Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir beginnen mit der Fragestunde. Ich rufe daher Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksachen 10/2712, 10/2727 —
Wir kommen zunächst zu den beiden Dringlichkeitsfragen des Abgeordneten Dr. Riedl betreffend den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Staatsminister Dr. Mertes zur Verfügung.
Ich rufe die erste Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl (CDU/CSU) auf:
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen dieser Woche bestätigen, denenzufolge Äthiopien mit Ägypten die Lieferung von „Vieh, Fleisch und anderen landwirtschaftlichen Produkten'' nach Ägypten vertraglich vereinbart hat?
Bitte schön, Herr Dr. Mertes.
Herr Präsident! Herr Kollege, das am 13. Januar 1985 in Addis Abeba unterzeichnete äthiopischägyptische Handelsabkommen bezieht sich nicht auf äthiopische Lieferungen von. Lebensmitteln an Ägypten, die für die Bekämpfung der Hungersnot dringend benötigt werden. Es regelt den Handelsaustausch beider Länder für das Jahr 1985.
Die äthiopische Regierung hat unserem Botschafter in Addis Abeba am 15. Januar- hierzu erläutert, daß der Export von — nun zitiere ich — „lebendem Vieh, Fleisch und anderen landwirtschaftlichen Produkten" vorgesehen ist, während Ägypten u. a. medizinische Geräte und Düngemittel liefert. Dabei ist bestätigt worden, daß es sich bei den „anderen landwirtschaftlichen Produkten" nicht um Getreide oder andere Grundnahrungsmittel handelt.
Nach äthiopischer Einschätzung hat die strukturelle Überbesetzung der Weideflächen mit Vieh seit Jahren zur Überweidung geführt und damit wesentlich zu der für die äthiopische Landwirtschaft und Ernährungslage verhängnisvollen Bodenerosion beigetragen. Die Tiere seien von der derzeitigen Dürrekatastrophe in gleichem Maße betroffen wie die Menschen, da es in den Hungergebieten keine Futtermöglichkeiten mehr gibt. Es sei daher sinnvoll, das Vieh für den Export zu nutzen, um auf diese Weise schnell lebenswichtige Güter wie medizinische Geräte und Düngemittel von Ägypten importieren zu können.
Der zur Katastrophenbekämpfung mögliche Beitrag durch Notschlachtungen von Tieren bleibe erheblich zurück hinter dem insoweit erzielbaren Nutzen der erwähnten importierten Produktionsmittel und medizinischen Hilfsgüter. Dieser bei allen sachkundigen westlichen Beobachtern und auch in der Mediendokumentation im wesentlichen unstreitige Sachverhalt bietet keine Grundlage, der äthiopischen Regierung die Absicht verantwortungslosen Handelns zu unterstellen.
In diesem Licht verdient die Feststellung der äthiopischen Regierung Verständnis, wonach es nicht angängig sei, daß Äthiopien im Hinblick auf seine Dürrekatastrophe nunmehr jedweden Handel einstelle. Die äthiopische Regierung müsse vielmehr versuchen, sich im Wege des Handelsaustauschs dringend benötigte Güter zu beschaffen und dafür andere Güter herzugeben, die sie eher entbehren könne.
Daher erwägt nach unserer Kenntnis auch keiner unserer westlichen Partner eine Intervention in dieser Sache.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatsminister, wenn Sie mir gestatten, daß ich dies alles trotzdem nicht begreife, möchte ich Ihnen die Frage stellen: Wie ist es dennoch möglich, daß Nahrungsmittel — sei es nun in Form von geschlachtetem oder ungeschlachtetem Fleisch oder seien es Zitrusfrüchte und vieles andere mehr — aus Äthiopien ausgeführt werden und nicht andere Wege gefunden werden können, um die Äthiopier in die Lage zu versetzen, die von ihnen zugegebenermaßen dringend benötigten Gerätschaften anderweitig zu besorgen? Ich erinnere dabei nur daran, daß allein die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1984 143 Millionen DM an Entwicklungshilfe für Äthiopien
Metadaten/Kopzeile:
8408 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985
Dr. Riedlzur Verfügung gestellt hat. Ich begreife dies alles nicht, Herr Staatsminister.Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte auf Ihr Nichtverstehen und auf Ihre Frage jetzt sachlich wie folgt antworten: Nach der unseres Erachtens zutreffenden Einschätzung kann Menschen, die am Verhungern sind, nicht mit Zitrus Früchten geholfen werden. Sie benötigen vielmehr hochwertige Getreide- und Milchprodukte. Zitrusfrüchte und Frischfleisch sind leicht verderblich, so daß sie angesichts der schlechten Infrastruktur im Landesinnern und fehlender Kühlkapazitäten den Hungernden fast überhaupt nicht zugute kommen könnten. Daher bestehen auch die Nahrungsmittellieferungen der Geberländer an Äthiopien im wesentlichen aus Getreide und nicht aus Zitrusfrüchten.Sie haben dann auch die Entwicklungshilfe angesprochen, die wir an Äthiopien geben. Ich benutze diese Fragestunde, d. h. Ihre Frage, gern, um ein Mißverständnis aufzuklären, das seinen Niederschlag heute auch in einer angesehenen deutschen Tageszeitung gefunden hat: Äthiopien bezieht seit Jahren keinerlei Entwicklungshilfe aus der Finanziellen Zusammenarbeit, aus der Technischen Zusammenarbeit eine sehr geringe Hilfe. Die Zahl von 143 Millionen DM bezieht sich ausschließlich auf die von der Bundesregierung direkt oder indirekt — d. h. über die EG -- geleistete humanitäre Sonderhilfe.Im wesentlichen handelt es sich bei unserer Hilfe um Nahrungsmittelhilfe sowie um einen Betrag von 22 Millionen DM aus der Technischen Zusammenarbeit, der ebenfalls ausschließlich im Bereich der Nothilfe, nämlich zur Instandsetzung des dringend erforderlichen Transportparks der äthiopischen Hilfsorganisation RRC eingesetzt wurde. Ich wiederhole also, daß es sich bei dem Betrag nicht um das handelt, was man unter Entwicklungshilfe versteht.Demgegenüber, Herr Kollege, ist der Sudan traditionelles Schwerpunktland unserer Entwicklungshilfe in Afrika. Es hat 1983/84 eine Zweijahreszusage von 170 Millionen DM aus der Finanziellen Zusammenarbeit und fast 50 Millionen DM aus der Technischen Zusammenarbeit, also insgesamt rund 220 Millionen DM, erhalten.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Addition aller Meldungen über Fehlverhalten der äthiopischen Regierung — ich nenne hier beispielhaft nur die Errichtung des Kongreßzentrums oder die Inempfangnahme von Waffenlieferungen aus dem Ostblock — bei unserer deutschen Bevölkerung angesichts ihrer außerordentlich großen Spendenfreudigkeit zu Irritationen führen muß und daß es auch die Aufgabe der Bundesregierung ist, im Hinblick auf die für nächste Woche — von mir und von uns allen so außerordentlich begrüßt — ins Leben gerufene Aktion der Hilfe für Afrika für diesen Bereich eine entsprechende Aufklärung zu geben, damit der Bürger draußen, der mit seinem Portemonnaie, mit seinen Ersparnissen hier echt helfen möchte, nicht allzusehr verunsichert wird?
Dr. Mertes, Staatsminister: Ich teile Ihre Auffassung über diese Notwendigkeit, unsere Bevölkerung angemessen aufzuklären. Deshalb hat die Bundesregierung bei der Entscheidung über den VN-Konferenzkomplex in Addis Abeba ja auch entsprechend klargestellt, daß wir derzeit dagegen sind.
Zusatzfrage des Abgeordneten Neumann.
Herr Staatsminister, teilen Sie auch meine Auffassung, daß weder der Anschein eines Fehlverhaltens noch das Fehlverhalten einer Regierung in den von Hunger bedrohten Ländern Afrikas von den Hungernden selbst zu verantworten ist und sie nicht darunter leiden dürfen?
Dr. Mertes, Staatsminister: Ja, Herr Kollege. Im übrigen ist der Anschein eines Fehlverhaltens fehl am Platze, und Fehlverhalten ist fehl am Platze — immer, nicht nur hier.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, kann ich das in Ihren Antworten zum Ausdruck gekommene Problembewußtsein so verstehen, daß Sie mich in Zukunft in meiner Gegnerschaft unterstützen werden, wenn die Bundesregierung beabsichtigt, Waffen an Staaten zu liefern, in denen noch Menschen verhungern, wie das z. B. in Indien, Peru, Ecuador, Kolumbien und in afrikanischen Staaten der Fall ist?
Dr. Mertes, Staatsminister: Diese generelle und pauschale Zusage kann ich in der von Ihnen gewünschten Form nicht geben. Jeder Einzelfall eines etwaigen Waffenverkaufs wird auch unter den Gesichtspunkten, die Sie genannt haben, mit pflichtbewußter Sorgfalt gehandhabt.
Ich rufe die zweite Dringlichkeitsfrage des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung für den Fall, daß diese Meldungen sich bestätigen, in Anbetracht der Hungerkatastrophe in Äthiopien auf die dortige Regierung einzuwirken mit dem Ziel, diese vertraglich vereinbarten Lieferungen an Ägypten im eigenen Land zur Linderung dieser Katastrophe zu verwenden?
Herr Staatsminister, bitte schön.
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Riedl, ich glaube, meine Antwort auf Ihre erste Frage enthält auch die Antwort auf Ihre zweite Dringlichkeitsfrage.
Sie haben trotzdem das Recht zu Zusatzfragen. Bitte schön, Herr Dr. Riedl.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985 8409
Schönen Dank, Herr Präsident.
Herr Staatsminister, da ja damit zu rechnen ist, daß die politische Führung in Äthiopien die Hilfsaktionen nicht über Nacht voll zum Tragen bringen wird, die wir alle in der Bundesrepublik und auch weltweit unterstützen und fördern, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, bis hin an die Grenzen der diplomatischen Zumutbarkeit der Beziehungen zwischen Deutschland und Äthiopien alles zu tun, um diese Regierung in bezug auf die von mir als unverantwortlich zu bezeichnenden Methoden darauf hinzuweisen, daß sie jedwede Glaubwürdigkeit in der Welt verliert und im Hinblick auf die Zukunft auch das Recht verliert, Entwicklungshilfe zu erhalten, wenn sie nicht endlich mithilft, diesen schreienden Hunger aus eigener Kraft zu beheben?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung wird sich unter Abwägung aller relevanter Gesichtspunkte so verhalten, daß den Ihrer Fragestellung zugrunde liegenden Gesichtspunkten angemessen Rechnung getragen wird.
Weitere Zusatzfrage von Dr. Riedl.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, das Parlament und die Öffentlichkeit regelmäßig und unverzüglich über Ihre laufenden Bemühungen zu unterrichten? Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, daß es für uns als Abgeordnete nicht sehr angenehm ist, auf der einen Seite sehr viele Steuergelder für Entwicklungshilfe zu genehmigen, andererseits von solchen Mißständen leider immer erst aus der Presse zu erfahren.
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, auch ich selbst vertrete als Bundestagsabgeordneter einen Wahlkreis. Deshalb weiß ich, welche Fragen von der Bevölkerung an uns, auch an mich, herangetragen werden. Sie können sicher sein, daß wir daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Neumann.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß bei der Zusammenarbeit mit der äthiopischen Regierung im Rahmen der humanitären Hilfe Mißstände bisher nicht aufgetreten sind und daß die Hilfe, sowohl der Bundesrepublik als auch der Hilfsorganisationen, nach der Kenntnis der Bundesregierung angekommen ist?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, das kann ich angesichts meines eigenen Wissensstandes in dieser pauschalen Form nicht bestätigen. Aber soweit ich sehe, ist es der Fall.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, diese Dringlichkeitsfragen nach den mißverständlichen Fragen des Kollegen Riedl so abzuschließen, daß deutlich wird, daß nach wie vor öffentliche Hilfe, aber auch private Hilfe für die Hungernden in Äthiopien notwendig und sinnvoll ist?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe den Eindruck, daß Ihr Anliegen nicht nur von mir, sondern auch vom Kollegen Riedl selbstverständlich voll geteilt wird.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Reetz.
