Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, am 22. Mai 1984 hatte der Abgeordnete Buckpesch seinen 60. Geburtstag. Ich wünsche ihm von Herzen Glück und Segen.
Des 60. Geburtstages der Frau Abgeordneten Antje Huber haben wir gestern gedacht; aber ich wünsche, daß das auch hier im Protokoll steht.
Meine Damen und Herren, wenige Mitteilungen: Für den als stellvertretendes Mitglied aus dem Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt ausgeschiedenen Herrn Horst Dahlmeyer hat die Fraktion der FDP für den Rest der Amtszeit den Abgeordneten Baum als Nachfolger vorgeschlagen. Ich frage, ob Sie damit einverstanden sind. — Ich sehe keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Baum als stellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt gewählt.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die verbundene Tagesordnung um folgende Zusatzpunkte erweitert werden:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes— Drucksache 10/1483 —Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 17. Oktober 1980 über die Gewährung ärztlicher Betreuung an Personen bei vorübergehendem Aufenthalt— Drucksache 10/1484 —Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDPFreilassung von Andrej Sacharow und Jelena Bonner— Drucksache 10/1473 —Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENFreilassung von Andrej Sacharow und Jelena Bonner— Drucksache 10/1495 —Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes— Drucksache 10/1475 —Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes— Drucksachen 10/773, 10/1485 —Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung— Drucksache 10/1474 —Beratung des Antrags der Fraktion der SPD, Sicherung umweltfreundlicher Energieversorgung— Drucksache 10/1476 —Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden. Gibt es dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.Die verbundene Tagesordnung dieser Woche wird weiterhin erweitert um eine von den Fraktionen der SPD und der CDU/CSU verlangte Aktuelle Stunde. Ihr Thema lautet: Lage im Arbeitskampf. Einer Vereinbarung im Ältestenrat entsprechend wird dieser Zusatzpunkt am Freitag um 9 Uhr aufgerufen.Soweit die Mitteilungen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zum gescheiterten Strafbefreiungsvorhaben— Drucksache 10/1449 —Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen Ihnen weitere Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1494 und der Fraktionen der CDU/
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4996 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Präsident Dr. BarzelCSU und der FDP auf Drucksache 10/1496 vor. Im Ältestenrat bestand Einvernehmen, diese Anträge ebenfalls auf die Tagesordnung zu setzen und in verbundener Beratung zu behandeln. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Dann rufe ich auch auf:Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN zum gescheiterten Strafbefreiungsvorhaben— Drucksache 10/1494 —Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Steuerstrafrechtliche Zweifelsfragen im Zusammenhang mit Parteispenden— Drucksache 10/1496 —Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. — Ich sehe auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung der Anträge gewünscht? — Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich, Herr Präsident, daß Sie mir zur Begründung der von meiner Fraktion vorgelegten Entschließung das Wort erteilt haben. Mein Recht, aus diesem Anlaß und zu diesem Zweck das Wort zu nehmen, ist gestern und heute in diesem Hause von der Unionsfraktion in Zweifel gezogen worden.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Grundgesetz sagt im ersten Absatz seines dritten Artikels: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Dieser Satz ist einer der fundamentalsten unserer Rechts- und Verfassungsordnung, er ist das Fundament unseres liberalen Rechtsstaates. Die von meiner Fraktion vorgelegte Entschließung und die heutige Debatte sind notwendig geworden, weil Sie, Herr Bundeskanzler, diesen Satz zumindest teilweise außer Kraft setzen wollen, weil Sie einen kleinen Personenkreis vor den Verfahren und sonstigen strafrechtlichen Konsequenzen bewahren wollen, die jeder andere Bürger und jede andere Bürgerin selbstverständlich zu tragen und hinzunehmen haben, wenn sie in denVerdacht geraten, gegen Steuergesetze verstoßen zu haben.Herr Bundeskanzler, das ist schlimm genug. Schlimmer ist, daß Sie Ihr Vorhaben unter anderem damit begründet haben, Sie wollten denen, die Ihnen und Ihrer Partei mit Geldspenden geholfen haben, mehr sagen als nur ein — ich darf Sie zitieren — Dankeschön zwischen Tag und Zwielicht.Noch schlimmer ist, daß ein Staatsminister Ihrer Bundesregierung sich sogar zu der Äußerung verstieg, die Amnestie müsse durchgesetzt werden, weil seine Partei sonst keine finanziellen Zuwendungen mehr zu erwarten habe.
Das heißt doch im Klartext: Das Recht soll zur Ware gemacht werden, das Recht soll käuflich sein.
Das, meine Damen und Herren, ist der Kern der Sache. Das ein für allemal zu verhindern ist das Anliegen unserer Entschließung.Ihre Freunde und Sie versuchen jetzt, von diesem zentralen Punkt abzulenken. Sie sagen, nicht nur die Regierungsparteien, sondern alle schon länger im Bundestag vertretenen Parteien, auch die meine, hätten Spenden entgegengenommen, und zwar im Einzelfall auch unter Verletzung geltender Gesetze. Aber das, meine Damen und Herren, bestreitet niemand. Wir sagen es vielmehr ausdrücklich im ersten Satz unserer Entschließung. Das ist ein Gebot der Ehrlichkeit und der Fairneß.
Meine Damen und Herren, Sie sagen weiter, Amnestiepläne seien schon früher erörtert worden, so in der Zeit der sozialliberalen Koalition. Auch das ist richtig; auch das sagen wir in unserer Entschließung. Nur, Herr Bundeskanzler, Sie sagen in diesem Zusammenhang zwei wesentliche Dinge nicht: Sie sagen nicht, daß die Erörterungen auf Verlangen unseres damaligen und Ihres heutigen Koalitionspartners stattgefunden haben, und Sie sagen nicht, daß die damaligen Erörterungen mit dem Nein der Sozialdemokraten endeten,
mit einem Nein, das Sie, Herr Kollege Genscher, am 19. Dezember 1981 übrigens mit dem Satz „Das nehmen wir nicht hin!" quittierten, mit einem Nein zu jeder Art von rückwirkender Strafbefreiung, einem Nein, das wir seitdem bei jeder Gelegenheit bekräftigt haben.Herr Bundeskanzler, diese Ablenkungsmanöver verfangen nicht. Hier und heute geht es nicht um Enthüllungen und Verdächtigungen. Die aufzuklären ist Sache der Staatsanwaltschaften und Gerichte oder auch von Untersuchungsausschüssen.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Freundein Ihrer Partei oder der Koalition dazu etwas vorzubringen haben, dann gehen Sie dorthin, zu Staats-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 4997
Dr. Vogelanwaltschaft und Gericht, und erklären Sie, warum Sie Ihr vermeintliches Wissen so lange zurückgehalten haben.
Aber, meine Damen und Herren, studieren Sie vorher bitte auch die Strafbestimmungen gegen Verleumdung, üble Nachrede oder falsche Anschuldigung!
Hier und heute geht es darum, meine Damen und Herren, daß Sie die Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht unterstützen, sondern ihnen in den Arm fallen wollen,
daß Sie Grundprinzipien unseres Rechtsstaates in Frage stellen und daß Sie dies in einem Verfahren versucht haben, das jeder Beschreibung spottet.
Der von Ihnen, Herrn Genscher und Ihren Koalitionsfraktionen eingebrachte Gesetzentwurf ist von keinem Geringeren als dem langjährigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, unserem ehemaligen Kollegen und Innenminister, Herrn Benda, öffentlich schlichtweg als unzulässig bezeichnet worden;
dies deshalb, weil er — ich zitiere ihn sinngemäß — nur diejenigen von Strafe freistellt, die große Beträge gespendet oder entgegengenommen und dabei schuldhaft gegen das Steuerrecht verstoßen haben. Kleine Spender und die Spender, die ihr Tun in gutem Glauben für erlaubt hielten, haben ohnehin nichts zu befürchten, haben den Freispruch oder die Einstellung des Verfahrens zu erwarten.
Nein, meine Damen und Herren, es geht nicht um die Kleinen, um die Ahnungslosen, es geht um die, die wußten, was sie taten, die wußten, warum sie wertlose Gutachten hoch bezahlten oder warum sie Gelder auf kunstvollen Umwegen ins Ausland schickten. Haben Sie sich, Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, eigentlich einmal überlegt, wie die Finanzämter, die Staatsanwaltschaften und die Gerichte eigentlich noch die durchschnittlichen Steuersünder hätten verfolgen sollen, wenn dieser Entwurf Gesetz geworden wäre?
Beispielsweise den Handwerker oder den Arbeiter, der seine Einkünfte aus Schwarzarbeit nicht versteuert hat, oder den Gewerbetreibenden, dessen Belege oder dessen Buchführung einmal nicht in Ordnung gewesen sind.
Spätestens bei dieser Überlegung hätten doch die Warnlampen aufleuchten müssen, sogar bei dem Kollegen, der kraft Amtes in besonderer Weise zurWahrung der Verfassung und der Rechtsordnung verpflichtet ist. Ich meine, beim Bundesminister der Justiz.
Der Bundesminister der Justiz hat zunächst geschwiegen. Dann hat er die Sache halbherzig verteidigt, dann ist er endgültig verstummt. Ist Ihnen, Herr Kollege Engelhard, nie der Gedanke gekommen, wie sich ein Thomas Dehler an Ihrer Stelle verhalten hätte, nein, im Jahre 1953 verhalten hat?
Oder daran, daß Ihre Parteifreunde Bucher und Stammberger aus weit geringerem Anlaß zurückgetreten sind? Ich fürchte, der Kommentator einer angesehenen Zeitung hat recht, der kürzlich schrieb: Wenn Thomas Dehler könnte, würde er Ihnen das FDP-Parteibuch aus dem Grabe nachwerfen, und wohl nicht nur Ihnen.
Unsere Entschließung kritisiert den Inhalt Ihres Vorhabens, Sie bedauert aber auch das Verfahren, in dem es verwirklicht werden sollte.
Allein schon die Initiative verstieß gegen Treu und Glauben. Sie wissen doch genau, daß die Gutachterkommission des Bundespräsidenten 1982 mit Ihrer Zustimmung nur unter der Voraussetzung tätig geworden ist, daß es keine Amnestie gibt.
Der Generalsekretär der Union, Herr Geißler, hat unmittelbar vor der Wahl vom 6. März 1983 auf die Frage, ob im Falle eines Wahlsiegs der Koalition eine Parteispendenamnestie für möglich gehalten werde, wörtlich erklärt: „Also, das ist völlig ausgeschlossen, und das ist eine reine Erfindung. So etwas kommt überhaupt nicht in Frage." Nach der Wahl hat er das im April 1983 noch einmal mit den Worten bekräftigt — ich zitiere wiederum den Generalsekretär der Union —: „Die CDU hat keinen Amnestiebedarf. Die vorgesehenen Neuregelungen dienen für uns nicht dazu, um strafrechtliche Vergehen oder um steuerrechtliche Vergehen der Vergangenheit zu vertuschen."
Der Herr Generalsekretär ist mit dem Vorwurf der Lüge und des Betrugs gegen andere schnell bei der Hand. Ich meine, er sollte besser vor der eigenen Türe kehren.
Herr Kollege Geißler, bei der Begründung ist eine Zwischenfrage nicht erlaubt.
Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihr Generalsekretär hatten doch die feste Strafbefrei-
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4998 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. Vogelungsabsicht, wie Sie inzwischen mitgeteilt haben, schon seit langem und auch schon zur damaligen Zeit — Sie bestreiten das j a auch gar nicht —; dann die fast konspirative Geheimhaltung Ihres Vorhabens, mit der sich die Beteiligten zunächst sogar auch noch öffentlich gebrüstet haben; der Vertrauensbruch gegenüber unserer Fraktion, die ihre Zustimmung zum Parteienfinanzierungsgesetz ausdrücklich an die Bedingung geknüpft hat, daß jede Amnestie für die zurückliegende Zeit abgelehnt wird.
dann der trickreiche Versuch — Herr Schäuble, das ist wohl Ihre Erfindung gewesen —, die Sache unter Umgehung des Plenums sogleich im Ausschuß mit einem interfraktionell eingebrachten Entwurf zu überwinden, der genau das Gegenteil bezweckte, nämlich eine strengere Ahndung von Steuerstraftaten. Selbst die „FAZ" sprach in diesem Zusammenhang von einem Schelmenstück — ich zitiere aus der „FAZ".
Schließlich: Ist Ihnen nicht wenigstens im nachhinein bewußt geworden, in welch peinliche Situation Sie mit Ihrer Überrumpelungstaktik Ihre eigenen Fraktionskolleginnen und Fraktionskollegen gebracht haben oder die, denen Sie beispielsweise in Stuttgart das Ja mit Ihrer Amtsautorität abverlangten und von denen es Ihnen viele, so hoffe ich, mehr aus Loyalität als aus innerer Überzeugung gegeben haben?
Und, Herr Bundeskanzler, war es Ihnen nicht ein Wort des Bedauerns wert, daß Ihr Pressesprecher, der Pressesprecher der CDU-Zentrale, sogar noch den designierten Bundespräsidenten wahrheitswidrig als Befürworter Ihres Vorhabens der Öffentlichkeit gegenüber in Anspruch genommen hat?
Gewiß, Ihr Vorhaben ist — zunächst jedenfalls — gescheitert. Sie haben Ihren Entwurf zurückgezogen, nicht aus besserer Einsicht, auch nicht auf Grund unseres vehementen Widerspruchs,
sondern weil Ihnen der öffentliche Widerspruch, weil Ihnen die allgemeine Empörung keine andere Wahl ließ. Unsere Entschließung sieht in dieser breiten Front der Ablehnung, die nahezu alle Gruppen unserer Gesellschaft umfaßt und quer durch unser ganzes Volk geht, ein ermutigendes Zeichen für das intakte Rechtsbewußtsein und das demokratische Selbstbewußtsein in unserer Gemeinschaft.
Herr Bundeskanzler, Sie sprechen oft von dem Optimismus, der Sie in allen möglichen Zusammenhängen beseelt. Ich sage für meine Freunde: Nichts hat uns in letzter Zeit so optimistisch gestimmt wie die Tatsache, daß die breite Empörung unseres Volkes dieses Vorhaben zunächst zum Stehen gebracht hat. Das stimmt uns optimistisch.
Ich meine, wir haben alle miteinander in diesem Haus Anlaß, allen Gruppen und Einzelpersonen, die zu diesem Widerspruch aufgerufen und ihn durch ihre Argumente getragen und verstärkt haben, zu danken. Wir haben auch den Medien zu danken, die ihr Wächteramt im Geiste der rechtsstaatlichen Demokratie wahrgenommen haben.
Unsere Entschließung lädt Sie ein, fordert Sie auf, diesen Dank zum Ausdruck zu bringen. Ich meine, wenigstens den Mitgliedern der Regierungsfraktionen — zwei oder drei in der Union, einige in der FDP —, die dem Vorhaben von Anfang an nicht zugestimmt, sondern öffentlich widersprochen haben oder ihm später entgegengetreten sind, sollte es möglich sein, sich diesem Dank an die deutsche Öffentlichkeit anzuschließen.
Sie, Herr Bundeskanzler, und, ich fürchte, auch Sie, Herr Kollege Genscher, werden diesem Dank kaum zustimmen können. Sie halten ja Ihr Vorhaben nach wie vor für richtig und notwendig. Sie wollen es, wie Sie sagten, weiter durchkämpfen; zunächst einmal heute hier. Ihnen fehlt offenbar nicht die Absicht, es erneut zu versuchen, sondern gegenwärtig die Mehrheit. Weil das so ist, will unsere Entschließung mit ihrem vierten Absatz endgültig Klarheit schaffen.Dieser Absatz enthält die Aufforderung, alle Pläne für eine Parteispendenamnestie ein für allemal aufzugeben, in Zukunft auch in veränderter Form nicht mehr aufzugreifen und dahin zielenden Bestrebungen künftig von Anfang an entgegenzutreten. Wer diesem Absatz unserer Entschließung — es wird Gelegenheit zur gesonderten Abstimmung gegeben sein — seine Stimme verweigert, der läßt den Eiterherd weiter schwären, statt die Gelegenheit zu nützen, ihn jetzt endgültig und ein für allemal auszutrocknen. Wer hier nein sagt, braucht künftig keine Jugendenqueten mehr zu veranstalten.
Auch seine Bemühungen zur Überwindung der Parteiverdrossenheit kann er sich gänzlich sparen.Weil Sie soviel von Heucheln reden: Wer hier ablehnt, der muß sich fragen, ob er nicht heuchelt, wenn er sich weiter mit biedermännischer Miene über Hausbesetzer oder Sitzblockaden erregt und hier den Rechtsstaat gefährdet sieht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 4999
Dr. VogelHerr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, es bleibt eine Frage. Es bleibt die Frage, warum Sie, Herr Bundeskanzler, unserem Staat, unserem Volk, auch diesem Parlament das alles zugemutet haben. Eine Zeitung, die Ihnen überaus wohl will, die „Neue Zürcher Zeitung",
antwortet auf diese Frage mit folgender Feststellung — ich zitiere —:Kohls größter Fehler bleibt seine mangelnde Einsicht, daß ein derart zweifelhaftes Unternehmen, das bestimmte Steuerdelikte völlig einseitig begünstigen und außerdem eine Reihe von Politikern, die in entsprechende Verfahren verwickelt sind,
zu Richtern in eigener Sache machen würde, weder in der FDP noch in der breiten Öffentlichkeit das nötige Vertrauen finden konnte. Hat ihn hier sein mit Recht gerühmter politischer Instinkt getäuscht, oder— so fährt die „Neue Zürcher Zeitung" fort —war der Druck, die leidigen Spendenverfahren gewissermaßen mit einem Federstrich aus der Welt zu schaffen, so stark, daß man sich trotz aller Risiken entschloß, den bedenklichen Rettungsversuch zu wagen? Diese Frage— so schließt das Zitat — läßt sich vorläufig nicht klar beantworten.Herr Bundeskanzler, Sie haben es in der Hand, diese Anwort heute zu geben. Es wäre eine befreiende Antwort, wenn Sie Ihren Irrtum eingestünden, wenn Sie dadurch einen Teil des Schadens, der angerichtet wurde, wiedergutmachen, wenn Sie mit uns zusammen das Rechtsvertrauen von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern wiederherstellen, wenn Sie sich nicht weiter in einen Irrweg verrennen und an diesem Irrweg festhalten würden. Wenn Ihnen dazu die Kraft fehlt, dann muß das Parlament an Ihrer Stelle mit seinem Votum handeln.
Die Annahme unserer Entschließung, die sich in nüchterner Sprache auf die Sache konzentriert, schüfe dann die Klarheit, auf die unser Volk Anspruch hat, auf die Klarheit, daß gleiches Recht für alle gilt, daß unser Recht stärker ist als Macht und Einfluß.Herr Bundeskanzler! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gestern vor noch nicht 24 Stunden mit großer Mehrheit quer durch die Parteien einen Bundespräsidenten gewählt und damit bewiesen, daß wir ungeachtet harter Konfrontationen in einer zentralen Frage auch der Übereinstimmung fähig sind. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist eine ebenso zentrale Frage. Wir sollten auch hier der breiten Übereinstimmung fähig sein.
Deshalb, meine Damen und Herren, bitte ich, unserer Entschließung in der heutigen Sitzung, die der Frage der Amnestie — ja oder nein — gewidmet ist, Ihre Zustimmung zu geben, zumindest in den Absätzen 3 und 4.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Amnestiegedanke in diesem Zusammenhang ist viele Jahre hindurch, Herr Wischnewski, von Politikern der CDU/CSU, der SPD und der FDP erwogen worden.
[GRÜNE]: Kein Wunder! Die sind ja auch betroffen!)
Hinter diesem Amnestiegedanken stand und steht die Einsicht, daß die Parteienfinanzierung in Deutschland bis zum Ende des vergangenen Jahres nicht eindeutig, nicht klar und nicht angemessen geregelt gewesen ist.
Die vom Herrn Bundespräsidenten berufene Sachverständigenkommission spricht in ihrem Bericht vom 18. April 1983
gerade im Hinblick auf die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden zugunsten politischer Parteien von einem Zustand rechtlicher und tatsächlicher Unklarheit —
so die Feststellung dieser Sachverständigenkommission. Herr Präsident, meine Damen und Herren, Rechtsklarheit ist eines der wesentlichsten Elemente des Rechtsstaates. Nur wenn voraussehbar ist, wie heutiges Verhalten in späteren Jahren strafrechtlich gewürdigt wird, ist es möglich, in Freiheit und Sicherheit zu leben.Es ist daher ein schlimmes Versagen des Gesetzgebers, daß er erst mit dem Gesetz, das dieser Bundestag am 22. Dezember 1983 beschlossen hat, erstmals eindeutig und umfassend für Rechtsklarheit in der Parteienfinanzierung in Deutschland gesorgt hat.
Wir von den Unionsparteien sind an der Gesetzgebung beteiligt, aber wir können für uns in Anspruch nehmen, daß niemand so entschieden für
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5000 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. Dreggerklare Rechtsverhältnisse eingetreten ist wie wir, die Union.
Ich erinnere an das Niedersachsen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das für die Klärung der rechtlichen Tatbestände nicht so ergiebig war, wie wir es erhofft hatten. Es ist von Ernst Albrecht, dem Unions-Freund, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten, auf den Weg gebracht worden. Ich erinnere vor allem an das, was jahrelang der Parteivorsitzende der CDU versucht hat, um in dieser Frage mit allen demokratischen Parteien zu einem Konsens zu kommen und dadurch zu einer eindeutigen rechtlichen Regelung. Meine Damen und Herren, das ist nicht an Willy Brandt gescheitert und auch nicht an Herbert Wehner, die dazu durchaus bereit gewesen sind, es ist vielleicht an Herrn Schmude und anderen Teilen der SPD gescheitert, jedenfalls an der völligen Zerstrittenheit und Handlungsunfähigkeit der SPD.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, der von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vorgelegte Straffreiheitsgesetzentwurf
wollte einen Schlußstrich ziehen unter dieses für die deutsche Demokratie traurige Kapitel.
Wir wollten verhindern, daß das frühere Versagen des Gesetzgebers auf dem Buckel von Bürgern ausgetragen wird, die nichts anderes getan haben, als sich ohne eigenen Vorteil für demokratische Parteien in Deutschland zu engagieren.
Herr Kollege Vogel hat unseren Gesetzentwurf vor einiger Zeit — ich zitiere — „einen Anschlag auf den demokratischen Rechtsstaat" genannt;
für einen Juristen, Herr Professor Ehmke, und für einen verantwortlichen Politiker eine erstaunliche Aussage. Ich habe in der Rechtslehre und in der Rechtsprechung niemanden entdecken können, der den Standpunkt des Kollegen Vogel bestätigt hätte. Niemand zweifelt daran, daß das Instrument der Amnestie ein Instrument des Rechtsstaates ist. Das Bundesverfassungsgericht hat das in mehreren Entscheidungen bestätigt.
— Im übrigen, Herr Kollege Ehmke, hat der Deutsche Bundestag auf Betreiben der SPD schon einmal ein Amnestiegesetz beschlossen:
am 18. März 1970, zugunsten von Demonstrationsstraftätern.
Ich wäre Herrn Kollegen Vogel dankbar, wenn er erklären könnte, warum die eine Amnestie ein Anschlag auf den demokratischen Rechtsstaat sein soll und die andere Amnestie nicht.
Ich sehe in der von uns vorgeschlagenen Amnestie nichts anderes als ein Gebot der Gerechtigkeit.
Der Brief des früheren Bundesbankpräsidenten Klasen, eines alten Sozialdemokraten, eines mit Recht hochangesehenen Mannes, an den Kollegen Vogel — er hat ihn heute nicht zitiert, deswegen will ich das tun — macht vielleicht deutlich, was ich meine.
Herr Kollege Dregger, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich erlaube keine Zwischenfragen.
Ich jedenfalls zweifle nicht daran, daß Herr Klasen bei seiner Werbung für Spenden für die SPD von der Rechtmäßigkeit dessen überzeugt war, was er selbst tat und was er den Spendern geraten hat, meine Damen und Herren.
— Ich bekomme keinen Beifall von seinen Parteifreunden. — Meine Damen und Herren, Karl Klasen ist kein Gauner.
Die anderen Spender und Spendensammler sind es in ihrer größten Mehrheit auch nicht. Ich frage: Hat die Führungsriege der SPD die Spendenpraxis, die in der Vergangenheit von allen demokratischen Parteien im Kern dieselbe war,
anders beurteilt als Karl Klasen?Ich richte diese Frage an die früheren Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt. Ich richte diese Frage an die früheren Finanzminister — eine große Zahl — Alex Möller, Karl Schiller, Helmut Schmidt, Hans Matthöfer, Hans Apel und Manfred Lahn-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5001
Dr. Dreggerstein. Ich richte sie an die früheren Justizminister, insbesondere an die Herren Schmude und Vogel,
die sich ja in der Verurteilung der früheren Spendenpraxis und in der Verurteilung des Amestiegesetzes in der Vergangenheit in so besonderer Weise hervorgetan haben. Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten, meine Herren.
Entweder haben Sie diese Praxis damals als rechtmäßig angesehen — so wie Karl Klasen und auch ich —; dann sollten Sie jetzt nicht schweigen, sondern reden und sollten sich an die Seite von Karl Klasen und aller derer stellen, die in demokratischer Weise die Finanzierung der demokratischen Parteien ermöglicht haben.
Es gibt noch eine zweite Möglichkeit. Sie haben schon damals diese Spendenpraxis als unrechtmäßig angesehen. Dann stellen Sie sich bitte an dieses Pult und erklären Sie der deutschen Öffentlichkeit, was Sie als Kanzler und Minister getan haben, um diesen Rechtsverstößen Einhalt zu bieten.
Einem Kanzler und einem Minister — und das noch bei diesem Thema! — standen und stehen alle Medien zur Verfügung. Hätte nur einer von Ihnen diese Spendenpraxis vor der deutschen Öffentlichkeit eindeutig als Rechtsverstoß bezeichnet, dann wäre kein Spender bereit gewesen, Ihrer Partei oder einer anderen demokratischen Partei auf dem Wege über Stiftungen, Ebert-Stiftung, Staatsbürgerliche Vereinigungen,
Berufsverbände, Gewerkschaften und ähnliches Geld zur Verfügung zu stellen, keiner!
Meine Herren, ich bitte Sie: Sagen Sie die Wahrheit!
Sie alle, die Sie im politischen Leben standen, haben von dieser Spendenpraxis gewußt.
Sie alle haben davon selbst oder durch Ihre Helfer für Ihre politische Arbeit Gebrauch gemacht. Jetzt aber schweigen Sie.
Sie distanzieren sich damit von denen, die Ihnen,den damals höchsten Würdenträgern der Republik,vertraut haben und Anlaß hatten, Ihnen zu vertrauen, meine Damen und Herren.
Wenn Sie jetzt schweigen und Ihre Hände in Unschuld waschen, dann erinnern Sie mich an Pilatus, meine Damen und Herren.
Diese Pilatus-Moral ist miserabel!
Mit meinen Vorstellungen von Ehre und Anstand ist das jedenfalls nicht vereinbar. Vielleicht haben Sie andere Maßstäbe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch das Verhalten der Staatsanwaltschaft wirft Fragen auf.
Ich will sie — von einer Ausnahme abgesehen — nicht aufgreifen. Staatsanwälte folgen einem gesetzlichen Auftrag. Sie ermitteln, weil es ihre Pflicht ist. Das Vertrauen in die Justiz, insbesondere in die Gerichte, aber auch in die Staatsanwaltschaft ist ein wesentliches Element des Rechtsfriedens.
Das Ansehen der Justiz ist daher schutzwürdig. Aber ich sage das jetzt als deutscher Demokrat
und als Vorsitzender der stärksten Parlamentsfraktion: Auch das Ansehen dieses Parlaments und seiner Mitglieder ist schutzwürdig!
Der Deutsche Bundestag ist das einzige vom deutschen Volk gewählte und damit das höchste Organ der Republik.
Warum ich diese Frage in diesem Zusammenhang anschneide, möchte ich an einem Beispiel deutlich machen. Der jetzige Parlamentarische Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt erhielt vor drei Jahren von der Staatsanwaltschaft die Mitteilung, daß gegen ihn wegen des Verdachts der Beteiligung an Steuerhinterziehungen im Zusammenhang mit Parteispenden ermittelt werde. Das wurde von der Staatsanwaltschaft der Presse mitgeteilt, und zwar mehrere Male. Angehört wurde Herr Kol-
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5002 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. Dreggerlege Waffenschmidt in diesen drei Jahren nicht ein einziges Mal.
Unter dem Eindruck der Amnestiedebatte der letzten Wochen, die sich ja nicht gerade durch Besonnenheit und Ehrlichkeit ausgezeichnet hat — die Rede von Herrn Vogel war dafür ein Beispiel —,
hat sich der Meinungsdruck auf Horst Waffenschmidt weiter verstärkt. Am Gebäude der CDUKreisgeschäftsstelle in seinem Wahlkreis war in den letzten Tagen folgende Wandschmiererei zu lesen: „JVA" — d. h. Justizvollzugsanstalt — „Waffenschmidt rein, Bock" — einer der Terroristen —„raus!"
Ich frage die Herren der Staatsanwaltschaft: Waren diese mittelbaren Folgen ihres Verhaltens —
drei Jahre Pressemitteilungen, aber keine Anhörung des Betroffenen — nicht voraussehbar?Mir geht es nicht nur um die menschliche Seite dieser Angelegenheit für unseren Mitbürger Horst Waffenschmidt — obwohl sie mich natürlich auch berührt —, mir geht es auch um die Frage, ob das Parlament — unter dem Eindruck solcher Kampagnen, ausgelöst durch Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft ohne Anhörung der Betroffenen —, seine Aufgaben unbeeinflußt wahrnehmen kann.
Herr Kollege Vogel scheint weder die menschliche Seite des Problems zu berühren noch die von mir aufgeworfene Frage der Souveränität und der Handlungsfähigkeit des Deutschen Bundestages. Ihm ging es darum, den seit drei Jahren angeschuldigten, aber noch nicht ein einziges Mal angehörten
Kollegen Waffenschmidt und andere Kollegen des Bundestages, die in gleicher Weise behandelt worden sind,
von der Abstimmung über ein Amnestiegesetz auszuschließen.
In einem Brief an den — ich zitiere jetzt wörtlich — „Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland" vom 10. Mai 1984 meinte Herr Vogel, dieser — der Herr Bundeskanzler also — habe — ich zitiere wörtlich — „keinerlei Legitimation, solches" — gemeint ist die Mitwirkung an der Abstimmung — „zuzulassen".
Herr Kollege Dregger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Nein.Herr Vogel, ich bin bestürzt. Ist es wirklich Ihre Meinung, der Regierungschef habe darüber zu entscheiden, ob wir, die frei gewählten Abgeordneten des deutschen Volkes, uns an einer Abstimmung beteiligen oder nicht?
Ich kann nur hoffen, daß Sie diese Aussage korrigieren. Denn sonst müßte ich sagen, daß ich mit Ihrem Parlamentsverständnis in keiner Weise übereinstimmen kann.
Meine Damen und Herren, ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Rechtsgedanken der Immunität des Abgeordneten. Diese dient nicht dem Schutz des Abgeordneten. Häufig schadet sie ihm. Denn wenn die Aufhebung der Immunität beantragt wird, kommt das in der Regel einer Vorausverurteilung gleich. Die Immunität dient allein der Handlungsfähigkeit des Parlaments.
Das Parlament soll gegen Eingriffe der Exekutive — —
— Hören Sie doch mal zu, Herr Ehmke! Sie müssen doch auch erst mal nachdenken, dann können Sie reden, vorher nicht.
Die Immunität der Abgeordneten soll das Parlament vor Eingriffen der Exekutive und Judikative schützen, damit das Parlament seinen Auftrag erfüllen kann. Es kann doch nicht sein, daß die Nennung von Abgeordnetennamen — wie im Falle des Kollegen Waffenschmidt — durch die Staatsanwalt-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5003
Dr. Dreggerschaft ein Weg dazu ist, die Parlamentsmehrheiten zu verändern. Das ist doch unvorstellbar.
— Das war seine Begründung. Im Grunde dürfte er heute in der Tat nach seiner eigenen Rechtsauffassung gar nicht geredet haben, denn er ist ja bef an-gen, weil sein Name auch genannt worden ist. Aber wir haben eine andere Rechtsauffassung,
und die erläutere ich gerade. Von Extremfällen abgesehen, würde ich es als eine parlamentarische Pflichtverletzung ansehen, wenn ein Abgeordneter an einer wichtigen Abstimmung nur deshalb nicht teilnehmen würde, weil er von der Staatsanwaltschaft oder von anderer Seite beschuldigt wird.
Anders als ein Richter kann ein Abgeordneter sich nicht vertreten lassen. Das ist ein entscheidender Unterschied.
Im übrigen: Ein Angeschuldigter und auch ein Angeklagter sind unschuldig, solange sie nicht verurteilt sind.
Die in Deutschland leider weit verbreitete Vorausverurteilung ist unzulässig. Wir können sie doch nicht mittelbar noch zum Parlamentsprinzip erheben, meine Damen und Herren!
Zur Vorausverurteilung haben wir uns in Ziffer 4 unseres Entschließungsantrags geäußert. In Großbritannien würden Vorausverurteilungen, wie sie bei uns stattfinden, bestraft.
Und wenn sie trotzdem stattfänden, würden die Verfahren niedergeschlagen, weil mit einem fairen Prozeß nicht mehr gerechnet werden kann.
Wir haben einen großen Nachholbedarf an rechtsstaatlicher Gesinnung
— ja, ja! — und an rechtsstaatlicher Praxis.
— Sie sollten nicht so lachen, sondern darüber nachdenken!
Sie haben in dieser Debatte wenig getan, um das zu verwirklichen, meine Damen und Herren.
Wir brauchen mehr Fairneß und weniger Heuchelei.
Wir brauchen mehr Anstand und weniger Unredlichkeit, die ja Triumphe gefeiert hat.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, bei dem Fairneßgebot und in der Amnestiefrage geht es uns nicht nur um Politiker wie Horst Waffenschmidt. Es geht uns um alle unsere Mitbürger, die in Freiheit und Rechtssicherheit leben wollen. Es geht auch um diejenigen, die guten Glaubens die Arbeit einer der demokratischen Parteien oder aller demokratischer Parteien unterstützt haben.Der frühere Bundesbankpräsident und SPDSpendensammler bei der Industrie, Herr Klasen, hat dazu an Herrn Vogel folgendes geschrieben — ich zitiere wörtlich —:Nun wird immer das Wort Steuerhinterziehung gebracht. Wenn man davon spricht, dann denkt man daran, daß der Betreffende für sich oder sein Unternehmen geldliche Vorteile damit erzielt hat. Aber auch steuermäßig abzugsfähige Parteispenden bedeuteten ein finanzielles Opfer. Wenn ein Unternehmen der SPD 100 000 DM gab — und ich kenne mehrere solcher Fälle —,
dann sparte er zwar 60 000 DM Steuern.
Aber hätte es nichts gespendet, hätte es 40 000 DM mehr in der Kasse gehabt.
Davon wird nie gesprochen.So Karl Klasen. Ich kann nur sagen: Leider.Auch die Tatsache, daß nicht darüber gesprochen worden ist, hat zu einer erheblichen Fehleinschätzung der Situation und des Problems bei vielen unserer Mitbürger, auf die Sie sich heute zu Unrecht berufen haben, beigetragen.Was bedeutet ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen einen Mitbürger, der
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5004 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. Dreggernicht in der Politik tätig ist, z. B. gegen einen mittelständischen Unternehmer, wegen — —
— Wir brauchen auch Unternehmer, meine verehrten Damen und Herren.
Wenn es keine gäbe, dann würden Sie nicht so ein bequemes Leben führen können, wie Sie es bisher geführt haben. —
Was bedeutet ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen einen mittelständischen Unternehmer
wegen angeblicher Steuerhinterziehung bei der Parteienfinanzierung?
Er kommt ins öffentliche Gerede, er muß einen nicht geringen Teil seiner Zeit und Arbeitskraft diesem Thema zuwenden.
Warum soll er sich diesem Risiko in Zukunft noch unterziehen, warum?
Er selbst hat ja nichts davon, wie Karl Klasen mit Recht vorgerechnet hat. Ist nicht das, was hier wegen des Versagens des früheren Gesetzgebers geschieht, eine Abschreckung für das, was wir alle fordern, nämlich tätige Anteilnahme am demokratischen Leben?
Werden sich nicht viele unserer Mitbürger in ihrer historisch begründeten Einschätzung bestätigt fühlen, man solle sich von Politik möglichst fernhalten, man habe nur Last und Ärger damit und man müsse damit rechnen, daß man nachher auch noch mit Strafverfahren überzogen werde, vielleicht sogar bestraft werde?
— Daß Ihnen von den GRÜNEN das gleichgültig ist, wundert mich nicht.
Aber daß die SPD nur teilweise nachdenklich, im übrigen nur selbstgerecht ist, das wundert mich.
Nun zum Amnestie-Gesetzentwurf selbst, den CDU/CSU und FDP vorgelegt hatten. Das Gesetz sollte sicherstellen, daß die früheren Spender aus der Zeit vor der Verabschiedung des Parteienfinanzierungsgesetzes von 1983 in strafrechtlicher Hinsicht — nur in strafrechtlicher Hinsicht — nicht schlechter behandelt werden als diejenigen, die die Arbeit der politischen Parteien künftig unterstützen.Dabei waren folgende wesentliche Einschränkungen vorgesehen: Erstens. Die Frage der Steuerpflichtigkeit sollte nach früherem Recht beurteilt werden; Steuern sollten also nachgezahlt werden, soweit der Steuerfiskus das mit Recht beanspruchen kann.Zweite Einschränkung: Für andere Straftatbestände, etwa für Vorteilsannahme, Bestechung, Untreue, Urkundenfälschung und Betrug, sollte es keine Amnestie geben. Nach den Amnestieerwägungen des Jahres 1981, wie sie uns von maßgebenden Sozialdemokraten vorgeschlagen worden sind, war das noch anders; da sollte das alles miterledigt werden, meine Damen und Herren.
Wir wollten durch unseren Entwurf nur die Strafbarkeit wegen angeblicher Steuerhinterziehung ausschließen. Ich sage: wegen angeblicher Steuerhinterziehung, weil die jetzige Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft nach meinen Informationen noch von keinem Gericht bestätigt worden ist.
Wenn heute von Rechtsirrtum die Rede ist, dann möge bedacht werden, daß noch nicht feststeht, wer sich geirrt hat: die Staatsanwaltschaft oder die Beschuldigten.
In meinem ersten Statement habe ich erklärt, ich sähe in einem solchen Amnestie-Gesetz das geringere Übel. Ich habe mehrfach meinen Respekt vor denen bekundet, die bei ihrer Güterabwägung zu einem entgegengesetzten Ergebnis gekommen sind. Auf dem Bundesparteitag der CDU gab es geteilte Auffassungen. Wie alle Presseberichte bestätigt haben, wurden diese unterschiedlichen Auffassungen fair und auf hohem Niveau ausgetragen.
In Stuttgart hat keiner dem anderen den guten Willen, die rechtsstaatliche Gesinnung oder das Bemü-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5005
Dr. Dreggerhen um eine moralisch saubere Lösung abgesprochen — keiner dem anderen!
Der Parteitag hat sich dann nach eingehender Diskussion mehrheitlich, mit großer Mehrheit für den Amnestie-Gedanken entschieden. Meine Damen und Herren, ich meine, es würde unserem jungen demokratischen Gemeinwesen in Deutschland guttun, wenn dieses Beispiel von Stuttgart hier im Deutschen Bundestag und in der ganzen deutschen Öffentlichkeit Schule machen würde.
Die Kampagne, wie sie in den letzten Wochen unter der Überschrift „Die Rechtsbeuger" geführt worden ist, hat Gefühle aufgeputscht, aber zur Klärung der Tatbestände und zur Festigung des demokratischen Bewußtseins wahrlich nichts beigetragen.
Wir werden lange Zeit brauchen, um den Schaden zu begrenzen,
der durch Ihre Selbstgerechtigkeit und Unehrlichkeit entstanden ist, meine Damen und Herren von der SPD.
Dabei sollen Fehler im eigenen Bereich gar nicht abgestritten werden, z. B. die zu späte und nicht wirksam genug gegebene Information über die Motive und den Inhalt unseres Gesetzentwurfs.
Wenn ich diese Amnestiedebatte in eine allgemeine politische Wertung einmünden lassen darf, dann möchte ich sagen: Ich habe den Eindruck, daß das derzeitige Verhalten der SPD und unter ihrem Einfluß auch das derzeitige Verhalten einiger — nur einiger! — Gewerkschaften des DGB tragische Züge annimmt. Es kann nur zu Ergebnissen führen, die sowohl dem Gemeinwesen wie auch den Initiatoren selbst schaden. Die 35-Stunden-Kampagne des DGB und einiger seiner Gewerkschaften wird, wenn sie Erfolg haben sollte, neue Arbeitsplätze schaffen, aber nicht bei uns, sondern im Ausland.
Die Kampagne der SPD in der Frage der Parteispenden und der Amnestie wird möglicherweise Wählerströme verändern, aber nicht zugunsten der SPD, sondern zugunsten der GRÜNEN.
Meine Damen und Herren, wir müssen unser eigenes Verhalten verantworten. Auch uns weht in dieser Frage, weil viele uns noch nicht verstehen, der Wind ins Gesicht, aber wir stehen,
und wir haben gute Gründe dafür.
Auch diejenigen, die uns heute noch nicht verstehen, werden das erkennen, wenn sie bereit sind, die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen und sich mit unseren Argumenten zu beschäftigen.
Wir Abgeordneten können irren, aber wir dürfen nicht feige sein. Wir können Fehler machen, aber wir müssen zu dem stehen, was wir nach gewissenhafter Prüfung als richtig erkannt haben. Wir, die Abgeordneten der CDU/CSU, werden auch in Zukunft — darauf kann sich jeder verlassen — so denken und so handeln — in Freiheit und Festigkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe zu, es fällt mir schwer, nach der dröhnenden Selbstgefälligkeit des Herrn Dr. Dregger hier das Wort zu ergreifen.
Ende März dieses Jahres befand sich der Jugendliche Hans-Dieter M. in Untersuchungshaft. Weil er es dort nicht mehr aushielt, zündete er kurz vor seiner Gerichtsverhandlung das Mobiliar seiner Einzelzelle an. Er starb wenige Tage später im Alter von 16 Jahren an den Folgen seiner schweren Brandverletzungen. Über seinen kurzen Lebensweg berichtete das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" am 29. April 1984:Hans-Dieter M. war vor seinem 16. Lebensjahr nie straffällig gewesen. Er ist nicht Täter, sondern Opfer. Kurz nach seiner Geburt starb sein Vater, seiner mit sieben anderen Kindern überlasteten Mutter wurde das Sorgerecht entzogen. Seit seinem vierten Lebensjahr war Hans-Dieter M. in sieben verschiedenen Heimen untergebracht, schließlich in dem Hannoverschen Erziehungsheim Stephansstift. In der Zeit passierte es: Hans-Dieter M. entriß in einem Kaufhaus zwei Handtaschen, nach dem Gesetz kein Diebstahl, sondern Raub. Seine Beute: 400 DM. Die Aufenthalte in den verschiedenen Heimen reichten dem Haftrichter aus, wegen angeblicher Fluchtgefahr Untersuchungshaft zu verhängen.Soweit der Bericht im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt".
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5006 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
SchilySchicksale wie das dieses armen Jugendlichen, den sein ohnmächtiger Protest sein Leben kostete, sind in unserer Gesellschaft keine Seltenheit. Ihnen begegnet der Staat in unerbittlicher Härte und gnadenloser Strenge.
Wenn sich ein Jugendlicher in seinem verlassenen Leben 400 DM unrechtmäßig aneignet, kennt die Justiz, die Gesellschaft kein Erbarmen.
Wenn aber Millionenbeträge an• Steuern hinterzogen,
kriminelle Organisationen zur fortgesetzten Steuerhinterziehung gegründet, wenn mit großer Raffinesse und erheblicher krimineller Intensität über Jahrzehnte die Staatskasse ausgeplündert wird,
dann sollen offenbar andere Gesetze gelten, die Gesetze der ehrenwerten Gesellschaft mit ihren Paten in Politik und Großindustrie.
Es hat in der Vergangenheit nicht an Versuchen gefehlt, die Ermittlungen der Steuerfahnder und Staatsanwaltschaften in den Spendenverfahren zu behindern oder zu unterlaufen. Spuren wurden verwischt, es wurde versucht, Zeugen zu beeinflussen oder unter Druck zu setzen, Urkunden wurden vernichtet und vieles andere mehr.
