Rede von
Ludwig
Stiegler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende des Unterausschusses hat
13736 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Stiegler
dankenswerterweise den Beratungsgang sehr gründlich geschildert. Ich möchte mich jetzt aus unserer Sicht mit einigen politischen Bewertungen des ganzen Vorgangs anschließen.
Das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Richtlinien ist denkbar gering. Das Interesse der Fachöffentlichkeit ist denkbar groß. Diese Vierte, Siebte und Achte Richtlinie, das ist nicht bloß technischer Kram für Fachidioten, das ist auch nicht bloße Europalyrik oder Europaepik. Der Name BiRiLiG könnte zu irgendwelchen romantischen Vorstellungen verleiten. Das ist weit gefehlt. Mit diesem Bilanzrichtlinie-Gesetz werden 39 Gesetze geändert, davon acht wesentlich, ein Gesetz und fünf Verordnungen werden aufgehoben. Das ist ein gewaltiger Umbau unseres gesamten Wirtschaftsrechts, der auch hier im Plenum mehr Interesse verdient hätte.
Wir errichten mit diesem Gesetz einen Zentralbau unserer Wirtschaftsrechtsordnung neu. Wir regeln die Buchführung, die Bilanzierung und die Offenlegung des Jahresabschlusses von der Tante Emma bis zum Multi, vom kaufmännischen Lehrling bis zum Konzernvorstand. Das ist ein ganz wichtiger Rahmen für das wirtschaftliche Handeln, ein ganz wichtiger Rahmen für die Arbeitnehmer, für die Gesellschafter, für die Gläubiger und nicht zuletzt — ich erinnere an den Fiskus — auch für den Staat. Denn die Bilanzvorschriften haben wesentlichen Einfluß darauf, welcher Gewinn ausgewiesen und wie er entsprechend besteuert wird.
Meine Damen und Herren, dieses Bilanzrichtlinie-Gesetz ist ein ganz bedeutender Schritt zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes in den Europäischen Gemeinschaften. Wir werden heute nachmittag eine Europadebatte mit Höhenflügen erleben. Hier wird praktische Europapolitik gemacht. Der Blick auf das Schicksal und den Werdegang des Bilanzrichtlinie-Gesetzes und der entsprechenden Richtlinien zeigt, wie langwierig es in Europa ist, von ersten Vorstellungen — sie gehen bis in die 70er Jahre zurück — zur Umsetzung in nationales Recht zu kommen. Aber es zeigt sich wieder einmal: Der Fortschritt ist zwar eine Schnecke, aber er kommt im Laufe der Distanzen doch beachtliche Strecken voran. Einem, der wie der Herr Ministerialrat Biener dies vom ersten Tag begleitet und durchlitten hat, ist hier ein besonderer Dank für diesen Beitrag zur Einigung Europas zu leisten.
Die Anfangsliebe zu diesem Gesetz war nicht groß. Das kann nicht bestritten werden. Vor allem die Verzögerungen bei der Vierten Richtlinie belegen das. Hier hat erst ein Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof etwas Adrenalin bei uns allen ausschütten müssen, vor allem bei der Mehrheit, sowohl bei der neuen als auch bei der alten — damit hier keine Mißverständnisse aufkommen; Sie brauchen sich überhaupt nicht aufzuregen. Wir sind gerecht bis in die Knochen bei der Bewertung dieser Dinge. Unter dem Druck dieser Klage ist es dann doch zu einer planmäßigen Umsetzung vor allem der Siebten und der Achten Richtlinie gekommen. Bei der Vierten können wir sagen: Spät kommt ihr, doch ihr kommt über mit dieser Richtlinie und mit diesem Gesetzeswerk.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat an der Umsetzung dieser Richtlinien konstruktiv mitgearbeitet. Es handelt sich um ein sozialliberales Erbe, wobei die Liberalen die Vaterschaft nicht unbedingt gerne bekennen. Ihre Liebe hielt sich da in Grenzen, aber immerhin, es ist eine gemeinsame Leistung. Sie geht, was die Vierte Richtlinie betrifft, auf die Justizminister Vogel und Schmude zurück. Für uns Sozialdemokraten ist es ein Stück Europapolitik, daß wir hier zu einer einheitlichen Rechtsordnung kommen. Wir haben also von vornherein konstruktiv mitgearbeitet, um wohlwollend diesen Schritt zur Verbesserung der Rahmenbedingungen im Gemeinsamen Markt voranzubringen.
