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    Plenarprotokoll 10/181 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 181. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Schneider (Idar-Oberstein) 13703 A Verzicht des Abg. Dr. Hackel auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag . . 13703A Eintritt des Abg. Dr. Pfennig in den Deut- schen Bundestag 13703 A Absetzung des Punktes 2 a von der Tagesordnung 13703 B Erweiterung der Tagesordnung . 13703B, 13762 A Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zur Inbetriebnahme des umweltgefährdenden Kohlekraftwerkes Ibbenbüren B Schulte (Menden) GRÜNE 13703 C Gerstein CDU/CSU 13704 B Dr. Hauff SPD 13705 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 13706 C Einert, Minister des Landes NordrheinWestfalen 13707 B Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . 13709 B Becker (Nienberge) SPD 13710B Engelsberger CDU/CSU 13711 B Stahl (Kempen) SPD 13712C Schmidbauer CDU/CSU 13713C Lennartz SPD 13714 C Dr.-Ing. Laermann FDP 13715D Strube CDU/CSU 13716 D Dr. Blens CDU/CSU 13717 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Schmude, Bachmaier, Bernrath, Frau Blunck, Catenhusen, Dr. Diederich (Berlin), Egert, Frau Fuchs (Köln), Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Frau Odendahl, Peter (Kassel), Frau Renger, Schäfer (Offenburg), Frau Schmedt (Lengerich), Frau Schmidt (Nürnberg), Schröer (Mülheim), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Wartenberg (Berlin), Frau Weyel, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Förderung von Frauen im öffentlichen Dienst — Drucksache 10/3055 — Frau Odendahl SPD 13718 B Frau Roitzsch (Quickborn) CDU/CSU . 13719C Frau Zeitler GRÜNE 13721 C Dr. Hirsch FDP 13723 A Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 13724 D Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 13726 B Frau Männle CDU/CSU 13728 A Frau Terborg SPD 13729 D Eimer (Fürth) FDP 13731 B Kuhlwein SPD 13731 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 eines Gesetzes zur Durchführung der Vierten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinie-Gesetz) — Drucksache 10/317 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/4268 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts — Drucksache 10/3440 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/4268 — Helmrich CDU/CSU 13733 C Stiegler SPD 13735 D Kleinert (Hannover) FDP 13741 C Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 13744 B Dr. Schroeder (Freiburg) CDU/CSU . . 13745 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 13747 C Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Gesetz zum weiteren Ausbau der Strafaussetzung zur Bewährung —— Drucksache 10/1116 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/4391 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/4473 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 10/2720 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/4391 — Seesing CDU/CSU 13751A, 13754 D Dr. de With SPD 13751 B Mann GRÜNE 13757A Beckmann FDP 13758A Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 13759 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 7. Mai 1985 über das System der eigenen Mittel der Gemeinschaften — Drucksachen 10/3791, 10/4053 — Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses — Drucksache 10/4185 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Sechsten Bericht und Empfehlung der Europa-Kommission zur Frage der Einsetzung einer Regierungskonferenz zur Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union durch den Europäischen Rat in Mailand am 29./30. Juni 1985 — Drucksachen 10/3420, 10/4088 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Regierungskonferenz — Drucksache 10/4068 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu den Arbeiten der Regierungskonferenz über die Europäische Union — Drucksache 10/4189 — in Verbindung mit Beratung des Achten Berichts und Empfehlung der Europa-Kommission zur Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments — Drucksache 10/4087 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultationen des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kom- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 III mission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 543/69 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 1463/70 über die Einführung eines Kontrollgeräts im Straßenverkehr — Drucksachen 10/3315, 10/4383 — in Verbindung mit Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Europäischer Rat am 2. und 3. Dezember 1985 in Luxemburg in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Europäischer Rat am 2./3. Dezember 1985 in Luxemburg — Drucksache 10/4433 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Ergebnis des Europäischen Rates in Luxemburg am 2./3. Dezember 1985 — Drucksache 10/4474 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 13763 B Schmidt (Hamburg) SPD 13768 B Klein (München) CDU/CSU 13778 C Frau Kelly GRÜNE 13780 B Dr. Rumpf FDP 13782 B Genscher, Bundesminister AA 13784 A Auhagen GRÜNE 13786 D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 13787 C Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 13789 D Dr. Schwörer CDU/CSU 13791A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern — Drucksache 10/3972 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/4282 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/4283 — Uldall CDU/CSU 13793 D Dr. Spöri SPD 13795 B Gattermann FDP 13798 B Vogel (München) GRÜNE 13799 C Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . 13801A Dr. Struck SPD 13802 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude — Drucksache 10/4042 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/4372 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/4399 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes — Drucksache 10/4297 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Urbaniak, Wieczorek (Duisburg), Dr. von Bülow, Collet, Dr. Ehrenberg, Jung (Düsseldorf), Junghans, Frau Dr. Martiny-Glotz, Dr. Mitzscherling, Reuschenbach, Rohde (Hannover), Schanz, Frau Skarpelis-Sperk, Sieler, Wolfram (Recklinghausen), Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie — Drucksache 10/4235 — Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF . . 13805A Poß SPD 13806 A von Schmude CDU/CSU 13808 A Vogel (München) GRÜNE 13810A Dr. Solms FDP 13811C Urbaniak SPD 13811 D Vogel (München) GRÜNE (zur GO) . . . 13812 C Urbaniak SPD (zur GO) 13812 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1986 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1986) — Drucksache 10/3997 — IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft — Drucksache 10/4274 — Niegel CDU/CSU 13813 B Jung (Düsseldorf) SPD 13814 D Beckmann FDP 13816A Auhagen GRÜNE 13816 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fleischbeschaugesetzes — Drucksache 10/3279 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 10/4410 — Rusche GRÜNE 13818A Frau Dempwolf CDU/CSU 13818 D Jaunich SPD 13819 C Eimer (Fürth) FDP 13820 B Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär BMJFG 13821 A Beratung der Sammelübersicht 106 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/4037 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 107 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/4038 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 110 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/4077 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 111 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/4078 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 118 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/4395 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 119 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/4396 — in Verbindung mit Beratung der Sammelübersicht 120 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/4397 — Vahlberg SPD 13823 A Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU . . 13823 D Mann GRÜNE 13825A, 13826 D Dr. Rumpf FDP 13825D, 13827 D von der Wiesche SPD 13828 B Jagoda CDU/CSU 13829 B Frau Dann GRÜNE 13830A Frau Dr. Segall FDP 13831 A Kühbacher SPD 13831 D Schlottmann CDU/CSU 13833 B Vizepräsident Frau Renger . . . 13834C, 13827 D Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft — Drucksache 10/4043 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 10/4252 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft — Drucksache 10/4041 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 10/4252 — Herkenrath CDU/CSU 13835 A Frau Blunck SPD 13835 C Bredehorn FDP 13836 C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 V Senfft GRÜNE 13836 D Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär BML 13837 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines neuen Marktabschnitts an den Wertpapierbörsen und zur Durchführung der Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 5. März 1979, vom 17. März 1980 und vom 15. Februar 1982 zur Koordinierung börsenrechtlicher Vorschriften (Börsenzulassungs-Gesetz) — Drucksache 10/4296 — 13838 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. Juni 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen — Drucksache 10/3971 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/4270 — 13838 C Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Rechtsbereinigungsgesetzes — Drucksache 10/3290 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 10/4373 — 13838 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes — Drucksache 10/2621 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 10/4269 — 13839A Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes — Drucksache 10/4220 — Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses — Drucksache 10/4422 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/4480 — 13839 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten AKP-EWG-Abkommen von Lomé vom 8. Dezember 1984 sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen — Drucksache 10/3960 — Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses — Drucksache 10/4449 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/4462 — 13839 D Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerster (Mainz), Doss, Frau Rönsch, Dr. Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Schäfer (Mainz), Mischnick und der Fraktion der FDP, der Abgeordneten Tatge, Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Delorme, Fischer (Osthofen) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 29 Abs. 7) — Drucksache 10/4264 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerster (Mainz), Doss, Frau Rönsch, Dr. Geißler, Dr. Dregger, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Schäfer (Mainz), Mischnick und der Fraktion der FDP, der Abgeordneten Tatge, Frau Hönes und der Fraktion DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Delorme, Fischer (Osthofen) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes — Drucksache 10/4265 — 13840 A Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Veräußerung eines bundeseigenen Grundstücks in Bonn — Drucksachen 10/4028, 10/4186 — . . . 13840 B Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 08 07 Tit. 632 01 — Verwaltungskostenerstattung an Länder —— Drucksachen 10/3962, 10/4187 — . . . 13840 C VI Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über den Abschluß der Abkommen in Form von Briefwechseln zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Barbados, Belize, Fidschi, der Kooperativen Republik Guyana, der Republik Elfenbeinküste, Jamaica, der Republik Kenia, der Volksrepublik Kongo, der Demokratischen Republik Madagaskar, der Republik Malawi, Mauritius, der Republik Surinam, St. Christoph und Nevis, dem Königreich Swasiland, der Vereinigten Republik Tansania, Trinidad und Tobago, der Republik Uganda und der Republik Zimbabwe sowie mit der Republik Indien über die Garantiepreise für Rohrzucker für den Lieferzeitraum 1985/86 — Drucksachen 10/3275 Nr. 8, 10/4192 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates zur Einführung einer zweiten zeitweiligen Maßnahme — in Abweichung von der Verordnung (EWG) Nr. 171/83 — betreffend Beifänge bei der Fischerei auf Stintdorsch in der Nordsee — Drucksachen 10/3788 Nr. 23, 10/4251 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über bestimmte Maßnahmen zur Erleichterung von Fischereitätigkeiten für wissenschaftliche Untersuchungszwecke — Drucksachen 10/3788 Nr. 25, 10/4193 — 13840 D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Ermächtigung der Kommission, im Rahmen des Neuen Gemeinschaftsinstruments Anleihen zur Investitionsförderung in der Gemeinschaft aufzunehmen — Drucksachen 10/3788 Nr. 46, 10/3827, 10/4332 — 13841 B Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 6/85 — Zollkontingent für Spezialwalzdraht — 2. Halbjahr 1985) — Drucksachen 10/3922, 10/4278 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 5/85 — Erhöhung des Zollkontingents 1985 für Bananen) — Drucksachen 10/3970, 10/4279 — . . . 13841 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/4408 — 13841 C Nächste Sitzung 13841 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 13843*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13703 181. Sitzung Bonn, den 5. Dezember 1985 Beginn: 8.00 Uhr
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    Berichtigung 178. Sitzung, Seite 13512 C, Zeile 14: Statt „auf" ist „auch" zu lesen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 6. 12. Antretter* 6. 12. Bastian 6. 12. Berger* 5. 12. Böhm (Melsungen) * 6. 12. Brandt 5. 12. Büchner (Speyer) 6. 12. Dr. Corterier** 6. 12. Frau Eid 6. 12. Dr. Enders* 6. 12. Frau Fischer* 6. 12. Gansel* 6. 12. Haase (Fürth) * 6. 12. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 6. 12. Dr. Holtz* 6. 12. Immer (Altenkirchen) 6. 12. Jäger (Wangen) * 5. 12. Junghans 6. 12. Kittelmann* 6. 12. Dr. Klejdzinski* 6. 12. Klose 6. 12. Lenzer* 6. 12. Frau Dr. Lepsius 6. 12. Frau Luuk 6. 12. Dr. Müller* 5. 12. Nagel 6. 12. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Neumann (Bramsche) * 6. 12. Frau Pack 6. 12. Peter (Kassel) 6. 12. Rappe (Hildesheim) 6. 12. Reddemann* 6. 12. Dr. Rumpf* 6. 12. Dr. Scheer* 6. 12. Schlatter 6. 12. Schmidt (München) * 6. 12. Schmidt (Wattenscheid) 6. 12. Schröder (Hannover) 6. 12. Schulte (Unna) * 6. 12. Dr. Soell 5. 12. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim* 6. 12. Frau Dr. Timm 5. 12. Dr. Todenhöfer 6. 12. Dr. Unland* 6. 12. Verheugen 6. 12. Vogt (Düren) 5. 12. Voigt (Sonthofen) 6. 12. Werner (Dierstorf) 6. 12. Werner (Westerland) 5. 12. Frau Dr. Wex 6. 12. Dr. Wulff* 6. 12. Zierer* 6. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