Die geltende Strafprozeßordnung nennt das Verdunkelungsmaßnahmen, die bei einem gewöhnlich Sterblichen dazu führen, daß er in Untersuchungshaft genommen wird.
Nichts anderes als ein groß angelegtes, nun aber kläglich gescheitertes Manöver zur Verdunkelung und Strafvereitelung in den Spendenverfahren war das Vorhaben der Regierungskoalition, das ursprünglich den harmlosen Titel trug: „Regelung steuerlicher Zweifelsfragen bei der Parteienfinanzierung".
Was Sie hier wollen — das wollen Sie nicht erst seit vorgestern; es gab schon 1978 einen Versuch, auch unter Beteiligung des amtierenden Bundeskanzlers, zur Amnestierung, es gab den Versuch einer großen Koalition, einer Allparteienkoalition 1981 —, ist immer der hartnäckige, beharrliche und fortgesetzte Versuch, das Unrecht zu vertuschen. In einer Demokratie ist das Gegenteil notwendig, nämlich Aufklärung, und deshalb fordern wir die Bundesregierung mit der von uns vorgelegten Entschließung auf, statt Vertuschung in der Öffentlichkeit Aufklärung zu schaffen.Ich hoffe, daß wir von Ihnen, Herr Bundeskanzler, wenn Sie heute in der Debatte das Wort ergreifen sollten, präzise Antworten auf präzise Fragen erhalten:Erstens. Sind Sie bereit, Herr Bundeskanzler, einzugestehen, daß Sie als Bundesvorsitzender der CDU in den vergangenen Jahren in massiver Weise vorsätzlich gegen die Verpflichtung Ihrer Partei zur öffentlichen Rechenschaftslegung der ihr zugewandten Spenden, wie sie in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 des Grundgesetzes und in den Vorschriften der §§ 23 und 25 des Parteiengesetzes vorgeschrieben ist, verstoßen haben, oder wollen Sie sich insoweit auch auf Rechtsunsicherheit berufen?Was sollen wir denn von einer Bundesregierung halten, deren Bundeskanzler womöglich über diese elementaren Vorschriften im Grundgesetz und im Parteiengesetz nicht Bescheid weiß, zumal Sie immerhin — das habe ich Ihrer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung entnommen — eine Vorschrift des Parteiengesetzes sehr gut im Kopf haben,
nämlich die, nach Ablauf welcher Frist Unterlagen über Parteispenden vernichtet werden dürfen?
Zweitens. Herr Bundeskanzler, sind Sie bereit, der Öffentlichkeit endlich rückhaltlos und umfassend Aufklärung über die lukrativen Verbindungen Ihrer Partei zu finanzkräftigen Gönnern zu geben? Die Verpflichtung zur Rechenschaftslegung nach Art. 21 verjährt nicht. Wenigstens nachträglich, sozusagen in einem Akt tätiger Reue, sollten Sie sich — wie alle anderen betroffenen Parteien; das ist auch an die SPD und die FDP gerichtet — dazu bequemen, Ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Drittens. In welcher Form und in welcher Weise waren Sie, Herr Bundeskanzler, persönlich an Spendenakquisitionen beteiligt? Bisher haben Sie nur auf Befragen der Staatsanwaltschaft im Fall Flick eingeräumt, von dort Kuverts mit mehreren zehntausend DM in Bargeld erhalten zu haben.
Nach anderen Mäzenen hat die Staatsanwaltschaft Sie nicht gefragt. Wie wäre es, wenn Sie von sich aus einmal der Öffentlichkeit Mitteilung darüber machten, was sonst an Bargeld in Ihre Taschen gewandert ist?
Deutscher Bundestag — l0. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5007Schily— Der Herr Bundeskanzler kann j a sagen, daß es sonst kein Bargeld gab. Auch diese Erklärung werde ich gern zur Kenntnis nehmen, aber er soll uns darüber informieren!
Viertens. Über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung hinsichtlich der Steuermanipulationen und Steuerhinterziehungen, mit denen die Kassen der Parteien in den vergangenen Jahren reichlich gefüllt wurden?
Haben Sie die Staatsanwaltschaft darüber informiert, haben Sie die Staatsanwaltschaft bei ihrer Ermittlungstätigkeit eigentlich unterstützt oder eher behindert?
Fünftens. Wir fragen Sie: Ist seitens der Großindustrie auf die Bundesregierung eigentlich Druck ausgeübt worden? Wie sieht es mit Ihren Parteikassen aus? Stimmt es, daß Sie, wie Herr Möllemann gesagt hat, pleite gehen, wenn aus dem Spendenhahn nichts mehr fließt, und daß aus diesem Grunde eine solche Amnestie notwendig sei'? In welchen Verlegenheiten befinden Sie sich,
Herr Bundeskanzler?
Ich finde, bei Ihren Erklärungen haben Sie ein Maß an Willfährigkeit, Liebedienerei, Beflissenheit und Dienstfertigkeit, gegenüber bestimmten Kreisen der Großindustrie erkennen lassen, daß diese Frage mehr als berechtigt ist.
Eine Frage möchte ich hinzufügen. Sie haben bei Ihren Ausführungen vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie erklärt: Vertrauen gegen Vertrauen in Fragen der Spendenzuwendungen. Aber, nun möchte ich eine Äußerung an den einfachen Bürger Kohl, der j a auch vor kurzem auf dem Bundesparteitag der CDU gesprochen hat, richten. Ist denn eigentlich der einfache Bürger Kohl berechtigt, weil er das Amt des Bundeskanzlers innehat, seinen Spezis in der Großindustrie im Do-it-yourself-Verfahren Strafbefreiung zu verschaffen? Das kann doch wohl nicht das Rechtsbewußtsein sein, was hier in unserer Bundesrepublik Geltung gewinnen soll!
Sie mögen den hochmögenden Gönnern der Industrie und Bankenwelt einiges zu verdanken haben, Herr Bundeskanzler. Das verleiht ihnen aber nicht das Recht, diese Herrschaften zu begnadigen.Eine weitere Frage, Herr Bundeskanzler. Wir haben in beredter Form seitens des Herrn Bundeswirtschaftsministers gehört, daß er mit Entschiedenheit die gegen ihn gerichteten Vorwürfe wegen des Verdachts der Bestechlichkeit zurückweist.Aber ich habe noch von keinem der Minister Graf Lambsdorff, Zimmermann und Schneider eine Äußerung zu den gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gehört. Haben Sie denn eine Erklärung dieser Herren zu diesen Vorwürfen herbeigeführt, und welchen Inhalt haben diese Erklärungen?
Haben die Herren die Vorwürfe eingestanden oder bestritten? Haben sie sich eventuell auf ein fehlendes Unrechtsbewußtsein, Rechtsunsicherheit oder womöglich zeitweise psychische Ausfallerscheinungen berufen?
Ich glaube, die Öffentlichkeit hat Anspruch darauf, zu erfahren, wie sich die Herren in ihrer Eigenschaft als Minister — wie sie sich im Strafverfahren einlassen müssen und mögen, Herr Kollege, das mag dann immer noch auf einem anderen Blatt stehen — einlassen. In der Frage ihrer Ministereigenschaft, meine ich, sollten wir wissen, wie Sie sich zu diesen Vorwürfen gestellt haben.
Die Regierungskoalition, aber auch Vertreter der Regierung haben mit dem Amnestievorhaben ein erbärmliches, ein klägliches Rechtsverständnis, ein bis ins innerste Mark verfaultes Rechtsbewußtsein erkennen lassen.
Sie haben mit dem Amnestievorhaben der Unverbrüchlichkeit des Rechts und damit dem Ansehen der Bundesrepublik schweren Schaden zugefügt.
Es ist ein dermaßen verludertes Rechtsbewußtsein, daß die Konsequenz nur heißen kann,
daß sich die Regierung nicht nur von diesem üblen Amnestieplan, sondern sich eiligst selbst von der politischen Bühne verabschiedet.
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der FDP begrüßt, daß eine Debatte, die seit einigen Wochen in unserem Lande leidenschaftlich geführt wird, hier im Deutschen Bundestag fortgesetzt werden kann. Hier ist der Ort der politischen Auseinandersetzung. Die Art, wie alle Seiten des Hauses
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Genscherdiese Auseinandersetzung führen, wird auch darüber entscheiden, wer glaubwürdig Liberalität und Rechtsstaatlichkeit in Anspruch nehmen kann.
Was wir eben an Vorverurteilungen und Angriff auf die Würde von Personen gehört haben, die eine andere Auffassung haben, hat eine schlimme Gesinnung und eine starke Verleugnung der für eine Demokratie unentbehrlichen Toleranz gezeigt.
Mit einem gemeinsamen Schreiben vom 22. Januar 1982 haben die Vorsitzenden der SPD, der CDU, der CSU und der FDP den Bundespräsidenten gebeten, eine unabhängige Kommission zum Thema Parteienfinanzierung einzuberufen.
Diese Kommission sollte Vorschläge unterbreiten— ich zitiere jetzt wörtlich —, „wie die Parteien finanziell in die Lage versetzt werden können, ihren grundgesetzlichen Auftrag zu erfüllen, um zukünftige Unklarheiten und die sich daraus ergebenden Probleme zu vermeiden".
— Ich wiederhole: „um zukünftige Unklarheiten und sich daraus ergebende Probleme zu vermeiden".Damals sind vier Parteien davon ausgegangen, daß Unklarheiten bestehen
und sich daraus Probleme ergeben. Was mit diesen Problemen gemeint war, ist klar: der Verdacht strafbarer Handlungen im Zusammenhang mit der Parteienfinanzierung. In der Aussprache des heutigen Tages kann niemand an dieser Tatsache vorbeigehen.Genauso unverzichtbar ist es, daß die Führungen der Parteien die politische Verantwortung dafür übernehmen, daß es so spät zu einer Korrektur des Parteienrechts gekommen ist und daß es Fehlentwicklungen in diesem Bereich bei allen Parteien gegeben hat.
Der Gesetzgeber, also der Deutsche Bundestag, hat es daher für notwendig gehalten, mit Wirkung vom 1. Januar dieses Jahres neue Bestimmungen über die Finanzierung der Parteien in Kraft zu setzen.
Er hat das unter Berücksichtigung dieses Gutachtens getan.Die Kommission hat sich mit den Rechtsunklarheiten eingehend befaßt. Sie hat dabei festgestellt, daß der Gesetzgebungsauftrag des Art. 21 des Grundgesetzes zu lange unerfüllt geblieben sei, so daß es fast zu einer Umkehr des normalen Ablaufs von Normsetzung und Normenkontrolle gekommen sei.Der Bericht der Kommission führt weiter aus, daß auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung geschwankt habe. Es war in der Tat ein weiter Weg vom 19. Juli 1966, dem Datum des ersten grundlegenden Urteils des Verfassungsgerichts, bis zu diesem Gesetz, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist. In dieser Zeit sind mehrere Versuche unternommen worden, das Recht der Parteien zu regeln, um in Übereinstimmung mit der Verfassung die Grundlage für eine klare, die Unabhängigkeit der Parteien sichernde Finanzierung zu schaffen.Ermittlungsverfahren, die vor allem seit dem Jahre 1980 eingeleitet worden sind, haben bei aller Unterschiedlichkeit der Einzelfälle gemeinsam, daß sie aus der Unsicherheit und Unklarheit des damaligen Rechts entstanden sind. Die FDP hat sich in den 70er Jahren und danach wiederholt bemüht, eine klare gesetzliche Regelung für die Parteienfinanzierung zu schaffen. Das Gesetz, das jetzt Gültigkeit hat, wäre viel früher erforderlich gewesen.
Daß es so spät gekommen ist, lag in erster Linie an der fehlenden Bereitschaft der SPD, an einer solchen Gesetzgebung schon zu einem früheren Zeitpunkt mitzuwirken.
— Daß Sie jetzt klatschen, erstaunt mich; denn im letzten Jahr haben Sie ja daran mitgewirkt und das Gesetz mit beschlossen.Das jetzt geschaffene neue Recht stellt für die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland einen deutlichen Einschnitt in die Gesetzgebung dar. Es schafft eine qualitative Veränderung der Finanzierungsregelung für die politischen Parteien. Diese Veränderung besteht vor allem in den Regeln für die Chancengleichheit, für die steuerliche Berücksichtigung von Spenden sowie in einer strikten Regelung für die Rechenschaftslegung.Das neue Parteiengesetz bedeutet damit nicht nur eine Rechtskorrektur, sondern auch eine Rechtsbereinigung. Schon jetzt zeigen maßgebliche Stimmen — ich erinnere nur an die Erklärungen des früheren Präsidenten des Bundesfinanzhofs —, daß es mehr ist als nur das Vorbringen von Schutzbehauptungen, wenn viele von den durch Ermittlungsverfahren Betroffenen erklären, sie hätten ohne Unrechtsbewußtsein im Vertrauen auf eine gefestigte Verwaltungspraxis gehandelt.Es gibt bisher zu diesen Fragen weder in der Finanzgerichtsbarkeit noch in der Strafgerichtsbarkeit höchstrichterliche Urteile. Ich fürchte, dieser Zustand wird für die Betroffenen noch mehrere Jahre fortbestehen.Meine Damen und Herren, erst rechtskräftige Urteile werden über Schuld und Unschuld zu entscheiden haben.
Ich habe mich wirklich gefragt, wie Sie, Herr Kollege Schily, als Rechtsanwalt hier mit solcherLeichtigkeit das Wort „kriminell" gebrauchen kön-
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Genschernen, obwohl Sie wissen, daß rechtskräftige Urteile nicht vorhanden sind.
Bei dem Amnestievorschlag, meine Damen und Herren, ging es ausschließlich um mögliche strafrechtliche Folgen aus einem abgeschlossenen Rechtszustand, so daß die Wiederholung gleichartiger Straftaten ausgeschlossen erscheint. An den Erlaß möglicher Steuerschulden war zu keiner Zeit gedacht. Ich sage mit Betonung: mögliche strafrechtliche Folgen; denn auch für diese Verfahren gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung.
Was es in diesem Bereich an Vorverurteilungen gegeben hat, noch gibt und, wie ich fürchte, noch weiter geben wird, ist auch eine Frage der Rechtsstaatlichkeit, zu der Sie, Herr Kollege Vogel, auch ein Wort von diesem Pult aus hätten sagen sollen.
Strafrechtliche Konsequenzen aus der Rechtskorrektur zu ziehen und Befriedung für einen abgeschlossenen Tatbestand zu schaffen waren für mich das Motiv für die Unterstützung des Amnestiegesetzentwurfs.
Seine Zulässigkeit und seine Notwendigkeit stehen auch für mich heute noch außer Frage. Niemand, der sich wie ich zu dieser Entscheidung durchgerungen hat, hat sich die Sache leichtgemacht. Es wird kaum jemanden gegeben haben, der frei von Bedenken war. Trotzdem nehme ich für mich in Anspruch, daß ich von Anfang an eine eingehende und sorgfältige Güterabwägung vorgenommen habe.Ausschlaggebend war schließlich die Absicht, eine jahrelange Unklarheit nicht auf dem Rücken von Staatsbürgern auszutragen, die sich selbst nicht bereichern wollten, sondern ihren Beitrag für die Arbeitsfähigkeit demokratischer Parteien leisten wollten, wobei es mich gar nicht interessiert hat, für welche der demokratischen Parteien sie diese Beiträge geleistet haben.
— Meine verehrten Kollegen, Ihre Reaktion zeigt mir nur, wie wenig bei Ihnen Toleranz und Respekt vor einer anderen Meinung eine Heimstatt haben können. Ich bemühe mich, über eine wichtige rechtspolitische Frage eine sachliche Auseinandersetzung zu führen. Ich denke, Sie werden das Zuhören ertragen können. Sie haben j a noch Redner, die dazu Stellung nehmen können.
Meine Damen und Herren, wer sich im Besitz der besseren Argumente weiß, sollte doch in dieser empfindlichen Frage dem anderen nicht bestreiten, daß auch er gute Gründe für seine Auffassung haben kann.Ich bin in meiner Fraktion von Anfang an dafür eingetreten, daß jeder seine Entscheidung für sich trifft und zu verantworten hat. Amnesten, auch wenn sie sich in verfassungsrechtlichen Grenzen halten, gehören zu den rechtspolitisch empfindlichsten Entscheidungen des Gesetzgebers. Sie stellen immer einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechtspflege dar. Der Gesetzgeber muß deshalb darauf bedacht sein, Gefahren für das Rechtsbewußtsein zu vermeiden. Wer selbst eine Güterabwägung vorgenommen hat, wird das Gewicht der Argumente richtig bewerten, die rechtspolitisch aus Gründen des Demokratieverständnisses oder aus Sorge um die Erfüllung des Befriedungszwecks zu einer Ablehnung der Amnestie führen.
Das Gewicht dieser Einwände rechtfertigt auch diejenigen meiner Kollegen, die in einem intensiven Prozeß der Diskussion und der Güterabwägung ihre Auffassung geändert haben. Wir müssen heute erkennen, meine Damen und Herren, daß der Vorwurf, die Parteien handelten in eigener Sache, sie wollten sich selbst oder ihre Spender begünstigen, in einer breiten Öffentlichkeit nicht ausgeräumt werden konnte.
Die in der FDP erhobenen Einwände richten sich gegen die rechtspolitische Vertretbarkeit der Amnestie. Dabei spielt eine wichtige Rolle die Sorge um Stellung und Ansehen der Parteien in der Gesellschaft. Sie berühren damit auch Fragen des Demokratieverständnisses.
Von erheblichem Gewicht ist auch die breite öffentliche Ablehnung; denn hier liegt eine Gefährdung des Befriedungszwecks, ja, es bestand die Gefahr, daß die Beseitigung von Unklarheit und Unsicherheit auf der einen Seite zu Rechtsunfrieden auf der anderen geführt hätte.
Deshalb widerspricht es dem Grundgedanken der repräsentativen Demokratie nicht, wenn gerade bei diesem Vorhaben der öffentlichen Meinung in besonderer Weise Rechnung getragen wird. Wir lehnen das imperative Mandat ab. Weder Parteien noch die öffentliche Meinung können es ausüben. Aber eine Amnestie, deren Zweck es doch ist, Rechtsfrieden zu schaffen, ist in besonderem Maße auf die Zustimmung der Bürger angewiesen.
Nur diese Zustimmung kann zur Befriedung führen und Beeinträchtigungen des Rechtsbewußtseins vermeiden. Es erscheint uns deshalb auch ausgeschlossen, daß erneut eine Initiative für eine Amnestie im Zusammenhang mit Parteispenden ergriffen werden wird.
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5010 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
GenscherMeine Damen und Herren, die leidenschaftliche Auseinandersetzung die Frage des Ja oder Nein zur Amnestie — —
— Herr Kollege Vogel, Ihre Fragen können Sie bitte auch laut erheben. Wir sind eine Partei, die in der Lage ist, die Argumente gegenseitig abzuwägen. Bei uns gibt es niemanden, der glaubt, er besitze die alleinige Wahrheit und könne nur diese Auffassung vertreten.
Und diese Abwägung haben wir in unserer Partei in großer Ehrlichkeit, mit großem Respekt vorgenommen.
Diese Abwägung trage ich hier dem Deutschen Bundestag vor.
Meine Damen und Herren, die leidenschaftliche Auseinandersetzung, die Frage des Ja oder Nein zur Amnestie, bewegt die Öffentlichkeit. Niemand kann dabei übersehen, daß das Ja oder Nein nicht den herkömmlichen Kategorien von links oder rechts oder Regierung oder Opposition zugeordnet werden kann.Die FDP hat diese Auseinandersetzung in sich ausgetragen und letztlich entschieden. Wir haben das mit Anstand untereinander, gegenüber unseren Wählern und auch gegenüber unserem Koalitionspartner getan. Daß diese Auseinandersetzung die FDP am meisten ergriff, bei ihr am leidenschaftlichsten geführt wurde, sollte für niemanden Anlaß für herablassende Kritik oder Schadenfreude sein.
Ich halte das gerade in einer solchen Frage für einen Vorzug der liberalen Partei, ja, ich halte das für eines ihrer Wesensmerkmale. Das sage ich gerade als einer derjenigen in meiner Partei, die ihre Meinung nicht durchgesetzt haben, zu der sie heute noch stehen.Meine Damen und Herren, die mehrheitliche Ablehnung in der FDP galt diesem Entwurf. Sie gilt in keiner Weise der Zusammenarbeit mit der CDU/ CSU. Sie gilt natürlich auch nicht der gemeinsamen Politik, für die die Regierungsparteien gewählt wurden und zu deren Verwirklichung sie sich verpflichtet haben.
Daß die Regierungsparteien auf den Entwurf in ihrer Mehrheit unterschiedlich reagiert haben, bestätigt nur, daß es sich um selbständige Parteien handelt, die auch in einer engen, vertrauensvollen Zusammenarbeit ihre eigene Identität bewahren.Dennoch ist der Abstand in der Haltung zur Amnestie gar nicht so groß, auch wenn andere diesen Eindruck erwecken möchten. Es ist eben nicht zutreffend, daß die eine Regierungspartei das Vorhaben ohne Ausnahme ablehnt und die andere ihm ohne Ausnahme zustimmt.Ich habe mit großem Respekt gesehen, mit welcher Sachlichkeit und welchem Ernst der Bundesparteitag der CDU in dieser Frage debattiert und mehrheitlich entschieden hat. Es nimmt dieser Diskussion auf dem CDU-Parteitag und der Entscheidung nichts von ihrer Bedeutung, daß auch innerhalb der Union die Diskussion weiterging.Ich frage mich noch einmal, Herr Kollege Vogel, ob sich die SPD eigentlich wohlfühlen kann bei dem öffentlich erweckten Eindruck, als stünde sie wie ein Mann, mit Empörung und Abscheu gegen dieses Vorhaben.
Meine Damen und Herren, es ist doch ganz unbestritten, daß sich 1981 in der SPD-Bundestagsfraktion keine Mehrheit für eine Amnestie finden ließ.
Aber ebenso richtig ist doch auch, daß damals diese Amnestie von der Führung der SPD für notwendig gehalten wurde. Sie wollten sie auch. Ich will Ihnen sagen, warum Sie sie wollten: weil der frühere Schatzmeister der SPD aus genauer Kenntnis der Umstände Ihnen dazu geraten hatte.Die Versuche, sich von der damaligen von Kollegen der SPD erarbeiteten Initiative loszusagen oder gar von einem Druck der FDP zu sprechen, zeigen nur zu deutlich Ihre Absicht: dieses Thema eben nicht als ein rechtspolitisches, sondern als ein wahlpolitisches Thema zu behandeln.
Man will vergessen machen, daß die eigene Führung früher wollte, was heute zum Anschlag auf den Rechtsstaat erklärt wird. Wo sind denn heute die Stimmen, die damals in der SPD den Gesetzentwurf befürwortet haben?Meine Damen und Herren, ich respektiere Ihre Ablehnung dieses Gesetzentwurfes. Aber die Art, wie auch heute wieder mit der Herabsetzung der Motive der Gegenseite operiert wurde, weise ich mit Entschiedenheit zurück.
Zurückweisung verdienen auch Versuche, Spenden für Parteien als solche ins Zwielicht zu ziehen. Der Bericht der vom Bundespräsidenten berufenen Sachverständigenkommission hat sich dazu geäußert.
Ich bitte das zitieren zu dürfen. Es heißt dort:Angesichts gewisser Kontroversen in der Öffentlichkeit besteht Anlaß, darauf hinzuweisen, daß Spenden an politische Parteien weder verboten noch moralisch bedenklich, sondern verfassungspolitisch erwünscht und geradezu unentbehrlich sind,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5011
Genscherwenn man an der Staatsunabhängigkeit der Parteien festhalten will. Dadurch, daß Bürger einen Teil ihres Einkommens als private Spende freiwillig den Parteien zuwenden, machen sie von ihrem Recht auf politische Teilhabe Gebrauch und erfüllen eine legitime staatspolitische Aufgabe. Im Prinzip sind Spenden an Parteien deshalb nichts Ehrenrühriges, sondern Ausdruck einer anerkennenswerten politischen Betätigung.
Das war die Meinung dieser Sachverständigenkommission.
Herr Kollege Genscher, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Nein, bitte keine Zwischenfragen.Auch die Sozialdemokratische Partei, meine Damen und Herren, hat in der Vergangenheit Spenden empfangen. Wir machen Ihnen daraus keinen Vorwurf.
Aber tun Sie doch bitte nicht so, als sei mit Ausnahme von wenigen Einzelfällen das Spendenproblem ein Problem von CDU/CSU und FDP.
Meine Damen und Herren, was den Begriff des großen Geldes angeht, so läßt doch der Brief des früheren Bundesbankpräsidenten Klasen einiges von dem ahnen, was wir heute noch nicht wissen.
Meine Kollegen, ich bin dafür, daß wir über die Fragen unserer Rechtsstaatlichkeit leidenschaftlich diskutieren. Nur, Herr Kollege Dr. Vogel, Ihre Rolle als selbsternannter Gralshüter des Rechtsstaates wäre glaubwürdiger, wenn Sie sie überall wahrnähmen, z. B. auf Ihrem Parteitag, als Herr Ferlemann vom DGB bedauert hat, daß der Zeitungsstreik bei Ihrem Parteitag stattfindet. Wofür und wogegen wird dieser Arbeitskampf denn eigentlich geführt?, müssen wir fragen.
Ich frage Sie, Herr Kollege Dr. Vogel: Warum hat Ihr rechtsstaatliches Gewissen nicht Ihren Widerspruch herausgefordert, als derselbe Redner die Delegierten Ihres Parteitages damit tröstete, daß jedenfalls eine Zeitung, die über Ihren Parteitag positiv berichtete, nicht bestreikt wird? Hier geht es um die Informationsfreiheit der Bürger. Sie zu schützen, sie nicht totstreiken zu lassen ist Ihre wie unsere Aufgabe. Hier sind Sie aufgefordert.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie hatten die Chance, in dieser sehr schwierigen, sehr empfindlichen rechtspolitischen Frage der Amnestie
eine wichtige Rolle zu spielen. Sie haben durch die Art, wie Sie sich mit der Frage auseinandergesetzt haben, diese Chance versäumt.
Meine Partei hat es sich schwerer gemacht. Wir haben mit uns gerungen und letztlich entschieden.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben gezeigt
— hören Sie sich das gut an;
ja, Zuhören gehört auch zur Demokratie —,
daß gerade eine Diskussion über Fragen der Rechtspolitik und des Demokratieverständnisses zuallererst Toleranz und Respekt vor der anderen Auffassung verlangt.
Wer sie vermissen läßt, schadet der Sache mehr, als daß er ihr nützt. Der Stil unserer Diskussion, die Sensibilität der liberalen Partei haben gezeigt, wie groß unsere Aufgabe ist, wenn nicht die Intoleranz einziehen soll, die aus manchen Ihrer Zwischenrufe und vieler Ihrer Redebeiträge in der Vergangenheit hervorgegangen ist.
Meine Damen und Herren, wer da glaubt, man könne über diese Frage einen Keil in unsere Partei treiben, der täuscht sich, und wer auf Gefahren für die Koalition gehofft hatte, der wird ebenfalls nicht auf seine Kosten kommen. Wir werden entschlossen die gemeinsame Politik der Koalition der Mitte fortführen, die innere Liberalität bewahren, den wirtschaftlichen Aufschwung fortführen — trotz des Streiks, den Sie unterstützen — und den Frieden sichern.Die öffentliche Diskussion über die Amnestie hat die Offenheit und die Lebendigkeit unserer demokratischen Gesellschaft bewiesen. Sie hat bewiesen, was eine solche Diskussion bewirken kann. Meine verehrten Kollegen von der SPD, wenn die heutige Debatte mehr bewirkt und mehr ergibt
als gegenseitige Schuldzuweisungen, wenn Probleme und Fehler offen und fair diskutiert werden, dann kann diese Aussprache auch in ihrem Stil Parlament und Bürger, Parteien und Bürger näher zueinander bringen.Ich danke Ihnen.
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5012 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Das Wort hat der Abgeordnete Emmerlich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Trotz aller beinahe verzweifelt zu nennenden Rechtfertigungs- und Verschleierungsversuche der Koalition — Herr Dregger und Herr Genscher haben durch ihre Reden diese Situation j a unterstrichen — hat sich eines in aller Eindeutigkeit herausgestellt: daß Straffreiheit für Steuerstraftaten gewährt werden sollte, die von Politikern der CDU/CSU und FDP und von Großfinanziers dieser Parteien begangen worden sind.
Das sollte aus zwei Gründen geschehen — —
— Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will Sie mit den Zwischenrufen von Kollegen der CDU allgemein bekanntmachen. Hier wird behauptet, es gebe entsprechende Straftaten bei Mitgliedern der SPD und bei Freunden und Wählern der SPD.
Ich fordere Sie, die Sie diese Zwischenrufe gemacht haben, auf, diese Behauptung durch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und bei der Steuerfahndung zur Geltung zu bringen und endlich damit aufzuhören, unter dem Schutz der Indemnität und Immunität Verleumdungen in die Welt zu setzen!
Diese Straffreiheit sollte aus zwei Gründen gewährt werden: erstens um diejenigen — jetzt zitiere ich Kanzler Kohl — nicht im Stich zu lassen, die durch strafbare Handlungen das große Geld in die Kassen von CDU, CSU und FDP geschaufelt haben,
und zweitens — jetzt zitiere ich den Staatsminister Möllemann — um den Spendenfluß wieder in Gang zu setzen. Herr Kollege Dregger, dies ist der entscheidende Unterschied zwischen allen Amnestien, die es in der deutschen Rechtsgeschichte gegeben hat und dem, was Sie an Straffreiheit, an Selbstbegünstigungsamnestie ins Werk setzen wollten.
Während sich der Bürger für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten verantworten muß, so, wie Recht und Gesetz es befehlen, für falsches Parken, für Steuerhinterziehung, für Diebstahl und Betrug vor Gericht gestellt und bestraft wird und seine Strafe auch auf sich nehmen muß, fallen CDU, CSU undFDP der Gerechtigkeit und der Justiz in den Arm, nicht, wie Sie heuchlerisch behaupten —
— Herr Dregger und Herr Genscher haben das ja auch heute wieder getan —, im Interesse des Rechtsfriedens
oder der Rechtssicherheit, sondern um ihre Freunde vor Recht und Gesetz in Sicherheit zu bringen.
Vor dem Gesetz sind nach unserer Verfassung alle gleich. Was schert das CDU, CSU und FDP, wenn es sich um Straftaten dreht, die ihre Freunde im Interesse ihrer Parteien begangen haben, wenn das große Geld aus der Wirtschaft wieder in ihre Parteikassen geleitet werden soll!
Wenn sich die Justiz den Wünschen dieser Parteien des großen Geldes nicht fügt, dann wird sie unter Druck gesetzt. Staatsanwälte, die sich weigern, das Recht zugunsten von CDU, CSU und FDP zu verbiegen,
Staatsanwälte, die vor diesen Parteien nicht kuschen,
solche Staatsanwälte werden dreist öffentlich der Verfolgung Unschuldiger bezichtigt.
Und der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU
hat sich heute nicht gescheut, in unglaublicher Weise die Dreckschleuder gegen Staatsanwälte in Tätigkeit zu setzen,
die nichts anderes tun als das, wozu sie verpflichtet sind, nämlich strafbare Handlungen ohne Ansehen der Person zu verfolgen.
Herr Dregger, Sie kennen ganz gewiß die Presseerklärung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Bonn vom 21. Mai 1984. Ich erwähne sie im Zusammenhang mit dem, was Sie über Herrn Waffen-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5013
Dr. Emmerlichschmidt gesagt haben. In dieser Presseerklärung heißt es wörtlich:Der Beschuldigte kann sich auch selbst oder durch seinen Verteidiger jederzeit schriftlich äußern. Gelegenheit hierzu hatten alle Beschwerdeführer, da ihnen die Vorwürfe von der Staatsanwaltschaft nach den Immunitätsvorschriften bekanntgegeben worden waren. Diese Gelegenheit hat bisher nur die Abgeordnete Dr. Wex wahrgenommen.Das zu Herrn Waffenschmidt und den Tränen, die Sie über ihn vergießen!
— Wörtliches Zitat des Leitenden Oberstaatsanwalts.
Die Wende, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Kanzler Kohl versprochen hat, führt in der Rechtspolitik zurück ins finstere Mittelalter. Damals war die Justiz der Willkür des absoluten Monarchen ausgesetzt. CDU, CSU und FDP wollen die Justiz heute unter ihre Willkür stellen, ihren Interessen unterwerfen.Verurteilt werden muß auch die Methode, mit der die Koalitionsparteien auf die Kritik an der Selbstbegünstigungsamnestie reagiert haben.
Die Vorwürfe gegen die Staatsanwälte, sie verfolgten Unschuldige und ließen dafür die wirklichen Verbrecher laufen, sind ein unerhörter Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz.
Und daß der Fraktionsvorsitzende Dregger sich nicht scheut, die Bonner Staatsanwälte für Schmierereien, die er erwähnt hat, verantwortlich zu machen, weil sie ihren Pflichten nachgehen, dies ist ein schlimmer Ausfall gegen Recht und Gerechtigkeit und gegen die deutschen Richter und Staatsanwälte.
Wen wundert es, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die CDU und ihre Hilfstruppen
natürlich ganz besonders massiv die SPD in den Schmutz zu ziehen sucht.
Die SPD hat die Amnestie 1981 vom Tisch gefegt.
Richtig ist, daß die FDP, Herr Genscher, massiv auf eine Amnestie gedrängt hat.
Richtig ist auch, daß über dieses Ansinnen mit der FDP gesprochen worden ist.
Nach rechtlicher und rechtspolitischer Prüfung hat die SPD-Bundestagsfraktion
jede Unterstützung einmütig abgelehnt und verhindert, daß diese Amnestie auch nur auf die Tagesordnung der Fraktion gesetzt wurde.
Die SPD hat die Amnestie auch 1983 verhindert. Sie stand auch 1984 im Kampf gegen die Amnestie in vorderster Linie.Diese Schmutzkampagne der CDU gegen die SPD ist ein Ablenkungsmanöver.
Abgelenkt werden soll von der Selbstbegünstigungsamnestie unter Mißbrauch von Regierungsmacht und Gesetzgebungsmehrheit.
Die Empörung der Bürger soll nach der Methode „Haltet den Dieb" auf die SPD gelenkt werden.
Die SPD soll die Mitschuld für die Amnestiepläne erhalten.
Aber dieses Ablenkungsmanöver, Herr Dregger, wird scheitern, ebenso wie die Amnestie selbst und ihre fadenscheinige, auf Lug und Trug aufgebaute Begründung.
Bundeskanzler Kohl hat sich für eine solche Amnestie in aller Öffentlichkeit vehement eingesetzt.
Einen Augenblick, Herr Kollege. Meine Damen und Herren, es sind Unruhe und Erregung im Haus; das kann jeder verstehen. Es kommen manche Worte hier verstümmelt an, so daß mir erst das Protokoll Auskunft geben kann, welche Ordnungsrufe zu erteilen oder nicht zu erteilen sind. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, sich doch zu mäßigen und eine Aussprache zu führen, die — —
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5014 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Präsident Dr. Barzel— Ich habe alle Kolleginnen gebeten und bin hier nicht zu kritisieren.
Das ist ein Beitrag zu dem Kapitel Toleranz, das Herr Genscher eben so großmäulig im Mund gehabt hat.
Bundeskanzler Kohl hat diese Selbstbegünstigungsamnestie zu seiner eigenen Sache gemacht. Er hält nach wie vor daran fest. Er hat sich durch nichts beeindrucken lassen: nicht vom Deutschen Richterbund, nicht von kirchlichen Stellungnahmen, natürlich nicht von den Gewerkschaften,
auch nicht von dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, und schon gar nicht von der Empörung der Bürger. Dies alles läßt ihn kalt.
Dieser Bundeskanzler, an Sachfragen ohnehin nicht sonderlich interessiert, ein Generalist eben,
hat sich stets seinen angeblich besonders ausgeprägten politischen Instinkt zugute gehalten.
In der Amnestiefrage allerdings sind bei ihm vornehmlich drei Dinge zutage getreten: sein dickes Fell, seine Rechtsblindheit und ein erstaunliches Maß an Verachtung für das Rechtsbewußtsein und das Rechtsgefühl des Volkes.
Alle Instinkte Kohls seien auf die Macht gerichtet, heißt es — —
Herr Kollege! Ich bitte den Redner, sich zu mäßigen.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Der Dank an den Präsidenten ist nicht zulässig, Herr Kollege!
Alle Instinkte Kohls seien auf die Macht gerichtet, heißt es in einem Zeitungskommentar dieser Tage. Ein solcher Mann ist in großer Gefahr,
blind und taub zu werden allem anderen gegenüber
und der Arroganz der Macht zu verfallen. Kanzler
Kohl scheint dieser Gefahr mehr und mehr zu erliegen. Immer dann, wenn ihm Entscheidungen abverlangt werden, die nicht Machtbewußtsein verlangen, sondern politische Moral und Feinfühligkeit, immer dann hat dieser Kanzler versagt.
Das war so in der Schwarz-Schilling-Affäre. Das war nicht anders, als er Graf Lambsdorff trotz Anklage wegen Bestechlichkeit im Amt hielt. Das war schließlich der Fall, als er sich darüber hinwegsetzte, daß Bundesverteidigungsminister Wörner die öffentliche falsche Anschuldigung eines Vier-SterneGenerals zu verantworten hatte.
Wie bei diesen Skandalen hat Kanzler Kohl bei der Amnestie Kameraderie und Kumpanei, die parteipolitischen Interessen seiner Partei und seine persönlichen Machtinteressen höher gestellt als das allgemeine Wohl und die Staatsräson.
Er hat dem Amt, das ihm anvertraut worden ist, Schaden zugefügt. Auch sein persönliches Ansehen schmilzt dahin.
In den eigenen Reihen wächst die Einsicht, daß sein politisches Gespür für das verantwortungsschwere Amt des Bundeskanzlers nicht ausreicht.
Die politischen Probleme unseres Landes sind mit bloßem Aussitzen-Können und mit der Devise „Das stehen wir durch!" nicht zu meistern.
Dieser Kanzler hat eine geistig-moralische Wende versprochen. Eine Wende ist in der Tat eingetreten, eine Wende, die unser Land zu einer Bakschisch- und Bananenrepublik zu machen droht
Herr Kollege, ich rufe Sie zur Ordnung.
— —, zu einem Land, in dem sich das große Geld über die Demokratie und das Machtinteresse von CDU und CSU über das Recht hinwegsetzt.
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, die Mahnung, die ich Ihnen allen hier soeben zu sagen versucht habe, zu beherzigen.Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5015
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in dieser wichtigen Debatte darlegen, weshalb ich in meiner Fraktion für den vorgesehenen Antrag, für ein Straffreiheitsgesetz eingetreten bin und diese Sachargumente auch heute vertrete. Damit will ich als Bundesminister der Finanzen einige Anmerkungn zu einigen öffentlichen Äußerungen außerhalb dieses Hauses über die Finanzverwaltung verbinden. Es geht also um eine Stellungnahme zur rechtlichen Würdigung, zur Verwaltungspraxis, aber auch zum Verhalten angesehener Persönlichkeiten der demokratischen Parteien.Ich halte dies für um so wichtiger, nachdem ich feststellen mußte, daß der Herr Kollege Emmerlich den Versuch gemacht hat, Herrn Schily an Erbärmlichkeit der Argumente noch zu übertreffen.
Meine Überzeugung, die ich im einzelnen begründen werde, im Hinblick auf die erkennbare Praxis— auch von Verwaltungen — von mehr als 20 Jahren ist: die Situation der hier von Verfahren betroffenen Bürger, also Spender an demokratische Parteien, ist exzeptionell so, daß ein Vertrauensschutz grundsätzlich bejaht werden muß.
— Also, Herr Schily, nach dem, was Sie hier geboten haben, sollten Sie einmal ernsthafte Argumente anhören. Vielleicht hilft das bei der nächsten Rede.
Ich werde nun ein paar Sätze zur Rechtslage sagen und mich von Ihnen überhaupt nicht provozieren lassen.
— Also, erst schlägt er unter die Gürtellinie, und jetzt stört er systematisch einen Redner. Das ist für einen Parlamentarier ein schlimmes Verhalten, Herr Schily.
Die Grundsätze des Gutachtens des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 1952,
das natürlich eine entscheidende Rolle in der Bewertung dieser Zeit spielt,
über steuerbegünstigte Spenden an Parteien durch Berufsverbände galten auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1959 in der Verwaltungspraxis unverändert weiter. Sie sind ja auch in einem bruchstückhaft bekannten Schreiben von Herrn Kollegen Matthöfer an einen Kölner Rechtsanwalt aus dem Jahre 1980 ausdrücklich bekräftigt worden.
Berufsverbände, insbesondere Gewerkschaften und Unternehmensverbände haben also in dieser Zeit auf der Grundlage jenes Gutachtens ständig sehr hohe Beträge an die demokratischen Parteien weitergeleitet,
und zwar aus Beiträgen von Mitgliedern, die diese steuermindernd geltend machen konnten. — Es ist doch gut, Herr Professor Ehmke, daß dieser Sachverhalt einmal vor der deutschen Öffentlichkeit dargestellt wird. Das ist doch vollkommen in Ordnung.
— Darf ich fortfahren: Daneben haben sich seit den 50er Jahren in verschiedenen Formen als gemeinnützige Vereine anerkannte Vereinigungen gebildet, die ebenfalls steuermindernde Spendenbescheinigungen ausgestellt haben und über Jahrzehnte hinweg unbeanstandet die ihnen zugeführten Mittel weitgehend oder ganz überwiegend den Parteien zukommen ließen.
— Genau auf den Punkt komme ich. Ich bin zur Zeit dabei, einen Sachverhalt darzustellen, der mir bisher in der öffentlichen Debatte zu kurz gekommen ist.Im Gutachten des Bundesfinanzhofes ist keine exakte Obergrenze für die Weiterleitung von Beitragsanteilen an Parteien festgelegt worden. Es sind jedoch Kriterien entwickelt worden, die im Laufe der Zeit von der Steuerverwaltung des Bundes und der Länder sachgerecht — ich unterstreiche das — mit Grenzziehungen von 20 bis 25 % umgesetzt wurden.Meine Damen und Herren, ich habe auf Grund mehrerer parlamentarischer und journalistischer Anfragen der letzten Tage jetzt — ich füge hinzu: zum erstenmal — einige der Akten aus den 60er und 70er Jahren durchgesehen. Sie vermitteln — ich sage das mit der Einschränkung, daß ich nicht alles gesehen habe; das, was ich gesehen habe, ist aber, wie ich glaube, repräsentativ — die Überzeugung, daß die beteiligten Beamten der Bundes- und Landesministerien nach bestem Wissen und Gewissen Recht und Gesetz in Richtlinien und Erlassen konkretisiert und in diesen internen Erlassen dabei auch den Unterschied zwischen den steuerbegünstigten Spenden über Berufsverbände und jenen, die über andere Finanzierungsträger und in anderen Formen erfolgten, herausgearbeitet haben. Dies gilt übrigens, wenn man das im Gesamtzusammenhang liest, auch für das schon als bruchstückhaft bekannt erwähnte Schreiben des Kollegen Matthöfer aus dem Jahre 1980.
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5016 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Bundesminister Dr. StoltenbergIch will an dieser Stelle, was die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Finanz- und Steuerverwaltung berührt, im Hinblick auf einzelne Äußerungen von außerhalb des Hauses, nicht von Mitgliedern des Hauses sagen: Es gibt bei dieser Sachlage keinen Grund zur Polemik gegen die Finanz- und Steuerverwaltung des Bundes und der Länder.