Herr Staatsminister, warum tritt die EG nicht in die vertraglichen Vereinbarungen Äthiopiens mit Ägypten mit Lieferungen von Fleischprodukten oder aber mit Krediten für Medikamente usw. ein?
Dr. Mertes, Staatsminister: Weil es dafür keine Veranlassung gibt. Ich habe vorhin begründet, weshalb der Fleischexport von Äthiopien nach Ägypten der besonderen Ernährungsproblematik in Athiopien entspricht. Die Menschen in Äthiopien können zum Teil Produkte, die wir selbstverständlich als Nahrungsmittel ansehen, zur Zeit gar nicht genießen. Deshalb ist es z. B. viel wichtiger, daß sie Medikamente bekommen, um zur Nahrungsaufnahme in die Lage versetzt zu werden. Wir wissen, daß Fleisch im äthiopischen Klima sehr schnell verdirbt; mit ihm kann derzeit wirksam gar nicht geholfen werden. Deshalb halten wir diesen bilateralen Austausch für vertretbar.
Ich glaube im Namen des Hauses zu sprechen, wenn ich Ihnen, Herr Staatsminister, für die sachlichen und nüchternen Antworten auf Fragen zu einem problematischen Sachverhalt danke. Das muß und wird uns in der nächsten Woche bei dem vom Bundespräsidenten angekündigten Afrika-Tag helfen, zu einem guten Sammelergebnis für Afrika zu kommen, um den Hunger zu überwinden.
Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Frage 1 des Abgeordneten Stiegler brauche ich aber nicht aufzurufen, weil der Fragesteller um schriftliche Beantwortung seiner Frage gebeten hat. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Herr Grüner zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Dr. Jens auf:
Welche Initiativen will die Bundesregierung in der EG ergreifen, um Vorkehrungen zu treffen, daß sich ähnliche wirtschaftspolitische Vorkommnisse wie beim einseitigen Importstopp für Röhren durch die USA in Zukunft nicht wiederholen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, der einseitige Importstopp der USA für Stahlröhren aus der EG und die
Metadaten/Kopzeile:
8410 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985
Parl. Staatssekretär Grünerin der Folge drohenden handelspolitischen Auseinandersetzungen haben die Auffassung der Bundesregierung bestätigt, daß protektionistische Maßnahmen für alle Beteiligten mit hohen Risiken verbunden sind. Die Bundesregierung wird sich deshalb auf allen Ebenen — multilateral und bilateral, im GATT, gegenüber den USA und natürlich auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft — um eine verstärkte handelspolitische Disziplin und um mehr Abwehrbereitschaft gegenüber Protektionsforderungen bemühen. Hierzu gehören auch die Arbeiten in der neuen GATT-Verhandlungsrunde, die Durchführung von Handelsministertagungen und bilaterale Regierungsgespräche.Für die Gemeinschaft ist es wichtig, daß sie durch eine klare antiprotektionistische Linie und durch Einhaltung internationaler handelspolitischer Regeln und Vereinbarungen ein positives handelspolitisches Beispiel gibt, keine Vorwände für protektionistische Maßnahmen anderer Handelspartner liefert und bei dennoch unvermeidbaren handelspolitischen Auseinandersetzungen mit Handelspartnern eine unangreifbare handelspolitische Ausgangsposition hat. Die Bundesregierung wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um in der Gemeinschaft mit allen ihren Mitteln darauf hinzuwirken.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, auf wieviel Beschäftigung, gemessen in Tonnen Röhrenproduktion oder in Arbeitsplätzen, verzichtet die Bundesregierung 1985, wenn man zugrunde legt, daß die EG im vergangenen Jahr in den Vereinigten Staaten durch Röhrenlieferungen einen Marktanteil von etwa 14,6% erreicht hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist keine Möglichkeit gegeben, diese Frage zu beantworten. Auf jeden Fall ist ein Rückgang der Exporte nach den USA mit entsprechenden Auswirkungen zu erwarten. Wir haben die Hoffnung, daß für diese ausfallenden Exporte ein Ausgleich in anderen Ländern gefunden werden kann, aber dazu ist eine Aussage tatsächlich nicht möglich. Auch die unmittelbar Betroffenen haben die unterstellten Auswirkungen nicht etwa in eine Bezifferung von Arbeitsplätzen umgesetzt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, Bundeswirtschaftsminister Dr. Bangemann hat vor kurzem als Maßnahme gegen das Röhrenembargo der Vereinigten Staaten eine sogenannte Fettsteuer ins Gespräch gebracht. Das hätte zur Folge, daß wir zwar weniger Röhren nach Amerika liefern können, dafür aber die Margarineverbraucher höhere Preise zahlen müssen. Halten Sie dies für eine realistische Alternative?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundeswirtschaftsminister hat diese Fettsteuer nicht ins Gespräch gebracht, sondern hat bei der
Erwähnung der Fettsteuer ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Ausweitung der handelspolitischen Auseinandersetzung verhängnisvolle Folgen für alle Beteiligten haben müßte. Er hat als Beispiel die Folgen einer solchen Fettsteuer, für die es ja Anhänger gibt, ins Gespräch gebracht und in Erinnerung gerufen, um die katastrophalen Folgewirkungen, die eine solche Auseinandersetzung auch für unsere deutsche Wirtschaft hätte, ins Bewußtsein zu rücken.
Es ist also nicht etwa daran gedacht, die Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten durch eine Diskussion über Gegenmaßnahmen fortzusetzen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Urbaniak.
Herr Staatssekretär, der Bundeswirtschaftsminister hat hier in einer Debatte gesagt, man sei auf gutem Wege, bei dem Selbstbeschränkungsabkommen zu einem für die Bundesrepublik befriedigenden Ergebnis zu kommen. Wir stellen fest, daß das nicht der Fall ist. Können Sie mir sagen, welche regionalen beschäftigungspolitischen Auswirkungen die jetzige Einigung für die deutsche Stahlwirtschaft — insbesondere für die im Ruhrgebiet — hat, und können Sie den Verlust an Arbeitsplätzen wenn nicht quantifizieren, so doch zumindest zugeben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung sieht in der Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den USA eine unter den gegebenen Umständen tragbare Beilegung des Konflikts. In dieser Bewertung sieht sich die Bundesregierung dadurch bestärkt, daß die davon betroffenen deutschen Unternehmen dieser Art der Beilegung des Konflikts, wenn auch nur schweren Herzens, zugestimmt haben. Daher ist es, meine ich, nicht richtig, unter allen Umständen ein negatives Ergebnis in bezug auf die Arbeitsplätze hier zu einem Zeitpunkt zu konstatieren, wo die unmittelbar betroffenen Unternehmen und ihre Betriebsräte nicht in der Lage sind, eine solche Bezifferung vorzunehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Grüner, Sie sprachen vorhin in Ihrer ersten Antwort davon, daß die Gemeinschaft eine antiprotektionistische Linie verfolge und daß sie keine Vorwände für andere Partner geben wolle, in den Ruch des Protektionismus zu kommen. Ich frage Sie: Gilt das auch für den Handel mit Schwellenländern und Dritte-Welt-Ländern?Grüner, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich, Herr Kollege. Das ist eine grundsätzliche Haltung, wobei wir uns darüber im klaren sind, daß wir in der Gemeinschaft ein Partner sind und daß wir im Glashaus sitzen, allerdings auch nicht die Möglich-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985 8411
Parl. Staatssekretär Grünerkeit haben, so zu handeln, wie wir es vielleicht tun würden, wenn wir allein zu entscheiden hätten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, daß dieses Abkommen, soweit die Gemeinschaft es abgeschlossen hat, eine Konfliktbegrenzung sei. Meine Frage ist — „Konfliktbegrenzung" bezogen auf uns —: Was haben wir denn eingebracht? Was haben wir denn verloren? Wie viele Arbeitsplätze sind verlorengegangen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin darauf vorbereitet, bei der Antwort auf die nächste Frage des Herrn Kollegen Dr. Jens Ihre Frage zu beantworten. Ich wiederhole auf Ihre Frage nur: Es gibt keine Möglichkeiten, das jetzige Abkommen mit den USA in seinen Auswirkungen auf die deutsche Stahlindustrie und die deutsche Stahlröhrenindustrie mit Blick auf den Verlust von Arbeitsplätzen zu beziffern. Ich unterstreiche, daß wir hoffen, daß der absehbare Rückgang von Exporten von Stahlröhren in die USA durch Lieferungen in andere Länder ausgeglichen werden kann und daß ein Arbeitsplatzverlust für uns damit nicht verbunden sein wird, obwohl wir dafür selbstverständlich keine Sicherheit haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, wie werten Sie die Äußerungen aus den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft, die anläßlich der amerikanischen Maßnahmen laut geworden sind, daß das neue von der EG geschaffene handelspolitische Instrument eingesetzt werden müsse? Und wie wird sich die Bundesregierung verhalten, wenn auf einer der nächsten Tagungen der Europäischen Gemeinschaft die Anwendung des handelspolitischen Instruments gegenüber Amerika gefordert werden wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich meine, daß ein handelspolitisches Instrumentarium angesichts des umfangreichen Instrumentariums, das vielen unserer Handelspartner, auch den USA, zur Verfügung steht, im Prinzip einen Sinn haben kann. Aber ich unterstreiche, daß die Bundesregierung nur in der Abwehr protektionistischer Maßnahmen und im vorbildlichen Verhalten im eigenen Bereich in dieser Situation eine Möglichkeit sieht, die drohenden schweren Konflikte zu vermeiden und damit unmittelbare verhängnisvolle Auswirkungen auf deutsche Arbeitsplätze in der Bundesrepublik zu verhindern.
Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß möglicherweise eine Lieferung in andere Länder das kompensiert. Darf ich Sie fragen, ob diese anderen Länder in Bereichen
liegen, in die nach der COCOM-Liste überhaupt keine Exporte möglich sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nein. An solche Länder denken wir nicht, soweit diese Stahlröhrenlieferungen überhaupt von der COCOM-Liste erfaßt sein sollten. Aber alle unsere Lebens- und Wirtschaftserfahrung zeigt uns ja, daß bei ganz außerordentlich gravierenden strukturellen Veränderungen, beispielsweise als ein ganzes Land wie der Iran schlagartig, über Nacht als Abnehmer von Waren ausfiel, die verhängnisvollen Auswirkungen, die man nach der Größenordnung der ausfallenden Exporte zunächst unterstellt hatte, in diesem Umfang nicht eingetreten sind, sondern daß es immer wieder Wege gegeben hat, Ausgleich zu finden. Bei der hier in Frage stehenden Größenordnung und bei der Leistungsfähigkeit der deutschen Stahlröhrenhersteller bin ich der Meinung, daß es vernünftigen Anlaß gibt, anzunehmen, daß das auch hier gelingen wird — ohne daß die Bundesregierung natürlich irgendeine konkrete Garantie übernehmen kann oder etwa Einblicke hätte, die über das hinausgehen, was den Unternehmen selbst an Möglichkeiten der Einschätzung der Lage zur Verfügung steht.