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    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben am 2. und 3. Dezember in Luxemburg ein Vertragswerk beschlossen, das die politische und institutionelle Weiterentwicklung der Gemeinschaft ein wesentliches Stück voranbringen wird.
    Vorausgegangen sind wieder einmal sehr schwierige, sehr zähflüssige Verhandlungen von fast 30stündiger Dauer in diesen beiden Tagen. Erneut wurde die Erfahrung bestätigt, daß eben nur kleine Schritte in die Zukunft möglich sind. Aber dieser manchmal sehr mühsame Prozeß ist unverzichtbar, wenn wir auf dem Wege zur europäischen Integration vorankommen wollen, und ich füge hinzu, es gibt keine wirkliche Alternative zu dieser Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben in wichtigen Bereichen Fortschritte erzielt, die weit in die Zukunft weisen. Die Vertragstexte, über die wir uns in Luxemburg inhaltlich geeinigt haben, werden von den Außenministern im nächsten Rat am 16. und 17. Dezember endgültig fertiggestellt. Wir werden als Bundesregierung darauf drängen, daß dann bald unterzeichnet wird, und die Verträge unverzüglich den gesetzgebenden Körperschaften Bundestag und Bundesrat zuleiten. Bis zur Unterzeichnung, so hoffen wir, werden auch diejenigen Mitgliedstaaten, die jetzt noch aus sehr unterschiedlichen Gründen Vorbehalte eingelegt haben, ihre endgültige Zustimmung geben können.
    Die Bundesregierung kann für sich in Anspruch nehmen, entscheidend zu diesem Erfolg beigetragen zu haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben in Mailand nicht nur die Weichen für die Regierungskonferenz gestellt, die für die Luxemburger Beratungen beachtliche Vorarbeit geleistet hat, sondern wir haben auch das jetzt vorliegende Paket von Reformmaßnahmen ganz wesentlich mitgestaltet. Das heißt: Die europapolitische Bilanz dieser Bundesregierung ist eindeutig positiv.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Diese Politik ist realistisch, sie ist von der Bereitschaft zum Ausgleich, aber auch von dem Willen getragen, deutsche Interessen — selbstverständlich im Rahmen unserer europäischen Verantwortung
    — wahrzunehmen.
    Wir haben auch auf diesem Felde ein schwieriges Erbe übernommen, das wir bis in die jüngste Zeit in zwei Kernbereichen europäischer Politik zu spüren bekamen: in der Agrarpolitik und im Haushalt der Gemeinschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Hätten diejenigen, die heute nach einer durchgreifenden Reform der Agrarpolitik rufen, bereits früher Maßnahmen eingeleitet, wären uns viele Probleme und den Betroffenen mit Sicherheit manche Härte erspart geblieben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es war diese Bundesregierung, die die drängend-sten Probleme auf dem Europäischen Rat in Stuttgart gebündelt und die Verhandlungen in Gang gesetzt hat, die dann im Juni 1984 in Fontainebleau erfolgreich abgeschlossen werden konnten: Durch die Begrenzung der Agrarpreisgarantie haben wir den Zusammenbruch der Marktordnungen verhindert. Wir haben damit gleichzeitig einen Kostenblock reduziert, der den Haushalt der Gemeinschaft in eine nicht mehr finanzierbare Höhe getrieben hatte.
    Wir haben die Haushaltsungleichgewichte, die nicht nur Großbritannien, sondern auch uns selbst betrafen, korrigiert und damit ein Problem gelöst, das die Gemeinschaft über viele Jahre hinweg gelähmt hat.
    Wir haben auf Regeln für die Haushaltsdisziplin gedrängt, die uns in Zukunft vor einer weiteren Ausuferung der Kosten, vor allem der Agrarkosten, bewahren soll.
    Wir haben schließlich, meine Damen und Herren
    — das möchte ich wenige Tage vor dem 1. Januar, dem Tag des förmlichen Beitritts von Spanien und Portugal noch einmal herausstellen —, die Verhandlungen durch die Koppelung der Erhöhung der Eigenmittel an die Erweiterung zum Erfolg geführt. Ich bin für diese Strategie viel kritisiert worden. Ich möchte heute einmal mehr die Behauptung aufstellen, daß der Beitritt, der von uns allen gewünschte Beitritt von Spanien und Portugal zum
    13764 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
    Bundeskanzler Dr. Kohl
    1. Januar 1986 ohne dieses Junktim nicht möglich gewesen wäre.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    In Stuttgart haben wir die Feierliche Deklaration zur Europäischen Union verabschiedet. Sie ging auf eine sehr verdienstvolle Initiative des Kollegen Genscher und seines damaligen italienischen Kollegen Colombo zurück.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auf meinen Vorschlag hin hat sich der Mailänder Gipfel vorrangig mit der Frage befaßt, welche politischen und institutionellen Maßnahmen erforderlich sind, um diesem Ziel näherzukommen. Denn, meine Damen und Herren, die Europäische Union darf nach unserem Willen keine leere Hülse bleiben, sie muß mit politischem Leben erfüllt werden.
    Auf Grund der politischen Vorgaben des Mailänder Gipfels hat die Regierungskonferenz ihre Arbeiten Anfang September aufgenommen. Wir haben uns in Luxemburg auf die wichtigsten Kernfragen konzentriert. Für die Bundesregierung standen dabei der Binnenmarkt, die Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments und der Vertrag über außenpolitische Zusammenarbeit im Vordergrund. Daneben spielten auch wichtige neue Politikbereiche eine Rolle, z. B. Forschung und Technologie sowie Umweltfragen. Andere Mitgliedstaaten haben zudem darauf gedrängt, auch ein Kapitel über die „Kohäsion" und Währungsfragen in das Vertragswerk aufzunehmen.
    Der schwierigste Teil — das war zu erwarten — vor und während der Tagung in Luxemburg betraf die Änderungen des EWG-Vertrages. Sie wissen, daß sich einige Regierungen zunächst überhaupt gegen Vertragsänderungen gesträubt haben; ich erinnere an die Debatte in diesem Haus nach dem Mailänder Gipfel. Die Bundesregierung, vor allem ich selbst, hat jedoch von Anfang an die Auffassung vertreten, daß eine lediglich politische Beschlußfassung die anstehenden Probleme nicht dauerhaft lösen kann. Ich begrüße es daher sehr, daß wir uns schließlich darauf verständigen konnten, die notwendigen Schritte im Blick auf eine Reform in rechtsverbindlichen Texten festzuschreiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Vor allem die Einigung auf ein Kapitel über den Binnenmarkt, die erst nach einer zähen Diskussion erreicht wurde, stellt einen wichtigen Schritt nach vorne dar. Wir hatten uns zwar schon in Mailand darauf verständigt, den europäischen Binnenmarkt bis 1992 zu vollenden. Das wäre bei der Fülle der Vorhaben, die die Kommission in ihrem Weißbuch dazu aufführt, mit dem bisher geltenden Abstimmungsverfahren im Rat auf keinen Fall zu schaffen gewesen. Die entscheidenden Elemente des in Luxemburg erreichten Kompromisses sind die Festlegung eines Termins — es ist der 31. Dezember 1992 — für die Vollendung des Binnenmarkts und die Einführung der qualifizierten Mehrheit für die Herstellung der vier Grundfreiheiten im Binnenmarkt. Wir haben damit die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um diese Aufgabe überhaupt bewältigen zu können. Das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt.
    Lassen Sie mich dazu ganz offen bekennen: Er wird bei allem Verdruß, daß nicht noch mehr erreicht werden konnte, auch nicht dadurch geschmälert, daß Ausnahmen zugelassen werden mußten. Wer den Weg Europas durch die Jahrhunderte kennt, die besondere Situation der einzelnen Völker, wer sich erinnert, daß wir in diesem Jahr den 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs begangen haben, der wird verstehen, ja der muß verstehen, daß über viele Jahrzehnte, sogar über Jahrhunderte gewachsene Strukturen nicht über Nacht beseitigt werden können und daß nicht in allen Fällen die Mehrheitsentscheidung durchsetzbar war oder auch von uns — das muß ich fairerweise gleich hinzufügen — gewollt war. Das gilt beispielsweise für das völlig unterschiedliche Steuer- und Sozialsystem in den einzelnen Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Für uns selbst war es wichtig durchzusetzen — um ein wichtiges Beispiel zu nennen —, daß die Grundsätze der Berufsordnung — denken Sie an die Handwerksordnung — auch weiterhin unserem Votum mit unterliegen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir sind mit Nachdruck für eine Bestimmung eingetreten, die die Kommission verpflichtet, bei ihren Harmonisierungsinitiativen im Bereich von Umwelt, Gesundheit, Sicherheit, Arbeits- und Verbraucherschutz hohe Standards zugrunde zu legen. Aber ich füge gleichzeitig hinzu — auch im Blick auf die Diskussion in den deutschen Parteien, nicht zuletzt in meiner eigenen Partei —: Wer erwartet, daß in Europa nur die deutschen Standards zum Maß aller Dinge werden, der wird Europa nicht schaffen. Wir müssen alle kompromißbereit sein, um auf diesem Weg weiterzukommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden jetzt darauf drängen, daß die Umsetzung der im Weißbuch der Kommission enthaltenen Vorschläge — es sind nahezu 300 an der Zahl — vorankommt. Vor allem die bereits im EWG-Vertrag von 1957 verankerten vier Grundfreiheiten — der freie Personen- und Warenverkehr, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr — müssen gewährleistet werden. Das wird von allen Flexibilität verlangen, aber gleichzeitig die Gemeinschaft um eine ganz entscheidende Dimension bereichern.
    Ich weiß, auch hierzulande gibt es Stimmen, die ängstlich vor zuviel Dynamik warnen. Wir sollten statt dessen mehr Vertrauen in die Anpassungsfähigkeit, in die Dynamik nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Wirtschaft überhaupt haben. Sorgen, so meine ich, brauchen sich höchstens jene zu machen, die sich nur deshalb hinter eingefahrenen Regelungen verschanzen, weil sie den frischen Wind des Wettbewerbs scheuen.
    Allen, nicht zuletzt unserer eigenen Wirtschaft, hat der Gemeinsame Markt — das möchte ich doch sagen — überwiegend Vorteile gebracht. Fast 50% der deutschen Industrieausfuhren gehen in die Länder der Europäischen Gemeinschaft. Dieser Prozentsatz wird sich in wenigen Wochen mit dem
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    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Beitritt von Spanien und Portugal — nach allem, was man berechnen kann — auf 60 erhöhen.
    Wir haben in Luxemburg eine — nicht zuletzt für uns — sehr schwierige Diskussion über die sogenannte Kohäsion geführt. Hinter diesem neuen Schlagwort verbirgt sich mancherlei, was für uns voller Probleme ist. Mit ihm soll die Verpflichtung auf die Solidarität innerhalb der Gemeinschaft unterstrichen werden. Ich sage klar und deutlich, daß die Bundesregierung selbstverständlich zu diesem Prinzip der Solidarität steht. Wir haben durch unseren materiellen und finanziellen Beitrag zur Gemeinschaft als Bundesrepublik Deutschland immer wieder bewiesen, daß wir das Ziel einer harmonischen Wirtschaftsentwicklung in der gesamten Gemeinschaft nachhaltig unterstützen. Ich denke, dies ist eine Feststellung, die von allen Seiten des Hauses geteilt wird. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Bereitstellung von rund 9 Milliarden DM für die sogenannten Integrierten Mittelmeerprogramme.
    Im Laufe der Regierungskonferenz, d. h. in den letzten Monaten, entstand jedoch gelegentlich der Eindruck, daß sich hinter dem Begriff der Kohäsion nur die Forderungen nach einem verstärkten Finanzausgleich verbargen. Die wirtschaftspolitischen Prioritäten würden jedoch auf den Kopf gestellt werden, wenn die Gemeinschaft nicht mehr in erster Linie auf die Wachstumskräfte der nationalen Volkswirtschaften, sondern auf einen immer größer werdenden Ressourcentransfer setzen würde.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Wir sind solchen Vorstellungen energisch entgegengetreten.
    Aus der Sicht der Bundesregierung kommt es weiterhin vorrangig auf die Konvergenz der Wirtschaftspolitiken und die Schaffung eines Binnenmarktes an, der dann auch zu einer allseitigen Verbesserung der Lebensverhältnisse beitragen kann. In dieser Auffassung sind wir von der Mehrheit der Mitgliedstaaten unterstützt worden.
    Der jetzt in Luxemburg verabschiedete Text stellt einen politischen Kompromiß dar, der die Ausgewogenheit der Politiken der Gemeinschaft wahrt, aber auch den Interessen der weniger begünstigten Länder und Gebiete Rechnung trägt.
    Wir begrüßen es auch, daß es der Regierungskonferenz gelungen ist, der Forschungs- und Technologiepolitik der Gemeinschaft und der Umweltpolitik eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage zu geben. Eine zukunftsorientierte Forschungs- und Technologiepolitik ist unabdingbar zur Sicherung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Die Formulierung eines besonderen Vertragskapitels wird dieser Bedeutung gerecht. Die Gemeinschaft hat nunmehr auf diesem Feld eine klare Zielsetzung und die notwendigen Instrumente, um für die Aufgaben der Zukunft gewappnet zu sein.
    Besondere Bedeutung kommt aus der Sicht der Bundesregierung dem in Luxemburg verabschiedeten Umweltkapitel zu. Wir haben von Anfang an ein solches Kapitel befürwortet und sind dafür eingetreten, um die Umweltpolitik als Gemeinschaftsaufgabe zu unterstreichen und eine gesicherte Rechtsgrundlage für gemeinsame Aktionen zu schaffen. Die Tatsache, daß die Verhandlungen zu diesen Vertragsergänzungen unproblematisch verliefen, belegt, wie sehr sich auch im Bereich der Europäischen Gemeinschaft erfreulicherweise das Umweltbewußtsein verändert — ich möchte sagen: verbessert — hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer die Erfahrungen bei der Einführung eines umweltfreundlichen Autos mit all den Normen, all dem Streit und den Auseinandersetzungen, die ja nicht lange zurückliegen, noch in Erinnerung hat, konnte nur aufs höchste erfreut sein, daß das, was jetzt überlegt, diskutiert und sicher auch ermöglicht wird, von einer breiten Basis in der EG getragen wird.
    Dagegen ist über eine andere Frage, meine Damen und Herren, die Aufnahme einer währungspolitischen Dimension, in die Vertragsänderung, vor und auf dem Gipfel hart gerungen worden. Nach dem Gipfel wird es weitergehen. Der Kommissionspräsident, Jacques Delors, hat kurz vor Ende der Regierungskonferenz einen Vorschlag eingebracht, den wir nicht akzeptieren konnten. Ich habe ihm das in mehreren Gesprächen deutlich gemacht.
    In Luxemburg haben sich die Staats- und Regierungschefs schließlich auf eine Regelung geeinigt, die wir vorgeschlagen haben und die den Vertragsänderungen in diesem hochsensiblen Bereich eine zukunftsweisende Perspektive gibt. Das Ziel der schrittweisen Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion wird unter dem Hinweis auf die Pariser Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 in die Präambel des Textes zur Änderung des Rom-Vertrages aufgenommen. Dies weist über die Beschlüsse zur Errichtung des Europäischen Währungssystems im Anschluß an die Schlußfolgerungen des Bremer Gipfels vom Juli 1978 hinaus, auf die ebenfalls ausdrücklich Bezug genommen wird.
