Rede von
Ludwig
Stiegler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich muß Ihrer Philosophie natürlich zustimmen, aber entscheidend ist, daß man gern ein volles Glas hätte. Der Durst wird sonst nicht gelöscht. Im übrigen gilt der Spruch: Man kann sich drehen, kann sich wenden, der Bauch bleibt immer vorn, das andere hinten.
Meine Damen und Herren, ich möchte drei Problemfelder, die uns Bauchschmerzen bereiten, herausarbeiten.
Das erste Problemfeld ist die unterschiedliche Behandlung der Personengesellschaften und der Kapitalgesellschaften. Es wird viele überraschen, aber nach dem neuen Recht muß der Jahresabschluß einer Kapitalgesellschaft unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft vermitteln. Es kommt also darauf an, daß ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild gezeichnet wird. Der Jahresabschluß eines Kaufmannes — ob er Gesellschafter einer Personengesellschaft oder Einzelkaufmann ist — muß lediglich nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung aufgestellt werden.
Die Koalition hat diese Unterscheidung bewußt eingeführt. Wir haben einen Änderungsantrag dazu eingebracht, in dem wir die Auffassung vertreten, daß eine Buchführung, die kein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt, nicht ordentlich sein kann. Denn eine Buchführung ist ja nicht zur Verschleierung da, sondern sie dient der Klarstellung für den Kaufmann selbst, für die Arbeitnehmer, für die Mitgesellschafter und für die Gläubiger. Ich meine, es wäre besser gewesen, wenn wir alle auf den „true and fair view", worauf die Kapitalgesellschaften verpflichtet sind, festgelegt hätten. Ich sage Ihnen: Es wird noch eine Menge wissenschaftlich und auch wirtschaftlich motivierten Streit geben, weil es auch hier wieder Ungleichbehandlungen gibt. In der Personengesellschaft kann man verstecken und verschleiern, mit Stillen Reserven arbeiten und viele Dinge wegdrükken, während man das in der Kapitalgesellschaft nicht kann. Aber man muß bedenken, daß es riesige Personengesellschaften und sehr kleine Kapitalgesellschaften gibt. Diese Unterscheidung ist nicht in Ordnung.
Zum zweiten bereitet uns die Erleichterung der Aufstellung der Bilanz für kleine Kapitalgesellschaften Probleme. Ich rede nicht von der Offenlegung, sondern von der Aufstellung der Bilanz. Hier gehen wir weit hinter das Aktiengesetz, auch hinter das Genossenschaftsrecht und andere Rechtsvorschriften zurück. Es besteht kein Anlaß, schon bei der Aufstellung der Bilanz — ich rede nicht von der Veröffentlichung — Verschlechterungen vorzusehen. Das belastet gerade die Aktionäre einer Aktiengesellschaft, bei der ja — anders als bei der GmbH — die Gesellschafter keinen unmittelbaren Zugang zur Geschäftsführung haben oder sich sogar zu Geschäftsführern ernennen können. Wir haben zwar eine gewisse Verbesserung für die börsennotierten Aktiengesellschaften eingebaut, ich erinnere jedoch an die Beschwerden, die die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz aus guten Gründen eingelegt hat. Es wäre besser gewesen, bei der Aufstellung der Bilanz nicht so großzügig zu sein.
Das dritte Problem — ich glaube, ich habe es vorhin schon angesprochen — sieht folgendermaßen aus: Große Personengesellschaften unterliegen nur den Anforderungen der ordnungsgemäßen Buchführung, während kleine Kapitalgesellschaften mit bis zu 50 Arbeitnehmern — so weit gehen die Kleinen — den strengen Anforderungen der Offenlegung der tatsächlichen Verhältnisse, der tatsächlichen Lage genügen müssen. Hier wäre eine Nachbesserung im Sinne unserer Anträge notwendig. Ich bitte Sie, sich unsere Anträge daraufhin noch einmal anzusehen.
Verehrte Damen und Herren, gleichwohl ist festzuhalten: Dieses neue Recht bringt entscheidende Verbesserungen.
Die Publizität für rund 330 000 Gesellschaften mit beschränkter Haftung wird ab 1. Januar 1987 verbessert. Sie müssen ihren Jahresabschluß nach weitgehend einheitlichen Bewertungs- und Gliederungsvorschriften aufstellen, und sie müssen damit ein tatsächliches Bild ihrer Lage zeichnen.
Wir haben eine Aufstufung der Rechte, wir haben Erleichterungen für die kleinen Gesellschaften beschlossen. Und wir haben erreicht — und das rechne ich der Koalition hoch an, beide Kollegen von der Koalition haben da mitgewirkt —, daß die größenabhängigen Erleichterungen für die Unternehmen die Informations- und Auskunftsrechte der Arbeitnehmer z. B. nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht berühren. Das haben wir in der letzten Beratung in den Entwurf hineingebracht. Das ist auch ein Ausdruck des Klimas. Ich stehe nicht an, hier anzuerkennen, daß die Koalition hier auf die Opposition zugegangen ist, und möchte mich dafür auch bedanken.