Ich rufe Frage 4 des Abgeordneten Dr. Jens auf:Wie bewertet die Bundesregierung das Ergebnis der Einigungsbemühungen mit den USA vor dem Hintergrund der weltwirtschaftlichen Erfordernisse, protektionistische Tendenzen wirksam zu bekämpfen?Dazu bitte der Herr Staatssekretär.Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung sieht in der Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den USA eine unter den gegebenen Umständen tragbare Beilegung des Konflikts. Es ist gelungen, die von den USA zunächst geforderte und durch den Importstopp auch tatsächlich verhängte Beschränkung der EG-Exporte auf 5,9 % des US-Marktes auf 7,6 % anzuheben. Das sind rund 148 000 Tonnen mehr pro Jahr, als das dem Importstopp der Vereinigten Staaten und dem Abkommen, das mit den Vereinigten Staaten in einem Briefwechsel getroffen worden war, entspricht.Der deutsche Anteil am US-Markt von 2,59 %, der von allen Ländern der Europäischen Gemeinschaft mit Abstand der größte war und daher in der Gemeinschaft unter dem Gesichtspunkt des „burdensharing" bis zuletzt unter Druck stand, konnte nicht nur gehalten, sondern auf 2,82 % erhöht werden.Für Lieferungen, die bereits vor dem 1. Januar 1985 exportiert, aber in den USA noch nicht zum freien Warenverkehr abgefertigt worden sind, hat die Gemeinschaft darüber hinaus eine Sonderquote von 60 000 Tonnen durchgesetzt. Über die Behandlung gegebenenfalls darüber hinausgehender Mengen sollen bis zum 1. Februar 1985 noch weitere Konsultationen mit den USA geführt werden.Eine Ablehnung der Vereinbarung durch die Bundesregierung, die es unter Umständen zu Fall ge-
Metadaten/Kopzeile:
8412 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985
Parl. Staatssekretär Grünerbracht hätte, wäre für unsere Lieferinteressen eindeutig ungünstiger gewesen, weil u. a. der US-Importstopp mit der Begrenzung auf 5,9 % Anteil am US-Markt in Kraft geblieben wäre.Die Bundesregierung bedauert, daß es überhaupt zu diesem Importstopp gekommen ist. Sie hat schon in der Antwort auf Ihre erste Frage darauf hingewiesen, daß sie weitere Anstrengungen für erforderlich hält, um die Widerstandskraft gegen Protektionsforderungen weltweit zu stärken.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, ich finde es doch eigenartig, daß Sie aus diesem Röhren-Embargo nun noch einen Erfolg der Bundesregierung machen wollen. Tatsache ist: Der Bundeskanzler ist aus Amerika zurückgekommen und hat davon gesprochen: es wird weiter verhandelt, ein Handelskrieg findet nicht statt. In diesem Zusammenhang — —
Herr Abgeordneter, spätestens jetzt muß der Satz mit dem Fragezeichen kommen.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des Bundeskanzlers, als er aus Amerika zurückkam, und frage Sie, Herr Staatssekretär: Sehen Sie darin nicht eine schwere Niederlage der Bundesregierung, oder müssen Sie nicht konstatieren, daß der Bundeskanzler den Mund zu voll genommen hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin offengestanden etwas überrascht, daß Sie aus meinen Ausführungen in dieser sehr schwerwiegenden Frage eine Darstellung eines Erfolgs der Bundesregierung haben entnehmen wollen oder sollen. Tatbestand ist doch, daß wir eine extreme Belastung unserer handelspolitischen Beziehungen durch eine Vereinbarung haben überwinden können, die jedenfalls Lieferungen ermöglicht, die über das hinausgehen, was in einem Briefwechsel zwischen der Europäischen Gemeinschaft — die insoweit zuständig ist und die Verhandlungen mit den USA geführt hat — und den Vereinigten Staaten vorgesehen war, und daß im Rahmen dieser Abmachung zwar nicht die hohen Exporte der Vergangenheit, die im Jahre 1984 erreicht worden sind, für die Zukunft als Möglichkeit garantiert sind, sondern geringere, daß es aber jedenfalls höhere Exporte sind, als sie den ursprünglichen Vorstellungen der US-Administration entsprochen haben.
Ich meine, das ist ein erfolgreicher Abschluß eines Streits, den auch die deutsche Stahlindustrie, wenn auch schweren Herzens, als eine erfolgreiche Beilegung dieser Konfliktsituation angesehen hat. Sie hat deshalb ihre Zustimmung zur deutschen Haltung in dieser Frage der EG-Kommission gegenüber erklärt, was nicht heißt, daß die deutsche Stahlindustrie nicht gerne mehr in die USA exportieren würde.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Jens.
Herr Staatssekretär, können Sie mir denn wenigstens darin zustimmen, daß durch diesen Protektionismus die großen Industrieblöcke USA, Europa, Japan den Markt in den Vereinigten Staaten gewissermaßen aufgeteilt haben und daß Newcomer, neue Schwellenländer, jetzt überhaupt keine Chance mehr haben, auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin nicht in der Lage, die amerikanische Handels- und Importrestriktionspolitik über das hier gestellte Thema hinaus aus dem Stande zu beurteilen, und würde zu dieser Frage gerne schriftlich Stellung nehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Urbaniak.
Herr Staatssekretär, nach dem für die SPD-Fraktion unbefriedigenden Ergebnis frage ich Sie: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, daß der Export von Ölfeldröhren nicht unter das Selbstbeschränkungsabkommen fällt, und gibt es dazu Verhandlungen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Vereinbarung der Europäischen Gemeinschaft mit den USA erstreckt sich auch auf Ölfeldrohre. Sie enthält hierfür eine Unterquote. Diese beträgt 10 % Anteil am US-Markt gegenüber 8,76 % Anteil nach der für den Briefwechsel von 1982 geltenden Referenzzeit 1979/81. Der EG-Anteil für Ölfeldrohre konnte also erhöht werden.
Von der Sonderquote von 60 000 Tonnen — short tons — für Lieferungen, die vor dem 1. Januar 1985 exportiert, aber in den USA noch nicht zum freien Warenverkehr abgefertigt worden sind, entfallen etwa 28 000 short tons auf Ölfeldrohre. Über die Aufteilung der Unterquote auf die einzelnen Länder der Europäischen Gemeinschaft muß noch entschieden werden. Die Beratungen in Brüssel hierüber sind im Gange. Eine Möglichkeit, Ölfeldrohre außerhalb der Quoten in die USA zu exportieren, z. B. bei Versorgungsengpässen im Rahmen der sogenannten Shortsupply-Formel — d. h. wenn im amerikanischen Bereich keine Liefermöglichkeiten bestehen sollten —, dürfte angesichts der von uns gesehenen Liefermöglichkeiten der US-Industrie bei diesen Ölfeldrohren kaum gegeben sein.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hoffmann .
Herr Staatssekretär, da Sie wahrscheinlich wissen, daß diese Thematik heute morgen im Unterausschuß für europäische Fragen eine Rolle gespielt hat, frage ich Sie, ob Sie die dort von der Regierung geäußerte Meinung teilen, daß die USA in diesem Zusammenhang eine aggressive Handelspolitik betreiben.Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es wird sich nicht leugnen lassen, daß man angesichts dieses Konflikts und angesichts des gesetzlichen In-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985 8413
Parl. Staatssekretär Grünerstrumentariums, das sich die amerikanische Regierung für diesen Konflikt neu geschaffen hat, eine solche Feststellung treffen könnte. Ich füge allerdings hinzu, daß wir allen Anlaß haben, auch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, die Fehler nicht nur bei unseren Partnern zu sehen, sondern uns darüber im klaren zu sein, daß der Weg nicht in der gegenseitigen Anklage liegen kann, sondern in einem sehr aktiven Eintreten für die Beseitigung aller Handelsschranken. Darauf müssen wir den größten Nachdruck legen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sich schon, wie Sie gesagt haben, nicht in der Lage sehen, das Verhalten der Amerikaner zu beurteilen, sehen Sie sich in der Lage, das Verhalten der USA zu verurteilen, durch das ja der freie Warenverkehr zwischen den Ländern eingeschränkt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß sich die Bundesregierung zu diesem Konflikt in der Öffentlichkeit mit aller Deutlichkeit geäußert hat. Das hat auch der Bundeskanzler getan. Das hat mit großem Nachdruck auch der Bundeswirtschaftsminister getan. Ich sehe keinen Sinn darin, nachdem nun eine Vereinbarung zustande gekommen ist, durch verbale Kraftakte zusätzlich 01 ins Feuer zu gießen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mitzscherling.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie erklärt haben, daß ein Selbstbeschränkungsabkommen per se eine protektionistische Maßnahme ist, teilen Sie die Auffassung, daß angesichts eines DM-Dollar-Verhältnisses von 3,20 mit einer Fortsetzung derartiger amerikanischer protektionistischer Maßnahmen zum Schutze der heimischen Industrie und zur Erleichterung inneramerikanischer Strukturanpassungen zu rechnen sein wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, obwohl wir in dem hier besprochenen Fall ein Abkommen mit den USA getroffen haben. Es ist richtig, daß der Importsog nach den USA auch auf Grund dieses Dollar-Kurses ganz außerordentlich groß ist und daß selbstverständlich in den USA viele davon betroffene Industrien, in ihrem Heimmarkt nunmehr herausgeforderte Industrien, die Tendenz haben werden, Importbeschränkungen auch in anderen Feldern zu verlangen.
Wir sind am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich danke Herrn Staatssekretär Grüner für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Fiebig auf:
Wie gelangt die Bundesregierung zu der irrigen Annahme, der Präsident des Bundesgesundheitsamtes, Herr Professor Überla, sei bis zu vier Wochenstunden an der Ludwig-Maximilian-Universität zu München tätig, wie das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit mir am 8. November 1984 mitgeteilt hat, angesichts der Tatsache, daß das Vorlesungsverzeichnis der Universität etwas ganz anderes ausweist?
Bitte sehr.
Herr Kollege Fiebig, die Mitteilung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit in der Fragestunde am 8. November 1984, der Präsident des Bundesgesundheitsamtes, Professor Überla, sei bis zu vier Stunden in der Woche an der Universität München tätig, ist zutreffend. Auch das Vorlesungsverzeichnis weist nichts Gegenteiliges aus.
Professor Überla ist dort bei den Vorlesungen Nr. 7196, 7198 und 7199 aufgeführt. In der Vorlesung Nr. 7196 hält er im Jahresdurchschnitt jeden Monat an einem Halbtag zwei bis drei Unterrichtsstunden. An der Vorlesung Nr. 7198, die als Block am Semesterende stattfindet, nimmt er gelegentlich teil und diskutiert mit, ohne eigene Vorträge zu übernehmen. Die Vorlesung Nr. 7199 findet ohne seine direkte Beteiligung statt. Es ist üblich, daß Beratungen wissenschaftlicher Arbeiten mit den Namen aller habilitierten Mitarbeiter eines Instituts in dieser Weise angekündigt werden.
Insgesamt beträgt die Unterrichtsbelastung des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes an der Universität München im Durchschnitt des letzten Jahres weniger als drei Stunden pro Monat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fiebig.
Frau Staatssekretär, Sie werden mir sicherlich zubilligen — ich habe das Vorlesungsverzeichnis vor mir liegen —, daß man dies alles auch ganz anders lesen kann. Aber ungeachtet dieser Tatsache frage ich Sie: Ist das Amt des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes und ist das Bundesgesundheitsamt selber so unbedeutend, daß der Inhaber dieses Amtes ständig abwesend sein kann, sogar mit Erlaubnis des Herrn Ministers, und muß daß nicht auf Dauer gesehen dem Amte schweren Schaden zufügen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, Lesen und Lesen ist zweierlei, das haben Sie selber bestätigt. Ich halte das Amt des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes für eine außerordentlich wichtige Funktion. Ich glaube allerdings auch, es ist beamtenrechtlich und von der Sache her vertretbar, daß Professor Überla an der Universität München seinen Vorlesungsverpflichtungen nachgeht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fiebig.