    Das Europäische Währungssystem, das das Zusammenwirken in der Gemeinschaft fördert, kann nicht Eck- oder Endpunkt einer Vertragsänderung sein, die die Perspektiven bis in das nächste Jahrhundert aufzeigt. Das Europäische Währungssystem ist als eine Zwischenstation auf dem Wege der europäischen Integration, nicht jedoch als das letztlich angestrebte Ziel anzusehen. Das EWS umschreibt vielmehr den Zustand voneinander getrennter Währungsgebiete mit Mechanismen für den Ausgleich der Wechselkurse, der Interventionen und der Zahlungsbilanzen. Bis auf weiteres — das will ich unterstreichen — ist die Flexibilität der monetären Zusammenarbeit leichter im bisherigen Rahmen und unter Beachtung der gesetzlichen Zuständigkeiten in den einzelnen Ländern — das gilt insbesondere auch für die Stellung der Deutschen Bundesbank in der Bundesrepublik Deutschland — zu verwirklichen. Die Mitgliedstaaten müssen die hierin liegenden Möglichkeiten der Zusammenarbeit ebenso ausschöpfen wie die Regeln des Ver-
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    Bundeskanzler Dr. Kohl
    trags, die eine um vieles weitergehende Liberalisierung des Kapitalverkehrs vorsehen, als sie schon bisher in den Mitgliedstaaten erreicht wurde.
    Meine Damen und Herren, ich habe in Luxemburg darauf hingewiesen, daß viele, die sich mit diesen monetären Fragen und auch mit Forderungen an die Bundesrepublik Deutschland wenden, zunächst einmal überlegen sollten, ob sie ihren Beitrag dazu geleistet haben, jene Beschlüsse umzusetzen, die zum Teil vor Jahrzehnten gefaßt und in einzelnen Ländern bis heute nicht realisiert wurden. Ich denke hier vor allem an die Frage der Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Hier war der endgültige Erfüllungszeitpunkt das Jahr 1971, und manche tun so, als seien solche Beschlüsse nie gefaßt worden. Wir wissen auch, daß sich im Zusammenhang mit dem EWS manche Länder in der Gemeinschaft bisher überhaupt nicht zur Teilnahme bereit finden konnten. Das alles gehört in den Kontext einer zukünftigen Entwicklung.
    Um die Ausgewogenheit der Vertragsergänzungen und den Zusammenhang zwischen Fortschritten in der Wirtschaftspolitik einerseits und der Währungspolitik andererseits sicherzustellen, werden die Vorschriften über die Wirtschaftspolitik ergänzt. Sie verpflichten die Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit mit dem Ziel, die erforderliche Konvergenz der Wirtschafts- und Währungspolitik gemäß Art. 104 zu sichern, d. h. unter Wahrung eines hohen Beschäftigungsstandes und eines stabilen Preisniveaus das Gleichgewicht der Zahlungsbilanzen zu gewährleisten und das Vertrauen in die Währung aufrechtzuerhalten. Das ist ein Ziel, das bisher keineswegs überall in Europa auch nur annähernd erreicht werden konnte.
    Es sind derzeit, meine Damen und Herren, keine institutionellen Änderungen beabsichtigt. Wenn sie erforderlich werden, ist notwendigerweise das parlamentarische Verfahren der Gesetzgebung zur Änderung der Verträge vorgesehen, d. h., daß die nationalen Parlamente eingeschaltet werden.
    Ich fasse zusammen: Die Perspektive einer Wirtschafts- und Währungsunion hat in den Vertrag Eingang gefunden. Diese Vertragsänderung ist ein weiterer, ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Union. Die praktische Zusammenarbeit im Europäischen Währungssystem kann unter flexibler Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten weitergeführt werden.
    Meine Damen und Herren, ein weiteres, aufs heftigste umstrittenes Thema dieses Gipfels war die Erweiterung der Befugnisse des Parlaments. Wir haben als Bundesregierung und als Bundesrepublik Deutschland immer wieder darauf hingewiesen, daß das demokratische Selbstverständnis der Gemeinschaft ein größeres Mitspracherecht des Europäischen Parlaments erfordert. Die Bürger in den Staaten des EG-Europa wählen in freier, geheimer und direkter Wahl ihre Abgeordneten für das Straßburger Parlament. Daß die Bürger in dieses Parlament auf die Dauer Vertrauen setzen und investieren, können wir nur dann erwarten, wenn dieses Parlament auch bei der Gestaltung der gemeinschaftlichen Politiken effektiver mitwirken und mitentscheiden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Ich muß gestehen: Der Lernprozeß in allen demokratischen Gruppierungen Europas verläuft da zum Teil sehr unterschiedlich. Am wenigsten Schwierigkeiten haben wir damit vielleicht in Deutschland; ich glaube, wir sind auf Grund der geschichtlichen Gegebenheiten viel weiter als andere.
    Es ist nicht einfach — und die Erfolge sind recht bescheiden —, für eine Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlaments zu werben. Wir haben auf der Regierungskonferenz einen Vorschlag eingebracht, der einen realistischen Ansatz für eine stufenweise Beteiligung des Parlaments am Legislativverfahren enthielt. Ich habe die Kollegen in vielen Besprechungen, auch in Besprechungen mit einzelnen, immer wieder auf unsere geschichtliche Erfahrung hingewiesen, auf die Erfahrung bei der Begründung des Deutschen Reiches, auf die Stellung der Länder zur Zentralgewalt, die Erfahrung der Weimarer Republik bei der Verfassungsgebung, insbesondere auf die Erfahrung, die wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Verfassung, mit dem Verhältnis Bundesrat — Bundestag wie der sehr wichtigen und, wie sich vor der Geschichte erwiesen hat, sehr klugen Einrichtung des Vermittlungsausschusses gemacht haben.
    Wer die Diskussionen auf dem EG-Gipfel und im Rahmen der EG beurteilen will, muß natürlich davon ausgehen, daß andere Länder völlig andere geschichtliche Entwicklungen genommen haben, daß vor allem die klassischen europäischen Zentralstaaten, die außer dem zentralen Parlament nie andere Parlamente dezentraler, lokaler Art — über die kommunale Ebene hinaus — gekannt haben, sich ungeheuer schwertun, diesen Gedanken einer modernen föderalen Ordnung mit ihrer Dezentralisierung der legislativen Gewalt zu akzeptieren. Hier ist sicherlich auch für die Zukunft noch ein großer Lernprozeß notwendig.
    Unser Vorschlag — das möchte ich an dieser Stelle betonen — ging weit über den Text hinaus, den jetzt in Luxemburg zu verabschieden möglich war. Ich sage dies auch an die Adresse mancher Kollegen — ich sage bewußt: auch mancher Freunde — im Europäischen Parlament, die jetzt aus ihrer Sicht — und ich kann das gut verstehen — sehr zu Recht sagen: Warum seid ihr nicht weitergekommen, nicht weitergegangen?
    Einzelaspekte des vorgesehenen Verfahrens werden in den nächsten Tagen noch einmal von den Außenministern formuliert. Das Europäische Parlament wird in wesentlichen Binnenmarktfragen, bei denen der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheidet, Mitgesetzgeber sein. Die Mitwirkung des Parlaments wird daher — über die Haushaltsbefugnisse hinaus — auf die materielle Gesetzgebung ausgeweitet. Dabei ist festzuhalten, daß trotz der erweiterten Einflußnahme des Parlaments auf den Entscheidungsprozeß das letzte Wort jetzt beim Rat bleibt.
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    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Ich bekenne mich klar und eindeutig zu dieser Entscheidung. Wer wirklich die Dinge in Europa vorantreiben will, wer die Lage der einzelnen Länder realistisch betrachtet, der muß wissen, daß dies trotz allem eine kluge Entscheidung ist. Man kann mehr fordern, und das haben ja auch viele getan, nicht zuletzt das Parlament selbst. Wenn man aber den Gang der Diskussion kennt und bedenkt, kann man das Erreichte nicht unterschätzen. Ich füge allerdings ebenso klar hinzu — lassen Sie mich das einmal so formulieren, nicht nur als Regierungschef, sondern auch in meiner Funktion als Parteivorsitzender —: Wir können und wir werden bei diesem Stand nicht stehenbleiben wollen. Wir haben jetzt einen Schritt getan, und wir müssen in absehbarer Zeit weitere Schritte tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe daher den italienischen Vorschlag, schon jetzt ein Signal für künftige Verbesserungen zu setzen, mit unterstützt. Aber wir haben in Luxemburg keine Chancen für eine Mehrheit gehabt. Wir haben dann gemeinsam eine Revisionsklausel vorgeschlagen, die vorsah, daß wir — noch vor 1992 — die Möglichkeit weitergehender Zuständigkeiten prüfen sollten. Aber auch dieser Vorschlag, meine Damen und Herren, war dann nicht mehrheitsfähig.
    Es wird immer wieder über die langsamen Entscheidungsprozesse in Brüssel geklagt. Wir haben uns deshalb darauf verständigt, die Durchführungsund Verwaltungsbefugnisse der Kommission zu erweitern. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen, daß der neue Kommissionspräsident es in seiner bisherigen Amtszeit verstanden hat, die Rolle der Kommission in einer dynamischen Weise zur Geltung zu bringen — bei allen Diskussionen; es gab dabei auch mancherlei Ärger.
    Nach außen stellt sich die Gemeinschaft heute im wesentlichen als Handelsmacht dar. Die eigentliche Außenpolitik fällt nicht in ihre Zuständigkeit, sondern ist eine Domäne der Mitgliedsstaaten, die sich in der EPZ um Abstimmung und Koordinierung ihrer Interessen bemühen.
    Für die Bundesregierung war es von Anfang an ein wichtiges Ziel, die EPZ auf eine vertragliche Grundlage zu stellen. Wir haben daher in Mailand gemeinsam mit Frankreich einen Entwurf für einen Vertrag über politische Zusammenarbeit eingebracht. Die Regierungskonferenz hat über diese Initiative — zusammen mit einem gleichzeitig vorgelegten britischen Entwurf — intensiv beraten.
    Der jetzt in Luxemburg vereinbarte Vertragstext enthält wesentliche Elemente aus diesen Entwürfen:
    Das Bemühen um die Ausarbeitung und Verwirklichung einer europäischen Außenpolitik wird zu einer vertraglichen Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten.
    Für uns besonders wichtig ist die Feststellung, daß zu der außenpolitischen Identität Europas auch eine engere Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit beiträgt. Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich daher zu einer stärkeren Koordinierung ihrer Standpunkte zu den politischen Aspekten der Sicherheit.
    Der Vertrag sieht ausdrücklich eine enge Beteiligung des Europäischen Parlaments und der Kommission vor.
    Schließlich ist in Aussicht genommen, der Präsidentschaft ein Sekretariat zur Seite zu stellen, um auf diese Weise ein hohes Maß an Kontinuität sicherzustellen.
    Meine Damen und Herren, Ziel bleiben eine umfassende außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit und ihr Ausbau letztendlich zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen einer Europäischen Union.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europäische Politik in dieser Zeit wird stets eine Politik der kleinen Schritte sein. Das hat überhaupt nichts mit Resignation zu tun, sondern entspricht der Einsicht, daß sich über Jahrhunderte gewachsene politische und soziale Strukturen, die in bitteren kriegerischen Auseinandersetzungen auch gegeneinander standen, nicht in einem kurzen Anlauf verändern lassen. 30 Jahre sind vor der Geschichte eben doch nur ein kurzer Anlauf.
    Wir haben in Europa vieles auf den Weg gebracht, und ich denke, es ist wichtig, in dieser Stunde zu sagen: Es gab dabei viel Gemeinsamkeit unter den Demokraten, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Es bleibt noch viel zu tun. Helfen wird uns dabei, so denke ich, daß die große Mehrheit unserer Bürger — vor allem auch der jungen Generation; ich habe dies gerade letzte Woche in einer Diskussion nach einem Vortrag in Cambridge erfahren — Europa will, ja viele ungeduldig sind und noch entschiedener vorangehen wollen.
    Meine Damen und Herren, wir haben uns in diesem Jahr — 40 Jahre nach Kriegsende — an das Jahr 1945 zurückerinnert, an das Jahr, das uns die Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft brachte, an das Jahr des Zusammenbruchs des Dritten Reiches, an das Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg, der weit über 50 Millionen Menschen das Leben kostete, der den alten Kontinent verwüstet hat und dessen politischen Strukturen grundlegend veränderte, sein Ende fand.
    Wenn wir, die freien Völker Europas, an diese Ausgangssituation zurückdenken, dann können wir in aller Demut vor der Geschichte deutlich machen, daß wir Grund haben, für einen Weg dankbar zu sein, den unsere Völker in 40 Jahren in Frieden und Freiheit, in enger Freundschaft, in guter Zusammenarbeit zurücklegen konnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die großartige Idee eines geeinten Europas, was wir jetzt bereits erreicht haben und was wir noch erreichen wollen, das alles ist in seiner ganzen Dimension, in seiner historischen Perspektive nur vor dem Hintergrund jener Ereignisse zu erfassen, die gerade erst 40 Jahre zurückliegen.
    13768 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Wir dürfen uns deshalb — bei aller Ungeduld und
    auch bei allen Rückschlägen — nicht beirren lassen. Wir sind auf dem richtigen Weg.
    Wir dürfen auch zukünftig nicht vor den zahlreichen Schwierigkeiten zurückschrecken. Es gibt trotz allem keinerlei Anlaß zum Pessimismus in Europa. Eurosklerose ist ein dümmliches Schlagwort; es ist nicht hilfreich, es bringt uns nicht weiter.
    Meine Damen und Herren, Europa, diese Vision, die viele von uns — auch mich als Schüler — unmittelbar nach dem Kriege erfaßt hat, die damals — um nur ganz wenige zu nennen — von Konrad Adenauer und Paul-Henri Spaak, von Winston Churchill oder Alcide de Gasperi den Jungen vorgestellt wurde, ist für die damalige wie für die heutige junge Generation eine faszinierende Perspektive, die jede Mühe lohnt, die unsere Phantasie bewegen muß, um die wir uns leidenschaftlich bemühen müssen.
    Ich denke, zwischen uns Demokraten sollte nicht das Ziel, sondern, wenn überhaupt, nur der Weg oder die Mittel streitig sein. Unsere gemeinsame Aufgabe bleibt es, diese Vision eines geeinten, eines freien, eines demokratischen Europa im Bewußtsein vor allem der jungen Generation zu verankern. Sie muß dabei wissen, daß es ihre Zukunft ist, um die wir uns jetzt bemühen, ihre Zukunft in Frieden und Freiheit und nur so auch eine Zukunft von sozialer Gerechtigkeit und Wohlstand.
    Das, meine Damen und Herren — auch dieses Wort gehört in den Deutschen Bundestag —, ist natürlich eine Vision, die über Westeuropa hinausgreift; denn wir vergessen zu keiner Stunde, daß EG-Europa eben nur ein Torso ist, daß Dresden und Leipzig, Warschau und Prag, Budapest und Bukarest — um nur wenige wichtige Plätze Europas zu nennen — genauso zu diesem alten großen Europa gehören