Meine Damen und Herren, der für unsere Diskussion und die Bewertung des zunächst beschlossenen und jetzt nicht eingebrachten Straffreiheitsgesetzes zentrale Punkt ist ein ganz anderer. Ich zitiere hier zunächst einen Satz des höchsten Richters der Finanzgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland bis 1983, einen Satz des im vergangenen Jahr in den Ruhestand getretenen Präsidenten des Bundesfinanzhofs Professor Heinrich List. Er sagte am 20. Mai im Zweiten Deutschen Fernsehen: „Veröffentlicht wurden diese Prozentsätze nie." Das heißt, öffentlich bekanntgemacht worden sind jene Grenzziehungen — zunächst unter dem Vorzeichen der Berufsverbände — nie. Man muß ohne Polemik die politisch Verantwortlichen, nicht die Beamten, fragen, weshalb das eigentlich nicht erfolgt ist. Die sogenannten Fördervereine — staatsbürgerliche Vereinigungen und andere — sind über Jahrzehnte hinweg als gemeinnützig anerkannt worden und in den Verwaltungsrichtlinien — ich bin darauf hingewiesen worden: bei den jetzt im Mittelpunkt von Verfahren stehenden staatsbürgerlichen Vereinigungen sogar noch in den Verwaltungsrichtlinien für 1984 — ausdrücklich als gemeinnützig beschrieben worden. Wie ich Berichten und Veröffentlichungen entnehme, sind auch bei ihnen in der Regel mehrfach Prüfungen durchgeführt worden, die über lange Zeit keine Beanstandungen auslösten. Deshalb muß man unabhängig von einer konkreten Aktenlage in den Ministerien, internen Erlassen und Vermerken den Spendern grundsätzlich Vertrauensschutz zubilligen. Das ist die Folgerung, die ich hier unterstreichen möchte.
Auch sie haben ja bei wiederholten Betriebsprüfungen durch Beamte, denen wir Handeln nach bestem Wissen und Gewissen im Einzelfall — jedenfalls bis zum Beweis des konkreten Gegenteils — unterstellen sollten, die Anerkennung ihrer Spenden an die genannten Vereinigungen als steuermindernd erhalten und mußten vor allem dann, wenn dies über 10, 15, 20 Jahre geschehen ist, darauf bauen können.Professor List als der höchste — ich sage es noch einmal — zuständige Richter in der Bundesrepublik Deutschland für diesen Bereich hat hierzu im Zweiten Deutschen Fernsehen ausgeführt — ich zitiere es wörtlich —:Es ist in der Tat so, die Formulierung des Bundesfinanzhofs ist sehr offen gehalten. Im übrigen stellt das Gutachten des Bundesfinanzhofs keine Rechtsgrundlage dar, es stellt nur eine Antwort auf eine ihm gestellte Frage dar.Der Interviewpartner hat dann gefragt: Es heißt, es gab eine Verwaltungspraxis ohne Rechtsgrundlage.Hierauf sagt Professor List: Das ist richtig.Diese seine Einschätzung — er wird wohl nicht zu den Dunkelmännern und Vorkämpfern einer Bananenrepublik oder der Mafia gerechnet, Herr Schily, wie andere Ehrenmänner — ist um so wichtiger — —
— Ich bleibe ganz sachlich. Aber ich werde gelegentlich auch mal temperamentvoll, Herr Fischer. Machen Sie sich da keine Sorge! Das kommt noch.
Diese Einschätzung ist um so wichtiger, weil zahlreiche angesehene Persönlichkeiten aller Parteien zu solchen Spenden ermutigt haben. Es ist ja bereits hier aus dem Brief des langjährigen Präsidenten der Bundesbank Karl Klasen an den SPD-Kollegen, den Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Vogel, zitiert worden. Weil Sie das gar nicht aufnehmen — Herr Emmerlich hat uns ja klargemacht, daß man bei solchen Punkten nach dem Motto verfährt: Augen zu, nichts hören, nichts sehen, sondern nur die vorbereiteten Polemiken vortragen —, will ich aus diesem Brief noch einige weitere Kernsätze zitieren, weil mir dies unter der rechtlich wichtigen Frage des Vertrauensschutzes notwendig erscheint. Karl Klasen schreibt an Herrn Vogel — ich zitiere —:Bei sehr vielen aufgeschlossenen Unternehmern habe ich damit— das heißt, mit dem Sammeln von Spenden —Erfolg gehabt. Gerade diese Kreise, die uns sehr fernstehen, werden jetzt maßlos enttäuscht sein, wenn die SPD zwar diese Spenden entgegengenommen hat, nun aber scheinheilig tut, als wenn sie immer alle gewußt hätten, daß hierfür ein Steuerabzug nicht zulässig wäre.Mir ist— so schreibt Karl Klasen —kein Erlaß eines sozialdemokratischen Justizministers, sei es im Bund, sei es in den Ländern, bekannt,
der hier eine Klarstellung in dem Sinn gebracht hätte.Da sind Sie gemeint, Herr Vogel, und Sie hätten nach dem Empfang dieses Briefes etwas anders reden müssen, als Sie es bis heute getan haben.
Karl Klasen fährt fort:
Der eine oder andere von Ihnen mag sich fürfinanzielle Dinge nicht interessiert haben,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5017
Bundesminister Dr. Stoltenbergaber dazu waren die Beiträge, die der SPD zugeflossen sind, auch von ihr nahestehenden Unternehmen, wie Bank für Gemeinwirtschaft, Neue Heimat, Volksfürsorge und den Gewerkschaften, zu groß, als daß keiner davon Kenntnis gehabt hätte.
Es ist richtig — ich habe den Unterschied deutlich gemacht —, daß die Gewerkschaften im Rahmen der Grenzen für Berufsverbände spenden konnten. Aber nach der Rechtsauffassung, die Sie, Herr Vogel, vertreten haben und die Herr Emmerlich als der letzte bei diesen rüden Attacken vertreten hat, ist das natürlich für die Bank für Gemeinwirtschaft, für die Neue Heimat und die Volksfürsorge mit den Beträgen, deren Größenordnung hier angedeutet wurde, nicht möglich gewesen.
— Nein, er redet hier von steuerbegünstigten Spenden. Ich gehe vom Text aus.Ich muß nun schon einmal darum bitten, daß sich diejenigen Mitglieder Ihrer Fraktion,
die in den Organen dieser sozialdemokratisch geleiteten gemeinwirtschaftlichen Gewerkschaftsunternehmen sitzen, einmal öffentlich zu diesem Brief von Karl Klasen und zu ihrer Verantwortung äußern!
Es war nicht eine glückliche Fügung, daß dieser Brief gerade in jenen Tagen bekannt wurde, als die Aktionen des Herrn Ferlemann einen großen Teil der deutschen Presse so beeinträchtigt haben, daß er wenig abgedruckt wird. Wir tragen das hier vor und fordern Sie in aller Öffentlichkeit auf, zu diesen Sachverhalten Stellung zu nehmen.
Karl Klasen — ich sage das aus persönlicher Wertschätzung auf Grund j ahrzehntelanger guter Bekanntschaft, und da sind wir uns sicher einig —
war nur einer von vielen, die ohne Zweifel aus ehrenwerten Motiven in dieser erwähnten Form Mitbürger ermutigten, steuerbegünstigte Spenden — hier für die Sozialdemokratie, andere auch für die Sozialdemokratie, in anderen Fällen für CDU, CSU und FDP — zu sammeln.
Die GRÜNEN sind sicher nicht betroffen, aber ich will Ihnen einmal sagen, Herr Schily: Ob es auf die Dauer überzeugend ist, sich praktisch nur aus Steuermitteln der Bürger über die Haushalte zu finanzieren, ist auch noch eine interessante Frage.
Meine Damen und Herren, nach dieser kurzen Zwischenbemerkung, die eine Anregung zum Nachdenken ist,
fahre ich fort.
— Also, ich würde dann sagen: ganz überwiegend!
Ich möchte mich jetzt an die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei wenden.
Meine Damen und Herren von der SPD, sogar Inhaber hoher Regierungsämter haben sich an dieser Form der Sammlung beteiligt. Wir werden Ihre Befürchtungen — Sie haben das im Pressedienst ja sozusagen vorher angekündigt —, daß wir Dutzende von Vermerken, die es natürlich mittlerweile mit vielen Namen aus Ihren Reihen gibt — präsentieren würden, nicht erfüllen,
aber nachdem der Herr Kollege Emmerlich uns eben noch einmal ausdrücklich dazu aufgefordert hat, Dokumente zur Klärung dieses Sachverhalts vorzulegen,
— nein, ich halte es nach dieser Aufforderung für richtiger, daß diese Diskussion im Deutschen Bundestag geführt wird, als daß ich Briefe an den Staatsanwalt schicke, Herr Ehmke; das sage ich Ihnen in aller Offenheit —
nachdem wir also dazu aufgefordert sind, möchte ich, um das zugrundeliegende Problem des Vertrauensschutzes — darum geht es ja bei der rechtlichen Bewertung auch des Amnestievorschlages — ganz deutlich zu machen, hier ein Schreiben wörtlich zu Protokoll geben, das mir durch einen Fraktionskollegen vom Empfänger — ich unterstreiche das — in Fotokopie zugeleitet wurde:Briefkopf: Rainer Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium der Finanzen. Deswegen berührt mich das j a auch in anderer Eigenschaft. Dann oben rechts die Amtsanschrift:
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5018 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Bundesminister Dr. StoltenbergBonn 1, Rheindorfer Straße 108. Das ist die Dienststätte des Bundesministers der Finanzen.
Hinzugefügt in Maschinenschrift: Waldshut-Tiengen 2, Neumarktstraße 7. Das ist die Privatanschrift. Empfänger: Firma Dynamit-Nobel, Werk Rheinfelden.
Eingangsdatum: Rheinfelden: 17. Februar 1976.
— Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich es vom Empfänger habe. Es ist doch nicht aus den Akten des Ministeriums, sondern ist uns vom Empfänger nach der ganzen maßlosen Kampagne der Kollegen der SPD zur Verfügung gestellt worden.Und jetzt bitte ich zuzuhören, jetzt beginnt der Text, den ich an Hand der Fotokopie vortrage:Sehr geehrte Damen und Herren!Mit diesem Brief möchte ich Sie unabhängig von Ihrer eigenen parteipolitischen Meinung um einen Beitrag zur Landtagswahl in BadenWürttemberg bitten. Ich äußere diese Bitte, weil ein gut und fair geführter Wahlkampf im Interesse aller liegt. Die Vertreter der demokratischen Parteien müssen der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen über ihre Arbeit. Sie müssen um Vertrauen werben für ihre politischen Zukunftspläne. Demokratie kann anders nicht existieren.Die SPD hat zum Erstkandidaten im Wahlkreis Waldshut erneut Landtagsabgeordneten Kurt Bantle aus Säckingen nominiert. Kurt Bantle hat sich in den vergangenen Jahren mit großem Engagement für die Belange des Wahlkreises und seiner Bürger eingesetzt. Die sachliche Art, in der er seine politische Arbeit betreibt, hat ihm auch in Stuttgart Ansehen bei allen politischen Gruppen verschafft. Ich erlaube mir daher, Sie um einen Beitrag zu den Kosten seines Wahlkampfes zu bitten, wie immer Sie zu den Zielen sozialdemokratischer Politik im einzelnen stehen mögen.Ich bitte Sie, Überweisungen— „Überweisungen", da ist von mehreren die Rede —
auf folgendes Konto vorzunehmen: Postscheckkonto Karlsruhe 91455-753, Spendenkonto Kurt Bantle, Säckingen.Die Spende ist steuerlich abzugsfähig. Eine entsprechende Quittung wird Ihnen selbstverständlich zugesandt.Mit freundlichen Grüßen Rainer Offergeld
Meine Damen und Herren, wohlgemerkt, hier ist nicht die Rede von einer Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit im Sinne des Gesetzes auf 600 oder 1 200 DM.
— Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu, Herr Jansen.Der Spendenfreudigkeit sollten eindeutig keine Grenzen gesetzt werden.
Es ist nicht meine Aufgabe, Herr Kollege Ehmke, heute zu bewerten, von welcher rechtlichen Beurteilung der damalige Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Rainer Offergeld, ausging. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß er selbst mit allen amtlichen Kenntnissen und Verantwortlichkeiten ausgestattet, guten Glaubens von der Rechtmäßigkeit des steuerbegünstigten Spendens in nicht begrenzter Höhe bei der sogenannten Umwegfinanzierung ausgeht. Was immer hierzu abschließend erklärt wird — und es bedarf sicher einer Klärung —: Niemand kann über diesen Einzelfall hinaus den Spendern den guten Glauben absprechen, den Vertrauensschutz verweigern, wenn sogar der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums nachdrücklich einen solchen Weg empfohlen hat. Das ist meine Folgerung.
Ich will wegen der maßlosen Polemik gegen uns nur die Tatsache erwähnen, daß die Firma Dynamit Nobel zum Flick-Konzern gehört,
dessen bekannte Anträge auf Steuerbefreiung damals und in den Folgejahren durch das Bundesministerium für Wirtschaft und das Bundesministerium der Finanzen geprüft und entschieden wurden. Meine Damen und Herren, was würden wir für ein publizistisches und politisches Erdbeben erleben, wenn ein vergleichbares Schreiben an Firmen der Flick-Gruppe aus jener Zeit von den am Genehmigungsverfahren beteiligten FDP-Kollegen heute publiziert würde! Was würden wir hier für ein Erdbeben erleben! Ich muß das einmal sagen.
Ich möchte die Kollegen der SPD-Fraktion und vor allem auch die Fraktionsführung auffordern: Nehmen Sie Ihre maßlosen und kränkenden Attakken der letzten Wochen und auch noch dieser De-
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Bundesminister Dr. Stoltenbergbatte gegen andere Parteien, Politiker und Spender im Lichte solcher Vorgänge zurück! Ich appelliere nachdrücklich an Sie.
Kritisieren Sie unsere Argumente in der Sache, meine Damen und Herren.
— Nein. Wir sind hier in einer schlimmen Weise verunglimpft worden.
— Nein. Hören Sie auf, uns die Integrität abzusprechen, wie das heute geschehen ist!
Wenn wir begründen, weshalb wir ein Straffreiheitsgesetz auf diesem Hintergrund als legale Möglichkeit ansehen, dann kritisieren Sie unsere Argumente in der Sache. Mich erinnert das, was wir in den letzten Wochen und auch eben in dem Beitrag von Herrn Emmerlich erlebten, an die bekannte Formel von Professor Arnold Gehlen von der Moral, die zur Hypermoral umschlägt und bei der Doppelmoral endet.
Ich bin bei der Verabschiedung des neuen Parteienfinanzierungsgesetzes von folgender Beurteilung ausgegangen: Nach einem alten, in § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuches enthaltenen Grundsatz ist bei einer strafrechtlichen Beurteilung das mildere Recht anzuwenden, wenn das bei Beendigung der Tat geltende Recht zwischenzeitlich geändert wurde. Etwas anderes gilt nur, wenn es sich um sogenannte Zeitgesetze handelt. Diese sind nach Abs. 4 dieser Vorschrift auf die während ihrer Geltung begangenen Handlungen auch dann noch anzuwenden, wenn sie inzwischen außer Kraft getreten sind.Ministerialdirigent Professor Karl-Heinz Kunert, als Leiter der Strafrechtsabteilung im Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen von besonderer Autorität — und auch in einer unmittelbaren dienstlichen Mitverantwortung, sage ich vorsichtshalber zu den Ermittlungsbehörden —, hat jetzt in einem Aufsatz der „Neuen Zeitschrift für Strafrecht" überzeugend dargelegt, daß die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für Zeitgesetze aufgestellten Voraussetzungen im Falle der steuerlichen Regelung für die Abzugsfähigkeit der Spenden an politische Parteien nicht vorliegen. Nach einer gründlichen Rechtsanalyse kommt Professor Kunert zu dem Schluß, daß durch das Parteiengesetz von 1967 die Konsequenz aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1958 gezogen und — ich zitiere wörtlich — „eine verfassungsfeste Dauerregelung dieser Frage für die politischen Parteien geschaffen werden sollte".Die Spendenregelung der §§ 34 und 35 dieses Gesetzes ist später inhaltsgleich in die Steuergesetze übernommen worden.Diese Regelung blieb bis einschließlich 1979 unverändert. Erst ab 1980 gab es höhere Grenzen. Bei einer so langen Geltungsdauer kann man nicht von einem ständigen Wandel dieser steuerlichen Abzugsregelung reden, gleich, ob man sie nun im nachhinein betrachtet oder aus damaliger Sicht. Da die steuerliche Abzugsregelung für Parteispenden somit kein Zeitgesetz darstellt, muß nach meiner Einschätzung der alte Strafrechtsgrundsatz des milderen Rechtes zum Zuge kommen.
— Ich entwickle hier eine Rechtsauffassung, gestützt auf den Leiter der Strafrechtsabteilung im Ministerium für Justiz in Nordrhein-Westfalen.
Ich erlaube mir, diese Rechtsauffassung, Herr Kollege Schily, zu zitieren. Es ist doch besser, rechtliche Argumente vorzutragen, als andere Leute unter die Gürtellinie zu schlagen.
Meine Damen und Herren, ich will als letztes sagen: Es ist ja auch nicht so, daß wir vor dem ersten oder zweiten Straffreiheitsgesetz stehen. Seit 1949 haben wir in Bund und Ländern Amnestien gehabt, u. a. Straffreiheitsgesetze 1949, 1954, 1968 und 1970 sowie im Rahmen der Strafrechtsreform. Wer noch einmal — ich habe es getan — die wesentlichen Gründe von damals nachliest — aus unterschiedlichen Anlässen —, kann zu der begründeten Überzeugung kommen, daß das aus den genannten Erwägungen und Tatbeständen, vor allem dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, eine legitime Initiative war, auch wenn sie — ich teile da die Meinung des Herrn Kollegen Genscher — nicht Gesetz wird.Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Apel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Stoltenberg, mir ist ja sehr wohl bekannt, daß Sie in den letzten Tagen das gesamte Finanzministerium, insbesondere die Steuerabteilung, auf den Kopf gestellt haben, um für Ihre Behauptung, es habe keine Rechtsklarheit gegeben, Vertrauensschutz sei geboten, während der Zeit der sozialdemokratischen Finanzminister habe es keine Klarheit gegeben, Unterlagen zu finden.
Sie sind zu dem Ergebnis gekommen — das haben Sie hier, glaube ich, auch indirekt deutlich ge-
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5020 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. Apelmacht, insbesondere auch dadurch, daß Sie sich klar vor Ihre Steuerabteilung gestellt haben, was ich gut finde —, daß die Rechtsklarheit in der Frage der Parteispenden zu jener Zeit gegeben war
und daß es von daher überhaupt keinen Grund gab, Amnestiepläne zu verfolgen. Da gab es ganz andere Gründe, auf die ich noch zu sprechen kommen werde.Sozialdemokraten haben immer deutlich gemacht: Parteispenden sind natürlich zulässig, sie können auch erwünscht sein. Nur: Ihre steuerliche Abzugsfähigkeit ist klar definiert und klar begrenzt.
Wenn Sie wollen, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, überreichen wir Ihnen gerne die vielen Antworten Parlamentarischer Staatssekretäre der sozialliberalen Koalition in diesem Bundestag. Wir verweisen Sie gern auf die vielen Aktennotizen der Besprechungen zwischen Bund und Ländern. Wir verweisen Sie auch gern darauf, wie oft der Bundesminister der Finanzen Vorwürfen nach Steuerhinterziehung nachgegangen ist. Er ist nur selten fündig geworden, weil diejenigen, die die großen Geldwaschmaschinen in Betrieb gesetzt hatten,
so tüchtig waren, daß die Steuerfahndung ihnen nur in Grenzen folgen konnte.
Herr Kollege Stoltenberg, darum geht es, ausschließlich darum. Es geht um die Frage, ob wir es zulassen dürfen, daß Bürgerinnen und Bürger am Steuergesetz vorbei und unter Berücksichtigung der für sie nicht gegebenen Abzugsfähigkeit bei Spenden an die Parteien Steuerhinterziehung begehen oder nicht.
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, ich fand es schon schlimm, wie Sie versucht haben, dem Fernsehpublikum gegenüber am Falle des Kollegen Offergeld den Eindruck zu erwecken, als habe der Parlamentarische Staatssekretär Offergeld, der dieses Schreiben verfaßt hat, als ich Bundesminister der Finanzen war,
sich in demselben Boot bewegt wie diejenigen, die Geldwaschanlagen und Steuerhinterziehung betrieben haben.
Was hat denn Offergeld geschrieben, Herr Kollege Stoltenberg? Sie wissen das doch genausogut wie ich.
Es war doch eine wirklich schwache Leistung; entschuldigen Sie, daß ich das sage.
Was hat er denn geschrieben? Erstens hat er um Spenden gebeten. Zweitens hat er eine Spendenbescheinigung — in diesem Falle der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands — versprochen.
I Dieses ist völlig in Ordnung. Die bekommt jedermann, der für Parteien spendet.
Er kann dann, Herr Kollege Stoltenberg, bis zu 3 600 DM jährlich abziehen.
— Dieses ist der Fall, jawohl. Da lachen Sie.
Ich bitte Sie darum: Bringen Sie den Gegenbeweis, bringen Sie den Beweis, daß es anders war.Ich sage Ihnen: Briefe wie die von Herrn Offergeld habe ich zehnmal, zwanzigmal von CDU-Mitgliedern bekommen, die augenscheinlich nach dem Telefonbuch abschreiben konnten, die überhaupt nicht wußten, daß ich der Empfänger eines solchen Briefes war.
Herr Abgeordneter Dr. Apel, Herr Abgeordneter Schily möchte eine Zwischenfrage stellen.
Nein. Ich folge der Tradition aller meiner Vorredner.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bleiben wir doch beim Thema: Parteispenden —, j a, Abzugsfähigkeit in den Grenzen der steuerlichen Möglichkeiten — j a.
Aber, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, das hat doch nichts damit zu tun. Sie wissen doch ganz genau, worum es geht. Sie wissen doch, warum die großen Geldwaschanlagen installiert worden sind.
Sie wissen doch, warum das Geld über das Auslandtransferiert wurde, doch nicht, um auf diese Art undWeise für Parteienfinanzierung zu werben, sondern
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5021
Dr. Apelweil auf diese Art und Weise die klaren Obergrenzen unseres Steuerrechtes für Parteienspenden umgangen werden sollten.
Hier sollte Steuerhinterziehung in großem Ausmaß begangen werden. Das ist der Punkt.
Herr Kollege Stoltenberg, hier bin ich am Ende doch sehr betroffen davon, daß der Bundesminister der Finanzen — und ich sage das ganz ruhig — durch seine Zustimmung zu diesem Amnestiegesetz zum Ingenieur und Konstrukteur eines Vorhabens wird, von dem die Deutsche Steuergewerkschaft in einem einstimmigen Beschluß sagt, daß das als ein bisher beispielloser Anschlag auf die Steuermoral und den Rechtsstaat bezeichnet werden muß.
Herr Abgeordneter Apel
Ich habe mich bereits erklärt.
Herr Abgeordneter Apel, das gilt also generell für Ihre gesamte Redezeit?
Ja. So, wie meine Vorgänger es auch gemacht haben.
Deswegen, Herr Kollege Stoltenberg, ist es eben unrichtig, wenn Sie auf dem Bundesparteitag der CDU erklärt haben, daß diese Amnestie nach gewissenhafter Prüfung den Normen des Rechtsstaates entspreche. Sie wissen, Herr Kollege Stoltenberg: Das ist falsch. Und ich frage Sie als Bundesminister der Finanzen: Wie wollen wir eigentlich diesen Rechtsstaat, Herr Kollege Stoltenberg, funktionsfähig halten,
wenn ein Zeitschriftenhändler oder Tankstellenpächter, der bei seinen Belegen mogelt, mit einem Verfahren überzogen wird, während Sie gleichzeitig Sonderrechte für diejenigen schaffen wollen, die doch mit kühler Berechnung gesetzeswidrig, widerrechtlich Parteienspenden in Millionenhöhe gegeben haben,
davon ausgegangen sind, daß diese Steuerhinterziehungen nicht erkennbar werden,
und, nachdem sie erkennbar wurden, nun die Amnestie fordern?
Wie wollen Sie eigentlich dem normalen Steuerzahler klarmachen, er habe künftig Steuermoral zu bewahren?Herr Kollege Stoltenberg, wir alle sollten uns in dieser Debatte nicht schöner machen, als wir sind.
— Das tun wir doch auch nicht. Und wir haben in unserem Entschließungsantrag dazu auch klare Sätze gesagt. Aber ich sage Ihnen eines, Herr Kollege Dr. Stoltenberg: So, wie Sie mit dem Kollegen Offergeld umgegangen sind, das ist unanständig, das ist unfein.
Und wenn Sie, Herr Kollege Stoltenberg, etwas gegen einen Sozialdemokraten vorliegen haben, dann bringen Sie es zur Steuerfahndung, bringen Sie es zur Staatsanwaltschaft.
Sorgen Sie dafür, daß das Steuerrecht auch künftig für alle gilt, ohne Ansehen der Person. Versuchen Sie nicht, Herr Kollege Stoltenberg, mit völlig fehlgeleiteten Antworten einen Eindruck bei den Bürgerinnen und Bürgern zu erwecken, den es nicht gibt.
Es gibt 1 800 Verfahren in diesem Lande.
Und das sind im wesentlichen Verfahren, die sich gegen Spender richten. Und diejenigen, die die von Verfahren betroffenen Politiker sind, sitzen hier auf der Regierungsbank oder hier unter den Abgeordneten der Koalition. Und Sie wollen sich selbst freischreiben.
Meine Damen und Herren, der Hauptvorstand der Deutschen Steuer-Gewerkschaft hat am 12. Mai in einer einstimmig angenommenen Entschließung folgendes erklärt:Diese skandalöse Selbstbegünstigung der Regierungskoalition wird die Steuermoral noch mehr untergraben, den Steuer- und Staatsverdruß in ein alarmierendes Ausmaß hineinsteigern und damit den Rechtsstaat in eine gefährliche Krise manövrieren. Die für das Amnestiegesetz verantwortlichen Politiker haben das
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5022 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. Apelmoralische Recht verwirkt, von den Steuerzahlern, auf deren Einkommen sie ungeniert Zugriff nehmen, Steuerehrlichkeit zu verlangen ... Diese Politiker— das sind Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren —treiben die Beschäftigten der Steuerverwaltung in einen für sie unerträglichen Gewissenskonflikt.
Die Beschäftigten der Steuerverwaltung müssen den Strafanspruch des Staates bei kleinsten Steuersündern durchsetzen, während die verantwortlichen Politiker unter Mißbrauch ihrer Gesetzgebungsbefugnis denjenigen Straffreiheit verschaffen, die bewußt und gezielt zu ihren Gunsten Steuern hinterzogen haben.Diesem Zitat ist aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nichts, aber auch gar nichts hinzuzufügen.
Wenn Sie im übrigen den Gesetzentwurf zurückgezogen haben, dann nicht deswegen, weil Sie moralische Skrupel haben. Die sind Ihnen ja zu keinem Zeitpunkt gekommen.
Dies hat Herr Kollege Dregger heute ja auch deutlich gemacht. Sie haben j a die „Sentimentalitäten", wie Sie es gesagt haben, vom Tische gewischt. Sie haben gesagt: Wir haben die Mehrheit; wir werden dieses Vorhaben durchsetzen.Herr Kollege Genscher, Sie haben erklärt, die FDP werde auch einem neuen Anlauf einer Amnestiegesetzgebung nicht zustimmen. Wir Sozialdemokraten halten Sie daran fest. Denn ist es nicht so, Herr Kollege Stoltenberg, daß Sie bereits daran arbeiten, durch eine unscheinbare Änderung der Abgabenordnung das gleiche Ziel doch zu erreichen?
Das sage ich Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelingen. Wir sind auf der Hut,
die Öffentlichkeit ist vorgewarnt, und wir nehmen die Liberalen ins Wort.Aber wenn dieses so ist, meine Damen und Herren, dann können die Liberalen dem vierten Absatz der Entschließung der SPD-Bundestagsfraktion auch zustimmen, damit die deutsche Öffentlichkeit endlich weiß, daß Schluß ist mit diesem Spuk, mit dieser Rechtsverdrehung,
mit dem Versuch, das Steuerrecht zu pervertieren, mit dem Versuch, die Großen freizulassen und die Kleinen in die Strafe zu bringen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die liberale Partei hat die Veranlassung dazu gegeben, daß der Amnestieentwurf heute hier nicht auf dem Tisch liegt und zurückgezogen wurde. Sie ist also letztlich verantwortlich für diese Entscheidung, und sie steht zu dieser Verantwortung.Der Vorsitzende der FDP hat hier ausgeführt, welche Gründe ihn bewogen haben, der Amnestie zuzustimmen, und er hat ebenso deutlich und fair ausgeführt, welche Gründe die Mehrheit in der Fraktion, in der Partei bewogen haben, diesen Plan nicht zu stützen.Wir haben sehr aufmerksam verfolgt, was in den anderen Parteien an Diskussionen stattgefunden hat. Ich möchte hier den CDU-Parteitag in Stuttgart erwähnen. Ich möchte nicht verschweigen, daß wir uns besonders mit denen bei unserem Koalitionspartner verbunden fühlen, die unsere Meinung teilen.
Das ist — und das ist erfreulich festzustellen — die junge Generation, die Junge Union bei Ihnen und die Jungen Liberalen bei uns.Ich möchte feststellen, daß diese Rücknahme uns alle, alle Parteien, vor Schaden bewahrt hat.
Die Meinungsbildung in der FDP war eindeutig. Sie umfaßte alle Gruppen, alle Landesverbände der Partei gleichermaßen. Sie entsprang innerer Überzeugung und liberaler Sensibilität. Sie wurde mit Leidenschaft, aber mit Respekt vor der Meinung des anderen geführt. Sie richtete sich gegen das Vorhaben, sie richtete sich nicht gegen die Personen, die die Amnestie befürwortet haben. Es ist richtig, was Herr Genscher gesagt hat: Niemandem wird es gelingen, einen Keil in unsere Partei zu treiben.
Die FDP hat sich gerade in den letzten Wochen als eine äußerst lebendige liberale Partei verstanden, die entschlossen ist, ihre liberalen Ziele auch zu vertreten.Im übrigen, meine Damen und Herren, hat wohl niemand Anlaß das haben ja auch die Debattenbeiträge der letzten Redner hier gezeigt —, sich in Gralshüterpose zu begeben. Ich sage hier ganz deutlich: Ich war zehn Jahre Kreisvorsitzender der FDP in Köln, und ich bin natürlich auch Nutznießer von Spenden gewesen. Mir ist das Gefühl der menschlichen Solidarität mit denen in meiner Partei nicht fremd, die Spenden gesammelt haben. Soli-
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Baumdarität empfinde ich auch gegenüber denjenigen, die die Spenden gegeben haben.
Diese Solidarität ergibt sich ja nicht nur aus Dankbarkeit, sondern auch aus der moralischen Mitverantwortung aller, deren politische Arbeit mit diesen Spenden ermöglicht worden ist. Wir haben ja gehört, daß sich auch führende Sozialdemokraten von diesen Erwägungen haben leiten lassen. So fern mögen diese Erwägungen 1981 ja nicht gewesen sein.
Ich mache Ihnen das keineswegs zum Vorwurf, meine Damen und Herren. Ich möchte Sie nur bitten, bei allem, was Sie tun, zu berücksichtigen, daß die Medaille eben zwei Seiten hat, daß es bei den Befürwortern Motive gibt, die respektabel sind; auch wenn ich sie nicht teile, sollten wir durch die Art des Umgangs hier miteinander deutlich machen, daß wir die Motive des anderen auch respektieren können.
Ich lehne die Amnestie ab, meine Damen und Herren. Ich war ja mit einigen Kollegen von Anfang an voller Bedenken. Eine Amnestie — erst recht eine für politische Parteien durch politische Parteien — kann wesensnotwendig nicht gegen Bürger und Öffentlichkeit beschlossen werden. Nur wenn noch strafbar ist, was nach dem Rechtsempfinden der breiten Mehrheit der Bürger straffrei sein müßte, trägt eine entsprechende Amnestie zum Rechtsfrieden und damit zur politischen Kultur bei. Hier geht es nicht um opportunistisches Schielen auf öffentliche Stimmung und öffentlichen Beifall. Wir Liberalen sind es gewohnt, gegen den Strom anzuschwimmen, wenn es z. B. galt, Minderheiten zu schützen und unbequeme Themen zu behandeln.
Die Minderheit, die mit dem Amnestievorhaben geschützt werden sollte, hat dagegen das Recht verletzt, sonst wäre ja eine Amnestie überflüssig. Diese Minderheit hat das Recht gegen sich. Sie der Rechtsprechung zu entziehen, ist mißlungen; es mußte mißlingen, weil es außerhalb des Rechts keinen Halt, keinen Grund gibt, der diese Maßnahme tragen kann.
Die menschlich anerkennenswerte Solidarität, meine Kolleginnen und Kollegen, der moralisch mitverantwortlichen Parteien, kann niemals die Herstellung der Straffreiheit für diejenigen tragen, die subjektiv und objektiv das Recht verletzt haben. Natürlich schafft jede Amnestie unvermeidlich Sonderrecht, indem sie in die Strafgerichtsbarkeit eingreift, aber genau deshalb muß mit großer Empfindsamkeit geprüft werden, ob dieses Sonderrecht eine wirkliche Lücke zwischen dem noch geltenden Recht und dem abweichenden allgemeinen Rechtsgefühl schließen kann. Der Rückgriff auf das allgemeine Rechtsempfinden — das hat ja Herr Benda sehr nachdrücklich zum Ausdruck gebracht; das ist auch meine Meinung — ist das einzige, was eine Amnestie tragen kann, weil man den Boden des sonst tragenden Rechts ja mit ihr verläßt. Dieser Rückgriff ist das Gegenteil von Opportunität.Daß man jetzt für diese Rechtsverletzungen einstehen muß, entspricht nicht nur dem allgemeinen Rechtsempfinden, es entspricht, so meine ich, auch liberalen Prinzipien. Die Bürger finden das durchweg in Ordnung: den Rechtsfrieden sehen sie nicht gestört. Sie vertrauen darauf, daß unabhängige Richter ihre Pflicht tun, zuallererst also darauf achten, daß niemand verurteilt wird, der nicht objektiv wie subjektiv schuldig ist. Sie vertrauen auch darauf, daß die Richter bei der Anwendung des Rechts berücksichtigen, daß sich in der Tat in den Jahren bei der Anwendung des Rechts in der Praxis eine Fülle von Unsicherheiten und Unklarheiten herausgestellt haben. Wenn der Vertrauensschutz so gilt, Herr Kollege Stoltenberg, wie Sie das hier gesagt haben, dann brauchen wir keine Amnestie. Dann werden die Gerichte Gerechtigkeit auf dieser Grundlage sprechen.
Es geht um die Gleichheit vor dem Gesetz. Das wurde schon gesagt. Es geht darum, daß Regeln für alle zu gelten haben und nicht nach Bedarf außer Kraft gesetzt werden können. Damit, meine ich, ist der Nerv der politischen Kultur berührt: die Übereinstimmung zwischen Regierenden und Regierten über die Regeln, die auch von uns, den Regierenden, einzuhalten sind. In der Demokratie gibt es keinen rechtsfreien Raum.Meine Damen und Herren, trotz unterschiedlicher Argumente und Akzente ist das Ergebnis dieser Debatte eindeutig: Die Amnestie geht nicht, und sie wird auch künftig nicht gehen.
Es gilt die Feststellung von Hans-Dietrich Genscher hier in der Debatte — und ich bin fest der Überzeugung, daß dies die Meinung der überwiegenden Mehrheit der FDP ist —: Eine erneute Initiative für eine Amnestie für Steuerdelikte im Zusammenhang mit Parteispenden schließen wir aus. Die FDP wird keiner wie immer gearteten Neuauflage dieses Vorhabens zustimmen. Und sollte dies versucht werden, wird sie aktiv dazu beitragen, daß ein solches Vorhaben ohne Erfolg bleibt.Der Entschließungsantrag der SPD geht hier in die gleiche Richtung — wie auch im übrigen in Ziffer 3. Wenn wir ihm nicht zustimmen, so ist das keine Ablehnung in der Sache.
Die Absicht der SPD, meine Damen und Herren von der SPD, zielt ja nicht nur dahin, unsere Zustimmung zu bekommen, sondern sie zielt dahin, die Arbeit in der Koalition zu erschweren.
Und wenn es eines Beweises bedurft hätte — wirhaben uns da eben darüber sehr genau unterhal-
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Baumten —, dann war dies die Rede des Kollegen Emmerlich. Und vor diesem Hintergrund bekommen Sie unsere Zustimmung nicht, meine Damen und Herren von der SPD.
In Ziffer 4 unserer gemeinsamen Entschließung ist zum Ausdruck gebracht, daß wir Vorverurteilungen entgegentreten wollen. Wer den Vorrang ordentlicher gerichtlicher Verfahren so bedingungslos fordert, wie wir das getan haben, der muß, meine ich, auch dafür eintreten, daß die gerichtlichen Verfahren von öffentlichen Emotionen freibleiben können. Im angelsächsischen Recht wird nicht die Freiheit der Medien beschränkt, sondern die Würde des Beschuldigten, und die Freiheit, der Spielraum des Gerichts sollen gewahrt werden. Daran müssen wir doch alle ein Interesse haben. Dieser Prüfung können wir uns doch nicht entziehen. Das ist doch nicht, wie manche schon wieder meinen, auf dem Umweg die Rückkehr zu irgendeiner Straffreiheit; das ist eine Sache, der wir uns längst hätten stellen müssen.
In diesem Zusammenhang noch ein Wort an den Kollegen Vogel. Die sozialdemokratische Partei hat konsequent eine Position eingenommen, die sie schon 1981 bezogen hat. Das erkenne ich an.
Aber ich komme zurück auf den Stil der Auseinandersetzung. Das ist schon mehrfach hier gesagt worden. Ich will Ihnen nur eines entgegenhalten, was mich besonders betroffen macht und — das muß ich Ihnen sagen — auch empört. Das ist das Wort des Kollegen Vogel von der Amnestie als „Lohn der Wende". Herr Vogel, Sie wissen, daß das nicht stimmt.
— Dann legen Sie das doch auf den Tisch! Die Gründe für den Wechsel der Koalition waren doch ganz andere, meine Damen und Herren.
Bringen Sie doch bitte die Auseinandersetzung zwischen uns nicht auf dieses Niveau, zu sagen: Die Amnestie ist ein Lohn der Wende! Das ist sie nicht. Das muß ich Ihnen einmal deutlich sagen. Hier ist keine der Parteien — und alle Parteien haben Spenden bekommen — käuflich. Das sollten wir uns gegenseitig nicht unterstellen, meine Damen und Herren.
Diese Debatte soll ihrerseits einen Beitrag zum Rechtsfrieden leisten, meine ich. Wahrscheinlich gelingt uns das heute nicht. Dann müssen wir nicht nur sagen, daß das neue Parteienfinanzierungsgesetz ein Neuanfang ist, wir müssen dieses Gesetz auch strikt beachten, und wenn wir sehen, daß wir es nicht beachten können, müssen wir es eben ändern.
Dieses Gesetz liegt ja im übrigen auch noch in Karlsruhe. Es war in der Vergangenheit gar nicht einfach, den engen Spielraum, den das Verfassungsgericht gegeben hatte, auszuloten.Zum Rechtsfrieden gehört aber auch, daß wir uns zu früheren Fehlern bekennen, wir alle, die wir Fehler gemacht haben. Dazu gehört beispielsweise, daß Offenlegungspflichten des Parteiengesetzes nicht beachtet worden sind.Wir müssen sehen, daß alle Angelegenheiten, die die Parteien selbst betreffen, mit äußerster Sensibilität von uns behandelt werden müssen. Wir setzen nicht auf die Vergeßlichkeit der Bürger. Sie mögen sich daran erinnern, daß wir in diesen Wochen Fehler gemacht haben. Sie haben heute jedoch gesehen, daß wir die Kraft haben, Dinge auch in Ordnung zu bringen.Ein letztes. Die Meinungsbildung in der FDP — und ich habe schon gesagt, sie war sehr eindeutig und sehr entschlossen; daran sollte niemand einen Zweifel haben — richtet sich nicht gegen die Koalition. Die Koalition ist um wichtiger Aufgaben willen gewählt worden, von denen sie eine Reihe erfolgreich erledigt hat. Wir müssen uns jetzt wieder den Aufgaben zuwenden, zu deren Lösung wir diese Koalition nach einer Wahl, in der wir einen entsprechenden Wählerauftrag bekommen haben, vereinbart haben.
Das gilt, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt. Darauf weisen Sie uns ja oft hin. Aber wir hatten j a auch mit Ihnen Meinungsverschiedenheiten. Wir sind selbständige Parteien in einer Koalition. Wir geben uns ja nicht auf: weder die CDU noch die CSU noch die FDP. Wir haben Meinungsverschiedenheiten. Aber wir haben uns auf den wichtigsten Feldern der Innen-, der Wirtschafts-, der Haushalts-, der Sozial-, der Außenpolitik als handlungsfähig erwiesen.
Und ich sage Ihnen: Wir werden alles tun, damit diese Koalition Erfolg hat. Das liegt auch im ureigensten Interesse jeder der Parteien, die diese Koalition tragen. Und daran sollte auch diese Debatte keinen Zweifel lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte besteht in ihrem bisherigen Verlauf im wesentlichen aus gegenseitigen Schuldzuweisungen von rechts nach links des Hauses, von links nach rechts. Wer hat mit wem? Wer hat mehr? Je verwickelter die Sache wird, um so
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5025
Hossunübersichtlicher wird es. Und der Bürger fragt sich:
Wie kann er dagegen noch ankommen. Es geht die Klarheit verloren. Das Ergebnis ist, daß durch die Politik der bisherigen Parteien ein Zustand geschaffen worden ist, daß die moralisch-geistige Wende, von der besonders die Regierungskoalition in der Vergangenheit gesprochen hat, baden geht und daß es schwerfällt, Begriffe wie Rechtschaffenheit, Verläßlichkeit, Unbestechlichkeit zu benutzen. Ich kann das, wenn die Leute wissen, daß ich aus Bonn komme, nur dann, wenn ich schnell hinzufüge, daß ich von der GRÜNEN Partei bin.
Sie haben einen Abbau von Rechtsbewußtsein erreicht und haben uns in einen Sumpf hineingeführt, in dem nicht mehr, auch nicht in der bisherigen Debatte, unterschieden wird zwischen Spenden, die aus staatsbürgerlicher Verantwortung ohne eigene Vorteile in Höhe von 10, 50, 200 DM, meinetwegen auch 1 000 DM gegeben werden, die ordentlich verrechnet, ausgewiesen und abgerechnet werden, und Spenden von der Industrie in Höhe von 250 000 DM bis zu Millionen DM. Als Mitglied des Flick-Untersuchungsausschusses, der heute morgen getagt hat, habe ich in diesem Fall wieder erfahren, daß die Zuwendungen an Parteien in die Millionen gehen. Es wird hier einfach nicht mehr darüber gesprochen. Keiner von ihnen, weder von der einen Seite noch von der anderen Seite, hat darüber gesprochen, daß Spenden abgewickelt werden, für die spezielle Konten in der Schweiz, in England und anderen Ländern eingerichtet worden sind und daß Geldwaschanlagen eingerichtet worden sind, um die Mittel von der Industrie, gegeben für die Parteien, zu transferieren
Spenden, die nicht aus staatsbürgerlicher Verantwortung gegeben werden, sondern die darauf zu untersuchen sind und die wir darauf untersuchen, ob damit nicht etwas erworben, ob damit nicht etwas gekauft werden soll.
Ich erlebe hier Abgeordnete — das muß ich als persönliche Erfahrung mitteilen —, die davon reden, daß es bei diesem Amnestie-Gesetz nur darum gehe, kleine Handwerker zu schützen, von denen ich aber aus den Akten weiß, daß sie selber, in Person, Tausende von Mark von Flick erhalten haben. Gleichwohl stellen sie sich hier her und sagen, daß es darum gehe, die Belange des kleinen Handwerkers zu schützen.Der Bürger steht bei unnachgiebiger Steuereintreibung auch in Bagatellfällen, die den kleinen Bürger treffen, fassungslos da; wegen kleiner Steuerversäumnisse wird er eventuell unnachgiebig verfolgt. Die Bürger fragen sich: Wer kann es schaffen, diesen Sumpf trockenzulegen?
Wir GRÜNEN sind der öffentlichen Meinung zu Dank verpflichtet, angefangen vom einfachen Bürger, der sich empört hat, bis zum Deutschen Richterbund, dem es zuviel war, was ihm hier von seiten der Regierungskoalition zugemutet wurde.
Ich glaube, daß man diesen Prozeß weitertreiben muß. Mir fällt da ein Zitat ein, das vor 2 000 Jahren Aristophanes geprägt hat, indem er in einer ähnlichen Situation — nicht zufällig — eine Frau, nämlich Lysistrata, sagen läßt:Wie die Wolle vom Kot und vom Schmutz in der Wäsche man säubert, so müßt Ihr dem Staate von Schurken das Fell schön säubern und tüchtig es klopfen, daß rausfällt der Dreck; und ablesen müßt Ihr die Klumpen, die überall sitzen. Was zusammen sich klumpt und zum Filz sich verstrickt, Klubmänner für Ämterbesetzung, miteinander verschworen, klopfet sie durch.
