dazu aufführt, mit dem bisher geltenden Abstimmungsverfahren im Rat auf keinen Fall zu schaffen gewesen. Die entscheidenden Elemente des in Luxemburg erreichten Kompromisses sind die Festlegung eines Termins — es ist der 31. Dezember 1992 — für die Vollendung des Binnenmarkts und die Einführung der qualifizierten Mehrheit für die Herstellung der vier Grundfreiheiten im Binnenmarkt. Wir haben damit die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um diese Aufgabe überhaupt bewältigen zu können. Das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt.
Lassen Sie mich dazu ganz offen bekennen: Er wird bei allem Verdruß, daß nicht noch mehr erreicht werden konnte, auch nicht dadurch geschmälert, daß Ausnahmen zugelassen werden mußten. Wer den Weg Europas durch die Jahrhunderte kennt, die besondere Situation der einzelnen Völker, wer sich erinnert, daß wir in diesem Jahr den 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs begangen haben, der wird verstehen, ja der muß verstehen, daß über viele Jahrzehnte, sogar über Jahrhunderte gewachsene Strukturen nicht über Nacht beseitigt werden können und daß nicht in allen Fällen die Mehrheitsentscheidung durchsetzbar war oder auch von uns — das muß ich fairerweise gleich hinzufügen — gewollt war. Das gilt beispielsweise für das völlig unterschiedliche Steuer- und Sozialsystem in den einzelnen Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Für uns selbst war es wichtig durchzusetzen — um ein wichtiges Beispiel zu nennen —, daß die Grundsätze der Berufsordnung — denken Sie an die Handwerksordnung — auch weiterhin unserem Votum mit unterliegen müssen.
Wir sind mit Nachdruck für eine Bestimmung eingetreten, die die Kommission verpflichtet, bei ihren Harmonisierungsinitiativen im Bereich von Umwelt, Gesundheit, Sicherheit, Arbeits- und Verbraucherschutz hohe Standards zugrunde zu legen. Aber ich füge gleichzeitig hinzu — auch im Blick auf die Diskussion in den deutschen Parteien, nicht zuletzt in meiner eigenen Partei —: Wer erwartet, daß in Europa nur die deutschen Standards zum Maß aller Dinge werden, der wird Europa nicht schaffen. Wir müssen alle kompromißbereit sein, um auf diesem Weg weiterzukommen.
Wir werden jetzt darauf drängen, daß die Umsetzung der im Weißbuch der Kommission enthaltenen Vorschläge — es sind nahezu 300 an der Zahl — vorankommt. Vor allem die bereits im EWG-Vertrag von 1957 verankerten vier Grundfreiheiten — der freie Personen- und Warenverkehr, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr — müssen gewährleistet werden. Das wird von allen Flexibilität verlangen, aber gleichzeitig die Gemeinschaft um eine ganz entscheidende Dimension bereichern.
Ich weiß, auch hierzulande gibt es Stimmen, die ängstlich vor zuviel Dynamik warnen. Wir sollten statt dessen mehr Vertrauen in die Anpassungsfähigkeit, in die Dynamik nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Wirtschaft überhaupt haben. Sorgen, so meine ich, brauchen sich höchstens jene zu machen, die sich nur deshalb hinter eingefahrenen Regelungen verschanzen, weil sie den frischen Wind des Wettbewerbs scheuen.
Allen, nicht zuletzt unserer eigenen Wirtschaft, hat der Gemeinsame Markt — das möchte ich doch sagen — überwiegend Vorteile gebracht. Fast 50% der deutschen Industrieausfuhren gehen in die Länder der Europäischen Gemeinschaft. Dieser Prozentsatz wird sich in wenigen Wochen mit dem
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Beitritt von Spanien und Portugal — nach allem, was man berechnen kann — auf 60 erhöhen.