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    und daß das Ziel der Einigung Europas immer auch die Uberwindung der Spaltung des europäischen Kontinents einschließt. Meine Damen und Herren, dafür lohnt es sich zu streiten, dafür lohnt es sich auch zu arbeiten. Jeder kleine Schritt voran — und mehr ist nach allen Erfahrungen nicht möglich — ist ein Schritt in eine bessere Zukunft.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt (Hamburg).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Jahreszeit läßt ja frohe Botschaften erwarten, und eine solche haben wir eben vernommen, nach der Weise: Von drauß' vom Gipfel komm' ich her ..., wo es dann hinterher heißt: „Überall auf den Tannenspitzen sah ich gold'ne Lichtlein blitzen".

    (Zurufe von der CDU/CSU: Ein gelungener Einstieg!)

    Die Erklärung, die wir gehört haben, hat mich an einen großen Sohn meiner Vaterstadt Hamburg er-
    innert, nämlich an Johannes Brahms. Als Brahms einmal dem populären Violinkonzert von Max Bruch zugehört hatte, soll er hinterher gesagt haben, die Aufführung sei ihm etwas anstrengend gewesen; denn er habe sich so selten setzen können; schließlich habe er so viele alte Bekannte begrüßen müssen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Ähnlich ist es mir bei dem Bericht über den Luxemburger Gipfel gegangen: liebliche, teilweise sehr bekannte, auch populäre Melodien, aber natürlich keine große neue Symphonie. Das wurde aber, Herr Bundeskanzler, von Ihnen auch wirklich nicht erwartet.
    Ich will auch überhaupt nicht bekritteln, polarisieren oder polemisieren. Wir sind mit vielem von dem, was Sie vorgetragen haben, durchaus einverstanden, zumal manches davon ja die Fortsetzung von Linien bedeutet, die andere zu unserer Zeit schon begonnen hatten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will vielmehr einige Aspekte zu einer nüchternen Betrachtung der Lage beitragen. Nüchternheit allerdings ist in Sachen Europas fast immer notwendig. — Vor sechs Jahren hat der damalige Oppositionsführer Kohl nach einer anderen Luxemburger Konferenz gesagt, es sei ein jämmerliches Bild gewesen;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was?)

    vor fünf Jahren: „Es ist für Europa fünf Minuten vor zwölf". Vor vier Jahren hat er den Europäischen Rat ein „Symbol kollektiver Unfähigkeit und Veranwortungslosigkeit" genannt. Nach dem Stuttgarter Treffen des gleichen Rats, dem er nun inzwischen selbst angehörte, hat er hier, inzwischen vorsichtiger geworden, ausgeführt: „Viele Worte können das Handeln nicht ersetzen". Ein Jahr später, nach einem erneuten Gipfel, noch etwas vorsichtiger: Das Brüsseler Treffen sei ohne abschließendes Ergebnis geblieben; er bedauere dies zutiefst.
    Wieder ein Vierteljahr später, im Sommer dieses Jahres nach Fontainebleau, sagte dann Herr Stoltenberg, noch nie seit den 60er Jahren habe eine EG-Konferenz so entscheidende Fortschritte gebracht. Herr Stoltenberg, Sie haben damals offenbar die weise Empfehlung von Mark Twain beherzigt, der geschrieben hatte: Wahrheit ist das Kostbarste, was wir besitzen; laßt uns sparsam damit umgehen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Der Bundeskanzler hat heute jenen Rückfall in europäische Euphorie nicht wiederholt. Im Gegenteil, er hat noch einmal vorsichtiger gesprochen. Er hat richtigerweise die ungelösten, noch vor uns liegenden Probleme auch nicht ganz verschwiegen; er hat sich auch gegen Vorwürfe verteidigt, nicht weit genug gegangen zu sein. Herr Bundeskanzler, Sie haben j a recht: Das ist ein ganz langer Weg. Viele, viele kleine Schritte sind notwendig, und Sie haben einen davon gemeinsam mit Ihren elf Kollegen zustande gebracht. Dagegen ist nichts zu sagen.
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13769
    Schmidt (Hamburg)

    Aber insgesamt haben Sie ein so positives Bild gezeichnet, daß man beinahe George Bernard Shaw paraphrasieren und sagen möchte: Der Luxemburger Gipfel vom Anfang dieser Woche gehört ganz zweifellos zu den 30 erfolgreichsten Gipfeln der Europäischen Gemeinschaft.

    (Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, ich habe die wörtlichen Zitate aus früheren Reden, aus offiziellen Protokollen nicht vorgelesen, um jemanden zu ärgern, sondern eigentlich nur, um wirklich zur Nüchternheit bei der Betrachtung all dieser kleinen Schritte zu mahnen. Die Nüchternheit darf durchaus, ja, sie sollte mit der Leidenschaft für die europäische Sache gekoppelt sein. Aber ebenso wichtig bleiben Wille und Fähigkeit zum beharrlichen Bohren sehr dicker Bretter und — ich wiederhole es — die Fähigkeit, nüchtern und realistisch einzuschätzen, was geht, auch was nicht geht, wann etwas geht und wie man es gehen machen kann.
    Sie haben, Herr Bundeskanzler, eben von dem schwierigen Erbe — so drückten Sie sich aus — der Agrarpolitik gesprochen. Sie haben recht. Die Agrarpolitik verschlingt inzwischen 70 % des Etats der EG, und infolge der hohen Subventionen erzeugt die Gemeinschaft im Durchschnitt 25 % mehr Getreide, Rindfleisch, Butter und Zucker, als wir Europäer gemeinsam aufessen können. Eigentlich müßte jedermann erkennen: Hier geht nichts mehr.
    Schließlich besteht j a auch — wenn wir noch einmal auf den Etat sehen — die europäische Erwerbsbevölkerung nur zu 7 % aus Landwirten, aber doch zu 11 % aus Arbeitslosen. Es gibt eine gemeinsame, immer noch produktionssteigernde Landwirtschaftspolitik, aber es gibt — leider — kein gemeinsames gesamtökonomisches Handeln zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieser Vorwurf trifft natürlich alle Regierungen, keineswegs bloß die gegenwärtige deutsche Bundesregierung; er trifft auch die vorangegangenen Regierungen in allen Hauptstädten einschließlich unserer früheren Regierung. Darin, Herr Bundeskanzler, hatten Sie recht. Aber bitte schieben Sie die Agrarmisere nicht von sich ab. Sie waren es, der zusätzliche nationale Agrarsubventionen eingeführt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie waren es, der sich durch das erste deutsche Veto in der gesamten Geschichte der Europäischen Gemeinschaft gegen agrarpolitische Vernunft gestemmt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Die letzten, tatsächlich wichtigen Errungenschaften der Europäischen Gemeinschaft, der Beitritt Englands und inzwischen fünf weiterer Staaten, das Europäische Währungssystem, die Direktwahl des Parlaments, das inzwischen, wie vorausgesehen, begonnen hat, sich die demokratisch notwendigen Rechte schrittweise zu erkämpfen, all dies wurde vor Amtsantritt der jetzigen Regierungen in Paris, Rom, Bonn usw. beschlossen oder eingeleitet.
    Dann kam der zweite Ölschock dazwischen, von dem Harold Macmillan jüngst im Oberhaus gesagt hat — ich zitiere ihn wörtlich —:
    Das war nicht unsere Schuld, aber beinahe hat dieser Ölschock die industrielle Gesellschaft der heutigen Welt zerstört. Daß wir unter dem Schlag gewankt haben, das war kein Wunder, wohl aber war es ein Wunder, daß wir ihn überstanden haben.
    Er hat recht. Tatsächlich haben wir diesen Schlag allerdings noch nicht ganz überstanden. Denn seit dem zweiten Ölschock und seit seinen katastrophalen weltwirtschaftlichen Folgen, nämlich den Verwerfungen im Preis-, Handels- und Zahlungsbilanzgefüge vieler Staaten und steil ansteigender Massenarbeitslosigkeit, seit 1980 also ist kein wirklicher Fortschritt in der EG mehr möglich gemacht worden.
    Dann kamen 1981 und 1982 Regierungswechsel in Washington, in Paris, in Bonn, zwangsläufig auch neue Politiken der neuen Regierungen. Die internationale Schuldenkrise kam hinzu, ebenso die amerikanische Haushaltskrise mit ihren schlimmen weltweiten Auswirkungen auf die reale Zinshöhe auf der ganzen Welt, auf die Wechselkurse, auf die Handelspolitik, auf den Kapitalabfluß aus aller Welt nach den USA, allerdings auch mit der — wahrscheinlich vorübergehenden — Wirkung der Steigerung der Exportbeschäftigung in Japan, Europa, Deutschland und anderswo.
    Die Unordnung unter den wichtigsten Faktoren der Weltwirtschaft ist seither größer als jemals im letzten Vierteljahrhundert. Dies ist keineswegs die Schuld der Europäer oder der EG. Wohl aber ist die Europäische Gemeinschaft mangels geistiger, politischer, ökonomischer Führung uneinig hinsichtlich der gemeinsamen Vertretung ihrer ökonomischen Interessen in dieser Unordnung.
    Frankreich hat 1981 eine Haushaltsdefizitpolitik Reaganschen Ausmaßes begonnen. Sie kam am meisten der italienischen, der deutschen usw. Beschäftigung zugute und mußte nach drei Franc-Abwertungen — die vierte wird wohl im Frühjahr 1986 folgen — bald abgebrochen werden. Das Europäische Währungssystem hat damals seine die ökonomische Politik der Mitgliedsregierungen harmonisierende Kraft gezeigt.
    Umgekehrt Deutschland und in unserem Gefolge auch Holland: Hier hat man alsbald umgekehrt eine deflatorische Haushaltspolitik versucht, ähnlich in England. Deswegen haben diese Staaten heute höhere Arbeitslosigkeiten als je zuvor, als jemals seit dem Zweiten Weltkrieg.