Ich glaube, daß ein solches Rezept, vom Volk angenommen, vom Volk kritisch bewahrt und kritisch beobachtet, was hier in Bonn vor sich geht, nützlich sein kann.Da das schon vor 2 000 Jahren geschrieben wurde und dennoch auch auf diesen Zustand heute paßt, ist die Frage: Können wir das überhaupt ändern? Ich denke, wir müssen es ändern, weil die Situation heute eine andere ist. Es geht nämlich nicht nur um das Geld, das dem Bürger, dem Staat — bei gleichzeitigem Sozialabbau — hinterzogen wird. Es geht auch nicht nur um das Geld, das die Parteien von der Industrie bekommen, um teure, aufgeblähte Parteiapparate und Waschmittelwerbung zu betreiben. Sondern es geht darum, daß wir mit unserem Industriestaat, mit unserer Industrieproduktion dabei sind, eine Vergiftung unserer Umwelt, eine Vergiftung der menschlichen Gesellschaft durchzuführen, und daß die Spenden dazu benutzt werden, diesen Prozeß nicht auf die schnelle beenden zu lassen.
Wir haben es mit Vergiftung der Luft, mit Zerstörung der Wälder, mit verseuchten Ackern, wir haben es mit Grundwasserproblemen zu tun. Wir haben es damit zu tun, daß die Menschen betroffen sind, daß Säuglinge wegen verunreinigter Luft sterben. Und wir sagen den Bürgern draußen: Überlegt einmal, welcher Zusammenhang zwischen bestimmten Gesetzgebungsverfahren, die nicht vorankommen, und der Zerstörung unserer Umwelt besteht; dann werdet ihr erkennen, daß die Gelder, die von der Industrie in die Richtung der alten Parteien gegeben worden sind, dazu dienen, diese Gesetzgebungsverfahren zu behindern und aufzuhalten.
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5026 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
HossDenken Sie darüber nach! Die TA Luft zur Beseitigung der Schadstoffe in der Luft behandelt Probleme, die schon seit den 70er Jahren bekannt sind. Daß wir ein Tempolimit brauchen, ist schon länger bekannt. Daß das Wasserabgabengesetz bis heute nicht besser gestaltet werden konnte, daß es für Industrielle billiger ist, die Abgaben zu bezahlen, als Kläranlagen zu bauen, ist eine Sache, die damit zusammenhängt, daß die Industrie Gelder in die alten Parteien fließen läßt. Daher kommen diese Dinge nicht voran, daher kommen wir zu keiner entscheidenden Verbesserung unserer Situation.Zum Abschluß möchte ich Ihnen sagen — das richte ich an Herrn Stoltenberg, an Herrn Apel, Herrn Vogel, das richte ich an Herrn Dregger und alle die, die hier bisher gesprochen haben, außer meinem Kollegen Schily —, daß Fairneß und Anstand nicht als Appell von der Koalition an die SPD oder von der SPD an die Koalition gerichtet werden sollten. Vielmehr gebieten es Fairneß und Anstand dem Bürger gegenüber, sich an das Volk zu wenden und es um Vergebung anzugehen, indem Sie sich entsprechend verhalten, nämlich — erstens — so, wie mein Kollege Schily es schon dargestellt hat, daß Sie vor dem Volk die öffentliche Rechenschaftslegung über Herkunft und Umfang der Spenden nach § 25 des Parteiengesetzes nachholen, die Sie seit 1970 erhalten haben. Zweitens sollten Sie über sämtliche Verstöße gegen strafrechtliche und steuerrechtliche Bestimmungen, die Sie begangen haben und über die Sie sehr genau Bescheid wissen, dem Volk gegenüber Rechenschaft ablegen. Drittens sollten Sie eindeutig und unwiderruflich erklären, den Plan einer Strafbefreiung ein für allemal aufzugeben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waigel.
: Oh, Theo!)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte erwartet, daß die heutige Debatte die Möglichkeit böte, eine ehrliche Sachverhaltsdarstellung zu geben und eine parlamentarische rechtspolitische Wertung der unklaren, wechselnden und widersprüchlichen Rechtsgrundlagen der Parteienfinanzierung in der Vergangenheit vorzunehmen.
— Da brauchen Sie mich nicht zu belehren. Ich habe in manchen Bereichen vielleicht mehr gelesen als Sie. Sie müssen nicht alles gelesen haben; sonst hätten Sie heute nicht so geredet.
Es würde Ihnen übrigens überhaupt gut anstehen, zuzuhören. Das haben Sie bei den GRÜNEN aber offensichtlich noch nicht gelernt. Vielleicht bringt es Ihnen die Dame, die heute nicht da ist, noch bei.Es hätte auch der Opposition gut angestanden, diese Aussprache selbstkritisch statt selbstgerecht zu bestreiten. Alle Parteien, alle Fraktionen und der Bundesgesetzgeber haben Anlaß, darüber nachzudenken, daß durch das Versäumnis der Politik, durch zu spät ergangene Regelungen Bürger in Mißkredit geraten sind, weil sie demokratische Parteien unterstützt haben.
Leider ist die SPD der populistischen Versuchung erlegen, aus einer maßlosen Kampagne kurzfristig Profit ziehen zu wollen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie werden mit dieser Taktik scheitern. Herr Kollege Dr. Vogel, nur die parlamentarische Sprache verbietet es mir, Ihnen das zu sagen, was ich über Sie denke.
Sie sind denkbar ungeeignet als Großinquisitor dieser Republik.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie das, was beabsichtigt war, als Anschlag auf den Rechtsstaat bezeichnen, müssen nach Ihrer Definition Wehner, Wischnewski und Gnädinger damals 1981 Anschläge auf den Rechtsstaat begangen haben.
Wenn man Sie, Herr Kollege Vogel, sieht und hört, weiß man, was Herbert Wehner für Ihre Fraktion und dieses Parlament wert gewesen ist.
— Ja, das bin ich, in manchen Bereichen durchaus.
Nun noch eine Bemerkung zu dem Kollegen Apel. Ich kann mich erinnern — ich habe das Zitat jetzt leider nicht da —, daß Sie auf dem Evangelischen Kirchentag 1975 ungefähr folgendes gesagt haben: Sie würden manchmal auch lügen; das gäben Sie ehrlich zu; Sie täten das für die SPD, weil das für Deutschland gut sei.
Daran habe ich mich erinnert, als Sie vorhin hier gestanden sind.
Es zeugt auch von einer merkwürdigen Rechtskenntnis, von einer merkwürdigen Kenntnis des Steuerrechts, wenn Sie ausführen, im Jahre 1976 habe man 3 000 DM an Spenden steuerbegünstigt abführen können. Nach meinen bescheidenen Informationen waren es 600 DM. Sie waren j a damals im Kabinett. Man braucht sich nicht zu wundern, daß Sie von den Dingen nicht viel verstanden haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5027
Dr. WaigelIm übrigen hat mich der Bundesfinanzminister Stoltenberg gebeten, Ihnen zu sagen,
daß Ihre Andeutungen und Ihre Unterstellung, eine Änderung der AO, der Abgabenordnung, sei beabsichtigt, aus der Luft gegriffen ist und nicht zutrifft. Sie sollten es bleiben lassen, das weiter zu behaupten.Herr Apel, ich will Ihnen und Ihrer Partei gern eine kleine Informationsminute gönnen. Ich möchte den Vorgang Offergeld weiterführen. Mir liegt nämlich ein Schreiben eines Vorstandsmitglieds der Dynamit Nobel AG an Herrn Offergeld vor.
Dort heißt es:Sehr geehrter Herr Staatssekretär,ich beziehe mich auf Ihren an unser Werk Rheinfelden gerichteten Brief, in dem Sie um einen Beitrag zum Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg bitten. In Abstimmung mit unserer Obergesellschaft,
der Verwaltungsgesellschaft für industrielle Unternehmungen Friedrich Flick GmbH, Düsseldorf, wollen wir den Wahlkampf Ihres Parteifreundes Kurt Bandle mit einer Spende von 10 000 DM unterstützen. Ich habe den Betrag heute zur Überweisung auf das von Ihnen angegebene Konto angewiesen und bitte um Übersendung einer Spendenbescheinigung an meine Adresse.Die Spendenbescheinigung ist von der Studiengesellschaft für Information und Fortbildung e. V., Stuttgart, ausgestellt worden.
Herr Apel, wenn Sie das vorher gewußt haben, war es eine Frechheit von Ihnen, so aufzutreten.
Wenn Sie das nicht gewußt haben, wäre es bessergewesen, Sie hätten zu dem Vorgang nichts gesagt.
Sie haben sich infolge Ihres Auftretens für jede verantwortliche Position hier und in Berlin disqualifiziert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Kampagne wird für die SPD zum Bumerang,
dieses Stück wird für die SPD unter der Überschrift ablaufen: Biedermann und Brandstifter. Sie haben aus dem Brief des Sozialdemokraten Karl Klasen nichts gelernt, und das wäre gut für Sie gewesen.
Sie haben wider besseres Wissen auch heute ein Zerrbild des Sachverhalts und der Vorgeschichte aufgezeigt. Wie ist der Sachverhalt wirklich, und wie stellt sich die Rolle der SPD in der Vergangenheit dar?
Seit über zwei Jahrzehnten haben die Parteien für ihre politische Arbeit und die Erfüllung ihrer von der Verfassung übertragenen Aufgaben — —
Herr Abgeordneter Dr. Waigel, darf ich Sie unterbrechen. Ich bitte, die Zwischenrufe nicht mit einer so penetranten Häufigkeit zu machen. Das stört den Redner, und das ist nicht der Sinn des Zwischenrufs.
Herr Präsident, ich habe Verständnis für die Aufregung; denn das, was ich vorher gesagt habe, hat bei den Roten ins Schwarze getroffen.
Herr Abgeordneter Waigel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoss?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Finanzverwaltung hat diese langjährige Praxis gekannt, geduldet oder zumindest den Eindruck bewußter Duldung erweckt.
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5028 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. WaigelSie hat die Institutionen, über die die Spenden an Parteien geleitet wurden, als gemeinnützig anerkannt. Die Spender haben ihre Spendenbescheinigungen erhalten. Sie konnten und mußten nicht kontrollieren, ob gerade ihre Spende weitergeleitet worden ist. Es war Aufgabe nicht der Spender, sondern der Finanzverwaltung, die Richtigkeit solcher Bescheinigungen zu prüfen.Dies war unbestritten jahrelang, jahrzehntelang Praxis.
Die betroffenen Mitbürger haben deshalb in gutem Glauben gehandelt.
Sie haben darauf vertrauen können, daß diese Form der Parteienfinanzierung rechtlich in Ordnung ist.
Was soll ein unbescholtener Bürger glauben, wenn mehr als 20 Jahre lang die Betriebsprüfungen der Finanzämter diese Art von Aufwendungen der Unternehmen nicht beanstandet haben?
Wer allerdings meint, dafür hätte es der Strafbefreiung nicht bedurft, da die Spender wegen mangelnden Unrechtsbewußtseins ohnehin nicht verurteilt würden, der irrt. Wer so argumentiert, weiß nicht, was es heißt, jahrelang das Ziel staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zu sein, ohne je gehört zu werden, aber in einer öffentlichen Kampagne, gespeist von rechtswidrigen Veröffentlichungen aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten, vorverurteilt zu werden.
Bisher unbescholtene Bürger werden Steuerkriminellen gleichgesetzt,
die sich zu Lasten der Allgemeinheit bereichert haben.
Ob ein Verbotsirrtum im Einzelfall vermeidbar ist oder nicht, wird durch die Justiz entschieden. Bei der unklaren Rechtslage allerdings bleibt beim einzelnen eine große Rechtsunsicherheit, und zur Verwirrung insbesondere bei den Spendern hat die Regelung beigetragen, daß Berufsverbände aller Art, also insbesondere Unternehmensvereinigungen und Gewerkschaften, bis zu 25% ihrer Einnahmen den Parteien zukommen lassen können. Diese Regelung gilt auch heute noch; der Bundesfinanzminister hat dies klargestellt.Zur Unsicherheit hat ferner beigetragen, daß sich nicht nur Steuerpraxis und Steuerverwaltung, sondern auch die Wissenschaft mit dem Begriff der Spenden als Betriebsausgaben eingehend befaßt hat.
Zwei ehemalige Präsidenten des Bundesfinanzhofes haben unter Zustimmung anderer maßgeblicher Steuerrechtler die Abzugsfähigkeit von Parteispenden als Betriebsausgaben bestätigt. Diese Änderung der rechtlichen Bewertung dürfte für kommende finanzgerichtliche Entscheidungen sicher von großer Bedeutung sein. Präzise, kurz, aber unmißverständlich hat der bekannte Steuerrechtler Professor Klaus Tipke den Sachverhalt mit folgenden Worten dargestellt:Soweit keine Gerichtsentscheidungen vorliegen, dürfen die Steuerpflichtigen und ihre Berater auf das vertrauen, was die Finanzverwaltung als maßgebliche, verbindliche Rechtslage praktiziert.
Die den Spendern bekannte Praxis sah aber so aus, daß die Finanzverwaltungen sich bis zum Beginn der 80er Jahre an der Umwegfinanzierung nicht gestört haben, obwohl diese, zumal bei den Betriebsprüfungen, auffallen mußte. Sie hat über viele Jahre die erwähnten Spendenannahmeinstitutionen gewähren lassen und die Spendenbescheinigungen nicht beanstandet.Wenn hier in dieser Diskussion immer wieder das Wort von der Bereicherung fällt, so möchte ich einmal fragen, wo denn die Bereicherung liegt.
Es muß doch ganz klar auf der Hand liegen, daß derjenige, der die Absetzbarkeit nicht zugestanden bekommen hätte, dann eben nicht gespendet hätte. Wie man hier von einer Bereicherung — wie wenn jemandem etwas zugeflossen wäre — sprechen kann, ist mir völlig unbegreiflich.
Die Lage, wie wir sie heute vorfinden, ist gemeinsam von Verwaltung, Parteien, aber auch von Gesetzgebung und Rechtsprechung mitzuverantworten. In der Mitverantwortung stehen auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD. Die Sozialdemokratische Partei, die hier den Saubermann und Moralisten spielen will, ist von der Vergangenheit der Parteienfinanzierung in doppelter Hinsicht betroffen. Sie hat sich eifrig der Möglichkeiten der Umwegfinanzierung bedient, und zumindest ihre Spitzenpolitiker müssen davon auch gewußt haben.
Zu den Spitzenfunktionären der SPD, die zugleich hohe Staatsämter bekleidet haben, gehört
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5029
Dr. Waigelauch Exfinanzminister Halstenberg von Nordrhein-Westfalen, bis vor wenigen Tagen noch Schatzmeister der SPD. Der Name Halstenberg steht auch für die abenteuerlichste Spendenangabe einer Partei, die jemals im Bundesanzeiger gestanden hat: 7,6 Millionen DM ließ Halstenberg als das Ergebnis einer Sammelaktion seines Vorgängers Nau für das Jahr 1980 eintragen, ohne weitere Kennzeichnung, woher dieses Geld stammt.
Halstenbergs Vorgänger im Amt des Schatzmeisters der SPD, Alfred Nau, war nicht nur Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, sein Name steht auch für die Umwegfinanzierung zugunsten der SPD. Naus Sammelaktionen für die Partei bzw. deren Spitzenpolitiker liefen, wie inzwischen bekanntgeworden ist, über die Friedrich-Ebert-Stiftung.Aber auch SPD-Landesverbände sind offensichtlich entsprechend verfahren. Mir liegt das Schreiben des Vorstands eines SPD-Landesverbandes an Firmen vor, in dem die Adressaten um eine angemessene Spende unter Hinweis auf Möglichkeiten der Umwegfinanzierung gebeten werden.
Dieses Schreiben vom 14. November 1978 trägt die Unterschrift prominenter SPD-Politiker und — das ist das Bemerkenswerte an diesem Vorgang — eines seinerzeit amtierenden Finanzministers, der der SPD angehört. Dort heißt es:Sollten Sie keine direkten Spenden an die SPD zu leisten wünschen, so ist uns auch dadurch geholfen, daß Sie folgenden Institutionen einen Spendenbetrag überweisen ...
Dann werden in dem Schreiben Institutionen genannt, und es wird der Hinweis gegeben:Bei Spenden an das ...— dann wird ein Institut genannt —gelten die Vorschriften für Spenden an gemeinnützige Organisationen. Bei der ...— dann wird eine Aktion genannt —handelt es sich um eine Institution, die ohne Parteiencharakter und ohne die Eigenschaft der Gemeinnützigkeit die SPD in ihrer politischen Arbeit zu unterstützen sucht.Dieser Spendenaufruf an die Wirtschaft ist doch ein eindeutiger Beleg für die Praxis der Umwegfinanzierung bei der SPD. Die Formulierung „Uns ist auch dadurch geholfen" ergibt, daß der SPD die Spende auch dann zugute gekommen ist, wenn sie über die genannten Organisationen geleistet worden ist.
Meine Damen und Herren, wenn Spitzenpolitiker, die zugleich ein hohes Staatsamt innehaben, wie in diesem Falle die Aufsicht über die Finanzverwaltung des Landes, einen solchen Spendenaufruf unterzeichnen, mußten dann die Spender nicht davonausgehen, daß die Rechtmäßigkeit einer solchen Spendenpraxis über jeden Zweifel erhaben ist?
Angesichts dieser Praxis ist die Behauptung von Herrn Halstenberg bei seinem Rechenschaftsbericht als Schatzmeister der SPD anläßlich des Parteitages der SPD: „Wir haben keinen Spender zu Steuerverkürzungen verleitet. Wir haben ihm dabei auch nicht geholfen. Um in die Sprache des Volkes zurückzukehren: Wir haben auch keine Tips dafür gegeben" eine Zumutung für die informierte Öffentlichkeit.
Mir liegen legal beschaffte Unterlagen über finanzielle Unterstützungen der SPD durch die Wirtschaft vor. Dabei ist genau vermerkt, für welche Politiker der SPD Beträge bestimmt waren und wie Spendenbescheinigungen über die Friedrich-EbertStiftung und einen Verein für politische Bildung beigebracht werden. Ich versage es mir, die Namen sozialdemokratischer Kollegen, die hier anwesend sind, in diesem Zusammenhang zu nennen, weil auch für sie das von mir zuvor Gesagte zu ihren Gunsten gilt. Ich will dem politischen Gegner das nicht zumuten, was bisher unbescholtenen Bürgern durch das beständige Nennen ihres Namens in der Öffentlichkeit vor Anklage und Verurteilung zugemutet wurde.
Ich habe es als besonders schlimm und abstoßend empfunden, daß der rechtspolitische Sprecher der SPD, der Kollege Dr. Emmerlich,
in einer Pressedokumentation die Namen von „Vorverurteilten" zusammengestellt und sich damit gebrüstet hat, es seien keine SPD-Politiker dabei. Das ist der Gipfel politischer Unverfrorenheit. Ich bin angewidert von dieser Praxis und von dem, was Sie geboten haben.
Durch das Parteiengesetz haben wir mit Wirkung vom 1. Januar 1984 eine klare gesetzliche Grundlage für die Parteienfinanzierung geschaffen. Unklarheit besteht jedoch weiterhin über die Beurteilung und Behandlung der unterschiedlichen Wege der Parteienfinanzierung bis zum Jahresende 1983.
Das wurde entgegen unseren Vorstellungen nicht zusammen mit dem Parteienfinanzierungsgesetz geregelt.Unser Vorschlag zur Einstellung bestimmter Steuerstrafverfahren sollte auch für die Vergangenheit unter die von Unklarheit und Widersprüchen gekennzeichnete Entwicklung in der Parteienfinan-
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5030 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. Waigelzierung einen Schlußstrich ziehen. Dafür gibt es Gründe.Bereits der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet eine sorgfältige Abwägung des Strafverfolgungszwecks einerseits sowie der jahrelangen hohen Belastung von Verwaltung, Rechtsprechung und Betroffenen andererseits. Hinzu kommt das Risiko, daß Entscheidungen, insbesondere Strafbefehle rechtskräftig werden, weil sie auch durch abweichende Entscheidungen der Finanzgerichte, die später ergehen können, nicht mehr geändert werden könnten.Zum zweiten: Ein ganz entscheidendes Argument — darauf hat auch der Bundesfinanzminister hingewiesen — ist der Vertrauensschutz, der den Spendern wegen der von uns verschuldeten Unklarheit in der Beurteilung der Rechtslage nicht versagt werden sollte. Vor allem die Übung der Finanzverwaltung hat die Spender glauben lassen, daß die Vorgänge rechtlich in Ordnung sind.Drittens. Neben der Verwaltung trifft eine besondere Verantwortung die politischen Parteien und Politiker, die durch ihr Verhalten in der Praxis der Parteienfinanzierung zur langjährigen Rechtsunklarheit beigetragen haben. Das ist Kritik, das ist auch Selbstkritik.Viertens. Unser Vorschlag beschränkt sich auf steuerrechtliche Verstöße. Andere Gesetzesverletzungen wären davon nicht betroffen.Zum fünften: Das fiskalische Interesse wäre gewahrt geblieben. Die Steuerpflicht wäre von der vorgesehenen Straffreiheit unberührt gewesen. Die Nachversteuerung der Spenden sollte für die Spender eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen. Sie hätte damit die Gesichtspunkte für eine Straffreiheit verstärkt.Da somit Verwaltung, Rechtsprechung und nicht zuletzt die politischen Parteien selbst, am wenigsten jedoch die Spender diese Lage zu verantworten haben,
wäre der Weg einer Amnestie sachgrecht. Eine Amnestie wäre geeignet gewesen, die auch noch in den kommenden Jahren für die Beurteilung und Behandlung der bisherigen Praxis bestehende Rechtsunklarheit zu beheben, Rechtsfrieden zu schaffen und damit auch für die Parteienfinanzierung in der Vergangenheit eine abschließende Regelung zu finden.
Es ist für uns alle beschämend, daß wir mit diesem Ergebnis — um noch einmal mit den Worten von Karl Klasen zu sprechen — „Freunden geraten haben, etwas zu tun, was Ihnen von den Beschenkten", von den Bedachten „einen solchen Undank einbringt".Ich nehme die Argumentation gegen die Strafbefreiung ernst. Was Richter, was Anwälte, was Publizisten, Verbände und Einzelpersonen einwenden, mußte und muß bedacht werden. Wir können das nicht vom Tisch wischen.Doch die Glaubwürdigkeit der Kritiker ist unterschiedlich. Darunter sind reine Geister, aber auch reine Pharisäer.
Fairneß und Objektivität und auch mehr Toleranz sollten in dieser Diskussion wieder Richtschnur werden.
— Jawohl. Sie werden mir hier nicht unterstellen, daß ich etwas gesagt habe, was ich nicht belegt habe, Frau Kollegin.
Meine politischen Freunde und ich lassen uns weder vom politischen Gegner — schon gar nicht von der SPD — noch von der veröffentlichten Meinung unsere persönliche und unsere politische Ehre nehmen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Glotz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn dieser Debatte hat der Herr Kollege Dr. Dregger uns alle aufgefordert, von Selbstgerechtigkeit Abstand zu nehmen. Ich möchte auch nach der Rede des Kollegen Waigel sagen, daß ich diese Aufforderung für richtig halte, und werde nicht auf derselben Ebene darauf antworten, wie der Herr Kollege Waigel hier gerade gesprochen hat.
Lassen Sie mich versuchen, einen Moment einen etwas leiseren Ton in die Debatte zu bekommen.
Die SPD, meine Damen und Herren, hat nie behauptet und wird nie behaupten, daß ihre politischen Führungsriegen, wie Sie das bezeichnet haben, Herr Kollege Dregger, ihre politischen Stäbe über eine höhere Privatmoral verfügten als die von anderen Parteien.Ich füge hinzu: Die Tatsache, daß von — die Zahl ist ja immer wieder zitiert worden — 1 805 laufenden Verfahren nur zwei die SPD betreffen, hängt selbstverständlich auch mit der Tatsache zusammen, daß ein großer Teil der Wirtschaft, gerade die Großwirtschaft, ihre Interessen bei der SPD weniger gut aufgehoben fand als bei anderen Parteien
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Dr. Glotzund wir deshalb seit eh und je weniger Spenden bekommen haben als andere Parteien.
Übrigens: Wir wundern uns gar nicht darüber, Herr Kollege Schäuble. Zuweilen sind wir sogar stolz darauf, daß bei uns die 10-DM-Spenden viel häufiger sind als die 10 000-DM-Spenden.
Unsere Mitgliedsbeiträge, meine Damen und Herren, erbrachten im letzten Jahrzehnt durchschnittlich das Sechs- bis Zehnfache der Spenden. Das ist übrigens bei der CDU ähnlich. Bei der FDP sind die Spenden die wichtigste Einnahmequelle; im Durchschnitt doppelt soviel Spenden wie Beiträge.Auch auf diesen strukturellen Tatbestand wird man hinweisen dürfen. Wir sind lieber von Hunderttausenden Mitgliedern und Freunden abhängig als von kleinen Zirkeln, auch wenn sie von ganz honorigen Leuten aus der Wirtschaft moderiert werden oder werden sollten, meine Damen und Herren.
— Lassen Sie mich einmal zwei Sätze hintereinander sagen, die Sie nicht unterbrechen, wenn Sie erlauben, wenn es möglich wäre.
Auch die SPD hat größere Spenden in kleine Portionen aufgeteilt und dadurch die Verpflichtung unterlaufen, Spenden über 20 000 DM zu offenbaren. Steuerverkürzungen dagegen — und da darf ich noch einmal auf das verweisen, was Friedrich Halstenberg als Schatzmeister der SPD gesagt hat —
sind uns nur im Zusammenhang mit den Fällen bekannt, die auch bei der Staatsanwaltschaft zur Zeit anhängig sind. Es sind zwei.
— Ich sage gleich etwas zum Fall Offergeld. Lassen Sie mich einen Moment weiterreden.Herr Kollege Dregger, Sie hatten Karl Klasen zitiert. Andere haben ihn auch zitiert.
Dabei möchte ich mich zuerst dafür bedanken, daß Sie von einem Mann, der 1931 in die SPD eingetreten ist,
sagen: „Das ist kein Gauner", obwohl ich die Feststellung nicht für notwendig halte; denn daß Herr Klasen kein Gauner ist, halte ich allerdings für selbstverständlich.
Nur: Im Respekt vor Dr. Klasen sage ich hier: Steuervorteile der Art, die Herr Dr. Klasen erwähnt, hat es nicht gegeben.
Hier ist mehrfach der Name der Friedrich-EbertStiftung in den Saal gerufen worden. Als Vorstandsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung sage ich Ihnen: Spenden, die an die Friedrich-Ebert-Stiftung gegangen sind, sind dort gesetzmäßig behandelt und für satzungsmäßige Zwecke verwendet worden.
Und jetzt wiederhole ich das, was Vogel und was andere gesagt haben: Wenn Sie etwas anderes wissen, machen Sie hier kein Theater vor Fernsehkameras, sondern gehen Sie zum Staatsanwalt, meine Damen und Herren! Dann gehen Sie zum Staatsanwalt!
Da bin ich jetzt beim Fall Offergeld, der Sie ja so interessiert.
Lassen Sie mich zum Thema Offergeld zuerst einmal feststellen:
Das, was Sie über Rainer Offergeld hier im Parlament sagen, ist straflos. Wenn Sie zur Staatsanwaltschaft gehen, kann es falsche Anschuldigung sein.
Und jetzt füge ich hinzu: Herr Offergeld hat mir gestern klipp und klar gesagt, daß im Zusammenhang mit diesem Fall steuerliche Unregelmäßigkeiten nicht vorgekommen sind.
— Ich kann das genausowenig prüfen wie Sie. Aber weil wir es beide nicht prüfen können, halte ich es für verantwortungslos, das hier als Einzelfall vor den Fernsehzuschauern auszubreiten.
Jetzt erlauben Sie mir, einen Satz zum Kollegen Dr. Waigel zu sagen.
Herr Abgeordneter Glotz, bitte, lassen Sie den Präsidenten eine Bemerkung machen. — Ich bitte um mehr Ruhe und Aufmerksamkeit.
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5032 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Vizepräsident StücklenEs wird noch eine Reihe von Rednern sprechen, und jeder Redner kann hier, entsprechend der zugeteilten Redezeit, seine Meinung sagen.
Ich bitte um Aufmerksamkeit! Danke schön.
Ich möchte einen Satz zum Kollegen Dr. Waigel sagen — wir beide kennen uns seit langem,
und über politische Grenzen fühle ich mich ihm auch verbunden —: Herr Kollege Waigel, Sie können offensichtlich nicht verstehen — das entnehme ich aus Ihrem Diskussionsbeitrag hier, nur heute hier —, daß das Aufrechnen von Personen und von Fällen, selbst wenn Ihre Behauptungen zum Fall Offergeld richtig wären, nicht die Argumentation von Herrn Vogel und den Sozialdemokraten trifft.
Auch wenn wir Sozialdemokraten stärker betroffen sein sollten, als wir es heute wissen, könnte uns niemand dazu bringen, meine Damen und Herren, für uns und unsere Spender eine Amnestie in Anspruch zu nehmen,
die der durchschnittliche Steuerzahler für sich nicht in Anspruch nehmen kann.
Lassen Sie mich einen Satz zum Kollegen Wischnewski sagen, der hier mehrfach zitiert worden ist.
— Ich kann Ihnen dazu sehr genau Auskunft geben, weil ich in der damaligen Zeit sowohl bei den Sitzungen des SPD-Präsidiums als Geschäftsführer als auch bei den Koalitionsrunden dabeigewesen bin. In der Tat: Das Präsidium der SPD hatte HansJürgen Wischnewski beauftragt, die von der FDP erbetenen Koalitionsgespräche zu führen. Auch da wollen wir jetzt ehrlich sein. Herr Kollege Baum, das Hauptmotiv für die FDP war übrigens klar: Es war Angst um Lambsdorff.
Ich gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, daß Sie inzwischen gemerkt haben, daß es nicht einfach ist, sich den Wünschen seines Koalitionspartners zu entziehen. Ich bedaure Sie deswegen nicht sehr. Sie haben es ja so gewollt.
Ich kann Ihnen auch genau sagen, wann Hans-Jürgen Wischnewski aus diesen Gesprächen endgültig ausgeschieden ist. Das war nach einem langen Gespräch, das wir hatten. Dies wiederum war nach einem langen Gespräch, das der Bundesgeschäftsführer der SPD damals, Ende Dezember, mit dem Generalsekretär der FDP hatte. Beide waren sich völlig einig, daß dieses Vorhaben rechtlich nicht angängig und politisch nicht durchsetzbar ist.
Nach diesem Gespräch hat Wischnewski die weiteren Treffen der Runde von sich aus abgesagt. Dies war vor den negativen Entscheidungen des SPD-Präsidiums und der SPD-Bundestagsfraktion.
Ich will ein zweites nicht verschweigen. Auch das gehört zur protokollarischen Pflicht. Ich füge es hier hinzu. Wischnewski hat mir in dieser Minute auch gesagt — ich glaube, das war am 18. oder Ende Dezember —: Über eines bist du dir doch im klaren, damit ist auch die sozialliberale Koalition beendet.
Das folgende sage ich jetzt nicht zur CDU, das sage ich zu den Kollegen der FDP:
Herr Abgeordneter — —
Diese Koalition ist nicht an den angeblich sozialistischen Wirtschaftsexperimenten der SPD gescheitert, sondern daran, daß wir uns geweigert haben, mit rechtlich fragwürdigen Methoden Lambsdorff herauszuhauen, und weil wir uns auch in der Zukunft weigern werden.
Herr Abgeordneter Glotz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?
Nein; ich bitte mir zu erlauben, daß ich wie die anderen auch keine Zwischenfragen beantworte.
Ein Wort möchte ich an die GRÜNEN sagen, wenn Sie erlauben. Meine Damen und Herren von der Bundestagsfraktion der GRÜNEN,
eine Partei, die erst entstanden ist, als sich das öffentliche Bewußtsein in Sachen Parteispenden sehr geändert hatte,
sollte andere, ältere Parteien nicht allzu selbstgerecht angreifen. Hier greife ich den Begriff der Selbstgerechtigkeit auf, den der Herr Kollege Dregger an diesem Punkt benutzt hat.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5033
Dr. GlotzVor allem aber: Wer wie die GRÜNEN mit hohem Pathos auch gegen die staatliche Parteienfinanzierung gekämpft hat — der Herr Kollege Schily hat hier sogar etwas von der Plünderung staatlicher Kassen gesagt —,
dem muß ich allerdings sagen: Wenn man gegen die staatliche Parteienfinanzierung auch so ist und nicht an die Ausbalancierung für arbeitnehmerorientierte Parteien denkt, die weniger Spenden bekommen, dann begünstigt man die Abhängigkeit politischer Parteien von Spenden. Sie müssen dann auch eine konsequente innere und einigermaßen vernünftige Linie verfolgen, was Sie nicht tun, meine Damen und Herren.
Herr Abgeordneter Stratmann, nehmen Sie bitte Platz.
Ein Letztes will ich noch in Richtung auf die FDP gesagt haben. Kolleginnen und Kollegen, die hilflos ehrlichen Feststellungen Ihres nordrhein-westfälischen Vorsitzenden Möllemann haben allerdings offengelegt: Wenn Sie einen Wählerwillen und nicht nur einen Spenderwillen zum Ausdruck bringen wollen, müssen Sie Ihre Finanzierung umstellen; dann müssen Sie schauen, daß Sie mehr Menschen finden, die Ihnen kleine Beiträge geben, um die Partei zu finanzieren. Ich sage Ihnen, eines möchte ein Sozialdemokrat nie: in die Lage dieses nordrhein-westfälischen FDP-Vorsitzenden Möllemann kommen. Nicht eine Sekunde möchte ich das. Das kann ich für meine ganze Fraktion sagen.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Der Hohn gegen die Parteien ist groß genug. Ich werde den „Spiegel"-Essay von Hans Magnus Enzensberger nicht vergessen, in dem verächtlich über den Parteisekretär mit der Zimmerlinde in seinem kleinen Büro geurteilt wurde. Jetzt sage ich etwas, was für alle Parteien gilt. Diese Leute mit ihrer Zimmerlinde haben zum Funktionieren dieser Demokratie oft mehr beigetragen als elegante Essayisten,
die heute mit Weimarer Tönen die Parteiendemokratie kritisieren.
Lassen Sie mich noch ein Schlußwort hinzufügen. Herr Bundeskanzler, wenn Sie in Ihrer Rede vor dem Bundesverband der Industrie die großen Worte „Vertrauen gegen Vertrauen" — ich möchte das jetzt ganz unpolemisch sagen — auf den Prozeß des Gebens und Nehmens von Spenden beziehen, und zwar auf diesen Prozeß in aller seiner Fragwürdigkeit, wie er sich in den letzten Jahren bei allen Parteien, auch bei meiner eigenen, abgespielt hat,
dann gefährden Sie ein Stück von dem noch übriggebliebenen Vertrauen in die demokratischen Parteien. Sie schaden, glaube ich, damit nicht nur Ihrer Partei, sondern Sie könnten damit — ich will mich vorsichtig ausdrücken — die politische Kultur unserer Demokratie auf einen Weimarer Aggregatzustand zurückwerfen. Lassen Sie uns einen Strich machen. Lassen Sie uns zu dem stehen, was passiert ist. Lassen Sie uns die Verantwortung tragen, die jeder von uns zu tragen hat. Aber geben Sie diese Amnestiepläne auf, und hören Sie auch auf, sie zu rechtfertigen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn seiner Ausführungen hat der Kollege Glotz uns allen geraten — und ich will das zumindest am Ende der Debatte versuchen —, dieses Thema bei aller Leidenschaft zur Sache in einem leiseren Ton miteinander zu besprechen. Daß dieses Thema Leidenschaften aufrührt, liegt in der Natur der Sache und ist, glaube ich, für jeden, der sich seit vielen Jahren oder gar seit Jahrzehnten damit beschäftigt, mehr als verständlich. Daß in diesen Leidenschaften dann auch Emotionen aufbrausen
und Formulierungen gebraucht werden, von denen ich hoffe — —
— Ich spreche wirklich nicht zu Ihnen, weil es ziemlich sinnlos ist, zu Ihnen zu sprechen. Sie sind Ihrer Meinung so sicher,
daß Sie durch nichts als durch den Wähler bei der nächsten Bundestagswahl zu erschüttern sind.
Diese Leidenschaft führt natürlich dazu, daß wir uns gegenseitig aufrechnen, daß wir abrechnen, wie immer Sie dies wollen. Auch dafür habe ich viel Verständnis, denn, meine Damen und Herren, von der SPD-Fraktion, viele von Ihnen kenne ich ja ebenfalls seit Jahrzehnten, und mit nicht wenigen — nicht zuletzt mit Ihnen, Herr Kollege Brandt in der ersten Bank — haben wir über dieses Thema, das wir heute behandeln, in vielen Jahren gesprochen. Wir alle haben seit Jahren — ich komme noch ausführlich darauf zu sprechen — j a auch das Gefühl gehabt, daß es überfällig ist, die ganze Materie
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5034 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Bundeskanzler Dr. Kohlabschließend und in jeder Weise vernünftig zu regeln.
Herr Glotz, ich glaube nicht, daß wir in der Bundesrepublik — obwohl einige es in diesem Saal herbeireden wollen — in der Gefahr stehen, wie Sie es nannten, „Weimarer Aggregatzustände" zu haben. Aber wahr ist, daß alle demokratischen Parteien, die seit vielen Jahren diesem Haus angehören, also FDP wie SPD und CDU und CSU, auch heute in dieser Debatte die Zeche dafür zahlen, daß wir viel zu lange gewartet haben, daß wir viel zu wenig Mut hatten, das gesetzlich zu regeln, was zu regeln überfällig war.
Die verfassungsrechtlichen Ausgangspunkte für unsere heutige Debatte liegen im Grundgesetz. In Art. 21 des Grundgesetzes ist zum erstenmal in der Geschichte unseres Volkes die Position der Parteien, ihr Auftrag, ihre besondere Funktion niedergelegt und in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben worden. Die Väter des Grundgesetzes, Herr Glotz, haben gerade aus der Weimarer Erfahrung diese Konsequenz gezogen, denn sie hatten natürlich jede Form des Totalitarismus von rechts und von links im Auge — auch jene, die heute in neuem Gewande in der Bundesrepublik umhergeht. Man hat den demokratischen Parteien damals aus guten Gründen eine entscheidende Funktion im politischen Leben zugewiesen. Man hat weder im Parlamentarischen Rat, noch im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland den Mut aufgebracht, dieser verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung auch den materiellen Unterbau zu geben.Herr Glotz, Sie haben eben etwas gesagt, was mir gut gefällt und was ich unterstreichen kann. Sie haben darauf hingewiesen, wer in den demokratischen Parteien die Arbeit tut. Sie haben das am Beispiel eines arroganten Zeitgenossen und seines Essays dargestellt.
Ich kann dazu nur sagen: Die über eine Million der Mitglieder CDU/CSU oder der SPD, auch die Mitglieder der Freien Demokratischen Partei tun natürlich weit mehr als nur eine einfache Staatsbürgerpflicht, wenn sie persönlich Monat für Monat und Jahr für Jahr — im übrigen beachtliche — Beiträge aufbringen für ihre politische Überzeugung.
Sie tun weit mehr als viele andere, wenn sie in ihrer Freizeit, statt Hobbies und Vergnügen nachzugehen, für ihre politische Überzeugung werben, wenn sie — und wer von uns hat das nicht erlebt — in guten wie in schlechten Tagen für ihre Partei draußen auf Straßen und Plätzen Zeugnis geben.
Das, meine Damen und Herren, droht jetzt in dieser Debatte völlig unterzugehen. Und als einer, der seit seinem 17. Lebensjahr seiner politischen Heimat verbunden und verschrieben ist, der seit 30 Jahren Führungsfunktionen in seiner Partei wahrnimmt, will ich das hier einmal deutlich aussprechen, weil j a sonst der Eindruck erweckt werden könnte, daß demokratische Parteien in Deutschland aus beutegierigen Zeitgenossen bestehen, die nur darauf aus sind, sich zu Lasten der Allgemeinheit zu bereichern. Dieser Grundton, der in einigen der Reden hier auftauchte, ist fernab der Wirklichkeit der Bundesrepublik.
Die demokratischen Parteien und die Bundesrepublik Deutschland haben keine Ähnlichkeit mit irgendeiner Bananenrepublik.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgmann?
Nein, danke.Ein zweites gehört hierher: Wir wissen seit vielen Jahren, daß die finanziellen Gegebenheiten der demokratischen Parteien nicht ausreichen, und zwar doch wahrlich nicht deshalb, weil wir unseren Mitgliedern nicht genug Opfer abverlangen, sondern weil die Gesamtsituation bei Wahlkämpfen und anderen Gelegenheiten sich eben ganz verändert darstellt.Und, Herr Glotz, ich will jetzt wirklich nicht die Spendenaufkommen — ich könnte das sehr kompetent tun — vergleichen. Und hören Sie bitte mit jenen alten Märchen auf, die einmal von Georg August Zinn in den frühen 50er Jahren bei manchen Richtern in Karlsruhe überzeugend wirkten, als säßen hier die Parteien des großen Kapitals und da die Parteien des kleinen Kapitals. Meine Damen und Herren, das, was über Spenden eingegangen ist — auch bei der sozialdemokratischen Partei; nicht nur Karl Klasen weiß davon, auch andere —, das ist in der Relation der Größe der Parteien durchaus vergleichbar zwischen FDP, CDU/CSU und SPD.
Ich finde, wir sollten doch wenigstens ein paar Minuten die Fähigkeit haben, uns insofern ernst zu nehmen, daß Sie uns nicht unterstellen, daß wir nicht wissen, wie Sie finanziert werden, und wir Ihnen nicht unterstellen, daß Sie nicht wissen, wie wir finanziert werden.
Wenn wir auf dieser Basis miteinander sprechen, kommen wir doch schon ein Stück weiter. Und wenn Sie das Gesicht Ihres gerade wiedergewählten Vorsitzenden, Willy Brandt, ansehen: Er weiß,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5035
Bundeskanzler Dr. Kohlwovon ich spreche, und ich weiß, was er denkt, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, wir haben dann damals gemeinsam den Weg der öffentlichen Finanzierung über Wahlkampfkostenerstattung aus der Staatskasse gewählt. Einer Ihrer Redner — ich weiß jetzt nicht mehr genau, wer; ich glaube, es war ebenfalls Herr Glotz — hat auch dieses Thema angesprochen. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: Aus meinem Demokratieverständnis ist es niemals das Ziel einer funktionierenden freiheitlichen Demokratie, daß demokratische Parteien überwiegend, d. h. also über 50 %, ihr Aufkommen aus öffentlichen Kassen beziehen. Herr Glotz, wenn Sie das einmal unter den Gesichtspunkten der Herrschaft in einer Partei, der Mehrheitsbildung betrachten, der Bedeutung für Strömungen, für neue Gruppen, die in einer Partei auftreten, werden Sie mir, so denke ich, zustimmen.Aber ich habe auch gar keine Probleme. Da j a hier heute so häufig und so voller Überzeugungskraft geredet wurde, daß da zu viel Geld unter uns ist: Nun, der Vorsitzende der CDU steht Ihnen zur Verfügung, wenn Sie mit einem Sparantrag kommen, Herr Wischnewski, die gerade festgelegten öffentlichen Zuwendungen wesentlich zu reduzieren.
Wir stehen Ihnen zur Verfügung, Herr Wischnewski, wenn Sie von der SPD wirklich das alles ernst meinen, was Sie in den letzten vier Stunden hier gesagt haben. Dann lassen Sie uns darüber reden, um das, was sich vielleicht an öffentlichem Mißtrauen aufgebaut hat, zu relativieren.
Ich sehe aber auch an Ihrem Gesicht, daß das, was hier geredet wird, und das, was Sie tun, weit auseinanderläuft.