Metadaten/Kopzeile:
8414 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985
Wann nimmt die Bundesregierung denn Ihre Dienstaufsicht wahr und kontrolliert die Anwesenheit des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes, eines Beamten, der nach Auskunft von Kennern der Szene offensichtlich dauernd abwesend ist, auch in anderen Zusammenhängen?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, Sie haben diese Auskünfte. Wir haben natürlich auf dem Hintergrund Ihrer Frage, aber auch insgesamt, kontrolliert, ob das, was Sie sagen, stimmt. Ich antworte auf Ihre Frage mit einem klaren Nein. Die Anwesenheit des Präsidenten ist gegeben — immer.
Wir kommen zur Frage 6 des Abgeordneten Fiebig:
Seit wann gehört es zu den Aufgaben des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes, Herrn Professor Überla, Ärzte und Ärztinnen zu veranlassen, an Veranstaltungen des Unternehmens „Infratest Gesundheitsforschung" teilzunehmen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, es gehört nicht zu den Aufgaben des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes, Ärzte und Ärztinnen zu veranlassen, an Veranstaltungen von Unternehmen, z. B. von Infratest Gesundheitsforschung, teilzunehmen. Er hat dies auch nicht getan.
Im Jahre 1983 wurde eine Befragung von Ärzten im Auftrag des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie des Bundesgesundheitsamtes von Infratest durchgeführt über Krankheiten und Beschwerden, die in den Praxen niedergelassener Ärzte diagnostiziert und behandelt werden. Im Rahmen dieser Studie hat der Präsident des Bundesgesundheitsamtes niedergelassene Ärzte um ihre Beteiligung gebeten und dabei angeknüpft an ein Schreiben von Infratest, in dem dieses Institut die angeschriebenen Ärztinnen und Ärzte gleich eingangs darüber informiert hat, daß es sich um eine Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsamtes handele.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fiebig.
Ist dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit bekannt, in welchen besonderen privaten wirtschaftlichen Verbindungen der Präsident des Bundesgesundheitsamtes zu „Infratest Gesundheitsforschung München" gestanden hat, Frau Staatssekretär?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, mir ist das nicht bekannt. Ich kann Ihnen auf Ihre Frage nur die Antwort geben, die von der Sache her gerechtfertigt ist, nämlich daß der Präsident des Bundesgesundheitsamtes für eine Sache, die er selbst in Auftrag gegeben hat, geworben hat.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fiebig.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Präsident des Bundesgesundheitsamtes am 25. November 1982 um 19 Uhr zu einem Cocktailempfang mit anschließendem Abendessen in den „Bayerischen Hof" in München eingeladen hat — wer hat diese Einladung aus welchen Haushaltsmitteln finanziert? —, und ist der Bundesregierung bekannt, daß auf der Einladungsliste wiederum der Direktor Dieter Baron von der Recke, „Infratest Gesundheitsforschung GmbH München", steht?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist, wie ich glaube, nicht die Aufgabe der Bundesregierung, nachzuprüfen, was Professor Überla in seiner Freizeit tut und wen er einlädt. Da im Haushalt nirgendwo durchsichtig wird, daß Herr Professor Überla diese Sache gegebenenfalls über uns oder über seinen Etat abgerechnet hätte, interessiert es uns auch nicht, wer wann wo mit Herrn Professor Überla zu Abend ißt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Frau Staatssekretärin, hat ein Präsident des Bundesgesundheitsamtes und vielbeschäftigter Professor überhaupt noch Freizeit?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Herr Gansel, ich frage Sie, ob Sie als vielbeschäftigter Kollege auch noch Freizeit haben und ob Sie gegebenenfalls abends doch zu Abend essen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Menzel.
Frau Staatssekretär, wenn, wie man auf Grund der Frage unterstellen muß, der Präsident als Präsident einlädt und im Haushalt dafür keine Mittel vorhanden sind: Interessiert es das Ministerium dann nicht, wer die Kosten einer solchen Einladung trägt?
Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär: Nein. Wieso sollte mich das interessieren? Wenn das eine private Angelegenheit ist, Herr Kollege Menzel, kann uns das gar nicht interessieren. Ich hielte es auch nicht für gut, wenn es zukünftig so wäre, daß wir jetzt auch private Treffen kontrollieren. In welchem Staat lebten wir denn dann?
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Behandlung des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Ich danke der Frau Staatssekretärin für die Beantwortung der Fragen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.Die Frage 7 ist von Herrn Abgeordneten Conradi eingebracht, der aber nicht im Saale ist. Dann wird entsprechend der Geschäftsordnung verfahren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985 8415
Vizepräsident WestphalIch rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Hoffmann auf:Wie bewertet die Bundesregierung angesichts ihrer eigenen Aussage „bezieht sich das FM 100-5 nicht ausdrücklich auf den Einsatz des US-Heeres im Rahmen der NATO" die Tatsache, daß im Kapitel 17 des FM 100-5 „Combined Operations" ausdrücklich der Einsatz des US-Heeres im Rahmen der NATO erörtert wird?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, Herr Kollege, der in der Frage nur teilweise zitierte Satz aus unserem Material für die Presse vom August 1983 lautet vollständig — ich zitiere --:
Da die Vereinigten Staaten von Amerika auf Grund bilateraler und multinationaler Verträge auch vielfältige militärische Verpflichtungen außerhalb der NATO haben, bezieht sich das FM 100-5 nicht ausdrücklich auf den Einsatz des US-Heeres im Rahmen der NATO.
Das Zitat geht noch weiter:
Hingegen hat die NATO klargestellt, daß bestimmte Elemente dieser Doktrin für Mitteleuropa nicht gelten.
Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß diese Vorschrift zwar in 14 Kapiteln allgemeine Grundsätze für die operative und taktische Führung des amerikanischen Heeres festlegt, daß aber danach in Kapitel 17 einschränkend festgestellt wird, daß für Einsätze im Rahmen der NATO die im Bündnis vereinbarten Grundsätze und Verfahren gelten und daß die amerikanischen Verbände in diesem Fall unter dem Oberbefehl der NATO operieren werden. Das bedeutet, daß die Grundsätze der amerikanischen Vorschrift dann nur so weit Anwendung finden werden, wie sie mit den Richtlinien der NATO vereinbar sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann.
Herr Staatssekretär, wenn das praktisch nur unter ganz vagen Bedingungen etwas mit der Situation in Mitteleuropa zu tun hat, wie erklären Sie es sich dann, daß in diesem Papier FM 100-5 in Kapitel 17 die Aussage enthalten ist, US-Streitkräfte würden in Europa unter NATO operieren, und daß es dort heißt — Zitat —: „US-Kommandeure und -Truppen müssen vorbereitet sein, in der kalten und nassen Umgebung von Westdeutschland zu kämpfen"? Ist dies nicht auch nach Ihrer Auffassung ein deutlicher Hinweis, daß gerade auch diese Vorschrift für die speziellen Bedingungen in Mitteleuropa gedacht ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, in keiner Form.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann.
Wie halten Sie es denn dann mit der Textstelle im Kapitel 17 Field Manual 100-5, die sagt, das FM 100-5 beziehe sich nicht ausdrücklich auf den Einsatz des US-Heeres
im Rahmen der NATO, wenn gleichzeitig ganzseitige Karten mit der unterschiedlichen Bevölkerungsdichte der Bundesrepublik in dem Dokument enthalten sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wiederhole das, was ich Ihnen eben sagte und was wir in der Fragestunde am 28. März besonders auf die Fragen Ihres Kollegen Bahr hierzu gesagt haben, der übrigens die Erklärungen ausdrücklich als einleuchtend begrüßt hat, daß für die Einsätze im NATO-Bereich — auch für die Einsätze der amerikanischen Truppen — die NATO-Vorschriften verbindlich sind.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs .
Wenn das so ist, Herr Staatssekretär: Wie beurteilen Sie dann die in Kapitel 17 FM 100-5 enthaltene Aussage, weil die NATO-Strategie der flexiblen Antwort nukleare Optionen auf verschiedenen Konfliktniveaus habe, müßten die NATO-Streitkräfte fähig sein, effektiv auf einem nuklear-chemisch-konventionellen Schlachtfeld zu kämpfen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Sie haben nachher eine ähnliche Frage, sind auch Mitglied im Verteidigungsausschuß und werden die Grundsätze wissen.
Die Einsatzplanung — über die Planung reden wir — und erst recht das, was hoffentlich nie folgt, was aber folgen würde, wenn es sein müßte, wird in der NATO gemeinsam, integriert, ständig unter Beteiligung aller Regierungen durchgeführt und nicht national.
Wir kommen zur Frage 9 des Abgeordneten Hoffmann:Wie verbindet die Bundesregierung ihre Zustimmung zu dem im August 1982 von Generalleutnant Glanz und US-Heeres-General Meyer unterzeichneten Papier „Air/Land-Battle 2000" mit der Tatsache, daß in diesem Papier unter „2. Zweck des Konzepts" die Aussage enthalten ist: „Die Sicherheitsinteressen des Bündnisses werden durch Vorgänge außerhalb der geographischen Begrenzung der NATO beeinflußt. Für das Bündnis können sich Anlässe oder die Notwendigkeit zu handeln auch außerhalb dieser Grenzen ergeben"?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Würzbach, Parl. Staatssekretär: In dem von Generalleutnant Glanz — inzwischen Generalleutnant a. D. — unterzeichneten Vorwort zur Air/LandBattle in der Fassung vom August 1982 — Herr Kollege, ich weise auf dieses Datum hin —, wurde erklärt, daß das amerikanische Heer und das deutsche Heer im Grundsatz diesem Zwischenentwurf zustimmen, soweit operative und taktische — Sie kennen die Differenzierung zum Strategischen; ich darf das anmerken — Aspekte der Landkriegführung betroffen sind. Im Vorwort wurde auch darauf hingewiesen, daß das Papier als Planungsgrundlage der Landstreitkräfte im Hinblick auf ihre Aufgabenerfüllung in Mitteleuropa dient. Eine Zustimmung zur Wahrnehmung von Sicherheitsinteressen
Metadaten/Kopzeile:
8416 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985
Parl. Staatssekretär Würzbachaußerhalb des Vertragsgebietes der NATO kann daher nicht hiervon abgeleitet werden.Im übrigen wurde der zitierte Abschnitt im Zuge der Überarbeitung grundlegend geändert. Auf Nachfrage trage ich Ihnen gerne den neuen Wortlaut vor.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hoffmann.
Herr Staatssekretär, trifft denn in der neuen Fassung noch zu, daß in dem Papier — von den Herren Meyer und Glanz unterschrieben — als Interessensphären Mitteleuropa, Naher und Mittlerer Osten, der Persische Golf und Afrika stehen, oder ist das inzwischen aus der Fassung herausgestrichen worden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das ist aus der Fassung heraus.
Herr Kollege, ich bin gerne bereit, Ihnen die neue Fassung vorzutragen, wenn Sie nachfragen.
Haben Sie noch eine zweite Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Hoffmann.
Ich vermute, daß das möglicherweise eine ähnliche Bedingung ist.