    (Beifall bei der SPD)

    Das volkswirtschaftliche Wachstum hingegen ist weitgehend dem Exportanstieg zu verdanken, d. h. weitgehend den im vorigen und im jetzt ablaufenden Jahr unsinnig hohen Dollarwechselkursen.
    Aber auch die übrigen EG-Staaten verfolgen national beschränkte ökonomische Konzepte in ihren
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    Schmidt (Hamburg)

    Geld-, Währungs-, Kapitalmarktpolitiken, in ihren Steuer- und Haushaltspolitiken, auch in ihren strukturpolitischen Versuchen.
    Wenn man sich die Arbeitslosigkeitszahlen in Europa anschaut — eines unserer Nachbarländer hat sogar 16 % Arbeitslose! —, dann stellt man fest, daß keiner der Staaten der Gemeinschaft mit seiner anachronistischen Alleingangspolitik irgendeinen zu Buche schlagenden Erfolg in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erzielt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Hauptgrund dafür liegt darin, daß nicht nur wegen der zum Teil enormen Weltmarktabhängigkeit — wir Deutschen exportieren inzwischen 35% unseres Sozialprodukts, die Europäische Gemeinschaft als ganze ungefähr 25% —, sondern auch wegen des innerhalb Europas erreichten Grades der tatsächlichen gegenseitigen wirtschaftlichen Verflechtung weder für Frankreich noch für Deutschland noch für Holland, Italien, England, Belgien usw. eine rein nationale Zinspolitik erfolgreich möglich ist.
    Die von Amerika ausgehenden weltrekordhohen realen Zinsen sind der Hauptgrund für die europäische Investitionsschwäche von heute und für die aus dieser Investitionsschwäche herrührende Arbeitslosigkeit; der Hauptgrund auch für die zeitliche Verlängerung der zweiten Ölschockkrise über die frühen 80er Jahre hinaus.
    Harold Macmillan, heute „The Earl of Stockton", hat in der vorhin schon zitierten fabelhaften Jungfernrede im Oberhaus dazu gesagt:
    Reagan hat in Umkehrung von Keynes die Ressourcen der Alten Welt einberufen, um damit die Expansion der Neuen Welt zu finanzieren.
    National beschränkte ökonomische Politiken hier in Europa sind machtlos gegen diesen Sog, und sie werden sich auch dann als machtlos herausstellen, wenn sich in Zukunft ergibt, daß die horrenden Dollarauslandsschulden der USA nur durch Inflationierung des Dollars bedient werden können, von Tilgung gar nicht zu sprechen.
    Aber eine gemeinsame europäische Abwehr dieser Gefahren wird nicht versucht. Für uns Europäer gilt dann möglicherweise die Tucholskysche Definition, nämlich: „Nationalökonomie ist, wenn Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben. Das hat mehrere Gründe. Die feinsten sind die wissenschaftlichen Gründe."

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Und wenn ich selber auch einmal zugespitzt formulieren darf: es sieht so aus, als ob die Europäische Gemeinschaft politisch gegenüber beiden weltwirtschaftlichen Zeitbomben abgedankt hat, sowohl gegenüber der lateinamerikanischen Schuldenkrise als auch gegenüber der US-amerikanischen Haushalts-, Zins- und Zahlungsbilanzkrise.
    Es gibt aber auch, Herr Bundeskanzler, kaum noch eine gemeinsame europäische Außenpolitik, etwa auf dem Felde der Rüstungs- und Abrüstungspolitik. Ob SDI oder ABM, ob Atomversuche im Pazifik oder chemische Waffen, es gibt zu all diesen Europa existentiell angehenden Fragen gegenwärtig keine gemeinsame Politik der europäischen Regierungen.

    (Zuruf von der SPD: Leider!)

    Es gibt nicht einmal eine gemeinsame Politik der europäischen Regierungen gegenüber dem Obersten Gaddafi in Libyen. Bei dieser Lage wirkt die von einem unserer Bundestagskollegen stammende außenpolitische Einteilung seiner eigenen Freunde in entweder Genscheristen oder Stahlhelmer geradezu rührend provinziell.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der FDP)

    Ich will nachher auf die Frage dieser politischen Gesamtstrategie zurückkommen und spreche im Augenblick von dem ökonomischen Ausschnitt der Gesamtstrategie.
    Es gibt heute auf der Welt vier große homogene Märkte:
    Erstens ist es China mit 1 Milliarde Menschen. Es hat gegenwärtig zwar einen Lebensstandard von nur 300 Dollar pro Kopf und Jahr, aber in anderthalb Jahrzehnten könnten es durchaus mehr als 800 Dollar pro Kopf werden, wenn Deng Xiaopings und Zhao Ziyangs Reformpolitik nicht zurückgedreht wird. Natürlich ist dieser wirtschaftlich gewaltige Organismus China schon heute militärisch und politisch die dritte Weltmacht.
    Der zweite große homogene Markt ist die Sowjetunion mit 270 Millionen Menschen, eine überzentralisierte Verwaltungswirtschaft, Befehlswirtschaft von geringer Leistungsfähigkeit, die wegen der seit Jahren andauernden Abzweigung von 12 bis 14 % ihres Sozialprodukts für militärische Zwecke nur ganz langsam den relativ niedrigen Lebensstandard dieser 270 Millionen Menschen heben kann.
    Drittens sind die Vereinigten Staaten zu nennen: 240 Millionen Menschen, ein homogener Markt, ein Wirtschaftsorganismus von enormer Leistungskraft, 50 Staaten, aber natürlich nur eine einzige Währung, eine einzige ökonomishe Politik; und die Gerätestecker, die in Kalifornien hergestellt werden, passen natürlich auch in die Steckdosen in New Hampshire; im Lebensstandard deshalb Europa deutlich überlegen.
    Viertens Japan: 120 Millionen Menschen, sehr leistungsbewußt, vielleicht etwas zu diszipliniert — für meinen Geschmack —, im Lebensstandard an Europa noch nicht ganz heranreichend. Aber weil sie von Hokkaido bis Okinawa nur eine einzige Währung haben, eine einzige ökonomische Politik, eine einzige technische Gesetzgebung und so fort, werden sie uns bald eingeholt haben. Sie fangen schon an, uns ein wenig mitleidig das von Professor Giersch in Kiel, Herr Bundeskanzler, geprägte und von einigen Amerikanern weltweit verbreitete Schlagwort von der Eurosklerose entgegenzuhalten und nachzuplappern. Denn Sie rechnen damit, uns
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13771
    Schmidt (Hamburg)

    in absehbarer Zeit in ihrem Lebensstandard zu überholen.
    An fünfter Stelle ist dann der sogenannte Gemeinsame Markt der Europäer zu nennen, der ab 1. Januar 320 Millionen Menschen umfassen wird. Aber hat man eigentlich je in der Geschichte von einem Marktplatz gehört, auf dem elf oder zwölf Kaufleute jeder in einer anderen Währung bezahlt werden will, insgesamt also elf Währungen vorhanden sind, wo aber jeder Käufer nur eine einzige Währung im Portemonnaie hat, wo einige der Marktaufseher die durchaus vorhandene gemeinsame Währung — ich rede vom ECU, Herr Stoltenberg — als skandalöse Parallelwährung verdammen und den Menschen in ihren Wohnvierteln sogar verbieten, Zahlungsmittel dieser einen gemeinsamen Währung zu besitzen?

    (Austermann [CDU/CSU]: Wo ist das so?)

    Hat man je von einem Marktplatz gehört, auf dem es einigen Kunden verboten bleibt, bestimmte Biersorten zu kaufen, weil die angeblich nicht rein genug sind — andere Kunden dürfen dieses Bier aber trinken —, wofür umgekehrt einige Lieferanten aus den gleichen Wohnvierteln wütend ihr Recht verteidigen, ihren Wein zu verzuckern oder, wie es so schön heißt, „zu verbessern" — einen Wein, den dann Menschen in anderen Wohnvierteln desselben Markts nicht trinken sollen?

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    Wieso, Herr Schwarz-Schilling, kann ich kein französisches Telefon kaufen? Wieso kann ein Engländer kein deutsches Fernsehgerät kaufen und anschließen? Wieso können die Eisenbahnen Europas nicht Lokomotiven oder Waggons oder Signaleinrichtungen aus den anderen Wohnvierteln, aus den anderen Ländern Europas kaufen?

    (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Wieso haben Sie das alles nicht durchgesetzt?)

    Wieso muß ein Lastwagenfahrer auf dem Weg von Deutschland nach Italien bei angeblich von Ihnen geschaffenen offenen Grenzen ganze 27 Dokumente parat halten und vorzeigen?

    (Feilcke [CDU/CSU]: Wenn man nur gelegentlich hier ist, weiß man das nicht!)

    Der in aller Welt so genannte „common market" ist in Wirklichkeit bisher ziemlich „uncommon", auf deutsch: ziemlich ungewöhnlich.
    Dies ist ganz gewiß nicht die Schuld der gegenwärtigen Bundesregierung; ganz gewiß nicht. Die Bundesregierung hat das meiste so vorgefunden, wie es heute ist. Ich darf Ihnen versichern: Vor 15 Jahren war das alles noch sehr viel ärger.

    (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Na bitte!)

    Aber die Bundesregierung sollte bitte nicht verschlimmbösern. Ein deutsches Veto, Herr Bundeskanzler, gegen eine Rationalisierung dieses Marktes hat es zu unserer Zeit in der Tat niemals gegeben

    (Beifall bei der SPD)

    mit all seinen Rückwirkungen in Frankreich.
    So wie etwa der Airbus nur deshalb auf der ganzen Welt konkurrenzfähig ist — und damit dürfen sich frühere Bundesregierungen durchaus schmükken — oder die Ariane oder die Satelliten der ESA, weil sie in einem europaweiten Maßstab entwickelt und finanziert und produziert und nicht etwa in einer rein französischen oder rein italienischen oder sonstigen nationalen Bastelstube gebaut werden, so ist es doch auch mit der Wirtschaft Europas insgesamt!
    Im Wettbewerb mit den Unternehmensleitungen, den Arbeitnehmern und den Regierungen dieser vier anderen großen homogenen Märkte der Welt können wir in Europa auf die Dauer nur dann bestehen, können wir unseren Lebensstandard und unsere Beschäftigung auf die Dauer nur dann steigern, wenn wir uns die potentiellen Vorteile der wirtschaftlichen Größenordnung Europas tatsächlich zunutze machen

    (Beifall bei der SPD)

    oder wenn wir uns, wie man in Amerika sagt, die Economy of scale zunutzen machen.
    Ich weiß, daran wird gerarbeitet. Der Bundeskanzler hat erwähnt, 300 Harmonisierungsrichtlinien seien noch fällig. Hoffentlich gehen dann die Regierungen mit der Umsetzung dieser Harmonisierungsdirektiven etwas vernünftiger um, als die Bundesregierung mit dem vor vier Jahren beschlossenen einheitlichen Muster für den europäischen Paß umgegangen ist. Eigentlich sollte er am 1. Januar dieses Jahres ausgestellt werden. Inzwischen liegt seit Sommer dieses Jahres ein ganz anderer Paßgesetzentwurf im Innenausschuß, und vom Einführungsdatum für den europäischen Paß ist in diesem Entwurf keine Rede mehr.
    George Bernard Shaw hat einmal geschrieben: Die besten Reformer der Welt sind diejenigen, die bei sich selber anfangen.

    (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: Sehr gut! — Beifall des Abg. Klein [München [CDU/CSU])

    Wer z. B. das Veto in den europäischen Räten abschaffen will, der könnte verbindlich erklären: Die deutsche Bundesregierung wird kein Veto mehr einlegen.

    (Beifall bei der SPD — Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Das ist wieder einseitig!)

    — Das können Sie leicht erklären. Auch wir haben das 13 Jahre lang nicht gemacht. Wir haben uns allerdings nicht damit gebrüstet. Wir fangen heute an, uns damit zu brüsten, nachdem Sie sich hier als die Erfinder Europas dartun.

    (Beifall bei der SPD)

    Wer europaweite Ausschreibungen und Käufe aller Regierungen und staatlichen Stellen — Bundesbehörden, Bundeswehr, Post, Bahn usw. — einführen will, der könnte doch sofort erklären, daß wir in Deutschland auf nationale Beschränkungen unserer Ausschreibungen und Beschaffungen verzichteten. Wer bei jeder solchen Sache immer erst die
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    Schmidt (Hamburg)

    Gegenleistung des anderen schriftlich auf den Tisch haben will

    (Zuruf des Abg. Kittelmann [CDU/CSU])

    — und ich kenne natürlich schon alle Gegenargumente, Herr Kollege, welche ebenso natürlich den Vorteil für den Leistungswettbewerb und für den Fiskus des Herrn Stoltenberg abstreiten wollen —, der ist dann eben doch bloß ein Politiker. Lloyd George hat einmal gesagt, ein Politiker sei jemand, mit dessen Politik man nicht übereinstimme. Wenn man aber mit ihr übereinstimme, dann sei er ein Staatsmann.