Wir sind heute in der Schwierigkeit dieser Debatte — und das muß man klar aussprechen —, weil wir durch viele Jahre hindurch bei einer sauberen gesetzlichen Regelung dieser Tatbestände versagt haben. Wir, das sind die Fraktionen außerhalb der GRÜNEN hier im Deutschen Bundestag. Wir haben es zugelassen — und das muß man deutlich sagen; ich brauche den Brief von Karl Klasen gar nicht wieder zu zitieren, obwohl ihn jeder von Ihnen wirklich innerlich auch wirklich begreifen und akzeptieren muß —, daß Spender aus ihrer persönlichen Überzeugung, aus einer Überzeugung, die nichts mit einer Vorteilsannahme im weitesten Sinn zu tun hat, den demokratischen Parteien geholfen haben
und mit Recht annehmen konnten, daß sie Vertrauensschutz erhalten.Gerhard Stoltenberg hat die Finanzverwaltungen erwähnt. Er hat auch korrekt festgestellt, daß keiner der Finanzminister — und Klasen sagt: keiner der Justizminister —, daß keiner aus der politischen Oberschicht der Bundesrepublik Deutschland in die Öffentlichkeit gegangen ist und gesagt hat: Leute, das geht so nicht. Das ist doch einfach die Wahrheit.
Und weil dies so ist — —
— Wissen Sie, wenn ich Sie sehe und die Tonart, die Sie hier ins Haus gebracht haben: Das erinnert mich an Abschnitte der deutschen Geschichte, die ich nie wieder erleben möchte.
In über 30 Jahren der Geschichte der Bundesrepublik
sind von keiner demokratischen Partei hier Vizepräsident Stücklen: Herr Bundeskanzler!
— solche Töne angeschlagen worden, wie Sie sie heute angeschlagen haben.
Ein Zweites gilt.
Mein Freund Theo Waigel hat darauf hingewiesen: Diese Spender
haben durch viele Jahre hindurch ihre Spendenbescheinigungen bei Betriebsprüfungen vorgelegt, und diese sind akzeptiert worden. Sie können doch beim besten Willen nicht behaupten, daß jemand, der aus dieser Erfahrung gehandelt hat, der seine Spenden in aller Offenheit gegeben hat, der etwa an alle demokratischen Parteien den gleichen Betrag gegeben hat, sich bereichert habe.
Diese Spender haben aus staatspolitischer Verantwortung gehandelt. Und das respektiere ich.
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5036 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Bundeskanzler Dr. Kohl
Über all diese Fragen ist ja bei Erlaß dieses Gesetzes von 1983 gesprochen worden.Unser Strafrecht geht von dem Grundsatz aus, daß bei Erlaß neuer Gesetze im Strafverfahren das mildere Recht maßgebend sei. Es bestehen Meinungsverschiedenheiten darüber, ob das auch für das Steuerstrafrecht gilt. Nun erleben wir, daß viele hochangesehene Mitbürger — Mitbürger, ohne deren Mittun die Bundesrepublik so nicht geworden wäre, wie sie heute ist —
umfangreichen Steuerermittlungen und Kriminalisierungsvorbehalten ausgesetzt sind. Und, Herr Kollege Vogel, ob Sie es zugeben oder nicht:
Sie müssen doch wissen: Das bedeutet durch eine besondere Form der verfaßten öffentlichen Meinung in vielen Fällen eine Vorverurteilung, die sich später überhaupt nicht mehr aufarbeiten und aufholen läßt.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben j a über all das lange genug miteinander gesprochen. Herr Glotz, es war wirklich gut, daß Sie hier einmal etwas Klarheit in die Position Ihrer Partei vor einigen Jahren gebracht haben. Es war doch so, daß auch in Ihren Kreisen — maßgebliche Männer Ihrer Partei haben das doch gutgeheißen, etwa im Parteipräsidium — die Idee einer Amnestie im weitesten Sinne des Wortes diskutiert wurde: und zwar in einer Weise, Herr Kollege Glotz, die sehr viel weiterging als das, was wir heute hier besprechen. In jenem Entwurf war doch beispielsweise vorgesehen, daß im Zusammenhang mit Steuerstraftaten auch Urkundenfälschung und Betrug, um nur diese beiden Beispiele zu nennen, unter die Amnestie fallen sollten. Sie haben das in der interfraktionellen Runde doch vorgetragen.Wenn Sie das jetzt alles so abtun und sagen, daß späte Reue alle früheren Vorgänge heile und daß Sie es nur dem Koalitionspartner zuliebe gemacht hätten,
dann kann ich Ihnen aus der leidvollen Erfahrung der Christlich Demokratischen Union und unserer Parteigeschichte sagen: Es gehört zur dümmsten unserer Taten, daß wir bei Änderung einer Koalition für eigene Fehler und eigene Entscheidungen im nachhinein andere haftbar gemacht haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Tun Sie das nicht!
Aber, Herr Kollege Glotz, jetzt muß die Frage hier doch einmal aufgeworfen werden: Warum sprechen wir erst heute über all diese Sachverhalte? Warum, Herr Kollege Glotz, ist das Gesetz zur Parteienfinanzierung erst mit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten? Wenn es so war, wie uns das Herr Vogel, der ja immer alles ganz genau weiß, vorhin beschrieben hat, daß das Unrechtsbewußtsein durchaus vorhanden war oder daß, wie einer Ihrer Zwischenrufer vorhin gerufen hat, ein Blick ins Gesetzbuch genügt hätte: Warum, verehrte Kollegen von der SPD, haben Sie dann nicht gehandelt?
Ich habe nun ganz gewiß die Legitimation, diese Frage zu stellen. Denn im Jahre 1975 habe ich mit dem Schatzmeister und dem Bundesvorsitzenden der SPD das erste Gespräch geführt mit dem Ziel, zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen, wie sie jetzt am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist. Wir haben dann unmittelbar vor der Bundestagswahl in der Runde der Schatzmeister — damals war bei Ihnen noch Alfred Nau dabei — bei mir in Mainz über dieses Thema gesprochen. Das Ergebnis war, daß Sie sich verweigert haben.Nach der Bundestagswahl 1976 haben wir uns — ich war inzwischen Oppositionsführer — Herr Kollege Brandt, Sie waren dabei, der Kollege Wehner war dabei, Ihr neuer Schatzmeister war dabei — mit den Kollegen der FDP und der CSU zusammengefunden.
Wir waren im Gespräch ziemlich weit gekommen, und dann kam die Nachricht, daß Sie den Gedanken nicht weiter verfolgen könnten.Dann waren wir es, Herr Kollege Brandt — wir in der Führung der CDU —, die gesagt haben: Bei diesem Sachverhalt muß man eine endgültige Entscheidung in Karlsruhe herbeiführen. Auf unseren Wunsch hin ist Ernst Albrecht mit der Landesregierung von Niedersachsen wegen dieser Frage nach Karlsruhe gegangen.Nachdem das Urteil 1979 vorlag, hatten wir, Herr Kollege Brandt — und das war j a wohl die entscheidende Sitzung —, eine große Besprechung. Damals, im September 1979, bestand eine gute Gelegenheit, das alles in Ordnung zu bringen und auch gegenüber der deutschen Öffentlichkeit deutlich zu machen, daß das Parlament, nachdem das Gericht gesprochen hatte, die Notwendigkeit einer Entscheidung sah. Sie haben sich — ich muß es deutlich sagen — versagt; nicht Sie persönlich. Ich habe nicht die Absicht, aus Gesprächen zu zitieren. Ich weiß, daß Sie in der SPD-Führung einer von denen waren, die für diese Überzeugung viel Verständnis geäußert haben.Meine Damen und Herren, wenn Sie also heute aufstehen und mit dem Finger auf andere zeigen, dann fragen Sie sich bitte einmal selbst: Was haben
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5037
Bundeskanzler Dr. Kohlwir, die Sozialdemokraten, getan, um Klarheit und vernünftige Verhältnisse herbeizuführen?
Ein Weiteres — Herr Glotz, Sie werden sich schwertun, hier am Pult so etwas zu sagen —: Die Bundespartei der Christlich Demokratischen Union Deutschlands hat nach dem Urteil, nach der Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht im Herbst 1979 den klaren Beschluß gefaßt, daß Spenden an die Bundespartei auf dem bisherigen Wege nicht mehr aufgebracht werden; das bedeutet: Spenden nach Steuern. Ich bin sehr gespannt, ob der neue Schatzmeister der SPD, wenn er auch die Bücher und nicht nur das Amt übernommen hat, die gleiche Feststellung hier in einer unserer Sitzungen treffen kann.Meine Damen und Herren, mit einem Wort: Es geht doch wahrlich nicht darum, daß wir uns gegenseitig Schuld zuweisen, sondern darum, daß wir zunächst einmal zugeben, daß wir leider nicht die Kraft hatten, gegen eine oft genug auch unverständige und feindselige verfaßte öffentliche Meinung in dieser Sache das Notwendige zu tun.
— Nein, schuld sind nicht die anderen: Schuld sind in dieser Frage wir, weil wir nicht den Mut aufgebracht haben, das Notwendige zu tun.
Meine Damen und Herren, ich verstehe auch durchaus die Kritik an unserem Weg. Ich habe in der Einführung zu diesem Thema auf dem Stuttgarter Parteitag meinen Freunden gesagt: Es ist selbstverständlich in unserer Partei, daß man in bezug auf diesen Punkt — wie auch in bezug auf jeden anderen Punkt — unterschiedlicher Meinung sein kann.Eine Frage drängt sich mir aber wirklich auf, Herr Kollege Brandt. Hier sitzt die Koalitionsfraktion, hier sitzen die Kollegen von der FDP. Sie hatten eine quälende, die Partei zutiefst belastende Auseinandersetzung in dieser Frage. Hier sitzt die Fraktion der CDU/CSU. Es waren etwas mehr als ein Viertel der Delegierten des Bundesparteitages der CDU, die sich in einer geheimen Abstimmung gegen unseren Weg entschieden haben. Ich füge, da einer der Ihren diesbezüglich eine ironische Anmerkung machte, gleich hinzu: Mir war klar, daß in dieser geheimen Abstimmung nicht nur diese Sache zur Debatte stand, sondern auch die Frage, ob man Sympathie oder Antipathie für den Vorsitzenden bezeugen kann. Es spricht j a nicht gegen eine Partei, wenn sie eine solche Debatte auch unter diesem Gesichtspunkt führt. Herr Kollege Brandt, Sie werden mir doch nicht klarmachen können — das werden Sie auch keinem hier im Saal und keinem draußen klarmachen können —, daß alle Mitglieder der SPD-Fraktion, von denen doch viele noch vor Jahresfrist ganz anders dachten, jetzt zu der Überzeugung gekommen sind, daß hier ein verbrecherischer Anschlag gegen den Rechtsstaat
geplant ist. Das ist doch absurd. Insofern wurde der Vorwurf der Heuchelei hier zu Recht erhoben.
Herr Kollege Brandt, was ich zutiefst bedaure, ist die Art und Weise der Auseinandersetzung, die darauf hinausläuft, daß Sie alles genau wissen und die reine Seele besitzen, während die anderen sich dem Orkus nähern. Die Wahrheit ist, daß Sie glauben, im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament und im Vorfeld der zwei Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz und an der Saar parteipolitisch etwas gewinnen zu können. Wie können Sie denn sonst — wohl wissend, daß der Vorschlag der Koalition zur Straffreistellung bei Parteispenden mit Sicherheit eingeschlossen hat, daß die Steuerpflicht und die Steuernachzahlung davon nicht berührt werden — in deutschen Tageszeitungen große Inserate veröffentlichen, in denen es heißt: Wenn eine solche Amnestie kommen würde, ginge diese zu Lasten der Arbeitnehmer, denn diese müßten entstehende Steuerausfälle bezahlen.
Sie sollten sich besser dort, wo Sie Streiks anheizen, Gedanken über Steuerausfälle machen.
Demokratie lebt natürlich von der kontroversen Auseinandersetzung. Daß in dieser Frage auch die Fähigkeit vorhanden sein muß, eine schwierige Debatte durchzustehen, war uns allen sehr wohl bewußt, der Führung der FDP, der CSU wie auch der CDU. Eines aber — was auch immer andere in diesem Hause tun — sollte zwischen FDP, CDU, CSU und SPD bei aller Leidenschaft der Debatte nicht möglich sein, nämlich daß wir uns moralisch die Qualität unserer Argumente absprechen. Daß wir miteinander streitig und kämpferisch reden, ist in Ordnung. Es ist aber unerträglich, wenn man in einer so schwierigen Materie wie der, die wir heute hier behandeln, so tut, als seien die, die dafür sind, unmoralisch, und jene, die dagegen sind, hätten die Moral für sich gepachtet.
Mit einem Wort: Meine Bitte ist nur — mehr können wir heute dazu nicht sagen —, daß Sie noch einmal mit Ruhe lesen, was ein um die Republik und auch um Ihre Partei so verdienter Mann wie Karl Klasen in einer nachdenkenswerten Weise gesagt hat.
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5038 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Bundeskanzler Dr. Kohl— Sie brauchen ja seine Argumente nicht zu akzeptieren, aber Sie sollten akzeptieren, daß eine Tat, daß eine Spende, daß ein Tun für den demokratischen Staat, was von einem Mann wie Karl Klasen und vielen anderen gutgeheißen wird, kein Anschlag auf den Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmude.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich halte es für unerläßlich, daß wir durch den Nebel, den der Bundeskanzler mit seinen weitschweifigen Darstellungen hier verbreitet hat, zum Kern der Sache zurückkommen.
— Auch darauf komme ich zurück, beruhigen Sie sich! — Wir sollten also zu dem Geschehnis, über das wir hier debattieren, und zu seiner Geschichte zurückkommen.Meine Damen und Herren, die Tage vom 3. bis 16. Mai dieses Jahres ließen uns eine schlimme, bisher einzigartige Episode in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erleben.
Wir alle werden sie nicht vergessen, und vor allem Ihnen, Herr Bundeskanzler, wünsche ich — mit Ihren eigenen Worten aus der Wörner-Affäre —, daß Sie an sie noch lange in Ihrem Leben zurückdenken.
Die am Nachmittag des 3. Mai 1984 vorliegende Nachricht vom Amnestievorhaben der Koalition war für uns Sozialdemokraten unfaßbar. Viele von uns haben sie zunächst gar nicht geglaubt. Es war nicht Parteitaktik,
sondern Betroffenheit und Erschütterung, die uns zu harten Reaktionen und den Worten
vom schlimmen Attentat auf das Rechtsbewußtseinder Allgemeinheit, von dem unanständigen undbrutalen Eingriff in die Strafrechtspflege kommen ließen.
Über die Härte dieser Worte waren manche verwundert, die Betroffenen sicher auch verärgert; aber diese Härte ist nach wie vor gerechtfertigt.
Sie erklärt sich auch aus der Verbitterung und aus dem tiefen Zweifel am Sinn unserer politischen Arbeit für Demokratie und Rechtsstaat, die wir in diesen Tagen empfunden haben.Wir Sozialdemokraten haben den Amnestieversuch vom Dezember 1981 in lebhafter, peinlicher Erinnerung. Unter großem Druck des damaligen Koalitonspartners haben einige von uns damals einen Amnestieentwurf zur Diskussion gestellt. Mit großer Entschiedenheit ist er innerhalb weniger Stunden von der gesamten SPD-Fraktion verworfen worden.
Das unterscheidet uns übrigens von der heutigen FDP, die zunächst einmal mit einigen Enthaltungen zustimmte und erst den Sturm der Basis und der Öffentlichkeit erleben mußte, um sich dann eines Besseren belehren zu lassen.
Damals haben die anderen Fraktionen zugestimmt. An uns ist das Vorhaben gescheitert.
Meine Damen und Herren, wir wußten: Die Bereitschaft der FDP zum Bruch der damaligen Koalition wurde damit gefördert. Ich sage nicht, daß das die einzige Ursache war, aber die Bereitschaft wurde gefördert.
Das war ein hoher Preis für unser Nein, und seine Tragweite bedrückt uns immer noch, aber wir waren bereit, ihn zu zahlen, um nicht zuzulassen,
daß die Gerechtigkeit durch Sonderregelungen für prominente Straftäter durchbrochen, daß das Rechtsbewußtsein der Bürger mit Füßen getreten wird.
Der damals befürchtete Bruch der Koalition, die sogenannte Wende, ist inzwischen eingetreten. Sollte dieser Preis, so fragten wir uns am 3. Mai dieses Jahres, vergeblich gezahlt worden sein? Soll das große Geld, dessen politischen Einfluß bei Regierung und Koalition wir ja jetzt gerade immer wie-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5039
Dr. Schmudeder erleben, alles kaufen können, auch die Freiheit von Strafe, auch die Lähmung der Richter?
Denn daß es um Geld ging, um Dank für erhaltene Spenden und um Vorleistungen für weitere finanzielle Förderung, das haben ja sogar Regierungsmitglieder mit unverfrorener Deutlichkeit erklärt.
Wenn das alles möglich sein sollte, wozu dann noch gewählte unabhängige Parlamentarier?
Mich selbst erbitterte besonders die Erinnerung an die Lobesworte, die ich als Bundesjustizminister aus Ihren Reihen, meine Kollegen von der CDU/ CSU, für mein Nein zur Hausbesetzeramnestie und für mein Nein zum Widerstandsrecht erfahren hatte. Sollte nun plötzlich erfahrenen Managern und Politikern gewährt werden, was unbesonnenen jungen Leuten so beharrlich verwehrt wurde?
Sollte die Verweisung der Widerstandstheoretiker auf Selbstkorrektur der Demokratie und auf den Rechtsstaat in Zukunft mit Hohngelächter beantwortet werden? Wozu denn dann noch unabhängige Richter?Nach alledem wird es für Sie verständlich sein, daß wir das Scheitern dieses Vorhabens mit großer Erleichterung aufgenommen haben. Der Beweis ist erbracht: Die Demokratie ist lebendig, die Bürger lassen sich nicht alles gefallen.
Mit der Zustimmung der Bürger hatten die Verantwortlichen ohnehin nicht gerechnet. „Wir müssen da durch" lautete die verachtungsvolle Parole. Nach dem Druck dieser Ankündigung hat es auf uns wie eine Befreiung gewirkt, daß der Anschlag auf Demokratie und Rechtsstaat gescheitert ist.
Meine Damen und Herren, der Gedanke an diejenigen, denen Strafverfahren im Zusammenhang mit Parteispenden bevorstehen oder die schon bestraft worden sind, erfüllt uns keinesfalls mit Schadenfreude oder Häme. Im Gegenteil, wir wünschen denen, die die Richtigkeit der erhobenen Vorwürfe bestreiten, die sich auf fehlendes Unrechtsbewußtsein berufen, daß sie dies bei ihrer Verteidigung vor Gericht verständlich machen können.
Ist das alles so — —
— Er wird's schon noch erfahren. Er braucht jetzt nicht zuzuhören, wenn er meint, daß er sich das leisten kann.
Ist das alles so, wie es von den Befürwortern der Amnestie unermüdlich behauptet wird, so brauchen die Betroffenen überhaupt keine Amnestie. Ihnen steht ein ordentlicher Freispruch bevor, ein Freispruch, den wir ihnen gönnen.
Das ist dann aber ein Freispruch durch den Richter oder die entsprechende Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft,
keine anrüchige Strafbefreiung durch politische Machenschaften.
Nein, wer wirklich unschuldig ist, hat nichts zu fürchten. Auch dem, der es nicht ist, begegnen wir nicht mit Verachtung, nicht einmal mit Geringschätzung. Wir Sozialdemokraten wissen es dankbar zu schätzen, daß es in Einzelfällen — dies unterscheidet uns freilich von Ihnen — auch kapitalkräftige Bürger gibt, die aufgeschlossen genug sind, uns oder auch uns mit Spenden zu unterstützen.
Dabei, meine Damen und Herren — und das müssen wir noch eireal klarstellen —, gibt es freilich keine moralische oder sonstige Verpflichtung, nur etwas zu spenden, wenn auch das Finanzamt durch Steuernachlaß seinen Teil dazu beiträgt.
Man kann z. B. auch die Hälfte geben und das Finanzamt unbeteiligt lassen. Das ist der Normalfall und nicht die Steuermanipulation.Wo sie doch begangen worden ist, bedauern wir die Ungelegenheiten, die den Spendern daraus entstehen. Niemals aber — und auch darin irrt Herr Klasen — darf der Dank der Politiker darin bestehen, daß sie für ihre finanziellen Förderer strafrechtliche Verbote abräumen, schon gar nicht im Blick auf künftige Spenden.
Auch soweit Regierungsmitglieder und Abgeordnete aus der Koalition von Strafverfahren betroffen sind, erfüllt uns das nicht mit Schadenfreude. Wir wünschen ihnen einen guten oder zumindest glimpflichen Ausgang.
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5040 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. Schmude— Wenn Sie dazwischenlachen, meine Damen und Herren: Ich selbst habe das in ähnlichem Zusammenhang im letzten Herbst mit einer öffentlichen Äußerung deutlich gemacht, die Sie in der Regierungskoalition gern und wiederholt auch hier zitiert haben.Wer denn nun am Ende bestraft wird oder bestraft worden ist, verliert dadurch nicht unsere Wertschätzung, wenn er sie denn hatte.
Etwa den CDU-Kollegen, der vor kurzem eine Geldstrafe von 8 000 DM bezahlt hat, schätzen viele von uns Sozialdemokraten über den persönlichen Bereich hinaus, und daran ändert sich nichts. Nur, ertragen werden müssen diese strafrechtlichen Folgen, zu Ende geführt werden müssen diese Verfahren wie gegen jedermann sonst auch.
Sonderrecht wäre hier Unrecht. Auch die Betroffenen sollten das nicht wollen.Wenn Herr Dregger hier vorhin das Ansehen des Parlaments beschworen hat, das wir zu schützen haben, dann antworte ich ihm: Dieses Ansehen müssen wir uns sauer verdienen. Es wird nicht dadurch gemehrt, daß man Unrecht unter den Teppich kehrt, im Gegenteil, dadurch werden die Verächter des Parlamentarismus bestätigt.
Sprecher der Koalition nennen uns Sozialdemokraten Heuchler und scheinheilig,
weil wir die Amnestie mit großem Nachdruck ablehnen. Heuchlerisch und scheinheilig können nur Personen sein. Wie Sie wissen, habe ich selbst unsere Ablehnung von vornherein mit deutlichen Worten mitformuliert. Ich warte also auf Ihren Vorwurf, ich sei ein Heuchler und scheinheilig.Ich würde Sie fragen — Sie wissen doch, daß ich im Dezember 1981 maßgeblich, übrigens mit tatkräftigem Zuspruch von Herrn Vogel aus Berlin, an der Verhinderung der damaligen Amnestiepläne beteiligt war —: Wo blieb damals Ihr Vorwurf? Statt dessen hörten wir vor der Bundestagswahl 1983 und danach vom CDU-Generalsekretär, eine Amnestie komme überhaupt nicht in Frage; entsprechende Behauptungen seien reine Erfindung. — Wer ist da, frage ich Sie, der Heuchler?
Bei der Beratung des neuen Parteienfinanzierungsgesetzes im vorigen Jahr haben wir Sozialdemokraten jede strafbefreiende Rückwirkung stets ausgeschlossen. Herr Wischnewski hat das in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 24. Juni 1983 getan. Ich habe es in der Schlußberatung am 1. Dezember betont und Ihnen dabei vorgeworfen, durchTricks die Einführung amnestieähnlicher Vorschriften versucht zu haben. Sie haben das empört zurückgewiesen und durch Ihren Sprecher hier erklärt, sie beabsichtigten keine versteckte Amnestie,
sondern wollten den unabhängigen Richtern die Entscheidung über die Praktiken der Vergangenheit lassen. Wer ist da, frage ich Sie, scheinheilig?
Wir haben es mit großer Energie und sorgfältiger Arbeit an den Einzelheiten des Parteienfinanzierungsgesetzes geschafft, strafbefreiende Rückwirkungen zu vermeiden. Wer darüber öffentlich spekuliert, wer von milderem Gesetz redet und den Begriff des Zeitgesetzes diskutiert — Herr Stoltenberg hat das getan, der Bundeskanzler hat das getan —, soll damit kein Amnestievorhaben begründen, sondern das vor Gericht geltend machen. Die Antwort dort wird klar sein. Das neue Gesetz macht eben nicht rechtmäßig, was früher strafrechtlich verboten war. Wer Parteien über den Altpapierkauf in Liechtenstein oder über Geldwaschanlagen finanziert, begeht auch nach neuem Recht Steuerhinterziehung.CDU/CSU und FDP tun sich im übrigen keinen Dienst damit, daß sie die Rechtslage anders darstellen. Noch ist das neue Parteienfinanzierungsrecht, dessen verfassungsrechtliches Risiko Sie zu vertreten haben, vom Bundesverfassungsgericht nicht bestätigt worden.
Die Aussicht dafür verschlechtern Sie zusätzlich, wenn Sie öffentlich behaupten, das neue Gesetz rechtfertige eben jene Praktiken, die das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit durch mehrere Entscheidungen nachdrücklich ausgeschlossen hat.
Mich erstaunt sehr — auch bei Ihnen, Herr Bundeskanzler —, daß Sie den Gang nach Karlsruhe im Jahre 1979 immer wieder so rühmend erwähnen. Sie brechen die Erzählung nur leider am entscheidenden Punkt ab: da, wo man auf das Ergebnis gespannt ist. Und das lautete: Herr Kiep, die niedersächsische Landesregierung sind in Karlsruhe zurückgewiesen worden. Das Karlsruher Gericht hat ein weiteres Mal die damalige Rechtslage als notwendig bestätigt. Das nehmen Sie bitte dazu, wenn Sie von Rechtsunklarheit reden.
Ich halte es im übrigen für eine erfreuliche Bestätigung unserer — der Sozialdemokraten — gesetzgeberischen Arbeit, daß die Koalition, wie ja auch das Amnestievorhaben zeigt, selbst die Hoffnung aufgegeben hat, mit dem neuen Parteienfinanzie-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5041
Dr. Schmuderungsgesetz werde sich Strafbefreiung erreichen lassen.
Das Verdienst, das verhindert zu haben, auch das Verdienst, Umwege und Hintertüren in der Parteienfinanzierung beschlossen zu haben, nehme ich für die SPD-Fraktion in Anspruch.
— Die Fraktion der GRÜNEN hat daran keinen Anteil.
Wären wir Ihrem Beispiel der lautstarken Ablehnung des Parteienfinanzierungsgesetzes ohne Leistung auch nur eines Handschlages an seiner Ausarbeitung gefolgt, so wäre das Unglück längst geschehen: Mit ihrer Mehrheit hätte die Koalition im letzten Jahr das neue Gesetz beschlossen und die Amnestie darin unauffällig versteckt. Sie wäre schwer erkennbar und schwerer angreifbar gewesen. Eine auf diesen Gesichtspunkt konzentrierte öffentliche Auseinandersetzung, wie wir sie jetzt führen, hätte es kaum gegeben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
So gern ich sonst Zwischenfragen zulasse: heute keine.
— Es kommt noch mehr.Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, spielen sich zu Unrecht auf. Die erhöhte Wahlkampfkostenerstattung kassieren Sie schleunigst. Der Öffentlichkeit bieten Sie eindrucksvolle Polemik, so wie heute hier Herr Hoss. Wo aber die Arbeit geleistet werden muß, um Unheil zu verhindern, ist von Ihnen nichts zu sehen.
— Ich sprach von Arbeit, Herr Schily, Arbeit am Parteienfinanzierungsgesetz.Weil ich schon bei Ihnen bin, sage ich Ihnen noch dazu: Sie handeln überheblich, wenn Sie so tun, als sei erst mit Ihrem Einzug in den Bundestag der Anstand hier eingekehrt. Diese schändliche Amnestie wäre längst beschlossene Sache, wenn wir Sozialdemokraten sie nicht schon im Dezember 1981 verhindert und dabei unsere Zugehörigkeit zur Bundesregierung aufs Spiel gesetzt hätten.
Um die Verhinderung dieser Amnestie, um die Verhinderung der Durchbrechung des Rechts zugunsten politischer Prominenz und ihrer einflußreichen Förderer, die Verhinderung der Beschädigung der Rechtsordnung und der Zerstörung des Rechtsbewußtseins ist es uns Sozialdemokraten 1981, 1983 und auch jetzt gegangen. Wir befinden uns dabei in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der Bürger. Ihr Rechtsgefühl empört sich wie unseres, sie sehen wie wir, daß dieses Vorhaben alle Maßstäbe der Gerechtigkeit sprengt.Darum, meine Damen und Herren, geht es auch in dieser Debatte: Ob es zulässig sein soll, in den Maschen des für jedermann geltenden Gesetzes — in dem dem Sprichwort nach die Großen ohnehin nur selten hängenbleiben — zusätzlich Fluchtwege für eben diese Großen hineinzuschneiden.Über andere Themen, über Parteienfinanzierung und Spendenpraxis, haben wir bei vielen Gelegenheiten ausgiebig gestritten und können es natürlich auch hier tun. Aber wir werden Ihnen den Gefallen nicht tun, das alle bewegende eigentliche Hauptthema beiseite zu schieben und uns auf Streitereien über alle möglichen Behauptungen und Anwürfe einzulassen, die Sie zur Ablenkung kurzfristig in diese Debatte einführen.
Warum hat man von der Beschuldigung gegen unseren früheren Kollegen Offergeld früher nichts gehört? Eine Beschuldigung, von der ich weiß, daß sie falsch ist; denn noch gestern habe ich von ihm die Bestätigung bekommen, daß hier keine falsche Steuerquittung ausgestellt worden ist.
Der Herr Finanzminister Stoltenberg hat sich hier über Einzelheiten verbreitet, die gar nicht im Zentrum der Debatte stehen sollten.
— Warten Sie doch noch den Satz der Begründung ab. — Sie werden mir keinen Einzelfall nennen können, in dem die Abführung von Spenden aus dem Beitragsaufkommen von Berufsvereinigungen an politische Parteien zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt hat. Nein, es geht doch um ganz andere Fälle. Und da hätte ich Herrn Stoltenberg in seiner freundlichen und sachkundigen Art gerne einmal erläutern gehört, wie es der Bundesfinanzminister mit Geldwaschanlagen, wie er es mit wertlosem Papier aus Liechtenstein und dergleichen hält.
Das zeigt eine Armut an Argumenten, eine Armut auch an Information trotz Ihrer mühseligen Vorbereitungen. Das zeigt uns: es mangelt Ihnen wirklich an Gründen, es mangelt Ihnen auch an den zugrunde liegenden Überlegungen Ihres Vorhabens.Aber wir haben diese Debatte erzwungen, obwohl auch einige unserer Freunde uns mit dem Hinweis gewarnt haben, sie werde eine Schlammschlacht
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5042 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Dr. Schmudebringen. Und wenn ich hier jetzt höre, wie der Herr Kollege Waigel mit wirklich anstößigen Worten den Kollegen Emmerlich persönlich anrempelt,
wenn ich weiter höre, Herr Waigel, daß Sie Herrn Apel eine Äußerung aus dem kirchlichen Bereich vorhalten — ich kann die Richtigkeit jetzt nicht beurteilen —, dann frage ich Sie: Wie wäre Ihnen denn wohl zumute, wenn man Ihnen eine Äußerung, die im Gemeindekreis, im kirchlichen Bereich gefallen ist, hier vorhält?
Ich will das nicht vertiefen, das würde in der Tat sehr weit gehen. Ich lasse mich dazu von Ihnen auch nicht provozieren.Wir stellen uns jedem Vorwurf, auch denen, die wir uns selbst zu machen haben. Aber wir wollen alles versuchen, um den jetzt begangenen, besonders dreisten Versuch einer Amnestierung unwiederholbar zu machen.
Insofern sind wir trotz der Äußerungen von Herrn Baum und der Andeutungen von Herrn Genscher alarmiert und mißtrauisch. Zwei Versuche, meine Damen und Herren von der Koalition, die Sie in der Deckung durch alle Parteien oder durch trickreiche Formulierungen im Parteienfinanzierungsgesetz unternommen haben, haben wir bereits abgewehrt. Ihre mehrfachen öffentlichen Behauptungen, Sie wollten gar keine Amnestie, das werde Ihnen böswillig unterstellt, hatten uns in der Annahme bestärkt, daß Sie einen dritten Versuch erst gar nicht wagen würden. Darin sehen wir uns getäuscht. Sie haben den dritten Anlauf besonders dreist, besonders angreifbar gewagt, und Sie sind dabei zu Fall gekommen.Ich frage Sie: Reicht Ihnen diese Lehre nun endlich? — Wir müssen das bezweifeln. Die trotzige Uneinsichtigkeit des Bundeskanzlers, der auf der Richtigkeit des Vorhabens beharrt, der es durchkämpfen will und der bei seiner Rede vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie sozusagen an Stelle der Richter Freisprüche verkündet hat, bestärkt unsere Sorgen.
Um es in einem Bild zu sagen, meine Damen und Herren: Der Anschlag ist abgewehrt, aber der Attentäter hat die Pistole nicht weggeworfen, sondern eingesteckt, um auf bessere Gelegenheit zu warten.
Schon melden sich Politiker der Koalition mit dem Vorschlag, durch Manipulation des Steuerrechts, der Abgabenordnung, eine Amnestie zu bewirken. Äußerungen der Entschlossenheit zur erneuten Untat hören wir von vielen Seiten, und auch die Nr. 4 Ihres Entschließungsantrages weist hier doch einen Weg.
— Sie klatschen sogar. Wenn Sie das aus England transportieren, so, wie es uns Herr Dregger hier erläutert hat, dann haben Sie Ihre Amnestie. Das alles bestätigt uns in der Sorge: Sie wird kommen.
Deshalb wollen wir mit dieser Debatte, mit unserem Antrag die Chance zur endgültigen Umkehr nutzen. Es geht um mehr als um eine beliebige, vielleicht besonders wichtige Sachentscheidung. Es geht um die Grundlagen unserer Demokratie. In ihr als Demokraten zusammenzuwirken ist nur möglich, wenn alle Seiten bestimmte Grenzen einhalten und sich jeder darauf verlassen kann. Die Gleichheit vor dem Recht und vor dem Richter setzt eine solche unübersteigbare Grenze. Wozu wird der sonst noch fähig sein, der seine politische Macht nutzt, um diese Grenze zu durchbrechen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lassen Sie diese Drohung mit der Wiederholung nicht stehen! Sie wird unsere Zusammenarbeit, sie wird unser Zusammenleben nicht nur erschweren, sondern vergiften. Machen Sie Schluß damit!
Und bekräftigen Sie eindeutig das „Nie wieder", wie es im letzten Absatz unseres Antrags formuliert ist.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmude hat ziemlich zum Schluß gesagt, alle Demokraten sollten gewisse Grenzen einhalten. Ich wäre sehr froh darüber gewesen, wenn dies tatsächlich heute so geschehen wäre. Das war aber nicht der Fall. Im Gegenteil, Herr Kollege Schmude, gerade von Ihren Kollegen sind Formulierungen gebraucht worden, die mich zu der Feststellung bringen, daß viele dieser Bemerkungen doch gar nicht darum gingen, eine sachgerechte Behandlung zu ermöglichen, sondern ausschließlich eine emotionalisierte politische Waffe zu benutzen, statt in der Sache zu Klarheit zu kommen. Das war doch die Absicht bei der ganzen Art der Behandlung.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5043
Mischnick— Herr Kollege Fischer, daß Sie vor Polemik warnen, ist das Lustigste des ganzen Tages. Ausgerechnet Sie!
Liebe Kollegen, eins hat sich bei dieser Debatte doch erneut gezeigt: In allen Fragen — nicht nur in diesen Fragen —, in denen wir als Parlamentarier tatsächlich oder scheinbar in der Gefahr stehen, in der Öffentlichkeit unterstellt zu bekommen, im eigenen Interesse zu handeln, tut sich dieses Parlament schwer. Das war bei der Entscheidung über das Parteienfinanzierungsgesetz so, das ist heute so, das ist immer so, wenn wir über Fragen des Parlaments entscheiden.Im Interesse unseres Parlamentes wäre es notwendig, daß wir im September, wenn wir über uns selbst sprechen, auch einmal darüber sprechen, daß wir nicht immer, wenn das Parlament über Dinge zu entscheiden hat, bei denen es sein kann, daß es Betroffene gibt, vor Entscheidungen zurückschrekken dürfen. Denn das Parlament ist die oberste Instanz der Entscheidung und kann sich nicht vor Entscheidungen drücken, die nur es allein treffen kann.
Es wäre der Mühe wert, sich einmal darüber Gedanken zu machen, wie man in solchen Fragen sachgerecht die notwendige Entscheidung in den Vordergrund stellt, nicht aber die Frage, wie man sich parlamentarisch gegenseitig das eine oder andere in die Schuhe schieben könnte; denn das schadet dem Parlament mehr als eine sachgerechte, noch so schwierige und für viele draußen im Lande zunächst nicht begreifliche Auseinandersetzung über Fragen, die auch uns, dieses Parlament betreffen.Der Kollege Schmude hat sehr viel von „heuchlerisch" gesprochen und Vergleiche gezogen. Sehr geehrter Herr Kollege Schmude und auch Herr Kollege Glotz, was Sie über den November/Dezember 1981 dargelegt haben, ist gelinde ausgedrückt eine Klitterung der tatsächlichen Gespräche, hart ausgedrückt die nachträgliche Feststellung, daß alle Gespräche, die in der Koalition oder mit der Opposition geführt worden sind, entweder von vornherein unter der Prämisse standen, zwar Gespräche zu führen, hinterher aber nein zu sagen, oder unter der Prämisse standen, daß Ihre Vertreter zwar den Willen hatten,
sich aber dann bei ihrer Fraktion nicht durchsetzen konnten. Eins von beiden kann nur richtig sein.
Aber jetzt so zu tun, — —(Dr. Apel [SPD]: Schreien Sie doch nicht so!
— Weiterer Zuruf von der SPD: Theaterdonner!)— Wenn Sie nicht so viel dazwischenreden würden, dann brauchte ich nicht so laut zu reden. Diesen Anstand erwarte ich von jenen Kollegen, die jetzt Zwischengespräche führen, genauso wie ich diesenAnstand während der ganzen Debatte gegenüber jedem anderen Redner gehabt habe.
Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß jetzt so getan wird, als habe es im Jahre 1981 bei denjenigen Kollegen, die im Koalitionsgespräch waren, überhaupt keine Bereitschaft gegeben, eine Regelung zu finden. Das ist schlicht falsch dargestellt. Ich will hier keinen anderen, unparlamentarischen Ausdruck gebrauchen. Ich kann mich allerdings sehr genau entsinnen, daß ich auch in Koalitionsgesprächen in den 70er Jahren mehrfach, immer wieder angemahnt habe, ein Parteienfinanzierungsgesetz zu verabschieden, um dieser Situation um unserer aller Parteien willen zu entgehen, in die wir dann hineingekommen sind. Das haben Sie immer mit der Berufung darauf, daß das finanziell für Sozialdemokraten nicht tragbar sei, abgelehnt. Das war der Gesichtspunkt, der immer wieder in den Vordergrund gestellt wurde.Es ist nicht meine Art, hier aus früheren Koalitionsgesprächen zu berichten, aber wenn Sie damit anfangen, falsche Darstellungen zu bringen, dann fühle ich mich verpflichtet, um der Wahrheit willen die Dinge so darzustellen, wie sie tatsächlich waren, damit sie nicht hier nachträglich verfälscht werden.
Das gilt genauso für die Behauptung, mit dieser Entscheidung sei die Entscheidung gegen die Koalition gefallen. Haben Sie denn längst vergessen, daß im Februar 1982 hier in diesem Saale eine Vertrauensfrage vom damaligen Bundeskanzler gestellt wurde und daß von der FDP-Bundestagsfraktion geschlossen das Vertrauen ausgesprochen wurde? Das hätten wir doch nicht getan, wenn wir im Dezember 1981 der Meinung gewesen wären, die Koalition solle zu Ende gehen.
— Das ist doch falsch, was Sie hier darstellen. Das ist der Versuch, im nachhinein die Sachgründe, die Ihr Bundesparteitag geliefert hat, jetzt umzufälschen in einen Vorgang, der dieser Tage die Öffentlichkeit erregt hat, sonst gar nichts.
Meine Damen und Herren, hier ist so brav davon gesprochen worden, dann müsse eben mehr aus den Parteibeiträgen finanziert werden. Wer hat uns diesen Rat gegeben? Wer war es denn, der die Verabschiedung des Gesetzes daran knüpfte, daß die öffentlichen Mittel von 3,50 DM auf 5 DM erhöht wurden? Das waren Sie doch, die das verlangt haben. Nicht wir haben es verlangt.
Tun Sie doch jetzt nicht so, als wäre es die Koalition gewesen, die diese Fragen in den Vordergrund gestellt hat, und reden Sie nicht so über die Finanzierung aus Beiträgen.Meine Damen und Herren, da mir nur noch wenige Sekunden zur Verfügung stehen, möchte ich zusammenfassend feststellen:
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5044 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
MischnickErstens. Die FDP-Bundestagsfraktion hat eine offene Diskussion geführt und dann neu befunden.Zweitens. Dies ist ein Zeichen liberaler Grundeinstellung.Drittens. Die Sachdarstellung des Bundesfinanzministers hat vielfältige Gesichtspunkte enthalten, die eine Entscheidung über das Für und das Wider bei den Beratungen beeinflußt haben.
Viertens. Die Wertung war unterschiedlich. Keine daraus abgeleitete Auffassung ist rechtswidrig oder gar verfassungswidrig. Wer dies behauptet, stellt die Dinge falsch dar.Fünftens. Die politische Würdigung war unterschiedlich. Die öffentliche Aufnahmebereitschaft war in weitem Maße in der Öffentlichkeit nicht vorhanden. Das stelle ich fest.
Damit wäre dem Rechtsfrieden bei einer Weiterverfolgung nicht gedient gewesen.Sechstens. Diese Erfahrungen waren es, die die FDP-Bundestagsfraktion veranlaßten, keine neuen Initiativen dieser Art zu unterstützen.
Zu den Entschließungen stelle ich fest:Erstens. Die Entschließung der Koalitionsfraktion hat in Punkt 4 genau das zum Inhalt, was hier beklagt worden ist. Der Kollege Ertl, der hier auch als ein zu ermittelnder Beschuldigter genannt wird, hat folgenden Brief geschrieben, der der Anlaß der Ermittlungen ist. Er lautet:Sehr geehrter Herr ...Als Landesvorsitzender der bayerischen FDP muß ich mich manchen nicht sehr angenehmen Aufgaben unterziehen. Dazu gehört auch, für meine vielfältigen Aufgaben und für die meiner Partei in Bayern die notwendigen Mittel zu beschaffen. Als liberale Partei sind wir dabei vor allem auf einsichtige und weitblickende Persönlichkeiten aus Wirtschaftskreisen angewiesen, die nicht zuletzt die Position und die Leistungen der FDP im allgemeinen und ihrer Bundesminister im besonderen zu beurteilen und zu bewerten wissen. Nicht zuletzt geht es im Hinblick auf die bevorstehende Wahl zum Bayerischen Landtag auch darum, die Position der Liberalen in Bayern und damit auch meine zu stärken. Darf ich mich im Hinblick auf Ihre Geschäftsinteressen auch in Bayern vertrauensvoll an Sie wenden? Ich hoffe, Ihr Verständnis zu finden, und würde mich über ein positives Echo sehr freuen.Kein Wort von einem Konto! Kein Wort von einer Organisation!
Kein Wort über eine Art der Spendenabsetzung!Trotzdem hat er bis heute keine Nachricht bekommen, warum gegen ihn ermittelt wird. Und wennhier andere Punkte aufgedeckt werden, mit genauen Angaben, dann wird so getan, als sei das eine Lappalie, während hier Menschen angeprangert werden, die seit einem Jahr nicht wissen, aus welchem Grunde nun wegen dieses Briefes ermittelt wird.
Das war übrigens auch 1978.Damit dies in Zukunft möglicherweise nicht mehr stattfindet, unser Vorschlag, das zu prüfen.Zur Entschließung der SPD: Ihr Abs. 4 ist für uns erledigt. Wir haben die zu gebenden Erklärungen hier abgegeben. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Handlos.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem Gesetz zur Regelung steuerlicher Zweifelsfragen bei der Parteienfinanzierung, von der Bevölkerung kurz „Amnestiegesetzentwurf für Steuerhinterzieher" genannt, bleibt die einzige Hauptfrage: Geht Macht vor Recht?Drei Spitzenpolitiker tragen dafür die Hauptverantwortung. Da ist einmal FDP-Chef Genscher, der in den letzten Tagen offensichtlich nach dem Ausspruch von Schopenhauer gehandelt hat, der lautet: „Ein schöner Rückzug ist ebensoviel wert wie ein kühner Angriff." Der zweite im Bunde, CDU-Chef und Bundeskanzler Helmut Kohl, will immer noch nicht glauben, daß die Bevölkerung in diesem Gesetz keine moralisch-geistige Wende erkennen kann, und der Dritte im Bunde, Franz Josef Strauß, hat auf einer seiner letzten Pressekonferenzen treuherzig erklärt, er habe sich u. a. voll auf Genscher und die FDP verlassen — und dies obwohl er bereits seit Jahren erklärt, auf Genscher und die FDP sei kein Verlaß.