Wie beurteilt die Bundesregierung dann die in Air/Land-Battle 2000 enthaltene Aussage, unabhängig von der jeweiligen Strategie müsse der Kommandeur immer vier miteinander verbundene Schritte tun, um zu gewinnen: den Gegner an der Frontlinie schlagen, in die Tiefe des Raumes angreifen, die Initiative an sich reißen und die Air/LandBattle schnell und entscheidend beenden? Trifft das in diesem Text auch noch zu, oder ist auch das herausgestrichen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies ist eine für die Amerikaner gültige, verbindliche Vorschrift, die nur insoweit Gültigkeit im Rahmen der NATO hat, wie sie sich mit den NATO-Vorschriften, die in den Gremien bei uns seit vielen Jahren bekannt sind — sie sind nicht geändert worden —, deckt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß in dem Air/LandBattle-2000-Konzept in der Fassung Meyer-Glanz, aber auch in der neuen Fassung, eine Tendenz zur präventiven Kriegsführung enthalten ist, ausgedrückt in folgendem Zitat:
Starker internationaler Druck könnte ein frühes Ende der Kampfhandlungen erzwingen, unabhängig davon, welche Seite gerade im Vorteil ist, wenn der Kampf eingestellt wird und die Verhandlungen beginnen. Deshalb ist es für den Westen vorteilhaft, den Sowjets frühzeitig die Initiative zu entreißen und mit einem Gegenangriff eine überlegene Position noch in der Frühphase des Konfliktes zu erzwingen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich teile die Auffassung in keiner Form, weder in der Tendenz, geschweige denn im Wortlaut.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, da ja schon das Studium der NATO-Richtlinien umfassend und schwierig ist und das gleiche auch für die amerikanischen Heeresdienstvorschriften gilt: Wie beurteilen Sie die Fähigkeit der kommandierenden Soldaten, alle diese Vorschriften zu kennen, sie miteinander in Verbindung zu bringen, den Vorrang der jeweiligen NATO-Vorschrift herauszufinden, und welche „Eindringungstiefe" hat dieses Wissen bei den US-Streitkräften? Ist das nur etwas für Generäle oder beschäftigen sich damit auch Zugführer? Haben Sie sich selbst schon damit beschäftigt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich beurteile die Fähigkeit der Führer — von dem obersten Befehlshaber bis hinunter zu dem, der mit diesen Vorschriften zu arbeiten hat — als so ausgeprägt — die Mechanismen, die inzwischen eingeführt wurden, sind klar geregelt —, daß diese Überschneidungen erkannt werden, Herr Kollege. Im übrigen werden regelmäßig sowohl Stabsrahmenübungen als auch Manöver durchgeführt — auch unter politischer Kontrolle —, um in der Praxis abzutasten, ob das funktioniert. Ich lade Sie auch ein, an solchen Übungen teilzunehmen, um sich davon zu überzeugen.
Wir kommen zur Frage 10 der Abgeordneten Frau Fuchs :
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Aussage General Rogers „Den im Air/Land Konzept enthaltenen Präventivangriff können wir nicht übernehmen" die Klarstellung der NATO konkretisiert, daß bestimmte Elemente von Air/Land-Battle für Mitteleuropa nicht gelten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Antwort — in Ihrer Frage enthalten — aus einem längeren Interview von General Rogers steht in direktem Zusammenhang mit folgender Aussage in demselben Interview — einen Satz vor dem, den Sie herausgegriffen haben —:
Als Verteidigungsbündnis werden wir unsere Waffen nicht einsetzen, bis wir angegriffen werden, auch wenn wir sehen, daß der Gegner in Angriffsstellung geht.
Dadurch wird die strategische Grundkonzeption der NATO eindeutig beschrieben.
Eine Zusatzfrage, Frau Fuchs.
Herr Staatssekretär, welche sonstigen Klarstellungen hat die NATO wann und in welcher Form gemacht, daß bestimmte Elemente von Air/Land-Battle für Mitteleuropa nicht gelten?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985 8417
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Sie hat das fortlaufend getan, als das auch im außermilitärischen Bereich zum Thema wurde; zuletzt in der vorhin zitierten Fragestunde im Plenum am 28. März letzten Jahres auf eine Vielzahl von Fragen. Das geht hin bis zu der bestätigenden Aussage Ihres Kollegen Bahr — das darf ich noch einmal in Erinnerung rufen —, daß er die Feststellung, in diesem Zusammenhang von hier aus getroffen, begrüßt.
Eine Zusatzfrage, Frau Fuchs.
Anknüpfend an Ihre Antwort, die Sie soeben gegeben haben: Wie bringt die Bundesregierung die Aussage General Rogers, die in der Frage wiedergegeben und eben zitiert worden ist, mit der Aussage von Staatssekretär Rühl in Übereinstimmung, der gesagt hat:
Insgesamt bleibt festzuhalten, daß weder die Vorschrift des FM 100-5 noch der Konzeptentwurf Air/Land-Battle 2000 irgendeine Doktrin oder Planungsgrundlage für eine offensive, geschweige denn präventive Kriegsführung der US-Streitkräfte oder der NATO in Europa beinhalten.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich sehe zwischen den beiden Aussagen keinen Widerspruch.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, darf ich denn ausschließen, daß zwischen unseren beiden Auffassungen kein Widerspruch entsteht, wenn ich auch ausschließe, daß Sie nicht einschließen, daß ein sogenanntes Waffenmix laut Führungsvorschrift möglich ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn der Sachverhalt und die Vorschrift so schwierig wären wie das Verstehen Ihrer verschachtelten Frage, müßten wir uns beide sicherlich zu einem längeren Kolloquium zurückziehen. Wenn Sie eine ernste Antwort auf Ihre Frage haben wollen, bitte ich Sie, sie so zu wiederholen, daß ich kapiere, was Sie von mir wissen wollen.
Nur, das kann der Präsident eben nicht zulassen. Das war schon eine Frage, Herr Klejdzinski.
Jetzt ist der nächste Fragesteller an der Reihe. Herr Hoffmann.
Herr Staatssekretär, in der Hoffnung, Sie intellektuell nicht zu überfordern, möchte ich Sie fragen, ob denn der Vorsatz in FM 100-5 noch irgendeiner Kommentierung Ihrer Seite bedürfte, der heißt — jetzt wörtliches Zitat aus FM 100-5 —:
Es stimmt überein mit der Doktrin und der Strategie der NATO.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Teile, die mit den Leitlinien, den Vorschriften und
den Einsatzgrundsätzen der NATO übereinstimmen, gelten auch für den Einsatz der Amerikaner im NATO-Bereich.
Wir kommen zur Frage 11 der Abgeordneten Frau Fuchs :
Welches sind im einzelnen die Bedenken, die die Bundesregierung gegen bestimmte Aspekte des FM 100-5 hat hinsichtlich seiner Anwendbarkeit als Führungsvorschrift für im Rahmen der NATO in der Bundesrepublik Deutschland stationierte amerikanische Truppen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, sowohl von der politischen als auch von der militärischen Führung der Vereinigten Staaten von Amerika ist eindeutig festgestellt worden, daß die im Field Manual 100-5 enthaltene Doktrin eine nationale Konzeption darstellt, die im Bereich der NATO nur insoweit Anwendung finden kann, wie sie mit den im Bündnis geltenden Grundsätzen vereinbar ist. Eine weitergehende Bewertung dieser nationalen Vorschrift der amerikanischen Streitkräfte ist wegen dieser bindenden Grundsätze für uns weder erforderlich noch angebracht.
Die Amerikaner erkennen an, daß ihre Doktrin im Rahmen der NATO nicht uneingeschränkt gilt. Über die militärischen Aussagen habe ich gesprochen. Ich füge eine politische Aussage hinzu: Im Bericht des amerikanischen Verteidigungsministers vom Juni 1984 an den Kongreß wird z. B. festgestellt, daß Air/Land-Battle 2 000 Aspekte enthält, die im Bereich der NATO nicht anwendbar sind.
Zusatzfrage, Frau Fuchs.
Herr Staatssekretär, gehört zu diesen Aspekten nach Auffassung der Bundesregierung die Aussage des Field Manual 100-5 in Kapitel 8 — ich zitiere —: „Nukleares und chemisches Feuer kann ebenfalls feindliche Verteidigungsstellen zerstören, um zu einem Durchbruch beizutragen"? Gehört dieses zu den Aspekten, gegen welche die Bundesregierung Bedenken hat, um es klar zu formulieren?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe ausgeführt — ich rufe es kurz in Erinnerung —, daß die Bundesregierung es nicht für angebracht hält, eine nationale amerikanische Vorschrift, die im Einsatzbereich der NATO nicht gilt, öffentlich zu bewerten. Auch wir — ich hoffe: wir alle — würden uns deutlich verbitten, daß irgendein Bündnispartner, welcher auch immer, in nationale Vorschriften, die für uns national gelten, von außen hereinzufunken versucht.
Weitere Zusatzfrage, Frau Fuchs.
Herr Staatssekretär, wir haben darauf hinzuweisen versucht, daß viele Bezüge im FM 100-5 sich auf Europa und die Bundesrepublik beziehen. Deswegen frage ich, ob folgende Aussage des FM 100-5 zu den Aspekten gehört, die von der Bundesrepublik ausdrücklich abgelehnt werden:
Metadaten/Kopzeile:
8418 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985
Frau Fuchs
Mit der Unterstützung von nuklearen und chemischen Waffen können kleine Streitkräfte, die mit hoher Geschwindigkeit angreifen, denselben Erfolg erreichen wie größere Streitkräfte mit konventioneller Feuerunterstützung. Nukleares oder chemisches Vorbereitungsfeuer kann die Kraft des Feindes derart reduzieren, daß tiefe, mehrfache und gut ausgewogene Angriffe möglich sind.Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, hier gilt das gleiche, was ich auf Ihre Frage vorhin und auf mehrfache Fragen Ihrer Kollegen zuvor gesagt habe.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn ich von „Waffen-Mix" spreche, dann ist das für uns beide ein ganz fester Begriff. Es bedeutet gleichzeitigen Einsatz nuklearer, chemischer, möglicherweise bakteriologischer und konventioneller Kampfmittel in einer Auseinandersetzung, wobei je nach Erfordernis abgewogen wird, was geeignet ist.
Stimmen Sie mit mir überein, daß dieses in der amerikanischen Dienstvorschrift steht?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es juckt mich, zu sagen, daß Sie nicht nur den WaffenMix als Begriff in den Raum stellen, sondern auch in Ihrer Frage einen kräftigen Mix haben, auf den zu antworten ich nicht gewillt bin. Ich sehe auch nicht den Bezug zu der ursprünglich gestellten Frage.
Ich will nur hinzufügen: Ich wünschte, daß Sie und viele der fragenden Kollegen die NATO-Vorschriften, die seit vielen, vielen Jahren gelten, ähnlich gut kennten und sie vor der Öffentlichkeit und den eigenen Kollegen zu vertreten bereit wären, wie Sie sich augenscheinlich gründlich mit solchen nationalen Vorschriften anderer Verbündeter zu beschäftigen scheinen, die hier keine Anwendung finden, soweit sie nicht unter das Dach der NATO-Vorschrift passen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Hoffmann.