Wir haben in Luxemburg eine — nicht zuletzt für uns — sehr schwierige Diskussion über die sogenannte Kohäsion geführt. Hinter diesem neuen Schlagwort verbirgt sich mancherlei, was für uns voller Probleme ist. Mit ihm soll die Verpflichtung auf die Solidarität innerhalb der Gemeinschaft unterstrichen werden. Ich sage klar und deutlich, daß die Bundesregierung selbstverständlich zu diesem Prinzip der Solidarität steht. Wir haben durch unseren materiellen und finanziellen Beitrag zur Gemeinschaft als Bundesrepublik Deutschland immer wieder bewiesen, daß wir das Ziel einer harmonischen Wirtschaftsentwicklung in der gesamten Gemeinschaft nachhaltig unterstützen. Ich denke, dies ist eine Feststellung, die von allen Seiten des Hauses geteilt wird. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Bereitstellung von rund 9 Milliarden DM für die sogenannten Integrierten Mittelmeerprogramme.
Im Laufe der Regierungskonferenz, d. h. in den letzten Monaten, entstand jedoch gelegentlich der Eindruck, daß sich hinter dem Begriff der Kohäsion nur die Forderungen nach einem verstärkten Finanzausgleich verbargen. Die wirtschaftspolitischen Prioritäten würden jedoch auf den Kopf gestellt werden, wenn die Gemeinschaft nicht mehr in erster Linie auf die Wachstumskräfte der nationalen Volkswirtschaften, sondern auf einen immer größer werdenden Ressourcentransfer setzen würde.
Wir sind solchen Vorstellungen energisch entgegengetreten.
Aus der Sicht der Bundesregierung kommt es weiterhin vorrangig auf die Konvergenz der Wirtschaftspolitiken und die Schaffung eines Binnenmarktes an, der dann auch zu einer allseitigen Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen kann. In dieser Auffassung sind wir von der Mehrheit der Mitgliedstaaten unterstützt worden.
Der jetzt in Luxemburg verabschiedete Text stellt einen politischen Kompromiß dar, der die Ausgewogenheit der Politiken der Gemeinschaft wahrt, aber auch den Interessen der weniger begünstigten Länder und Gebiete Rechnung trägt.
Wir begrüßen es auch, daß es der Regierungskonferenz gelungen ist, der Forschungs- und Technologiepolitik der Gemeinschaft und der Umweltpolitik eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage zu geben. Eine zukunftsorientierte Forschungs- und Technologiepolitik ist unabdingbar zur Sicherung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Die Formulierung eines besonderen Vertragskapitels wird dieser Bedeutung gerecht. Die Gemeinschaft hat nunmehr auf diesem Feld eine klare Zielsetzung und die notwendigen Instrumente, um für die Aufgaben der Zukunft gewappnet zu sein.
Besondere Bedeutung kommt aus der Sicht der Bundesregierung dem in Luxemburg verabschiedeten Umweltkapitel zu. Wir haben von Anfang an ein solches Kapitel befürwortet und sind dafür eingetreten, um die Umweltpolitik als Gemeinschaftsaufgabe zu unterstreichen und eine gesicherte Rechtsgrundlage für gemeinsame Aktionen zu schaffen. Die Tatsache, daß die Verhandlungen zu diesen Vertragsergänzungen unproblematisch verliefen, belegt, wie sehr sich auch im Bereich der Europäischen Gemeinschaft erfreulicherweise das Umweltbewußtsein verändert — ich möchte sagen: verbessert — hat.
Wer die Erfahrungen bei der Einführung eines umweltfreundlichen Autos mit all den Normen, all dem Streit und den Auseinandersetzungen, die ja nicht lange zurückliegen, noch in Erinnerung hat, konnte nur aufs höchste erfreut sein, daß das, was jetzt überlegt, diskutiert und sicher auch ermöglicht wird, von einer breiten Basis in der EG getragen wird.
Dagegen ist über eine andere Frage, meine Damen und Herren, die Aufnahme einer währungspolitischen Dimension, in die Vertragsänderung, vor und auf dem Gipfel hart gerungen worden. Nach dem Gipfel wird es weitergehen. Der Kommissionspräsident, Jacques Delors, hat kurz vor Ende der Regierungskonferenz einen Vorschlag eingebracht, den wir nicht akzeptieren konnten. Ich habe ihm das in mehreren Gesprächen deutlich gemacht.