    (Beifall bei der SPD)

    Und jetzt ohne Spaß: Europa braucht vielleicht nicht alle seine Politiker, aber es braucht einige wenige Staatsmänner. Oder wie mein Freund Callaghan vor ein paar Tagen formuliert hat:

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Europa braucht einen modernen Ernest Bevin oder Robert Schuman oder Jean Monnet mit deren Kraft — ich zitiere Callaghan —, mit deren konstruktiver Energie und mit deren Vorstellungsvermögen — „imagination", so sagt er —, um die institutionellen Hemmnisse zu überwinden.

    (Beifall bei der SPD — Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Johannes Rau fehlt!)

    Meine Fraktion hat Ihnen eine Entschließung über das, was jetzt praktisch zu tun ist, vorgelegt und ich greife daraus die Punkte 3, 4 und 5 heraus. Wir stimmen weitgehend überein mit einer einstimmigen Empfehlung, welche das Monnet-Komitee im Juni dieses Jahres hier in Bonn unter Vorsitz von Karl Carstens an die Adresse der Regierenden in Europa gerichtet hat. Diese drei Empfehlungen haben den großen Vorteil, daß sie keinen neuen völkerrechtlichen Vertrag, keine Ergänzung der europäischen Verträge, keine langdauernden Ratifikationsverfahren in zwölf Parlamenten erfordern, sondern daß die Regierungen sie verwirklichen können, ohne neue Institutionen dafür zu schaffen. In einem Wort: Es handelt sich um das jetzt, um das hier und um das sogleich Machbare.
    Erstens. Wir halten z. B. den weiteren Ausbau des Europäischen Währungssystems und der ECU-Währung für einen heute gangbaren und zugleich notwendigen Schritt. Sie, Herr Bundeskanzler, haben Ihre ablehnende, Ihre negative Einstellung heute breit dargelegt, und ich möchte darauf antworten. Gewiß, für die schließliche Vollendung des Europäischen Währungssystems wird man eine Ergänzung der Römischen Verträge brauchen, wie etwa Präsident Delors das im Herbst vorgeschlagen hat. Heute wäre die Einrichtung einer autonomen europäischen Zentralbank noch nicht geboten. Die Vertragsergänzung aber, die vorgestern in Luxemburg zustande gebracht worden ist, besteht nun tatsächlich nur aus unverbindlichen, allgemeinen Redensarten. Damit kann jetzt jeder tatsächliche Fortschritt auf Eis gelegt werden, bis der Ergänzungsvertrag nach einer Reihe von Jahren schließlich ratifiziert ist, wenn er denn überhaupt zustande kommt. Aber genauso, wie das EWS ohne Vertragsänderung geschaffen werden konnte, genauso könnte es heute ohne Vertragsänderung seine zweite Ausbaustufe erreichen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich stimme Ihrem Bedauern darüber zu, Herr Bundeskanzler, daß Frau Thatcher trotz gegenteiliger Meinung der englischen Finanzwelt immer noch nicht mitmachen will, aber der weitere Ausbau des EWS wird dadurch doch nicht behindert. Eher im Gegenteil: Je erfolgreicher sich das Europäische Währungssystem entwickelt, um so wahrscheinlicher wird Englands Beitritt.
    Der Hauptwiderstand gegen den Ausbau des EWS kommt in Wahrheit aus Deutschland, genauer: aus Frankfurt und aus der Rheindorfer Straße in Bonn. Der Bundeskanzler hat ihn von dorther übernommen. Der Finanzminister ist sogar bis zur Forderung vorgedrungen, selbst bei Änderung des EG-Vertrages dürfe die Autonomie der Bundesbank nicht berührt werden. Die „Financial Times" hat dazu sarkastisch geschrieben, einige westdeutsche Währungspolitiker schlichen auf Zehenspitzen um diese obskure Sache herum, als könnte da eine Bombe hochgehen. Und tatsächlich kam ja jüngst ein Brief aus Frankfurt hier nach Bonn, der demjenigen des Ministers Weinberger an seinen Präsidenten ähnelte, als dieser in Genf gerade mit Generalsekretär Gorbatschow zu reden hatte.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Die zeitliche Abfolge stimmt nicht ganz!)

    Die Bundesbank muß erkennen: Jedes Verbot, den ECU zu verwenden, tendiert dazu, das Quasi-Monopol des Dollars aufrechtzuerhalten und damit die Giralgeldschöpfung unserer Geschäftsbanken von den extremen Kursschwankungen des Dollars abhängig zu machen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das war zu Ihrer Zeit schon falsch!)

    Ich rufe in Ihre Erinnerung: Zu Jahresbeginn 1980 war der Dollar 1,70 DM wert, in diesem Frühjahr, im Frühjahr 1985, war er 3,40 DM wert — doppelt so viel —, im Augenblick ist er nur 2,50 DM wert; der Kurs der EWS-Währungen hingegen hat wesentlich geringer geschwankt als derjenige der frei floatenden Währungen, etwa der des Dollars. Die Wechselkurskorrekturen im System sind genauso reibungslos abgelaufen wie früher einmal zu Zeiten des Systems von Bretton Woods. Sie haben sich an den fundamentalen Faktoren wie den unterschiedlich hohen Inflationsraten in Europa und den Zahlungsbilanzgleichgewichten orientiert. Sie waren deshalb berechenbar. Das EWS hat seine Partnerstaaten in Europa gegenüber dem Rest der Welt begünstigt und uns vor allzugroßen Verzerrungen der Preise, der Kosten, der Allokationen bewahrt.

    (Beifall bei der SPD)

    Regierungen und Notenbanken sollten Schritt für Schritt ganz pragmatisch lernen, in der Währungspolitik sowohl EG-intern als auch im Verhältnis zu Amerika und zu Japan an einem Strang zu ziehen. Wenn sie es nicht lernen, dann sehe ich nicht, wie Europa seinen schwindenden Einfluß auf der inter-
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    Schmidt (Hamburg)

    nationalen ökonomischen Bühne zurückgewinnen soll. Ich sehe dann auch keine Besserung, keine dauerhafte Besserung der Arbeitslosigkeit in Europa.
    Wenn wir, Herr Bundeskanzler, 1979 den Tendenzen der Bundesbank gefolgt wären, dann gäbe es das EWS überhaupt nicht, ein System, dem alle europäischen Ökonomen heute den Erfolg bescheinigen. Heute ist — anders als die Warner in Frankfurt schreiben oder schreiben lassen — klar ersichtlich — siehe das Beispiel Frankreich —, daß geld- und währungspolitischer Gleichlauf die Regierungen zur Konvergenz ihres allgemeinen wirtschaftspolitischen Verhaltens zwingt. Wer aber, Herr Stoltenberg, die umgekehrte Reihenfolge verlangt, erst wirtschaftspolitischen Gleichlauf auf allen Feldern und erst dann — vielleicht — auch währungspolitischen Gleichlauf, der kann kein geschichtliches Beispiel für den Erfolg seines Rezeptes beibringen, und vielleicht will er diesen Erfolg ja auch gar nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Regierung und ihr Finanzminister haben detaillierte Vorschläge für den Ausbau des EWS auf dem Tische, z. B. u. a. auch von mir. Sie sollten den Rat eines bedeutenden Mannes befolgen, der gesagt hat

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    — ja, lachen Sie nicht zu früh —: Es ist die Schwäche der Regierungen, die Beschlüsse in der EG ständig verhindert, z. B. beim europäischen Währungssystem. — Der dies sagte, war Dr. Kohl; es war am 9. Januar 1981.

    (Lachen und Beifall bei der SPD)

    Damals, Herr Bundeskanzler, war das Europäische Währungssystem zwar längst in Funktion, aber in der Zwischenzeit — Sie sind seit drei Jahren im Amt — ist es nicht weiter ausgebaut worden. Also, bitte, zeigen Sie die Stärke, die Sie früher von anderen verlangt haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Dabei wird von Ihnen keineswegs erwartet, daß Sie der Bundesbank etwas wegnehmen oder gar das Bundesbankgesetz ändern. Das Gesetz muß lediglich angewandt werden.
    Außenwährungspolitik bleibt schließlich Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, und sie bleibt Teil der Außenpolitik, hier der Europapolitik der Bundesregierung. Was Sie zu dem Thema EWS ausgeführt haben, war eigentlich bloß die Bemäntelung einer Kapitulation vor vermeintlichen — vermeintlichen! — nationalen deutschen Interessen.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Was die Herstellung des einheitlichen Binnenmarkts bis 1992 angeht, so würde ich einräumen, daß das eine sehr viel kompliziertere Aufgabe ist als der Ausbau des Europäischen Währungssystems. Sehr viel komplizierter! Die vielen Harmonisierungen sind erwähnt worden. Aber auch auf diesem Felde kann einiges sofort geschehen, z. B. die
    Europäisierung aller öffentlichen Ausschreibungen. Das Monnet-Komitee hatte Ihnen das schon für Mailand vorgeschlagen. Es wird Zeit, daß einer die Initiative ergreift. Delors hat Ihnen im Juli ein ganzes Paket von Vorschlägen für die Schaffung des Binnenmarkts vorgelegt: von der Vereinheitlichung der technischen Normvorschriften über die Steuerharmonisierung bis hin zu den unterschiedlichen Einzelwertberichtigungen und Mehrwertsteuersätzen usw. Ich will das nicht ausmalen. Sie selbst haben es erwähnt. Man muß aber auch an die Notwendigkeit erinnern, europäische Dienstleistungen zu ermöglichen. Ich habe bisher weder französische Wirtschaftsberatung bei Hamburger Firmen erlebt noch deutsche Wirtschaftsprüfung in Rom. Wohl aber erobern amerikanische Beratungsfirmen und hundertköpfige amerikanische Rechtsanwaltssozietäten inzwischen unsere Märkte in Europa, in jeder größeren Stadt. Das muß j a so nicht sein.
    Binnenmarkt heißt natürlich abermals Souveränitätsverzicht, vor allem auch gegen den Wunsch national organisierter Interessenverbände.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen haben einige Industrien erfolgreich gezeigt — ich denke z. B. an einen Bereich in der Elektrobranche —, daß die Unternehmen manches zur Herstellung gemeinsamer technischer Normenvorschriften beitragen können; leider geschieht das nicht in der Automobilwirtschaft.
    Der dritte Bereich, in dem sofort und konkret ohne ratifikationsbedürftige Verträge gehandelt werden könnte, ist der Bereich des technischen Fortschritts in Europa. Präsident Mitterrand hatte im Mai 1984 in Straßburg drei technologische Felder genannt — Elektronik, Weltraum, Verkehrswesen —, die wir zur Wiedergewinnung europäischer Wettbewerbsfähigkeit fördern sollten. Wir Sozialdemokraten haben jene Vorschläge unter Hinzufügung der Umwelttechnologie im Bundestag unterstützt. Aber trotz des neuen und sehr schönen Eureka-Schlagwortes ist die Sache seither nicht viel weitergekommen.
    Die funktionierenden europäischen Forschungs-und Technologiekooperationen hatte es j a längst vorher gegeben. Sie braucht man heute nun nicht künstlich unter ein neues Sekretariatsdach zu schaffen; sie haben ja doch bisher gut funktioniert. Das gilt genauso für die etwa 3 000 Personen, die in der Forschung und im Forschungsmanagement durch die EG beschäftigt sind. Man soll die bestehenden Institutionen nutzen und nicht ständig neue Bürokratien hinstellen, auch wenn sie sich vornehm Sekretariat nennen.

    (Beifall bei der SPD)

    Warum lassen Sie Ihren Postminister nicht den Anstoß dazu geben, daß die Postverwaltungen der Staaten der EG untereinander ein einheitliches Glasfaserbreitbandnetz vereinbaren und voranbringen, statt diese ewigen Fehlinvestitionen in die Kupferverkabelung vorzunehmen?

    (Beifall bei der SPD)

    13774 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
    Schmidt (Hamburg)

    Warum lassen Sie den Verkehrsminister nicht seine Kollegen in Paris und in Brüssel anstoßen, damit in Europa — wie Mitterrand vorgeschlagen hat — ein gemeinsames Schnellbahnsystem errichtet wird? Holland, Italien, andere würden sich schnell beteiligen. Lassen Sie es planen von Rom bis nach Kopenhagen. Die französische Eisenbahn hat gezeigt, daß sie das kann. Die japanische kann es schon lange. Aber auch die Bundesbahn hat jüngst einen Hochgeschwindigkeitszug vorgestellt. Wieso geht das eigentlich nur national und nicht gemeinsam? Es ist doch ein gemeinsames Eisenbahnnetz.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn wir Flugzeuge und Fernmelde- und Forschungssatelliten gemeinsam bauen konnten, wieso eigentlich nicht auch Satelliten zur militärischen Aufklärung, wie Paris es vorgeschlagen hat? Sollen denn wir Europäer auf ewig in der Abrüstungskontrolle von den Brosamen abhängig bleiben, die von den Tischen der Hunderte von Aufklärungssatelliten der beiden Großmächte fallen?