Herr Staatssekretär, nachdem wir uns hier über Wirksamkeiten und Verbindungen zwischen dem, was in diesen beiden Dokumenten steht, und ihrer Verbindlichkeit für die Bundesrepublik streiten: Wäre es nicht sinnvoll, daß die Bundesregierung die von ihr akzeptierten Stellen der entsprechenden zwei Texte deutlich veröffentlicht und sagt, an welchen Stellen sie glaubt, daß diese für Mitteleuropa nicht zutreffen können? Wären Sie bereit, uns zuzusagen, uns das zu liefern?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wiederhole — ich weiß nicht, ob ich mich so eckig ausgedrückt habe oder ob Sie das nicht verstehen wollen; das zweite scheint mir allerdings mehr der Fall zu sein —, daß politisch wie militärisch sehr aktuelle verbindliche öffentlich vorgenommene Zusagen, Einverständniserklärungen der Amerikaner vorliegen, aus denen hervorgeht, daß sie wissen, daß ihre nationalen Vorschriften unter dem Dach der NATO, im Einsatzgebiet der NATO, nicht gelten. Unter diesen Umständen ist es nicht angebracht, daß wir nun darangehen, nationale Vorschriften im einzelnen zu zerpflücken und öffentlich zu sagen, was uns paßt und was uns nicht paßt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es leider Politikwissenschaftler, aber offensichtlich auch Kollegen aus diesem Hause gibt, die Dokumente unserer Bündnispartner wie einen Steinbruch bewußt daraufhin durchkämmen, ob sie nicht irgendwelche Stolpersteine finden können, aus denen sie dann wiederum Angriffswaffen gegen unsere gemeinsame Sicherheitspolitik schmieden könnten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dieser Eindruck muß sich zuweilen aufdrängen. Zugleich muß aber auch die Beobachtung gemacht werden, daß diejenigen, die diese Absicht verfolgen und so handeln, dies — das ist in der Regel meine Erfahrung bisher — für sich persönlich und nicht für eine Gruppierung, eine Fraktion tun. Ich beobachte bei manchen, die sich verantwortlich fühlen, zuweilen eher Betretenheit ob dieser Vorgehensweise.
Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatssekretär, erinnere ich mich richtig, im FM 100-5 von Siedlungsstrukturen im Rhein-Main-Gebiet, von üblichen Wetterlagen in Nordrhein-Westfalen gelesen zu haben — wenn mich meine Erinnerung da nicht trügt? Um welche Gebiete handelt es sich denn eigentlich? Um diejenigen Gebiete in der Bundesrepublik, an die wir jetzt wohl denken, kann es ja nicht gehen; denn die gehören ja immer noch zum NATO-Gebiet?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auch die NATO muß sich — was sollte sie sonst tun — mit den regionalen, örtlichen Gegebenheiten, sprich mit den Siedlungsstrukturen, und mit den Wetterverhältnissen, den klimatischen Bedingungen usw. beschäftigen. Ich verstehe nicht, was Sie daraus ableiten wollen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985 8419
Herr Staatssekretär, können Sie die Auskunft von Staatssekretär Rühl bestätigen, die er heute im Verteidigungsausschuß gegeben hat, daß sich nämlich die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Diskussion über die Tornisterbomben noch einmal ausdrücklich von den US-Streitkräften bestätigen lassen mußte, daß es für sämtliche in der Bundesrepublik befindlichen US-Streitkräfte keine nationalen nuklearen Einsatzrichtlinien gibt und nur die der NATO gelten, und —
Es tut mir furchtbar leid, Herr Abgeordneter Gansel.
— Nein, das geht leider nicht. Der Zusammenhang war nun wirlich nicht da. Der Zusammenhang muß in einer kurzen Frage hergestellt werden. Herr Kollege Gansel, ich bin hier sehr großzügig gewesen. Es waren ein paar Dinge dabei, die hart an der Grenze dessen lagen, was man parlamentarisch machen darf, aber nicht machen sollte. Ich bitte um Verständnis: Dies ist eine Frage, die daran vorbeigeht.
— Ja, das mag sein. Das war heute morgen, und es besteht in der nächsten Fragestunde auch wieder Gelegenheit, gezielt danach zu fragen.
Wir sind am Ende dieser Fragestellung, denn es werden keine weiteren Zusatzfragen begehrt.
Die Fragen 12 und 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Der Abgeordnete Gansel ist jetzt schon wieder dran, denn ich rufe die von ihm eingebrachte Frage 14 auf:
Sind Presseberichte zutreffend, daß amerikanische Spezialeinheiten in der Bundesrepublik Deutschland für den „Einsatz im feindlichen Hinterland" mit tragbaren Atomwaffen, sogenannten „Tornister-Bomben" ausgerüstet sind, und ist die Bundesregierung darüber informiert, ob sich solche Bomben auch bei amerikanischen Einheiten in Berlin befinden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich habe mich soeben um eine sehr kurze Beantwortung der Fragen bemüht. Auf die erste vom Kollegen Gansel eingebrachte Frage folgen eine Reihe in diesem Zusammenhang stehende Fragen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich hier auf die erste Frage, die die Öffentlichkeit sehr bewegt hat, etwas umfangreicher antworte. Ich bin sicher, das wird auch für die Zusatzfragen dienlich sein.
Presseberichte der letzten Wochen mit dem in Ihrer Frage zum Ausdruck gebrachten Tenor beruhen weitgehend auf falschen, auf unvollständigen oder irreführenden Informationen. Sie entsprechen in ihren Aussagen und Bezeichnungen überwiegend nicht den Tatsachen. Zutreffend allerdings und seit langem — seit 20 Jahren, Herr Kollege — bekannt ist, daß sogenannte ADM in einer begrenzten — übrigens in den letzten Jahren, ja in den letzten Monaten ständig geringer werdenden — Zahl zu den Beständen der NATO gehören und auch in Europa und bei uns in der Bundesrepublik Deutschland gelagert werden. Der Einsatz dieser Systeme erfolgt nicht durch einzelne Soldaten, sondern, wie bei anderen Waffensystemen auch, nur im Zusammenwirken einer Vielzahl von Soldaten in verschiedenen Funktionen. Im Klartext ausgedrückt bedeutet dies, daß alle Behauptungen über sogenannte Einmannkommandos völlig irreführend sind.
Über Art, Zahl und Lagerort solcher Waffen — dies haben wir hier in der Fragestunde schon sehr häufig miteinander in Frage und Antwort so praktiziert — werden keine Angaben gemacht. Der Bundesregierung aber ist dies bis ins Detail bekannt. Entsprechende Informationen werden der Bundesregierung in einem festgelegten Verfahren von unseren amerikanischen Verbündeten immer wieder gegeben, zuletzt Anfang Januar.
Der Einsatz der hier in Rede stehenden ADM dient ausschließlich defensiven Aufgaben entsprechend dem Auftrag der NATO. Sie unterliegen vollständig der politischen Kontrolle, dem verabredeten und gültigen Konsultationsmechanismus und den integrierten, in der NATO stattfindenden Einsatzplanungen. Ein Einsatz im Hinterland eines Angreifers ist in keiner Form vorgesehen oder geplant. Entsprechende Pressemeldungen sind abwegig.
Tatsache ist, daß der Abzug von 1 000 Nuklearsystemen bereits 1979 durch die Nukleare Planungsgruppe, d. h. durch die Verteidigungsminister, beschlossen wurde. Diese wurden dann 1980 abgezogen. Zusätzlich wurde im Oktober 1983 in Montebello von den Verteidigungsministern beschlossen, weitere 1 400 Nuklearwaffen aus NATO-Beständen abzuziehen. Einzelheiten der Durchführung werden in diesem Frühjahr, im März, festgelegt. Es ist zu erwarten, daß dabei eine deutliche Verringerung besonders der ADM erreicht wird.
Auch die amerikanischen Special Forces in Europa unterliegen der bündnisgemeinsamen Einsatzplanung. Amerikanische nukleare Einsatzplanungen im NATO-Gebiet sind national nicht vorgesehen.
Vor diesem Hintergrund, der die tatsächlichen Gegebenheiten schildert, füge ich, Herr Kollege Gansel, Ihrer Frage 14 noch hinzu, daß wir — entsprechend üblicher Praxis dieser Regierung und vorangegangener Regierung — zu Zahl, Art, Typ und Lagerort keine Stellung nehmen.
Zu Ihrer Frage nach Berlin sage ich zusätzlich, daß diese nicht in die Zuständigkeit der Bundesregierung fällt, sondern daß dies ausschließlich bei den westlichen Partnern, unseren Verbündeten, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und Großbritannien, liegt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Metadaten/Kopzeile:
8420 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985
Nein. Bevor ich eine Zusatzfrage stelle, möchte ich darauf hinweisen, daß die Frage 15 noch nicht beantwortet worden ist.
Die wird anschließend beantwortet, wenn Sie Ihre Zusatzfragen gestellt haben.
Wenn ich es richtig verstanden habe, wollte der Herr Staatssekretär beide Fragen zusammen beantworten.
Nein, das muß ein Mißverständnis gewesen sein.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß die Bundesregierung auf Grund der Presseberichte und der Anfragen der Opposition bei den US-Streitkräften nachgefragt und sich hat bestätigen lassen, daß es auch für die besonderen Einsatztruppen der Amerikaner in der Bundesrepublik keine nationalen nuklearen Einsatzrichtlinien für die Bundesrepublik gibt, daß also auch hier nur die NATO-Richtlinien gelten, und — zweiter Teil meiner Zusatzfrage — wenn die Bundesregierung bei den US-Streitkräften nach der Vereinbarkeit von US-Richtlinien und NATO-Richtlinien fragen muß: Wie sehr sind dann Fragen von Abgeordneten hier im Plenum legitim, in denen — wie in den vorangegangenen Fragen — genau nach diesem Verhältnis gefragt wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, jeder Abgeordnete jeder Fraktion ist jederzeit legitimiert — das gehört zum Wesen unserer Demokratie —, nach jedem Detail jedes Themas zu fragen.
Im übrigen habe ich zu dem ersten Aspekt Ihrer Frage soeben sehr gründlich und umfassend die Antwort gegeben, auf die ich mich auch auf Nachfrage von Ihnen jetzt beziehe.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung Presseberichte über die Existenz solcher „Tornister-Bomben" zunächst durch Schweigen, dann durch Dementis und schließlich durch Hinweis auf ihre Existenz zu verharmlosen versucht?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, die Bundesregierung hat überhaupt nichts verharmlost. Ich will jetzt noch einmal sehr deutlich aus der großen, umfangreichen Antwort von eben wiederholen: Diese Waffen liegen seit etwa 1964 in Europa. Herr Kollege, im Jahre 1967 — erinnern wir uns: Bundeskanzler Kiesinger; Außenminister Brandt war damals zusammen mit dem Verteidigungsminister mit dieser Angelegenheit betraut; Planungschef bei Brandt war Ihr heutiger Kollege Bahr — ist eine Abmachung mit den Amerikanern schriftlich darüber fixiert worden, wie die Amerikaner, unter welchen Umständen, in welchen zeitlichen Abständen, wen regelmäßig informieren. Diese Information wird seitdem ständig durchgeführt. Seitdem ist kein neues Waffensystem dieser Art eingeführt worden.
Ich hätte nicht gedacht, einmal in eine solche Lage zu kommen: Ich zitiere mit innerer Freude, Herr Kollege, um das mit den Worten eines Journalisten aus dem „Vorwärts" und nicht mit meinen Worten zu beschreiben, welcher Eindruck sich der Bundesregierung aufdrängt. Herausgeber des „Vorwärts": Egon Bahr; Zeitung einer Partei, die Sie kennen; Datum: 12. Januar 1985; Journalist: KarlHeinz Harenberg, den Sie auch kennen und von dem Sie wissen werden, wie er sonst gegenüber wem was schreibt. Ich zitiere vom Anfang und vom Ende. Am Anfang heißt es:
Die Aufregung überrascht, denn Atomminen .. . gibt es seit Ende der 50er Jahre.
Am Ende heißt es:
Vor diesem Hintergrund wirkte die erste Reaktion deutscher Politiker skandalös.
Einige SPD-Abgeordnete, die lautstark protestieren, haben offenbar vergessen, daß es die Mini-Nukes bei uns schon gab, als die Bundesregierung noch sozialdemokratisch geführt wurde. 1973 zum Beispiel empfahl .. .