Das verstehe, wer will, meine Damen und Herren.Wenn der Anlaß dieser Debatte für uns REPUBLIKANER nicht viel zu ernst wäre, könnte man eigentlich von einer Komödie sprechen. Aber von meiner Arbeit an der Basis her weiß ich, daß selbst der kleinste Arbeiter und Handwerker bei Steuerhinterziehung von den Finanzbehörden unnachsichtig verfolgt wird. Deswegen ist überhaupt nicht einzusehen, daß ein solches Amnestiegesetz erlassen wird — das muß ich hier mit aller Deutlichkeit einmal feststellen —, und dies gegen den Widerstand zahlreicher Abgeordneter aus allen Fraktionen, die hier in einer Nacht-und-Nebel-Aktion überfahren wurden. Auch das darf ich für viele Kollegen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5045
Handlossagen, die es nicht wagen, hier das Wort zu ergreifen.
— Nein, so ist es. Ich darf, weil ich nur eine sehr kurze Redezeit habe — mein Kollege Ekkehard Voigt soll auch noch dazu kommen zu sprechen —, darf ich für die Republikaner zusammenfassend folgendes feststellen.Erstens. Es gäbe keine Unsicherheit im Hinblick auf die Spendenpraxis, wie immer so gern behauptet wird, wenn man sich strikt an das Parteienspendengesetz in der Vergangenheit gehalten hätte. Umwege über Liechtenstein wären deshalb nicht notwendig gewesen.Zweitens. Im Gegensatz zu anderen Straftätern haben Steuerhinterzieher nach geltendem Recht die Möglichkeit, Straffreiheit durch Selbstanzeige zu erlangen. Es ist nicht einzusehen, daß für diejenigen, die nicht einmal diese Möglichkeit in Erwägung gezogen haben, auch noch ein Amnestiegesetz geschaffen werden soll.Drittens. Aus diesem Grund besteht entsprechend der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes für den Erlaß eines Straffreiheitsgesetzes keinerlei triftiger Grund.Viertens. Ich darf mich an dieser Stelle im Namen der Republikaner bei den Medien und der Öffentlichkeit für ihre Wächterrolle im Interesse der Demokratie bedanken. Ohne die Medien wäre sicher dieses Gesetz durchgepeitscht worden. Wie bereits betont, tragen hier nicht die Abgeordneten, sondern in erster Linie die Führungsspitzen der drei Parteien die entscheidende Verantwortung. Herr Genscher, Herr Kohl und Herr Strauß haben offensichtlich Chamisso falsch interpretiert, der in einem seiner Werke sagte: „Hast du die Macht: Du hast das Recht auf Erden". Sie hätten statt dessen nach Meinung der REPUBLIKANER Goethe lesen sollen, der in seinen „Sprüchen und Reimen" sagte: „Tu nur das Rechte in deinen Sachen; das andre wird sich von selber machen".Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Voigt .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man eine erste Bilanz dieser Debatte zieht, dann muß man, glaube ich, deutlich vor der Öffentlichkeit sagen: Es ist ein mißlungener Versuch, nachträglich eine Rechtfertigung für die Spendengelder zu bekommen, egal, für welche Partei sie gegeben worden sind. Es ist in Wahrheit — lassen Sie mich das sagen — eine Scheindebatte gewesen, die eigentlich ihren Höhepunkt in dem Beitrag des Bundeskanzlers fand, als er sagte: Herr Brandt, Sie wissen genauso wie ich, wer wie uns finanziert, und da brauchen wir uns gegenseitig nichts vorzumachen. Das wird in der Tat Kopfschütteln und Ablehnung bei den Bürgern hervorrufen. Und das wird nicht durch die Tatsache besser, daß man einen Gesetzentwurf in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion" gleichsam durchboxen wollte.Welch ein Schaden ist hier angerichtet worden: Das Vertrauen in die Politik, das Vertrauen in die Politiker, das Vertrauen in das Parlament insgesamt sind tief erschüttert. Es geht ja nicht um Lappalien. Es geht um hohe Steuerbeträge. Wie der Pressesprecher der Bonner Staatsanwaltschaft mitteilte, wurden allein für eine Kölner Vereinigung in den Jahren 1969 bis 1980 an die CDU und die FDP 220 Millionen DM gespendet.Sie können sagen: Steuer hin oder her; Steuergelder hin oder her. Aber es geht j a auch darum, daß rechtmäßig dem Staat zustehende Steuergelder nicht eingetrieben worden sind.Das Schlimme an dieser Sache ist, daß führende Politiker in diesem Land nicht einsehen wollen, welchen Schaden sie in der Öffentlichkeit an der Glaubwürdigkeit der Parteien und des Parlaments damit anrichten.Es geht nicht um die Gunst für bestimmte Spender. Man kann nicht Moral, Recht und Gesetz zurechtbiegen, wie man es einfach haben will.Gott sei Dank gab es Stimmen wie die von Herrn Benda, der hierzu sagte: „Opportunität darf nicht vom Weg des Rechts abbringen", oder die des Deutschen Richterbunds, der sagte: „Das ist der Anfang des Verfalls der Rechtskultur".Die Öffentlichkeit hat manchmal die Frage gestellt: Warum haben der Kollege Handlos und ich eine neue Partei gegründet?
Wenn es überhaupt die Frage der Gründung einer neuen Partei gegeben hat, dann ist dieser Zeitpunkt heute spätestens da, weil wir nämlich sagen: Wir haben der „res publica", der Sache des Volkes zu dienen und nicht am Staat zu verdienen. Das ist die Maxime der Politik der REPUBLIKANER und sollte auch die aller Parteien sein.Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Glaubwürdigkeit eines Politikers, auch der Politiker, die heute Führungsfunktionen haben. Es ist von Herrn Vogel zu Recht gefragt worden: Was sollen wir von einem Familienminister halten, der vor der Wahl so redet, nach der Wahl aber anders redet?Meine Damen und Herren, der Schaden, der insgesamt angerichtet worden ist, ist sehr groß. Der Bundeskanzler, der mit einem Programm der Erneuerung angetreten ist, muß sich heute sagen lassen, daß ein Programm der Ernüchterung daraus geworden ist. Das, was an Vertrauen vorhanden war, wird in — zunächst vorsichtiges — Mißtrauen umschlagen. Aus Glaubwürdigkeit ist Unglaubwürdigkeit geworden. Aus der Wende in eine neue Zukunft ist ein Salto in einen moralisch-politischen Verfall geworden. — Meine Damen und Herren, ich stehe unter Zeitdruck. Obwohl ich die feste Zusage hatte, früher zu sprechen, rede ich nun gleichsam als „Schlußlicht". Es ist interessant, einmal zu se-
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5046 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Voigt
hen, wie das Recht eines freien Abgeordneten, in diesem Parlament zu reden, behandelt wird. —Lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen: Ich habe diesen Bundeskanzler mitgewählt; er hat damals meine Stimme bekommen. Aber ich muß ihm heute am Schluß dieser Diskussion sagen: Ich habe ihn nicht gewählt, damit er im Rahmen dieser Amnestie-Aktion gleichsam die elementaren moralischen Fundamente dieser Demokratie miterschüttern hilft. Ich habe ihn auch nicht gewählt, damit auf diese Weise alle Abgeordneten in diese Aktion hineingezogen werden. Wir alle sind als Abgeordnete dadurch in der Öffentlichkeit in Verruf geraten. Wir müssen uns draußen rechtfertigen, ob wir daran beteiligt sind oder nicht. Aber machen Sie das den Bürgern einmal klar!Meine Damen und Herren, Staatsverdrossenheit und Parteiverdrossenheit werden zu einer Staatsformverdrossenheit führen. Dann wird man sagen: Diese Demokratie taugt nichts mehr. Man wird sagen: Die Parteien taugen nichts mehr. Und dann werden den Extremisten von links und rechts Tür und Tor geöffnet. Und daran, meine Damen und Herren, haben dann einige hier ihren Anteil an Schuld.Ich fordere deshalb alle auf, ich fordere auch den Bundeskanzler auf, den Mut zu haben, den Kraftakt der Peinlichkeit zu beenden, umzukehren, diese Affäre mit Klarheit zu stoppen und zu akzeptieren, daß draußen in der Republik auch ein Bürgerwille existiert.Meine Damen und Herren, machen wir einen neuen Anfang! Wir brauchen wieder Sauberkeit in der Politik, Verläßlichkeit in die Verantwortlichkeit und Klarheit in der Sache. Wir REPUBLIKANER plädieren für diesen neuen Anfang, der von Verantwortung gegenüber dieser Demokratie geprägt ist, zu der es keine Alternative gibt.Danke schön.
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sehe ein, daß wegen der fortgeschrittenen Zeit kein Bedürfnis nach einer längeren Fortsetzung der Debatte mehr vorhanden ist.
Eine Sekunde, Herr Bundesminister. — Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen — das gilt auch für die Damen und Herren der SPD-Fraktion — und etwas mehr Ruhe zu bewahren. — Herr Minister, fahren Sie bitte fort.
Ich lege, meine Damen und Herren, aus gegebenem Anlaß aber Wert darauf, einige wenige Worte zu sagen.
In der Auseinandersetzung um das AmnestieVorhaben bin ich von der Opposition mehrfach attackiert worden. Warum? Weil ich das mir zugedachte Verdammungsurteil nicht gesprochen habe.
Es war — über die von mir ohnehin abgegebenen Äußerungen hinaus — nicht erwünscht, eine — nämlich meine — Meinung zu erfahren, sondern eine Meinung, die vorprogrammiert war, und die hätte lauten sollen: Der Entwurf ist a) verfassungswidrig, b) rechtspolitisch grundfalsch, c) rechtsstaatlich bedenklich.
Auch Amnestiegesetze, selten und wohlüberlegt angewandt, gehören zur Rechtskultur der freiheitlichen Demokratien. In der Bundesrepublik hatten wir vier Amnestien, zuletzt die des Straffreiheitsgesetzes von 1970. Wir haben in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Voraussetzungen für eine Amnestie herausgearbeitet erhalten. Dazu ist heute bereits mehrfach Stellung genommen worden, so daß ich auf diese Frage nicht mehr einzugehen brauche.Das Ergebis der Prüfung, von der ich gesprochen habe, war, daß verfassungsrechliche Einwendungen nicht zu erheben sind. Glauben Sie mir: Wenn auch nur ein Zweifel in dieser Richtung aufgetaucht wäre, hätte dieses Vorhaben von mir nicht vertreten werden können. Selbst wenn ich es hätte tun wollen — der Bundesminister der Justiz kann dies nicht.Nun ist Herr Dr. Schmude in der Auseinandersetzung im Hinblick auf sein Eintreten gegen den Entwurf von 1981 mehrfach als Zeuge gegen den Entwurf aufgerufen worden, über den wir uns jetzt zu unterhalten gehabt haben. Ich frage aber: Ist es nicht unseriös, zu übersehen, daß hier zwei völlig andere Dinge, die nicht so ohne weiteres miteinander verglichen werden können, zur Debatte standen? Daß auch in Tateinheit mit einer Steuerhinterziehung begangene kriminelle Delikte wie Betrug, Untreue und anderes amnestiert werden sollten, ist schon erwähnt worden. Als das in der Tat viel Schwerwiegendere erschien mir aber, daß wir seinerzeit die Parteienfinanzierung noch nicht neu geregelt hatten.
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Bundesminister EngelhardWer damals auf den Gedanken kam, zu amnestieren, zog den strafrechtlichen Schlußstrich, wußte aber, daß aller Lebenserfahrung nach die Rechtsverstöße weitergehen werden.Ich stimme — lassen Sie mich diese Anmerkungen noch kurz machen — sicherlich mit denen überein, die da sagen: Die entscheidende Frage ist, ob es politisch angezeigt war. Dies ist nicht allein eine rechtliche Frage. Ich kann dem durchaus folgen. Ich habe die Dinge sehr eingehend erwogen und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß wir mit der Verabschiedung des Parteienfinanzierungsgesetzes doch eingestanden hatten, welche Unzuträglichkeiten zu beseitigen waren. Deswegen war durchaus abzuwägen, ob es nicht das gewichtigere und stärkere Argument ist, in dieser Situation ein Ende zu setzen, und das möglicherweise schwächere der Gedanke, daß in einer Vielzahl von Verfahren rechtsstaatlich aufgearbeitet werden muß, was im einzelnen gesündigt worden sein mag.Meine Damen und Herren, ich meine, heute ist die Amnestie vom Tisch, und ein jeder wird einmal darüber nachdenken können, wie wir über die Auseinandersetzungen und die Schärfe des Tons, die auch hier deutlich geworden sind, wieder näher aufeinander zugehen können.
Nur meine ich, daß die Frage letztlich ausschlaggebend dadurch entschieden wird, daß, wie immer man am Anfang und in der Auseinandersetzung dazu gestanden haben mag, wir uns den guten Willen nicht absprechen sollten.
Ich habe immer akzepiert, daß andere anderer Meinung waren. Nur wird eine Amnestie immer darauf angelegt sein, Rechtsfrieden zu schaffen. Das heißt nicht die Zustimmung aller Bürger, das war auch 1970 nicht der Fall. Nur, wenn sich in der Breite der Bevölkerung, auch quer durch die Parteien, bis hinein, mit unterschiedlicher' Gewichtung, in die Fraktionen, Widerstand erhebt, Protest laut wird, dann wissen wir — das muß nachdenklich machen, und es war das Ergebnis, daß die Koalition ihr Vorhaben hat fallenlassen —, daß bei dieser Einstellung eine solche Maßnahme im Lande Rechtsfrieden nicht schaffen kann.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Mir liegt eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Lammert, Clemens, Eylmann, Dr. Göhner, Dr. Olderog, Dr. Blank, Dr. Blens, Borchert, Lattmann, Rode , Schreiber, Seesing, Carstensen (Nordstrand) vor *).
*) Anlage 2
Jetzt wünscht der Herr Abgeordnete Jahn das Wort zur Geschäftsordnung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der sozialdemokratischen Partei beantrage ich, über den Antrag auf Drucksache 10/1449 in den einzelnen Absätzen getrennt abzustimmen.
Damit die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, die in dieser Debatte teilweise etwas unterschiedliche Auffassungen vertreten haben, Gelegenheit bekommen, dieses auch im Abstimmungsverhalten deutlich zu machen, bitte ich, über den Abs. 3 und ebenfalls über den Abs. 4 getrennt namentlich abzustimmen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Nehmen Sie bitte den Antrag auf Drucksache 10/1449 zur Hand.
Wir stimmen über den ersten Absatz ab, der mit den Worten beginnt: „Dem Deutschen Bundestag ist bekannt ...". Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der erste Absatz ist abgelehnt.
Wir kommen zum zweiten Absatz: „Der Deutsche Bundestag bedauert ...". Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Urnen sind aufgestellt. Da der Antrag auf namentliche Abstimmung entsprechend unterstützt ist, bitte ich, jetzt zur Abstimmung zu schreiten.
Wir stimmen jetzt über Abs. 3 ab. Wer diesem Absatz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, mit Ja abzustimmen. Die Abstimmung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, sobald diese Abstimmung beendet ist, werden wir mit der zweiten beginnen. Bleiben Sie also bitte im Saal.
Sind alle Stimmkarten abgegeben?
Sind alle Stimmkarten abgegeben? — Ich schließe die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, es folgt gleich die nächste Abstimmung. Wenn Sie freundlicherweise, weil eine Erklärung abgegeben wird, noch einmal zurücktreten wollen, bevor Sie abstimmen.
Vor der nächsten Abstimmung hat nach § 31 der Geschäftsordnung Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher das Wort zur Abstimmung erbeten. — Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Gemäß § 31 Abs. 2 der Geschäftsordnung möchte ich zur Abstimmung erklären, daß nach den drei
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Frau Dr. Hamm-Brücherverbindlichen Erklärungen der FDP-Sprecher, daß ein Amnestiegesetz für die FDP jetzt und in Zukunft nicht in Frage komme, was inhaltlich dem Punkt 4 des Entschließungsantrages der SPD entspricht, für mich eine zusätzliche Zustimmung zu diesem Punkt 4 nicht mehr erforderlich ist.
Meine Damen und Herren, wir müssen mit der zweiten Abstimmung noch einen Moment warten, weil die Schriftführer noch zählen müssen. Es folgen dann noch zwei weitere namentliche Abstimmungen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur zweiten namentlichen Abstimmung. Ich mache Sie nur noch einmal darauf aufmerksam: Es geht jetzt um den Absatz 4 des Antrages der SPD auf Drucksache 10/1449. Ich eröffne die Abstimmung.
Sind alle Stimmkarten abgegeben?
Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung.
Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. — Wir müssen in unseren Beratungen fortfahren. Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte, die Sitzung für eine halbe Stunde, bis 20 Uhr, zu unterbrechen, weil die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei für sofort eine Fraktionssitzung einberufen hat.
Meine Damen und Herren, es ist üblich, daß wir in einem solchen Fall die Sitzung unterbrechen.
Ich unterbreche die Sitzung bis 20 Uhr.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich möchte Ihnen zunächst die vorläufigen Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmungen mitteilen, die wir schon hinter uns haben.Da ist zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Abs. 3 des Antrags der Fraktion der SPD zum gescheiterten Strafbefreiungsvorhaben auf Drucksache 10/1449. Es wurden 492 Stimmen — einschließlich der Berliner Abgeordneten, die hier voll stimmberechtigt sind — abgegeben. Davon war keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 206 Abgeordnete und mit Nein haben 273 Abgeordnete gestimmt. Es hat 13 Enthaltungen gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 492; davonj a: 206nein: 273enthalten: 13JaSPDAmlingAntretter Dr. Apel Bachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau BlunckBrandtBrückBuckpesch Büchler
Büchner
Dr. von BillowBuschfort Catenhusen Conradi CurdtFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDuveEgertDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGerstl
GilgesGlombig Dr. Glotz Gobrecht GrunenbergDr. Haack HaarHaase
HaehserFrau Dr. HartensteinDr. HauchlerDr. Hauff Heimann HeistermannHerterich Hettling HeyennHiller Hoffmann (Saarbrücken) Dr. HoltzHornFrau Huber Huonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunichDr. JensJung Junghans Jungmann Kastning Kirschner KisslingerKlein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbow KretkowskiDr. KüblerKühbacherKuhlweinLambinusLennartzLeonhartFrau Dr. LepsiusLiedtke Löffler Lohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann
Dr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPaterna PauliDr. PennerPeter
PfuhlPoßPurpsRapp
Rappe ReimannFrau RengerReschke ReuschenbachReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzDr. ScheerSchlaga Schlatter SchluckebierFrau Schmedt Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (München)Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Dr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. StegerSteinerFrau SteinhauerStiegler Stobbe
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5049
Vizepräsident WestphalStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vahlberg VerheugenDr. Vogel VogelsangVoigt
VosenWaltemathe WaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphal Frau WeyelWieczorek Wiefelvon der WiescheWimmer WischnewskiDr. de WithWolfram WürtzZanderZeitlerFrau ZuttDIE GRÜNENBurgmannDr. Ehmke HoracekHossDr. Jannsen KrizsanFrau Reetz SchilySchwenningerStratmannVogt
fraktionslosHandlosVoigt
NeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. AlthammerFrau Augustin AustermannDr. Barzel BayhaDr. Becker BergerFrau Berger BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsen Borchert Boroffka BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. BuglBuschbom Carstens
Carstensen ClemensConrad
Dr. CzajaDr. Daniels DawekeFrau DempwolfDeresDörflinger DolataDr. Dollinger DossDr. Dregger Echternach EhrbarEigenErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau Fischer Fischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannGanz
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGerster
GlosDr. Göhner Dr. GötzGüntherDr. Hackel Dr. Häfele von HammersteinHanz
HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig Herkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJung
Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechleKittelmannKlein
Dr. Köhler
Dr. Köhler Dr. KohlKolbKrausDr. KreileKreyKroll-Schlüter Dr. Kronenberg LamersDr. Lammert LandréDr. Langner LattmannDr. LaufsLink Link (Frankfurt) LinsmeierLintnerDr. LippoldLöherLohmann Dr. h. c. LorenzLouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski Dr. MarxDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern) Müller (Wesseling)NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. OlderogPeschPetersenPfeffermann PfeiferDr. PingerPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemann Regenspurger RepnikDr. Riedl
Dr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth RüheRufSauer
Sauer SaurinSauter
Sauter
Dr. Schäuble Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz
von Schmude Schneider
Dr. Schneider
Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin)
SchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. SchwörerSeehofer SeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSpranger Dr. Sprung Dr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen Straßmeir StrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. von Wartenberg WeirichWeißWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannDr. Wörner Würzbach Dr. Wulff ZiererDr. ZimmermannZinkFDPFrau Dr. Adam-SchwaetzerBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)Engelhard ErtlDr. FeldmannGallusGattermann Genscher Grünbeck GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch Hoffie
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5050 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Vizepräsident WestphalHoppeKleinert KohnDr.-Ing. Laermann MischnickMöllemannNeuhausenPaintnerRonneburgerDr. RumpfSchäfer
Frau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. WengWolfgramm WurbsDamit ist der Antrag abgelehnt.Das vorläufige Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung, nämlich über Abs. 4 des Antrags der SPD auf Drucksache 10/1449, lautet: 485 abgegebene Stimmen, unter Einschluß der in diesem Fall voll stimmberechtigten Berliner Abgeordneten. Es gab keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 208, mit Nein haben 267 Abgeordnete gestimmt, und es hat 10 Enthaltungen gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 484; davonja: 208nein: 266enthalten: 10JaSPDAmlingAntretter Dr. ApelBachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau Blunck BrandtBrückBuckpesch Büchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfort Catenhusen ConradiCurdtFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDuveEgertDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigEnthaltenDIE GRUNENFrau Beck-Oberdorf DrabiniokFischer Frau GottwaldFrau Dr. Hickel Kleinert Frau NickelsFrau Potthast ReentsSauermilch Schneider Frau Schoppe Verheyen (Bielefeld)Fischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs (Köln)Frau Fuchs GanselGerstl
GilgesGlombig Dr. Glotz Gobrecht GrunenbergDr. Haack HaarHaase
HaehserFrau Dr. Hartenstein Dr. HauchlerDr. Hauff Heimann HeistermannHerterich Hettling HeyennHiller Hoffmann (Saarbrücken) Dr. HoltzHornFrau Huber Huonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunichDr. JensJung Junghans Jungmann KastningKirschnerKisslinger Klein
Dr. Klejdzinski KloseKolbowKretkowski Dr. Kübler Kühbacher KuhlweinLambinusLennartzLeonhartFrau Dr. LepsiusLiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghaus MenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann
Dr. NöbelFrau Odendahl PaternaPauliDr. Penner Peter PfuhlPoßPurpsRapp
Rappe ReimannFrau Renger ReschkeReuschenbach ReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzDr. ScheerSchlagaSchlatterSchluckebierFrau Schmedt Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (München)Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schmude Dr. Schöfberger SchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Dr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. Sperling Dr. SpöriStahl Dr. StegerSteinerFrau SteinhauerStieglerStobbe StocklebenDr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniakVahlbergVerheugenDr. VogelVogelsangVoigt
Vosen WaltematheWaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphalFrau WeyelWieczorek Wiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiDr. de WithWolfram
Würtz
Zander Zeitler Frau ZuttDIE GRUNENBurgmann DrabiniokDr. Ehmke HoracekHossDr. Jannsen ReentsFrau Reetz SchilySchneider
Frau Schoppe Schwenninger StratmannVogt
fraktionslosHandlosVoigt
NeinCDU/CSUFrau Augustin AustermannDr. BarzelBayhaDr. Becker BergerFran Berger BiehleDr. BlankDr. BlensDr. BlümBöhm
Dr. BötschBohlBohlsen BorchertBoroffkaBraun Breuer
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5051
Vizepräsident WestphalBrollBrunnerBühler
Dr. Bugl Buschbom Carstens
Carstensen ClemensConrad
Dr. Czaja Dr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeresDörflinger DolataDr. DollingerDossDr. DreggerEchternachEhrbar EigenErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilcke Fellner Frau FischerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannGanz
Frau GeigerDr. GeißlerDr. von GeldernDr. GeorgeGerlach GersteinGerster
GlosDr. GöhnerDr. Götz Günther Dr. HackelDr. Häfelevon HammersteinHanz
HaungsHauser Hauser (Krefeld)HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechle KittelmannKlein
Dr. Köhler
Dr. Köhler Dr. KohlKolbKrausDr. KreileKreyKroll-Schlüter Dr. Kronenberg LamersDr. Lammert LandréDr. Langner LattmannDr. LaufsLink Link (Frankfurt) LinsmeierLintnerDr. LippoldLöherLohmann Dr. h. c. LorenzLouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski Dr. MarxDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern) Müller (Wesseling)NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. OlderogPeschPetersenPfeffermann PfeiferDr. PingerPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemann Regenspurger RepnikDr. Riedl
Dr. Riesenhuber Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith RüheRufSauer
Sauer SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz
von Schmude Schneider
Dr. Schneider
Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin)
SchwarzDr. Schwarz-SchillingDr. Schwörer SeehoferSeesingDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen Straßmeir StrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. von WartenbergWeißWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Dr. Wörner WürzbachDr. WulffZierer Dr. Zimmermann ZinkFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaumBeckmannBredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardErtlDr. Feldmann GallusGattermannGenscherGrünbeckGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. HirschHoffieHoppeKohnDr.-Ing. Laermann MischnickMöllemannNeuhausenPaintnerRonneburger Dr. RumpfSchäfer Frau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. WengWolfgramm WurbsEnthaltenDIE GRÜNENFrau Beck-Oberdorf Fischer Frau GottwaldFrau Dr. HickelKleinert KrizsanFrau NickelsFrau Potthast SauermilchVerheyen
Damit ist der Antrag abgelehnt. Bevor wir zu den weiteren beantragten Abstimmungen kommen, erteile ich dem Abgeordneten Jahn das Wort, der eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung zu den bevorstehenden Abstimmungen abgeben möchte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der SPD erkläre ich, daß wir die beiden folgenden Anträge, sowohl den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP als auch den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, ablehnen.
Aber wir tun das aus unterschiedlichen Gründen.
Der Antrag der CDU/CSU enthält in seiner Ziffer 1 etwas, was eigentlich selbstverständlich ist, bei dem man sich fragt, warum es eigentlich da steht. Es soll offensichtlich dazu dienen, das zu verwischen, was in den folgenden Ziffern gesagt wird;
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5052 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Jahn
denn dort, nicht in Ziffer 1, werden die wahren Absichten Ihrer politischen Überlegungen deutlich, und deswegen werden wir dem Antrag in seiner Gesamtheit unsere Zustimmung versagen.
Wir können aber auch dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN nicht zustimmen.
Sie haben sich in Ziffer 1 selbstgerecht gleichzeitig in die Robe des Staatsanwalts und des Richters versetzt,
und das ist eine Art der Auseinandersetzung mit diesem Thema, der wir nicht zustimmen können und nicht zustimmen wollen.
In einer Reihe weiterer Punkte haben Sie einzelne Abschnitte unseres Antrages abgeschrieben.
Das ist sehr lobenswert, dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Nur trägt der Zusammenhang, in den Sie das gebracht haben, eher dazu bei, vom Thema abzulenken,
so wie Sie das auch mit den übrigen Punkten tun, die Sie in Ihrer Entschließung aufgenommen haben. Das sind alles Themen, über die man reden könnte, aber in anderem Zusammenhang und bei einer anderen Gelegenheit. Hier würde die Zustimmung dazu nur bedeuten, daß wir uns an dem Versuch beteiligen würden — der auch von anderer Seite gemacht wird —, das eigentliche Thema dieser Debatte zu verwischen. Dieses Thema heißt nicht irgendwie, sondern sehr kurz und einfach: Amnestie ja oder Amnestie nein?
Wir wollen mit unserer Entschließung unmißverständlich deutlich machen: Für uns gibt es in dieser Debatte nichts anderes als ein kurzes, präzises Nein zur Amnestie und zu jedem Versuch, ihr Vorschub zu leisten.
Meine Damen und Herren, wir stimmen nunmehr über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1494 ab. Es ist gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung von den Antragstellern namentliche Abstimmung verlangt worden.Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1494 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, die entsprechende Abstimmungskarte in die vorn aufgestellten Urnen zu werfen.Ich eröffne die Abstimmung.Meine Damen und Herren, zwischendurch möchte ich darauf hinweisen, daß noch eine weitere namentliche Abstimmung bevorsteht.Meine Damen und Herren, ist ein Mitglied dieses Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat?
Darf ich jetzt davon ausgehen, daß kein weiteres Mitglied des Hauses mehr seine Stimmkarte abgeben will? — Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit. Ich gebe Ihnen das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zum gescheiterten Straf-befreiungsverfahren auf Drucksache 10/1494 bekannt. Abgegebene Stimmen 480; Berliner Abgeordnete voll stimmberechtigt. Davon ungültige Stimmen keine. Mit Ja haben gestimmt 24, mit Nein haben gestimmt 456. Es hat keine Enthaltung gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 480; davonj a: 24nein: 456JaDIE GRÜNENFrau Beck-Oberdorf BurgmannDrabiniokDr. Ehmke Fischer (Frankfurt) Frau GottwaldFrau Dr. Hickel HoracekHossDr. JannsenKleinert KrizsanFrau Nickels Frau Potthast ReentsFrau ReetzSchilySchneider Frau Schoppe Schwenninger StratmannVerheyen Vogt (Kaiserslautern) Frau Dr. VollmerNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. Althammer Frau Augustin Dr. BarzelBayhaDr. Becker BergerFrau Berger
BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsen Borchert Boroffka BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. Bugl Buschbom Carstens
Carstensen ClemensConrad
Dr. Czaja Dr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeresDörflinger DolataDr. DollingerDossDr. DreggerEchternachEhrbarEigenErhard
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5053
Vizepräsident WestphalEylmannDr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau FischerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannGanz
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGerster
GlosDr. Göhner Dr. GötzGüntherDr. Hackel Dr. Häfele von HammersteinHanz
HaungsHauser Hauser (Krefeld)HedrichFreiherr Heeremanvon Zuydtwyck HelmrichDr. Hennig Herkenrath Hinrichs HinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKittelmannKlein
Dr. Köhler
Dr. Köhler Dr. KohlKolbKrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterDr. KronenbergLamersDr. LammertLandréDr. Langner Lattmann Dr. LaufsLink
Link Linsmeier LintnerDr. Lippold Löher.Lohmann Dr. h. c. LorenzLouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski Dr. MarxDr. Mertes MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Miltner MilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PeschPetersenPfeffermann PfeiferDr. PingerPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemann Regenspurger RepnikDr. Riedl Rode (Wietzen) Frau RönschFrau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz
von Schmude Schneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwarz-SchillingDr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen StraßmairStrubeStücklenStutzer SussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. von WartenbergWeißWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Dr. Wörner WürzbachDr. WulffZiererDr. ZimmermannZinkSPDAmlingAntretter Dr. ApelBachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau Blunck BrandtBrückBuckpesch Büchler Büchner (Speyer)Dr. von BülowBuschfort Catenhusen ConradiCurdtFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDuveEgertDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGerstl
GilgesGlombigDr. GlotzGobrechtGrunenberg Dr. Haack Haase
HaehserFrau Dr. HartensteinDr. HauchlerDr. Hauff Heimann HeistermannHerterich Hettling Heyenn Hiller
Hoffmann Dr. HoltzHornHuonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunich Dr. JensJung Junghans Jungmann Kastning Kirschner KisslingerKlein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbow Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. LepsiusLiedtke LöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann
Dr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPaterna PauliDr. Penner Peter
PfuhlPoßPurpsRapp
Rappe ReimannFrau RengerReschke ReuschenbachReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzDr. Scheer
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5054 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Vizepräsident Westphal SchlagaSchlatter SchluckebierFrau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Dr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. SperlingDr. SpöriStahl
Dr. Steger SteinerFrau SteinhauerStiegler StobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt
VosenWaltematheWaltherWartenbrg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphal Frau WeyelDamit ist der Antrag abgelehnt.Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/1496. Die Antragsteller haben gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung verlangt. Wer dem Antrag auf Drucksache 10/1496 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Stimmkarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Stimmkarte in die aufgestellten Urnen zu werfen.Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —Wünscht noch ein Mitglied des Hauses seine Stimme abzugeben? — Es gibt offensichtlich kein weiteres Mitglied, das diesen Wunsch hat. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Auszählung werde ich, sobald es vorliegt, im Lauf der Debatte bekanntgeben.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurErrichtung einer Stiftung „Mutter und -Kind — Schutz des ungeborenen Lebens"— Drucksache 10/1369 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
RechtsausschußAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOIm Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kroll-Schlüter. Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt." Diese bindende Aufforderung des Grundgesetzes verpflichtet uns alle auch zum solidarischen Handeln mit dem ungeborenen Leben. Dies darf auch in der öffentlichen Diskussion über das ebenso empfindsame wie oft mißverständliche Thema der Abtreibung nicht zu einem Punkt unter vielen, zu einem Randthema werden. Es ist falsch, das elementare Recht auf Leben fast wie selbstverständlich neben ein vermeintliches Recht auf Abtreibung zu setzen.In der Wochenzeitung „Christ und Welt/Rheinischer Merkur" war vor einigen Wochen folgendes zu lesen — ich darf zitieren —:Die ganz überwiegende Mehrheit ist sich der Tatsache bewußt, daß Schwangerschaftsabbruch Tötung menschlichen Lebens ist. Sie versucht auch nicht, diese Handlung oberflächlich als nichts Besonderes abzutun.Wenn trotzdem ... die große Mehrheit für die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs — und sei es auf dem Wege der Indikationenregelung — plädiert, dann heißt das nichts anderes, als daß dieser Mehrheit menschliches Leben gegenüber anderen Werten zweitrangig erscheint, zumindest, wenn es sich um ungeborenes menschliches Leben handelt.Wenn ein Prozeß des Umdenkens stärker um sich greifen soll, dann müßte er wohl an diesem sehr grundsätzlichen Punkt ansetzen, daß menschliches Leben nicht instrumental gesehen, nicht für andere Rechtsgüter zur Disposition gestellt werden darf.Meine Damen und Herren, ein verbesserter Schutz des ungeborenen Lebens setzt voraus, daß seine Würde und Unantastbarkeit im Bewußtsein der Bürger dieses Landes fest verankert sind. Dafür müssen deutliche Signale und konkrete Taten gesetzt werden. Wir wollen mit dieser Bundesstiftung dazu beitragen, dieses Bewußtsein zu stärken.Wieczorek
Wiefelvon der WiescheWimmer WischnewskiDr. de WithWolfram
Würtz Zander Zeitler Frau ZuttFDPFrau Dr. Adam-SchwaetzerBaum BredehornCronenberg Eimer (Fürth)EngelhardErtlDr. FeldmannGallus GattermannGenscherGrünerDr. HirschHoffie Hoppe Kleinert
KohnDr.-Ing. Laermann MischnickMöllemannNeuhausenPaintnerRonneburgerDr. RumpfSchäfer
Frau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. WengWolfgramm WurbsfraktionslosHandlosVoigt
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5055
Kroll-SchlüterDas Recht auf Leben bzw. die Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens sind die höchsten Rechtsgüter in unserem Staat, in dieser Gesellschaft. Daran muß sich die öffentliche Diskussion orientieren, hierauf müssen wir uns stärker konzentrieren.Wer die Schutzbedürftigkeit des menschlichen Lebens bejaht, muß hierbei notwendigerweise auch das ungeborene Leben mit einschließen.
Es darf doch nicht so sein oder so scheinen, als gäbe es einen prinzipiellen Unterschied zwischen Leben vor und Leben nach der Geburt. Ebensowenig kann es ein Gebot der Nächstenliebe sein, nur geborenes Leben zu lieben, zu pflegen und zu schützen, während man das ungeborene Leben zur Disposition stellt.
Deswegen muß alles getan werden, damit dem ungeborenen Leben nicht durch die harte, furchtbare Realität der Notlagensituation der Schutz entzogen wird, den wir so selbstverständlich dem geborenen Leben zugute kommen lassen. Wir gehen nicht blind an der sozialen Notlagenindikation vorbei. Wir wollen nicht verurteilen.
— Wenn Sie nicht so leichtfertig dazwischenriefen, sondern etwas mehr Ernst dem Thema zugewandt hätten, hätten Sie vernehmen können: Niemals würde ich mir ein Urteil über diejenige erlauben, die abtreibt,
aber wir haben alles zu tun, um Notlagensituationen, um die Bedrängnis, um den Grund, was auch immer dazu geführt haben mag, soweit das staatliches Handeln überhaupt kann, zu verhindern.
Das haben wir oft genug von dieser Stelle in der Diskussion gesagt.
— Nein, Sie hätten überhaupt keine Argumente mehr gegen uns in der Hand, wenn Sie uns nicht dauernd so willkürlich mißverstünden.
Wir wollen helfen. Gerade die Stiftung „Mutter und Kind" wird sich der in Not geratenen Frauen und Familien annehmen und ihnen schnell, direkt, unbürokratisch helfen, zum Schutz des ungeborenen Lebens, aus Solidärität mit dem Leben, für Mutter und Kind.Und es geht doch auch um den Schutz der Frau und Mutter. Welche seelischen Konflikte und Probleme sie durch eine Abtreibung aufgezwungen bekommt, läßt sich mit Worten nicht beschreiben. Mit dem Schutz des ungeborenen Lebens verbindet sich demnach auch der Schutz der Frau und Mutter auf das engste. Und wer das ungeborene Leben vor der Abtreibung bewahrt, der bewahrt damit auch die Frau und Mutter vor einem unwiderruflichen Schritt, dessen seelische Konsequenzen erheblich sein können.
Und hier schließt sich der Kreis: Hier greifen der Schutz des ungeborenen und der Schutz des geborenen Lebens fruchtbar ineinander.Die hohe Zahl der Abtreibungen — wir wissen: es sind nicht nur 96 000, sondern über 200 000 — muß uns unruhig machen — ich setze auch voraus, daß das so ist —, vor allem, daß fast 80 % der Schwangerschaftsabbrüche, die gemeldet sind, mit einer schweren Notlage begründet werden.
Und das in diesem Staat! Da kann etwas nicht in Ordnung sein.
Ich möchte Ihnen sagen, liebe Freunde, meine Damen und Herren: Wenn uns die jungen Menschen von heute eines Tages sagen: „In den 70er Jahren, da lebtet ihr im Wohlstand, da habt ihr euch hoch verschuldet, da wurde in diesem Ausmaß abgetrieben, da habt ihr unsere Zukunft so belastet, da wart ihr kaum in der Lage, eine berufliche Perspektive für uns zu formulieren, und jetzt sollen wir 20jährigen die Lasten, die ihr uns damals in reichen Zeiten in einem Land mit dem höchsten Wohlstand aufgebürdet habt, abtragen", dann werden sie sich verweigern, und ich hätte keinen Anlaß, darüber zu rechten.
Nein, wir müssen in der Gegenwart zugunsten der Zukunft auf einiges verzichten. Wir müssen auch etwas zum Wohle des ungeborenen Lebens tun, und zwar auch durch Verzicht. Wir müssen auch finanziell helfen. Man soll das mit der finanziellen Hilfe nicht so abtun.Ich möchte ihnen etwas vortragen, was uns der Deutsche Caritasverband dieser Tage mitgeteilt hat. Er sagt, daß an der Spitze aller Gründe für den Abbruch der Schwangerschaft finanzielle Schwierigkeiten stehen, und zwar auch im Zusammenhang mit beruflichen Gründen, mit Arbeitslosigkeit. Daraus ergebe sich folgende Schlußfolgerung:Dabei ist es mit Zuhören nicht getan. Die Beraterin hat sich mit Wertvorstellungen, sehr oft mit solchen, die sie nicht vertreten kann, auseinanderzusetzen. Sie muß konkrete Hilfen anbieten.Wir wollen mit dieser Stiftung ja gerade, daß die Berater und Beraterinnen direkt und sofort in der schwierigen Situation konkrete Hilfe leisten können, nicht viel reden, nicht viel schwafeln, sondern in der schwierigen Situation direkt helfen.
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5056 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Kroll-Schlüter— Wenn ich Ihre Zwischenrufe aufnehmen darf: Ich kann nicht verstehen, wie Sie dies alles in einer Leichtfertigkeit abtun, fast mit einer Schnoddrigkeit. Ich hätte einen ganz anderen Wunsch — ich möchte das noch einmal betonen —: daß wir uns am Schluß der Beratungen in einem solchen Ziel, nämlich dieser Stiftung, einig werden. Das wäre ein großer Moment für dieses Parlament.
Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?
Gerne, bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kroll-Schlüter, ich möchte Sie fragen, wie Sie dazu kommen, diese Zwischenrufe als schnoddrig zu bezeichnen, und ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Zwischenrufe aus einer Erbitterung resultieren, weil Sie erst den Müttern Geld wegnehmen, das Mutterschaftsgeld kürzen und dann Almosen verteilen.
Im Gegensatz zur sozialliberalen Koalition und der damaligen Regierung haben wir das Kindergeld für die unteren und mittleren Einkommensschichten nicht gekürzt. Zweitens hat es keinen Sinn, auf Dauer mit immer neuen Schulden Kindergeld zu bezahlen.
Denn die Kinder, für die es heute gezahlt wird, müssen es morgen mit Zinsen und Zinseszinsen zurückzahlen. Es hat auch keinen Sinn, die Mütter und Frauen in zwei Klassen einzuteilen: Die einen bekommen es, und die anderen bekommen es nicht. Mit diesem Punkt wollten wir eben aufhören. Das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen.
Wir wollen konkret helfen. Bei dieser Stiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens geht es um ein fundamentales Anliegen. Es wäre schade, wenn diese Maßnahme einer ideologisch aufgeladenen Kritik begegnen würde. Wer also nur ideologisiert — wie ich dieser Tage gelesen habe —, keine praktikablen Gegenvorschläge macht, der darf sich doch nicht das Deckmäntelchen der sozialen Fürsorglichkeit umhängen und uns vorwerfen, wir würden eine rückständige Sozialpolitik machen. Geradezu absurd ist die Aussage, diese Stiftung zeige ein Staatsverständnis, das bevormundet statt emanzipiert.
Zu dieser Polemik können wir nur sagen: Wir sind es, die die Frauen und Mütter, die letztlich ja ganz allein entscheiden müssen, vom Druck einer sozialen Notlage befreien wollen, so gut das geht. Es gehört zur Ehrlichkeit, nicht zu verschweigen, daß es noch Defizite und Mängel im weiten Feld des Familienlastenausgleichs und der Familienförderung gibt. Aber wir werden diese Lücken in dieser Legislaturperiode füllen. Niemand außer dieser Koalition ist tatsächlich aus Überzeugung und prinzipiellen Erwägungen in der Lage, sowohl ein Erziehungsgeld als auch die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht und einen umfassenden Familienlastenausgleich Wirklichkeit werden zu lassen.
Was wir noch erreichen wollen, können wir mit dieser Stiftung nicht allein erreichen. Es ist ein erster Schritt. Als Allheilmittel ist sie nicht geplant. Es ist einfach unredlich, diese falsche Annahme als Basis für seine Kritik gegen uns zu richten.
Die Stiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" ist als eine individuelle direkte Soforthilfe für in Not geratene Frauen und Mütter und Familien gedacht.
Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?
Bitte schön, ja.
Herr Kollege Kroll-Schlüter, können Sie diesem Hause bei dieser Gelegenheit einmal verraten, in welcher Weise Sie die anerkannten Lücken in der Familienpolitik schließen wollen? Wollen Sie das durch eine weitere Stiftung machen?
Das Konzept der Familienförderung dieser Bundesregierung und dieser Koalition in dieser Legislaturperiode sieht wie folgt aus: Erstens ein erhöhtes Kindergeld in Form von Freibeträgen und Kindergeldzuschlägen für die unteren Einkommensschichten, zweitens ein monatliches Erziehungsgeld pro Kind für ein Jahr, wenn es eben geht, in Höhe von 600 DM, drittens: die Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht mit der Begründung, daß die Tätigkeit in Erziehung, Haushalt, Familie ebenso würdig und verdienstvoll ist wie jede andere Arbeit auch.