Erleichterungen bei der Offenlegung dürfen also
die Rechte der Arbeitnehmer auf Erläuterung des
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13739
Stiegler
Jahresabschlusses nicht beeinträchtigen. Die Teile des Jahresabschlusses, z. B. die Gewinn- und Verlustrechnung, die nicht offengelegt werden müssen, müssen den Arbeitnehmervertretungen gleichwohl vorgelegt werden.
Wir haben eine weitere wichtige Entscheidung durchgesetzt — und das geschah auf Betreiben zweier ganz ungleicher Brüder, des Kollegen Kleinert, für seinen Bereich, und mir, vom DGB herkommend —, daß es keinen befreienden Konzernabschluß mehr gibt. Die großen Konzerne dürfen ihre schönen Töchter nicht mehr verstecken, während sie die Mittelständler auf dem Markte vorführen müssen. Das ist eine ganz wichtige Entscheidung.
Ich habe mich sehr amüsiert, als ich das „Handelsblatt" am 1. Dezember las. Einerseits haben sie dort dem Grafen Lambsdorff Beifall geklatscht für seine Mittelstandsfreundlichkeit, den Späth als einen vorgeführt, der einen Wolf im Schafspelz vorbeiführt, und auf der Seite 18 haben sie diese Wölfe im Schafspelz, die diese ausgegliederten Konzernabteilungen in Wirklichkeit sind, auch noch kräftig verteidigt. Das zeigt, daß selbst so ein Blatt, das sich so seriös gibt, von Widersprüchen nicht frei ist. Das sollte man denen auch einmal unter die Nase halten. Und wenn sie meinen, so mit dem Parlament umgehen zu können, daß sie sagen können: Die Wirtschaft hofft auf den Bundesrat, kann man nur feststellen: Ihr hofft vergebens. Man kann nicht mit dem Parlament so umgehen, als ob es „bei Fuß" gehen müßte und die Spitzenverbände nur antreten und sagen müßten: Kehrt um, und dann gäbe es schon eine Wende. So wendig sind nicht einmal die Wendeline, meine Damen und Herren. Ich hoffe, daß wir hier wacker und tapfer dabeibleiben und uns nicht unterkriegen lassen.
— ist ja prima —, und das mit voller Kraft.
Meine Damen und Herren, wir haben die Prüfungspflicht für die mittelgroße und große GmbH. Wir wollen gerade im Hinblick auf den Gläubigerschutz diese Prüfungspflicht haben. Sie begründet bei etwa 15 000 bis 20 000 GmbH die Gewißheit, daß der Jahresabschluß entsprechend geprüft ist und den Grundsätzen, die wir aufgestellt haben, entspricht.
Wir wollen eine Verbesserung der Bilanzwahrheit erreichen. Hier ist ein wichtiger Durchbruch gelungen. Die Bilanzwahrheit wird für alle Kaufleute durch Einführung einer Rückstellungspflicht für laufende Pensionen und Anwartschaften bei Neuzusagen ab 1. Januar 1987 eingeführt. Man darf dann nicht mehr wie bei AEG Pensionszusagen machen, sie nicht finanzieren und dann die mittelständischen Unternehmen sie per Umlage bezahlen lassen. Das ist ein für allemal zu Ende.
Ich bitte Sie, sich unsere Anträge einmal anzuschauen. Wir haben noch eine Verbesserung vorgeschlagen und meinen, nachdem es nur für Neuzusagen gilt, daß auch bei Altzusagen, wenn nicht Rückstellungen gebildet werden, wenigstens im Anhang bei der Darstellung der Haftungsverhältnisse darauf hingewiesen werden sollte, daß hier noch ein faules Ei im Nest liegt; denn es verfälscht die Aussagekraft einer Bilanz, wenn nicht wenigstens ganz schüchtern hinten noch hineingeschrieben wird: Liebe Leute, da haben wir noch einige Millionen an Pensionszusagen sozusagen im Nest, und die müssen erfüllt werden. — Bitte schauen Sie sich unseren Antrag dazu noch an.
Meine Damen und Herren, die Übersichtlichkeit und Klarheit der Bilanz wird durch die Bilanzvorschriften selbst verbessert. Es gibt eine bessere Aufgliederung. Die Gewinn- und Verlustrechnung muß deutlicher gemacht werden, in diesem Fall müssen die außerordentlichen Erträge von den ordentlichen Erträgen getrennt werden. Viele verschleudern Grundstücke und legen dann schöne Bilanzen vor. Die Leute sagen dann: Ach, was haben wir für einen tollen Vorstand! — In Wirklichkeit haben die nur die Substanz verjubelt, um sich zu schminken und den Jahresabschluß hinzudressen.
Dieses wollen wir und werden wir in Zukunft nicht mehr haben.