In Luxemburg haben sich die Staats- und Regierungschefs schließlich auf eine Regelung geeinigt, die wir vorgeschlagen haben und die den Vertragsänderungen in diesem hochsensiblen Bereich eine zukunftsweisende Perspektive gibt. Das Ziel der schrittweisen Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion wird unter dem Hinweis auf die Pariser Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 in die Präambel des Textes zur Änderung des Rom-Vertrages aufgenommen. Dies weist über die Beschlüsse zur Errichtung des Europäischen Währungssystems im Anschluß an die Schlußfolgerungen des Bremer Gipfels vom Juli 1978 hinaus, auf die ebenfalls ausdrücklich Bezug genommen wird.
Das Europäische Währungssystem, das das Zusammenwirken in der Gemeinschaft fördert, kann nicht Eck- oder Endpunkt einer Vertragsänderung sein, die die Perspektiven bis in das nächste Jahrhundert aufzeigt. Das Europäische Währungssystem ist als eine Zwischenstation auf dem Wege der europäischen Integration, nicht jedoch als das letztlich angestrebte Ziel anzusehen. Das EWS umschreibt vielmehr den Zustand voneinander getrennter Währungsgebiete mit Mechanismen für den Ausgleich der Wechselkurse, der Interventionen und der Zahlungsbilanzen. Bis auf weiteres — das will ich unterstreichen — ist die Flexibilität der monetären Zusammenarbeit leichter im bisherigen Rahmen und unter Beachtung der gesetzlichen Zuständigkeiten in den einzelnen Ländern — das gilt insbesondere auch für die Stellung der Deutschen Bundesbank in der Bundesrepublik Deutschland — zu verwirklichen. Die Mitgliedstaaten müssen die hierin liegenden Möglichkeiten der Zusammenarbeit ebenso ausschöpfen wie die Regeln des Ver-
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trags, die eine um vieles weitergehende Liberalisierung des Kapitalverkehrs vorsehen, als sie schon bisher in den Mitgliedstaaten erreicht wurde.
Meine Damen und Herren, ich habe in Luxemburg darauf hingewiesen, daß viele, die sich mit diesen monetären Fragen und auch mit Forderungen an die Bundesrepublik Deutschland wenden, zunächst einmal überlegen sollten, ob sie ihren Beitrag dazu geleistet haben, jene Beschlüsse umzusetzen, die zum Teil vor Jahrzehnten gefaßt und in einzelnen Ländern bis heute nicht realisiert wurden. Ich denke hier vor allem an die Frage der Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Hier war der endgültige Erfüllungszeitpunkt das Jahr 1971, und manche tun so, als seien solche Beschlüsse nie gefaßt worden. Wir wissen auch, daß sich im Zusammenhang mit dem EWS manche Länder in der Gemeinschaft bisher überhaupt nicht zur Teilnahme bereit finden konnten. Das alles gehört in den Kontext einer zukünftigen Entwicklung.
Um die Ausgewogenheit der Vertragsergänzungen und den Zusammenhang zwischen Fortschritten in der Wirtschaftspolitik einerseits und der Währungspolitik andererseits sicherzustellen, werden die Vorschriften über die Wirtschaftspolitik ergänzt. Sie verpflichten die Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit mit dem Ziel, die erforderliche Konvergenz der Wirtschafts- und Währungspolitik gemäß Art. 104 zu sichern, d. h. unter Wahrung eines hohen Beschäftigungsstandes und eines stabilen Preisniveaus das Gleichgewicht der Zahlungsbilanzen zu gewährleisten und das Vertrauen in die Währung aufrechtzuerhalten. Das ist ein Ziel, das bisher keineswegs überall in Europa auch nur annähernd erreicht werden konnte.
Es sind derzeit, meine Damen und Herren, keine institutionellen Änderungen beabsichtigt. Wenn sie erforderlich werden, ist notwendigerweise das parlamentarische Verfahren der Gesetzgebung zur Änderung der Verträge vorgesehen, d. h., daß die nationalen Parlamente eingeschaltet werden.