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, SDI ist eine Sache — eine Sache, die zugleich eine Kernfrage künftiger Strategie bedeutet. Hoffentlich wird sie unter Berücksichtigung unserer europäischen Sicherheitsinteressen entschieden. Europäische industrielle Interessen sind dabei zwar nicht gleichgültig, aber sie sind bestenfalls zweitrangig. Man kann doch wohl eine strategische Revolution nicht nach ihrem technologischen spillover beurteilen wollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine durchaus andere Sache ist die Notwendigkeit Europas, sich technologisch gegen die vier großen, aber homogenen Wirtschaftskörper zu behaupten, von denen ich sprach. Ich habe in diesem Herbst einige hochtechnisierte japanische Unternehmen studiert. Manches hat mir imponiert. Einiges können wir schon von den Japanern lernen. Aber eine Sache hat mir zutiefst mißfallen. Eine japanische Elektrofirma baut serienweise Computer, die zum Schluß das Markenzeichen einer europäischen Elektronikfirma aufgeklebt bekommen und unter diesem Firmenzeichen in der ganzen Welt verkauft werden. Offenbar war die europäische Firma nicht in der Lage, die Geräte in gleicher Qualität selbst zu produzieren oder sie zu vergleichbaren Kosten zu produzieren.
    Ob wir es also Eureka nennen oder ob wir es anders nennen: Nur wenn wir die Größenordnung ausnutzen, die uns durch über 300 Millionen intelligenter und fleißiger Europäer gegeben ist, nur wenn diese 300 Millionen ihre Forschung und Technik gemeinsam voranbringen, nur dann halten wir unseren relativen Lebensstandard und unsere Beschäftigung. Das gilt für das ganze Feld, von den Quarzuhren und den neuen Medientechniken bis hin zur Umwelttechnologie oder der Technologie der Kohle, der Kernenergie oder der Sonnenenergie. Schließlich haben uns allen ja die beiden Ölschocks und das Verhängnis der allzu hohen Ohmportabhängigkeit Europas deutlich genug das Fell verbrannt.
    Ich will mich den institutionellen Vorschlägen zuwenden, die auf unseren Tischen liegen. Den Vertragsentwurf à la Luxemburg kennen wir zwar noch nicht genauer; er ist auch noch nicht fertig. Ein Dooge-Bericht lag aber vor, ein vollständiger europäischer Verfassungsentwurf des Straßburger Parlaments für eine Europäische Union liegt vor, viele Studien, Vorschläge, die Westeuropäische Union soll ausgebaut werden. Die „Welt" von gestern hat Sie zitiert, Herr Bundeskanzler; Sie sollen in Luxemburg gesagt haben: „So geht es nicht weiter." — Sie sollen auch gesagt haben: „Im Grunde sind wir völlig überfordert." — Sofern die beiden Zitate zutreffen und sofern sie auf den Wirrwarr all dieser Vorschläge gemünzt sind, kann ich ihnen meine Zustimmung nicht verhehlen. Es bleibt aber dann erstaunlich, daß der von CDU/CSU und FDP vorgelegte Entschließungsantrag das Ganze einen „Durchbruch" nennen will.

    (Mann [GRÜNE]: Das ist der Kohlsche Stil!)

    Für meine Person möchte ich Jean Monnet in Erinnerung rufen. In seinen „Lebenserinnerungen eines Europäers" lesen Sie, man solle „Breschen in die Mauern der nationalen Souveränitäten schlagen, die so begrenzt sind, daß sie Zustimmung erlangen können, gleichzeitig aber doch tief genug, um die Staaten zu der für den Frieden notwendigen Einheit zu bewegen".
    Für mich selbst hat diese Überzeugung seit dem Scheitern des Projekts einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vor mehr als dreißig Jahren immer gegolten. Ich bin deshalb in meiner Zustimmung zu umfassenden Entwürfen, die nicht bloß begrenzte Breschen schlagen sollen, sondern die ganz neue Grundmauern errichten wollen, zurückhaltend. Sie können in der Ratifikation genauso scheitern, wie die EVG Anfang der 50er Jahre im französischen Parlament gescheitert ist.
    Wenn die Regierungschefs heute in der EG gemeinsam das Veto abschaffen oder einschränken wollen, das seit 20 Jahren, seit der Politik des leeren Stuhls, de facto eingeführt ist, dann genügte es doch, wenn sie gemeinsam erklärten, sie wollten sich von nun an tatsächlich an den geltenden Text der Römischen Verträge halten.

    (Beifall bei der SPD)

    Notfalls könnten Sie dem geltenden Text eine gemeinsame Interpretation hinzufügen.
    Wenig aussichtsreich erscheinen dagegen Versuche, durch einen formalen Vertrag tatsächlich eine gemeinsame Außenpolitik zustande zu bringen, etwa auf dem Felde der Sicherheit, das der Bundeskanzler hier in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervorgehoben hat. Wie kann eine gemeinsame Sicherheitspolitik tatsächlich verfolgt werden, wenn Irland neutral ist; wenn Frankreich zwar der Allianz, nicht aber der NATO angehört; wenn zwar Frankreich und England Nuklearmächte sind, aber nur einer von beiden den Atomteststoppvertrag und nur einer von beiden den Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen unterschrieben hat; wenn wir anderen mittleren und kleineren Staaten in der EG den Nichtverbreitungsvertrag zwar natürlich ratifiziert
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13775
    Schmidt (Hamburg)

    haben und auch peinlich genau einhalten, aber leider seit 15 Jahren vergeblich darauf warten, daß auch die nuklearen Vertragspartner ihre Abrüstungsverpflichtungen aus Art. 6 endlich erfüllen;

    (Beifall bei der SPD)

    und wenn sich schließlich die nichtnuklearen Staaten in der EG in zwei unterschiedliche Interessengruppen aufteilen, in solche, die keine fremden Atomwaffen auf ihrem Boden dulden wollen, und solche wie Italien, Deutschland, Belgien und Holland, die dies nach schwierigen inneren Auseinandersetzungen gestatten?
    Aus all diesen — auch völkerrechtlichen — Unterschieden im Sicherheitsstatus und außerdem aus unterschiedlichen geographischen Lagen ergeben sich sehr verschiedene Interessen, z. B. gegenüber den meisten Abrüstungsproblemen. Wir Deutschen haben ein dringliches, ein vordringliches Interesse am Erfolg der Verhandlungen über atomare Mittelstreckenwaffen, die jüngst von Gorbatschow und Reagan wieder in den Mittelpunkt gerückt worden sind, über eurostrategische Waffen, die auf uns gerichtet sind. Für die Portugiesen dagegen kann dies nur eine von vielen anderen, für sie gleichrangigen Fragen sein. Für London hat die „special relationship" zu Amerika jedenfalls bisher vor vielen europäischen Interessen Vorrang. Für die gleichfalls mit Washington verbündeten Franzosen sieht das erheblich anders aus, siehe die völlig unterschiedlichen Haltungen in London und in Paris gegenüber SDI.
    Was nützt aber nun in solcher Situation eine vertragliche Festlegung, bei allen zukünftig vorkommenden sicherheitspolitischen Fragen einer Meinung sein zu wollen? Welcher Meinung denn? Oder wird vielleicht die sehr interessante, aber in Amerika wie in Europa sehr umstrittene Idee des amerikanischen Präsidenten, mit Hilfe von SDI die Strategie des Bündnisses völlig umzuwälzen, von dem neuen Vertrag ausgenommen?
    Meine Herren,

    (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Was ist denn mit den Damen?)

    durchaus ohne Vertrag über die gemeinsame Außenpolitik haben die europäischen Regierungschefs und Außenminister häufig genug auf vielen wichtigen außenpolitischen Feldern gemeinsam agiert, z. B. in der Mittelostpolitik, z. B. einige Jahre lang in der Namibiapolitik, z. B. in der Abwehr des amerikanischen Röhrenembargos. Am erfolgreichsten haben sie — ohne jede Vertragsgrundlage — bei der Konzipierung der Harmel-Doktrin 1967 kooperiert, vor allem bei ihrer tatsächlichen Anwendung und Befolgung.

    (Beifall bei der SPD)

    Das reichte doch vom Nichtverbreitungsvertrag, von SALT I und ABM über die deutschen Ostverträge und das Viermächteabkommen über Berlin bis hin nach Helsinki.
    Die Harmel-Doktrin der Atlantischen Allianz war eine sehr brauchbare Gesamtstrategie.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    Sie war präzise in ihrem doppelten Kern, aber doch allgemein genug, um von allen europäischen Bündnisstaaten und von den Amerikanern gemeinsam getragen werden zu können. Sie verzichtete darauf, die sich erst später entwickelnden Politiken der Verteidigung, der Rüstungsbegrenzung oder der vertraglichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion im Vorwege im Detail oder geradezu in Paragraphen zu regeln. Das ganze Dokument war der Form nach ein bloßer Ratsbeschluß; es war, wenn ich mich recht erinnere, nicht länger als zweieinhalb Druckseiten.
    Jener nach dem damaligen Vorsitzenden des Rates — es war der Belgier Pierre Harmel — genannte Beschluß hatte zwei Voraussetzungen. Er setzte erstens den Druck der sowjetischen Weltmacht auf Europa voraus, und er setzte zweitens, daraus resultierend, die fortdauernde Notwendigkeit des Bündnisses der Europäer mit der anderen Weltmacht, mit den USA, voraus. Beide Voraussetzungen bestehen heute noch genauso, wie sie 1967 bestanden haben.
    Der Kern der Doktrin bestand aus zwei Punkten. Erstens: Die Allianzpartner verpflichteten sich selbst zu erheblichen gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen, um durch tatsächliche Verteidigungsfähigkeit abzuschrecken. Zweitens: Auf der Basis der so hergestellten Sicherheit boten sie der Sowjetunion Zusammenarbeit an, vornehmlich auf dem Felde der Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, aber auch auf wirtschaftlichem Felde usw. Wenn Sie so wollen, war das eine Doppelstrategie im wahren Sinne dieses heute inflatorisch mißbrauchten Wortes.
    Diese außenpolitische gemeinsame Strategie Europas und der Amerikaner ist ein Jahrzehnt lang sehr erfolgreich gewesen. Sie wurde von der Sowjetunion akzeptiert. Sie hat nicht nur den Einmarsch in die Tschechoslowakei überstanden, sondern auch den Vietnam-Krieg, an dem beide Weltmächte beteiligt waren. Dann ist sie in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zerbröckelt. Auf beiden Seiten wurden Fehler gemacht. Der größte Fehler war die SS-20-Rüstung, dann der Einmarsch in Afghanistan, so daß Präsident Carter danach öffentlich gesagt hat, jetzt erst erkenne er den wirklichen Charakter der Sowjetunion. Das ehrte ihn zwar seiner Ehrlichkeit wegen. Wir Europäer hingegen hatten solche Aha-Erlebnisse nicht; denn wir hatten ja keine Illusionen gehabt. Aber in den Vereinigten Staaten wurde nun jede tatsächliche oder auch jede angebliche Illusion über sowjetische Politik ins krasse Gegenteil verkehrt. SALT II wurde nicht mehr ratifiziert, und bis zum „evil empire" war es dann nach dem Präsidentenwechsel nicht mehr weit. Der Abschuß des koreanischen Verkehrsflugzeuges hat zu alledem erheblich beigetragen.
    Die Harmel-Epoche, meine Damen und Herren, war möglich gewesen, weil die Europäer außenpolitisch zusammengearbeitet haben. Sie ging kaputt
    13776 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
    Schmidt (Hamburg)

    von dem Zeitpunkt an, wo die Zusammenarbeit zwischen Europäern und Amerikanern zerbröckelte. Der europäische Einfluß auf die Gesamtstrategie Washingtons ist ab 1977 zunächst langsam und dann schrittweise zerbröckelt, gemeinsam mit der Harmel-Doktrin. Sie war eine Gleichgewichtsdoktrin — das ist europäisches Interesse —, sie war keine Überlegenheitsstrategie. Sie kennzeichnet darum in Sachen Friedenssicherung die bei weitem erfolgreichste Phase der Nachkriegszeit. Aber das kann doch, Herr Bundeskanzler, jetzt nicht durch einen rein formalen, von der Substanz her inhaltslosen außenpolitischen Kooperationsvertrag der Europäer untereinander wiederhergestellt werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn ohne den Willen Amerikas geht es schon gar nicht.
    Es gibt gegenwärtig keine gemeinsame Gesamtstrategie des Bündnisses. Statt eines, wie ich glaube, substanzlosen, wenn auch wahrscheinlich unschädlichen außenpolitischen Kooperationsvertrages, schiene es mir wichtiger, wenn die europäischen Regierungen untereinander die langfristige Interessenlage ihrer Staaten im Verhältnis zur Sowjetunion, auch zu den USA, auch untereinander, erneut in die Tiefe gehend analysierten. Sie würden dann wahrscheinlich erneut auf die alte Erkenntnis stoßen, die der geschichtserfahrene Winston Churchill damals 1946 in Zürich ausgesprochen hat. Die europäische Familie, so sagte er, braucht ein Zusammengehen von Frankreich und Deutschland. Monnet und Schuman, später de Gaulle und Adenauer und später wieder andere in Paris und Bonn haben das verstanden. Sie haben nach diesem Verständnis praktisch zu handeln versucht. Dabei sind — Sie haben recht, Herr Bundeskanzler — große Fortschritte erreicht worden. Vor allem anderen nenne ich die freundschaftliche Gesinnung der Franzosen und der Deutschen gegenüber einander.