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Lassen Sie mich aber die Gelegenheit nutzen, auf eines hinzuweisen: Das Parlament begibt sich bei diesen Richtlinienverfahren häufig entscheidender Mitwirkungsrechte. Wir alle haben uns oft darüber aufgeregt, daß wir nicht mehr entscheiden, sondern nur noch umsetzen konnten. Ich sage Ihnen: Solange wir nicht ein Verfahren finden, mit dem europäische Richtlinien entweder voll der parlamentarischen Kontrolle des Europaparlaments überantwortet werden oder, solange das nicht der Fall ist, bei uns Unterausschüsse das Richtlinienverfahren begleiten, wird es uns so gehen, wie es einmal ein polnischer Schriftsteller mit dem Aphorismus gesagt hat, der lautet: Ich bin für Freiheit und für Rechte; ich frage immer den Fisch noch vor Tisch, wie er gebraten werden möchte. So geht es uns dann bei der Umsetzung solcher Richtlinien: Wir haben keine echte Wahlfreiheit mehr, sondern können hier nur noch formale Dinge regeln.
Ich schlage vor, daß wir uns wirklich überlegen, ob wir nicht die Europavorlagen im Rechtsausschuß einem ständigen Unterausschuß überantworten, damit wir die Beamten, die ja gutwillig sind und uns informieren wollen — die Regierung tut das ja auch —, sozusagen mit der Wahrnehmung der Meinungen des nationalen Parlaments beauftragen können, so daß diese Richtlinien eben nicht unabhängig von dem verabschiedet werden, was hier im Bundestag gedacht wird. Hinterher müssen wir sie nämlich umsetzen, und ich bin sehr dafür, daß wir die Beratungen bei den weiteren Richtlinien, die ja in Arbeit sind, begleiten, um uns insoweit unsere Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu erhalten.
— Mit der gleichen Besetzung wie dieser Unterausschuß? Sie wollen sich Herrn Schily erhalten?
— Herzlichen Glückwunsch!
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985 13737
Stiegler
Meine Damen und Herren, die Regierungsentwürfe sind wesentlich verändert worden. Wesentliche Veränderungen im Aufbau und in der Konstruktion, zu der wir uns mit bekennen, haben wir gemeinsam auf der Kleinertschen Terrasse entwikkelt.
Dort haben wir in einem vernünftigen Ambiente die Struktur neu geschaffen.
— Kein Neid, Herr Mann, kein Neid! Sie waren damals noch nicht dabei, aber wir hätten Sie nicht ausgebissen, und es hat sogar Grün auf den Balkon hereingeragt. Also kein Neid!
Wir haben also die Veränderungen im Aufbau und in der Konstruktion mit entwickelt, und wir tragen sie mit. Die Veränderungen im Inhalt der Gesetze tragen wir nur teilweise mit. Hier war uns der Regierungsentwurf, der sozusagen noch sozialliberales Erbe enthielt, lieber als das, was jetzt „hineingewendet" worden ist. Das tragen wir nur teilweise mit,
vieles davon sicher auch, aber darauf komme ich im einzelnen noch zu sprechen. Wir tragen also mit und tragen schwer an dieser Verantwortung.
Politisch gilt das insbesondere für die Entscheidung der Koalition, nur das Mindestmaß zu übertragen, also das sogenannte deutsche Übersoll, wie die Wirtschaft es nannte, abzubauen, das in beiden alten Regierungsentwürfen enthalten war. Wir hätten es gerne gesehen, wenn der bewährte Standard etwa des deutschen Aktienrechts erhalten geblieben wäre, wenn also nicht die Gelegenheit genutzt worden wäre, das Aktienrecht abzuschleifen und hier die Vorschriften über die Aufstellung und vor allem über die Publizität etwas zu verwässern; auch darauf komme ich noch im einzelnen zurück.