Ich fasse zusammen: Die Perspektive einer Wirtschafts- und Währungsunion hat in den Vertrag Eingang gefunden. Diese Vertragsänderung ist ein weiterer, ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Union. Die praktische Zusammenarbeit im Europäischen Währungssystem kann unter flexibler Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten weitergeführt werden.
Meine Damen und Herren, ein weiteres, aufs heftigste umstrittenes Thema dieses Gipfels war die Erweiterung der Befugnisse des Parlaments. Wir haben als Bundesregierung und als Bundesrepublik Deutschland immer wieder darauf hingewiesen, daß das demokratische Selbstverständnis der Gemeinschaft ein größeres Mitspracherecht des Europäischen Parlaments erfordert. Die Bürger in den Staaten des EG-Europa wählen in freier, geheimer und direkter Wahl ihre Abgeordneten für das Straßburger Parlament. Daß die Bürger in dieses Parlament auf die Dauer Vertrauen setzen und investieren, können wir nur dann erwarten, wenn dieses Parlament auch bei der Gestaltung der gemeinschaftlichen Politiken effektiver mitwirken und mitentscheiden kann.
Ich muß gestehen: Der Lernprozeß in allen demokratischen Gruppierungen Europas verläuft da zum Teil sehr unterschiedlich. Am wenigsten Schwierigkeiten haben wir damit vielleicht in Deutschland; ich glaube, wir sind auf Grund der geschichtlichen Gegebenheiten viel weiter als andere.
Es ist nicht einfach — und die Erfolge sind recht bescheiden —, für eine Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlaments zu werben. Wir haben auf der Regierungskonferenz einen Vorschlag eingebracht, der einen realistischen Ansatz für eine stufenweise Beteiligung des Parlaments am Legislativverfahren enthielt. Ich habe die Kollegen in vielen Besprechungen, auch in Besprechungen mit einzelnen, immer wieder auf unsere geschichtliche Erfahrung hingewiesen, auf die Erfahrung bei der Begründung des Deutschen Reiches, auf die Stellung der Länder zur Zentralgewalt, die Erfahrung der Weimarer Republik bei der Verfassungsgebung, insbesondere auf die Erfahrung, die wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Verfassung, mit dem Verhältnis Bundesrat — Bundestag wie der sehr wichtigen und, wie sich vor der Geschichte erwiesen hat, sehr klugen Einrichtung des Vermittlungsausschusses gemacht haben.
Wer die Diskussionen auf dem EG-Gipfel und im Rahmen der EG beurteilen will, muß natürlich davon ausgehen, daß andere Länder völlig andere geschichtliche Entwicklungen genommen haben, daß vor allem die klassischen europäischen Zentralstaaten, die außer dem zentralen Parlament nie andere Parlamente dezentraler, lokaler Art — über die kommunale Ebene hinaus — gekannt haben, sich ungeheuer schwertun, diesen Gedanken einer modernen föderalen Ordnung mit ihrer Dezentralisierung der legislativen Gewalt zu akzeptieren. Hier ist sicherlich auch für die Zukunft noch ein großer Lernprozeß notwendig.
Unser Vorschlag — das möchte ich an dieser Stelle betonen — ging weit über den Text hinaus, den jetzt in Luxemburg zu verabschieden möglich war. Ich sage dies auch an die Adresse mancher Kollegen — ich sage bewußt: auch mancher Freunde — im Europäischen Parlament, die jetzt aus ihrer Sicht — und ich kann das gut verstehen — sehr zu Recht sagen: Warum seid ihr nicht weitergekommen, nicht weitergegangen?
Einzelaspekte des vorgesehenen Verfahrens werden in den nächsten Tagen noch einmal von den Außenministern formuliert. Das Europäische Parlament wird in wesentlichen Binnenmarktfragen, bei denen der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheidet, Mitgesetzgeber sein. Die Mitwirkung des Parlaments wird daher — über die Haushaltsbefugnisse hinaus — auf die materielle Gesetzgebung ausgeweitet. Dabei ist festzuhalten, daß trotz der erweiterten Einflußnahme des Parlaments auf den Entscheidungsprozeß das letzte Wort jetzt beim Rat bleibt.