    (Beifall bei der SPD)

    Natürlich sind manchmal auch Fehler gemacht worden, jedenfalls sind Erschwernisse eingetreten. Die prononcierte Wiederaufnahme der autonomen nuklearen Verteidigungskonzeption de Gaulles „à tous azimuts", gegen alle Himmelsrichtungen, durch den gegenwärtigen Präsidenten in Paris hat das deutsche Dilemma wiederaufleben lassen. Unsere gegenwärtige Bundesregierung und wir alle leiden daran. Ich meine jenes Dilemma, das uns Deutschen der große Präsident de Gaulle heute vor 20 Jahren durch seinen Auszug aus der NATO beschert hat.
    Dieses Dilemma besteht darin, geschichtlich und politisch und psychologisch vornehmlich auf die Legitimation durch den französischen Partner angewiesen zu sein und doch zugleich, in Sachen unserer eigenen Sicherheit auf Frankreichs Hilfe nur eingeschränkt rechnen dürfend, militärisch und bündnispolitisch vornehmlich auf den amerikanischen Partner angewiesen zu sein — und dies beides bei ganz erheblicher Divergenz der Politik und der Strategie des französischen und des amerikanischen Partners.
    Als dieses Dilemma vor zwei Jahrzehnten zum ersten Mal — eigentlich schon während der Verhandlungen zum Elysée-Vertrag und über MLF — auftauchte, gab es bei den beiden großen Parteien hier in diesem Hause durchaus verschiedenartige Tendenzen in der Beurteilung, wie man sich verhalten solle. Ich erinnere mich, daß Baron Guttenberg und Franz Josef Strauß und Kurt Georg Kiesinger entsprechend ein gaullistisches Epitheton ornans angehängt bekommen haben. Gerhard Schröder, Fritz Erler, Herbert Wehner, auch Willy Brandt oder mich, uns nannte man „Atlantiker". Diese Beinamen waren allerdings schwere Übertreibungen. Aber das zugrundeliegende Dilemma war real. Das Dilemma steht heute leider wieder stärker im Vordergrund als zur Zeit von Giscard d'Estaing oder von Pompidou.
    Die Ursachen für das Hervortreten dieses Dilemmas liegen nur zum Teil in Paris. Sie liegen zum Teil in Bonn, zum Teil in Washington. Vor ein paar Tagen hat Jean François-Poncet im „Figaro" geschrieben — ich zitiere wörtlich —:
    Regelmäßige Treffen, Höflichkeiten und Dementis ändern nichts an der Tatsache, daß die deutsch-französischen Beziehungen nicht mehr das sind, was sie einmal waren.
    Zum Beleg führte er dann sieben wichtige Meinungsverschiedenheiten an: SDI, neue GATT-Runde, europäisches Kampfflugzeug, Raumstation Columbus statt Hermes, die Aufschiebung einer Entscheidung über den Beobachtungssatelliten, die zögerliche Behandlung von EUREKA und natürlich das Kiechlesche Veto. Hier kennen eine ganze Menge von uns François-Poncet als einen nüchternen Mann. Ich will mir — trotz seiner Nüchternheit — seine Schlußfolgerung nicht zu eigen machen. In ihr ist von einer „tiefgreifenden Verschlechterung" die Rede.
    Ich weiß auch, daß bei Verstimmungen zwischen Menschen oder Regierungen oder den öffentlichen oder veröffentlichten Meinungen von Völkern meist auf beiden Seiten Fehler gemacht worden sind. Deshalb sollte man sowohl im Elysée als auch im Kanzleramt prüfen, ob Fehler vorliegen und wie sie für die Zukunft vermieden werden können. Weder liegt es in Frankreichs Interesse, uns Deutsche in alternative oder polarisierende Entscheidungssituationen zu drängen oder drängen zu lassen, noch dürfen wir selbst uns in polarisierende Entscheidungssituationen hineinbegeben.
    Beide Chefs müssen wissen, daß das Ausbleiben einer eindeutig kooperativen sicherheitspolitischen Entscheidung Frankreichs die Sache heute stärker erschwert als zur Zeit der Harmel-Strategie in den 70er Jahren.
    Die Zeit für eine neue, den europäischen Interessen dienliche Gesamtstrategie unseres westlichen Bündnisses ist trotz des Genfer Gipfels, der ein erster Schritt auf einem viele Meilen langen Wege gewesen ist, zwischen den Regierungen des Westens offenbar noch nicht reif. Aber Europa wird in diesem Bündnis und in der Welt nur dann wieder ein Gewicht in die Waagschale legen können, wenn
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13777
    Schmidt (Hamburg)

    dies gemeinsam und im engen Einvernehmen zwischen Deutschen und Franzosen geschieht.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Am Montag dieser Woche hat mein Freund Giscard d'Estaing hier vor dem DIHT in Bonn gesprochen und gesagt:
    Dort, wo Deutschland und Frankreich einig sind, kommt Europa voran.
    Dort, wo Deutschland und Frankreich sich trennen, tritt Europa auf der Stelle.
    Beides trifft den Kern.

    (Beifall bei der SPD)

    Und wenn ich einen bescheidenen persönlichen Rat hinzufügen darf: So wie Präsident Mitterrand selbstverständlich und selbstverständlich taktvoll Kontakt pflegt und Kontakt pflegen läßt zu führenden Personen der Opposition in Bonn, so sollte die deutsche Seite Kontakt pflegen in Paris, nicht nur zu Herrn Fabius, sondern auch zu den Herren Chirac, Chaban-Delmas, Giscard, Raymond Barre, natürlich auch zu Rocard. Persönliche Freundschaften, meine Damen und Herren, zwischen den Staatslenkern Frankreichs und Deutschlands sind ein Geschenk. Die kann man nicht durch Beschluß kreieren. Aber freundschaftliche Kontakte und Verständigung zwischen den wichtigen Personen der politischen Klasse in beiden Ländern, die hingegen können durchaus erarbeitet werden —

    (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Hat sich jemand bei Ihnen beschwert?)

    damit es bei abermaligen Regierungswechseln nicht noch mal so hergehen muß wie Montag und Dienstag in Luxemburg, etwa nach dem Diktum Rossinis über Wagners Lohengrin: „Sehr schöne Momente, aber böse Viertelstunden".

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Ich möchte auf zwei Personen hinweisen, die außerhalb der Regierungen stehen, zwei Staatsmänner, konzeptionsstark und urteilskräftig, deren ausgleichenden Ratschlag man sowohl in Paris als auch in Bonn als auch anderswo in Europas Hauptstädten hören sollte. Ich meine den englischen Konservativen Lord Carrington, und ich meine den französischen Sozialdemokraten Jacques Delors. Das sind beides gestandene, ausgewiesene Männer. Es würde mir sehr schwerfallen, ihren Rat auszuschlagen.
    Warum läßt man sie nicht agieren, z. B. im Vorfelde des Genfer Gipfels? Etwa jener New Yorker Nachmittag, der ominöserweise mit dem französischen Präsidenten nicht abgestimmt war und zu dem er deshalb nicht erschien, der konnte doch wohl einen deutlichen europäischen Einfluß nicht ersetzen, der vor Genf lange Zeit völlig gefehlt hatte.

    (Beifall bei der SPD)

    Oder z. B. im Vorfeld der Euro-Gipfel von Mailand
    oder Luxemburg. Nur dann, Herr Bundeskanzler,
    sollen die Staatslenker persönlich die Details regeln, wenn Kommissionspräsident und Minister das wirklich nicht können. — Aber das letztere ist doch gar nicht der Fall.
    Warum läßt man z. B. Delors nicht einen Marshall-Plan oder einen Reagan-Plan für Zentralamerika ausarbeiten und qua EG der amerikanischen und der japanischen Regierung ein Angebot machen, das so lauten könnte: Costa Rica und El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, die Staaten der zentralamerikanischen Landbrücke haben zusammen ein Bruttosozialprodukt von ganzen 30 Milliarden Dollar. Das ist ungefähr 1 % des amerikanischen oder des europäischen Sozialprodukts. Wir schlagen euch in Washington und in Tokio vor, das Sozialprodukt pro Kopf in Zentralamerika, sagen wir, in sieben Jahren zu verdoppeln. — Natürlich könnten wir uns das leisten. Es würde jeden von uns weniger als ein Zehntel Prozent unseres jährlichen Sozialprodukts kosten. Aber natürlich würde damit endlich eine wirtschaftliche und soziale Grundlage geschaffen, auf der dann Contadora und Vernunft sich durchsetzen könnten gegen ziellose Revolutionäre und Contras und Diktaturen.

    (Beifall bei der SPD)

    Und natürlich wäre das ein positiver Beitrag europäischer Außenpolitik zur Entgiftung der Welt.
    Oder ein anderes Beispiel: Warum läßt man Delors nicht die Initiative von Jim Baker in Seoul aufgreifen. Da hat zum erstenmal ein Amerikaner in die richtige Richtung gedacht, zum erstenmal Washington die Schuldenkrise als langfristige Aufgabe, als politische Aufgabe verstanden und ernst genommen. Jetzt müssen wir Europäer das Problem endlich auch als langfristiges Problem verstehen, sowohl als finanzökonomisches, vor allem aber als weltpolitisches Problem. Warum liefern wir nicht die bei Jim Baker noch fehlenden wesentlichen Elemente?
    Das sind zwei Beispiele für Ansatzpunkte zum konkreten Handeln hier und heute. Der außenpolitische Kooperationsvertrag des Europäischen Rats kommt erst in Jahren, und der wird ganz gewiß weder für Seoul noch für Zentralamerika Rezepte liefern.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Schluß sagen: Wir Sozialdemokraten, und so auch ich, sind des deutschen Schicksals in der Zukunft unserer Nation wegen immer überzeugte Europäer gewesen, immer Freunde Amerikas,

    (Feilcke [CDU/CSU]: Haha!)

    immer auch — auf der Basis der eigenen Sicherheit — überzeugte Verfechter der Verständigung mit unserem mächtigen Nachbarn Sowjetunion.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn heute, wie wohl meistens, meine Ausführungen zu Europa nicht so euphorisch geklungen haben, so bedenken Sie bitte, daß sich bei uns lebenslanger Idealismus mit nüchterner, pragmatischer, realistischer Vorstellung von dem, was heute machbar ist, verbindet. Ich selbst habe in der Politik Optimismus immer für fast ebenso gefährlich gehalten wie Pessimismus; und tatsächlich, die Pro-
    13778 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
    Schmidt (Hamburg)

    gnosen der Optimisten und die Prognosen der Pessimisten erweisen sich im Durchschnitt der politischen Lebenserfahrung in gleichem Maße als fehlerhaft und irreführend,

    (Feilcke [CDU/CSU]: Per Saldo hilft Optimismus!)

    so bei der Wettervorhersage, so bei der Konjunkturprognose, so auch bei der Vorhersage von epochemachenden Wirkungen des Luxemburger Gipfels. Aber ich gebe durchaus zu: Im Durchschnitt leben die Optimisten glücklicher als die Pessimisten.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

    Manchmal sind Sie, Herr Bundeskanzler, allein Ihres Optimismus wegen glücklich.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Der Vogel ist unglücklich!)

    Ich denke dabei ganz besonders an die Schlußpassage Ihrer Erklärung vorhin. Aber lassen Sie uns bitte dabei die Wirklichkeit nicht schöner malen, als sie ist. In der Wirklichkeit ist in all den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft eine gewisse Europamüdigkeit eingetreten; ein Effekt von zu vielen euphorischen Reden und Ankündigungen und zu vielen nachfolgenden Enttäuschungen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Lassen Sie uns seltener große Ziele ankündigen, aber dafür häufiger, nein, immer das konkrete Machbare tatsächlich tun.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Auch wenn das Tun dann begrenzt bleibt, bringt es uns in seiner Summierung doch weitaus besser voran als verpuffende Euphorie.
    Sie haben, Herr Bundeskanzler, am Schluß vom gemeinsamen europäischen Ziel der Demokraten gesprochen. Ich habe gemeint, daß sich das auch an uns richtet. Das war gut. Ich füge hinzu: Der Urgrund des westeuropäischen Zusammenschlusses liegt in der Vorgeschichte des letzten Weltkrieges, an den Sie erinnert haben. Er liegt auch in der präsenten Nähe des mächtigen kommunistischen Nachbarn. Er liegt im Willen, zu verhindern, daß sich je die Schrecken der Vergangenheit wiederholen. Er liegt auch im Willen zur Selbstbehauptung der Völker Europas. Ich stimme Ihnen zu: aller Völker Europas. Sie haben die im Osten ausdrücklich namentlich genannt, und auch ich schließe sie ein. Er liegt auch im Willen zur Selbstbehauptung aller Völker Europas gegenüber der immer noch steigenden militärischen und wirtschaftlichen und insgesamt politischen Macht der beiden Weltmächte.
    Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, daß wir gelassene und respektierte Nachbarn der einen Weltmacht, Sowjetunion, bleiben und daß wir gegenüber der anderen Weltmacht, Amerika, Freunde, Verbündete, Weggenossen, Partner bleiben, daß wir Europäer aber nie auf den Status von Klienten, von Schutzbefohlenen absinken, sondern daß wir Partner bleiben!
    Herzlichen Dank.

    (Lang anhaltender Beifall bei der SPD)