Dann schließt er ab:
Damals protestierte niemand; warum also wundern sich heute so viele?
Wenn ich Ihnen jetzt noch sage, daß wir einige von denen reduziert haben und in Montebello die Weichen gestellt haben, dies weitestgehend noch zu tun, muß ich hervorheben, ist dies noch sehr zurückhaltend ausgedrückt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Berger .
Herr Staatssekretär, da hier der Eindruck erweckt wird, daß heute morgen Ihr Kollege Staatssekretär Dr. Rühl im Verteidigungsausschuß andere Ausführungen gemacht hätte, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß dieser heute morgen dort im Verteidigungsausschuß nicht etwa gesagt hat, die Bundesregierung habe nachfragen müssen, ob es für die amerikanischen Spezialeinheiten besondere Bestimmungen gebe, sondern daß er ausgeführt hat, die Bundesregierung habe, und zwar ohne Zwang, noch einmal nachgefragt, und daß dies einen ganz anderen Sinn macht?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann mir einen Widerspruch zwischen den Aussagen des Kollegen Rühl heute morgen im Ausschuß und den meinen hier überhaupt nicht vorstellen, weil der Sachverhalt, mit dem wir beide vertraut sind, völlig klar ist.
Ich nehme Ihre Frage gerne wahr, um auf einen Nebensatz vom Kollegen Gansel zu antworten. Herr Kollege, die Bundesregierung hat vor dem Rindergrund, den ich eben schilderte, ruhig und gelassen reagiert,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985 8421
Parl. Staatssekretär Würzbachwissend, was bei uns im Land seit zwei Jahrzehnten die Tatsachen sind. Sie hat sich dennoch, wie es unsere Pflicht ist — unter anderem auf Grund Ihrer Nachfrage —, dann speziell und konkret zu der aktuellen Frage und den zugrunde liegenden Meldungen natürlich noch einmal in Verbindung gesetzt. Sie würden auch mit Recht von der Bundesregierung verlangen, daß sie den speziellen Fall der zugrunde liegenden Meldung neben der klaren Grundlage prüft. Dies haben wir gebührlich, ruhig getan.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Schmidt .
Herr Staatssekretär, wenn dies alles so klar und eindeutig ist, dann hätte ich gerne von Ihnen eine Begründung dafür und frage Sie, warum die Bundesregierung dann so zögerlich und widersprüchlich reagiert hat und ob es stimmt, daß sich das Kabinett außerhalb der Tagesordnung mit diesem so klaren und seit Jahren bestehenden Sachverhalt auseinandergesetzt hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Sache ist so klar, wie Sie mit dem „Wenn" eben fragten. Dennoch ist es auch Aufgabe der Bundesregierung und des Kabinetts, sich mit einer solchen Sache zu beschäftigen, wenn eine größere Gruppe der Abgeordneten einer Fraktion des Bundestages diese Dinge zum Gegenstand einer Dringlichkeitsfrage macht, einer Fraktion, die dafür bis vor kurzem — das könnte man noch in Monaten zählen — Verantwortung trug, ohne daß von der Führung dieser Fraktion und ihren erfahrenen Sicherheitspolitikern — einige Namen habe ich genannt — eine Gegenrede erfolgte. Das ist Aufgabe des Bundeskabinetts, wenn sich Herr Harenberg im „Vorwärts" — Herausgeber: Bahr; von diesem also wohl genehmigt — in dieser Form mit dem Thema beschäftigt.
Das, meine ich, steht einer Regierung gut an, und das hat das Bundeskabinett getan.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke .
Herr Staatssekretär, glauben Sie, der Sache zu dienen, indem Sie hier in einer, so kann ich nur sagen, bewußten Irreführung
die Frage nach den sogenannten Rucksackbomben mit der Frage nach ADMs im allgemeinen vermischen? Daß es die gab, ist seit langem bekannt. Daß es für den einzelnen Mann tragbare Atomwaffen, die auch hinter die feindlichen Linien getragen werden könnten, gibt, war Ihrem eigenen Ministerium nicht bekannt, als Sie zunächst reagiert haben. Also bitte, warum verwischen Sie hier den Unterschied? Wie steht es mit diesen bestimmten Waffen, nicht
mit den ADMs im allgemeinen, über die Herr Harenberg spricht?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nicht die Bundesregierung und ich in meinen Antworten hier haben etwas verwischt, sondern durch diese Art der aufgeregten und verfälschten Reaktion
auf diese Meldungen, durch diese Reaktion leider auch von vielen Kollegen aus unserem Parlament —
der Journalist darf schreiben, was er auf Grund seiner Kenntnis irgendwo mitbekommen zu haben meint — sind viele Menschen bei uns im Lande, die sich ernsthaft um Sicherheitspolitik kümmern, irregeführt worden — um Ihr Wort aufzunehmen.
Ich hätte erwartet und bitte darum, daß die Kollegen Ihrer Fraktion — und Sie persönlich zählen dazu —, die seit 20 Jahren von der Existenz dieser ADMs wissen, hier zur Versachlichung zurückkehren
und gemeinsam mit der Bundesregierung darauf hinwirken, daß die Öffentlichkeit über alle hiermit in Verbindung stehenden Fragen sachlich informiert wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.
Herr Staatssekretär, ich bin kein Experte, und ich muß schon sagen: Nach Ihren Darlegungen ist die Verwirrung nun vollkommen. Kann ich davon ausgehen, daß Sie sich mit dem Inhalt des ,,Vorwärts"-Zitats weitgehend identifizieren, und warum mußte dann, wenn Sie selber sagen, daß das schon allgemein bekannt war, die Bundesregierung erst nachfragen, ob es diese Dinge in der Bundesrepublik überhaupt gibt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie sich nachher im Protokoll meine umfangreiche Antwort auf die erste Frage des Kollegen Gansel vornehmen, werden Sie — da bin ich sicher — auch als, wie Sie selbst sagen, Nichtexperte die Zusammenhänge, die Daten, die Geschichte und die Zielsetzung der Bundesregierung und der NATO sehr genau erkennen. Ich bitte Sie, auf dieser Grundlage in Ihrem Wahlkreis in den Versammlungen versachlichend zu wirken und dabei zu helfen, dieses Thema wieder in die nötige Richtung zu bringen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Nickels.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, nachdem hier wirklich die Diskussion hin und her gegangen ist, möchte ich noch einmal auf die Eingangsfrage zurückkommen. Das eigentlich Er-
Metadaten/Kopzeile:
8422 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985
Frau Nickelsschreckende war ja die Tatsache, daß diese Atomminen — —
— Ich muß das erläutern, weil hier wirklich — auch durch den Herrn Staatssekretär — alles hin und her gegangen ist.
— Der Präsident wird schon darüber befinden, ob das noch im Rahmen der Geschäftsordnung ist!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sind Sie auch der Auffassung, daß das Besondere in dieser Situation die Tatsache ist, daß diese Atomminen eben von einzelnen Soldaten herumgetragen werden können, was natürlich im Zusammenhang mit den Einsatzdoktrinen gesehen werden muß?
Zum zweiten möchte ich Sie, da Sie die Existenz von sogenannten Tornisterbomben verneint haben, fragen, ob es sich dabei denn um Minen im Schlafsackformat handeln könnte, die gegebenenfalls von zwei Soldaten transportiert werden könnten, von dem einen die Mine und von dem anderen die Zündungsvorrichtung mit der Elektronik?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, erstens wiederhole ich: Es gibt überhaupt keine neue Waffe dieser Art, und zwar seit vielen Jahren, seit einem Jahrzehnt, seit zwei Jahrzehnten, so daß kein Grund für irgendwelche neuen Aufgeregtheiten bestand und besteht. Dies noch einmal vorweg.
Nun zu dem, was Sie fragen: tragen können oder nicht? Es gibt eine Vielzahl von Dingen, die man heben, die man tragen kann;
ich bin sicher, das würden Sie mit mir und ich mit Ihnen auch schaffen. Darunter sind auch Dinge, die dafür gar nicht da sind.
Aber ich will zu dem System zurückkommen: Es ist ein Waffensystem, und das bedeutet — auch dies steht in der ersten Antwort —, daß viele Soldaten erforderlich sind, um es einzusetzen, um es mit dem Fahrzeug zu fahren oder mit dem Hubschrauber zu fliegen, je nachdem, wohin ich damit will.
Dann sind Soldaten dabei, die dies sichern. Dann sind logischerweise Soldaten dabei, die die Funkgeräte — und das ist nicht ein kleines Funkgerät, sondern wegen der großen Reichweite eines, das wieder von mehreren Mann bedient wird — tragen oder fahren, und dann kommen andere Trupps, in diesem Falle ein Spezialtrupp, dazu.
Wenn Sie einmal den Weg in eine Bundeswehrkaserne oder in eine der Alliierten gefunden haben,
wissen Sie: Diese Soldaten hüpfen nicht alleine herum, sondern haben auch in der kleinsten Formation einen Vorgesetzten, einen Unterführer, und in diesen vielen kleinen Formationen haben sie einen Führer, der dort drüber sitzt,
so daß dieses Kommando von mehreren Soldaten gebildet wird und aus ihnen besteht. Und alle Behauptungen, einer würde damit sonstwo allein durch die Gegend traben, sind irreführend und abwegig und leider von manchen wider besseres Wissen aufgestellt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da wir hier j a nicht in der Märchenstunde sind, sondern uns sachlich unterhalten wollen,
— das ist, was Sie betrifft, durchaus richtig —, frage ich Sie jetzt wirklich zu diesem Punkt einmal ganz konkret.
Was Sie genannt haben, was vorhanden ist, das wissen wir, und das wissen alle ernsthaften Sicherheitspolitiker. Es geht nur darum, daß bestimmte Atomvorrichtungen oder atomare Sprengmittel sehr klein transportabel hinter den möglichen feindlichen Linien eingesetzt werden. Das ist doch der Punkt, um den es heute wirklich geht.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Eine solche Planung, Herr Kollege — fragen Sie Ihre älteren Kollegen in der Fraktion — gab es nicht und gibt es heute nicht in der NATO. Wenn Sie wollen: zwei Ausrufezeichen dahinter.
Zusatzfrage des Abgeordneten Soell.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob und wann Sie selbst, ob und wann der jetzige Minister und ob und wann sein Vorgänger, Minister Apel, von der Existenz dieser sogenannten Tornisterbomben erfahren haben, die offensichtlich— auch in der Art, wie ihre Verwendung diskutiert wird — einen Unterfall des Waffensystems Atommunition darstellen? Also: Wann haben Sie von der Existenz dieser Tornisterbomben erfahren, und haben Sie solche schon gesehen?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir reden von ADM und nicht mit einem Begriff, den manche von Ihnen leider aufnahmen und den die Öffentlichkeit hier geprägt hat. Andere Dinge gibt es nicht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985 8423
Parl. Staatssekretär WürzbachUnd bezüglich der ADM gehe ich davon aus — ich will von hier aus nicht die Amtsführung mancher Vorgänger, die hier saßen, irgendwie bewerten —, daß auch der Minister Apel, nach dem Sie fragen, hiervon wußte. Und da ein Teil bereits bei den 1 000, die auf Grund des 79er Beschlusses im Jahr 1980 reduziert wurden, dabei waren, bin ich sicher, daß er es wußte. Und daß der Minister Manfred Wörner davon weiß, da können Sie ganz sicher sein — wie alle im Kabinett, auch der Bundeskanzler, dies wußten und in den Verhandlungen in Montebello darauf hinwirkten, zu versuchen, daß erreicht wird, daß diese ADM — Anheben der nuklearen Schwelle ist damit verbunden — weitestgehend aus dem mitteleuropäischen, aus dem deutschen Reich verschwinden.