Dieses Programm zugunsten der Familie, das mehrere Milliarden DM kostet, müssen wir durch nicht unerhebliche Einschränkungen, schmerzhafte Beschlüsse und mit Blick auf Verzicht und Opfer anderer erbringen, weil Sie früher mit den Staatsgeldern so schludrig umgegangen sind.
Wissen Sie, Herr Glombig, da Sie immer das Kindergeld und die Familienförderung ansprechen: Wer den Staat so verschuldet hat wie Sie, hat die jungen Menschen von heute auf ihre Zukunft hin Tag für Tag neu enteignet.
Herr Abgeordneter, der Herr Abgeordnete Glombig wünscht eine Zwischenfrage zu stellen. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, daß Sie nur noch weniger als eine Minute Redezeit haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5057
Wenn hier die rote Lampe leuchtet, dann muß man leider immer nein sagen, wie das bei rot so oft der Fall ist.
Ich möchte zum Schluß eine Bitte äußern. Schade, daß diese Hilfe, diese Zuwendung zum ungeborenen Leben fast ausschließlich mit den Stimmen der Union und der FDP in unionsgeführten Ländern und Gemeinden durchgesetzt werden konnte. Sie können das in Nordrhein-Westfalen und in Hessen ja machen, Sie machen es aber nicht. Die Familie in Baden-Württemberg ist bedeutend bessergestellt als die in Nordrhein-Westfalen.
Sie steht in vielfältiger Weise wesentlich besser da. Sie reden und reden, und was machen Sie? Sie fördern bestimmte Einrichtungen, in denen Abtreibungen vorgenommen werden, und haben für die Neugründung von Familien nicht einen Posche übrig. Das ist der große Unterschied.
Eine ehrliche Bitte: Wie groß wäre die Ausstrahlung auf das notwendige Bewußtsein zum Schutz des Lebens, wenn dieses Hohe Haus in einer gemeinsamen Initiative diese Initiative zum Schutz des ungeborenen Lebens nach gründlicher Beratung verabschieden würde! Wir geben die Hoffnung nicht auf und bitten Sie herzlich nicht nur um Mitarbeit, sondern um Zustimmung für dieses gute Werk in der Solidarität zum Leben und zum Schutz des ungeborenen Lebens.
Ich danke Ihnen herzlich.
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP betreffend steuerstrafrechtliche Zweifelsfragen im Zusammenhang mit Parteispenden auf der Drucksache 10/1496 bekannt. Es sind 482 Stimmen abgegeben worden einschließlich der Stimmen der in diesem Fall voll stimmberechtigten Berliner Abgeordneten, davon keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 264 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 218 Abgeordnete gestimmt. Es hat keine Enthaltung gegeben.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 481; davonj a: 264nein: 217JaCDU/CSUDr. AbeleinDr. AlthammerFrau AugustinDr. BarzelBayhaDr. Becker BergerFrau Berger BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. BlümBöhm Dr. BötschBohlBohlsen Borchert BoroffkaBraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. Bugl Buschbom Carstens
Carstensen ClemensConrad Dr. CzajaDr. DanielsDawekeFrau DempwolfDeresDörflinger DolataDr. DollingerDossDr. DreggerEchternachEhrbarEigenErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau FischerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannGanz
Frau GeigerDr. von GeldernDr. GeorgeGerlach GersteinGerster
GlosDr. GöhnerDr. Götz Günther Dr. HackelDr. Häfelevon HammersteinHanz
HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Graf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKittelmannKlein
Dr. Köhler
Dr. Köhler
Dr. KohlKolbKrausDr. KreileKreyKroll-Schlüter Dr. Kronenberg LamersDr. Lammert LandréDr. Langner LattmannDr. LaufsLink Link (Frankfurt) LinsmeierLintnerDr. LippoldLöherLohmann
Dr. h. c. Lorenz LouvenLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski Dr. MarxDr. Mertes
MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller
Müller Müller (Wesseling)NelleFrau Dr. NeumeisterNiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. OlderogPeschPetersenPfeffermann PfeiferDr. PingerPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemannRegenspurger RepnikDr. Riedl
Rode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
RossmanithRoth RüheRufSauer
Sauer SaurinSauter
Sauter
Dr. Schäuble Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz
von Schmude Schneider
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5058 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Vizepräsident WestphalDr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder ,SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. SchwörerSeehofer Seesing SeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSpranger Dr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. SterckenStockhausenStraßmeir StrubeStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. von Wartenberg WeirichWeißWernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. WittmannDr. Wörner Würzbach Dr. Wulff ZiererDr. ZimmermannZinkFDPFrau Dr. AdamSchwaetzer BaumBredehornCronenberg Eimer (Fürth) EngelhardErtlDr. Feldmann GallusGattermann GenscherGrünerDr. HirschHoffieHoppeKleinert KohnDr.-Ing. Laermann MischnickMöllemann Neuhausen Paintner RonneburgerDr. Rumpf Schäfer
Frau Seiler-AlbringDr. Solms Dr. WengWolfgramm WurbsNeinSPDAmlingAntretter Dr. Apel Bachmaier BahrBambergBecker BernrathBerschkeit BindigFrau BlunckBrandtBrückBuckpesch Büchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfort Catenhusen Conradi CurdtFrau Dr. CzempielFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDuveEgertDr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. Enders EstersEwenFiebigFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGerstl
GilgesGlombig Dr. Glotz Gobrecht GrunenbergDr. Haack Haase
HaehserFrau Dr. HartensteinDr. HauchlerDr. Hauff Heimann HeistermannHerterich Hettling HeyennHiller Hoffmann (Saarbrücken) Dr. HoltzHornHuonkerIbrüggerImmer Jahn (Marburg)JansenJaunichDr. JensJung Junghans Jungmann Kastning Kirschner KisslingerKlein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowKretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. LepsiusLiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MatthöferMeininghaus MenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNehmNeumann Dr. NöbelFrau Odendahl Oostergetelo PaternaPauliDr. Penner Peter
PfuhlPoßPurpsRapp
Rappe ReimannFrau Renger ReschkeReuschenbachReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzDr. Scheer SchlagaSchlatterSchluckebier Frau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. Schmude Dr. Schöfberger SchreinerSchröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)Dr. Schwenk
SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SoellDr. Sperling Dr. SpöriStahl
Dr. Steger SteinerFrau SteinhauerStieglerStobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vahlberg VerheugenDr. Vogel VogelsangVoigt
VosenWaltemathe WaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphal Frau WeyelWieczorek Wiefelvon der WiescheWimmer WischnewskiDr. de With Wolfram
WürtzZanderZeitlerFrau ZuttDIE GRÜNENFrau Beck-Oberdorf Burgmann DrabiniokDr. Ehmke Fischer (Frankfurt)Frau GottwaldFrau Dr. HickelHoracekHossDr. Jannsen Kleinert KrizsanFrau NickelsFrau PotthastReentsFrau Reetz SchilySchneider
Frau Schoppe SchwenningerStratmannVerheyen
Vogt Frau Dr. VollmerfraktionslosHandlosVoigt
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5059
Vizepräsident WestphalDamit ist der Antrag angenommen worden.Wir fahren fort in unserer Debatte.Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schmidt .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Wenn ich das jetzt nicht ganz so getragen kann wie mein Vorredner, seien Sie versichert, daß es mir genauso Ernst ist.Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Der von der sozialliberalen Koalition reformierte § 218 hatte zum Ziel, Frauen zu helfen, Leben von Frauen und Kindern zu retten. Auch Sozialdemokraten wollen keine Schwangerschaftsabbrüche, sondern wollen Abtreibungen und ungewollte Schwangerschaften verhindern.
Wir wissen, wie groß die psychische Belastung für jede Frau ist, die ungewollt schwanger wird. Ich wende mich gegen das Männergeschwätz — und ich bin dankbar, Herr Kroll-Schlüter, daß Sie das hier auch klargemacht haben — und gegen das Stammtischgerede, das suggeriert, Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen, täten dies leichtfertig oder gewissenlos, z. B. wegen eines sonst verpaßten Skiurlaubs — hat man in letzter Zeit alles schon gehört, haben wir alle schon in Drucksachen bekommen — oder um ein Leben in materiellem Wohlstand fortführen zu können.
— Es ist eben nicht so!
Frauen leiden unter dieser Entscheidung, egal, wie sie sie treffen. Frauen sind in psychischer, physischer und auch materieller Not bei einer ungewollten Schwangerschaft.Warum fällt es uns, den Sozialdemokraten, also schwer, eine Stiftung, mit der solchen Frauen angeblich geholfen werden soll, zu begrüßen?
Es ist erstens, Herr Dr. Geißler, der lächerliche Betrag, den wir kritisieren. Wie wollen Sie denn mit durchschnittlich 1 000 bis 2 000 DM Frauen in Notlagen wirklich helfen? 25 bzw. 50 Milliönchen sollen die Frauen bekommen, dieselben Frauen, bei denen Sie vorher allein 350 Millionen DM beim Mutterschaftsurlaubsgeld eingesammelt haben,
dieselben Frauen und Familien, denen Sie Milliardenbeträge durch den BAföG-Kahlschlag, durch die Sozialhilfekürzungen für Eltern mit behinderten Kindern, durch Reduzierung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, durch Kürzung des Kindergeldes für Frührentner, durch zu spät angepaßtesWohngeld, um nur einiges weniges hier zu nennen, abgenommen haben.
Sie, Herr Dr. Geißler, sagen in der Gesetzesbegründung, bei einem Bruttosozialprodukt von 1,5 Billionen DM — eine Zahl, die sich keiner von uns vorstellen kann — dürfte keine Frau aus wirtschaftlicher Not zu einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen werden — wie wahr! —, und stellen dann 25 Millionen DM, nicht einmal zwei Promille dieser Summe, zur Verfügung. Für ein paar Strampelhosen, ein Kinderbett, ein paar Windeln ist weder der Schutz des ungeborenen Lebens noch Familienpolitik, ja nicht einmal Bevölkerungspolitik zu haben.
Es ist eine Schande, Herr Dr. Geißler, durch die Einsparung von zwei bis drei Milliarden DM erst die Not dieser Frauen und dieser Familien zu vergrößern, um ihnen dann als Almosen 25 läppische Millionen zurückzugeben.
Ich sage „Almosen", denn ein Rechtsanspruch — und da wird es dann gefährlich —, ein Rechtsanspruch auf diese Hilfe für diese Frauen gibt es nicht.
Frauen in einer schwierigen, für sie ungeheuer belastenden Situation werden weiter gedemütigt als rechtlose Bittstellerinnen.
Und unsere zweite Kritik: Die Stiftung hat zum Ziel, Frauen Hilfe zum Mutterwerden — in sehr eingeschränkter Form — zu geben. Es geht doch aber nicht vorrangig um Hilfe, um Mutter werden zu können, sondern um Hilfe, um Mutter und Vater sein zu können.
Frauen sehen sich doch meist nicht wegen fehlender tausend Mark zum Schwangerschaftsabbruch gezwungen. Das bestätigen auch die katholischen Beratungsstellen, Herr Kroll-Schlüter. Sie sagen nämlich: Die materielle Not, der durch solche Beträge abgeholfen werden kann, ist in den Beratungsgesprächen nicht vorrangig. Soziale Indikation kann man eben nicht auf den Begriff Geldmangel verkürzen.Wie wollen Sie denn mit tausend Mark helfen, der Frau mit der vielleicht kinderreichen Familie eine ausreichende Wohnung zu verschaffen? Mieten in München für eine Vier-Zimmer-Wohnung für eine Familie mit drei Kindern für 1200, 1300, 1 400 DM sind keine Seltenheit, ebenso wenig wie die reihenweise erscheinenden Angebote ebensolcher Vier-Zimmer-Wohnungen für deutsche Ehepaare mittleren Alters ohne Kinder. Da erreichen Sie doch mit Ihrer Stiftung nichts.
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5060 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Frau Schmidt
Da müßten Sie doch eine andere Wohnungsbaupolitik betreiben, weg von dieser reinrassigen Eigentumsideologie, die nur den Gutverdienenden und den Ehen, in denen beide Partner arbeiten können, zugute kommt, hin zu einer Förderung des sozialen Wohnungsbaus.
Frau Abgeordnete Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?
Ja. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.
Frau Kollegin Schmidt, würden Sie es denn begrüßen, wenn diese Stiftung in Zusammenarbeit mit einer Landesstiftung und mit einer Stiftung, die es auch in den Rathäusern gibt, sofern dort die CDU regiert, diese notwendigen Beträge aufbringen würde?
Herr Kroll-Schlüter, wir möchten gern, daß die Sozialpolitik wieder in den Stand versetzt wird, daß die Familien eben nicht in Not sind. Wir wollen keine Stiftungen; wir wollen Rechtsansprüche.
Wie helfen Sie mit 2 000 DM, Herr Kroll-Schlüter, z. B. einer Familie, die ein erstes behindertes Kind hat, einer Frau, die Angst hat, auch ihr nächstes Kind könnte behindert sein, einer Frau, die dann nicht nur diese Angst haben muß, sondern auch ganz klar vor Augen hat, was diese Regierung mit Behinderten für eine Politik macht, die das ganz klar sieht und weiß, was es für ihr Kind bedeutet? Und was helfen da 5 000 DM, der eventuell erreichbare Höchstbetrag, einer jungen alleinstehenden Frau am Anfang ihrer Ausbildung, der Sie das BAföG gestrichen haben, die mit eigener Arbeit ihre Ausbildung finanzieren muß? Und was helfen 1 000, 2 000, 3 000 DM der 45jährigen Frau — und jetzt bitte ich vor allen Dingen die Kolleginnen von der CDU/CSU auch mal zuzuhören — mit drei Kindern, die von ihrem Mann vergewaltigt wurde und die die Kraft für ein viertes Kind nicht mehr hat? Warum helfen Sie diesen Frauen nicht? Sie hatten die Gelegenheit, indem Sie Vergewaltigung in der Ehe bestrafen und damit das Bewußtsein in dieser Gesellschaft verändern konnten.
Wie kann diese Stiftung Frauen helfen, für die ein weiteres Kind das endgültige Ausscheiden aus dem Beruf bedeutet, deren Mann von Arbeitslosigkeit bedroht oder arbeitslos ist? Wie können Sie für diese Frauen ihre Hilfe glaubwürdig machen, wenn Sie gleichzeitig Erziehungsgelder ankündigen, die an das Aufgeben des Arbeitsplatzes gebunden sind, die keine Arbeitsplatzgarantie und keine Wiedereinstellungsgarantie enthalten?
Frauen lassen sich das auch nicht mehr gefallen. Wir dulden nicht mehr still, wollen für dieses stille Dulden, das wir nicht mehr haben, auch nicht mehr gelobt werden weder vom Bundeskanzler noch vom Minister. Die heutigen Mütter gehen auf die Straße. Sie protestieren, wie die Demonstrationen der DGB-Frauen und erst kürzlich am 12. Mai der alternative Muttertag gezeigt haben.
— Auch die mögen hin und wieder Mütter und Betroffene sein.So haben die katholischen und die evangelischen Familienverbände recht, die sagen: Der wirksamste Beitrag der Politik zum Schutz des werdenden Lebens und der werdenden Mütter ist eine gute Familienpolitik;
und ich füge hinzu: auch eine gute Frauenpolitik.Und so haben denn Pro Familia, Arbeiterwohlfahrt, die Verbände der freien Wohlfahrtspflege ebenfalls recht mit ihrer Kritik an dieser Stiftung, die die Notlage von Frauen auf wirtschaftliche Not geringen Ausmaßes reduziert, die eine Entwicklung hin zu Sozialleistungen ohne demokratische Kontrolle, also hin zu willkürlichen Leistungen und weg von sozialstaatlichen Rechtsansprüchen ist.Unisono fordern alle Verbände eine bessere Familienpolitik. Sie haben sie j a auch mal wieder angekündigt. Der Familienminister hat in der Debatte des Bundesrates über die Stiftung ja auch zugestanden, daß es diese Defizite gibt, und gesagt, sie seien nicht das Ergebnis der letzten 15 Monate. Das behaupten wir doch auch gar nicht. Familienpolitik ist auch zu unseren Regierungszeiten in manchen Fällen und in manchen bedauernswerten Fällen am Finanzminister gescheitert. Aber sollte es Sie, Herr Kroll-Schlüter, und den Herrn Dr. Geißler nicht wenigstens nachdenklich machen, daß es gerade in diesen 15 Monaten Ihrer Regierungszeit, Ihrer Familienpolitik, den Aufschrei der Betroffenen gegeben hat, den Entwurf eines Notprogramms für Familien? Meinen Sie nicht auch, daß das etwas mit der Politik dieser konservativen Regierung zu tun hat, die Wertewandel auf ihr Banner geschrieben hat und die die Familie durch ihre Sozialpolitik entwertet, dieser Politik der Umverteilung von unten nach oben, die vorhandene Unzulänglichkeiten, die wir gar nicht bestreiten, und vorhandene Ungerechtigkeiten, die wir auch nicht bestreiten, drastisch verschärft hat und zur Notsituation hat werden lassen?Kommen Sie mir doch nicht immer mit dem ausgelutschten Argument der Erblast und der leeren Kassen!
Das Geld ist doch da für die Senkung der Vermögensteuer, für Geldgeschenke an Großbauern und — heute erst beschlossen — für einen neuen Panzerabwehrhubschrauber; überall Milliardenbeträge. Die Prioritäten dieser Regierung werden deutlich.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5061
Frau Schmidt
Familie heißen die Prioritäten nicht. Da hilft auch die Ankündigung des Familienlastenausgleichs nichts mehr. Frauen, Mütter und Familien lassen sich nicht länger von Ihnen verhohnepiepeln. Die 7,22 DM, die eine durchschnittliche Familie mehr bekäme, angereichert durch ein etwas höheres Kindergeld, verdienen doch den Namen Lastenausgleich nicht, um so weniger, als gleichzeitig Verbrauchsteuern angehoben werden sollen; wenn nicht, wird die sogenannte Entlastung niedriger ausfallen. Die Frauen und Familien in Not, die mit 25 Millionen DM abgespeist werden sollen, wissen inzwischen, wem Steuerreform und Familienlastenausgleich zugute kommen werden, denen nämlich, die garantiert nicht in Not sind.Nun noch unsere dritte Kritik an dieser Stiftung. Wir werden den Verdacht nicht los, daß der sozialen Indikation auf kaltem Wege der Garaus gemacht werden soll nach dem Motto: Wer trotz des Hilfsangebots der Stiftung eine Schwangerschaft abbrechen will, bei dem liegt eine soziale Indikation nicht vor. Schwangerschaft und Kindererziehung zu Sozialhilfebedingungen — mehr ist mit der Stiftung nicht möglich — werden als Regelfall der Zumutbarkeit für das Austragen unerwünschter Schwangerschaften festgelegt, wie Pro Familia in einem Gutachten richtig feststellt. So werden die Zusammenhänge klar. Unser nächster Tagesordnungspunkt heute, der Antrag von CDU/CSU-Abgeordneten, bei sozialer Indikation keine Bezahlung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Krankenkasse, zeigt, wohin die Reise gehen soll.Es wird auch klar, daß hier Bevölkerungspolitik betrieben werden soll. Das wird auch vor dem Hintergrund der übrigen Empfehlungen der interministeriellen Arbeitsgruppe zum Schutz des ungeborenen Lebens klar, die offensichtlich geheime Verschlußsache sind. Das sind Empfehlungen zur Erleichterung des Adoptionsrechtes, zur Kampagne zur Weggabe unerwünschter Kinder — man muß sich das einmal vorstellen! — offensichtlich von Männern erdacht, auf Produktion von Kindern gerichtet, Empfehlungen, die jede Sensibilität, jedes Einfühlungsvermögen in die Situation von Frauen vermissen lassen
und den Müttern in Not nicht helfen, sondern ihre Nöte vergrößern werden.Die beste Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen ist, daß ungewollte Schwangerschaften gar nicht entstehen. Das heißt, man muß junge Frauen und vor allem auch junge Männer zu verantwortlichem Sexualverhalten erziehen, über Empfängnisverhütung aufklären,
und man darf dies dann nicht an Geldmangel scheitern lassen.
Auch hierzu steht die Politik des Familienministers und der Union in einem diametralen Gegensatz.
— Ich sage Ihnen das gleich, Herr Werner. — Aufklärungsmaterialien von Fachleuten, als die bisher besten bezeichnet, wurden eingestampft. Die unter bestimmter Voraussetzung kostenlose Ausgabe von Verhütungsmitteln wurde als nicht vereinbar mit den Grundsätzen der Union bezeichnet.Ein weiteres Indiz: Schwangere in vergleichbar schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen, die keinen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, werden keine Hilfen aus den Mitteln der Stiftung erhalten.Alles in allem: die Stiftung eben doch als Mittel der Bevölkerungspolitik und nicht als Hilfe für Mütter und Not.Wir können Sie nur auffordern: Schützen Sie das geborene Leben, indem Sie als ersten Schritt unseren Antrag vom Dezember letzten Jahres zum Wiedereinbeziehen von arbeitslosen Jugendlichen in die Krankenversicherung und den Kindergeldbezug in die Tat umsetzen.
— Ich weiß es doch. Wir geben auch zu, daß wir hier einen Fehler gemacht haben, einen Fehler, den wir zu korrigieren bereit waren, wo Sie nicht mitgemacht haben.
Schützen Sie das geborene Leben, indem Sie den Sozialabbau für Familien rückgängig machen, indem Sie den Lastenausgleich auf die Familien mit kleinen und mittleren Einkommen konzentrieren, indem Sie Arbeitslosigkeit endlich wirksam bekämpfen, indem Sie die Chancen für arbeitslose Jugendliche vergrößern und die Ängste der Mütter und Väter um die Zukunft ihrer Kinder verkleinern, indem Sie billige Wohnungen für kinderreiche Familien bauen. Wer das geborene Leben, wer die Familien in dieser Weise schützt, muß sich um den Schutz des Ungeborenen keine so großen Sorgen mehr machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Einbringung eines Gesetzentwurfes zu einer Stiftung „Mutter und Kind" hat viele Emotionen ausgelöst. Unterschiedliche Hoffnungen und Befürchtungen begleiten das Gesetz. Unterschiedliche Strategien und Unterstellungen werden angenommen. Das alles zeigt die Angst, daß an § 218 gewackelt wird, daß er verschärft wird. Bestrebungen dazu gibt es ja, wie der folgende Tagesordnungspunkt zeigt. Diese Befürchtungen gelten aber nicht für die Liberalen, gelten nicht für diese Koalition. Wir machen da nicht mit, weder direkt noch auf Umwegen.
Aber das ist mit diesem Gesetzentwurf auch nicht vorgesehen. Bereits bei der Diskussion um die Ver-
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Eimer
abschiedung der Reform um den § 218 gab es einen Punkt, bei dem eine große Gemeinsamkeit, ja Einmütigkeit herrschte. Er war ein Schwerpunkt dieser Debatten. Es waren die flankierenden Maßnahmen, um in Notlagen helfen zu können, sie zu beseitigen, ja sie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Diese Stiftung soll eine dieser flankierenden Maßnahmen werden.Aber aus unterschiedlichen politischen Richtungen kommen unterschiedliche Verdachte oder Unterstellungen auf, unterstellen nämlich die einen, man wolle mit einer Gebärprämie freie Entscheidungen einengen, die anderen, man wolle die Stiftung nur verhindern, um die soziale Indikation als Ausrede zu erhalten. Ich halte beide Bestrebungen und Meinungen um der Sache willen für gefährlich. Zum einen wird soziale Not durch mehr als nur durch finanziellen Mangel hervorgerufen. Beseitigung von finanzieller Not kann die soziale Indikation nicht abschaffen. Zum zweiten entziehen sich die Gründe für eine Abtreibung menschlicher Beurteilungen. Wer hier helfen will, darf nicht nach Gesinnung, nach Motiven fragen, sondern nur: Wie kann ich Not und Leid lindern?
Diese Stiftung will einen Beitrag dazu leisten.Frau Schmidt, die Familienpolitik, die Sozialpolitik aller vergangenen Regierungen und aller vergangenen Jahre hat diese Not nicht beseitigen können. Wir werden wahrscheinlich auch nie die Not beseitigen können, auf die sich viele Frauen berufen müssen.Zerreden wir das Gesetz nicht, weder von der einen noch von der anderen Seite! Ich möchte nochmals an die große Einmütigkeit erinnern, daß soziale flankierende Maßnahmen unerläßlich sind. Es soll ja wohl kein Lippenbekenntnis bleiben.Wir hätten keine dieser Befürchtungen, wenn nach unseren Vorstellungen eine Fristenlösung möglich gewesen wäre. Die Diskussion um das Für und das Gegen die Stiftung war bei dieser Rechtslage wohl zu erwarten.Aber lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt anfügen: Ich bin nicht sehr glücklich über den Persilschein, den die Indikationslösung für diejenigen ausstellt, die die Kriterien der Indikation erfüllen oder vorgeben, sie zu erfüllen. In Gewissensfragen sind Bestätigungen fehl am Platze. Die Fristenlösung war nach liberaler Sicht aber auch das Eingeständnis — das sollten wir auch hier wieder tun —, daß es Bereiche gibt, die sich der Beurteilung menschlicher Richter entziehen, das Eingeständnis, daß es auch ein Ende für menschliches Recht gibt. Wir wollten hier passen, weil wir die Verantwortung für Gewissen den einzelnen Frauen nicht abnehmen können. Viel mehr als die Freiheit sahen wir in der Fristenlösung die Verantwortung, die immer untrennbar mit Freiheit verbunden ist. Die Formel „Mein Bauch gehört mir" ist deshalb ' aus liberaler Sicht nicht zu verantworten, weil sie Verantwortung negiert.Ich habe viel Sympathie für Leute, die dafür werben, nicht abzutreiben, weil auch ungeborenes Leben zu schützen ist. Aber wenn ich dann auf Flugblättern lese „Was ist das für ein Staat, der das Töten von ungeborenem Leben zuläßt?", dann sinkt diese Sympathie, weil die Sensibilität für die Not der betroffenen Frauen fehlt, weil man eben nicht erkennen will, daß es Gerechtigkeit gibt, die sich unserem Richterspruch entzieht.Fragen müßten wir eigentlich anders: Was ist das für eine Gesellschaft, die Frauen in Angst bringt, ein Kind zu gebären, Angst vor materieller Not, Angst vor dem Gerede der Nachbarn, vor dem Alleinsein mit einem unehelichen Kind? Was ist das für eine Gesellschaft, die Frauen die Freude am Gebären eines Kindes vergällt? Das sind die Fragen, die wir wohl besser stellen sollten. Deswegen haben wir die Verpflichtung, die Not dieser Frauen durch die schon erwähnten flankierenden Maßnahmen zu beseitigen. Die vorgesehene Stiftung ist sicher nur ein kleiner Beitrag dazu, aber eben auch einer von vielen, nämlich zur Linderung materieller Not. Aber materielle Not ist nur ein Bruchteil der Nöte, denen eine Frau ausgesetzt ist, und viele andere Ursachen sind wesentlicher. Auch hier sind noch Maßnahmen erforderlich, weil sie durch diese Stiftung allein nicht gelöst werden.Welche Hoffnungen oder Befürchtungen diese Stiftung erfüllen wird, wird wesentlich von den Vergabekriterien abhängen. Wir wollen da mitreden. Die Stiftung soll nach unseren Vorstellungen eine Entscheidungshilfe für Frauen sein und Not mildern. Die Stiftung ist kein Rückzug von alten liberalen Positionen und wird es nie werden. Wir stimmen der Überweisung zu und wollen dieses Gesetz zügig beraten.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schoppe.
Herr Präsident! Liebe Frauen! Meine Herren! „Die Stiftung ,Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens' stellt ein besonders geeignetes Instrument dar, werdenden Müttern trotz vorhandener Konfliktsituationen durch finanzielle Hilfe die Fortsetzung der Schwangerschaft zu erleichtern." So steht es in der Begründung zum vorliegenden Gesetzentwurf. Wie wir von Experten, Herr Kroll-Schlüter — wo ist er? —, erfuhren, auch von denen aus katholischen Beratungsstellen, spielen materielle Gründe bei der Entscheidung über Schwangerschaftsabbrüche allerdings nur eine untergeordnete Rolle. In den wenigen Fällen, in denen finanzielle Hilfe wegen Verschuldung, andauernder Arbeitslosigkeit oder Abhängigkeit von der Sozialhilfe nötig wäre, kann die beschränkte Unterstützung aus der Stiftung, die dabei noch einmalig ist, nicht helfen.Die opulenten 25 Millionen DM Stiftungsgelder für 1984 werden wahrscheinlich Zuschüsse, wie wir schon gehört haben, von 2 000 bis höchstens 5 000 DM für die einzelnen Frauen bringen. Diese läppischen Beträge sind keine Hilfe, sie sind nur ein Gebärprämiensystem für schwangere Frauen. Wir
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Frau Schoppesollten nicht vergessen: Die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Welt. Sie nimmt mit ihrem pro Kopf erwirtschafteten Bruttosozialprodukt den fünften Platz auf der Weltrangliste ein.1976 erhob Heiner Geißler den Vorwurf, die bisherige Sozialpolitik habe nur die Mängellage beseitigt, die sich aus dem Arbeitsleben ergeben hätte, während andere, durchaus gravierende soziale Krisen weiter bestünden, vor allem auch deshalb, weil bestimmte soziale Interessen nicht organisiert vertreten würden und im allgemeinen Gerangel untergingen. Seine Analyse mündete in der Behauptung, es gebe eine „neue Armut". Der von ihm damals bezifferte Personenkreis belief sich auf 6 Millionen Menschen. Die Bedingungen dieser Armut charakterisierte er mit „weibliches Geschlecht, Alter und Kinderreichtum", womit er ohne Zweifel recht hat. Es bleibt allerdings die Frage, wieso damals z. B. die niedrigen Renten von Frauen eine neue Armut sein sollten. Die Altersarmut bei Frauen, die ansteigende Tendenz zeigt, gehört schon seit jeher zum Industriesystem.Den Nagel auf den Kopf traf er allerdings damit, daß trotz sozialpolitischer Bemühungen die Anzahl von Sozialhilfeempfängern und Obdachlosen weiter gestiegen war. Heute arbeiten Herr Kohl und seine Kumpane
erfolgreich daran, die Zahl der Sozialhilfeempfänger und Obdachlosen weiter zu vergrößern,
und Sie behaupten gleichzeitig hier, in der größten Schwindelbude der Nation — —
Frau Abgeordnete, ich muß Sie unterbrechen.
Ich kann das Wort „Kumpane" nicht zulassen; dies ist eine Abweichung von unserem parlamentarischen Verfahren. Ich rufe Sie zur Ordnung.
Nun ist es aber schon raus.
Frau Abgeordnete, man kann sich auch entschuldigen.
Entschuldigung für die Kumpane.
Und Sie behaupten gleichzeitig hier in der größten Schwindelbude der Nation,
mit dem Stiftungsgesetz ein besonders geeignetes Instrument der finanziellen Hilfe vorzulegen.
Wirksame finanzielle Hilfe könnte es vielleicht sein — —
Wirksame finanzielle Hilfe könnte es vielleicht sein, wenn die illegalen Parteispenden, von denen der Bundeskanzler — —
Frau Abgeordnete Schoppe, ich muß Sie noch einmal unterbrechen. Ich kann Ihnen nur raten, Ihr Manuskript langsamer vorzutragen, um nicht noch einmal so etwas zu sagen. Wir haben hier einen Ausdruck vernommen und haben kontrolliert, ob er stimmt. „Schwindelbude" kann hier nicht akzeptiert werden. Ich muß das sagen!
Es kommt hinzu, Frau Schoppe: dies ist der zweite Ordnungsruf in einer Debatte. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß bei einem dritten Ordnungsruf in derselben Debatte eine andere, weitergehende Maßnahme nach der Geschäftsordnung erfolgen wird.
Wirksame finanzielle Hilfe könnte es vielleicht sein, wenn die illegalen Parteispenden, von denen der Herr Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Diskussion um das geplatzte Amnestiegesetz behauptete, sie seien allen Altparteien — oder, wie sie sich immer gern selbst nennen, staatstragenden Parteien — zugute gekommen, in die Stiftung „Mutter und Kind" fließen würden. Aber das können Sie natürlich nicht zulassen. Sie brauchen das Geld, denn Ihre Politik muß auf Hochglanzbroschüren gedruckt werden, und es muß schon ein Kugelschreiber dazugegeben werden, wenn man sie überhaupt verkaufen will.Wirksame Leistungen zur Linderung der Not können nicht in einer einmaligen Zahlung bestehen, auf die zudem kein Rechtsanspruch besteht und bei der der Gleichheitsgrundsatz nicht gewahrt ist.
— Ich habe sehr wenig Zeit.
Kinder werden 18 bis 20 Jahre lang finanziell von den Eltern versorgt. Nach Berechnungen der deutschen Familienverbände kostet ein Kind in den ersten Jahren pro Monat 270 DM, und dieser Betrag steigert sich bis zum 18. Lebensjahr mindestens auf das Dreifache, also auf über 800 DM.
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5064 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Frau Schoppe1982 betrug die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen unter 25 Jahren — für die die Eltern sorgen müssen — 397 717. Heute beträgt diese Zahl 609 184. Wenn wir diese Zahlen hören und wissen, wie lange Eltern für Kinder sorgen müssen, ist es doch ein Hohn, den Frauen weismachen zu wollen, daß eine einmalige Almosengabe die finanziellen Krisen von Schwangerschaften und die Probleme, die durch die Kosten der Kinder entstehen, auch nur ansatzweise lösen könnte.Sie argumentieren damit, diese Stiftung sei kein Instrument im Rahmen von Familienpolitik, sondern nur eine flankierende Maßnahme dazu. Ich halte diese Stiftung für den Versuch eines — — O Gott, jetzt kommt wieder so etwas. Ich lasse den Satz weg.Ein Schuß Doppelmoral, meine Herren, ein Schuß Angstmacherei und ein finanzieller Happen, damit wollen Sie die Frauen dazu bringen, mehr Kinder zu gebären. Sie glauben doch wohl nicht ernsthaft, daß Sie damit die Produktion von Kindern ankurbeln könnten! Frauen lassen sich nicht ködern,
wie die Erfahrungen mit den Landesstiftungen bereits beweisen.
Die Mütterfalle, Herr Geißler, wird nicht zuschnappen.Familienpolitik braucht keine unterstützende Maßnahme. Es müssen die finanziellen und sozialen Bedürfnisse der Familien zur Kenntnis genommen werden; aber Sie sorgen sich hier ja mehr um die Unbescholtenheit von Steuerhinterziehern.
Die Sorge für die Kinder ist, meine Herrschaften, eine gesellschaftliche Aufgabe. Auf die Leistungen aus der Stiftung besteht — so heißt es in der Begründung dieses Gesetzentwurfs — kein Rechtsanspruch. Das ist die Abkehr von der staatlichen Zuständigkeit für rahmensetzende Sozialpolitik, das ist der Weg in frühkapitalistische Almosenpolitik. Die Armut ist zum größten Wachstumsfeld in unserer Gesellschaft geworden. Wo Millionen lockergemacht werden, wenn NATO-Strukturmaßnahmen gefordert werden, stiehlt sich der Staat aus der Verantwortung für soziale Ausgaben.Aber, meine Damen und Herren, dieses Gesetz soll nicht nur die Frauen zu mehr Gebärfreudigkeit — nach dem Motto „Leistung soll sich wieder lohnen" — überreden,
es soll auch das ungeborene Leben schützen. Sie propagieren den Schutz des ungeborenen Lebens und plädieren gleichzeitig für die politische Durchsetzbarkeit von Massenvernichtungssystemen und organisierter Friedlosigkeit.
Ihre Moral ist brüchig, und Ihr Respekt vor dem Schutz des Lebens äußerst wählerisch. Sie verdammen die Abtreibung, weil Sie die Gebärfähigkeit der Frauen als ein Stück unberührter Natur der Frau erhalten wollen,
und verrichten gleichzeitig gnadenlose Zerstörung an der Natur aus ökonomischen und politischen Zwecken.
Die Ergebnisse und vorgeschlagenen Maßnahmen der interministeriellen Arbeitsgruppe zum Schutz des ungeborenen Lebens zielen auf eine Erschwernis des Schwangerschaftsabbruchs. Sie wollen sich den Zugriff auf das Leben von Frauen weiter sichern, denn die Verstümmelung der Frau vom Kopf bis zum Uterus sichert Ihnen die Herrschaft über Frauen.
Die Abtreibung ist und bleibt auch für die Befürworterin ein prinzipieller Konflikt, in dessen Folge Beunruhigung und Zwiespältigkeit auftreten können.
Das ist der Hebel, wo Sie Ihre bigotten und Zweifel fördernden Praktiken ansetzen. Das Schuldbewußtsein vor Abtreibungen verhindert das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, und es nimmt den Kindern das Recht, erwünscht zur Welt zu kommen.Die Maßregelung der Frauen durch Paragraphen und Doppelmoral zeugt von wenig Zuversicht für die Frauen. Es wird ihnen nicht zugetraut, autonom eine Lebens- und lebenbejahende Entscheidung zu treffen. Das Gespenst der kindermordenden Frau geistert durch den Raum, ein Hirngespinst von Männern, die ihresgleichen kennen und sich nichts anderes vorstellen können.Ein anderer Gedanke ist mir noch wichtig.
Mit der Annahme der Schwangerschaft wird gelebte Sexualität der Frauen überdeckt mit Mütterlichkeit. Das ist Entsexualisierung von Frauen. Es kann nicht angehen, den Frauen einreden zu wollen, eine Liebestollerei mit Mutterschaft bezahlen zu müssen. Wenn abtreibende Frauen stigmatisiert werden, wird ihnen die allgemeine Verantwortung für die Folgen des landesüblichen Geschlechtsverkehrs übertragen.
Sie, meine Herren, haben den Gleichheitsgrundsatz,der im Grundgesetz verankert ist, in Ihren Köpfen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5065
Frau Schoppeabgetrieben. Das ist menschenverachtend, weil es frauenverachtend ist.
Ihr kleiner Beitrag, meine Herren, auf den Sie so stolz sind,
denn im Bett sind Sie ja alle Helden, wie wir aus Ihren Gesprächen entnehmen können, macht Sie zu Verursachern.
Nach dem Verursacherprinzip müßten Sie gleich viele Jahre für die Kinder sorgen, wie die Frauen es leisten müssen, und das tun nur wenige rühmliche Ausnahmen.Das Indikationsmodell ist ein fauler Kompromiß. Wir Frauen sind mündige Menschen, die den § 218 nicht brauchen, weil wir sorgsam und verantwortungsvoll entscheiden können.
Mit der Almosenvergabe aus der Stiftung werden Sie die Frauen nicht von den getroffenen Entscheidungen abbringen können. Das belegen die Ergebnisse. Aber der Versuch der Einwirkung deutet auf Männerphantasien, die Frauen für beeinflußbar halten, weil sie lebenslang kindisch, bevormundbar und unentschieden sind, eine Person, die formbar ist und sich männlichen Ansprüchen unterwirft. Da ist der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen. Das läuft nicht mehr, meine Herren. Ich bin sicher, auch Sie müssen sich zu Hause vom Gegenteil überzeugen.
Die Möglichkeit der Abtreibung wird durch alle Bevölkerungsschichten und Konfessionen genutzt. Warum verteufeln Sie die Abtreibung, wo doch Ihre Frauen, Freundinnen und Töchter schon davon Gebrauch gemacht haben oder die Möglichkeit dazu für sich akzeptiert haben?
Für diese Frauen ist es eine Notlösung gewesen. Wir fordern Sie auf, die 25 Millionen DM für die Stiftung zur Verfügung zu stellen,
um Verhütungsmethoden zu erforschen, die unschädlich sind, und raten Ihnen dringlich, am eigenen Körper zu verhüten oder sich risikoloseren Liebesspielen hinzugeben.
Wir fordern eine antipatriarchalische Sexualaufklärung für junge und erwachsene Männer und Frauen.
Wir fordern Sie auf, das Mutterschaftsgeld wieder zu erhöhen. Wir fordern ein bedarfsdeckendes Kindergeld. Wir fordern Elternfreistellung
mit Lohnausgleich und Arbeitsplatzgarantien. Wir fordern eine Verbesserung von kollektiven Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen. Wir fordern die Einrichtung von Elternschulen.Wir fordern Sie auf, dieses Almosengesetz zurückzuziehen, Ihre sozialpolitischen Kürzungsorgien aufzugeben und endlich einzusteigen in eine Sozialpolitik, die diesen Namen verdient hat.
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, muß ich den Abgeordneten Sauer für den Zwischenruf „Blödes Geschwätz" zur Ordnung rufen. Auch das gehört nicht hierher.
Zweitens möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich mir das Stenographische Protokoll sehr genau ansehen werde. Wir haben von Kollegen Mitteilungen über Zwischenrufe bekommen, die unmöglich sind. Wenn sie im Protokoll auftauchen, werden die entsprechenden Abgeordneten gerügt.Dazu gehört eventuell auch, lieber Herr Kollege Pfeffermann, das, was Sie gerufen haben, was ich von hier aber nicht richtig verstehen konnte. Ich werde das genauso wie andere Zwischenrufe prüfen lassen.
Es gibt nicht die Möglichkeit, den Präsidenten zu kritisieren. Das ist eine generelle Vereinbarung.Wir kommen zum nächsten Redner. Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
— Herr Bundesminister, einen Moment bitte.
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5066 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Vizepräsident WestphalHerr Pfeffermann, es gibt keine Möglichkeit, die Art der Geschäftsführung zu kritisieren.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ausführungen der Frau Kollegin Schoppe gerade gehört. Sicher steht es weder einem Mitglied der Bundesregierung noch einem Abgeordneten zu, den amtierenden Präsidenten zu kritisieren.
Ganz sicher hat der Herr Präsident hier recht. Ich will es auch nicht tun.
Aber ich will auf der anderen Seite meine Meinung sagen. Ich muß es nicht widerspruchslos hinnehmen, daß eine Kollegin in diesem Parlament die Behauptung aufstellt,
— Entschuldigung —, Abgeordnete dieses Parlaments träten
— oder die Abgeordneten, bezogen auf meine Fraktion —
für eine Verschärfung des § 218 ein, während ihre Töchter und ihre Frauen schon abgetrieben hätten bzw. das gewollt hätten.
Ich halte das für eine Äußerung, die absolut unqualifizierbar ist und gegen die Würde jedes einzelnen Abgeordneten gerichtet ist.
Diese Äußerung ist darüber hinaus auch eine Beleidigung für die Millionen von Frauen,
die nie in ihrem Leben an eine Abtreibung gedacht, sondern ja zu einem Kind gesagt und dieses Kind dann auch auf die Welt gebracht haben. Diese Frauen gibt es nämlich auch.
Wie ich mich überhaupt wundern muß, mit welcher Einfachheit Millionen von Frauen sozusagen vereinnahmt werden. Da werden ganze Bataillone,Regimenter, Armeen von Frauen aufgeführt und für eine bestimmte politische Richtung in Anspruch genommen,
zum großen Teil sogar der Wahrheit zuwider. Die Gruppierungen jedenfalls, die am letzten Sonntag, am Muttertag, oder am Vortag des Muttertages in Bonn aufmarschiert sind — ein paar tausend an der Zahl —, sind mit Sicherheit nicht repräsentativ für die Frauen in der Bundesrepublik Deutschland.
Auch was diese Stiftung anlangt: Wir können die Sache sehr kurz machen. Der Deutsche Frauenrat hat ein klares Ja zu dieser Stiftung gesagt,
ebenso der Sozialdienst Katholischer Frauen, das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Die Stiftung wird akzeptiert von den Beratungsstellen aller Wohlfahrtsverbände in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, auch in Nordrhein-Westfalen, in Hessen allerdings, das muß ich zugeben, bis jetzt nur von der Evangelischen Diakonie und der Caritas, dagegen nicht von Pro Familia und nicht von der Arbeiterwohlfahrt. Von Pro Familia wird diese Stiftung nicht akzeptiert.Ich habe Leserbriefe in meinen Heimatzeitungen, der „Rheinpfalz" oder der „Allgemeinen Zeitung", wegen empörender Äußerungen der Bundeszentrale von Pro Familia, in denen Mütter, in denen Frauen dieser Einrichtung den Vorwurf machen, her spreche offenbar nicht eine Einrichtung pro familia, sondern contra familiam.