Wir haben gewisse Bedenken gegen das Umsatz-kostenverfahren, weil es sehr viel verschleiern kann und die Vergleichbarkeit erschwert. Wir haben dazu einen Antrag gestellt. Wir bitten Sie, daß Sie sich diesen Antrag ansehen und uns dabei helfen, die Richtlinie und das Gesetz noch zu verbessern.
Schließlich: Wir haben eine Verbesserung bei der Ergebnisermittlung. Alle GmbH werden in Zukunft keine stillen Reserven mehr bilden können, wie die Aktiengesellschaften jetzt schon. Wir sagen aber: Dies sollte nicht nur für die Kapitalgesellschaften gelten, sondern auch für die Personalgesellschaften.
Beim Konzernabschluß werden wir ab 1. Januar 1990 eine verbesserte Konzernrechnungslegung, einen verbesserten Lagebericht, Weltabschlüsse, eine Vollkonsolidierung und einheitliche Wertansätze haben. Hier haben wir zwar noch einige Verbesserungen mit einem Antrag eingebracht, aber die Konzernrechnungslegung wird entscheidend verbessert werden.
Meine Damen und Herren, so weit, so gut. Das Gesetz bringt Fortschritte. Aber eine Hauptlücke, so groß wie ein Scheunentor, macht uns die Zustimmung unmöglich. Wir hätten gerne zugestimmt, weil es wirklich ein Fortschritt ist. Aber die praktischen Fortschritte werden durch die Befreiung der GmbH & Co. KG weitgehend wieder entwertet. Es gibt keine sachliche Begründung für die Befreiung der GmbH & Co.
13740 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Stiegler
Das ist wider den Geist der Vierten Richtlinie, durch die alle Rechtsformen erfaßt werden sollen, die Gesellschaftern, Gläubigern und Dritten eine Sicherheit nur durch ihr Gesellschaftsvermögen bilden. Die Abschlußpublizität ist der notwendige Ausgleich für die Haftungsbeschränkung. Das sind die zwei Seiten einer Medaille. Das gilt für die GmbH & Co. KG in vollem Umfang.
Wir meinen, daß man dem Geist der Vierten Richtlinie widerspricht, wenn man das nicht macht. Die Regierung hat noch in der 9. Wahlperiode deutlich geschrieben:
Würde aber die Kapitalgesellschaft & Co. nicht in den Entwurf einbezogen werden, so könnten mit Hilfe dieser Rechtsform die Regelungen der Vierten Richtlinie leicht umgangen werden. Die GmbH, auf die die Vierte Richtlinie zwingend angewendet werden muß, ist mit der Rechtsform der Kapitalgesellschaft & Co. wirtschaftlich austauschbar. Der Verzicht auf die Einbeziehung dieser Gesellschaften könnte
— ich sage: und wird —
die Bundesrepublik Deutschland dem Vorwurf aussetzen, die Vierte Richtline nicht ihrem Zweck entsprechend in deutsches Recht umzusetzen und deutschen Unternehmen ein breites Tor zu öffnen, sich den zwingenden Regelungen der Vierten Richtlinie zu entziehen.
In der Praxis haben wir das heute schon; siehe die Umgründungshandbücher und die Seminare, die etwa die „NJW" anbietet. Die Privilegierung der GmbH & Co. gefährdet Gesellschafter, Arbeitnehmer, Gläubiger und den Staat.
Wir wissen alle, wie konkursanfällig die GmbH & Co. KG ist. Wir werfen vor, daß diese Privilegierung der GmbH & Co. KG dem Gleichbehandlungsgrundsatz widerspricht.
Stellen Sie sich vor: Große GmbH & Co. KG — das sind fast die Hälfte — werden in Zukunft wie Tante-Emma-Läden behandelt, mit stillen Reserven, die sie still auflösen. Viele „Steuersparer" schauen dann in die Röhre, wie wir sehr häufig erlebt haben.
Während die kleine GmbH, Herr Kollege Stark, in Zukunft keine stillen Reserven mehr bilden darf, darf die GmbH & Co. KG durch Manipulationen bei der Abschreibung dies vollständig tun. Das ist nicht in Ordnung. Wir werden keine Ruhe geben, bis das in das Gesetz aufgenommen ist.
Wir lassen uns auch nicht damit trösten, daß die GmbH & Co. KG im Rahmen des Konzernabschlusses erfaßt werden kann, wenn einer Komplementär-GmbH z. B. das Recht zusteht, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans zu bestellen und abzuberufen.
Meine Damen und Herren, diese Lücke bezüglich der GmbH & Co. KG ist so groß wie ein Scheunentor. Sie entwertet das Bilanzrichtlinie-Gesetz gewaltig. Es ist schade, daß dieses bedeutende Reformwerk mit diesem schweren Mangel behaftet ist. Wir haben hier eine schöne Fassade, wunderbar geschmückt: vorne hui und hinten pfui.