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Ich bekenne mich klar und eindeutig zu dieser Entscheidung. Wer wirklich die Dinge in Europa vorantreiben will, wer die Lage der einzelnen Länder realistisch betrachtet, der muß wissen, daß dies trotz allem eine kluge Entscheidung ist. Man kann mehr fordern, und das haben ja auch viele getan, nicht zuletzt das Parlament selbst. Wenn man aber den Gang der Diskussion kennt und bedenkt, kann man das Erreichte nicht unterschätzen. Ich füge allerdings ebenso klar hinzu — lassen Sie mich das einmal so formulieren, nicht nur als Regierungschef, sondern auch in meiner Funktion als Parteivorsitzender —: Wir können und wir werden bei diesem Stand nicht stehenbleiben wollen. Wir haben jetzt einen Schritt getan, und wir müssen in absehbarer Zeit weitere Schritte tun.
Ich habe daher den italienischen Vorschlag, schon jetzt ein Signal für künftige Verbesserungen zu setzen, mit unterstützt. Aber wir haben in Luxemburg keine Chancen für eine Mehrheit gehabt. Wir haben dann gemeinsam eine Revisionsklausel vorgeschlagen, die vorsah, daß wir — noch vor 1992 — die Möglichkeit weitergehender Zuständigkeiten prüfen sollten. Aber auch dieser Vorschlag, meine Damen und Herren, war dann nicht mehrheitsfähig.
Es wird immer wieder über die langsamen Entscheidungsprozesse in Brüssel geklagt. Wir haben uns deshalb darauf verständigt, die Durchführungsund Verwaltungsbefugnisse der Kommission zu erweitern. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen, daß der neue Kommissionspräsident es in seiner bisherigen Amtszeit verstanden hat, die Rolle der Kommission in einer dynamischen Weise zur Geltung zu bringen — bei allen Diskussionen; es gab dabei auch mancherlei Ärger.
Nach außen stellt sich die Gemeinschaft heute im wesentlichen als Handelsmacht dar. Die eigentliche Außenpolitik fällt nicht in ihre Zuständigkeit, sondern ist eine Domäne der Mitgliedsstaaten, die sich in der EPZ um Abstimmung und Koordinierung ihrer Interessen bemühen.
Für die Bundesregierung war es von Anfang an ein wichtiges Ziel, die EPZ auf eine vertragliche Grundlage zu stellen. Wir haben daher in Mailand gemeinsam mit Frankreich einen Entwurf für einen Vertrag über politische Zusammenarbeit eingebracht. Die Regierungskonferenz hat über diese Initiative — zusammen mit einem gleichzeitig vorgelegten britischen Entwurf — intensiv beraten.
Der jetzt in Luxemburg vereinbarte Vertragstext enthält wesentliche Elemente aus diesen Entwürfen:
Das Bemühen um die Ausarbeitung und Verwirklichung einer europäischen Außenpolitik wird zu einer vertraglichen Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten.
Für uns besonders wichtig ist die Feststellung, daß zu der außenpolitischen Identität Europas auch eine engere Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit beiträgt. Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich daher zu einer stärkeren Koordinierung ihrer Standpunkte zu den politischen Aspekten der Sicherheit.
Der Vertrag sieht ausdrücklich eine enge Beteiligung des Europäischen Parlaments und der Kommission vor.
Schließlich ist in Aussicht genommen, der Präsidentschaft ein Sekretariat zur Seite zu stellen, um auf diese Weise ein hohes Maß an Kontinuität sicherzustellen.
Meine Damen und Herren, Ziel bleiben eine umfassende außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit und ihr Ausbau letztendlich zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen einer Europäischen Union.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europäische Politik in dieser Zeit wird stets eine Politik der kleinen Schritte sein. Das hat überhaupt nichts mit Resignation zu tun, sondern entspricht der Einsicht, daß sich über Jahrhunderte gewachsene politische und soziale Strukturen, die in bitteren kriegerischen Auseinandersetzungen auch gegeneinander standen, nicht in einem kurzen Anlauf verändern lassen. 30 Jahre sind vor der Geschichte eben doch nur ein kurzer Anlauf.