Wir werden den Frauen in der Bundesrepublik Deutschland sehr deutlich sagen und klar machen, wer nun eigentlich dafür und dagegen ist, daß wir in einem ersten Schritt etwas Notwendiges tun; etwas zu tun, was im übrigen in dem von der letzten Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten als notwendig angesehen worden ist. Da ist doch eben die absurde und merkwürdige Behauptung aufgestellt worden, Abtreibung, Schwangerschaftsabbrüche in der Bundesrepublik Deutschland hätten zum geringsten etwas zu tun mit sozialen Notlagen. Ich möchte einmal gerne wissen, woher diejenigen, die heute abend diese Behauptung aufgestellt haben, ihre Weisheit haben. Das Gutachten, das im Auftrag der letzten Bundesregierung erstellt worden ist, führt folgendes aus: „Als durch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation bedingte Belastungen sind auf Grund verschiedener Untersuchungen und Erfahrungen der Beratungsstellen" genannt worden — der Beratungsstellen, nicht irgendwelcher Untersuchungen und Ideologien hochpolitisierter Randzirkel, sondern auf Grund der „Erfahrungen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5067
Bundesminister Dr. Geißlerder Beratungsstellen", auch nicht, ich wiederhole den Ausdruck, auf Grund irgendwelcher Emanationen verklemmter Feministinnen", sondern „auf Grund der Erfahrungen der Beratungsstellen in der Bundesrepublik Deutschland" — —
— Wenn Sie sich als eine solche begreifen, dann ist das Ihr Bier. Das ist Ihre Sache.
— Ich habe Sie doch gar nicht angesprochen. Wenn Sie sich angesprochen fühlen, ist das Ihre Sache.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, stekken Sie ruhig einmal etwas ein.
— Ich darf Sie ganz kurz um Ruhe bitten. Ich weiß ja schon, warum Sie sich aufregen. Also: Die GRÜNEN haben eine Presseerklärung abgegeben. Die will ich dem Parlament gern einmal bekanntgeben, falls noch niemand von Ihnen diese Erklärung gelesen hat. Die GRÜNEN sehen in dem Gesetzentwurf der „alten Männer" einen Angriff auf die Familienberatungsstellen. Ich möchte zunächst einmal die Frage stellen: Was haben Sie eigentlich gegen alte Männer?
Wenn Sie z. B. in Ihre Fraktion hineinsehen: mit großen Rauschebärten.
— Ich will einmal etwas ganz deutlich sagen: Die Christlich-Demokratische Union und die Koalitionsfraktionen haben weder etwas gegen alte Männer, wir haben auch nichts gegen alte Frauen; wir haben auch nichts gegen junge Frauen,
— Verehrte Frau Nickels, Frau Hickel, Frau Vollmer, Frau Schoppe: Alt werden wir alle miteinander. Sie schauen zum Teil ganz passabel aus, das ist richtig.
Aber was alte Leute anbelangt: Der Zahn der Zeit nagt auch bei Ihnen ganz schön.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Blunck.
Nein, ich muß jetzt fortfahren. — Seien wir doch miteinander nicht ganz unglücklich, daß wir dieses Kapitel von Jung und Alt nun etwas abgehandelt haben.
Jetzt will ich noch etwas zu dem sagen
— hören Sie ruhig zu —, was Sie hier in Ihrer Presseerklärung
und auch schon bei der letzten Bundestagsdebatte zur Frauenpolitik zum Ausdruck gebracht haben, wo Sie auch den Begriff des Alters eingebracht haben. Ich wünsche mir, daß möglichst viele der zwölf Millionen alten Frauen und Männer in der Bundesrepublik Deutschland Ihren Hochmut einmal zur Kenntnis nähmen,
den Sie hier ständig gegenüber Männern und Frauen an den Tag legen, die nach einem schweren, verlorenen Krieg dieses Land aufgebaut haben und auf deren Schultern auch Sie stehen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Würtz?
Herr Präsident, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu. — Sie wissen ganz genau, daß ich sonst auf Zwischenfragen eingehe.
Aber ich weiß, was damit gemeint ist.So, meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt ist das Heu runter, und ich komme zur Sache.
Damit wir gleich von vornherein Klarheit schaffen, auch für die künftige Debatte:
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5068 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Bundesminister Dr. GeißlerDie jetzt von der Bundesregierung vorgeschlagene Stiftung „Mutter und Kind" ist natürlich — weil immer wieder gesagt worden ist, mit den 50 Millionen DM könne man nichts ausrichten —, wie von dieser Stelle schon mehrfach gesagt worden ist, ein Baustein eines Programms, das die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode verwirklichen wird.
Ziel dieser Politik ist es
— ja, wir müssen doch einmal anfangen und einen Schritt nach dem anderen tun —, die durch den Staat möglichen rechtlichen und sozialen Voraussetzungen dafür zu schaffen,
daß in der Bundesrepublik Deutschland keine Frau deswegen, weil sie ein Kind bekommt, in eine soziale Konfliktsituation gerät.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie daran mitzuarbeiten. Warum sind Sie denn dagegen, daß jetzt auch in dieser Form für eine begrenzte Aufgabe eine entscheidende Hilfe gewährleistet werden kann?
— Verehrte gnädige Frau, es hat doch gar keinen Sinn, daß Sie mir dauernd dazwischenschreien. Jetzt lassen Sie mich doch mal einen Satz ungestört zu Ende reden.
Denn wenn Sie Ihr eigenes Gutachten ernst nehmen, dann ist doch ganz eindeutig, daß gerade von den Beratungsstellen her soziale Notlagen als Ursachen für Konfliktsituationen angegeben werden, aus denen heraus sich für viele Frauen der Gedanke entwickelt, einer Schwangerschaftsunterbrechung näherzutreten. Deswegen ist es doch ein richtiger Gedanke, mit dieser Stiftung die Probleme, die Sie nicht durch die Gewährleistung von Rechtsansprüchen bewältigen, lösen zu können.
Ich bin nun wirklich alter Sozialpolitiker. Mir tut esleid, daß der Herr Glombig nicht mehr da ist. Aberwir haben doch — lassen Sie sich das doch einmal von mir sagen — in unserer Sozialpolitik — —
— Sehen Sie, Herr Präsident, die Dame läßt mich einfach nicht reden. Die kann nicht zuhören. Aber es gehört wohl zu den Eigenschaften hier — —
Herr Minister, wenn ich Sie einen Moment unterbrechen darf — es ist doch ein bißchen unverständlich, daß eines der ernstesten Themen unser Haus auf allen Seiten immer wieder in solche Situationen und Stimmungen versetzt. Ich kann nur nach allen Richtungen appellieren, so bei unseren Verfahrensweisen zu bleiben, daß wir hinterher noch in den Spiegel gucken und uns anerkennen können.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben — um gleich auf dieses Problem einzugehen — in der Sozialpolitik schon immer eine Kombination von gesetzlichen Leistungen und freiwilligen Leistungen gehabt. Dies ist überhaupt nichts Neues. Im Jugendwohlfahrtsgesetz und in Ländergesetzen haben wir immer eine Kombination von gesetzlichen Ansprüchen und freiwilligen Leistungen. Niemand bestreitet, daß diese Bundesstiftung freiwillige Leistungen gewährt. Aber durch diese Bundesstiftung wird nicht eine einzige gesetzliche Leistung beeinträchtig, sondern die Bundesstiftung ergänzt das, was wir an gesetzlichen Leistungen haben.
Selbstverständlich können Staat und Gesellschaft nicht alle Probleme und Konflikte lösen, die mit einer Schwangerschaft verbunden sind. Aber ich finde, es ist schwer erträglich — ich sage es noch einmal —, wenn in einem reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen werdendes Leben zerstört wird.
Infolgedessen müssen wir — das ist unsere Konzeption — die Situation für die Familien und für die Frauen, die ein Kind bekommen, verbessern. Die Stiftung „Mutter und Kind" wird in dieser Legislaturperiode ergänzt werden. Jetzt sage ich es zum drittenmal, im Namen der Bundesregierung.
Was hat denn die Debatte in einem Parlament eigentlich für einen Sinn, wenn einfach das weggelassen wird, was die Bundesregierung hier offiziell mehrfach erklärt hat? Die Stiftung „Mutter und Kind" wird in dieser Legislaturperiode durch die steuerliche Entlastung der Familien mit Kindern ergänzt werden,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5069
Bundesminister Dr. Geißlerselbstverständlich nicht in der Größenordnung von 7,50 DM, sondern bei einem Steuerfreibetrag von mindestens 2 400 DM — rechnen Sie es in einer ruhigen Stunde nach, wenn Sie nicht mehr so aufgeregt sind — bei einem Proportionalsteuersatz von 22 % macht das mindestens 44 DM im Monat aus. Das heißt, allein beim ersten Kind wird durch den Kinderfreibetrag von 2 400 DM das Kindergeld de facto verdoppelt. Was reden Sie denn hier von 7,50 DM!Die Kindergelderhöhung für einkommensschwache Familien ist der zweite Schritt. Wir werden das Mutterschaftsgeld ausweiten und damit — das tut mir jetzt leid, verehrte, gnädige Frau — das von Ihnen geschaffene Zweiklassenrecht für Frauen beseitigen. Das haben Sie gemacht, nicht wir.
Ich wiederhole, es ist schwer erträglich, daß nur eine bestimmte Zahl von Frauen das Mutterschaftsgeld bekommt und andere eben nicht, aus einer relativ einseitigen Überlegung heraus, aber nur, wenn man ideologisch fixiert ist, indem man nämlich den Menschen als produzierendes Wesen definiert. Das heißt, daß nur diejenigen Menschen in den Genuß einer gesetzlichen Leistung kommen, die sozusagen im Produktionsprozeß stehen —
das ist der alte marxistische rote Faden —, während die anderen, die Bäuerin, die Winzerin, die Handwerkersfrau z. B., das Mutterschaftsgeld nicht bekommen. Das sind verspätete Auswirkungen einer marxistischen Ideologie, die Sie in Ihrer Emanzipationspolitik noch nicht überwunden haben.
Wir werden in dieser Legislaturperiode ein Erziehungsgeld einführen. Das gehört zu den wichtigsten Punkten im Programm der Bundesregierung.
Wie kommen Sie eigentlich dazu, ständig zu behaupten, diese 50 Millionen seien sozusagen der zentrale Punkt, das ein und alles unseres Familienlastenausgleichs? Sie wissen doch ganz genau, daß dies nicht wahr ist. Sie tragen das hier halt vor, weil das in Ihr demagogisches Arsenal hineinpaßt. Mit der Wahrheit hat dies aber überhaupt nichts zu tun.
In der Bundesrepublik Deutschland werden fast 80% der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche mit sonstigen schweren Notlagen begründet. Ich finde, dies ist ein Signal für die Gesellschaft der Bundesrepublik, und zwar kein positives, sondern ein negatives.
Es ist auch ein Signal an die Adresse der Familien,an die Adresse der Gesellschaft, der Ehepartner,der Freunde, der Gemeinden und anderer gesellschaftlicher Gruppierungen.Es ist bedrückend — unterhalten Sie sich einmal mit den Beratungstellen —, wenn uns die Beraterinnen und die Ärzte sagen, daß viele werdende Mütter ihr Kind eigentlich zur Welt bringen möchten, es aber trotzdem schließlich abtreiben lassen, weil sie vom Vater des Kindes, von ihren Eltern und Geschwistern, von Freunden und Arbeitskollegen zum Schwangerschaftsabbruch gedrängt werden. Ich finde, es ist ein Zeichen von Kälte und Beziehungslosigkeit in unserer Gesellschaft, wenn werdende Mütter, die Verständnis und Hilfe erwarten, im Stich gelassen werden.Da brauchen Sie uns gar nichts zu sagen. Wir wissen aus vielen Untersuchungen und Selbstzeugnissen, daß Abtreibung für die meisten Frauen kein leichter Weg und oft nur der letzte Ausweg ist. Gerade wegen des Lebens des werdenden Kindes, aber auch wegen der Mutter, wegen der Frau müssen wir die Bedingungen, unter denen solche Entscheidungen getroffen werden, entscheidend verbessern. Dazu gehören auch die sozialen Verhältnisse.Sollen wir nun in der Tat auch bei dieser wichtigen Debatte, von der ich eigentlich erhofft hätte, daß wir uns im Ziel einig sein könnten, diese ewige sozialpolitische Debatte darüber, wer was wo bei wem gestrichen hat, hier ständig repetieren? — Frau Schmidt und Herr Duve, Sie nicken. Wissen Sie, jetzt will ich Ihnen einmal folgendes sagen.
— Herr Conradi, Sie müßten ja eigentlich schamrot werden. — Wenn Sie an der Regierung sind, streichen Sie das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche ab 18 Jahren, dann kürzen Sie das Kindergeld für den Generaldirektor wie für den Hilfsarbeiter um 20 DM beim zweiten und beim dritten Kind. Wenn Sie in der Opposition sind, stellen Sie Anträge, um dies wieder zu reparieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist nichts anderes als üble Demagogie und sonst gar nichts.
— Wollen Sie das vielleicht bestreiten, Herr Duve? Dann sagen Sie es doch! Haben Sie für die 18jährigen Arbeitslosen das Kindergeld gekürzt? Wer war es denn? Sie sind es doch gewesen.
Wer hat die 20 DM Kindergeld gekürzt? Waren Sie es oder waren wir es? Die Antwort können Sie sich selber geben.
— Ersparen Sie sich hier Ihre Zwischenfragen! Sie können sich die Antwort selber geben; ich brauche sie Ihnen nicht zu geben.
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5070 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu.Über die Sozialhilfe haben wir uns auch schon unterhalten. Da waren wir mitschuldig, aber Sie haben das genauso entschieden. Die Deckelung der Sozialhilfe bei den Regelsätzen haben Sie genauso gemacht.
Diese Bundesregierung hat dem Parlament vorgeschlagen, ab 1. Juli dieses Jahres die Deckelung der Sozialhilfesätze wieder zu beseitigen, und das Parlament hat entsprechend beschlossen. Das heißt: Wir werden seit 1981 in der Sozialhilfe zum erstenmal wieder die Möglichkeit haben, daß sich die Regelsätze der Steigerung der Lebenshaltungskosten anpassen, im Gegensatz zu dem, was in der Zeit eingerissen ist, in der Sie an der Regierung gewesen sind.
Dann kommt die Frau Schmidt daher und erklärt plötzlich, wir hätten die Familien bei der Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe benachteiligt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch dies entspricht doch einfach nicht der Wahrheit. Das Arbeitslosengeld ist gekürzt worden — das ist richtig —, aber nur für Alleinstehende und für kinderlos Verheiratete. Für Familien mit Kindern ist das Arbeitslosengeld nicht gekürzt worden. Sagen Sie doch endlich einmal die Wahrheit!
Sie erzählen hier lauter Sachen, die nicht stimmen.Wenn nun in der Verzerrung dieser Tatsachen gegen die Stiftung eingewandt wird, so wie Sie es heute auch wieder getan haben, die Bundesregierung gebe 50 Millionen DM pro Jahr für die Stiftung, nachdem sie vorher in Höhe von 350 Millionen DM das Mutterschaftsgeld gekürzt habe, so ist dies zwar ein wirksames und vom ersten Augenschein her auch rechnerisch richtiges Argument, es enthüllt sich aber als eine sehr kurzlebige demagogische Seifenblase, da die Verfechter dieses Arguments bewußt unterschlagen, daß die Bundesregierung — ich sage es jetzt noch einmal — gleichzeitig das Mutterschaftsgeld für alle Frauen in dieser Legislaturperiode ausdehnen wird, daß wir in dieser Legislaturperiode ein Erziehungsgeld einführen werden. Jetzt sage ich Ihnen folgendes: Allein die von der Bundesregierung vorgesehene steuerliche Entlastung für die Familien und die zusätzlichen Leistungen im Bundeshaushalt werden die vorübergehenden Kürzungen beim Mutterschaftsgeld um mehr als das Zwanzigfache ausgleichen.
Deswegen lassen Sie bitte diese Argumentation bleiben!Es ist deshalb überflüssig, wenn der Bundesregierung im Zusammenhang mit der hier zur Debatte stehenden Errichtung einer Bundesstiftung immer wieder entgegengehalten wird, eine solche Stiftung könne notwendige Verbesserungen für alle Familien nicht ersetzen. Wir haben so etwas nie behauptet. Ohne unser Gesamtprogramm in der Familienpolitik wäre diese Stiftung in der Tat ein Torso.Ich habe das Notwendige gesagt, meine sehr verehrten Damen und Herren,
was auch zu der Abgrenzung von Rechtsansprüchen und freiwilligen Leistungen zu sagen ist. Wir appellieren an alle, zu dieser Stiftung doch nun wirklich ja zu sagen, die, wie gesagt, keine Rechtsansprüche ersetzen, sondern in konkreten Situationen die Beratungsstellen in die Lage versetzen soll, wirksam zu helfen. Das ist doch die Situation, die wir bei den Beratungsstellen vorfinden. Die Stiftung ist doch nicht deshalb entstanden, weil irgend jemandem in der Bundesregierung etwas eingefallen ist, sondern weil wir von den Beratungsstellen wissen, daß sie auf solche unbürokratischen Hilfen angewiesen sind, die eben keine Rechtsansprüche darstellen — dann kann man mit ihnen eben auch flexibel, unbürokratisch umgehen, braucht nicht dauernd auf Bürokratien Rücksicht zu nehmen, sondern kann, um es auf deutsch zu sagen, auch mal fünfe gerade sein lassen, um einem Menschen zu helfen, dem man mit der Ausformung und Ausgestaltung von Rechtsansprüchen nicht helfen könnte.
Dies ist ebenfalls eine Erfahrung in der Sozialpolitik.
— Wenn Sie so etwas sagen, haben Sie von der Sozialpolitik keine Ahnung. Die meisten sozialpolitischen Leistungen der Kommunen sind freiwillige Leistungen.
Wollen Sie das denn nun alles in Abrede stellen? Fast alle sozialen Leistungen der Kommunen sind freiwillige Leistungen. Und ich sage: Gott sei Dank haben wir diese freiwilligen Leistungen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bundesstiftung arbeitet Gott sei Dank nicht allein. Sie wird ergänzt durch sehr attraktive und gute Stiftungen in einzelnen Bundesländern, durch die Stiftungen in Bayern, in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz, in Schleswig-Holstein, im Saarland, in Berlin und in Niedersachsen. Alle Beratungsstellen in diesen Ländern haben diese Landesstiftungen begrüßt.
Ich hätte eigentlich nur den Wunsch, daß endlich die sozial-demokratisch regierten Länder — ich nenne sie jetzt namentlich: Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und Bremen — dieselbe Verpflichtung gegenüber den Frauen übernehmen, wie
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5071
Bundesminister Geißleres die christlich-demokratisch regierten Länder längst getan haben.
Sie erreichen für die Frauen, die ein Kind bekommen, mehr, wenn Sie solche Stiftungen in den Ländern, in denen Sie die Verantwortung tragen, ebenfalls einrichten und zu dieser Bundesstiftung ja sagen.Es entspricht unserer Verantwortung für die Grundwerte unserer Verfassung, daß wir für den Schutz des ungeborenen Lebens mehr tun müssen. Ich würde mir wünschen, daß Sie jetzt bei dieser Stiftung mitmachen. Denn was wird mit dieser Stiftung anderes getan, als zu helfen? Wir nehmen niemandem etwas weg — im Gegenteil, wir wollen mehr Hilfe geben.
Sie sind dagegen, daß den Frauen mehr Hilfe geboten wird, wenn sie bei den Beratungsstellen Hilfe suchen! Das müssen Sie vor den Millionen Frauen in der Bundesrepublik Deutschland selber verantworten.
Unter Berufung auf § 44 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jaunich die Möglichkeit, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verhehle nicht, daß mich der Verlauf dieser Debatte tief betrübt hat. Aber, Herr Minister Geißler, wenn Sie hier Kritik an dem Verhalten von Abgeordneten einer Fraktion geübt haben, dann muß ich Ihnen darauf antworten, daß ich von Ihnen als dem für diesen Geschäftsbereich verantwortlichen Bundesminister etwas mehr erwartet hätte.
Denn die Art und Weise, wie Sie diese Debatte geführt haben, war ihrem Sinngehalt mit Sicherheit nicht angemessen.
Und Sie müssen sich von uns schon gefallen lassen, daß wir Sie und Ihr familienpolitisches Wirken unter Kritik nehmen. Denn ich darf Sie daran erinnern, daß Sie in Person und Ihrer Fraktion insgesamt über Jahre und ein Jahrzehnt hin uns Vorwürfe gemacht haben,
wir gestalteten die soziale Situation der Familie nicht gut genug, und daß Sie am Anfang nichts anderes zu tun gehabt haben, als die soziale Situation der Familie deutlich zurückzuführen.
Sie haben noch im vorletzten Bundestagswahlkampf gesagt: Wer jetzt an den Familien spart, spart am falschen Ort und zur falschen Zeit. Ich frage Sie: Woher nehmen Sie eigentlich die Berechtigung, unsere Kürzungsmaßnahmen zu kritisieren, wenn Sie nicht sofort nach Amtsantritt darangegangen sind, diese Kürzungen rückgängig zu machen? Wenn Sie das getan hätten, könnten Sie uns hier zu Recht kritisieren, Herr Minister Geißler,
aber so nicht.
Wenn Sie im Rahmen einer solchen Debatte dann noch den Versuch unternehmen, die Wahrheit, die nachprüfbar ist, auf den Kopf zu stellen, indem Sie Sozialdemokraten und Liberalen anlasten, wir hätten die Deckelung bei den Sozialhilfesätzen zu verantworten, dann reden Sie eigentlich wider besseres Wissen oder aber versuchen Sie, hier bewußt die Unwahrheit zu sagen. Beides ist für Sie in diesem Amt gleichermaßen schädlich, wie ich meine.
Ihnen darf doch wohl nicht verborgen geblieben sein, daß der jetzige Bundesfinanzminister in seinem Nachrichtendienst, den „Finanznachrichten", erst kürzlich den Orden für diese Kürzung der Sozialhilfe an seine eigene Brust geklebt hat, indem er darauf hingewiesen hat, daß ohne ihn und sein beharrliches Wirken keine Reduzierung der Ausgaben bei der Sozialhilfe möglich geworden wäre. Das ist doch eindeutig und klar für jedermann nachlesbar. Und jeder, der im Umgang auch mit dem politischen Gegner redlich ist, darf eine Debatte nicht so führen,
noch dazu, wenn der Gegenstand, um den hier gerungen wird, oder der Ausgangspunkt eigentlich so geartet ist, daß man einen solchen Redebeitrag als verantwortlicher Minister im Interesse der Sache so nicht aufbauen dürfte.
Herr Minister Geißler, Sie haben weiterhin gesagt,
diese Stiftung sei nicht Ihr Gesamtkonzept. Nun, wissen Sie, mit der Stiftungsregelung sind Sie recht flott übergekommen; und das soll ja auch noch sehr flott vor der Sommerpause verabschiedet werden. Alles andere sind Ankündigungen ohne jeden tieferen Gehalt
und für uns in der Ernsthaftigkeit überhaupt noch nicht überprüfbar.
Ich habe nach § 44 auch eine Wortmeldung der Frau Abgeordneten Schoppe.
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5072 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Vizepräsident Westphal— Ich bitte, in diesen Paragraphen zu gucken. Es ist ein in unserer Geschäftsordnung vorgesehener Fall, daß dann, wenn ein Minister gesprochen hat, die Debatte wieder eröffnet sein kann.
Sie haben das Wort.
Ich möchte die Gelegenheit zum Anlaß nehmen, auf eine Bemerkung von Herrn Geißler einzugehen. Herr Geißler, Sie haben aus einem Flugblatt zitiert, das die GRÜNEN heute veröffentlicht haben. Sie haben aber leider vergessen, den ganzen Satz zu zitieren. Er wäre wichtig gewesen. Ich mache kurz den Zusammenhang klar:
Die Liberalisierung des § 218 sollte nicht nur den Abbruch unter angebbaren Bedingungen legalisieren. Sie sollte auch den gesamten Abbruchvorgang humanisieren und damit die Notsituation von Frauen lindern. Ich meine, die Verteilung von Stiftungsgeldern bringt die Frauen in Rechtfertigungszwänge und stört die auf Vertrauen basierenden Kommunikationsstrukturen in den Beratungsstellen. Außerdem führt die Vergabe von Stiftungsmitteln zur Erfassung von schutz- und geheimhaltungsbedürftigen Daten und damit zu wachsendem Mißtrauen gegenüber den Beratungsstellen. Der Druck zum Erfolgszwang wird sich ausbreiten. Die grundgesetzkonforme 218-Beratung wird unmittelbar an den verausgabten Mitteln meßbar. Der einzelne Beratungsvorgang gerät damit manifest unter Erfolgszwang.
Eine spärliche Verteilung der Mittel könnte zu der Interpretation einer grundgesetzdefizitären Beratungsmentalität führen.
Das ist das, was ich damit ausdrücken wollte. Wenn wir schon alle zu der Meinung gekommen sind, daß die Abtreibung aus einer Notsituation heraus geschieht — ich denke, es ist sehr wichtig, sich das klarzumachen —, dann müssen wir auch alles tun, diese Notsituationen für die Frauen so gering wie möglich zu halten. Da halte ich die Eingriffe in die Beratungsstellen durch die Verteilung für sehr verhängnisvoll
Außerdem: Der Verteilungsvorgang, d. h. die Nachprüfung, ob wirklich eine Bedürftigkeit bei den Frauen besteht, verändert die Beratung in den Beratungsstellen völlig. Da frage ich Sie, Herr Geißler: Welche Überlegungen haben Sie angestellt, die Zahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Beratungsstellen zu erhöhen? Es können doch nicht diejenigen, die bisher die Beratung durchgeführt haben, noch zusätzlich die Lasten von Beratungen auf sich nehmen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu dieser Debatte nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/1369 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Mitberatung und Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Fortsetzung der ersten Beratung des von den Abgeordneten Werner, Dr. Althammer, Dr. Czaja, Dr. Jobst, Jäger (Wangen), Sauter (Epfendorf), Petersen, Dr. Friedmann, Dr. Kunz (Weiden), Sauer (Stuttgart), Kroll-Schlüter, Graf Huyn, Brunner, Jagoda, Dr. Todenhöfer, Milz, Dr. Schwörer, Keller, Biehle, Graf von WaldburgZeil, Jung (Lörrach), Hornung, Tillmann, Rossmanith, Seehofer, Bühler (Bruchsal), Ruf, Höpfinger, Schneider (Idar-Oberstein), Dr. Kronenberg, Schlottmann, Weiß, Lemmrich, Dr. Unland, Dr. Möller, Hedrich, Müller (Wesseling), Gerlach (Obernau), Dr. Müller, Magin, Dr. Marx, Dr. Bötsch und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher Vorschriften über sonstige Hilfen (Sonstige Hilfen - Änderungsgesetz - SHAG)— Drucksache 10/941 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung RechtsausschußAusschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GODie Aussprache in erster Beratung über diesen Gesetzentwurf hat bereits in der 69. Sitzung am 3. Mai 1984 stattgefunden. Wird das Wort dazu anderweitig gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Mitberatung und Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
— Das Problem ist, daß die Möglichkeit, einen Gesetzentwurf nicht zu überweisen, mit der eine Zweidrittelmehrheit voraussetzenden Abstimmung über die Frage verbunden wäre, ob wir gleich in die zweite Lesung eintreten wollen. Ich möchte das hier nicht festklopfen, weil dies eine noch zu diskutie-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5073
Vizepräsident Westphalrende Rechtsauffassung ist. Wir sind im Präsidium an dieser Frage dran.
— Wird gewünscht, darüber abzustimmen? — Gut, dann stelle ich fest: Die Überweisung ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften— Drucksache 10/311 —Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/1230 —Berichterstatter:Abgeordnete Bernrath Regenspurger
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort anderweitig gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Dann kommen wir zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich darf noch einmal bitten: Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?— Enthaltungen? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften bei Stimmenthaltungen mit Mehrheit angenommen worden.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Gibt es Enthaltungen? — Dann ist das Gesetz bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes— Drucksache 10/489 —Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses
— Drucksache 10/1358 —Berichterstatter:Abgeordnete Berger Heistermann
Auf Drucksache 10/1482 liegt Ihnen hierzu ein interfraktioneller Entschließungsantrag vor. Er ersetzt den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/1482.Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung oder zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt verschiedene Tatbestände von Wehrungerechtigkeit oder — anders ausgedrückt — mangelnder Wehrgerechtigkeit. Da gibt es die Sportinvaliden bis hin zur ersten Fußballklasse. Da gibt es elegante Simulanten bei der Musterung. Da gibt es Leute, die über das 28. Lebensjahr im Antragsstau, wie er als Folge von Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes eintritt, steckenbleiben wollen.
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5074 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heistermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion stimmt dem Entwurf zur Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes zu. Ich möchte mich in der Sache den Ausführungen des Kollegen Berger insoweit anschließen, als damit ein Zustand geändert wird, der zu vielen Petitionen geführt hat, in denen Betroffene, die im öffentlichen Dienst — z. B. als Lehrer — angestellt werden sollten, darüber geklagt haben, daß sie durch die veränderten Anstellungsbedingungen nun an der Berufsaufnahme gehindert wurden.
Diese neue Regelung, die wir eröffnen, muß aber — das sage ich in aller Deutlichkeit — dazu dienen, die Gesamtproblematik des Arbeitsplatzschutzgesetzes zu erörtern. Ich begrüße, daß sich alle Fraktionen dieses Hauses unserem Entschließungsantrag, der auf die besondere Benachteiligung der Frauen hinweist, angeschlossen haben und ihn inhaltlich mittragen. Nun werden wir gespannt sein, welche Sorgen sich die Regierung — die Regierungsbank ist im Grunde ein Beispiel dafür — um die Arbeitsplätze junger Menschen macht.
Von Wehrgerechtigkeit zu reden, und dann nicht dabei zu sein, ist — das muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Berger — ein starkes Stück. Ich bin sicher, daß die Öffentlichkeit das zu registrieren weiß.
Was ist die schreckliche Situation? Es geht ja nicht nur darum, den öffentlichen Dienst neu zu regeln, weil der die Möglichkeit hat, unabhängig von Tarifverträgen vorbildliches Verhalten an den Tag zu legen, sondern es geht darum — ich mahne das ausdrücklich an —, daß es uns große Sorge macht, wie junge Menschen, die zur Ableistung des Wehrdienstes anstehen, heute mit Zeitarbeitsverträgen ausgestattet werden, nur bis zur Ableistung des Wehrdienstes beschäftigt werden und später, nach Ableistung des Wehrdienstes, nicht die Arbeitsplatzgarantie in Anspruch nehmen können. Wer das Wort Wehrgerechtigkeit in den Mund nimmt, diese jungen Menschen aber draußen alleine stehenläßt, versündigt sich an der Zukunft dieser jungen Menschen.
Ich kann die Regierung nur dringend bitten, sicherzustellen, daß auch denjenigen, die im gewerblichen und handwerklichen Bereich tätig sind und Wehrdienst leisten, Wehrgerechtigkeit widerfahren wird, daß die Arbeitsplatzschutzgarantie auch für diesen Personenkreis bestehenbleibt.
Es wäre traurig, wenn der Eindruck entstehen könnte, daß nur für den öffentlichen Dienst entsprechende Regelungen getroffen werden. Nein, wir fordern dies auch für den gewerblichen und für den handwerklichen Bereich.
Ich glaube, daß wir die Regierung mit dem Entschließungsantrag in den Handlungszwang hineinbringen, die gesamte Problematik nun in einer vernünftigen Art und Weise zu regeln. Wir werden gespannt sein, was aus diesen Überlegungen — aus dem, was zwischenzeitlich jetzt gemeinsam getragen wird — auf Grund unseres Antrages nun herauskommt.
Ich wiederhole zum Schluß: Es ist beschämend, daß diese Regierung nicht in der Lage ist, einen Vertreter auf der Regierungsbank sitzen zu haben.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den vorangegangenen harten Auseinandersetzungen des heutigen Tages, gegenseitigen Vorwürfen und Unterstellungen müßte es doch jetzt richtig guttun, einen gemeinsam getragenen Gesetzesentwurf mit einzubringen und dazu noch einen von allen Fraktionen dieses Hauses mitgetragenen Entschließungsantrag vortragen zu können.
Die FDP-Fraktion stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, weil er ein Beitrag zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit ist, weil er Nachteile, die junge Männer durch die Ableistung von Wehrund Zivildienst in Kauf nehmen müssen, begrenzt.Der Wehr- und Zivildienst gehört zu den staatsbürgerlichen Pflichten, die unser Gemeinwesen für junge Männer vorsieht. Es ist aber nicht vertretbar, daß diejenigen, die diesen staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen, dafür auch noch eine Verschlechterung ihrer beruflichen Einstiegschancen hinnehmen müssen.
Mehr Wehrgerechtigkeit kommt nicht durch höflichen Beifall — ich bedanke mich zwar dafür — und auch nicht durch Lippenbekenntnisse zustande.
Wer die Nachteile, die Jugendliche durch den Wehr- und Zivildienst haben, möglichst begrenzen will,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5075
Dr. Feldmannmuß durch konkrete Maßnahmen vorgehen. Das tun wir mit dieser Gesetzesvorlage. Durch die Änderung des § 11 Arbeitsplatzschutzgesetz wollen wir erreichen, daß junge Männer, die sich nach der Ableistung des Wehr- und Zivildienstes für den öffentlichen Dienst bewerben, die gleichen Einstiegschancen wie vor ihrer Einberufung haben; also keine Privilegien, sondern Abbau von Nachteilen.Die FDP-Fraktion begrüßt, daß der Gesetzgeber durch diesen Entwurf in dem Bereich, in dem er unmittelbar Einfluß hat, nämlich im öffentlichen Dienst, mit gutem Beispiel vorangeht.Aber dies ist nur ein Schritt zu mehr Wehrgerechtigkeit; denn er beseitigt nur für einen Teil der Wehr- oder Zivildienstleistenden gewisse Nachteile. Ihm müssen weitere Schritte folgen, auch auf anderen Gebieten. Das haben wir ja mit unserem gemeinsam getragenen Entschließungsantrag deutlich gemacht, meine Damen und Herren.Aber nicht nur der Gesetzgeber ist gefordert, sondern auch die Behörden, z. B. die Kreiswehrersatzämter und die Wirtschaft; da stimme ich Ihnen zu, Herr Kollege Heistermann. Ich appelliere an die Kreiswehrersatzämter, alles zu tun, um einen möglichst nahtlosen Übergang von Lehre oder Abitur zum Wehrdienst sicherzustellen. Die bisherigen Bemühungen der Kreiswehrersatzämter müssen verstärkt fortgesetzt werden. Wo der nahtlose Übergang nicht möglich ist, ist zumindest Einberufungsklarheit herzustellen, d. h. Jugendliche müssen frühzeitig und verbindlich erfahren, wann sie mit ihrer Einberufung zu rechnen haben.Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung — auch unter dem Aspekt der Wehrgerechtigkeit — zu der zur Zeit geführten Diskussion über die Personalsituation der Bundeswehr in den 90er Jahren. Meine Damen und Herren, eine Verlängerung des Wehrdienstes würde die bestehende und von uns allen immer wieder beklagte Wehrungerechtigkeit doch nur noch verschärfen. Deswegen, so meine ich, sollten wir hier mit einer Verlängerung sehr, sehr vorsichtig umgehen.
Ich stelle abschließend fest: Wir wollen keine Privilegien für Wehr- oder Zivildienstleistende, sondern Ausgleich von Nachteilen. Darüber sind wir uns, so nehme ich an, alle einig. Dieses Gesetz ist ebenso wie die von uns beschlossene Erhöhung des Wehrsoldes lediglich ein Beitrag, um die bestehenden Nachteile etwas abzumildern.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schoppe.
Meine Damen und Herren! Wir haben sehr ausgiebig und sehr kontrovers über diesen Gesetzentwurf diskutiert. Wir werden ihm zustimmen, aber mit riesengroßen Bauchschmerzen. Sie können sich vorstellen, daß es bei uns zur Bundeswehr unterschiedliche Meinungen gibt. Ich gehöre zu denjenigen, die eine Bundeswehr ganz für überflüssig halten. Ich halte es eigentlich nicht für gerechtfertigt, Menschen, die in der Bundeswehr sind, zu bevorrechtigen.
Ich kann dieses Wort „Wehrgerechtigkeit" gar nicht ausstehen, das muß ich sagen. Ich habe es heute abend hier viel zuviel gehört.
Wir haben große Schwierigkeiten mit der Bundeswehr, weil die Bundeswehr in die NATO eingebunden ist
— einen kleinen Moment — und weil der Oberbefehlshaber der NATO, Herr Reagan, eine aggressive, kriegstreibende Politik betreibt, wie seine Äußerungen zum Nahost-Konflikt zeigen. Sie wissen, wir wollen aus der NATO austreten. Ich bin Totalpazifistin. So heißt das j a wohl.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Ja, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, ist Ihnen bewußt geworden, daß es sich hier nicht um eine Bevorrechtigung von Wehrpflichtigen handelt, sondern um das Abstellen einer wirklichen Benachteiligung, die durch die Praxis eingetreten ist?
Ich habe das schon verstanden. Ich habe j a Ihre Rede über die Wehrgerechtigkeit gehört. Aber ich möchte Sie an folgende Diskussion erinnern. Es ist in diesem Rahmen hier in Bonn eine große Diskussion über ein Antidiskriminierungsgesetz geführt worden. Dort ist immer gesagt worden, eine Quotierung für Frauen sei nicht möglich, weil eine Bevorrechtigung auf Grund eines Geschlechtes nicht durchgeführt werden könne. Nun haben wir Gott sei Dank nur Männer in der Bundeswehr, und weil sie Männer sind, sind sie in der Bundeswehr. Wenn sie durch diesen Entwurf bevorrechtigt werden sollen, dann muß ich Sie mal fragen: Warum soll das für die Männer gelten, und warum soll das nicht für die Frauen gelten? Das ist eigentlich unser Hauptpunkt.Wir haben diesen gemeinsamen Antrag, der von der SPD gekommen ist, mit unterstützt. Er ist etwas dürftig, das muß man schon sagen, aber das ist wahrscheinlich die Ebene, auf der wir hier mal einen gemeinsamen Antrag machen können. Immerhin steht in diesem Antrag — und deshalb haben wir ihn unterstützt — die Aussage, daß Frauen auf Grund der Tatsache, daß sie Kinder gebären können, benachteiligt sind. Es steht die Aufforderung an die Bundesregierung darin, diese Benachteiligung aufzuheben.In diesem Kontext also unterstützen wir den vorgelegten Gesetzesentwurf. Ich freue mich besonders, daß es hier wieder ruhig geworden ist. Es ist doch eine schöne Geste, mal gemeinsam einen An-
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5076 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Frau Schoppetrag zu unterstützen, auch wenn er etwas lapidar ist— noch, aber das kann ja besser werden.Danke.
Es gibt unterschiedliche Gründe, warum es hier ruhig geworden sein könnte.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. — Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Enthaltung angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist das Gesetz bei einer Stimmenthaltung angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktionellen Entschließungsantrag auf Drucksache 10/1482 . Wer dem interfraktionellen Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das muß ja wohl von allen Seiten kommen, danke schön. Enthaltungen?— Der Entschließungsantrag ist bei einer Enthaltung angenommen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Januar 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über den Bau und die Unterhaltung einer Grenzbrücke über die Sauer zwischen den Gemeinden Langsur und Mertert— Drucksache 10/1081 —a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 10/1302 — Berichterstatter: Abgeordneter Paulib) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 10/1490 —Berichterstatter:Abgeordnete Hoffmann MetzDr. WengVerheyen
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist das Gesetz gegen die Stimmen einer Minderheit angenommen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Juli 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Philippinen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen— Drucksache 10/1163 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/1343 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schroeder
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme?— Dann ist das Gesetz gegen die Stimmen der Fraktion der GRÜNEN und bei einer Stimmenthaltung angenommen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. April 1983 zur Änderung des Vertrags vom 31. Mai 1967 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über zoll- und paßrechtliche Fragen, die sich an der deutsch-österreichischen Grenze bei Staustufen und Grenzbrücken ergeben— Drucksache 10/1067 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache 10/1363 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Struck
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall.Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht? — Dann kommen wir zur Schlußabstimmung.Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984 5077
Vizepräsident Westphal— Bei einer Reihe von Enthaltungen ist das Gesetz angenommen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts— Drucksache 10/1232 —Einer Anregung der Geschäftsführer aller Fraktionen folgend rufe ich auch Punkt 11 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes— Drucksache 10/1362 —In Änderung früherer Vereinbarungen zu beiden Punkten haben uns die Geschäftsführer im Ältestenrat gemeinsam vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe ohne Debatte in der ersten Lesung zu überweisen. Gibt es dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bereinigung des Verwaltungsverfahrensrechts — Tagesordnungspunkt 10 — auf Drucksache 10/1232 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Was Tagesordnungspunkt 11 anlangt, schlägt der Ältestenrat vor, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/1362 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist auch nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Punkte 12 bis 14 und die Zusatzpunkte 1 und 2 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes— Drucksache 10/1361 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
RechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenErste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften— Drucksache 10/1375 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß Ausschuß für Bildung und WissenschaftErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes— Drucksachen 10/1314, 10/1370 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Fin anzausschul3Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes— Drucksache 10/1483 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 17. Oktober 1980 über die Gewährung ärztlicher Betreuung an Personen bei vorübergehendem Aufenthalt— Drucksache 10/1484 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitEs handelt sich um die erste Beratung von Gesetzentwürfen, die von der Bundesregierung bzw. vom Bundesrat eingebracht worden sind. Das Wort wird nicht gewünscht? — Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/1361, 10/1375, 10/1314, 10/1370, 10/1483 und 10/1484 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 31 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/1397 —b) Beratung der Sammelübersicht 32 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/1418 —Das Wort wird dazu nicht gewünscht? — Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses, die in den Sammelübersichten 31 und 32 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? Enthaltungen ? — Bei einer Reihe von Enthaltungen sind die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses angenommen.
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5078 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Mai 1984
Vizepräsident WestphalIch rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Präsidenten des BundesrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1983 — Einzelplan 20 —— Drucksache 10/1355 —Das Wort dazu wird nicht gewünscht? — Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/1355 an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Punkte 17 bis 20 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates vom 5. April 1983 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über typenmäßig durch die Verwendung von hinten angebrachten Überrollbügeln, Überrollrahmen oder Schutzkabinen gekennzeichnete Umsturzschutzvorrichtungen für land- oder forstwirtschaftliche Schmalspurzugmaschinen auf Rädern— Drucksachen 10/92 Nr. 75, 10/1301 —Berichterstatter: Abgeordneter BuckpeschBeratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Zugang zum Beruf des Unternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Binnenschiffsgüterverkehr und über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstige Befähigungsnachweise für diesen Beruf— Drucksachen 10/873 Nr. 34, 10/1325 —Berichterstatter: Abgeordneter HaungsBeratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates zur fünften Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 355/79 zur Aufstellung allgemeiner Regeln für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und der TraubenmosteVorschlag für eine Verordnung des Rates mit Regeln für die Bezeichnung der Spezialweine— Drucksachen 10/546 Nr. 9, 10/1258 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau WeyelBeratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag einer Verordnung des Rates über eine gemeinschaftliche Aktion zum verstärkten Schutz des Waldes in der Gemeinschaft gegen Brände und saure Niederschläge— Drucksachen 10/376 Nr. 66, 10/1260 —Berichterstatter: Abgeordneter KißlingerEs handelt sich hierbei um die Beschlußempfehlungen und Berichte des Ausschusses für Verkehr, des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu Vorlagen der Europäischen Gemeinschaften. Das Wort dazu wird nicht gewünscht?
— Herr Fischer, wollen Sie? — Das Wort wird nicht gewünscht, wie ich feststelle.Ich lasse über die Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Verkehr und des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf den Drucksachen 10/1301, 10/1325, 10/ 1258 und 10/1260 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen?— Enthaltungen? — degen 3 Stimmen und bei einer Reihe von Enthaltungen sind die Beschlußempfehlungen angenommen.Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/84 — Zollpräferenzen 1984 gegenüber Entwicklungsländern — EGKS)— Drucksachen 10/1156, 10/1303 —Berichterstatter:Abgeordneter Wolfram
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?— Das ist nicht der Fall. Wird anderweitig das Wort gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf der Drucksache 10/1303, der Verordnung auf Drucksache 10/1156 zuzustimmen. Erhebt sich hiergegen ein Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Wir sind am Schluß der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. Mai, 8 Uhr ein. Da gibt es eine Fragestunde.Die Sitzung ist geschlossen.