Wir sind am Ende dieses Teils der Fragen und kommen zu der Frage 15 des Abgeordneten Gansel.
Darf ich dazwischen bemerken: Wir haben noch sieben Minuten und zu diesem Komplex — außer zwei zurückgezogenen Fragen — noch zwei Fragen. Ich würde das ganz gern heute noch schaffen, damit wir das nicht morgen noch einmal haben. Vielleicht kann man das jetzt ein bißchen raffen.
Wir kommen also zur Frage 15 des Abgeordneten Gansel:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung gegebenenfalls für den Abzug dieser Bomben aus der Bundesrepublik Deutschland und — in Absprache mit ihren Verbündeten — aus Westeuropa ergreifen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, hier verweise ich auf das Kommuniqué zu Montebello vom 24. Oktober 1983. — Dort ist dies sehr genau erläutert. Ich verweise, auch auf Grund der Bitte des Präsidenten, auf meine Ausführungen von vorhin.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Ist die Bundesregierung konkret bereit, der Forderung der SPD zuzustimmen, daß sämtliche sogenannten ADM aus der Bundesrepublik abgezogen werden und daß dies mit höchster Priorität für die miniaturisierten Atomwaffen gilt, die von einer oder zwei Personen getragen werden können und von deren Existenz als tragbare Systeme bisher nichts in der sicherheitspolitischen Diskussion bekannt war?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, die Bundesregierung will ja viel mehr. Die Bundesregierung will nicht nur diese Waffen, auf die Sie sich jetzt beziehen und die wir wegen Ihrer Frage konzentriert behandeln, reduzieren, sondern die Bundesregierung hat zum Ziel, alle Waffen, übrigens nicht nur atomare, sondern auch konventionelle, zu reduzieren.
Richtig ist, daß sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten in solcher Klarheit, wie es die Bundesregierung in den letzten ein, zwei Jahren und Monaten getan hat, keine Regierung vorher auf eine weitestgehende — dies schließt die Möglichkeit, bis auf
Null zu kommen, ein — Reduzierung dieser ADM-Systeme konzentriert hat, über die wir reden. Im März werden hier die Einzelheiten festgelegt, welche Systeme wann aus welchen Regionen der NATO abgezogen werden.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Da der Staatssekretär auf etwas geantwortet hat, was ich nicht gefragt habe, besteht wahrscheinlich auch ein Zusammenhang, wenn ich jetzt auf Grund dessen meine Zusatzfrage stelle. Wieviel Waffen, Herr Staatssekretär, sind eingeführt worden, oder bei wieviel Waffen ist Ihre Einführung durch die Bundesregierung unter der Verantwortung von Herrn Kohl vorgeschlagen worden, seitdem ein geschickter Öffentlichkeitsarbeiter in der Unionszentrale den Slogan „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" erfunden hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es sind heute, und dies werden Ihre Kollegen aus den Fachausschüssen Ihnen bestätigen, so wenig — bleiben wir bei den atomaren Waffen — Atomwaffen in Europa, in Deutschland stationiert wie nie zuvor. Durch den Beschluß von Montebello — ich wiederhole: Einzelheiten sind im März dieses Jahres festzulegen — soll noch einmal einseitig vorgeleistet werden in der Hoffnung, die Sowjetunion schließt sich an; es sollen 1 400 Atomwaffen abgezogen werden. Ich würde sehr begrüßen, wenn Sie diese Tatsache — nur die Tatsache — auch als Politiker unterstützten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, Sie werden verstehen, daß wir es sehr begrüßen würden, wenn Sie in dieser Fragestunde einmal konkret auf eine konkrete Frage antworten würden.
Wird die Bundesregierung im März vorschlagen, daß wie in Montebello beschlossen, mit den insgesamt 1 400 nuklearen Sprengköpfen, die im NATO-Bereich abgezogen werden sollen, alle, auch die kleinen, deren Existenz uns neu ist, Atomwaffen von deutschem Boden abgezogen werden, die Sie unter den Gesamtbegriff ADM fassen?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Professor Ehmke, ich bin ganz sicher, daß Sie sehr genau zugehört haben, was ich gesagt habe, und daß Sie auch verstanden haben, warum ich dies so gesagt habe.
Wir wären töricht, wenn wir, da Einzelheiten im März mit den Partnern verhandelt werden, hier andere Formulierungen Ende Januar vortrügen. Die Zielrichtung, in der wir auf Weisung unseres Bundeskanzlers verhandeln, lesen Sie bitte noch einmal
Metadaten/Kopzeile:
8424 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985
Parl. Staatssekretär Würzbachin meiner Antwort nach; die können Sie sehr deutlich verstehen.
Bei den Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Müller bittet der Fragesteller um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 18 der Abgeordneten Frau Nickels auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen oder widerlegen, daß es sich bei den in jüngster Zeit in der Presse diskutierten „Tornister-Bomben" um solche Massenvernichtungswaffen handelt, die in der Fachliteratur als „Special Atomic Demolition Munition" bzw. „Spezielle Atomminen" seit geraumer Zeit bekannt sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich verweise als Antwort auf alles bisher eben Gesagte.
Zusatzfrage, Frau Nikkels.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ich möchte gerne wissen, weil der Staatssekretär Rühl ja erklärt hat, daß diese speziellen Tornister-Bomben „defensive Sperrmittel" sind, ob die Regierung ausschließen kann, daß solche „defensiven Sperrmittel" im Kriegsfall, wenn die Verhaltensmaßregel Stay put gilt und die betroffene Bevölkerung am Ort bleiben muß und es eventuell Panik oder Fluchtbewegungen gibt, auch als Sperre gegen Fluchtbewegungen der eigenen Bevölkerung eingesetzt werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Hundertprozentig j a.
Weitere Zusatzfrage, Frau Nickels.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine zweite Zusatzfrage ist die, inwieweit Sie den Einsatz oder möglichen Einsatz dieser „defensiven Sperrmittel" im Einklang mit dem von uns unterzeichneten, aber noch nicht ratifizierten Zusatzprotokoll Nr. 1 zum Genfer Rotkreuz-Abkommen und zur Haager Landkriegsordnung sehen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir halten dies für vereinbar. Eine der klaren Festlegungen in der integrierten Einsatzplanung in der NATO, wo wir mit sitzen, ist der absolute Schutz der Zivilbevölkerung.
Frau Schmidt, nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf Ihre vorigen Antworten verwiesen. Darf ich Sie um Ihren Rat bitten: Sie haben vorhin Frau Nickels geraten, sie möge sich überzeugen, wie ein solches System funktioniert. Wie kann das ein Abgeordneter tun, wenn ihm, wie es unlängst Herrn Schöfberger passiert ist, der Zutritt zu einer Kaserne, in der solche Systeme lagern, verwehrt wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe in diesem Zusammenhang auf eine solche Art, sich Informationsunterlagen zu beschaffen, nicht verwiesen, Frau Kollegin. Das war in einem anderen Zusammenhang, nämlich im Zusammenhang mit der Frage des Kollegen Gansel, den ich eingeladen habe, an Manövern teilzunehmen, um zu sehen, welche Vorschriften greifen.
Wir sind am Ende der Zeit für die Fragestunde. Wir haben noch eine Frage von Frau Nickels. Wenn ich davon ausgehen darf, daß die Antwort kurz ist und wir nur die zwei Zusatzfragen haben, versuchen wir es noch.
Ich rufe die Frage 19 der Abgeordneten Frau Nickels auf:
Hält die Bundesregierung an ihrer im Bundeswehrplan 1985 beschriebenen Zielsetzung fest, auf den Abzug sämtlicher Atomminen in der Bundesrepublik Deutschland hinzuwirken, bzw. wie beurteilt sie Pressemeldungen, daß dies seit der letzten NATO-Ratstagung nicht für den Typ der SADM gilt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das Ziel der Bundesregierung ist, wie in Montebello beschlossen, um weitere 1 400 Gefechtsköpfe, möglichst viele von diesen eingeschlossen, zu verringern. Über den Bundeswehrplan, Frau Kollegin, gebe ich hier im Plenum und damit in der Öffentlichkeit — weil dies ein geheimes Dokument ist — keine Auskünfte.
Zusatzfrage, Frau
Nickels.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob Informationen der GRÜNEN richtig sind, daß zumindest in der Vergangenheit auch Spezialzüge der schweren Pionierbataillone der Bundeswehr in Minden und Ingolstadt den Einsatz mit Atomminen geübt haben, und ist geplant, diese Praxis irgendwann einzustellen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundeswehrsoldaten werden an diesem ADM nicht ausgebildet.
Weitere Zusatzfrage, Frau Nickels.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, in Anbetracht der Tatsache, daß Ihr Haus im vergangenen Jahr, am 12. Dezember, von der Geheimhaltungspraxis abgewichen ist und Äußerungen zur geplanten Stationierung von Cruise Missiles und Atomsprengköpfen in Wüschheim getan hat, möchte ich Sie fragen, ob Vermutungen der Friedensgruppen in der Region richtig sind, daß als Lagerorte für Atomminen die Sondermunitionsdepots in Liebenau/Weser und Hernau in Betracht kommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Januar 1985 8425
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich wiederhole, daß wir solche Angaben weder bestätigen noch dementieren. Das ist Praxis aller Bundesregierungen.
Es war mein Irrtum, daß ich Frau Reetz übersehen habe. Können wir das noch in einer Minute schaffen, Herr Staatssekretär?
Ich rufe die Frage 20 der Frau Abgeordneten Reetz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die psychologischen Auswirkungen auf die Bevölkerung im Ortenaukreis, insbesondere der Stadt Lahr, die hervorgerufen werden durch den Bau von dreizehn 17 Meter langen Betonröhren , die in 26 einzelnen Moduln von einer französischen Firma auf dem Lahrer Flugplatz installiert werden und als Personalschutzbauten deklariert wurden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Reetz, die auf dem NATO-Flugplatz Lahr im Auftrag der dort stationierten kanadischen Streitkräfte durchgeführte Verlegung von Fertigteilelementen aus Beton dient der Schaffung von Schutzeinrichtungen für unsere Soldaten. Diese dienen dem Personenschutz und sind bereits in vielen ähnlichen Liegenschaften von unseren Verbänden wie von den Verbündeten eingebaut. 90 % der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland wissen, daß ihr Leben in Frieden und Freiheit mit all den Vorzügen, die ihnen die Menschenrechte einräumen, verteidigt werden muß, und befürworten NATO und Bundeswehr.
Dazu gehören diese Vorkehrungen.
Zusatzfrage, Frau Reetz.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß diese Schutzbauten nicht unseren Soldaten dienen, sondern, wie Oberst Saulnier von
den Kanadiern sagte, allein dem kanadischen Personal des Flugplatzes und notfalls ihren Angehörigen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, jeder — nicht nur die Fachleute und die Abgeordneten — in der Öffentlichkeit, der sich ein bißchen mit der Verteidigung in der NATO beschäftigt, weiß, daß wir eine Aufgabenteilung haben. Die Aufgaben in der Region dort werden erfreulicherweise durch unsere kanadischen Bündnispartner wahrgenommen.
Die letzte Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Können Sie mir die Kosten für diese Schutzbauten sagen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Dies kann ich nicht.
Sie lassen sich in einem Infrastruktur- und Haushaltsplan nachlesen.
— Verteidigung ist teuer. Umsonst gibt es das nicht.
Wir haben es geschafft, an das Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung zu kommen. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen und beende die Fragestunde.
Ich lade ein zur nächsten Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen früh, 17. Januar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.