Wir haben in Europa vieles auf den Weg gebracht, und ich denke, es ist wichtig, in dieser Stunde zu sagen: Es gab dabei viel Gemeinsamkeit unter den Demokraten, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Es bleibt noch viel zu tun. Helfen wird uns dabei, so denke ich, daß die große Mehrheit unserer Bürger — vor allem auch der jungen Generation; ich habe dies gerade letzte Woche in einer Diskussion nach einem Vortrag in Cambridge erfahren — Europa will, ja viele ungeduldig sind und noch entschiedener vorangehen wollen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in diesem Jahr — 40 Jahre nach Kriegsende — an das Jahr 1945 zurückerinnert, an das Jahr, das uns die Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft brachte, an das Jahr des Zusammenbruchs des Dritten Reiches, an das Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg, der weit über 50 Millionen Menschen das Leben kostete, der den alten Kontinent verwüstet hat und dessen politischen Strukturen grundlegend veränderte, sein Ende fand.
Wenn wir, die freien Völker Europas, an diese Ausgangssituation zurückdenken, dann können wir in aller Demut vor der Geschichte deutlich machen, daß wir Grund haben, für einen Weg dankbar zu sein, den unsere Völker in 40 Jahren in Frieden und Freiheit, in enger Freundschaft, in guter Zusammenarbeit zurücklegen konnten.
Die großartige Idee eines geeinten Europas, was wir jetzt bereits erreicht haben und was wir noch erreichen wollen, das alles ist in seiner ganzen Dimension, in seiner historischen Perspektive nur vor dem Hintergrund jener Ereignisse zu erfassen, die gerade erst 40 Jahre zurückliegen.
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Wir dürfen uns deshalb — bei aller Ungeduld und
auch bei allen Rückschlägen — nicht beirren lassen. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Wir dürfen auch zukünftig nicht vor den zahlreichen Schwierigkeiten zurückschrecken. Es gibt trotz allem keinerlei Anlaß zum Pessimismus in Europa. Eurosklerose ist ein dümmliches Schlagwort; es ist nicht hilfreich, es bringt uns nicht weiter.
Meine Damen und Herren, Europa, diese Vision, die viele von uns — auch mich als Schüler — unmittelbar nach dem Kriege erfaßt hat, die damals — um nur ganz wenige zu nennen — von Konrad Adenauer und Paul-Henri Spaak, von Winston Churchill oder Alcide de Gasperi den Jungen vorgestellt wurde, ist für die damalige wie für die heutige junge Generation eine faszinierende Perspektive, die jede Mühe lohnt, die unsere Phantasie bewegen muß, um die wir uns leidenschaftlich bemühen müssen.
Ich denke, zwischen uns Demokraten sollte nicht das Ziel, sondern, wenn überhaupt, nur der Weg oder die Mittel streitig sein. Unsere gemeinsame Aufgabe bleibt es, diese Vision eines geeinten, eines freien, eines demokratischen Europa im Bewußtsein vor allem der jungen Generation zu verankern. Sie muß dabei wissen, daß es ihre Zukunft ist, um die wir uns jetzt bemühen, ihre Zukunft in Frieden und Freiheit und nur so auch eine Zukunft von sozialer Gerechtigkeit und Wohlstand.
Das, meine Damen und Herren — auch dieses Wort gehört in den Deutschen Bundestag —, ist natürlich eine Vision, die über Westeuropa hinausgreift; denn wir vergessen zu keiner Stunde, daß EG-Europa eben nur ein Torso ist, daß Dresden und Leipzig, Warschau und Prag, Budapest und Bukarest — um nur wenige wichtige Plätze Europas zu nennen — genauso zu diesem alten großen Europa gehören
und daß das Ziel der Einigung Europas immer auch die Uberwindung der Spaltung des europäischen Kontinents einschließt. Meine Damen und Herren, dafür lohnt es sich zu streiten, dafür lohnt es sich auch zu arbeiten. Jeder kleine Schritt voran — und mehr ist nach allen Erfahrungen nicht möglich — ist ein Schritt in eine bessere Zukunft.