Wir hätten gern, und zwar nicht nur als Sozialdemokraten, sondern in gleicher Weise unterstützt von großen Teilen der Wissenschaft und natürlich von den Gewerkschaften, in der Konsequenz des alten Regierungsentwurfes eine umfassende Regelung geschaffen und nicht Probleme mit der Ungleichbehandlung geschaffen. Wir haben jetzt in dem neuen Rechnungslegungsbereich eine Ungleichbehandlung. Hier kann es passieren, daß große Personalgesellschaften die Rechnungslegungsvorschriften eines Tante-Emma-Ladens haben, während kleine Kapitalgesellschaften mit bis zu 50 Arbeitnehmern den erschwerten Bedingungen unterworfen sind. Dieses halten wir insgesamt so nicht für richtig. Im Detail komme ich darauf noch zurück.
Meine Damen und Herren, mit dem Bilanzrichtlinie-Gesetz ist ein deutsches Rechnungslegungsgesetz entstanden. Die Diskussion in den 70er Jahren hat sich darum gedreht, die Wirtschaft wollte damals kein Rechnungslegungsgesetz aus Gründen der allgemeinen Unternehmensstrategie. Die alten Regierungsentwürfe hatten es auch noch nicht vorgesehen, sondern hatten es noch sehr zersplittert. Wir haben die zersplitterten Teile zu einer Einheit zusammengeführt und haben jetzt ein deutsches Rechnungslegungsgesetz. Das ist zwar noch rechts-formabhängig, aber es ist leicht praktisch mit ein paar Federstrichen rechtsformunabhängig zu machen, wenn ein paar Trennwände, ein paar Zäune herausgenommen werden, auf die Herr Helmrich großen Wert legt, wenn ein paar Brandmauern aus dem Gebäude herausgerissen werden. Dann hätten wir ein einheitliches deutsches Rechnungslegungsgesetz. Das ist ein Fernziel, das wir als Sozialdemokraten hier haben.
Gleichwohl, auch wenn sozusagen das Glas nur halbvoll oder halbleer ist, je nachdem, wie man es betrachtet, hat dieses neue Gesetz den Vorzug — bei uns halbleer, bei Herrn Helmrich halbvoll, aber man sieht immer, keiner hat die ganze Wahrheit, nur die beiden Aspekte ergeben die ganze Wahrheit —, es ist übersichtlich und einheitlich im Aufbau, die Vorschriften für alle Kaufleute, die Vorschriften für die Kapitalgesellschaften und dann eine stufenweise Steigerung der Anforderungen von den kleinen über die mittleren zu den großen. Konsequent ist das Gesetz, aber nur bei den Kapitalgesellschaften, nicht bei den Personalgesellschaften. Wir würden die Brandmauer zwischen den Personalgesellschaften und den Kapitalgesellschaften nicht eingezogen haben, sondern wir würden allgemein die Anforderungen für kleine, mittlere und große Unternehmen gesteigert haben. Die Unterscheidung zwischen Kapitalgesellschaft und Nichtkapitalgesellschaft gibt in der Wirklichkeit nichts her. Sie ist auch fließend. Deshalb würden wir eine andere Aufbaualternative gewählt haben.
Wir würden bei den Erleichterungen für die Aufstellung des Jahresabschlusses sehr scharf gebremst haben, weil wir der Meinung sind, daß hier auch im Interesse der Unternehmen die Bilanzierung sehr umfassend und sorgfältig sein sollte. Wir hätten die Erleichterungen aber, wie schon in der ersten Lesung betont, bei der Offenlegung großzügig gewährt, weil auch wir ein Schutzbedürfnis kleiner und mittlerer Unternehmen sehen und dieses mit verwirklichen wollen. Die Koalition hat sich für den anderen Weg entschieden. Die Koalition kann sich formal, das gebe ich zu, darauf berufen, daß die Vierte Richtlinie von ihr nichts anderes verlangt. Das muß man fairerweise zugeben. Aber wir meinen, hier war der Regierungsentwurf besser. Hier ist eine gewisse Chance vertan worden, ein dauerhaftes Gesetz zu machen. Denn eines muß der Wirtschaft klar sein, wir werden, wenn wir eine Mehrheit haben, dieses sofort wieder ändern. Eigentlich sollte man j a im Handelsgesetzbuch bei diesen Rahmenbedingungen nicht immer allzuviel mit Veränderungen arbeiten, sondern sollte dauerhafte Rahmenbedingungen schaffen.
13738 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 181. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1985
Stiegler
— Das hat das Volk in der Hand und ist nicht Ihr Wunschdenken; das ist die Sache. Da hat sich schon mancher gebrannt und getäuscht. Denn erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt.
— Selbstverständlich.